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German Pages 237 [262] Year 2013
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie † (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)
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Papyrologie und Exegese Die Auslegung des Neuen Testaments im Licht der Papyri
Herausgegeben von
Jens Herzer
Mohr Siebeck
Jens Herzer, geboren 1963; 1984 – 89 Studium der Theologie; 1990 – 91 Vikariat; 1991 Ordination; 1993 Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes; 1997 Habilitation an der Humboldt-Universität; seit 1999 Professor für Neues Testament an der Universität Leipzig.
e-ISBN PDF 978-3-16-152291-8 ISBN 978-3-16-151991-8 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort und Einführung Die Erforschung der religions- und kulturgeschichtlichen Bedingungen, unter denen die Schriften des Neuen Testaments verfasst wurden, stand und steht auch heute noch oft unter der Fragestellung nach dem Einfluss bestimmter Traditionen, Religionen und Kulturen auf das Neue Testament bzw. seine Autoren. Dabei sind Einflüsse der paganen literarisch-philosophischen Antike ebenso relevant wie solche des hellenistischen Judentums und seiner literarischen Überlieferungen. Selbst innerhalb der jüdischen Traditionen wird die Gewichtung der Bezüge zum Neuen Testament unterschiedlich bewertet: Traditionen der Apokalyptik, Weisheit und Schriftgelehrsamkeit spielen dabei eine große Rolle, die Entdeckung der Qumrantexte hat einen wichtigen Impuls gegeben, die Verhältnisbestimmung zwischen rabbinischem und hellenistischem Judentum ist nach wie vor umstritten – um nur einige Aspekte zu nennen. Nicht zuletzt ging es oft um die Frage nach der Priorität solcher „Einflüsse“, deren Beantwortung wiederum das Bild und das Profil der neutestamentlichen Schriften und ihrer theologischen Vorstellungen prägten. So erscheint etwa Paulus je nach Perspektive als hellenistisch-jüdischer Weisheitslehrer, als gesetzesgelehrter Pharisäer im Sinne des späteren Rabbinats oder aber als einer unter den (platonisch-stoisch geprägten) Philosophen. Die Notwendigkeit einer möglichst vielperspektivischen Wahrnehmung neutestamentlicher Überlieferung macht zugleich eine allzu große Einseitigkeit in der Beurteilung des kultur- und religionsgeschichtlichen „Settings“ des Neuen Testaments obsolet. Es kann immerhin inzwischen als allgemeiner Konsens gelten, dass es eine scharfe Grenzziehung zwischen „Judentum und Hellenismus“ nicht geben kann, sondern mit wechselseitigen Einflussnahmen und Durchdringungen in unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichen Ausprägungen zu rechnen ist, und dass auch die Interpretation des Neuen Testaments mit solchen wechselseitigen Perspektiven zu rechnen hat. Wenn das 1997 neu initiierte Projekt des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) das Schwergewicht der Arbeit auf die wechselseitigen Wahrnehmungen und Beziehungen zwischen dem Neuen Testament und den Schriften des hellenistischen Judentums legt, so versucht es, der Komplexität religions- und kulturgeschichtlicher Bezüge gerecht zu
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werden. 1 Die Konzentration auf ein mehr oder weniger klar abzugrenzendes Korpus jüdisch-hellenistischer Schriften ist dabei kein Rückfall in eine ideologisch geprägte Ausschließlichkeit der Interpretation des Neuen Testaments aus einer bestimmten Perspektive, sondern erfolgt ausdrücklich in dem Bewusstsein, dass die Verwurzelung des Neuen Testaments in den Traditionen des antiken Judentums an dessen eigener Vernetzung innerhalb des kulturgeschichtlichen Horizonts der antiken Welt partizipiert. Vor diesem Hintergrund sind die nichtliterarischen Dokumente des Alltagslebens wichtige und anschauliche Zeugnisse dafür, wie eng die jüdische Kultur im alltäglichen Leben mit der hellenistisch-römischen verwoben war. In der Konsequenz tritt zunehmend in den Blick, dass neben den literarischen Traditionen der Antike auch die Dokumente der so genannten Alltagskultur auch für das Verstehen des Neuen Testaments und seines hellenistisch-jüdischen Hintergrundes eine ganz eigene Bedeutung haben. Dazu gehören neben archäologischen Relikten und Inschriften vor allem die zahlreichen dokumentarischen Papyri und Ostraka, die einen immer wieder überraschenden Einblick in die Lebenswelt unterschiedlicher sozialer Schichten bieten; überraschend auch deshalb, weil oftmals aufgrund bestimmter Kriterien als jüdisch zu identifizierende Papyrusdokumente nicht oder kaum von nichtjüdischen zu unterscheiden sind. Dass diese Dokumente inzwischen über Datenbanken leicht und umfänglich zugänglich sind, gehört zu den Vorzügen der modernen Forschung. Die Relation solcher Dokumente der alltäglichen Lebenswelt zu literarischen Texten der Antike wie auch zu den Schriften des Neuen Testaments bietet aufschlussreiche Einsichten in die Art und Weise, in der auch literarisch tätige Autoren in ihrer Ausdrucksweise und ihren Vorstellungen von den semantischen, lexikalischen und enzyklopädischen Strukturen der Alltagssprache geprägt sind. Anhand der nichtliterarischen Papyri wird einmal mehr bewusst, dass auch antike Schriftsteller nicht nur von hohen literarischen Traditionen beeinflusst waren, sondern eben auch von Sprache und Enzyklopädie der Alltagskultur. Das wird vor allem dann interessant, wenn es etwa für einen Missionar und Theologen wie Paulus galt, theologische Vorstellungen zu entwickeln, zu beschreiben und verstehbar darzulegen, für die es keine literarischen Vorlagen gab. So hat die Wahrnehmung des Neuen Testaments vor dem Hintergrund der nichtliterarischen Dokumente 1 Zur Beschreibung des Projektes vgl. N. W ALTER , Zur Chronik des Corpus Hellenisticum von den Anfängen bis 1955/58, in: W. Kraus / K.-W. Niebuhr (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 325–344; K.-W. N IEBUHR, Das Corpus Hellenisticum. Anmerkungen zur Geschichte eines Problems, in: Kraus/Niebuhr, a.a.O. 361–379; vgl. auch die Internetseite des Projektes unter http://www.uni-jena.de/CJH.html.
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gelegentlich auch eine eher ernüchternde Wirkung, wenn für manchen Begriff oder manche Wendung eine alltagssprachliche Bedeutung erhoben werden kann, die so manche überzogene theologische Deutung obsolet macht oder zumindest – im positiven Sinn des Wortes – relativiert. So hilft diese Perspektive auch, die wahrscheinlichen Rezeptionsbedingungen neutestamentlicher Schriften in unterschiedlichen sozialen Milieus präzisier zu beschreiben, indem die lebensweltlichen Umstände etwa im Bereich der Rechtsprechung, der familiären Konflikte usw. anschaulicher werden. Dabei gerät auch die immer wieder neu zu stellende Frage in den Blick, was „Alltag“ bzw. „Alltagskultur“ eigentlich ausmacht, mit welchen Begriffen hierbei gearbeitet werden kann und wie in methodischer Hinsicht die Relevanz von Dokumenten aus unterschiedlichen Alltagsbereichen bei einem Vergleich mit neutestamentlichen Schriften einzuschätzen ist. Die Spannung zwischen einer Interpretation des Neuen Testaments aus der Perspektive literarischer und nichtliterarischer Quellen hatte bereits Adolf Deißmann, einer der Pioniere der Papyrusforschung, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts formuliert. 2 Aufgrund des aus heutiger Sicht erstaunlichen methodischen Problembewusstseins, welches seiner Arbeit an den Papyri zugrunde liegt, sei ein Abschnitt seines die Forschung prägenden Buches „Licht vom Osten“ (1908) etwas ausführlicher zitiert: „Aber im ganzen sind zurzeit doch so viele christliche und jüdische Theologen mit der Durchforschung der altjüdischen Literatur beschäftigt, die christlichen mit geringeren Vorurteilen als früher und die jüdischen mit einer besseren Methode als früher, – und im ganzen wird auch die griechisch-römische Literatur der Kaiserzeit von so vielen fleißigen Arbeitern behandelt, daß wir den literarischen Hintergrund des Urchristentums auf weite Strecken schon jetzt kennen. Ja, die literarischen Denkmäler erfreuen sich einer solchen Wertschätzung, daß in manchen Kreisen die Meinung bewußt oder unbewußt vorhanden ist, aus der Literatur der Kaiserzeit sei der historische Hintergrund des Urchristentums völlig wiederherstellbar. Man vergisst dabei, daß die Literatur, selbst wenn sie vollständig vorhanden wäre, nur ein Fragment der antiken Welt ist, wenn auch ein bedeutendes Fragment; man vergißt, daß jede Rekonstruktion der antiken Welt, die mit Verwertung bloß der literarischen Texte versucht ist, einseitig sein muß und daß Vergleichungen des Urchristentums mit dieser aus Fragmenten fragmentarisch kombinierten Welt leicht mißlingen können ... Die Literaturdenkmäler sind im wesentlichen die Selbstzeugnisse der oberen, der Bildungsschicht; die untere Schicht kommt in ihnen selten zu Wort, und wo sie etwa auftritt, wie in der Komödie, steht sie zumeist bloß in der Beleuchtung vor uns, die ihr von oben her zu teil geworden ist ... Und diese Schicht, für den Historiker seither 2 Zu Deißmann vgl. E. P LÜMACHER , Deißmann, Adolf (1866–1937), TRE 8 (1981), 406–408; A. GERBER, Deissmann the Philologist, BZNW 171, Berlin/New York 2010. Zur Bedeutung Deißmanns etwa auch für die wichtige Papyrussammlung der John Rylands Library in Manchester vgl. R. MAZZA, Graeco-Roman Egypt at Manchester. The Formation of the Rylands Papyri Collection, in: P. Schubert (Hg.), Actes du 26e Congrès international de papyrologie (Genève, 16–21 août 2010), Recherches et Rencontres 30, Genf 2012, 499–509.
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zum größten Teil verschollen, ist durch die Entdeckung ihrer Selbstzeugnisse plötzlich wieder aus den Schutthügeln antiker Großstädte, Marktflecken und Dörfer hervorgekommen und bittet so laut und eindrücklich ums Wort, daß es unumgänglich notwendig ist, sie mit Ruhe und Gerechtigkeit anzuhören. Das ist meines Erachtens die allgemeinste, die Hauptbedeutung der nichtliterarischen Schriftdenkmäler der römischen Kaiserzeit, daß sie uns das seither einseitig von oben her betrachtete Bild der antiken Welt korrigieren lassen, indem sie uns mitten in die Schicht hineinstellen, in der wir uns den Apostel Paulus, das Urchristentum werbend vorzustellen haben.“ 3
Die seinerzeit innovativen Impulse Deißmanns 4 wurden in der Folgezeit innerhalb der neutestamentlichen Forschung durch andere Fragestellungen mehr oder minder verdrängt, 5 so dass es – ohne selbstverständlich Berechtigung und Bedeutung anderer Perspektiven zu bestreiten – zu begrüßen ist, dass z.B. mit dem Salzburger Projekt der Papyrologischen Kommentare zum Neuen Testament die nichtliterarischen Dokumente erneut in einen besonderen Fokus bei der Interpretation des Neuen Testaments gestellt werden und deren Ertrag systematisch herausgearbeitet wird. 6 Dass dafür eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen neutestamentlicher Forschung, Papyrologie und Altertumswissenschaft wesentlich und notwendig ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Eine für den Neutestamentler besondere Erfahrung, die sich auch in den Beiträgen dieses Bandes wiederfinden lässt, ist die bereichernde Wahrnehmung unterschiedlicher methodischer Ansätze im Umgang mit Texten innerhalb von Papyrologie und neu3 A. D EISSMANN, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 1908, 3–5. 4 Vgl. etwa unter den zahlreichen Dokumenten, die GERBER, Deissmann (s. Anm. 2) in den Appendices abdruckt, die aufschlussreiche Begründung des Vorschlages der Berliner Theologischen Fakultät durch den damaligen Dekan Adolf von Harnack „zur Besetzung einer ordentlichen Professur für das Neue Testament“ (in der Nachfolge von Bernhard Weiss), in der Deißmann nach Alfons Jülicher und vor Ernst von Dobschütz auf dem zweiten Platz rangiert (a.a.O. 406–413). Harnack ist freilich eher etwas distanziert, weil er den erstplatzierten Kandidaten nicht gefährden will. Er stellt insbesondere die Verdienste Deißmanns um die Erforschung der Papyri heraus, mit dem er sich „einen hohen Ruf auch in England und Amerika erworben“ habe, moniert aber zugleich, „die Theologie im strengen Sinn des Wortes“ käme durch die philologisch-exegetische Tätigkeit Deißmanns etwas zu kurz (a.a.O. 409f; vgl. dazu a.a.O. 81–89). 5 Nicht ohne Grund stellt Deißmann fest, man könne ihn angesichts seines Interesses an den alltäglichen Problemen von Soldaten, Arbeitern, Bauern und Taugenichtsen anklagen, „dass ein Theologe sich überhaupt mit solchen Leuten eingelassen habe; wer so etwas tue, sei gar kein Theologe“ (Licht vom Osten [s. Anm. 3], VII). 6 Vgl. dazu den Band P. Arzt-Grabner / C. M. Kreinecker (Hg.), Light from the East. Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament. Akten des internationalen Symposions vom 3.–4. Dezember 2009 am Fachbereich Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte der Universität Salzburg, Philippika – Marburger altertumskundliche Abhandlungen 39, Wiesbaden 2010; sowie die Internetseite des Projektes unter http://www.uni-salzburg.at /portal/page?_pageid=141,154958&_dad=portal&_schema=PORTAL.
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testamentlicher Exegese. Gerade an diesem Punkt erweist sich die interdisziplinäre Arbeit als besonders fruchtbar. Der vorliegende Band dokumentiert die auf einer Projekttagung vom 13.–16. Januar 2011 in Wittenberg gehaltenen Vorträge und spiegelt dieses interdisziplinäre Interesse auf besondere Weise wider, indem Neutestamentler, Papyrologen und Papyrologinnen gemeinsam an der Frage nach dem Bezug der Papyrologie zur Auslegung des Neuen Testaments arbeiteten. Die thematische Ausrichtung der Tagung stand in einem engen Zusammenhang zum III. Internationalen Symposium zum CJHNT 2009 in Leipzig, das unter dem Thema „Das Neue Testament und hellenistischjüdische Alltagskultur“ den speziellen Bereich der Papyrusdokumente nur am Rande behandeln konnte; 7 das sollte in der Wittenberger Projekttagung nachgeholt werden. Der Workshop-Charakter der Tagung bleibt auch in den Beiträgen dieses Bandes erkennbar. Innerhalb des CJHNT-Projektes ging es in methodischer und materialer Hinsicht um eine substantielle Annäherung an die Frage nach der Bedeutung von Papyri und anderer dokumentarischer Texte für die Auslegung des Neuen Testaments, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auf diesem Feld mehr als auf anderen Neutestamentler und Neutestamentlerinnen auf die über die Grenzen des eigenen Faches und der eigenen Kompetenzen hinausgreifende Arbeit essentiell angewiesen sind. Die Wittenberger Beiträge schlagen einen großen Bogen von der Bedeutung der Überlieferung des Neuen Testaments auf Papyrus über einzelne thematische Bereiche der papyrologischen Forschung hin zu den Implikationen für die Interpretation neutestamentlicher Texte: Der erste, den Band einleitende Beitrag von Larry Hurtado (The Early New Testament Papyri. A Survey of Their Significance) gibt nicht nur einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der neutestamentlichen Papyri und ihrer Erforschung, sondern widmet sich insbesondere der Frage nach der Bedeutung der Tatsache, dass die Schriften des Neuen Testament auf Papyrus verfasst und überliefert wurden, eine Problematik, die in der neutestamentlichen Forschung nicht immer mit hinreichender Klarheit und Konsequenz bei der Interpretation dieser Schriften vor Augen steht. Dabei wird einmal mehr deutlich, dass die Arbeit mit den neutestamentlichen Papyri nicht nur
7 R. Deines / J. Herzer / K.-W. Niebuhr (Hg.), Neues Testament und hellenistischjüdische Alltagkultur. Wechselseitige Wahrnehmungen, III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (21.–24. Mai 2009, Leipzig), WUNT 274, Tübingen 2011; vgl. darin die Beiträge von P. ARZT-GRABNER, Formen ethischer Weisungen in dokumentarischen Papyri unter besonderer Ausrichtung auf 1Tim und Tit (301–317), sowie J. HERZER, Die Pastoralbriefe im Licht der dokumentarischen Papyri des hellenistischen Judentums (319–346).
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für die Textkritik, sondern für die Interpretation und das historische Verständnis der neutestamentlichen Überlieferung insgesamt bedeutsam ist. Joachim Hengstl (Rechtsterminologie in den griechischen Papyri und ihre Bedeutung für die Interpretation neutestamentlicher Texte) thematisiert den in den dokumentarischen Texten in sehr unterschiedlichen Ausprägungen präsenten Bereich juristischer Fragen und Sachverhalte, ein Problemfeld, das auch in zahlreichen neutestamentlichen Texten relevant ist. 8 Sein Blick richtet sich speziell auf die Vorstellung von Schul- und Ausbildungsverträgen sowie Empfehlungsschreiben und Bürgschaften, deren Aspekte als erhellender Hintergrund für die rechtshistorischen Umstände des Philemonbriefes vorgestellt werden. Von besonderem Interesse ist dabei auch die Problematisierung der Existenz einer spezifischen Rechtsterminologie, die in der griechischen Rechtskultur – im Unterschied zur römischen – nicht nachweisbar ist. Reinhold Scholl und Margit Homann (Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern) stellen nach einer Einführung in die Theorie und Praxis des Briefeschreibens in einem weit gespannten Horizont familiäre Verhältnisse vor, wie sie in Papyrusbriefen zu Tage treten. Wegen des starken persönlichen Bezuges der Texte und der darin erörterten Probleme erlauben sie bemerkenswerte Einblicke in Beziehungsstrukturen und -dynamiken sowie deren Darstellung mit brieflichen Mitteln und Konventionen. Auch wenn der Beitrag nicht im engeren Sinne auf neutestamentliche Texte hin orientiert ist, bietet er doch für die aufmerksam Lesenden eine Fülle erstaunlicher Beobachtungen im Detail, die für die Interpretation neutestamentlicher Texte aufschlussreich sind. Während die drei ersten Beiträge des Bandes je für sich einen Bereich der Papyrusforschung darstellen und repräsentieren, tritt in den vier weiteren das besondere Anliegen der wechselseitigen Wahrnehmungen des CJHNT-Projektes in den Blick, insofern jeweils ein papyrologischer Beitrag mit einem aus neutestamentlicher Perspektive korrespondiert. So erörtert zunächst Peter Arzt-Grabner (Die Stellung des Judentums in neutestamentlicher Zeit anhand der Politeuma-Papyri und anderer Texte) politische Aspekte der gesellschaftlichen Stellung des Judentums – u.a. insbesondere von Herakleopolis und Alexandria – und kann anhand zahlreicher Texte zeigen, dass und in welcher Weise jüdische Bevölkerungsgruppen sozial und politisch innerhalb der griechisch-römischen Kultur als Politeumata organisiert waren. Bedeutsam ist dies vor allem für die Interpretation von Texten wie Phil 3,20 oder auch 1Kor 6,1–8, aufgrund derer ArztGrabner die Existenz eines jüdischen Politeuma in Philippi bzw. Korinth 8
Vgl. auch J. HENGSTL, Zum Sprachgebrauch des Neuen Testaments aus rechtspapyrologischer Sicht, in: Schubert, Actes (s. Anm. 2), 331–338.
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vor dem Hintergrund der Analogien aus den Politeuma-Papyri als wahrscheinlich vermutet. Diese Perspektive greift Karl-Heinrich Ostmeyer (Politeuma im Neuen Testament und die Politeuma-Papyri von Herakleopolis) auf und macht sie anhand einer ausführlichen exegetischen Erörterung von Phil 3,20 für die Interpretation der Vorstellung vom himmlischen Politeuma der Glaubenden fruchtbar. Dabei wird die Frage, welche Rückschlüsse der in Phil 3,20 verwendete Begriff des Politeuma erlaubt, eher zurückhaltend beurteilt. Neben Phil 3,20 und 1Kor 6,1–8 zieht Ostmeyer auch Texte aus dem Hebräerbrief (vgl. Hebr 11,14-16; 13,14) und dem ersten Petrusbrief (vgl. 1Petr 1,1.17; 2,11) heran. Die beiden den Band abschließenden Beiträge von Roberta Mazza (The Papyrological Commentary of the Gospel of Mark. Themes, Issues and Some Results of a Work in Progress) und Martin Meiser (Heilungsvollzüge und ihre Beschreibung in frühjüdischer Literatur und im Markusevangelium) beschäftigen sich aus papyrologischer wie neutestamentlicher Sicht mit der Thematik von Krankheit und Heilung und stellen dabei einen speziellem Bezug zur Jesusdarstellung des Markusevangeliums her. Vor dem Hintergrund von Papyri medizinischen Inhalts kann Roberta Mazza gleichsam in einem „Werkstattbericht“ über ihre Arbeit an einem papyrologischen Kommentar zum Markusevangelium zeigen, dass die Darstellung Jesu als Heiler von Kranken einer durchaus kritischen zeitgenössischen Sicht von Ärzten und ihren Heilkünsten in den Papyri entspricht. Martin Meiser verfolgt diese Linie unter einer erweiterten religionsgeschichtlichen Perspektive im Kontext frühjüdischer Literatur, so dass sich insgesamt nicht nur ein bemerkenswert facettenreiches Bild von Heilungsvollzügen und der allgemeinen Beurteilung ärztlichen Könnens ergibt, sondern auch die Heilungstätigkeit Jesu anschaulich kontextualisiert wird. Der Reichtum von stets interessanten und oft auch überraschenden Details, der in allen Beiträgen zutage tritt, kann hier nicht ansatzweise gewürdigt und muss von interessierten Leserinnen und Lesern selbst entdeckt werden. Für die Entstehung dieses Bandes ist vielfältig zu danken; zuerst selbstverständlich den Autorinnen und Autoren, die nicht nur zum Gelingen einer ausgesprochen anregenden Tagung beigetragen haben, sondern auch neben allen sonstigen Belastungen bereit waren, ihre Beiträge zur Veröffentlichung zu bearbeiten. Meinen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen danke ich für ihre sorgfältige, umsichtige und nicht zuletzt auch geduldige Arbeit – Frau Claudia K. Tost für die Herstellung des Manuskriptes sowie Frau Annette Graeber und Frau Nicole Oesterreich für die unschätzbare Hilfe in allen technischen Fragen. Zu danken habe ich Frau Elisabeth Herzer, Frau Britta Pfister und Herrn Cornelius Pohle für das Lesen der Kor-
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rekturen sowie Frau Nicole Oesterreich und Herrn Carsten Baumgart für die Erstellung der Register. Mein Dank gilt schließlich dem Verlag Mohr Siebeck, namentlich Herrn Henning Ziebritzki, der die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge in dem vorliegenden Rahmen anregte, Frau Tanja Idler für die bewährte Zusammenarbeit bei der Herstellung der Druckvorlage sowie Herrn Kollegen Jörg Frey als Herausgeber für die Aufnahme des Bandes in die zweite Reihe der Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament. Der Band ergänzt damit die in der ersten Reihe bisher erschienenen Symposiumsbände des CJHNT-Projektes und möge als ein weiterer Impuls für den Fortgang des Projektes dienen. Leipzig, im September 2012
Jens Herzer
Inhalt Vorwort und Einführung .......................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ..........................................................................XV LARRY W. HURTADO The Early New Testament Papyri: A Survey of Their Significance ........... 1 JOACHIM HENGSTL Rechtsterminologie in den griechischen Papyri und ihre Bedeutung für die Interpretation neutestamentlicher Texte ....................................... 19 REINHOLD SCHOLL UND MARGIT HOMANN Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern ......................................... 47 PETER ARZT-GRABNER Die Stellung des Judentums in neutestamentlicher Zeit anhand der Politeuma-Papyri und anderer Texte ................................... 127 KARL-HEINRICH OSTMEYER Politeuma im Neuen Testament und die Politeuma-Papyri von Herakleopolis ................................................................................. 159 ROBERTA MAZZA The Papyrological Commentary of the Gospel of Mark: Themes, Issues and Some Results of a Work in Progress ...................... 173
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Inhalt
MARTIN MEISER Heilungsvollzüge und ihre Beschreibung in frühjüdischer Literatur und im Markusevangelium ............................ 195 Autorenverzeichnis ............................................................................... 217 Stellenregister ....................................................................................... 219 Sach- und Personenregister ................................................................... 232 Register griechischer Begriffe ............................................................... 236
Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen folgen bei deutschen Beiträgen S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 2. Auflage 1992 sowie der Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. v. H. D. Betz u.a., Bd. 1, Tübingen 4. Auflage 1998. Die jüdisch-hellenistischen sowie die frühchristlichen Schriften werden nach dem im Folgenden abgedruckten CJHNT-Abkürzungsverzeichnis abgekürzt. Die Abkürzungen der darin nicht enthaltenen Schriften erfolgen nach dem Abkürzungsverzeichnis der RGG4. Für englische Beiträge gelten die Regeln des SBL Handbook of Style. Die Abkürzungen der dokumentarischen Texte richten sich nach der Checklist of Editions of Greek, Latin, Demotic, and Coptic Papyri, Ostraka and Tablets, updated 1 June 2011, ed. Joshua D. Sosin et al. (http://library.duke.edu/rubenstein/scriptorium/ papyrus/texts/clist.html). Abweichende Abkürzungen, die nur in einem Beitrag vorkommen, werden an Ort und Stelle aufgelöst. Darüber hinaus finden folgende Abkürzungen Verwendung: 1 Abkürzungen in deutschen Beiträgen, die im Abkürzungsverzeichnis nach RGG4 bzw. TRE2 fehlen: AncSoc BNT SCI ZNT
Ancient Society (Löwen) Die Botschaft des Neuen Testaments Scripta Classica Israelica. Yearbook of the Israel Society for the Promotion of Classical Studies (Ramat-Gan) Zeitschrift für Neues Testament
2 Abbreviations used in English contributions not to be found in The SBL Handbook of Style IGNTP LSTS
International Greek New Testament Project Library of Second Temple Studies (T&T Clark)
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Abkürzungsverzeichnis
3 Abkürzungen des CJHNT 3.1 Frühjüdische Schriften 3.1.1 Philo A. Gesetzesauslegung / Expositio legis Opif Abr Jos VitMos Decal SpecLeg Virt Praem Praem 79–126 Praem 127–172
De opificio mundi / Über die Weltschöpfung De Abrahamo / Über Abraham De Josepho / Über Josef De vita Mosis I–II / Über das Leben Moses De decalogo / Über den Dekalog De specialibus legibus I–IV / Über die Einzelgesetze De virtutibus / Über die Tugenden De praemiis et poenis / Über die Belohnungen und Strafen auch: De Benedictionibus / Über die Segnungen auch: De Exsecrationibus / Über die Flüche
B. Allegorischer Kommentar LegAll Cher Sacr Det Post Gig Imm Agr Plant Ebr Sobr Conf Migr Her Congr Fug Mut Deo Somn
Legum allegoriae I–III / Allegorische Erklärung der Gesetze (zu Gen 2,4–3,19) De Cherubim / Über die Cherubim (zu Gen 3,19–4,1) De sacrificiis Abelis et Caini / Über die Opfer Abels und Kains (zu Gen 4,2–4) Quod deterius potiori insidiari soleat / Über die Nachstellungen die das Schlechtere dem Besseren bereitet (zu Gen 4,8–15) De posteritate Caini / Über die Nachkommen Kains (zu Gen 4,16–25) De gigantibus / Über die Riesen (zu Gen 6,1–4) Quod deus sit immutabilis / Über die Unveränderlichkeit Gottes (zu Gen 6,4–12) De agricultura / Über die Landwirtschaft (zu Gen 9,20) De plantatione / Über die Pflanzung (Noahs) (zu Gen 9,20) De ebrietate / Über die Trunkenheit (zu Gen 9,21) De sobrietate / Über die Nüchternheit (zu Gen 9,21–24) De confusione linguarum / Über die Verwirrung der Sprachen (zu Gen 11,1–9) De migratione Abrahami / Über die Wanderung Abrahams (zu Gen 12,1–4.6) Quis rerum divinarum heres sit / Über den Erben des Göttlichen (zu Gen 15,2–18) De congressu eruditionis gratia / Über das Zusammenleben der Allgemeinbildung wegen (zu Gen 16,1–6a) De fuga et inventione / Über die Flucht und das Finden (zu Gen 16,6b–9.11–14) De mutatione nominum / Über die Namensänderung (zu Gen 17,1–5.15–22) De Deo / Über die Gottesbezeichnung „wohltätig verzehrendes Feuer“ (nur arm., Siegert 1980) (zu Gen 18,2) De somniis I–II / Über die Träume (zu Gen 28/31/37/41)
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C. Fragen und Antworten / Quaestiones et solutiones QuaestGen QuaestEx
Quaestiones in Genesim I–IV / Fragen zur Genesis (nur arm.) (zu Gen 2,4–28,9) Quaestiones in Exodum I–II / Fragen zu Exodus (nur arm.) (zu Ex 12,12–23; 20,25–28,38)
D. Historische und apologetische Schriften Flacc LegGai VitCont Hypoth
In Flaccum / Gegen Flaccus Legatio ad Gaium / Gesandtschaft an Gajus De vita contemplativa / Über das betrachtende Leben Hypothetika bzw. Apologia pro Judaeis (fragmentarisch bei Euseb, PraepEv VIII 6,1–9; 7,1–20; 11,1–18)
E. Philosophische Abhandlungen Prob Prov Aet Anim
Quod omnis probus liber sit / Über die Freiheit des Tüchtigen De providentia I–II / Über die Vorsehung De aeternitate / Über die Unvergänglichkeit der Welt De animalibus / Über die Tiere (nur arm.)
3.1.2 Josephus Bell I–VII Ant I–XX Vita Ap I–II
De Bello Judaico / Über den Jüdische Krieg Antiquitates Judaicae / Jüdische Altertümer Vita Josephi / Selbstbiographie Contra Apionem / Gegen Apion
3.1.3 Sonstige jüdisch-hellenistische Schriften (Aufgelistet sind hier auch die sogenannten Apokryphen des LXX-Kanons, die eigentlich den biblischen Schriften zugehören.) Achik ApkAbr ApkAdam ApkDan grApkDan syrApkDan ApkElia koptApkElia hebrApkElia ApkEsra (ApkMos) ApkSedr ApkZef (ApkZos) ApokrEz ApokrPs AristExeg
Achikar Apokalypse Abrahams Apokalypse Adams Apokalypse Daniels Griechische Apokalypse Daniels / Griech. Daniel-Diegese (Berger 1976) Syrische Daniel-Apokalypse (Henze 2001) Apokalypse Elias Koptische Apokalypse Elias (Steindorff 1899) Hebräische Apokalypse Elias (Jellinek, Bet ha Midrasch) Griechische Apokalypse Esras (Apokalypse des Mose) siehe grLAE Apokalypse Sedrachs Apokalypse Zefanjas (Apokalypse des Zosimos) siehe HistRech Apokryphon Ezechiel Apokryphe Psalmen Davids (auch: syrische Psalmen Davids) Aristeas der Exeget (bei Euseb, PraepEv IX 25,1–4) (AristExeg 1 etc. verweist auf Euseb, PraepEv IX 25,1)
XVIII AristobExeg Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 Frg. 4 Frg. 5 ArtapHist Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 (AssMos) 1Bar 2Bar 3Bar gr3Bar slav3Bar 4Bar DemetrChron Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 Frg. 4 Frg. 5 Frg. 6 EldMod EpArist EpJer 3Esra 4Esra 5Esra 6Esra EupolHist Frg. 1A 1 Frg. 1B Frg. 2A Frg. 2B Frg. 3 Frg. 4 Frg. 5 EzTrag 1Hen aethHen
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Abkürzungsverzeichnis Aristobulos der Exeget Euseb, HistEccl VII 32,16–18 Euseb, PraepEv VIII 9,38–10,17 (Frg. 2 10,3 verweist auf Euseb, PraepEv VIII 10,3) Euseb, PraepEv XIII 12,1–2 Euseb, PraepEv XIII 13,3–8 Euseb, PraepEv XIII 12,9–16 Artapanus der Historiker Euseb, PraepEv IX 18,1 Euseb, PraepEv IX 23,1–4 (zur Zit.weise s. AristExeg) Euseb, PraepEv IX 27,1–37 (Assumptio Mosis) s. TestMos Buch Baruch (LXX) Syrische Baruchapokalypse Griechische Baruchapokalypse Griechische Baruchapokalypse Slavische Baruchapokalypse 4 Baruch (= Paraleipomena Jeremiae bzw. Jeremiou) Demetrius der Chronograph (zur Zit.weise s. AristExeg) Euseb, PraepEv IX 19,4 Euseb, PraepEv IX 21,1–19 Euseb, PraepEv IX 29,1–3 Euseb, PraepEv IX 29,15 Euseb, PraepEv IX 29,16 ClemAlex, Strom I 21,141,1–2 Eldad und Modad Aristeasbrief Brief Jeremias (LXX, gelegentlich auch 1Bar 6) Apokryphes Buch Esra (LXX) Jüdische Apokalypse Esras = 4Esra 3–14 Christliche Apokalypse Esras = 4Esra 1–2 Christliche Apokalypse Esras = 4Esra 15–16 Eupolemos der Historiker ClemAlex, Strom I 23,153,4 Euseb, PraepEv IX 26,1 ClemAlex, Strom I 21,130,3 Euseb, PraepEv IX 30,1–34 Euseb, PraepEv IX 34,20 Euseb, PraepEv IX 39,2–5 ClemAlex, Strom I 21,141,4f Ezechiel der Tragiker (Auszüge bei Euseb, PraepEv IX 28f) Äthiopisches Henochbuch Äthiophische Überlieferung des 1Hen 2
Die Unterscheidung der Fragmente in A und B erfolgt im Falle von differierenden Parallelüberlieferungen nach dem Vorbild von C. R. HOLLADAY, Fragments from Hellenistic Jewish Authors, Volume 1: Historians, SBLTT 20, Pseudepigrapha Series 10, Chico 1983.
Abkürzungsverzeichnis aramHen grHen 2Hen 3Hen HistJosef HistMelch HistRech JannJamb Jdt JosAs Jub KleodMalchHist A B KlimJak LAB LAE grLAE latLAE armLAE I armLAE II georgLAE slavLAE 1Makk 2Makk 3Makk 4Makk MartJes OdSal OrJak OrJosef OrMan OrSynag (ParJer) PhiloEpik Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 Frg. 4
XIX
Aramäische Fragmente zum 1Hen (Milik 1976) Griechische Fragmente zum 1Hen (Black 1970) Slavisches Henochbuch Hebräisches Henochbuch Geschichte Josefs Geschichte Melchisedeks Geschichte der Rechabiter (auch: Apokalypse des Zosimos) Jannes und Jambres Judit (LXX) Josef und Asenet Jubiläen (auch: Leptogenesis) Kleodemos Malchas Zitat bei Josephus, Ant I 239–241 Zitat bei Euseb, PraepEv IX 20,2–4 (übernommen von Josephus) Klimax Jakobou / Leiter Jakobs Liber Antiquitatum Biblicarum (auch: Pseudo-Philo) Leben Adams und Evas Griechisches Leben Adams und Evas / Apokalypse des Mose Lateinisches Leben Adams und Evas (Meyer 1878) Armenisches Buch Adams (Preuschen 1900) Armenische Buße Adams (Stone 1981) Georgisches Leben Adams und Evas (Mahé 1981) Slavisches Leben Adams und Evas (Jagi 1883) 1 Makkabäer (LXX) 2 Makkabäer (LXX) 3 Makkabäer (LXX) 4 Makkabäer (LXX) Martyrium Jesajas (= Ascensio Jesaiae [AscJes] 1–5) Oden Salomos Oratio / Gebet Jakobs Oratio / Gebet Josefs Oratio / Gebet Manasses (LXX [Odae 12]) Hellenistische Synagogengebete (aus den Apostolischen Konstitutionen 7–8) (Paralipomena Jeremiae) siehe 4Bar Philo der Epiker (zur Zit.weise s. AristExeg) Euseb, PraepEv IX 20,1a 3 Euseb, PraepEv IX 20,1b Euseb, PraepEv IX 24,1 Euseb, PraepEv IX 37,1
2 Sprachkürzel nur im Bedarfsfall zur Abgrenzung gegenüber der griechischen oder aramäischen Überlieferung, ansonsten steht 1Hen allein für die äthiopische Fassung. 3 Abweichende Zählung der Fragmente von N. W ALTER , Fragmente jüdisch-hellenistischer Epik. Philon, Theodotos, in: Poetische Schriften, JSHRZ IV/3, 148–153, in Übereinstimmung mit C. R. HOLLADAY, Fragments from Hellenistic Jewish Authors, Volume 2: Poets, SBLTT 30, Pseudepigrapha Series 12, Chico 1989, indem jede Zitateinleitung als Markierung verwandt wird. Diese Erhöhung der Zahl der Fragmente erlaubt eine präzisere Zitation.
XX
Abkürzungsverzeichnis
Frg. 5 Frg. 6 PseudAisch 1–12
Euseb, PraepEv IX 37,2 Euseb, PraepEv IX 37,3 Gefälschte Aischylos-Verse (PseudJustin, Mon 2; ClemAlex, Strom V 131,1–3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 261f = Dram.-Gnom. I) PseudApoll 1–2 Gefälschtes Apollon-Orakel (Euseb, PraepEv IX 10,4; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 276 Nr. XVI) PseudDiph 1–3 Gefälschte Diphilos-Verse (PseudJustin, Mon 5 [irrtümlich Menandros zugeschrieben]; ClemAlex, Strom V 133,3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 269f = Dram.-Gnom. VII) PseudEupolHist Pseudo-Eupolemos / Samaritanischer Anonymus Frg. 1 Euseb, PraepEv IX 17,2–9 Frg. 2 Euseb, PraepEv IX 18,2b PseudEurip Gefälschte Euripides-Verse 1,1–2 PseudJustin, Mon 2 [irrtümlich Philemon zugeschrieben]; ClemAlex, Protr 68,3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 263 = Dram.-Gnom. III 2,11–20 ClemAlex, Strom V 75,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 265–267 = Dram.-Gnom. V 3,1–2 PseudJustin, Mon 3; ClemAlex, Strom V 121,1–3 [irrtümlich Diphilos zugeschrieben] ; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 270 = Dram.-Gnom. VIII PseudHekatHist I 4 Pseudo-Hekataios I Frg. 1 Josephus, Ap I 183–205 Frg. 2 Josephus, Ap II 43 PseudHekatHist II Pseudo-Hekataios II 5 Frg. 1 Josephus, Ant I 154–157 (fehlt bei Holladay) Frg. 2 Josephus, Ant I 161 (fehlt bei Holladay) Frg. 3 Josephus, Ant I 165 (fehlt bei Holladay) Frg. 4 ClemAlex, Strom V 113,1–2 (= Frg. 3 bei Holladay) PseudHesiod Gefälschte Hesiod-Verse 1,1–2 ClemAlex, Strom V 107,1–108,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 271–273 = Siebener-Verse IX 2,1–2 ClemAlex, Protr 73,3; Strom V 112,3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 275 = Weitere gefälschte Verse XV PseudHomer 1–4 Gefälschte Homer-Verse (ClemAlex, Strom V 107,1–108,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 271–273 = Siebener-Verse X) PseudKallim 1–5 Gefälschte Kallimachos-Verse (ClemAlex, Strom V 107,1–108,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 271–273 = Siebener-Verse XI) PseudMenand 1–24 Gefälschte Menander-Verse (PseudJustin, Mon 4 [irrtümlich Philemon zugeschrieben]; ClemAlex, Strom V 119–120; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 267–269 = Dram.-Gnom. VI) 4 Die Aufteilung der Hekataios-Fragmente in der Forschung ist umstritten, wobei zwischen einem und drei verschiedenen Verfassern unterschieden wird; eine gute Übersicht über die Zuteilung der Überlieferung bei HOLLADAY, Fragments (s. Anm. 3), 292f. Die hier gegebene Aufteilung folgt N. W ALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, in: Historische und legendarische Erzählungen, JSHRZ I/2, 144–153. 5 Abweichende Zählung der Fragmente von W ALTER , JSHRZ IV/3 (s. Anm. 3), 158– 161.
Abkürzungsverzeichnis
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PseudMenandSyr PseudOrph Rez. A
Sprüche des syrischen Menander Pseudo-Orpheus (Zitierung nach N. Walter, JSHRZ IV/3, 235–243) 6 PseudJustin, Mon 2 / Cohor 15 = Orph. Frg. 245 [Kern] = version J in OTP II = shorter version; diese Version auch durch einzelne Zitate bei ClemAlex, Strom u. Protr, bezeugt (= version C1 in OTP II) Rez. B ClemAlex, Strom V 123,2–124,1 = Orph. Frg. 246 [Kern] = version C2 in OTP II (entspricht weitgehend Rez. C) Rez. C Euseb, PraepEv XIII 12,5 = Orph. Frg. 247 [Kern] = version E in OTP II = longer version Rez. D Tübinger Theosophie (Text: C. R. Holladay, Fragments IV 220f) PseudPhilem 1–10 Gefälschte Philemon-Verse (PseudJustin, Mon 3; ClemAlex, Strom V 121,1–3 [irrtümlich Diphilos zugeschrieben]; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 265–267 = Dram.-Gnom. V) PseudPhiloJona Über Jona, hellen. Synagogenpredigt (arm., Siegert 1980) PseudPhiloSimson Über Simson, hellen. Synagogenpredigt (arm., Siegert 1980) PseudPhok Pseudo-Phokylides PseudPind 1–4 Gefälschte Pindar-Verse (ClemAlex, Strom IV 167,3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 275 = Weitere gefälschte Verse XIV) PseudPyth Gefälschte Pythagoras-Verse 1,1–4 PseudJustin, Mon 2; ClemAlex, Strom V 107,1–108,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 273 = Jüd. Pseudo-Pythagorika XII 2 PseudJustin, Cohor 19b; ClemAlex, Protr 72,4; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 274 = Jüd. Pseudo-Pythagorika XIII PseudSoph Gefälschte Sophokles-Verse 1,1–9 PseudJustin, Mon 2; ClemAlex, Strom V 113,1–2; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 262f = Dram.Gnom. II 2,1–11 PseudJustin, Mon 3; ClemAlex, Strom V 121,4–122,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 264f = Dram.Gnom. IV (PsDav) (Syrische Psalmen Davids) s. ApokrPs PsSal Psalmen Salomos (syrPs) (Syrische Psalmen) s. ApokrPs QuaestEsra Quaestiones / Fragen Esras RevEsra Revelatio / Offenbarung Esras SapSal Sapientia Salomonis / Weisheit Salomos (LXX) Sib Sibyllinische Orakel Sir Jesus Sirach (LXX) TestXII Testamente der 12 Patriarchen TestRub Testament Rubens TestSim Testament Simeons TestLevi Testament Levis TestJuda Testament Judas aramTestJuda Testament Judas nach der aram. Überlieferung TestIss Testament Issachars TestSeb Testament Sebulons
6 Zitierung nach der Zählung der 47 Hexameter, d.h. PseudOrph 34 und in Klammer dahinter die Angabe der Rezension. Wenn alle Rezensionen übereinstimmen, kann dieser Hinweis entfallen.
XXII TestDan TestNaf hebrTestNaf TestGad TestAss TestJos TestBenj TestAdam TestAbr TestHiob TestIsaak TestJak TestMos TestSal TheodEpik Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 Frg. 4 Frg. 5 Frg. 6 Frg. 7 Frg. 8 TheophHist Tob TrSem VisEsra VitProph
Abkürzungsverzeichnis Testament Dans Testament Naftalis Testament Naftalis aus der hebr. Chronik des Jerachmeel Testament Gads Testament Assers Testament Josefs Testament Benjamins Testament Adams Testament Abrahams Testament Hiobs Testament Isaaks Testament Jakobs Testament Moses (auch: Assumptio Mosis) Testament Salomos Theodotus der Epiker Euseb, PraepEv IX 22,1 Euseb, PraepEv IX 22,2 Euseb, PraepEv IX 22,3 Euseb, PraepEv IX 22,4–6 7 Euseb, PraepEv IX 22,7 Euseb, PraepEv IX 22,8–9a Euseb, PraepEv IX 22,9b Euseb, PraepEv IX 22,10–11 Theophilus der Historiker (bei Euseb, PraepEv IX 34,19) Tobit (LXX) Schrift bzw. Traktat des Sem Vision Esras Vitae Prophetarum
3.2 Frühchristliche Schriften 3.2.1 „Apostolische Väter“ Barn Did Diogn Herm HermVis HermMand HermSim Ign IgnEph IgnMagn IgnTrall IgnRöm IgnPhilad
7
Barnabasbrief Didache Diognetbrief Hirt des Hermas Hirt des Hermas, Vision / Visio I–V Hirt des Hermas, Gebot / Mandatum I–XII Hirt des Hermas, Gleichnis / Similitudo I–X Ignatiusbriefe Brief des Ignatius an die Epheser Brief des Ignatius an die Magnesier Brief des Ignatius an die Traller Brief des Ignatius an die Römer Brief des Ignatius an die Philadelphier
Ab hier abweichende Zählung der Fragmente von W ALTER, JSHRZ IV/3 (s. Anm. 3), 167–171, in Übereinstimmung mit HOLLADAY, Fragments (s. Anm. 3).
Abkürzungsverzeichnis IgnSmyr IgnPolyk 1Klem 2Klem MartPolyk Papias Polyk Quadr
XXIII
Brief des Ignatius an die Smyrnäer Brief des Ignatius an Polykarp 1. Klemensbrief 2. Klemensbrief Martyrium des Polykarp Papias-Fragmente (Zitierung nach der Nummerierung bei K. Wengst, SUC III, Darmstadt 1998, d.h. Papias Frg. 1 etc.) Brief des Polykarp Quadratus-Fragment
3.2.2 Patristische Quellen (Zur Orientierung sind eine Reihe von Abk. genannt; weitere sind in Entsprechung dazu zu bilden.) ClemAlex Protr Strom Epiph Pan Euseb DemEv HistEccl PraepEv Hier Justin Dial PseudJustin Cohort Tert
Clemens Alexandrinus Protreptikos Stromateis Epiphanius von Salamis Panarion Eusebius von Caesarea Demonstratio evangelica Historia ecclesiae Praeparatio evangelica Hieronymus Justinus Martyr Dialog mit dem Juden Tryphon Pseudo-Justin Cohortatio ad gentiles Tertullian
The Early New Testament Papyri A Survey of Their Significance LARRY W. HURTADO
1. The Manuscripts There are now 127 NT papyri in the Gregory-Aland list, actually comprising 125 manuscripts, which represents a massive increase accrued over the course of the twentieth century. 1 Before 1900, only a handful of NT papyri were known, none of them early enough to have any perceived value above the major textual witnesses of the fourth century. Indeed, NT papyri in significant numbers and of special antiquity appeared on the scene only well into the twentieth century. So, e.g., in 1912, when Henry Sanders published the photographic facsimile of Codex Washingtonianus (the four Gospels), which he dated to the late fourth or early fifth century, this manuscript was then one of the very earliest witnesses to the text of
1
As P 64 and P 67 are now commonly taken as portions of the same codex, and P 33 and P likewise parts of another, there are actually 125 manuscripts represented. Theodore C. Skeat proposed that P4, P64 and P 67 all were from the same codex: “The Oldest Manuscript of the Four Gospels,” NTS 43 (1997): 1–34, defending a suggestion made by others earlier, but cf. Peter Head, “Is P4, P64 and P67 the Oldest Manuscript of the Four Gospels? A Response to T. C. Skeat,” NTS 51 (2005): 450–57. More recently, see Tommy Wasserman, “A Comparative Textual Analysis of P4 and P64+67,” TC 15 (2010): 1–26. The most up to date and reliable list of NT papyri is provided online by the Münster Institut für Neutestamentliche Textforschung, based on the Kurzgefasste Liste maintained there: http://intf.uni-muenster.de/vmr/NTVMR/ListeHandschriften.php. There is also an online list provided by Wieland Wilker: http://www-user.uni-bremen.de/~wie/texte/ Papyri-list.html. Another surprisingly up to date list appears in the Wikipedia entry, List of New Testament Papyri: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_New_Testament_papyri. The most recent Nestle-Aland Novum Testamentum Graece, 27th ed., 8 th printing, 2001, included 116 papyri in its list of witnesses, pp. 684–90. In addition, though not papyrus manuscripts, Gregory-Aland 0189 (a single vellum leaf containing Acts 5:3–21) dated ca. 200 CE, and 0220 (also vellum, containing Rom 4:23–5:3, 8–13) dated 3 rd century are included. 58
2
Larry W. Hurtado
any of the four Gospels, surpassed in date only by Codex Vaticanus and Codex Sinaiticus. 2 Moreover, the number of NT papyri available has continued to grow. For example, in a survey of NT papyri published in 1995, Eldon Epp reported the total number of NT papyri as 96, and in a later analysis published in 2007 noted 115 in the official list, the present total of 125 reached in 2008 thus comprising a 30% increase in thirteen years and nearly a 9% increase over the total in Epp’s later essay. 3 These copies of NT writings form part of a larger body of copies of early Christian literary texts, which include Christian copies of OT writings and various Christian texts including writings now regarded as Christian apocrypha (e.g., Gospel of Thomas), other Christian religious writings and treatises (e.g., Shepherd of Hermas, Irenaeus, Melito, and a number of unidentified texts), liturgical texts, homilies, and also exorcistic and magical texts. I focus here on the earliest NT manuscripts, drawing also upon features of this larger body of early Christian manuscripts, and the studies of the still larger body of manuscripts of the period (Jewish and pagan). 4
2 Henry A. Sanders, Facsimile of the Washington Manuscript of the Four Gospels in the Freer Collection (Ann Arbor: University of Michigan, 1912); idem, New Testament Manuscripts in the Freer Collection, Part 1 (The Washington Manuscript of the Four Gospels, New York: Macmillan, 1912). But cf. the recent critical assessment of the basis for the conventional dating of Codex W: Ulrich Schmid, “Reassessing the Palaeography and Codicology of the Freer Gospel Manuscript,” in The Freer Biblical Manuscripts: Fresh Studies of an American Treasure Trove (ed. L. W. Hurtado; Atlanta: Brill, 2006), 227–49. 3 Eldon Jay Epp, “The Papyrus Manuscripts of the New Testament,” in The Text of the New Testament in Contemporary Research: Essays on the Status Quaestionis (ed. B. D. Ehrman and M. W. Holmes; Grand Rapids: Eerdmans, 1995), 3–21; idem, “Are Early New Testament Manuscripts Truly Abundant?” in Israel’s God and Rebecca’s Children: Christology and Community in Early Judaism and Christianity (ed. D. B. Capes et al.; Waco: Baylor University Press, 2007), 77–117. 4 I provide a list of all identifiably Christian copies of all literary texts (including OT, NT and extra-canonical ones) in Larry W. Hurtado, The Earliest Christian Artifacts: Manuscripts and Christian Origins (Grand Rapids: Eerdmans, 2006), Appendix 1, pp. 209–29, an updated version of which appears on my personal blog-site: http://larry hurtado.files.wordpress.com/2010/07/christian-lit-texts-2nd-3rd-centuries.pdf. The standard printed (and now increasingly dated) catalogues are Joseph van Haelst, Catalogue des papyrus littéraires juif et chrétiens (Paris: Publications de la Sorbonne, 1976); Kurt Aland, Repertorium der griechischen christlichen Papyri, I: Biblische Papyri, Altes Testament, Neues Testament, Varia, Apokryphen (Berlin: de Gruyter, 1976); idem, Repertorium der griechischen christlichen Papyri, II: Kirchenväter-Papyri, Teil 1: Beschreibungen (Berlin: de Gruyter, 1995). Since 1997, Cornelia Römer has produced an annual review of publications on “Christian Papyri” in Archiv für Papyrusforschung, taking up the work of the late Kurt Treu, who produced these annual reviews 1969–1991.
The Early New Testament Papyri
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The primary value of the NT papyri is, of course, not their writing material but their age. Actually, however, a number of these NT papyri are dated to the same centuries from which our well-known principal witnesses come, fourth to eighth century CE, and so, at least for text-critical purposes, these papyri have not been particularly crucial. 5 But there are also a number of papyri (and a few parchment manuscripts as well) that are dated considerably earlier, comprising our very earliest witnesses to NT writings, and these have a unique historical significance. 6 In this presentation, therefore, I focus on the 49 NT papyri and two parchment manuscripts (0189, 0220) palaeographically dated to the second or third century CE, giving some key information about them, and highlighting the principal historical issues on which they uniquely shed light. 7 The value of these manuscripts is also inverse to the amount of text that they typically preserve. Overwhelmingly, these early items, including most of the 51 earliest considered here, are small remnants of the manuscripts from which they derive. Indeed, in a disappointing number of cases we have only fragments of individual leaves of the codex in question, and in a 5
Some are comparatively quite late, e.g., P 41 (Acts, eighth century CE), P 42 (Luke, seventh/eighth century), P 61 (Paulines, ca. 700 CE), P 73 (Matthew, seventh century), P 74 (Acts, seventh century). 6 The early parchment manuscripts in question (with dates as given in the Münster online list) are these: 0162 (John 2:11–22, third/fourth century), 0171 (Matt 10:17–23, 25–32; Luke 22:44–56, 61–64, ca. 300 CE), 0189 (Acts 5:3–21, second/third century), and 0220 (Rom 4:23–5:3, 8–13, third century). 7 Again, taking P 64 and P 67 as portions of one codex, I have also chosen to omit from consideration here another 13 NT papyri (as well as 0162 and 0171), which are dated “third/fourth” century, i.e., roughly 300 CE. The manuscripts included here will suffice to illustrate the matters discussed. For earlier discussion of NT papyri, see, e.g., Kurt Aland, “The Significance of the Papyri for Progress in New Testament Research,” in The Bible in Modern Scholarship (ed. J. P. Hyatt; Nashville: Abingdon Press, 1965), 334–37; Eldon Jay Epp, “The New Testament Papyrus Manuscripts in Historical Perspective,” in To Touch the Text: Biblical and Related Studies in Honor of Joseph A. Fitzmyer, S.J. (ed. M. P. Horgan and P. J. Kobelski; New York: Crossroad, 1989), 261–88; and idem, “The Papyrus Manuscripts of the New Testament,” in The Text of the New Testament in Contemporary Research: Essays on the Status Quaestionis (ed. B. D. Ehrman and M. W. Holmes; SD 46, Grand Rapids: Eerdmans, 1995), 3–21; Barbara Aland, “Der textkritische und textgeschichtliche Nutzen früher Papyri, demonstriert am Johannesevangelium,” in Recent Developments in Textual Criticism: New Testament, Other Early Christian and Jewish Literature (ed. W. Weren and D.-A. Koch; Assen: Brill, 2003), 19–38; eadem, “Das Zeugnis der frühen Papyri für den Text der Evangelien: Diskutiert am Matthäusevangelium,” in The Four Gospels 1992 (ed. F. van Segbroeck et al.; BETL 100; Leuven: Leuven University Press and Peeters, 1992), 325–35. As well, in a number of articles Kurt Aland reviewed early NT papyri: “Neue neutestamentliche Papyri,” NTS 3 (1956–57): 261–86; “Neue neutestamentliche Papyri II,” NTS 9 (1962–63): 303–16; NTS 10 (1963–64): 62–79; NTS 11 (1964–65): 1–21; NTS 12 (1965–66): 193–210; “Neue neutestamentliche Papyri III,” NTS 20 (1973–74): 357–81; NTS 22 (1975–76): 375–96.
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Larry W. Hurtado
few other instances we have portions of a handful of leaves of a codex. Of the 51 manuscripts that we consider in this discussion, only five provide us with much more than such small portions of text. Nevertheless, these 51 manuscripts comprise our earliest copies of NT writings and so all are invaluable as witnesses to the history of the text of these writings, and for a number of other historical questions as well that I will highlight here. Before we consider their importance with reference to these questions, however, a few further introductory comments are in order. 1.1. Principal NT Papyri Among NT papyri, those included in the Chester Beatty collection hold a major importance. Indeed, the publication of the Chester Beatty biblical papyri in 1933–1937, eleven codices (originally thought to be twelve) comprising very early copies of a number of OT, NT and extra-canonical texts, decisively presented scholars, especially in NT and LXX studies, with a veritable goldmine. 8 Most of these codices are dated to the third century and at least one OT codex (Chester Beatty Papyrus VI, portions of Numbers and Deuteronomy) dated to the mid/late second century CE. Moreover, although there had been fascinating fragments of early copies of NT texts previously unearthed from Oxyrhynchus (e.g., P1 [P.Oxy. 2], a fragment of a third-century codex of Matthew), the Chester Beatty biblical papyri provided much more substantial portions of remarkably early copies of several biblical texts. For our purposes, three of the Chester Beatty codices are particularly important. P45 (Chester Beatty I) comprises 30 of the original 112 leaves of a codex, preserving portions of all four Gospels (in the “Western” order: Matthew, John, Luke, Mark) and Acts, and is dated to the early/mid third century CE. 9 In P46 (Chester Beatty II, dated ca. 200 CE), some 86 leaves of an original 102, a codex of Pauline epistles, we have substantial portions of Romans, Hebrews (!), 1 Corinthians, 2 Corinthians, Ephesians, Galatians, Philippians, Colossians, and 1 Thessalonians. P47 (Chester Beat8 Frederic G. Kenyon, The Chester Beatty Biblical Papyri, Descriptions and Texts of Twelve Manuscripts of Papyrus of the Greek Bible (London: Emery Walker Ltd., 1933– 37). The earlier view that there were twelve codices was later revised, and it is now accepted that we have remains of eleven. 9 See esp. Theodore C. Skeat, “A Codicological Analysis of the Chester Beatty Papyrus Codex of the Gospels and Acts (P45),” Hermathena 155 (1993): 27–43, republished in The Collected Biblical Writings of T. C. Skeat (ed. J. K. Elliott; NovTSup 113, Leiden: Brill, 2004), 141–57, and more recently the contributions in The Earliest Gospels: The Origins and Transmission of the Earliest Christian Gospels – The Contribution of the Chester Beatty Gospel Codex P4 (ed. C. Horton; London: Continuum International Publishing Group, 2004). Among Greek manuscripts, the “Western” order of the Gospels is found in Codex Bezae (Codex D) and also Codex Washingtonianus (W).
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ty III, third century) comprises portions of some ten leaves of a codex containing Revelation. The other somewhat substantially preserved, earliest NT manuscripts are part of the Bodmer papyri collection. 10 Two papyri in particular are important for this discussion. P66 (Bodmer II) is dated ca. 200 CE and preserves much of the Gospel of John. 11 Bodmer Papyrus XIV–XV (P75), which is typically dated to ca. 200 CE as well, preserves substantial portions of Luke and John (102 of an estimated 144 pages survive, along with further fragments, of which eleven were identified subsequently to the publication of the editio princeps). 12 1.2. The Other Earliest Witnesses As mentioned already, the remaining earliest NT papyri and the early two parchment manuscripts considered here are all fragmentary, often portions from only one page of a codex. But a few of these are dated even a bit earlier than the Chester Beatty and the Bodmer papyri noted here. Though preserving only small portions of text, therefore, they are of great im10 Twenty-two manuscripts discovered in 1952 near Dishna, Egypt, they were acquired by the Swiss Martin Bodmer. Publication of them began in 1954. See now James M. Robinson, The Story of the Bodmer Papyri: From the First Monastery’s Library in Upper Egypt to Geneva and Dublin (Eugene: WIPF & STOCK, 2011). Developing further a suggestion by Colin H. Roberts, “Books in the Graeco-Roman World and in the New Testament,” in Cambridge History of the Bible, Vol. 1: From the Beginnings to Jerome (ed. P. R. Ackroyd and C. F. Evans; Cambridge: Cambridge University Press, 1970,) 56, Robinson contends that the Bodmer and Chester Beatty papyri originated from the same Pachomian monastery library. His view is, thus far, still under debate. 11 P66 preserves nearly all of John 1:1–14:26, except for pages 35–38 containing John 6:11–35, and less well 14:29–21:9. V. Martin and J. W. B. Barns, eds., Papyrus Bodmer II, Supplément, Nouvelle edition augmentée et corrigée (Cologny-Geneva: Bibliotheca Bodmeriana, 1962). Subsequently, an additional bi-folium containing part of John 19 was published as P.Köln inv. 4274/4298: Michael Gronewald, “Johannesevangelium Kap. 19.8–11; 13–15; 18–20; 23–24,” in Kölner Papyri (P.Köln) 5 (ed. idem; Opladen: Schöningh Paderborn, 1985), 73–76 (+ plate 7). Apart from this bi-folium and one additional folio (pp. 139–40, John 19:25–28, 31–32) in the Chester Beatty Library, P 66 is kept in the Bibliotheca Bodmeriana in Cologny-Geneve. I omit here P72 (Bodmer Papyrus VII/VIII), the earliest copy of 1–2 Peter and Jude, as it is dated somewhat later (“third/ fourth” century). It now is held in the Vatican Library. 12 Victor Martin and Rudolf Kasser, Papyrus Bodmer XIV–XV (Cologny-Geneva: Bibliotheca Bodmeriana, 1961); Kurt Aland, “Neue neutestamentliche Papyri III,” NTS 22 (1975–76): 375–96. See James R. Royse, Scribal Habits in Early Greek New Testament Papyri (NTTSD 36; Leiden/Atlanta: SBL, 2008), 615 (n. 1) for references to various proposals for the date of P 75, which vary from ca. 175 to ca. 275 CE. After being put on the market for sale in 2006, P 75 was purchased and donated to the Vatican Library where it is now housed. For a news-story on the acquisition of P 75 by the Vatican Library, see http://dsc.discovery.com/news/2007/03/05/gospel_arc.html.
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portance. Among these, the Rylands fragment of John, P52, will be most widely known, which has often been dated ca. 150 CE, but now may have to be placed a bit later toward the end of the second century. 13 A few other papyri as well are dated by their editors to the late second century: P90 (John 18:36–40; 19:1–7), P104 (Matt 21:34–37, 43, 45), and P98 (Rev 1:13– 20). Several more are dated just a bit later than these: P32 (ca. 200 CE, Titus 1:11–15; 2:3–8), P64/P67 (ca. 200 CE, portions of the same codex, Matt 3:9, 15; 5:20–22, 25–28; 26:7–8, 10, 14–15, 22–23, 31–33), and P77 (Matt 23:30–39), P103 (Matt 13:55–56; 14:3–5), and 0189 (Acts 5:3–21) are dated late second and/or early third century. The remaining 36 NT papyri considered here, along with 0220 (a parchment manuscript), are dated to sometime in the third century. 14 1.3. Amount of NT Text As noted already, the fragmentary nature of most of the earliest NT manuscripts means that collectively they preserve only limited amounts of the text of NT writings. The amounts vary considerably, however. For example, the 17 earliest copies of John together preserve 823 of the 867 verses, about 95% of John. 15 By contrast, the nine copies of Matthew from the same period comprise 139 of the 1070 verses, or about 13%, the one copy of Mark (P45) preserves 157 of 666 verses, about 23.5%, and the single copy of Philemon (P87) preserves five of the 25 verses, 20% of that text. 16
13 See now Brent Nongbri, “The Use and Abuse of P52: Papyrological Pitfalls in the Dating of the Fourth Gospel,” HTR 98 (2005): 23–48, who argues that the time-frame for P 52 “must include dates in the later second and early third centuries” (46). P 52 was dated by comparison with P.Egerton 2 (a fragment of an unknown gospel text), the date of which has also now been moved later. See also Larry W. Hurtado, “P52 (P. Rylands Gk. 457) and the Nomina Sacra: Method and Probability,” Tyndale Bulletin 54 (2003): 1–14. 14 The remaining 36 papyri not already mentioned are these: P 1 (Matt), P 4 (Luke), P 5 (John), P9 (1 John), P 12 (Heb), P 15 (1 Cor), P 20 (James), P 22 (John), P 23 (Jas), P 27 (Rom), P 28 (John), P 29 (Acts), P 30 (1–2 Thess), P 39 (John), P 40 (Rom), P 48 (Acts), P49 (Eph), P 53 (Matt/Acts), P65 (1 Thess), P69 (Luke), P70 (Matt), P 80 (John), P87 (Phlm), P 91 (Acts), P 95 (John), P 101 (Matt), P106 (John), P 107 (John), P 108 (John), P 111 (Luke), P113 (Rom), P 114 (Heb), P118 (Rom), P 119 (John), P 121 (John). 15 The verses of John in these 16 papyri are 1:1–51; 2:1–25; 3:1–36; 4:1–54; 5:1–47; 6:1–71; 7:1–52; 8:12–59; 9:1–41; 10:1–42; 11:1–57; 12:1–50; 13:1–38; 14:1–31; 15:1– 27; 16:1–4, 6–7, 10–33; 17:1–26; 18:1–40; 19:1–42; 20:1–20, 22–31; 21:1–9, 18–20, 23– 25. The total of 867 verses that comprise John involves omitting 8:1–11, a pericope that does not appear in any of the earliest manuscripts of John. 16 The verses extant collectively in the nine manuscripts of Matthew are 1:1–9, 12, 14–20; 2:13–16, 22–23; 3:1, 9, 10–12, 16–4:3; 5:20–22, 25–28; 11:26–27; 12:4–5; 13:55–56; 14:3–5; 20:24–32; 21:13–19, 34–37, 43–45; 24:3–6, 12–15; 23:30–39; 25:41– 46; 26:1–40.
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Nevertheless, obviously we can only be grateful that we have these early remnants, however limited they are. Collectively, the 51 manuscripts dated to the second or third centuries give us copies of 20 of the 27 NT writings. Moreover, arguably, the very random nature of the portions of text that they preserve actually enhances their value as witnesses to the NT writings. In effect, they provide us random samples of the text of the writings in question, on the basis of which we can make wider (but cautious) inferences about the nature of the text as a whole in the respective manuscripts from which the fragments derive. 17 1.4. Provenance It is also well known that the earliest NT manuscripts all were found in Egypt, and so it is appropriate to consider how representative they may be of the wider circulation of NT writings in the period of these manuscripts. There are, however, several reasons for thinking that these early manuscripts are likely reflective of the status and transmission of NT writings more widely in the period from which they derive. 18 First, these earliest manuscripts reflect a spectrum of transmission practices and policies, from a rather strict/careful reproduction to a somewhat freer handling of the text, and with varying degrees of copyist skill as well. I submit that this variety of copying practices and textual tendencies in this body of manuscripts from Egypt works against any “local text” theory, which would require a more homogenous body of manuscripts in a given geographical locality. Second, there is what Eldon Epp has referred to as “a brisk ‘intellectual commerce’ and dynamic interchanges of people, literature, books, and letters between Egypt and the vast Mediterranean region.” 19 That is, we have evidence of an impressive frequency of contacts between Egypt and other parts of the Mediterranean basin in the Roman era. For example, Epp has 17
This is essentially also the view advocated by Kurt Aland and Barbara Aland, The Text of the New Testament (trans. E. F. Rhodes, Grand Rapids/Leiden: Eerdmans, 1987), 58. See also Barbara Aland, “Kriterien zur Beurteilung kleinerer Papyrusfragmente des Neuen Testaments,” in New Testament Textual Criticism and Exegesis: Festschrift J. Delobel (ed. A. Denaux; BETL 161; Leuven: Peeters, 2002), 1–13. 18 I echo here the position taken by Eldon Jay Epp, “The Significance of the Papyri for Determining the Nature of the New Testament Text in the Second Century: A Dynamic View of Textual Transmission,” in Gospel Traditions in the Second Century: Origins, Recensions, Text, and Transmission (ed. W. L. Petersen; Notre Dame/London: University of Notre-Dame Press, 1989), 71–103, 90. 19 Eldon Jay Epp, “New Testament Papyrus Manuscripts and Letter Carrying in Greco-Roman Times,” in The Future of Early Christianity: Essays in Honor of Helmut Koester (ed. B. A. Pearson; Minneapolis: Augsburg Fortress, 1991), 35–56, 55.
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shown how commonly and frequently letters were sent and received across considerable distances and with impressive speed of delivery. 20 Additionally, as I noted in a previous publication, the diversity of Christian literary texts found in Oxyrhynchus further confirms a vigorous “networking” by Christians in particular trans-locally. 21 For example, we have portions of three copies of Shepherd of Hermas (composed in Rome), a copy of Irenaeus’s Against Heresies (composed in Gaul), all these dated to the late second and/or early third century, and works of Melito dated third/fourth century. 22 So, if we find this sort of evidence in a provincial centre such as Oxyrhynchus (ca. 200 km south of Cairo), it is fairly certain that in major cities such as Alexandria the exchange and circulation of texts would have been even greater. To use a medical analogy, if my blood circulatory system is healthy, a physician can take a blood sample from any part of my body, even my toe, and be confident that the sample will be reliably indicative. In sum, it is safe to agree with Epp’s judgment that the Egyptian papyri likely “represent an extensive if not the full textual spectrum of earliest Christianity.” 23
2. Text-Critical Significance I turn now to survey briefly the significance of these earliest NT manuscripts for NT textual criticism. In simplest terms, their major contribution is that they take us back a hundred or more years earlier than the fourthcentury evidence on which all NT textual criticism had rested prior to their availability. As already noted, all of the 51 manuscripts that form the focus here are dated to the third century or earlier, at least eight of them dated to ca. 200 CE or soon thereafter, and as many as four (P52, P90, P98, P104) to the (late) second century. Even if we accept Roger Bagnall’s recent argument for moving the dates of these second-century witnesses somewhat 20 21 22
Ibid. Hurtado, The Earliest Christian Artifacts (see n. 4), 26–27. We have remnants of Melito’s Pascal Homily (P.Bodmer 13), and perhaps portions of another work, On Prophecy (P.Oxyrhynchus 5). P.Bodmer 13 was formerly thought to be a portion of some work by Melito as well, but see now Thomas Scott Caulley, “A Fragment of an Early Christian Hymn (Papyrus Bodmer 12): Some Observations,” ZAC 13 (2009): 403–14, who argues against Melito’s authorship. 23 Epp, “The Papyrus Manuscripts of the New Testament” (see n. 7), 9. Note also that G. Cavallo and H. Maehler, eds., Hellenistic Bookhands (Berlin: de Gruyter, 2008), 16– 17, show that the kind of scripts used in copies of classical literary texts “developed along very similar lines” in Egypt and Italy, suggesting a “koine” of Greek literary scripts in the Mediterranean world. This is consistent with (and provides a larger context for) the indications of a trans-local sharing of Christian texts and copying conventions.
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later (and I see no compelling reason for doing so), we would still have a body of evidence that gives us a direct view of the transmission of the NT writings in the third century, and that perhaps even allows us to peer farther back into the second century. 24 Some of the effects of this body of evidence from these early manuscripts have been evident for some time now. I illustrate this first with reference to key individual papyri. For example, as shown several decades ago, the striking agreement of P75 with the text of Codex Vaticanus in Luke and John refuted earlier proposals that Vaticanus was the result of a third-century or fourth-century recension of an earlier and “rougher” kind of NT text. 25 It appears instead that the so-called “Neutral/Alexandrian” text-type represents and derives from a rather careful and competent transmission that goes back at least into the late second century and perhaps earlier still. 26 This is of potentially profound significance for any theory and history of earliest text of NT writings (a matter to which I return later). To cite another example, although Lietzmann flatly stated soon after the publication of the Chester Beatty papyri that P45 and P46 had no great significance for knowledge of the transmission of the NT text, it is now clear that he was simply wrong. 27 In his magisterial study, The Text of the Epistles, Günther Zuntz showed the crucial importance of P46 as a basis for understanding the early transmission of the Pauline epistles. 28 Likewise, although soon after its publication P45 was enlisted as a supporting member of the so-called “Caesarean text” in Mark, subsequent analysis has disproved this, and both in its textual character and physical/visual qualities 24 Roger S. Bagnall, Early Christian Books in Egypt (Princeton: Princeton University Press, 2009), esp. chapter 1. He makes some valid points, but unfortunately appears to take the publications of Carsten Thiede as representative of the approach to dating NT papyri followed by NT scholars more broadly. Cf. my review in Review of Biblical Literature: http://www.bookreviews.org/pdf/7289_7933.pdf. 25 See esp. Gordon D. Fee, “P75, P66, and Origen: The Myth of Early Textual Recension in Alexandria,” in New Dimensions in New Testament Study (ed. R. N. Longenecker and M. C. Tenney; Grand Rapids: Zondervan, 1974), 19–45, republished in Eldon Jay Epp and Gordon D. Fee, Studies in the Theory and Method of New Testament Textual Criticism (SD 45; Grand Rapids: Eerdmans, 1993), 247–73. 26 Royse’s analysis of P 75 confirms these judgements (Scribal Habits [see n. 12], 615– 704, esp. 615–18). 27 Hans Lietzmann, “Zur Würdigung des Chester-Beatty Papyrus der Paulusbriefe,” SPAW.PH 25 (1934): 775, republished in his collected essays Kleine Schriften, vol. 2 (ed. K. Aland; SNTSU 68; Berlin: Akademie-Verlag, 1958), 171; idem, “Die Chester-BeattyPapyri des Neuen Testament,” Antike 11 (1935): 147, = Kleine Schriften, 2.168, as cited by Epp, “The Papyrus Manuscripts of the New Testament” (see n. 7), 12. 28 Günther Zuntz, The Text of the Epistles: A Disquisition upon the Corpus Paulinum (Schweich Lectures 1946; London: Oxford University Press, 1953).
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P45 continues to offer fascinating evidence that requires adjustment of previous views about the early transmission of the Gospels and Acts. 29 Studies by Colwell and Royse show that P45 has an unusually large number of “significant singular” readings that likely represent a particular effort to produce a readable and edifying text, “improving” it by many stylistic changes, harmonizations, simplifications, and even pruning. 30 This likely explains why P45 does not agree closely with any of the key witnesses to known text types, and it also shows the kind of editorial freedom exercised by some copyists and readers, which contrasts with the copying stance exhibited in P75. So, P45 and P75 show that in the earliest period from which there is evidence there was a certain variety in copying practice and aims, including both a more strict and a comparatively freer practice (and perhaps a certain spectrum in the freedom exercised). It is interesting to me that the great palaeogapher, Eric Turner, identified two broad tendencies in ancient papyri of classical literary texts, one exhibiting greater freedom in adding lines or leaving out lines and with “substantial variant phrases or formulas” (which Turner associates with a Platonic attitude toward books), and the other reflecting a greater respect for the wording of the text and exhibiting a lower “coefficient of error” (which Turner links with Aristotle). 31 It seems that earliest NT manuscripts show a somewhat comparable variety of transmission practice. The Bodmer papyrus of John, P66, has also had a significant impact. Though initially judged simply a “mixed” text, i.e., not a “pure” witness to any of the major text-types, P66 is now typically linked with the P75-B type of text (albeit, a somewhat looser member of this type, with a number of readings supported also by “Western” and “Byzantine” witnesses). 32 As Royse has stated, however, “The most striking feature of P66 is the quantity 29
See now Larry W. Hurtado, “P45 and the Textual History of the Gospel of Mark,” in The Earliest Gospels, The Origins and Transmission of the Earliest Christian Gospels. The Contribution of the Chester Beatty Gospel Codex P45 (ed. C. Horton; JSNTSup 30, London: T&T Clark, 2004), 132–48. As I showed earlier, P 45 and Codex W have a significant level of agreement in Mark, but neither of them has any such significant agreement with the putative key Caesarean witnesses (Θ and 565): Larry W. Hurtado, Text-Critical Methodology and the Pre-Caesarean Text: Codex W in the Gospel of Mark (SD 43; Grand Rapids: Eerdmans, 1981). 30 Royse, Scribal Habits (see n. 12), 103–97, esp. 123 and the summary on 197; Ernest C. Colwell, “Method in Evaluating Scribal Habits: A Study of P45, P66, P75,” in idem, Studies in Methodology in Textual Criticism of the New Testament (NTTS 9, Grand Rapids: Brill, 1969), 106–24, esp. 117. 31 Eric G. Turner, Greek Papyri: An Introduction (Oxford: Princeton University Press, 21980), 106–9. 32 Fee, “P75, P66, and Origen” (see n. 25), 30–31; idem, Papyrus Bodmer II (P66): Its Textual Relationships and Scribal Characteristics (SD 34, Salt Lake City: University of Utah Press, 1968), 35.
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of corrections,” some 465 corrections in the extant 75 leaves. 33 This unusually large body of corrections has received a good deal of scholarly attention, most recently and extensively by Royse. 34 They reveal much about the copyist of this manuscript, including his many initial failures in copying accurately and his subsequent efforts to make things right. In P66, as perhaps in no other early manuscript, we have a fascinating glimpse into one copyist’s determined efforts to produce an accurate copy of his exemplar, and also additional evidence of early variant readings to be considered in establishing the text of John. In addition to the significance of particular key papyri, collectively the 51 early manuscripts considered here comprise a valuable body of data for NT textual criticism. 35 Of course, as noted already, their early date makes them all especially important in assessing variants, and also for seeing how copyists did their work. Indeed, recent studies of these manuscripts have required modifications of some traditional principles of textual criticism. For example, James Royse’s massive analysis of copyists’ habits in all the earliest substantially preserved NT papyri shows persuasively that copyists in fact more often produced shorter, not longer, readings, and so the traditional principle of preferring the shorter reading does not carry the force it once did. Likewise, Royse has shown that harmonization to the immediate context was common, a datum that has obvious implications for assessing variants on the basis of similarity to the wording/style of the text. 36 But these manuscripts are also crucial for the larger (and as yet not adequately addressed) task of constructing a theory and history of the earliest stages of textual transmission of the NT writings. Eldon J. Epp has complained about what he regards as a surprising under-utilization of the early papyri and also has attempted to develop a picture of earliest transmission of the NT from these manuscripts. 37 Of course, since the twenty-sixth edition of the Nestle-Aland NT all published papyri have been cited in the textual apparatus. Also, beginning in 1986, the appearance of successive volumes of Das Neue Testament auf Papyrus is another indication of 33 34
Royse, Scribal Habits (see n. 12), 409. See Royse’s detailed classification and discussion of the corrections in Scribal Habits (see n. 12), 409–70. Among earlier studies, Fee, Papyrus Bodmer II (P66) (see n. 32), is particularly important. 35 Epp, “The Papyrus Manuscripts of the New Testament” (see n. 7), 13–18, sets out a number of matters for which the early manuscripts are crucial. 36 Royse, Scribal Habits (see n. 7), e.g., 704–36 (a whole chapter on “The Shorter Reading” criterion), and his concluding remarks, 737–42. Peter Head reached similar results: “Observations on Early Papyri of the Synoptic Gospels, Especially on the ‘Scribal Habits’,” Biblica 71 (1990): 240–47. 37 See esp. Epp, “The New Testament Manuscripts in Historical Perspective” (see n. 7), 261–88; idem, “The Significance of the Papyri” (see n. 18), 71–103.
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scholarly interest, as is the IGNTP volume on the papyri of John. 38 But Epp has a valid point. So I turn to a brief consideration of Epp’s effort to characterize the earliest period of NT textual transmission on the basis of the early papyri. Essentially, Epp attempts to use early NT papyri to construct a diachronic map of the textual transmission of the NT by assessing how particular papyri line up with the major witnesses of later centuries that have been the basis of the well-known text-types. 39 He notes the strong P75Codex B connection (with P66 a somewhat weaker member of this “textual cluster”) as showing a textual “trajectory” of this kind of text going back to ca. 200 CE (the common dating of P75), and Epp accepts the arguments for tracing this trajectory earlier still, well back into the second century at least. He also posits a looser but real connection of certain other papyri (P29, P48, P38, 0171) to the kind of text later found in Codex Bezae (D), at least in Acts. Finally, noting that P45 does not seem to fit readily with either of these kinds of texts, and also noting the similarities of P45 and Codex W in Mark, he proposes a third trajectory in which these are key witnesses. On the basis of this analysis, Epp concludes that “the claim that at least three distinct ‘text-types’ existed in the dynamic Christianity of the second century can be made with considerable confidence.” 40 This is not the occasion for a full assessment of Epp’s proposals, but I will allow myself one critical observation. It is valid to consider whether these early witnesses reflect the text-types associated with later key manuscripts, and so whether these text-types can be traced back into the very period of the earliest papyri. 41 But I think that we should also try to analyze the early papyri among themselves and in comparison with one another. Indeed, rather than (or at least in addition to) characterizing the early papyri on the basis of their relationships to later witnesses, I propose that it would be more heuristically useful simply to characterize the respective “textual complexions” of the earliest manuscripts more inductively, in terms of the patterns of readings that each manuscript supports. 42 This lat38 W. Grunewald et al., eds., Das Neue Testament auf Papyrus (Berlin: de Gruyter, 1986–); William J. Elliott and David C. Parker, The Gospel According to St. John: Part 1, The Papyri (Leiden: Brill, 1995). 39 Epp, “The Significance of the Papyri” (see n. 18), 100, gives fuller lists of NT papyri for each of his proposed “textual clusters.” I cite here the early, major papyri for each one. 40 Ibid., 103. 41 Some take the term “text-type” to imply a “local text” or a “recension,” and so reject it outright. I cannot engage this matter adequately here. By “text-types,” I simply mean distinguishable transmission-tendencies of the sort I describe briefly above. 42 I also have some reservations about Barbara Aland’s characterization of early papyri on the basis of how well their readings accord with the “Ausgangstext” (i.e., the
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ter kind of analysis might give us a better basis for judging what kinds of tendencies and attitudes shaped the textual handling of the NT writings in the earliest period. 43 From this, in turn, we might be able to develop a theory and history of the very earliest textual transmission of these writings. 44 One further observation about the effects of early NT papyri: essentially, the variants in them are those that we already knew from later witnesses (most often in later Greek witnesses, sometimes only in the Latin or Coptic versions). Moreover, we do not find in the early papyri the larger variants that reflect a major change in the text, e.g., the pericope of the adulterous woman, the long ending of Mark, or the major additions in the Codex Bezae text of Acts. 45 I highlight two net effects of these data. First, they confirm the earlier view that the great majority of textual variants emerged very early, likely in the second century. But, second, it appears that the earliest state of the text of NT writings was no more diverse than what we have in later witnesses (the versions and the major Greek codices of the fourth to sixth centuries), and that perhaps significant textual variation continued (or achieved success in the manuscript tradition) well beyond the earliest period. So, it is now increasingly dubious to cling to the notion sometimes asserted in the past that the second century was a period of “wild” textual variation, far greater than what we see in the fourth century
Nestle-Aland text). This produces some interesting observations, but, again, seems to me to import an external standard into the assessment: cf. Barbara Aland, “Der textkritische und textgeschichtliche Nutzen früher Papyri” (see n. 7); eadem, “Das Zeugnis der frühen Papyri für den Text der Evangelien: Diskutiert am Matthäusevangelium” (see n. 7). Kyoung Shik Min, Die früheste Überlieferung des Matthäusevangeliums (bis zum 3./4. Jh.). Edition und Untersuchung (ANTF 34, Berlin/New York: de Gruyter, 2006), offers a full application of her approach to the early papyri of Matthew. 43 One of my current PhD students, Lonnie Bell, is conducting such an analysis of early papyri of the Gospel of John for his thesis. 44 Michael Holmes proposed that Zuntz’s classic study focused on P 46 provides an instructive model for developing a more soundly based theory of the early NT text: “The Text of the Epistles: Sixty Years After: An Assessment of Günther Zuntz’s Contribution to Text-Critical Methodology and History,” in Transmission and Reception: New Testament Text-Critical and Exegetical Studies (ed. J. W. Childers and D. C. Parker; Piscataway: Gorgias Press, 2006), 89–113. In the same volume, I survey major factors that shaped the early transmission of the NT: “The New Testament in the Second Century: Text, Collections and Canon,” 3–27. I include a brief discussion of recently published papyri (6–14), proposing that the early manuscripts exhibit a variety of copying practices and purposes. 45 The earliest witness with the pericope of the adulterous woman (placed at John 7:53–8:11) is Codex Bezae (fifth century). The earliest Greek witnesses with Mark 16:9– 20 are Codex A & D (fifth century). There are indications in patristic writers that both passages were known earlier, but these are the earliest extant copies of NT writings to include them.
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and thereafter. 46 I reiterate the observation that the early papyri certainly attest varying levels of fluidity in the NT text, and a readiness among some Christians to “improve” the text in various ways (e.g., stylistic changes, harmonizations, etc.); but these manuscripts do not on the whole reflect a careless or “wild” transmission attitude and process. 47
3. Other Historical Issues In addition to their great importance in NT textual criticism, these early NT manuscripts cast invaluable light on other important historical issues as well. These include various questions about the circulation of particular texts and the role and usage of texts more generally in early Christianity. For example, it is interesting to note the comparative number of copies of various NT writings in the extant earliest manuscripts. 48 In 17 of these 51 manuscripts we have copies of John, exactly one-third of the total, and considerably more than the next most frequently found text, Matthew (9 copies). Thereafter come Acts and Romans (6 copies each), Luke (5), 1 Thessalonians and Hebrews (3 each), 1 Corinthians, Ephesians, James, Philemon and Revelation (2 each), and one copy of each of the remaining texts (Mark, 2 Corinthians, Galatians, Colossians, Philippians, 2 Thessalonians, and 1 John). It is also interesting to note that the most frequently found non-canonical text is Shepherd of Hermas (9 copies among manuscripts of this same period). If the comparative number of surviving copies can be taken as indicative of the comparative number of copies circulating in these early centuries, it is clear and very interesting which texts were favored. These earliest manuscripts also confirm that the ancient Christian preference for the codex book-form (especially, it appears, for those texts that Christians treated as scripture) goes back earlier than all of our extant evidence, into the second century and possibly earlier. 49 This must be viewed 46 As Epp observed, the early papyri “are not conspicuous for furnishing a mass of new, meaningful variant readings,” but instead typically attest variants already known from later manuscripts: Epp, “Are Early New Testament Manuscripts Truly Abundant?” (see n. 3), 106. 47 For further discussion of these issues and for references to other scholarly literature, see Hurtado, “The New Testament in the Second Century” (see n. 44), esp. 6–19. 48 I discuss the comparative number of all texts found in early Christian manuscripts (intra-canonical and extra-canonical) in The Earliest Christian Artifacts (see n. 4), 16– 24. In that discussion I include manuscripts dated “third/fourth” century, and so the figures are slightly different. But the broad results are the same. 49 For further discussion, see Hurtado, The Earliest Christian Artifacts (see n. 4), 43– 93, which I draw upon here.
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in the context of an overwhelming preference for the roll in the larger literary and cultural environment of the second and third centuries. About 5% of all second-century copies of catalogued literary manuscripts (pagan, Jewish and Christian) are codices, and so are about 21% of all thirdcentury manuscripts. By contrast, about 75% of Christian manuscripts (i.e., of all literary texts, canonical and extra-canonical) dated to the second century, and about 67% of those dated to the third century are codices. Moreover, if we confine ourselves to copies of texts that Christians treated as scriptures, the preference for the codex is exhibited even more strongly, and in fact is almost total. It is illustrative of the strength of this preference that we do not have a single example of any NT text copied on an unused roll. We have a few cases of NT texts copied on re-used rolls (“opisthographs”), but otherwise all early NT manuscripts are codices. 50 There are a few OT texts on rolls, and these may be Christian (or Jewish) copies, but well over 90% of indisputably Christian copies of OT texts are codices. By contrast, about one third of copies of extra-canonical Christian texts (e.g., apocryphal texts, theological treatises, etc.) are on rolls. 51 In light of the general view of the time that the roll was the more appropriate form for a valued copy of a literary text, the early Christians’ preference for the codex, and especially for their most highly valued texts, can only represent a deliberate counter-cultural choice. 52 Texts copied on re-used rolls were typically made for personal reading/study, and so the examples of such copies of Christian texts among our earliest papyri, which include some NT texts (John, Hebrews, Revelation) and also extra-canonical texts (e.g., Hermas, Gospel of Thomas), can be taken as artifacts of Christians wanting such personal copies. That is, 50
P12 is a citation of Heb 1:1 in a letter on the recto of a roll, with portions of Genesis on the verso, incorrectly included by Epp among the continuous-text copies of NT texts (“The Papyrus Manuscripts of the New Testament” [see n. 3], 5). P 13 (portions of Hebrews), and P 18 (Revelation) are opisthographs, the NT texts copied on the outer side of a roll, the inner side containing another text (for which the roll was originally prepared). P 22 is two papyrus fragments with portions of John written on the verso side, the recto (horizontal fibres) of the fragments blank. I think it likely, that it too is an opisthograph. 51 E.g., two of the nine earliest copies of Hermas are rolls (P.Oxy. 4706 and P.Berl. 5513), as are both early fragments of Irenaeus (P.Oxy. 405 and P.Jena inv. 18+21), the Dura Gospel harmony fragment (P.Dura 10), one of the copies of Gospel of Thomas (P.Oxy. 655), and the one copy of Gospel of Mary (P.Oxy. 3525). 52 Bagnall, Early Christian Books in Egypt (see n. 24), proposes that Christians adopted the codex from Roman use of the bookform, but he admits that the strength of the Christian preference for the codex, and especially for scripture texts, is remarkable and an innovation. On the wider preference for, and the characteristics of, literary bookroll, see esp. William A. Johnson, Bookrolls and Scribes in Oxyrhynchus (Toronto: University of Toronto Press, 2004).
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these re-used rolls are likely direct evidence of these texts being read for personal edification as well as for liturgical purposes. It is likely, however, that most of the earliest NT manuscripts were copied for reading in churches. A variety of features that distinguish these particular manuscripts from high-quality copies of (pagan) classical texts seem intended to facilitate this usage, such as the generous-sized lettering and spacing between the lines, and the use of spaces and elementary punctuation to signal sense-units. 53 That is, these and other features seem to be what we may call “readers’ aids,” which may have been particularly helpful to those with less than elite schooling (where one would be equipped to handle the more severe format of high-quality classical manuscripts). In another essay I have noted the contrast between the format of earliest Christian manuscripts and contemporary manuscripts of classical texts prepared for elite (pagan) social circles, proposing that the typical layout of Christian copies of scriptural texts reflects directly the more socially diverse nature of early Christian readers. 54 Another distinguishing feature of Christian manuscripts, including our earliest papyri, is the practice of writing certain words in a distinctive fashion, the so-called nomina sacra. 55 The Greek words in question, among which θεος, κυριος, Ιησους, and Χριστος are the most consistently treated in this manner, are written in an abbreviated form (typically first and final letters, e.g., θς, κς, Ις or Ιη, Χς) with a distinctive horizontal stroke placed over the abbreviation. The presence of the nomina sacra in our earliest NT papyri confirms that this scribal practice is so early that its origin pre-dates all our extant manuscripts, i.e., early second century at the latest. So, the 53 I provide further discussion of a number of these features of earliest Christian manuscripts in The Earliest Christian Artifacts (see n. 4), 155–89. Scot Charlesworth, “Public and Private – Second- and Third-Century Gospel Manuscripts,” in Jewish and Christian Scripture as Artifact and Canon (ed. C. A. Evans and H. D. Zacharias; LSTS 70; London: T&T Clark, 2009), 148–75, proposes a classification of earliest gospel manuscripts as intended either for public/liturgical or private reading. Some examples are more difficult to classify, but he correctly observes that we have manuscripts indicative of both reader-settings. 54 Larry W. Hurtado, “Manuscripts and the Sociology of Early Christian Reading,” in The Early Text of the New Testament (ed. C. E. Hill and M. J. Kruger; Oxford forthcoming 2012). Cf. William A. Johnson, “Toward a Sociology of Reading in Classical Antiquity,” AJP 121 (2000), 593–627, who discusses the formatting of manuscripts of classical texts prepared for reading in elite social circles; and now see idem, Readers and Reading Culture in the High Roman Empire: A Study of Elite Communities (Oxford: Oxford University Press, 2010). 55 I give a fuller discussion in The Earliest Christian Artifacts (see n. 4), 95–134. I must acknowledge, however, the erroneous statements on p. 129 about the treatment of the name Ιησους in P 46. Contrary to my statements there, in P 46 the name is abbreviated in all the references cited. I am unable to account for this embarrassing error.
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preference for the codex and the nomina sacra taken together reflect an astonishingly early emergence of an identifiably Christian book-practice, or, as I have elsewhere described it, the earliest evidence of an early Christian “material and visual culture.” 56 A few scholars have contended that the nomina sacra, and perhaps also the preference for the codex, derive from Jewish scribal practices (esp. Kurt Treu and Robert Kraft), but this is very much a minority position. 57 It remains the case that in the body of Jewish pre-Christian manuscripts (esp. from Judaea) there is no instance of a literary text on a codex and no instance of any of the nomina sacra forms. 58 It is, however, entirely plausible to posit some kind of similarity (and influence) of reverential attitude or motive behind the practice of the nomina sacra in the Jewish scribal treatment of YHWH in ancient biblical manuscripts (e.g., a series of dots in place of the name, or writing YHWH in archaic Hebrew characters, or writing it in Hebrew characters in Greek copies of OT texts). Likewise, the presence of the “readers’ aids” mentioned earlier in Christian copies of biblical texts may very well reflect Jewish scribal practices. 59 But the specific scribal device of the nomina sacra seems to be a Christian innovation.
4. Conclusion Within the limits of this discussion I have been able to address only briefly some of the major ways in which the earliest NT manuscripts provide valuable resources for NT scholars. I have also tried to illustrate the usefulness of approaching these manuscripts from the perspective of the study of the larger body of Christian and non-Christian manuscripts of the same period. Most directly, of course, these particular NT manuscripts are central to the questions at the heart of NT textual criticism. As I have indica56 Larry W. Hurtado, “The Earliest Evidence of an Emerging Christian Material and Visual Culture: The Codex, the Nomina Sacra and the Staurogram,” in Text and Artifact in the Religions of Mediterranean Antiquity: Essays in Honor of Peter Richardson (ed. S. G. Wilson and M. Desjardins; Waterloo, Ontario: Wilfrid Laurier University Press, 2000), 271–88. 57 Kurt Treu, “Die Bedeutung des Griechischen für die Juden im römischen Reich,” Kairós NF 15 (1973): 123–144; Robert A. Kraft, “The ‘Textual Mechanics’ of Early Jewish LXX/OG Papyri and Fragments,” in The Bible As Book: The Transmission of the Greek Text (ed. S. McKendrick and O. A. O’Sullivan; London: Oak Knoll Press, 2003), 51–72. 58 Emanuel Tov, Scribal Practices and Approaches Reflected in the Texts Found in the Judean Desert (STDJ 54, Leiden: Brill, 2004), is now the major resource for these manuscripts. 59 Tov, ibid. 131–236, discusses writing practices in the early Judean manuscripts.
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ted, these precious early copies of NT texts have already re-shaped (and will continue to influence) our views of the earliest stages of the textual transmission of the NT writings, requiring the abandonment of some earlier, confidently-held positions. But these manuscripts also open up further lines of investigation and analysis that involve questions wider than traditional NT textual criticism. It is too much to ask NT scholars to become papyrologists, or to expect that all NT scholars should be text critics, but it is not too much to ask that NT scholars develop an awareness of the importance and relevance of the early NT manuscripts for history of the transmission of the NT writings and, more broadly, for the investigation of Christian origins.
Rechtsterminologie in den griechischen Papyri und ihre Bedeutung für die Interpretation neutestamentlicher Texte* 1 JOACHIM HENGSTL
1. „Rechtsterminologie“ Für das Thema „Rechtsterminologie in den griechischen Papyri und ihre Bedeutung für die Interpretation neutestamentlicher Texte“ ist es notwendig, sich vorab über die Begriffe „Terminologie“ und „Rechtsterminologie“ klar zu werden. * Mein Dank gilt vorab Herrn Prof. Dr. Jens Herzer für seine Einladung, auf der von ihm organisierten Tagung „Die Interpretation des Neuen Testaments im Lichte der dokumentarischen Papyri“ einen Hauptvortrag zu halten und diverse papyrologische Texte vorzulegen. – Der Text hier beruht auf Ausführungen, die ich anderweitig publiziert habe bzw. publizieren werde [Griechische Papyri und Ostraka, in: Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 1: Prolegomena, Quellen, Geschichte, hg. v. K. Erlemann u.a., Neukirchen-Vluyn 2004, 119–124; Zum Erfahrungsprofil des Apostels Paulus aus rechtshistorischer Sicht, in: Light from the East. Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament, hg. v. P. Arzt-Grabner / C. M. Kreinecker, Wiesbaden 1910, 71–89; Zum Sprachgebrauch des Neuen Testaments aus rechtspapyrologischer Sicht, in: Akten des 26 e Congrès International de Papyrologie, 16–21 août 2010 (im Druck); Spurensuche – Griechischhellenistisches Recht, Rechtsdenken und Verwaltungspraxis bei Lukas?, vorgesehen für ZAR; Griechische Papyri aus Ägypten als Zeugnisse des öffentlichen und privaten Lebens, München 1978 (erw. Neuauflage in Bearbeitung; Erscheinen vorgesehen für 2012); Juristische Papyruskunde. Eine methodische Einführung (Erscheinen vorgesehen für 2013)]. – Ich bitte um Nachsicht, dass das vorgegebene Thema Wiederholungen des anderwärts Ausgeführten unausweichlich macht. – Bedeutungen und Belege zum Wortgebrauch sind in der Regel dem Papyrus-Wörterbuch (im Folgenden PW) F. PREISIGKE / E. K IESSLING, Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden mit Einschluß der griechischen Inschriften, Aufschriften, Ostraka, Mumienschilder usw. aus Ägypten, Bd. I, Berlin 1925, II, Berlin 1927, entnommen. Für eingehendere Untersuchungen ist auf die Folgebände und Supplemente (Bd. IV, Berlin 1944 / Marburg 1993; Supplement 1 [1940– 1966], 2 [1967–1976], 3 [1977–1988]), sowie auf die Wörterlisten (http://www.uniheidelberg.de/institute/8/apy/WL/WL.html) und die Duke Databank of Documentary Papyri (http://scriptorium.lib.duke.edu/papyrus/) zu verweisen.
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„Terminologie“ meint einen fachspezifischen Sprachgebrauch. Er umfasst die üblichen Begriffe und Benennungen eines Fachgebietes. Der Wortschatz einer Terminologie hebt sich vom allgemeinen Sprachgebrauch deutlich ab. Er enthält zum einen Wörter der Umgangssprache in Bedeutungen, wie sie im Alltag selten oder nie vorkommen; zum anderen Begriffe, die der Alltagssprache überhaupt fremd sind und nur von Fachleuten verwendet werden. Hiervon abzuschichten ist die fachlich geprägte Sprache, derer man sich unter Kollegen um einer raschen Verständigung willen bedient. So wird ein Schlosser fachsprachlich sagen „das Eisen ist warm“ – das meint freilich „glühend“ und damit bearbeitungsbereit. „Bramme“ und „Kollo“ hingegen – ein für die Weiterverarbeitung bestimmter Rohmetallblock bzw. (u.a.) eine etwa mannshohe Bandstahlrolle – darf man als „Fachterminologie“ bezeichnen. Aber hierin spiegelt sich bereits die Entwicklung vom „vorindustriell“ organisierten Handwerksbetrieb zum fabrikmäßigen Ablauf mit dessen technisierten Anforderungen und Einrichtungen, die ein entsprechendes berufliches Wissen und folglich auch eine Fachterminologie erfordern. 1 Die Rechtswissenschaften haben ebenfalls neben einer fachlich geprägten Alltagssprache eine eigene Terminologie. Sie ergibt sich teilweise sogar aus den Gesetzen: „Legaldefinitionen“ bestimmen Begriffe verbindlich. Eine derartige Definition betrifft beispielsweise die Milch: „Milch ist das durch regelmäßiges, vollständiges Ausmelken des Euters gewonnene und gründlich durchmischte Gemelk von einer oder mehreren Kühen, aus einer oder mehreren Melkvorgängen. Der Milch darf weder etwas entzogen noch zugeführt werden.“ 2 Diese Begriffsbestimmung mag auf den ersten Blick belustigen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass kaum jemand „Milch“ zu trinken vermag, es sei denn, er trinkt frisch gemolkene Milch beim Bauern. Kommt die Milch nämlich in die Molkerei, so wird ihr das Milchfett entzogen und im weiteren Verarbeitungsgang in Höhe von 1,5% oder 3,5% wieder zugesetzt. Um „Milch“ im Sinne des Milchgesetzes handelt es sich folglich nicht mehr – wir trinken „Markenmilch“, „HMilch“ und anderes, aber eben nicht „Milch“. Was auf den ersten Blick lächerlich und überflüssig klingt, gewinnt angesichts von Lebensmittelskandalen im heutigen Alltag eine bedrohliche Farbe. Rechtsprechung und Lehre haben Weiteres definiert. Berühmt – oder berüchtigt – ist die Definition der „Eisenbahn“ durch das Reichsgericht. In einem einzigen, ungeheuer langen Satz sagt das Gericht, was seines Erach1 Herrn G. Hensel (Fleischermeister und Betriebsleiter) habe ich für ein erhellendes Gespräch über moderne Betriebsabläufe und Voraussetzungen in der einst „handwerklichen“ Fleischverarbeitung zu danken. 2 § 1 Abs. I Erste Verordnung zur Ausführung des Milchgesetzes. Vom 31. Juli 1930 (RGBl I 1930, 150).
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tens eine Eisenbahn ist. 3 Wiederum könnte man belustigt sein – zuvor aber sollte man das u.a. für Eisenbahnen einschlägige Haftpflichtgesetz lesen. Der Betreiber einer Eisenbahn haftet nämlich – wie der Halter eines Kraftfahrzeugs – für einen durch den Betrieb verursachten Schaden unabhängig von seinem Verschulden. Was Eisenbahn in diesem Sinne und folglich verschuldensunabhängig versichert ist, bestimmt eben jene „lachhafte“ Definition. Nicht minder komisch wirkt auf den ersten Blick die Feststellung des deutschen Bundesgerichtshofs in Strafsachen, dass „der menschliche Mund, der in aller Regel unverdeckt ist, … häufig und bestimmungsgemäß den Blick auf die dahinter liegenden vorderen Zahnreihen frei(gibt)“ – es geht aber darum, ob eine Verletzung zu einer dauerhaften Entstellung geführt hat und folglich als „Schwere Körperverletzung“ zu bestrafen ist. 4 In Lehre wie in Rechtsprechung ist wiederum die Definition des Diebstahls festgelegt: Diebstahl ist die „Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, in der Absicht sie sich zuzueignen“. Strom, also der Fluß von Elektronen, entsprach vor rund einhundert Jahren nicht dem Sachbegriff. Die Ableitung fremden Stroms musste daher eigens geregelt werden. 5 Es ist hier freilich überflüssig, derartige Begriffsbestimmungen weiter zu erörtern. Die aufgeführten Beispiele zeigen schlicht, dass das moderne Recht eine Fülle technischer Termini kennt, und sie lassen in diesem Rahmen fragen, in wie weit es im Umfeld des Neuen Testaments eine auch nur im Keime entsprechende Rechtsterminologie gegeben hat. Sie sollte sich dann auch im Neuen Testament niedergeschlagen haben.
3 S. RGZ 1 242, 252 (Urteil vom 17. März 1879): „Eine Eisenbahn ist ein Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtsmassen beziehungsweise die Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Schnelligkeit der Transportbewegung zu ermöglichen bestimmt ist, und durch diese Eigenart in Verbindung mit den außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benützten Naturkräften – Dampf, Elektrizität, tierischer oder menschlicher Muskeltätigkeit, bei geneigter Ebene der Bahn auch schon durch die eigene Schwere der Transportgefäße und deren Ladung usf. – bei dem Betriebe des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßig gewaltige, je nach den Umständen nur bezweckterweise nützliche oder auch Menschenleben vernichtende und menschliche Gesundheit verletzende Wirkung zu erzeugen fähig ist.“ 4 S. BGHSt 17, 161, 163. – Diese Rechtsprechung ist inzwischen aufgegeben. Nach nunmehr herrschender Meinung liegt keine dauernde Entstellung vor, wenn sie durch prothetische Maßnahmen beseitigt werden kann (s. dazu z.B. HORN/WOLTERS in: Systematischer Kommentar StGB. – 72003, § 224 Rd.Nr. 14). 5 § 248c StGB; dazu A. HOYER , in: Systematischer Kommentar StGB. – 61999, § 248c Rd.Nr. 1.
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Eben das ist am Beispiel des ersten paulinischen Korintherbriefs jüngst vorgetragen worden. 6 Demnach soll Paulus sich in diesem Brief einer „juristische(n) Fachterminologie“ bedient haben und daneben „zahlreiche(r) andere(r) Begriffe, die zwar keine juristischen Termini im eigentlichen Sinn sind, des öfteren aber in Rechtstexten vorkommen und dort eine spezifische Bedeutung annehmen“. 7 Des Weiteren wird angenommen, dass auch die Leser oder Zuhörer in ihrer Mehrheit diese Terminologie nachvollziehen konnten und vermöge der mitschwingenden rechtlichen Bedeutung als Paradigmen beziehungsweise als Beschreibungen der frühchristlichen Gegebenheiten entschlüsselt haben. Derart rechtsspezifische Kenntnisse darf man allerdings selbst heutzutage beim Leser einer anspruchsvollen Tageszeitung nicht ohne Weiteres voraussetzen, und sie sind mit Sicherheit bei den Lesern und Zuhörern der paulinischen Briefe nicht zu vermuten.
2. Die historischen Gegebenheiten im Umfeld des Neuen Testaments 333 v. Chr. hatte Alexander d. Gr. seinen Siegeszug gegen das Perserreich begonnen, der ihn weit über Zentralpersien und die Besitzungen des persischen Reiches hinaus bis nach Indien führte. Mit der Eroberung dieser Regionen war eine mehr oder minder starke Hellenisierung verbunden. Das Griechische, griechische Beurkundungsformen und Archivierungsweisen wurden verbreitet gebraucht. Das von Juden besiedelte Gebiet war davon lange ausgenommen. Das Land war zunächst Teil der Diadochenreiche, erlangte aber 142 v. Chr. unter den Hasmonäern seine Unabhängigkeit von den Seleukiden. Schon 80 Jahre später, 63 v. Chr., geriet das nunmehr jüdische Königreich in die Abhängigkeit von den Römern. Erst Herodes forcierte während seiner 39 v. Chr. beginnenden Herrschaft die Hellenisierung und Romanisierung seines Reiches. Diese geistigen Strömungen waren in Judäa bis dahin abgelehnt worden. 8 In diesem geistigen Umfeld ist das Neue Testament entstanden, also die vier Evangelien, die Apostelge6 S. A. P APATHOMAS, Juristische Begriffe im ersten Korintherbrief des Paulus. Eine semantisch-lexikalische Untersuchung auf der Basis der zeitgenössischen griechischen Papyri, Wien 2009. Vgl. dazu bereits HENGSTL, Paulus (s. Anm. *), 81–84. 7 So P APATHOMAS, a.a.O. 218. 8 Vgl. A. SCHALIT, König Herodes. Der Mann und sein Werk, Berlin/New York ²2001, 106, 530/1. Zu den mit dem Hellenismus für das Judentum verknüpften Problemen s. beispielsweise a.a.O. 508–511; zur Adaptation des hellenistischen Herrschertums durch Herodes plastisch a.a.O. 298–322, sowie allgemein zu den Auswirkungen hellenistischer Einrichtungen auf Institutionen des herodianischen Reiches a.a.O. 167–198.
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schichte des Lukas und die genuin paulinischen Briefe, zumindest in der 2. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. Nach allem, was sich erkennen lässt, ist das Neue Testament in allen seinen Teilen griechisch verfasst, also nicht aus einer anderen Sprache ins Griechisch übersetzt worden, und spiegelt folglich die griechische Sprache seiner Zeit unabhängig vom Entstehungsort. Fraglich kann nur sein, was sich an spezifisch „Griechischem“ im Neuen Testament niedergeschlagen hat – und beim vorliegenden Thema an griechischer Rechtsterminologie.
3. Griechisch-hellenistische Bildung, Rechtsdenken, Rechtspraxis und Schreiberausbildung Griechisch-hellenistische Bildungsideale und -konzeptionen lassen sich anhand der antiken Hinterlassenschaft durchaus fassen, führen aber bei der Suche nach dem geistigen Hintergrund der Autoren des Neuen Testaments nicht weit. Für keinen von ihnen gibt es einen Hinweis, er habe in einem der griechisch-hellenistischen Bildungszentren gelebt und sei dort erzogen worden. Zu denken ist dabei vor allem an Athen und an seine mannigfachen geistigen Strömungen. Geistige Regsamkeit und Bildung griechischer Art gab es freilich auch anderwärts. 9 Griechische Bildungseinrichtungen und -ziele lassen sich selbst auf lokaler Ebene vielerorts finden – die griechischen Papyri Ägyptens zeugen davon. 10 Im Rahmen des in der hellenistischen Epoche maßgeblichen Bildungsgangs der ἐγκύκλιος παιδεία war dies vor allem eine Grammatik, Dialektik und Rhetorik umfassende literarische Erziehung. 11 Das könnte auch die Lektüre der Schriften des Aristoteles, Platon oder Theophrast 12 umfasst haben sowie die der anderen griechischen Literatur. Literatur reflektiert schließlich zumeist Rechtsgefühl, Rechtsdenken und Rechtsübung ihrer kulturellen Umgebung. Auch die Reden der attischen Logographen wären eine mögliche Lektüre. Die überlieferten literarischen Belege in den griechischen Papyri Ägyptens zeigen, 9
S. dazu J. CHRISTES, Bildung B., DNP 2 (1997), 663–673 (664–666, sowie Karte 669f). 10 Zum Griechentum in Ägypten s. z.B. N. LEWIS, Greeks in Ptolemaic Egypt. Case Studies in the Social History of the Hellenistic World, Oxford 1986. 11 Vgl. dazu J. CHRISTES, Enkyklios Paideia, DNP 3 (1997), 1037–1039. 12 Vgl. dazu L. ROSSETTI, Materiali per una storia della letteratura giuridica attica, in: Nomos. Direito e sociedade na Antiguidade Clássica / Derecho y sociedad en la Antigüedad Clásica, hg. v. D. F. Leão u.a., Coimbra/Madrid 2004, 51–73. Zum griechischen Rechtsdenken s. J. TRIANTAPHYLLOPOULOS, Das Rechtsdenken der Griechen, München 1985, passim; E. W OLF, Griechisches Rechtsdenken, 4 in 6 Bdn., Frankfurt 1950–1970, passim.
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dass derartige Literatur durchaus gelesen worden ist. 13 Weder das griechische Rechtsdenken noch die attischen Gerichtsreden haben jedoch das gelebte griechische Recht beeinflusst. Die Gerichtsreden sind nämlich vor allem rhetorisch ausgerichtet, die Interpretation von Gesetzen, Fakten und Zeugenaussagen ist absolut parteiisch, und ein guter Teil der Reden entstammt politisch motivierten Prozessen und ist erst recht gefärbt. 14 Vom in der Literatur und bei den Philosophen aufscheinenden griechischen Rechtsdenken ist in den Rechtsurkunden des Alltags und auch im Neuen Testament keine Spur zu entdecken. 15 Vereinzelte literarische Zitate und Anspielungen in Briefen oder anderwärts betreffen keine rechtlichen Topoi. 16 Träger der griechisch-hellenistischen Rechtspraxis waren die Urkundenschreiber. Von den Urkundenschreibern Griechenlands ist kaum etwas bekannt, und wenig mehr ist aus den Quellen zu erschließen. Schreiber – oder wer sonst? – müssen das Urkunden- und Archivwesen in den griechischen poleis getragen haben, welches sich im Nahen Osten so prägend ausgewirkt hat. Überlieferungsbedingt berichten hierüber fast nur die Papyri des griechisch-römischen Ägypten. Damit erlauben sie zugleich vorsichtige Rückschlüsse auch auf die außerägyptischen Regionen der Diadochenreiche und folglich auf die dortige Rechtspraxis. Unwahrscheinlich ist allerdings angesichts des sich daraus ergebenden Bildes von der Verschriftung des Rechtsalltags, dass die Autoren des Neuen Testaments entspre-
13 Vgl. R. A. P ACK, The Greek and Latin Literary Texts from Greco-Roman Egypt, Ann Arbor 21967; 3Mertens/Pack http://www2.ulg.ac.be/facphl/services/cedopal/pages/ mertensanglais.htm; s. ferner „Leuven Databank of Ancient Books“ http://ldab.arts. kuleuven.ac.be/ldabsearch.html; B. LEGRAS, Lire en Égypte, d’Alexandre à l’Islam, Paris 2002. 14 S. vor allem H. J. WOLFF, Methodische Grundfragen der rechtsgeschichtlichen Verwendung attischer Gerichtsreden, in: Atti del II Congresso Internazionale della Società Italiana di Storia del Diritto, Firenze 1969, 1–13 (abgedruckt in: DERS., Opuscula dispersa, Amsterdam 1974, 27–39); ferner M. HILLGRUBER, Die zehnte Rede des Lysias: Einleitung, Text und Kommentar mit einem Anhang über die Gesetzesinterpretationen bei den attischen Rednern, UaLG 29, Berlin/New York 1988, passim. 15 Es ist bezeichnend, dass der Index des an Belegen überreichen Werkes von T RIANTAPHYLLOPOULOS, Rechtsdenken (s. Anm. 12), nur wenige NT-Stellen verzeichnet. 16 So Homers „schwellendes Festmahl“ (Od. XI 415) in dem Brief eines Vaters an seinen Sohn BGU IV 1080 (Herkunft unbekannt, 3. Jh. n. Chr.), Z. 9f. Vgl. ferner z.B. A. P APATHOMAS, Gnomen als literarisches Stilmittel in kaiserzeitlichen Petitionen (30 v. Chr.–400 n. Chr.), in: Proceedings of the 24th International Congess of Papyrology, Helsinki 1–7 August 2004, hg. v. J. Frösén u.a., Commentationes Humanarum Litterarum 122, Helsinki 2007, 865–878, sowie DERS., Zwischen juristischen Formeln und künstlerischer Schöpfung. Neutestamentliche Elemente in den Urkunden des spätantiken Dichters und Notars Flavius Dioskoros von Aphrodito, Hermes 128 (2000), 481–499.
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chende Erfahrungen – um den Begriff „Ausbildung“ zu vermeiden – gemacht haben. Die Urkundenschreiber hatten keine juristische Schulung. Gleich Handwerkern lernten sie durch die Praxis. Belege hierfür gibt es nur wenige, denn diese waren nicht aufbewahrungswürdig. Immerhin läßt das Wenige, zusammen mit den Zeugnissen zur Alphabetisierung, 17 den beruflichen Werdegang vermuten. Sicherlich waren die Schreiber bereits schriftkundig, ehe sie sich auf das Urkundenwesen spezialisierten. Dazu schrieben sie Formularteile, Klauseln, Datierungsformeln ab. Im Alltag folgten sie offensichtlich Vorlagen – auch heute gibt es Formularhandbücher, und selbst der heutige Jurist greift gern auf Muster aus vergangenen Fällen zurück. Das Können der Urkundenschreiber geht freilich über das bloße Abschreiben von Vertragsformularen unter Einfügen der Parteinamen und einiger fallspezifischer Angaben weit hinaus. Die Schreiber vermögen nämlich, die einzelnen Verträge mit Klauseln, die dem Vertragszweck ausgezeichnet entsprechen, auf die Parteiinteressen abzustimmen. 18 Sie gleichen damit das weitgehende Fehlen gesetzlicher Regelungen für das Privatrecht aus. Natürlich gilt das auch für mündliche Abmachungen. Diese bildeten zweifellos einst wie heute die Masse der Rechtsgeschäfte – an den (mündlichen!) Kauf beim Bäcker sei erinnert! Für mündliche Rechtsgeschäfte finden sich verständlicherweise nur indirekte Belege und selbst diese nicht allzu häufig. Naturgemäß folgen die mündlichen Rechtsgeschäfte den gleichen Rechtsvorstellungen wie die schriftlichen, also dem gemeingriechischen Gewohnheitsrecht. Das griechisch-hellenistische Recht tritt uns in nennenswertem Umfang nur in den Papyri des griechisch-römischen Ägypten, in den griechischen Inschriften und in den attischen Gerichtsreden entgegen, allerdings mit unterschiedlicher Aussagekraft. Die Inschriften geben nur begrenzt zum Privatrecht Auskunft, denn allein dank des kostenträchtigen Aufwandes kamen sie für die Dokumentation rein privater Verträge nicht in Betracht. Die attischen Gerichtsreden erlauben eine Vielzahl an Einblicken in den Rechtsalltag, aber kaum in die Tätigkeit der Urkundenschreiber. Zu dieser sind die gräko-ägyptischen Papyri überlieferungsbedingt die weitgehend einzigen Quellen. Organische Schriftträger sind im außerägyptischen Raum weitgehend vermodert. Die bis zum heutigen Afghanistan reichenden, über das gesamte Alexanderreich hin verteilten Reste griechischer Urkundspraxis lassen dennoch erkennen, dass dem griechischen Archivund Urkundenwesen ein überzeugender Erfolg beschieden gewesen ist. 17 Vgl. R. CRIBIORE , Writing, teachers, and students in Graeco-Roman Egypt, Atlanta 1996, passim. 18 Vgl. dazu HENGSTL, Sprachgebrauch (s. Anm. *), sowie im Folgenden.
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Hinter diesem Erfolg steckt eine hohe Professionalität gerade der Urkundenschreiber, welche Personen, die im Abfassen von Urkunden ungeübt sind, nicht zu erreichen vermögen: Wie bereits erwähnt, bestimmt Üben den Ausbildungsgang, und in der Praxis folgen die Urkundenschreiber vor allem bewährten Mustern an Urkundstypen, -formularen und -klauseln, die sie bestens auf den Vertragszweck hin miteinander zu kombinieren vermögen. Darüber hinaus können lokale wie zeitliche Gewohnheiten in der Formulierung zum Ausdruck kommen, und sogar die Schrift oder der Sprachgebrauch kann zeitlich oder lokal typisch sein. Selbst aus heutiger Sicht ist das immer wieder dokumentierte Vermögen der Urkundenschreiber beeindruckend, und es ist grundsätzlich auszuschließen, dass in der Urkundenerrichtung ungeübte Vertragsparteien derartige Verträge zu verfassen vermocht haben. Die rein handwerksmäßige Ausbildung und Vorgehensweise der Urkundenschreiber schließt aus, dass die Schreiber eine juristische Fachterminologie benutzt haben. Wie eingangs ausgeführt, setzt eine Fachterminologie eine theoretisch reflektierte Definition der Begriffe voraus, und hieran hat es im griechisch-hellenistischen Rechtsalltag gemangelt. Das bedeutet freilich nicht, dass eine fachlich klare, anwendungsspezifische Sprache überhaupt gefehlt hat. Auch Praktiker pflegen sich genau auszudrücken, selbst wenn ihr Sprachgebrauch keinem theoretischen Überbau entspricht, wohl aber der (rechts-)sprachlichen Übung. Die Schreiber bedienen sich der griechischen koiné und verwenden dem entsprechend für tatsächlich und rechtlich gleiche oder ähnliche Sachverhalte vergleichbare Wendungen und Begriffe. Die erkennbare fachspezifische Ausbildung und Praxis der Urkundenschreiber lassen ausschließen, dass die Verfasser des Neuen Testaments eine vergleichbare Ausdrucksweise erworben haben. Nichts im Neuen Testament deutet auf einen dafür notwendigen Bildungsgang. Terminologie, Phraseologie und Bezeichnungen von Institutionen entsprechen den griechischen Zeugnissen dieser Epoche, so wie ein gebildeter Autor eben seine Sprache zu benützen vermag.
4. Der Wert der papyrologischen Quellen für die Exegese des Neuen Testaments: rechtshistorische Aspekte Die Interpretation und Illustration des Neuen Testaments mit Hilfe der griechischen Papyri ist nichts Neues. Dafür grundlegend ist der Papyrologe und Theologe Adolf Deissmann (1866–1937) gewesen. Er hat vor rund hundert Jahren die Welt des Neuen Testaments mit den Alltagszeugnissen
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des griechisch-römischen Ägypten konfrontiert, 19 und an weiteren Vergleichen hat es seither nicht gemangelt. 20 Nach den oben stehenden Ausführungen könnte man allerdings zu dem Schluss kommen, auf die rechtsspezifischen Aspekte der Sprache käme es nicht weiter an, da es an einer Rechtsterminologie im Griechischen fehlt. Diese Schlussfolgerung geht fehl: Es ist hier bereits darauf hingewiesen worden, dass die Schreiber für tatsächlich und rechtlich gleiche oder ähnliche Sachverhalte vergleichbare Wendungen und Begriffe benützen, und dem entsprechend werden im Neuen Testament die rechtsspezifischen Konnotationen des griechischen Wortbestandes verwendet um Verwaltungsorgane, Rechtsinstitute, diesbezügliche Vorgänge und dergleichen mehr zu bezeichnen. Es ist also durchaus sinnvoll, auch in rechtlicher Hinsicht den Sprachgebrauch der griechischen Papyri mit dem des Neuen Testaments zu vergleichen, zumal ein großer Teil des Papyrusmaterials Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten betrifft. Dies legt zudem nahe, nicht nur die rechtsspezifisch benutzten Wörter zu vergleichen, sondern auch ein vergleichendes Augenmerk den Sachverhalten zu schenken, in deren Schilderung sie auftreten. Einige Beispiele mögen zeigen, wie der „bloß“ technische Gebrauch von Wörtern eine gewisse Unbestimmtheit mit sich bringt und in welcher Weise administrative beziehungsweise rechtliche Gegebenheiten, die in den Papyri belegt sind, durchaus zur Erhellung von im Neuen Testament geschilderten Verhältnissen beitragen. Wer immer an den Schriften des Neuen Testaments schrieb, tat dies in der Sprache und der Form seiner Zeit; er hatte beim Schreiben nicht eigens Formularbücher oder Briefsteller vor Augen. Entsprechendes gilt für den Gebrauch rechtlich signifikanter Termini. Die Unschärfe der benützten Begriffe zeigt sich ständig; sie werden im Neuen Testament lediglich beschreibend, nicht technisch verwendet: Wer arbeitet, erhält Lohn (μισθός) – im Neuen Testament wie in den Papyri. 21 Das Vertragsverhältnis folgt jedoch unterschiedlichen, nämlich 19
S. A. DEISSMANN, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch römischen Welt, Tübingen 41923, passim. 20 Vgl. dazu beispielsweise New Documents Illustrating Early Christianity, hg. v. G. H. R. Horsley / (ab Vol. VI) S. R. Llewelyn, Vol. 1ff, North Ryde 1981ff; sowie vor allem P. ARZT-GRABNER, Philemon, PKNT 1, Göttingen 2003; DERS. / R. E. KRITZER / A. P APATHOMAS / F. W INTER, 1. Korinther, PKNT 2, Göttingen 2006; C. M. KREINECKER, 2. Thessaloniker. Mit einem Beitrag von G. Schwab, PKNT 3, Göttingen 2010; P APATHOMAS, Begriffe (s. Anm. 6). S. ferner die Nachweise bei ARZT -G RABNER, Philemon, 41 Anm. 14f. 21 S. z.B. einerseits Lk 10,7; Joh 4,36, andererseits beispielsweise Dienstvertrag BGU VII 1647 (129 n. Chr.); Künstlervertrag Grenf. II 67 (237 n. Chr.); Werkvertrag P.Col. Zen. II 76 (247 v. Chr. – Stücklohn); Abrechnung P.Cair.Zen. III 59326 (249 v. Chr. – Tageslohn) sowie PW II (s. Anm. *), 108, s.v. μισθός. Zu Arbeitsverhältnissen nach den gräko-ägyptischen Papyri unter rechtlichen Aspekten s. vor allem B. ADAMS, Paramoné und verwandte Texte, NKRWA 35, Berlin 1964, passim; J. HENGSTL, Private Arbeits-
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den jeweils lokal maßgebenden Rechtsordnungen. Der gleiche Begriff beschreibt also lediglich vergleichbare Umstände, nicht aber identische Rechtsinstitute. Entsprechendes gilt für ἀναχωρεῖν und ἀναχώρησις. Verbum und Substantiv bezeichnen in den Papyri vor allem die Flucht vor Ansprüchen des Staates, wie Abgabenforderungen 22 – nach Mt 4,12 entzieht Jesus sich schlicht dem Zugriff der Behörden. Demgegenüber stehen die von Jesus Lk 11,31–53 gebrauchten Wörter „Urteil“ (κρίσις), 23 „verurteilen“ (κατακρίνειν) 24, „durchsuchen“ (ἐκζητεῖν) 25 und „Advokaten“ (νομικοί) 26 in keinem rechtlichen Zusammenhang und erlauben daher keinerlei Rückschluss auf irgendeine Rechtsordnung. Das Gleiche gilt sogar für die in Phlm 6f bzw. 17 auftretenden Wörter πίστις „Treue; Zuverlässigkeit (u.a.)“ und κοινονός „Geschäftsteilhaber; Gesellschafter“. Beide sind in den Papyri bestens in rechtsspezifischem Sinne belegt, haben in Phlm hingegen überhaupt keinen rechtlichen Bezug. 27 Die mangelnde Technizität der Begriffe wird ferner beispielsweise an dem Wort πόλις deutlich. Πόλις bezeichnet in den Papyri die nach griechischem polis-Muster organisierten poleis Alexandria, Naukratis und Ptoverhältnisse freier Personen in den hellenistischen Papyri bis Diokletian, Bonn 1972, passim (zu μισθός s. a.a.O. 106, sowie D. B EHREND, Attische Pachturkunden. Ein Beitrag zur Beschreibung der μίσθωσις nach den griechischen Inschriften, München 1970, 29). 22 Nachweise zum Wort s. PW I (s. Anm. *), 113, s.v. ἀναχώρησις, s. ferner vor allem N. LEWIS, Μερισμὸς ἀνακεχωρηκότων: an aspect of the Roman oppression in Egypt, JEA 23 (1937), 63–75 (abgedruckt in: DERS., On Government and Law in Roman Egypt. Collected Papers of Naphtali Lewis, hg. v. A. E. Hanson, ASP 39, Alpharetta 1995, 1–75); DERS., A reversal of a tax policy in Roman Egypt, GRBS 34 (1993), 101–118 (abgedruckt a.a.O. 357–374). 23 Zu κρίσις s. PW I (s. Anm. *), 839f, s.v.; ferner H. J. WOLFF, Das Justizwesen der Ptolemäer, MBPF 44, München 21970, 99; vgl. auch 151 Anm. 106; sowie D. KALTSAS, in: P.Heid. VIII, Anm. zu Nr. 416 Z. 18 (S. 154f). 24 Zu κατακρίνειν s. PW I (s. Anm. *), 758, s.v. κατακρίνω. 25 Zu ἐκζητεῖν s. PW I (s. Anm. *), 758, s.v. ἐκζητέω. – Zu Durchsuchungen nach den Papyri vgl. A. LUKASZEWICZ, Zur ἀναζήτησις in Diebstahlsanzeigen aus dem römischen Ägypten, in: Symposion 1985. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Ringberg, 24.–26. Juli 1985), hg. v. G. Thür, Köln/Wien 1989, 363–368. 26 Zu rechtlicher Assistenz und zu νομικοί s. B. ANAGNOSTOU-CANAS, Juge et sentence dans l’Égypte romaine, Paris 1991, 211f; DIES., L’assistance judiciaire dans l’Egypte hellénistique et romaine, in: Recueils de la Société Jean Bodin, Recueils ... LXIII: L’assistance dans la resolution des conflits. Première partie: L’Antiquité / Deuxième partie: Le monde extra-européen, Bruxelles 1996, 78f; sowie J. HENGSTL, Rechtspraktiker im griechisch-römischen Ägypten, in: Recht gestern und heute. Festschrift zum 85. Geburtstag von Richard Haase, hg. v. ders. / U. Sick, Wiesbaden 2006, 115–134 (124– 130); R. T AUBENSCHLAG, The Law of the Greco-Roman Egypt in the Light of the Papyri 332–640, Warszawa 1955, 518 (m.w.N. auf zurückliegende Literatur). 27 S. dazu PW II, 308–310 s.v. πίστις, bzw. I, 815, s.v. κοινωνία, sowie ARZTGRABNER, Philemon (s. Anm. 20), 176–180 bzw. 226–229; ferner W. SCHMITZ, Ἡ πίστις in den Papyri, Jur. Diss., Köln 1963, passim.
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lemais sowie später Antinoopolis, des Weiteren die – rechtlich Dörfern (κώμαι) gleichstehenden – Verwaltungssitze der einzelnen Gaue („Gaumetropolen“), letztere auch umgangssprachlich im Sinne des Gegensatzes „Stadt und Land“, und das ebenso hinsichtlich von Alexandria und der ägyptischen Chora. Im Neuen Testament wird mehrfach der Ort Betsaida genannt und sowohl als πόλις wie als κώμη bezeichnet. 28 Tatsächlich hat der regionale Herrscher Philippus Betsaida um 30 n. Chr. zur polis erhoben, um gegenüber den umliegenden Orten ein Mehr an Rechten zum Ausdruck zu bringen. Was über die Bezeichnung hinaus den polis-Charakter ausgemacht haben könnte, ist ungewiss. Die bislang feststellbaren Einrichtungen decken sich auf jeden Fall nicht mit dem, was an Bürgerrecht, Einrichtungen der Selbstverwaltung und an städtebaulichen Gegebenheiten die poleis im ptolemäisch-römischen Ägypten und erst recht zuvor die im griechisch-hellenistischen Bereich ausgezeichnet hat. 29 Aber der erwähnte Wechsel zwischen den Bezeichnungen polis und kome lässt vermuten, dass schon die Zeitgenossen keineswegs den Eindruck einer griechisch geprägten polis hatten. Wie bereits erwähnt, helfen die Papyri auch in administrativer und in rechtshistorischer Hinsicht sonst nicht oder nicht ohne weiteres nachvollziehbare Lebenssachverhalte aufzuhellen, welche den Hintergrund der Aussagen Jesu, seiner Wunder und seiner Gleichnisse sowie der Apostelbriefe bilden. Dem Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner, der dem von Räubern Niedergeschlagenen hilft, lassen sich die Nachrichten von der – mangelhaften – öffentlichen Sicherheit im griechisch-römischen Ägypten gegenüberstellen. 30 Landarbeit, Rechnungswesen und Gutsbetrieb werden im umfangreichen gräko-ägyptischen Material weit plastischer vor Augen geführt als im Neuen Testament. 31 Das Thema „Schulden und Schuldentil28
Lk 9,10 und Joh 1,44 bzw. Mk 8,22f.26. Zu Betsaida s. C. COLPE, Bethsaida, DNP 2 (1997), 596f s.v.; S. FORTNER, Betsaida/Iulias in hellenistisch-römischer Zeit – Von der komé zur pólis des Philippus, in: Leben am See Gennesaret. Kulturgeschichtliche Entdeckungen in einer biblischen Region, hg. v. G. Fassbeck, Sonderbände der Antiken Welt, Mainz 2003, 104–109.203f. 29 Zur polis s. beispielsweise P. J. RHODES, Polis II, DNP 10 (2001), 23–26, s.v. Die sonstige, höchst umfangreiche Literatur zur polis hier aufzuführen besteht kein Anlass. 30 S. einerseits Lk 10,30–37, andererseits z.B. SB XXIV 15970. Zur alltäglichen Gewalt in Ägypten s. beispielsweise R. ALSTON, Violence and Social Control in Roman Egypt, in: Proceedings of the 20th International Congress of Papyrologists. Copenhagen, 23–29 August 1992, hg. v. A. Bülow-Jacobsen, Kopenhagen 1994, 517–521; H.-J. DREXHAGE , Eigentumsdelikte im römischen Ägypten (1.–3. Jh. n. Chr.): Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte, ANRW II 10.1 (1988), 952–1004. 31 Vgl. einerseits z.B. Mk 12,1–12, andererseits D. RATHBONE , Economic Rationalism and Rural Society in third-Century A.D. Egypt, Cambridge Classical Studies, Cambridge 1991, passim; M. SCHNEBEL, Die Landwirtschaft im hellenistischen Ägypten, Bd. 1, München 1925, passim.
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gung“ findet sich im Neuen Testament durchaus; in den Papyri hingegen ist es allgegenwärtig. 32 Dies gilt auch für das Abgabenwesen. Im Neuen Testament spiegelt es sich in jener berühmten Schätzung, welche den Anlass zu Jesu Geburt in Bethlehem gegeben und der Vorbereitung der Steuererhebung gedient hat, sowie im negativen Bild der Zöllner. Papyri und Ostraka zeichnen ein buntes Bild von der Vielfalt der Abgaben (vor allem durch Steuerquittungen), des diesbezüglichen Verwaltungswesens und den als Basis der Besteuerung dienenden Deklarationen. 33 Eigentumsdeklarationen sind bereits aus dem ptolemäischen Ägypten bestens belegt. Augustus schuf dann ein System regelmäßiger, zunächst in 7-jährigem Rhythmus vorzunehmender „Schätzungen“, von denen die erste wohl 11/10 v. Chr. stattgefunden hat. 34 Rechtliche und administrative Aspekte enthält auch die Erzählung vom Hauptmann von Kapernaum, der Jesus eindringlich bittet, seinen gichtbrüchigen Sklaven zu heilen. 35 Die Papyri und andere Zeugnisse zeigen, dass Offiziere auch sonst – freie oder unfreie – „Burschen“ hatten; sie zeigen, dass gewöhnliche Leute, wenn überhaupt, kaum mehr als einen Sklaven oder eine Sklavin besaßen, und sie lassen erkennen, dass es durchaus gefühlsmäßige Bindungen zwischen Eigentümer und Unfreien gab. 36 Welche Aufgaben der Hauptmann von Kapernaum hatte, wäre wissenswert. Kapernaum war kein Garnisonsort, und der „Hauptmann“ war folglich nicht
32 Vgl. einerseits Mt 18,21–35; ferner B. W EBER , Schulden erstatten – Schulden erlassen. Zum matthäischen Gebrauch einiger juristischer und monetärer Begriffe, ZNW 83 (1992), 253–256, und andererseits S. OMAR, in: ders. (Hg.), P. Soterichos, Opladen 1979, 18–23; B. TENGER, Die Verschuldung im römischen Ägypten (1.–2. Jh. n. Chr.), Pharos. Studien zur griechisch-römischen Antike 3, St. Katharinen 1993, passim. 33 S. einerseits Lk 2,1–3 bzw. zu den Zöllnern z.B. Lk 7,34 sowie F. H ERRENBRÜCK, Jesus und die Zöllner, Tübingen 1990, passim; andererseits zur Vielfalt der Abgaben S. L. W ALLACE, Taxation in Egypt from Augustus to Diocletian, Princeton 1938, passim, und beispielsweise SB XXIV 16185 (Soknopaiu Nesos. 24. Oktober 150 n. Chr.) . – Eine das Abgabenwesen einschließlich der zuständigen Verwaltungsinstanzen erfassende Gesamtdarstellung gibt es bezeichnenderweise bislang nicht. 34 S. R. S. B AGNALL, The Beginnings of the Roman Census in Egypt, GRBS 32 (1991), 261f; ferner DERS. / B. W. FRIER, The Demography of Roman Egypt, Cambridge u.a. 1994, 2–5. Neben Zensusbelegen (z.B. SB XX 14440; 12 n. Chr. mit Hinweisen auf frühere Schätzungen) ist auch die Anordnung der Rückkehr in den Heimatort zum Zwecke der Schätzung belegt (Edikt des praefectus Aegypti; P.Lond. III 904, 104 n. Chr.). 35 Mt 8,5–13; Lk 7,1–10. 36 Zu derartigen Gehilfen s. P.Ent. 48 (Ende 218 v. Chr.), ferner M. A. SPEIDEL, Die römischen Schreibtafeln von Vindonissa, Brugg 1996, 53f; zu Sklaven in den Haushalten des römischen Ägypten s. B AGNALL/FRIER, Demography (s. Anm. 34), Index s.v. „slave“.
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Angehöriger einer dort stationierten Truppe, sondern offenbar ein centurio, wie er in den Papyri als örtliches Polizeiorgan erscheint. 37 Mitunter sind es jedoch schlicht rechtliche Gesichtspunkte, welche den Sinn einer neutestamentlichen Stelle erklären. Erst die Papyri erhellen, dass Gott den als arrha bezeichneten Geist nicht, wie Martin Luther für 2Kor 5,5 übersetzt hat, als Pfand, mithin als Haftungsobjekt gegeben hat, sondern als die Abmachung zwischen Gott und Mensch gültig machendes Moment. 38 Auch das Gleichnis vom ungerechten Verwalter (Lk 16,1–8) erhält vermöge der Papyri eine plausible Erklärung: Vom Hinauswurf aus seiner Stellung bedroht, stellt dieser den Schuldnern seines Herrn neue Schuldurkunden aus, mindert darin die Schulden und erlangt damit das Lob seines Herrn. Das auf den ersten Blick merkwürdige Geschehen scheint auf der Praxis zu beruhen, Darlehen ausdrücklich als „unverzinslich“ zu gewähren, tatsächlich aber den Zins unter Umgehung jeglicher Zinsbegrenzung in die Darlehenssumme einzukalkulieren. Erst die Reduzierung macht die Verträge „gerecht“, und eben das billigt der rechtlich denkende Herr. 39
5. Begleittexte Die nachfolgenden Texte sollen zum einen die Vergleichsmöglichkeiten zwischen NT und Papyri andeuten (Nr. 1–4), zum anderen das sachgerechte und keineswegs schlichte Ausdrucksvermögen der Urkundenschreiber illustrieren (Nr. 2; 5). Die abgedruckten Kommentare dienen dem umfassenden Verständnis der Texte und gehen daher über das im hier gegebenen Zusammenhang Notwendige hinaus. Auf Literaturangaben und weitergehende Verweise ist jedoch verzichtet worden. 5.1. Philemonbrief 40 1
Παῦλος δέσμιος Χριστοῦ Ἰησοῦ καὶ Τιμόθεος ὁ ἀδελφὸς Φιλήμονι τῷ ἀγαπητῷ καὶ συνεργῷ ἡμῶν 2 καὶ Ἀπφίᾳ τῇ ἀδελφῇ καὶ Ἀρχίππῳ τῷ συστρατιώτῃ ἡμῶν καὶ τῇ κατ᾽ οἶκόν σου ἐκκλησίᾳ, 3 χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ θεοῦ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου Ἰησοῦ
37 Vgl. dazu R. A LSTON, Soldier and Society in Roman Egypt, London/New York 1995, 86–96. 38 Vgl. K. ERLEMANN, Der Geist als ἀρραβών (2Kor 5,5) im Kontext der paulinischen Eschatologie, ZNW 83 (1992), 202–221; G. T HÜR, Arra, Arrabon, DNP 2 (1997), 23f. 39 Eingehend dazu J. H ERRMANN, Rechtsgeschichtliche Überlegungen zum Gleichnis vom ungerechtfertigten Verwalter (Luk. 16. 1–8), TR 38 (1970), 389–402 (abgedruckt in: DERS., Beiträge zur Rechtsgeschichte, hg. v. G. Schiemann, München 1990, 337–350). 40 Text nach Nestle/Aland, Novum Testamentum Graece, Münster 27 2001; Übersetzung nach ARZT-GRABNER, Philemon (s. Anm. 20). Der Kommentar beruht auf P. Arzt-Grabners Ausführungen.
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Χριστοῦ. 4 Εὐχαριστῶ τῷ θεῷ μου πάντοτε μνείαν σου ποιούμενος ἐπὶ τῶν προσευχῶν μου, 5 ἀκούων σου τὴν ἀγάπην καὶ τὴν πίστιν, ἣν ἔχεις πρὸς τὸν κύριον Ἰησοῦν καὶ εἰς πάντας τοὺς ἁγίους, 6 ὅπως ἡ κοινωνία τῆς πίστεώς σου ἐνεργὴς γένηται ἐν ἐπιγνώσει παντὸς ἀγαθοῦ τοῦ ἐν ἡμῖν εἰς Χριστόν. 7 χαρὰν γὰρ πολλὴν ἔσχον καὶ παράκλησιν ἐπὶ τῇ ἀγάπῃ σου, ὅτι τὰ σπλάγχνα τῶν ἁγίων ἀναπέπαυται διὰ σοῦ, ἀδελφέ. 8 Διὸ πολλὴν ἐν Χριστῷ παρρησίαν ἔχων ἐπιτάσσειν σοι τὸ ἀνῆκον 9 διὰ τὴν ἀγάπην μᾶλλον παρακαλῶ, τοιοῦτος ὢν ὡς Παῦλος πρεσβύτης νυνὶ δὲ καὶ δέσμιος Χριστοῦ Ἰησοῦ· 10 παρακαλῶ σε περὶ τοῦ ἐμοῦ τέκνου, ὃν ἐγέννησα ἐν τοῖς δεσμοῖς, Ὀνήσιμον, 11 τὸν ποτέ σοι ἄχρηστον νυνὶ δὲ [καὶ] σοὶ καὶ ἐμοὶ εὔχρηστον, 12 ὃν ἀνέπεμψά σοι, αὐτόν, τοῦτ᾽ ἔστιν τὰ ἐμὰ σπλάγχνα· 13 ὃν ἐγὼ ἐβουλόμην πρὸς ἐμαυτὸν κατέχειν, ἵνα ὑπὲρ σοῦ μοι διακονῇ ἐν τοῖς δεσμοῖς τοῦ εὐαγγελίου, 14 χωρὶς δὲ τῆς σῆς γνώμης οὐδὲν ἠθέλησα ποιῆσαι, ἵνα μὴ ὡς κατὰ ἀνάγκην τὸ ἀγαθόν σου ᾖ ἀλλὰ κατὰ ἑκούσιον. 15 Τάχα γὰρ διὰ τοῦτο ἐχωρίσθη πρὸς ὥραν, ἵνα αἰώνιον αὐτὸν ἀπέχῃς, 16 οὐκέτι ὡς δοῦλον ἀλλ᾽ ὑπὲρ δοῦλον, ἀδελφὸν ἀγαπητόν, μάλιστα ἐμοί, πόσῳ δὲ μᾶλλον σοὶ καὶ ἐν σαρκὶ καὶ ἐν κυρίῳ. 17 εἰ οὖν με ἔχεις κοινωνόν, προσλαβοῦ αὐτὸν ὡς ἐμέ. 18 εἰ δέ τι ἠδίκησέν σε ἢ ὀφείλει, τοῦτο ἐμοὶ ἐλλόγα. 19 ἐγὼ Παῦλος ἔγραψα τῇ ἐμῇ χειρί, ἐγὼ ἀποτίσω· ἵνα μὴ λέγω σοι ὅτι καὶ σεαυτόν μοι προσοφείλεις. 20 ναὶ ἀδελφέ, ἐγώ σου ὀναίμην ἐν κυρίῳ· ἀνάπαυσόν μου τὰ σπλάγχνα ἐν Χριστῷ. 21 Πεποιθὼς τῇ ὑπακοῇ σου ἔγραψά σοι, εἰδὼς ὅτι καὶ ὑπὲρ ἃ λέγω ποιήσεις. 22 ἅμα δὲ καὶ ἑτοίμαζέ μοι ξενίαν· ἐλπίζω γὰρ ὅτι διὰ τῶν προσευχῶν ὑμῶν χαρισθήσομαι ὑμῖν. 23 Ἀσπάζεταί σε Ἐπαφρᾶς ὁ συναιχμάλωτός μου ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, 24 Μᾶρκος, Ἀρίσταρχος, Δημᾶς, Λουκᾶς, οἱ συνεργοί μου. 25 Ἡ χάρις τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ μετὰ τοῦ πνεύματος ὑμῶν. 1
Paulus, Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, an Philemon, den Geliebten und Mitarbeiter von uns 2 und an Apphia, die Schwester, und Archippus, unseren Mitsoldaten, und an die Gemeinde, die sich in Deinem Haus trifft, 3 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. 4 Ich danke meinem Gott allzeit, wenn ich die Erinnerung an dich verrichte bei meinen Gebeten, 5 da ich höre von Deiner Liebe und Treue, die du hast gegenüber dem Herrn Jesus und gegenüber allen Heiligen, 6 damit die Gemeinschaft deines Glaubens wirksam wird in der Erkenntnis alles Guten, das in uns auf Christus hin ist. 7 Ich hatte nämlich viel Freude und Trost bei deiner Liebe, weil die Herzen der Heiligen Erholung gefunden haben durch dich, Bruder. 8 Deswegen, obwohl ich in Christus viel Freimut habe, dir das aufzutragen, was das Übliche ist, 9 bitte ich mehr aufgrund der Liebe, der ich so bin, als Paulus, ein Alter, jetzt aber auch ein Gefangener Christi Jesu. 10 Ich bitte Dich für mein Kind, den ich in Ketten gezeugt habe, Onesimos, 11 den einmal für Dich unbrauchbaren, nun aber sowohl für Dich als auch für mich gut brauchbaren, 12 den ich zu dir schicke, ihn, das ist mein Herz, 13 den ich bei mir zurückhalten wollte, damit er für dich mir dient in den Ketten des Evangeliums, 14 aber ohne deine Kenntnis wollte ich nichts unternehmen, damit nicht wie aus Zwang dein Gutes geschieht, sondern aus Freiwilligkeit. 15 Vielleicht ist er nämlich deswegen weggegangen für eine Zeit, damit du ewig ihn bekommst, 16 nicht mehr als Sklaven, sondern über einen Sklaven hinaus, als geliebten Bruder, am meisten mir, wieviel mehr dir sowohl im Fleisch als auch im Herrn. 17 Wenn du mich als Partner hast, nimm ihn auf wie mich! 18 Und wenn er dir ein Unrecht getan hat oder etwas schuldet, schreib das mir auf die Rechnung. 19 Ich, Paulus, schreibe mit meiner Hand, ich werde es zurückzahlen; um nicht zu dir zu sagen, dass auch du dich mir schuldest. 20 Ja, Bruder, ich möchte an dir einen Nutzen haben im Herrn: lass mein Herz Erholung finden im Herrn. 21 Im Vertrauen auf Deinen Gehorsam schreibe ich Dir, wissend, dass du auch über das hinaus, was ich sage, handeln wirst. 22 Zugleich aber halte mir auch ein Gästezimmer bereit, denn ich hoffe, dass ich durch Eure Gebete Euch geschenkt wer-
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den werde. 23 Es grüßt Dich Epaphras, mein Mithäftling in Christus Jesus, 24 Markus, Aristarchos, Demas, Lukas, meine Mitarbeiter. 25 Die Gnade des Herrn Jesus Christus mit Eurem Geist.
Der Philemon-Brief ist der einzige der paulinischen Briefe, der nach Umfang und Inhalt in seiner vorliegenden Form einer Vielzahl von Papyrusbriefen entspricht. Er wirkt deshalb sehr authentisch. Formal ist er ein Empfehlungsbrief, wie er sich in den Papyri mannigfach findet (vgl. Nr. 5.6). Sachlich geht es um die verzeihende Aufnahme des dem Philemon entlaufenen Sklaven Onesimos, zu dessen Gunsten eine Reihe von Verzeihensgründen vorgebracht werden. Das Interesse hier beansprucht der Text freilich nur, weil Paulus stellenweise Begriffe benützt, welche sich gerade in Lehrlingsverträgen der griechischen Papyri Ägyptens und eben in Verträgen über Weberlehre finden. 41 Nichts könnte besser den Wert der griechischen Papyri Ägyptens für die Exegese des Neuen Testaments veranschaulichen. 5.2. Lehrlingsvertrag 42 P.Oxy. IV 725 (mit BL I und III), Oxyrhynchos, 182 n. Chr. [Ὁμολογοῦσιν ἀλλήλοις Ἰσ]χυρίων Ἡραδίωνος [μητρὸς . . . . . . . . . . ἀπʼ Ὀξυ]ρύγχων πόλεως καὶ [Ἡρακλᾶς Σαραπίωνος το]ῦ καὶ Λέοντος Ἡρακλεί δ[ο]υ μ̣[ητρὸς ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ἀπὸ] τῆς αὐτῆς πόλεως 5 [γέρ]διο[ς ὁ μὲν Ἰσχυρίων ἐκ]δεδόσθαι τῷ Ἡρα[κλᾷ] τὸν το[ῦ μετηλλαχότος αὐτοῦ] ἀδελφο ῦ [υἱ]ὸν Θῶν[ιν ἀ]φήλ[ικα π]ρὸς [μ]άθησιν τῆς δηλ[ο]υμένης [τέ]χνης ἀπὸ νεομη[νίας τοῦ] ἑξῆς μ[η]νὸς Φαῶφ[ι] ἐπὶ χρόνον ἔτη πέ[ντε, κ]αὶ παρ10 έξει αὐτὸν προσεδρεύοντα τῷ διδασκάλῳ ἐπὶ τὸν δηλο[ύμε]νον χρ[ό]νον καθʼ ἑκάστην ἡμέραν ἀπὸ ἀν[ατολῆς] ἡ[λίου] μέχρι δύσεως, ποιοῦντα πάντ[α τὰ ἐπιτραπ]ησόμενα [α]ὐτῷ ὑπὸ τοῦ αὐτοῦ δ[ιδασκάλ]ου ὡς ἐπὶ τῶν ὁμοί15 ων μαθητῶν, [τρεφόμ]ενον ὑπὸ τοῦ Ἰσχυ[ρί]ωνος. K[αὶ τὰ μὲν] πρῶτα ἔτη δύο καὶ μῆνας ἑπτὰ τοῦ τρίτου ἐνιαυτοῦ οὐδὲν δώσει ὑπὲρ μισθοῦ τοῦ παιδὸς ὁ Ἡρακλᾶς, τοῖς δὲ λοιποῖς μησὶ πέντε τοῦ αὐ41 Vgl. dazu eingehend ARZT-G RABNER , Philemon (s. Anm. 20), 66–70 u.ö.; DERS., Die Weberlehrverträge des 1. Jh.s und der Brief des Apostels Paulus an Philemon, in: Atti del XVII Congresso Internazionale di Papirologia (Napoli 19–26 maggio 1983), Napoli 1984, 71–75; DERS., Die Paulusbriefe im Licht der Alltagspapyri, ZNT 7 (2004), 22–30. 42 Text, Übersetzung und Kommentar nach H ENGSTL, Griechische Papyri (s. Anm. *), Nr. 102.
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20 τοῦ τρίτου ἐνιαυτοῦ χορηγήσει ὁ Ἡρακλᾶς ὑπὲρ μισθῶν τοῦ αὐτοῦ μαθητοῦ κατὰ μῆνα δραχμὰς δεκαδύο κ[α]ὶ τῷ τετάρτῳ ἐνιαυτῷ ὁμοίως κατὰ μῆνα ὑπὲρ μισθῶν δραχμὰς δεκαὲξ καὶ τῷ 25 πέμπτῳ ἐνιαυτῷ ὁμοίως κατὰ μῆνα δραχμὰς εἴκοσι τέσσαρας, καὶ κατασκευάσει ὁ Ἡρακλᾶς τῷ αὐτῷ μαθητῇ τῷ μὲν ἐνεστῶτι τετάρτῳ καὶ εἰκοστῷ ἔτει χ[ι]τῶνα ἄξιον δραχμῶν δεκαέξ, τῷ [δὲ] 30 ἰσιόντι κε (ἔτει) ἕτερον χιτῶνα ἄξιον δ[ρα-] χμὴν εἴκοσι, καὶ [τ]ῷ κϛ (ἔτει) ὁμοίως ἄλλο[ν] χιτῶ[ν]α ἄξιον δραχμῶν εἴ[κ]οσι τε[σσάρων,] κ[α]ὶ τῷ κζ (ἔτει) ἄλλον χιτῶνα [ἄ]ξιον δ[ραχμῶν] εἴκοσι ὀκτώ, καὶ τῷ κη (ἔτει) ὁμοίως ἄλλ[ον] χιτῶ35 να ἄξιον δραχμῶν τριάκοντα δύο. Ἀργήσει δὲ ὁ παῖς εἰς λόγον ἑορτῶν κατʼ ἔτος ἡμέρας εἴκοσι, οὐδενὸς ἐκκρουομένου τ[ῶ]ν μισθῶν τούτων ἀφʼ οὗ χρόνου ἐὰν χορηγηθῇ μισθός, ἐὰν δὲ πλείονας τού40 των ἀργήσῃ [ἢ ἀσ]θενήσῃ ἢ ἀτακτήσῃ ἢ διʼ ἄλλην τιν[ὰ αἰ]τίαν ἡμέρας ἐπὶ τὰς [ἴσ]ας ἐπάναγκε[ς] παρέξει αὐτὸν ὁ Ἰσχυρίων τῷ διδασκά[λ]ῳ ἡμέρας παραμένοντα καὶ ποιοῦντ[α] πάντα καθὼς πρόκειται 45 χωρὶς μισθοῦ, τρεφόμενον ὑπὸ τοῦ αὐτοῦ Ἰσχυρίωνος, διὰ τὸ ἐπὶ τούτοις ἑστάσθαι. Ὁ [δ]ὲ Ἡρακλᾶς εὐδοκῶν τούτοις πᾶσι καὶ ἐκδειδάξειν τὸν μαθητὴν τὴν δηλουμένην τέχνην ἐν τῷ πενταετῖ χρόνῳ 50 καθὼς καὶ αὐτὸς ἐπίσταται καὶ χορηγήσειν τοὺς μηνιαίους μισθοὺς καθὼς πρόκειτα[ι] ἀπὸ τοῦ ὀγδόου μηνὸς τοῦ τρίτου ἐνιαυτοῦ. Καὶ μὴ ἐξεῖναι μηδενὶ αὐτῶν παραβαίνειν τι τῶν προκειμένων ἢ ὁ παραβὰς 55 ἐκτείσι τῷ ἐνμένοντι ἐπιτείμου δραχμὰς ἑκατὸν καὶ εἰς τὸ δημόσιον τὰς ἴσας. Κύριον τὸ ὁμολόγημα. (Ἔτους) κδ Αὐτοκράτορος Καίσαρος Μάρκου Αὐρηλίου Κομμόδου Ἀντωνίνου Σεβαστοῦ Ἀρμενιακοῦ Μηδικοῦ Παρθικοῦ 60 Σαρματικοῦ Γερμανικοῦ Μεγίστου Θὼθ κε. (2. Hd.) Ἡρακλᾶς Σαραπ(ίωνος) τοῦ κ(αὶ) Λέοντος τέθειμαι τὸ ὁμολόγημα καὶ εὐδοκῶ πᾶσι τοῖς προκ(ειμένοις). Θῶνις ὁ κ(αὶ) Μωροῦς Ἁρθώνιος ἔγραψ[α] ὑπὲρ αὐ(τοῦ) μὴ εἰδ(ότος) γράμμ(ατα). 30 ἰσιόντι l. εἰσιόντι; 55 ἐνμένοντι ἐπιτείμου l. ἐμμένοντι ἐπιτίμου
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Es anerkennen gegenseitig Ischyrion, Sohn des Heradion, seine Mutter ist ..., aus der Stadt Oxyrhynchos, und Heraklas, der Sohn des Sarapion, auch Leon genannt, des Herakleides Sohn, seine Mutter ist ..., aus der gleichen Stadt, Weber, einerseits Ischyrion, er habe seines verstorbenen Bruders minderjährigen Sohn Thonis dem Heraklas ausgehändigt zum (Zwecke) der Lehre des besagten Handwerkes ab Beginn des kommenden Monats Phaophi für die Zeit von fünf Jahren und er wird ihn stellen, dass er während des besagten Zeitraumes seinem Lehrherrn zu Diensten steht jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, wobei er alles tut, was ihm von seinem Lehrherrn aufgetragen wird, wie gleichartigen Lehrlingen; ernährt wird er von Ischyrion. Und die ersten zwei Jahre sowie sieben Monate des dritten Jahres wird Heraklas als Lohn des Knaben nichts geben, während der restlichen Monate eben des dritten Jahres wird Heraklas als Lohn dieses Lehrlings monatlich zwölf Drachmen und im vierten Jahr gleicherweise pro Monat als Lohn sechzehn Drachmen und im fünften Jahr gleicherweise monatlich vierundzwanzig Drachmen zahlen, und Heraklas wird diesem Lehrling im gegenwärtigen vierundzwanzigsten Jahr einen Chiton von sechzehn Drachmen Wert fertigen, im kommenden 25. Jahr einen Chiton von zwanzig Drachmen und im 26. Jahr ebenso einen Chiton von vierundzwanzig Drachmen und im 27. Jahr einen anderen Chiton von achtundzwanzig Drachmen und im 28. Jahr in gleicher Weise einen weiteren Chiton im Werte von zweiunddreißig Drachmen. Für Festtage wird der Knabe jedes Jahr zwanzig Tage fehlen, ohne Lohnabzug von jener Zeit an, ab der er Lohn erhalten wird; fehlt er mehr Tage oder ist er krank oder tut er seine Schuldigkeit nicht oder arbeitet er aus einem anderen Grunde nicht, so muß ihn Ischyrion eine gleiche Zahl von Tagen stellen, wobei er anwesend ist und alles erledigt, wie es oben geschrieben ist, ohne Lohn und ernährt von Ischyrion, weil dies so vereinbart ist. Heraklas seinerseits, er heiße dies alles gut und werde dem Lehrling das besagte Handwerk in den fünf Jahren gänzlich beibringen, wie er es selbst versteht, und die monatlichen Löhne entrichten, wie vorgesehen ab dem achten Monat des dritten Jahres. Und es soll keinem von ihnen möglich sein, gegen eine der Vereinbarungen zu verstoßen, oder der Vertragsbrüchige wird dem Vertragstreuen eine Buße von hundert Drachmen zahlen und den gleichen Betrag an die öffentliche Kasse. Der Vertrags(text) soll maßgeblich sein. Im 24. Jahr des Imperators Caesar Marcus Aurelius Commodus Antoninus Augustus Armeniacus Medicus Parthicus Sarmaticus Germanicus Maximus, am 25. Toth. (2. Hd.) Ich, Heraklas, Sohn des Sarapion, der auch Leon genannt wird, habe diesen Vertrag abgeschlossen und stimme allen oben geschriebenen Vereinbarungen zu. Ich, Thonis auch Morus genannt, Sohn des Harthonis, habe für ihn geschrieben, da er nicht schreiben kann.
In der für einige Vertragstypen in Oxyrhynchos üblichen Form der gegenseitigen Homologie vereinbaren Ischyrion und der Weber Heraklas ein Lehrverhältnis für den offenbar verwaisten Thonis. Der Wortlaut spiegelt die ambivalente Stellung des Lehrherrn: Einerseits muss er den Lehrling ausbilden, andererseits kommen ihm dessen Dienste zugute. Der Meister erhält im Gegensatz zu den Unterrichtsverträgen [s.u. Nr. 5.4] kein Entgelt für die Ausbildung, denn er zieht sich eine Arbeitskraft heran, die ihm je besser die Ausbildung, desto rascher nützt; früher oder später erbringt der Lehrling eine den Ausbildungsaufwand übersteigende Arbeitsleistung und erhält dafür ein Entgelt. Dessen Höhe richtet sich wohl nach der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Grundsätzlich empfängt der Lehrling Geldlohn, Nahrung, Kleidung und mitunter bestimmte Sonderzuwendungen, etwa Werk-
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zeug. Als Minderjähriger ist Thonis zur Zeit des Vertragsschlusses noch keine 14 Jahre. Bemerkenswert ist, dass dem Lehrling nach mehreren Verträgen ausdrücklich bezahlter Urlaub zugesichert wird. Aber selbst wenn eine solche Vereinbarung fehlt, muss der Lehrling nicht alle Tage des Jahres arbeiten, die Feiertage des Meisters werden dann auch die seinen sein, und in dem festfreudigen Ägypten wird es daran nicht mangeln. Da beide Vertragsparteien Verpflichtungen übernehmen, sichert eine wechselseitige Strafklausel die Erfüllung. 5.3. Lukian, Somn. 1 43 Ἄρτι µὲν ἐπεπαύµην εἰς τὰ διδασκαλεῖα φοιτῶν ἤδη τὴν ἡλικίαν πρόσηβος ὤν, ὁ δὲ πατὴρ ἐσκοπεῖτο µετὰ τῶν φίλων, ὃ τι καὶ διδάξαιτό µε. Τοῖς πλείστους οὖν ἔδοξε παιδεία µὲν καὶ πόνου πολλοῦ καὶ χρόνου µακροῦ καὶ δαπάνης οὐ µικρᾶς καὶ τύχης δεῖσθαι λαµπρᾶς, τὰ δ᾿ ἡµέτερα µικρὰ τε εἶναι καὶ ταχεῖάν τινα τὴν ἐπικουρίαν ἀπαιτεῖν· εἰ δέ τινα τέχνην τῶν βαναύσων τούτων ἐκµάθοιµι, τὸ µὲν πρῶτον εὐθὺς ἄν αὐτὸς ἔχειν τὰ ἀρκοῦντα παρὰ τῆς τέχνης καὶ µηκέτ᾿ οἰκόσιτος εἶναι τηλικοῦτος ὤν, οὐκ εἰς µακρὰν δὲ καὶ τὸν πατέρα εὐφρανεῖν ἀποφέρων ἀεὶ τὸ γιγνόµενον.
Ich hatte soeben meine Schulzeit beendet und war dem Knabenalter entwachsen, da beriet sich mein Vater mit seinen Freunden, was er mich sollte lernen lassen. Den meisten kam es nun vor, Bildung bedürfe vieler Mühe, langer Zeit, keines geringen Aufwandes und einer glänzenden Stellung; unsere Verhältnisse jedoch seien klein und verlangten eine rasche Beihilfe. Sollte ich aber eine Handwerkskunst erlernen, würde ich sofort von meinem Gewerbe ein genügendes Einkommen haben und meine Ernährung in diesem Alter der Familie nicht mehr zur Last fallen, ja bald würde ich auch meinen Vater mit der jeweiligen Ablieferung meiner Einnahmen erfreuen.
Die hier zitierte Stelle ist der Anfang eines der kleineren Werke des Lukian: „Über den Traum oder Das Leben Lukians“. Vorgetragen hat Lukian es in seinen reiferen Jahren gelegentlich eines Besuches in seiner Heimatstadt Samosata in Syrien, und es zeigt viel Witz. Auf den literarischen Wert kommt es hier freilich ebenso wenig an wie auf den Umstand, dass Lukian sich dann doch der Bildung und nicht dem Handwerk zugewendet hat und den Entscheidungsvorgang reizvoll schildert. Hier geht es vielmehr allein um die für eine Handwerkslehre sprechenden Gesichtspunkte, wie sie sich in den Lehrlingsverträgen dieser Zeit mehr oder minder wiederfinden.
43 Zitiert nach Die Hauptwerke des Lukian. Griechisch und deutsch, hg. und übers. v. K. Mras, München 1954. Zu dem der zweiten Sophistik angehörenden Redner und Schriftsteller Lukian (um 120–190 n. Chr.) s. H.-G. NESSELRATH, Lukianos [1], DNP 7 (1999), 493–501; zum Werk s. F. Schaumann, Peri tu enhypniu etoi bios Lukianu, KLL.SA, Weinheim 1982, 7378f.
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5.4. Vertrag über Kurzschriftunterricht 44 P.Oxy. IV 724, Oxyrhynchos, 155 n. Chr. Πα[ν]εχώτης ὁ καὶ Πανάρης τῶν κεκοσμητευκότων τῆς Ὀξυρυγχειτῶν πόλεως διὰ Γεμέλλου φίλου Ἀπολλωνίῳ σημιογράφῳ χαίρειν. συνέστησά σοι Χαιράμμωνα δοῦλον πρὸς μάθησιν σημείων ὧν ἐπίσταται ὁ υἱός σου Δι[ο]νύσιος ἐπὶ χρόνον ἔτη δύο ἀπὸ τοῦ ἐνεστῶτος μηνὸς Φαμενὼθ τοῦ 5 ὀκτωκαιδεκάτου ἔτους Ἀντωνίνου Καίσαρος τοῦ κυρίου μισθοῦ τοῦ συμπεφωνημένου πρὸς ἀλλήλους ἀργυρίου δραχμῶν ἑκατὸν εἴκοσι χωρὶς ἑορτικῶν, ἐξ ὧν ἔσχες τὴν πρώτην δόσιν ἐν δραχμαῖς τεσσαράκοντα, τὴν δὲ δευτέραν λήψη τοῦ παιδὸς ἀνειληφότος τὸ κομ̣εντάρ[ι]ον ὅλον ἐν δραχ[μ]αῖς τ[εσσ]αράκοντα, τὴν δὲ τρίτην λήψομαι ἐπὶ τέλει τοῦ χρόνου τοῦ 10 παιδὸς ἐκ παντὸς λόγου πεζοῦ γράφοντος καὶ ἀναγεινώσ[κον]τος ἀμέμπτως τὰς {δὲ} λοιπὰς δραχμὰς τεσσαράκοντα. Ἐὰν δὲ ἐντὸς τοῦ χ[ρ]όνου αὐτὸν ἀπαρτίσῃς οὐκ ἐκδέξομαι τὴν προκειμένην προθεσμ[ί]αν, οὐκ ἐξόντος μοι ἐντὸς τοῦ χρόνου τὸν παῖδα ἀποσπᾶν, παραμενεῖ δέ σ[ο]ι μετὰ [τὸ]ν χρό[νον] ὅσας ἐὰν ἀργήσῃ ἡμέρας ἢ μῆνας. (Ἔτους) ιη Αὐτοκράτορος Καίσαρος Τίτου Αἰλίου Ἁδριανοῦ 15 Ἀντωνείνου Σεβαστοῦ Εὐσεβοῦς Φαμενὼθ ε. 9 λήψομαι für λήψη (vgl. Z. 8) Panechotes, der auch Panares heißt, einer von den ehemaligen Kosmeten von Oxyrhynchos, durch seinen Freund Gemellus an Apollonios, den Kurzschriftschreiber, Gruß. Ich habe Dir meinen Sklaven Chairammon zur Erlernung der Zeichen zur Verfügung gestellt, die Dein Sohn Dionysios beherrscht, (und zwar) für die Dauer von zwei Jahren vom laufenden Monat Phamenoth des achtzehnten Jahres des Antoninus Caesar, des Herrn, für den zwischen uns vereinbarten Lohn von einhundertzwanzig Silberdrachmen, ohne Festtagsgeschenke; hiervon hast Du als erste Zahlung vierzig Drachmen (erhalten), die zweite (Rate) von vierzig Drachmen wirst Du empfangen, sobald der Junge den ganzen ,Kommentarʻ durchgearbeitet hat, die dritte aber, nämlich die restlichen vierzig Drachmen, wirst Du am Ende der Zeit erhalten, wenn der Knabe jeden Alltagstext fehlerfrei schreiben und lesen gelernt hat. Wenn Du ihn aber innerhalb der Zeit ausbildest, werde ich die vorgenannte Frist nicht abwarten; es soll mir nicht erlaubt sein, vorzeitig den Sklavenjungen aus der Lehre zu nehmen, und er wird bei Dir bleiben nach dieser Zeit soviele Tage oder Monate, wie er versäumt hat. Im 18. Jahr des Imperator Titus Aelius Hadrianus Antoninus Augustus Pius, am 5. Phamenoth.
Der vorliegende Vertrag ist einer der ältesten Belege für die griechische Tachygraphie, wie man die antike Kurzschrift zur Unterscheidung von der modernen Stenographie nennt. Panechotes, vertreten durch Gemellus, „übergibt“ seinen Sklaven Chairammon dem Tachygraphen Apollonios zur Kurzschriftlehre. Dass auch Sklaven eine Ausbildung erhalten, ist in Ägypten keine Seltenheit, bemerkenswert und nicht erklärbar an unserem Vertrag ist, dass Apollonios zwar Vertragspartner ist, sein Sohn aber den 44
Text, Übersetzung und Kommentar nach HENGSTL, Griechische Papyri (s. Anm. *), Nr. 100.
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Unterricht erteilen soll, denn auf dessen Kenntnis wird abgestellt (Z. 3f). Vielleicht aber gibt diese Wendung das Lernziel an: Man stellt auf die Kenntnisse einer bestimmten Person ab – nicht auf die des erfahrenen und geübten Lehrers, sondern auf die seines gleichfalls der Schnellschrift kundigen Sohnes. Die merkwürdige Formulierung könnte also damit zusammenhängen, dass die nach dem Vorbild der römischen Schnellschrift (Tironische Noten) geschaffene griechische Tachygraphie noch auf kein hohes Alter zurückblickt. Denkbar wäre, dass es folglich an einem eindeutigen Berufsbild mangelt, auf welches sich als Maßstab verweisen ließe. Das Fragment eines weiteren, etwa derselben Zeit entstammenden, gleichartigen Vertrags unterstreicht aber, was bereits die Bezeichnung des Lehrmeisters vermuten lässt: So unbekannt kann der Beruf des Stenographen schon nicht mehr gewesen sein. Die Ratentermine werden nämlich in fast gleichen Worten festgelegt. Das Alter des Berufsbilds macht also keine Schwierigkeiten. Grund der Formulierung wird daher schlicht die Schwierigkeit sein, den geistigen Lernerfolg nachvollziehbar zu fixieren. Der Lohn des Ausbilders ist nicht gering, denn für 120 Drachmen ließen sich zu der Zeit unter Umständen ein Kamel oder eine Eselin erwerben. Die Zahlungsweise orientiert sich am Unterrichtserfolg: Der Schüler lernt zunächst die Zeichen für die Vokale und Silben (συλλαβαί), dann die Kürzel für die Endungen (πτώσεις) und für ganze Worte (μονόβολα); den Abschluss bildet der „Kommentar“, der auf dem zuvor Erlernten aufbaut und (so ein in Halle aufbewahrtes Lehrbuch) rund 800 Zeichengruppen enthält, mit denen jeweils kurze Sätze oder Begriffe ausgedrückt werden. Die Mitte jeder Gruppe bildet ein den syllabai, ptoseis oder monobola entnommenes Zeichen, um das vier kleinere tachygraphische Zeichen stehen. Sie entsprechen den Endungen von vier Wörtern und müssen im Uhrzeigersinn gelesen werden, später kommt die Durchkreuzung zur Darstellung einer fünften Bedeutung hinzu. Ein wohldurchdachter Aufbau erleichtert das Erlernen dieses Systems. Nach dem Erarbeiten dieses Kommentars wird Panechotes die zweite Rate des Unterrichtsgeldes zahlen, die dritte Rate dann, wenn Chairammon für die Anforderungen des Alltags ausgebildet ist. Die Zahlung eines Lehrgeldes ist eine Eigenheit der nur selten überlieferten Unterrichtsverträge. Nach ihnen übernimmt der Lehrer, jemandem Kenntnisse beizubringen, ohne hieraus Nutzen ziehen zu können, während in einem Lehrverhältnis der Meister zunehmend von den Diensten des Lehrlings profitiert. Dementsprechend wird der Unterricht vergütet, während der Lehrmeister häufig seinerseits Lohn zahlt. Damit dem Lehrer nicht die Vollendung der Ausbildung unmöglich gemacht und als Folge sein Anspruch auf das Unterrichtsgeld vereitelt wird, ist es dem Vertragspartner untersagt, den Auszubildenden vorzeitig wegzunehmen; auch muss dieser Fehlzeiten nachholen.
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5.5. Privatbrief anlässlich einer Christenverfolgung 45 P.Grenf. II 73 (mit BL II), Große Oase, 3./4. Jh. n. Chr. Ψενοσίρι πρεσβ[υτέ]ρῳ Ἀπόλλωνι πρεσβυτέρῳ ἀγαπητῷ ἀδελφῷ ἐν κ(υρί)ῳ χαίρειν. Πρὸ τῶν ὅλων πολλά σε ἀσπά5 ζομαι καὶ τοὺς παρὰ σοὶ πάντας ἀδελφοὺς ἐν θ(ε)ῷ. Γινώσκειν σε θέλω, ἄδελφε, ὅτι οἱ νεκροτάφοι ἐνηνόχασιν ἐνθάδε εἰς Τοετὼ τὴν Πολιτικὴν τὴν 10 πεμφθεῖσαν εἰς Ὄασιν ὑπὸ τῆς ἡγεμονίας. Καὶ [τ]αύτην παραδέδωκα τοῖς καλοῖς καὶ πιστοῖς ἐξ αὐτῶν τῶν νεκροτάφων εἰς τήρησιν, ἔστʼ ἂν ἔλ15 θῃ ὁ υἱὸς αὐτῆς Νειλος. Καὶ ὅταν ἔλθῃ σὺν θεῷ, μαρτυρήσι σοι, περὶ ὧν αὐτὴν πεποιήκασιν. Δ[ή]λω[σ]ον [δέ] μοι κ[αὶ σὺ] περὶ ὧν θέλεις ἐνταῦ20 θα ἡδέως ποιοῦντι. ’Ερρῶσθαί σε εὔχομαι ἐν κ(υρί)ῳ θ(ε)ῷ. verso Ἀπόλλωνι Χ παρὰ Ψενοσίριο[ς] πρεσβυτέρῳ Χ πρεσβυτέρου ἐν κ(υρί)ῳ.
Presbyter Psenosiris dem Presbyter Apollon, dem geliebten Bruder im Herrn, Gruß. Vor allem grüße ich Dich vielmals und alle bei Dir befindlichen Brüder in Gott. Wissen lassen möchte ich Dich, Bruder, dass die Totengräber hierher nach Toeto die Politike gebracht haben, die von der Regierung in die Oase verschickt wurde, und ich habe sie den Guten und Zuverlässigen unter den Totengräbern in Obhut gegeben, bis ihr Sohn Neilos kommt. Und sobald er kommt mit Gott, wird er Dir bezeugen was sie an ihr getan haben. Gib aber auch Du mir Nachricht über das, was Du hier (getan haben) möchtest, ich tue es gern. Ich wünsche Dir Wohlergehen in Gott dem Herrn. Apollon X von Psenosiris, dem Presbyter X, dem Presbyter im Herrn.
1 Ψενοσίρι πρεσβ[υτέ]ρῳ für Ψενοσῖρις πρεσβύτερος
Diesen oft erörterten und der Schrift nach in die Wende des 3. zum 4. Jh. datierenden Text darf man nach dem Ton, seinem Inhalt, den geschilderten Umständen und dem archivalischen Zusammenhang nach einem christlichen Umfeld und der Zeit der diokletianischen Christenverfolgungen zuweisen. Wendungen wie „Bruder im Herrn“ (Z. 2f), „mit Gott“ (Z. 6) und die aus Bibelhandschriften bekannten Abkürzungen Κω und Θω für Κυρίῳ und Θεῷ kennzeichnen Schreiber wie Empfänger des Briefs als Christen. Dass die beiden Priesterämter bekleiden, muß angesichts der Mehrdeutigkeit des Wortes πρεσβύτερος eine Hypothese bleiben. Aber das christliche Umfeld wie die zum Ausdruck kommende Fürsorge deuten darauf hin, und der gleichfalls mit πρεσβύτερος (sc. κώμης) bezeichnete Dorfälteste verschwindet eben zum Ende des 3. Jh. n. Chr. Die Entstehungszeit ist auch 45
Text, Übersetzung und Kommentar nach HENGSTL, Griechische Papyri (s. Anm. *), Nr. 63.
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ohne Datierung und von der Schrift abgesehen gesichert, denn der Brief ist in einem Urkundenkonvolut gefunden worden, welches einer dadurch wohldokumentierten Gruppe von Totengräbern (nekrotaphoi) in der Großen Oase gehört hat, und die jüngste datierte Urkunde daraus stammt aus dem Jahr 305 n. Chr. Wahrscheinlich unterrichtet ein Priester mit diesem Schreiben seinen Amtskollegen in Kysis von der Ankunft einer Christin in dessen Gemeindesprengel. Dass eine Deportation im Hintergrund steht, ist zweifelsfrei. Εἰς Ὄασιν πέμπειν (Z. 10f) ist dafür eine technische Bezeichnung (vgl. z.B. Cod. Just. 9.47.26), die Oasen, und besonders die Große Oase, sind von der Pharaonenzeit bis in die byzantinische Epoche von den Behörden geschätzte Verbannungsorte gewesen, und die Verfügung ist offenbar im Büro des praefectus Aegypti (ἡγεμών) in Alexandria erfolgt. Alexandria kommt auch als Schauplatz der Verfolgung in Betracht, und Z. 17 könnte sich auf die der Frau von ihren Verfolgern zugefügten Torturen beziehen. Sicher ist das nicht, die Wendung ließe sich sprachlich auch als Hinweis auf das Gute verstehen, was christliche Brüder an ihr getan haben. Dies ist nicht die einzige Ungewissheit in diesem Text. Fraglich ist ferner, ob πολιτική (Z. 9) als ein Name oder als eine Standesbezeichnung zu verstehen ist. Der Eigenname Πολιτική ist belegt. Gleichwohl ist denkbar, dass πολιτική eine öffentliche Dirne meint und hier auf eine an sich ehrbare Frau angewendet wird, die im Rahmen der Christenverfolgung in ein Bordell eingewiesen worden ist. Derartige Strafmaßnahmen sind für Ägypten überliefert (vgl. Euseb, MartPal V 3 und HistEccl VIII 14,14f); eine entsprechende Legende knüpft sich auch an die am ehemaligen Zirkus des Domitian (Piazza Navona) in Rom gelegene Kirche Sant’Agnese. Ungewiss ist schließlich, ob die Frau im Zeitpunkt der Niederschrift des Briefes lebt oder ob es um ihre Mumie geht. Der Text berichtet von keinem aktiven Handeln der Frau: Totengräber haben sie nach der Ortschaft Toeto in der Oase gebracht (Z. 8–10; ἐνηνόχασιν), und dort hat der Absender sie den καλοῖς καὶ πιστοῖς unter den Nekrotaphoi anvertraut (Z. 12f). Die Vertrauensleute kann man unter christlichem Aspekt als „gut und gläubig“ oder ganz allgemein als „zuverlässig“ verstehen, und Zuverlässigkeit wäre zweifellos wünschenswert, wenn es um die Aufbewahrung einer Leiche geht bis zu dem noch ungewissen Zeitpunkt, in dem der Sohn der Toten eintreffen wird. Mumifizierungen fanden auch unter Christen statt, und τήρησις kann eben die Aufbewahrung einer Mumie meinen. Unbeweisbar, aber in sich schlüssig ist folgende Annahme: Die Frau war nach Torturen im Rahmen der Christenverfolgungen in Alexandrien in Richtung Große Oase deportiert worden und auf der Reise verstorben. Christen haben sich der Leiche angenommen und bringen sie aus ungewissem Grund an den ursprünglichen Bestimmungsort, wohin ihr Sohn noch kommen und den Gemeindemitgliedern
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von ihren Leiden berichten wird – in einer Weise, wie sie dann auch die Heiligenlegenden bieten. 5.6. Empfehlungsbrief 46 UPZ II 159, Theben, 3. Jh. v. Chr. Τιμόξενος Μοσχίωνι χαίρειν. ̣[ ] ̣ ̣ ̣[ ̣ ̣] ̣ ὁ ἀποδιδούς σοι τὴν ἐπιστολήν ἐστιν Φίλωνος 5 ἀδελφὸς τοῦ μετὰ Λύσ[ι]δος ἐπιστολογράφου. Φρόντισον οὖν, ὅπως μὴ ἀδικηθῆι ὁ ἄνθρωπος, καὶ 10 γὰρ ὁ πατὴρ αὐτοῦ ἐστιν ἐνταῦθα περὶ Πετονοῦριν τὸν δευτερεύοντα. Ἀποδοθήτω δʼ αὐ15 τῶι καὶ τὸ σύμβολον τῶν ε (δραχμῶν). Ἔρρωσο. verso Μοσχίωνι.
Timoxenos an Moschion Gruß. Der ......., der Dir diesen Brief überbringt, ist ein Bruder des Philon, der mit dem Epistolographen Lysis zusammen ist. Sorge nun dafür, dass dem Mann kein Unrecht widerfährt, denn auch sein Vater ist einer von den Leuten hier um Petonuris, der der zweite Mann ist. Ihm soll aber auch die Quittung über die 5 Drachmen ausgehändigt werden. Lebe wohl. An Moschion.
Z. 1–13 des Textes sind im üblichen Stile eines Empfehlungsbriefes (συστατικὴ ἐπιστολή) geschrieben: Timoxenos empfiehlt den Träger des Briefes dem Schutze des Moschion. Die Empfehlung ist freilich kühl, denn der Schreiber verliert kein Wort über den Empfohlenen selbst (vgl. auch ὁ ἄνθρωπος, Z. 9), sondern verweist nur auf dessen Bruder und Vater: Der eine sei dem Epistolographen Lysis unterstellt, der andere dem Petenuris, dem ,,zweiten Mann“ am Aufenthaltsort (ἐνταῦθα, Z. 11) des Schreibers. Allzu hoch – und dies passt zu der zurückhaltenden Empfehlung – darf man den sozialen Rang des Empfohlenen danach nicht einschätzen, obwohl er, wie der Name seines Bruders zeigt, Grieche ist. Der Vorgesetzte seines Vaters aber ist Ägypter und daher in der Beamtenhierarchie der frühen Ptolemäerzeit nicht herausragend einzustufen. Aus der Amtsbezeichnung des Lysis ist die Ebene nicht näher zu umreißen; gleiche Titel finden sich in dieser Zeit öfters in verschiedenen Verwaltungsstufen, und ein ἐπιστολόγραφος (Kanzleivorsteher) kann daher vom Vorsteher der königlichen Hofkanzlei abwärts rangieren. Beamte sind auch Sender und Empfänger des Briefes, wie die Imperative des Timoxenos gegenüber Moschion zeigen. Ob der Empfohlene in amtlicher Eigenschaft unterwegs ist, 46
Text, Übersetzung und Kommentar nach a.a.O. Nr. 106.
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muss offenbleiben. Z. 14ff lassen jedenfalls erkennen, dass er mehrere (καί, Z. 15) Aufträge auszuführen hat und die Empfehlung weniger seinem als dem Interesse seines Auftraggebers Timoxenos dienen soll. Merkwürdig an diesem Brief ist, dass zwar nicht der Name des Empfohlenen, wohl aber dieser selbst bis in unsere Zeit erhalten blieb: Der Papyrus fand sich verschnürt, versiegelt und durch ein leinenes Band an einer Schreiberpalette befestigt in einem Sarg bei einer Mumie. Nach einem ansprechenden Gedanken U. Wilckens handelt es sich dabei um den Empfohlenen, der auf der Reise zu Moschion den Tod fand und mit seinem Schreibgerät und dem Brief bestattet wurde. 5.7. Bedingter Kauf zur Absicherung einer Bürgschaft 47 P.Oxy. II 270, Oxyrhynchos, 94 n. Chr.
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Ἔτους τρισκαιδεκάτου Αὐτοκράτορος Καίσαρος Δομιτιανοῦ Σεβαστοῦ Γερμανικοῦ, Μεχεὶρ vac.? , ἐν Ὀξυρύγχων πόλει τῆς Θηβαίδος. Ὁμολογεῖ Λουκία ἡ καὶ Θαισᾶς Λουκίου μητρὸς Σινθώνιος τῆς Θέωνος Περσείνη μετὰ κυρίου τοῦ ἐξανεψίου Ἡρᾶτος τοῦ Ἡρακλείδου τοῦ Ἡρακλείδου μητρὸς Πλουτάρχης Σαραπίωνος Σαραπίωνι τῷ καὶ Κλάρῳ {Σαραπίωνι} {τῷ καὶ Κλάρῳ} Σαραπίωνος τοῦ Ἡρακλείδου μητρὸς Κλάρας τῆς Ναρκίσσου, πάντες τῶν ἀπὸ Ὀξυρύγχων πόλεως, ἐν ἀγυιᾷ, ἀπαρενόχλητον καὶ ἀνείσπρακτον παρέξασθαι τὸν Σαραπίωνα τὸν καὶ Κλάρον καὶ τοὺς παρʼ αὐτοῦ κατὰ πάντα τρόπον ὑπὲρ ἧς πεποίηται ὁ αὐτὸς Σαραπίων ὁ καὶ Κλάρος ἐγγύης Ἡρακλείδῃ Ἀπολλωνίου τοῦ Χαιρήμονος μητρὸς Ἡραίδος Διδύμου ἀπὸ τῆς αὐτῆς πόλεως καθʼ ὁμολογίαν διὰ τοῦ αὐτοῦ μνημονείου τῷ ἐνεστῶτι μηνὶ Μεχείρ, ὧν ἡ ὁμολογοῦσα δεδάνεισται παρʼ αὐτοῦ κατὰ δανείου συνγραφὴν διὰ τοῦ αὐτοῦ μνημονείου τῷ αὐτῷ μηνὶ Μεχεὶρ ἀργυρίου δραχμῶν τρισχιλίων πεντακοσίων κεφαλαίου τόκου δραχμιαίου ἑκάστης μνᾶς κατὰ μῆνα ἀπὸ τοῦ αὐτοῦ μηνὸς ἐπὶ ὑποθήκῃ ταῖς σημανθείσαις αὐτῆς περὶ Σερῦφιν ἐκ τοῦ Δημητρίου Μιλησίου κλήρου κατοικικῆς καὶ ὠνημένης ἀρούραις τρισὶ ἡμίσει, καὶ ἐκ τοῦ αὐτοῦ κλήρου ἀπὸ κατοικικῆς καὶ ὠνημένης ἀρουρῶν δέκα δύο μεθʼ ἃς ὑπέθετο Τααφύγχει Θωνίωνος ἀρούρας ἑπτὰ ταῖς λοιπαῖς ἀρούραις πέντε, καὶ ἐκ τοῦ Καλλίου τρίτῳ μέρει κατοικικῆς καὶ ὠνημένης ἀρουρῶν ὀκτώ, ὃ ἔστιν ἄρουραι δύο δίμοιρον, καὶ περὶ Σύρων κώμην ἐκ τοῦ Ἡρακλείδου σὺν τῷ Ἀλεξάνδρου κατοικικῆς ἀρούραις ἓξ ἡμίσει τετάρτῳ, καὶ ἐκ τοῦ Ἀλεξάνδρου καὶ ἄλλων κατοικικῆς καὶ ὠνημένης εἰς κατοικίαν ἀρούραις εἴκοσι τέσσαρσι τρίτῳ δωδεκάτῳ, εἰς προθεσμίαν τριακάδα Τῦβι τοῦ πεντεκαιδεκάτου ἔτους Αὐτοκράτορος Καίσαρος Δομιτιανοῦ Σεβαστοῦ Γερμανικοῦ: ’Εὰν δὲ τῆς προθεσμίας ἐνστάσης μὴ ἀποδῷ ἡ ὁ-
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Text, Übersetzung und Kommentar nach HENGSTL, Einführung (s. Anm. *).
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30 μολογοῦσα τῷ Ἡρακλείδῃ τὸ κεφά[λ]αιον καὶ τοὺς τόκους, ἀπαιτηθῇ δὲ ὑπὲρ αὐτῆ[ς ὁ Σαρ]απίων ὁ καὶ Κλάρος, κυριε[ύ]ειν αὐτὸν Σαραπίων[α] τὸν [καὶ Κ]λάρον τῶν προκειμένω[ν] ἀρουρῶν εἴκοσι τεσσάρω[ν τρίτου δ]ωδεκάτου εἰς τὸν ἅπαντα χ[ρ]όν[ον ὡ-] ς ἂν πράσεως [αὐτῷ γενο]μένης καὶ [ἀ]ποφέρεσθαι τὰ ἐξ αὐτῶν 35 καὶ ἑτέροις αὐ[τὰς πωλ]εῖν καὶ χρᾶσ[θαι ὡς] ἐὰν αἱρῆται, μηδεμιᾶς τῇ ὁμολογούσῃ ἢ ταῖς [παρʼ αὐτῆς ἐ]φ[όδ]ου κ[α]ταλειπομένης ἐπὶ τὸν Σαραπίωνα τὸν καὶ Κλάρον μηδὲ ἐ[πὶ] τοὺς παρʼ αὐτοῦ μηδὲ ἐπὶ τὰς προκειμένας ἀρούρας μηδὲ ἐπὶ μέρος μηδὲ ἐπὶ τὰ ἐξ αὐτῶν κατὰ μηδένα τρόπον, ἐπάν[α]νκον 40 δʼ αὐτὴν παρέξασθαι αὐτῷ καὶ τοῖς παρʼ αὐτοῦ ταύτας διὰ παντὸς μὲν βεβαίας ἀπὸ πάντων πάσῃ βεβαιώσει καὶ καθαρὰς ἀπὸ δημοσίων καὶ τελεσμάτων πάντων τῶν ἕως τῆς προθεσμίας καὶ αὐτῆς τῆς προθεσμίας. Ἐὰν δέ τι τούτων ἡ ὁμολογοῦσα παρασυνγραφῇ, ἄκυρον [ἔ]στω καὶ προσαποτισάτω τῷ [Σ]αραπίω45 νι τῷ καὶ Κλάρῳ ἢ τοῖς παρʼ αὐτοῦ καθʼ ὃ ἐὰν παρα[σ]υνγραφῇ εἶδος τό τε βλάβος καὶ ἐπίτιμον ἀργυρίου δραχμὰς χιλίας καὶ εἰς τὸ δημόσιον τὰς ἴσας, καὶ μηδὲν ἧσσον τὰ διωμολογημένα κύρια ἔστω, τῆς πράξεως γινομένης τῷ Σαραπίωνι τῷ καὶ Κλάρῳ ἔκ τε τῆς ὁμολογούσης καὶ ἐκ τῶν προκιμένων ἀρουρῶν καὶ ἐκ τῶν ἄλλων ὑπαρχ(όν)50 των αὐτῇ πάντων. Kυρία ἡ ὁμολογία. 8, 40 l. παρέξεσθαι; 25/6 in der ed.pr. ist eine Zeile ausgefallen, s. P.Oxy. IV S. 263 Im 13. Jahr des Imperator Caesar Domitianus Augustus | Germanicus, am (vacat) Mecheir, in Oxyrhynchon Polis in der Thebais. | Es räumt ein Lukia – auch Thaisas genannt –, Tochter des Lukius, | ihre Mutter ist Sinthonis, die Tochter des Theon, „Per|serin“, mit dem Geschlechtsvormund Vetter Heras, Sohn des Herakleides, des Sohnes des Herkleides, |5 seine Mutter ist Plutarches, die Tochter des Sarapion, dem Sarapion – auch Klaros genannt {dem Sarapion, | auch Κlarοs genannt}, Sohn des Sarapion, des Sohnes des Herakleides, seine Mutter ist Clara, die Tochter | des Narkissus, alle (Beteiligten) (Einwohnern) der Stadt Oxyrhynchos – auf der Straße – unbe|helligt und von Zwangsvollstreckung verschont zu halten den Sarapion, auch | Klaros genannt, sowie seine Umgebung auf jede erdenkliche Weise hinsichtlich der Bürgschaft, die vereinbart hat |10 eben Sarapion, auch Klaros genannt, für Herakleides – Sohn des Apollonios, | des Sohnes des Chairemon, seine Mutter ist Herais, die Tochter des Didymos, aus der selben Stadt, | gemäß einem Vertrag durch eben dieses Urkundsbüro in diesem Monat Me|cheir, wonach die Vertragschließende von ihm ausgeliehen hat gemäß einer Darlehenssyn|graphe durch dieses Urkundsbüro in diesem Monat Mecheir |15 über ein Kapital von dreitausendfünfhundert Silberdrachen zu einem Zins von einer Drachme pro | Mine und Monat ab diesem Monat unter Hypothezierung – Z. 17 –27 Beschreibung diverser Landparzellen – bis zum Termin des dreißigsten Tybi des fünfzehn|ten Jahres des Imperator Caesar Domitianus Augustus | Germanicus. Wenn in diesem Termin die Vertragschließ|30ende dem Herakleides das Kapital und die Zinsen nicht zahlen sollte und diese an | ihrer Stelle von Sarapion, auch Κlarοs genannt, beigetrieben werden, soll | Sarapion, auch Κlarοs genannt, Herr der genannten vierundzwanzig eindrittel einzwölftel Aruren auf immer sein, | als ob zu seinen Gunsten die Zwangsvollstreckung stattgefunden hätte, und daraus (die Früchte) ziehen |35 und (die Aruren) anderen verkaufen und sie nutzen wie er will, wobei | der Vertragschließenden und ihren Angehörigen kein Klageweg ver|bleibt, weder gegen den Sarapion, auch Klaros genannt, noch gegen seine | Angehörigen, weder hinsichtlich der
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besagten Aruren noch eines Teils (davon) | noch der Früchte, auf keine erdenkliche Weise, wobei sie |40 sie ihm und seinen Angehörigen unter allen Umständen diese Aruren gewährleisten | wird immerdar als gesicherten Besitz, geschützt gegen jeden Zugriff mit jeglicher Gewährleistung und frei | von allen öffentlichen Lasten und Abgaben bis zum | Fristablauf und im Fristablauf. Falls die Vertragschließende gegen eine dieser (Bedingungen) | vertragswidrig handelt, soll es ungültig sein und sie muß zusätzlich zahlen dem Sarapion, |45 auch Klaros genannt, oder dessen Angehörigen, auf welche Weise auch immer sie vertragswidrig handelt, | sowohl den Schaden wie einen Strafzuschlag von tausend Silberdrachmen und an den Fis|kus den gleichen Betrag zusätzlich zahlen, und nichts desto weniger soll das Vereinbarte maßgeblich bleiben, | wobei die Zwangsvollstreckung für den Sarapion, auch Klaros genannt, stattfindet sowohl in die | Vertragschließende wie in die genannten Aruren und in alles andere ihr Gehören|50de. Die Vereinbarung ist maßgeblich.
Es fällt schwer, den ausgeklügelten, aber für ein heutiges Stilempfinden verschachtelten Wortlaut dieser Rechtsurkunde zu übersetzen. Verträge müssen die Regeln der Rechtsordnung für den Einzelfall konkretisieren, und der Schreiber dieser Urkunde zeigt bis in die letzte Einzelheit, dass er dieser Aufgabe gerecht zu werden vermag. Es handelt sich um einen rechtlich keineswegs einfachen Fall. Es geht nämlich um eine Art Garantie. Sarapion/Klaros, die eine Partei des vorliegenden Vertrags, hatte sich für seine Vertragspartnerin Lucia/Thaisas gegenüber einer dritten Partei, Herakleides, verbürgt. Letzterer hatte Lucia im gleichen Monat ein verzinsliches Darlehen über 3500 Silberdrachmen auf rund zwei Jahre gewährt. Für diesen hohen Betrag hatte die Darlehensnehmerin dem Darlehensgeber nicht nur Sarapion als Bürgen gestellt, sondern auch mannigfachen Grundbesitz verpfändet (Hypothek). Mit dem vorliegenden Vertrag sucht Sarapion sich selbst abzusichern, indem er sich von der Darlehensnehmerin zusagen lässt, sie werde gegen ihn gerichtete Zwangsvollstreckungsakte abwehren oder ihm die dem Herakleides hypothezierten Grundstücke übereignen. Die daraus resultierende Urkunde ist ein Muster der Kunst der Urkundenschreiber, auch komplizierten Sachverhalten gerecht zu werden. Die Urkunde ist als objektive Homologie stilisiert. Lucia als Hauptschuldnerin sichert („homologiert“) ihrem Vertragspartner Sarapion zu, ihn vor den Folgen seiner Bürgschaftszusage zu bewahren; diese erstreckt sich auf Kapital und Zinsen. Da Lucia auch im vorliegenden Vertrag Schuldnerin ist, wird sie als „Perserin“ bezeichnet. Wie bei Frauen in griechischen Urkunden üblich, tritt an ihrer Seite ein κύριος (Geschlechtsvormund) auf, in diesem Fall, wie meist, ein Verwandter, nämlich ihr Vetter. Zahl und Umfang der von Lucia hypothezierten Landstücke zeigen, dass die Frau über bedeutenden Grundbesitz verfügt. Aber auf ein großes Vermögen weist bereits die Höhe des aufgenommenen Darlehens. Die an der Vertragserrichtung Beteiligten sind durch ihre Filiation eindeutig bestimmt. Auf weitergehende Angaben, wie Alter oder Eigenheiten des Erscheinungsbildes, hat der Schreiber verzichtet. Dass er in einem Schreibbüro
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residiert, zeigt die für Oxyrhynchos typische Wendung ἐν ἀγυιᾷ „auf der Straße“. Erstaunlich sind die römischen Namen, die die Beteiligten neben einheimischen führen. Römer hat es in Ägypten bereits in ptolemäischer Zeit gegeben, und so mag es sein, dass hier eine römisch-einheimische Familie auftritt – die Namen lassen sogar daran denken, dass hier ein Geschäft in der erweiterten Familie vorliegen könnte. Bürgen haben in allen Rechtsordnungen ein Rückgriffsrecht auf den Hauptschuldner, falls sie vom Gläubiger in Anspruch genommen werden. Sarapion will diesen Anspruch jedoch noch eigens sichern und dazu auf den Grundbesitz der Lucia zugreifen. Dieser ist jedoch bereits dem Herakleides hypotheziert. Eine nachrangige Hypothek wäre heutzutage möglich und auch sinnvoll, denn mit der Zahlung des Bürgen wird die zugunsten des Gläubigers eingeräumte Hypothek auf Null reduziert und folglich entwertet. Der Bürge könnte damit kraft seiner Hypothek auf den Grundbesitz zugreifen. Ohnedies müsste der Gläubiger vorab gegen den Hauptschuldner vorgehen, sofern der Bürge hierauf nicht ausdrücklich verzichtet hätte. Die Rangordnung der Zugriffsrechte ergäbe sich aus dem Grundbuch. Der Urkundenschreiber des römischen Ägypten muss einen anderen Weg gehen, denn es gibt weder ein die Rangverhältnisse von Sicherungen ausweisendes Grundbuch noch kann sich der Bürge mit der Forderung wehren, der Gläubiger habe zunächst auf den Hauptschuldner selbst oder auf den von diesem hypothezierten Grundbesitz zuzugreifen. Die Sicherung des Sarapion erfolgt daher derart, dass dieser gleich einem Käufer das Eigentum an den dem Herakleides hypothezierten Grundstücken erwerben soll, sofern Herakleides gegen ihn vollstreckt. Sobald Sarapion die Vollstreckung durch Zahlung der Bürgschaftsschuld abgewendet hat, erlischt die Hypothek des Herakleides, und Sarapion kann in Lucia und in deren Eigentum vollstrecken. Aus dieser Vollstreckungsmöglichkeit ergibt sich für Sarapion aber keine Sicherung. Der Urkundenschreiber formuliert daher eine bedingte kaufweise Übereignung, welche dem entsprechend mit der in Kaufverträgen üblichen Gewährleistungsklausel abgesichert ist. Entsprechende Verfallsklauseln hat es zeitlich oder räumlich anderwärts ebenfalls gegeben, und die Belege dazu reichen bis in die neubabylonische Epoche zurück. Die rechtliche Problematik dieses durchaus nicht einfachen Sachverhalts ist offenbar zeitlos.
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern 1 REINHOLD SCHOLL / MARGIT HOMANN Briefschreiben ist fast so alt wie die Menschheit. Bemerkenswerterweise hat man sich in der Antike aber erst sehr spät mit der Theorie dazu beschäftigt. Heute ist das bisweilen umgekehrt: Man entwickelt zuerst eine Idee, eine Theorie und versucht sie dann in der Praxis umzusetzen. Einen ersten schnellen Zugang zu altertumswissenschaftlichen Themen bieten die Lexikoneinträge im Nachschlagewerk „Der Neue Pauly“. Dort findet man unter drei Lemmata Informationen zum Thema Brief. Unter dem Stichwort „Brief“ von Peter L. Schmidt 2 werden folgende Aspekte behandelt: A. Arten des Briefes; B. Brief als Mittel der Kommunikation; C. Material und Formales; D. Geschichte des Briefeschreibens; 1. Vorderer Orient und Ägypten und 2. Griechenland und Rom. Unter dem Stichwort „Epistel“ findet man im „Der Neue Pauly“ den Beitrag von Herwig Görgemanns, dessen Artikel wie folgt untergliedert ist: A. Begriff, Terminologie, Ursprünge; B. Material, Beförderung; C. Formeln; D. Privatbriefe; E. Amtliche Briefe; F. Briefsteller und Brieftheorie. 3 Schließlich geht es unter dem Lemma „Epistolographie“ von demselben Autor ebenfalls um Briefe: A. Begriff; B. Publikation von Privatbriefen in Sammlungen; C. Offene Briefe; D. Widmungsbriefe; E. Lehrbriefe; F. Fiktive Briefe; G. Poetische Briefe; H. Nachwirkung. 4 Es ist erstaunlich, dass es nicht gelungen ist, einen einzigen großen Artikel zu verfassen. In diesem Beitrag soll nicht auf alle Aspekte des Briefes in der griechisch-römischen Antike 5 eingegangen werden, sondern sich 1
Der Vortragscharakter des Beitrages wurde weitgehend beibehalten. Nur die wichtigsten Quellen- und Literaturangaben wurden hinzugefügt. Die im Beitrag ausführlicher behandelten Papyri (Text, Übersetzung und Kommentar) haben eine eigene Nummerierung. 2 P. L. SCHMIDT, Brief, DNP 2 (1997), 771–775. 3 H. GÖRGEMANNS, Epistel, DNP 3 (1997), 1161–1164. Die nachfolgenden Abschnitte G. Literarische Briefe und H. Briefsammlungen (1164–1166) stammen von Michaela Zelzer. 4 H. G ÖRGEMANNS, Epistolographie, DNP 3 (1997), 1166–1169. 5 Vgl. grundlegend H. K OSKENNIEMI, Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen Briefes bis 400 n. Chr. (AASF, B, 102. 2.), Helsinki 1956. Vgl. zu christlichen
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angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit und im Hinblick auf die anderen Beiträge der Tagung bzw. des Tagungsbandes auf das beschränkt werden, was zum Thema „Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern“ unbedingt dazugehört. Deshalb ist über folgende Punkte zu sprechen: 1 Brieftheorie 2 Praxis des Briefschreibens 3 Formalia 4 Aufbau und Inhalt 5 Briefauswahl 5.1 Kinder an Eltern 5.2 Geschwister untereinander 5.3 Eltern an Kinder 5.4 Ehegatten unter sich 5.5 Sonstige
1. Brieftheorie Um in der Praxis in der Antike einen Brief auf Papyrus zu schreiben, bedarf es nicht großer theoretischer Vorkenntnisse. Dennoch soll ein kurzer Überblick über die antiken Brieftheorien gegeben werden, die uns – mag es ein Zufall der Überlieferung sein – erst ab hellenistischer Zeit erhalten geblieben sind. Ein Teil dieser Autoren beruft sich dabei bereits auf Aristoteles, genauer dessen Briefeditor Artemon, der behauptet, dass Briefschreiben dasselbe sei wie einen Dialog schreiben, da der Brief die eine Seite eines Dialoges sei. 6 Das erste erhaltene Werk ist das eines gewissen Demetrios aus der Mitte des 2. Jh. v. Chr. Der Autor kritisiert die eben erwähnte Aussage des Artemon, denn der Brief sei in formaler Hinsicht doch mehr gebunden als ein Dialog. 7 Der Brief sei eine Art Geschenk. Im Gegensatz zu einem Dialog führten abrupte Brüche bei Briefen zu Unverständlichkeit. Jeder, der einen Brief schreibt, komponiere ein Bild seiner eigenen Seele. Deshalb sei der Charakter einer Person ganz besonders deutlich in seinen Briefen zu erfassen. Die Länge (µέγεθος) eines Briefes sollte begrenzt sein wie auch der Ausdruck (λέξις). Die Briefe, die zu lang und zu protzig sind, seien eigentPrivatbriefen K. CHINOOK, „Grüße in Gott, dem Herrn!“ Studien zum Stil und zur Struktur der griechischen christlichen Privatbriefe aus Ägypten, Diss. Trier 2010 (http:// ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2011/629). 6 Gemeint ist Artemon von Kassandreia, dessen Werk nicht erhalten ist und dessen Aussage wir einer Paraphrase des Demetrios verdanken. Vgl. Anm. 7. 7 Demetrios, De elocutione 223–235.
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lich keine echten Briefe, sondern Abhandlungen, die mit einem Gruß verbunden seien, wie beispielsweise die Briefe Platons und des Thukydides. Die Satzstruktur sollte locker sein. Es sei lächerlich, kunstvolle Perioden in einem Brief zu konstruieren als handele es sich um eine Gerichtsrede. Wer über philosophische und naturwissenschaftliche Probleme schreiben will, soll das ruhig tun, aber nicht in einem Brief. Das Ziel eines Briefes sei es, freundschaftliche Gefühle (φιλοφρόνησις) kurz und bündig auszudrücken. Die Schönheit eines Briefes liege in den warmen Freundschaftsgefühlen, die darin ausgedrückt werden, und in den zahlreichen Sprüchen bzw. bildlichen Reden, die er enthalte. Letzteres sollten die einzigen philosophischen Elemente in einem Brief sein. Briefe an Städte und Könige könnten etwas elaborierter sein. Zusammenfassend gesagt, soll ein Brief stilistisch eine Kombination aus anmutig und trocken sein (χαριέντος – ἰχνοῦ). C. Iulius Victor, im 4. Jh. n. Chr. lebend und vermutlich aus Gallien stammend, unterscheidet zwei Arten von Briefen: Geschäftsbriefe und Privatbriefe (negotiales und familiares). 8 Er geht dann zuerst auf den Geschäftsbrief ein, der uns hier nicht so sehr interessiert. Für den Privatbrief gilt als erste Regel: Kürze – primo brevitas observando (rhet. 27). Briefe müssen glasklar sein, außer es ist anders beabsichtigt. So hätten beispielsweise Caesar, Cicero und Augustus einen Geheimcode verwendet. Wenn keine Notwendigkeit für Geheimhaltung bestehe, dann sei diese Unverständlichkeit zu vermeiden. Denn bei Reden könne man nachfragen, in Briefen zumindest nicht direkt. Deshalb sind obskure Geschichten zu unterlassen, auch weniger bekannte Sprüche sowie besonders ausgesuchte Wörter oder affektierte Figuren. Wenn man nach Kürze und Prägnanz strebe, dann dürfe die Klarheit nicht durch Wortumstellung verdunkelt werden. Es folgen einige konkretere Hinweise: Ein Brief an einen Vorgesetzten sollte nicht spaßhaft (iocularis) sein. Einer an einen Gleichrangigen nicht gefühllos, rücksichtslos (inhumana), an einen Untergebenen nicht überheblich (superba), an einen Gelehrten nicht nachlässig (incuriose), an einen Nichtgelehrten nicht leichtsinnig/unachtsam (indiligenter), an einen eng Verbundenen nicht gewöhnlich/gemein (translatitie), an einen Freund nicht weniger familiär (familiari). Man soll reichlich gratulieren, wenn jemand Erfolg hat, so dass man seine Freude vermehrt. Weiter heißt es: Wenn du auf jemanden triffst, der betrübt ist, tröste ihn mit nur wenigen Worten. Scherze in Briefen so mit deinen Freunden, dass diese sie auch unter traurigeren Umständen lesen können. Man darf niemals ausfällig werden, in Briefen schon gar nicht. Praefationes und Subscriptiones sind zu berechnen nach der Art der Freundschaft oder Würde (dignitas) im Hinblick auf die konventionelle Praxis. Die Alten hatten die Gewohnheit, den Brief an die engsten Freunde mit eigener Hand zu schreiben oder we8
Iulius Vicor, Ars rhetorica 2.
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nigstens selbst zu unterschreiben. Empfehlungsschreiben sollten ehrlich (fideliter) sein oder überhaupt nicht geschrieben werden. Ein oder zwei Sätze in Griechisch einem lateinischen Brief hinzuzufügen, ist anziehend, es soll aber nicht an der falschen Stelle und nicht zu oft gemacht werden. Es ist auch passend, bekannte Zitate zu bringen oder einen Vers oder einen Teil davon. Manchmal kann man den Adressaten auch direkt als anwesend ansprechen: „He du!“ oder „Was sagst du?“ oder „Ich sehe dich höhnen.“ Aber das alles gehört zu den privaten Briefen, die andere Briefart hat eine größere Strenge (severitas). In einer Schrift über das Briefschreiben, die Libanios, dem bekannten Rhetor aus Antiochia am Orontes, zugeschrieben wird, welcher mit seiner Lebenszeit fast das ganze 4. Jh. n. Chr. ausfüllt und ein mächtiges Corpus von 1600 Briefen und 64 Reden hinterlassen hat, werden insgesamt 41 Briefarten unterschieden. 9 Es beginnt mit: Ratschlag, Tadel, Aufforderung, Empfehlung, Ironie, Freundschaft, Liebe, usw. und am Schluss findet sich noch Vermischtes. Ein Brief ist nach Auffassung dieses Autors eine Art geschriebene Unterhaltung (ὁµιλία) zwischen zwei Parteien an unterschiedlichen Orten. Der Brief soll maßvoll ausgeschmückt und in maßvollem Attisch verfasst sein. Unnötige Erhabenheit, exzessiver feierlicher Stil und übertriebener Attizismus sind einem Brief fremd. Kleinheit, moderate Kürze und archaisierende Lexis sind angebracht. Klarheit (σαφηνεῖα) ist ein guter Führer für alle Arten des Schreibens, ganz besonders bei Briefen. Man darf aber weder die Klarheit durch Kürze schwächen/zerstören, noch endlos schwatzen auf Kosten der Klarheit, sondern das rechte Maß ist notwendig. Man soll nicht übertreiben. Auch der eloquente Schreiber darf nicht unbegrenzt darauf los schreiben und sich nicht in Kürze flüchten aus Unwissenheit, wie er sich ausdrücken soll, um dadurch die Klarheit seines Schreibens zu verdunkeln. Erfolg hat nur der Mann, der in einer angemessenen Länge in korrektem Stil eine klare Botschaft übersendet mit entsprechender Ausdruckskraft. Die Länge des Briefes ist bestimmt durch die Sache. Länge kann erreicht werden durch unterhaltsame Geschichten, mythologische Verweise und Gebrauch der klassischen Literatur, von Sprichwörtern und philosophischen Lehren. Bei der Anrede soll man nicht schwafeln oder sonstige ehrenhafte Bezeichnungen suchen, um zu vermeiden, dass es sich um Schmeichelei handelt. Der Schreiber soll einfach beginnen mit: ὁ δεῖνα τῷ δεινὶ χαίρειν. Das haben alle getan, die für ihre Weisheit und ihre Beredsamkeit berühmt waren, und alle, die jenen nacheifern wollen, müssen in ihre Fußstapfen treten. Auch wenn sich Cicero nicht explizit zur antiken Brieftheorie geäußert hat, so finden sich doch viele Bemerkungen in seinem umfangreichen 9
Libanios, Characteres epistolares, 1–4, 46–50.
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Briefcorpus, in denen er sich über das Briefschreiben im Allgemeinen und auch im ganz konkreten Fall äußert. So sieht auch Cicero den Brief als eine Form des Dialoges an: „… Nichts tue ich lieber, als dir zu schreiben; scheine ich doch persönlich anwesend mit dir zu reden und zu scherzen.“ 10 Aber er sagt auch, dass dies nur ein ungenügender Ersatz sei: „So werden wir das Gute der Briefe nutzen und fast dasselbe abwesend erreichen, wie wenn wir persönlich zusammen wären. Der Genuss des Herzens, der allein schon im dich sehen besteht, kann durch Briefe nicht empfunden werden …“ 11 Dass man den Adressaten und eine mögliche weitere Verbreitung und eventuelle Publikation der Briefe beim Schreiben im Auge behalten sollte, findet sich ebenfalls bei Cicero Att. XV 20,4: „Ich habe nämlich jene Briefe an Calvus geschrieben, nicht mehr als diese, die du nun liest, von denen ich glaube, dass sie veröffentlicht werden. Anders nämlich schreiben wir, wenn wir annehmen dürfen, dass nur die allein, denen wir schreiben, es lesen werden, anders, wenn es viele lesen werden.“ 12 Eine wichtige Aufgabe des Briefes war stets, eine παρουσία über die Zeit der räumlichen Trennung zweier Menschen herzustellen. Der ideelle Schwerpunkt im Briefverkehr lag auf dem Augenblick, wenn der Brief empfangen und gelesen wurde – denn dann fungierte er als Ersatz für den abwesenden Schreiber. Der Brief als Mittel zur Überwindung der Distanz zwischen Menschen und Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Verbindung wird ebenfalls bei den Epistolographen betont. 13 Manchmal diente der Brief nur zur Aufrechterhaltung persönlicher Kontakte. Das zeigt sich besonders darin, dass betont wird, dass man schon oft geschrieben hat, 14 dass man sich über eine ausbleibende Antwort beklagt oder um Briefkontakt bittet zur Aufnahme oder zur Aufrechterhaltung
10 Cic.Att. XV 19,1: Non … libentius facio quam scribo ad te; videror enim cum praesente loqui et iocari. 11 Cic.Att. XV 14,3: Utemur bono litterarum et eadem fere absentes, quae, si coram essemus, consequemur. Unus scilicet animi fructus, qui in te videndo est, percipi litteris non potest ... 12 Primum enim ego illas Calvo litteras misi, non plus quam has, quas nunc legis, existimans exituras; aliter enim scribimus, quod eos solos, quibus mittimus, aliter, quod multos lecturos putamu. 13 Gregor von Nazianz, Epistulae 68: νῦν δε διὰ γραμμάτων πληρῶ τὰ τῆς παρουσίας, weitere Belege bietet KOSKENNIEMI, Studie (s. Anm. 5), 178. 14 Z.B. P.Oxy. XIV 1757, Z. 4–7 (2. Jh. n. Chr.): δευτέραν σοι ἐπιστολὴν γράφω {σοι} καὶ οὐδεμίαν μοι ἀντέγραψας; P.Mich. III 213, Z. 4–7 (3. Jh. n. Chr.): πολλάκις σοι ἔγραψα καὶ σὺ οὐδὲ ἅπαξ μοι ἐδήλωσας περὶ τῶν ὄντων πραγμάτων. Weitere Belege bei KOSKENNIEMI, Studien (s. Anm. 5), 65.
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einer bereits bestehenden Verbindung. 15 Besonders mit dem 2. Jh. n. Chr. stieg die Zahl der Bitten um briefliche Beziehung ohne praktischen Hintergrund, die sich bis ins 4. Jh. n. Chr. hinein hielt. 16 In diesem Zusammenhang sind auch zahlreiche Belege vorhanden, in denen der Schreiber den Briefwunsch verstärkt, indem Angst und Sorge wegen der ausbleibenden Antwort als Motiv angegeben werden. Dies wird zum Teil noch erweitert durch die Bezeichnung der in Aussicht stehenden Antwort als Freude (P.Giss. I 81, Z. 8, aus dem 2. Jh. n. Chr.): ἵvα καὶ ἐγὼ̣ εὐτυχή\σω/ und Linderung des bestehenden Schmerzes (Nr. 19, Z. 7–10): παραλακῶ σε, κύριε, ἐάν σοι δόξῃ, καὶ πέμψαι ἐφʼ ἡμᾶς, ε[ἰ] δὲ μή, ἀποθνήσκομεν, ὅτι οὐ βλέπομέν σε καθʼ ἡμέραν. Auch der Empfang des Briefes wurde in der Regel – positiv oder negativ – kommentiert, und zwar positiv z.B. P.Mert. I 12, Z. 3–6 (58 n. Chr.): κομισάμενός σου ἐπι̣[στολ(ὴν)] οὕτως περιχαρὴς ἐγενόμη̣[ν ὡς εἰ] ὄντως ἐν τῇ ἰδίᾳ ἐγεγόνειν, ἄ̣[νευ] γὰρ ταύτης οὐθέν ἐστιν, negativ z.B. Nr. 17, Z. 11–14: ἔπεμσάς μοι ἐπιστολὰς δυναμένας λίθον σα̣λεῦσαι, οὕτως οἱ λόγοι σου κεκίνηκάν με. Zusammenfassend ergeben sich aus der antiken Brieftheorie drei Merkregeln, die auch heute noch gelten sollten: – Fasse dich kurz! (So lautete auch mal vor langer Zeit, also vor der Flatrate, ein Aufkleber in Telefonhäuschen.) – Schreibe klar, verständlich und in freundlichem Ton! – Berücksichtige, an wen du schreibst! Adressatenorientierter Stil!
2. Praxis des Briefschreibens Jeder von uns hat schon Hunderte von Briefen geschrieben und sicherlich einige Tausend Emails und wohl auch gleich viel SMS versandt und erhalten. Was unterscheidet die moderne Form der Kommunikation von der alten? Nach längerem Nachdenken ist uns eigentlich nur die Schnelligkeit eingefallen. Wenn wir heute eine Nachricht schreiben und verschicken wollen, setzen wir uns in der Regel an einen Rechner, schreiben in einem Email-Programm den Adressaten mit seiner Email-Adresse in ein vorgegebenes Feld, haben noch die Möglichkeit eine Betreff-Angabe zu machen und legen los mit: „Sehr geehrte Frau“ bzw. „Sehr geehrter Herr“, dann der Name, bisweilen noch ein Titel davor, oder wenn wir die Personen kennen das vertraulichere „Liebe/Lieber Frau/Herr“ usw. Manche Studierende 15
Zum Sprachgebrauch in dieser Situation vgl. z.B. C. DRECOLL, Nachrichten in der Römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zu den Nachrichteninhalten in Briefen, Freiburg i. Br. 2006, 42. 16 Für weitere Wunschformeln vgl. K OSKENNIEMI, Studien (s. Anm. 5), 71.
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schreiben uns einfach „Hi“ oder „Hallo“ und fallen dann mit ihrem Anliegen direkt ins Haus, wie man so sagt. Man schreibt das, was man mitteilen möchte, und verabschiedet sich mit einem Gruß: sehr formell mit „mit freundlichen Grüßen“, „mit herzlichen Grüßen“ oder wie einer der beiden Autoren „mit den besten Wünschen“. Es gibt eine ganze Auswahl davon. Dann drücken wir den button „Senden“ und schon ist der Brief unterwegs und eigentlich auch schon zugestellt bzw. angekommen. Manchmal erhält man auch eine Nachricht, dass die elektronische Post zugestellt wurde. So ähnlich funktioniert es auch mit der SMS, dem Short Message Service, wobei, wie der Name schon sagt, das Wesentliche die Kürze ist. Entsprechend den Anweisungen der antiken Brieftheoretiker: Fasse dich kurz – brevitas und συντομία. In der Antike ist das alles viel entschleunigter, um ein Modewort aufzugreifen, wie es auch die antiken Theoretiker empfehlen. Da ist es zunächst notwendig, sich Schreibmaterial zu besorgen, nämlich Papyrus oder Ostraka und Tinte. Man kann für den Brief ein unbeschriebenes Blatt verwenden, man kann die Rückseite eines schon beschriebenen Blattes dazu nutzen, man kann ein beschriebenes Blatt von Schrift befreien und neu beschreiben. Man kann auch gleich eine ganze Rolle nehmen und schreiben und anschließend den Brief(text) von der Rolle abschneiden. In einigen Fällen befinden sich mehrere Briefe von verschiedenen Absendern an ein und denselben Empfänger untereinander auf ein und demselben Blatt (Nr. 6). In einem Fall sind zwei Briefe eines Absenders, eines Sohnes, an zwei verschiedene Personen (Mutter und Bruder) auf ein und demselben Papyrus (Nr. 4), wobei der Sohn die Trennung später vornehmen sollte, es auch getan hat, und erst in der Neuzeit wurden die beiden Briefe vom Restaurator wieder zusammengefügt. Manchmal werden die Briefe von den Beteiligten selbst geschrieben, auch wenn sie des Schreibens nicht besonders kundig und geübt sind (Nr. 19 – s. Abb. 13). In vielen Fällen gibt es einen Schreibkundigen – sei es ein Bekannter oder ein Berufsschreiber –, der den Haupttext schreibt, und der Absender setzt eigenhändig nur einen Schlussgruß wie ἔρρωσο darunter (Nr. 9, 10, 11), wie es ja auch Demetrios in seiner Abhandlung beschreibt. Auf diese Art und Weise können wir zwei oder mehr Beteiligte anhand der Schrift erkennen. Wer aber hat den Text verfasst und formuliert? Im Falle, dass der Absender selbst schreibt, kann er den Text auch allein aufgesetzt haben. Wenn Grüße auszurichten sind oder in Fällen, in denen es um fremde Sachverhalte oder Personen geht, ist es denkbar, dass weitere Personen beim Abfassen beteiligt waren. Wenn es ein professioneller bzw. geübter Schreiber war, kann es der Sekretär gewesen sein, der den Text selbständig verfasst und quasi nur zur
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Unterschrift vorgelegt hat. Es ist aber auch möglich, wie öfters z.B. bei Cicero belegt, 17 dass jemand dem Schreiber diktiert hat (P.Wash.Univ. II 107, Z. 5–11: ἵνα γράψω, ὅτι οὐκ οἶδα ὑπαγορεῦσαι ἐπισστ̣ο̣- | ̣ ̣ ̣ Ἑλληνικόν. vac.). Es kann weiterhin sein, dass der „Chef“ seinem Sekretär die Hauptlinien des zu schreibenden Briefes kurz genannt, der Schreiber in Kenntnis der Sache dann den Brief selbstständig formuliert hat. Aus den antiken Briefen ist mehr oder weniger die moderne bzw. vormoderne Büroarbeit zu rekonstruieren. Bisweilen kann man an der Art des Stiles erkennen, wer den Brief verfasst hat. Ein schönes Beispiel dafür ist der oft zitierte Brief eines kleinen Jungen an seinen Vater (P.Oxy. I 119 = C.Pap.Hengstl 82 mit Abb. 14, Oxyrhynchos, 2./3. Jh. n. Chr.): Theon seinem Vater Grüße. Schön hast du das gemacht, nicht mitgenommen hast du mich mit dir in die Stadt. Wenn du mich nicht mitnehmen willst mit dir nach Alexandria, schreib ich dich nicht einen Brief und spreche nicht mit dich und wünsche dich dann nicht Gesundheit. Wenn du nach Alexandria gehst, nehm ich nicht eine Hand von dir und grüße dich zukünftig nicht mehr. Wenn du mich nicht mitnehmen willst, geschieht dieses! Und meine Mutter hat zu Archelaos gesagt ,er macht mich kaputt, schaff ihn fort.‘ Das hast du schön gemacht. Geschenke hast du mir geschickt, große: Schötchen! Sie haben uns in die Irre geführt an jenem Tag, am 12., als du absegeltest. Also schicke zukünftig nach mir, ich bitte dich. Wenn du nicht schickst, so ess ich nicht und trinke ich nicht. So! Ich wünsche, dass du gesund bleibst. 18. Tybi. verso: Gib an Theon von Theonchen dem Sohn.
Hier ist zweifelsohne ein trotzköpfiger Knabe der Schreiber und Absender, der mit der Grammatik noch nicht so sehr vertraut ist, wie besonders die Verwechselung von Dativ und Akkusativ bezeugt. „Kindermund tut Wahrheit kund“, wie ein bekanntes Sprichwort lautet. Wir kennen Fälle, in denen für einen Absender ein professioneller Schreiber am Werk war, während in einem anderen Fall sich derselbe Absender eigenhändig an das Schreiben machte. So liegt in P.Giss.Apoll. 5 (s. Abb. 7a) ein eigenhändiges Schreiben der Eudaimonis vor, während in P.Giss.Apoll. 1 (s. Abb. 7) ein Schreiber für sie geschrieben hat, was man ohne Weiteres an Hand der Abbildungen erkennen kann. Was hat das für Folgen? Wir können nicht automatisch vom Briefstil auf den Absender schließen. So übernehmen wir selbst oft – und zwar auch unbewusst – Wörter und Formulierungen von Personen, mit denen wir häufig und intensiv zu tun haben. Die eben aufgeführten Möglichkeiten und 17 Ad Q. fr. II 16,1; III 3,1; Att. IV 16,1; XVI 17,1 (Noli putare pigritia me facere, quod non mea manu scribam: Glaube nicht, dass ich es aus Trägheit mache, dass ich dir nicht eigenhändig schreibe … Et tamen in tuis quoque epistulis Alexim videor agnoscere: Jedoch meine ich auch in deinen Briefen den Alexis wieder zu erkennen); X 20,1; XIV 1,5; 2,1; 4,1.
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damit Hindernisse für eine Zuordnung der Briefe an einen Absender sind im Hinterkopf zu behalten. Der Brief hat in der Antike zusätzlich ein Transportproblem. Bisweilen hat man einen Boten, den man schicken kann. Für diese gibt es diverse Bezeichnungen, 18 wie beispielsweise γραμματοφόρος (P.Panop.Beatty 1, Z. 253, 298 n. Chr., Panopolis), ἐπιστολοφόρος (P.Mich. III 217, Z. 21, 297 n. Chr., Koptos), φέρων τὴν ἐπιστολήν (PCZ III 59332, Z. 10) oder κομίζων τὰ γράμματα wie z.B. in BGU II, Z. 596, 5f: καλῶς ποιήσεις συνελθὼν [Α]ἰ̣λουρίω̣νι τῶι κομίζοντί σοι τὸ ἐπ[ι]στ[ό]λιον (84 n. Chr., Arsinoites) oder in Nr. 6, 12f: ἐάν σοι ἐνέκῃ καλάθιν ὁ κομιζόμενος σοι τὸ ἐπιστόλειον, πέμ[π]ω (2. Jh. n. Chr., Arsinoites), O.Claud. I 171, Z. 8f aus dem Zeitraum 100–120 n. Chr. vom Mons Claudianus: δώσις δὲ το κομίζωντί σοι τὴν ἐπιστολήν. Diese Überbringer werden in den Briefen manchmal mit Namen als Boten erwähnt und angekündigt (P.Col.Zen. II 81, Z. 3f = P.Ptol.Sklav. Nr. 144, 246–240 v. Chr., Philadelphia: ἀπέστειλα Μηνόδωρον κομίζον\τά σοι ἐπιστολὴν/). Dem Briefboten werden verschiedentlich wichtige Informationen anvertraut, wie es auch in den Briefen bisweilen explizit mitgeteilt wird (PCZ III 59332, 6 = C.Ptol.Sklav. 139, 248 v. Chr., Philadelphia, Z. 5f): περὶ μὲν οὖν τούτων ὁ τὴν ἐπιστολήν σοι ἀποδιδοὺς Διογένης ἐντεύξεται, ὢν οἰκεῖ{υ}ος μου. Somit stellt der Brief nur eine Art Legitimation dar. Mit dem Hinweis, dass es sich bei dem Briefboten um einen Verwandten handelt, soll gleichzeitig zum Ausdruck gebracht werden, dass diese Person vertrauenswürdig ist. Im selben Papyrus heißt es später noch einmal: τὰ δὲ ἄλλα ὁ φέρων σοι τὴν ἐπιστολὴν ἐρ\ε/ῖ (Z. 10). Hat man keinen eigenen Boten zur Hand, ist man auf zufällig Reisende angewiesen, denen man die Post mitgeben kann (Nr. 6, 35f: αὐτῆς ὡρα κ[ο]μισάμενός σου τὸ ἐπι\σ/τόλειον ἀντέγραψα ἀφορ[μὴ]ν εὑρών). Aber dann dauert die Reise des Briefes dementsprechend länger. Manche Briefe kommen auch nicht an: P.Oxy. XIV 1676, 4–9 (nach 324 n. Chr., Oxyrhynchos): ἐχάρην μεγάλως κομισάμενός σου ἐπιστολήν, δόντος μοι αὐτὴν τοῦ μαχαιρᾶ. ἣν δὲ γράφεις δ[ι]ὰ Πλάτωνος τοῦ τοῦ ὀρχηστοῦ πεπομφέναι μοι οὐκ ἐκομισάμην. Als Beispiel für die staatliche Post, wobei auch dort bisweilen Privatbriefe verschickt wurden, kann der bekannte P.Hib. I 11 aufgeführt werden, der Tagebuchauszüge eines mittelägyptischen Postamtes aus dem 3. Jh. v. Chr. überliefert. Das Stück gibt Aufschluss über den Eingang und die Weitersendung von Briefen und Briefpaketen entlang des linken Nilufers. Die hier ausnahmsweise mit Namen aufgeführten Boten nahmen Sendungen zur Weiterbeförderung entgegen oder stellten diese direkt zu; des Wei18
DRECOLL, Nachrichten (s. Anm. 15), 47.
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teren ist auch von Stationsbeamten die Rede, welche die Postannahme und -versendung auf dem Amte regelten. Die Postler bedienten feste Routen in südlicher Richtung nilaufwärts bzw. nilabwärts nach Norden. Die Abreise der Boten von dieser Poststation war an einen Stundenplan gebunden – der Zeitpunkt konnte morgens, mittags oder am frühen Abend angesetzt sein –; die zurückzulegenden Strecken betrugen in etwa eine Tagesreise. 19
3. Formalia Einem antiken Text sieht man manchmal schon rein äußerlich an, dass es sich um einen Brief handelt. Ganz abgesehen von seinem Aufbau, der im nächsten Kapitel behandelt wird, kann das Layout schon typisch sein. Das fängt damit an, dass im Einleitungsgruß das den Brief charakterisierende χαίρειν bisweilen ganz allein zentriert in der zweiten Zeile steht (Nr. 13, 19 [s. Abb. 13]). Dann kommt es vor, wenn das χαίρειν durch πλεῖστα in Familienbriefen erweitert wird, dass πλεῖστα linksbündig und das χαίρειν rechtsbündig allein in der zweiten Zeile stehen oder beide ein wenig zur Mitte gerückt (Nr. 2 [s. Abb. 2]). Ganz eindeutig handelt es sich um Briefe aus römischer Zeit, wenn sich einige Zeilen am linken Rand um 90 Grad gedreht quer zum Haupttext befinden, und zwar von links nach rechts geschrieben (Nr. 3 [s. Abb. 3]; 5 [s. Abb. 4]; 7 [s. Abb. 5]; 10 und 12 [s. Abb. 8]). In diesen Fällen ist sogar eine Datierung ins 2.–4. Jh. n. Chr. wahrscheinlich. 20 In diesen Randbemerkungen kann der Haupttext fortgesetzt werden, es können dort Grüße stehen oder sie funktionieren bisweilen wie ein Postscriptum. Zum ersten Mal ist dieses Phänomen bei Cicero belegt, der von einem versiculus transversus spricht (Cic.Att. V 1,3), was Margit Homann als einheitliche Bezeichnung für die Zukunft bei Editionen und Datenbanken vorschlägt. Man hat den Eindruck, dass diese versiculi transversi bisweilen zur reinen Mode werden. Jedenfalls sind sie ein Charakteristikum des römerzeitlichen Briefes, da bisher aus ptolemäischer Zeit noch kein Zeugnis vorliegt. Cicero beschreibt also ein Phänomen, für das wir erst nach seiner Lebenszeit materielle Zeugnisse besitzen. Der Brief wird in der Antike gefaltet, verschnürt, manchmal versiegelt und/oder nur mit Decussis versehen. Der Siegelton 21 wurde nicht gebrannt, 19 Zu den Transportgeschwindigkeiten vgl. A. K OLB , Transport und Nachrichtentransfer im Römischen Reich, Klio NF 2, Berlin 2000, 308–320. 20 Vgl. dazu M. H OMANN, Eine Randerscheinung des Papyrusbriefes: versiculus transversus, in: Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete (erscheint 2012). 21 Der einzige bekannte Papyrus mit Wachssiegel ist P.Strasb. I 79 (16/15 v. Chr.).
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sondern aus feinem Schlamm geformt, in den später das Siegelbild 22 eingedrückt wurde. Das so entstandene Siegel wurde auf die Umwicklung des Papyrus gesetzt und umschloss diese dadurch derart fest, dass eine Öffnung ohne sichtbare Schäden am Siegel quasi unmöglich war. Ein schönes Beispiel für Schnürung und Siegelung bietet der Leipziger Papyrus P.Lips. Inv. 1574 (s. Abb. 15b). Seit römischer Zeit wurden Briefe zusätzlich mit sogenannten Decussis geschützt, indem man über die Schnur hinweg auf den Punkt, auf dem das Siegel platziert werden sollte, kreuzförmige Linien setzte, um unbefugtes Öffnen zu verhindern oder um abzuschrecken 23 (vgl. als Beispiel P.Lips.Inv. 334 [s. Abb. 15a]). Denn so fehlten Teile des Kreuzes, wenn die Verschnürung entfernt wurde. 24
4. Aufbau und Inhalt Ein Brief aus der Antike besteht oft mehr oder weniger nur aus Formeln und Floskeln. 25 Dazwischen stehen bisweilen einige manchmal für uns nicht ohne Weiteres einzuordnende und obskure Bemerkungen, weil wir nicht den gesamten Briefwechsel besitzen und auch nicht immer die Vorgeschichte kennen. Ein Brief hat im Wesentlichen sieben Elemente: a) Präskript b) Formula valetudinis c) Proskynema-Formel d) Briefcorpus e) Grüße f) Schlussklausel g) Inscriptio a) Präskript Wie Pseudo-Libanios darauf besteht, dass das Präskript einfach und schnörkellos sowie ohne Schmeichelei sein soll, so ist es auch in der Re22 Besitzer oder Siegelherr sind erkennbar an den eingravierten Siegelbildern. Zur Siegelung vgl. K. VANDORPE, Seals in and on the Papyri of Greco-Roman and Byzantine Egypt, in: M.-F. Boussac / A. Invernizzi (Hg.), Archiv et Sceaux du monde hellénistique, BCH Suppl. 29, Paris 1997, 231–291. Vgl. auch dazu die verbesserte online Version: http://www.trismegistos.org/seals/overview_A.html und die Datenbank dazu http://lhpc. arts.kuleuven.ac.be/seals/index.html (beide eingesehen am 9.12.2011). 23 V ANDORPE, http://www.trismegistos.org/seals/overview_3a.html. 24 Vgl. V ANDORPE, Seals (s. Anm. 22), 241–243. 25 Vgl. J. L. W HITE , The Form and Function of the Body of the Greek Letter. A Study of the Letter-Body in the Non-literary Papyri and in Paul the Apostle, Missoula 1972.
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gel: ὁ δεῖνα τῷ δεινὶ χαίρειν. Damit werden die Beteiligten, Absender und Adressat, in dieser Reihenfolge genannt, mit einem kurzen Grußwort: χαίρειν, dessen Gebrauch im Laufe des 4. Jahrhunderts abnimmt, aber nie ganz verschwindet. Es gibt einige Fälle, in denen der Adressat an erster Stelle steht, wenn beispielsweise ein Rangniederer auf diese Art dem Ranghöheren seine Ehrerbietung erweisen will, z.B. Εὐκλεῖ χαίρειν Σενοβάστις in PSI VI 611, Z. 1 aus den Jahren 248–240/39 v. Chr. Auch die Sklavin Sphragis schreibt an Zenon: Ζήνωνι χαίρειν Σφραγίς (P.Cair.Zen. II 59145, Z. 1 = C.Ptol.Sklav. Nr. 207 vom 23. Juli 256 v. Chr.). Dementsprechend ehrerbietig lautet in diesem Fall auch der Schlussgruß statt des üblichen ἔρρωσο („Leb wohl“) etwas devoter εὐτύχει („Gehab dich wohl“). Das χαίρειν kann durch die Adverbien πολλά oder πλεῖστα erweitert werden, also z.B. πλεῖστα χαίρειν, was unter Familienangehörigen und guten Bekannten verwendet wird. Ebenso kann der Adressat bisweilen näher spezifiziert werden, beispielsweise über die Bezeichnungen bezüglich der Familienverhältnisse, was natürlich auch Rückschlüsse auf den Absender zulässt: τῷ πατρί, µητρί, ἀδελφῷ, ἀδελφῇ, ὑιῷ usw. οder κυρίῳ, δεσπότῃ. Dabei ist aber jetzt schon darauf hinzuweisen, dass ἀδελφός und ἀδελφή nicht immer Geschwister im wörtlichen Sinne meinen, sondern auch Ehepartner so angesprochen werden, 26 die allerdings bisweilen Geschwister und sogar Vollgeschwister sein können. Dies wird sogar manchmal in den Papyri besonders betont, indem gesagt wird, dass sie vom gleichen Vater und von der gleichen Mutter abstammen: In BGU I 120, Z. 6–9 einer Zensusdeklaration vom 21. August 189 aus Ptolemais Euergetis heißt es z.B.: καὶ τὴν τούτου γυνα[ῖκα] οὖσαν αὐτοῦ ὁμοπ(άτριον) καὶ ὁμομ[ήτριον] ἀδελφὴν Θερμουθάριον (ἐτῶν) [ ̣ ̣] καὶ [ἐξ ἀ]μφοτ(έρων) τέκνα ..., oder in einer Geburtsanzeige an die Metropolenschreiber in P.Gen. 1 (2e éd.) 33, Z. 4–6 vom 9. September 155 n. Chr. aus Ptolemais Euergetis: καὶ τῆς το[ύτ]ου γυναικὸς οὔση̣ς καὶ ὁμοπατ[ρ]ί[ου] καὶ ὁμομη(τρίου) ἀδελφῆς Διδύμης. Es schadet bei Briefen nichts, auch ab und an den Adressaten mit einem τῷ φιλτάτῳ oder τιμιωτάτῳ anzureden. 27 Es kommt auch vor, dass der Gruß χαίρειν mit ἔρρωσθαι (BGU III 1009, Z. 1 vom 2. Jh. v. Chr.; BGU VIII 1755, Z. 1 vom Oktober 52 v. Chr.; P.Erl. 117, Z. 2 vom 1. Jh. n. Chr.) oder ὑγιαίνειν (BGU II 597, Z. 2 vom Dezember 75 n. Chr.; BGU IV
26 Laut M. N ALDINI, Il Cristianesimo in Egitto. Lettere private nei papiri di secoli IIIV, Firenze 1968, 15f, schrieben ägyptische Frauen ihre Gatten mit ἀδελφός, Angehörige einer ,Gemeindeʻ so auch die anderen Mitglieder an. 27 Für τῷ φιλτάτῳ/φιλτάτῃ gibt es 393/7 und für τιµιωτάτῳ/τιμιωτάτῃ 199/12 Belege bei http://papyri.info (eingesehen am 16.11.2011 um 11.15 Uhr).
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1203, Z. 1f vom Oktober 29 v. Chr.; BGU IV 1204, Z. 2 vom Oktober 28 v. Chr.) erweitert werden kann. Dies sind die wichtigsten Formen des Präskripts, das sich so über 700 Jahre hielt, was nicht nur am Traditionsbewusstsein innerhalb der Briefkultur lag – wie es eben am Beibehalten bestimmter Formeln und Phrasen erkennbar ist –, sondern auch durch die besondere Aufgabe des Wortes χαίρειν 28 begründet ist. Denn als Nachrichten noch mündlich überbracht wurden, war es vor allem auch Aufgabe des Boten, Grüße zu überbringen – daher blieb das χαίρειν in Form eines Grußwortes im brieflichen Präskript erhalten. Es wurde weiterhin nicht nur in Privatbriefen an den Beginn einer Nachricht gesetzt, sondern auch im amtlichen Briefverkehr, wo es besonders in Urkunden als essentielle Formalität galt. Lediglich in Kondolenzbriefen 29 wurde es durch die Formulierung εὖ πράττειν ersetzt. Typisch für christliche Briefe sind im Präskript vor allem die an das χαίρειν gehängten Zusätze ἐν κυρίωι (Naldini Nr. 21, Z. 3 [3./4. Jh. n. Chr.]: ἐν κ(υρί)ῳ) oder ἐν κ(υρί)ῳ θ(ε)ῷ (Naldini Nr. 50, Ζ. 4 [4. Jh. n. Chr.]) oder nur ἐν θεῶι (Νaldini Nr. 5, Ζ. 3 [3. Jh. n. Chr.]). Außerdem sei an das Präskript des Apostels Paulus erinnert, der das griechische Briefformular übernahm und umgestaltete, indem er nicht χαίρειν, sondern χάρις (ὑμῖν καὶ εἰρήνην ἀπὸ θεοῦ ...) verwendete z.B. in 1Kor 1,3; Eph 1,2; Phil 1,2; Röm 1,7. Seit dem 1. Jh. n. Chr. erscheint das Verb χαίρειν in Papyri verstärkt finit, nämlich in Form des Imperativs oder Optativs Präsens – also χαίροις z.B. P.Brem. 19, Z. 1 (2. Jh. n. Chr.); P.Köln III 163, Z. 1 (3. Jh. n. Chr.) bzw. χαῖρε z.B. BGU III 821, Z. 1 (2. Jh. n. Chr.); P.Rein. I 48, Z. 1 (2. Jh. n. Chr.) – insgesamt über 40 Mal. Beispiele aus den Lesetexten Nr. 11, Nr. 19, Nr. 16, Nr. 13, Nr. 17,
Z. 1f: Εὐδα[ι]µονὶς Ἀπολλωνίωι τῶι υἱῶι πλεῖστα χαίρειν. Z. 1f: Τ[ᾶ]υς [Ἀ]π[ολλ]ωνίωι τῶι κυρίωι πλεῖστα χαίρειν. Z. 1f: [Ἀ]λινὴ Ἀπολλωνίωι τῶι ἀδελφῶι πολλὰ χαίρειν. Z. 1f: Κορνήλιος Ἱέρακι τῷ γλυκυτάτωι υἱῷ χαίρειν. Z. 1f: Σερῆνος Εἰσιδώρᾳ [τῇ ἀδελ]φῇ καὶ κυρίᾳ πλεῖστ[α χαίρειν].
b) Formula valetudinis Hier lassen sich zwei Typen unterscheiden. Der erste ist der einfache: εἰ ἔρρωσαι, εὖ ἂν ἔχοι· ἔρρωμαι δὲ καὶ αὐτός (P.Cair.Zen. I 59046, Z. 2f, 257 v. Chr., Alexandria); εἰ ἔρρωσαι εὖ ἄν ἔχοι καὶ αὐτὸς δʼ ὑγιαίνω (P.Med. I 22, Z. 1f, 188 v. Chr., Lykopolis) bzw. εἰ ἔρρωσαι, εὖ ἂν ἔχοι oder εἰ 28 29
1998.
Schon bei Hom.Od. I 123 (χαῖρε, ξεῖνε) und XXIV 402 (οὖλέ τε καὶ μάλα χαῖρε). Vgl. J. CHAPA, Letters of Condolence in Greek Papyri, Pap.Flor. XXIX, Firenze
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ἔρρωσαι καὶ τὰ λοιπά σοι κατὰ γνώµην ἔστιν (W.Chr. 223, Z. 1, 226 v. Chr., Arsinoites). Der zweite ist verbunden mit dem Wort εὔχομαι: πρὸ μὲν πάντων (258 Belege) oder viel seltener πρὸ μὲν ὅλων (30 Belege). Für die Formulierung εὔχομαί σε ὑγιαίνειν gibt es über 100, für εὔχομαί σε ὁλοκληρεῖν zehn und für εὔχομαί ὑγιαίνειν und ὁλοκληρεῖν acht Belege. Diese Formel taucht Ende des 1. Jh. n. Chr. auf und hält sich dann durchgehend. εὔχομαι wird häufig durch παρὰ τοῖς θεοῖς und später auch durch die Nennung des Christengottes ersetzt (P.Iand. II 14, Z. 3f aus dem 4. Jh. n. Chr.: [εὔ]χομαι τῷ ἐν ὑψίσ[τ]ῳ θεῷ περὶ [τῆς] ὁλοκληρίας σου; P.Lips. I 111, Z. 3f aus dem 4. Jh. n. Chr.: πρὸ μὲν [πά]ντων εὔχομαι τῷ ὑψίστῳ Θε[ῷ] περὶ τῆς σῆς ὑγίας καὶ ὁλοκληρίας). Es ist durchaus eine philophronetische Formel, die insofern von Bedeutung ist, als sie am Anfang des Briefes steht. Beispiele aus den Lesetexten Nr. 2, Z. 3f: πρὸ μὲν πάντων εὔχομαί σε ὑιαίνιν. Nr. 4, Z. 3f: πρὸ τῶν ὅλων ἐρρῶσθαί σε εὔχομαι μετὰ καὶ τῶν ἀβασκάντων μου ἀδελφῶν. Nr. 7, Z. 2–6: πρὸ µὲν πάντων εὔχοµαί σε ὑγιαίνειν καὶ διὰ παντὸς ἐρρωµένον εὐτυχεῖν µετὰ τῆς ἀδελφῆς µου καὶ τῆς θυγατρὸς αὐτῆς καὶ τοῦ ἀδελφοῦ µου. Nr. 8, Z. 3–5: πρὸ μὲν πάντων εὔχομαί σε ὑγιαίνειν, καὶγὼ γὰρ αὐτὸς ὑγιαίν[ω]. Nr. 19, Z. 4: καὶ εὔχομαι πάντοτε περὶ τῆς̣ ὑγιείας σου.
c) Proskynema-Formel Diese Formel in der Grundform προσκύνημα σου ποιῶ findet sich seit dem 1. Jh. n. Chr. 30 Sie kann erweitert werden durch πρὸ μὲν πάντων (P.Bon. 44, Z. 1f, 2. Jh. n. Chr., Tebtynis: πρὸ μὲν πάντων τὸ προσκύνημά σου ποιῶ) sowie καθʼ ἑκάσ[τ]η[ν ἡ]μέραν (BGU I 276, Z. 4–6, 2.–3. Jh. n. Chr. Arsinoites: τὸ π[ρο]σκ[ύ]νημά σου ποιῶ καθʼ ἑκ[ά]σ[τ]ην ἡμέραν ...). Aber auch durch Formulierungen wie ἡμερησίως (P.Mich. III 209, Z. 5, 2.–3. Jh. n. Chr.), καθ᾿ ὥραν (P.Brem. 61, Z. 47f, 2. Jh. n. Chr.) und ἀδιαλείπως (P.Mich. VIII 502, Z. 4, 2. Jh. n. Chr.) kann sie ergänzt werden. Ebenfalls können der Gott bzw. die Gottheiten, an die das Gebet gerichtet wird, konkrete Götter sein z.B. παρὰ τῷ κυρίῳ Σαράπιδι (P.Mich. VIII 489, Z. 4, 2. Jh. n. Chr., Karanis), παρὰ πᾶσι τοῖς θεοῖς (P.Brem. 58, Z. 4f, 113–120 n. Chr., Hermupolis) oder παρὰ τοῖς ἐνθάδε θεοῖς (P.Oxy. XXXI 2595, Z. 4f, 3. Jh. n. Chr., Oxyrhynchites). Diese Proskynema-Formel scheint aus dem Ägyptischen zu kommen, da sie auch nur auf griechischen Papyrusbriefen aus Ägypten vorkommt. Proskynema bedeutet nach Prei-
30
G. GERACI, Ricerche sul proskynema, Aegyptus 51 (1971), 3–211.
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sigke: Gebet, Fürbitte für jemanden, zum Heile jemandes (um die Gunst und Hilfe der Götter auf den anderen herabzuflehen). 31 Wenn die Proskynema-Formel im Laufe der Zeit verschwindet, steht das sicherlich im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Christianisierung, obwohl sie auch von Christen verwendet wird (vgl. P.Oxy. LIX 3998, Z. 4f, 4. Jh. n. Chr., Oxyrhynchos). Beispiele aus den Lesetexten Nr. 1, Z. 1–3: τὸ προσκύνηµά σου ποιῶ καθ̕ ἑκάστην ἡµέραν παρὰ τῷ κυρίῳ [Σ]αράπιδι καὶ τοῖς συννάοις θεοῖς. Nr. 2, Z. 4f: τὸ προσκύνηµά σου ποιῶ παρὰ τῷ κυρίῳ Σαράπιδι. Nr. 8, Z. 5f: Μνίαν σου ποιούμενος παρὰ τοῖς [ἐν]θάδε θεοῖς.
d) Briefcorpus Darunter ist der freie Inhalt eines Briefes zu verstehen, der nicht an Formeln und Floskeln gebunden ist und der uns bisweilen unverständlich und dunkel bleibt, weil wir nicht alle Anspielungen auf frühere Briefe oder Sachverhalte kennen und verstehen. In einigen Fällen ist der Inhalt nichtssagend, während er in anderen Briefen sehr umfangreich ist. e) Grüße Grüße sind ein wesentlicher Bestandteil des Privatbriefes. Hier werden mit dem Verb ἀσπάζοµαι sowohl die Grüße eingeleitet, die der Schreiber Personen auf Seiten des Adressaten übermitteln will, als auch Grüße aus dem Umfeld des Schreibers an den Adressaten wie auch Grüße aus dem Umfeld des Schreibers an das Umfeld des Adressaten. Manchmal machen diese Grüße den Großteil eines Briefes aus, wie beispielsweise in Nr. 20, Z. 1– 10: Πετεσοῦχος Πανεβχούνιος Πετεαρσεμθεῖ καὶ Παγάνει ̀ Πανεβχούνιο(ς) Καρούρει ́ καὶ Ὥρωι καὶ Πετεαρσεμθεῖ ̀ Πανεβχούνιος ́ Ἐργενούφιος καὶ Πανεβχού-
31 F. PREISIGKE , Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden mit Einschluss der griechischen Inschriften, Aufschriften, Ostraka, Mumienschilder usw. aus Ägypten. Bd. II: Λ-Ω, Berlin 1927, s.v.
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νει Νεχούτου καὶ τῶι υἱῶι Πεκύσε[ι κ]αὶ Ὥρωι Πόρτιτος καὶ [ -ca.?- ] Πακοίβκει Π[[ορορι]]\ατη/τος καὶ τοῖς παιδίοις χαίρειν καὶ 10 ἐρρῶσθαι· Petesuchos, Sohn des Panebchunis, dem Petearsemtheus und dem Paganis, ̀ Sohn des Panebchunis, dem Karuris ́ und dem Horos und dem Petearsemtheus, ̀ Sohn des Panebchunis ́ Sohn des Ergenuphis, und dem Panebchu5 nis, Sohn des Nechotos, und dem Sohn Pekysis und dem Horos, Sohn des Portis, und ... dem Pakoibkis, Sohn des Pas (?), und den Kindern Grüße und 10 Wohlergehen.
Weitere Beispiele aus den Lesetexten Nr. 1, Z. 4–8: ἀσπάζοµαι τὴν ἀδε[λ]φήν µο[υ] καὶ τὰ παιδία καὶ Ἐλουᾶθ καὶ τὴν γυναῖκα αὐτοῦ καὶ Διοσκοροῦν καὶ τὸν ἄνδρα αὐτῆς καὶ τὰ παιδία καὶ Τ[ά]μ̣αλιν καὶ τὸν ἄνδρα αὐτῆς καὶ τὸν υἱὸν καὶ Ἥρωνα καὶ Ἀµµωνάριον καὶ τὰ παιδία αὐτῆς καὶ τὸν ἄνδρα καὶ Σανπατʼ καὶ τὰ παιδία αὐτῆς. Nr. 4, Z. 14–16: ἀσπάζομαι Ἰούλιον καὶ τοῦς αὐτοῦ κατʼ ὄνομα καὶ Σκυθικὸν καὶ Θερμοῦθιν καὶ τὰ πεδια αὐτῆς. ἀσπάζετε ὑμᾶς Γέμελλος.
f) Schlussklausel Sie fehlt in keinem Brief. Die einfachste Form lautet ἔρρωσο bzw. εὐτύχει. So kurz bleibt sie bis ins 1. Jh. n. Chr., danach gibt es Erweiterungen wie z.B. ἐρρῶσθαί σε εὔχοµαι. Der Schlussgruß ist meistens von eigener Hand geschrieben, wenn der Rest von einer anderen Hand stammt. Erweiterungen sind auch hier möglich. Ein typischer Schlussgruß ist: ἐρρῶσθαί σε εὔχοµαι πολλοῖς χρόνοις (P.Mich. VIII 477, Z. 44f, frühes 2. Jh. n. Chr., Alexandria). Beispiele aus den Lesetexten Nr. 9, Z. 14f: ἐρρῶσθαί σε, ἄδελφε, εὔχοµαι. Nr. 13, Ζ. 28: ἔρρωσο, τέκνον.
Manchmal findet sich auch in Privatbriefen ein Datum. Aber das ist eher selten.
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Beispiele aus den Lesetexten Nr. 9, Z. 16: (ἔτους) γ Θὼθ ια. Nr. 13, Z. 29: Τῦβι ιϛ.
g) Inscriptio Darunter ist die Adresse zu verstehen, die in der Regel auf der Rückseite zu finden ist, denn die Briefe sind meistens gefaltet, so dass die Adresse auf der Außenseite zu sehen ist. Über Verschnürung und Anbringung von Decussis vgl. oben 3. Formalia. Beispiele aus den Lesetexten Nr. 1, verso: [- ca. ? - π](αρὰ) X Ἰσεῖτος θυγατρός. Nr. 10, verso: Ἀλίνηι X θυγατρ[ί].
5. Briefauswahl Die Auswahl der Texte orientiert sich an der zeitlichen Nähe zur Abfassung der Texte des Neuen Testaments. Auch einige immer wieder gern verwendete Texte fanden Aufnahme und schließlich wurden einige Beispiele dem bekannten Apollonios-Archiv 32 entnommen, das u.a. auf Gießen, Bremen, Leipzig, Straßburg und Florenz verteilt ist. Es ist benannt nach einem Gaustrategen, Landbesitzer und Inhaber einer Webereimanufaktur, der in Hermupolis Magna seinen Hauptwohnsitz hat, der aber in den Jahren von mindestens 113–119 n. Chr. als Gaustratege oberster ziviler Verwaltungschef des Gaues Apollonopolites Heptakomias mit Hauptsitz Heptakomias war, was ungefähr 150 km nördlich von Hermupolis Magna liegt. Ein Teil seiner Amtszeit fällt in die Zeit des jüdischen Aufstandes (115–117 n. Chr.), der von der Kyrenaika ausgehend über Ägypten bis nach Mesopotamien reichte und mit dazu beigetragen hat, dass der Kaiser Trajan seine Eroberungen im Osten abbrechen musste. Wir finden in diesem Archiv einige Papyri, auch unter denen der Familienangehörigen, 33 die auf diese Ereignisse in Ägypten anspielen. Der Kontext dieses Archivs passt gut zum „Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti“.
32 33
http://www.trismegistos.org/arch/detail.php?tm=19&i=6. R. CRIBIORE, The Women in the Apollonios Archive and Their Use of Literacy, in: H. Melaerts / L. Mooren (Hg.), Le rôle et le statut de la femme en Égypte hellénistique, romaine et byzantine. Actes du colloque international, Bruxelles-Leuven 27–29 novembre 1997, Studia Hellenistica 37, Paris u.a. 2002, 149–166.
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5.1. Kinder an Eltern Es sind bisher ca. 243 Privatbriefe publiziert, die ganz gesichert, und zwar durch die Anrede, entweder an die Mutter oder den Vater adressiert sind, und zwar 72 an Mütter, davon sind 13 von Töchtern (bei dreien ist das Geschlecht unbekannt) und 171 an Väter, wobei elf Mal die Briefe von den Töchtern stammen. Grob gesagt sind ein Drittel der Briefe an Mütter gerichtet, die Mehrzahl geht an die Väter. Töchter schreiben weniger, würde man daraus ableiten wollen, aber positiv betrachtet stammen zehn Prozent der Post an die Eltern von Töchtern! 1. BGU VII 1680 = Sel.Pap. I 134: Iseis an ihre Mutter Thermuthion (Philadelphia, 3. Jh. n. Chr., s. Abb. 1) Ἰσεῖς Θερμουθίωι τῇ μητρὶ πλεῖστα χαίρειν. τὸ προσκύνημά
σου ποιῶ καθʼ ἑκάστην ἡμέραν παρὰ τῷ κυρίῳ [Σ]αράπιδι καὶ τοῖς
συννάοις θεοῖς. γεινώσκειν σε θέλω, ὅτι εὖ καὶ καλῶς γέγονα εἰς Ἀλεξάν
δρειαν ἐν τέσσαρσι ἡμέραις. ἀσπάζομαι τὴν ἀδε[λ]φήν μο[υ] 5 καὶ τὰ παιδία καὶ Ἐλουᾶθ καὶ τὴν γυναῖκα αὐτοῦ καὶ Διοσκο-
ροῦν καὶ τὸν ἄνδρα αὐτῆς καὶ τὰ παιδία καὶ Τ[ά]μ̣αλιν καὶ τὸν
ἄνδρα αὐτῆς καὶ τὸν ϋιον καὶ Ἥρωνα καὶ Ἀμμωνάριον καὶ τὰ παι-
δία αὐτῆς καὶ τὸν ἄνδρα καὶ Σανπατʼ καὶ τὰ παιδία αὐτῆς.
καὶ ἐὰν θελήσῃ αϊων στρατεύσασθαι, ἐρχέσθω· στρατεύονται γὰρ
10 πάντες.
ἐρρῶσθαι 〚σε〛 ϋμασ εὔχομαι πανοικί. verso [- ca. ? - π](αρὰ) X Ἰσεῖτος θυγατρός. Z. 8, l. υἱόν, Z. 9, l. Ἀϊῶν, Z. 10, l. ὑμᾶς
Isis Thermuthion, ihrer Mutter, sehr viel Grüße. Fürbitte für dich verrichte ich jeden Tag bei dem Herrn Sarapis und seinen Mitgöttern. Ich will, dass du weißt, dass ich gut und glücklich nach Alexandria gekommen bin, in vier Tagen. Ich grüße meine Schwester 5 und die Kinder und Elouath und seine Frau, Dioskoroys und ihren Mann und die Kinder und Tamalis und ihren Mann und den Sohn und Heron und Ammonarion und ihre Kinder und den Mann und Sanpat und ihre Kinder. Und wenn Aion Soldat werden will, soll er nur gehen; denn Soldaten 10 werden alle. Ich bete, dass es [[dir]] euch wohl geht im ganzen Hause. verso … von X Isis, der Tochter.
In diesem Papyrus schreibt Isis an ihre Mutter Thermuthion. Sie meldet ihre gute Ankunft in Alexandria. Da der Brief aus Philadelphia im Fayum stammt, hat die Tochter die Reise von dort in die Hauptstadt, wie es scheint, ganz allein unternommen. Denn es werden keine weiteren Personen erwähnt, auch nicht in den Grüßen. Das ist doch sehr bemerkenswert. Wir erfahren nicht, mit welchen Transportmitteln sie die Reise durchge-
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führt hat und was der Zweck der Reise war, wohl aber, dass sie die Strecke in vier Tagen bewältigt hat. Sie richtet Grüße an verschiedene namentlich genannte Mitglieder dieser Großfamilie aus und befürwortet enthusiastisch den Wunsch eines Familienmitglieds namens Aion ins Heer einzutreten, und zwar in Alexandria und führt als Begründung an: „denn Soldaten werden alle“. Die Großfamilie besteht aus der Mutter, den beiden Töchtern Iseis und einer nicht namentlich genannten Frau und deren Kindern, einem Mann namens Elouath und dessen Frau, einer weiteren Frau Dioskoroys sowie deren Mann und deren Kinder, der Tamalis und deren Mann und deren Sohn, dann Heron und Ammarion und deren Kinder und (deren) Mann und Sanpat und deren Kinder. Wem der ,Möchtegernsoldatʻ zugeordnet werden kann, ist unklar. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht bei allen Personen eine Zuordnung zu einem Mann oder einer Frau erfolgt. Aber die Adressatin wird wohl wissen, wer zu wem gehört. Im Schlussgruß hat sich die Tochter verschrieben und zuerst „dir“ statt „euch“ geschrieben und dies nachträglich korrigiert. Aus dem πανοικί in Z. 11 kann man ablesen, dass die Großfamilie zusammen unter einem Dach wohnte, was keine Seltenheit ist, wie uns u.a. die Zensus-Papyri bezeugen. 34 2. P.Fay. 127: Taorsenuphis an ihre Mutter Ision (Bakchias, 2.–3. Jh. n. Chr., s. Abb. 2) Ταορσενοῦφις Ἰσίῳ{ν} τῇ μητρὶ πολλὰ χαίρειν. vacat
πρὸ μὲν πάντων εὔχομαί σε ὑιαί-
νιν καὶ τὸ προσκύνημά σου ποιῶ πα-
5 ρὰ τῷ κυρίῳ Σαράπιδι. καλῶς ποι-
ήσις τω ἐπιβάλλον ὑμῖν τοῦ καρ-
ποῦ τοῦ ἀμπελῶνος δ[ο]ῦναι αὐ-
τὸ τῇ ἀδελφῇ σου καὶ σ̣ταφύλι-
ων. ἔπεμψα ὑμῖν γ [ζεύ]γη φια-
10 λῶν, σοὶ α καὶ Πετεσούχῳ α
καὶ τοῖς γαμροῖς τῆς ἀδελφῆς
σου α, καὶ μικὸν ποτήριν Θεο-
νᾶτι τῷ μικῷ καὶ ἄλλο τῇ θυγα-
τρὶ τῆς ἀδελφῆς σου· καὶ ἐὰ λάβη-
15 τε φαγον πέμψαι ἐμοὶ διὰ Κατοί-
του. verso ἀπὸ Ταορσενούφις μητρος. Z. 6, l. τὸ, Z. 8f, l. σ̣ταφύλιον, Z. 15, l. φακόν, Z. 17, l. Μητρί
34
R. S. B AGNALL / B. W. FRIER, The Demography of Roman Egypt, New York 1994.
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Reinhold Scholl / Margit Homann
Taorsenuphis Isis, der Mutter, vielmals Grüße. vacat Vor allem bete ich, dass du gesund bist und ich verrichte Fürbitte für dich 5 beim Herrn Sarapis. Du wirst schön handeln, uns die Pflichtlieferung des Ernteertrages des Weinbergs zu geben, dasselbe deiner Schwester und der Weintrauben. Ich habe euch 3 Paar 10 Kessel geschickt, dir 1 und Petesuchos 1 und den Schwägern deiner Schwester 1 und einen kleinen Becher Theonas, dem Kleinen, und einen anderen der Tochter deiner Schwester. Und wenn ihr 15 Linsen bekommt, schickt sie mir durch Katoitos. verso Von Taorsenuphis, der Mutter.
Es handelt sich bei diesem Papyrus um einen Brief einer Frau mit Namen Taorsenuphis an ihre Mutter Ision, in dem es um die Zusendung verschiedener Waren an einige Familienmitglieder geht. Der Brief ist, auch wenn er von einer ungelenken und wenig geübten Schrift stammt, doch schön gestaltet. Die Eingangsgrußformel πολλὰ χαίρειν steht allein in der zweiten Zeile, und zwar zentriert. Es gibt nur neun Belege für die Formel μηρτὶ πολλὰ χαίρειν. Außerdem ist danach und vor der formula valetudinis ein Freiraum von fast dem Platz einer Zeile. Es gibt viele Rechtschreibfehler und dem Iotazismus geschuldete Formen. Der Brief endet mit einer Aufforderung an die Mutter. Es fehlt jeglicher Gruß, was schon bemerkenswert ist. 5.2. Drei Briefe von Söhnen an Mütter 3. BGU III 814: Brief eines jungen Soldaten an seine Mutter (Arsinoites, 3. Jh. n. Chr., s. Abb. 3)
5
[. . . .γλυκυτ(?)]ά̣τ[ῃ(?)] μου μητρ]ὶ πλεῖστα χαίρειν.
[πρὸ μὲν πά]ντων ε[ὔχομαί σ]ε ϋγιαινειν μετὰ τῶν σῶν
[πάντων. κ]αλῶς π[οιήσεις] κ[ο]μισαμενος μου τὸ ἐπι-
[στόλιον, εἰ π]έμψις μ[οι δια]κοσίας δραχμάς. ὅτε Γέμει̣ν̣ο̣ς̣
[. . . . . . . .] ἦλθεν, ο̣[ὐκ ἔσχ]ον εἰ μὴ εἴκοσι στατηρες,
[νῦν δὲ οὐ]χ ἕνα, ὅτ[ι ἡμι]ονικὸν ἅρμα ἔλαβα καὶ ὅ-
[λον τὸν χ]αλκὸν 〚ε〛[δεδα]πάνηκα εἰς αυτω. ταῦτά σοι
[ἔγραψ]α̣ ἵνʼ εἰδῇς. [πέμψει]ς μοι ἀβόλλην καὶ βυρρον
[. . . .]νταν καὶ [ζεῦγο]ς̣ φασκίων καὶ ζεῦγος ἱματίω̣(ν)
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern
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10 [δερμ]ατίνων καὶ [ἔλαιο]ν̣ καὶ τὸ τ\ρ/ουλιν ὡς εἶπές μοι
[. . . .]υγαυτην κ[αὶ ζεῦγο]ς̣ κερβικαρίων καὶ γερμανον
[. . . .]εια[ν] αὐτοῦ. [πρὸς] τ[ὸ] λοιπὸν οὖν, μητηρ, πέμψις
[τὰ ἐπ]ιμήν{ε}ια ἐν[τάχι]ον. ταῦτά μοι ἔλεγες, ὅτε ἦλθα
[πρός σ]ε, ὅτι πρὸ τοῦ [εἰσέ]λθοις εἰς τὴν παρεμπολην σο̣υ
15 [πρός] σε πέμπω ἕν[α τ]ῶν ἀδελφῶν σου καὶ οὐδέν μοι
[ἔπε]μψε[ς], ἀλλὰ ἀφ[ῆ]κ̣[ές] μοι οὕτως μηδὲν εχων [- ca. 13 -] . . μηδὲ ἄλλο{υ} μηδέν. οὐκ εἶπες̣ ὅτι
[.]. .[. . οὐ]κ ἔχω̣ν οὐ χαλκὸν ο̣[ὐ]κ οὐδέ̣ν ̣, ἀλλὰ ἀφῆκάς
[μοι οὕ]τω̣[ς] ὡ̣ς κ̣υων καὶ ὁ πατήρ μου πρὸς ἐμὲ ἐλθ. . . . . . .
20 οὐκ ἔδωκ[έν μο]ι ὀβολὸν οὐ βυρρον οὐκ οὐδέν, ἀλλὰ πάντες
καταγελῶ̣σί μοι, ὅτι ὁ πατὴρ αὐτοῦ στρατεύεται, οὐδὲν
αὐτῷ δέδ[ω]κε, ἔλεγε ὅτι ἐὰν ἀπέλθω εἰς οἶκον, πέμπω σ[οι]
πά̣ντα· οὐδέν μ[ο]ι ἐπέμψαται διὰ τ{ε}ί; ἡ μήτηρ Οὐαλερίου
ἔπεμψε α[ὐ]τῷ ζεῦγος ὑποζωνῶν καὶ κεραμεῖον ἐλαίου
25 κ[αὶ] σφυρίδα{ν} κρεδίων καὶ δίλασσον καὶ διακοσίας δραχμὰς
. [. . .]εο . λ̣α̣ρ̣ουτος. ἐρωτῶ σε οὖν, μητηρ, πέμψις πρὸς ἐμέ,
μὴ ἀφήσις μοι ουτος, ἀλλὰ ἀπῆλθα, κέχρημαι χαλκὸν
π[α]ρὰ συστρατιώτου καὶ παρὰ τοῦ ὀπτίωνός μου καὶ ὁ ἀδελ-
φός μου Γέμελλος ἔπεμψέ μοι ἐπιστολὴν καὶ βρακέλλας.
30 γεινωσκε, ὅτι λοιπουμαι, ὅτι οὐκ ἀπῆλθ̣α ενγυς τοῦ ἀδελφ̣ο̣ῦ̣
κ[αὶ] αὐτὸς λυπεῖτ[αι] ὅτι οὐκ ἀπῆλ[θ]α ενγυς αὐτοῦ· ἔπεμ-
ψέ [μοι ἐπι]στολὴν μεμφόμενός μου, ὅτι εἰς ἄλλην χώραν
[ἀπῆλθα. γ]ράφω σοι οὖν ταῦτα, ἵνʼ εἰδῇς, μητηρ. καλῶς
[ποιήσεις [κ]ομισαμενος μου τὸ ἐπιστόλιν ἐντάχ{ε}ιον
35 [εἰ πέμψει]ς εμαι. Γεινωσκε, ὅτι ὁ ἀδελφός μου Γέμελλος
[. . .]λην ἀπῆ[λ]θε. ἀσπάζομαι τοὺς ἐν οἰκί[ᾳ] παντες
[τοὺς σοὺς], ἀσπάζομαι Ἀπωλλινάριον καὶ Οὐαλέρ[ι]ον καὶ Γέμιν[ον],
[ἀσπάζομαι καὶ το]ὺς φιλουντος ἡμᾶς παντες. versiculus transversus [- ca. ? -] πέμψ[ει]ς πρὸς ἐμέ, ἐὰν εἰδῇς οὐδεὶς το [- ca. ? -]
40 [- ca. ? -] εἶπέ μοι ὁ πατ[ή]ρ [- ca. ? -] Z. 2, l. ὑγιαίνειν, Z. 3, l. κομισαμένη, Z. 5, l. στατῆρας, Z. 7, l. αὐτό, Z.8, l. βύρσον, Z. 10, korr. aus του[ρ]λιν, Z. 12, l. μῆτερ, Z. 14, l. παρεμβολήν, Z. 16, l. ἔχοντα, Z. 18, l. ἀφῆκας, Z. 19, l. κύνα, Z. 20, l. βύρσον, Z. 23, l. ἐπέμψατε, Z. 26, l. μῆτερ, Z. 27, l. οὕτως, Z. 30, l. γίγνωσκε, l. λυποῦμαι, Z. 30, l. ἐγγύς, Z. 31, l. ἐγγύς, Z. 32, BL 1.69: οὖν Original ed., Z. 33, l. μῆτερ, Z. 34, l. κ]ομισαμένη, Z. 35, l. ἐμοί, Z. 35, l. γίγνωσκε, Z. 36, l. πάντας, Z. 38, l. φιλοῦντας, Z. 38, l. πάντας
5
... meiner lieben Mutter sehr viel Grüße. Vor allem bete, dass du gesund bist mit all den Deinen. Du wirst gut handeln, sobald du mein Briefchen erhalten hast, wenn du mir zweihundert Drachmen schickst. Als Geminus ... kam, hatte ich nichts mehr außer zwanzig Statere, jetzt aber nicht einen einzigen, weil ich ein Maultiergespann angeschafft und das ganze Geld für dieses aufgewendet habe. Dieses habe ich dir geschrieben, damit du es erfährst. Schicke mir einen Mantel, einen Kapuzenmantel ..., ein Paar Beinbinden, ein paar Mäntel
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Reinhold Scholl / Margit Homann
10 aus Leder und Öl und die Pfanne, wie du mir sagtest, ... und ein Paar Kopfkissen und einen echten (?) ... Weiterhin also, Mutter, wirst du mir das Monatsgeld recht bald schicken. Dieses sagtest du mir, als ich zu dir kam: „Bevor du in deinem Lager ankommst, 15 schicke ich einen deiner Brüder zu dir“, und nichts hast du mir geschickt, sondern du ließest mir so, dass ich nichts habe, ... und auch nichts anderes. Du sagtest nicht: „... nicht habe ich Geld noch nicht etwas anderes“, sondern du ließest mir so wie einen Hund. Und als mein Vater zu mir kam, 20 gab er mir nicht einen Obolos und nicht einen Kapuzenmantel, absolut nichts. Aber alle lachen mir aus: „Sein Vater ist Soldat, nichts hat er ihm gegeben!“ Er sagte: „Wenn ich nach Hause komme, schick ich dir alles!“; nichts hat er mir geschickt. Warum? Die Mutter des Valerius hat ihm ein Paar Unterkleider geschickt, einen Topf Öl, 25 einen Korb mit Fleischware, ein Dilasson und zweihundert Drachmen. ... Ich bitte dich also, Mutter, schicke an mich, lass mir nicht so. Ich bin sogar abmarschiert, habe Geld geborgt von einem Mitsoldaten und von einem Feldwebel. Und mein Bruder Gemellus hat mir einen Brief und Hosen geschickt. 30 Wisse, dass ich betrübt bin, dass ich nicht in die Nähe meines Bruders gekommen bin, und er ist betrübt, dass ich nicht in seine Nähe gekommen bin. Er schickte mir einen Brief, worin er mich tadelt, dass ich nicht in eine andere Garnison gekommen bin. Ich schreibe dir nun dieses, damit du es weißt, Mutter. Du wirst gut tun, wenn du mein Briefchen erhalten hast, mir recht bald 35 zu schicken. Wisse, dass mein Bruder Gemellus in eine andere Garnison gekommen ist. Ich grüße alle die Deinen im Hause, ich grüße Apollinarios und Valerius und Geminus ich grüße alle, die uns lieb haben. versiculus transversus ... schicke zu mir, wenn du weißt, niemand ... 40 ... sage mir der Vater
Dies ist der Brief eines anscheinend verwöhnten jungen Mannes, der beim Militär gelandet ist, an seine Mutter, mit der dringenden Bitte um Geld, weil er seine Ersparnisse für den Kauf eines Maultiergespanns aufgebraucht hat. Er bittet um Sendung von Kleidung und anderen Waren. Er führt Beschwerde, dass er nichts von seinen Eltern bekomme wie seine Kameraden, die ihn deshalb verspotten. Auch der Vater und der Bruder, die ebenfalls Soldaten sind, tun nichts für ihn! Nach einem doch sehr freundlichen und die Mutter für ihn einnehmenden Einleitungsgruß (Z. 1) (γλυκυτ(?)]ά̣τ[ῃ(?)](?)μου μητρ]ὶ πλεῖστα χαίρειν) und der formula valetudinis kommt er gleich auf sein Anliegen zu sprechen, dass sie ihm 200 Drachmen schicken soll, weil er kein Geld mehr habe. Denn er hat sich ein Maultiergespann gekauft und dafür sein ganzes Geld ausgegeben. Etwas trotzig klingt dann die Aussage: „Dieses habe ich dir geschrieben, damit Du es erfährst“ (Z. 7f). Mit der Aufforde-
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rung, Dinge zu schicken, beginnt auch gleich der nächste Satz – die zu sendenden Dinge werden genau spezifiziert: nämlich einen Mantel, zusätzlich einen Kapuzenmantel, ein Paar Beinbinden, ein Paar Lederröcke, Öl, eine Pfanne und ein Paar Kopfkissen. Damit aber noch nicht genug, er verlangt auch noch sein Monatsgeld. Dabei spricht er sie auch noch mit „Mutter“ an, aber diesmal (Z. 12) und in den zwei weiteren Fällen (Z. 26 und 33) ohne zusätzliches, sie auszeichnendes Attribut. Dann bemängelt er, dass seine Mutter ihr Versprechen nicht eingehalten hat, und zwar nicht mit der Begründung, weil sie kein Geld habe, sondern ohne Kommentar, einfach so, wie man einen Hund behandelt. Des Weiteren beklagt er sich, dass auch sein Vater ihm nichts gegeben hat, so dass seine Kameraden ihn alle verlachen. Denn auch der hatte angekündigt, ihm etwas zu schicken, aber sein Versprechen nicht eingehalten. Da wird sein Kamerad Valerius ganz anders behandelt. Und er zählt detailliert auf, was dessen Mutter ihm alles geschickt hat: ein Paar Leibbinden, einen Krug Öl, einen Korb mit Fleischwaren, ein Dilasson, was ein Kleidungsstück unbekannter Art ist, und 200 Drachmen. Diesem Hinweis auf andere schließt sich die Bitte bzw. Aufforderung an seine Mutter an, ihm das Erbetene und Versprochene endlich zu schicken. Um seine Notlage noch deutlicher zu machen, teilt er der Mutter mit, dass er – was wohl das Schlimmste ist – sich Geld von einem Kameraden und sogar von einem Feldwebel (optio) geliehen hat. Dass er ganz ohne „Geschenke“ geblieben ist, trifft nicht zu, denn zumindest sein Bruder Gemellus hat ihm einen Brief und Hosen geschickt. 35 Beide Brüder sind aber nicht in derselben Garnison gelandet, was beide sehr bedauern. Es schließt sich die etwas zornig anmutende Wiederholung des Satzes an: „Ich schreibe dir nun dieses, damit du es weißt“ (Z. 33). Es folgt wieder eine verkappte und verklausulierte Aufforderung, ihm die Dinge zu schicken. Nach der wiederholten Mitteilung, dass der Bruder in eine andere Kaserne abkommandiert worden ist, kommen die Schlussgrüße an alle im Hause und dann noch einmal speziell für drei namentlich genannte Personen und die salvatorische Formel: „Ich grüße alle, die uns lieb haben“ (Z. 38). Irgendwie typisch für den jungen Mann ist auch das Postscriptum als versiculus transversus, das auch wieder die Aufforderung πέμψ[ει]ς enthält. Überhaupt ist das Wort πέμψεις und ähnliche Flexionsformen mit zwölf Mal das häufigste Wort in diesem Papyrus, der uns einen Einblick in das Militärwesen im 3. Jh. n. Chr. gewährt. Man erhält den Eindruck, dass die Soldaten auf die Hilfe und zusätzliche finanzielle und materielle Zu35
Einen Teil der erbetenen und geschickten Waren kennen wir auch aus dem Höchstpreisedikt des Jahres 301 n. Chr., das sich besonders den Sorgen und Nöten der Soldaten annehmen sollte. Dennoch sind nicht alle Wörter und die dahinter stehenden Sachen identifiziert: z.B. γερμανον Z. 11, διλασσον Z. 25.
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Reinhold Scholl / Margit Homann
wendung der Eltern angewiesen sind, dass der Schreiber dieses Briefes sicherlich keine Ausnahme darstellte, auch wenn er nicht ganz repräsentativ ist. Es zeigt sich, dass dieser – vermutlich jüngste und damit verhätschelte – junge Mann nicht mit Geld umgehen kann, dass er sich aber jederzeit an seine Mutter wenden kann, die ihm aus der finanziellen Klemme helfen soll. Besonders die Tatsache, dass er sein Geld für ein Maultiergespann ausgegeben hat, assoziiert modernes Verhalten junger Männer, die sich ebenfalls bei dem Erwerb eines Autos bisweilen übernehmen, aber dieses Fortbewegungsmittel als Statussymbol benötigen und auch nicht bereit sind, auf dieses zu verzichten. Lieber nehmen sie Geld auf. Ganz schimpflich scheint es zu sein, bei seinem Vorgesetzten – und das noch in der römischen Armee – Geld zu borgen. Es kommt nie in Frage für den jungen Mann, sich von dem Maultiergespann zu trennen. Man kann sich irgendwie gar nicht vorstellen, dass wir uns im strengen römischen Militär bewegen. Der Brief kommt aus dem Arsinoites aus dem 3. Jh. n. Chr., eigentlich einer Zeit der Krise mit den ständigen Wechseln der Soldatenkaiser. Leider lässt sich der Text zeitlich nicht näher eingrenzen. 4. SB III 6263 = Sel.Pap. I 121: Sempronius an seine Mutter Saturnila und seinen Bruder Maximus (Alexandria, 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.) Σεμπρώνιος Σατουρνίλᾳ τῇ μητρ{ε}ὶ
καὶ κυ̣ρ̣ίᾳ πλεῖστα χαίρειν.
πρὸ τῶν ὅλων ερρωσθε σε εὔχομαι μετὰ καὶ τῶν
ἀβασκάντων μου ἀδελφῶν, ἅμα δὲ καὶ τὸ προσκύ-
5 νημα ὑμῶν ποιουμε ἡμερησίως παρὰ τῷ κυρί-
ῳ Σεράπιδι. τοσαύτας ὑμ{ε}ῖν ἐπιστολὰς διεπεμ-
ψάμην καὶ {κ}οὐδεμ{ε}ίαν μοι αντεγραψαται, τοσούτων̣
καταπλευσάντων. ἐρωτηθεῖσ, ἡ κυρία μου, ανοκνως
μοι γράφειν περὶ τῆς σωτηρίας ὑμῶν, ϊνα καὶ καγω ἀμε-
10 ριμνότερα διάγ̣ω̣. τοῦτό μοι γὰρ εὐκτέον ἐστὶν διὰ παν-
τός. ἀσπάζομαι Μάξιμον καὶ τὴν σύμβιον αὐτοῦ καὶ Σα-
τουρνῖλον καὶ Γέμελλον καὶ Ἑλένην καὶ τοὺς αὐτῆς. μετάδος
αὐτῇ, ὅτι ἐκομ{ε}ισάμην Σεμπρωνίου ἐπιστολὴ̣ν ̣
ἀπὸ Καππαδοκίας. ἀσπάζομαι Ἰούλιον καὶ τοῦς αὐ-
15 τοῦ κατʼ ὄνομα καὶ Σκυθικὸν καὶ Θερμοῦθιν καὶ τὰ
πεδια αὐτῆς. ασπαζετε ὑμᾶς Γέμελλος.
ἔρρωσό μοι ἡ κυρία μου διὰ παντός.
vacat
Σεμπρώνιος Μαξίμωι τῷ ἀδελφῷ
πλ[ε]ῖστα χαίρειν. πρὸ τῶν ὅλων ερωσθε
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern
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20 σε εὔχομαι. μετέλαβον, ὅτι βαρέως δουλεύ{ου}ετε
τὴν κυρίαν ἡμῶν μητέρα{ν}. ἐρωτηθείς, ἄδελφε γλυκυταται ἐν μηδεν{ε}ὶ αὐτὴν λύπει. εἰ δέ τις τῶν ἀ-
δελφ̣ῶν ἀντιλέγει αὐτῇ, σὺ ὀφείλεις αὐτοὺς κολαφί-
ζει[ν]. ἤδη γὰρ πατὴρ ὀφίλει καλεῖσθαι. Επεισταμε,
25 ὅτι̣ χωρὶς τῶν γραμμάτων μου δυνατὸς̣ εἶ, αὐτῇ
αρεσε. ἀλλὰ μὴ βαρέως ἔχε μου τὰ̣ γράμματα νουθε-
τοῦν[τ]ά σε. Ὀφίλομεν γὰρ σέβεσθαι τὴν τεκοῦσαν ὡς
θε̣[όν], μάλ{ε}ιστα τοιαύτην οὖσαν ἀγαθήν. ταῦτά σοι ἔ-
γραψα, ἄδελφε, ἐπ{ε}ιστάμενος τὴν γλυκασίαν τῶν
30 κυ[ρί]ων γονέων. καλῶς ποιήσις γράψας μοι περὶ τῆς
σ[ωτ]ηρίας ὑμ[ῶ]ν. ἔρρωσό μοι, ἄδελφε. verso ἀπόδος Μαξίμωι ἀπὸ Σεμπρωνίου ἀδελφοῦ. Z. 3, l. ἐρρῶσθαι, Z. 5, l. ποιοῦμαι, Z. 7, l. ἀντεγράψατε, Z. 8, l. ἀόκνως, Z. 9, l. ἵνα, l. ἐγώ, Z. 16, l. παιδία, l. ἀσπάζεται, Z. 19, l. ἐρρῶσθαι, Z. 21f, l. γλυκύτατε, Z. 24, l. Ἐπίσταμαι, Z. 26, l. ἀρέσαι
5
10
15
20
25
Sempronius an Saturnila, seine Mutter und Herrin, sehr viel Grüße. Vor allem bete ich, dass du dich wohl fühlst mitsamt auch meinen vor bösem Blick gefeiten Geschwistern. Zugleich aber auch tue ich Fürbitte für euch täglich bei dem Herrn Serapis. So viele Briefe habe ich euch geschickt, und keinen habt ihr mir zurückgeschrieben, obwohl so viele nilabwärts gefahren sind. Du bist von mir gebeten, meine Herrin, ohne zu zögern mir zu schreiben über euer Wohlergehen, damit auch ich beruhigter lebe. Dies erbitte ich allezeit. Ich grüße Maximus und seine Lebensgefährtin und Saturnilus und Gemellus und Helene und die Ihrigen. Lass sie wissen, dass ich einen Brief des Sempronius bekommen habe, aus Kappadokien. Ich grüße Julius und die Seinigen jeden mit Namen und Skythikos und Thermuthis und ihre Kinder. Es grüßt euch Gemellus. Leb mir wohl, meine Herrin, immerdar! vacat Sempronius dem Maximus, seinem Bruder, vielmals Grüße. Vor allem bete ich, dass es dir wohl ergeht. Ich erfuhr, dass ihr grausam wie eine Sklavin unsere Herrin Mutter behandelt. Du bist gebeten, süßester Bruder, betrübe sie in keiner Weise. Wenn aber einer der Brüder ihr widerspricht, so sollst du sie ohrfeigen. Denn du solltest jetzt Vater heißen. Ich weiß, dass du auch ohne meine Schreiben in der Lage bist, ihr zu helfen. Also nimm nicht schwer meine dich ermahnenden Schreiben; denn wir schulden es, die, die uns geboren hat, zu verehren wie einen Gott, besonders, wenn sie so gut ist. Dies hab ich dir geschrieben, mein Bruder, wissend um die Zuneigung der
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Reinhold Scholl / Margit Homann
30 Herren Eltern. Du wirst gut tun, mir über euer Wohlergehen zu schreiben. Leb wohl, mein Bruder. verso Gib an Maximus von Sempronius, dem Bruder.
In diesem Papyrus schreibt ein Sempronius an seine Mutter Saturnila. Direkt darunter ist ein Brief von ihm an seinen Bruder Maximus, den er ermahnt, der Mutter zu Gefallen zu sein und die Geschwister dazu anzuhalten, sie nicht wie eine Sklavin zu behandeln. Die Briefe wurden in der Antike voneinander getrennt und in der Moderne erst wieder zusammengefügt, anders als dies bei einem anderen Brief desselben Mannes an seine Mutter und seinen Bruder der Fall ist, der in P.Mich. XV 752 erhalten ist, und der niemals getrennt worden ist. In unserem Fall kann man sich gut vorstellen, warum das der Fall war, denn die Mutter sollte keine Kenntnis vom unvorteilhaften Inhalt des zweiten Briefes über die Söhne erhalten. Die Anrede mit „Mutter und Herrin“ kommt nach papyri.info (http:// papyri.info) sehr selten vor. Von den insgesamt sieben Belegen stammen zwei von unserem Sempronius. Nach der formula valetudinis und der Proskynema-Formel, die bei dem Gott Serapis erfolgt, beklagt er sich, dass er auf die Vielzahl seiner Briefe keine Antwort erhalten hat. Dann bittet er nochmals eindringlich um Nachricht über das Wohlergehen seiner Mutter. Es folgen dann die Grüße, wobei als erster Maximus genannt wird, an den der direkt darunter geschriebene Brief adressiert ist, und seine Frau. Bei den nachgenannten Personen Saturnilus, Gemellus und Helene dürfte es sich um seine Geschwister handeln. Helene ist wohl mit einem ebenfalls Sempronius heißenden Mann verheiratet, der mit seinem Schwager Sempronius, der sich vermutlich in Alexandria aufhält, in Verbindung steht, aber wohl in Kappadokien zu tun hat. Auch ein Julius mit den Seinen wird in die Grüße eingeschlossen sowie ein Skythikos und Thermutis und deren Kinder. Ein Gemellus schließt sich seinen Grüßen an. Als Parallele sind die Grüße in P.Mich. XV 751, Z. 30–34 zu nennen: ἄσπασε Μάξιμον καὶ τὴν σύν[βιον α]ὐ̣το̣ῦ καὶ Σεμπ̣ρ̣ώνιον τὸν Κύριλλον καὶ Σατορνῖλον [καὶ Γέ]μελλον καὶ Ἰ[ού]λιον καὶ τοὺς αὐτοῦ καὶ Ἑλένην καὶ τοὺς [αὐτ]ῆς καὶ Σκυθικὸν [καὶ] Κοπρῆν, Χαιρήμονα, Θ̣ερμοῦθιν καὶ τὰ π̣εδ̣[ία] α̣ὐτῆς. Möglicherweise gibt es drei Sempronii, den Schreiber, den Schwager und den Sempronius Kyrillos, denn Letzterer wird nicht zusammen mit der Helene genannt. Kopres und Chairemon finden sich nicht im ersten Brief. Die Beziehungen sind nicht alle ganz klar, es könnte sich bei einigen Personen auch um Sklaven im Haushalt der Familie handeln. Besonders bei den Namen Skythikos (der nur in diesen beiden Papyri belegt ist) und Kopres sowie Chairemon könnte man an Sklaven denken. Der Schlussgruß ist noch einmal mit der Erweiterung διὰ παντός speziell an seine Mutter gerichtet. Der erwähnte darunter befindliche Brief ist an den Bruder Maxi-
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern
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mus gerichtet. Nach Einleitungsgruß und formula valetudinis geht der Absender gleich auf sein Anliegen ein, und zwar mit einem schwerwiegenden Vorwurf, mit dem er konfrontiert wird. Der Schreiber hat – ohne näher zu spezifizieren woher – in Erfahrung gebracht, dass die anderen Kinder „unsere Herrin Mutter“ (Z. 21) als Sklavin behandeln (Z. 20). Aber der Bruder soll die Mutter nicht betrüben. Er soll sogar den Brüdern Ohrfeigen geben, wenn sie der Mutter widersprechen, denn er besitzt nun die patria potestas bzw. wie der Briefschreiber es anders formuliert: Er soll jetzt ihr Vater heißen. Das impliziert, dass der Vater nicht da ist, ja, dass er gestorben ist, da er mit keinem einzigen Wort sonst erwähnt wird. Der älteste Sohn, der Briefschreiber, ist abwesend und somit hat der nächstälteste Sohn die Vaterrolle zu übernehmen, was auch das Recht beinhaltet, die Kinder zu züchtigen bzw. zu ohrfeigen (κολαφίζειν, Z. 23f), das in den Papyri nur hier bezeugt ist. Der Schreiber weiß, dass der Bruder auch ohne seine Mahnung das Richtige zu tun weiß und er bittet ihn, diesen Mahnbrief nicht übel zu nehmen. Andererseits scheint der Empfänger doch ein wenig versagt zu haben, denn sonst wären dem Schreiber nicht die zuvor erwähnten Klagen zu Ohren gekommen. Die Begründung, warum die Mutter gut zu behandeln ist, könnte aus einem modernen Lehrbuch für gute Erziehung stammen und zeugt von einer ganz hohen Achtung vor der Mutterschaft. Eine Mutter ist per se als solche wie ein Gott zu verehren (Z. 27f)! Diese Aussage ist ganz generell und ohne Einschränkung formuliert. In diesem speziellen Fall kommt noch hinzu, dass sie gut (οὖσαν ἀγαθήν, Z. 28) ist. Diese Formulierung ist ohne direkte Parallele. In einem christlichen Brief P.Bas. 16 vom Anfang des 3. Jh. n. Chr. liest man in Z. 13f: [ἡ δὲ κ]υρία τεκοῦσα ἡμῶν ὁλοκληροῦσα [προ]σαγορεύει ὑμᾶς ... Einen ähnlichen Gedanken äußert ein Mann gegenüber seiner Frau in einem Brief aus christlichem Milieu P.Ant. II 93 aus dem 4. Jh. n. Chr., Z. 10f: μετὰ γὰρ τὸν θεό(ν) σε ὡς μητέρα ἔχω̣ καὶ ὡς ἀδελφή(ν), wobei Naldini diesen Ausdruck noch nicht als christlich interpretieren wollte. 36 Einen Zusammenhang mit der Verehrung des Vaters und den Göttern bringt auch ein Soldat in einem Brief an seinen Vater in P.Mich. VIII 466, Z. 4 vom März 107 n. Chr.: [ὅτι σέβομ]αί σε μετὰ τοὺς θεούς. Dann bekräftigt er noch, dass er weiß, dass es süß ist, Eltern zu haben. Wenn hier in Z. 29f von Eltern (τῶν κυ[ρί]ων γονέων) die Rede ist, so könnte man daran denken, dass der Vater noch lebt. Doch wird er – wie oben bereits gesagt – nirgendwo direkt erwähnt. Es schließt sich noch die Bitte an, ihn über das Wohlbefinden zu informieren, und dann folgt die Schlussbitte mit einem emphatischen Dativus ethicus: ἔρρωσό μοι, was bisher singulär ist. Lediglich ἔρρωσο ἡμῖν ist noch einmal in P.Strasb. VII 622 belegt. 36
NALDINI, Cristianesimo (s. Anm. 26), Nr. 80.
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5. SB XIV 12173: NN an seine Mutter Moiroys (Ptolemais Euergetis, 4. Jh. n. Chr., s. Abb. 4) κυρίᾳ μου μητρ{ε}ὶ Μοιροῦτι πλεῖσ-
τα χερειν. τὸ προσκύνημά σου
ποιῶ κατ ἑκάστην ἡμέραν
καὶ τοῦ κυρίου μου ἀδελφοῦ
5 Ἀφρεινγίου καὶ τῆς συνβίου αὐτοῦ
τῆς ἀδελφῆς μου Ζηνοβία.
εὔχομαι ὑμᾶς ἀμφοτέρους
ὁλοκλη[ρ]εῖν. ἀσπάζεται ημας ἡ ἀ[δ]ελφὴ ὑμῶν Ματρῶ-
10 να. ασπαζωμαι τ[ὸ]ν υἱόν μου
Σεραπίωνα{ν} καὶ Σιλβανὸν καὶ
απολλονιον τὸν δ[εσ]πότην
μου. πᾶν ποίησον, Ἀφρείνγ[ιε],
σπαθειν μοι γάρου ο̣[μο]υ κ̣αὶ ἀνήσ[ου]
15 πεμψε μοι καὶ ἔπιτα [α]ὐτοῦ ἀνάγ-
κῃ οἴεις τὰ θεραπ̣[. . .] Ἡρᾷ τῶι
πεδιον μου. πεπεμφες μοι φάσιν
ὅτι ἔρχεται Ζηνοβία [κ]αὶ ὁ ἀδελ-
φὸς αὐτῆς· μεμενήκαμεν καρ-
20 τεροῦντες ε[π]α̣ν ο το[ῦ] ποταμοῦ.
ασπαζωμαι τὴν θυγατέρα{ν}
μου Μάρα̣ν σὺν τῇ [ἀδ]ελφῇ αὐ-
τῆς. ασπαζω[μ]αι Δ[ημη]τρίαν
σὺν τοῖς τέκνοις αὐ[τῆς. ασπα25 ζωμαι ἅμα Χ̣ . . . . [. . . καὶ]
ἄπα Γάν{ε}ιν σὺν τοῖ[ς αὐτῶν].
ασπαζωμαι τὴν [ἀ]δε[λφὴν α-] φυνγειτες. ἀσπάζετα[ι - ca. 3-5 - ]
α παντες κατʼ ὄνομ[α τοὺς]
30 φιλουντες ἡμᾶς πα[ντες]. versiculus transversus (2. Hand) ἀσπάζομαι Σάκε μετʼ Ἰάνει.
verso ἀπ(όδος) εἰς τ[ὴν] τοῦ ἄπα Κῦρι Λολοῦτς εἰς ἄμφοδον [Ἱερ]ακίου. Z. 2, l. χαίρειν, Z. 3, l. καθʼ, Z. 8–9, l. ὑμᾶς, Z. 10, l. ἀσπάζομαι, Z. 12, l. Ἀπολλώνιον, Z. 14, l. σπαθίον, λ. ὠμοῦ (vgl. A. Maravela-Solbakk, ZPE 170 [2009], 136), Z. 15, l. πέμψαι, Z. 17, l. παιδίον, l. πέπομφας, Z. 20, l. ἐπάνω, Z. 21, l. ἀσπάζομαι, Z. 24f, l. Ἀσπά]ζομαι, Z. 27, l. ἀσπάζομαι, Z. 27f, l. Ἀ]φύγγιτος, Z. 29, l. πάντας, Z. 30, l. φιλοῦντας, l. πά[ντας
Meiner Herrin Mutter Moiroys sehr viel Grüße. Die Fürbitte für dich verrichte ich jeden Tag und für meinen Herrn Bruder
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Aphreingios und seine Ehefrau, meine Schwester Zenobia. Ich bete, dass ihr beide wohl auf seid. Es grüßt euch eure Schwester Matrona. 10 Ich grüße meinen Sohn Serapion und Silvanus und Apollonios meinen Herrn. Mache alles, Aphreingios, mir ein spation ungekochte Fischsauce zusammen 15 mit Anis zu schicken und dann wirst du der Notwendigkeit wegen hierher bringen die Heilmittel für Heras mein Kind. Du hast mir eine Nachricht geschickt, dass Zenobia kommt und ihr Bruder. Wir haben gewartet und 20 ausgeharrt oberhalb des Flusses. Ich grüße meine Tochter Mara mit ihrer Schwester. Ich grüße Demetria mit ihren Kindern. 25 Ich grüße zugleich ... und Apa Ganis mit den Seinen. Ich grüße die Schwester des Aphynchis. Es grüßt ... alle namentlich, die 30 uns lieb haben. versiculus transversus (2. Hand) Ich grüße Sake mit Janes. verso Gib in das Haus des Apa Kyri Sohn des Lolus, in das Stadtviertel Hierakeion.
Es handelt sich um einen christlichen Privatbrief, in dem es neben Grüßen um die Sendung von Arznei- und Lebensmitteln geht. Den Brief schreibt ein nicht genannter Absender an seine Mutter, die er mit κυρίᾳ μου μητρ{ε}ί anredet. Doch später wird auch der Bruder direkt mit Namen angesprochen (Z. 8). Das Proskynema verrichtet er jeden Tag, wobei aber nicht gesagt wird, bei welchem Gott, aber für wen, nämlich für seine Mutter Moiroys, seinen Bruder Aphreingios und dessen Ehefrau, die auch seine Schwester ist, mit Namen Zenobia. Ob die noch pagan anmutende Proskynema-Formel auf einen kürzlichen Übertritt zum Christentum schließen lässt, ist zu bezweifeln, zumal ja auch christliche Proskynema-Formeln bekannt sind. Dennoch ist die Auslassung der Gottheit auffallend. Die Grüße sind über den ganzen Brief verteilt. Als Mitgrüßende findet sich die Schwester Matrona. Er grüßt auch seinen Sohn Serapion (Z. 11), einen Silvanus (Z. 11) und Apollonios, seinen Herrn (Z. 12), später seine Tochter Mara mit ihrer Schwester (Z. 22f), des Weiteren eine Frau Namens
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Demetria mit ihren Kindern (Z. 23f), einen Apa Ganis mit den Seinen und die Schwester des Aphynchis, und schließlich folgt eine salvatorische Klausel, „alle namentlich, die uns lieben“. Doch das reicht noch nicht aus. Es fällt ihm zum Schluss noch jemand ein, den er vergessen hat und den er selbst (zumindest ist es eine andere Hand als der Haupttext) nachträglich am linken Rand als versiculus transversus hinzufügt: Eine(n?) Sake mit Janes, was eine Kurzform von Johannes darstellt (31 vt). Auf dem verso wird die Adresse der Mutter angegeben, unter der der Brief zugestellt werden soll, nämlich das Haus des Apa Kyri im Stadtviertel Hierakeion. Neben diesen Grüßen und Formeln gibt es aber auch noch ein paar Informationen. Der Schreiber bittet seinen Bruder um ungekochte Fischsauce und Anis sowie um Heilmittel für sein Kind Heras. Außerdem scheint es so, dass die Ankunft von Zenobia und dem Bruder angekündigt war, man darauf aber vergeblich gewartet hat. Was den Brief als christlichen Brief kennzeichnet, ist zum einen vielleicht das Auslassen des Gottes, an den das Proskynema gerichtet ist, zum anderen ganz sicher die Erwähnung zweier Personen als ἄπα (Z. 26 und verso 32). Denn die Bezeichnung ἄπα (sinngemäß „Vater“) wird nur von Christen verwendet. Keine der Personen ist aus anderen Papyri bezeugt. 6. BGU II 615: Ammonoys an ihren Vater / Celer an seinen Bruder Antonius (Arsinoites, 2. Jh. n. Chr.) Ἀμμωνοῦς τῷ γλυκυτάτῳ πατρὶ χαίρειν. κομισαμενος σου τὸ ἐπιστόλιον καὶ ἐπιγνοῦσα, ὅτι θεῶν θελόν5 των διεσώθης, ἐχάρην πολλὰ καὶ αὐτῆς ὥρας ἀφορμὴν ευρων ἔγραψά σοι ταυουτα τὰ γράμμα
τα σπουδάζουσα προσκυνησε σαι· ταχύτερον τὰ ἐπίγοντα 10 ἔργα φροντίζετε· ἐὰν ἡ μικρά τι ἴπῃ, ἔστε· ἐάν σοι ἐνέκῃ καλάθιν ὁ κομιζόμενος σοι τὸ ἐπιστόλ{ε}ιον, πέμ[π]ω· ασπαζοντε σε οἱ σοι πάντ[ε]ς κατʼ ὄνομα, 15 ασπαζετε σε Κέλερ καὶ οἱ αὐτοῦ παντας. ερρω[σ]θε σοι ε[ὔ]χομαι. Κέλερ Ἀντων[ίῳ] τῷ ἀδ[ε]λφῷ πολλὰ χα[ίρ]ειν.
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern
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20 κομισάμενός [σο]υ τὰ ἱ[ερ]ὰ γρά-
μμ[α]τα καὶ μαθών, ὅτι [θ]εῶν
θελ[ό]ντων διεσ[ώ]θης, ἐ[χ]άρην
πο[λ]λά· ἔγραψ[άς] μοι, π[ῶ]ς ἔτυ-
χεν ὁ Ἀνθέστις [- ca. ? -] ὑπογραφὴν
25 παρακληθ[εῖσ]ιν συ[ν]γυμ-
νάσθητι ἐμπείροις τί διʼ ἡ-
μᾶς πραξε, καὶ ἐάν τ[ι] πρα̣ .-
μάθῃς, δήλωσόν μ[ο]ι ταχύ-
τερον· μεταδώσις δὲ καὶ
30 τῷ ἀδελφῷ ὑμῶν [Λ]ονγίνῳ,
ἅμ{μ}α δὲ καὶ ασπασε αὐτόν,
ασπα̣ζοντε σε οἱ ἐμ[ο]ὶ πάν-
τες κατʼ ὄνομα. ἐρρῶ[σ]θαί σοι
εὔχομαι.
35 αὐτῆς ὥρα κ[ο]μισάμενός σου τὸ ἐπι\σ/-
τόλ{ε}ιον ἀντέγραψα ἀφορ[μὴ]ν εὑρών.
Μεσορὴ ιζ. verso …......... Π.....νορι π(αρὰ)
X Ἀμμωνοῦτος θυ[γ]ατρός. Z. 3, l. κομισαμένη, Z. 6, l. εὑροῦσα, Z. 7, l. ταῦτα, Z. 8f, l. προσκυνῆσαι, l. σε, Z. 13f, l. ἀσπάζονται, l. ἐμοὶ, Z. 15, l. ἀσπάζεται, Z. 16, l. πάντες, Z. 17, l. ἐρρῶσθαι, l. σε, Z. 27, l. πρᾶξαι, Z. 31, l. ἄσπασαι, Z. 32, l. ἀσπάζονται, Z. 33, l. σε
Ammonoys dem süßesten Vater Grüße. Als ich deinen Brief empfing
und erfuhr, dass du mit dem Willen
5 der Götter gerettet wurdest, freute ich mich sehr.
Und als ich zur gleichen Zeit eine Gelegenheit
fand, schrieb ich dir schnell dieses
Schreiben, eifrig bestrebt, dir meine Verehrung zu erweisen. Kümmert euch recht schnell um drin-
10 gende Angelegenheiten. Wenn die Kleine etwas sagt: so ist es erlaubt. Und wenn dir der
Überbringer dieses Briefes ein Körb-
chen übergibt, so schicke
ich es dir. All die Deinen
grüßen dich einzeln Name für Name,
15 auch Celer und all die Seinen
grüßen dich.
Lebe wohl. Celer dem Bruder Antonius vielmals Grüße. 20 Als ich von dir die heiligen Briefe empfangen und erfahren habe, dass du, weil die Götter es wollten, gerettet bist, freute ich mich sehr. Du hast mir geschrieben, wie Anthestis getroffen
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25 hat ... den abgeschlossenen Vertrag. Übe dich mit erfahrenen Leuten, wegen uns etwas tun und wenn du etwas … erfährst, offenbare es mir alsbald. Du wirst aber auch 30 euren Bruder Longinus benachrichtigen, zugleich aber grüße auch ihn, es grüßen dich alle bei mir namentlich. Ich bete, dass du gesund bist. 35 Zur selben Stunde, als ich dein Briefchen empfing, schrieb ich zurück, da ich eine passende Gelegenheit fand. Mesore am 17. verso dem ...or von X Ammonoys, der Tochter.
Der erste Teil ist der Brief einer Tochter an ihren Vater. In diesem bedankt sie sich für Briefe und es folgen einige kurze Nachrichten. Daran angehängt ist ein Brief eines Mannes Celer an seinen Bruder. Der erste Brief beginnt mit einer gewissen einschmeichelnden Emotionalität im Ausdruck, der durch den Superlativ noch gesteigert wird: τῷ γλυκυτάτῳ πατρὶ χαίρειν, der in dieser Form nur noch zwei weitere Male bezeugt ist, und zwar von Söhnen an ihre Väter: P.Mich. VIII 466 aus Bostra (Arabien) im Jahr 107 n. Chr. und P.Oxy. X 1296 aus Oxyrhynchos im 3. Jh. n. Chr.; also ein wahrhaft ausgesuchter Ausdruck. Sie freut sich überschwänglich über die Rettung ihres Vaters mit Hilfe der Götter. Doch worin und woraus die Rettung des Vaters bestand, über die sich die Tochter freut, bleibt unbekannt. Jedenfalls hat sie gleich bei der ersten Gelegenheit die Möglichkeit ergriffen, in Form eines Briefes dem Vater die Verehrung zu erweisen (προσκυνῆσαι). Dieser möge doch schnell seine Angelegenheiten erledigen, was eventuell unausgesprochen suggeriert, dass er dann zu der Tochter reisen kann. Das kleine Töchterchen, das vermutlich bei dem Vater ist, soll wohl ihren Willen bekommen, was durchaus modern klingt, auch wenn die Stelle nicht sicher zu deuten ist. Ausdrücklich wird dann noch erwähnt, dass das Körbchen, über dessen Inhalt wir leider nichts erfahren, von ihr stammt. Damit werden zwei Aussagen gemacht: Erstens, dass zu dem Brief auch ein Körbchen gehört, das der Bote nicht unterschlagen kann, und zweitens, dass es von ihr ist und nicht von dem Boten, von dem wir leider nicht wissen, in welcher Beziehung er zu Tochter und Vater steht. Am Schluss folgen in einer salvatorischen Klausel die obligatorischen Grüße πάντ[ε]ς κατʼ ὄνομα, wobei darunter möglicherweise auch der Ehemann und weitere Familienangehörige gemeint sind, und Celer mit den Seinen wird namentlich als Grüßender erwähnt.
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Bemerkenswert im Hinblick auf die Frage nach dem Schreiber ist die Tatsache, dass er in Z. 3 mit κομισάμενος und in Z. 6 mit εὕρων die grammatikalisch männliche Form für das Partizip Präsens Nominativ wählt, während er in Z. 3 mit der weiblichen Form σπουδάζουσα richtig liegt, da die Absenderin ja eine Frau ist. Ob man deshalb davon ausgehen kann, dass der Briefschreiber männlich ist und sozusagen ohne nachzudenken den Text geschrieben hat? Es scheint zumindest ein Hinweis darauf zu sein, dass der Brief nicht nach Diktat geschrieben wurde. Der Text ist auch sonst voll von Verstößen gegen die Orthographie. Direkt nach dem Schlussgruß ist ein Brief eines Celers an seinen Bruder Antonius angehängt. Die verwandtschaftlichen Beziehungen – sofern es überhaupt welche gibt – zwischen den Personen des ersten und zweiten Briefes sind unbekannt. Da die Briefe später nicht getrennt wurden, liegt es nahe, dass die beiden Familien in einer engeren Beziehung zueinander standen. Die „passende Gelegenheit“, um zu schreiben, wie Celer in Z. 36 formuliert, war wohl der Brief der Ammonoys an ihren Vater. Insofern war die Gelegenheit doppelt günstig sowohl zeitlich als auch örtlich – nämlich auf demselben Papyrusblatt. Auch in diesem Brief geht es um eine glückliche Rettung mit Willen der Götter und die darüber empfundene Freude: Der Schreiber verwendet auch gleich komplett dieselbe Formulierung wie im ersten Brief: ὅτι θεῶν θελόντων διεσώθης, ἐχάρην πολλά· (Z. 4f, 21– 23). Auch die allgemeinen Grüße sind fast identisch formuliert: ασπαζοντε σε οἱ ἐμοὶ πάντ[ε]ς κατʼ ὄνομα, (Z. 13f, 32–34), beide Male ασπαζοντε statt ἀσπάζονταί geschrieben, nur in Z. 14 steht statt des richtigen ἐμοί ein σοι. Natürlich ist auch der Schlussgruß identisch. Die Formulierung τὰ ἱ[ερ]ὰ γράμμ[α]τα ist ungewöhnlich für Briefe. Heilige Schriften tauchen nur noch auf einem Ostrakon SB XVIII 13734, Z. 13 aus dem 1.–4. Jh. n. Chr. auf, einem fragmentarischen Brief die Kultsphäre betreffend. In dem Schreiben des Celer gibt es keinen Anhaltspunkt, dass es irgendwie um kultische Schrift geht, denn es wird wie im Brief der Ammonoys an ihren Vater gesagt, dass er aus diesen Briefen Kenntnis über die glückliche Rettung durch die Götter erfahren habe. Darin ging es auch um einen Vertrag. Außerdem soll sich der Bruder in dieser Angelegenheit mit erfahrenen Personen zusammentun. Ein weiterer Bruder mit Namen Longinus soll informiert werden, der ebenfalls gegrüßt werden soll, womit der Grußteil des Briefes beginnt. Nach dem Schlusswunsch wird quasi als Postscriptum noch die oben erwähnte Gelegenheit der Briefübermittlung angesprochen. In der Adresszeile des verso stand nur der Name des Vaters der Ammonoys, von dem zweiten Brief ist wohl nicht die Rede gewesen.
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7. BGU II 423 = W.Chr. 480 = Sel.Pap. I 112 = C.Pap.Hengstl 84: Apion an seinen Vater Epimachos (Karanis, 139/140 n. Chr., s. Abb. 5) Ἀπίων Ἐπιμάχῳ τῶι πατρὶ καὶ κυρίῳ πλεῖστα χαίρειν. πρὸ μὲν πάντων εὔχομαί σε ὑγιαίνειν καὶ διὰ παντὸς ἐρωμένον εὐτυχεῖν μετὰ τῆς ἀδελφῆς 5 μου καὶ τῆς θυγατρὸς αὐτῆς καὶ τοῦ ἀδελφοῦ μου. εὐχαριστῶ τῷ κυρίῳ Σεράπιδι ὅτι μου κινδυνεύσαντος εἰς θάλασσαν ἔσωσε εὐθέως. ὅτε εἰσῆλθον εἰς Μησήνους, ἔλαβα βιάτικον παρὰ Καίσαρος 10 χρυσοῦς τρεῖς καὶ καλῶς μοί ἐστιν. ἐρωτῶ σε οὖν, κύριέ μου πατηρ γράψον μοι ἐπιστόλιον πρῶτον μὲν περὶ τῆς σωτηρίας σου, δεύτερον περὶ τῆς τῶν ἀδελφῶν μου, 15 τρ[ί]τον, ἵνα σου προσκυνήσω τὴν χεραν ὅτι με ἐπαίδευσας καλῶς, καὶ ἐκ τούτου ἐλπίζω ταχὺ προκο σαι τῶν θε[ῶ]ν θελόντων. Ἄσπασαι Καπίτων[α] π̣ο ̣λλὰ καὶ τοὺ̣ς̣ ἀδελφούς 20 [μ]ου καὶ Σε[ρηνί]λλαν καὶ το[ὺς] φίλους μο[υ]. ἔπεμψά σο[ι εἰ]κόνιν μ[ου] διὰ Εὐκτή-
μονος. ἔσ[τ]ι[ν μου ὄνομα Ἀντῶνις Μάξιμος. ἐρρῶσθαί σε εὔχομαι. κεντυρί(α) Ἀθηνονίκη. 25 versiculus transversus ἀσπάζεταί σε Σερῆνος ὁ τοῦ Ἀγαθοῦ [Δα]ίμονος [καὶ...]ς ὁ τοῦ [...]ρου̣ καὶ Τούρβων ὁ τοῦ Γαλλωνίου καὶ Δ[...]νᾶς ὁ τ[οῦ...]σεν[…].[...].[- ca. ? -] verso ε[ἰς] Φ[ιλ]αδελφίαν Ἐπι ☓ μάχῳ ἀπὸ Ἀπίωνος υἱοῦ ἀπόδος εἰς χώρτην πρῖμαν X Ἀπαμηνῶν Ἰο[υλι]α[ν]οῦ Ἀν. [..] λιβλαριω ἀπὸ Ἀπίωνος ὥστε Ἐπιμάχῳ πατρὶ αὐτοῦ. Z. 11, l. πάτερ, Z. 16, l. χεῖρα, Z. 17f, l. προκόψαι, Z. 29, l. λιβελαρίῳ
5
Apion Epimachos, dem Vater und Herrn, sehr viel Grüße. Vor allem bete ich, dass du gesund bist und durch alle Zeit gesund bleibst und dich wohl befindest mit meiner Schwester und deren Tochter und meinem Bruder. Ich danke dem Herrn Serapis, dass er mich, als ich auf dem Meer in große Gefahr geriet, sofort gerettet hat. Als ich nach Misenum kam, erhielt ich Wegegeld vom Kaiser
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern
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10 drei Goldstücke und es geht mir gut. Ich bitte dich nun, mein Herr Vater, schreibe mir ein Briefchen erstens über dein Wohlergehen, zweitens über das meiner Geschwister, 15 drittens, damit ich deine Hand verehre, weil du mich schön erzogen hast, und von daher hoffe ich, schnell vorwärts zu kommen, wenn die Götter wollen. Grüße Kapiton vielmals und meine Geschwister 20 und Serenilla und meine Freunde. Ich habe dir geschickt mein Bildchen durch Euktemon. Mein Name ist Antonius Maximus. Ich bete, dass es dir wohl geht. Centurie Athenonike. 25 versiculus transversus Es grüßt dich Serenus, der Sohn des Agathos Daimon und ... Sohn des ... und Turbon, der Sohn des Gallianus und D..., der Sohn des ... verso Nach Philadelphia an Epi X machos von Apion, dem Sohn. Gib an die cohors prima Apamenorum X Julianus, Sohn des An..., dem libellarius von Apion für Epimachos, seinen Vater.
Hier schreibt der Marinerekrut Apion aus der italischen Hafenstadt Misenum an seinen Vater Epimachos in Philadelphia (Arsinoites); er berichtet über seine gute Ankunft in Italien; er bedankt sich beim Vater für die gute Erziehung, die eine schnelle Karriere ermöglichen wird, schickt ein Bildchen von sich und teilt mit, dass er nun als Flottenangehöriger einen neuen lateinischen Namen hat: Antonius Maximus. In der Anrede heißt sein Vater „Vater und Herr“. In dem folgenden Wunsch nach Gesundheit und Wohlbefinden schließt er seine Schwester und deren Tochter sowie seinen Bruder mit ein, die alle ohne Personennamen aufgeführt werden. Dem Gott Sarapis dankt er, dass er vor den Gefahren auf dem Meer errettet wurde, wobei manche Kommentatoren darauf hinweisen, dass er als „Landratte“ die Gefahr wohl übertrieben habe. Er teilt dann mit, dass er das versprochene Marschgeld vom Kaiser in Höhe von drei Goldstücken erhalten hat. Man hat den Eindruck, dass es über die Einhaltung solcher Versprechen in der Familie unterschiedliche Meinungen gegeben hat. Wenn also der Eindruck entstanden sein könnte, dass die Meldung zur Marine nach Italien nicht im Einvernehmen mit dem Vater erfolgt sein könnte, so versucht der junge Mann zumindest jetzt das Wohlwollen seines strengen Herrn Vaters, wie die nicht unbedingt gefühlvolle Anrede (κύριέ μου πάτηρ, Z. 11) erahnen lässt, zu erlangen. Er bittet ihn nämlich um ein „Briefchen“ mit den Angaben über sein Wohlergehen und das der Schwester, damit er seine Hand verehren (küssen) könne, da er ihn gut erzogen oder ausgebildet (ὅτι με ἐπαίδευσας καλῶς, Z. 16) habe, weshalb er hofft, rasch Karriere zu ma-
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chen, wenn die Götter es wollen, so die Einschränkung und gleichzeitige Bitte und Hoffnung. Es folgen die Grüße an namentlich bekannte Personen wie Kapiton und Serenilla, über deren Verhältnis zu Apion aber nichts verlautbart wird, und dazwischen Grüße an die Geschwister und Freunde, die nicht namentlich genannt werden. Es folgt die Nachricht, dass er vorher schon ein Porträt von sich durch einen Euktemon geschickt hatte. Man fragt sich, wie realistisch ein solches Bild wohl gewesen sein mag. Leider sind solche Bildnisse nicht erhalten geblieben. Aber man kann sich eine Vorstellung davon machen, wenn man sich die Mumienporträts vor Augen hält. Und man kann sich ebenfalls gut vorstellen, dass solch ein Bildnis einen Ehrenplatz im Haus des Vaters erhalten haben wird. Es folgt die fast wichtigste Meldung am Schluss, dass er mit dem Eintritt in die kaiserliche Marine auch einen neuen Namen bekommen hat, nämlich Antonius Maximus. Nach dem Schlussgruß folgt quasi als Postscriptum noch der Name des Schiffes, auf dem er dient: Athenonike. Aus den letzten Zeilen ist zu entnehmen, dass es doch noch eine Weile gebraucht hat, bis er das Geld erhalten hat und dass auch die Namensänderung nicht sofort erfolgt ist. Denn im anderen Fall hätten diese Informationen bereits mit dem Bildnis geschickt werden können. Dass Apion nicht allein in die Fremde gegangen ist, belegen die zahlreichen Grüße, die am linken Rand in Form der versiculi transversi nachgetragen sind. Es handelt sich um vier Personen. Auf der Rückseite ist als Adresse der Name und der Wohnort, Philadelphia, aufgeführt und er selbst mit seinem alten Namen als Absender. Zusätzlich ist nochmals der Briefweg über die Militärpost mit Wiederholung der Angaben des Adressaten und Absenders angegeben. Der Sohn hat sich später in Italien niedergelassen und ist nicht mehr nach Hause zurückgekehrt, hat aber dennoch den Kontakt zu seiner Familie aufrechterhalten, wie uns Nr. 8 lehrt (s. unten). 5.3. Geschwister untereinander 8. BGU II 632: Antonius Maximus (= Apion) an seine Schwester Sabine (Arsinoites, 2. Jh. n. Chr.)
5
Ἀν[τώνι]ος Μάξιμος Σαβίνῃ τῇ ἀ[δ]ελφῇ πλεῖστα χαίρειν. πρὸ μὲν πάντων εὔχομαί σε ὑγιαίνειν, καὶγὼ γὰρ αὐτὸς ὑγιαίν[ω]. Μνίαν σου ποιούμενος παρὰ τοῖς [ἐν]θάδε θεοῖς ἐκομισάμην [ἓ]ν̣ ἐπι[σ]τόλιον παρὰ Ἀντωνε[ί]νου τοῦ συνπολ[ε]ίτου ἡμῶν, καὶ ἐπιγνούς
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern 10 σε ἐρρωμένην λίαν ἐχάρην· καὶ γὼ διὰ πᾶσαν ἀφορμὴν ο[ὐ]χ ὀκνῶ σοι γράψαι περὶ τῆ[ς] σωτηρίας μου καὶ τῶν ἐμῶν. ἄσπασαι Μάξιμον 15 πολλὰ καὶ Κοπρὴν τὸν κῦριν
μ[ου. ἀ]σπάζεταί σε ἡ σύμβιός [μου Α]ὐφιδία καὶ [Μ]άξιμος [ὁ υἱός μ]ου, [οὗ] ἐστι[ν] τὰ γενέ[σια Ἐ]πεὶπ τριακὰς̣ καθʼ Ἕλ20 [ληνα]ς, καὶ Ἐλπὶς καὶ Φορτου[νᾶτ]α. ἄσπ[α]σαι τὸν κύριον [. . . .] καὶ . [. . .] .ον Ἁτ[ρῆ]ν · καὶ [. . .]ε̣[. . . . .] καὶ Αν̣[. .]ν καὶ [. . .] . . [- ca. 12 -] . .ο̣υν τὴν 25 [- ca. 15 -]ρ̣αν καὶ [- ca. 14 -]ι̣αν καὶ [- ca. 15 -]ν. [ἐρρῶσθαί σε εὔχο]μαι. verso [Σαβίνῃ] ἀ[δε]λφ[ῇ] ἀπ[ὸ] Ἀντ[ω]νίου Μαξίμ[ο]υ ἀδελφ[οῦ]. Antonius Maximus an Sabine
die Schwester sehr viel Grüße.
Vor allem bete ich,
dass du gesund bist. Auch ich nämlich bin selbst
5 gesund. Deiner gedenkend
bei den hiesigen Göttern
erhielt ich ein Briefchen
von Antoneinus unserem Mitbürger, und als ich erfuhr,
10 dass es dir wohl ergeht, freute ich mich sehr. Auch wegen der ganzen Angelegenheit
zögere ich nicht, dir zu schreiben
über mein Wohlergehen und das
der Meinen. Grüße den Maximus
15 vielmals und Kopres meinen
Herren. Es grüßt dich meine Lebens-
gefährtin Aufidia und Maximus
mein Sohn, dessen Geburtstag der
dreißigste Epeiph ist nach Hellenischem
20 Kalender und Elpis und Fortunata. Grüße den Herrn ...
... und ... Hatres und ... und An... und
... die
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25 ...ra und
...ias und
...
Ich bete, dass es dir wohl ergeht. verso An Sabine, die Schwester von Antonius Maximus dem Bruder.
Der Flottensoldat Apion aus Nr. 7 schreibt unter seinem neuen Namen Antonius Maximus an seine Schwester. Der Brief beginnt mit der üblichen Anrede unter Verwandten, gefolgt von der formula valetudinis. Die Proskynema-Formel ist etwas abgewandelt und es hat den Eindruck, dass er sozusagen konvertiert ist. Denn nicht mehr Serapis ist der Gott, dem er dankt und zu dem er betet wie in Nr. 7, Z. 6, sondern es sind jetzt die „hiesigen Götter“ (παρὰ τοῖς [ἐν]θάδε θεοῖς, Z. 6), ohne diese namentlich aufzuführen. Er hat mittlerweile auch das römische Bürgerrecht erlangt, wie u.a. aus der Formulierung in Z. 8f τοῦ συνπολ[ε]ίτου ἡμῶν abzulesen ist, was Matrosen nach der ehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst zugestanden wurde, ebenso wie ihren Frauen und Kindern, die zwischenzeitlich in Form eines Konkubinates zusammen leben konnten. Denn Mitgliedern der Armee und der Flotte war eine rechtmäßige Ehe bis Ende des 2. Jh. n. Chr. verboten. In welcher Verbindung Antoneinus aus Z. 8 mit der Schwester steht, wissen wir nicht. Jedenfalls hat Antonius Maximus über ihn etwas über das Wohlergehen seiner Schwester erfahren. Aus den Grüßen entnehmen wir außerdem, dass die Schwester einen Sohn hat, der nach seinem Onkel den Namen Maximus trägt; wer der als „mein Herr“ Kopres bezeichnete Mann ist, wissen wir nicht. Antonius Maximus selbst hat geheiratet, und zwar eine Frau mit Namen Aufidia, die er als ἡ σύμβιός [μου (Z. 16f) bezeichnet. Mit ihr hat er wohl einen gemeinsamen Sohn, obwohl er von ihm als [Μ]άξιμος [ὁ υἱός μ]ου (Z. 17f) spricht, wie Väter halt bisweilen so sind, die stolz auf ihre Söhne sind, zumal er noch dessen Geburtstag kennt und ihn nach hellenischem Kalender umgerechnet angibt, damit die Schwester es ja ganz genau weiß. Denn die beiden sprechenden Mädchennamen seiner Töchter, Elpis und Fortunata, klappern irgendwie nur pflichtgemäß hinterher. Es folgen noch weitere Grüße mit Spuren von Namen und dann der Schlussgruß. Auf dem verso steht dann noch einmal die Adressatin und der volle Name des Bruders. Der Text ist ein schönes Zeugnis dafür, wie einerseits die Verbindung zur Heimat aufrecht erhalten wird – auch über den Tod des Vaters hinaus, der im Brief nicht mehr erwähnt wird – und dass andererseits die Integration in die neue Heimat geglückt ist. Das fängt mit dem Namen Maximus an, den nun drei Leute tragen, nämlich der Ausgewanderte, sein Sohn und sein Neffe. Auch die Übernahme der heimischen Götter ist Teil der Integration und natürlich auch die Heirat mit einer Frau, die zumindest dem Namen nach eine Römerin ist, wie ihr Gentilname verrät.
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern
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Ein weiterer Brief unter Brüdern ist unter Nr. 4 behandelt, in dem es darum geht, die Mutter ordentlich zu behandeln. Der Brief war dem Brief an die Mutter angehängt. 9. W.Chr. 499 = P.Lugd.Bat. 19 = P.Par. 18Bis: Brief des Senpamonthes an Pamonthes (Unbekannt, 2. Jh. n. Chr.) Σενπαμώνθης Παμώνθῃ τῷ ἀδελφῷ χαίρειν. ἔπεμψά σοι τὸ σῶμα Σενύριος τῆς μητρός μου κεκηδευ5 μενος εχων τάβλαν κατὰ τοῦ τραχήλου διὰ Γαλῆτος πατρὸς Ἱέρακος ἐν πλοίῳ ἰδίῳ, τοῦ ναύλου δοθέντος ὑπʼ ἐμοῦ πλήρης. ἔστιν δὲ 10 σημεῖον τῆς ταφῆς· σινδών ἐστιν ἐκτὸς ἔχων χρημα ῥόδινον, ἐπιγεγραμμένον ἐπὶ τῆς κοιλίας τὸ ὄνομα αὐτῆς. (2. Hand) ἐρρῶσθαί σε, 15 ἄδελφε, εὔχομαι. (ἔτους) γ Θὼθ ια. verso (3. Hand) Παμώνθῃ μωρωι π(αρὰ) Σενπαμών(θου) ἀδελ(φῆς).
Z. 4f, l. κεκηδευμένον, Z. 5, l. ἔχον, Z. 11f, l. χρῖμα, Z. 17, l. Μώρου Senpamonthes dem Pamonthes, dem Bruder, Grüße. Ich habe dir die Leiche von Senyris, meiner Mutter geschickt, einbal5 samiert mit einer Tafel am Hals, durch Gales, sein Vater ist Hierax, im eigenen Schiff, das Frachtgeld ist von mir vollständig bezahlt worden. Das 10 Kennzeichen der Mumie ist: Es ist Leinen, außen mit Rosenschmuck, aufgeschrieben auf dem Bauch ihr Name. (2. Hand) Ich bete, dass es 15 dir, Bruder, wohl ergeht. Jahr 3, Thoth am 11.
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verso (3. Hand) Dem Pamonthes, Sohn des Moros, von Senpamonthes seiner Schwester.
Dies ist ein Schreiben einer Schwester an einen als „Bruder“ bezeichneten Mann, das von der Übersendung der Mumie ihrer Mutter handelt. Beide sowie die Mutter tragen gut ägyptische Namen. Der Transport der Mumie auf einem Schiff ist von der Tochter organisiert und bezahlt worden. An der Mumie ist zur Identifizierung ein Holztäfelchen, ein sogenanntes Mumientäfelchen oder auch Mumienetikett befestigt, das in der Regel den Namen und das Alter des Toten enthält und von dem Tausende gefunden worden sind. 37 Zur weiteren Identifizierung wird dann noch die äußere Hülle beschrieben: Leinen mit Rosenschmuck – vermutlich aufgemalt und zusätzlich auf dem Bauch noch der Name eingeschrieben. Es wird also alles getan, damit der Empfänger auch die richtige Mumie zur Bestattung in Empfang nehmen kann. Man darf annehmen, dass sowohl Brief als auch Mumie auf dem selben Weg und gleichzeitig geschickt wurden. Man wird den Verdacht nicht los, dass die Tochter die Befürchtung hat, dass die Mumie vertauscht werden könnte. Das kann aber nur dann der Fall sein, wenn mehrere Mumien gleichzeitig auf einem „Mumientransporter“ auf die Reise geschickt werden, da dann die Gefahr der Verwechselung besonders groß ist. Die Schwester hat eine dreifache Sicherung eingebaut: ein Mumientäfelchen, das um den Hals gebunden ist und abreißen oder sonst weggenommen werden könnte, eine exakte Beschreibung des Materials und der Bemalung, wobei Rosenschmuck sicherlich kein Unikat ist, sowie der Name der Toten zusätzlich auf der Mumienhülle, wo der Bauch sich befindet, aufgeschrieben, also an einer Stelle, die direkt ins Auge fallen müsste. Der als Bruder apostrophierte Empfänger ist vermutlich nicht ihr wirklicher Bruder, sondern eher ihr Ehemann. Denn sie spricht in Z. 4 von „meiner Mutter“ (τῆς μητρός μου) und nicht von „unserer Mutter“. Es könnte natürlich auch sein, dass es sich um den Stiefbruder handelt. Die Schlussklausel und das Datum schreibt sie dann mit eigener Hand, während die Adresse von dritter Hand stammt. 5.4. Eltern an Kinder 10. P.Brem. 63 = SB I 4515 = C.Pap.Jud. II 442: Eudaimonis an ihre Tochter Aline (Hermοpolis, Juli 116 [?] n. Chr., s. Abb. 6) Εὐδ[αι]μονὶς Ἀλίνηι τῆι θυγατρὶ χαίρειν. 37
S. P. VLEEMING, Demotic and greek-demotic mummy labels and other short texts gathered from many publications, Studia Demotica 9, Leuven 2012.
Antike Briefkultur unter Familienmitgliedern εὔχομαί σε πρὸ πάντων εὐκαίρως ἀποθέσθαι τὸ βάρος 5 καὶ λαβεῖν φάσιν ἐπὶ ἄρρεν[ο]ς. τῆι κθ ἀνέπλ[ε]υσας καὶ τ[ῆι] ἑξῆς κατέσπ̣ακα. Μόγις ἔλαβον ἀπὸ τοῦ βαφεος τ[ῆι] ι τοῦ Ἐπείφ. Συνεργάζομαι 10 δὲ ταῖς παιδίσκαις σου κατὰ τὸ δυνατόν. οὐχ εὑρίσκω τὰς δυναμένας συνεργάζεσ-
θαι ἡμῖν, ἅ̣π[α(?)]σ[α(?)]ι γὰρ ταῖς ἰδίαις κυρίαις ἐργάζονται. Περι15 ώδευσαν γὰρ οἱ ἡμῶν ὅλην τὴν πόλιν [π]ροσπεύδοντες πλέον μισθόν. ἡ ἀδελφή σου Σουεροῦς ἀπέθετο τὸ βάρος. ἔγραψέ μοι Τεεῦς εὐχαριστ[οῦ]20 σα ὑμῖν, ὥστε, κυρία, ἔγνων ὅτι αἱ ἐντολαί μου μενοῦσι. πάντας γὰρ τοὺς αὑτῆς καταλείψασα συνεξώρμησέ σοι. ἀσπάζεταί σε ἡ μεικρα καὶ προσ25 καρτεῖ τοῖς μαθήμασι. ἴσθι δὲ ὅτι οὐ μέλλω θεῶι σχολάζειν, εἰ μὴ πρότερον ἀπαρτίσω τὸν υἱόν μου. εἰς τί μοι ἔπεμψ[ας] τὰς κ (δραχμὰς), ὅτε οὐκ εὐκαιρῶ; ἤδη 30 πρὸ ὀφθαλμῶν ἔχω, ὅτι γυμνὴ μενῶ τὸν χειμῶνα. (2. Hand) ἔρρωσο. Ἐπεὶφ κβ. versiculus transversus (1. Hand) ἡ γυνὴ Εὐδήμου ακεινητος μου ἐστὶν καὶ χάριν ἔχω αὐτῆι. verso (3. Hand) Ἀλίνηι X θυγατρ[ί] Z. 8, l. βαφέως, Z. 24, l. μικρά, Z. 32, l. ἀκίνητος Eudaimonis der Aline, ihrer
Tochter, Grüße.
Ich wünsche vor allem, dass du zu guter Zeit niederkommst und 5 dass ich die Nachricht erhalte, dass es männlich ist. Am 29. bist du stromaufwärts gefahren und am folgenden Tag habe ich es herabgezogen. Mit Mühe erhielt ich vom Färber (die Wolle?) am 10. Epeiph. Ich arbeite aber zusammen 10 mit deinen Sklavinnen nach Möglichkeit. Ich finde nicht welche, die arbeiten können mit uns, denn alle arbeiten mit ihren eigenen Herrinnen. Herum-
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15 gezogen sind unsere Leute durch die ganze Stadt und erstreben mehr Lohn. Deine Schwester Sueroys ist niedergekommen. Es schrieb mir Teeys und sie sagt 20 euch Dank, so dass, Herrin, ich erkannte, dass meine Weisungen in Geltung bleiben. Denn alle die Ihrigen hat sie zurückgelassen und ist mit dir aufgebrochen. Es grüßt dich die Kleine und sie harrt 25 bei den Studien aus. Wisse aber, dass ich mich Gott nicht widmen will, wenn ich nicht vorher meinen Sohn gesund zurück erhalte. Für was hast du mir die 20 Drachmen geschickt, da ich keine gute Zeit habe? Schon 30 habe ich vor Augen, dass ich nackt bleibe im Winter. (2. Hand) Lebe wohl! Am 22. Epeiph. versiculus transversus (1. Hand) Die Frau des Eudemos ist unzertrennlich von mir und ich bin ihr dankbar. verso (3. Hand) An Aline X Tochter.
Der Brief der Eudaimonis, der Mutter des Strategen Apollonios, ist an ihre Schwiegertochter Aline gerichtet. Da in Nr. 16 ausgeschlossen wird, dass eine Geschwisterheirat vorliegt, kann es sich bei der Anrede θυγάτηρ nur um die Schwiegertochter handeln. Sie wünscht ihr alles Gute zur bevorstehenden Geburt und hofft, dass es ein Knabe sein wird und berichtet von Problemen mit der Hausweberei und mit für mehr Lohn demonstrierenden Webern. Im Präskript kommt die Schwiegermutter ohne vertrautes πολλά oder πλεῖστα aus. Doch sagt das nicht unbedingt etwas über ihre Gefühle aus. In P.Giss. I 23, Z. 1–3 = P.Giss.Apoll. 5 schreibt sie nämlich: Εὐδαιμονὶς Ἀλινῆι τῆι θυγατρὶ πολλὰ χα(ίρειν). Auch ihren Sohn schreibt Eudaimonis in P.Flor. III 332, Z. 2 einfach mit χαίρειν an, in P.Alex.Giss. 58, Z. 2 = P.Giss.Apoll. 10 kommt zumindest ein πολλά hinzu, während sie ihn in P.Giss. I 22, Z. 2 = P.Giss.Apoll. 2 ganz ausgesucht anredet: [Εὐδαιμ]ο̣νὶς Ἀπολλων̣ίωι τῶι / [ (?) ….. ]μ̣οτάτωι υἱῶ̣ι πολλ̣ὰ̣ χ(αίρειν). Das Kind, das Aline bereits hat, ist eine Tochter, von der die Großmutter berichtet, dass sie eifrig beim Lernen ist. Über diese Nachricht wird sich die Mutter sicherlich gefreut haben. Aus dem Ausdruck dafür, τοῖς μαθήμασι, kann man schließen, dass es sich nicht um die Anfangsgründe des Lesens und Schreibens handelt, sondern um darüber hinausgehende Studien, wie z.B. in C.Ptol.Sklav. II 157, Z. 5; P.Oxy. X 1296, Z. 5, womit dieser Brief auch ein Zeugnis für die Bildung der Mädchen wäre. Μικρός hat nicht nur die Bedeutung „klein“, sondern dient bei Personennamen dazu, die jüngeren von älteren gleichen Namens zu unterscheiden und heißt dann so viel wie „der Jüngere“. Wirklich bemerkenswert ist dann die Aus-
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sage der Großmutter, dass sie sich nicht um Gott kümmern will, solange wie ihr Sohn nicht zurück oder in Gefahr ist. Sie hadert also in gewisser Weise mit Gott und stellt ihm Bedingungen. Auch mit den 20 Drachmen, die ihr die Schwiegertochter hat zukommen lassen, ist sie nicht zufrieden. Es ist ihr zu wenig, was sie mit der maßlosen Übertreibung, dass sie wohl nackt den Winter erwarten muss, umschreibt. Der eigenhändig hinzugefügte Gruß, der auch als Unterschrift dient, ist erstaunlich kurz: ἔρρωσο. Man hat den Eindruck, dass auch die am linken Rand als versiculus transversus hinzugefügte Nachricht ein wenig vorwurfsvoll gegenüber der Schwiegertochter gemeint ist, wenn die Frau eines gewissen Eudemos – bemerkenswert, dass sie nicht den Namen der Frau selbst angibt – als von ihr unzertrennlich bezeichnet wird, wofür sie ihr dankbar ist. Im Mittelteil des Briefes berichtet Eudaimonis etwas kryptisch über ihre Bemühungen im Bereich der Weberei und Färberei, dass sie keine Arbeitskräfte findet und sich deshalb mit den Sklavinnen der Aline begnügen muss. Freie Arbeitskräfte stehen keine zur Verfügung, weil die Arbeiter für höhere Löhne demonstrierend durch die Stadt ziehen. Möglicherweise eine Begleit- und Folgeerscheinung des Krieges im Rahmen des jüdischen Aufstandes. Die damit verbundene Krise scheint ihr auch Sorgen für den bevorstehenden Winter (s.o.) mit zu verursachen. Aber nicht nur Aline ist schwanger, sondern auch deren Schwester, genauer Schwägerin Sueroys hat die Last abgelegt bzw. hat entbunden (Z. 18), so die knappe Mitteilung der Mutter. Es folgt noch eine im Dunkeln bleibende Information hinsichtlich einer Frau namens Teeys, die sich auf die Weberei bezieht. 11. P.Giss. I 21 = P.Giss.Apoll. 1: Eudaimonis an ihren Sohn Apollonios (Hermupolis, 113–115 n. Chr., s. Abb. 7) Εὐδα[ι]μ̣ονὶς Ἀπολλωνίωι τῶι υἱῶι πλεῖστα χαίρειν . λίαν ἐχάρην ἀκούσασα ὅτι ἔρρ̣ωσαι καὶ ἡ̣ ἀδελφή σου Σο̣ῆρις. ἀφʼ ᾗ̣ς ἡ̣μ̣έρας 5 ἔπεμψάς μοι, ἐζήτησα τὸ λακ̣ώ̣ν ιο̣ν καὶ οὐχ εὗρον ἀλλὰ ἀτταλιανὸν σαπρόν. οὐκ ἀγνοεῖς δὲ ὅτι ἡμιλίτριον ἔδωκας ̀ καὶ (δραχμάς ) β ὁ̣λκῆς ́ εἰς τὸ συνθεσείδιον τὸ λευκόν. διὸ δαπανᾶ̣ς λίτραν 10 μίαν καὶ ὁλκῆς στατῆρα. ἀγοράσεις οὖν καὶ πέ̣μ ψεις, [ἵ]ν̣α̣ τ̣α̣χέως ἀ̣π̣[ο]πεμφθῇ. παρακαλ̣ῶ δέ σε μένε ἐπὶ ἑαυτο ῦ, ἵνα̣ μή μ̣ε [λυ]πήσ[ῃ]ς ειμα̣[ ̣α ̣ ̣ ̣ον ̣ ̣ ̣ ̣]. ἄ̣σ̣π̣α̣-
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15 σαι Ἀλιν̣ὴν τὴν ἀδελφήν σου̣. εὐχάριστεῖ σοι λ[ί]αν Σοῆρις καὶ ἔγραψέ μοι ἐπιστολὴν περὶ τούτου. [ἀ]σ̣πάζεταί σε καὶ τὴν μητέρα Ἡ[ρα]ιδοῦς̣ ἡ μικρά. 20 (2. Hand ) ἔρρωσ̣ο τέκν̣ο̣ν̣. Χο̣ίακ κδ. verso Ἀπολλωνίωι σ̣τρα̣τη̣γῶι Ἀπολ̣[λωνοπολίτου]. Eudaimonis Apollonios, dem Sohn, sehr viel Grüße. Mit großer Freude habe ich gehört, dass du gesund bist und deine Schwester Soeris. Seit dem Tag, 5 an dem du mir den Auftrag gesandt hast, habe ich das Gewand gesucht und nicht gefunden, sondern ein abgetragenes Kleidungsstück. Du weißt genau, dass du eine halbes Pfund gegeben hast ̀ und 2 Drachmen Gewicht ́ für das weiße Gewand. Deshalb musst du ein Pfund 10 und einen Stater Gewicht aufwenden. Du wirst es nun kaufen und schicken, damit es schnell zurückgeschickt wird. Und ich bitte dich, bleibe daheim, damit du mich nicht beunruhigst ... Grüße 15 Aline deine Schwester. Es dankt dir sehr Soeris, und sie schrieb mir einen Brief darüber. Es grüßt dich und die Mutter Heraidoys die Jüngere. 20 (2. Hand) Lebe wohl, Kind. Choiak 24. verso Apollonios, dem Strategen des Apollonopolites Z. 7–10 nach Dieter Hagedorn, Bemerkungen zu Urkunden, ZPE 136 (2001), 149f.
Hier schreibt Eudaimonis an ihren Sohn, den bekannten Strategen Apollonios. Es geht darin neben dem Wohlbefinden um Kleider und Wolle sowie um die Mahnung an den Sohn, sich in Acht zu nehmen. Im Gegensatz zu anderen Briefen verwendet sie die familiäre Form πλεῖστα χαίρειν. Sie freut sich darüber, gehört zu haben, dass es ihm und seiner Schwester Σοῆρις gut geht. In dieser formula valetudinis fehlt die Angabe über sich selbst, dafür ist aber als nahestehende Person die Schwester und nicht die Ehefrau aufgenommen. In Nr. 10, Z. 18 schreibt Eudamonis den Namen der Schwester Σουεροῦ.
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Beide Briefe stammen von der Hand desselben Schreibers. Die Mutter hat beide Male einen eigenhändigen Gruß darunter geschrieben: Hier mit ἔρρωσ̣ο τέκν̣ο̣ν̣ auch noch mit einem anrührenden und liebevoll gemeinten Vokativ „Kind“, während es in Nr. 10 in einem Brief an die Schwiegertochter Aline bei einem knappen ἔρρωσ̣ο blieb. Diese Ehefrau des Apollonios wird in dem vorliegenden Brief erst bei den Schlussgrüßen eigens erwähnt. Dort wird sie auch in Verbindung mit den Grüßen der Tochter Heraidoys genannt, wenn es heißt: „Es grüßt dich und die Mutter Heraidoys, die Jüngere.“ Zwischen diesen Fragen um das Wohlergehen und den Grüßen geht es im Briefcorpus um die Suche nach Gewändern (Z. 4–9), Ausgaben für Kleider (Z. 9–12), die für uns mehr oder weniger im Dunkeln bleiben, weil wir die Vorgeschichte nicht kennen. Die Mahnung der Mutter an den Sohn, daheim zu bleiben und sie nicht zu beunruhigen (Z. 12–14), hängt sicherlich schon mit dem Judenkrieg zusammen, der aber noch nicht den Gau des Apollonios erreicht zu haben scheint, wie der Herausgeber von P.Giss.Apoll. 1 meint. 12. P.Oxy. VI 930 = W.Chr. 138 = Sel.Pap. I 130: Eine Mutter (?) an ihren Sohn Ptolemaios (Oxyrhynchos, 2.–3. Jh. n. Chr., s. Abb. 8) [. . . . . . .]υ μὴ ὄκνι μοι
[γ]ράφειν καὶ περὶ ὧν ἐ[ὰ]ν χρείαν ἔχῃς ἐντεῦθεν ελοιπηθην ἐπιγνοῦ5 σα παρὰ τῆς θυγατρὸς τοῦ καθηγητοῦ ἡμῶν Διογένους καταπεπλευκέναι αὐτόν· ἠμερίμνουν γὰρ περὶ αὐτοῦ εἰδυῖα ὅ10 τι κατὰ δύν[α]μιν μέλλει σοι προσέχειν. ἐμέλησε δέ μοι πέμψαι καὶ πυθέσθαι περὶ τῆς ὑγιας σου καὶ ἐπιγνώναι τί αναγεινω15 σκεις καὶ ἔλεγεν τὸ ζῆτα,
ἐμαρτύρει δὲ πολλὰ περὶ τοῦ παιδαγωγοῦ σου. ὥστε οὖν, τέκνον, μελησάτω σοί τε καὶ τῷ παιδα20 γωγῷ σου καθήκοντι καθηγητῇ σε παραβάλλειν. ἀσπάζονταί σε πολλὰ αἱ ἀδελφαί σου καὶ τὰ ἀβάσκαντα παιδία Θεωνίδος
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25 καὶ οἱ ἡμέτεροι πάντες κατʼ ὄνομα. ἄσπασαι τὸν τ{ε}ιμιώτατον παιδαγωγόν σου Ἔρωτα. versiculus transversus [- ca. ? -] ταιδ̣ . . ἐ̣ρρ[.] . . . [. . .] Ἁ̣ θὺρ̣ β̣[ ̣] verso 30 [- ca. ? -] Πτολεμαίῳ υἱῶι. Z. 4, l. ἐλυπήθην, Z. 14f, l. ἀναγιγνώσκεις. … zögere nicht, mir zu schreiben auch über das,
wenn du Bedarf hast.
Weiter bin ich betrübt,
5 als ich von der Tochter unseres
Lehrers Diogenes erfahren habe,
dass er hinab gesegelt
sei. Denn ich war ohne Sorge, da
ich über ihn wusste, 10 dass er nach Kräften auf dich achten wollte. Es lag mir am Herzen, einen Brief an ihn zu schicken
und mich nach deiner Gesundheit zu erkundigen und
15 zu erfahren, was du liest.
Und er sagte: das Zeta, und
er stellte deinem Pädagogen ausführlich
ein gutes Zeugnis aus.
Daher musst du nun, Kind, samt
deinem Pädagogen dich darum
20 kümmern, dich einem passenden
Lehrer anzuvertrauen.
Es grüßen dich vielmals deine
Schwestern, die vor bösem Blick gefeiten Kinder der Theonis
25 und alle die Unsrigen namentlich. Grüße deinen
sehr geehrten Pädagogen
Eros.
versiculus transversus … Grüße (?) … Hathyr der 2. verso 30 … dem Sohn Ptolemaios.
In diesem Brief schreibt eine Mutter an ihren Sohn, dass er sich möglichst schnell nach einem neuen Lehrer umsehen soll, da der bisherige abgereist ist. Man erfährt neben der Tatsache, dass als Lektüre Homer ansteht, auch noch einiges mehr über antike Erziehung im Allgemeinen.
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Der Briefanfang ist verloren gegangen, aber wir kennen vom verso den Namen des Sohnes: Ptolemaios. Es hat den Anschein, dass auch die Schlussgrüße von derselben Hand stammen, die den restlichen Brief geschrieben hat, eine gut lesbare Schrift mit wenigen orthographischen Verstößen. Möglicherweise hat die Mutter ihn selbst geschrieben. Sie fordert ihren Sohn auf, ihr seine Wünsche mitzuteilen. Sie ist traurig, als sie von der Tochter des Lehrers ihres Sohnes erfahren hat, dass der Lehrer „hinab gesegelt“ ist. Da der Brief aus Oxyrhynchos stammt, ist damit möglicherweise ein dauerhafter Wohnungswechsel nach Alexandrien gemeint. Denn dass dies nicht nur eine kurze Reise ist, geht aus dem Nachfolgenden hervor. Der Sohn ist nun gezwungen, sich einen neuen Lehrer zu suchen. Dabei war dies ein guter Lehrer. Sie hatte sich bei ihm nach dem gesundheitlichen Befinden und nach den Fortschritten ihres Sohnes erkundigt und erfahren, dass er das Zeta lese. Damit ist das 6. Buch der Ilias gemeint. Somit dürfen wir annehmen, dass auch die Mutter eine gewisse höhere Bildung besessen hatte. Auch dem Pädagogen, der den Sohn begleitete, wurde ein gutes Zeugnis ausgestellt. Gerade ältere und verdiente Sklaven wurden mit dieser Aufgabe betraut, denn es war ein verantwortungsvolles Amt. Das sieht man auch schon daran, dass der Sohn zusammen mit dem Pädagogen sich nach einem neuen passenden Lehrer umschauen soll. Dabei bleibt das καθήκοντι καθηγητῇ (Z. 20f) ziemlich unbestimmt. Was ist schon ein passender Lehrer? Vermutlich meint die Mutter einen fachlich kompetenten und auf die Bedürfnisse seines Schülers eingehenden Lehrer. Eines ist sicher, der Schüler ist kein Kind mehr. Er lebt außerhalb des Hauses seiner Eltern bzw. Mutter in der Stadt Oxyrhynchos. Seine Familie – ein Vater wird im Brief nicht erwähnt – wohnt sicherlich außerhalb auf dem Land. Seine Mutter ist vermögend, was auch daran abzulesen ist, dass dem Sohn ein Sklave als Pädagoge zur Verfügung steht. Neben der Funktion als Pädagoge spricht auch der Personenname „Eros“ für den Sklavenstatus dieses Mannes, denn Eros ist ein häufiger Name für Sklaven. Dass es eine gute Beziehung zwischen der Mutter und dem Sklaven gibt, lässt sich an dem ehrenden Attribut τὸν τειμιώτατον (Z. 26f) im Gruß an ihn ablesen. Zuvor werden noch Grüße an den Sohn ausgerichtet von den Schwestern, von den Kindern einer Theonis sowie allen anderen in einer salvatorischen Klausel: καὶ οἱ ἡμέτεροι πάντες
κατʼ ὄνομα (Z. 25f). Am linken Rand sind noch Spuren des Schlussgrußes zu erkennen sowie ein Datum.
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13. P.Oxy. III 531 = W.Chr. 482 = C.Pap.Hengstl 83: Brief des Cornelius an seinen Sohn Hierax (Oxyrhynchos, 2. Jh. n. Chr.) Κορνήλιος Ἱέρακι τῷ γλυκυτάτωι υἱῷ
χαίρειν. ἡδέως σε ἀσπαζόμεθα πάντες οἱ ἐν οἴκωι καὶ τοὺς μετʼ ἐσοῦ πάντας. περὶ οὗ μοι πολλάκ{ε}ις 5 γράφεις ἀνθρώπου μηδὲν προσποιηθῇς
ἕως ἐπʼ ἀγαθῷ πρὸς σὲ παραγενομαι σὺν Οὐ-
ηστείνῳ μετὰ καὶ τῶν ὄνων. ἐὰν γὰρ θεοὶ θέλωσι τάχιον πρὸς σὲ ἥξω μετὰ τὸν Μεχεὶρ μῆνα ἐπεὶ ἐν χερσὶν ἔχω ἐπείξιμα ἔργα. ὅρα μηδε10 νὶ ἀνθρώπων ἐν τῇ οἰκίᾳ προσκρο[ύ]σῃς, ἀλλὰ τοῖς βιβλίοις σου αὐτὸ μόνον πρόσεχ[ε] φιλολογῶν καὶ ἀπ᾽αὐτῶν ὄνησιν ἕξεις. κόμ[ι]σαι διὰ Ὀννωφρᾶ τὰ ἱμάτια τὰ λευκὰ τὰ δυ[ν]άμενα μετὰ τῶν πορφυρῶν φορεῖσθαι φαινολίων, 15 τὰ ἄλλα μετὰ τῶν μουρσίνων φορέσεις. διὰ Ἀνουβᾶ πέμψω σοι καὶ ἀργύριον καὶ ἐπιμήνια καὶ τὸ ἄλλο ζεῦγος τῶν ὑσγ{ε}ίνων. τοῖς ὀψαρίοις ἐξήλλαξας ἡμᾶς, τού\των/ καὶ τὴν τιμὴν διʼ Ἀνουβᾶ πέμψω σοι, μέντοιγε 20 ἕως πρὸς σὲ ἔλθῃ \Ἀνουβᾶς/ ἀπὸ τοῦ σοῦ χαλκοῦ τὸ ὀψώνιόν σου καὶ τῶν σῶν ἐξοδίασον ἕως πέμψω. ἔστι δὲ τοῦ Τῦβι μηνὸς σοὶ ὅ θέλεις, Φρονίμῳ (δραχμαὶ) ιϛ, τοῖς περὶ Ἀβάσκ(αντον) καὶ Μύρωνι (δραχμαὶ) θ, Σεκούνδῳ (δραχμαὶ) ιβ. Πέμ25 ψον Φρόνιμον πρὸς Ἀσκληπιάδην ἐμῶι ὀνόματι καὶ λαβέτω παρʼ αὐτοῦ ἀντιφώνησιν ἧς ἔγραψα αὐτῷ ἐπιστολῆς καὶ πέμψον. περὶ ὧν θέλεις δήλωσόν μοι. ἔρρωσο, τέκνον. Τῦβι ιϛ. verso 30 ϊερακι [υ]ἱῷ ἀπὸ Κορνηλίο(υ) πατρός. Z. 3 aus παντες, Z. 6, l. παραγένωμαι, Z. 12 aus αυ, Z. 30, l. Ἱέρακι
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Cornelius dem Hierax dem süßesten Sohn Grüße. Erfreut grüßen wir dich alle im Hause und alle, die bei dir sind. Bezüglich des Menschen, von dem du mir oft schreibst, unternimm nichts bis ich zum Guten zu dir komme mit Vestinus und mit den Eseln. Denn wenn die Götter wollen, werde ich recht bald zu dir kommen nach dem Monat Mecheir, da ich dringende Arbeiten in Händen habe. Sieh zu,
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10 dass du keinem Menschen im Haus Anstoß gibst, sondern sei nur auf das eine bedacht, dass du deine Bücher liebst und du wirst von ihnen Nutzen haben. Empfange durch Onnophras die weißen Kleider, die können getragen werden mit den purpurfarbigen Mänteln, 15 die anderen wirst du mit den myrrhefarbigen tragen. Durch Anubas werde ich dir schicken sowohl Geld als auch das Monatsgeld und das andere Paar Scharlachmäntel. Mit den Salzfischen hast du uns eine Freude gemacht, dafür werde ich dir den Preis durch Anubas schicken. Allerdings 20 bis Anubas zu dir kommt, bezahle von deinem Kupfergeld das Essen für dich und die Deinen, bis ich schicke. Es ist dir für den Monat Tybi, was du willst, Phronimos 16 Drachmen, denen um Abaskantos und dem Myron 9 Drachmen, dem Secundus 12 Drachmen. 25 Schicke Phronimos zu Asklepiades in meinem Namen und er soll von ihm eine Antwort entgegennehmen auf den Brief, den ich ihm geschrieben habe, und schicke sie mir. Teile mir mit, was du dir wünschst. Lebe wohl, Kind. 16. Tybi. verso An Hierax, den Sohn, von Cornelius, dem Vater.
Hier haben wir die Ermahnung eines Vaters an seinen studierenden Sohn vor uns. Er hält ihn an zu lernen, gibt Kleidungsvorschriften, eben das, was auch heute besorgte Väter, wissend um ihr eigenes Studentenleben, einem studierenden Kind zwischendurch mal ans Herz legen. Die Anrede mit „süßestem Sohn“ (Z. 1) ist bemerkenswert, denn sie ist nur noch zwei weitere Male bezeugt (P.Mich. III 212 aus dem 2.–3. Jh. und P.Genova I 33 aus dem 6. Jh. n. Chr.). Die folgenden Grüße sind sozusagen von allen zu Hause an alle bei dem Sohn. Es folgt dann direkt ein Hinweis, sich mit einem bestimmten Mann nicht einzulassen, über den der Sohn in früheren Briefen oft geschrieben hat, sondern zu warten, bis der Vater mit einem Mann namens Vestinus und den Eseln kommt. Man wüsste nur zu gern, ob die Esel etwas mit dem „Streit“ zu tun haben oder ob der Vater nur ankündigen will, mit welchen Transportmitteln er zu seinem Sohn reisen will. Zur Zeit wird er noch in dringenden Geschäften zurückgehalten. Es folgen die Ermahnungen, sich mit niemandem im Hause anzulegen, woraus man schließen kann, dass der Sohn zur Miete wohnt, sondern sich eifrig den Büchern zuzuwenden, nicht der Bildung und des Vergnügens wegen, sondern weil dies von Nutzen sein wird. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass den Sohn nur Nützlichkeitserwägungen überzeugen. Der griechische Ausdruck ὄνησιν ἕξεις (Z. 12) kommt in den Papyri immer nur im Sinne von materiellem Nutzen vor! Es erinnert so an heutige Diskussionen über die praktische Nutzanwendung mancher Stu-
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diengänge, die alle dem Gedanken des ökonomischen Nutzens – ohne zu definieren, worin der im Einzelnen besteht – unterworfen werden. Ein Mann namens Onnophras wird ihm Kleider bringen, wobei der Vater auch noch vorschreibt, wie welche Kleider kombiniert werden können. Modern gesprochen: eine Modeberatung durch den Vater! Auch dies ist ein wenig ungewöhnlich, aber es wird keine Frau an seiner Seite in diesem Brief erwähnt. Ein anderer Mann namens Anubas wird Geld, Verpflegung für einen Monat und weitere Kleider bringen. Dieser Anubas ist öfters zwischen den beiden Standorten und Personen unterwegs und transportiert in beide Richtungen. Wenn die Deutung τοῖς ὀψαρίοις (Z. 18) mit Salzfischen richtig ist und es nicht einfach allgemein „Zukost zur Brotnahrung“ (Pökelfleisch, Salzfische, Tunke usw.) 38 meint, könnte dies ein Hinweis auf den Aufenthaltsort des Sohnes sein: Alexandria. Da der Brief allerdings in Oxyrhynchos gefunden wurde, liegt es nahe, dass dies auch der Aufenthalts- und Studienort des Sohnes war. Natürlich hätte der Sohn auch den Brief irgendwie mit nach Oxyrhynchos zurückgebracht haben können. Aber im anderen Fall würde dies eher die vielen Reisen hin und her erklären, wenn der Vater nicht weit von Oxyrhychos zu Hause war. Durch die Formulierung „bis Anubas mit dem Geld kommt“ (Z. 20) ist sicher, dass Anubas nicht der Überbringer dieses Briefes ist. Der Sohn soll von dem noch vorhandenen Geld die Ausgaben für seine Begleitung selbst bezahlen. Dann folgt eine Aussage, die das Herz des jungen Mannes sicher vor Freude hüpfen ließ, dass er nämlich für den Monat Tybi so viel Geld bekommen werde, wie er wolle. Vielleicht ist das dem schlechten Gewissen seines Vaters geschuldet, der seine angekündigte Reise wohl mal wieder – wie scheinbar so oft – wegen dringender Geschäfte absagen musste. Für die anderen Personen bei Hierax ist die jeweilige Summe genau festgelegt. Dann folgt noch ein konkreter Auftrag: Der Sohn soll einen Mann namens Phronimos zu einem Asklepiades schicken und diesen um eine Antwort auf einen Brief des Vaters bitten. Mit der Bitte an den Sohn, ihm zu schreiben, was er brauche und dem knappsten Schlussgruß ἔρρωσο, immerhin noch mit der familiären Bezeichnung τέκνον (Z. 28) sowie dem Tagesdatum endet der Brief. Auf dem verso werden bei der Adresse noch einmal die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Adressat und Absender genannt. In diesem Brief werden neben dem Vater und dem Sohn noch weitere Personen namentlich aufgeführt, die alle in einem allerdings nicht genau zu spezifizierenden Verhältnis zueinander stehen: Vestinus, Onnophras (dieser Name ist nur hier bezeugt), Anubas, Phronimos, Abaskantos, Myron, Secundus und Asklepiades. Dazu kommen noch Personen ohne namentliche Nennung: alle Personen im Hause des Vaters, ein Mann im Um38
PREISIGKE, Wörterbuch (s. Anm. 31), s.v.
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feld des Sohnes, mit dem er im Streit liegt sowie die Leute um Abaskantos. Man hat den Eindruck, dass der Sohn bei seinem Studium nicht allein ist und nicht nur einen Pädagogen bei sich hat wie Nr. 12, sondern von einer ganzen Schar von Begleitern umgeben ist. 14. BGU IV 1080 = W.Chr. 478 = C.Pap.Hengstl 75: Herakleides an seinen Sohn Heras (Unbekannt, 3. Jh. n. Chr., s. Abb. 9) Ἡρακλείδης Ἡρᾷ ϋιω χα[ί]ρειν. πρὸ τῶν ὅλων ἀσπάζομαί σε συνχαίρων ἐπὶ τῇ ϋππαρχθείσῃ σοι ἀγαθῇ [ε]σ̣ευβει καὶ ευτυχη [σ]υμβιωσι κατὰ τὰς κοινὰς ἡμῶν 5 εὐχὰς καὶ προσευχάς, ἐφʼ αἷς οἱ θεοὶ τέλιον ἐπακούσαντες παρέσχον· καὶ ἡμεῖς δὲ ἀκοῇ ἀπόντες ὡς παρόντες διαθέσι ηϋφρανθημεν κατευχόμενοι ἐπὶ τοῖς μέλλουσι \καὶ/ ὅπως γενόμενοι παρʼ ϋμιν συνάρωμεν δι10 πλῆν ε[ἰ]λαπίνην τε\τε/θαλυϊαν 〚καὶ〛 καθὼς οὖν ὁ ἀδελφός σου Ἀμμωνᾶς διείλεκταί μοι
περὶ ϋμων καὶ τῶν ϋμων πραγμάτων, ὡς δέον ἐστίν, γενήσεται καὶ περὶ τούτου θαρσῶν ἀμέλι καὶ σὺ δ[ὲ] σπούδασον 15 ἡμᾶς καταξιῶσαι τῶν. ϊσ[ω]ν γραμμά-
των καὶ περὶ ὧν βούλει, ἐπίστελλέ μοι
ἡδέως ἔχοντι καὶ εἴ σοι ἀβ[α]ρές ἐστιν
καὶ δυνα[τόν, σ]υναπόστιλόν μοι σιππί-
ου τρυφεροῦ λίτρας δέκα γ(ίνονται) λί(τραι) ι καλῶς
20 κεχειρισμένας τῆς οὔσης παρὰ σοὶ τ{ε}ι-
μῆς(*) ἐν τούτῳ μηδὲν βλαπτόμε-
νος· προσα[γ]όρευε ἀπʼ ἐμοῦ πολλὰ τὴν σοὶ φιλτάτην σύνευνον μεθʼ ὧν vacat
(2. Hand) ἐρρῶσθαί σε καὶ εὐανθοῦντα
25 εὔχομαι, κύριέ μου ϋ ϊε. verso Ὀξυπώγων Ἡρᾷ υϊω. Z. 1, l. υἱῷ, Z. 3, l. εὐσεβεῖ, Z. 4, l. εὐτυχεῖ, l. [σ]υμβιώσει, Z. 7, l. ηὐφράνθημεν, Z. 9, l. ὑμῖν, Z. 10, l. τεθαλυῖαν, Z. 11, οὖν nachträglich vor der Zeile eingefügt, korr. aus δδελφος, Z. 12, l. ὑμῶν, Z. 15, l. ἴσ[ω]ν, Z. 25, l. υἱέ, Z. 26, l. υἱῷ Herakleides dem Heras, seinem Sohn, Grüße.
Vor allem grüße ich dich mich mit freuend
über den dir zuteil gewordenen guten, frommen und glücklichen Ehestand gemäß unseren gemeinsamen
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Bitten und Gebeten, zu denen die Götter die Erfüllung, nachdem Sie uns angehört haben, gewährten. Und wir sind durch die Kunde,
da wir abwesend waren, ebenso erfreut über die Einrichtung, als wären wir dabei gewesen. Zugleich beten wir für die Zukunft, damit zu euch kommend wir 10 ein zwiefaches „schwellendes Festmahl“ anheben. Wie nun dein Bruder Ammonas mir über euch und eure Angelegenheiten erzählt hat,
wie es notwendig ist, wird es geschehen und darüber fasse Mut und mache dir keine Sorgen und auch du beeile dich 15 uns zu beehren mit ähnlichen Briefen und was du willst, darüber gib mir Nachricht, wozu ich gerne bereit bin. Und wenn es dir keine Mühe macht und es möglich ist, schicke mir mit an weichem Werg zehn Pfund, macht 10 Pfund, gut 20 bearbeitet, für den Preis, der bei dir gilt und du in dieser Sache keinen Nachteil erleidest. Grüße von mir vielmals deine liebste Bettgenossin, womit vacat (2. Hand) ich bete, dass es dir wohl ergeht und du gedeihst 20 mein Herr Sohn. verso Spitzbart an Heras, den Sohn.
Dies ist ein sehr gelehrtes und von großer Bildung zeugendes Gratulationsschreiben an den Sohn, der sich soeben verheiratet hat. Es wirkt aber andererseits ein wenig geschraubt und gestelzt und damit unpassend für einen Brief. Es hat fast den Anschein, als ob das Ganze humorvoll und ironisch gemeint ist. Dieser Eindruck wird nachträglich noch verstärkt, wenn man den Absender auf dem verso liest, wo er seinen Spitznamen verwendet: „Spitzbart“. Man kann sich das Schmunzeln des Schreibers und des Lesers durchaus lebhaft vorstellen. Bei aller Gelehrsamkeit des Vaters, der den Brief diktiert und nur den Schlussgruß eigenhändig geschrieben hat, fällt auf, dass der Schreiber ein Liebhaber des Trema ist und es gerne verwendet, auch wo es nicht angebracht ist (z.B. Z. 3, 9, 12 zweimal, 15). Auch dem Iotazismus geschuldete Verschreibungen finden sich im Text. Die Ausgesuchtheit der Formulierungen zeigt sich bereits im ersten Satz nach dem Eingangsgruß. Das dort verwendete Wort συνχαίρων (Z. 2) ist sonst in dokumentarischen Papyri nicht belegt. Auch wird der Ehestand in den Papyri niemals als ἀγαθή, εὐσεβής und εὐτυχής oder auch nur mit einem von diesen Epitheta versehen. Auch die nachfolgende Doppelung mit εὐχὰς καὶ προσευχάς in Z. 5 ist singulär. Bemerkenswert ist, dass der Vater nicht an der Hochzeit teilgenommen, sondern nur davon gehört hat. Der Bruder war aber wohl dabei und hat berichtet. Das Zitat in Z. 10 ε[ἰ]λαπίνην τε\τε/θαλυϊαν stammt entweder aus Homer Od. XI 415 oder Hesiod
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Fragmente 274, 1 (εἰλαπίνηι τεθαλυίηι), was bei Athenaios, Deipnosophistae II 13, überliefert ist, und zeigt die Belesenheit des Vaters. Dann bittet der Vater seinen Sohn, Wünsche zu äußern, die er gern erfüllen wird. Er selbst äußert auch gleich eine Bitte, wenn es dem Sohn keine Mühe mache und es möglich sei, ihm zehn Pfund weiches Werg zu schicken zu dem ortsüblichen Preis. Er soll aber nichts drauflegen von seinem eigenen Geld. Hier schreibt er die Maßangabe in Worten und in Zahlen, wie es in Rechnungen und dergleichen üblich ist. Er lässt dann die Schwiegertochter mit dem auch singulären Ausdruck σύνευνον (Z. 23) grüßen. Wie nicht anders zu erwarten, ist auch der eigenhändig geschriebene Schlussgruß mit dem Wunsch, der Sohn möge gesund sein und εὐανθοῦντα (Z. 24) sehr gewählt. Letzteres ist ohne Parallelen in einem Gruß und das Wort selbst kommt nur noch ein weiteres Mal in einem Ostrakon vom Mons Claudianus (O.Claud. IV 862, Z. 7, ca. 137 n. Chr.) vor. In der Tat ein bemerkenswerter Brief, der mit Komplimenten nicht spart und der mit seiner gesuchten Wortwahl zu beeindrucken versteht, bei dem man aber auch den Schalk im Nacken des Schreibers und seine Freude beim Abfassen des Briefes spürt. Gern würde man dazu auch die Antwort des Sohnes lesen wollen. 15. P.Fay. 114 = Sel.Pap. I 109: Gemellus an Sabinus (Euhemeria, 14. Dezember 100 n. Chr., s. Abb. 10) Λούκιος Βελλῆνος Γέμελλος
Σαβίνῳι τῶι οιειωι χαίρειν. εὖ οὖν πυησας κομισάμενός μου τὴν ἐπιστολὴν 5 πεμσις μυ Πίνδαρον εἰς τὴν πόλιν τὸν πεδιοφύλακα τῆς Διονυσιάδο(ς), ἐπὶ ἐρώτησέ με Ἑρμοῶναξ {ε}ἵνα αὐτὸν λά10 βῃ εἰς Κερκεσοῦχα καταμαθ{ε}ῖν τὸν ἐλαιῶνα αὐτοῦ ἐπὶ πυκνός ἐστιν καὶ θέλι ἐξ αυτον ἐκκό15 ψαι φυτά, {ε}ἵνα ενπι ρος κοπῇ τὰ μέλλοντα ἐκκόπτεσθαι· καὶ εικθυιν πεμσις τῆι κδ ει κε εἰς τὰ 20 γενέσια Γεμέλλης. μὴ ον ληρήσῃς τὸν ἐκτιναγμόν σου. ἔρρωσο. (ἔτους) δ Αὐτοκράτορος Καίσαρος Νερούα
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25 Τραιαν[οῦ] Σεβαστοῦ Γερμανικοῦ, Χύακ ͞ι͞η. Z. 2, l. υἱῶι, Z. 3, l. ποιήσας, Z. 5, l. πέμψεις, l. μοι, Z. 8f, l. Ἑρμῶναξ, Z. 14, l. αὐτῶν, Z. 15, l. ἵνα, Z. 15f, l. ἐμπείρως, Z. 18, l. ἰχθύν, l. πέμψεις, Z. 19, l. ἢ
5
10
15
20
25
Lucius Bellenus Gemellus an Sabinus, seinen Sohn, Grüße. Du wirst gut tun, wenn du meinen Brief erhalten hast, dass du mir Pindar in die Stadt schickst, den Flurwächter von Dionysias, da Hermonax mich gefragt hat, dass er ihn mitnehmen möchte nach Kerkesucha, um zu inspizieren seinen Olivengarten, da dieser dicht steht und er daraus Pflanzen heraushauen will, damit sachkundig gefällt werde das, was herausgeschlagen werden soll. Und den Fisch wirst du mir am 24. oder 25. schicken zum Geburtstag von Gemelle. Schwatze nicht töricht über dein Olivenernten durch Schütteln. Leb wohl. Jahr 4 des Imperator Caesar Nerva
Traianus Augustus
Germanicus, Choiak,
der 18.
Dieser Papyrus ist ein Brief des Vaters Lucius Bellenus Gemellus an seinen Sohn Sabinus, in dem er seinen Befehl zur Ausdünnung eines Olivenhains wiederholt. Der Brief ist durchgehend von einer Hand geschrieben und gehört zum Archiv des Gemellus. 39 Der weniger vollständig erhaltene P.Fay. 113 ist fast identisch mit unserem Text. Es hat den Anschein, als ob ein Brief nichts genützt hat, so dass der Vater einen zweiten aufsetzte. Nach dem knappen Eingangsgruß kommt er ohne lange Floskeln wie formula valetudinis und Proskynema-Formel direkt auf sein Anliegen zu sprechen. Sabinus soll Pindar, den Flurwächter, zu ihm in die Stadt schicken, da Hermonax den Olivengarten auslichten möchte und deshalb sach39
Zu diesem Archiv R. SMOLDERS vom 27.11.2006 in http://www.trismegistos.org/ arch/archives/pdf/134.pdf.
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kundige Anleitung benötigt. Die Fische zum Geburtstag der Schwester Gemelle soll der Sohn am 24. oder 25. des Monats schicken, also in 6 bzw. 7 Tagen, denn der Brief stammt vom 18. Choiak. Der Vater kümmert sich also auch um die Feste innerhalb der Familie. Der Brief ist auch ein Zeugnis dafür, dass der Geburtstage in gewisser Weise gedacht wurde und dass dazu auch Geschenke verteilt wurden, nicht nur an Kleinkinder. Wenn man nämlich bedenkt, dass Gemellus im Jahr 32 n. Chr. geboren wurde, dürfte die Tochter Gemelle auch nicht mehr ganz jung gewesen sein. Der Sohn scheint sich bei seinem Vater über das Bäumeschütteln in der Olivenernte beklagt zu haben, mit dem er beschäftigt ist, worauf der Vater etwas verächtlich mehr oder weniger sagt, er solle davon kein Aufhebens machen, er solle sich nicht so anstellen. Nicht gerade eine freundliche Art, seinem Sohn klar zu machen, dass er nicht überlastet sein kann. Vielleicht war das ja auch die Ausrede, weshalb er der Bitte seines Vaters im ersten Brief nicht nachgekommen ist. Kürzer geht der Schlussgruß in der Tat nicht, zumal eine vollständige Datierung mit Jahr des Kaisers Trajan mit all seinen Titeln und das exakte Tagesdatum den Brief beendet. Man glaubt in dem befehlenden Ton noch den alten Militär zu erkennen, der Gemellus einmal war, bevor er sich im Dorf Aphrodites Berenikes Polis im Arsinoites (Fayum) als Landbesitzer niedergelassen hat. Er kann aber auch sehr freundlich mit seinen vier Söhnen und der einen Tochter umgehen, wie einige Briefe bezeugen. So schreibt er an Sabinus in P.Fay. 117, Z. 2f mit χαίρειν καὶ διὰ παντὸς εὐχεῖν und beendet den Schlussgruß in Z. 27f mit ἐρρῶσθαί σοι εὔχομαι εἰς τὸν ἀεὶ χρόνον. Der hier behandelte Privatbrief kommt eher in Gestalt eines Geschäftsbriefes daher, was damit zusammenhängt, dass in diesem Landwirtschaftsbetrieb des Gemellus, der sich über mehrere Güter in verschiedenen Dörfern erstreckt, viele Menschen beschäftigt waren, auch seine Söhne. Insofern muss man sich nicht wundern, wenn man sich öfters sieht oder brieflich Kontakt hält, dass dann die das Wohlergehen betreffenden Formeln kurz gehalten werden oder gar ganz entfallen. Das ist heute auch nicht anders, wenn man sich regelmäßig Emails schreibt. Es entspricht auch der Forderung, sich kurz zu fassen. 5.5. Ehegatten unter sich 16. P.Giss. I 19 = P.Giss.Apoll. 8 = C.Pap.Jud. II 436: Brief der Aline an ihren Gatten Apollonios (Hermupolis Magna, 115 n. Chr., s. Abb. 11) [Ἀ]λ̣ι̣νὴ Ἀπολλ̣ωνίωι τῶι ἀδελφῶι πολλὰ χαίρειν. μ̣εγάλως [ἀγ]ωνιῶσα περί σου διὰ τὰ ὄν[τα τ]οῦ καιρ̣[ο]ῦ φημιζόμενα καὶ ὅτι ἐξ-
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[άφ]νως ἐ[ξῆ]λθες ἀπʼ ἐμοῦ· οὔτε πο[. . . ο]ὔ̣τε [σε]ι̣τίοις ἡδέως προσέρχομαι, [ἀλλὰ συν]εχῶς ἀγρυπνοῦσα νυκτὸς ἡ[μέρας μ]ίαν μέριμναν ἔχω τὴν περὶ [τῆς σωτ]η̣ρίας σου. μόνη δὲ ἡ τοῦ πατρός 10 [μου πολ]υ̣ω̣ρία 〚ε〛 \ἀ/νεγείρει με καὶ τῆι α [ἡμέρᾳ] τοῦ νέου ἔτους, νὴ τὴν σὴν [σωτη]ρ̣ία̣ν̣, ἄ̣[γ]ευστος ἐκοιμώμην, [εἰ μὴ ὁ π]α̣τήρ μου εἰσελθὼν ἐβιάσατό [με. παρακ]αλῶ σε οὖν ἀσφαλῶς σεαυτὸν 15 [φύλαττε] καὶ μὴ μόνος τὸν κίνδυνον [ἄνευ] φ̣υ̣λακῆς ὑπόμεινε ἀλλὰ ὡς [καὶ ὁ ἐ]ν̣θάδε στρατηγὸς τοῖς ἄρχου[σι ἐπιτί]θησ̣ι τὸ βάρος καὶ σὺ τὸ αὐ[τὸ ποίει . . .] . .ν δέ μου τὸν πατέρα 20 [- ca. 14 -]α ὄντα. καὶ γὰρ τὸ ὄνο[μα - ca. 11 - ἀ]δελφοῦ προετέθη [- ca. 15 -]ις δὲ αὐτὸν ὁ θεὸς [- ca. 15 -]ν. ἐὰν οὖν, ἄδελφε, [- ca. 15 - τῶ]ν πραγμάτων 25 [- ca. 17 -]ς̣ πρὸς ἡμᾶς γρά[ψον - ca. 15 -]βω αὐτῷ πρός σε [- ca. 20 - τ] ἀ̣ν ̣[αβ]α̣ίν̣ει [- ca. 21 - τῆ]ς σω[τη][ρίας - ca.? -]. verso Ἀπολλωνίωι X ἀδελ[φῶι]. Aline Apollonios, dem Bruder, vielmals Grüße. In großem Maße bin ich beunruhigt um dich wegen der Dinge hinsichtlich der gefährlichen Lage, die durch Gerücht verbreitet werden, und weil du 5 plötzlich von mir weggegangen bist: und weder an Speise noch an Trank gehe ich mit Vergnügen, sondern immerfort wache ich nachts und tags und nur die eine Sorge habe ich, die
um dein Wohlergehen. Allein die Fürsorge meines Vaters 10 ermunterte mich und am ersten Tag des neuen Jahres – bei deinem Wohl – wäre ich ohne etwas gegessen zu haben schlafen gegangen, wenn nicht mein Vater hereingekommen wäre und mich
gezwungen hätte. Ich bitte dich nun, gib sicher auf dich Acht 15 und nicht allein nimm die Gefahr ohne Sicherung auf dich, sondern wie
der hiesige Stratege den Beamten die Last aufbürdet, mach auch du dasselbe ... meinen Vater
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20 … denn auch der Name … des Bruders wurde auf eine öffentliche Liste gesetzt
… aber ihn der Gott
… wenn nun, Bruder … der Aufgaben 25 … schreibe uns
… ihm zu dir … er geht hinauf … der Rettung (?) verso Apollonios X dem Bruder.
Hier schreibt Aline, die Gattin des bereits mehrfach erwähnten Strategen Apollonios, dass sie während des Judenaufstandes in Sorge um ihren Gatten ist. Sie bittet ihn, sich in Acht zu nehmen und sich nach Möglichkeit zu drücken, wie andere es auch tun. Aline spricht ihren Gatten mit τῶι ἀδελφῶι an. Man hat oft die Vermutung geäußert, dass es sich um eine Geschwisterehe gehandelt habe, doch die Tatsache, dass sie in Z. 13 ὁ π]α̣τήρ μου schreibt und nicht ἡμῶν wurde als stichhaltiges Gegenargument vorgebracht. Bei ihr spricht in diesem Brief die tiefe und große Sorge um ihren Mann, die sich darin äußert, dass sie sich nicht lange mit den Einleitungsfloskeln eines Briefes aufhält, sondern sofort zum Kern ihres Anliegens kommt, dass sie aus Sorge um ihren Mann weder essen noch trinken kann. Nur ihr Vater konnte sie mehr oder weniger dazu überreden, nicht ohne vorher gegessen zu haben, zu Bett zu gehen und das noch am Neujahrsfest. Die Erwähnung dieses Festes gibt auch einen weiteren Datierungshinweis post quem, denn der Neujahrstag ist in Ägypten der 1. Toth (= 29. August). Ihr Vater, der wohl mit ihr im Hause wohnt, spielt eine wichtige Rolle in ihrem Leben, denn er wird später nochmals erwähnt (Z. 19). Den Rat, den Aline ihrem Mann gibt, sich nämlich vor den Gefahren zu schützen bzw. sich gar nicht erst in die Gefahr zu begeben, sondern andere zu schicken, ist durchaus verständlich, zumal dieses Verhalten der Stratege des Gaues praktiziert, in dem Aline wohnt. Ob ihr Mann diesen eines pflichtbewussten Beamten unwürdigen Rat beherzigt hat, wissen wir nicht. Leider fehlt vom unteren Teil des Briefes ein beträchtlicher Teil der linken Seite, wo es um einen weiteren Bruder geht, den der Gott, wohlgemerkt im Singular, vermutlich beschützen möge. Es folgt noch die Bitte um Antwort. Vom Rest des Briefes ist wenig erhalten. Auf der Rückseite ist lediglich die Adresse verzeichnet: Ἀπολλωνίωι ἀδελ[φῶι].
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17. P.Oxy. III 528 = Sel.Pap. I 125 = C.Pap.Hengstl 88: Serenus an seine Frau Isidora (Oxyrhynchos, 2. Jh. n. Chr.) Σερῆνος Εἰσιδώρᾳ [τῇ ἀδελ]φῇ καὶ κυρίᾳ πλαιστ[α χαίρειν]. πρὸ μὲν ποντος εὔχομ[αί σε ὑγιαί]νει καὶ καθʼ ἑκάστης [ἡμέρα]ς κα[ὶ] 5 ὀψας τὸ προσκύνημά σου πυω παρὰ τῇ σε φιλούσῃ Θοήρι. γινοσκειν σε θέλω ἀφʼ ὡς εκξηλθες ἀπʼ ἐμοῦ πένθος ἡγούμην νυκτὸς κλεων ἡμὲρας δὲ πενθῶ. ιβ Φαῶφι ἀφʼ ὅτε 10 ἐλουσάμην μετʼ ἐσοῦ οὐκ ἐλουσάμην οὐκ̣ ηλιμε μέχρ{ε}ι ιβ Ἁθύρ, καὶ ἔπεμσάς μυ ἐπιστολὰς δυν̣αμενου λίθον σα̣λ̣ευ̣σε, οὕτως υ λογυ σου καικίνηκάν με. αυτην τῇ ορα ἀντέγρα15 ψά συ καὶ ἔδωκα τῇ ιβ μετὰ τῶν σῶν ἐπιστολῶν εσσφραγιζμενα. χωρ{ε}ὶς δὲ τῶν σῶν λόγων κε γραμάτων ὁ Κόλοβος δὲ πόρνην με πεπυηκεν ἔλεγε δὲ ὅτι επεμσε μυ φάσ{ε}ιν 20 ἡ γυνή σου ὅτι αὐτὸς πέπρακεν τὸ ἁλ̣υσίδιον καὶ αὐτὸς κατέστακέ με ε[ἰ]ς τὸ πλυν· τούτους τοὺς λόγους λέγεις ηνα μηκέτι〚φ〛πιστευθῶ μου τὴν ἐνβολ[ήν]. ἰδοῦ ποσαρκεις επεμσα ἐπὶ σέ. ἔρχῃ [εἴτε] 25 οὐκ ἔρχῃ δηλοσον μυ̣. verso ἀπόδος Εἰσιδόρᾳ π(αρὰ) Σερήνου. Z. 2, l. πλεῖστα, Z. 3, l. παντός, Z. 5, l. ποιῶ, Z. 6, l. γινώσκειν, Z. 7, l. ἐξῆλθες, Z. 8, l. κλαίων, Z. 11, l. ἤλειμμαι, Z. 11f, l. ἔπεμψας, Z. 12, l. μοι, l. δυναμένας, Z. 13, l. σαλεῦσαι, l. οἱ, l. λόγοι, Z. 13f, l. κεκίνηκαν, Z. 14, l. αὐτῇ, l. ὥρᾳ, Z. 15, l. σοι, Z. 16, l. ἐσφραγισμένα, Z. 17, l. καὶ, Z. 18f, l. πεποίηκεν, Z. 19, l. ἔπεμψε, l. μοι, Z. 22, l. πλοῖον, l. ἵνα, Z. 24, korr. aus οδου, l. ποσάκις, l. ἔπεμψα, Z. 25, l. δήλωσον, l. μοι
Serenus der Isidora, der Schwester und Herrin, sehr viel Grüße. Vor allem bete ich, dass du gesund bist, jeden Tag und 5 Abend tue ich Fürbitte für dich bei der dich liebenden Thoeris. Ich will, dass du weißt, dass ich – seitdem du weggingst von mir – Trauer trug, nachts weinte ich, tagsüber war ich traurig. Seit dem 12. Phaophi, als 10 ich mit dir badete, habe ich nicht gebadet und mich nicht gesalbt bis zum 12. Hathyr. Und du hast mir Briefe geschickt, die einen Stein erschüttern könnten, so haben mich deine Worte
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bewegt. In derselben Stunde ant15 wortete ich dir und gab sie weg am 12. mit deinen Briefen versiegelt. Außer deinen Worten und Zeilen: „Kolobos aber hat zur Hure mich gemacht“ hat er gesagt: „Geschickt hat mir eine Nachricht 20 deine Frau.“ „Er selbst hat verkauft das Kettchen und er selbst hat mich gesetzt in das Schiff.“ Diese Worte führst du im Mund, damit ich nicht mehr das Vertrauen genieße im Hinblick auf meine Verladung. Sieh, wie oft ich an dich Briefe geschickt habe. Kommst du oder 25 kommst du nicht, erkläre dich mir. verso Gib an Isidora von Serenus.
Mit diesen Zeilen schreibt ein betrogener Ehemann an seine Ehefrau, dass er nach der Trennung weiterhin trauert, sich nicht badet und Liebeskummer hat. Ob ihm deshalb so viele Rechtschreibfehler – es gibt so gut wie keine Zeile, in der nicht Verschreibungen vorkommen – unterlaufen sind, ist nicht ganz auszuschließen. Die Anrede mit [τῇ ἀδελ]φῇ καὶ κυρίᾳ πλαῖστ[α χαίρειν] (Z. 1f) ist eine Mischung aus Respekt und Vertrautheit. Die vollständige Proskynema-Formel ist um eine persönliche Note erweitert παρὰ τῇ σε φιλούσῃ Θοήρι (Z. 6), um die Ehefrau günstig zu stimmen. Dazu dient auch die Göttin Thoeris. Diese als trächtiges Nilpferd dargestellte Göttin wird als Schützerin der schwangeren Frauen und als Geburtshelferin verehrt, ist also mehr oder weniger nur für Frauen zuständig. Ob das Proskynema an sie und die Aussage, dass diese Göttin die Ehefrau besonders liebt, als Hinweise aufzufassen sind, dass die Frau schwanger ist, ist zwar möglich, aber es finden sich keine weiteren Hinweise auf eine Schwangerschaft. Es folgen dann für einen Mann nicht nur aus der Sicht der damaligen Zeit ungewöhnliche Aussagen über die Folgen seines Liebeskummers: Seit dem Weggang der Frau trauert er tagsüber und weint er nachts. Auch seine Körperpflege hat er vernachlässigt. Er hat sich einen Monat lang nicht mehr gewaschen oder gebadet. Die Briefe, die er von der Frau empfangen hat und die sogar Steine erweichen bzw. erschüttern können, haben ihn angerührt. Er hat darauf auch geantwortet, gibt auch das genaue Datum an und verweist darauf, dass er die Briefe versiegelt hat, was bedeuten soll, dass kein Fremder sie lesen soll und kann. Bis dahin ist der Text durchaus verständlich. Nun folgen aber einige sehr kryptische Zeilen, die auf die Korrespondenz zwischen dem Ehemann, der Ehefrau und dem Ehebrecher verweisen. Es ist davon die Rede, dass ein Mann namens Kolobos, wobei κολοβός auch hier abwertend wörtlich gemeint sein kann: „der Verstümmelte“, sie zur Hure gemacht habe. Der Ehebrecher scheint dem betrogenen Ehemann mitgeteilt zu haben, dass seine „Geliebte“ ihm geschrieben habe, dass ihr eigener Mann ein
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Schmuckkettchen, das sie möglicherweise von ihrem Liebhaber geschenkt bekommen hat, verkauft und sie selbst in ein Schiff gesetzt und weggebracht hat, damit sich die beiden Ehebrecher nicht mehr treffen können. Was diese Schilderungen dann mit der Tatsache zu tun haben sollen, dass der Ehemann nicht mehr verladen kann, bleibt im Dunkeln. Die „Verbannung“, in der sich die Ehefrau befindet, scheint sie aber selbst aufheben zu können, was vermutlich unausgesprochen an eine Bedingung geknüpft gewesen sein dürfte. Denn der Nochehemann bittet um Mitteilung, ob sie nun kommt oder nicht. Damit endet der Brief. Es fehlt jeglicher Schlussgruß, was sehr merkwürdig ist, hat der Schreiber den Brief doch äußerst emotional begonnen. Er scheint sich im Laufe des Schreibens aber wieder in die Sache bzw. die Ursache des Zerwürfnisses hineingesteigert zu haben, so dass er das Bittschreiben unpassender Weise mit einem Befehl beendet. Leider wissen wir nicht, wie die Angelegenheit endete, da die drei beteiligten Personen in keinem weiteren Papyrus mehr vorkommen. 18. P.Oxy. IV 744: Hilarion an seine Frau Alis (Alexandria, 17. Juni 1 v. Chr., s. Abb. 12) Ἱλαρίων{α} Ἄλιτι τῆι ἀδελφῇ πλεῖστα χαίρειν καὶ Βεροῦτι τῇ κυρίᾳ μου καὶ απολλω ναριν. γίνωσκε ὡς ἔτι καὶ νῦν ἐν Ἀλεξανδρεᾳ σμεν· μὴ ἀγωνιᾷς ἐὰν ὅλως εἰσ5 πορεύονται, ἐγὼ ἐν Ἀλεξανδρεᾳ μενῶ. ἐρωτῶ σε καὶ παρακαλῶ σε ἐπιμελήθι τῷ παιδίῳ καὶ ἐὰν εὐθὺς ὀψώνιον λάβωμεν ἀποστελῶ σε ἄνω. Ἐὰν πολλὰ πολλῶν τέκῃς ἐὰν ἦν ἄρσε10 νον ἄφες, ἐὰν ἦν θήλεα ἔκβαλε. εἴρηκας \δὲ/ αφροδισιατι ὅτι μή με ἐπιλάθῃς· πῶς δύναμαί σε ἐπιλαθεῖν; ἐρωτῶ σε οὖν ἵνα μὴ ἀγω
νιάσῃς. vacat
15 (ἔτους) κθ Καίσαρος Παῦνι κγ. verso Ἱλαρίων Ἄλιτι ἀπόδος. Z. 2f, l. Ἀπολλωναρίῳ, Z. 4f, l. εἰσπορεύωνται, Z. 8, l. σοι, Z. 11, l. Ἀφροδισιάδι Hilarion an Alis, der Schwester, sehr viel Grüße und Beroys, meiner Herrin und Apollonarion. Wisse, dass wir auch jetzt noch in Alexandreia sind. Sorge dich nicht, wenn sie gesamt
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heimkehren, ich aber noch in Alexandreia bleibe. Ich bitte und flehe dich an: Sorge für das Kind und sofort, wenn wir den Lohn erhalten, schicke ich ihn dir hinauf. Wenn du etwa gebierst, wenn es männlich 10 war, zieh es auf, wenn aber weiblich, setze es aus. Du hast Aphrodisias gesagt: „Vergiss mich nicht!“ Wie kann ich dich vergessen? Ich bitte dich nun, dass du dir keine Sorgen machst. vacat 15 Jahr 29 des Caesar, 23. Payni. verso Hilarion an Alis. Gib es weiter.
Ein Ehemann schreibt aus Alexandria rührend besorgt um seine schwangere Frau, die in Oxyrhynchos geblieben ist, dass sie das Kind, das sie gebären wird, aufziehen soll, wenn es ein Junge ist; falls es aber ein Mädchen sein sollte, es aussetzen soll. Dieser in seiner äußeren Form doch sehr schön geschriebene Brief mit diesem schrecklichen Inhalt – das will so gar nicht zusammenpassen, weshalb man auch daran gedacht hat, dass es sich bei der Geburt um ein Tier handeln könnte. Im Eingangsgruß werden die Ehefrau, die mit dem vertrauten „Schwester“ angesprochen wird, eine Beroys, die als „meine Herrin“ apostrophiert wird, sowie eine Apollonarion genannt. Im Folgenden bittet der Schreiber sein Gegenüber – er verwendet den Singular, was bedeutet, dass die Ehefrau damit gemeint ist – sich keine Sorgen zu machen, und erklärt, dass er als einziger von einer Gruppe von Männern noch in Alexandrien bleibt, während die anderen bereits heimkehren. Möglicherweise gibt er ihnen sogar diesen Brief mit, obwohl das nicht erwähnt wird. Er wartet ab, bis oder ob der Lohn ausgezahlt wird, den er dann sofort schicken wird. Zuvor bittet und ermahnt er sie eindringlich durch ein Hendiadyoin ἐρωτῶ σε καὶ παρακαλῶ (Z. 6), sich um „das Kind“ zu kümmern, womit sicherlich die kleine Apollonaris aus Z. 2f gemeint ist. Es hat den Anschein, als sei diese Bitte nicht unbegründet. Dann kommt der oben bereits genannte Wunsch oder Befehl, sich nach der Geburt in der genannten Weise zu verhalten, nämlich ein Mädchen auszusetzen, wobei das Wort ἔκβαλε (Z. 10) verwendet wird. Dieses Wort kommt häufig in Eheverträgen vor, und zwar in standardisierten Verbotsformeln für den Mann: μὴ κακουχεῖν αὐτὴν μήδʼ ὑβρίζειν μήδʼ ἐγβάλλειν μήδʼ ἄλλην γυναῖκα ἐπεισάγειν ἢ ἐκτίνειν τὴν φερνὴν (BGU IV 1050, Z. 14–16, aus Alexandria). Dieses Wegwerfen bzw. Aussetzen der Kinder erfolgte in Ägypten häufig in der Hoffnung, dass die Kinder aufgefunden und aufgezogen würden. In einigen Fällen ist dieser öffentliche Platz die Müllhalde der Stadt. So sprechen denn einige Papyri, in denen es um Ammenverträge für solche Kinder geht, von
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κοπριαναίρετος = „vom Misthaufen aufgelesene Kinder“ (C.Pap.Gr. I 7 = P.Amst. I 41, vom 28. Mai 8 v. Chr. aus Alexandria). Auch wenn z.B. der Gnomon des Idios Logos, ein immer wieder aktualisiertes Vorschriftenwerk aus der 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr., das Aufziehen solcher Findelkinder als Sklaven nochmals verbietet, so kam es in der Praxis durchaus vor (z.B. BGU IV 1106 = M.Chr. 108 = C.Pap.Hengstl 77 = C.Pap.Jud. II 146, Ammenvertrag aus Alexandria, Februar/März 13. v. Chr.). 40 Zumindest war mit dem Aussetzen der Kinder deren Tod nicht unbedingt beabsichtigt. Einem Aphrodisiati – unklar, ob weibliche oder männliche Person – hatte die Alis aufgetragen, ihrem Ehemann auszurichten: „Vergiss mich nicht!“ (Z. 11). Er beteuert, dies nicht zu tun, und zwar in Form einer Frage: „Wie kann ich dich vergessen?“ (Z. 11f). Zum Schluss greift er den Gedanken des „nicht ängstigen“ von Z. 4 in Z. 13f mit denselben Worten wieder auf. 5.6. Sonstiges 19. P.Giss. I 17 = P.Giss.Apoll. 13 = W.Chr. 481: Tays an Apollonios (Hermupolis Magna, 113/114 oder 117–120 n. Chr., s. Abb. 13) Τ[ᾶ]υ̣ς [Ἀ]π̣[ολλ]ωνίωι τῶι κυρίωι πλεῖστα χαίρειν̣. πρὸ̣ τῶν ὅλων ἀσπάζομαί σε, δέσποτα, καὶ εὔχομαι πάντοτε περὶ τῆς̣ ὑγιείας σου. 5 ἠγωνίασα, κύριε, οὐ μετρίως, ἵνα ἀκούσω ὅτι ἐνώθρευσας, ἀλλὰ χάρις τοῖς̣ θεοῖς πᾶσι ὅτι σε διαφυλ̣ά̣σσουσι ἀπρόσκ̣οπον. παραλακῶ σε, κύριε, ἐάν σοι δόξῃ, καὶ πέμψαι ἐφʼ ἡμᾶς, ε[ἰ] δὲ μή, ἀποθνήσκομεν 10 ὅτι οὐ βλέπομέν σε καθʼ ἡμέραν. Ὤφελον εἰ ἐδυ̣νάμε̣θα πετᾶ̣σ̣θαι καὶ ἐλ̣θεῖν καὶ προσκυνῆσαί σε· ἀγωνιῶμεν γὰρ μὲ̣ [βλ]έ̣που[σ]αί σ̣ε. ὥστε διαλλάγη̣θι ἡμεῖν κ[αὶ π]έμ[ψ]ο̣ν̣ ἐφʼ ἡμᾶς. ἔρρωσο κύριε [- ca. ? -] 15 καὶ πάντα ἔχο̣μ[εν καλῶς.] Ἐ̣φ̣εὶπ κ̣δ̣. verso Ἀπολλωνίωι σ̣τρα̣τηγῶι. Tays Apollonios dem Herrn sehr viel Grüße.
Vor allem grüße ich dich, Gebieter,
und bete ich jederzeit für deine Gesundheit.
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I. B IEŻUŃSKA-M AŁOWIST, Die Expositio von Kindern als Quelle der Sklavenbeschaffung im griechisch-römischen Aegypten, JWG 2 (1971), 29–133. Vgl. auch C. TUOR-KURTH, Kindesaussetzung und Moral in der Antike. Jüdische und christliche Kritik am Nichtaufziehen und Töten neugeborener Kinder, FKDG 101, Göttingen 2010.
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Ich bin besorgt, Herr, nicht wenig, weil ich hörte,
dass du unpässlich warst, aber Dank allen Göttern,
dass sie dich unbeschadet bewahren. Ich bitte
dich, Herr, wenn es dir gut scheint, auch einen Brief an uns zu schicken, wenn aber nicht, sterben 10 wir, da wir dich nicht täglich sehen. Oh wenn
wir doch fliegen und kommen und dich küssen
könnten; wir sind nämlich in Sorge, wenn wir
dich nicht sehen. Sei uns daher nicht mehr böse
und schicke einen Brief an uns. Lebe wohl, Herr,
15 und uns geht es in allem gut.
Epeiph 24 verso Apollonios, dem Strategen.
Dies ist der Brief der Sklavin Tays 41 an ihren Herrn, den gut bekannten Strategen Apollonios, in dem sie ihre Sorge um seine Gesundheit ausdrückt. Auch dieser Brief, der von einer ungeübten Hand stammt, welche die einzelnen Buchstaben fast immer unverbunden nebeneinander – wie bei der Buchschrift oder bei Inschriften – schreibt, ist deshalb auch sehr gut lesbar. Man hat allerdings den Eindruck, dass ab der zweiten Hälfte des Briefes eine andere Hand mit am Werk war, denn dort wird die Schrift kursiver. Zumindest ist das Schriftbild nicht einheitlich. Das χαίρειν in Z. 2, allein stehend und als zentriert geschrieben gedacht, ist ein wenig nach rechts gerückt und der optisch nicht so schöne Anblick wird mit einem langen waagerechten Strich vor dem Wort versucht auszugleichen. Ebenso ist die vorletzte Zeile nach rechts eingerückt, genauso wie das Datum in der letzten Zeile. Man merkt, dass sich die Briefschreiberin Gedanken und Mühe gemacht hat, einen auch in seinem Layout ansprechenden Brief zu Papyrus zu bringen. Inhalt und Form passen zueinander. Der Adressat wird mehrmals direkt mit einem Vokativ angesprochen: δέσποτα (Z. 3), κύριε (Z. 5, 8, 14). Die Hyperbel mit der Ankündigung des Sterbens, wenn sie ihren Herrn nicht täglich sieht, könnte schon auf ein Liebesverhältnis schließen lassen, während der Herausgeber von P.Giss.Apoll. 13 mit Berufung auf Wilcken in W.Chr. 481, S. 566 eher an eine Amme dachte. Die Formulierung ist schon ungewöhnlich. Ebenso auch der nächste irreale Wunsch mit der Metapher des Fliegens spricht für eine fantasievolle Schreiberin: „Wenn wir doch fliegen und zu dir kommen und dich küssen könnten!“ (Z. 10–12). Dann wird nochmals die Sorge ausgedrückt, die sich einstellt, da sie den Adressaten nicht sehen kann sowie die anschließende Bitte um einen Brief. Am Schluss folgt eine Formulierung, die mehrdeutig 41 Wir schließen uns den Argumenten von Michael Kortus, dem Herausgeber von P.Giss.Apoll. 14, in seinem Kommentar an, dass diese Tays nicht identisch ist mit einer Person namens Teeys in P.Giss.Apoll. 15.
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ist. Sie kann einmal konditional verstanden werden, in dem Sinn, dass, wenn es dem Herrn gut geht, es auch der Absenderin und den Ihren gut gehe oder nur einfach als beruhigende Information gemeint sein: Uns, den Zurückgebliebenen, geht es gut. Der Brief ist auf jeden Fall ein schönes Zeugnis für ein liebevolles und vertrautes Verhältnis zwischen einer Sklavin und ihrem Herrn. 20. P.Lips. I 104: Petesuchos an mehrere Adressaten (Pathyrites, 95 oder 62 v. Chr. n. Chr., s. Abb. 14) Πετεσοῦχος Πανεβχούνιος Πετεαρσεμθεῖ καὶ Παγάνει ̀ Πανεβχούνιο(ς) Καρούρει ́ καὶ Ὥρωι καὶ Πετεαρσεμθεῖ ̀ Πανεβχούνιος ́ Ἐργενούφιος καὶ Πανεβχού5 νει Νεχούτου καὶ τῶι υἱῶι Πεκύσε[ι κ]αὶ Ὥρωι Πόρτιτος καὶ [- ca. 1 -] Πακοίβκει Π[[ορορι]]\ατη/τος καὶ τοῖς παιδίοις χαίρειν καὶ 10 ἐρρῶσθαι· ἔρρωμαι δὲ καυτος καὶ τὰ παιδία καὶ οἱ ἐν οἴκωι πάντες. περὶ ὧν ἂν αἱρῆσθε γράφετέ μοι. χάριν σοι ἔχω 15 ἐφʼ αἷς γράφεις ἐπι[σ]τολαῖς. ὅταν ἡμῖν γ[ρ]άψῃς ἔνψυχόν τι λαμβάνω ἐπισκοπεῖτ[α]ι ὑμᾶς Ἀλμέντις, Ψενοσῖρις, 20 Φῖβις, Πατοῦς̣ [- ca. 1 -] Φ̣άφ̣ις Ἐσθώτης κα[ὶ ο]ἱ παρʼ ἡμῶν πάντες. πρ[ο]στατεῖ ἡμῶν μεγάλως Πτολίων ὁ στρατηγὸς καὶ χάριν 25 αὐτῶι μεγάλως ἔχομεν. διπλᾶ ἡμῖν ὧν Διοσκουρίδης ποιεῖ. αλοιποι γίνεσθε περὶ ἐμοῦ εἰκῇ ἐφʼ ἀλλαχῇ βαδίζετε. 30 ἔρρωσθε. (ἔτους) ιθ Παῦ̣(νι) ιη. verso παρὰ Πετοσούχου
τοῦ Πανεβχού-
νιος
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(rechts daneben)
Πετεαρσεμθεῖ
Πανεβχούνιος. Z. 11, l. καὶ αὐτός, Z. 27, l. ἄλυποι Petesuchos, Sohn des Panebchunis, dem Petearsemtheus und dem Paganis, ̀ Sohn des Panebchunis, dem Karuris ́ und dem Horos und dem Petearsemtheus, ̀ Sohn des Panebchunis ́ Sohn des Ergenuphis, und dem Panebchu5 nis, Sohn des Nechotos, und dem Sohn Pekysis und dem Horos, Sohn des Portis, und ... dem Pakoibkis, Sohn des Pas (?), und den Kindern Grüße und 10 Wohlergehen. Ich selbst bin auch munter und die Kinder und alle im Hause. Über das, was ihr wollt, schreibt mir. Ich danke dir 15 für das, was du in den Briefen geschrieben hast. Wenn du uns schreibst, empfange ich etwas Lebendiges. Es ist besorgt um euch Almentis, Psenosiris, 20 Phibis, Patoys...Phaphis, Esthotes und alle bei uns. Es ist besorgt um uns sehr Ptolion, der Stratege, und 25 wir sind ihm sehr dankbar. Doppelt so viel leistet uns Dioskurides. Seid unbesorgt um mich. Schreitet aufs gerade wohl anderswohin. 30 Lebt wohl. Jahr 19, Payni 18. verso Von Petosuchos, Sohn des Panebchunis, (rechts daneben) dem Petearsemtheus, Sohn des Panebchunis.
Nr. 20 aus dem Jahr 95 oder 62 v. Chr. ist ein Brief, der fast ausschließlich aus Grüßen besteht. Der Absender, der zusätzlich auch seinen Vatersnamen angibt, schreibt an neun mit zusätzlichem Vatersnamen namentlich genannte Personen, wobei am Schluss, sei es für alle oder nur den letztge-
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nannten, noch die Kinder eingeschlossen sind. Nachträglich sind über Z. 3 „Sohn des Panebchunis, dem Karuris“ und über Z. 4 „Sohn des Panebchunis“ nachgetragen. Es folgt die formula valetudinis. Es wechselt dann die Form von der 2. Person Plural (Z. 14) zur 2. Person Singular (Z. 15 und 16). Dann erfolgt wieder ein Wechsel zur 3. Person Plural (Z. 18) mit ὑμᾶς, um die dann sechs namentlich genannte Personen – diese aber ohne Vatersname – und überhaupt alle bei dem Absender besorgt sind. Es ist deshalb denkbar, dass es sich um die Kinder des Absenders handelt. Um den Absender und die Seinen ist der nur in diesem Papyrus erwähnte Stratege Ptolion besorgt. Der anschließend erwähnte Dioskurides leistet etwas doppelt, doch sowohl Person als auch Sache bleiben im Dunkeln. Dann bittet er die Adressaten, um ihn unbesorgt zu sein. Mit einem obskur bleibenden Spruch, dem Schlussgruß sowie dem Datum endet der Brief. Auf dem verso stehen noch Absender und rechts daneben in größeren Buchstaben der erstgenannte Empfänger. Der ganze Brief ist von einer einzigen Hand geschrieben, auch die Korrekturen stammen von derselben Hand. Man kann sozusagen erkennen, wie beim Schreiben korrigiert wurde, denn neben den Nachträgen findet sich in Z. 8 noch eine weitere Korrektur. Das zu Verbessernde wurde durchgestrichen und die Verbesserung über die Zeile geschrieben. Insgesamt kann man festhalten, dass dem Schreiber sehr viele Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sind und sich auch der Iotazismus bei ihm bemerkbar macht. Eine gute Parallele zu diesem Brief ist P.Grenf. II 36 vom 21. Mai 95 v. Chr., in dem fast alle Personen aus unserem Text wieder auftauchen, auch in derselben Zuordnung zu Absender und Adressat.
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6. Anhang
Abb. 1: Iseis an ihre Mutter Thermuthion (BGU VII 1680 = Sel.Pap. I 134) Staatliche Museen zu Berlin-Preußischer Kulturbesitz Ägyptisches Museum und Papyrussammlung
Abb. 2: Taorsenuphis an ihre Mutter Ision (P.Fay. 127) Photograph courtesy of the Egypt Exploration Society
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Abb. 3: Brief eines jungen Soldaten an seine Mutter (BGU III 814) Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Ägyptisches Museum und Papyrussammlung
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Abb. 4: NN an seine Mutter Moiroys (SB XIV 12173) University of Michigan
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Abb. 5: Apion an seinen Vater Epimachos (BGU II 423 = W.Chr. 480 = Sel.Pap. I 112 = C.Pap.Hengstl 84) Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Ägyptisches Museum und Papyrussammlung unten: verso
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Abb. 6: Eudaimonis an ihre Tochter Aline (P.Brem. 63 = SB I 4515 = C.Pap.Jud. II 442) Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (P.10)
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Abb. 7: Eudaimonis an ihren Sohn Apollonios (P.Giss. I 21 = P.Giss.Apoll. 1) Gießen, Universitätsbibliothek
Abb. 7a: Zum Vergleich: P.Giss.Apoll. 5 Gießen, Universitätsbibliothek
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Abb. 8: Eine Mutter (?) an ihren Sohn Ptolemaios (P.Oxy. VI 930 = W.Chr. 138 = Sel.Pap. I 130) by permission of the University of Glasgow Library, Special Collections
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Abb. 9: Herakleides an seinen Sohn Heras (BGU IV 1080 = W.Chr. 478 = C.Pap.Hengstl 75) Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – Ägyptisches Museum und Papyrussammlung unten: verso
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Abb. 10: Gemellus an Sabinus (P.Fay. 114 = Sel.Pap. I 109) Photograph courtesy of the Egypt Exploration Society
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Abb. 11: Brief der Aline an ihren Gatten Apollonios (P.Giss. I 19 = P.Giss.Apoll. 8 = C.Pap.Jud. II 436) Gießen, Universitätsbibliothek
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Abb. 12: Hilarion an seine Frau Alis (P.Oxy. IV 744) Courtesy of the Thomas Fisher Rare Book Library, University of Toronto
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Abb. 13: Tays an Apollonios (P.Giss. I 17 = P.Giss.Apoll. 13 = W.Chr. 481) Gießen, Universitätsbibliothek
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Abb. 14: Petesuchos an mehrere Adressaten (P.Lips. I 104) Universitätsbibliothek Leipzig
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Abb. 15a: Beispiel Decussis (P.Lips.Inv. 334) Universitätsbibliothek Leipzig
Abb. 15b: Beispiel Siegel mit Verschnürung (P.Lips.Inv. 1574) Universitätsbibliothek Leipzig
Die Stellung des Judentums in neutestamentlicher Zeit anhand der Politeuma-Papyri und anderer Texte PETER ARZT-GRABNER In meinem Beitrag möchte ich anhand von Papyrustexten aufzeigen, dass wir gute Gründe für die Annahme haben, dass – auch noch nach dem Pogrom unter dem praefectus Aegypti Aulus Avillius Flaccus und bis zur Niederschlagung des jüdischen Aufstands und der Zerstörung Jerusalems jüdische Politeumata in Ägypten existierten, – jüdische Politeumata wohl auch in anderen Provinzen existierten, – schließlich auch Texte des NT einen möglichen Reflex auf jüdische und andere Politeumata enthalten (als Beispiele möchte ich auf Phil 3,20 und 1Kor 6,1–8 eingehen). Vor diesem Hintergrund ist in neutestamentlicher Zeit mit dem Judentum als fester und sozial wie politisch organisierter Größe zu rechnen.
1. Politeuma Der Ausdruck πολίτευμα konnte Unterschiedliches bezeichnen. Im vorliegenden Beitrag verwende ich den Begriff im Sinne dessen, was die von James M. S. Cowey und Klaus Maresch edierten Papyri, die das Politeuma der Juden von Herakleopolis betreffen (P.Polit.Jud.) 1, anzeigen: „Kultge1
Urkunden des Politeuma der Juden von Herakleopolis (144/3–133/2 v. Chr.) (P.Polit.Jud.). Papyri aus den Sammlungen von Heidelberg, Köln, München und Wien, bearbeitet von J. M. S. COWEY und K. MARESCH, Papyrologica Coloniensia 29, Köln 2001. – Die Abkürzungen der zitierten Papyri sowie der papyrologischen Instrumenta richten sich nach: J. F. OATES u.a., Checklist of Editions of Greek, Latin, Demotic and Coptic Papyri, Ostraca and Tablets, BASPap.S 9, Oakville/Oxford 52001 (die aktuelle Fassung, hg. v. J. D. Sosin u.a., ist einsehbar im Internet: http://library.duke.edu/ruben stein/scriptorium/papyrus/texts/clist.html). Die angeführte Edition der Politeuma-Papyri wird dort mit P.Polit.Jud. abgekürzt, die auch in bibelwissenschaftlichen Kreisen sehr bekannte dreibändige Ausgabe „Corpus Papyrorum Judaicarum“ mit C.Pap.Jud. (nicht CPJ).
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meinschaften mehr oder weniger festgefügter ethnischer Gruppen von Soldaten oder Zivilisten oder Soldaten und Zivilisten gemeinsam, oder auch Gruppen von Soldaten ohne einheitlichen ethnischen Hintergrund.“ 2 Für das ptolemäische Ägypten waren schon bisher Politeumata der folgenden Volksgruppen nachweisbar: Böoter, Idumäer, Kilikier, Kreter, Lykier und Phryger. 3
2. Geschichtlicher Hintergrund zum jüdischen Politeuma von Herakleopolis Die Präsenz jüdischer Gruppen in der Chora Ägyptens lässt sich zumindest ab dem 3. Jh. v. Chr. nachweisen. Im 2. Jh. v. Chr. nahm die Größe des jüdischen Bevölkerungsanteils weiter zu. Sowohl der Verlust Koilesyriens durch die Ptolemäer als auch der Makkabäeraufstand im jüdischen Kernland führten zur Auswanderung jüdischer Gruppen und zur Aufnahme durch die Ptolemäer. Besonders Ptolemaios VI. Philometor führte eine 2 COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 7; vgl. auch J. M. S. COWEY, Das ägyptische Judentum in hellenistischer Zeit – neue Erkenntnisse aus jüngst veröffentlichten Papyri, in: S. Kreuzer / J. P. Lesch (Hg.): Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Bd. 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 24–43: 29f. Siehe ferner T. KRUSE, Das politeuma der Juden von Herakleopolis in Ägypten, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.): Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.–23. Juli 2006, WUNT 219, Tübingen 2008, 166–175: 172f (mit diesem Aufsatz weitgehend identisch ist: DERS., Das jüdische politeuma von Herakleopolis in Ägypten. Zur Methode der Integration ethnischer Gruppen in den Staat der Ptolemäer, in: V. V. Dement’eva / T. Schmitt [Hg.], Volk und Demokratie im Altertum, unter Mitarbeit von Moritz Böhme und Claudia Horst, Bremer Beiträge zur Altertumswissenschaft 1, Göttingen 2010, 93–105; ich verweise daher nur auf den erstgenannten Aufsatz). – S. HONIGMAN, The Jewish Politeuma at Herakleopolis, SCI 21 (2002), 251–266: 263–265, hingegen sieht ein Politeuma dezidiert als „military connection“ (ähnlich und noch ausführlicher DIES., Politeumata and Ethnicity in Ptolemaic and Roman Egypt, AncSoc 33 [2003], 61–102: 64–67), wogegen K. MARESCH / J. M. S. COWEY, „A Recurrent Inclination to Isolate the Case of the Jews from their Ptolemaic Environment“. Eine Antwort auf Sylvie Honigman, SCI 22 (2003), 307–310: 309f, argumentieren: „Honigman hebt besonders hervor, dass alle ägyptischen Politeumata ‚military connections‘ gehabt hätten. Dass sie zumindest in der Regel aus ‚Landsmannschaften‘ von Soldaten hervorgegangen sein werden, bestreiten wir auch nicht und haben auch für das Politeuma von Herakleopolis einen solchen Ursprung vermutet. Völlig unklar ist aber, ob dieser militärische Charakter erhalten blieb, und wie ausgeprägt er schließlich war. In unserem Archiv spürt man kaum etwas davon.“ – Was die römische Zeit betrifft, weist HONIGMAN, Politeumata, 67, darauf hin, dass nach der römischen Eroberung die Politeumata ihren militärischen Charakter gänzlich verloren hätten und nur noch als rein kultische Formen weiterexistierten. 3 Die Belege haben COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 6f, zusammengestellt.
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ausgesprochen judenfreundliche Politik durch. Mit seiner Erlaubnis kam Onias IV., der Sohn des 175/174 v. Chr. abgesetzten Hohenpriesters Onias III., mit seinen Anhängern nach Ägypten und erlangte im ptolemäischen Heer eine bedeutende Kommandostelle. Überhaupt galten Juden zu dieser Zeit als zuverlässige Soldaten und treue Untertanen der Ptolemäer. In Herakleopolis nun wurde zu jener Zeit in unmittelbarer Nähe des Hafens eine Festung (φρουρίον) errichtet, die in ganz Mittelägypten eine wichtige Funktion erfüllte. Ihr Schutz wird die Entwicklung der Judengemeinde von Herakleopolis begünstigt haben. Der Hafen dürfte von der übrigen Stadt etwas losgelöst gewesen sein, und genau hier werden – wie die Belege vermuten lassen – die meisten Juden gewohnt haben. Unter Ptolemaios VIII. jedenfalls war die jüdische Gemeinde von Herakleopolis, wie die Papyri zeigen, als ein eigenes Politeuma organisiert. 4
3. Die Politeuma-Papyri und das jüdische Politeuma von Herakleopolis Wenn ich hier von „Politeuma-Papyri“ spreche, so meine ich damit die im Jahre 2001 von James M. S. Cowey und Klaus Maresch publizierten „Urkunden des Politeuma der Juden von Herakleopolis“ (P.Polit.Jud.) 5 aus den Jahren 144/143–133/132 v. Chr., die aus Mumienkartonage gewonnen wurden und sich heute in den Papyrussammlungen von Heidelberg, Köln, München und Wien befinden. Durch die Publikation dieser Dokumente wurden die Belege für das ägyptische Judentum im Allgemeinen und für Jüdinnen und Juden im Herakleopolites im Besonderen bedeutend vermehrt. Vor allem aber wird zum ersten Mal die Existenz eines jüdischen Politeuma in ptolemäischer Zeit eindeutig nachgewiesen. 6 An der Spitze des Politeuma standen die Archonten und diese selbst wiederum unter der Führung eines Politarchen. Bei ihm handelte es sich vermutlich um einen primus inter pares, der wie die Archonten jährlich 4 Siehe dazu ausführlicher COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 3f.12; C OWEY, Judentum (s. Anm. 2), 25f; KRUSE, Politeuma (s. Anm. 2), 167. 5 Siehe dazu auch COWEY, Judentum (s. Anm. 2); H ONIGMAN, Politeuma (s. Anm. 2); DIES., Politeumata (s. Anm. 2); DIES., Jewish Communities of Hellenistic Egypt. Different Responses to Different Environments, in: L. I. Levine / D. R. Schwartz (Hg.), Jewish Identities in Antiquity. Studies in Memory of Menahem Stern, TSAJ 130, Tübingen 2009, 116–134: 124–129; KRUSE, Politeuma (s. Anm. 2); R. KUGLER, Uncovering a New Dimension of Early Judaen Interpretation of the Greek Torah, Ptolemaic Law Interpreted by Its Own Rhetoric, in: H. v. Weissenberg / J. Pakkala / M. Marttila (Hg.), Changes in Scripture. Rewriting and Interpreting Authoritative Traditions in the Second Temple Period, BZAW 419, Berlin 2011, 165–175. 6 Vgl. COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 1f.
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gewählt wurde. Die gewählten Funktionäre des Politeuma waren also Jahresbeamte. Ihre genaue Anzahl ist unbekannt. In zwei Inschriften aus Berenike in der Cyrenaica 7 werden einmal neun und einmal sieben Archonten aufgezählt. In diesem Rahmen wird sich auch die Anzahl der Archonten des Politeuma von Herakleopolis bewegt haben. Vom Dokumenttyp her handelt es sich bei den meisten Urkunden um Eingaben an die Archonten oder den Politarchen des Politeuma, bei einigen um Briefe von Funktionären untereinander. Formal sind diese Petitionen – wie in damaliger Zeit üblich – in Briefform gehalten (sog. Hypomnemata). Die durchwegs auf Griechisch verfassten Urkunden und Briefe verweisen formal und inhaltlich auf eine weitgehend hellenisierte jüdische Gemeinde, die sich aber über das Politeuma eine Identität verschaffen, 8 eine Art von innerjüdischer Sondergerichtsbarkeit ausüben und sogar nach jüdischem Recht (so deutlich im Falle von P.Polit.Jud. 4; siehe dazu unten) Entscheidungen treffen konnte. 9 In der Regel handelt es sich um private Streitfälle unter Juden, mit denen die Archonten befasst wurden. In den meisten Fällen wird sogar ausdrücklich erwähnt, dass beide Parteien, also sowohl Kläger als auch Beklagter, Juden sind. Es geht also hier um eine Form von Sondergerichtsbarkeit unter Juden, die aber keineswegs starr und ausschließlich gesehen werden darf. Denn in zwei Eingaben (P.Polit.Jud. 10 [138–137 v. Chr.] und 11 [133–132 v. Chr.]) handelt es sich bei den Beklagten um Frauen, die als ἀπὸ τοῦ ὅρμου (vom Hafen / aus dem Hafenviertel) charakterisiert werden und offenbar keine Jüdinnen waren. Und auch der Beklagte einer dritten Eingabe (P.Polit.Jud. 1 [7. Oktober 135 v. Chr.]) wird als ἀπὸ τοῦ ὅρμου gekennzeichnet. Nach James M. S. Cowey und Klaus Maresch ist dies dahingehend zu deuten, „dass die Archonten im Hafenviertel (ὅρμος) von Herakleopolis Autorität besaßen, mit der sie sich auch unter Nichtjuden Gehör verschaffen konnten. […] Die judizielle Tätigkeit der Archonten scheint also nicht unbedingt auf Juden beschränkt gewesen zu sein. Offenbar hatten sie in einem bestimmten Ausmaß auch das Recht, überhaupt im Hafenviertel für Ordnung zu sorgen, wenn Angelegenheiten von Juden betroffen waren. Es fällt dabei aber auf, dass […] es keine Eingabe gibt, in der sich ein Nichtjude als Petent gegen einen Juden wendet.“ 10
7 8
SEG XVI 931 (augusteische Zeit) und CIG III 5361 (24 n. Chr.?). Mitglieder des Politeuma führten – in Anlehnung an die Mitglieder einer griechischen Polis – die Selbstbezeichnung πολίτης (so P.Polit.Jud. 1,17 [7. Oktober 135 v. Chr.]). 9 Siehe dazu auch KRUSE , Politeuma (s. Anm. 2), 169 Anm. 12 sowie 170–172.174. 10 COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 12f. Zu P.Polit.Jud. 1 siehe auch H ONIGMAN, Politeuma (s. Anm. 2), 253; K RUSE, Politeuma (s. Anm. 2), 172f.
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Wie die beiden Herausgeber ferner festgestellt haben, bewegt sich die erwähnte Sondergerichtsbarkeit unter Juden im Rahmen der ptolemäischen Beamtenjustiz. „Gegenüber ptolemäischen Beamten konnten Petenten nicht auf eine richterliche Entscheidung dringen, sondern suchten exekutive Schutz- oder Vollstreckungsmaßnahmen zu erwirken. Die Petita richteten sich nicht auf Rechtsfeststellung, […] sondern auf Rechtsverwirklichung durch Einsetzung der Amtsautorität.“ 11
Auch in den Politeuma-Papyri fordern die Petenten die Archonten in der Regel dazu auf, jenen Ansprüchen zum Druchbruch zu verhelfen, die aus Verträgen, auf die man dabei verweist, nachgewiesen werden können. Dies ist prinzipiell auch dort der Fall, wo es nicht um das allgemein gültige ptolemäische Recht geht, sondern um Grundsätze des jüdischen Rechts. In P.Polit.Jud. 4 (vor 12. Januar 134 v. Chr.; s. Anhang Abb. 1) besteht der Antragsteller auf einer Verlobung, die nach jüdischem (nicht nach ptolemäischem) Recht nur vom Verlobten durch einen Scheidebrief aufgelöst werden kann. Der Petent erklärt, er habe sich mit Nikaia, der Tochter des Lysimachos, verlobt, der Brautvater habe seine Tochter aber kurze Zeit später einem anderen Mann anvertraut, ohne vom Petenten den üblichen Scheidebrief erhalten zu haben. 12 In der ersten Zeile findet sich der nach Eingang der Petition hinzugefügte Bearbeitungsvermerk mit der Anweisung, den Beklagten vorzuladen, auf dem verso steht ein am selben Tag vorgenommener Vermerk. Der gesamte Text lautet:
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COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 13. Vgl. KRUSE, Politeuma (s. Anm. 2), 171. 12 Siehe zu diesem Dokument auch: M. K ISTER , From Philotas to Hillel. ‚Betrothal‘ Contracts and their Violation, SCI 21 (2002), 57–60; J. M. MODRZEJEWSKI, La fiancée adultère. À propos de la pratique matrimoniale du judaïsme hellénisé à la lumière du dossier du politeuma juif d’Hérakléopolis (144/3 – 133/2 av. J.-C.), in: C. Couvenhes / B. Legras (Hg.), Transferts culturels et politique dans le monde hellénistique. Actes de la table ronde sur les identités collectives (Sorbonne, 7 février 2004), Université Paris I Panthéon-Sorbonne. Histoire ancienne et médiévale 86, Paris 2006, 103–120: 112–118; HONIGMAN, Politeuma (s. Anm. 2), 258–260 (sie sieht die Möglichkeit, dass die Braut keine Jüdin war; vgl. 258); DIES., Communities (s. Anm. 2), 126f; DIES., Politeumata (s. Anm. 2), 96f.101; KRUSE, Politeuma (s. Anm. 2), 173f; G. DORIVAL, New Light about the Origin of the Septuagint?, in: W. Kraus / M. Karrer (Hg.): Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse. 2. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 23.–27.7.2008, WUNT 252, Tübingen 2010, 36–47: 43f.
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(2. Hand) (ἔτους) λϛ Χο(ιὰκ) ιθ περὶ γάμου. συ(νετάξαμεν) παρα(γγεῖλαι). (1. Hand) τοῖς ἄρχου[σι] παρὰ Φ̣ιλώ̣του τοῦ Φιλώτου τῶν ἐκ τοῦ πολιτεύματος. 5 ἐν τῶι ἐνεστῶτι ἔ[τ]ει ἐμνηστευσάμην Ν̣είκα[ι]αν Λ̣υσιμάχου καὶ τοῦ σημα[ι]νομένου αὐτῆς πατρὸς ὀμ[ό]σαντος δώσειν ἐμοὶ αὐτ[ὴ]ν καὶ τὴν 10 σταθεῖσαν ἐπʼ α[ὐ]τῆι̣ φερνήν, ἐφʼ ἧι κἀμοῦ εὐδοκοῦντος οὕτως̣ οὐ μόνο[ν] ὁρισμῶν γενομένων κα[τ]ὰ κοινὸν ἀλλὰ καὶ τῆς κατὰ τὸν νό15 μον αποκα ̣ ̣[ ̣] ̣ς̣ γ̣ενηεἰς δεδηλου[ ̣ ̣] ̣ ̣ ̣
θείσης καὶ ἐπὶ [τ]ούτοις ἀπαλλαγέντων ἡμῶν μετʼ οὐ π̣[ολὺν χ]ρ̣ό̣νον ὁ Λυσίμαχος συνήρμοκεν 20 ἄνευ λόγου ἑτέρωι ἀνδρὶ τὴν Νείκαιαν πρὶν ἢ λαβεῖν παρʼ ἐμοῦ τὸ εἰθισμένον τοῦ ἀποστασίου 〚τὸ〛 βυβλίον. διὸ ἀξιῶ, 25 ἐὰν φάνη̣ται, συντάξαι γράψαι τοῖς ἐν τῆι̣ κώμηι̣ Ἰουδαίοις π̣αραγγεῖλαι τῶι Λυσιμάχωι ἀπαντᾶν ἐφʼ ὑμᾶς ἵνʼ ἐὰν ἦ̣ι 〚 ̣αι〛 οἷα 30 [γ]ρ̣ά̣φ̣ω̣ διαλη(φθῆι) περὶ αὐ(τοῦ) κα(τὰ) τὸν νό(μον) ἐμοὶ δʼ ἐπαναγ[κάσαι ̣ ̣ ̣ ̣] ̣[ ̣ ̣] ̣[ ̣ ̣] ̣ ̣ψ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣χ verso (2. Hand) (ἔτους) λϛ Χο(ιὰκ) ιθ Φιλώτου πρ(ὸς) Λυσίμαχον. 6 Νίκαιαν 21 Νίκαιαν 25 φαίνηται η aus ε korrigiert (2. Hand) 36. Jahr 19. Choiak (= 12. Januar 134 v. Chr.). Über eine Ehe. Wir haben angeordnet, vorzuladen. (1. Hand) An die Archonten von Philotas, Sohn des Philotas, einem Angehörigen des Politeuma. Im laufenden Jahr warb ich um Nikaia, die Tochter des Lysimachos. Ihr eben genannter Vater schwor, mir sie zu geben und die in Hinblick auf sie festgesetzte Mitgift, mit der ich einverstanden war. Da nun auf diese Weise nicht nur Versprechungen (oder Vereinbarungen?) gemeinsam eingegangen wurden, sondern auch die nach dem Gesetz vorgeschriebene …, haben wir uns unter diesen Voraussetzungen getrennt. Bald darauf verband jedoch Lysimachos Nikaia ohne Begründung einem anderen Mann, bevor er den üblichen Scheidebrief von mir in Empfang genommen hatte. Daher bitte ich, wenn es
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gerecht erscheint, anzuordnen, den Juden im Dorf zu schreiben, Lysimachos aufzufordern, zu euch zu kommen, damit, wenn es so ist, wie ich schreibe, über ihn nach dem Gesetz entschieden werde, [ihn] aber zu zwingen, mir … Rückseite (2. Hand) 36. Jahr 19. Choiak (= 12. Januar 134 v. Chr.). Philotas gegen Lysimachos.
Der Brautvater hat hier gegen jüdisches Eherecht verstoßen, das ja die Verlobung bereits als Ehebegründung (auch Antrauung genannt) sieht und damit folgerichtig einschließt, dass auch eine Verlobung nur durch eine formelle Scheidung gelöst werden kann. Im Einklang mit der entsprechenden Regelung von Dtn 24,1–4 LXX wird der Scheidebrief hier als βιβλίον ἀποστασίου (vgl. Z. 23f) bezeichnet. 13 Da der Ausdruck sonst in den Papyri nicht belegt ist, liegt die Vermutung nahe, dass hier tatsächlich auf die Septuaginta als das zugrunde liegende Gesetz hingewiesen wird (auch im Ausdruck κατὰ τὸν νόμον in Z. 14f und 30). 14 Was den Vergleich mit der Beamtenjustiz betrifft, schreiben James M. S. Cowey und Klaus Maresch ferner: „Zwar werden in unseren Urkunden Ausdrücke wie κρίνειν, κριτήριον, κριτής, σύγκρισις, κατάστασις verwendet, was wie ein Hinweis auf ein gerichtliches Verfahren aussieht, aber diese Ausdrücke konnten im 2. Jahrhundert auch außerhalb des gerichtlichen Prozesses gebraucht werden. Das Beamtenverfahren hatte im 2. Jahrhundert weitgehend Züge des gerichtlichen Prozesses angenommen und konnte die Form einer κατάστασις aufweisen mit Plädoyers, Beweisaufnahme und feierlicher Verkündigung des Urteils.“ 15
Die Eingabe P.Polit.Jud. 6 (vor 16. März 134 v. Chr.; s. Anhang Abb. 2) könnte allerdings eine Vorgehensweise bezeugen, die über den üblichen Rahmen des zeitgenössischen Beamtenverfahrens hinausgeht. Die Urkunde bezieht sich auf ein schwebendes Verfahren; die zum Teil vagen Angaben erlauben keine gesicherte Deutung. Als Petent tritt ein gewisser Theodotos auf, der die Eingabe als Bevollmächtigter seiner Mutter einbringt. Beklag-
13 Vgl. COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 28 (vgl. 14f); COWEY, Judentum (s. Anm. 2), 37f. Weitere Belege für den griechischen Ausdruck sind Jer 3,8 LXX; τὸ βιβλίον τοῦ ἀποστασίου begegnet in Jes 50,1 LXX sowie in Mt 19,7 und Mk 10,4, ἀποστάσιον in Mt 5,31. 14 Vgl. vor allem D ORIVAL, Light (s. Anm. 12), 44, der daraus ferner ableitet (45), dass die Septuaginta-Fassung der Torah auf direkten Befehl des ptolemäischen Königs, und zwar entweder während der gemeinsamen Regierungszeit von Ptolemaios I. und Ptolemaios II. nach 285 v. Chr. oder während der alleinigen Regierungszeit von Ptolemaios II. nach 280 v. Chr. entstanden ist. 15 COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 13. Weiterhin ist festzustellen, „dass sich das Justizwesen in spätptolemäischer und römischer Zeit so entwickelte, dass schließlich auch sachlich eine Unterscheidung zwischen gerichtlichem und verwaltungsmäßigem Verfahren weitgehend belanglos wurde“ (14). Vgl. auch COWEY, Judentum (s. Anm. 2), 34f.
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ter ist ein gewisser Timotheos (beachte auch den Vermerk auf dem verso: Θεοδότου πρὸς | Τιμόθεον). Der Text der Eingabe lautet:
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τοῖς τὸ λϛ (ἔτος) ἄρχουσι παρὰ Θεοδότου τοῦ Θεοδότου Ἰουδαίου τοῦ [συν]εσταμένου ὑπὸ τῆς μητρὸς [Β]ερενίκης. ἐνέ[σ]τηκεν ἐμοί τε καὶ το[ῖ]ς ὀρφανοῖς ἐφʼ ὑμῶν κατάστασις πρὸς Τιμόθεον τῶν ἐξ Ὀννῆ περὶ τῶν κατὰ τὸ παιδίον τὸ τελευτῆσαν ἐπερ ̣ ̣ ̣, ὁ Τιμόθεος ̣ ̣ ̣ ̣ ̣εσεν τὴν σύγκρισιν ὡς ἡμῶν κεκρ̣ιμένων [ἐ]πὶ τῶν ἐν τῇ κώμῃ πρεσβυτέρων περὶ τούτων καὶ [τυ]χ[όν]των τῆς ὑπογραφῆς, τὸ σύνολον οὔτε κεκριμένων οὔτε εἰς ὑπογραφὴν ἑαυτοὺς δεδωκότων, Θεοδώρου δὲ καὶ Στράτωνος καὶ Ἰακούβιος τῶν τριῶν τῶν γενηθέντων κριτῶν ἐπελθόντων πρὸς τὴν δηλουμένην μου μητέρα κα[ὶ] ἐπερωτησάντων τινὰ ἀπῴχοντο οὐδεμιᾶς ὑπογραφῆς γενομένης. διὸ ἀξιῶ, ἐὰν φαίνηται, συντάξαι ἀνακαλέσασθαι τούτους τε καὶ τὸν Τιμόθεον καὶ ἐὰν ᾖ ταῦθʼ οὕτως ἔχοντα, προνοηθῆναι, ὡ̣ς ἡμεῖς μὲν τευξόμεθα τοῦ δικαίου κ ̣τ ̣[ ̣] ̣ ̣θ ̣ ̣ ̣ ̣[ ̣] ̣ ̣[ --- ] περὶ δὲ ἄλλων διαλαβεῖν. [ εὐτυχεῖτε.]
9 vielleicht ἐπ’ ἔργων 10 vielleicht διεπίεσεν Den Archonten des 36. Jahres (= 135–134 v. Chr.) von Theodotos, Sohn des Theodotos, Jude, der von seiner Mutter Berenike als Bevollmächtigter eingesetzt worden ist. Es hat vor Euch stattgefunden mir und den Waisen eine Verhandlung gegen Timotheos aus Onnês wegen der Angelegenheiten, die das παιδίον (Kind oder Sklave?) betreffen, das bei [den Arbeiten] verstorben ist. Timotheos [hintertrieb?] das Urteil (σύγκρισις) mit der Begründung, dass wir vor den Dorfältesten bereits ein Urteil und eine Subscriptio (ὑπογραφή) erlangt hätten. Wir haben aber überhaupt kein Urteil erlangt, noch haben sie sich der Mühe unterzogen, eine Subscriptio (ὑπογραφή) zu schreiben. Theodoros jedoch und Straton und Iakubis, die zu dritt als Richter eingesetzt worden waren, kamen zu meiner bereits erwähnten Mutter, stellten einige Fragen und gingen wieder fort, ohne dass eine Subscriptio (ὑπογραφή) erfolgte.
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Deshalb bitte ich, wenn es gerechtfertigt erscheint, anzuordnen, diese und Timotheos vorzuladen, und, wenn es sich so verhält, Sorge zu tragen, dass wir Gerechtigkeit erlangen, [indem Timotheos - - -], gegen die anderen jedoch eine [strenge (?)] Untersuchung durchzuführen. [Seid gegrüßt.]
Die Archonten hatten den beschriebenen Fall offensichtlich an jüdische Älteste (πρεσβύτεροι) delegiert. In der Petition werden Letztere als κριταί (Z. 19), ihre Tätigkeit als κρίνειν (Z. 15) bezeichnet; mit den Begriffen σύγκρισις (Z. 11) und ὑπογραφή (Z. 15f.23f) wird auf ihr Urteil Bezug genommen. Als κριταί sollten die Ältesten die näheren Umstände eines Todesfalles untersuchen: Ein Kind oder ein Sklave (παιδίον) war (vermutlich bei irgendwelchen Arbeiten) gestorben. Die Untersuchung sollte wohl klären, ob das παιδίον Opfer eines Unfalls oder (auch) eines schuldhaften Verhaltens geworden war. Im letzteren Fall wäre eine strafrechtliche Verfolgung angezeigt gewesen, außerdem wäre es dann den Hinterbliebenen möglich geworden, einen Schadensanspruch geltend zu machen. Genau darum geht es vermutlich dem nunmehrigen Petenten und seiner Mutter, die darüber Klage führen, dass das Verfahren durch die Ältesten als Richter nicht ordnungsgemäß durchgeführt und nicht durch ein klares Urteil abgeschlossen wurde. Der Beklagte Timotheos scheint laut Überzeugung des Petenten für diesen unbefriedigenden Zustand maßgeblich mitverantwortlich zu sein. Jedenfalls beantragt Theodotos, dass die Archonten diesen Timotheos und die drei Richter vorladen und eine strenge Untersuchung durchführen. Anschließend an einen leider nicht klar deutbaren, vermutlich von anderer Hand unter die Petition gesetzten Vermerk in Z. 34–36 16 folgt als Subscriptio die Antwort der Archonten selbst – Z. 37–40: 37 ἔτο[υ]ς λϛ Μεχ(εὶρ) κβ ̣[ --- ] θεο ̣ ̣ ̣ ̣ ̣[ --- ]ς γ γρ ̣ ̣[ --- ] καταγίνεσθα̣ι τῆι ιδ το[ῦ] Φαμ̣[εν]ὼ̣θ 40 ἑτοίμους ἔχοντας τὰ πρὸς ταῦτα. 37–38 [Τιμό]|θεον, vielleicht aber eher Θεογένει 22. Mecheir des 36. Jahres (= 16. März 134 v. Chr.). [ ]theo[ - - - ] sollen sich am 14. Pha[menoth] (= 7. April 134 v. Chr.) einfinden und sich in Hinblick auf diese Angelegenheit bereit halten.
Die Archonten veranlassten also die vom Petenten beantragte Vorladung und Untersuchung. Was den Vergleich mit der ptolemäischen Beamtenjustiz betrifft, meinen James M. S. Cowey und Klaus Maresch zu diesem Dokument:
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(ἔτους) [ --- ] | π[ι]στευο̣μ̣ε̣[ --- ] | πρ[ ̣] ̣ ̣[ --- ].
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„Hier könnte es nun nicht mehr nur um […] Schutz- und Vollstreckungsmaßnahmen gegangen sein, sondern um Rechtsfeststellung, wie sie sonst ein griechisches Dikasterion geleistet hätte. Ob dies hier tatsächlich der Fall gewesen ist, wird man aber nicht mit Sicherheit behaupten können, da in dieser Eingabe der Fall nur unvollständig geschildert wird und alles Wesentliche für uns im Dunklen bleibt.“ 17
Gut im Einklang mit der von ptolemäischen Beamten geübten Praxis steht aber wiederum das, was anhand von P.Polit.Jud. 3 (140 v. Chr.?), 6 (vor 16. März 134 v. Chr.) und 8 (15. März 133 v. Chr.) zu beobachten ist: Die Archonten des Politeuma konnten Streitfälle zur Schlichtung an jene Judengemeinden außerhalb von Herakleopolis verweisen, in denen die Streitparteien oder zumindest eine davon sesshaft waren. Wenn dort keine Einigung erzielt werden konnte, wurde die Angelegenheit wieder an die Archonten zurückverwiesen. Derartiges kennen wir von ptolemäischen Beamten, die bestimmte Angelegenheiten an untergeordnete Beamte oder Gremien verweisen konnten, damit dort eine Entscheidung zugunsten einer Partei getroffen oder ein Kompromiss erzielt wurde; gelang dies nicht, ging der Fall an den Beamten, an den die Petition gerichtet war, zurück. Für die Archonten von Herakleopolis ist auch der umgekehrte Fall zu beobachten, nämlich dass sich die Judengemeinden der umliegenden Dörfer an sie wandten, wenn sie selbst mit Streitfällen ihrer Gemeinde nicht fertig wurden. 18 Ein derartiger Fall ist aus dem amtlichen Brief P.Polit.Jud. 18 (30. September 142 v. Chr.; s. Anhang Abb. 3) herauszulesen. Von den ersten elf Zeilen dieses Briefes ist etwa die linke Hälfte erhalten geblieben. Als Absender fungieren ein gewisser Alexandros und die Richter des Dorfes Peempasbytis im Herakleopolites. Die erste Zeile enthält einen kaum deutbaren Vermerk, vermutlich eine Verfügung oder Entscheidung. 19
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(2. Hand) (ἔτους) κθ Θ̣ω(ὺθ) γ θε( ) ηρα( ) πε`ι´ρ ̣ ̣ ̣ ̣α( ) αν( ) ἐπὶ τὸ πολίτευ(μα) (1. Hand) Ἀλέξανδρος καὶ οἱ ἐμ Πεεμπασβύτει κριταὶ Στ[ράτωνι καὶ τοῖς ἐν Ἡρακλέους πόλει κριταῖς χαίρειν.] τῆι β τῶν ἐπαγομένων κω̣θωνιζομένων ̣[ --- ] γενομένης ἀηδίας̣ ἤ̣δη̣ ἀναλελυκότ ̣[ --- μὴ παραγενο]μένου ἐπὶ τὸ κριτήριον, τῆι γ τῶ̣ν ἐπαγομένω̣[ν --- ] Θεομνήστου καὶ Αἴθωνος̣ πεπληγέ̣ ναι ̣ ̣ ̣ ̣[ --- ] ἀπέφαινον ἀκαιρ̣εῖν, τῆι δὲ α τ[ο]ῦ Θωὺθ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣[ --- ] αὐτῶν πάλι και ατητ ̣των[ ̣] ̣τατος ̣ ̣ ̣[ --- ] ἀντέστησαν ὅ τε Θεόμνηστ[ο]ς κα[ὶ ὁ] Αἴθω̣ν πρ̣οσ[ ̣] ̣ι[ --- ]
17 18 19
COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 15. Vgl. dazu insgesamt COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 17. So COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 139.
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10 ἐξεγερθέντος δʼ αὐτοῦ ε ̣ ̣μ̣ ̣ ̣ ̣ε ̣ ̣παρ̣εξαπ ̣ ̣ ̣ ̣[ --- ] οὗτος δὲ οὐχ ὑπέμε[- ca. 1-2 -] ̣ ̣ ἐὰν μὴ συνκαθίσῃ αλε[ --- ] verso Στράτωνι καὶ τοῖς ἐν Ἡρακλέους̣ πό(λει) κριταῖς 2 ἐν 8 πάλιν (2. Hand) 29. Jahr, 3. Thoth … weiterzuleiten (?) an das Politeuma. (1. Hand) Alexandros und die Richter aus Peempasbytis an [Straton und die Richter in Herakleopolis, Grüße]. Am zweiten Schalttag bezechten sich … es entstand eine häßliche Situation … schon fortgelaufen … [nicht] vor dem Gericht erschienen. Am dritten Schalttag … Theomnestos und Aithon [sagten aus], daß [ ] geschlagen habe … sie erklärten, sie hätten keine Zeit. Am ersten Thoth … sowohl Theomnestos als auch Aithon leisteten Widerstand … Er stand auf (?) […]; dieser aber duldete es nicht, falls [ ] sich nicht setzte … Rückseite An Straton und die Richter in Herakleopolis.
Derselbe Brief gibt auch Aufschluss darüber, wie die Juden selbst die Gerichtsbarkeit der Archonten ihres Politeuma aufgefasst haben werden. Als Absender werden Alexandros und die κριταί des Dorfes Peempasbytis genannt. James M.S. Cowey und Klaus Maresch gehen davon aus, dass sich diese κριταί „aus den Presbyteroi dieses Dorfes“ rekrutierten, „wenn sie nicht mit diesen identisch waren.“ 20 Adressiert ist der Brief an Straton und die κριταί in Herakleopolis. „Mit diesen κριταί sind wahrscheinlich die Archonten von Herakleopolis gemeint gewesen. Damit zeigt sich, dass nicht nur die Presbyteroi eines Dorfes als κριταί bezeichnet werden konnten, sondern auch die Archonten, und zwar sogar in einer Briefadresse. Ἄρχοντες und κριταί waren also geradezu austauschbare Bezeichnungen. Für diesen Sprachgebrauch gibt es in den Papyri sonst keine Parallelen. Er ist aber typisch jüdisch und entspricht dem Sprachgebrauch der Septuaginta, wo die Wörter Herrscher (Vorsteher) und Richter austauschbar sind, da šôpēṭ, das in der Septuaginta mit κριτής wiedergegeben wird, nicht nur den Richter, sondern auch den Herrscher und Vorsteher bezeichnet. Dementsprechend können in der Septuaginta πρεσβύτεροι καὶ κριταί und κριτὴς καὶ ἄρχων geradezu als Hendiadyoin auftreten. So mag hier der Sprachgebrauch der Papyri zeigen, dass zumindest die Juden selbst ihr Richteramt so aufgefasst haben, wie es ihrer Tradition entsprach.“ 21
Was nun Sitz und Ausdehnungsgebiet des Politeuma von Herakleopolis betrifft, legen die Dokumente nahe, dass dieses nur die Stadt, nicht aber den Gau umfasst hat. Denn soweit wir sehen können, haben sich nur die Bewohner von Herakleopolis als Mitglieder des Politeuma bezeichnet. Auf 20 21
COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 15f. COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 16. Zu dieser Verwendung von κριτής beachte ferner MARESCH/COWEY, Inclination (s. Anm. 2), 307f (gegen H ONIGMAN, Politeuma [s. Anm. 2], 260f); COWEY, Judentum (s. Anm. 2), 32.
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die Einwohner der umliegenden Dörfer trifft dies nicht zu. 22 Sehrwohl aber gehörten diese zum Einflussgebiet der Archonten, wie mehrere Dokumente zeigen (vgl. P.Polit.Jud. 6 [vor 16. März 134 v. Chr.], 17 [8. Februar 143 v. Chr.?], 18 [30. September 142 v. Chr.], 19 [141–131 v. Chr.], 20 [ca. 143– 132 v. Chr.]). Aus P.Polit.Jud. 8 (15. März 133 v. Chr.) geht hervor, dass sich sogar Juden aus einem benachbarten Gau an das Politeuma von Herakleopolis wenden konnten. Beim Petenten dieser Eingabe handelt es sich um einen Soldaten, der dem Oxyrhynchites zugewiesen war und auch dort wohnte. Auch seine Gegner stammten aus diesem Gau. 23 Wie die Archonten in so einem Fall vorgingen, zeigt der Bearbeitungsvermerk, der nachträglich vor die Eingabe gesetzt wurde – Z. 1–3: (ἔτους) λζ Μεχ(εὶρ) κ ̣ σα( ) ε ἀντιλα(β- ) χ ̣( ) συ(νετάξαμεν) γρά(ψαι) τοῖς ἐν Τημει Ἰου(δαίοις) ε ̣ ̣ ̣ ̣τ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣, ἐὰν δὲ μή, ἀπο(στεῖλαι) ἐν ἡμέρ[(αις) --- ] 37. Jahr, 2[.] Mecheir [= März 133 v. Chr.], ---. [Wir haben] den Auftrag gegeben, den Juden in Temei [?] zu schreiben, - - -, andernfalls [sie] in [x] Tagen zu schicken.
Sie haben den Fall also an die örtliche Judengemeinde zur Schlichtung verwiesen und für den Fall, dass diese nicht zustande kommen sollte, eine Vorladung innerhalb einer bestimmten Frist ausgesprochen. Insgesamt muss also das Ansehen und der Kompetenzbereich der Archonten von Herakleopolis sehr groß gewesen sein. Zusammenfassend können wir festhalten: Bei einem Politeuma handelt es sich um eine Organisation von Fremden in einem fremden Land, die dort die Autorität erhalten, in dieser Organisationsform ihre Rechtsfälle nach eigenem traditionellem Recht abzuhandeln. Ein jüdisches Politeuma stellte also eine Art Sondergerichtsbarkeit dar für private Streitfälle, in die Juden verwickelt waren. Es konnte von den betroffenen Juden angerufen werden, um ihren Ansprüchen, die sich aus abgeschlossenen Verträgen ergaben und über diese nachgewiesen werden konnten, zum Durchbruch zu verhelfen. Zumindest subsidiär wurde von den Archonten auch jüdisches Recht angewendet. Das jüdische Politeuma in Alexandria und weitere jüdi22
Vgl. COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 18; J. ZANGENBERG, Fragile Vielfalt. Beobachtungen zur Sozialgeschichte Alexandrias in hellenistisch-römischer Zeit, BN.NF 147 (2010), 107–126: 116. 23 Freilich verweisen hier die Archonten den Fall an die Juden des Heimatdorfes des Petenten, erklären aber ihre Bereitschaft sich wieder einzuschalten, falls die örtlichen Schlichtungsversuche scheitern sollten. Zu dieser Urkunde siehe auch H ONIGMAN, Politeuma (s. Anm. 2), 256–258; COWEY, Judentum (s. Anm. 2), 32f; HONIGMAN, Communities (s. Anm. 5), 125f; KRUSE, Politeuma (s. Anm. 2), 173. – In der vorliegenden Urkunde geht es übrigens um ein Darlehen unter Juden, auf das Zinsen berechnet wurden; von dem jüdischen Zinsverbot, das aus Torah, Mischnah und Talmud bekannt ist, findet sich hier nichts.
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sche Politeumata in der Chora werden im Großen und Ganzen ähnlich strukturiert gewesen sein wie jenes von Herakleopolis. 24 Sie alle werden dazu da gewesen sein, „jüdischer Eigenständigkeit und Überlieferung ein Dach zu bieten und sie zu schützen.“ 25
4. Das jüdische Politeuma von Alexandria Schon seit ptolemäischer Zeit lebte in Alexandria ein zahlenmäßig starkes Judentum. Entsprechend der Einteilung der Stadt in Bezirke, die den unter24 Während vor Bekanntwerden der Politeuma-Papyri aus Herakleopolis immer wieder angezweifelt wurde, ob man für Alexandria und andere jüdische Gemeinden in der Diaspora ein Politeuma annehmen kann (oder das jüdische Politeuma für die Cyrenaica, das bereits durch Inschriften belegt war [siehe dazu unten], eine lokale Besonderheit darstellte; vgl. z.B. G. LÜDERITZ, What is the Politeuma?, in: W. van Henten / P. W. van der Horst [Hg.], Studies in Early Jewish Epigraphy, AGJU 21, Leiden 1994, 183–225; P. TREBILCO, Jewish Communities in Asia Minor, MSSNTS 69, Cambridge 1991, 167– 185), gehen seither Wissenschaftler zunehmend von deren Existenz aus; zu einem jüdischen Politeuma in Alexandria siehe z.B. M. T ILLY, Das ägyptische Judentum von der römischen Annexion bis zum Partherkrieg Trajans, in: W. Pratscher / M. Öhler / M. Lang (Hg.), Das ägyptische Christentum im 2. Jahrhundert, SNTU.NF 6, Wien/Berlin 2008, 45–58: 48 (Literaturhinweise in Anm. 14); G. SCHIMANOWSKI, Juden und Nichtjuden in Alexandrien. Koexistenz und Konflikte bis zum Pogrom unter Trajan (117 n. Chr.), Münsteraner Judaistische Studien 18, Münster 2006, 161; K. BRINGMANN, Isopoliteia in den Auseinandersetzungen zwischen Juden und Griechen, Chiron 35 (2005), 7–21: 11 (mit Literaturhinweisen in Anm. 16); E. S. GRUEN, Diaspora. Jews amidst Greeks and Romans, Cambridge/Mass. 2002, 74f. Im Anschluss an Lüderitz und Trebilco und trotz Kenntnis der Politeuma-Papyri sind nach wie vor skeptisch z.B. D. SCHINKEL, Die himmlische Bürgerschaft. Untersuchungen zu einem urchristlichen Sprachmotiv im Spannungsfeld von religiöser Integration und Abgrenzung im 1. und 2. Jahrhundert, FRLANT 220, Göttingen 2007, 65–67 (aus den Politeumata in der Cyrenaica und in Oberägypten dürfe man nicht auf weitere schließen); C. CLAUSSEN, Versammlung, Gemeinde, Synagoge. Das hellenistisch-jüdische Umfeld der frühchristlichen Gemeinden, StUNT 27, Göttingen 2002, 242. Zurückhaltend, aber immerhin „eine teilweise Rehabilitation des Politeuma-Modells“ aufgrund der Politeuma-Papyri eingestehend, ist S. KRAUTER, Bürgerrecht und Kultteilnahme. Politische und kultische Rechte und Pflichten in griechischen Poleis, Rom und antikem Judentum, BZNW 127, Berlin 2004, 265–267 (Zitat 266 Anm. 160). Für HONIGMAN, Politeuma (s. Anm. 2), 254, steht die Existenz eines jüdischen Politeuma von Alexandria außer Zweifel, fraglich erscheint ihr aber, inwieweit die Politeumata von Alexandria und der Chora mit jenem von Herakleopolis vergleichbar sind. Siehe auch DIES., Communities (s. Anm. 5), 130–133, und ausführlich DIES., Politeumata (s. Anm. 2), 69–87. – Zu weiteren Quellen (z.B. Philo, Josephus), die von einem jüdischen Politeuma in Alexandria sprechen oder ein solches nahelegen, siehe vor allem A. KASHER, The Jews in Hellenistic and Roman Egypt. The Struggle for Equal Rights, TSAJ 7, Tübingen 1985, 208–309. 25 COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 26.
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schiedlichen Bevölkerungsgruppen zugeteilt und nach dem griechischen Alphabet bezeichnet wurden, lebten auch die Angehörigen des Judentums und somit auch des jüdischen Politeuma in einem eigenen Stadtteil, nämlich in „Delta“. Ein Bürgerrecht war allerdings mit der Zugehörigkeit zu einem Politeuma nicht verbunden, wie sich insbesondere am Beispiel von Alexandria nachweisen lässt. Das Streben danach führte immer wieder zu Konflikten – im Inneren wie nach außen hin. Im Inneren insofern, als die einen die Vollbürgerschaft anstrebten, also eine rechtliche Gleichstellung mit den griechischen Bürgern, während andere genau darin die Gefahr sahen, die religiöse und kulturelle Tradition und Eigenständigkeit aufs Spiel zu setzen. Nach außen hin führten die jüdischen Versuche, jene Privilegien in römischer Zeit zu sichern oder gar auszubauen, die durch Einrichtung eines Politeuma der Juden unter den Ptolemäern gewährt worden waren, von griechischer Seite mehr und mehr als Gefährdung der eigenen angestammten Rechte betrachtet wurden. 26 Während unter den Ptolemäern die Vorzugstellung und Privilegierung der Griechen per se außer Zweifel stand und das Verhältnis zwischen Juden und Griechen weitgehend spannungsfrei verlief, wurden in der Zeit des frühen Prinzipats die Konflikte zwischen Griechen und Juden offenkundig. Juden hatten bereits Gabinius bei der Invasion Ägyptens im Jahre 57 v. Chr. unterstützt, und auch Caesar fand bei ihnen während des Bürgerkriegs und des alexandrinischen Krieges tatkräftige Hilfe. Den Griechen galten sie seither als Verräter. Dass die auch gegenüber Augustus offen bekundete Römerfreundlichkeit der einflussreichen jüdischen Kreise Alexandrias vom Imperator nicht unbelohnt blieb (Augustus bestätigte sie in ihren Privilegien), während die Griechen – insbesondere in Alexandria – nun in ihren Rechten entscheidend beschnitten wurden, führte zu einer immer deutlicher werdenden Feindschaft und zu Hass zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Tatsächlich standen nun, was politischen Einfluss und Eigenständigkeit betraf, die Juden besser da als die Griechen, deren Versuche nach Wiedererrichtung abgeschaffter oder in ihrer Bedeutung stark eingeschränkter Institutionen von den Caesaren ebenso abgelehnt wurden wie die Ausweitung ihrer Privilegien oder Möglichkeiten der politischen Einflussnahme. 26 Zu den im Folgenden nur kurz zusammengefassten historischen und politischen Hintergründen siehe ausführlicher z.B. V. A. TCHERIKOVER / A. FUKS / MENAHEM STERN (für Bd. III), Corpus Papyrorum Judaicarum I–III, Cambridge 1957–1964, I, 48–78; SCHIMANOWSKI, Juden (s. Anm. 24), 140–181; S. GAMBETTI, The Alexandrian Riots of 38 C.E. and the Persecution of the Jews. A Historical Reconstruction, Supplements to the Journal for the Study of Judaism 135, Leiden 2009; GRUEN, Diaspora (s. Anm. 24), 54– 83; ZANGENBERG, Vielfalt (s. Anm. 22), 120–123. Eine „bequeme und lesbare Darstellung“ bietet H. I. BELL, Juden und Griechen im römischen Alexandria. Eine historische Skizze des alexandrinischen Antisemitismus, BAO 9, Leipzig 21927, 14–33 (die zitierte Eigencharakterisierung findet sich auf S. 5).
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Freilich hing das Gedeihen der jüdischen Gemeinde auf diese Weise fortan vom Wohlwollen der römischen Kaiser ab. Von griechischer Seite wurde deshalb umgekehrt versucht, das Ansehen der jüdischen Bevölkerung bei hochrangigen Persönlichkeiten in Zweifel zu ziehen und auf diesem Weg Rom dazu zu bewegen, den privilegierten Status der Juden zu verändern. Unter Gaius Caligula schien die Möglichkeit dafür gekommen zu sein. Während Augustus für das alexandrinische Judentum den Status als Politeuma ausdrücklich anerkannt hatte, hob Gaius Caligula ihn auf. Und prominenten Nichtjuden Alexandrias gelang es, Aulus Avillius Flaccus, der im Jahre 32 n. Chr. als praefectus Aegypti eingesetzt wurde und anfänglich eher judenfreundlich gesinnt war, auf ihre Seite zu ziehen. Im Jahre 38 kam es demzufolge zu offenen Gewaltakten und zum ersten und größten Pogrom gegen die Juden in der Antike. Von griechischer und jüdischer Seite wurden Gesandtschaften nach Rom entsandt, um beim Kaiser zu intervenieren. Entschieden wurde die Angelegenheit erst unter Claudius, dessen Reaktion uns gleich durch zwei Texte, einen literarischen und einen dokumentarischen, geschildert wird: Zum einen ist hier Josephus Ant XIX 280–285 zu nennen, wo von einem Edikt des Claudius berichtet wird, in dem erwähnt worden sei, dass die Juden von den Ptolemäern ἴση πολιτεία erlangt hätten, die von Augustus bestätigt und von Claudius bekräftigt worden sei. Τιβέριος Κλαύδιος Καῖσαρ Σεβαστὸς Γερμανικὸς δημαρχικῆς ἐξουσίας λέγει. ἐπιγνοὺς ἀνέκαθεν τοὺς ἐν Ἀλεξανδρείᾳ Ἰουδαίους Ἀλεξανδρεῖς λεγομένους συγκατοικισθέντας τοῖς πρώτοις εὐθὺ καιροῖς Ἀλεξανδρεῦσι καὶ ἴσης πολιτείας παρὰ τῶν βασιλέων τετευχότας, καθὼς φανερὸν ἐγένετο ἐκ τῶν γραμμάτων τῶν παρ᾽ αὐτοῖς καὶ τῶν διαταγμάτων, καὶ μετὰ τὸ τῇ ἡμετέρᾳ ἡγεμονίᾳ Ἀλεξάνδρειαν ὑπὸ τοῦ Σεβαστοῦ ὑποταχθῆναι πεφυλάχθαι αὐτοῖς τὰ δίκαια ὑπὸ τῶν πεμφθέντων ἐπάρχων κατὰ διαφόρους χρόνους μηδεμίαν τε ἀμφισβήτησιν περὶ τούτων γενομένην τῶν δικαίων αὐτοῖς, ἅμα καὶ καθ᾽ ὃν καιρὸν Ἀκύλας ἦν ἐν Ἀλεξανδρείᾳ τελευτήσαντος τοῦ τῶν Ἰουδαίων ἐθνάρχου τὸν Σεβαστὸν μὴ κεκωλυκέναι ἐθνάρχας γίγνεσθαι βουλόμενον ὑποτετάχθαι ἑκάστους ἐμμένοντας τοῖς ἰδίοις ἔθεσιν καὶ μὴ παραβαίνειν ἀναγκαζομένους τὴν πάτριον θρησκείαν, Ἀλεξανδρεῖς δὲ ἐπαρθῆναι κατὰ τῶν παρ᾽ αὐτοῖς Ἰουδαίων ἐπὶ τῶν Γαΐου Καίσαρος χρόνων τοῦ διὰ τὴν πολλὴν ἀπόνοιαν καὶ παραφροσύνην, ὅτι μὴ παραβῆναι ἠθέλησεν τὸ Ἰουδαίων ἔθνος τὴν πάτριον θρησκείαν καὶ θεὸν προσαγορεύειν αὐτόν, ταπεινώσαντος αὐτούς· βούλομαι μηδὲν διὰ τὴν Γαΐου παραφροσύνην τῶν δικαίων τῷ Ἰουδαίων ἔθνει παραπεπτωκέναι, φυλάσσεσθαι δ᾽ αὐτοῖς καὶ τὰ πρότερον δικαιώματα ἐμμένουσι τοῖς ἰδίοις ἔθεσιν, ἀμφοτέροις τε διακελεύομαι τοῖς μέρεσι πλείστην ποιήσασθαι πρόνοιαν, ὅπως μηδεμία ταραχὴ γένηται μετὰ τὸ προτεθῆναί μου τὸ διάταγμα. Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus, Pontifex Maximus mit tribunizischer Gewalt, verordnet: In Erwägung, dass die Juden, die in Alexandria wohnen und Alexandriner genannt werden, sogleich in den ersten Zeiten mit den Alexandrinern zusammen angesiedelt wurden und von den Königen gleiche Politeia 27 erhalten haben, wie dies aus 27
Da es sich hier, wie weiter unten noch ausgeführt wird, bei πολιτεία nicht um ein echtes Bürgerrecht handeln kann, lasse ich den Ausdruck zunächst so stehen.
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den Schriften bei ihnen und aus den Erlässen hervorgeht, und dass ihnen nach der durch Augustus vollzogenen Einverleibung der Stadt Alexandria in unser Reich die Rechte aufrecht erhalten worden sind von den zu verschiedenen Zeiten dorthin gesandten Statthaltern und kein Disput über diese ihre Rechte ausgebrochen war und dass auch zu der Zeit, als Aquila Statthalter in Alexandria und der jüdische Ethnarch 28 gestorben war, Augustus die Einsetzung von Ethnarchen nicht verboten hat in der Absicht, dass alle (Rom) unterworfen sind und bei ihren Gebräuchen bleiben und nicht gezwungen werden, die Religion ihrer Väter zu übertreten, dass aber die Alexandriner unverschämt wurden gegen die mit ihnen zusammen wohnenden Juden in der Regierungszeit von Gaius Caesar, der in seinem ungeheuren Wahnsinn, weil das Volk der Juden die Religion der Väter nicht übertreten und ihn nicht als Gott anerkennen wollte, es unterdrückte: Ich will, dass nichts von den Rechten und Privilegien dem Volk der Juden wegen des Gaius Wahnsinn verlustig geht, sondern ihnen auch die früheren Rechte und Privilegien bewahrt werden und sie bei ihren eigenen Gebräuchen bleiben, und ich befehle beiden Seiten, die größte Sorgfalt darauf zu verwenden, dass keine Unruhe mehr ausbricht nach Bekanntmachung meines Ediktes.
Auch wenn wir nicht sicher sein können, dass Josephus das Edikt originalgetreu wiedergibt, so ist andererseits mit P.Lond. VI 1912 (= C.Pap.Jud. II 153) ein Brief des Claudius an die Alexandriner in der griechischen Fassung 29 erhalten geblieben, der die Josephusstelle weitestgehend bestätigt. Dass dieser Brief des Claudius erhalten geblieben ist, ist ein absoluter Glücksfall und dem Umstand zu verdanken, dass der damalige praefectus Aegypti Lucius Aemilius Rectus den Brief aufgrund seiner Bedeutung per Edikt vom 10. November 41 n. Chr. veröffentlichen und in die gesamte Chora versenden ließ. P.Lond. VI 1912 enthält das vorangestellte Edikt des Präfekten (Z. 1–13) sowie den Brief des Claudius in Kopie und stammt aus Philadelphia. 28 In Alexandria stand also ein Ethnarch an der Spitze des jüdischen Politeuma (in Herakleopolis – wie erwähnt – der Politarch). 29 Zur Frage, ob dieser Brief bereits im Original griechisch verfasst wurde oder in der kaiserlichen Kanzlei in Rom aus dem Lateinischen ins Griechiche übersetzt wurde, siehe TCHERIKOVER/FUKS, C.Pap.Jud. II (s. Anm. 26), 37. – Die Sekundärliteratur zu diesem Dokument ist überaus umfangreich; siehe bereits das ausführliche Verzeichnis von TCHERIKOVER/FUKS, a.a.O., 36f; zu den neueren Publikationen gehören: C. KRAUS REGGIANI, I rapporti tra l’impero romano e il mondo ebraico al tempo di Caligola secondo la „Legatio ad Gaium“ di Filone Alessandrino, ANRW II 21.1 (1984), 554–586: 577–582; H. B OTERMANN, Das Judenedikt des Kaisers Claudius. Römischer Staat und Christiani im 1. Jahrhundert, Hermes. Einzelschriften 71, Stuttgart 1996, 107–114; E. GRZYBEK, La répression à Alexandrie en 41 apr. J.-C. et le problème des délégations juives envoyées à Rome (CP Jud II 153, 90-92), Revue historique de droit français et étranger 77 (1999), 213–222; F. KAYSER, Les ambassades alexandrines à Rome (Ier-IIe siècle). Avec résumés en français et en anglais, REA 105 (2003), 435–468, 2 tables: 462–464; SCHIMANOWSKI, Juden (s. Anm. 24), 165–175.242–249; BRINGMANN, Isopoliteia (s. Anm. 24), 9f.16–19; HONIGMAN, Politeumata (s. Anm. 2), 87–91; GAMBETTI, Alexandrian Riots (s. Anm. 26), 220–228.
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Bei diesem Brief handelt es sich eigentlich um ein Antwortschreiben des Claudius an die Alexandriner, um sich bei den Bürgern der Stadt für die Glückwünsche anlässlich seiner Thronbesteigung zu bedanken, die ihm von einer alexandrinischen Delegation überbracht worden waren. Nur der letzte Teil, die Zeilen 73–104 (mit BL III, S. 99; XI, S. 122), sind den Auseinandersetzungen zwischen Juden und Griechen gewidmet. Der Abschnitt lautet: 75
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τῆς δὲ πρὸς Ἰουδαίους ταραχῆς καὶ στάσεως μᾶλλον δʼ εἰ χρὴ τὸ ἀλη̣θὲς εἰπεῖν τοῦ πολέμου πότεροι μὲν αἴτιοι κατέστησαν καίπερ ἐξ ἀντικαταστάσεως πολλὰ τῶν ἡμετέρων (l. ὑμετέρων) πρέσβεων φειλοτιμηθέντων (l. φιλοτιμηθέντων) καὶ μάλιστα Διονυσίου τοῦ Θέων[ο]ς ὅμως οὐκ ἐβουλήθην ἀκριβῶς ἐξελένξαι (l. ἐξελέγξαι), ταμιευόμενος ἐμ̣αυτῶι κατὰ τῶν πάλειν (l. πάλιν) ἀρξαμένων ὀργὴν ἀμεταμέλητον· ἁπλῶς δὲ προσαγορεύω{ι} ὅτι ἂν μὴ καταπαύσηται (l. καταπαύσητε) τὴν ὀλέθριον ὀργὴν ταύτην κατʼ ἀλλήλων αὐθάδιον ἐγβιασθήσομαι δῖξαι ὗον (l. δεῖξαι οἷον) ἐστιν ἡγεμὼν φιλάνθροπος (l. φιλάνθρωπος) εἰς ὀργὴν δικαίαν μεταβεβλημένος. διόπερ ἔτι καὶ νῦν διαμαρτύρομε εἵνα (l. διαμαρτύρομαι ἵνα) Ἀλεξανδρεῖς μὲν πραέως καὶ φιλανθρόπως προσφέροντε Ἰουδαίος (l. φιλανθρώπως προσφέρωνται Ἰουδαίοις) τοῖς τὴν αὐτὴν πόλειν (l. πόλιν) ἐκ πολλῶν χρόνων οἰκοῦσει (l. οἰκοῦσι) καὶ μηδὲν τῶν πρὸς θρησκείαν αὐτοῖς νενομισμένων τοῦ θεοῦ λοιμένωνται (l. λυμαίνωνται) ἀλλὰ ἐῶσιν αὐτοὺς τοῖς ἔθεσιν χρῆσθαι ὗς (l. οἷς) καὶ ἐπὶ τοῦ θεοῦ Σεβαστοῦ, ἅπερ καὶ ἐγὼ{ι} διακούσας ἀμφοτέρων ἐβεβαίωσα· καὶ Ἰουδέοις (l. Ἰουδαίοις) δὲ ἄντικρυς κελεύω{ι} μηδὲν πλήω{ι} ὧν πρότερον ἔσχον περιεργάζεσθαι μηδὲ ὥσπερ ἐν δυσεὶ πόλεσειν (l. δυσὶ πόλεσιν) κατοικοῦντας δύο πρεσβείας ἐκπέμπειν τοῦ λοιποῦ, ὣ (l. ὃ) μὴ πρότερόν ποτε ἐπράκθη (l. ἐπράχθη), μηδὲ ἐπισπαί̣ε̣ιν γυμνασιαρχικοῖς ἢ κοσμητικοῖς ἀγῶσει (l. ἀγῶσι), καρπουμένους μὲν τὰ οἰκῖα ἀπολάοντας (l. οἰκεῖα ἀπολαύοντας) δὲ ἐν ἀλλοτρίᾳ πόλει περιουσίας ἀπθόνων (l. ἀφθόνων) ἀγαθῶν, μηδὲ ἐπάγεσθαι ἢ προσείεσθαι (l. προσίεσθαι) ἀπὸ Συρίας ἢ Αἰγύπου (l. Αἰγύπτου) καταπλέοντας Ἰουδαίους ἐξ οὗ μείζονας ὑπονοίας ἀνανκασθήσομε (l. ἀναγκασθήσομαι) λαμβάνειν· εἰ δὲ μή, πάντα τρόπον αὐτοὺς ἐπεξελεύσομαι καθάπερ κοινήν τεινα (l. τινα) τῆς οἰκουμένης νόσον ἐξεγείροντας. ἐὰν τούτων ἀποστάντες ἀμφότεροι μετὰ πρα̣ότητος καὶ φιλανθροπείας (l. φιλανθρωπίας) τῆς πρὸς ἀλλήλους ζῆν ἐθελήσητε καὶ ἐγὼ{ι} πρόνοιαν τῆς πόλεως `ποήσομαι´ (l. ποιήσομαι) τὴν ἀνατάτωι (l. ἀνωτάτω) καθάπερ ἐκ προγόνων οἰκίας ὑμῖν (l. ἡμῖν) ὑπαρχούσης.
80 vielleicht ist αὐθημερόν, ,,immediately“, gemeint (BL IX 148) 95 ἀπθόνων (= ἀφθόνων) statt ἁπάντων (BL III 99) Was jedoch die Unruhe und den Aufstand – eher aber, wenn man die Wahrheit zu sagen hat, den Krieg – gegen die Juden betrifft: Welche die Verantwortlichen waren, das wollte ich, obwohl eure Gesandten – insbesondere Dionysios, der Sohn Theons – eure Sache angesichts der Gegnerschaft sehr eifrig vertraten, dennoch nicht im Einzelnen ermitteln
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und ich behalte mir gegen diejenigen, die (mit den Feindseligkeiten) wieder anfangen sollten, unerbittlichen Zorn vor. Aber ich sage euch schlicht und einfach, dass ich, wenn ihr nicht mit diesem verderblichen Zorn gegeneinander aufhört, dazu genötigt sein werde, euch zu zeigen, wie ein freundlicher Fürst sein kann, wenn er zu gerechtem Zorn gereizt wird. Deshalb beschwöre ich euch nun noch einmal, dass sich die Alexandriner sanftmütig und freundlich gegenüber den Juden erweisen, die dieselbe Stadt seit langer Zeit bewohnen, und nichts von den von ihnen befolgten Riten zur Verehrung Gottes schmähen, sondern sie die Gebräuche ausüben lassen wie unter dem göttlichen Augustus, die auch ich, nachdem ich beide Seiten angehört, bestätigt habe. Und andererseits befehle ich aber den Juden, nicht auf mehr, als sie früher innehatten, hinzuarbeiten und in Zukunft nicht – als ob sie in zwei Städten wohnten – zwei Gesandtschaften auszusenden, 30 was früher niemals unternommen wurde, und sich nicht in die Wettspiele der Gymnasiarchen und der Kosmeten hineinzudrängen, 31 während sie ihre eigenen (Privilegien) nützen und in einer Stadt, die (für sie) eine fremde ist, den Überfluss reichlicher Güter genießen, und nicht Juden herbeizuziehen oder einzuladen, die aus Syrien oder Ägypten herabsegeln, 32 woraufhin ich gezwungen wäre, noch größeren Verdacht zu schöpfen. Andernfalls werde ich auf jedwede Weise gegen sie vorgehen, als ob sie der ganzen Welt eine allgemeine Krankheit erregten. Wenn ihr beide von solchen Dingen Abstand nehmt und mit Sanftmut und Freundlichkeit gegenüber einander leben wollt, werde auch ich die altbewährte Fürsorge für die Stadt ausüben, wie sie von den Ahnen her unserem Hause eigen ist.
Von seiner grundsätzlichen Bedeutung für das alexandrinische Judentum her wird dieser Abschnitt im Brief des Claudius so verstanden, dass der Imperator den Juden gegenüber jene Rechte und Privilegien bekräftigt, die ihnen von den Ptolemäern gewährt und durch Augustus bestätigt worden waren. Man solle sie ihre Gebräuche befolgen lassen (τοῖς ἔθεσιν χρῆσθαι), also sämtliche Ausdrucksformen ihrer religiösen Tradition ohne Einschränkung tolerieren (z.B. die Torah als Basis für jüdisches Recht, eigene Kulträume, die Sabbatruhe, die Befreiung vom Kaiserkult, Pilgerreisen ins jüdische Mutterland und Geldspenden an die dortigen Gemeinden). 33 30
Die „zwei Gesandtschaften“ sind auf zwei verschiedene jüdische Gesandtschaften hin zu deuten, die Interpretationen dieser beiden sind aber unterschiedlich: TCHERIKOVER /FUKS, C.Pap.Jud. II (s. Anm. 26), 52 u.a. denken an eine traditionelle und eine hellenisierte, wofür der Text aber keine Hinweise bietet (vgl. z.B. SCHIMANOWSKI, Juden [s. Anm. 24], 174); GAMBETTI, Alexandrian Riots (s. Anm. 26), 224f, hingegen denkt an zwei Gruppen, die ihre unterschiedliche Problematik dem Imperator vortragen wollten: die eine bestehend aus Mitgliedern der in Delta seit Generationen angesiedelten Juden, die andere aus Vertretern der in jüngerer Zeit zugewanderten Juden (siehe dazu gleich anschließend). 31 Siehe dazu T CHERIKOVER /FUKS in C.Pap.Jud. II (s. Anm. 26), 43.53, und SCHIMANOWSKI, Juden (s. Anm. 24), 173. 32 Unter „Ägypten“ ist hier natürlich die Chora zu verstehen. Für die Reise nilabwärts wird hier – wie in den Papyri allgemein üblich – das Verb καταπλέω verwendet. 33 G AMBETTI, Alexandrian Riots (s. Anm. 26), bes. 227f (vgl. auch 225), hat dies in einer neuen Deutung dahingehend eingeschränkt, dass Claudius nicht generell für alle, sich in Alexandria aufhaltenden Juden die schon von den Ptolemäern gewährten Rechte und Privilegien bestätigt, sondern nur für jene, die bereits seit langer Zeit im Bezirk
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Der Rückgriff des Claudius auf die Rechte und Privilegien, die von den ptolemäischen Königen gewährt worden waren, erlaubt nun, einen Zusammenhang mit den Politeuma-Papyri herzustellen. 34 Letztlich sind es diese Papyri aus Herakleopolis, die unbedingt nahe legen, dass sowohl das bei Josephus erwähnte Edikt als auch der Brief des Claudius auf das alexandrinische Politeuma der Juden Bezug nehmen. Und noch ein weiterer Punkt kann als geklärt betrachtet werden: die Frage nach einem möglichen Bürgerrecht der Juden Alexandrias, die vor allem durch die Fassung des Claudius-Edikts bei Josephus immer wieder diskutiert wurde (nämlich ob unter ἴση πολιτεία nicht doch ein von den Ptolemäern verliehenes Bürgerrecht gemeint sein könnte). Im Brief des Claudius wird das jüdische Bestreben, einen generellen Zugang zum Bürgerrecht zu erlangen, ausdrücklich abgelehnt: Den Juden von Alexandria wird verboten, sich in die Wettspiele der Gymnasiarchen und der Kosmeten hineinzudrängen (vgl. Z. 92f). 35 Im Zusammenhang damit und vor dem Hintergrund der PoliteumaPapyri aus Herakleopolis lässt sich die ἴση πολιτεία bei Josephus als das
„Delta“ wohnten (vgl. Z. 84f). Nur für diese sollen die in den folgenden Zeilen bekräftigten Zugeständnisse gelten, allen anderen aber verwehrt bleiben, nämlich sowohl jenen, die erst kürzlich zugewandert waren, als auch allen, die dies vorhätten; letzteren wird die Zuwanderung sogar ausdrücklich verwehrt, indem den in „Delta“ wohnenden Juden verboten wird, Volksgenossen aus der Chora oder aus Syrien einzuladen und aufzunehmen (vgl. Z. 96f). Gambettis Deutung ist stringent, hat aber keinen Einfluss auf unsere Frage nach dem (Fort-)Bestand des jüdischen Politeuma von Alexandria, sondern untermauert in gewisser Weise sogar das im Folgenden Gesagte. Denn das jüdische Politeuma bestand seit ptolemäischer Zeit aus den in „Delta“ angesiedelten Juden. 34 Vgl. COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 9: „Wichtig für unseren Zusammenhang (mit den Politeuma-Papyri; Anm. P.A.-G.) ist der Rückgriff auf die Ptolemäerzeit und die Kontinuität der Rechtsverhältnisse, die von den Historikern nicht in Zweifel gezogen wird.“ 35 Vgl. z.B. T ILLY, Judentum (s. Anm. 24), 54: „Bemerkenswerterweise ging Claudius in seinem Schreiben aber an keiner Stelle über die bereits gewährten Privilegien hinaus. Die alexandrinischen Juden behielten ihre traditionellen Rechte, aber sie bekamen keine neuen hinzu. Insbesondere dem Wunsch der jüdischen Oberschicht nach erleichtertem Zugang zur Polisbürgerschaft, der im Zugang zum Gymnasion und zum Ephebeion zum Ausdruck kommt, wurde nicht stattgegeben. Vielmehr sollten sie sich hier nicht ‚hineindrängen‘ (μηδὲ ἐπισπαίειν). Gymnasialbildung und Bürgerrecht blieben ihnen demnach dauerhaft verwehrt. Es lässt sich festhalten: Die Wahrung der jüdischen Privilegien schloss für Claudius das griechische Bürgerrecht geradezu aus.“ Beachte auch ZANGENBERG, Vielfalt (s. Anm. 22), 118 (mit Verweis auf Philo Flacc 172); BRINGMANN, Isopoliteia (s. Anm. 24), 11; vgl. auch MARESCH/COWEY, Inclination (s. Anm. 2), 309 (zum Politeuma von Herakleopolis und gegen einen Vorwurf von HONIGMAN, Politeuma [s. Anm. 2], 263): „Eine ‚complete internal autonomy‘, was immer darunter zu verstehen sein soll, ist im Archiv (gemeint sind die Politeuma-Papyri, Anm. P.A-G.) nicht zu sehen, und wir hatten keinen Grund, sie zu vermuten.“
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den Juden gewährte Politeuma verstehen. 36 Während also die πολιτεία der Griechen in der Polisbürgerschaft bestand, bedeutete jene der Juden die Zugehörigkeit zum Politeuma, und während sich der Grieche im Sinne eines Polisbürgers als πολίτης bezeichnete, so konnte der Jude dies als Mitglied des Politeuma tun (vgl. P.Polit.Jud. 1,17) 37. Aufgrund der PoliteumaPapyri ist also 1) an der Existenz eines jüdischen Politeuma von Alexandria nicht mehr zu zweifeln und 2) gleichsam erwiesen, dass die alexandrinischen Juden nicht das Bürgerrecht besaßen, sondern ein Politeuma, das ihnen von den Ptolemäern gewährt worden war und von Augustus und Claudius bestätigt wurde. 38 Die Abschaffung des jüdischen Politeuma von Alexandria durch Gaius Caligula, die vermutlich auch alle anderen jüdischen Politeumata in der Chora betreffen sollte, war also nicht von Dauer, sondern wurde unter Claudius wieder rückgängig gemacht und bestand auch trotz und nach weiteren Wirren zwischen Juden und Griechen fort. Ein Wendepunkt im Verhältnis zwischen dem Judentum und der römischen Staatsmacht trat erst in Folge des jüdischen Aufstandes und der Zerstörung Jerusalems ein.
5. Weitere jüdische Politeumata der frühen Kaiserzeit Die Tatsache, dass die alexandrinischen Juden ihre aus ptolemäischer Zeit stammenden Privilegien ausdrücklich bestätigt bekamen, lässt vermuten, dass auch die jüdischen Politeumata der Chora in dieser Zeit als bestätigt galten und weiterbestehen konnten. 39 Die Grabinschrift SB I 5765 (= C.Pap.Jud. III 1530A), die einen Beleg für einen Politarches liefert, könnte dies bestätigen, sofern sie in die frühe Kaiserzeit zu datieren ist. Die Herkunft ist unbekannt; höchstwahrschein36
So COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 9; HONIGMAN, Politeuma (s. Anm. 2), 264, sieht isopoliteia hier mit Bezug auf ein Bürgerrecht als „a collective grant, … a potential right, which could be implemented solely on an individual basis. Concretely, the soldiers were offered the possibility, if they so wished, to settle in the city and ask for citizenship. Those who chose to do so would undergo the regular process of enfranchisement, which involved enrollment in one of the civic demes and tribes.“ Diese Ansicht von Honigman basiert auf ihrer Überzeugung, dass ein Politeuma stets eine Organisation von Soldaten sei (siehe dazu oben Anm. 2). 37 Siehe dazu oben. 38 Vgl. COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 8; ZANGENBERG, Vielfalt (s. Anm. 22), 122f. 39 Dies bedeutet freilich nicht, dass alle belegten Politeumata identisch strukturiert waren, im Gegenteil: Man wird davon ausgehen müssen, dass sie sich in den konkreten Ausformungen z.T. stark unterschieden haben (vgl. z.B. MARESCH/COWEY, Inclination [s. Anm. 2], 310).
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lich stammt sie aus Leontopolis, von wo mehrere jüdische Versinschriften herrühren. 40 James M. S. Cowey und Klaus Maresch bieten noch zwei weitere Hinweise dafür, dass in der Chora Ägyptens noch während der römischen Zeit jüdische Politeumata existierten: 41 Falls die Inschrift Bernand, Inscr. métriques 42 16, erst aus der Kaiserzeit stammt, könnte sie ein Beleg dafür sein. Im privaten Brief P.Oxy. IV 745 wird in Z. 4 ein πολιτάρχης erwähnt. Wir erfahren über ihn nicht mehr als seinen Namen, da er aber Theophilos hieß, könnte es sich bei ihm um einen Juden handeln, der Politarches eines jüdischen Politeuma war. Der Brief ist vermutlich in das 1. Jh. n. Chr. zu datieren. Woher der Papyrus stammt, ist unbekannt, die Erwähnung ἐν Ὀξυρύγχοις in Z. 6 könnte sich auf das Dorf Oxyrhyncha im Faijum beziehen. Dass in Berenike in der Cyrenaica (heute Banghazi, Libyen) ein jüdisches Politeuma noch in römischer Zeit Bestand hatte, bezeugen zwei Inschriften, die ins frühe 1. Jh. n. Chr. datiert werden. 43 Ich gehe davon aus, dass auch dieses Politeuma bereits unter den Ptolemäern errichtet worden war. 44 Für das generelle Weiterbestehen von (nicht-jüdischen) Politeumata in der Zeit des frühen Prinzipats mag hier ein Hinweis auf IG XIV 701 genügen: Die Inschrift belegt ein Politeuma der Phryger im römischen Pompeji. Der insgesamt dennoch nicht besonders reichhaltige Befund scheint zu zeigen, dass Politeumata im Großen und Ganzen in der Verwaltung der Ptolemäer und später der Römer keine bedeutende Rolle spielten. Wichtig waren sie aber für die jeweiligen Angehörigen. 45 Auch was den Bestand von Politeumata betrifft und das dafür vorhandene Quellenmaterial, ist kritisch nachzufragen: Wie sind diese dokumentarischen Quellen zu werten? Was sagen sie über das Weiterbestehen jüdischer Politeumata nach Flaccus tatsächlich aus? Wie repräsentativ sind speziell die Papyrusfunde, wenn sie doch mit wenigen Ausnahmen aus 40
So die Vermutung von COWEY/MARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 5; COWEY, Judentum (s. Anm. 2), 31. 41 Vgl. COWEY/M ARESCH, P.Polit.Jud. (s. Anm. 1), 8; COWEY, Judentum (s. Anm. 2), 30f. 42 É. BERNAND, Inscriptions métriques de l’Égypte gréco-romaine: Recherches sur la poésie épigrammatique des Grecs en Égypte, Paris 1969. 43 SEG XVI 931 (augusteische Zeit) und CIG III 5361 (24 n. Chr.?). 44 Nur hinsichtlich einer solchen, freilich nahe liegenden Vermutung ist die Feststellung von ZANGENBERG, Vielfalt (s. Anm. 22), 115, korrekt: „Neben Alexandria existierten in ptolemäischer Zeit noch weitere jüdische politeumata zumindest in Herakleopolis, Leontopolis und Berenike“; die Belege für Berenike und wahrscheinlich auch Leontopolis gehören bereits der frühen Kaiserzeit an. 45 Vgl. M ARESCH/COWEY, Inclination (s. Anm. 2), 310.
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Ägypten stammen und zahlenmäßig keineswegs gleichmäßig auf die aufeinander folgenden Epochen verteilt sind? 46 Es geht mir dabei nicht um die Frage, inwieweit Papyri aus Ägypten im Allgemeinen gemeinrömische Verhältnisse widerspiegeln und für diese aussagekräftig sind. Diese Frage wurde von Papyrologinnen und Papyrologen im Grundsätzlichen längst positiv beantwortet. 47 Wer für eine schwerwiegende Nachhaltigkeit der antijüdischen Politik unter Flaccus plädiert, könnte in Beantwortung der oben gestellten Fragen ins Treffen führen, dass tatsächlich für keines der genannten jüdischen Politeumata ein Beleg beigebracht werden kann, der eindeutig auf die Zeit nach Flaccus datierbar wäre. Die Berenike-Inschriften stammen zwar aus dem 1. Jh. n. Chr., wurden aber wohl um das Jahr 24/25 n. Chr. hergestellt. Angaben wie „frühe Kaiserzeit“ und „1. Jh. n. Chr.“ sind relativ. Die Argumentation, dass ein konstatierter Rückgang der Quellen auch einen Niedergang der Sache bedeute, ist m.E. aber zu kurz gegriffen. Denn die vorhandenen Quellen sind das, was erhalten geblieben ist, und geben von daher nicht unbedingt ein repräsentatives Bild der damaligen real existierenden Quantitätsverhältnisse wieder. In erster Linie handelt es sich bei Papyri und Ostraka um Abfall der Antike. Mit wenigen Ausnahmen stammen die edierten Dokumente von den antiken Müllhaufen oder aus Abfallpapyrus, der in Mumienkartonagen wiederverwertet wurde. Bei der Erhaltung des Materials Papyrus kommen als entscheidender Faktor die klimatischen Bedingungen hinzu. Allein diese sind der entscheidende Grund dafür, dass die meisten Papyri aus Ägypten stammen. Nur dort konnten so viele im trockenen Wüstensand die Zeiten überdauern. Als Fundorte folgen auf Ägypten ähnlich trockene Gebiete am Toten Meer und in Syrien. 48 Einige Papyri, die in Rom oder Kleinasien geschrieben 46 Eine gute Zusammenfassung über die örtliche und zeitliche Verteilung und die entsprechenden Schwerpunkte bietet H.-A. RUPPRECHT, Recht und Rechtsleben im ptolemäischen und römischen Ägypten. An der Schnittstelle griechischen und ägyptischen Rechts 332 a.C.–212 p.C., AAWLM.G 2011/8, Mainz/Stuttgart 2011, 4: Für die ptole-
mäische Zeit liegt das Schwergewicht im 3. Jh. v. Chr., für die römische im 2. und 3. Jh. n. Chr.; insgesamt ist die römische Zeit am stärksten belegt. 47 Siehe dazu P. ARZT-G RABNER, Philemon, PKNT 1, Göttingen 2003, 50–56 (mit Literaturangaben); ferner allgemein dazu und mit einem ausführlichen Beitrag zum Ver-
gleichswert lateinischer Papyri C. M. KREINECKER, 2. Thessaloniker, PKNT 3, Göttingen 2010, 19–31. 48
Vgl. RUPPRECHT, Recht (s. Anm. 46), 3f: von den über 50.000 bisher edierten dokumentarischen Papyri stammt der Großteil aus Ägypten, weitere bedeutende Funde stammen vom Toten Meer, aus dem Negev, aus Dura Europos und Apadana am Euphrat sowie aus Petra in Jordanien (siehe dazu auch ARZT-G RABNER, Philemon [s. Anm. 47], 50–52; ders. in DERS. / R. E. KRITZER u.a., 1. Korinther, PKNT 2, Göttingen 2006, 27 mit Anm. 3).
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wurden, sind nur deshalb erhalten geblieben, weil sie nach Ägypten adressiert waren und ihr Ziel in der Chora erreichten, 49 wo sie schließlich am Müllhaufen in der Wüste vorläufig ihr Ende fanden. Nur relativ wenige Dokumente wurden im Zuge archäologischer Ausgrabungen noch in den Häusern selbst vorgefunden (z.B. in Karanis im Faijum 50). Sogar innerhalb Ägyptens sind die örtlichen Gegebenheiten sehr unterschiedlich. Fast alle Fundstellen liegen im Niltal oder im Faijum; aus dem feuchteren Nildelta, wo auch Alexandria liegt, stammen verschwindend wenige Papyri. 51 Nur darin liegt der Grund, dass uns aus dem bedeutenden jüdischen Politeuma in Alexandria bisher kein einziger authentischer Text zur Verfügung steht, wohl aber vom weit unbedeutenderen Politeuma in Herakleopolis. Für einen weiteren Aspekt liefern die Politeuma-Papyri ein gutes Beispiel: Gerade in der Papyrologie können neue Funde oder Publikationen die Beweislage entscheidend verändern oder verbessern. Bis zur Veröffentlichung der Papyri aus Herakleopolis fehlten eindeutige Belege für jüdische Politeumata in der Chora. Dies ist nun entscheidend anders, und auch das Politeuma der Juden von Alexandria kann seither kaum noch in Frage gestellt werden. Die Arbeit mit den Papyri muss m.E. generell von zwei wesentlichen Einstellungen mitgetragen sein: von Genauigkeit und Bescheidenheit in den Aussagen und Auswertungen einerseits und andererseits von der Offenheit, dass sich mit dem nächsten edierten Papyrus (wieder) vieles, manchmal sogar alles ändern kann. Vor diesem Hintergrund möchte ich noch zwei neutestamentliche Texte auf ihren Aussagewert für die Bedeutung jüdischer Politeumata im 1. Jh. n. Chr. hin befragen.
49 Beispiele bei ARZT-G RABNER , Philemon (s. Anm. 47), 52; DERS., „Neither a Truant nor a Fugitive“: Some Remarks on the Sale of Slaves in Roman Egypt and Other Provinces, in: T. Gagos / A. Hyatt (Hg.), Proceedings of the Twenty-Fifth International Congress of Papyrology, Ann Arbor, July 29 – August 4, 2007, American Studies in Papyrology Special Edition, Ann Arbor 2010, 21–32. 50 Z.B. jene Papyri, die in Haus C167 in Karanis gefunden wurden, zum Archiv des Claudius Tiberianus gezählt werden und ins erste Viertel des 2. Jh. n. Chr. zu datieren sind (P.Mich. VIII 467–481; Ch.L.A. V 299; SB VI 9636); zu diesem Archiv siehe ausführlich S. STRASSI, L’archivio di Claudius Tiberianus da Karanis, APF. Beiheft 26, Berlin/New York 2008 (9f listet die Autorin weitere 15 unpublizierte Papyri aus diesem Haus). 51 In Alexandria wurde kein einziger Papyrus gefunden, im Delta wenige verkohlte Papyri. Bedeutend sind Papyri, die aus Mumienkartonage gewonnen werden. Vgl. z.B. RUPPRECHT, Recht (s. Anm. 46), 4.
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6. Mögliche Hinweise auf zeitgenössische Politeumata in neutestamentlichen Texten Wie die Überschrift andeutet, dienen Phil 3,20 und 1Kor 6,1–8 (bes. V. 1) in diesem Fall weniger als Vergleichstexte, die anhand des papyrologischen Materials interpretiert werden sollen, sondern ich suche in diesen Texten nach einem möglichen Reflex auf vormals oder noch aktuell bestehende Politeumata. 52 Dies ist deshalb berechtigt, weil – selbstverständlich – zahlreiche Texte des Neuen Testaments als Quellen für damalige soziale, religiöse und politische Verhältnisse nutzbar sind. 6.1. Phil 3,20 In Phil 3,20 schreibt Paulus: ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει, ἐξ οὗ καὶ σωτῆρα ἀπεκδεχόμεθα κύριον Ἰησοῦν Χριστόν (unser Politeuma ist in den Himmeln, von wo wir auch als Retter den Herrn Jesus Christus erwarten). Zu fragen ist nun, inwiefern dieser Text (übrigens der einzige Beleg für den Begriff πολίτευμα im NT) auf ein Politeuma in Philippi im 1. Jh. n. Chr. schließen lassen könnte. Philippi liegt in Makedonien an der Via Egnatia, der großen Handelsstraße, die Italien mit dem Osten verbunden hat. Unter den Römern erlangte der Ort im Jahre 42 v. Chr. Berühmtheit, als die Cäsarmörder Brutus und Cassius hier von Mark Anton und Octavian besiegt wurden. Unmittelbar nach der Schlacht wurde die Stadt römische Kolonie, allerdings keine reine Militärkolonie, sondern sie hatte in ihrer ländlichen Lage den Doppelcharakter einer Veteranen- und Bürgerkolonie, die den Namen Colonia Augusta Iulia Philippensis trug. Was unter einer derartigen Kolonie zu verstehen ist, fasst Winfried Elliger in der folgenden Beschreibung zusammen: „In ihrer kommunalen Organisation kopierten die römischen Kolonien mehr oder weniger die Mutterstadt. […] als die Ausbreitung der römischen Macht Gründungen auch außerhalb Italiens, zum Teil in beträchtlicher Entfernung, erforderlich machte, waren die Kolonien zwangsläufig selbstständige Gemeinwesen mit einer ausgeprägten Selbstverwaltung. […] Trotzdem blieb, vor allem im kultischen Bereich, der Zusammenhang mit Rom bestehen, das auch auf dem Gebiet der Selbstverwaltung das Modell abgab.“ 53 52 Damit unterscheidet sich dieses Kapitel grundsätzlich vom Beitrag von KarlHeinrich Ostmeyer in diesem Band, der danach fragt, ob und inwieweit die PoliteumaPapyri einen direkten Beitrag zum Verständnis neutestamentlicher Texte leisten. 53 W. E LLIGER , Mit Paulus unterwegs in Griechenland. Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth, Stuttgart 2007, 38f. Zum kulturell und religiös ganz deutlich römisch geprägten Charakter der Stadt siehe auch P. P ILHOFER, Antiochien und Philippi. Zwei römische Kolonien auf dem Weg des Paulus nach Spanien, in: DERS., Die frühen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufsätze 1996–2001. Mit Beiträgen von Jens Börstinghaus und Eva Ebel, WUNT 145, Tübingen 2002, 154–165: 158–164.
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Anhand einer großen Anzahl von Inschriften aus Philippi konnte Peter Pilhofer feststellen, dass zahlreiche Einwohner der Stadt als römische Bürger (cives Romani) in der tribus Voltinia eingeschrieben waren, zu der neben den Bürgern von Philippi auch noch solche aus Aquae Sextiae, Nemausus und anderen Städten gehörten. 54 Von diesem Befund her deutet Pilhofer den in Phil 3,20 erwähnten Begriff πολίτευμα – als die eine Möglichkeit – im Sinne des Bürgerrechts dieser Bevölkerungsgruppe und meint: „Ist die Bedeutung πολίτευμα = Bürgerrecht zutreffend, dann kann man die folgende Parallele zwischen dem römischen und dem christlichen πολίτευμα ziehen: […] Wie in der politischen Sphäre nicht nur die cives Romani aus Philippi in der tribus Voltinia eingeschrieben sind, sondern auch die cives Romani aus Aquae Sextiae, aus Nemausus und vielen anderen Städten, so verhält es sich mutatis mutandis auch bei den Christen: Nicht nur die Christen aus Philippi besitzen das himmlische Bürgerrecht, sondern auch die Christen in Thessaloniki und in Korinth und in vielen anderen Städten. Umgekehrt bilden die römischen Bürger in Aquae Sextiae, in Nemausus, in Philippi usw. eine Gruppe sui generis, wie die Christen ihrerseits in Korinth, in Thessaloniki, in Philippi usw. eine ganz besondere Gruppe innerhalb der Bevölkerung bilden: Wie die römischen Bürger durch ihre Zugehörigkeit zur tribus Voltinia vor den übrigen Bewohnern ausgezeichnet sind, so die Christen durch ihre Zugehörigkeit zum himmlischen πολίτευμα.“ 55
Aufgrund der Politeuma-Papyri und des Claudius-Briefes erweist sich diese Deutung aber nun als unwahrscheinlich oder sogar unmöglich. Die Politeuma-Papyri aus Herakleopolis erlauben eine klare Definition, Beschreibung und Abgrenzung dessen, was unter einem Politeuma zu verstehen ist. Der Claudius-Brief zeigt in diesem Kontext deutlich, dass ein Politeuma eben gerade nicht mit dem römischen Bürgerrecht gleichgesetzt werden kann. Ein anderer Deutungshintergrund des πολίτευμα von Phil 3,20 erfährt durch die Papyri aus Herakleopolis und die anderen vorhin erwähnten dokumentarischen Papyri und Inschriften eine deutliche Bestätigung: „die mit dem Stichwort πολίτευμα verbundene Sozialgestalt jüdischer Diasporagemeinden“, wie dies Karl-Wilhelm Niebuhr ausgedrückt hat. 56 In der Forschung herrscht weitgehend Konsens darüber, dass die Gegnerschaft des Paulus in Philippi jüdischen Ursprungs ist. 57 Diese Einschätzung teilt auch 54 Siehe P. P ILHOFER , Philippi, Bd. 1: Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tübingen 1995; Bd. 2: Katalog der Inschriften, WUNT 119, Tübingen 2000. 55 P ILHOFER , Philippi I (s. Anm. 54), 130f. 56 K.-W. N IEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 102. Im Falle von Phil 3,20 gegen eine solche Deutung SCHINKEL, Bürgerschaft (s. Anm. 24), 65–67, der auch trotz Kenntnis der Politeuma-Papyri die Existenz weiterer jüdischer Politeumata neben den belegten in Oberägypten und in der Cyrenaica für fraglich bis unwahrscheinlich hält. 57 So z.B. N IEBUHR, Heidenapostel (s. Anm. 56), 88; G. K LEIN, Antipaulinismus in Philippi. Eine Problemskizze, in: D.-A. Koch (Hg.), Jesu Rede von Gott und ihre Nach-
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Peter Pilhofer 58 und sieht – als zweite Deutungsmöglichkeit für Phil 3,20 – im irdischen Politeuma, das dem Politeuma der Christen in den Himmeln als zu konstatierendes gegenübersteht, das Politeuma der Juden repräsentiert, dessen Attraktivität nach Pilhofer für Christen an sich auf der Hand liegt: „Es bietet eine staatlich anerkannte Alternative zur römischen Daseinform. Und dies unterscheidet dieses πολίτευμα von dem christlichen, im Hinblick auf welches von einer staatlichen Anerkennung im ersten Jahrhundert keine Rede sein kann.“ 59 Dies mag grundsätzlich richtig sein. Ich denke, dass die Papyri in diesem Punkt zwei Aspekte verdeutlichen können: 1. Das jüdische Politeuma ist als reale und einflussreiche Größe zu betrachten und keineswegs als womöglich bloß ideeller Hintergrund. 2. Ein irdisches Politeuma der christlichen Gemeinde wäre für Paulus wohl auch deshalb nicht erstrebenswert, weil es eben keine Vollbürgerschaft bedeuten würde. Dieser Aspekt wurde meines Wissens in der Diskussion noch nicht gesehen, 60 wird aber durch die Politeuma-Papyri (im Zusammenhang mit dem Claudius-Brief) deutlich. In einem überirdischen Politeuma hingegen sind die Unterschiede zwischen Bürgerrecht und Politeuma wohl als aufgehoben zu denken. 6.2. 1Kor 6,1–8 Als Paulus nach Korinth kommt, betritt er eine römische Kolonie, die 44 v. Chr. als Colonia Laus Iulia Corinthiensis neu gegründet worden war und mittlerweile (seit 27 v. Chr.) als Hauptstadt der neuen Provinz Achaia mit Sitz eines römischen Präfekten besteht. Neben italischen Siedlern, meist Freigelassenen, lockte die schnell wieder aufblühende Wirtschaft viele Griechen und viele Ausländer in die Stadt, darunter auch Juden. Der Türsturz mit der Inschrift [ΣΥΝ]ΑΓΩΓΗ ΗΒΡ[ΑΙΩΝ] (Synagoge der Hebräer; s. Anhang Abb. 4) dürfte zwar erst ins 2. oder 3. Jh. n. Chr. zu datieren sein, 61 kann aber dennoch als späteres archäologisches Zeugnis für ein seit längerer Zeit bestehendes starkes Judentum in der Stadt gelesen werden. geschichte im frühen Christentum. Beiträge zur Verkündigung Jesu und zum Kerygma der Kirche (FS Willi Marxsen), Gütersloh 1989, 297–313: 304. 58 Siehe P ILHOFER , Philippi I (s. Anm. 54), 132. 59 P ILHOFER , Philippi I (s. Anm. 54), 132f. 60 J. P. W ARE, The Mission of the Church in Paul’s Letter to the Philippians in the Context of Ancient Judaism, NT.S 120, Leiden/Boston 2005, 218f, z.B. setzt hier πολίτευμα mit Polis gleich und sieht die Christen von Philippi als „citizens under the lordship of Christ“ (kursiv von mir, P.A.-G.). 61 E LLIGER , Paulus (s. Anm. 53), 194, hält das 2. Jh. für „die frühestmögliche Datierung“.
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Über das Stichwort κρίνω, das Paulus innerhalb des Abschnitts 1Kor 5– 6 erstmals in 5,4 einführt und dann in 5,12f wieder aufgreift und weiter ausführt, kommt er auf einen weiteren Missstand innerhalb der Gemeinde zu sprechen, bevor er sich davon ausgehend ab 6,9 wieder der Problematik der πορνεία zuwendet. Offenbar gibt es Mitglieder, die ein πρᾶγμα gegeneinander haben und nicht bereit sind, selbst eine Lösung zu suchen, sondern sich diese von einem Prozess vor Heiden erwarten. Hier verwendet Paulus die Begriffe κρίνειν, κρίνεσθαι und κριτήριον – also Ausdrücke, die uns auch in den Politeuma-Papyri aus Herakleopolis begegnen und aus der ptolemäischen Beamtenjustiz bekannt sind (siehe oben). Die traditionelle Auslegung versteht die Wendung πρᾶγμα ἔχων πρός τὸν ἕτερον im Sinne von „einen Prozess mit jemandem haben“. 62 In den Papyri weist πρᾶγμα ἔχω mehrere Bedeutungsnuancen auf. Das zunächst neutral aufzufassende πρᾶγμα („Sache, Angelegenheit“) erhält durch den Zusatz πρός τινα ἔχειν eine feindliche Konnotation; je nach Kontext hat es dann die Bedeutung „Streit“ (zwischen zwei oder mehreren Parteien) oder es bezeichnet bereits einen „rechtlichen Fall“ oder den „Prozess“. 63 Die Beispiele zeigen, dass es vom Kontext abhängt, welche Bedeutung πρᾶγμα innerhalb der untersuchten Wendung hat. Von einem „Prozess“ ist hier bei Paulus – im Gegensatz zur erwähnten traditionellen Auslegung – noch nicht die Rede. Mit der Partizipialkonstrution πρᾶγμα ἔχων πρὸς τὸν ἕτερον wird lediglich jemand beschrieben, der einen Streit mit dem anderen hat. Im Zentrum der Kritik steht erst, dass er sich die Durchsetzung seiner Ansprüche nicht bei „den Heiligen“, sondern bei „den Ungerechten“ erstreiten will. Eva Ebel nimmt als Hintergrund für die Paulusstelle die vereinsinterne Gerichtsbarkeit an 64 und zieht dafür epigraphisches Material, insbesondere die Statuten der Athener Iobakchen, heran. Sie versucht damit, die Problematik aus Sicht der heidenchristlichen Gemeindemitglieder zu thematisieren, stellt dabei aber den „Konsens“ über den jüdischen Hintergrund der paulinischen Anweisung nicht in Frage. Den Athener Iokbachen jedenfalls war es bei vereinsinternen Vergehen dezidiert verboten, vor ein öffentliches Gericht zu gehen. Wie die Paulusstelle freilich zeigt, reichte die Ahn62 Vgl. z.B. J. WEISS, Der erste Korintherbrief, KEK 5, Göttingen 1970 (Neudruck der 9. Aufl. 1910), 146 Anm. 1; H. CONZELMANN, Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 121981, 131 Anm. 1 (beide mit Verweis auf P.Oxy. IV 743,19); W. SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther, 1. Teilband: 1Kor 1,1–6,11, EKK 7/1, Zürich/Braunschweig/Neukirchen-Vluyn 1991, 406 Anm. 23. 63 Siehe die von Ruth Elisabeth Kritzer und Peter Arzt-Grabner gesammelten Belege in P. ARZT-GRABNER / R. E. KRITZER U.A., 1. Korinther, PKNT 2, Göttingen 2006, 198f. 64 E. EBEL, Die Attraktivität früher christlicher Gemeinden. Die Gemeinde von Korinth im Spiegel griechisch-römischer Vereine, WUNT II/178, Tübingen 2004, 180–203.
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dung von Vergehen christlicher Gemeindemitglieder weit über Vereinsinterna hinaus. So meint Ebel: „Die Konsequenzen des Christseins sind unter dieser Voraussetzung in Bereichen des täglichen Lebens zu spüren, die oberflächlich betrachtet davon unberührt scheinen. Sobald eine Christin oder ein Christ in irgendeiner Form mit einer Mitchristin oder einem Mitchristen zu tun hat, muss sie oder er sich für eventuelles Fehlverhalten vor der christlichen Gemeinschaft bzw. den von dieser eingesetzten Personen verantworten.“ 65
In unserem papyrologischen Kommentar zum 1. Korintherbrief haben sich Ruth Elisabeth Kritzer und ich aufgrund vergleichbarer Vereinspapyri der Deutung von Eva Ebel angeschlossen. 66 Denn auch in Vereinssatzungen, die durch Papyri auf uns gekommen sind, wird bisweilen das Verbot festgeschrieben, bei vereinsinternen Vergehen vor ein öffentliches Gericht zu gehen. 67 Aufgrund der Politeuma-Papyri sehe ich für 1Kor 6,1–8 aber auch die Möglichkeit, hier – wenigstens im Vergleich – an die Sondergerichtsbarkeit eines Politeuma als Vorbild zu denken. Freilich kommt dafür nicht ein vielleicht tatsächlich noch existierendes Politeuma der Juden von Korinth in Frage (die Auseinandersetzungen mit jüdischen Gruppierungen, die Paulus in dieser Stadt auszuhalten hatte, schließen dieses als Vorbild aus), doch erfährt die indirekte Aufforderung des Paulus, Rechtsverwirklichung nicht von römischen Beamten zu erwarten, sondern durch die eigenen Leute, von den Politeuma-Papyri her einen sachlichen Vorstellungshintergrund, den für den Juden Paulus insbesondere ein jüdisches Politeuma in Korinth geboten haben könnte. Freilich ist eine solche Vermutung nur als relativ schwacher und von 1Kor 6,1–8 her nur als möglicher und ganz indirekter Hinweis auf ein jüdisches Politeuma in Korinth zu werten, aber immerhin ist ein solches für die Zeit des Paulus und davor nicht auszuschließen. Dass Paulus letzten Endes auch eine solche, eher nur gedanklich durchgespielte, Lösung nicht als die ideale ansieht, sondern es den Gemeindemitgliedern als Missstand vor Augen hält, dass sie überhaupt κρίματα miteinander haben (1Kor 6,7), mag vielleicht – als ein Mosaikstein – auch darin begründet sein, dass die tatsächliche Anerkennung eines Politeuma der paulinischen Gemeinde reine Utopie gewesen wäre, oder vielleicht 65 66
EBEL, Attraktivität (s. Anm. 64), 202f. Vgl. Ruth Elisabeth Kritzer und Peter Arzt-Grabner in ARZT-GRABNER/KRITZER u.a., 1. Korinther (s. Anm. 63), 199. 67 Zu verweisen ist z.B. auf P.Mich. V 243 (14–37 n. Chr.), wo – ähnlich wie bei den Athener Iobakchen (griechischer Text bei EBEL, Attraktivität [s. Anm. 64], 87–92) – Vergehen und das jeweilige, durch den Präsidenten einzufordernde Strafmaß aufgelistet sind. Ebel verweist diesbezüglich auf M. SAN N ICOLÒ, Zur Vereinsgerichtsbarkeit im hellenistischen Ägypten, in: ΕΠΙΤΥΜΒΙΟΝ (FS H. Swoboda), Reichenberg 1927, 255– 300.
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darin, dass Politeumata generell zu dieser Zeit den Zenit ihrer Attraktivität und Bedeutung überschritten hatten und als strukturelle Vorlage für die – sich erst in mehreren Schritten als christlich konstituierenden – Paulusgemeinden nicht als besonders erstrebenswert erschienen. So mögen beide Paulusstellen (Phil 3,20 und 1Kor 6,1–8) als Hinweise darauf gesehen werden, dass einerseits die Bedeutung eines Politeuma in neutestamentlicher Zeit zwar noch allgemein geläufig war, dass andererseits ein Politeuma aber eine Art Auslaufmodell darstellte und für neu aufkommende soziale Gebilde wie eine Paulusgemeinde kein anzustrebendes Strukturmodell mehr darstellte. 68
7. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die Papyri des Politeuma der Juden von Herakleopolis in Ägypten haben unser Wissen über Ursprung, Struktur und Bedeutung dieser Einrichtung der hellenistischen und römischen Zeit ganz wesentlich erweitert und um zahlreiche bisher unbekannte Details vermehrt. Insgesamt sind die Belege für jüdische Politeumata (und Politeumata insgesamt) nicht sehr zahlreich, wenngleich weit verstreut. Papyri und Inschriften belegen derartige Organisationen neben Herakleopolis auch für Leontopolis und zwei weitere Orte in Ägpyten (bei einem handelt es sich vermutlich um Oxyrhyncha im Faijum) sowie für Berenike in der Cyrenaica. An einem Politeuma der Juden von Alexandria ist nicht mehr zu zweifeln. Auch Textabschnitte der Paulusbriefe könnten indirekt darauf hinweisen, dass noch während der Zeit des Apostels (jüdische) Politeumata in Philippi und Korinth, vielleicht auch in anderen Orten, existierten. Jedenfalls ist in dieser Zeit noch mit einem – sowohl nach innen als auch nach außen – gut organisierten Judentum zu rechnen. In der hellenistischen und römischen Verwaltung spielten Politeumata offensichtlich keine bedeutende Rolle, für die Eigenständigkeit und die kulturellen und religiösen Traditionen ihrer Angehörigen waren sie aber offensichtlich äußerst erstrebenswert und wichtig.
68 Andernfalls stünden an der Spitze der heutigen christlichen Gemeinden wahrscheinlich nicht „Priester“, „Pastoren“ und „Bischöfe“, sondern „Archonten“ und „Politarchen“ oder „Ethnarchen“.
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8. Anhang
Abb. 1: P.Polit.Jud. 4 (P.Heid.Inv. G 4931, © Institut für Papyrologie, Universität Heidelberg)
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Abb. 2: P.Polit.Jud. 6 (P.Köln Inv. 21046, © Papyrussammlung, Universität zu Köln)
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Abb. 3: P.Polit.Jud. 18 (P.Vindob. G 577000, © Papyrussammlung Erzherzog Rainer, Österreichische Nationalbibiothek, Wien)
Abb. 4: Türsturz mit Inschrift [ΣΥΝ]ΑΓΩΓΗ ΗΒΡ[ΑΙΩΝ] (Synagoge der Hebräer, Korinth, 2. oder 3. Jh. n. Chr.; © Peter Arzt-Grabner)
Politeuma im Neuen Testament und die Politeuma-Papyri von Herakleopolis 1 KARL-HEINRICH OSTMEYER
1. Problemstellung Im Neuen Testament begegnet ein einziger Beleg für πολίτευμα (Phil 3,20). Über eine treffende Übersetzung wurde bislang in Kommentaren 2 und Bibelausgaben 3 kein Konsens erzielt. Auch die einzige Septuagintastelle (2Makk 12,7) und die Belege bei Josephus 4 und Philo 5 ergeben kein einheitliches Bild. 1
Die nachstehende Untersuchung basiert auf einem Korreferat, gehalten zu dem Hauptvortrag von Herrn Prof. Dr. Peter Arzt-Grabner in Wittenberg am 14. Januar 2011. Ihm danke ich für förderliche Gespräche und hilfreiche Hinweise. 2 P. E WALD, Der Brief des Paulus an die Philipper, 3. durchges. u. verm. Aufl. besorgt von Gustav Wohlenberg, KNT XI, Leipzig 1917, 208: „das Staatswesen, das Gemeinwesen“; A. SCHLATTER, Erläuterungen zum Neuen Testament, 2. Band, Die Briefe des Paulus, Stuttgart 1928, 96: „Unsere Gemeinde, in der wir das Bürgerrecht haben“; E. LOHMEYER, Der Brief an die Philipper, KEK IX, 9. nach dem Handexemplar des Verfassers durchgesehene Aufl., Göttingen 1953, 150, und G. FRIEDRICH, Die kleineren Briefe des Paulus, NTD VIII, 11. durchges. Aufl., Göttingen 1965, 121: „Heimat“; H. STRATHMANN, πόλις κτλ., ThWNT VI (1959/1965), 516–535, 535: „Gemeinwesen“, „Heimat“; G. B ARTH, Der Brief an die Philipper, ZüBK NT IX, Zürich 1979, 66: „Staat“; U. B. MÜLLER, Der Brief des Paulus an die Philipper, ThHK XI/1, Leipzig 1993, 173: „Staat“ und a.a.O. 180: „himmlische ‚Bürgerschaft‘ in der Welt“; N. W ALTER u.a., Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon, NTD VIII/2, Göttingen 1998, 84: „Heimatrecht“ und a.a.O. 86: „Status als Bürger“, „himmlische Bürgerschaftsliste“. 3 Bibelübersetzungen: Luther (bis zu den auf der Revision von 1912 fußenden Ausgaben): „Wandel“; alte Elberfelder-Übersetzung (basierend auf der Revision von 1905): „Bürgertum“; revidierte Lutherbibel (Revision von 1984), revidierte Elberfelder Übersetzung (Revision von 1993), BasisBibel. Das Neue Testament, Stuttgart 2010: „Bürgerrecht“; Einheitsübersetzung, Stuttgart 1980 und Zürcher Bibel, Zürich 2009: „Heimat“; Münchener Neues Testament. Studienübersetzung, 5. durchges. u. neu bearb. Aufl., Ostfildern 1998: „Bürgerschaft“; Das Neue Testament, übers. u. komm. v. Ulrich Wilckens, Köln/Zürich 1970: „Staat“; Neues Testament, Neue Genfer Übersetzung, Romanel-surLausanne 22009: „Wir sind Bürger“. 4 Josephus Ant I 5.13; XI 157; XII 108; Ap II 145.165(2x).184.251.258.
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Im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung steht die Frage, ob und inwieweit die vor etwa einem Jahrzehnt veröffentlichten Politeuma-Papyri 6 aus Herakleopolis 7 einen Beitrag zum Verständnis von Phil 3,20 leisten. Darüber hinaus ist zu analysieren, an welchen weiteren neutestamentlichen Stellen möglicherweise die Vorstellung von einem Politeuma im Hintergrund stand, ohne mit dem Terminus benannt worden zu sein (z.B. 1Kor 6,1–11).
2. Politeumata in der Umwelt des Neuen Testaments 2.1. Zum Bedeutungsspektrum von πολίτευμα Die Vorstellungen, die sich mit dem griechischen Terminus Politeuma verbinden, sind nicht mit einem einzigen deutschen Begriff zu erfassen. 8 Charakteristisch, insbesondere mit Blick auf die Politeuma-Papyri von Herakleopolis, ist das Verständnis von πολίτευμα als einer landsmannschaftlichen Verbindung. 9 Während im paganen Schrifttum das Verb πολιτεύω oder πολιτεύομαι für „Bürger sein“ oder „als Bürger leben“ steht, wird das Verb 10 in den
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Opif 143; Agr 81; Conf 109; Jos 69; SpecLeg II 45; Hypoth 1. Die apostolischen Väter kommen ohne die Verwendung des Terminus aus. 6 Urkunden des Politeuma der Juden von Herakleopolis (144/3–133/2 v. Chr.) (P.Polit.Jud.). Papyri aus den Sammlungen von Heidelberg, Köln, München und Wien, bearbeitet von J. M. S. COWEY / K. MARESCH, Papyrologica Coloniensia XXIX, Köln 2001. Bis zur Entdeckung der πολίτευμα-Urkunden von Herakleopolis wurde die Existenz jüdischer πολιτεύματα in Ägypten generell in Zweifel gezogen, vgl. a.a.O. 2.4. 7 Herakleopolis liegt am „Westufer des Nils im Eingangsbereich des Fajjum“ (S. J. SEIDLMAYER, Herakleopolis magna, DNP 5 [1998], 387); COWEY/MARESCH, Urkunden (s. Anm. 6), 2 Anm. 2, erwähnen, dass einige mittelalterliche arabische Autoren die in der 19. Sure des Korans genannte Palme der Maria und den Geburtsort Jesu in Herakleopolis verorten. 8 E. ZIEBARTH, Πολίτευμα, PRE XXI/2, 1401f: „Die literarischen und die inschriftlichen Belege lassen als Bedeutungen erkennen: politische Handlungen, Grundsätze der politischen Betätigung, Regierungsform, Staatsgewalt und Regierung, Staatswesen, Verfassungsform […], ein Militärverein mit halboffizieller Stellung.“ Vgl. die oben (Anm. 2 und 3) genannten Übersetzungsvorschläge zu Phil 3,20. 9 G. T HÜR , Politeuma, DNP 10 (2001), 27: Politeuma bezeichnet „speziell im Seleukidenreich und im ptolem. Ägypten landsmannschaftliche Zusammenschlüsse mit teilweiser Selbstverwaltung und eigener Gerichtsbarkeit [… und später] eine Standesgruppe der bevorzugten Bevölkerungsschicht“; vgl. COWEY/MARESCH, Urkunden (s. Anm. 6), 6f. 10 Die mediale Form ist gebräuchlicher; in den Apokryphen begegnet als aktivische Form in 4Makk 4,19 ἐκπολιτεύω.
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alttestamentlichen Apokryphen, 11 den Pseudepigraphen, 12 im Neuen Testament 13 und in anderen frühchristlichen Texten 14 meist im ethisch-religiösen Sinne für „Leben führen“, „handeln“ und „wandeln“ gebraucht. 15 So spricht der Diognetbrief 16 von einem Wandeln im Himmel. 17 Paulus mahnt in Phil 1,27 zu einem des Evangeliums Christi würdigen Lebenswandel und laut Apg 23,1 verteidigt sich Paulus vor dem Hohen Rat mit dem Verweis darauf, dass er bisher vor Gott mit gutem Gewissen gewandelt ist. 18 Der Gebrauch von πολιτεύομαι im ethisch-religiösen Sinne in Phil 1,27 mag u.a. Martin Luther 19 dazu bewogen haben, πολίτευμα in Phil 3,20 als die dazu gehörige Substantivierung zu verstehen 20 und mit „Wandel“ wieder zu geben. 21
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Esth 8,12p; 2Makk 6,1; 11,25; 3Makk 3,4; 4Makk 2,8.23; 4,19.23; 5,16. EpArist §31. Act 23,1; Phil 1,27. 1Clem 3,4; 6,1; 21,1; 44,6; 51,2; 54,4; Diogn 5,9; 10,7; HermSim V 6,6; Polyk 5,2; MartPolyk 22,2; 23,1. 15 STRATHMANN, πόλις (s. Anm. 2), 526; Josephi Gebrauch changiert zwischen den beiden Möglichkeiten; vgl. a.a.O. 526f. 16 K. W ENGST, Schriften des Urchristentums. Zweiter Teil. Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, zweiter Klemensbrief, Schrift an Diognet, Darmstadt 1984, 309, schlägt vor, die Abfassung des Diognetbriefes zwischen dem „Ende des zweiten Jahrhunderts […] und vor der Zeit Konstantins“ zu verorten. 17 Diogn 5,9: ἐν οὐρανῷ πολιτεύονται. W ENGST, Schriften (s. Anm. 16), 321, übersetzt πολιτεύομαι mit „Bürger sein“. Der engere ethische Kontext und die Gegenüberstellung zu Praktiken, denen Christen nicht nachgehen, legen es nahe, dabei das sittliche Handeln mit zu bedenken. 18 STRATHMANN, πόλις (s. Anm. 2), 526: „Weil die Zugehörigkeit zu dieser [jüdischen] Gemeinschaft im gesamten Verhalten zutage tritt, darum nehmen diese Begriffe die Bdtg Wandel an. Es handelt sich hierbei tatsächlich um ein Spezifikum des hell-jüd Sprachgebrauchs, das sich auch bei Aristeas u Jos findet u sogar inschriftlich […] bezeugt ist“; vgl. a.a.O. 534. 19 So auch die Übersetzungen der Lutherbibel bis zur Revision von 1912 (einschließlich). 20 STRATHMANN, πόλις (s. Anm. 2), 519: „Die Substantive auf -μα bezeichnen meistens das Ergebnis einer Handlung. [… Politeuma] ist demnach zunächst das Ergebnis des πολιτεύεσθαι.“ 21 LOHMEYER , Brief (s. Anm. 2), 157f: So „scheint auch dieses Wort den Sinn von Lebensführung enthalten zu müssen; es würde dann die Norm der Gemeinschaft und den ihr entsprechenden ‚Wandel‘ bedeuten.“ Dagegen W ALTER, Briefe (s. Anm. 2), 86: „Weniger wahrscheinlich ist der ‚dem bürgerlichen Status gemäße Lebenswandel im Himmel‘ gemeint (das setzt Luthers Übersetzung voraus); manche sehen darin dann einen Anklang an das entsprechende Verb in Phil 1,27; aber eine Anspielung auf eine Ansiedelung und entsprechenden ‚Lebenswandel‘ ‚im Himmel‘ ist dort ja gerade nicht im Blick.“
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2.2. Politeuma in der jüdisch geprägten Literatur In seiner Schrift „Contra Apionem“ kategorisiert Josephus grundlegende Staatsformen (Monarchie, Oligarchie, Republik) und bezeichnet sie als Politeumata. 22 Von ihnen grenzt er das jüdische Volk aufgrund seines besonderen Politeumas ab: Die Juden hätten eine „Theokratie“ als ihr Politeuma. 23 Wie das himmlische Politeuma in Phil 3,20 gehört auch das Politeuma der Juden bei Josephus (Ap II 165) unmittelbar dem Herrschaftsbereich Gottes an. Doch im Unterschied zu Paulus handelt es sich bei Josephus um ein irdisches Gemeinwesen. Die meisten anderen Belege bei Josephus stehen unspezifisch für „Regierung“, „Verfassung“ oder „Bürgerschaft“. Philo von Alexandria bezeichnet mit Politeuma das archetypische Staatswesen (mehrfach verbunden mit „Weltordnung“ oder „Weltbürgertum“) 24 oder die Zugehörigkeit zu einer idealen Gemeinschaft (Philo Agr 81). Irdisch reale Staaten interessieren Philo nicht. Philo gebraucht das Wort weder expressis verbis in der „Legatio ad Gaium“ noch in seiner Schrift „In Flaccum“, d.h. gerade in den Texten, in denen es dezidiert um die politischen und religiösen Rechte der jüdischen Bevölkerungsgruppe in Alexandria geht. Der Aristeasbrief dagegen hat die reale jüdische Volksgruppe in Alexandria vor Augen. 25 In 2Makk 12,7 steht Politeuma für die Einwohnerschaft der Stadt Joppe, die Judas Makkabäus einer Strafaktion zu unterziehen beabsichtigt. 2.3. Das real existierende jüdische Politeuma in Herakleopolis Die Existenz eines jüdischen Politeumas in Herakleopolis und wohl auch andernorts auf dem Gebiete des römischen Reiches steht für eine begrenzte Autonomie der jüdischen Gemeinschaft unter dem Dach der staatlichen Oberherrschaft. 26 Diese teilautonomen Gruppierungen bilden kein Gegenüber zum Staat, sondern sind in das Staatsgefüge eingebunden. Wie die Papyri aus Herakleopolis belegen, verfügte die jüdische Gemeinde über Entscheidungsbefugnisse betreffs eigener Belange. 27 Staatliche Gerichte verstanden die Gerichtsbarkeit der Politeumata als untere In22 23
Josephus Ap II 164–166. EWALD/W OHLENBERG, Brief (s. Anm. 2), 210, greifen den Terminus „Theokratie“ auf und erklären, in dieser Weise würde das von Christus herbeigeführte Gemeinwesen von denen missverstanden, die nur auf Irdisches sinnen (vgl. Phil 3,19). 24 Philo Opif 143; Jos 69; SpecLeg II 45. 25 EpArist §310. 26 COWEY/M ARESCH, Urkunden (s. Anm. 6), 26. 27 A.a.O. 12f.
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stanz des eigenen Rechtswesens, an die auch Fälle (zurück) verwiesen wurden (vgl. Lk 23,7; Joh 18,31). 28 Eine vergleichbare Teilautonomie ist für christliche Gemeinden in neutestamentlicher Zeit nicht vorstellbar. In den ersten Jahrzehnten des sich entwickelnden Christentums war der Bruch mit den jüdischen Gemeinden noch nicht vollzogen. D.h., sofern in einer Stadt ein jüdisches Politeuma existierte, hatten die Christen jüdischer Herkunft weiter daran teil. Ein eigenständiges christliches Politeuma hatte keine Aussicht, sich innerstaatlich zu etablieren. 29 Die Politeuma-Papyri und der Claudius-Brief an die Alexandriner aus dem Jahre 41 n. Chr. 30 verdeutlichen, dass die Zugehörigkeit zu einem Politeuma in keiner Weise mit einer Vollbürgerschaft vergleichbar ist, es sich also nur um einen Status zweiter Klasse handelte. 31
3. Politeuma und Neues Testament 3.1. πολίτευμα in Phil 3,20 Paulus spricht in Phil 3,20 von einem himmlischen Politeuma. Die Politeuma-Papyri von Herakleopolis bezeugen ein irdisches, jüdisches Politeuma. Aufgrund der Verbindung mit Christus, der – einmalig in den unumstrittenen Paulusbriefen – als σωτήρ 32 beschrieben wird, erhält das in Phil 3,20a benannte πολίτευμα als Bereich des Heils eine uneingeschränkt positive Konnotation. Die Himmel (οὐρανοί) als Ort des πολίτευμα sind in Phil 3,20a weniger lokal denn als qualifizierend zu verstehen. „Himmel“ als Ausgangsort der Wiederkunft Christi (Phil 3,20b) steht adversativ zu „irdisch“ (3,19b; τὰ ἐπίγεια). Durch diese Polarisierung erhält jedes Wort und Phänomen ohne Christusbindung ein negatives Vorzeichen: Das Irdische und damit auch ein etwaiges innerweltliches Poli28 29
A.a.O. 17. D.h., Phil 3,20 richtet sich nicht gegen christliche Gruppen, die ein eigenes πολίτευμα analog zu einem jüdischen anstrebten. 30 P.Lond. 1912 (C.Pap.Jud. I 153). 31 Vgl. J. ZANGENBERG, Fragile Vielfalt. Beobachtungen zur Sozialgeschichte Alexandrias in hellenistisch-römischer Zeit, BN.NF 147 (2010), 118; M. T ILLY, Das ägyptische Judentum von der römischen Annexion bis zum Partherkrieg Trajans, in: W. Pratscher u.a. (Hg.), Das ägyptische Christentum im 2. Jahrhundert, SNTU.NF VI, Wien/ Berlin 2008, 45–58, 53f. Auf der Basis der Politeuma-Papyri von Herakleopolis ist nicht erkennbar, dass die Angehörigen des Politeumas ihren Status selbst als zweitrangig empfunden haben. 32 Retter, Phil 3,20b.
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teuma 33 zählt zu dem von Christen überwundenen Fleischlichen (ἐν σαρκί, Phil 3,3f) und gehört dem Bereich der Verwerfung an. 34 Wer etwas losgelöst von Christus als werthaftig einschätzt, macht es zu einem Gott (vgl. Phil 3,19b), 35 und es gereicht ihm zur Schande (ἐν αἰσχύνῃ, Phil 3,19c). Gut und erstrebenswert ist demgegenüber alles, was an Christus 36 und seinen Herrschaftsbereich (ἐν οὐρανοῖς, Phil 3,20a) gebunden ist. Pauli detaillierte Aufzählung wichtiger Charakteristika für eine Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft in Phil 3,5 37 lässt darauf schließen, dass sich Judenchristen in der griechischen Stadt Philippi gegenüber Heidenchristen mit ihrer Zugehörigkeit zum Volk Israel brüsteten. Paulus argumentiert, er selbst verfüge in überreichem Maße über diese Qualitäten, rühme sich ihrer aber nicht (Phil 3,4), sondern er rühme sich allein Christi Jesu (Phil 3,3). Eine Parallele findet sich in der paulinischen „Narrenrede“ in 2Kor 11,18.21b–33. 38 Paulus verzichtet darauf, in Phil 3,3–6 hinzuzufügen, dass andere darauf stolz sein mögen, einem πολίτευμα anzugehören, dass er selbst aber (laut Apg 22,26–28) römischer Bürger ist und das nicht erst durch Erwerb, sondern von Geburt. In Aufnahme von Einzelelementen aus Phil 3,5 hätte Paulus in Phil 3,20 statt von πολίτευμα davon sprechen können, dass die wahre περιτομή (Beschneidung), 39 das wahre γένος (Volk) oder die wahre φυλή (Stamm) sich in den Himmeln (ἐν οὐρανοῖς) befinde. Er verwendet mit πολίτευμα jedoch einen Begriff, der zum einen die zuvor genannten Komponenten mit um-
33 Für die Existenz realer jüdischer Politeumata in Philippi oder Korinth zu Lebzeiten des Paulus liegen keine gesicherten Belege vor. 34 Phil 3,20a: „Es befindet sich in den Himmeln“, ἐν οὐρανοῖς ὐπάρχει. LOHMEYER (s. Anm. 2), 156: Paulus „spricht von dem ‚Himmlischen‘, das in unüberbrückbarem Gegensatz zum Irdischen steht […]. Darum steht auch ein ‚unser‘ mit aller Schärfe voran.“ 35 In Phil 3,19b urteilt Paulus über seine Gegner, ihr Gott sei der Bauch (ἡ κοιλία). MÜLLER, Brief (s. Anm. 2), 178, benennt die Parallele zu Phil 3,8: „Zu fragen ist allerdings, warum Paulus zu dieser Überspitzung kommt. Dabei hat die Vermutung einiges für sich, daß ein enger Wortfeldbezug zu σκύβαλα besteht (3,8), da κοιλία das menschliche Ausscheidungsorgan bezeichnen kann (vgl. Mark. 7,19). Das würde dann für 3,19 heißen: Was die Gegner in ihrer Gotteserkenntnis für höchsten Gewinn halten, das jüdische Gesetz, ist um der Erkenntnis Christi willen für Kot zu erachten; sie dienen deshalb nicht Gott, wie sie meinen, sondern ihrem After.“ 36 ἐν Χριστῷ, Phil 3,3.9.14; ἐν κυρίῳ, Phil 3,1. 37 Leibliche Beschneidung, Herkunft als Israelit, Benjaminit und Hebräer (Phil 3,5). Darüber hinaus erwähnt Paulus in Phil 3,6 seine Gesetzestreue als Pharisäer und ehemaliger Verfolger der Gemeinde. 38 Vgl. M ÜLLER , Brief (s. Anm. 2), 147; zu den Differenzen vgl. a.a.O. 150. 39 Vgl. Röm 2,28f.
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fasst und der zum anderen (deutlicher als z.B. βασιλεία 40 oder πατρίς 41) die Zugehörigkeit zu einer Gruppe in der Fremde zu beschreiben geeignet ist. Wird πολίτευμα in Phil 3,20 als bündelnder Korrespondenzbegriff zu den Termini in Phil 3,5 verstanden, erklärt sich, dass Paulus bei der Aufzählung seiner eigenen „Qualitäten“ in Phil 3,5 gerade nicht auf seine römische Bürgerschaft verweist. Denn dann wäre das gegenüber der römischen Bürgerschaft nachrangige πολίτευμα (Phil 3,20) als übergeordneter Terminus ungeeignet gewesen. Entscheidend für Paulus sind nicht politische Zugehörigkeiten, sondern allein das ἐν-Χριστῷ-Sein der Gläubigen (z.B. Phil 2,5). In ihm finden sie ihre einzige und wahre Heimat. Angesichts der Teilhabe aller Gläubigen an dem einen Leib Christi (1Kor 12,13) erweist sich jeder Stolz auf ethnische, geschlechtliche oder gesellschaftliche Zugehörigkeiten als Torheit (vgl. Gal 3,28). Außerhalb von Christus und der Gemeinschaft der Gläubigen ist für Paulus nur Heimatlosigkeit. Verglichen mit der Teilhabe an Christus erweisen sich sowohl irdisches Bürgerrecht als auch die Zugehörigkeit zu einem weltlichen Politeuma als Schaden und Dreck (Phil 3,7f). Paulus macht sich deshalb gar nicht erst die Mühe, auf die Sache selbst einzugehen und etwa zwischen Bürgerrecht und Politeumazugehörigkeit zu differenzieren. Paulus geht es in Phil 3,20 nicht darum, konkrete Aussagen über ein himmlisches Staatswesen zu machen. Er betont mit Nachdruck, dass weltlich-irdische Organisationsformen für Gläubige keinen Wert an sich darstellen. Aus der Argumentation des Paulus im Philipperbrief lässt sich auf die Vorstellungen und Gewichtungen seiner Gegner schließen, nicht aber darauf, welche persönlichen Erfahrungen Paulus mit einem irdischen Politeuma gemacht hat. 3.2. Politeumata in weiteren Schriften des Neuen Testaments? Es ist zu fragen, ob über Phil 3,20 hinaus Schriften des Neuen Testaments Rückschlüsse zulassen auf irdische Politeumata, die bei der Argumentation direkt oder indirekt im Hintergrund standen. Vergleichbar mit Phil 3,20 ist die Rede des Hebräerbriefs von der bleibenden Stadt, derer die Gläubigen auf Erden nicht habhaft werden (Hebr 13,14). Stattdessen suchen sie das himmlische Vaterland. 42 Wie für den Hebräerbrief ist auch für den ersten Petrusbrief die Fremdheit des Gläubigen in dieser Welt ein Leitthema. 43 Der erste Petrusbrief 40 41 42
Königsherrschaft; Röm 14,17; 1Kor 4,20; 6,9f; 15,24.50; Gal 5,21; 1Thess 2,12. Vaterland, Heimat; z.B. Lk 4,23f; Hebr 11,14. Πατρὶς ἐπουράνιος, Hebr 11,14.16; vgl. HermSim I 1–6.
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spricht von dem wahren Erbteil der Christen, das im Himmel für die Gläubigen aufbewahrt ist (1Petr 1,4). Statt von Politeuma ist in Eph 2,12 von der Politeia (πολιτεία) die Rede, aus der die Gemeindeglieder, bevor sie zu Christen wurden, ausgeschlossen waren (Eph 2,11). Damals waren sie Fremde, jetzt aber sind sie Mitbürger (συμπολῖται) der Heiligen und Hausgenossen Gottes (Eph 2,19). Paulus wendet sich in 1Kor 6,1–11 dagegen, dass Gemeindeglieder außerhalb der christlichen Gemeinde eine Rechtsentscheidung erwirken wollten. Sofern in Korinth zu Lebzeiten des Paulus ein jüdisches Politeuma existierte, lässt sich nicht zuletzt auf der Basis der Politeuma-Papyri von Herakleopolis vermuten, dass den zuständigen jüdischen Archonten in Korinth Streitfälle unter Christen jüdischer Herkunft zur Entscheidung vorgelegt wurden. Paulus lehnt das Erstreben eines Rechtsentscheids unter Christen durch nicht Christus-gläubige Richter ab. Jedoch argumentiert er in 1Kor 6,1–11 nicht, wie in Phil 3,20, mit dem wahren himmlischen Politeuma der Christen. Bei Philo ist Politeuma meist mit dem Verb ἐγγράφω (einschreiben) kombiniert. 44 Wird Politeuma als Bürgerschaftsliste verstanden, 45 dann konstituiert sich die Zugehörigkeit durch den Eintrag des Namens in eine solche Liste. Die Einschreibung steht für feste Zugehörigkeit und für verbrieftes Heimatrecht. In diesem Sinne erinnert Jesus nach Lk 10,20 seine Jünger daran, dass sie sich freuen dürfen, weil ihre Namen im Himmel (vgl. Phil 3,20) eingeschrieben sind (ἐγγράφω).
4. Politeuma im Himmel und auf Erden 4.1. Christen zwischen Unterordnung und Abgrenzung Wenn Paulus in Phil 3,20 auf das himmlische Politeuma der Christen verweist und zuvor alles Irdische (τὰ ἐπίγεια, Phil 3,19) als Schaden und Dreck bezeichnet (Phil 3,7f), dann ist damit implizit eine Abgrenzung der christlichen Gemeinde gegenüber politischen Organisationsformen und damit auch weltlichen Regierungen gefordert. Die deutlichen Worte des Paulus in Phil 3,7f.19f scheinen auf den ersten Blick in einer gewissen Spannung zu Röm 13,1–7 zu stehen: Im 13. Rö43 44 45
1Petr 1,1.17; 2,11; vgl. Eph 2,12.19. Philo Op 143; Agr 81; Conf 109; Jos 69; SpecLeg II 45. W ALTER, Briefe (s. Anm. 2), 86, deutet in diesem Sinne auch das πολίτευμα in Phil 3,20: „Konkret könnte man an eine Art himmlischer ‚Bürgerschaftsliste‘ denken, in die die Christen bereits eingetragen sind – so wie die römischen Einwohner Philippis auch in Rom (also ebenfalls ‚auswärts‘) in der dortigen Bürgerschaftsliste der tribus Voltinia als römische Bürger eingetragen sind.“
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merbriefkapitel mahnt Paulus die Gläubigen, sich der staatlichen Obrigkeit 46 nicht entgegenzustellen, sondern sich ihr unterzuordnen. 47 Erst wenn Christus über alles herrscht, gelangt die Herrschaft jeder weltlichen Obrigkeit an ihr Ende (1Kor 15,24). Bis dahin hat sie laut Paulus nach göttlichem Willen Anspruch auf den Gehorsam der Gläubigen (Röm 13,1f). 48 Wie stellen sich Paulus und andere Autoren des Neuen Testaments diesen Spagat der Christen zwischen Himmel und Erde, zwischen Distanz und Gehorsam in der Praxis vor? Im Folgenden soll schwerpunktmäßig auf die Positionen des Paulus im fünften und sechsten Kapitel des ersten Korintherbriefs eingegangen werden. 4.2. Welt in der Gemeinde? Paulus selbst benennt in 1Kor 5 die Spannung zwischen distanziertem Gegenüber und Unterordnung. Seine Mahnung, nichts zu schaffen zu haben mit lasterhaften Menschen, präzisiert er: Damit seien nicht solche Menschen generell gemeint, denn dann, so spitzt er weiter zu, müssten die Gläubigen ja diese Welt verlassen (1Kor 5,10b). Paulus spricht in 1Kor 5 vom inneren Bereich der Gemeinde: Bei einem, der sich Bruder nennt, ist ein solches Verhalten inakzeptabel (1Kor 5,11). Alles Irdische hat innerhalb der Gemeinde nichts zu suchen. 49 46
W ALTER, Briefe (s. Anm. 2), 87, geht im Kontext von Phil 3,20 ebenfalls auf Röm 13 ein und resümiert: Auch „staatliche Macht mit ihren Vorschriften, Regeln und Handlungen ist nur insoweit für den Christen verbindlich und zu respektieren, als sie nicht versucht, ihn in einen Gegensatz zu Glauben, Liebe und Hoffnung gemäß dem Evangelium zu bringen. (In dieser Perspektive ist dann auch die nur scheinbar rückhaltlose Anerkennung staatlicher ‚Obrigkeit‘ nach Röm 13,1–7 zu lesen […].) Die himmlische Bürgerschaft hat jedenfalls den Vorrang vor jeder irdischen, also auch der römischen, Bürgerschaft.“ 47 W. K LAIBER , Der Römerbrief, BNT, Neukirchen-Vluyn 2009, 228: „So gehört es auch zur Aufgabe der Christen, ein Ja zum Staat zu finden […], das Ja zum Staat bleibt an die Bedingung gebunden, dass er seine ihm von Gott übertragene Aufgabe erfüllt.“ Die in Röm 13,3 genannten Herrschenden werden, wie die Anführer der Politeumata, als Archonten bezeichnet (οἱ ἄρχοντες); vgl. 1Kor 2,6.8. 48 E. LOHSE, Der Brief an die Römer, KEK IV, 15. Aufl., 1. Aufl. dieser Auslegung, Göttingen 2003, 354: Mit dem Verweis auf die Obrigkeit „reflektiert der Apostel nicht über die Frage, wie im Einzelnen die jeweilige Gewalt zustande gekommen ist und welchen Grad an Legalität sie vorweisen kann; sondern es ist von ihrem faktischen Vorhanden-Sein die Rede. Dieses wird anerkannt.“ 49 Paulus unterscheidet zwischen denen draußen (οἱ ἔξω) und denen drinnen (οἱ ἔσω). J. BEHM, Artikel ἔσω, ThWNT II (1935), 696f, 696, notiert zu οἱ ἔσω in 1Kor 5,12: Ein „aus dem Gegensatz heraus geprägter Ausdruck, der das Bewußtsein des Paulus von der ἐκκλησία als einer in sich geschlossenen, von den übrigen Menschen abgesonderten neuen Gemeinschaft […] widerspiegelt“, so auch C. WOLFF, Der erste Brief des Paulus an die Korinther, ThHK VII, Leipzig 1996, 110.
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Gleichzeitig aber bleibt die irdische Welt der äußere Bezugsrahmen, solange die Vollendung durch Christus noch aussteht (vgl. 1Kor 15,24). Zwei Dinge werden von Paulus unterschieden: 1) Die christliche Gemeinde ist eine Gemeinde in der Welt. 2) Die Welt hat keinen Platz in der Gemeinde. Eine Durchmischung beider Bereiche ist ausgeschlossen. Christen ordnen sich weltlichen Strukturen unter, integrieren sich jedoch nicht. 50 In 1Kor 5 gebraucht Paulus das Bild vom Sauerteig. Die Gemeinde ist gleichsam von Sauerteig umgeben; sie selbst aber ist ungesäuerter Teig (1Kor 5,7f). Weltliche Verhaltensweisen müssen aus der Gemeinde eliminiert werden, sonst besteht die Gefahr, dass die Gemeinde selbst durchsäuert wird und sich in den Sauerteig der Außenwelt verwandelt (1Kor 5,6f). Die Gemeinde ist ἐν Χριστῷ und Christus herrscht in der Gemeinde, während in der Welt außerhalb der Gemeinde das Reich des Satans liegt (1Kor 5,5). 51 4.3. Gemeinde in der Welt? Aus dem In-Christus-Sein der Gläubigen folgt, dass die Gläubigen auch untereinander eine Gemeinschaft bilden. 52 Gemeinschaft in Christus und Gemeinschaft der Gläubigen sollen einander entsprechen (Phil 2,5). Um Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde handelt es sich bei dem von Paulus in 1Kor 6,1–11 angesprochenen Fall. Es geht um Auseinandersetzungen zwischen Christen oder zwischen zwei christlichen Rechtsparteien. 53 Der Apostel drängt dazu, lieber Unrecht zu ertragen, als nichtgläubige Richter anzurufen (1Kor 6,6f). Paulus ruft die beiden christlichen Parteien auf, sich gütlich zu einigen. Wenn nur eine Seite nachgibt und die andere das Erstrebte erlangt, greift der sich anschließende Vorwurf, unter Brüdern Unrecht zu tun (1Kor
50
LOHSE, Brief (s. Anm. 48), 359: „Wissen Christen, daß ihr πολίτευμα im Himmel ist (Phil 3,20f.), so sind sie gerade durch diese ihre Überzeugung dazu befreit und ermächtigt, um ihres Herrn willen ihre politischen Verpflichtungen zu bejahen und ihren Kyrios durch ihre Lebensführung zu ehren.“ 51 Vgl. K.-H. O STMEYER , Satan und Passa in 1. Korinther 5, ZNT 9 (2002), 35–42, 40f; in den Verfügungsbereich des Satans gehört alles Sarkische; vgl. W OLFF, Brief (s. Anm. 49), 104f. W. SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther. 1. Teilband 1Kor 1,1– 6,11, EKK VII/1, Zürich, Braunschweig, Neukirchen-Vluyn 1991, 375: „Wer aus der Gemeinde ausgeschlossen wird, gerät wieder unter die Gewalt der verderbenbringenden Mächte.“ 52 Vgl. Röm 12,5; 1Kor 12,11–14.27. 53 W OLFF, Brief (s. Anm. 49), 115: „Die eschatologische Zukunft der Gemeinde läßt die Dinge, um die man sich z.Z. streitet, auch im rechten Licht erscheinen: Es handelt sich um bedeutungslose Angelegenheiten (‚Bagatellsachen‘). Impliziert ist der Gedanke, daß man auf sie getrost verzichten kann.“
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6,8), 54 statt nachzugeben und sich lieber Unrecht tun zu lassen (1Kor 6,7). 55 Die Frage des Apostels, ob nicht einmal ein einziger Weiser da sei, der in der Lage ist, zwischen Brüdern zu richten (1Kor 6,5), wirkt rhetorisch im Sinne von: „Ist denn keiner so vernünftig …?“ Für Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde scheint sich noch kein eigenes Gremium etabliert zu haben. Pauli Mahnung: „Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen?“ (1Kor 6,7b), ist fern von den Regelungen eines organisierten Politeumas. 56 Nicht ausdrücklich erwähnt wird in 1Kor 6 der Fall, dass ein Christ eine Streitsache mit einem Nichtchristen auszufechten hat. Der Duktus der Argumentation lässt jedoch darauf schließen, dass der Christ gehalten ist, nachzugeben und es nicht zu einem Prozess vor nicht-christlichen Richtern kommen zu lassen. Selbst für den Fall der Existenz eines christlichen Gemeindegerichts wäre kaum anzunehmen, dass sich ihm ein Nichtchrist unterstellt hätte. 57 Es ist zu erörtern, warum Paulus in 1Kor 6,1–11 im Kontext eines Rechtsstreits vor öffentlichen Gerichten oder einer Appellation an die Archonten eines etwaigen Politeumas in Korinth nicht wie in Phil 3,20 mit einem himmlischen πολίτευμα argumentiert. 58 Sowohl in 1Kor 5 als auch in 1Kor 6,1–11 geht es um klare Abgrenzungen zwischen Gemeinde und Welt: In 1Kor 5 soll ein Gemeindeglied, das sich irdisch-fleischlich verhält, 59 aus der Gemeinde ausgeschlossen werden. 60 Sich in 1Kor 6,1–11 bei den gemeindeinternen Auseinandersetzun54 Der sich anschließende Lasterkatalog (1Kor 6,9f) zeigt, dass Auseinandersetzungen unter Christen für Paulus auf die Seite der längst überwundenen irdischen Existenz gehören, denn die Gläubigen sind eigentlich ἐν Χριστῷ reingewaschen und geheiligt (1Kor 6,11). 55 Bei den innergemeindlichen Streitigkeiten dürfte es sich nicht um Glaubensfragen gehandelt haben, sonst wäre Paulus der richtige Ansprechpartner gewesen. 56 SCHRAGE , Brief (s. Anm. 51), 415: „Auf naheliegende Einwände, inwiefern solcher Rechtsverzicht nicht das natürliche Rechtsempfinden verletzt oder gar die ganze Rechtsordnung aus den Fugen geraten läßt, braucht Paulus von seiner Sicht der Dinge her nicht einzugehen. Richtet er doch das eschatologische Gottesrecht der Liebe auf.“ 57 Vgl. COWEY/M ARESCH, Urkunden (s. Anm. 6), 12f: „Es fällt dabei aber auf, dass […] es keine Eingabe gibt, in der sich ein Nichtjude als Petent gegen einen Juden wendet.“ 58 Auch wenn mit Bezug auf 1Kor 6,1–11 an ein irdisches πολίτευμα als im Hintergrund stehende Organisationsform gedacht wäre, an das sich Gemeindeglieder gewandt hätten, wäre damit nicht notwendig vorausgesetzt, dass es sich um ein jüdisches Politeuma gehandelt hat. Denkbar ist, dass sich Heidenchristen an das ihrer Herkunft entsprechende Politeuma gewandt haben. T HÜR, Politeuma (s. Anm. 9), 27, nennt neben dem jüdischen Politeuma das der Griechen, Makedonen und Perser. 59 1Kor 5,1; vgl. Phil 3,18f. 60 1Kor 5,5.12f.
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gen einem externen Richter anzuvertrauen, 61 hieße, die Außenwelt in das Innere der Gemeinde hereinzuholen. Das aber kommt in Analogie zu 1Kor 5,6–8 dem Einschleusen von Sauerteig in den ungesäuerten Teig der Gemeinde Christi gleich. Beide Male würde ein Tor zwischen dem Herrschaftsbereich Christi und dem Bereich des Satans geöffnet. In beiden Fällen sieht Paulus die Gemeinde in ihrer Substanz bedroht. Die Singularität des Begriffs πολίτευμα im Neuen Testament (nur in Phil 3,20) resultiert nicht zuletzt daraus, dass die weltlichen Politeumata für Integration in die staatlichen Strukturen und damit für Anpassung an die pagane Umwelt standen. Eine Eingliederung der christlichen Gemeinde in ein irdisches πολίτευμα mit dessen staatlich-juristischen Einbindungen wäre für Paulus undenkbar gewesen. Bei seiner Rede von einem himmlischen πολίτευμα in Phil 3,20 hat er die konkreten Organisationsstrukturen eines realexistierenden Politeumas nicht im Blick. Daraus erklärt sich, dass ihm in 1Kor 6,1–11 im Kontext konkreter juristisch-weltlicher Auseinandersetzungen der Terminus πολίτευμα nicht in den Sinn kommt. Die irdischen Streitfälle der Gemeinde haben weder vor einem irdischen noch vor einem himmlischen πολίτευμα einen Platz, sie sind grundsätzlich zu meiden (1Kor 6,7). Letztlich stellt sich weniger die Frage, warum der Terminus nicht auch in 1Kor 6 begegnet, sondern wie es Paulus möglich ist, ihn in Phil 3,20 zu gebrauchen. Im Philipperbrief (3,20) ist πολίτευμα nur deshalb verwendbar, weil es Paulus gelingt, den Begriff auf eine andere Ebene zu heben. Ebenso wie die Beschneidung in Röm 2,28f und Phil 3,3 ist πολίτευμα für ihn in Phil 3,20 nur als nicht fleischlich-irdisches Phänomen von Wert.
5. Resümee: Die Bedeutung der Politeuma-Papyri für das Verständnis des Neuen Testaments Die Zahl der πολίτευμα-Belege in den biblischen Schriften und deren Umfeld ist gering 62 – ihr Bedeutungsspektrum weit. Die einzelnen Angaben sind kaum miteinander in Einklang zu bringen. Die Publikation der Politeuma-Papyri von Herakleopolis erweitert das Bild zusätzlich.
61 Paulus charakterisiert die in den Streitigkeiten angefragten und von außen kommenden Richter als Ungerechte (ἄδικοι, 1Kor 6,1) und Ungläubige (ἄπιστοι, 1Kor 6,6). Weil Paulus unmittelbar im Anschluss in 1Kor 6,9f u.a. von Götzendienern spricht, erscheint es als unwahrscheinlich, dass er an jüdische Richter denkt; vgl. W OLFF, Brief (s. Anm. 49), 114. 62 Je ein Beleg für πολίτευμα in LXX und NT, zehn Stellen bei Josephus und sechs bei Philo.
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Die Politeuma-Papyri von Herakleopolis spiegeln ein reales, irdisches πολίτευμα. Sie bieten indirekte Anknüpfungspunkte für das Verständnis der Briefe des Paulus und seines Ideals eines himmlischen πολίτευμα (z.B. Phil 3,20). 63 Deutlich wird die ablehnende Haltung des Paulus zur Einbindung der Christus-gläubigen Gemeinden in offizielle, weltliche Strukturen. Zugleich lässt die Argumentation des Apostels die fortbestehende Affinität (juden-)christlicher Gemeindeglieder zu ihren (jüdischen) Herkunftsgemeinden samt ihrer politisch-gesellschaftlichen Organisationsformen erkennen. Paulus dringt in seinen Briefen auf eine Entscheidung: Wer sich zu Christus bekennt, muss bereit sein, mit allen in dieser Welt (Rechts-) Sicherheit und Heimat bietenden Strukturen zu brechen. Für Paulus, aber auch für die anderen Autoren der neutestamentlichen Schriften, gilt: πολίτευμα (Phil 3,20) und wahre Zugehörigkeit finden Christen allein ἐν Χριστῷ und in seinem Reich (ἐν οὐρανοῖς). 64 Auf Erden bleiben sie Fremde. 65 Zugleich sind für die Teilhaber an der christlichen Gemeinschaft diejenigen Außenstehende (ἰδιῶται), 66 die (noch) nicht an Christus glauben. Πολίτευμα auf einen einzigen deutschen Begriff zu bringen, gestaltet sich schwierig. Mit Recht spricht Ernst Lohmeyer von dem vorherrschenden Sinn. 67 Keine der gebräuchlichen Übersetzungen für πολίτευμα in Phil 3,20 68 muss als unzutreffend gekennzeichnet werden. Doch die aufgezeigte Parallelität von πολίτευμα in Phil 3,20a und Phil 3,5 lässt die politischen, staatlichen und juristischen Facetten des Begriffs, wie sie sich u.a. in den Politeuma-Papyri von Herakleopolis widerspiegeln, in den Hintergrund treten. Seine inhaltliche Füllung erhält πολίτευμα in Phil 3,20 nicht aus seiner Verwendung im weltlichen Bereich, sondern aus seiner Kombination mit ἐν οὐρανοῖς als Synonym für den Herrschaftsbereich Christi und die Bindung an ihn als den einzigen Retter. 69
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Synonyme für den Gegensatz von irdisch und himmlisch sind u.a. ἐπίγειος und ἐπουράνιος bzw. ἐν οὐρανοῖς, Joh 3,12; 1Kor 15,40; 2Kor 5,1; Phil 3,19f; vgl. Jak 3,15. 64 Vgl. Heb 11,13; 13,14; vgl. Diogn 5,9. 65 1Petr 1,1.17; 2,11; vgl. Eph 2,12.19; HermSim I 1–6; Barth, Brief (s. Anm. 2), 68: „Denn daß der Staat, dem wir angehören, im Himmel ist, meint ja doch, daß wir hier nicht zu Hause sind.“ 66 1Kor 14,16.23f. 67 LOHMEYER , Brief (s. Anm. 2), 158: Der „vorherrschende [Sinn von πολίτευμα] ist wohl der von ‚Heimat‘“. 68 Vgl. Anm. 2 und 3. 69 Σωτήρ, Phil 3,20b.
The Papyrological Commentary of the Gospel of Mark Themes, Issues and Some Results of a Work in Progress ROBERTA MAZZA
1. Preliminary Remarks The importance of papyri for the study of antiquity does not need to be stressed. More than a century of editions of texts and related research have demonstrated the importance of manuscripts coming from Egypt. Between the end of the 19th and the beginning of the 20th century, when papyri massively came from Egypt to Europe as a result of excavations and purchases, biblical scholars were among the first to understand the potentiality of this corpus for their subjects and more generally the study of antiquity. In the light of this tradition and most recent research in the field, it comes clear why a papyrological commentary on the New Testament (from now on PKNT) 1 appeared to us a necessary development in scholarship. In this essay I will briefly explain the wider context of our project “Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament” and will then concentrate on the methodology and aims of my volume on Mark through the discussion of some entry samples relating to the theme of disease and healing methods in antiquity. I will finally explain the value of these entries and more generally the work we are doing for the interpretation of the Gospel and the study of early Christian communities. The expression ‘documentary papyri’ encompasses a vast corpus of writings in Greek including letters, contracts, petitions, accounts and basically any other kind of writing that cannot be labelled as either ‘literary’ or
1 See the webpage devoted to the Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament of the University of Salzburg: http://www.uni-salzburg.at/portal/page?_pageid=141,15 4958&_dad=portal&_schema=PORTAL, accessed July 1 2012. See also Peter ArztGrabner’s general introduction to the PKNT, in his Philemon: Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament. Band 1 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003), esp. pp. 37–43, and Roberta Mazza, “Per un commentario al Nuovo Testamento sulla base dei papiri documentari,” Annali di Storia dell’Esegesi (21/1 2004): 373–78.
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‘para- or semi-literary.’ 2 The idea of comparing early Christian writings with documentary papyri is not new. As mentioned above, a long-lasting tradition of scholarship has used everyday writings from antiquity to reconstruct the historical context of the rise and development of Christianity. The noble father of this tradition was Adolf Deissmann, the famous theologian based in Heidelberg and later in Berlin. 3 At the beginning, the interest of theologians and biblical scholars in papyri was mainly lexicological and philological. The study of this material aimed at clarifying the exact meaning of words, solving textual problems and therefore shedding new light on the theology behind the texts. But it soon became apparent that this kind of approach was also useful for a better understanding of the social provenance of the first Christians, an equally important issue for the developing of Christian theology: was Christianity a revolutionary religious movement of the poor and lowest strata of society? Was its leadership educated? How did the wider historical context influence the development of Christian communities and churches? The connections between these two approaches, which we may loosely define as philological on the one hand, and socio-historical on the other hand, are conspicuous as the scholarship of the same Deissmann demonstrates. Deissmann developed the theory that the Greek of the New Testament was the expression of the everyday Greek spoken and written by the Mediterranean educated elite and not a special and ‘holy’ form of Greek, influenced by Aramaic, as thought by most earlier and contemporary scholars. Papyri from Egypt and ostraca and inscriptions from all over the Mediterranean provided plenty of evidence to that theory. At the same time, the new archaeological evidence enabled a closer study of the socio-historical background of Christianity, as Deissman showed brilliantly in his publications from the Bibelstudien (1895) to the various editions of Licht vom Osten (published in 1908). 4 2
On papyri classification and its limits see most recently Bernhard Palme, “The Range of Documentary Texts: Types and Category,” in The Oxford Handbook of Papyrology (ed. R. S. Bagnall; Oxford: Oxford University Press, 2009), 359–94, esp. 371–72 on the overlaps with literary and ‘semi-literary’ texts. In this project we only consider texts in Greek for obvious reasons. 3 Our debt to Deissmann is summarized by the title and contents of the volume Peter Arzt-Grabner and Christina M. Kreinecker, Light from the East. Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament. Akten des internationalen Symposions vom 3.–4. Dezember 2009 am Fachbereich Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte der Universität Salzburg (Wiesbaden: Harrassowitz, 2010); on Deissmann see the recent biography Albrecht Gerber, Deissmann the Philologist (Berlin: de Gruyter, 2010); on his involvement in the purchasing of papyri and ostraca see Roberta Mazza, “Graeco-Roman Egypt at Manchester. The Formation of the Rylands Papyri Collection,” in Proceedings of the 26 th International Congress of Papyrology (ed. P. Schubert, Geneva: Librairie Droz, 2012), 481–89. 4 See Gerber, Deissmann (see n. 3), esp. 7–58.
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In fact, the first decades of the 20th century saw the appearance of important works on the New Testament and its background, in particular dictionaries, where inscriptions and papyri started to be used along with nonChristian literary sources. In 1928 the first edition of Bauer’s Wörterbuch was published, followed in 1929 by Moulton and Milligan’s Vocabulary of the Greek New Testament Illustrated from the Papyri and Other nonLiterary Sources. The first volume of the Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament was available in 1933. In the same years Strack and Billerbeck produced their Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch (1922–1928). Last but not least the projects of the Corpus Hellenisticum Novi Testamenti and the Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, although deeply rooted in a more ancient tradition, took off in the same period, involving both the production of new research and the updating of instruments such as the Neue Wettstein. 5 The fact that all these works have been often updated and are still in use shows their value and vitality. Moreover, wider 20th-century historiography of the following decades boosted the production of social histories of early Christianity that made substantial use of papyri and other everyday ancient writings along with archaeological data. In particular, letters from antiquity had been at the centre of interest of various contributions especially but not only centred on the Pauline epistles, and in fact the PKNT started as a project on this corpus. 6 Finally, series such as New Documents Illustrating Early Christianity 7 and special sections of academic journals keep on updating the readers on new publication of papyri, inscriptions and other evidence relevant to Biblical studies and the history of early Christianity. 8 5 For a detailed history of the Corpus Hellenisticum-project and a list of publications see http://www.theologie.uni-halle.de/faecher/corpus-hellenisticum/226905_226910/, accessed 1 July 2012; for informations on the CJHNT-project see http://www.unijena.de/CJH.html/, accessed 1 July 2012. 6 E.g. Mario Naldini, Il Cristianesimo in Egitto. Lettere private nei papiri dei secoli II-IV (2 nd revised edition; Fiesole: EDB, 1998; first published in 1968); Giuseppe Tibiletti, Le lettere private nei papiri greci del III e IV secolo d.C. Tra paganesimo e cristianesimo (Milano: Vita e pensiero, 1979); Peter Arzt-Grabner, “‘The Epistolary Introductory Thanksgiving’ in the Papyri and in Paul,” NovT 36 (1994): 29–46; idem, “Analyse der Paulusbriefe auf dem Hintergrund dokumentarischer Papyri,” in Akten des 21. Internationalen Papyrologenkongresses: Berlin, 13.–19.8.1995, Bd. I, (ed. B. Kramer et al.; Stuttgart/Leipzig: B. G. Teubner, 1997), 31–36. 7 Vol. 1–9 (1981–2002) edited by the Ancient Cultures Research Centre at Macquarie University. 8 The connections between our project and the previous scholarship, that I have only briefly outlined here, is discussed more extensively in Arzt-Grabner’s general introduction to the PKNT, in his Philemon (see n. 1), esp. 37–43. Particularly important for a socio-historical approach to the study of the papyri and the Bible is the research of Orso-
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How does the PKNT position itself in this panorama? We certainly belong to the above mentioned tradition, and conceive of our volumes as a partial contribution to the understanding of the New Testament with no pretension of exhausting the complexity of meanings that these writings had when they were written and firstly circulated. Our main research question is very simple: how did the early audience react to the reading/hearing of Christian texts included in the New Testament? We are convinced that the everyday writings of the people living in the centuries when early Christian writings developed and first circulated are an invaluable source for answering that question. Although the authors are entitled to take different angles depending on their interests and the focus of the assigned writing, each commentary broadly consists of two main parts. First of all, a word-by-word analysis will offer to the reader a view on the uses and meanings of the New Testament vocabulary when employed in everyday writings. Then one or more thematic sections will address issues particularly relevant for the assigned piece in the light of the papyrus evidence. As it becomes clear when reading the volumes published so far, we do not duplicate words already discussed in previous volumes unless strictly necessary to the discussion. We take into consideration only papyri dated in between the 2nd century BCE and the 3rd century CE, with a major focus on 1st BCE to 2nd CE and some incursions in older and later material when strictly necessary. Another important feature of our analysis is that the authors operate a choice of the examples to be analysed and reported in the commentaries. In other words, we do not give a full list of attestations that would be redundant due to the availability of widely accessible databases. The Duke Data Base of Documentary Papyri, nowadays integrated into the wider papyri.info database, is the basis of our word-by-word analysis, which is complemented through other tools such as the Wörterlisten aus den Registern von Publikationen griechischer und latinischer dokumentarischer Papyri und Ostraka compiled by Dieter Hagedorn and a team of collaborators. 9 As for the New Testament text, we use the most recent Nestle-Aland edition. Although the commentaries do not have strictly lina Montevecchi and her school, see Montevecchi’s collection of essays Bibbia e Papiri. Luce dai papiri sulla Bibbia greca (ed. A. Passoni Dall’Acqua; Barcelona: Herder, 1999). A section entitled ‘Papyrology and Early Christian Backgrounds’ takes place at the Annual Meeting of the Society of Biblical Studies since 1998. Among the sections devoted to Christian papyri in academic journals see especially that regularly published in Archiv für Papyrusforschung, currently curated by C. Römer. 9 The Wörterliste is freely accessible online at http://www.papy.uni-hd.de/WL/ WL.html (15. Fassung vom 15. Dezember 2011, accessed July 1 2012). The continuous updating relies on the close collaboration with the editors of new volumes of papyri editions that are willing to share the contents of the analytical indices.
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philological aims, the close lexical analysis of the texts gives us an indepth insight on the stratifications and phases of composition of it that may induce reappraisal and solution of variant choices. The first commentary of the series on a Gospel, my own volume is still a work in progress, but its structure and first results are already clear. I do not take a position on problems such as the sources of Mark, its relationship with the other synoptics, the place and time of composition, or the double final, which are beyond the scope of my work, but I do not exclude that at the end of the project I would also be able to contribute to the answering of some of these important questions. In my case, the topic of the thematic section of the volume is disease and healing systems. The centrality of healing in Mark is self-evident and widely recognized in scholarship. 10 Mark gives a great relevance to healing miracles, together with exorcisms; as I will explain in the last section of this essay, especially when read in the light of the parallel sections from the other gospels, these episodes reveal that the theme is a key-tool for understanding Mark as a whole. As I will show firstly through the lexical examples and secondly through the discussion of what I have defined at this stage of the research as ‘the philosophy of healing behind the text,’ the use of papyrological evidence to enlighten the Gospel of Mark enables us to clarify the centrality of discourses and practices of healing in the structuring and success of the early Christian communities who read this book. This has been partially explored in some previous scholarship, but I hope that my research will offer a fresh perspective on the topic linking underexplored sources to a holistic approach to the text. In particular, I believe that the Gospel’s construction of a dichotomy between Jesus and the doctors that I am going to present in the final part of this essay has not been fully recognized by any of the previous scholarship on the topic. A broad theme like ‘disease and healing systems’ confronts us with the problem of considering the so-called magical papyri. In fact these were not supposed to be included in the corpus to be analysed when the project started, since they were not strictly ‘documentary’ and they mostly date to a later period. Indeed, as will be evident through the following discussion, this material opened a number of methodological issues, but it is absolutely crucial and offers invaluable insights on illness, cure and healing practices and practitioners that are essential for anyone interested in exploring 10
See most recently Peter G. Bolt, Jesus’ Defeat of Death. Persuading Mark’s Early Readers (Cambridge: Cambridge University Press, 2003). More generally on Jesus as miracle worker, miracle healer or magician see the classic Morton Smith, Jesus the Magician (San Francisco: Harper & Row, 1978), for the wide use of papyrus evidence, and most recently Graham Twelftree, Jesus the Miracle Worker. A Historical and Theological Study (Downers Grove, IL: Intervarsity Press, 2003), esp. 57–101 on Mark.
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this side of the early Christian experience. As in the case of the documentary papyri, the availability of IT databases and traditionally published catalogues facilitates lexical analysis at some extent. 11
2. The Healing Jesus in the Gospel of Mark 2.1. Mark 1:29–31 – Fever A first semantic area I am going to consider in this essay is that relating to fever (πυρέσσω “to have fever”; πυρετός, πυρεσσός “fever”; πυρεκτικός “feverish”) connected with episode of the healing of Peter’s mother-in-law (Mark 1:29–31), which is also the first healing miracle performed by Jesus in the Gospel. Mark does not give many details about Jesus’ performance. On the basis of the text it seems that he went to the bed of the feverish (πυρέσσουσα) woman, and holding her hand made her rise up. The healing is immediate: the fever left (ἀφῆκεν αὐτὴν ὁ πυρετός) and the woman started taking care of Jesus and the disciples. What do papyri tell us about fever? As we will see, while the search of documentary papyri yields scarce yet interesting results, that of magical papyri offers some insights on the ways this disease was approached and cured. Let’s start with documents. For our period the verb πυρέσσω is attested so far only in P.Oslo III 95 (96 CE), a report of a public physician on injuries received by a female slave, Alexandra, who had “a hurt in the middle finger, which I healed, and a determination of blood on the breast and she had vomit and fever” – ll. 16–21: εὗρον ἐπὶ τῷ μέσῳ | δακτύλῳ δ̣ραῦμα (read τραῦμα), ὃ καὶ θα|ραπεύω (read θεραπεύω), καὶ συνδρομὴν | αἵματος ἐπὶ τῷ μασθῷ (read μαστῷ) | καὶ ἐξαιμοῦσαν (read ἐξεμοῦσαν) καὶ πυρέτ|[τουσαν. The adjective πυρεκτικός “feverish” is used in two ostraka from Mons Claudianus that list workers of the mine affected by different diseases: O.Claud. II 212,11 (ca. 137–145): Σπὴς πυρεκ(τικός); O.Claud. II 213,8 (ca. 137–145) registers the same man adding the number of days (twelve) during which he was unable to work. 11 The two main sources of data are Karl Preisendanz, Papyri Graecae Magicae. Die Griechischen Zauberpapyri, I–III (Leipzig/Berlin: B. G. Teubner, 1928–1941; repr. in two volumes in 1973–1974), which is included in the Thesaurus Linguae Graecae, and the Catalogue of Paraliterary Papyri, a digital database edited by M. Huys and his team as part of the wider project Trismegistos, based in Leuven; it is searchable online at http://cpp.arts.kuleuven.be/index.php?page=home, accessed July 1 2012. These databases are complemented by the use of traditional publications, such as Robert W. Daniel and Franco Maltomini, Supplementum Magicum, I+II (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990 –1992).
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Similarly, πυρεσσός is found in P.Fay. 248 descr. (ca. 100 CE), a letter from Lucius Gemellus Bellienus to his estate’s manager Epagathus, inquiring whether he had recovered from a fever, and giving directions about farms at Dionysias and Psinachis. 12 These few examples all relate to the practicalities of illness. The doctor of the Oslo papyrus reports to the strategus of Oxyrhynchus about the state of the slave Alexandra after some violence was done to her, probably in connection with an official investigation on the episode. At the quarries of Mons Claudianus it was necessary to keep record of the days men were out of work for illness. Finally the Roman landowner Lucius Gemellus worries about the health of his manager at Euhemeria in the Fayum. A different perspective is provided by the magical papyri, where fever is mentioned mostly in amulets. As stated in the introduction the use of this corpus for our project opens a number of methodological problems. Under the label ‘magical papyri’ scholars cluster a collection of texts written on papyrus and less frequently other materials that attest practices of various kinds performed in order to control powers of different nature. The first problem posed by the magical papyri is their date, since most of them are from the third and fourth century onwards and do not seem to fit in our chronological framework. But the decision to include them in my commentary set of texts has solid motivations. In fact their comparative study with other sources, from Pharaonic texts to Greek lamellae and literary evidence in different languages, points at a long lasting, widespread tradition of practices and beliefs and allows us to use amulets, manuals and other magical material for our commentaries. 13 Fever is widely attested in the magical corpus since this was a common and very often life-threatening disease, and phylacteries and amulets were fabricated in order to prevent or cure it. There are some clear patterns with this evidence, despite variations in terms of formularies, voces magicae 12 The papyrus was in the Liverpool collection, but went lost during the second world conflict. 13 The main publication on the dating, methodological problems and guide to the study and interpretation of this material is William M. Brashear, “The Greek Magical Papyri: An Introduction and Survey. Annotated Bibliography 1928–1994,” ANRW 2.18.5 (1995), 3380–3684. It is impossible to summarize here the massive bibliography on magic in the ancient world, for a status of the question on magic and early Christianity see recently Annali di Storia dell'Esegesi, monographical issue on ‘Ancient Christianity and “Magic”/ Il cristianesimo antico e la “magia”’ 24/2 (2007), esp. the introduction essay of David Aune, “Magic in Early Christianity and its Ancient Mediterranean Context: a Survey of Some Recent Scholarship,” 229–94. See also David Frankfurter, Religion in Roman Egypt: Assimilation and Resistance (Princeton: Princeton University Press, 1998), and Jacco Dieleman, Priests, Tongues, Rites. The London-Leiden Magical Manuscripts and Translation in Egyptian Ritual (100–300 CE) (Leiden: Brill, 2005).
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and gods and powers invocated. The structure generally consists of voces magicae and/or an invocation to one or more divine powers to protect the person from the attacks of the fever, and some times other diseases, generally labelled as πᾶς νόσος or mentioned specifically. 14 Texts often give insights into the type of fever attack and connected shivering; intermittent attacks were probably caused by malaria, one of the many causes of temperature. The use of magical words (voces magicae) is very often of palindromic nature and arranged on the papyrus (or other material) in a triangular form that the Greeks defined the “grape-cluster” or the “heart-shape.” Scholars have explained the reason of this arrangement of the text using the concept of deletio morbi: the disease vanished through the agency of the healing performance beneficial power in the same way the word on the papyrus did. The wearing or simple ownership of amulets was part of a more complex series of acts that we may try to reconstruct by connecting them with other sources, such as medical treatises and other literature dealing with diseases and healing. In order to cure fever, for instance, Quintus Serenus, a medical writer active in 3rd century CE, recommends of writing on a sheet of papyrus and tie on the neck of the sick the following: ABRACADABRA BRACADABR RACADAB ACADA CAD A In fact, a large number of amulets from Egypt bear this vox magica or a variation of it, sometimes alone, in other cases with invocations, prayers or other instructions. 15 Going back to Mark 1:29–31, we are not informed about the origin and nature of the temperature of Peter’s mother-in-law. However, it is clear that many of the early readers would have had similar experiences in their lives. The way Jesus cures Peter’s mother-in-law as presented in Mark has 14 15
See e.g. Suppl. Mag. I 1; 2; 3. Christopher Faraone, Vanishing Acts: Deletio Morbi as Speech Act and Visual Design on Ancient Greek Amulets (Bulletin of the Institute of Classical Studies Supplement; London: forthcoming 2012), 24. I thank the author for giving me access to a copy before publication.
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no precise parallel in either documentary or magical papyri where we have seen two systems at work, that of the doctors, and that of the magical experts. While our post-modern minds tend to keep the two systems separated, these actually were very often closely related in the ancient world as demonstrated by the case of Quintus Serenus. Both doctors and magical healers often made use of a combination of medicine and religious-magical remedies, a point to which we will return later. 16 2.2. Mark 1:39–45, 14:3 – Leprosy The second case I am going to discuss is that of leprosy. At first sight the absence of the word λέπρα, commonly translated as ‘leprosy,’ from papyri and the scanty attestations of the adjective λεπρός (and λεπρικός) appear surprising since modern scholarship has established that in the ancient world the disease must have been common, especially in Egypt, and probably increased in the Roman period. 17 In fact an in depth analysis of the evidence shows that the understanding of the New Testament episodes involving ‘leprosy’ and ‘lepers’ is complicated by problems of terminology together with different ancient and modern conceptualizations of the disease. With the word ‘leprosy’ contemporary medicine indicates Hansen’s disease, a chronic and infectious condition caused by the mycobacterium leprae discovered by Armauer Hansen in 1871. Leprosy affects the skin as well as bones and the peripheral nervous system. The result is deformity and mutilations so severe to provoke repulsion and consequent social exclusion and stigmatisation. There is considerable debate over the meaning of the ancient Greek word λέπρα in the New Testament. In the Septuagint it is employed to translate the Hebrew ṣāra‛at, a condition that in Leviticus
16 This fact is well illustrated by the so-called iatromagical papyri, which often combine religious-magical rituals and medical remedies, see Magali de Haro Sanchez, ‘Catalogue des papyrus iatromagiques grecs,’ in Papiri e ostraka greci (ed. M. Capasso; Galatina: Congedo Editore, 2005), 37–60; a digital version of the catalogue is available online (http://promethee.philo.ulg.ac.be/cedopal/Bibliographies/Iatromagiques.htm, accessed July 1 2012). See also eadem, ‘Magie et medicine dans les papyrus grecs d’Égypte,’ in Culture. Le magazine culturel de l’Université de Liège, 25th Febuary 2010 (http://culture.ulg.ac.be/jcms/prod_195191/magie-et-medecine-dans-les-papyrus-grecs-degypte, accessed July 1 2012). 17 See Mirko D. Grmek, Diseases in the Ancient Greek World (Baltimore/London: Johns Hopkins University Press, 1989), 152–76; Robert Sallares, “Leprosy,” in Encyclopedia of pestilence, pandemics, and plagues, vol. 1 (ed. J. P. Byrne; London: Greenwood Press, 2008), 357–58; Walter Scheidel, Death on the Nile. Disease and the Demography of Roman Egypt (Leiden/Boston/Köln: Brill, 2001), 115 and 178–79.
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is described as affecting both humans and inanimate objects. 18 The most recent research on the subject tends to exclude the identification of ṣāra‛at (and λέπρα) with Hansen disease: more probably both the Hebrew and its Greek translation indicated a spectrum of skin afflictions of different types characterized by skin irritation and scaling. 19 However, it must be underlined that in the most accurate and sophisticated treatment of the topic, Grmek rightly makes a distinction between medical treaties and a normative religious text such as the book of Leviticus and asserts that under the wide label of ṣāra‛at diseases like ‘psoriasis, vitiligo, steatoid pityriasis, perhaps favus and some forms of eczema’ were meant, but this does not automatically imply an exclusion of the Hansen disease that in fact shares some of the same symptoms. 20 The analysis of the use of the word λέπρα in the Hippocratic corpus also indicates an ensemble of skin afflictions characterized by symptoms similar to those of the above-mentioned dermatoses. The Hansen disease in this case is to be excluded, although λέπρα is often compared to or connected with other diseases such as the λεύκη and the lethal ‘Phoenician disease’ that was later interpreted by Galen as elephantiasis. It is in fact this last word that was used to define what we call nowadays ‘leprosy.’ 21 According to Grmek, the Bible through the agency of the Church caused a shift in the Greek and Latin terminology: λέπρα-lepra started to be used for leprosy while elephantiasis came to indicate another disease that we still in fact name this way. Grmek mentions the homilies of Gregory of Nazianzus as a proof that the two words were synonymous in the fourth century. 22 Although the noun λέπρα is never attested in the magical papyri, the adjective is mentioned once in PGM IV 3115, where it refers to a boar, the rib of which is supposed to be used for fabricating an amulet. 23 An interesting piece to add to our dossier is a papyrus roll bearing scholia to the Iliad on the recto (P.Oxy. VIII 1086) and a collection of medical recipes on the verso (P.Oxy. VIII 1088) and dated palaeographically to the early first cen18
The main treatment is Lev 13 and 14; see Jacob Milgrom, Leviticus 1–16. A New Translation with Introduction and Commentary (AB; New York/London/Toronto/Sydney/Auckland: Anchor Bible, 1991), 768–901, esp. 816–24 on the nature and causes of ṣāra‛at. 19 Grmek, Diseases (see n. 17), 160–62; Peter G. Bolt, Jesus’ Defeat of Death (see n. 10), 93–102, with previous bibliography to which we must now add Richard M. Heller/Toni W. Heller/Jack M. Sasson, ‘Mold. Tsara’at, Leviticus and the History of a Confusion,’ Perspectives in Biology and Medicine 46/4 (2003): 588–91. 20 Grmek, Diseases (see n. 17), 161. 21 Grmek, Diseases (see n. 17), 165–68; see also Sallares, “Leprosy” (see n. 17), 357; Bolt, Jesus’ Defeat of Death (see n. 10), 93–94. 22 Grmek, Diseases (see n. 17), 168. 23 A horse is defined ‘scaly’ in a list of the Ptolemaic period (P.Petr. II 35, 11).
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tury CE. One of the recipes (ll.14–17) is for curing the λεπρική (νόσος) and consists of a plaster composed of plants and seeds to be applied locally. However, skin diseases of different types are mentioned in magical papyri and the evidence has been recently discussed by Bolt who has considered it in the context of a wider corpus including inscriptions and literary sources. He makes three main points: first, that severe conditions of the skin affected people in the ancient Mediterranean world; second, that these afflictions were often connected with a state of religious guilt of some sort; third, that there was a shared opinion that religious-magical performances could either protect and heal individuals or inflict the condition onto other people. 24 In the light of what we have discussed so far, the two cases of lepers registered in documentary papyri become quite interesting because they date to the second and third century. Some tax-rolls from Karanis record plots of land named after an older owner, Maximus λεπρός, for the fiscal years ranging from 171 to 174, 25 while a fragment of a register of land and tax-payers from Oxyrhynchus reports a Patermouthis, λεπρός and comarch. 26 In both cases the adjective is employed as a marker, a nickname to identify the two men and the land plots with them. These two attestations remind us of Simon ‘the leper’ in whose house in Bethany the anointing of Jesus took place according to Mark 14:3. The adjective λεπρός clearly has the function of identifying that Simon 27 in exactly the same way as in the papyrus cases of Maximus and Patermuthis. Like the two Egyptians, Simon was a man of some substance if in his house a meal took place involving Jesus and his group and a woman came bearing myrrh, a pricy good as noticed by some of those joining the banquet (Mark 14:3–5). These three cases probably have to do with men who received the nickname in view of their physical appearance. Their skin was eventually affected by a severe dermatosis that characterised them as λεπροί. In the case of Simon he should have been proclaimed cleansed at some point if able to have guests in his house. But what about the other two men? I would opt for the same type of disease; their skin was scaled because of a dermatological condition of the same kind as those mentioned above. Could we eventually guess some influence of the Christian vocabulary here in view of the total lack of any previous use of the term? This question is very difficult to answer due to the paucity of data relating to Christianity in the 2nd and 3rd century, but the possibility of Christian influence cannot be exclu24 25 26 27
Bolt, Jesus’ Defeat of Death (see n. 10), 93–102. P.Mich. IV 223, 1189; 224, 2024; 225, 1751. P.Oxy. LXIII 4356, 2, 3rd century CE. See Richard T. France, The Gospel of Mark (Grand Rapids, Mich. / Cambridge: W. B. Eerdmans, 2002), 551.
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ded. In view of what has been discussed so far, in the commentary I am currently translating λέπρα with ‘scaly skin disease,’ λεπρός as ‘a man affected by the scaly skin disease,’ and consequently ‘Simon the one with the scaly skin disease.’ It is worth mentioning that the use of health status adjectives as identity markers in documentary papyri is also attested for blind and lame people. A certain Sambas, son of Lachasis from Sobthis and blind, and an Ergeus, simply defined as lame, are registered in a census roll of people living in Philadelphia (Fayum), but not having their domicile there (P.Corn. 22, 1 st century CE). The list gives the names of the men, and their trades or professions are often reported. In the case of Sambas (τυφλός, ll. 72–73) and Ergeues (χωλός, l. 13), we can assume that the two were known by the inhabitants and local authorities of Philadelphia as men who made a living on their condition, i.e. mendicants. This is compatible with what we find in Mark 10:46–51 where the blind beggar Barthimaeus is healed by Jesus. Admittedly, in this case it is the Gospel episode which sheds light on the social positions of the blind and the lame in the papyrus list.
Having clarified the meaning of the words λέπρα, λεπρός and λεπρικός, we can now address the complicated situation represented in Mark 1:39–45, the healing of the anonymous man affected by the scaly skin disease performed by Jesus while travelling in Galilee immediately after he left Capernaum with the disciples. The introductory sentence to the pericope simply explains that Jesus was announcing in the synagogues of Galilee and driving out demons, when the man came to him. Even if in this case there is a verbal interaction between Jesus and the sick man, nonetheless as in the episode of Peter’s mother-in-law the healing performance is simple and its result immediate. The verb used for the miracle here is καθαρίζω (purify, cleanse), which had a strong technical meaning in the Jewish context. The λεπρός asks to be cleansed, and Jesus proclaims him to be cleansed. Then similarly to the fever of Peter’s mother in law, the λέπρα left and he was cleansed. In fact καθαρίζω is used in Mark only in this pericope and for the λέπρα, i.e. the skin infection described above. 28 In the episode under consideration the connection with the Jewish background of Leviticus is underlined by the mention of the rituals Jesus orders the man to perform as a consequence for the cleansing and a testimony for the priests (Mark 1:44). The search for καθαρίζω in the documentary papyri leads to some interesting results. Τhe term is commonly employed in the context of agrarian 28
This is regularly noticed in commentaries, see for instance France, Mark (see n. 27), 117: “καθαρίζω is used consistently as the regular term for cure in all gospel passages concerning leprosy (but never in connection with other complaints; …), since the ritual uncleanness which the disease brings is as serious a problem as the disease itself. To be healed is also to be restored ‘clean’ to society.” In fact καθαρίζω should not be translated with ‘to heal,’ which is misleading, as I am going to show in the following.
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activities. 29 In the period of our concern it is used in connection with work on reeds, where it indicates their cleaning by stripping the leaves off, 30 with works of pruning and for the cleansing of both fields and canals. 31 The only exception seems to be BGU XIII 2350, a letter dated palaeographically to the 2nd century CE, which I am going to discuss in detail. I append here the first edition and English translation of William Brashear (Translation 1), followed by that of Roger S. Bagnall and Raffaella Cribiore (Translation 2): 32 Ἀφροδείτη̣ [Ταοννῶφρι] ἀ̣[δ]ε̣λ̣φῇ [πολλὰ] χαίρειν· [π]ρὸ πάντω[ν εὔχομ]α̣[ί σ]ε [ὑγιαί-] [ν]ειν καὶ γ̣ε[ινώσκει]ν σε θέλω 5 ὅτ̣ι̣ ̣ ̣ ̣θ ̣[ ̣ ̣ ̣] ̣[ ̣ ̣] ̣σ̣εντετου ἰσελθεῖν [ἰς] Ἀ̣λ̣εξάνδρειαν, ἐπατήθ̣η̣ν ὑπὸ ἵππου ἰς τ[ὸν] πόδα καὶ ἐκινδύνευσα, ὥστε με καθαρισθῆναι καὶ πολ10 λὰ ἀνηλῶσαι, καὶ ἕως σήμερον ἀνέξοδος εἰμί· ἐρωτῶ ο̣ὖν σέ, ἄν μὴ ἔχῃς παρά σοι [τ]ὴν̣ [ ̣ ̣]δα τῆς κέλ̣λ̣ης ἧς [- ca. ? -] ἀ̣γγῖ‹ο›ν ζ ̣τ ̣[- ca. ? -] ̣ 15 [- ca. ? -] ̣οθ ̣ ̣ ̣[- ca. ? -] ̣ [- ca. ? -] ̣ ̣ ̣[- ca. ? -] ̣ -- -- -- -- -- -- -- -- -- -Address on the verso: ἀπόδος Ταοννῶ[φρι] 6. l. εἰσελθεῖν, l. εἰς 7. corr. ex επαθηθην, l. εἰς 10. l. ἀναλῶσαι 14. l. ἀγγῖον
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The entry in Preisigke, Wörterbuch I, 708 lists the following meanings: ‘Korn sieben’ (to sift the wheat); ‘ausjäten’ (to weed, cleanse a garden or a plot of land); ‘reinigen’ (to cleanse), used for ritual cleansing. This last meaning is at the moment documented only in BGU IV 1024, 16 (Hermupolis – 360 CE) for ornaments buried with a corpse. 30 See P.Bingen 111, col. I 44; 74 and 75 (Theadelphia – 250–252 CE) with the commentary at p. 444. 31 P.Tebt. III 703, 39 (Tebtunis – 210 BCE); P.Lond. I 131, 83 (Hermopolites – 78 CE); SB VIII 9699, 192; 195 (Hermopolites – 79 CE); O.Stras. I 677,19 (Thebes or Hermonthis – 2 nd century CE); P.Lugd.Bat. XXV 46 fr. A 4; 6 fr. B 11; 12 (? – late 2nd century CE); P.Strasb. I 2, 11 (Hermupolis – 217 CE); P.Princ. III 174, 1 (Hermupolis – 260 CE); SB XVI 12625, 1 (? – 3rd century CE); P.Köln III 163, 12 (? – 3 rd century). 32 Roger S. Bagnall / Raffaella Cribiore, Women’s Letters from Ancient Egypt 300 BC–AD 800 (Ann Arbor: University of Michigan Press, 2006), 366. See also John Shelton, ‘Review of W.M. Brashear, Aegyptische Urkunden aus den Staatlichen Museen zu Berlin. Griechische Urkunden. XIII. Greek Papyri from Roman Egypt (Berlin, 1976),’ Gn 51 (1979): 610.
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Translation 1: Aphrodite to her sister, (Tannophris, many) greetings. Above all, I pray for your health and wish you to know that … to go to Alexandria, a horse stepped on my foot, and I was mortally ill, with the result that I was cleaned at great cost and have been laid-up until today. I ask you therefore, if you don’t have at your place the … Translation 2: Aphrodite to Tannophris her sister, many greetings. Before everything I pray that you are well; and I want you to know that … to go to Alexandria, my foot was trodden by a horse and I was in danger, so that I have been healed at great expense, and until today I have been out of action. So I ask you, if you do not have at your place the key of the sore room which … jar of … (Address): Deliver to Tannophris
A new edition of the letter has recently been given by Amphilochios Papathomas, I am appending his Greek text and German translation: 33 Ἀ̣φρ̣ο̣δ̣είτη̣ [Ταοννῶφρι τῇ] ἀ̣[δ]ελφῇ [πολλὰ] χ̣α̣ί[ρ]ειν ̣· [π]ρ̣ὸ̣ πάντω̣[ν εὔχομ]α̣[ί σ]ε [ὑγιαί-] [ν]ειν. γε[ινώσκει]ν̣ σ̣ε θέλ̣ω 5 ὅ̣τι μεθ᾿ ἡ[με]ρ̣ας π̣έν τε τοῦ ἰσελθεῖν [ἰς] Ἀ̣λ̣εξάνδρειαν, ἐπατή̣θη̣ν ὑπὸ ἵππου ‹ε›ἰς τ[ὸ]ν̣ πόδα καὶ ἐκινδύνευσα, ὥστε με καθα̣ρισθῆναι καὶ πολ10 λὰ ἀνηλῶσαι, καὶ ἕως σήμερ̣ον ἀνέξοδος εἰμί· ἐρωτῶ ο̣ὖν σέ, ἄν μὴ ἔχῃς παρά σοι [τ]ὴν̣ [κλεῖ]δα τῆς̣ κέλλης ἧς [--] ἀ̣γγ‹ε›ῖ‹ο›ν̣ ζ ̣τ ̣ 15 [--] ̣ο̣θ ̣ ̣ ̣[3-4] [--] ̣ ̣ ̣[3-4] [--] ̣[3-4] Addressed on the verso: ἀπόδος Ταοννῶ[φρι] 1. l. Ἀφροδίτῃ 34 4. l. γιγνώσκειν 6. l. εἰσελθεῖν l. εἰς 7. ἐπατή̣θ̣η̣ν ex επαθηθην ϊς pap. l. εἰς 10. l. ἀνήλωσα Aphrodite an Taonnophris, die Schwester, viele Grüße. Vor allem wünsche ich, dass Du gesund bist. Ich will, dass Du weißt, dass ich fünf Tage, nachdem ich in Alexandria angekommen war, von einem Pferd auf den Fuß getreten wurde und in Lebensgefahr war und viel (Geld) ausgegeben habe, um geheilt zu werden, und bis heute mittellos bin. Ich ersuche Dich daher, ob Du den Schlüssel zum Keller nicht bei Dir hättest … Gefäß … verso: Stell (den Brief) der Tannophris zu. 33
Amphilochios Papathomas, ‘Textkritische Bemerkungen zu Berliner Papyrusbriefen,’ Archiv für Papyrusforschung 53/2 (2007): 192–196. 34 Sic Papathomas apparatus, but there is no reason for reading the nominative as a dative.
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Papathomas’ edition offers two main improvements that enable a better understanding of the text, and in particular the meaning of καθαρίζειν. First he interprets ἀνηλῶσαι of l. 10 not as a misspelling for the aorist infinitive of ἀναλίσκω (as in the editio princeps), but rather as a misspelling for a first person aorist indicative. He has also noticed that the adjective ἀνέξοδος, literally ‘unable to go out’ can take different shades of meaning depending on the different reasons that caused such an inability (health, means, etc.). Therefore it may indicate a person without the means to go out, which he renders with ‘mittellos’ in view of the πολλὰ ἀνηλῶσαι. I do think that Papathomas’ interpretation of ἀνηλῶσαι is correct, and his discussion of ἀνέξοδος contributes to a better understanding of the tone of the letter. However, his translation, like the most recent English translation, is incorrect in rendering καθαρίζω as ‘to heal.’ This meaning is unsupported by the evidence 35 and the same structure of the passage suggests a different interpretation. I propose in fact the following punctuation and translation of the lines involving the verb at the center of our discussion: ἐπατή̣θ̣η̣ν ὑπὸ ἵππου ‹ε›ἰς τ[ὸ]ν̣ πόδα καὶ ἐκινδύνευσα ὥστε με καθα̣ρισθῆναι καὶ πολ10 λὰ ἀνηλῶσαι καὶ ἕως σήμερ̣ον ἀνέξοδος εἰμί· … my foot was trodden on by a horse and I was in danger up to the point that I was cleansed and I wasted a lot of money and time and up to the present day I am miserably out of action.
I am convinced that Aphrodite is using a colloquial, lively style in her letter in order to describe her disgraceful condition in terms of both health and money because the accident meant that she had to prolong her staying in Alexandria and consequently spend more money than previously planned on both healing the foot and living away from home. It is difficult to establish if the verb here is used in the ‘agricultural’ sense (and therefore meant ‘sifted away, swept away, i.e. killed’) or in the sense of being subject to some healing performance of iatromagical nature. It seems that some classicists are likely to have translated the verb in the light of later interpretations of the Bible. According to the Jewish concept of ṣāra’rat-λέπρα Jesus cleansed the man from a condition of impurity, while according to a much later Christian tradition Jesus healed him from a disease. Both the religious mentality and the physiology at work in the Jewish and Christian traditions are radically different, and in my opinion, 35 See LSJ s.v. καθαρίζω and καθαίρω to which we may add Lampe s.v. καθαίρω, καθαρίζω 682–83. The only meaning remotely connected to the medical sphere is ‘to purge.’
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the two latest translations of BGU XIII 2350 project a later conceptualization of sickness back onto the letter, obscuring its original meaning. From the analysis of the ‘leprosy’ case it comes clear that the continuous process of reading and interpreting the Gospel, and more broadly the Bible, can provoke slips in translations and consequently misunderstandings of episodes and situations. In fact I am convinced that the vagueness weather deliberate or involuntary of many of the episodes reported has contributed to such distortions. In Mark 1:39–45 the lack of details about the identity of the man affected by the scaly skin disease as well as the location where the performance and following conversation took place allowed, and still allows, the readers to fill the gaps using their own social imagination. As historians (i.e. readers with a peculiar ‘culturally aware’ point of view) the text allows us only to state that ‘the leper’ was a man and that the meeting verisimilarly happened in an open space, possibly on the outskirts of a village. As for the social status of the leper, again we have no clues, so that the audience certainly imagined (and still imagines) the episode to conform to his/her own experience or social imagination. The later conceptualization of lepers as destitute and poor members of society has affected the interpretation of the episode as one in which Jesus is particularly close to indigent and rejected members of society. But again as historians we know that severe skin diseases in antiquity affected people from all kinds of social strata at different rates that we are unable to estimate, and in fact Maximus and Patermouthis of the above-mentioned documentary papyri belonged to the local class of small-middle landowners, and this seems to be the case with Simon of Bethany as well. To a Jewish audience the episode would have seemed to be clearly connected with Leviticus, but it is more difficult to establish how people of different backgrounds would have reacted, although – as Bolt as demonstrated – there was a common cultural perception that skin diseases could be caused by pollution and be inducted or cured through rituals performed by magicoreligious healers. And in the Gospel of Mark Jesus is certainly presented as the most powerful magico-religious healer. 2.3. Mark 5:25–34 – the Haemorrhaging Woman The analysis of the episodes considered above has shown some tracts of the Markan Jesus in his role as the most powerful healer and miracle maker. Although this image of Jesus is constructed in the Gospel through different episodes and literary devices, I am convinced that one pericope, in particular, is enlightening for understanding Mark’s writing strategies: the cure of the woman with a haemorrhage (Mark 5:25–34). At this point in the text the author builds up a sharp contrast between the successful healing intervention of Jesus and the inefficient methods of
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the doctors. This reinforces the reader’s idea that Jesus healing powers are not only invincible, but also, and more importantly, radically different from those of any other healer. My argument becomes clear when we consider Mark 5:25–34 alongside the parallels of Matthew 9:20–22 and Luke 8:43–48. In all three Gospels the story is interwoven with the resurrection of Jairus’ daughter, a high point in Jesus miracle-working. Mark, however, devotes more space to the woman with a haemorrhage than Matthew and Luke, and gives details absent from the other two accounts. In fact Mark comments not only that the woman suffered for twelve years in which doctors’ interventions had no positive effect, but adds also that the doctors inflicted pain on her and consumed her entire property in payment. The relationship between the doctors and the woman on the one hand, and Jesus and the woman on the other, is characterized by the failure of the doctors, who received money in change of their painful and unsuccessful healing attempts, and the success of Jesus, whose δύναμις cures the woman because of her πίστις, as explicitely stated by the Jesus. The centrality of faith in activating Jesus’ power is significantly stressed later in Mark 6:5–6 when Jesus is less effective in Nazareth, where people are characterised as particularly unfaithful.
3. The Value of Doctors and Medical Practices in the Graeco-Roman World Criticism of medicine and the doctors is attested in the Jewish biblical tradition and throughout the wider context of the Graeco-Roman world. According to the Bible, God is the ultimate restorer of human health. There are passages where God is contrasted to the doctors, while in others the doctors are described as intermediaries between God and the humankind, but never able to cure without his intervention. In 2 Chr 16:12–14, for instance, king Asa dies of his infirmity because he only confided in the physicians and not in God. Sir 38:1–15, which presents teachings concerning infirmity and doctors, is enlightening in this respect. Although doctors are described as acting through the agency of God who has given knowledge to them, it is through prayers and the performance of rites that the sick are really cured. The discourse closes with two lines that sounds like a warning proverb: ‘He who has sinned against his Creator, let him fall into the hand of the physician.’ In the wider context of the ancient Mediterranean world, the responsibility for wring from illness was divided between institutional figures, doctors (medici, ἰατροί), on the one hand, and other experts more or less con-
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nected with the religious sphere, on the other. 36 The boundaries between these two fields were in reality extremely blurred, as becomes clear when analysing, for instance, the corpus of iatromagical papyri mentioned above, where elements from both medical and religious-magical traditions coexisted. As scholarship has firmly established, many practitioners of ‘secular’ medicine were indeed making use of drug preparations and recipes linked with popular remedies. It is also apparent from sources that in the period we are interested in, there were different political and rhetoric strategies about healing, and that the imperial elite was promoting medicine at different levels. Let us consider doctors in the first phase of the Roman rule on Egypt. 37 Documents show that the local authorities (town councils) institutionalized the role of doctors, tried to control their work, and conceded tax-rebates and honours to members of this profession. 38 This is clear from a number of reports of public doctors connected with denounciations and legal proceedings, an example of which is the above analysed P.Oslo III 95, and the references to such reports in petitions and legal proceedings. 39 When we consider this material in the light of information given by other sources, it becomes clear that this process of exerting control over the profession was probably empowered by Rome. According to Suetonius, for instance, Caesar conceded the Roman citizenship to the doctors who came to the capital. Suetonius also informs us about the honours that Augustus gave to his doctor, Antonius Musa, after he recovered from illness in 23 BCE. 40 A law of Antoninus Pius preserved in the Digest recalls and confirms all the exemptions from liturgies that his predecessor Hadrian had previously conceded
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Owsei Temkin defines this dichotomy as ‘religious healing and secular healing,’ see idem, Hippocrates in a World of Pagans and Christians (Baltimore/London: JHU Press, 1991), 77–105. 37 For a repertory of papyri attesting doctors see briefly Hermann Harrauer, CPR IX, s.v. ἰατρός, 89–100 and more extensively the recent monograph of Marguerite Hirt Raj, Médecins et malades de l'Égypte romaine. Étude socio-légale de la profession médicale et de ses praticiens du Ier au IVe siècle ap. J.-C. (Leyde/Boston: Brill, 2006) (which, however, tends to underestimate the overlaps between medicine and religious-magical practices). 38 Evidence collected and discussed by Naphtali Lewis, ‘Exemption of Physicians from Liturgy,’ BASP 2.3 (1965): 87–92. See also Isabella Andorlini and Arnaldo Marcone, Medicina, medico e società nel mondo antico (Firenze: Mondadori Education, 2004), 171. 39 The dossier, counting 39 papyri, is available through the website of the CEDOPAL: http://promethee.philo.ulg.ac.be/cedopal/Bibliographies/Petitions.htm, accessed July 1 2012. 40 Suetonius, Caesar 42; Augustus 59.
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to doctors. 41 All these measures aimed at assuring the presence of doctors in Rome as well as in the other centres of the Roman Empire. It is unsurprising that in a phase of demographic and urban expansion the Roman state was concerned about public health for practical and propagandistic reasons. The high number of papyri reporting medical literature in the form of books and other scripts dating to the first centuries of the imperial era should be interpreted in this same frame. They attest a growing interest in the discipline and its practitioners, both professional – in some cases the books clearly are the remains of the libraries of doctors – and cultural, since medicine appealed to a wider audience of consumers of literature. 42 The Roman Empire was a world of competing powers in many different spheres, and healing was no exception. Together with doctors, sick people relied on a series of other figures from priests, to healers and magicians of different types, as they are still doing today. We find traces of this competition in a text like Mark, where the author uses the antithesis between Jesus and the doctors in order to stress group identity. The famous passage on doctors in book 29 of the Natural History of Pliny the Elder gives an example of a similar strategy, although in a very different context. Pliny presents the spreading of Greek medicine in Italy in negative light creating an opposition between Greek medicine and the old, native healing systems practiced by M. Cato, the champion of Roman values. 43 As in the Gospel episode, doctors are described by Pliny as money lovers, who often inflict pain on their patients by misusing their scills. Ancient, ‘ethnic’ (Romanocentric) knowledge is opposed to new, foreign knowledge. 44 Despite the different contexts, the two discourses of Mark and Pliny are structurally very similar. To sum up: critique to doctors and medicine was common in the ancient Mediterranean world during the centuries of the rise and establishing of Christianity. Moreover, in this period, there existed competing healing systems, from medicine of different traditions to religious-magical practices
41 42
Dig. 27.1.6.8. On this see recently Susan Mattern, Galen and the Rhetoric of Healing (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2008), esp. 14–20. On medical papyri see Isabella Andorlini, ‘L’apporto dei papiri alla conoscenza della scienza medica antica,’ ANRW 2.37.1 (1993), 458–562. 43 Pliny, N.H. 29, 5-8. 44 See Vivian Nutton, ‘The Perils of Patriotism: Pliny and Roman Medicine,’ in Science in the Early Roman Empire: Pliny the Elder, his Sources and Influence (ed. R. French and F. Greenaway; London: Croom Helm, 1986; repr. Vivian Nutton, From Democedes to Harvey: Studies in the History of Medicine from the Greeks to the Renaissance, London: Variorum, 1988).
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performed by a variety of specialists. The representation of Jesus as opposed to the doctors in Mark 5:25–34 counterposes his healing capacities to those of the physicians. This would have had different implications for the audience, whatever the intentions of the author were: Jesus could have been interpreted as a miracle maker like many others of his time, and his power could have been seen as a religious-magical expertise, again a common trait in the culture of the time. However, if we approach the Gospel in its entirety we see that for the author Jesus’ power were deeply rooted in his divine status, and in a specific relationship with the sick in search for healing, who had to have faith (πίστις). The doctors of the woman with a haemorrhage represented the healing system of the ruling power, and the episode connects Mark’s rhetoric of healing to his wider construction of Jesus power as opposed to all the others, especially political, imperial powers.45
4. Conclusion In conclusion, the analysis of fever and leprosy (or better scaly skin disease) in the light of the papyri and the discussion of the opposition between Jesus and the doctors in Mark point in the same direction. The success of the early Christian writings is in part explained by the fact that themes and issues approached by their authors were shared at different levels by the wider society of the time. Despite differences in cultural and social backgrounds, many people living in the first centuries of the Roman Empire had similar life problems, among which illness was certainly the most serious one. They also lived in a world where they could opt for different healing systems, and even combine them. The figure of Jesus and his performances as represented in Mark constituted a powerful tool of conversion through the message that rather than spending money you could be healed from any kind of sickness by believing in him. In fact, this aspect is not secondary in a world where people certainly had to pay for doctors, medicine and iatro-magical performances and rites. Together with the use of the Greek koine, the representation of episodes describing common human crises and the openness of the texts to interpretations (as in the case
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Along this line of interpretation of the Jesus of Mark as a counter-power, in particular as a counter-emperor, M. Peppard has recently interpreted the divine voice in the baptism of Jesus episode as ‘an adoption, the beginning of Jesus’ accession as a counteremperor.’ See Michael Peppard, The Son of God in the Roman World. Divine Sonship in Its Social and Political Context (Oxford: Oxford University Press, 2011), 87 with note 5 at p. 212.
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of the healing of the anonymous man with the scaly skin disease) that would have appealed to a broad constituency contributed to the success of the texts and the religious groups who proclaimed the teachings of Jesus in the Roman Empire.
Heilungsvollzüge und ihre Beschreibung in frühjüdischer Literatur und im Markusevangelium MARTIN MEISER Das Thema des vorliegenden Beitrags hat einen Oberflächenaspekt, in dem einzelne Motive im Markusevangelium wie das Ergreifen der Hand oder die Benutzung von Speichel auf frühjüdische Parallelen 1 hin befragt werden und umgekehrt eruiert wird, was an Einzelmotiven frühjüdischer Literatur wie etwa die Verwendung von Fischgalle im Markusevangelium fehlt. Das Thema hat aber auch eine Tiefendimension: Auch die Frage der Legitimität medizinischen Wissens insgesamt und die Frage nach dem Verhältnis menschlicher Heilkunst zu dem Wirken Gottes müssen erörtert werden, weil nur in diesem Gesamtrahmen der religionsgeschichtliche Vergleich sinnvoll durchzuführen ist. Von Bedeutung ist dies nicht zuletzt im Hinblick auf die neuerdings wieder offene Frage der religionsgeschichtlichen Herkunft des Markus. 2 Wenn man Markus nicht als Heidenchristen, 3 sondern als Judenchristen 1 Die weitgehende Beschränkung dieser Studie auf die frühjüdischen Parallelen entspricht dem Gesamtanliegen des Projektes „Corpus Juadeo-Hellenisticum Novi Testamenti“, antik-jüdische, literarische wie nichtliterarische Quellen für das Verständnis neutestamentlicher Texte fruchtbar zu machen. Für Parallelen vor allem aus Qumran sowie aus rabbinischer Literatur vgl. neuerdings B. CHILTON u.a., A Comparative Handbook to the Gospel of Mark. Comparisons with Pseudepigrapha, the Qumran Schrolls (sic!), and Rabbinic Literature, The New Testament Gospels in their Judaic Contexts, Leiden/Boston 2010. 2 Nicht wenige Autoren verzichten auf eine Festlegung, so z.B. M. D. H OOKER , The Gospel According to Saint Mark, Black’s New Testament Commentary, London 1991, 7f; R. T. FRANCE, The Gospel of Mark: A Commentary on the Greek Text, NIGNTC, Grand Rapids/Cambridge (UK) 2002, 41; R. FELDMEIER, Die synoptischen Evangelien, in: K.-W. Niebuhr (Hg.), Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlichtheologische Einführung, Göttingen ²2003, 75–142, hier 106; L. HARTMAN, Mark for the Nations, A Text- and Reader-Oriented Commentary, Eugene 2010, 680. 3 So M. E. B ORING, Mark. A Commentary, New Testament Library, Louisville/London 2006, 18; U. SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 62007, 242; M. EBNER, Das Markusevangelium, in: DERS. / S. SCHREIBER, Einleitung in das Neue Testament, Kohlhammer Studienbücher Theologie 6, Stuttgart 2008, 170. Zur Kritik an der
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auffasst, 4 so vertritt er ein Judenchristentum, das in diesen Fragen durchaus Assimilationstendenzen zeigt; wenn man Markus wie z.B. Ingo Broer und Hans-Ulrich Weidemann zu den sog. Gottesfürchtigen rechnet, sind die hellenistischen Motive völlig unproblematisch. 5 Generell fällt bei der Betrachtung der Literatur des antiken Judentums auf, dass in nachbiblischen Texten die Angaben über die äußerlichen Heilmittel und Heilmethoden eher gekürzt werden zugunsten des Verweises auf das Gebet und auf das göttliche Wort. Von solchen Tendenzen zeigen sich Texte wie Mk 7,31–37 und Mk 8,22–26 unberührt. Dass die Legitimität medizinischer Kunst sich danach bemisst, ob sie als Magie empfunden wird, die den Heilungssuchenden faktisch von dem Gott Israels wegführt, ist ein häufiger diskutiertes Thema im frühen Judentum (dazu s.u.). 6 Im Markusevangelium hat es seine Parallele jedoch nur in der Perikope vom fremden Exorzisten Mk 9,38–40, in der Jesus das Bedenken seines Jüngers, der fremde Exorzist folge ihnen nicht nach, faktisch nicht gelten lässt.
1. Das Thema in der neueren Forschung Die Frage nach dem religionsgeschichtlichen Hintergrund synoptischer Wundergeschichten 7 beginnt mit David Friedrich Strauß, der diese als altheidenchristlichen Hypothese vgl. auch A. YARBRO COLLINS, Mark, Hermeneia, Minneapolis 2007, 6. 4 U.a. R. PESCH, Das Markusevangelium, HThK II/1, Freiburg u.a. 1976, 12; J. G NIL2 KA, Das Evangelium nach Markus, EKK II/1, Zürich u.a. 1986, 33, Anm. 47; R. P. B OOTH, Jesus and the Laws of Purity. Tradition History and Legal History in Mark 7, JSNT.S 13, Cambridge 1986, 220; R. A. GUELICH, Mark 2–8:36, WBC 34 A, Dallas 1989, xxviii; R. H. GUNDRY, Mark. A Commentary on His Apology for the Cross, Grand Rapids 1993, 1039; D. R. A. HARE, Mark, Westminster Bible Companion, Louisville 1996, 4; R. A. CULPEPPER, Mark, Smyth & Helys Bible Commentary, Macon 2007, 31; P. DSCHULNIGG, Das Markusevangelium, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 2, Stuttgart 2007, 54; R. H. STEIN, Mark, Baker Exegetical Commentary on the New Testament, Grand Rapids 2008, 8f. 5 I. BROER in Verbindung mit H.-U. WEIDEMANN, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 32010, 95. 6 Vgl. dazu vom orthodox-jüdischen Standpunkt aus E. U RBACH, The Sages – Their Concepts and Beliefs. Translated from the Hebrew by Israel Abrahams, Publications of the Perry Foundation in the Hebrew University of Jerusalem, Jerusalem 1975, 97–123. 7 Zur Forschungsgeschichte vgl. W. K AHL, New Testament Miracle Stories in Their Religious-Historical Setting. A Religionsgeschichtliche Comparison from a Structural Perspective, FRLANT 163, Göttingen 1994, 13–36; B. KOLLMANN, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum, FRLANT 170, Göttingen 1996, 18–60.
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testamentlich beeinflusste Bildungen des christlichen Mythos erklärte. 8 Das von Richard Reitzenstein und Otto Weinreich gebotene Vergleichsmaterial 9 führte Rudolf Bultmann zu der These, die meisten neutestamentlichen Wundererzählungen seien auf hellenistischem Boden erwachsen. Ein alttestamentliches Vorbild ließ Bultmann für die Speisungs- und Sturmstillungsgeschichten gelten; auf jüdischen Boden verweisen ferner Mk 3,1–5; 7,24–30; Mt 8,5–13 sowie Mk 1,40–45. 10 Martin Dibelius bescheinigte den Verfassern der von ihm so bezeichneten „Novellen“ (z.B. Mk 5,1–20.21– 43) profane Erzähllust mit dem Motiv der Anpassung an die nichtchristliche Umwelt. 11 Auch innerhalb der speziell judaistischen Forschung der Zeit kurz vor Bultmanns „Geschichte der synoptischen Tradition“ war das Profil der synoptischen Wundererzählungen religionsgeschichtlich umstritten. Hatte Paul Fiebig die synoptischen Wundergeschichten aus der rabbinischen Tradition hergeleitet, so hat Adolf Schlatter mit Verweis auf das Fehlen des Gebetsmotivs diese Herleitung bestritten. 12 Einflussreich war für eine gewisse Zeit das θεῖος-ἀνήρ-Konzept von Ludwig Bieler, 13 in dem θεῖος ἀνήρ für einen göttlich begabten Menschen stand, dessen Gottesnähe sich nicht nur durch Wunder, sondern auch durch die Qualität seiner Rede bemerkbar macht; 14 unter diesen Begriff hatte Ludwig Bieler Gestalten wie Elia und Apollonios von Tyana phänomenologisch zu erfassen gesucht. Das Konzept war einflussreich bis in die Markusforschung hinein, 15 wurde aber doch einer generellen Kritik unterzo8 D. F. STRAUSS, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. 2, Tübingen 1836, 1–251. 9 R. REITZENSTEIN, Hellenistische Wundererzählungen, Leipzig 1906; O. W EINREICH,
Antike Heilungswunder, RVV 8/1, Gießen 1909 = Berlin 1969. 10 R. B ULTMANN, Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT 29, 10. Aufl. hg. v. G. Theißen, Göttingen 1995, 254f; ebenso KAHL, New Testament Miracle Stories (s. Anm. 7), 223. 11 M. D IBELIUS, Die Formgeschichte des Evangeliums, 2. Aufl. Tübingen 1933; 6. Aufl. hg. v. G. Iber, 1971, 66. 12 A. SCHLATTER , Theologie des Neuen Testaments, Bd. I, Calw/Stuttgart 1909, 277f; DERS., Das Wunder in der Synagoge, BFChTh 16,5, Gütersloh 1912. 13 L. B IELER , θεῖος ἀνήρ. Das Bild des „Göttlichen Menschen“ in Spätantike und Frühchristentum, Bd. I+II, Wien 1935/36 = Darmstadt 1967. 14 Vgl. die Definition bei B IELER , θεῖος ἀνήρ. Bd. I, 20: Der θεῖος ἀνήρ „ist ein Mensch mit Menschenmaß überragenden Eigenschaften und Fähigkeiten, Liebling der Götter und eine Art Mittler zwischen der Gottheit und den Menschen, zugleich ihr Ratgeber und κατορθωτής, zu dem sie von fernher gezogen kommen.“ 15 D. G EORGI, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief, 1964, vermutete, dass Paulus Gegner bekämpfe, die sich die Tradition des θεῖος ἀνήρ zu eigen gemacht hätten, wie sie in synoptischen Wundergeschichten zu Wort komme. T. J. WEEDEN, Die Häresie, die Markus zur Abfassung seines Evangeliums veranlaßt hat, in: R. Pesch (Hg.), Das Mar-kus-Evangelium, WdF 411, Darmstadt 1979, 238–258, hier 238, und L. SCHENKE, Die Wundererzählungen des Markusevangeliums, SBB 5, Stuttgart 1974, 396–416 zufol-
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gen. 16 Für unsere Fragestellung ist bemerkenswert, dass Barry Blackburn in Kritik an Bielers Bild die Kontroverse zwischen Fiebig und Schlatter wieder aufgreift. Das Gebetsmotiv fehle, so Blackburn, auch in einigen alttestamentlichen wie frühjüdischen Texten. Für das Alte Testament verweist Blackburn auf Ex 17,8–13 (vgl. noch Num 21,17f) sowie auf einige Elisa-Geschichten (2Kön 2,6–8; 4,1–7.38–41; 5,1–14.19–27; 6,1–7). Für die vorrabbinische Zeit kann er aber nur LAB 60 (David vertreibt den bösen Geist Sauls durch einen Hymnus, aber ohne Gebet zu Gott) und die Beschreibung des Theudas durch Josephus in Ant XX 97 anführen. 17 Beide Belege tragen aber m.E. nicht die These, dass das Fehlen des Gebetsmotivs in jüdischen Texten als unauffällig anzusehen wäre: LAB 60 folgt nämlich der biblischen Vorlage, die ebenfalls kein Gebet erwähnt, und Josephus wird gewiss kein Interesse daran gehabt haben, Theudas als im Einklang mit genuin jüdischer Tradition stehend zu schildern. Larry P. Hogan beschreibt nicht nur die Heilungswunder im engeren Sinne, sondern auch gesundheitsschädigende Strafwunder, außerdem führt er auch die durchaus divergierende Sicht auf die Medizin als menschliche Möglichkeit in frühjüdischer Literatur vor Augen. 18 Louise Wells bietet Erhebungen zu den Verben θεραπεύω und ἰάομαι von Homer an, berücksichtigt aber auch die Septuaginta und die frühjüdische Literatur. 19 Gerbern Oegema zufolge lässt sich die markinische Darstellung des exorzistischen Wirkens Jesu kaum als in griechisch-römischer Tradition verwurzelt ver-stehen. Diese Erzählungen stehen vielmehr vermutlich am Beginn einer neuen religiösen Tradition, einer original jüdisch-christlichen ge, bekämpft Markus diese θεῖος-ἀνήρ-Tradition mit Hilfe seiner Kreuzestheologie; G. THEISSEN, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, Gütersloh 1974, 220, gab zu bedenken, dass sich die Massivität der Wunderstoffe im Markusevangelium – ca. 49 % im Markusevangelium sind Wundertexte – eher mit der Intention der Integration als mit der der Bekämpfung erklären ließen. Zur Kritik an Weeden und Schenke verweist K OLLMANN, Jesus und die Christen als Wundertäter (s. Anm. 7), 289 Anm. 3 auf die redaktionellen Wundersummarien; das Markusevangelium ist hinsichtlich der Wundertradition tatsächlich, so KOLLMANN, a.a.O. 287, durch die θεῖος-ἀνήρ-Tradition geprägt. 16 Vgl. u.a. O. BETZ, The Concept of the So-Called ‚Divine Man‘ in Mark’s Christology, in: D. E. Aune (Hg.), Studies in New Testament and Early Christian Literature, FS A. F. Wikgren, NT.S 33, Leiden 1972, 229–240, hier 233: Das Bild sei zu vage und ungenau. 17 B. B LACKBURN, Theios Aner and the Markan Miracle Traditions. A Critique of the Theios Aner Concept as an Interpretative Background of the Miracle Traditions Used by Mark, WUNT II/40, Tübingen 1991, 128f. 18 L. P. H OGAN, Healing in the Second Temple Period, NTOA 21, Fribourg/Göttingen 1992. 19 L. W ELLS, The Greek Language of Healing from Homer to New Testament Times, BZNW 83, Berlin/New York 1998.
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Tradition, und mögen ihre Inspiration in der Tat in den Worten und Taten des historischen Jesus selbst gehabt haben. 20 Erkki Koskenniemi geht der Frage nach, wie alttestamentliche Wundertäter in der Literatur des antiken Judentums verstanden wurden. Als theologische Haupttendenzen der antiken jüdischen Literatur im Vergleich zur Vorlage benennt er die Zurückdrängung als problematisch empfundener Züge wie anthropomorpher Tendenzen im Gottesbild sowie die Zurückdrängung negativer Züge bei den positiven Größen der Geschichte Israels. Die Rolle Gottes und des Menschen würden in den Nacherzählungen in unterschiedlicher Richtung neu gewichtet; eine einheitliche Tendenz lasse sich dabei nicht erkennen. Hingegen kann sich die These einer rationalistischen Reduktion des Wunders im antiken Judentum nicht auf eine breite Textbasis stützen, 21 wie Koskenniemi gerade im Fall des Josephus gegen Gerhard Delling und Louis Feldman betont. 22 Reinhard von Bendemann, der in seinen materialreichen Arbeiten zum Thema Krankheit und Heilung die hellenistischen Parallelen herausarbeitet, vermerkt gleichwohl die Prägung des Markusevangeliums durch frühjüdische Tradition, nämlich in der ästhetisch-externen Krankheitswahrnehmung, in welcher Rückschlüsse auf das körperliche Innere des Menschen nahezu völlig fehlen. 23 Der Blick in die Forschungsgeschichte zeigt, dass der religionsgeschichtliche Vergleich nur unter Beachtung der verschiedenen Ebenen sinnvoll ist. Zu unterscheiden sind die materiale Ebene des Vergleichs der Einzelmotive und die konzeptionelle Ebene der Einbettung dieser Einzelmotive in einen Gesamtrahmen, der in ein religions- und theologiegeschichtlich stimmiges Bild des frühen Christentums insgesamt eingezeichnet werden muss. Diese Unterscheidung bestimmt auch die folgenden Ausführungen.
20 G. S. OEGEMA, Jesus’ Casting out of Demons in the Gospel of Mark against its Greco-Roman Background, in: A. Lange (Hg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt. Demons. The demonology of Israelite-Jewish and early Christian literature in context of their environment, Tübingen 2003, 505–518, 516. 21 E. K OSKENNIEMI, The Old Testament Miracle-Workers in Early Judaism, WUNT II/206, Tübingen 2005, 293–298. 22 A.a.O. 228f. 23 R. VON BENDEMANN, Christus der Arzt. Krankheitskonzepte in den Therapieerzählungen des Markusevangeliums, BZ NF 54 (2010), 36–53; 162–178, hier 42f.
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2. Heilungsvollzüge Generelle Analogien zwischen dem Markusevangelium und dem biblischen sowie frühjüdischen Befund bestehen darin, dass die chronischen Leiden gegenüber den akuten Krankheiten dominieren 24 und dass Jesus faktisch nie in dem Sinne wie Asklepios auftritt, dass er Anweisungen gibt, aber nicht selbst heilt. In frühjüdischer Literatur ist Letzteres auch nur im Tobitbuch der Fall (Tob 6,5–9) und dient vor allem dem literarischen Zweck, die Identität des zunächst unbekannten Begleiters für den jungen Reisenden möglichst lang geheim zu halten. 25 Heilungsvollzüge werden von Jesus im Markusevangelium wie in der übrigen synoptischen Tradition nur an Menschen, nicht z.B. an Quellen (2Kön 2,19–22), berichtet. Ob das Fehlen solcher Motive wie in 2Kön 2,19–22 theologisches Programm ist oder ob sich hier schlichtweg keine Tradition aus dem – zeitlich ja nicht unbefristeten – Wirken Jesu erhalten hat, muss offen bleiben, ähnlich wie dies für die in rabbinischer Literatur berichteten Regenwunder gilt. Ansonsten hat im Einzelnen längst nicht alles Parallelen in frühjüdischen Quellen, wie z.B. die therapeutische Benutzung von Speichel. 26 Umgekehrt haben manche in frühjüdischer Literatur erzählte Vorgänge keine Entsprechung in erzählenden Texten im Markusevangelium, z.B. die Heilung von Schlangenbiss. 27 An Gesten, die mit der Heilung in Verbindung stehen, werden im Markusevangelium die Verwendung der Hand (Mk 1,31.41; 5,41; 8,25) und der Finger (Mk 7,33) sowie der Gebrauch von Speichel (Mk 7,33; 8,23) genannt, ferner das Aufseufzen als Gestus pneumatischer Erregung (Mk 7,34 28) und, nur von den Jüngern erzählt, das Salben mit Öl (Mk 6,13). 24 A.a.O. 44. 25 H OGAN, Healing (s. Anm. 18), 37. 26 H ARTMAN, Mark for the Nations (s.
Anm. 2), 279, zitiert tSanh 12,9: Wer über einer Wunde flüsternd Ex 15,26 zitiert und sie mit Speichel netzt, hat keinen Anteil an der kommenden Welt. Dasselbe findet sich schon in mSanh 10,1 in der Passage „Ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt ...“ Im jüdischen Bereich wird Speichel erst in rabbinischer Literatur als Heilmittel erwähnt, vgl. yShab 14,4; bShab 108b; yShab 14d; DevR 5,15. Parallelen aus der griechisch-römischen Umwelt sind genannt bei WELLS, Greek Language of Healing (s. Anm. 19), 128 Anm. 214; COLLINS, Mark (s. Anm. 3), 370f. Speichel gilt selbst bei Galenus gelegentlich als medizinisch wirksam; Plinius, naturalis historia XXVIII 5,25; 7,35–39 zeigt jedoch, dass die Wertschätzung des Speichels weniger in antiker Schulmedizin als vielmehr in antiker Volksmedizin zu finden ist. 27 Als allgemeine Voraussage vgl. lediglich aus dem unechten Markusschluss Mk 16,18: Die Glaubenden werden Schlangen mit den Händen hochheben, ohne dass sie Schaden nehmen. Zur Macht von Menschen über Schlangen vgl. noch Lk 10,19; Apg 28,3–6. 28 T HEISSEN, Urchristliche Wundergeschichten (s. Anm. 15), 67. Parallelen aus den Zauberpapyri bieten COLLINS, Mark (s. Anm. 3), 371; HARTMAN, Mark for the Nations
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Auffällig für das Markusevangelium ist, dass sich diese Gesten nur bei Therapien finden, während umgekehrt bei den Exorzismen jede rituelle Handlung in einer beispielsweise von Josephus geschilderten Art (Ant VIII 45–49) fehlt. Es wird sich zeigen, dass nur für den Gebrauch der Hand im eingeschränkten Sinne Parallelen vorhanden sind, wohingegen die Benutzung von Speichel sowie das Aufseufzen im Geist keine Parallele in frühjüdischer Literatur hat, wie denn auch bei Matthäus und Lukas eine etwas größere Zurückhaltung hinsichtlich der an Magie grenzenden Heilsmethoden besteht. 29 Dort findet sich hingegen, anders als im Markusevangelium, die Verwendung von Feigen, Sand und Fischgalle. 2.1. Die Verwendung der Hand Die Verwendung der Hand kann im Markusevangelium in dreierlei Weise beschrieben werden: Der Therapeut kann die Hand ausstrecken und den Kranken berühren (Mk 1,41), er kann die Hand auflegen (Mk 8,23.25), und er kann mit ihr die Patientin bzw. den Patienten ergreifen (Mk 1,31; 5,41). 30 Das Ausstrecken der Hand und das Ergreifen mit der Hand sind in frühjüdischer Literatur m.W. nicht belegt. Handauflegung wird als erwarteter Heilungsvollzug in 1QGen 20,22 31 benannt. In 2Kön 4,34 32 erfolgt die (s. Anm. 2), 279. – Alternativ kann das Aufseufzen im Sinne von Tob 3,1 als ein zum Gebet hin führender Gestus verstanden werden (CULPEPPER, Mark, [s. Anm. 4], 245; STEIN, Mark [s. Anm. 4], 360). 29 Das Ergreifen bei der Hand in Mk 5,41 ist auch in Mt 9,25 und Lk 8,54 erhalten geblieben, desgleichen das Motiv des Berührens mit der Hand Mt 8,15 (vgl. Mk 1,31), während die Verwendung von Speichel in Mk 7,33; 8,23 entfallen ist (sie begegnet im Bereich der Evangelientradition nur noch in Joh 9,6). Mk 8,22–26 hat bei Matthäus und Lukas keine Parallele, Mk 7,31–37 ist bei Matthäus in ein Summarium umgewandelt, wobei über die Heilmethoden im Einzelnen nichts gesagt wird. Im lukanischen Doppelwerk ist die Verwendung der Hand im Heilgestus auch in Apg 3,6; 9,17; 28,8 vorausgesetzt. Magische Vorstellungen sind gelegentlich noch wirksam, so etwa in Apg 5,15 (Schatten des Petrus, von dem man sich Heilung erhofft) sowie in den von 1Kön 17,17– 24; 2Kön 4,8–37 her geprägten Texten Apg 9,36–43; 20,7–11 (zu dieser Prägung vgl. R. PESCH, Apostelgeschichte [Apg 1–12], EKK V/1, Zürich u.a. 1986, 322; DERS., Apostelgeschichte [Apg 13–28], EKK V/2, Zürich u.a. 1986, 192, der allerdings darauf hinweist, dass es keine Stichwortverbindungen zu den alttestamentlichen Texten gibt). 30 Dass die Initiative zur Berührung des Wundertäters von den Hilfsbedürftigen selbst ausgeht, begegnet mehrfach im Markusevangelium (Mk 5,27; 6,56). Mit 4Kgt 13,20f ist nur das Verbum ἅπτεσθαι gemeinsam, aber nicht die im Markusevangelium vorliegende Intentionalität. Anders als in Mk 5,27 verläuft die Kontaktaufnahme seitens der Hilfsbedürftigen in alttestamentlichen Texten stets verbal (2Kön 2,19; 4,1.22). In bTaan 23b ist die Berührung des Gewandes zugleich mit der verbalen Anrede erwähnt. 31 K. BEYER , Die aramäischen Texte vom Toten Meer, Bd. 1, Göttingen 1984, 176. – Parallelen zum allgemeinen Gestus der Berührung mit der Hand aus der griechisch-
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Handauflegung nicht unbestimmt, sondern als Auflegen auf die Hände des toten Knaben und ist als Teil einer umfassenden körperlichen Berührung gedacht (dazu s.u.). Ein Sonderfall ist 2Kön 5,11, wo Naëman seine Vorstellung dazu äußert, wie die Heilung von seinem Aussatz geschehen sollte: Elisa selbst solle herauskommen und den Namen JHWHs anrufen. Darüber hinaus wird ein Gestus mit der Hand benannt, dessen Zielrichtung allerdings unterschiedlich bestimmt wird: Nach 4Reg 5,11Ant 33 soll, so meint Naëman, der Prophet die Hand auf die aussätzige Stelle (ἐπὶ τὸ λεπρόν) legen, nach 2Kön 5,11 (hebr. Text) hingegen die Hand „zum Ort“ erheben (מקום- ;)אלmöglicherweise ist hier wie in der griechischen Wiedergabe τόπος in der kai-ge-Rezension an die Erhebung der Hand in Richtung des Heiligtums gedacht. 34 In ersterem Fall wäre ein Berührungs-, im anderen ein Gebetsgestus gegeben. 361F
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2.2. Die Verwendung anderer Heilmittel Als Heilmittel werden in biblischer wie frühjüdischer Literatur neben dem allgemeinen Verweis auf heilkräftige Pflanzen in Sir 38,5 im Speziellen Feigen, Sand, Fischgalle und Öl erwähnt. römischen Umwelt des Neuen Testamentes notiert HARTMAN, Mark for the Nations (s. Anm. 2), 65. Plutarch, De Iside et Osiride 352 D zeigt unter Aufnahme von Platon, Phaidon 67 B, dass es auch im griechisch-römischen Kontext als „gegen das göttliche Gesetz“ stehend befunden wurde, wenn der Unreine den Reinen berührt (HARTMAN, ebd.). 32 Die Perikope ist bei Josephus ebensowenig wiedergegeben wie die Heilung Naëmans. Eine Wiedergabe wäre nach Josephus Ant IX 51 zu erwarten. Im Fall von 2Kön 4 mag der Heilgestus, im Fall von 2Kön das Thema Aussatz dazu geführt haben – antike Judenpolemik hat gelegentlich den Exodus mit dem Motiv der Aussätzigkeit der Juden begründet, vgl. Josephus Ap I 233.241. 33 Die Bezeichnung „antiochenischer Text“ verweist auf die Bezeugung dieser Textform bei den antiochenischen Kirchenvätern, vor allem Theodoret von Kyros. In vielem hat der antiochenische Text eine größere Nähe zur ursprünglichen griechischen Übersetzung des Alten Testaments als Alfred Rahlfs annahm; vgl. S. KREUZER, Das frühjüdische Textverständnis und die Septuaginta-Versionen der Samuelbücher. Ein Beitrag zur textgeschichtlichen und übersetzungstechnischen Bewertung des Antiochenischen Textes und der Kaige-Rezension an Hand von 2.Sam 15,1–12, in: W. Kraus / O. Munich, La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg/Göttingen 2009, 3–28, hier 11f. 34 Kritisch dazu jedoch M. COGAN / H. T ADMOR , II Kings. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 11, Garden City 1988, 64. Sie rechnen mit einem Erheben der Hand über der betroffenen Stelle als exorzistischem Ritus, ähnlich P. D. MCLEAN, 4 Reigns, in: A. Pietersma / B. G. Wright (Hg.), A New English Translation of the Septuagint and the Other Greek Transations Traditionally Included under That Title, New York/Oxford 2007, 320–341, 323. Immerhin ist das Erheben der Hände zum Himmel als Gebetsgestus bei der Heilung einer Quelle bei Josephus Bell IV 463 (Nacherzählung von 2Kön 2,19–22) vorausgesetzt.
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Als der bisher so fromme König Hiskia todkrank wird (2Kön 20,1), lässt der Prophet Jesaja nach 2Kön 20,7 ein Pflaster von Feigen auflegen, damit Hiskia gesund wird. 35 In der Parallele 2Chr 32,24 ist nur allgemein vom Gebet Hiskias wie in 2Kön 20,2f und von einem Wunder Gottes die Rede, in Sir 48,23[26] von der Lebensverlängerung. Jesajas Vorankündigung der göttlichen Hilfe 4Kgt 20,5f und das Motiv der Feigen sind nicht erwähnt; das letztere Motiv fehlt auch in der Nacherzählung bei Josephus Ant X 24–29. Das ist eines der Beispiele für die anfangs beschriebene Tendenz, dass die Erwähnung der äußeren Heilmittel zugunsten der Hervorhebung der göttlichen Hilfe getilgt werden kann. 36 Allerdings verschwinden Feigen als Heilmittel damit keineswegs aus dem Motivinventar frühjüdischer Heilungstexte. Dass Jeremia den Kranken des Volkes Feigen geben soll, ist auch in 4Bar III 15 (21) gesagt, von der Ausführung dessen ist in 4Bar VII 31 (36) die Rede. 37 Sand als Heilmittel ist einmal in den Vitae Prophetarum erwähnt: Sand vom Grab 38 des Propheten Jeremia hilft gegen Schlangenbisse. 39 Fischgalle fungiert in Tob 6,9 ähnlich wie in dem ägyptischen, im Kern aus hellenistischer Zeit stammenden vierten Buch der Kyraniden 40 und bei Plinius 41 als Heilmittel, bei Tobit gegen weiße Flecken auf den Augen, die zur Erblindung des Tobit geführt haben, bei Plinius gegen Vernarbungen und gegen den Star in seinen ersten Stadien. Dass in Tob 2,10 die λευκώματα mit Fischgalle geheilt werden, entspricht dem damaligen Stand volkstümlicher Medizin. Dass sie auf eine äußere Verätzung durch Vogelkot zurückgeführt werden, lässt hingegen auf ein „mangelndes Wissen um die medizinischen Zusammenhänge“ 42 auf Seiten des/der Tradenten schließen, denn 35
sind.
LXX weist Differenzen zum MT auf, die aber für unser Thema nicht einschlägig
36 Doch
hat Josephus in seiner Nacherzählung von 2Kön 19,22 den Verweis auf das Salz beibehalten (Josephus Bell IV 462). 37 Zur Verwendung von Feigen als Heilmittel in der Antike vgl. I. LÖW, Die Flora der Juden I, Wien/Leipzig 1928 = Hildesheim 1967, 54; V. REICHMANN, Art. Feigen I, RAC VII (1969), 647f. 38 Elisas Grab, schon der Bibel als wunderwirkend bekannt (2Kön 13,20f), war offensichtlich zu Zeiten des Hieronymus „ein vielbesuchtes ‚Sanatorium‘ für Geisteskranke“ (A. M. SCHWEMER, Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden Vitae Prophetarum, Bd. II, Die Viten der kleinen Propheten und der Propheten aus den Geschichtsbüchern. Übersetzung und Kommentar, TSAJ 50, Tübingen 1996, 281). 39 VitProph II 4. Das Motiv wirkt gelegentlich in frühchristlicher Literatur fort, vgl. ActThom 170. 40 B. K OLLMANN, Göttliche Offenbarung magisch-pharmakologischer Heilkunst im Buch Tobit, ZAW 106 (1994), 289–299, hier 293. Zu den Kyraniden vgl. D. KAIMAKIS, Die Kyraniden. Beiträge zur klassischen Philologie 76, Meisenheim am Glan 1976. 41 Plinius, naturalis historia XXXII 24/69f. 42 K OLLMANN, Göttliche Offenbarung (s. Anm. 40), 294.
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solche λευκώματα galten in der antiken Medizin als durch innere Verletzungen bestimmt. Von einer Heilung durch Speichel wird in frühjüdischer Literatur nicht berichtet. 43 Die heilende Wirkung von Öl ist in Jes 1,5f vorausgesetzt. 2.3. Totenauferweckung durch umfassenden Körperkontakt 4Kön 4,29 zufolge wird Elisas Diener Gehazi von dem Propheten beauftragt, dessen Stab auf den toten Knaben zu legen; das bleibt jedoch erfolglos (4Kön 4,31). In 4Kön 4,34 ist sodann erzählt, dass Elisa sich auf den Knaben legt. 44 Der Leib des Knaben wird dadurch zunächst wieder warm. Im antiochenischen Text heißt es sodann, Elisa habe den Knaben angehaucht und sich über ihm „wie ein Mann verhalten“. Das Verbum ἐνέπνευσεν kann entfernt an Ez 37,10 erinnern. 45 Die Formulierung „wie ein Mann verhalten“ meint wohl, Elisa habe auf dem Knaben so gelegen, wie ein Mann auf einer Frau gelegen habe. Sie setzt eine Form von זכרstatt von ( זררniesen, so MT) voraus, zusätzlich die Präposition על, die im heutigen MT kein Äquivalent hat. Im protomasoretischen Text und im kai-geText von 2Kön 4,35/4Reg 4,35 ist das erste Motiv getilgt, vielleicht wegen magischer Bedenken. Hält man in der Fortsetzung den antiochenischen Text für ursprünglich, wäre das zweite Motiv wohl deshalb umformuliert, weil jeder Anklang an einen homosexuellen Vorgang vermieden werden sollte. In 1Kön 17,21 LXX ist möglicherweise eine Annäherung an Gen 2,7 ad vocem ἐνεφύσησεν festzustellen mit dem Ergebnis, dass das Handeln des Menschen als Nachahmung des Schöpfungshandelns Gottes zu stehen kommt; gleichzeitig gilt die Auferweckung wohl durch Elias Gebet als ermöglicht. Dieses Verständnis ist auch für die Reminiszenz Sir 48,5 leitend. Bei Josephus Ant VIII 325–327 sind die Details, dass sich Elia auf 372F
37F
43 In
griechisch-römischer Kultur ist so etwas eher für medizinisches Handeln auf dem Land typisch und wird manchmal auch von geschulten Ärzten praktiziert, wenn man nichts Besseres zur Verfügung hatte. Auch die mk Jesusgeschichte ist ja – anders als bei Lukas – überwiegend eine ländliche Geschichte ( VON BENDEMANN, Christus der Arzt [s. Anm. 23], 165). 44 Im Einzelnen variieren die Motive: Nach 4Reg 4,34 Ant erfolgt die Berührung mit Gesicht, Augen, Mund und Händen, nach 2Kön 4,34 MT/4Reg 4,34 kai-ge mit Mund, Augen und Händen. 45 Dass Ez 37 im Sinne der individuellen Totenauferstehung verstanden werden konnte, ist nicht nur durch 4Q385 belegt, sondern auch durch die Kapitelfolge Ez 35; 38; 39; 37 in P 967, einer alten Ezechiel- (und Daniel-)Septuagintahandschrift; vgl. dazu S. KREUZER, Papyrus 967. Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: M. Karrer / W. Kraus, unter Mitarbeit von M. Meiser (Hg.), Die Septuaginta. Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 64–82, hier 73.
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den Knaben legte etc., nicht erzählt, lediglich das Gebet Elias, das wie die biblische Vorlage Gott von dem Geruch der Willkür freihalten will. Auch das Stichwort ἐνεφύσησεν ist nicht übernommen. 2.4. Heilung als Reinigung In der Textüberlieferung von Num 12,15 sind Differenzen zwischen Masoretischem Text und Septuaginta bemerkenswert. Ersterer legt das Schwergewicht auf Mirjams Wiederaufnahme ()עד האסף מרים, die die völlige Heilung anzeigen soll. Er versteht den Abschluss des Verses also als Demonstration. 46 Hingegen liegt in der Septuaginta mit dem Wort ἐκαθαρίσθη das Schwergewicht auf dem Faktum der Heilung, wie später auch in 4Reg 5,10.12–14 und in Mk 1,41. Wichtiger aber ist, dass mit dem genannten Wort in Num 12,15 LXX der Bezug auf Lev 13 und damit auf die Thora explizit hergestellt ist. Das ist Ausdruck dessen, was Folker Siegert in Aufnahme von Leo Prijs die Torazentrik der Septuaginta genannt hat. 47 Bei Josephus wird die Geschichte nicht wiedergegeben, vielleicht wegen der antijüdischen Polemik, die Juden hätten als Aussätzige Ägypten verlassen müssen. 48 374F
375F
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3. Menschliches und göttliches Wirken 3.1. Die Tätigkeit der Ärzte Mk 5,26 berichtet, dass die Frau, die unerkannt bei Jesus die Heilung zu erreichen sucht, vieles von vielen Ärzten erlitten und von ihrem Eigentum alles aufgebracht und keine Hilfe empfangen hat. In der paganen Antike ist die Bandbreite des Könnens von Ärzten angedeutet, wenn wir uns einerseits das Corpus Hippocraticum und das Gesamtwerk des Galenus sowie die Existenz berühmter Ärzteschulen z.B. auf Kos und in Ephesus vor Augen halten, andererseits das Treiben mancher Gestalten wie Diaulus, dem Martial in zwei recht giftigen Epigrammen bescheinigt, dass zwischen seiner früheren Tätigkeit als Arzt und seiner jetzigen als Leichenbestatter 46 Zu dem hier verwendeten Begriff der Demonstration vgl. T HEISSEN, Wundergeschichten (s. Anm. 15), 75f. 47 F. SIEGERT, Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta, MJSt 9, Münster 2001, 171. – In Mk 1,40–45 ist der Thorabezug vor allem durch Mk 1,43f gegeben, nicht ohne weiteres durch das Verbum καθαρίζειν selbst: A. W EISSENRIEDER, Images of Illness in the Gospel of Luke. Insights of Ancient Medical Texts, WUNT II/164, Tübingen 2003, 151–153, verweist auf das Vorkommen dieses Verbums auch im Corpus Hippocraticum. 48 K OSKENNIEMI, Miracle-Workers (s. Anm. 21), 245.
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kein wirklicher Unterschied zu erkennen sei. 49 Im Vergleich zu Martials Polemik fällt die Kritik bei Markus noch relativ moderat aus. Eine ähnliche Bandbreite der Einschätzung ärztlichen Vermögens lässt sich für die biblische und nachbiblische jüdische Literatur feststellen. 50 In Jer 8,22 wird die begrenzte Macht der Ärzte metaphorisch verstanden; sie können den Sündenschaden Israels nicht heilen. In Ps 87(88),11 LXX 51 und Jes 26,14 LXX 52 erscheint die Macht der Ärzte unmetaphorisch begrenzt durch den Tod, ebenso in Sir 10,11[10], wenn dort, dem Kontext angepasst, ἰατρόν und nicht ἰατρός zu lesen ist. 53 Tob 2,10 zufolge konnten die Ärzte Tobits Augenleiden nicht heilen. 54 In 2Chr 16,12 hingegen steht 49
Martial, Epigr. I 30: Chirurgus fuerat, nunc est vispillo Diaulus: coepit quo poterat clinicus esse modo („Diaulus behandelte einst Leute. Diaulus ist Leichenträger heute. Und so betätigt sich der Mann, wie er als Arzt es auch getan“). Epigr. I 47: Nuper erat medicus, nunc est vispillo (Leichenträger) Diaulus: Quod vispillo facit, fecerat et medicus („Diaulus, einst ein Medicus, bestattet heute Leichen. Und was er heute leisten muß, tat früher er desgleichen“; Übersetzung nach W. HOFMANN, Martial, Epigrammme, aus dem Lateinischen übertragen und herausgegeben, Frankfurt [Main]/Leipzig 2000, 37.44). Weitere Beispiele aus Martial sind bei COLLINS, Mark (s. Anm. 3), 281, genannt. 50 Der bibelkundlichen Vollständigkeit halber sei Gen 50,2 erwähnt. Dort wird das hebräische Wort ( רֺפֵאArzt) in der Septuaginta durch ἐνταφιαστής (Einbalsamierer) ersetzt, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass das Einbalsamieren von Leichen Bestandteil eines Heilberufes sein könnte. 51 F.-L. H OSSFELD / E. ZENGER , Psalmen 51–100, HThK AT, Freiburg 2000, 576, setzen als Zweckbestimmung des Eingreifens der Ärzte die Auferweckung des leidenden „Ich“ voraus. Anders J. SCHLEGEL, Psalm 88 als Prüfstein der Exegese. Zu Sinn und Bedeutung eines beispiellosen Psalms, BThSt 72, Neukirchen-Vluyn 2005, 73: Ihr zufolge findet in dem Septuagintatext „eine deutliche Entschärfung der Aussage des hebräischen Textes statt: Nicht die Verstorbenen werden aufstehn, um Gott zu preisen, sondern die Ärzte. Von dringlich angefragter Totenauferstehung, mag sie nun rhetorisch oder direkt formuliert sein, ist damit keine Rede mehr!“ 52 An beiden Stellen ist die Konsonantenfolge רפאים, die bei MT wohl als „Totengeister“ verstanden wird, als Partizip Plural des Verbums רפאinterpretiert und mit ἰατροί übersetzt. Zum Begriff רפאיםvgl. M. E. T ATE, Psalms 51–100, WBC AT 20, Dallas 1990, 907f. 53 ἰατρόν wird geboten von dem Korrektor des Codex Sinaiticus und in Teilen der lateinischen Übersetzung, ἰατρός von vielen anderen Handschriften. A. RAHLFS / R. HANHART, Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, duo volumina in uno, editio altera 2006, II 393, halten ἰατρός für ursprünglicher; J. Ziegler (Hg.), Sapientia Iesu Filii Sirach, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum XII,2, Göttingen 1980; E.-M. B ECKER / H.J. FABRY / M. REITEMEYER, Sophia Sirach/Jesus Sirach, in: Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hg. v. W. Kraus / M. Karrer, Stuttgart 2009, 1090–1163, hier 1103, setzen ἰατρόν voraus, ebenso B. G. WRIGHT, Wisdom of Jesous son of Sirach, in: A. Pietersma / B. G. Wright (Hg.), A New English Translation of the Septuagint, 715–762, 726. 54 Der Langtext G II enthält ein Motiv, das ähnlich in Mk 5,26 wiederkehrt: Die ärztlichen Bemühungen verschlimmern das Leiden eher noch. Im sekundären Kurztext G I ist
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weniger die Fähigkeit der Ärzte – sie werden in Differenz zur Vorlage 1Kön 15,24 zusätzlich erwähnt – als vielmehr die mögliche Konkurrenz zu dem geforderten alleinigen Vertrauen auf Gott im Vordergrund: 55 An ihn, nicht an die Ärzte, hätte sich Asa wenden sollen. Im Hintergrund steht wohl Ex 15,26, eine Stelle, die zunächst den Kontrast des möglichen positiven Schicksals für Israel zu dem Schicksal der Ägypter in den Plagen benennt, aber bald zur Grundsatzaussage wird: „Ich bin der Herr, der dich heilt.“ Die analoge Aussage von Ps 107,20 („Er sandte sein Wort und heilte sie“) wird in SapSal 16,12 ebenfalls medizinkritisch aufgenommen und mit Ex 15,26 in der Formulierung kommentiert: 56 „Nicht Kraut noch Pflaster, sondern das Wort Gottes ist es, das alle heilt.“ Demgegenüber legitimiert Sir 38 den medizinischen Beruf. 57 Der Arzt hat sein Wissen von Gott (Sir 38,6) und die pflanzlichen Heilmittel sind ebenfalls Werke der Schöpfung Gottes (Sir 38,5 58.7). So bewältigt Jesus Sirach „die sachliche Diskrepanz zwischen menschlicher Heilkunst und Jahwes uneingeschränkter Vollmacht über Krankheit und Tod“ 59. Auch die Schlussbemerkung in V. 15 „Wer gegen seinen Schöpfer sündigt, möge in die Hände der Ärzte fallen“ nimmt die vorangegangenen anerkennenden Worte nicht zurück, sondern meint wahrscheinlich nur im Sinne des Tun-Ergehen-Zusammenhangs der älteren Weisheit: „Wer sündigt, wird
das gekürzt. Das wird man aber nicht überfrachten dürfen, weil G I generell die Tendenz der Kürzung aufweist. (Zu den Bezeichnungen sowie zu der hier vorausgesetzten traditionsgeschichtlichen Einschätzung vgl. B. EGO, Tobit. Das Buch Tobit [Tobias], in: Septuaginta Deutsch [s. Anm. 53], 635–663, 636.) 55 J. M. M YERS, II Chronicles, AncB 13, Garden City 1965, 95 (der zugrunde liegende Gedanke sei derselbe wie der bei der Prophetie Hananias 2Chr 16,7: Asa habe sich zu Unrecht auf den aramäischen König statt auf Gott gestützt); S. J APHET, 2 Chronik, HThK AT, 2003, 207. J. BECKER, 2 Chronik, NEB AT 20, Würzburg 1988, 56, verweist auf die Spannung zu Sir 38. 56 Vgl. in Sap 16,12 die Wendung ὁ πάντας ἰώμενος mit der Wendung ὁ ἰώμενός σε aus Ex 15,26. 57 J. M ARBÖCK, Die jüngere Weisheit im Alten Testament. Zu einigen Ansätzen in der neueren Forschungsgeschichte, in: DERS., Gottes Weisheit unter uns. Zur Theologie des Buches Sirach, hg. v. I. Fischer, HBS 6, Freiburg 1995, 3–22, 17, sieht darin ein Zeichen für die positive Integration des Hellenismus. – Schon in Ex 21,19 ist unhinterfragt die menschliche Heilkunst vorausgesetzt, für die dann auch Zahlungen fällig sind. 58 B. M. ZAPFF, Jesus Sirach 25–51, NEB AT 22/2, Würzburg 2010, 254, sieht Parallelen zum stoischen Denken, „insofern es ein Zeichen von Einsicht ist, dieser heilvollen Schöpfungsordnung im eigenen Handeln zu entsprechen“. Damit ist die stoische Grundlegung der Ethik richtig beschrieben; für die Interpretation von Sir 38,5 scheint mir das etwas weit hergeholt. 59 K OLLMANN, Offenbarung (s. Anm. 40), 291, ähnlich DERS., Jesus und die Christen als Wundertäter (s. Anm. 7), 124.
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krank.“ 60 In Josephus’ Nacherzählung von 2Kön 2,19–22 ist auch, leider ohne Spezifizierung, von Maßnahmen Elisas ἐξ ἐπιστήμης die Rede, die er neben der Verwendung des Salzes getroffen habe. 61 Als Saul, so Josephus Ant VI 168, in der Wiedergabe von 1Sam 16,14–23, von dem bösen Geist geplagt wird, ist David sein einziger Arzt (μόνος ἰατρὸς ἦν). In Ps.-Philos De Jona wird der Prophet schließlich als Arzt für die Niniviten verstanden, 62 wenngleich auch hier die eigentliche Heilung des Seelenschadens durch Gott erfolgt. 63 Philo kennt beides, den Tadel, dass der Pharao sich erst an die Ärzte wendet (Sacr 70), aber auch das andere, dass Medizin von Gott gegeben und damit legitim ist (Imm 87). Der einzige Retter von Krankheitsnot ist Gott allein (LegAll I 252), und Gott ist der Arzt, der dem flehenden Verehrer die heilkräftige Arznei, die gütige Macht darreicht als Heilmittel gegen die Krankheiten der Seele, nämlich Unverstand, Ungerechtigkeit und die ganze andere Menge der Übel (Migr 124). 3.2. Medizin als Teufelswerk? Das Wächterbuch und das Jubiläenbuch zeigen in der Haltung gegenüber der Medizin erhebliche Differenzen, die Larry Hogan zutreffend beschreibt: 64 1. Das Wächterbuch ignoriert die Sünde Adams und Evas und 60
M. REITEMEYER, Jesus Sirach, in: M. Karrer / W. Kraus (Hg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. II, Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 2229. 61 Josephus Bell IV 464. – Warum hat Josephus in der Darstellung Elisas einige seiner Taten übergangen? Entweder hatte er kein Interesse an Wundertaten gegenüber Privatleuten oder die Wundertaten erschienen „ihm zu massiv oder sonst bedenklich“ (G. DELLING, Josephus und das Wunderbare, in: DERS., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum. Gesammelte Aufsätze, hg. v. F. Hahn / T. Holtz / N. Walter, Göttingen 1970, 130–145, 137 Anm. 27) oder Josephus wollte den Wundercharakter reduzieren (L. FELDMAN, Studies in Josephus’s Rewritten Bible, JSJ.S 58, Leiden u.a. 1998, 345) oder der Josephustext ist an dieser Stelle nicht vollständig erhalten, wie denn die Worte Ἐλισσαῖος δὲ ταχέως πρὸς Ἰώραμον ἐξαπέστειλε in Josephus Ant IX 51 keinen Bezugspunkt in Josephus Ant IX 50, sondern in der Bibel haben, nämlich in 2Kön 6,8, den Endpunkt der Auslassung bei Josephus (KOSKENNIEMI, Miracle-Workers [s. Anm. 21], 276–278). 62 Der Vergleich des Philosophen mit dem Arzt begegnet häufiger in griechischrömischer Tradition, vgl. COLLINS, Mark (s. Anm. 3), 195f. 63 Ps.-Philo, De Jona 3/9 bzw. De Jona 46/182 (F. SIEGERT, Drei hellenistischjüdische Predigten Ps. Philon, „Über Jona“, „Über Simson“ und „Über die Gottesbezeichnung ‚wohltätig verzehrendes Feuer‘“, Bd. I, Übersetzung aus dem Armenischen und sprachliche Erläuterungen, WUNT 20, Tübingen 1980, 10.41). Nach Ps.-Philo, De Sampsone 7 (SIEGERT, Drei hellenistisch-jüdische Predigten, 55), ist es Gott, der die in der Seele kranken Menschen heilt. Hier ist wieder Ex 15,26 aufgenommen. 64 H OGAN, Healing (s. Anm. 18), 86–88.
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hält allein die Wächter und ihre Nachkommen für verantwortlich für all das Übel in der Welt. Für den Autor des Jubiläenbuches ist Sünde bereits gegenwärtig in der Welt und erreicht vor der Flut einen ersten Höhepunkt. 2. Im Jubiläenbuch wird Medizin positiv gewertet, die Krankheit wird in Jub 10,10 auf die Sünde, in Jub 10,13 auf böse Geister zurückgeführt. Das heißt aber nicht, dass verschiedene Arten von Krankheiten auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. Es besteht vielmehr der Zusammenhang, dass, wer sündigt, unter den Einfluss von Dämonen gerät – eine Vorstellung, die auch in anderen Texten, z.B. MartJes 3,11; 5,11 begegnet. 3. In 1Hen 7 wird medizinisches Wissen vor der Flut mitgeteilt und ist von Gott nicht bestätigt. Es sind vielmehr die Gottessöhne, die den Menschen das Schneiden von Wurzeln und Bäumen wohl zu Heilzwecken lehren 65 – im Hintergrund steht hier wie im Fall der Heilmittel der Verdacht unzulässiger Magie. 66 In Jub 10 wird medizinisches Wissen nach der Flut mitgeteilt und ist durch einen Engel sanktioniert. 4. Ein weiterer Unterschied liegt in der Frage, wodurch das Übel eingeschränkt wird. In 1Hen beginnt es bereits im Himmel und die Wächter haben alle Macht über die Menschen, in Jub beginnt das Übel erst auf der Erde; die bösen Kräfte dürfen sich zu neun Zehnteln, aber nicht allumfassend auswirken und Gott wird viel stärker als Herr in allem gedacht. In LAB 25,12 wird den Amoritern unterstellt, sie betrachteten bestimmte wertvolle Steine als Heilmittel gegen Augenleiden. Ist das textintern als Scheltrede gegen Mitglieder des Stammes Dan gerichtet, so werden textpragmatisch Juden grundsätzlich vor der Übernahme fremder Lehren und Praktiken gewarnt 67 bzw. letztlich vor der sozialen Interaktion mit Nichtjuden. 68 Dass man hingegen Sand vom Grab des Propheten Jeremia in Ägypten nimmt und damit Schlangenbisse heilt, gilt in VitProph II 4 als unverdächtig, vermutlich deshalb, weil es sich eben um das Grab Jeremias handelt. Insofern zeigt sich: Manche jüdischen Autoren hegen keine Bedenken gegen die Verwendung von Heilmitteln, so lange das nicht zu einem Verständnis von Heilung führt, das mit der Bindung Israels an den einen Gott nicht zu vereinbaren ist. Das gilt speziell für Rufus von Samaria: Er schreibt einen Kommentar zum Corpus Hippocraticum. Die Kritik des Galenus, „das Volk dieses Mannes (sc. Moses) habe ... nicht die Fähigkeit, Bücher der Alten zu erklären“ 69, ändert nichts an der Tatsache, 65 1Hen 7,1; ähnlich 1Hen 8,3. 66 H OGAN, Healing (s. Anm. 18), 66. 67 Vgl. M. T ILLY, Die Sünden Israels
und der Heiden. Beobachtungen zu LibAnt 25,9–13, JSJ 37 (2006) 192–211, hier 198. 68 Vgl. a.a.O. 207. 69 Galenus, In Hippocratis epidemiarum 6 Comm 7, aufgeführt bei VON B ENDEMANN, Christus der Arzt (s. Anm. 23), 38 Anm. 8.
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dass Rufus selbst offenbar keine Bedenken hatte, ein nichtjüdisches Werk zu kommentieren. 70 3.3. Heilung durch Gebet Jesus wird im Markusevangelium mehrfach auktorial als ein frommer Mann geschildert, der sich zum Beten in die Einsamkeit zurückzieht. 71 Allerdings wird von einem Gebet Jesu im Markusevangelium nie an den Stellen geredet, wo Jesus von sich aus die Bereitschaft zur Hilfeleistung zeigt. Die Ausnahmen, die man nennen könnte, sind nur scheinbare Ausnahmen: In Mk 9,29 wird in der auf die nachösterliche Gemeinde zielende Jüngerbelehrung für den Exorzismus einer bestimmten Art von Dämonen das Gebet erwähnt, doch ist in Mk 9,21–27 keineswegs davon die Rede, dass Jesus selbst in dieser Weise gebetet hätte. In den Speisungsgeschichten nimmt Jesus in Mk 6,41; 8,6 die Rolle des jüdischen Hausvaters ein, die Gebete wollen jedoch nicht das nachfolgende Geschenkwunder von Gott erwirken. Das Fehlen dieses Zuges in der synoptischen Tradition unterstützt m.E. indirekt die auch aus anderen Gründen wahrscheinliche Historizität des Beelzebulvorwurfes Mk 3,22. 72 Auch das Motiv der Bitte des Interzessors 73 und das Motiv der Interzessionsbitte des von einem Strafwunder Geplagten oder seiner Begleiter 74 sind in der synoptischen Tradition nicht verwirklicht, wohl aber in Apg 8,24. Implizit vorausgesetzt ist das Bittgebet um ein Wunder von Gott her nur in der Zeichenforderung Mk 8,11–13. Dieses Vorgehen wird jedoch von Jesu Gegnern an ihn herangetragen, aber nicht selbst von ihm praktiziert oder auch nur diskutiert. 75 Zunächst sind die biblischen Grundlagen des Gebetsmotivs in Heilungsgeschichten zu besprechen. Kontaktaufnahme zu Gott wird u.a. mit den Verben βοάω (Num 12,13), ἀναβοάω (1Kön 17,20), ἐκκράζω (Ps 29[30],3), ἐπικαλέομαι (1Kön 17,21), εὔχομαι (2Kön 20,2; Sir 38,9) und 70 Eine Übersicht über die Erwähnung jüdischer Ärzte und Pharmakologen zwischen 150 v. Chr. und 300 n. Chr. bietet KOLLMANN, Jesus und die Christen als Wundertäter (s. Anm. 7), 127. 71 Mk 1,35; 6,46; 14,32. Bei Lukas ist das Motiv in Lk 3,21; 9,28 (Taufe und Verklärung Jesu) zusätzlich gegenüber der Markusvorlage eingetragen. 72 Der Vorwurf dürfte vor allem deshalb historisch sein, weil ihn die Anhängerschaft Jesu wohl kaum nachträglich erfinden wollte. 73 Gen 20,17; Num 12,13; Philo VitMos I 128. 74 2Makk 3,31f; 4Makk 4,11; vgl. noch 11QTgJob 38,2f. 75 Eine Parallele zum Gebetsmotiv des Wundertäters liegt in gewisser Brechung in Joh 11,41b.42 vor, wo die Funktion als Legitimationsaufweis zugunsten des Wundertäters überdeutlich zu erkennen ist („Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste aber, dass du mich allzeit erhörst, aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast“).
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προσεύχομαι (Gen 20,17; 2Kön 4,33) beschrieben. Bei Wundern, die nicht als Therapien zu klassifizieren sind, liegt das Gebetsmotiv in 1Kön 18,36; 2Kön 6,17f vor. Dass προσεύχομαι in der Septuaginta andere Verba dicendi in einschlägigen Zusammenhängen ersetzt, ist nicht ersichtlich. Wohl aber ist in TgOnq 1Kön 17,21f das „Schreien“ des Wundertäters zu Gott durch den Terminus „Gebet“ ersetzt. In frühjüdischer Literatur ist zunächst auf einen klassischen Fall dessen zu verweisen, wie mit biblischen Dubletten umgegangen wird. Im GenesisApokryphon wird die biblisch dreifach erzählte Geschichte von der Gefährdung der Ahnfrau nur einmal geboten, dabei wird jedoch das Gebet Abrahams aus der Abimelech-Geschichte Gen 20,7 als Erwartungshaltung des Pharao in die Wiedergabe von Gen 12 integriert, wo es in der biblischen Vorlage nicht erwähnt war. 76 Andernorts wird in der Wiedergabe biblischer Heilungserzählungen in frühjüdischer Literatur nicht selten das Gebetsmotiv über die biblische Vorlage hinausgehend eingeführt. Das Wunder der Heilung des Wassers Jerichos (2Kön 2,19–22) gilt nach VitProph XXII 6 als durch das Gebet Elisas bewirkt. Von einem feierlichen Gebet weiß auch Josephus Bell IV 460–466 zu berichten. Auch in der Wiedergabe von 2Kön 4,13–17 in VitProph XXII 11 und von 2Kön 6,1–7 in VitProph XXII 14 wird wieder über den Bibeltext hinaus das Gebet erwähnt. 77 In der syrischen Danielapokalypse, einem christlichen Werk des 4. oder 5. Jhs., 78 wird erzählt, wie der Perserkönig Darius durch einen Engel seines Augenlichtes beraubt, dann aber geheilt wird, nachdem ihn Daniel im Teich Siloah gewaschen und für ihn gebetet hatte. Bemerkenswert ist auch die Wiedergabe von 1Kön 17,17–24 im „Lob der Väter“ Sir 48. 79 Einerseits wird das Detail nicht nacherzählt, dass sich 76 1QGenAp 20,22 (BEYER, Die aramäischen Texte, Bd. 1 [s. Anm. 31], 176). Mindestens genauso häufig jedoch bleibt die Heilung wie dann auch das Gebet völlig unerwähnt, wie sich auch Tendenzen breit machen, das Bild des Pharao weitaus ungünstiger als in der biblischen Vorlage zu zeichnen, so etwa im Jubiläenbuch und bei Philo von Alexandria, in geringerem Maße auch bei Josephus (Jub 13,11.13; Philo Abr 93–98; Josephus Ant I 165). 77 Die Tendenz der Reduktion menschlicher Wunderkraft zeigt sich am Sprachgebrauch der VitProph in der Hinsicht, dass die Wendung τέρας διδόναι nunmehr „eine Prophetie über ein Zeichen geben“ bedeutet; vgl. A. M. SCHWEMER, Die Verwendung der Septuaginta in den Vitae Prophetarum, in: M. Hengel / A. M. Schwemer (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 62–91, hier 77. 78 SyrApkDan 11; Datierung nach M. HENZE , Syrische Danielapokalypse, JSRHZ NF I/4, Gütersloh 2006, 20. 79 Zur Darstellung Elias bei Jesus Sirach vgl. allgemein P. C. BEENTJES, Ben Sira’s View of Elijah (Sir 48:1–11), in: E. Koskenniemi / P. Lindqvist (Hg.), Rewritten Biblical Figures. Studies in Rewritten Bible 3, Turku/Indiana 2010, 47–56. Aus Raumgründen geht er auf die uns betreffenden Fragen nicht ein.
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Elia auf den Knaben legt; andererseits wird über die biblische Vorlage hinaus im hebräischen Sirachtext das Moment des Willens Gottes betont und in der Sirach-Septuaginta das Motiv des wirksamen göttlichen Wortes eingeführt: ὁ ἐγείρας νεκρὸν ἐκ θανάτου καὶ ἐξ ᾅδου ἐν λόγῳ ὑψίστου. So ist Sir 48 das zweite Beispiel für die anfangs benannte Tendenz, konkrete Heilmittel und Heilmethoden nicht mehr zu erwähnen und stattdessen theologische Aspekte einzutragen. Ein weiteres Beispiel ist SapSal 16,6: Dort wird die eherne Schlange von Num 21,4–9 als σύμβολον ... σωτηρίας εἰς ἀνάμνησιν ἐντολῆς νόμου σου, als „Zeichen der Rettung ... zur Erinnerung an das Gebot deines (sc. des göttlichen) Gesetzes“, bezeichnet; unübersehbar sind die Theologisierung des Wunders und die Abkehr von einem magischen Missverständnis. Auch wird, wohl im Kontext polemischer Abgrenzung gegenüber heidnischer Verehrung von Tierbildern, 80 das Motiv unterdrückt, Mose habe diese Schlange gefertigt. 81 Davon zeugt auch die Fortsetzung: Wenn es in SapSal 16,7 heißt „Wer sich hinwandte, wurde nicht durch das Geschaute gerettet, sondern durch dich, den Retter aller“, so bezeichnet ἐπιστραφείς nicht die Hinwendung zur Schlange, sondern die Bekehrung von der Sünde hin zu Gott. Das fügt sich ein in Jörg Freys Feststellung, in diesem Text aus der Weisheit Salomos sei Num 21 als „pädagogisch-heilvolles Handeln Gottes“ stilisiert. 82 Man kann fragen, ob diese Änderungen sich einem innerjüdischen oder einem apologetischen Interesse verdanken. Innerjüdisch wäre das Anliegen, die Zentrierung der Identität Israels um die Bindung an den einen Gott und die eigene Thora auch in der Wiedergabe der Tradition leitend zu machen. Apologetisch wäre das Judentum als eine Gemeinschaft mit gesunder Distanz zu allerlei Magie gezeichnet. Doch müssen sich beide Motivationen auch gar nicht ausschließen. Das Gebetsmotiv prägt auch neuerzählte Heilungsgeschichten speziell in den Vitae Prophetarum: Auf das Gebet des Propheten Jeremia hin lassen 80 J.
FREY, „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat ...“ Zur frühjüdischen Deutung der „ehernen Schlange“ und ihrer christologischen Rezeption in Johannes 3,14f., in: M. Hengel / H. Löhr (Hg.), Schriftauslegung im antiken Judentum und im Urchristentum, WUNT 73, Tübingen 1994, 153–205, hier 162. 81 Eine erste Tendenz dazu, Num 21,4–9 theologisch weniger anstößig wiederzugeben, findet sich bereits in der Septuaginta. Dort wird nicht nur נחשׁ, sondern auch שׂרף mit ὄφις übersetzt. Möglicherweise wurde eine Transliteration von שׂרףvermieden, „um eine Verwechslung mit den Σεραφιν (Jes 6,2.6) auszuschließen?“ (M. RÖSEL / C. SCHLUND, Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose, in: Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. I, Genesis bis Makkabäer, hg. v. M. Karrer und W. Kraus, Stuttgart 2011, 431–522, 479; Erläuterung zu Num 21 stammt von Christine Schlund). 82 FREY, Mose (s. Anm. 80), 162.
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die Schlangen und die Krokodile, die gefährlichsten Tiere zu Lande und zu Wasser, von den Ägyptern ab. 83 Auf das Gebet Ezechiels hin gewährt Gott vielen Sterbenden weiterhin das Leben. 84 Man kann in dem Motiv des mit Gebet wirkenden Wundertäters die biblische Vorstellung vom betenden Mose fortgeführt finden. 85
4. Der Rahmen des religionsgeschichtlichen Vergleichs Das Markusevangelium ist zweifellos für heidenchristliche Leser geschrieben. Dabei ist zu fragen, in welcher Weise im Jesusbild des Markus Jesu jüdische Züge zur Geltung kommen. Faktisch hat das Markusevangelium seine Wirkungsgeschichte unter den Jesusanhängern aus den Völkern; unter den Jesusanhängern aus dem Judentum hat es nur eine indirekte Wirkungsgeschichte, nämlich dank der Aufnahme seiner Stoffe im Matthäusevangelium. Man kann jedoch fragen, ob das Markusevangelium geeignet war, den Prozess des „Parting of the ways“ in einer Weise zu beeinflussen, dass Dialog statt Konfrontation möglich gewesen wäre. Es gibt Textsignale im Markusevangelium, die Jesu exorzistisches und therapeutisches Handeln als im Einklang mit den Traditionen Israels befindlich erscheinen lassen. 86 Der geheilte Aussätzige wird angewiesen, sich von den Priestern reinigen zu lassen, „ihnen zum Zeugnis“ (Mk 1,44) 87 – 83 VitProph II 3. 84 VitProph III 5. 85 C. WOLFF, Jeremia
im Frühjudentum und Urchristentum, TU 118, Berlin 1976, 88. Andernorts (79) verweist er explizit auf Num 21,4–9 als Vorbild. 86 Die theologische Dimension des markinischen Wunderglaubens wird anhand von Mk 2,12; 5,18.23 (jeweils passivum divinum); 6,1–6a herausgestellt von T. SÖDING, Glaube bei Markus. Glaube an das Evangelium, Gebetsglaube und Wunderglaube im Kontext der markinischen Basileiatheologie und Christologie, SBB 12, Stuttgart 21978, 491f. 87 Der Dativ wird nicht selten als dativus commodi gedeutet: Die therapeutischen Fähigkeiten Jesu sollen damit dargetan (STEIN, Mark [s. Anm. 4], 108), Jesus als Agent Gottes erwiesen werden (COLLINS, Mark [s. Anm. 3], 179). Gegen die hier vertretene Deutung als dativus incommodi in apologetischer Funktion (so auch D SCHULNIGG, Markus [s. Anm. 4], 89f) ist eingewandt worden, dass bisher von jeder Feindseligkeit der jüdischen Autoritäten gegen Jesus nicht die Rede war (HARTMAN, Mark [s. Anm. 2], 85) – Mk 1,22 („und nicht wie die Schriftgelehrten“) nimmt aber ebenfalls auf eine Gruppe im negativen Sinn Bezug, die bisher noch nicht in Erscheinung getreten war. CULPEPPER, Mark (s. Anm. 4), 63 beachtet ebenfalls die Anordnung von Mk 1,40–45 vor den Streitgesprächen Mk 2,1–3,6, sieht aber in Mk 1,44 die Haltlosigkeit des kultischen Systems bzw. den Unglauben der Hierarchen Israels gebrandmarkt. Meine Deutung sucht die Aktualität der Worte für die Zeit um 70 zu berücksichtigen, in der für die nicht an Jesus glaubenden Juden seine Wirksamkeit als die Begründung des u.a. in Mk 2,1–3,6 formulierten Sonderweges seiner Anhänger insgesamt in Frage stand.
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die in der nachfolgenden Geschichte erwähnten Vorbehalte der Schriftgelehrten (Mk 2,6) sind für den Leser deshalb von vornherein fragwürdig. Der Lobpreis der Menge nach der Heilung des Gichtbrüchigen Mk 2,1–12 gilt dem Gott Israels. In Mk 5,19 wird der geheilte Besessene von Mk 5,1– 20 angewiesen, von der Barmherzigkeit des κύριος zu erzählen; m.E. ist damit nicht Jesus, 88 sondern der Gott Israels gemeint, weil sonst die erneute Nennung Jesu in Mk 5,20 nicht erforderlich wäre. 89 Jesus trägt nach Mk 6,56 Gewänder mit Quasten – das soll ihn für den Leser als frommen Juden kennzeichnen. 90 Die Heilung an der Tochter der nichtjüdischen Syrophönizierin muss Jesus regelrecht abgerungen werden; er vergleicht die Israeliten mit den Kindern und die Nichtjuden mit den Hunden. 91 Das Passiv διανοίχθητι in Mk 7,34 kann als passivum divinum gedeutet werden. 92 Für die Feststellung „dein Glaube hat dir geholfen“ (Mk 5,34; 93 10,52) kann hinsichtlich des vorausgehenden Vertrauens 94 auf den Wundertäter eine Anknüpfung an 2Chr 20,20 erwogen werden, wo ein vorausgehender Glau88 So
aber STEIN, Mark (s. Anm. 4), 259, mit der Begründung, Jesus werde im Markusevangelium als Herr benannt (Mk 1,3; 2,28 etc.). Die Begründung greift zu kurz. Die Bezeichnung κύριος wird im Markusevangelium auch auf Gott selbst angewandt (Mk 12,11.29f.36; 13,20). 89 So auch J. HEMPEL, „Ich bin der Herr dein Arzt“ (Ex 15,26), ThLZ 82 (1957), 809– 826 (826, mit Verweis auf die Parallele Jes 38); P ESCH, Markusevangelium (s. Anm. 4), 293; DSCHULNIGG, Markusevangelium, Mark (s. Anm. 4), 157. Eine denkbare Alternative zur Erklärung von Mk 5,19 bieten B ORING, Mark (s. Anm. 3), 154 sowie HARTMAN, Mark (s. Anm. 2), 219: Auf narrativer Ebene spricht Jesus in der Sprache der Septuaginta von Gott als dem Herrn (damit wird für den Leser jegliche Mutmaßung, Jesus wolle mit seinem Tun von dem Gott Israels wegführen, der Boden entzogen). Aber wenn Markus erzählt, wie der Geheilte Jesu Auftrag erfüllt, sind, so Boring und Hartman, die Werke des Herrn die Werke Jesu. 90 Mk 6,56 verhält sich insofern zu Mk 7,1–23 wie Mk 1,44 zu Mk 2,6: In beiden Fällen steht vor einer Konfliktgeschichte ein Hinweis auf die jüdische Frömmigkeit Jesu. 91 Die Israeliten werden in Hos 11,1 MT; Jer 31(38),20; PsSal 17,26f; SapSal 18,13 als Gottes Söhne bezeichnet. Eine Parallele für die andere Hälfte des Bildes, die Heiden als Hunde zu bezeichnen, findet sich erst in Meg 7b; für COLLINS, Mark (s. Anm. 3), 367, belegt Mk 7,27 die jüdische metaphorische Gleichsetzung von Nichtjuden und Hunden bereits im 1. Jh. n. Chr. Hunde sind aufgrund der Maßgabe Lev 11,3 unrein. 92 Mit H ARTMAN, Mark (s. Anm. 2), 297. Weitaus weniger wahrscheinlich ist die Deutung des καθαρίσθητι in Mk 1,41 als passivum divinum, aufgrund des vorausgehenden θέλω (so zu Recht STEIN, Mark [s. Anm. 4], 106). Auch Mk 5,41 (... σοι λέγω ...) impliziert den Anspruch Jesu auf selbständig wirkende Wundermacht. 93 Eine Korrektur der magischen Vorstellungen der Frau durch Jesus ist nicht impliziert, so m.E. zu Recht zuletzt C. J OCHUM-B ORTFELD , Die Verachteten stehen auf. Widersprüche und Gegenentwürfe des Markusevangeliums zu den Menschenbildern seiner Zeit, BWANT 178, Stuttgart 2008, 177. 94 Die genannte Wendung impliziert beides, das unbedingte Wollen hinsichtlich der Überwindung von Widerständen (so noch deutlicher Mk 2,1–4) sowie das vorausgehende Vertrauen auf den Wundertäter.
Heilungsvollzüge und ihre Beschreibung
215
be gefordert wird, dem dann die göttliche Hilfe verheißen ist. 95 Schließlich beansprucht der mk Jesus in Kontinuität zu Johannes dem Täufer für sich, im Namen „des Himmels“, d.h. des Gottes Israels zu wirken (Mk 11,27– 33). Textsignale mit dieser Intention finden sich im Markusevangelium nicht nur in Therapien und Exorzismen und auch nicht nur in sonstigen Wundererzählungen, 96 sondern auch zu anderen Gelegenheiten. 97 Offensichtlich reichten sie jedoch nicht aus, um Jesu Wirken für die nicht an ihn glaubenden Juden theologisch legitim darzustellen. Man wird dafür aber nicht nur das weitgehende Fehlen des Gebetsmotivs gerade in Therapie-Erzählungen 98 sowie den Einbezug einiger an Magie grenzender Motive im Markusevangelium verantwortlich machen dürfen. Weiteres ist zu nennen: die weitgehende negative Charakterisierung der jüdischen Eliten, die Konfliktgeschichten, in denen teilweise jüdische Anliegen nicht mehr adäquat
95 2Chr 20,20 seinerseits nimmt Jes 7,9 MT auf (D. LÜHRMANN, Glaube im frühen Christentum, Gütersloh 1976, 32). Das Verbum πιστεύειν erscheint auch in der Wiedergabe von 2Chr 20,20 in Josephus Ant IX 12. Jes 7,9 LXX hat mit der Wendung ἐὰν μὴ πιστεύσητε, οὐδὲ μὴ συνῆτε keine unmittelbare Einwirkung auf die hier verhandelte Thematik ausgeübt. 96 Beispiele müssen genügen: Das Verbum ἐπιτιμάω (Mk 4,39) ist terminus technicus für das Schelten Gottes gegen die Unheilsmächte (vgl. Ps 9,6; 67,31; 105,9; 118,21). θαρρέω (Mk 6,50) steht an zwei einschlägigen Stellen in der Septuaginta als Übersetzung der biblischen Formel „Fürchte dich nicht!“ (Ex 14,13; 3Kgt 17,13). 97 Dies sei am Beispiel einzelner Motive aus Mk 11 und 12 verdeutlicht. Die Zweckbestimmung des Jerusalemer Tempels Mk 11,17a ist biblisch formuliert. Zu Mk 11,27–33 s.o. Mk 12,1–12 ist Attacke auf die in Mk 11,27 Angeredeten, nicht auf „die Juden“ allgemein. In Mk 12,13–17 bekräftigt Jesus die Vorordnung des ersten Gebotes auch für den politischen Bereich, in Mk 12,18–27 bezeugt er die Leben schaffende Macht Gottes durch ein Schriftargument; in Mk 12,29f zitiert er u.a. das Grundbekenntnis Israels als eines der beiden Hauptgebote. Die Diskussion Mk 12,35–37 ist ohnehin nur in jüdischem Kontext sinnvoll. Mk 12,41–44 illustriert am Beispiel der mittellosen Witwe, dass Jesus auch die biblisch geforderten Werke der Barmherzigkeit zu würdigen weiß. Dadurch wird für den Leser dieser Evangelienschrift das Verhaftungsvorhaben der Gegner ins Unrecht gesetzt. 98 Auch bei Artapanos wird die Wiederbelebung Pharaos (Frgm. 3,26) ohne das Gebetsmotiv geschildert (E. KOSKENNIEMI, Miracle-Workers [s. Anm. 21], 99, hält allerdings zu Recht fest, dass aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes des Werkes Artapanos’ ein Urteil über dessen Theologie der Wunder kaum abschließend gefällt werden könne). Die Nähe der synoptischen Tradition zu Artapanos auf der Oberflächenebene trägt allerdings nicht dazu bei, synoptische Wundererzählungen theologisch reflektierenden Kreisen innerhalb des Judentums näher zu bringen, die skeptisch waren gegenüber prophetischem Auftreten und Wundern (M. BECKER, Wunder und Wundertäter im frührabbinischen Judentum, WUNT II/144, Tübingen 2002, 268).
216
Martin Meiser
wahrgenommen werden 99 und letztendlich die Überordnung der Person Jesu über Thora und Tempel. 100 Methodisch zeigt sich: Für den religionsgeschichtlichen Vergleich genügt es nicht, auf die Parallelitäten zwischen einzelnen Motiven zu verweisen, so sehr eine solche Arbeit die Basis sämtlichen Vergleichens darstellt. Die einzelnen Motive müssen zu anderen Motiven innerhalb des Markusevangeliums in Beziehung gesetzt, es muss der theologische Gesamtrahmen dieser Schrift gewürdigt werden, um eine religionsgeschichtliche Einordnung zu fundieren. Der Verfasser mag jüdischer Abstammung sein, aber hätte wohl kaum die Überzeugungskraft gehabt, anderen, nicht an Jesus glaubenden Juden seine Schrift als Porträtierung eines jüdischen Jesus glaubhaft zu machen, dessen Wirken auf Akzeptanz hätte hoffen können.
99 Vgl. vor allem Mk 3,4. Insgesamt spiegelt Mk 3,1–6 im Vergleich zu Mk 2,23–28 ein späteres Stadium der Entwicklung des Verhältnisses der Jesusanhänger zu dem nicht an Jesus glaubenden Judentum: Muss in Mk 2,23–28 das Verhalten der Jesusanhänger gerechtfertigt werden, so in Mk 3,1–6 das Verhalten der Gegner Jesu; die Sabbatpraxis der Jesusanhänger wird in Mk 3,1–6 bereits als Normalfall vorausgesetzt. 100 Letzteres ist natürlich auch für das Matthäusevangelium gültig. Trotzdem kann man fragen, warum das Matthäusevangelium im Judenchristentum eher akzeptabel war. Ausschlaggebend sind sicher Mt 5,17–20; 6,6–8; 15,17; 24,20 (diff. Mk 7,19; 13,18). Auch hat Matthäus zu der hier verhandelten Thematik an manchen Stellen israeltheologische Bezüge eingetragen, z.B. in Mt 8,16f diff. Mk 1,31; Mt 15,31 diff. Mk 7,36f sowie insgesamt in dem Zitat Mt 12,15–21. Das Gebetserhörungsmotiv hat er jedoch nicht ergänzt.
Autorenverzeichnis PETER ARZT-GRABNER, Dr. theol., Professor für Papyrologie und Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg JOACHIM HENGSTL, Dr. jur. utr., Akademischer Oberrat im Ruhestand und Lehrbeauftragter am Institut für Rechtsgeschichte und Papyrusforschung des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg J ENS HERZER, Dr. theol., Professor für neutestamentliche Wissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Theologie des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig MARGIT HOMANN, M.A., Doktorandin im Fach Alte Geschichte im Historischen Seminar der Fakultät für Geschichte, Kunst und Orientwissenschaften an der Universität Leipzig LARRY W. HURTADO, PhD, Emeritus Professor of New Testament Language, Literature and Theology at the University of Edinburgh, and former Director of the Centre for the Study of Christian Origins at the same institution ROBERTA MAZZA, PhD, Lecturer (Assistant Professor) in Classics and Ancient History at the Department of Classics and Ancient History of the University of Manchester MARTIN MEISER, Dr. theol., apl. Professor für Neues Testament und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachrichtung Evangelische Theologie der Philosophischen Fakultät I der Universität des Saarlandes
218
Autorenverzeichnis
KARL-HEINRICH OSTMEYER, Dr. theol., apl. Professor für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie an der Philipps-Universität Marburg und Pfarrer in Fulda REINHOLD SCHOLL, Dr. phil., Professor für Alte Geschichte am Historischen Seminar der Fakultät für Geschichte, Kunst und Orientwissenschaften an der Universität Leipzig und Leiter der Papyrus- und Ostrakasammlung der Universitätsbibliothek Leipzig
Stellenregister Seitenzahlen sind kursiv gesetzt, wenn eine Textstelle nur in den Anmerkungen erscheint.
1 1.1
Bibel
Altes Testament (einschließlich Apokryphen)
Die Anordnung der biblischen Bücher folgt der Septuaginta. Genesis (ganze Schrift) 2,7 12 20,7 20,17
212 204 211 211 210, 211
Exodus 14,13 15,26 17,8–13 21,19
215 200, 207f, 214 198 207
Leviticus (ganze Schrift) 11,3 13–14 13
181f, 184 214 182 205
Numeri 12,13 12,15 12,15 LXX 21 21,4–9 21,17f
210 205 205 212 212, 213 198
Deuteronomium 24,1–4 LXX
133
1. Samuel 16,14–23
208
2. Samuel 15,1–12
202
1. Könige 15,24 17,17–24 17,20 17,21 17,21 LXX 18,36
207 201, 211 210 210 204 211
2. Könige (ganze Schrift) 2,6–8 2,19–22 2,19 4 4,1 4,1–7 4,8–37 4,13–17 4,22 4,33 4,34
202 198 200, 202, 208, 211 201 202 201 198 201 211 201 211 201, 204
220
Stellenregister
2. Könige (Fortsetzung) 4,35 4,38–41 5,1–14 5,10 LXX 5,11 5,12–14 LXX 5,19–27 6,1–7 6,8 6,17 13,20f 19,22 20,1 20,2f 20,2 20,7
204 198 198 205 202 205 198 198, 211 208 211 203 203 203 203 210 203
2. Chronik 16,7 16,12–14 16,12 20,20 32,24
207 189 206 214, 215 203
Esther 8,12
160
Tobit 2,10 3,1 6,5–9 6,9
203, 206 201 200 203
2. Makkabäer 3,31f 6,1 11,25 12,7
210 160 160 159, 162
3. Makkabäer 3,4
160
4. Makkabäer 2,8 2,23 4,11 4,19
160 160 210 160
5,16
160
Psalmen 9,6 29,3 67,31 87,11 105,9 107,20 118,21
215 210 215 206 215 207 215
Sapientia Salomonis 16,6 16,7 16,12 18,13
212 212 207 214
Jesus Sirach 10,11 38 38,5–7 38,1–15 38,5 38,9 48 48,5 48,23
206 207 207 189 202 210 211, 212 204 203
Hosea 11,1
214
Jesaja 1,5f 6,2 LXX 6,6 LXX 7,9 26,14 38 50,1 LXX
204 212 212 215 206 214 133
Jeremia 3,8 LXX 8,22 31,20
133 206 214
Ezechiel 37,10
204
221
Stellenregister
1.2 Matthäus (ganze Schrift) 1,1–9 1,12 1,14–20 2,13–16 2,22–23 3,1 3,9 3,10–12 3,15 3,16–4,3 4,12 5,17–20 5,20–22 5,25–28 5,31 6,6–8 8,5–13 8,15 8,16f 9,20–22 9,25 10,17–23 10,25–32 11,26–27 12,4–5 12,15–21 13,55–56 14,3–5 15,17 15,31 18,21–35 19,7 20,24–32 21,13–19 21,34–37 21,43 21,45 23,30–39 24,3–6 24,12–15 24,20 26,7–8 25,41–46 26,1–40
Neues Testament
3, 4, 189, 201, 213, 216 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 28 216 6 6 133 216 30, 197 201 216 189 201 3 3 6 6 216 6 6 216 216 29 133 6 6 6 6 6 6 6 6 216 6 6 6
26,10 26,14–15 26,22–23 26,31–33 Markus (ganze Schrift) 1,3 1,22 1,29–31 1,31 1,35 1,41 1,39–45 1,40–45 1,43f 1,44 2,1–4 2,1–12 2,1–3,6 2,6 2,12 2,23–28 2,28 3,1–5 3,1–6 3,4 3,22 4,39 5,1–20 5,18 5,19 5,20 5,21–43 5,23 5,25–34 5,26 5,27 5,34 5,41 6,1–6 6,5–6 6,13 6,41
6 6 6 6 4, 6, 9, 10, 12, 13, 14, 173ff, 195ff 214 213 178, 180 200, 201, 216 210 200, 201, 205, 214 181, 184, 188 197, 205, 213 205 184, 213, 214 214 214 213 214 213 216 214 197 216 216 210 215 197, 214 213 214 214 197 213 188f, 192 205, 206 201 214 200, 201, 214 213 189 200 210
222 Markus (Fortsetzung) 6,46 6,50 6,56 7,1–23 7,19 7,24–30 7,27 7,31–37 7,33 7,34 7,36f 8,6 8,11–13 8,22–26 8,22f 8,23 8,25 8,26 9,21–27 9,29 9,38–40 10,4 10,46–51 10,52 11,17 11,27–33 11,27 12,1–12 12,11 12,13–17 12,18–27 12,29f 12,35–37 12,36 12,41–44 13,18 13,20 14,3 14,3–5 14,32 16,9–20 16,18 Lukas (ganze Schrift) 2,1–3 3,21
Stellenregister
210 215 201, 214 214 216 197 214 196, 201 200, 201 200, 214 216 210 210 196, 201 29 200f 200f 29 210 210 196 133 184 214 215 215 215 29, 215 214 215 215 214f 215 214 215 216 214 181, 183 183 210 13 200 3, 4ff, 9, 14, 19, 22, 189, 201, 204 30 210
4,23f 7,1–10 7,34 8,43–48 8,54 9,10 9,28 10,7 10,19 10,20 10,30–37 11,31–53 16,1–8 22,44–56 22,61–64 23,7
164 30 30 189 201 29 210 27 200 166 29 28 31 3 3 162
Johannes (ganze Schrift) 1,1–16,24 1,1–51 1,44 2,1–25 2,11–22 3,1–36 3,12 3,14f 4,1–54 4,36 5,1–47 6,1–71 6,11–35 7,1–52 7,53–8,11 8,1–11 8,12–59 9,1–41 9,6 10,1–42 11,1–57 11,41–42 12,1–50 13,1–38 14,1–31 15,1–27 16,1–4 16,6–7 16,10–33 17,1–26 18,1–40
4ff, 9ff 5 6 29 6 3 6 171 212 6 27 6 6 5 6 13 6 6 6 201 6 6 210 6 6 6 6 6 6 6 6 6
223
Stellenregister Johannes (Fortsetzung) 18,31 18,36–40 19,1–42 19,1–7 19,8–11 19,13–15 19,18–20 19,23–24 19,25–28 19,31–32 20,1–20 20,22–31 21,1–9 21,18–20 21,23–25 Apostelgeschichte (ganze Schrift)
162 6 6 6 5 5 5 5 5 5 6 6 6 6 6
3,6 5,3–21 5,15 8,24 9,17 9,36–43 20,7–11 22,26–28 23,1 28,3–6 28,8
3, 4, 6, 10, 12ff 201 1, 3, 6 201 210 201 201 201 164 161 200 201
Römerbrief (ganze Schrift) 1,7 2,28f 4,23–5,3 8–13 12,5 13,1f 13,1–7 14,17
4, 6 59 164, 170 1, 3 1, 3 168 167 166 164
1. Korintherbrief (ganze Schrift) 1,3 2,6 2,8 4,20 5
4, 6, 14 59 167 167 164 167ff
5,1 5,4 5,5 5,6f 5,6–8 5,7f 5,10 5,11 5,12 5–6 6 6,1 6,1–8
6,11 12,11–14,27 12,13 14,16 14,23 15,24 15,40 15,50
169 153 168, 169 168 170 168 167 167 153, 167, 169 153 168ff 170 127, 150, 152, 154f 160, 166, 168ff 169 168, 170 169f 168 153, 164, 169, 170 169 168 165 171 171 164, 167f 171 164
2. Korintherbrief (ganze Schrift) 5,1 5,5 11,18 11,21–33
4, 14 171 31 164 164
Galaterbrief (ganze Schrift) 3,28 5,21
4, 14 165 164
Epheserbrief (ganze Schrift) 1,2 2,11 2,12 2,19
4, 6 59 166 165, 166, 171 165, 166, 171
6,1–11 6,5 6,6 6,7 6,8 6,9
224 Philipperbrief (ganze Schrift) 1,2 1,27 2,5 3,1 3,3 3,4 3,5 3,7f 3,8 3,9 3,14 3,18f 3,19 3,20
Stellenregister
4, 165 59 161 165, 168 164 164, 170 164 164f, 171 165f 164 164 164 169 162, 164, 166, 171 127, 150ff, 155, 159ff
Hebräerbrief (ganze Schrift) 1,1 11,13 11,14 11,16 13,14
4, 6, 14, 15, 165 15 171 164f 165 165, 171
Jakobusbrief (ganze Schrift) 3,15
6, 14 171
1. Petrusbrief (ganze Schrift) 1,1 1,4 1,17 2,11
5, 165 165, 171 165 165, 171 171
1. Thessalonicherbrief (ganze Schrift) 2,12
4, 6, 14 164
2. Petrusbrief (ganze Schrift)
5
2. Thessalonicherbrief (ganze Schrift)
6, 14
1. Johannesbrief (ganze Schrift)
6, 14
Philemonbrief (ganze Schrift)
6, 28
Judasbrief (ganze Schrift)
5
Johannesapokalypse 1,13–20
6
2 2.1
Frühjüdische Literatur Philo von Alexandrien
De Abrahamo 93–98
211
De Josepho 69
De agricultura 81
160, 162, 166
De migratione Abrahami 124 172, 208
De confusione linguarum 109 160, 166, 172
De opificio mundi 143
160, 162, 166
160, 162, 166
225
Stellenregister De sacrificiis Abelis et Caini 70 208
In Flaccum (ganze Schrift) 172
162 145
De specialibus legibus II 45
160, 162, 166
De vita Mosis I 128
Legatio ad Gaium (ganze Schrift)
162
210
Hypothetika 1
Legum allegoriae I 252
208
160
Quod deus sit immutabilis 87 208
2.2 Antiquitates Judaicae I5 I 13 I 165 VI 168 VIII 45–49 VIII 325–327 IX 12 IX 50 IX 51 X 24–29 XI 157 XII 108 XIX 280–285 XX 97
159 159 211 208 201 204 215 208 202, 208 203 159 159 184 198
2.3 4. Baruch III 15 (21) VII 31 (36)
203 203
1. Henoch 6–36 7 7,1 8,3
208 209 209 209
Aristeasbrief 31 310
161 162
Flavius Josephus Contra Apionem (ganze Schrift) I 233 I 241 II 145 II 164–166 II 165 II 184 II 251 II 258
161 202 202 159 162 159, 162 159 159 159
De Bello Judaico IV 460–466 IV 462 IV 463 IV 464
211 203 202 208
Jüdisch-hellenistische Literatur Artapanos Fragmente 3,26
215
Jubiläen 10 13,11 13
209 211 211
Liber Antiquitatum Biblicarum 25,12 209 60 198
226
Stellenregister
Martyrium Jesajas 3,11 5,11
209 209
Psalmen Salomos 17,26f
214
Pseudo-Philo Über Jona 3/9 46/182
208 208
Syrische Daniel-Apokalypse 11 211 Vitae Prophetarum II 3 II 4 III 5 XXII 6 XXII 11 XXII 14
2.4
213 203, 209 213 211 211 211
Qumran
1QGen 20,22
201
4Q385 (ganzes Werk)
204
1QGenAp 20,22
211
11QTgJob 38,2f
210
2.5 Midraschim Devarim Rabba 5,15 Mischna Megilla 7b
200
Babylonischer Talmud Shabbat 108b
200
Ta’anit 23b
201
Jerusalemer Talmud Shabbat 14,4 14d
200 200
214
Sanhedrin 10,1
200
Tosefta Sanhedrin 12,9
200
3 P1 P4 P5 P9 P 12 P 13 P 15
Rabbinisches Schrifttum
Biblische Papyri und Pergamenthandschriften 4, 6 1, 4, 6 6 6 6, 15 15 6
P 18 P 20 P 22 P 23 P 27 P 28 P 29
15 6 6, 15 6 6 6 6, 12
227
Stellenregister P 30 P 32 P 33 P 38 P 39 P 40 P 41 P 42 P 45 P 46 P 47 P 48 P 49 P 52 P 53 P 58 P 61 P 64 P 65 P 66 P 67 P 69 P 70 P 72 P 73 P 74
6 6 1 12 6 6 3 3 4, 6, 9, 12 4, 9f, 13, 16 4 6, 12 6 6, 8 6 1 3 1, 3, 6 6 5, 9, 10–12 1, 3, 6 6 6 5 3 3
4
P 75 P 77 P 80 P 87 P 90 P 91 P 95 P 98 P 101 P 103 P 104 P 106 P 107 P 108 P 111 P 113 P 114 P 118 P 119 P 121 P 967
5, 9f, 12 6 6 6 6, 8 6 6 6, 8 6 6 6, 8 6 6 6 6 6 6 6 6 6 204
0162 0171 0189 0220
3 3, 12 1, 3, 6 6
Nichtliterarische Texte 4.1
Ch.L.A. V 299
149
C.Ptol.Sklav. Nr. 207 C.Ptol.Sklav. II 157
58 88
P.Alex.Giss. 58 P.Amst. I 41 P.Ant. II 93 P.Bas. 16 P.Bod. 13 P.Berl. 5513 P.Bingen 111 P.Bon. 44 P.Brem. 19 P.Brem. 58 P.Brem. 61 P.Brem. 63
88 108 73 73 8 15 185 60 59 60 60 86, 117
Papyri P.Cair.Zen. I 59046 P.Cair.Zen. II 59145 P.Cair.Zen. III 59326 P.Col.Zen. II 76 P.Col.Zen. II 81 P.Corn. 22 P.Dura 10 P.Egerton 2 P.Ent. 48 P.Erl. 117 P.Fay. 113 P.Fay. 114 P.Fay. 117 P.Fay. 127 P.Fay. 248 P.Flor. III 332 P.Gen. I 33
59 58 27 27 55 184 15 6 30 58 100 99, 121 101 65, 113 179 88 58
228 P.Giss. I 17 P.Giss. I 19 P.Giss. I 21 P.Giss. I 22 P.Giss. I 23 P.Giss. I 81 P.Giss.Apoll. P.Giss.Apoll. 2 P.Giss.Apoll. 5 P.Giss.Apoll. 8 P.Giss.Apoll. 10 P.Giss.Apoll. 13 P.Giss.Apoll. 14 P.Giss.Apoll. 15 P.Genova I 33 P.Grenf. II 35 P.Grenf. II 73 P.Grenf. II 67 P.Heid. 8 P.Heid.Inv. G 4931 P.Hib. I 11 P.Iand. II 14 P.Jena Inv. 18 P.Jena Inv. 21 P.Köln III 163 P.Köln Inv. 4274/4298 P.Köln Inv. 21046 P.Lips. I 104 P.Lips. I 111 P.Lips.Inv. 334 P.Lips.Inv. 1574 P.Lond. I 131 P.Lond. III 904 P.Lond. VI 1912 P.Lugd.Bat. 19 P.Lugd.Bat. XXV 46 P.Med. I 22 P.Mert. I 12 P.Mich. III 209 P.Mich. III 212 P.Mich. III 213 P.Mich. III 217 P.Mich. IV 223 P.Mich. IV 224 P.Mich. IV 225 P.Mich. VIII 466 P.Mich. VIII 467–481 P.Mich. VIII 477 P.Mich. VIII 498
Stellenregister 108, 124 101, 122 89, 118 88 88 52 154, 89, 91, 118 88 54, 88, 118 101, 122 88 108f, 124 109 109 95 112 39 27 28 156 55 60 15 15 59, 185 5 157 110, 125 60 57, 126 57, 126 185 30 142, 163 85 185 59 52 60 95 51 55 183 183 183 73, 78 149 62 60
P.Mich. VIII 502 P.Mich. XV 751 P.Mich. XV 752 P.Oslo III 95 P.Oxy. I 119 P.Oxy. II P.Oxy. II 263 P.Oxy. II 270 P.Oxy. III 405 P.Oxy. III 528 P.Oxy. III 531 P.Oxy. IV 655 P.Oxy. IV 724 P.Oxy. IV 725 P.Oxy. IV 743 P.Oxy. IV 744 P.Oxy. IV 745 P.Oxy. V P.Oxy. V 423 P.Oxy. VI 930 P.Oxy. VIII 1086 P.Oxy. VIII 1088 P.Oxy. X 1296 P.Oxy. XIV 1676 P.Oxy. XIV 1757 P.Oxy. XXXI 2595 P.Oxy. L 3525 P.Oxy. LIX 3998 P.Oxy. LXIII 4356 P.Oxy. LXIX 4706 P.Panop.Beatty I 253 P.Par. 18Bis P.Petr. II 35 P.Polit.Jud. 1 P.Polit.Jud. 1,17 P.Polit.Jud. 3 P.Polit.Jud. 4 P.Polit.Jud. 6 P.Polit.Jud. 8 P.Polit.Jud. 10 P.Polit.Jud. 11 P.Polit.Jud. 17 P.Polit.Jud. 18 P.Polit.Jud. 19 P.Polit.Jud. 20 P.Princ. III 174 P.Rein. I 48 P.Strasb. I 2 P.Strasb. I 79
60 72 72 178, 19 54 4 43 42 15 104 94 15 37 33 153 106, 123 147 8 154 91, 119 182 182 78, 88 55 51 60 15 61 183 15 55 85 182 130 146 136 130f, 156 133, 136, 138, 157 136, 138 130 130 138 136, 138, 158 138 138 185 59 185 56
229
Stellenregister P.Strasb. VII 622 P.Tebt. III 703 P.Vindob. G 577000 P.Wash.Univ. II 107
73 31 158 54
BGU (Berliner Griechische Urkunden – Aegyptische Urkunden aus den Königlichen Staatlichen Museen zu Berlin, Griechische Urkunden, I–XVI) BGU I 120 58 BGU I 276 60 BGU II 423 80, 116 BGU II 596 55 BGU II 597 58 BGU II 615 76 BGU II 632 82 BGU III 814 66, 114 BGU III 821 59 BGU III 1009 58 BGU IV 1024 184 BGU IV 1050 107 BGU IV 1080 24, 97, 120 BGU IV 1106 108 BGU IV 1203 58f BGU IV 1204 59 BGU VII 1647 27 BGU VII 1680 64, 113 BGU VIII 1755 58 BGU XIII 2350 185, 188
C.Pap.Jud. (Corpus Papyrorum Judaicarum, ed. Tcherikover/Fuks) I 153 163 II 146 108 II 153 142 II 436 101, 122 II 442 86, 117 III 1530A 146 PGM (Pap. Graec. Mag.) IV 3115 182 PSI (Pubblicazioni della Societá Italiana per la Ricerca dei Papiri Greci e Latini in Egitto) PSI VI 611 58 SB (Sammelbuch Griechischer Urkunden aus Ägypten, ed. Preisigke u.a.) SB I 4515 86, 117 SB I 5765 146 SB III 6263 70 SB VI 9636 149 SB VIII 9699 185 SB XIV 12173 74, 115 SB XVI 12625 185 SB XVIII 13734 79 SB XX 14440 30 SB XXIV 15970 29 SB XXIV 16185 30 Supplementum Magicum I 1; 2; 3 180
4.2 O.Claud. I 171 O.Claud. II 212 O.Claud. II 213
55 178 178
4.3 CIG III 5361 IG XIV 701
130, 147 147
Ostraka O.Claud. IV 862
99
O.Stras. I 677
185
Inschriften SEG XVI 931
130, 147
230
Stellenregister
5 Athenaios Deipnosophistae II 13 Cicero Epistulae ad Atticum IV 16,1 V 1,3 X 20,1 XIV 1,5 XIV 2,1 XIV 4,1 XV 14,3 XV 19,1 XV 20,4 XVI 17,1
Griechische und römische Literatur
99
54 56 54 54 54 54 51 51 51 54
Epistulae ad Quintum fratrem II 16,1 54 III 3,1 54
Hesiod Fragmente 247,1
99
Homer Ilias XI
93
Odyssee I 23 XI 415 XXIV 402
59 24, 98 24
Kyraniden IV
203
Libanios Characteres epistolares 1–4, 46–50 50 Martial Epigramme I 30 I 47
206 206
Platon Phaidon 67 B
202
Demetrius von Phaleron De elocutione 223–235 48
Plutarch De Iside et Osiride 352 D
202
Digesten 27.1.6.8
Flavius Dioskoros von Aphrodito Hermes 128 24
Plinius der Ältere naturalis historia XXIX 5–8 XXVIII 5,25 XXVIII 7,35–39 200 XXXII 24
Galenus In Hippocratis epidemiarum 6 Comm 7 209
Sueton Caesar 42
C. Iulius Victor Ars rhetorica 2 27
49 49
Codex Iustiani 9.47.26
40
191
191 200 203
190
231
Stellenregister Sueton (Fortsetzung) Augustus 59
190
6 Diognetbrief (ganze Schrift) 5,9 10,7
Apostolische Väter
161 161, 171 161
21,1 44,6 51,2 54,4
161 161 161 161
Hirt des Hermas, Similitudo I 1–6 165, 171 V 6,6 161
Martyrium des Polykarp 22,2 161 23,1 161
1. Clemensbrief 3,4 6,1
Brief des Polykarp 5,2
161 161
7 Acta Thomae 170
203
Eusebius De martyribus palaestinae V3 40
161
Antikes Christentum Historia ecclesiastica VIII 14,14f
40
Gregor von Nazianz Epistulae 68
5
Sach- und Personenregister Abgabewesen 29 Ägypten 127–129, 147–149, 155 – Oberägypten 139, 151 Alexandria 8, 138–142, 144–147, 149, 155, 162 Älteste 135, 137 Amme 109 amulet 180 Apollonios-Archiv 63 Apostel 155 Apostellehre 161 Aquila 142 Archonten 129–132, 134–138, 166 arrha 30 Artemon 48 Arzt 205–208 Augustus 140–142, 144, 146, 150 Autonomie 162 Benjaminit 164 Berenike 130, 147f, 155 Beschneidung 164 Beschwerde 69 Bildnis 82 Bildung 88, 93, 95, 98 – hellenistische 23 Bodmer papyri collection 5 Bote 78 brevitas 49, 53 Brief ~boten 55 ~corpus 61 – Doppelbrief 79 – Empfehlungsbrief 41 – Gratulationsschreiben 98 – Kinderbrief 54 – Mahnbrief 73 – Scheidebrief 131 ~schreiben 52
~stil 54 ~theorie 48 ~transport 55 Bürger 159 ~recht 140f, 145f, 151f, 159 – römischer 166 ~schaft 159 ~schaftsliste 159 ~tum 159 – Vollbürgerschaft 163 Bürgschaft 42 Caesarean text 9 Caesar, Gaius Iulius 140 Caligula 141f, 146 Cicero 50 Chester Beatty collection 4 Christian copies 16 Christenverfolgung 39f Christus 150 Claudius 141f, 144–146, 151f Claudiusbrief 163 cleansing 184f Codex Bezae 12 codex – book-form 14 – preference for 15, 17 Codex Vaticanus 2, 9 Codex Washingtonianus 1, 12 copying practice 10 copyists’ habit 11 Corpus Hellenisticum Novi Testamenti 175 correction 11 Cyrenaica 130, 139, 147, 151, 155 Darlehen 31 Decussis 56 Deißmann, Adolf IIIf, 174
Sach- und Personenregister Demetrios 48 Diktat 54 Didache 161 Diognetbrief 161 doctor 189–192 Edikt 141f, 144f Egypt 7 Ehebruch 105 Epistolographie 47 Erde 167 Ermahnung 72, 95 Erziehung 92 Ethnarch 142 ethnisch 165 Fachterminologie 21 faith 192 fever 178–180 Flaccus, Aulus Avillius 127, 147f fleischlich 163 Formalia 56 Formula valetudinis 59, 66, 68, 72f, 84, 90, 112 Fremdheit 165 Gabinius 140 Gebet 60 Gebetserhörungswunder 197f, 211ff Geburt 88, 107 Geburtstag 101 Gemeinde 129f, 139, 141, 151–155, 167 Gemeinwesen 159, 162 Gerichtsbarkeit 160, 162 Gerichtsreden 24 geschlechtlich 165 gesellschaftlich 165 Gesetz 132, 133 Gewissen 161 Gläubige 165 Grammatik 79 Gruß, eigenhändiger 91 Grüße 61 haemorrhage 188 Hand – therapeutische Verwendung 201f Handeln 161 Hausgenossen Gottes 166
233
healing 178 Hebräer 164 Heidenchristen 164, 169 Heilige 166 Heilmittel 202f Heimat 159 Heimatrecht 166 Hellenisierung 22 Herakleopolis 127–131, 137–139, 145, 147, 149, 151, 153, 155, 160 Herkunft 164 Herr 150 Herrschaftsbereich 164 Himmel 150, 161, 163, 167 Hochzeit 98 Humor 98 Hypothek 44 iatromagical papyri 181 iatro-magical performances and rites 192 inscriptio 63 Integration 84 irdisch 163 Ironie 98 Israelit 164 Jerusalem 127, 146 Jesus 150 ~bild (markinisch) 213 ~tradition 204 Jewish scribal treatment of YHWH 17 Josephus 141, 145 Judas Makkabäus 162 Juden ~aufstand 63, 89, 91, 103 ~gemeinde 129, 136, 138 ~tum 128, 129, 139–141, 143f, 146, 152, 155 Kaiserkult 144 Kauf, bedingter 42 Kind 135 Kindesaussetzung 107 Klage 69 Kleiderordnung 96 Kleidung 68 Konstantin I. (der Große) 161 Konvertit 84 Koran 160
234
Sach- und Personenregister
Korinth 150–155, 158 Korrektur 112 Kurzschriftlehre 37
Organisationsform 166 Orthographie 79 Oxyrhynchus 4, 8
landsmannschaftlich 160 Layout 16, 56, 109 Legaldefinition 20 Lehrlingsvertrag 33, 36 Leontopolis 147, 155 leprosy 181, 182, 188 Libanios 50 Liebeskummer 105 Liebesverhältnis 109 literary bookroll 52 liturgical reading 16 „local text“ theory 7 Luther, Martin 161
Pädagoge 93 parchment manuscripts 3 Parting of the ways 213 patria potestas 73 Paulus 150–154, 166 Paulusgemeinde 155 Philippi 150f, 155 Philo von Alexandrien 166 Pogrom 127, 139, 141 Politarch 129f, 142, 146f Politeia 166 Politeuma 160 Post, staatliche 55 Postskript 69 praefectus Aegypti 127, 141f Präfekt 142, 152 Präskript 57 private reading 16 Privilegien 140, 142, 144–146 Proskynema 60 Ptolemäus I. 133 Ptolemäus II. 133 Ptolemäus VI. 128 Ptolemäus VIII. 129 public reading 16 „readers’ aids“ 16, 17
Makkabäer 128 Mark Anton 150 Markus, religionsgeschichtliche Herkunft des 195 medical practices 189 Medizin 208f Methode 216 Mahnung 90 magical papyri 179 Marine 81 Militär 68, 84 Militärpost 82 Mischnah 138 Monarchie 161 Mumienporträt 82 Mumientäfelchen 86 Mutterschaft 73 Nacherzählungen biblischer Texte 199, 202ff, 208, 211 Namenswechsel 81 Narrenrede 164 Neutral/Alexandrian text 9 nomina sacra 16f NT papyri 1 NT textual criticism 11
Rechtschreibfehler 66, 105 Recht(s) 130f, 138, 142, 144f, 148 ~denken 23 ~entscheidung 166 ~praxis 23 Rectus, Lucius Aemilius 142 Regierung 160, 166 Regierungsform 160 Republik 161 religionsgeschichtlicher Vergleich 216 Retter 150 re-used rolls 15 Richter 134–137
Obrigkeit 167 Oligarchie 161 Onias III. 129 Onias IV. 129 optio 69
Satan 168 Sauerteig 168 scaly skin disease 184, 188, 192 Schlussklausel 62 Schreiberausbildung 23
Sach- und Personenregister Schulden 29 scriptural texts 16 Selbstverwaltung 160 Septuaginta 205 Siegel 57 Sklave 72, 89, 93, 109, 135 Soldat 128f, 138, 146 Sondergerichtsbarkeit 130f, 138, 154 soziologische Situierung 204 Speichel als Heilsmittel 200 Staat 159 ~sgewalt 160 ~swesen 160 Stadt, bleibende 165 Stamm 164 Statthalter 142 Status 163 Streitigkeiten 169 Student 95 Synagoge 152, 158 Tachygraphie 37, 38 Tendenzen 199, 202ff, 208, 211 textual transmission 11f textual variants 13 text-type 9 Theokratie 162 Thessaloniki 150f Torah 129, 133, 138, 144 Totes Meer 148
theologische Tendenzen 205 transmission practice 7, 10 tribus Voltinia 166 Übersetzung 161 Umwelt 160 Ungläubige 170 Unterrichtsvertrag 35 Urkunden 160 Urkundenschreiber 24f, 45 Vaterland 165 Verfassung 162 Verfassungsform 160 versiculus transversus 56, 76, 82 Verwerfung 164 Victor, C. Iulius 49 voces magicae 180 Volk 164 vox magica 180 Wandel 159–161 Weberei 89 Welt 167 „wild“ textual variation 13 „wild“ transmission attitude 14 Wundergeschichten, synoptische 196–198 Zinsverbot 138
235
Register griechischer Begriffe ἄδικοι 172 ἀνακαλέω 134 ἀναχωρεῖν 28 ἀναχώρησις 28 ἄξιος 132, 134 ἄπα 76 ἄπιστοι 172 ἀποστάσιον 132 ἀποστέλλω 138 ἄρχοντες 132, 134, 137, 169 ἀσπάζομαι 61 βασιλεία 166 βιβλίον 132 βιβλίον ἀποστασίου 133 γάμος 132 γένος 166 γραμματοφόρος 55 δίκαιος 134 ἐγγράφω 168 ἐγκύκλιος παιδεία 23 ἔθος 143f. ἐκζητεῖν 28 ἐκκλησία 169 ἐκπολιτεύω 162 ἐν αἰσχύνῃ 166 ἐν κυρίῳ 166 ἐπίγεια 165 ἐπιστολοφόρος 55 ἔρρωσο 59f, 62 εὐτύχει 62 εὔχομαι 60 θεῖος ἀνήρ 199f θεός 16, 143 ἰδιῶται 173
ἱερὰ γράμματα 79 Ἰησοῦς 16, 150 κατακρίνειν 28 κατάστασις 133f κοιλία 166 κοινός 132 κολαφίζειν 73 κρίνειν 133, 135, 153 κρίσις 28 κριτήριον 133, 136, 153 κριτής 133–137 κύριος 16 λεύκομα 205f λόγος 132 μισθός 27 νομικοί 28 νόμος 132f νόσος 143 ὁμιλία 50 ὀμόσαντος 132 ὀργή 143 οὐρανοί 150, 165 παιδίον 134f παραγγέλλω 132 παρουσία 51 πατρίς 166 περιτομή 166 πιστεύειν 216f πίστις 28 πόλεμος 143 πόλις 29, 163 πολιτάρχης 147 πολιτεία 145f, 168 πολίτευμα 129, 132, 161
Register griechischer Begriffe πολιτεύομαι 162 πολιτεύω 162 πολίτης 146 πολλὰ χαίρειν 66 πρᾶγμα 153 πρεσβεία 143 πρεσβύτης 135, 137 προνοέω 134 προσκύνημα 60 προσκυνῆσαι 78 σαφηνεῖα 50 σκύβαλα 166 σύγκρισις 133–135 συντομία 53 σωτήρ 150, 173
τέρας διδόναι 213 ὑπογραφή 134f φερνή 132 φιλανθρωπἰα 143 φιλάνθρωπος 143 φιλοφρόνησις 49 φυλή 166 χαίρειν 58f Χριστός 16, 150
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