Zu den neuen Möglichkeiten einer Unternehmenssanktionierung zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht: Unternehmenssanktionierung ohne Strafrecht? [1 ed.] 9783428588114, 9783428188116

Über die Tatsache, dass die Sanktionierung von Unternehmen de lege lata über § 30 OWiG nicht zureichend ist, besteht in

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German Pages 170 Year 2023

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Zu den neuen Möglichkeiten einer Unternehmenssanktionierung zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht: Unternehmenssanktionierung ohne Strafrecht? [1 ed.]
 9783428588114, 9783428188116

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Schriften zum Strafrecht Band 410

Zu den neuen Möglichkeiten einer Unternehmenssanktionierung zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht Unternehmenssanktionierung ohne Strafrecht?

Von

Maren Stefanie Schneider

Duncker & Humblot · Berlin

MAREN STEFANIE SCHNEIDER

Zu den neuen Möglichkeiten einer Unternehmenssanktionierung zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht

Schriften zum Strafrecht Band 410

Zu den neuen Möglichkeiten einer Unternehmenssanktionierung zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht Unternehmenssanktionierung ohne Strafrecht?

Von

Maren Stefanie Schneider

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D30 Alle Rechte vorbehalten © 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-18811-6 (Print) ISBN 978-3-428-58811-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

„Corporations have neither bodies to be punished, nor souls to be condemned, they therefore do as they like.“ Edward Thurlow, 1st Baron Thurlow

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johann Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main als Dissertationsschrift angenommen. Stand der Bearbeitung ist August 2021. Mein Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Matthias Jahn, RiOLG, der mir bei der Erstellung dieser Arbeit jede Freiheit ließ und trotzdem stets die richtigen Impulse setzte. Vielen Dank auch für die langjährige Förderung und Unterstützung, die ich als Mitarbeiterin seines Lehrstuhls erfahren durfte. Frau Professorin Dr. Katja Langenbucher danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Professor Dr. Cornelius Prittwitz für die Übernahme des Vorsitzes im Rahmen der Disputation. Mein herzlicher Dank gilt außerdem Prof. Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy, die meine Faszination für wirtschaftsrechtliche Fragestellungen und insbesondere die Sanktionierung von Unternehmen geweckt hat und mir stets mit Rat zur Seite stand. Dank gilt darüber hinaus meinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl sowie bei Debevoise & Plimpton LLP, mit denen ich in den Jahren der Entstehung dieser Arbeit viele inspirierende Gespräche führen durfte und die mir auch in Momenten der Verzweiflung stets beistanden. Besonders möchte ich mich außerdem bei meiner Familie bedanken, die mich schon immer unterstützt und ermutigt hat, meinen Träumen nachzugehen. An herausragender Stelle möchte ich schließlich meinem Freund danken, der mir während der Verfassung dieser Arbeit stets Zuspruch und Rückhalt gegeben hat. Seiner Hilfsbereitschaft und Motivation hat dieses Buch am meisten zu verdanken. Hofheim am Taunus, im Oktober 2022

Maren Schneider

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung und Fragestellung

17

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

B. Grundlegende Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

Kapitel 2 Grundlagen

20

A. Unternehmensverantwortlichkeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

B. Europäische Initiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Kapitel 3 Die Rechtslage de lege lata

24

A. Geldbuße nach § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geschichte des § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zweck des § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfungs- oder Bezugstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zurechnungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verletzung betriebsbezogener Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 25 26 27 27 28 28 29 31

B. Weitere flankierende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einziehung nach §§ 73 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Öffentlich-rechtliche Präventivmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zivilrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 32 34 36

C. Kartellrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 37

12

Inhaltsverzeichnis II. Höhe der Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Haftung der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes

41

A. Zu schwache Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Anwendungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 C. Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 D. Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda

46

A. Aktueller Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 B. Reform des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzgebungsvorschlag des BUJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung eines gesetzlichen Minderungsgrunds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bußgeldbefreiende Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konkretisierung der erforderlichen Aufsichts- und Organisationspflichten 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. VCI-/BCM-Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht . . . . . 1. Vom Zurechnungsmodell zum Organisationsmodell? . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkungen bei Konzernsachverhalten und Rechtsnachfolge . . . . . . 3. Regelung der Betroffenenrechte und weitere Verfahrensvorschläge . . . . . 4. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 47 47 48 48 49 49 50 51 51 52 53

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs des Landes Nordrhein-Westfalens . . 1. Wesentliche Regelungen des NRW VerbStrG-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zu schwache Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht und der Strafrechtsdogmatik . bb) Strafrechtliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54 55 57 57 57 58 58 60

Inhaltsverzeichnis (1) Ausgangspunkt gesellschaftliches Rechtsempfinden? . . . . . . (2) Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Absolute Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Relative Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konkrete Legitimation des Entwurfs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Exkurs: Verbandsschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesentlicher Entwurfsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zu schwache Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sanktionsqualität der Geldzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Formale Zuordnung im nationalen Recht; Bezeichnung der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Natur der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Art und Schwere der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kein „falsa demonstratio non nocet“ im Strafrecht . . . . . . . . (2) Strafrechtliche Legitimation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Legitimation über absolute Straftheorien? . . . . . . . . . . . . . (b) Legitimation über positive Spezialprävention? . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesentlicher Entwurfsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zu schwache Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sanktionsqualität der Verbandsgeldsanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 60 62 63 63 64 65 66 68 69 70 71 71 73 73 73 74 75 76 77 79 80 80 80 81 82 82 85 86 87 87 89 92 92 93 94 94 95 96

14

Inhaltsverzeichnis (1) Legitimation über negative Generalprävention? . . . . . . . . . . . . (2) Legitimation über positive Spezialprävention? . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Münchner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesentlicher Entwurfsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zu schwache Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sanktionsqualität der Verbandsgeldzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. „Frankfurter Thesen“ und Entwurf eines Frankfurter Unternehmenssanktionsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Frankfurter Thesen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Frankfurter Gesetz zur Unternehmenssanktionierung . . . . . . . . . . . . . 3. Wesentlicher Entwurfsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zu schwache Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnis zum Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sanktionsqualität der Wiedergutmachungszahlung . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97 97 98 98 100 100 101 102 103 103 105 105 106 108 108 108

D. Vergleich und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gestärkte Sanktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbesserte Anwendung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entbagatellisierung von Unternehmenskriminalität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erfassung von Unternehmenskriminalität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135 135 138 140 144 145

108 109 112 114 125 125 127 128 129 129 130 131 135

Inhaltsverzeichnis

15

Kapitel 6 Zusammenfassung, Reformthesen und Ausblick

148

A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 B. Reformthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 C. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Hinweis zur Auswertung der Quellen, zu Abkürzungen und zur Zitierweise Die in der Arbeit verwendeten Quellen wurden bis zum Stichtag 16.08.2021 ausgewertet. Abkürzungen richten sich, wenn nicht anders gekennzeichnet, nach Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache. Sofern nicht anders gekennzeichnet, wird jeweils die neueste Auflage der Werke zitiert.

Kapitel 1

Einführung und Fragestellung A. Einführung Unternehmen sind in Deutschland grundsätzlich sanktionsfähig.1 Die Sanktionierung erfolgt über § 30 OWiG. Voraussetzung ist insoweit, dass der Repräsentant juristischer Personen oder Personenvereinigungen eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat. § 30 OWiG normiert keine einzelne Ordnungswidrigkeit und umschreibt keinen einzelnen Bußgeldtatbestand.2 Vielmehr handelt es sich um eine Zurechnungsnorm mit Täterschaft begründender Komponente. Normiert wird keine direkte Verbandstäterschaft, sondern die Tat des Repräsentanten ist unter bestimmten Zurechnungsvoraussetzungen Auslöser einer Verbandsgeldbuße.3 Eine Kriminalstrafe gegenüber juristischen Personen oder Personenvereinigungen kennt das deutsche Strafrecht hingegen nicht.4 Die Diskussion um die Notwendigkeit oder Wünschbarkeit einer Strafe gegenüber Unternehmen wird bislang von zwei Extrempositionen geprägt. Zum einen besteht die Auffassung, dass das Kriminalstrafrecht auf dem Schuldgrundsatz beruhe und somit an die Eigenverantwortung des Menschen anknüpfe. Die Kriminalstrafe setze Handlungs- und Schuldfähigkeit und somit persönliche Verantwortlichkeit voraus, ein sittliches Unwerturteil könne nur über menschliches Verhalten verhängt werden.5 Zum anderen wird ins Feld geführt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich auch juristischen Personen und Personenvereinigungen strafrechtliche Verantwortung zuweisen könne.6 Diese Verantwortung sei dann die Kehrseite der Freiheit, die Unternehmen in unserer Rechtsordnung genießen.7 1

KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 1. KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 1. 3 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 3. 4 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 1. 5 BGHSt 5, 28 ff., NJW 1953, 1838; BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 1; Löffelmann, JR 2014, 185 ff. m.w. N. 6 Vgl. Vogel, StV 2012, 427. 7 Vgl. Dannecker, in: Grundfragen eines modernen Verbandsstrafechts, S. 17, 53 ff.; Kubiciel, ZRP 2014, 133 (136); Böse, ZStW 126 (2014), 132 ff. 2

18

Kap. 1: Einführung und Fragestellung

Unabhängig von der Entscheidung für oder gegen eine strafrechtliche Lösung stellt sich grundsätzlich die Frage, ob die nach § 30 OWiG verhängbare scheinbar wertneutrale Geldbuße8 der Bedeutung und den Möglichkeiten von Unternehmen und Unternehmenskriminalität heutzutage noch gerecht werden kann. Von der Erfindung der Dampfmaschine durch Newcomen im Jahr 1712, die die Wiege des Unternehmens markiert,9 hat das Unternehmen eine steile Entwicklung vollzogen, die über die weiter fortschreitende Akkumulation von Kapital und Information zu nahezu unbeschränkter Macht geführt hat.10 So konnte z. B. Volkswagen trotz des Dieselskandals im Jahr 2017 seinen Nettogewinn im selben Jahr mehr als verdoppeln11 und der Economist fragt zu Recht: Wie können wir die Giganten überhaupt noch zähmen?12 Die Macht von Unternehmen scheint, obwohl sie in ein Geflecht aus Technologie, Gesetzen und anderen Kontrollmechanismen eingebettet ist, stetig weiter zu wachsen.13 Bakan beschreibt deshalb bereits 2005 für den Economist: „Corporations govern society, perhaps more than governments themselves do.“14 Diese Entwicklung vor Augen besteht in Wissenschaft, Politik und Praxis grundsätzliche Einigkeit, dass das geltende Recht und insbesondere § 30 OWiG Mängel aufweisen, die eine Reform notwendig erscheinen lassen.15 Unternehmen sollen künftig auch an ihre Machtstellung angepasst Verantwortung tragen.

B. Grundlegende Zielsetzung der Arbeit Die nachfolgende Arbeit setzt sich kritisch mit den derzeit existierenden Entwürfen zur Neuregelung der Unternehmenssanktionierung und Verantwortungszuweisung an Unternehmen auseinander. Diese können grob unterteilt werden in (1) Entwürfe, die eine Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts vorsehen, (2) Entwürfe, die ein eigenständiges Sanktionsgesetz bei Beibehaltung des Zurechnungszusammenhangs favorisieren, und 8

BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 3. Bakan, The Corporation, S. 9. 10 Wells, Corporations and Responsibility, S. 2. 11 Zeit online, VW erzielt Rekordergebnis, 23.2.2018, verfügbar unter: https://www. zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2018-02/volkswagen-umsatz-milliardengewinn-rekorddieselskandal, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021. 12 The Economist, How to tame the tech titans, 18.1.2018, verfügbar unter: https:// www.economist.com/leaders/2018/01/18/how-to-tame-the-tech-titans, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021. 13 Bakan, The Corporation, S. 21. 14 Crook, The Economist, 22.1.2005, verfügbar unter: https://www.economist.com/ special-report/2005/01/22/the-world-according-to-csr, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021. 15 S. u. a. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 126; Henssler/Hoven/Kubiciel, NZWiSt 2018, 1 (5 f.). 9

B. Grundlegende Zielsetzung der Arbeit

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(3) einen Entwurf, der die Einführung eines eigenständigen Sanktionsgesetzes unter Anknüpfung an das Unternehmen selbst vorsieht. Erkenntnisleitend soll dabei die folgende Frage sein: Sind die unterschiedlichen Ansätze in ihrer jeweiligen Ausgestaltung in der Lage, den Mängeln des geltenden Rechts abzuhelfen und welche Auswirkungen ergeben sich daraus für das Kriminalstrafrecht?

Kapitel 2

Grundlagen Im folgenden Kapitel sollen zunächst die Entwicklung der Unternehmensverantwortlichkeit in Deutschland und die diesbezüglichen europäischen Einflüsse betrachtet werden.

A. Unternehmensverantwortlichkeit in Deutschland Die Reform der Unternehmenssanktionierung wird in Deutschland seit Langem intensiv diskutiert. Insbesondere die Bestrafung von juristischen Personen stand dabei immer auf der Tagesordnung,1 wurde bisher aber nicht umgesetzt. Schon in der Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gab es Befürworter einer Kriminalstrafe für Körperschaften wie v. Liszt 2 oder Hafter und Busch, die strafrechtliche Maßnahmen gegenüber Personenverbänden für möglich und erforderlich hielten.3 Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs spielte die Frage einer strafrechtlichen Verantwortung von Personenverbänden aber letztlich eine nur untergeordnete Rolle.4 Erst mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland intensivierte sich die Diskussion über die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Unternehmen.5 So wurde bspw. auf dem 40. Deutschen Juristentag 1953 über eine Strafbarkeit juristischer Personen und Personenverbände diskutiert und eine solche letztlich einstimmig abgelehnt.6 Stattdessen wurde im Jahr 1968 § 26 OWiG7 eingeführt, der die zuvor über zahlreiche Bundes- und Landesgesetze hinweg verstreuten Einzelvorschriften zur bußgeldrechtlichen Ahndung von Unternehmen im Ordnungswidrigkeitenrecht vereinte.8 1

Roxin, Strafrecht AT (3. Aufl.), Teil 1, § 8 Rn. 63 a. E. von Liszt, Lehrbuch des Strafrechts, § 28 I 2, S. 117. 3 Vgl. Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 162; Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, S. 122 f., 147 ff. 4 Korte, Juristische Person und strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 13, dies gilt außerdem sowohl für die Zeit der Industrialisierung als auch für die Zeit des Nationalsozialismus. 5 Korte, Juristische Person und strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 13 f. 6 Vgl. Korte, NZWiSt 2018, 393 (394). 7 Heute § 30 OWiG. 8 Vgl. Korte, NZWiSt 2018, 393 (394). 2

A. Unternehmensverantwortlichkeit in Deutschland

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Im Jahr 1998 wurde ein Entschließungsantrag des Landes Hessen zur „Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen“ 9 im Bundesrat gestellt, nach dem Regierungswechsel im Jahr 1999 aber zurückgenommen.10 Eine von 1998 bis 2000 tagende Arbeitsgruppe der Kommission des damaligen Bundesministeriums der Justiz (BMJ) kam in ihrem Abschlussbericht 2000 zu dem Ergebnis, dass die Einführung einer Unternehmenssanktionierung im Kriminalstrafrecht und eine originäre Verbandshaftung abzulehnen seien.11 Für einige Zeit kehrte daraufhin Ruhe in die Diskussion um die Verantwortlichkeit von Unternehmen ein, bis das Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013 einen Vorstoß mit einem Gesetzentwurf wagte.12 Der „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“ schaffte es jedoch nie in das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene und wurde von der folgenden Landesregierung zurückgezogen.13 Im Jahr 2013 wurde in den Koalitionsvertrag die „Prüfung eines Unternehmensstrafrechts für multinationale Konzerne“ 14 aufgenommen. Eine Umsetzung der Pläne erfolgte jedoch nicht. Im Jahr 2016 wurde ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN für „Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Wirksame Sanktionen bei Rechtsverstößen von Unternehmen“ in den Deutschen Bundestag eingebracht,15 jedoch abgelehnt. Im Koalitionsvertrag von 2018 bekundete der Gesetzgeber abermals seinen Willen, das Feld der Unternehmensverantwortlichkeit bzw. der Internal Investigations umzugestalten.16 Der Vertrag sah vor, in Zukunft Wirtschaftskriminalität wirksam zu verfolgen und angemessen zu ahnden, indem profitierende Unternehmen stärker sanktioniert würden, z. B. durch die Einführung des Legalitätsprinzips.17 Im Jahr 2020 wurde dem folgend ein Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ veröffentlicht, der die Sanktionierung von Verbänden auf eine eigenständige, gesetzliche Grundlage stellen und so eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität ermöglichen sollte.18 Der Gesetzesentwurf ist mittlerweile gescheitert.

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BR-Drucks. 690/98. Vgl. Korte, NZWiSt 2018, 393 (394). 11 Abschlußbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionssystems, März 2000, S. 190 ff. 12 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Verbänden, verfügbar unter: https://www.strafrecht.de/media/files/docs/Gesetzentwurf. pdf, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021 (im Folgenden: NRW VerbStrG-E). 13 Vgl. Korte, NZWiSt 2018, 393 (395). 14 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 101. 15 BT-Drucks. 18/10038. 16 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode. 17 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 126. 18 BR-Drucks. 440/20. 10

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Kap. 2: Grundlagen

B. Europäische Initiativen Auch die Europäische Union hat sich mehrfach mit den Anforderungen an die Sanktionierung von Unternehmen in den Mitgliedsstaaten befasst und dabei insbesondere das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht kritisch betrachtet. Im Jahr 1988 veröffentlichte der Europarat nicht rechtsverbindliche Empfehlungen, die Vorgaben zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit für in Ausübung ihrer Tätigkeit begangene Delikte und zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen machten.19 Verpflichtend eingeführt wurde ein europäischer Mindeststandard für Unternehmenssanktionen dann im Jahr 1997 durch das Zweite Protokoll zum Übereinkommen über Schutz der finanziellen Interessen der EG (PIF-Übereinkommen). Gemäß Art. 4 müssen Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass bei kodifizierten Straftaten, die zugunsten einer juristischen Person begangen werden, wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen verhängt werden können. Es wird jedoch nicht angegeben, ob diese strafrechtlich oder nicht strafrechtlich ausgestaltet sein müssen.20 Seitdem enthalten aber fast alle strafrechtlichen Rechtsinstrumente der EU, des Europarats, der OECD und der Vereinten Nationen auch Vorgaben zur Verantwortlichkeit juristischer Personen.21 Im Jahr 2005 beschäftigte sich die GRECO (Europarat-Staatengruppe gegen Korruption) mit den Vorgaben des Europarats zur Sanktionierung von juristischen Personen im Bereich der Korruption.22 Die GRECO kritisierte vor allem die unterschiedlichen Anwendungen der Sanktionsnorm in den deutschen Bundesländern.23 Ebenfalls wurde empfohlen, im Sinne einer gleichmäßigeren Anwendung des § 30 OWiG, „Guidelines“ für Staatsanwälte einzuführen und die Höhe des Sanktionsanteils der Geldbuße zu prüfen.24 Dieser Empfehlung folgte Deutschland aber nur teilweise, indem eine Richtlinie für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) eingeführt wurde, um so eine verbesserte Anwendung der Normen zu erreichen. An der Höhe der Geldbuße wurde hingegen nichts geändert.25 In ähnlicher Weise kritisierte im Jahr 2011 die Arbeitsgruppe der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) gegen Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr die Regelungen des Ordnungswidrig19 Europarat, Recommendations No. R (88) 18, Liability of enterprises having legal personality for offences committed in the exercise of their activities. 20 ABl. EG Nr. 221/11 v. 19.7.1997. 21 Vgl. Korte, NZWiSt 2018, 393 (394) m.w. N. 22 GRECO Eval II Rep (2004) 10G v. 1.7.2005. 23 GRECO Eval II Rep (2004) 10G v. 1.7.2005, S. 37. 24 GRECO Eval II Rep (2004) 10G v. 1.7.2005, S. 37. 25 Korte, NZWiSt 2018, 393 (395), Nummer 180a enthält Vorgaben zum Verfahren der Festsetzung einer Geldbuße.

C. Zwischenergebnis

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keitenrechts. Die OECD empfahl Deutschland, die Effektivität der Regelungen durch die Sicherstellung einer gleichmäßigen Anwendung zu verbessern und den Sanktionsteil zu erhöhen bzw. neben der Geldbuße auch andere Sanktionen gegen juristische Personen zu verhängen.26 Dieser Empfehlung ist Deutschland dann im Rahmen der 8. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 2013 tatsächlich nachgekommen und hat die Geldbuße durch § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG erhöht.27 Die im Jahr 2014 eingeführte Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie)28 setzt in Art. 8 Abs. 1 CRIM-MAD konkrete Anforderungen an die Mitgliedsstaaten fest.29 Dementsprechend sollen Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit juristische Personen für kodifizierte Straftaten, die entweder zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurden, die in leitender Position des Unternehmens steht, oder die auf einer Aufsichtspflichtverletzung einer Aufsichtsperson beruhen, zur Verantwortung gezogen werden können.30 Art. 9 CRIM-MAD legt wiederum fest, dass die Sanktionen gegen juristische Personen effektiv sein müssen. Dabei werden als Sanktionen ausdrücklich sowohl Geldstrafen als auch Geldbußen betrachtet,31 sodass auch eine genügend effektive Geldbuße des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts bei entsprechender Effektivität als ausreichend betrachtet werden kann.32 In den meisten europäischen Ländern existiert jedoch mittlerweile eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens.33

C. Zwischenergebnis Unternehmensverantwortung bedeutet somit in Deutschland trotz unterschiedlicher Reformbemühungen eine Haftung des Unternehmens nach § 30 OWiG. Die Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen konnte sich bisher insbesondere gegenüber einer strafrechtlichen Lösung stets durchsetzen und europäischen Anforderungen bislang genügen.

26 Phase 3 Report on Implementing the OECD Anti Bribery Convention in Germany, 3. 2011; die dort genannte Kritik spiegelt sich auch in Phase 4, 6. 2018 wider. 27 BT-Drucks. 17/9852. 28 ABl. EU Nr. L 173/179 v. 16.4.2015. 29 Vgl. PIF-Übereinkommen von 1997, ABl. EG Nr. 221/11 v. 19.7.1997. 30 Art. 8 Abs. 1 CRIM-MAD. 31 Art. 9 CRIM-MAD. 32 Vgl. Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 44. 33 Wissenschaftlicher Dienst, Sachstand, Eine Übersicht zum Unternehmensstrafrecht in einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, verfügbar unter: https://www. bundestag.de/resource/blob/539400/9f7fe461015429dc5f71c4c3d2816704/wd-7-070-17pdf-data.pdf, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021.

Kapitel 3

Die Rechtslage de lege lata Im folgenden Kapitel soll die Sanktionierung von Unternehmen de lege lata im Detail betrachtet werden. Die Hauptsanktionsnorm des § 30 OWiG wird durch die Einziehung und Regelungen des öffentlichen Rechts, Zivilrechts und Wettbewerbsrecht flankiert.1 Daneben existieren aber insbesondere auch im Kartellrecht Sanktionsnormen gegenüber den Unternehmen, die aufgrund ihrer alternativen Herangehensweise bezüglich der Zuweisung von Verantwortung an Unternehmen näher betrachtet werden sollen.

A. Geldbuße nach § 30 OWiG § 30 OWiG ermöglicht die Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen unter der Voraussetzung, dass deren Repräsentanten eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben, durch die entweder Pflichten des Verbandes verletzt worden sind oder die zu dessen Bereicherung geführt haben oder führen sollen.

I. Geschichte des § 30 OWiG Die vermeintlich „neutrale“ Geldbuße des § 30 OWiG trat nach Ende des Zweiten Weltkriegs an die Stelle der Ordnungsstrafe, die bisher auch gegen juristische Personen und Personenvereinigungen verhängt werden konnte. Auf diese Weise sollte eine einheitliche Sanktionsregelung geschaffen werden,2 die der voranschreitenden Zersplitterung in unübersichtliche Sondervorschriften entgegenwirkte.3 Die Regelung, die eine Geldbuße als Sanktion für Straftaten vorsieht, stellte von Anfang an einen ungewöhnlichen „Kompromiss“ dar,4 der u. a. in der flächendeckenden Ablehnung einer Kriminalstrafe gegenüber Unternehmen wurzelt.5

1 2

Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, Vor § 29a Rn. 3. Vgl. Brender, Neuregelung der Verbandstäterschaft im Ordnungswidrigkeitenrecht,

S. 1. 3 Vgl. KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 24; Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, Vor § 29a Rn. 6. 4 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 15; Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (322). 5 KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 24 m.w. N.; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen gegenüber Unternehmen im Bereich des Umweltstrafrechts, S. 66 f.

A. Geldbuße nach § 30 OWiG

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Im Laufe der Zeit wurde der Anwendungsbereich der Norm stetig erweitert,6 der Bußgeldrahmen vervielfacht und bspw. die Haftung auf Rechtsnachfolger erweitert.7

II. Zweck des § 30 OWiG § 30 OWiG schafft die Möglichkeit, neben dem tatsächlich handelnden Individuum auch die „dahinterstehende“ juristische Person oder Personenvereinigung zu sanktionieren.8 Zum einen soll so die „organisierte Unverantwortlichkeit“ 9 durch die generalpräventive Geldbuße bekämpft werden.10 Zum anderen soll eine Gleichstellung juristischer Personen und Personenverbände mit natürlichen Personen erreicht werden und die Schlechterstellung des Einzelunternehmers verhindert werden.11 Über § 30 OWiG soll das Vermögen der Gesellschaft wie das Vermögen einer natürlichen Person haften:12 einerseits durch die Sanktionierung der Tat durch eine der Höhe nach § 30 Abs. 2 OWiG begrenzte Geldbuße, die sich am Unrechtsgehalt und den Auswirkungen der Bezugstat orientiert,13 und andererseits durch die Vermögensabschöpfung, die mit der Einziehung und der Abführung des Mehrerlöses vergleichbar ist.14 Vermögensvorteile, die dem unlauteren Verhalten von Leitungspersonen entstammen, sollen nicht im Vermögen der juristischen Person oder Personengesellschaft verbleiben, um so insgesamt unlauterem Gewinnstreben vorzubeugen.15 Darüber hinaus enthält die Norm auch einen Pflichtenappell gegenüber der juristischen Person oder Personenvereinigung,16 der diese zur Verbesserung der Compliance anhalten soll.17 6 So wurde der Charakter der Geldbuße als reine Nebenstrafe aufgegeben und der Kreis der Personen, deren Handeln dem Unternehmen zugerechnet werden konnte, sukzessive auf alle Leitungspersonen erweitert; vgl. BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 7, 7a. 7 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 7a, b; weitere Regelungslücken, wie z. B. die „Wurstlücke“, wurden für das Kartellrecht im Rahmen der 9. GWB-Novelle geregelt. 8 Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 5. 9 Vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 34; Schünemann, wistra 1982, 41 (42); Otto, Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, S. 25; Dannecker, GA 2001,101 (103 f.); Volk, JZ 1993, 429 (433); a. A. Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Band 1, Rn. 1101 f.; Schmidt-Salzer, NJW 1988, 1937 (1942), der von einer „Verantwortungsvervielfachung“ ausgeht. 10 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 5. 11 Vgl. BT-Drucks. V/1269, 59 f.; Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, Vor § 29a Rn. 9; BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 8; KG, Beschl. v. 18.3.1986 – 1 Kart 18/85, NJW-RR 1987, 637 (638). 12 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 8. 13 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 6. 14 KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 18; BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 9; KG, Beschl. v. 18.3.1986 – 1 Kart 18/85, NJW-RR 1987, 637 (638). 15 Vgl. Achenbach, BB 2000, 1116 (1119). 16 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 10. 17 Sachs/Krebs, CCZ 2013, 12 (17).

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Kap. 3: Die Rechtslage de lege lata

III. Rechtsnatur § 30 OWiG gehört zu den allgemeinen Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts.18 Zwar handelt es sich bei der Verbandsgeldbuße um eine bußgeldrechtliche Sanktion eigener Art, die Norm beschreibt aber selbst keinen eigenständigen, besonderen Bußgeldtatbestand. Vielmehr handelt es sich um eine bußgeldrechtliche Haftungsnorm.19 Die dogmatische Rechtsnatur des § 30 OWiG ist umstritten. Einerseits wird vertreten, dass § 30 OWiG eine reine Zurechnungsnorm für fremde Delinquenz (die der Leitungspersonen) darstellt.20 Für diese Auffassung wird vorgebracht, aus den Gesetzgebungsmaterialien gehe hervor, dass sich der Gesetzgeber in Kenntnis der Organtheorie gegen eine eigenständige Unternehmensverantwortlichkeit entschieden habe.21 Auch am Konzept der Zurechnung fremder Delinquenz habe er nichts verändert.22 Andererseits wird vertreten, dass § 30 eine täterschaftliche Haftungsnorm sei.23 Die täterschaftliche Haftung beruhe dabei auf einer Verantwortlichkeit des Verbandes für eigene Delinquenz.24 Dafür spreche die Tatsache, dass die juristische Person oder Personenvereinigung selbst Träger von Rechten und Pflichten sei. Diese erfülle sie durch ihre Organe und Vertreter (sog. Organtheorie).25 Deshalb sei die Delinquenz des Organs oder Vertreters letztlich diejenige der juristischen Person oder Personenvereinigung.26 Somit liege eine Form der Selbstbegehung – in Form der organschaftlichen Verbandstäterschaft – vor.27 Diese Auffassung wurzelt in der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit von Gierkes, nach der normwidriges Handeln der Organe letztlich dem Verband als eigenes rechtswidriges und schuldhaftes „Verhalten“ zugerechnet werden kann.28

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HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 2. BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 17 ff. 20 OLG Hamburg, Beschl. v. 15.4.1998 – II-35/98, NStZ-RR 1998, 370 (371); Schmidt, wistra 1990, 131 (132); Rettenmaier/Palm, NJOZ 2010, 1414 (1414). 21 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 17.2. 22 BGH, Urt. v. 5.12.2000 – 1 StR 411/00, NJW 2001, 1436 (1437); BT-Drucks. 10/ 318, S. 39. 23 KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 8 ff.; Rogall, GA 2015, 260 (263 f.); ebenso HKOWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 3; Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1171); Eidam, wistra 2003, 447 (448); Hetzer, EuZW 2007, 75 (77). 24 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 15. 25 BeckOK BGB/Schöpflin, § 31 Rn. 1. 26 KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 8. 27 Vgl. KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 8; Rogall, GA 2015, 260 (264); Rogall, Ad Legendum 2017, S. 1 (6 f.); Hetzer, EuZW 2007, 75 (77). 28 von Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 603 ff. (614 f.); Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände, S. 49 f. 19

A. Geldbuße nach § 30 OWiG

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IV. Voraussetzungen Nach § 30 Abs.1 Nr. 1 OWiG können juristische Personen (Abs. 1 Nr. 1), nicht rechtsfähige Vereine (Abs. 1 Nr. 2) oder Personenverbände (Abs. 1 Nr. 3) Adressat einer Geldbuße sein.29 Gegen einen Einzelkaufmann oder ein einzelkaufmännisch organisiertes Unternehmen hingegen ist die Geldbuße nicht verhängbar.30 Der Adressatenkatalog des § 30 OWiG ist abschließend zu verstehen.31 Weiterhin ist eine sogenannte Anknüpfungstat notwendig: Von einem bestimmten Personenkreis (1) muss schuldhaft eine Straftat oder zumindest vorwerfbar eine Ordnungswidrigkeit begangen worden sein (2), die verfolgbar ist und in einem Zurechnungszusammenhang zum Unternehmen steht (3).32 1. Täterkreis In § 30 Abs. 1 bis 5 OWiG wird abschließend der in Betracht kommende Täterkreis, der mit § 75 StGB identisch ist, geregelt.33 Dementsprechend können „Täter“ bei juristischen Personen die vertretungsberechtigten Organe oder Mitglieder (Abs. 1 Nr. 1), bei nicht rechtsfähigen Vereinen der Vorstand oder dessen Mitglieder (Abs. 1 Nr. 2), bei Personengesellschaften die vertretungsberechtigten Gesellschafter (Abs. 1 Nr. 3) und bei der GmbH und Co. KG der Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft sein. Nr. 4 und 5 erweitern außerdem den Täterkreis.34 So erfasst die Generalklausel in Nr. 5 auch ausdrücklich diejenigen, die lediglich faktisch für die Leitung des Unternehmens verantwortlich sind. Auf die Wirksamkeit eines Bestellungsakts kommt es insoweit gerade nicht an.35 Die in allen Nummern geforderte Vertretungsmacht meint insoweit die allgemein zivilrechtlich anerkannte Vertretungsmacht. Interne Beschränkungen sind insoweit irrelevant.36 Umfasst sind aber auch die in leitender Stellung zur Kontrolle und Aufsicht berufenen Personen, so z. B. Mitglieder des Aufsichtsrats,37 aber auch Compliance-Beauftragte, Insolvenzverwalter oder sogar Externe, die Leitungs- oder 29

BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 20. KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 33; Eidam, wistra 2003, 447 (449). 31 Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 11. 32 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 46. 33 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 17; BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 47. 34 In Nr. 4 wird die „zweite Leitungsebene“ mit in die Haftung einbezogen und durch Nr. 5 werden generalklauselartig alle Personen mit Verantwortung für die Leitung oder Überwachung des Geschäftsbetriebes aufgenommen, vgl. BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 48. 35 Vgl. BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 49; KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 33 m.w. N.; Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 14. 36 Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 12b; KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 85. 37 BT-Drucks. 14/8998, S. 10 f. 30

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Kap. 3: Die Rechtslage de lege lata

Kontrollaufgaben wahrnehmen.38 Handeln mehrere Personen, genügt es, wenn einer von ihnen eine Stellung nach § 30 Abs.1 Nr. 1 bis 5 OWiG innehat. Eine Individualisierung der handelnden Einzelperson ist ebenfalls nicht notwendig. Nach § 30 Abs. 4 OWiG ist auch die sogenannte „anonyme“ Verbandsgeldbuße möglich. Eine Geldbuße gegen eine Einzelperson muss gerade nicht festgesetzt werden.39 2. Anknüpfungs- oder Bezugstat Die Anknüpfung- oder Bezugstat muss entweder eine schuldhaft begangene Straftat, auch eine Versuchstat,40 oder eine vorwerfbar begangene Ordnungswidrigkeit sein.41 Inhaltlich kommen alle Straftaten unabhängig von einem möglichen Vermögensbezug in Betracht.42 Die Tat muss lediglich verfolgbar sein43 und es darf noch keine Verjährung eingetreten sein.44 3. Zurechnungszusammenhang Die Leitungsperson muss zur Begrenzung der Haftung auch als solche gehandelt haben. Nur dann haftet der Verband gemäß § 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG für Pflichtverletzungen, die den Verband betreffen, und nach § 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG für Handlungen, die zu einer Bereicherung geführt haben oder führen sollten.45 Dazu muss zunächst eine Abgrenzung zu bloßem Handeln bei Gelegenheit vorgenommen werden.46 Die Problematik, vertretungsbezogenes Handeln von privatem Handeln abzugrenzen, stellt sich genauso bei § 14 StGB, § 9 OWiG und § 75 StGB.47 Deshalb haben sich verschiedene Abgrenzungstheorien entwickelt. Die funktionale Betrachtungsweise stellt auf einen objektiv-funktionalen Interessenzusammenhang zwischen dem Vertreterhandeln und der Stellung als Leitungsperson ab.48 Die sogenannte Interessentheorie, die ursprünglich vom BGH 38

BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 53–55. BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 57. 40 KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 104. 41 Gürtler; in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 15. 42 Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 7; BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 64. 43 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 62. 44 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 63. 45 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 67. 46 Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 25; BT-Drucks. 14/ 8998, S. 8. 47 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 20. 48 Schönke/Schröder/Peron, § 14 Rn. 26; Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 25; früher KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 107, heute wohl Anhänger der Gesamtwürdigungstheorie: Ob „als Organ“ gehandelt wurde, soll dementsprechend anhand einer umfassenden Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren Tatsachen bestimmt werden. 39

A. Geldbuße nach § 30 OWiG

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vertreten wurde, fordert für ein Handeln als Leitungsperson, dass diese für das Unternehmen oder zumindest auch in dessen Interesse gehandelt habe. Dieses Interesse sei dann entweder aus wirtschaftlicher Sicht oder aus subjektiver Sicht zu bestimmen.49 Andere sind wiederum der Auffassung, dass keine der beiden Theorien geeignet sei, eine inhaltliche Abgrenzung vorzunehmen.50 Deshalb wird teilweise eine modifiziert funktionale Betrachtungsweise verfolgt, die nun wohl auch der BGH favorisiert.51 Eine strafbarkeitsbegründende Gleichstellung von Vertreter und Vertretenem sei nur möglich, wenn das Vertreterhandeln im objektiven Zusammenhang mit der übernommenen Pflichtenerfüllung stehe und sich das Verhalten im normativen Sinn als ein solches des Vertretenen selbst darstelle. Dabei sei dann weiter zwischen rechtsgeschäftlichem und tatsächlichem sonstigem Handeln zu unterscheiden.52 Teilweise wird aber auch auf ein sogenanntes „mandatiertes Handeln“ abgestellt, das Ausdruck einer individuellen Funktion im Verband ist.53 Maßgeblich sei insoweit nicht die subjektive Perspektive des Handelnden, sondern die eines objektiven Außenstehenden.54 4. Verletzung betriebsbezogener Pflichten Weiterhin muss für § 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG eine Verletzung von betriebsbezogenen Pflichten vorliegen. Dies umfasst alle Pflichten, die sich aus der Verantwortung der juristischen Person oder Personenvereinigung für ihren Wirkungskreis ergeben.55 Solche Pflichten können sich entweder aus Ge- oder Verboten ergeben, z. B. aus der Eigenschaft der juristischen Person oder Personenvereinigung als Steuerpflichtiger, Arbeitgeber, Gewerbetreibender etc. Im Gegensatz zur zweiten Tatalternative muss durch die Tatbegehung kein wirtschaftlicher Vorteil erstrebt werden.56 Auch Allgemeinpflichten 57 können bei Vorliegen eines entsprechenden Sachzusammenhangs mit der juristischen Person oder Personenver49 BGH, Beschl. v. 15.5.2011 – 3 StR 118/11, wistra 2012, 451; BGH, Beschl. v. 10.2.2009 – 3 StR 372/08, NStZ 2009, 437; Radtke, JR 2010, 233 (236); Brand, NStZ 2010, 9. 50 MüKoStGB/Radtke, § 14 Rn. 65; HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 30. 51 BGH, Beschl. v. 15.5.2012 – 3 StR 118/11, wistra 2012, 1451 = BeckRS 2012, 14980 Rn. 12 ff. 52 MüKoStGB/Radtke, § 14 Rn. 66 ff. 53 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 643 f., 905. 54 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 30. 55 BT-Drucks. 5/1269 S. 60; HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn 33. 56 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 80; KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 91. 57 So BT-Drucks. 5/1269, das war vom Gesetzgeber ursprünglich nicht intendiert: „grundsätzlich keine Jedermannspflichten“.

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Kap. 3: Die Rechtslage de lege lata

einigung zu einer betriebsbezogenen Pflicht werden.58 Ebenso können Tatbestände des StGB, des Nebenstrafrechts oder des Ordnungswidrigkeitenrechts im konkreten Fall betriebsbezogen sein, wenn sie den jeweiligen Wirkungskreis der juristischen Person berühren (z. B. Bestechungshandlungen, Verstöße gegen den Arbeitsschutz oder das Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetz). 59 In der Praxis ist § 130 OWiG die am häufigsten verletzte Pflicht. Dabei handelt es sich um ein Sonderdelikt des Betriebsinhabers und der ihm nach § 9 Abs. 2 OWiG gleichgestellten Unternehmensangehörigen.60 Der Betriebsinhaber kann für die Verletzung einer Aufsichtspflicht haftbar gemacht werden, wenn er dadurch Zuwiderhandlungen gegen betriebliche Pflichten ermöglicht oder wesentlich erleichtert hat,61 denn Straftaten und Ordnungswidrigkeiten werden auch durch Personen unterhalb der Leitungsebene begangen, die keine tauglichen Täter einer Anknüpfungstat für § 30 OWiG darstellen.62 § 130 OWiG ermöglicht in diesen Fällen den notwendigen Durchgriff auf den Unternehmensträger63 und dehnt auf diese Weise die Haftung des Verbandes aus. Die in modernen Unternehmen übliche Arbeitsteilung und Verantwortungsdelegation sollen nicht zu einer Sanktionslosigkeit führen.64 Lediglich bei Exzesstaten sollen die Betriebsbezogenheit und damit eine Haftung entfallen.65 Um die zweite Tatbestandsalternative des § 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG zu erfüllen, muss die juristische Person oder Personenvereinigung bereichert werden oder die Tat zumindest in der Absicht begangen werden, diese zu bereichern. Auf die Verletzung einer betriebsbezogenen Pflicht kommt es hingegen gerade nicht an.66 Ob die angestrebte Bereicherung Hauptzweck der Leitungsperson67 oder nur als sichere Folge erkannt worden sein muss,68 ist umstritten. Bereicherung ist jeder rechtswidrig erlangte Vermögensvorteil, der z. B. auch in nicht abgeführten Steuern oder ersparten Aufwendungen liegen kann.69 58 Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 20; HKOWiG/SchmittLeonardy, § 30 Rn 32. 59 Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 20; KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 93. 60 KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 92. 61 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 21; ausf. Többens, NStZ 1999, 1 (3 ff.). 62 KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 92. 63 KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 92. 64 Vgl. Többens, NStZ 1999, 1 (1); Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, vor § 29a Rn. 11a; Achenbach, FS Stree/Wessels, S. 545 (547). 65 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 35; a. A. KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 112. 66 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 85; HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 35. 67 So KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 92, da sonst keine Absicht der Bereicherung vorliegen könne. 68 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 85 f. 69 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 86.

A. Geldbuße nach § 30 OWiG

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Die tatsächliche Bereicherung muss kausal auf der Anlasstat beruhen.70 Um unbillige Härten zu vermeiden, wird teilweise gefordert, auf den Schutzzweck der Norm abzustellen. Demnach soll es im Sinne eines „inneren Zusammenhang“ nötig sein, dass eine mögliche Bereicherung in den Schutzzweck der durch die Tat verletzten Vorschrift fällt.71 Eine andere Ansicht möchte unbillige Ergebnisse über das Opportunitätsprinzip des § 47 OWiG korrigieren.72 5. Rechtsfolge Wenn die vorgenannten Voraussetzungen vorliegen, kann gegen den Verband isoliert oder kumulativ zur Sanktion gegen die Leitungsperson eine Geldbuße verhängt werden.73 Ein Bußgeld, das 200 Euro übersteigt, wird nach § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO in das Gewerbezentralregister eingetragen. Über die Höhe der Geldbuße wird nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden. Hier gilt das Opportunitätsprinzip des § 47 OWiG.74 Die Geldbuße umfasst einen Ahndungs- und Abschöpfungsanteil (Doppelcharakter der Geldbuße).75 Die Untergrenze der Sanktion wird nach § 30 Abs. 3 i.V. m. § 17 Abs. 4 OWiG bestimmt, wonach der wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden soll. Hinzu kann dann zusätzlich noch der Ahndungsteil kommen.76 Hierbei ist nach § 30 Abs. 2 OWiG die Bedeutung des Rechtsverstoßes relevant. Maßgeblich sind der Unrechtsgehalt der Tat, das Gewicht und Ausmaß der Pflichtverletzung, die Häufigkeit und Schwere des Schadens sowie die weiteren Auswirkungen des Verstoßes.77 Im Gegensatz zur Einziehung wird nach überwiegender Auffassung bezüglich des Abschöpfungsteils das Nettoprinzip verfolgt.78 Dafür spreche zum einen der Wortlaut des § 17 Abs. 4 OWiG und zum anderen auch der Wille des historischen Gesetzgebers.79 Danach sind vom Erlangten die zur Erlangung eingesetzten Aufwendungen, auch wenn sie von der Rechtsordnung missbilligt werden, in Abzug zu bringen.80 In praxi werden ver70

HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 37. Vgl. KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 102 f. m.w. N.; wohl auch HK-OWiG/SchmittLeonardy, § 30 Rn. 37. 72 Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 27; BeckOK OWiG/ Meyberg, § 30 Rn. 90. 73 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 92 f. 74 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 94. 75 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 39. 76 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 98. 77 Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 36a; Krenberger/ Krumm, OWiG § 30 Rn. 41; KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 136. 78 So KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 141; Krenberger/Krumm, OWiG § 30 Rn. 42; a. A. Brenner, NStZ 2004, 256 (259), unauflösbarer Widerspruch. 79 BeckOK-OWiG/Sackreuther, § 17 Rn. 120, unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 18.5. 2017 – 3 StR 103/17, BeckRS 2017, 115055, Rn. 32. 80 BeckOK-OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 100 ff. 71

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Kap. 3: Die Rechtslage de lege lata

mehrt auch Compliance-Bemühungen des Unternehmens bei der Bemessung des Bußgeldes berücksichtigt.81 Eine andere Auffassung vertritt demgegenüber die Meinung, dass auch im Rahmen der Geldbuße das Bruttoprinzip anzuwenden sei. Für diese Ansicht sprechen sowohl systematische als auch teleologische Gesichtspunkte. Der Gesetzgeber hat jedoch bei Einführung des Bruttoprinzips im Rahmen des § 73 StGB und des § 29a OWiG nicht ausreichend verdeutlicht, dass dieses Prinzip auch für die Geldbuße Anwendung finden soll.82

B. Weitere flankierende Maßnahmen Gegenüber Unternehmen können de lege lata neben der Geldbuße die Einziehung nach §§ 73 ff. StGB sowie öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche Sanktionen verhängt werden.83

I. Einziehung nach §§ 73 ff. StGB Sinn und Zweck der Einziehung ist die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vermögensvorteile aus Straftaten. Auf diese Weise soll dem Täter der Anreiz zur Tatbegehung genommen werden, Straftaten sollen sich in wirtschaftlicher Hinsicht nicht lohnen.84 Die Einziehung gibt es sowohl im Strafrecht als auch im Ordnungswidrigkeitenrecht.85 Dabei handelt es sich nicht um eine Strafe, sondern um eine Maßnahme eigener Art.86 Ob die Einziehung trotzdem Strafcharakter oder strafähnlichen Charakter aufweist,87 ist vor allem seit der Einführung des Bruttoprinzips88 umstritten.89 Das Bruttoprinzip besagt, dass nicht mehr nur der 81

HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 44; HWSt/Achenbach, III/2, Rn. 33 ff. BeckOK-OWiG/Sackreuther, § 17 Rn. 21; so ausdrücklich BT-Drucks. 11/6623, S. 13; BT-Drucks. 12/989, S. 48. 83 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 36. 84 BeckOK StGB/Heuchemer, § 73 Rn. 1. 85 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 24. 86 SK-Wolters, StGB, § 73 Rn. 3. 87 Ablehnend BVerfG, Beschl. v. 10.2.2021 – 2 BvL 8/19, dementsprechend handelt es sich um keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe, sondern um eine Maßnahme eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter. 88 Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze, 28.2.1992, BGBl. I S. 372 (374). 89 Im Überblick: MüKoStGB/Joecks/Meißner, § 73 Rn. 8 ff.; gegen die Annahme eines Strafcharakters: BGH, Urt. v. 21.8.2002 – 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369 = NJW 2002, 3339; LK-StGB/Lohse, Vor §§ 73–76b Rn. 38 ff.; SK-Wolters, StGB, § 73 Rn. 3 ff.; Schultehinrichs, Gewinnabschöpfung bei Betäubungsmitteldelikten, S. 6; Eberbach, NStZ 1987, 486 (490); Güntert, Gewinnabschöpfung als strafrechtliche Sanktion, S. 17; a. A.: Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 85; Dannert, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehung zur Verfolgung und Verhinderung von Straftaten, S. 30; Dahm/Hamacher, wistra 1995, 206 (210); Hoyer, GA 1993, 406 (421 f.); Hellmann, GA 1997, 502 (511); Kiechling, wistra 2000, 241 (244); Eser, FS Stree/Wessels, S. 833 (840). 82

B. Weitere flankierende Maßnahmen

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Nettogewinn, sondern die Gesamtheit des Erlangten abgeschöpft werden kann.90 Dies umfasst alle beweglichen Sachen, Grundstücke, dinglichen und obligatorischen Rechte sowie geldwerten Vorteile durch die Ersparnis von Aufwendungen.91 Mit dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.201792 wurde das Bruttoprinzip erneut konkretisiert.93 Zentrale Norm im Rahmen der Einziehung ist § 73 Abs. 1 S. 1 StGB. Dementsprechend kann das Gericht, gegenüber dem an einer rechtswidrigen Tat Beteiligten, die Einziehung dessen anordnen, was er für diese Tat oder aus dieser Tat erlangt hat. Über § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB ist auch die Einziehung gegenüber einer juristischen Person oder Personenvereinigung möglich.94 So kann bspw. der Geschäftsführer einer GmbH in strafbarer Weise für diese gehandelt haben, sodass der Gesellschaft („ein anderer“ im Sinne der Vorschrift) der Vorteil zugeflossen ist.95 Für das Ordnungswidrigkeitenrecht regelt § 29a OWiG den für Unternehmen relevanten Drittempfängerverfall. Auch hier ist wie bei den allgemeinen Vorschriften zur Einziehung das Bruttoprinzip anzuwenden.96 Im Rahmen des Wirtschaftsstrafrechts werden die Vorschriften der Einziehung durch die spezielleren §§ 8 ff. WiStG ersetzt (vgl. § 8 Abs. 4 WiStG). In § 10 Abs. 2 WiStG ist die Abführung des Mehrerlöses gegenüber Dritten geregelt. Im Kartellrecht können nach den §§ 34, 34a GWB erlangte Vorteile abgeschöpft werden.97 Zu beachten ist aber grundsätzlich, dass die Einziehung gegenüber einem Unternehmen oft bereits über die Geldbuße nach § 30 OWiG i.V. m. § 17 Abs. 4 OWiG erfolgt.98 So musste Volkswagen eine Geldbuße in Höhe von einer Milliarde Euro bezahlen, die sich aus 5 Millionen Euro Buße (dem gesetzlichen Höchstbetrag) und einer Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils in Höhe von 995 Millionen Euro zusammensetzt. Es handelt sich dabei um das bisher höchste in Deutschland je verhängte Bußgeld.99 Auch Audi wurde im Zusammenhang 90

Fischer, Strafgesetzbuch, § 73 Rn. 10, 12. Fischer, Strafgesetzbuch, § 73 Rn. 20. 92 S. BGBl. I S. 872. 93 MüKoStGB/Joecks/Meißner, § 73 Rn. 15 ff. 94 S. dazu BeckOK StGB/Heuchemer, § 73b Rn. 2. 95 Podolsky/Veith, in: Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 30, Rn. 93. 96 BeckOK-OWiG/Meyberg, § 29a Rn. 43 f. 97 Vgl. Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 24. 98 Korte, NZWiSt 2018, 231 (235). 99 Staatsanwaltschaft Braunschweig, Presseinformation v. 13.6.2018, VW muss Bußgeld zahlen, verfügbar unter: https://staatsanwaltschaft-braunschweig.niedersachsen.de/ startseite/aktuelles/presseinformationen/vw-muss-bugeld-zahlen-174880.html, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021. 91

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Kap. 3: Die Rechtslage de lege lata

mit dem „Dieselskandal“ zu einem Bußgeld von 800 Millionen Euro verurteilt, das sich aus einem Ahndungsteil in Höhe von den gesetzlich maximalen 5 Millionen Euro und einem Abschöpfungsteil in Höhe von 795 Millionen Euro zusammensetzt.100 Die Einziehung ist nach § 30 Abs. 5 GWB gegenüber der Geldbuße subsidiär,101 da Letztere neben dem Abschöpfungsteil auch einen Ahndungsteil enthält und somit weitergehende/umfassendere Ziele als die Einziehung verfolgt.102 Über die §§ 74 Abs. 1, 74e StGB ist auch die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen möglich, wenn diese von Organen und Vertretern zu strafbaren Handlungen missbraucht wurden.103 Das Ordnungswidrigkeitenrecht enthält in § 29 OWiG eine vergleichbare Regelung. Im Wirtschaftsstrafrecht ist die Einziehung von Tatgegenständen in § 7 WiStG geregelt.104

II. Öffentlich-rechtliche Präventivmaßnahmen Auch im öffentlichen Recht stehen unterschiedliche Maßnahmen gegenüber Unternehmen zur Verfügung. Möglich sind u. a. Tätigkeitsbeschränkungen oder die Unternehmensauflösung sowie verschiedene Sanktionsmöglichkeiten im öffentlichen Vergaberecht. Eine Tätigkeitsbeschränkung kann in der Untersagung der Ausübung eines Gewerbes z. B. nach § 35 GewO oder § 16 Abs. 3 HwO oder in der Aufhebung einer öffentlichen Erlaubnis, eine Gaststätte zu betreiben, nach § 15 GastG liegen. Bei den genannten Maßnahmen handelt es sich aber ausschließlich um nicht repressive Maßnahmen der Gefahrenabwehr.105 Die „Todesstrafe“ – die Auflösung eines Verbandes106 – ist im Verwaltungsrecht als Ultima Ratio107 möglich.108 So kann die Gesellschaft nach § 396 AktG, wenn durch ein gesetzeswidriges Verhalten der Verwaltungsträger einer Aktien100 Staatsanwaltschaft München II, Pressemitteilung 7 v. 16.10.2018, Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der AUDI AG – Bußgeldbescheid gegen die Audi AG, verfügbar unter: Staatsanwaltschaft München II, Pressemitteilung 7 v. 16.10.2018, Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der AUDI AG – Bußgeldbescheid gegen die Audi AG, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021. 101 Gleiches gilt nach § 34 Abs. 2 u. § 34a Abs. 1 a. E. für die Vorteilsabschöpfung nach dem GWB und für die Abführung des Mehrerlöses im Wirtschaftsstrafrecht. 102 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 24. 103 BeckOK StGB/Heuchemer, StGB § 74e StGB Rn. 1. 104 S. Lampe, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 7 Wirtschaftsstrafgesetz 1954, Rn. 1 ff. 105 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 28. 106 Hirsch, ZStW 107 (1995), 285 (302). 107 Eidam, Straftäter Unternehmen, S. 88. 108 Hirsch, ZStW 107 (1995), 285 (301), vgl. § 396 AktG, 62 GmbHG.

B. Weitere flankierende Maßnahmen

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gesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien das Gemeinwohl gefährdet wird und die Kontrollorgane Aufsichtsrat und Hauptversammlung nicht für deren Abberufung sorgen, durch Gerichtsurteil aufgelöst werden. Gleiches gilt nach § 62 GmbHG für die GmbH, wenn sie das Gemeinwohl dadurch gefährdet, dass Gesellschafter gesetzeswidrige Beschlüsse fassen oder die gesetzeswidrigen Handlungen ihrer Geschäftsführer tolerieren. Ähnliche Regelungen existieren auch im Rahmen der Bankenaufsicht.109 Die BaFin kann z. B. nach §§ 35 Abs. 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 Nr. 2 KWG einem Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitut wegen einer Straftat die Erlaubnis entziehen und gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 KWG die Abwicklung bestimmen. Zentrales Tatbestandsmerkmal der Auflösung ist die Gefährdung des Gemeinwohls. Hierbei geht es nicht um die Ahndung vergangener Verstöße, sondern vor allem darum, zukünftige Verstöße zu vermeiden.110 Die praktische Bedeutung der Vorschriften ist insgesamt aber gering,111 da bei allen Maßnahmen der Eingriffsverwaltung stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist.112 Die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit im Unternehmen113 kann zudem auch den Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren nach sich ziehen. § 122 Abs. 1 GWB legt die Grundanforderungen an die Eignung der Unternehmen fest, die an einem öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen möchten.114 Fachkunde und Leistungsfähigkeit werden in Anlehnung an Art. 58 Abs. 1 RL 2014/24/EU durch die in § 122 Abs. 2 GWB aufgestellten Kriterien ermittelt. So soll sichergestellt werden, dass nur solche Unternehmen den Zuschlag erhalten, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit geachtet haben und bei denen ein solches Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist.115 In engem Zusammenhang mit dem Ausschluss von Unternehmen von öffentlichen Vergaben steht auch die Registereintragung. Am 29.7.2017 ist das Wettbewerbsregistergesetz (WRegG) in Kraft getreten,116 das zukünftig eine elektro109

Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 27 f. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 39. 111 Vgl. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 39; Müller, Die Stellung der juristischen Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 13; Schwinge, Strafrechtliche Sanktionen gegenüber Unternehmen im Bereich des Umweltstrafrechts, S. 87; KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 128. 112 Hirsch, ZStW 107 (1995), 285 (302). 113 Das deutsche Kartell- und Vergaberecht verwendet in seinen Normen ausdrücklich den Begriff Unternehmen, knüpft aber an die allgemeinen zivilrechtlichen Wertungen an. Es erfolgt also erneut eine Anknüpfung über § 30 OWiG an die juristische Person bzw. Personenvereinigung. 114 Schneider, in: Langen/Bunte Kartellrecht, § 122 GWB Rn. 1. 115 Schneider, in: Langen/Bunte Kartellrecht, § 122 GWB Rn. 4. 116 Zuletzt geändert durch das GWB-Digitalisierungsgesetz, BGBl. I 2021, S. 2. 110

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Kap. 3: Die Rechtslage de lege lata

nische Abfrage aller vergaberechtlich relevanten Rechtsverstöße beim Bundeskartellamt ermöglichen soll.117 Im Wettbewerbsregister sollen Unternehmen eingetragen werden, zu denen Erkenntnisse zu ihnen zuzurechnenden Straftaten oder anderen schwerwiegenden Rechtsverstößen vorliegen, die Anlass für einen Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren bieten.118 Dem potenziellen Auftraggeber sollen auf diese Weise Informationen zu Verfehlungen schnell und einfach zur Verfügung gestellt werden und die bestehende Rechtszersplitterung in unterschiedliche Landesregister soll beendet werden.119

III. Zivilrechtliche Sanktionen In zivilrechtlicher Hinsicht kann ein Schadensersatzanspruch gegen ein Unternehmen entstehen, wenn ein Beschäftigter strafbar handelt. Ein solcher Anspruch liegt vor allem im Interesse des Geschädigten, da ein Unternehmen in der Regel zahlungskräftiger als der delinquente Beschäftigte ist. Eine unmittelbare Haftung einer juristischen Person für die Taten der Beschäftigten ist auch im Zivilrecht nicht vorgesehen, vielmehr ist eine Haftungsüberleitung nach § 31 BGB oder § 831 BGB erforderlich.120 In verschiedenen Spezialgesetzen gibt es aber auch Regelungen, die einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch gegenüber juristischen Personen und Personengesellschaften begründen. Nach § 1 ProdHaftG haftet der Hersteller eines fehlerhaften Produkts, wenn durch dieses ein Mensch getötet bzw. verletzt oder eine Sache beschädigt worden ist, ohne dass es auf sein Verschulden ankommt.121 Der Umfang des zivilrechtlichen Schadensersatzes richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB. Der zum Schadensersatz Verpflichtete hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Zustand nicht eingetreten wäre. Der zivilrechtliche Schadensersatz hat ausdrücklich keinen pönalen Charakter,122 es handelt es sich aber auch nicht um rein symbolische Maßnahmen. Der Schadensersatz ist „ernst gemeint“ und soll präventive Ziele erreichen.123 Einen Strafschadensersatz kennt das deutsche Recht hingegen nicht.124

117

Wirth, CCZ 2018, 181 (181). BT-Drucks. 18/12051, S. 2. 119 Fülling/Freiberg, NZBau 2018, 259 (263). 120 Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 32. 121 BT-Drucks. 7/5812, S. 5 f. 122 Grüneberg, in: Palandt, Vorb § 249 BGB Rn. 2; MüKoBGB/Oetker, § 249 BGB, Rn. 8 f. 123 Vgl. auch BGH Urt. v. 28.6.2011 – KZR 75/10, NJW 2012, 928 (933) „Prävention ist damit eine nützliche Folge der Kompensation“. 124 BGH Urt. v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, NJW 1992, 3096. 118

C. Kartellrechtliche Sanktionen

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C. Kartellrechtliche Sanktionen Die kartellrechtlichen Sanktionen weisen gegenüber den bereits beschriebenen Sanktionen einige Besonderheiten auf, die insbesondere auf den Einfluss des europäischen Wettbewerbsrechts zurückzuführen sind.

I. Allgemein Das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht) enthält verschiedene Tatbestände wie das Kartellverbot (§ 1 GWB) und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 Abs. 1 GWB).125 Das zugehörige Bußgeldrecht ist in § 81 GWB geregelt.126 Es steht in enger Verbindung mit dem materiellen Kartellrecht und dem materiellen Ordnungswidrigkeitenrecht.127 Der GWB-Gesetzgeber von 1957 hat sich bewusst für eine Verortung im Ordnungswidrigkeitenrecht entschieden, weil bei Wettbewerbsverstößen in der Öffentlichkeit und Wirtschaft das Bewusstsein sittlich verwerflichen Handelns fehle.128 Mit dem Kartellrecht soll eine bestimmte Ordnung des Wettbewerbs durchgesetzt129 und das Verhalten der Marktteilnehmer gesteuert werden.130 Die Tatbestände des Kartellrechts stellen insgesamt Sonderdelikte dar, die grundsätzlich nur von dem Normadressaten Unternehmen begangen werden können.131

II. Höhe der Geldbuße Im Kartellrecht ist gegenüber Unternehmen eine Geldbuße bis zu 10 Prozent des im vorangegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes möglich. Im deutschen Kartellrecht wir diese 10-Prozent-Grenze verfassungskonform als Obergrenze ausgelegt, während sie im europäischen Kartellrecht als Kappungsgrenze verstanden wird.132 Das Bußgeldniveau ist somit im Vergleich zu den Bußgeldern des allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrechts erhöht.133 Auch die kartellrechtliche Geldbuße soll aber trotz dieser hohen Intensität dem europäischen Vorbild entsprechend gerade keinen strafenden Charakter aufwei125 Im europäischen Kartellrecht geregelt in Art. 101 AEUV (Kartellverbot) und Art. 102 AEUV (Ausnutzung einer missbräuchlichen Stellung). 126 Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 81 GWB, Rn. 1. 127 Bechtold/Bosch, Kartellgesetz, § 81 GWB Rn. 1. 128 Eine Ausnahme stellt insoweit der in § 298 Abs. 1 StGB geregelte Submissionsbetrug dar, vgl. Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 81 GWB, Rn. 6 f. 129 Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 81 GWB, Rn. 2. 130 von Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, S. 53. 131 Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 81 GWB, Rn. 15. 132 Vgl. Kapp, Kartellrecht in der Unternehmenspraxis, S. 230, Rn. 52; BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – KRB 20/12, BeckRS 2013, 6316 – Grauzementkartell. 133 BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 97.

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Kap. 3: Die Rechtslage de lege lata

sen,134 sondern lediglich „ein Instrument der Wettbewerbspolitik“ darstellen, das Unternehmen zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln anhält.135

III. Haftung der wirtschaftlichen Einheit Das deutsche Kartellrecht kennt seit der 9. GWB-Novelle136 im Gegensatz zu den zuvor geschilderten Sanktionsmöglichkeiten des Ordnungswidrigkeitenrechts, öffentlichen Rechts und Zivilrechts eine auf die Unternehmen gerichtete Sanktion.137 Über die Prinzipien der wirtschaftlichen Einheit kommt es zu einer Haftung, bei der die Konzernmutter für alle gegen die Konzerngesellschaften verhängten Bußgelder einstehen muss, sodass eine Umgehung der Haftung nahezu unmöglich wird.138 Dem liegt der in ständiger europäischer Rechtsprechung definierte Begriff des Unternehmens als „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung“ zugrunde.139 Mithin gilt ein funktionaler Unternehmensbegriff, der bestimmt, dass die im Einzelfall tätige Einheit nicht mit dem konkreten (natürlichen oder juristischen) übereinstimmen muss.140 Auch eine Mehrheit von natürlichen oder juristischen Personen kann eine „wirtschaftliche Einheit“ bilden.141 Die Zurechnung innerhalb der wirtschaftlichen Einheit erfolgt über den „bestimmenden Einfluss“. Dementsprechend kann einer Muttergesellschaft das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft zugerechnet werden, wenn die Tochter trotz eigener Rechtspersönlichkeit nicht in der Lage ist, ihr Marktverhalten autonom zu bestimmen, d. h. im Wesentlichen Weisungen der Mutter befolgt.142 Vorausgesetzt wird, dass die Mutter in der Lage ist, einen bestimmenden Einfluss auf die Tochter auszuüben, und dies dann auch tatsächlich tut.143 Der bestimmende Einfluss wird widerleglich bei einer 100-prozentigen Beteiligung der Muttergesell-

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Vgl. Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 2. EuGH, Urt. v. 21.10.1997 – T-229/94, Rn. 127 – Deutsche Bahn. 136 BT-Drucks. 18/10207. 137 BT-Drucks. 18/10207, S. 85. 138 Kapp, Kartellrecht in der Unternehmenspraxis, S. 231; BT-Drucks. 18/10207, S. 84 f. 139 EuGH, Urt. v. 23.4.1991 – I.1979 – Höfner und Elser; EuGH, Urt. v. 17.2.1993 – I-637 – Poucet, m.w. N.; Hengst, in: Langen/Bunte, EU-Kartellrecht, Art. 101 Rn. 5. 140 Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 100. 141 Monopolkommission, Sondergutachten 72 vom 27.10.2015, Rn. 29. 142 EuGH, Urt. v. 10.9 2009 – C-97/08 P, Rn. 61 ff. – Akzo Nobel; EuGH, Urt. v. 20.01.2011 – C-90/09 P, Rn. 86 ff. – General Quimica/Kommission. 143 Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 131. 135

C. Kartellrechtliche Sanktionen

39

schaft an der Tochtergesellschaft vermutet (sog. „Akzo-Vermutung“).144 In der Praxis wird aber auch bei niedrigeren Beteiligungen ein bestimmender Einfluss angenommen.145 Folge der Annahme eines bestimmenden Einflusses z. B. zwischen Mutter und Tochter innerhalb der wirtschaftlichen Einheit ist, dass die Geldbuße an alle juristischen Personen gerichtet wird, ohne dass deren jeweils persönliche Beteiligung an der Kartellrechtsverletzung nachgewiesen sein müsste.146 Zuvor hatte das deutsche Kartellrecht zwischen dem kartellrechtlichen Verstoß als Haftungsgrund (Art. 101 AEUV, § 1 GWB) auf Tatbestandseite und dem Haftungsadressaten (§ 30 OWiG) auf der Rechtsfolgenseite differenziert.147 Auf Tatbestandsseite war bereits die wirtschaftliche Einheit maßgeblich, der materielle und formelle Haftungsadressat war hingegen einheitlich der Rechtsträger des jeweiligen Unternehmens, das den Verstoß begangen hatte.148 Während nach europäischem Recht die Haftung dem gesamten Unternehmen zugewiesen werden konnte, bestand nach deutschem Recht lediglich die Haftung eines einzelnen Rechtsträgers.149 Dies entsprach insbesondere dem Trennungsprinzip,150 das besagt, dass Konzernunternehmen trotz Konzernierung selbständige Unternehmen und damit selbständige Handlungs-, Vermögens- und Haftungssubjekte sind. Jede juristische Person haftet grundsätzlich ausschließlich für eigene Verbindlichkeiten.151 Nachteilig an dieser Herangehensweise war jedoch, dass sich das mit einer Buße zu sanktionierende Unternehmen durch gezielte gesellschaftsrechtliche Veränderungen seiner Bußgeldhaftung entziehen konnte. Ein spektakuläres Beispiel war insoweit der Anfang 2015 bekannt gewordene Versuch eines Kartellbeteiligen im sog. Wurstkartell, sich durch mehrstufige Umstrukturierungen der Haftung für ein Bußgeld in dreistelliger Millionenhöhe zu entziehen.152 Dahinter steckte der Gedanke, dass aufgrund der konkreten Haftungszuweisung an einen Rechtsträger dieser abgespalten und das Geschäft auf eine neue Gesellschaft übertragen werden konnte. Im Rahmen der ganzheitlichen bußgeldrechtlichen Ahndung des Unternehmens nach dem Vorbild der wirtschaftlichen Einheit wird der Rechtsträger erst als konkreter Adressat des Bußgeldbescheids wieder relevant.153

144 145 146 147 148 149 150 151 152 153

EuGH, Urt. v.10.9 2009 – C-97/08 P, Rn. 60 – Akzo Nobel. S. im Detail: Kapp/Wegner, CCZ 2015, 198 (205 ff.). Franck, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB, § 33a Rn. 28. Monopolkommission, Sondergutachten 72 vom 27.10.2015, Rn. 12. Monopolkommission, Sondergutachten 72 vom 27.10.2015, Rn. 15. Monopolkommission, Sondergutachten 72 vom 27.10.2015, Rn. K1. Krit. dazu Mäger/v. Schreitter, NZKart 2017, 264 (273). von Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, S. 47. BT-Drucks. 18/10207, S. 40. Monopolkommission, Sondergutachten 72 vom 27.10.2015, Rn. K2.

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Kap. 3: Die Rechtslage de lege lata

D. Zwischenergebnis Die Analyse der gegenwärtigen Rechtslage ergibt somit, dass de lege lata eine Sanktionierung von juristischen Personen und Personenvereinigungen möglich ist. Sie können über § 30 OWiG zur Verantwortung gezogen werden, wenn Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten mit Unternehmensbezug von Leitungspersonen begangen werden. Anknüpfungstat kann insbesondere auch die Verletzung von Aufsichtspflichten nach §§ 130, 9 OWiG sein, sodass auch Ordnungswidrigkeiten und Straftaten von Mitarbeitern außerhalb der Leitungsebene zu einer Haftung des Unternehmens führen können. Ein Bußgeld ist sogar dann möglich, wenn die Person, die die Handlung begangen hat, letztlich nicht identifiziert werden kann (anonyme Geldbuße). Ergänzt wird diese Haftung durch die subsidiäre und unter niedrigeren Voraussetzungen mögliche Einziehung. Die anderen Sanktionen des öffentlichen-Rechts und des Zivilrechts spielen insgesamt nur eine untergeordnete Rolle, weil bspw. das scharfe Schwert der Unternehmensauflösung keine Praxisrelevanz aufweist. Hervorzuheben ist aber die Einführung eines bundeseinheitlichen Wettbewerbsregisters, das insgesamt für mehr Transparenz in öffentlich-rechtlichen Vergabeverfahren sorgen soll. Von größerer Bedeutung erscheint zudem das deutsche Kartellrecht, das vor allem im Vergleich zum allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrecht ein erheblich erhöhtes Bußgeld vorsieht. Die Einführung der wirtschaftlichen Einheit ermöglicht eine Haftung des gesamten Unternehmens und zeigt, dass ein Festhalten am Rechtsträgerprinzip nicht zwingend ist. Dafür sprechen auch zahlreiche andere europäische Gesetzgebungsvorhaben, die als Normadressaten die wirtschaftliche Einheit vorsehen. So wird der funktionale Unternehmensbegriff der wirtschaftlichen Einheit explizit in der europäischen Datenschutzgrundverordnung154 oder der ECN+ Richtlinie (EU) 2019/1 verwendet155 und liegt zudem der Bußgeldbemessung unterschiedlicher finanzaufsichtsrechtlicher Rechtsakte zugrunde.156

154 S. Erwägungsgrund 150 der Verordnung 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119 v. 04.05.2016, S. 1. 155 In Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 ECN+ RL (EU) 2019/1 wird das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit definiert. Erwägungsgrund 46 stellt darüber hinaus klar, dass der Unternehmensbegriff im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGHs angewendet werden soll, erneut im Sinne der wirtschaftlichen Einheit. 156 Z. B. in Art. 22 Abs. 4 Verordnung 2015/2365 über die Transparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäften und der Weiterverwendung sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. L 337 v. 23.12.2015, S. 1; Weck ZSTW 2019, 65 (72) m.w. N.

Kapitel 4

Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes Die gegenwärtige Rechtslage der Unternehmensverantwortlichkeit in Deutschland wird rechtspolitisch intensiv diskutiert1 und ist Gegenstand vielfältiger Kritik, die sich auch in den Begründungen der einzelnen Reformentwürfe niederschlägt.2 Dabei haben sich neben anderen Kritikpunkten die folgenden vier Hauptaspekte herauskristallisiert:

A. Zu schwache Sanktion Zunächst wird die Höhe der Geldbuße des § 30 OWiG als zu gering erachtet. De lege lata existiert bezüglich des Bußgeldes eine starre Obergrenze von 10 Millionen Euro pro Tat bei vorsätzlichen Taten bzw. 5 Millionen Euro pro Tat bei fahrlässigen Taten. Diesbezüglich wird kritisiert, dass die Geldbuße nur wirksam sein könne, wenn sie an die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens angepasst sei. Dies sei auch nach der letzten Erhöhung des Höchstmaßes nicht immer gewährleistet.3 Vielmehr sei das Bußgeld für große Unternehmen teilweise nicht ausreichend, während es für kleinere und mittelständische Unternehmen zu existenzvernichtenden Folgen führen könne.4 Die Tatsache, dass es immer wieder zu Bußgeldern in beachtlicher Höhe kommt, sei hauptsächlich auf den neben dem Sanktionsteil existierenden Abschöpfungsteil der Geldbuße zurückzuführen.5 Der Abschöpfungsteil neutralisiert aber lediglich die aus der Tat erlangten wirtschaftlichen Vorteile, ohne dass damit eine echte Ahndung verbunden ist.6 Unter diesem Gesichtspunkt könne in

1

KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 286 ff. m.w. N. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 126; NRW VerbStG-E, S. 20 ff.; Kölner VerbSG-E, S. 13 ff.; BR-Drucks. 440/20, S. 46 ff.; Münchner Entwurf, S. 35 ff.; Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (27 f.). 3 BR-Drucks. 440/20, S. 50. 4 Vgl. Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 104; Beisheim/Jung, CCZ, 2018, 63 (64); Kölner VerbSG-E, S. 14; Kubiciel/Gräbener, ZRP 2016, 137 (137); Kubiciel/Hoven, juris-PR-Strafrecht 23/2017; VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 3. 5 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 Rn. 42. 6 BR-Drucks. 440/20, S. 50. 2

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Kap. 4: Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes

Deutschland nicht von einer europarechtlich geforderten, wirksamen und abschreckenden Sanktion gegenüber Unternehmen gesprochen werden.7 Die geringe Sanktionshöhe mindert u. a. auch die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen in globaler Hinsicht, da im Vergleich zu Deutschland weltweit gravierendere Strafen gegenüber Unternehmen möglich sind.8 Dies soll anhand des folgenden Beispiels erläutert werden. Volkswagen hatte im Rahmen des „Abgasskandals“ in den USA und seinen Bundesstaaten mit drastisch höheren, sogar drakonischen Strafzahlungen in Milliardenhöhe zu rechnen. Dagegen wäre im Zusammenhang mit Fehlfunktionen von Fahrzeugen der Tesla, Inc. (einem US-amerikanischen Unternehmen) bei (tödlichen) Verkehrsunfällen in Deutschland lediglich ein moderates Bußgeld zu erwarten, zumal dem Territorialitätsprinzip (§ 5 OWiG) entsprechend zunächst nachgewiesen werden müsste, dass die relevante Ordnungswidrigkeit z. B. nach § 130 OWiG in Deutschland und nicht in der US-amerikanischen Konzernzentrale begangen wurde.9

B. Anwendungsdefizit Kritisiert wird weiterhin die defizitäre Anwendung des § 30 OWiG.10 Durch die Verortung im Ordnungswidrigkeitenrecht unterliegt die Verbandsgeldbuße dem Opportunitätsprinzip. Das bedeute, dass es selbst bei schwersten Straftaten von Leitungspersonen im Ermessen der jeweiligen Verfolgungsbehörde lieg, ob die Tat verfolgt wird.11 Insbesondere in den Deliktsfeldern der Korruptions-, Wirtschafts- und Umweltkriminalität, die für in Unternehmen begangene Straftaten typisch sind, komme es in der Praxis so oftmals nicht zur Einleitung eines Verfahrens.12 Auf diese Weise entstehe der Eindruck, dass de jure die Anwendung des § 30 OWiG vom Ermessen der Behörden abhängig ist und de facto gar vom Zufall, an welche Staatsanwaltschaft der konkrete Fall gerät.13 Diese uneinheitliche Verfolgungspraxis stelle eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.14 Für Unternehmen bedeute dieser Rechtszustand zudem eine große Unge7 Kubiciel/Hoven, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 160 (162 f.). 8 Vgl. Beisheim/Jung, CCZ, 2018, 63 (64); Kölner VerbSG-E, S. 14; ausf. zur USamerikanischen strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen Beale, ZStW 126 (2014), 57; zu anderen Ansätzen der Unternehmensverantwortlichkeit Böse, ZStW 126 (2014), 132. 9 Kubiciel, Menschenrechte und Unternehmensstrafrecht, S. 12. 10 BR-Drucks. 440/20, S. 51. 11 BR-Drucks. 440/20, S. 51. 12 BR-Drucks. 440/20, S. 51. 13 Vgl. Kubiciel/Hoven, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 160 (162 f.); Kubiciel/Hoven, juris-PR-Strafrecht 23/2017; a. A. Weimann, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 225 (229 f.). 14 BR-Drucks. 440/20, S. 51.

C. Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität

43

wissheit bezüglich der Konsequenzen ihres Handelns, die den Umgang mit intern entdeckten Fehlverhalten erschwert.15 Die Anwendung des § 30 OWiG werde aber auch durch den großen Umfang und die hohe Komplexität von Unternehmenssachverhalten erschwert. Dabei spiele insbesondere das Waffenungleichgewicht zwischen umfassend verteidigten Unternehmen und staatlichen Ermittlungsbehörden eine Rolle.16 Während sich Unternehmen von spezialisierten Großkanzleien vertreten lassen könnten, fehle es in den Staatsanwaltschaften oft an spezifischer Expertise und personellen Ressourcen,17 dies werde durch die insgesamt hohen Arbeitsbelastung der Strafverfolgungsbehörden noch verstärkt.18 In inhaltlicher Hinsicht erschwere zudem die oftmals schwierige Grenzziehung zwischen legaler und illegaler Wirtschaftsbetätigung eines Unternehmens die Verfolgung.19

C. Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität Ein weiteres Defizit stellt nach der geäußerten Kritik zudem die Einordnung der Unternehmenssanktionierung in das Recht der Ordnungswidrigkeiten dar. De lege lata werde Unternehmenskriminalität in ein Rechtsgebiet der „Pannen“ und „Unfälle“ (Bagatellunrecht) eingeordnet, das der tatsächlichen Bedeutung nicht entspricht.20 Während ein Fahrraddiebstahl nach geltendem Recht mit einer Strafe belegt sei, werde Unternehmenskriminalität lediglich mit einem Bußgeld sanktioniert.21 Diese Sanktion ist sonst im Ordnungswidrigkeitenrecht für zu schnelles Fahren oder falsches Parken vorgesehen. Durch die Einordnung in diese Deliktsgruppierung werde ein Signal der Verharmlosung von Unternehmenskriminalität gesendet.22 Außerdem wird vertreten, dass dem Bußgeld darüber hinaus insgesamt der einer Strafe immanente, sozialethische Tadel fehle,23 sodass man dem Schadens-

15 Vgl. Beisheim/Jung, CCZ, 2018, 63 (64); Kölner VerbSG-E, S. 14; Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 104; VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 3. 16 Baur, AG 2018, 457 (460). 17 Kölner VerbSG-E, S. 15. 18 Hirsch, Die Frage der Straffähigkeit von Verbänden, S. 22; Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 92 f. 19 Baur, AG 2018, 457 (460). 20 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, 251 (257 f.). 21 Kölner VerbSG-E, S. 13 f. 22 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (28). 23 Kühl, FS Tiedemann, S. 29 (42 f.); krit. dazu: Jahn/Brodowski, JZ 2016, 969 (972).

44

Kap. 4: Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes

potenzial von unternehmensbezogenen Taten nicht gerecht werden könne.24 Im Bereich der Unternehmenskriminalität gehe es schließlich nicht ausschließlich um die Verletzung der sozialen Ordnung, sondern oftmals auch um Delikte aus dem Bereich des Kernstrafrechts (z. B. in der Produkt- und Arbeitnehmersicherheit).25

D. Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität Als gravierendster Mangel wird jedoch betrachtet, dass § 30 OWiG mit seinem Zurechnungsmechanismus überhaupt nicht in der Lage sei, Unternehmenskriminalität zu erfassen. Dies läge zunächst an der Konstruktion des Sanktionsmechanismus mit der Normentroika der §§ 130, 30, 9 OWiG und § 14 StGB.26 Diese Normen weisen bereits tatbestandlich unterschiedliche Anwendungsbereiche auf und sind insoweit inkohärent. § 9 OWiG erfasst auch „den gesetzlichen Vertreter eines anderen“, während § 130 OWiG nur auf den „Inhaber eines Betriebs oder Unternehmens“ bzw. dessen Vertreter ohne Ansehung der Rechtsform Anwendung findet. Die Verkettung der genannten Normen führe außerdem in praxi zu einer Beweislastumkehr, denn bei Vorliegen einer Zuwiderhandlung werde automatisch von einer Aufsichtspflichtverletzung ausgegangen, die dann zu einer Geldbuße führe.27 Die genannte Anknüpfung an eine Aufsichtspflichtverletzung habe darüber hinaus zur Folge, dass nur die fehlerhafte Organisation des Unternehmens, aber nicht die Pflichtverletzung des Verbandes im Hinblick auf betroffene Rechtsgüter sanktioniert werde.28 § 30 OWiG weise außerdem einerseits einen zu engen Anwendungsbereich auf, indem er an die Zuwiderhandlung einer Leitungsperson anknüpfe und somit lediglich die Kriminalität von Leitungspersonen erfasse. Andererseits sei er aber aufgrund der unterkomplexen Zurechnungsvoraussetzungen nicht in der Lage, zu begründen, warum eine Zuwiderhandlung Ausdruck des Unternehmens sein sollte, insoweit sei der Anwendungsbereich des § 30 OWiG gleichzeitig zu weit.29 24 Vgl. Kubiciel/Hoven, juris-PR-Strafrecht 23/2017; Beisheim/Jung, CCZ, 2018, 63 (64); VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 3. 25 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12; ausf. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 41 ff. 26 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. 27 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12; so auch Corell/von Saucken, wistra 2013, 297. 28 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. 29 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 13.

E. Zwischenergebnis

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Die größte Schwäche des § 30 OWiG, im Zusammenhang mit der Erfassung von Unternehmenskriminalität, liege aber in der Anknüpfung an das Rechtsträgerprinzip. Die Anknüpfung an den Rechtsträger führe wieder zu einer Sanktionierung des hinter dem Unternehmen stehenden Individuums. Dies stehe im klaren Widerspruch zur Grundlegung, dass das Unternehmen als soziale Einheit bzw. Krimineller sui generis Verantwortung für sein Handeln übernehmen und Sanktionsadressat werden soll.30 Trotz zahlreicher Weiterentwicklungen durch den Gesetzgeber und extensiver Interpretation von Wissenschaft und Rechtsprechung könne auf diesem Fundament die Adressierung von Unternehmenskriminalität nicht gelingen.31 Insofern handele es sich bei § 30 OWiG um einen „merkwürdigen Kompromiss“,32 der die Geldbuße zur Folge einer Straftat erklärt, und eine grundlegende Fehlkonstruktion, die ihr eigentliches Ziel verfehlt.33

E. Zwischenergebnis Das geltende Recht weist somit auf unterschiedlichsten Ebenen gravierende Unzulänglichkeiten auf, die in ihrer Gesamtheit belegen, dass die Sanktionierung von Unternehmen reformiert werden muss. Während die ersten zwei Kritikpunkte die Wirksamkeit des Sanktionsregimes des § 30 OWiG betreffen, setzten sich die beiden Letzteren auf inhaltlicher Ebene mit dem Sanktionsmechanismus auseinander. Neben den mit §§ 30, 130 OWiG verbundenen Zirkelschlussproblemen erscheint vor allem die schlichte Nichterfassung von Unternehmenskriminalität fatal. Die Gleichsetzung von Unternehmen und Unternehmensträger sowie der Unternehmenstat und der Tat einer Leitungsperson sind letztlich ungeeignet, um Unternehmenskriminalität abzubilden und dementsprechend zu adressieren. Somit besteht Bedarf für eine Reform der Unternehmenssanktionierung, um auf diese Weise dem Unternehmen als dem eigentlichen Adressaten Verantwortung überhaupt zuschreiben zu können.

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OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 13. 32 Vgl. Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (322); HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 11. 33 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 11 f. 31

Kapitel 5

Die Rechtslage de lege ferenda A. Aktueller Diskussionsstand Das existierende Sanktionsregime des § 30 OWiG zu reformieren, ist eine schwierige Aufgabe, da das Grundgerüst der Unternehmenssanktionierung seiner Geschichte entsprechend nahezu als „reformfest“ bezeichnet werden kann. Gegenüber einer tatsächlichen Abkehr von § 30 OWiG herrscht eine tief verankerte Skepsis. Die Auffassung, dass sich das bestehende System trotz aller Mängel bewährt habe und grundlegend von der Wirtschaft akzeptiert wäre, mischt sich mit der Furcht, weitreichende Änderungen seien mit übermäßigen Belastungen von Unternehmen verbunden.1 Die bisherige Betrachtung zeigt aber, dass ein bloßes weiteres Anheben der Sanktionshöhe nicht ausreichen wird, um die Gesamtheit der festgestellten Mängel zu adressieren. Vielversprechender erscheinen insoweit eine tatsächliche Änderung und Optimierung des bestehenden Systems oder sogar die Einführung eines insgesamt neuen Verbandssanktionssystems.2 Im Folgenden soll deshalb ein Überblick über die aktuell angebotenen Reformansätze gegeben werden.

B. Reform des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts Ideen, das Ordnungswidrigkeitenrecht zu reformieren, knüpfen inhaltlich mehrheitlich an die Veränderungen des Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) an.3 Diese Gesetzesänderung hatte das Ziel, das Wettbewerbsrecht zu modernisieren und zu optimieren sowie die Durchsetzung effizienter zu gestalten.4 Diese Intentionen sind auch für eine Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts von Belang. Neben grundsätzlichen, nicht weiter ausgestalteten Ideen zur Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts5 gab es in der jüngeren Vergangenheit zwei konkretere 1

Vgl. ausf. Waßmer, ZWH 2018, 234 (235). Vgl. Waßmer, ZWH 2018, 234 (235 ff.). 3 BT-Drucks. 17/9852, hier wurden u. a. eine Verzehnfachung des Bußgeldes sowie Rechtsnachfolgeregelungen eingeführt. 4 BT-Drucks. 17/9852, S. 1. 5 Vgl. Waßmer, ZWH 2018, 234 (235 ff.), so z. B. Erhöhung des Bußgeldrahmens, die Beseitigung von Vollzugsdefiziten und die Stärkung der Verteidigungsrechte des 2

B. Reform des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts

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Reformansätze:6 zum einen den Vorstoß des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen (BUJ) aus dem Jahr 20147 und zum anderen den Entwurf eines Positionspapiers des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und des Berufsverbandes der Compliance Manager (BCM) aus dem Jahr 2018.8

I. Gesetzgebungsvorschlag des BUJ Der Reformvorschlag des BUJ hat es zu seinem Hauptziel erklärt, Compliance-Systeme zur Verbesserung der Prävention und Aufklärung von Wirtschaftstaten gesetzlich in reformierte §§ 30, 130 OWiG zu verankern. Der Vorschlag beruht auf der grundsätzlichen Annahme, dass die Einführung eines Unternehmensstrafrechts im Sinne der Verhältnismäßigkeit nicht erforderlich sei. Das scharfe Schwert des Strafrechts dürfe im Sinne einer Ultima Ratio nur angewendet werden, wenn das angestrebte Ziel auf keine andere Weise erreicht werden könne. Dies sei aber gerade nicht der Fall. Die wirksame Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität könne auch durch eine bloße Änderung und Ergänzung des bereits existierenden Ordnungswidrigkeitenrechts erreicht werden.9 Im Detail sieht der Entwurf die folgenden punktuellen Änderungen der aktuellen Rechtslage vor: 1. Einführung eines gesetzlichen Minderungsgrunds Der Entwurf geht von der Einführung eines gesetzlichen Milderungsgrunds aus. Zur Anwendung kommen soll dieser einerseits in Fällen, in denen es trotz entsprechender Compliance-Maßnahmen zu Fehlverhalten im Unternehmen gekommen ist, und andererseits auch dann, wenn zwar zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung keine geeigneten Maßnahmen bestanden, aber das Unternehmen diese nach dem Verstoß implementiert hat. Darüber hinaus soll von der Festsetzung einer Geldbuße abgesehen werden können, wenn kein bedeutender Schaden eingetreten ist oder dieser zumindest zu

Unternehmens; ebenfalls Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (252) unter Verweis auf die BRAK Stellungnahme Nr. 15/2014, die die Einführung eines getrennt, gesetzlich hinreichend bestimmten und verhältnismäßigem Rechts der Gewinnabschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht bei juristischen Personen und Personengesellschaften einführen wollen, wobei nicht ganz klar wird, woraus die konkreten Reformvorschläge entnommen werden. 6 Beide jedoch ohne konkreten Normvorschlag. 7 Der tatsächliche Entwurf ist nicht verfügbar, deshalb ist auf Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 zu verweisen. 8 VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018. 9 Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147).

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

einem überwiegenden Teil wiedergutgemacht worden ist.10 Der Verfall nach StGB und OWiG soll dann in diesen ausgeschlossen sein.11 2. Bußgeldbefreiende Selbstanzeige Weiterhin soll für Unternehmen eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige möglich sein. In Fällen, in denen das Unternehmen die Zuwiderhandlung der zuständigen Behörde angezeigt hat, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Zuwiderhandlungen aus gleichem Grund ergreift und die zuständige Behörde zu dem Zeitpunkt noch keine Ermittlungen bekannt gegeben hat, kann auf eine Geldbuße verzichtet werden.12 Auch in diesen Fällen soll der Verfall13 ausgeschlossen sein, um die Wirksamkeit der Regelung zu gewährleisten.14 3. Konkretisierung der erforderlichen Aufsichts- und Organisationspflichten Abschließend legt der Entwurf den Inhalt der konkret erforderlichen Aufsichts- und Organisationspflichten innerhalb eines Unternehmens fest und gibt Unternehmen somit eine Orientierungshilfe an die Hand.15 Geben soll es fünf Grundelemente eines effektiven Compliance-Systems, die an einem anerkannten internationalen und nationalen Standard orientiert sind, aber gerade keinen zwingend abschließenden Maßnahmenkatalog darstellen.16 Die fünf Kernelemente sind die regelmäßige Gefahrenermittlung, Mitarbeiterschulungen, die Einführung eines Hinweisgebersystems, die Aufklärung von Verdachtsmomenten und die Ahndung eines entsprechenden Fehlverhaltens.17 Die jeweiligen Maßnahmen sollen insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu der Größe des Betriebs und dem von ihm ausgehenden Risiko stehen.18 Die Einrichtung eines bloß schematischen Compliance-Systems soll insoweit gerade nicht ausreichend sein, vielmehr soll das entsprechende Unternehmen während des Verfahrens seine tatsächlichen Bemühungen darlegen und glaubhaft machen, um so Anreize (Milderung, Absehen von der Festsetzung einer Geldbuße oder Ausschluss des Verfalls) in Anspruch nehmen zu können.19 10 11 12 13 14

Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (65). Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (149). Beisheim/Jung, CCZ, 2018, 63 (65). Heutige Einziehung §§ 73–76b StPO. Vgl. Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147); Beisheim/Jung, CCZ, 2018, 63

(65). 15 16 17 18 19

Beisheim/Jung, CCZ, 2018, 63 (67). Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147). Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (151 ff.). Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147). Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147).

B. Reform des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts

49

4. Zwischenergebnis Eine Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts nach den Vorschlägen des BUJ stellt somit in einigen Punkten eine Verbesserung zur aktuellen Rechtslage dar. Hervorzuheben sind insoweit einerseits die vorgesehene Kodifizierung der Aufsichts- und Organisationspflichten, die für eine verbesserte Rechtssicherheit sorgen,20 und andererseits auch die gesetzliche Pflicht zur Einführung eines Compliance-Systems, die einen starken Anreiz für Unternehmen schafft, sich rechtsgetreu – d. h. „compliant“ – zu verhalten.21 Die Einführung eines obligatorischen Minderungsgrunds hingegen birgt die Gefahr, dass sich Unternehmen durch das bloße Ergreifen von irgendwie gearteten Präventivmaßnahmen quasi „freikaufen“ können.22 Gekoppelt mit der Tatsache, dass der Verfall bei Vorliegen von Minderungsgründen oder einer Selbstanzeige ausgeschossen sein soll, führt dies zu unerwünschten Ergebnissen. Auf diese Weise würde das Unternehmen faktisch mit dem Gewinn aus der kriminellen Handlung belohnt.23 Die genannten Defizite kann der Entwurf allerdings nicht adressieren. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Reformvorschlag des BUJ neben anerkennenswerten Aspekten neue Probleme mit sich bringt. Der Entwurf ist insgesamt nicht in der Lage, den festgestellten Kritikpunkten abzuhelfen.

II. VCI-/BCM-Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht Der VCI und der BCM setzen sich für eine Modernisierung des Unternehmenssanktionsrechts ein, die entweder über die Reform des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts oder durch die Einführung eines neuen Gesetzes zur Unternehmenssanktionierung erfolgen soll.24 Die Schaffung eines neuen Stammgesetzes hätte den Vorteil, dass die Sanktionsqualität an sich verbessert, die Symbolkraft gestärkt und die öffentliche Aufmerksamkeit erhöht werden könnte.25 Zielsetzung des Positionspapiers insgesamt sind die Verbesserung der Unternehmenskultur und Compliance sowie das Schaffen einer Kodifizierung des Sanktionsverfahrens und der Rechte der Verfahrensbeteiligten. Die Verteidigungsmöglichkeiten der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter sollen in ein ausgewogenes

20

Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (67). Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (67). 22 Vgl. Grützner, CCZ 2015, 56 (61). 23 Vgl. Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (65); vgl. Kutschaty, JUVE Rechtsmarkt 06/ 2014. 24 Das Positionspapier stellt insoweit beide Optionen als möglich dar. 25 VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 7. 21

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Verhältnis zu den staatlichen Ermittlungsbefugnissen gebracht werden.26 Insgesamt haben die Entwurfsverfasser 13 konkrete Reformvorschläge formuliert, die Wirtschaftsstraften durch effektive Compliance-Systeme verhindern und Unternehmen zu „Good Corporate Citizen“ machen sollen.27 Die insoweit zum Ausdruck kommenden Ideen lassen sich in die nachfolgen dargestellten drei Themenkreise einordnen. 1. Vom Zurechnungsmodell zum Organisationsmodell? Zunächst schlägt der Entwurf einen zumindest teilweisen dogmatischen Wechsel vom Zurechnungsmodell zum Organisationsmodell vor. Da sich eine Unternehmenssanktion immer aus einer Individualtat ableite, bedürfe es für die Sanktion des Unternehmens eines eigenen Tatbeitrags des Unternehmens, der es rechtfertige, dem Unternehmen einen Vorwurf zu machen.28 Als Legitimationsgrund komme insoweit das Vorliegen einer mangelhaften Unternehmens- oder Compliance Organisation in Betracht, die das unternehmensbezogene Fehlverhalten des Individualtäters ermöglicht oder wesentlich erleichtert habe. Sanktionen gegenüber Unternehmen mit einwandfreier Compliance zu verhängen, sei hingegen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.29 Die maßgebliche Unternehmensorganisation soll laut Entwurf über das reine Compliance-Management hinausgehen und insbesondere auch eine unternehmensadäquate Zuständigkeits- und Berichtsorganisation sowie eine zu rechtmäßigem Verhalten motivierende Unternehmenskultur beinhalten.30 Der Nachweis einer guten Unternehmensorganisation könne dann grundsätzlich von Amts wegen erbracht werden. Insoweit solle unzulässig sein, von einem bloßen Fehlverhalten auf die Mangelhaftigkeit der Unternehmensorganisation zu schließen.31 Sollte ein Organisationsmodell in der Praxis nicht durchsetzbar sein, seien zumindest spezifische Regelungen zur Verfahrenseinstellung einzuführen, die es der Verfolgungs- und Justizpraxis erlauben, Verfahren gegenüber Unternehmen mit angemessener Unternehmensorganisation einstellen zu können.32 26

VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018,

S. 1. 27

VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018,

S. 6. 28

VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018,

S. 7. 29

VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018,

S. 6. 30 Haase/Brouwer, CCZ 2018, 276 (276); VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018. 31 VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 8. 32 Haase/Brouwer, CCZ 2018, 276 (277).

B. Reform des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts

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2. Einschränkungen bei Konzernsachverhalten und Rechtsnachfolge Das Positionspapier sieht weiterhin eine Beibehaltung des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips vor. Die Anknüpfungstat könne nur der juristischen Person zugerechnet werden, in deren Angelegenheit der Anknüpfungstäter unmittelbar tätig war. Eine verschuldensunabhängige „Konzernhaftung“ sei mit einem Unternehmenssanktionsrecht, das auf die Verbesserung der Compliance ausgelegt werde, unvereinbar.33 Aus dem Übermaßverbot folge, dass eine Unternehmenssanktion immer nur Ultima Ratio sei. Daher sei eine verschuldensunabhängige Mithaftung der Muttergesellschaft im Sinne der wirtschaftlichen Einheit aus rechtsstaatlicher Sicht nicht haltbar.34 Auch Rechtsnachfolger sollten nicht ohne Weiteres zusätzliche Sanktionsadressaten sein. Eine missbräuchliche Umstrukturierung solle zwar grundsätzlich vermieden werden, den Rechtsnachfolger treffe aber darüber hinaus weder der Vorwurf des Organisationsmangels noch könne ihm die fremde Anknüpfungstat zugerechnet werden.35 3. Regelung der Betroffenenrechte und weitere Verfahrensvorschläge Ein weiteres Hauptziel des Entwurfes ist außerdem, „Betroffenenrechte“ klar zu regeln. Der Gesetzgeber soll u. a. tätig werden, um Unternehmen effektive Verteidigungsrechte zukommen zu lassen. Funktionsträgern, denen besonderes Vertrauen entgegengebracht werde, sollten Auskunfts-, Zeugnis- und Mitwirkungsverweigerungsrechte zustehen. Dies gelte insbesondere für die Organmitglieder, durch die das Unternehmen handlungsfähig wird.36 Darüber hinaus wird für die Einführung eines „Legal Privilege“ für Syndikusrechtsanwälte37 plädiert und die Einführung eines Beweisverwertungsverbots für die Aussagen von Mitarbeitern vorgeschlagen.38 Weiterhin setzt sich das Positionspapier für eine Kodifizierung von „internen Untersuchungen“ ein. Unternehmen sollen durch die Möglichkeit einer sanktionsbefreienden Selbstanzeige zur Besserung und Selbstreinigung motiviert wer33

VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018,

S. 9. 34

Haase/Brouwer, CCZ 2018, 276 (277). VCI/BCM, Position für ein moderneres S. 10. 36 VCI/BCM, Position für ein moderneres S. 12. 37 VCI/BCM, Position für ein moderneres S. 12. 38 VCI/BCM, Position für ein moderneres S. 13. 35

Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018,

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

den.39 In diesem Kontext solle es einen gesetzlichen Katalog mit Strafzumessungskriterien geben, in dem Compliance-Bemühungen vor und nach der Tat, die Schadenswiedergutmachung und die Wirtschaftskraft eines Unternehmens berücksichtigt werden können.40 Als Sanktion komme dann eine Geldzahlung, die unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt werden kann, in Betracht.41 Die Überwachung dieser Maßnahmen (Monitoring) solle wenn möglich durch eine neu gegründete Schwerpunktstaatsanwaltschaft durchgeführt werden. Auf eine pauschale Erhöhung des Bußgeldes42 oder Sanktionen mit Prangerwirkung (z. B. auf den Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren)43 solle darüber hinaus aber verzichtet werden. Laut Entwurf erscheint es zielführender, diese Gelder in die Verbesserung der Compliance zu investieren.44 4. Analyse Das Positionspapier des VCI/BCM adressiert im Gegensatz zum Entwurf des BUJ zumindest teilweise die Kritikpunkte des geltenden Rechts. Bezüglich der Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität schlägt das Positionspapier – neben der Möglichkeit der Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts – vor, die Verantwortlichkeit von Unternehmen in einem eigenen Stammgesetz zu kodifizieren.45 Dieser Ansatz könnte zu einer Entbagatellisierung und Stärkung der Symbolkraft der Unternehmenssanktionierung beitragen. Die Erfassung von Unternehmenskriminalität versucht, das Positionspapier über den Wechsel vom alleinigen Zurechnungsmodell zu einer Kombination aus Zurechnungs- und Organisationsmodell zu adressieren. Dieser Ansatz ist nicht unproblematisch. So wird aus dem Positionspapier abschließend nicht klar, ob der Sanktionsradius ausschließlich auf Taten begrenzt werden soll, die de lege lata von § 130 OWiG erfasst werden. Eine solche Beschränkung hätte zur Folge, dass eine außerhalb der mangelhaften Unterneh-

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Haase/Brouwer, CCZ 2018, 276 (277). VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 11. 41 Entsprechend des Kölner VerbSG-E kann es sich bei den Auflagen um die Wiedergutmachung des verursachten Schadens oder die Durchführung von Compliance Maßnahmen handeln. 42 Neben der weiterhin bestehenden unbegrenzten Möglichkeit der Gewinnabschöpfung. 43 VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S.10 f. 44 VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S.10 f. 45 VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 7. 40

B. Reform des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts

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mens- und Compliance-Organisation liegende Kriminalität von Leitungspersonen von nun an nicht mehr sanktioniert würde. Das Unternehmen würde nur noch für eine fehlerhafte Organisation, aber nicht mehr für die Pflichtverletzung des Verbandes im Hinblick auf betroffene Rechtsgüter zur Verantwortung gezogen.46 Die bereits geschilderte Gefahr eines Zirkelschlusses, dass von einer Anknüpfungstat auf eine mangelhafte Unternehmens- und Compliance-Organisation geschlossen und so eine Unternehmenstat angenommen wird, besteht zudem weiter.47 Abschließend kann somit gesagt werden, dass das Positionspapier Verbesserungen gegenüber dem Entwurf des BUJ enthält,48 und zumindest bemüht ist, das Unternehmen selbst zu adressieren. Insoweit werden jedoch keine wirklichen Durchbrüche erzielt.49 Die de lege lata existierenden Defizite werden zwar teilweise erkannt, dann aber nicht behoben. Die zu schwache Sanktion und das Anwendungsdefizit bleiben zudem unverändert bestehen. Auch die vom VCI/BCM vorgeschlagene Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts kann somit nicht überzeugen.

III. Zwischenergebnis Die von beiden Entwürfen vorgeschlagenen Verbesserungsversuche des Ordnungswidrigkeitenrechts sind nicht in der Lage, die festgestellten Mängel zu beheben. Die zu schwache Geldbuße, die bundesweit unterschiedliche Anwendung, die Verharmlosung und die Bagatellisierung, die mit einer Verortung im Ordnungswidrigkeitenrecht einhergehen,50 sowie die unzureichende Erfassung der organisierten Unverantwortlichkeit und vor allem auch die damit einhergehende Nichterfassung des Unternehmens als krimineller Akteur sui generis bleiben auch nach den vorgeschlagenen Änderungen bestehen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht ist scheinbar tatsächlich nicht in der Lage, den Kern des kriminellen Unrechts der Unternehmenskriminalität zu treffen.51

46 Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12; vgl. Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19). 47 Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. 48 Eine parallele Einziehung wird nicht länger ausgeschlossen. Die Opferrolle des Unternehmens soll zwar berücksichtigt, das Unternehmen aber nicht länger mit den Gewinnen der Tat „belohnt“ werden, vgl. VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 15. 49 Auch auf eine Kodifizierung der zentralen Compliance Pflichten, wie beim Entwurf des BUJ, wird verzichtet. 50 Der VCI/BCM sieht zumindest die Möglichkeit der Einführung eines neuen Stammgesetzes. 51 Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (65).

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Die minimalinvasive52 „kleine Lösung“ 53 ist somit zwar wahrscheinlich der Weg des geringsten politischen Widerstands, aber bislang nicht in der Lage, eine Verbesserung der defizitären Situation zu bewirken. Die Frage, warum die Sanktionierung von Unternehmen zwingend in ein ab ovo nicht passendes Gesetzbuch integriert werden soll, nur weil die §§ 30, 130 OWiG bereits darin enthalten sind,54 vermag keiner der Entwürfe sinnvoll zu beantworten. Somit scheint ein Bedarf für eine Neuordnung und Systematisierung des Rechts der Unternehmenssanktionen zu bestehen.55

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion Ein anderer Weg, die vorgenannten Kritikpunkte an der gegenwärtigen Rechtslage zu adressieren, ist die Einführung einer neuen eigenständigen Unternehmenssanktion.56 In jüngster Vergangenheit wurden in diesem Zusammenhang vier Entwürfe vorgeschlagen: der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden des Landes Nordrhein-Westfalen (2014), der Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (2017), der Regierungsentwurf zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft aus dem Jahr 2020 (beruhend auf dem Referentenentwurf aus dem Jahr 2019), der Münchner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (ebenfalls 2019) sowie das Thesenkonzept „Frankfurter Thesen“ (2018) bzw. der daraus resultierende Entwurf eines Frankfurter Unternehmenssanktionsgesetzes (2021).57

I. Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs des Landes Nordrhein-Westfalens Der Gesetzesentwurf eines Verbandsstrafgesetzbuches des Landes NordrheinWestfalens (NRW VerbStrG-E) wurde im November 2013 der Justizministerkonferenz vorgestellt und in Düsseldorf zur Kabinettsreife gebracht. In den Bundes52

Kölner VerbsG-E, S. 16. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (251). 54 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (27). 55 So auch Korte, FS Graf-Schlicker, S. 540. 56 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (251), beschreibt dies als die sogenannte „große Lösung“, die auf die Durchtrennung des gordischen Knotens abziele, der aus der Individualzurechnung und der Nutznießerschaft des Unternehmens bestehe. 57 Das Thesenkonzept weist eine durchweg andere Konzeption auf als die zuvor genannten Entwürfe und soll deshalb außerhalb der chronologischen Ordnung am Ende betrachtet werden. 53

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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rat wurde er jedoch nie eingeführt. Der Entwurf enthält auf insgesamt 83 Seiten sowohl materielle als auch prozessuale Regelungen.58 Erklärtes Ziel des Entwurfs ist, den Verband selbst in den Mittelpunkt der Strafverfolgung zu rücken. Die individuelle Schuld einer Einzelperson sei meist nur gering und die resultierende Sanktionierung nicht in der Lage, die Wirtschaftskraft des Unternehmens angemessen zu berücksichtigen.59 Das bestehende Ordnungswidrigkeitenrecht weise insgesamt grundlegende Unzulänglichkeiten auf.60 Durch die Normierung von konkreten Verbandsstraftatbeständen solle deshalb an das „spezifische Verbandsunrecht“ (defizitäre Organisation eines Verbandes, bzw. Duldung, Provokation oder Begünstigung delinquenten Verhaltens) angeknüpft werden und so die „organisierte Unverantwortlichkeit“ adressiert werden.61 Die Grundidee des Gesetzesentwurfs ist insoweit die Sanktionierung einer „originären Verbandsschuld“, die bereits im Zusammenhang mit § 30 OWiG diskutiert wird.62 1. Wesentliche Regelungen des NRW VerbStrG-E Die Strafbarkeit des Verbandes wird in § 2 NRW VerbStrG-E normiert. Diese Norm knüpft erkennbar an § 30 Abs. 1 OWiG an.63 Der Vorwurf, der die „Verantwortlichkeit“ des Verbandes begründet, bestehe dementsprechend entweder in der mangelhaften Personalauswahl oder im unzureichenden Aufgabenzuschnitt auf der Leitungsebene des Verbandes. Die Verantwortung des Verbandes werde dadurch begründet, dass gerade Personen in leitender Stellung für die Vermeidung von strafbarem Unrecht zuständig sind. Verstoßen diese Personen gegen Straftatbestände, so erweise sich ihre Auswahl für ihre Funktion oder Rolle als Organ oder Vertreter von Anfang an als fehlerhaft, sofern keine sogenannte Exzesstat ohne Verbandsbezug vorliegt.64 § 2 Abs. 2 NRW VerbStrG-E hingegen ist inhaltlich an § 130 Abs. 1 OWiG angelehnt.65 Er knüpft die Verbandssanktion an ein vorsätzliches oder fahrlässiges Aufsichts- oder Überwachungsverschulden eines Entscheidungsträgers an. Entscheidungsträger sind verpflichtet, technische, personelle oder organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um betriebstypischen Zuwiderhandlungen entgegenzu-

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Jahn/Pietsch, ZIS 2015, 1. NRW VerbStrG-E, S. 1 f. 60 NRW VerbStrG-E, S. 2, als Problem wird insoweit identifiziert, dass die Sanktion einerseits ein kalkulierbares Risiko für Unternehmen darstelle, andererseits aber von ihr gerade kein entsprechender Anreiz zur Entwicklung einer besseren Unternehmens-Compliance ausgehe. 61 Jahn/Pietsch, ZIS 2015, 1 (1). 62 Hoven, ZIS 2014, 19 (19). 63 Jahn/Pietsch, ZIS 2015, 1 (1); Hoven, ZIS 2014, 19 (19). 64 NRW VerbStrG-E, S. 45. 65 Jahn/Pietsch, ZIS 2015, 1 (2). 59

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

wirken. Auf diese Weise soll die „offene Flanke“ 66 des § 130 OWiG geschlossen und eine umfassende Haftung des Verbandes für die Versäumnisse des Entscheidungsträgers geschaffen werden.67 Im Gegensatz zu Abs. 1 nimmt der Tatbestand somit direkt auf die Organisation des Verbandes Bezug, indem das Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen zu einem Tatbestandsmerkmal erhoben wird.68 Weiterhin normiert der Entwurf in § 4 NRW VerbStrG-E unterschiedliche Arten der Verbandssanktionierung. Die in Betracht kommenden Verbandssanktionen sind in Verbandsstrafen und Verbandsmaßregeln unterteilt. Im Rahmen der Verbandsstrafen steht an erster Stelle die nach einem Tagessatzsystem zu berechnende „Verbandsgeldstrafe“. Höchstmaß der Geldstrafe sind 10 Prozent des Gesamtumsatzes des Unternehmens oder Unternehmensverbandes. Der Betrag darf geschätzt werden. Grundlage der Schätzung ist der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen der letzten drei Geschäftsjahre, wenn diese als wirtschaftliche Einheit tätig waren. Weitere Verbandstrafen sind die Verwarnung mit Strafvorbehalt und die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung. Die Maßregeln, die gegenüber einem Verband verhängt werden können, umfassen den Ausschluss von öffentlichen Subventionen und von der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie die Verbandsauflösung.69 Über § 3 NRW VerbStrG-E wird außerdem auf die Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches verwiesen, sodass der Verfall (heutige Einziehung) nach dem Bruttoprinzip parallel angewendet werden kann.70 Eine weitere Kernvorschrift des Entwurfs ist § 5 NRW VerbStrG-E, in dem das Absehen von Sanktionen geregelt ist. Nach Abs. 1 kann das Gericht oder die Staatsanwaltschaft von der Sanktionierung des Verbandes absehen, wenn (1) der Verband über ausreichende Compliance-Systeme verfügt, um vergleichbare Zuwiderhandlungen in Zukunft zu vermeiden, und (2) kein bedeutender Schaden eingetreten ist oder dieser zu einem überwiegenden Teil wiedergutgemacht worden ist. Abs. 2 ermöglicht der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht, auch dann von einer Sanktion gegen den Verband abzusehen, wenn dieser maßgeblich an der Aufklärung der Verbandsstraftat mitgewirkt und nun ausreichende Compliance-Maßnahmen getroffen hat, um zukünftige Verbandsstraftaten zu vermeiden. Darüber hinaus enthält der Entwurf zahlreiche prozessuale Regelungen.71 66 Bezeichnung für die im Rahmen des § 130 OWiG bestehende Beschränkung des Täterkreises, der die Aufsichtspflichtverletzung begehen kann. 67 NRW VerbStrG-E, S. 46. 68 Jahn/Pietsch, ZIS 2015, 1 (2). 69 NRW VerbStrG-E, S. 4. 70 S. dazu BRAK Stellungnahme Nr. 15/2014, S. 3. 71 Einführung des Legalitätsprinzips (§ 14 NRW VerbStrG-E), Kodifizierung von Beschuldigtenrechten und Verteidigungsleitlinien (§ 18 NRW VerbStrG-E), Normen zur Verfahrenssicherung und Vollstreckung, Geltung der StPO und des GVG (§ 13 NRW VerbStrG-E).

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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2. Analyse Im Folgenden soll untersucht werden, ob der Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuches des Landes Nordrhein-Westfalens in der Lage ist, die de lege lata festgestellten Defizite der Unternehmenssanktionierung zu adressieren. a) Zu schwache Rechtsfolge Den Vorwurf einer zu schwachen Rechtsfolge versucht der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen wie folgt zu adressieren. Er führt eine umsatzbezogene Begrenzung der Gelstrafe bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes des Unternehmens ein, die in Tagessätzen verhängt wird.72 Dies schafft eine stärkere Flexibilität bei der Strafzumessung, da die Höhe der Geldbuße nun einzelfallbezogen individuell angepasst werden kann. Teilweise wird kritisiert, dass so die Bedeutung des Abschöpfungsteils der Geldbuße verloren gehe.73 Diese Kritik verfängt jedoch nicht, da nach dem Entwurf die Einziehung und somit die Vermögensabschöpfung weiterhin neben die Geldstrafe treten können. Insoweit sollte vielmehr darauf geachtet werden, eine sich aus der parallelen Anwendung beider Institute ergebende existenzbedrohende Belastung des Unternehmens zu vermeiden. b) Anwendungsdefizit Das als problematisch erkannte Anwendungsdefizit bzw. die bundesweit unterschiedliche Rechtsanwendung des Ordnungswidrigkeitenrechts versucht der Entwurf durch Einführung des Legalitätsprinzips für die Verletzung von Strafnormen zu adressieren.74 Der Erfolg dieser Änderung ist aber aus zwei Gründen zweifelhaft. Einerseits bleibt auch nach Einführung des Legalitätsprinzips unklar, wie mit der schlechten Ressourcensituation der Staatsanwaltschaft und der Überforderung mit komplexen Wirtschaftsstrafverfahren umgegangen werden soll.75 Hier ist vielmehr mit einer weiteren Belastung der Strafverfolgung zu rechnen, wenn von nun an jeder Anfangsverdacht verfolgt werden muss. Andererseits wird das Legalitätsprinzip im Entwurf durch zahlreiche Möglichkeiten, von der Verfolgung abzusehen oder das Verfahren einzustellen,76 aufge72 Zugrunde gelegt wird dabei der Umsatz der als Gesamtunternehmen zusammenarbeitenden wirtschaftlichen Einheit. 73 Schünemann, ZIS 2014, 1 (15), der in diesem Zusammenhang von drakonischen Strafen spricht. 74 S. § 14 NRW VerbStrG-E. 75 Grützner, CCZ 2015, 56 (59), führt aus, dass die Einführung nicht nötig sei, da Staatsanwälte bereits nach Nr. 180a RiSTBV verpflichtet seien, die konsequente Umsetzung des Rechts zu forcieren; BRAK-Stellungnahme 15/2014, S. 3 f., hier wird ausgeführt, dass es sowohl für Unternehmen als auch für den Staat zu einer stärkeren wirtschaftlichen Belastung kommen könne als bei Geltung des Opportunitätsprinzips. 76 § 13 Abs. 1 VebStrG-E, der auf die StPO verweist und § 14 Abs. 3 VerbStrG-E.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

weicht. Dies erscheint zwar im Sinne der Ressourcenauslastung sinnvoll, führt aber gleichzeitig dazu, dass auch weiterhin regionale Unterschiede bezüglich der Anwendung bestehen können, da das Ermessen der Verfolgungsbehörden weiterhin maßgeblich ist.77 Ob dem Anwendungsdefizit durch die Einführung des Legalitätsprinzips abgeholfen werden kann, erscheint somit fraglich. c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität Die Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität, die grundsätzlich mit der Einordnung in das Ordnungswidrigkeitenrecht einhergeht, soll durch die Einführung eines Verbandsstrafgesetzbuchs beendet werden. Insoweit wird der grundlegende Einwand erhoben, dass das Individualstrafrecht entwertet werde, wenn die ihm zugrunde liegende personale Unrechts- und Schuldlehre durch ein Unternehmensstrafrecht aufgeweicht wird.78 Dem steht die Auffassung gegenüber, dass bereits § 30 OWiG tatsächlich eine Strafe darstellt, wodurch ein „Paradigmenwechsel“ im Kriminalstrafrecht längst stattgefunden hat.79 Unabhängig davon ist die Frage zu klären, ob eine Strafe gegenüber Unternehmen verfassungsrechtlich und dogmatisch möglich und darüber hinaus auch strafrechtlich legitimierbar sein kann.80 Nur wenn dies der Fall ist, kann eine Unternehmensstrafe ernsthaft zur Entbagatellisierung der Unternehmenskriminalität beitragen. aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht und der Strafrechtsdogmatik Bezüglich des Entwurfs bestehen zunächst keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.81 Es liegt kein konzeptioneller Verstoß gegen das Grundgesetz vor.82 So bestehen exemplarisch gegen Art. 103 GG unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die bloße Bestimmbarkeit ausreichend ist, keine Einwände.83 Ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsgebot liegt in Ermangelung eines iden77

Vgl. Rotsch/Mutschler/Grobe, CCZ 2020, 169 (175). Vgl. Bock, Criminal Compliance, S. 406 f.; Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, S. 13 (20), Verfassungsrecht. 79 S. Leitner, StraFo 2010, 323 (328); § 30 OWiG wird insoweit teils als „Mogelpackung“, Ransiek, NZWiSt 2012, 53, oder „Etikettenschwindel“, Hetzer, EuZW 2007, S. 75, bezeichnet. 80 Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 24. 81 Vgl. umfassend Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53. 82 S. vertiefend Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (85); nicht festgestellt sei damit jedoch, ob der Entwurf die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung darstelle. 83 Vgl. Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (65). 78

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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tischen Adressaten84 ebenso wie ein Verstoß gegen das Willkürverbot nicht vor.85 Letztlich ist das VerbStrG-E auch verhältnismäßig, das vorgeschlagene zweigleisige Konzept der Verbandsschuld bewegt sich prinzipiell im Rahmen des für den Bundesgesetzgeber eröffneten Entscheidungskorridors.86 Der Satz „societas delinquere non potest“ ist somit grundsätzlich kein Satz des deutschen Verfassungsrechts.87 In dogmatischer Hinsicht hat der Vorschlag des Entwurfs zur Einführung eines Verbandsstrafgesetzbuchs die bereits Jahrzehnte existierende Diskussion über die Möglichkeit der Bestrafung von Verbänden neu entfacht.88 Der Strafbarkeit von Verbänden steht der dogmatische „Fundamentaleinwand“ gegenüber, dass Verbände nicht handlungs- und schuldfähig seien, sodass eine Bestrafung prinzipiell ausgeschlossen sei. Damit eine Verbandsstrafbarkeit konstituiert werden könne, müsse insbesondere der Schuldgrundsatz auch im Verfahren gegenüber Verbänden anwendbar sein.89 Dies sei aber, wie das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil90 entschieden hat, nicht möglich. In einer (!) von 421 Ziffern führt das Bundesverfassungsgericht hier aus,91 dass das Schulderfordernis der Strafe mit der Eigenverantwortlichkeit des Menschen begründet ist.92 Diesem Argument kann aber entgegengehalten werden, dass die Frage nach der Strafbarkeit von Verbänden weniger eine dogmatische, sondern vielmehr eine kriminalpolitische ist. Die Entscheidung, wer Zurechnungssubjekt einer Strafe

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Vgl. Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (68). Vgl. Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (68 f.), insbesondere sei hierin keine Sippenhaft zu erkennen. 86 Vgl. Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (82 f.); insoweit besteht aber klar Nachbesserungsbedarf, vgl. auch Osterloh, Strafrechtsdogmatische und strafprozessuale Probleme bei der Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 114. 87 S. vertiefend Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (85). 88 Schünemann, StraFo 2018, 317 (317 f.), beschreibt die nun mehr 60 Jahre anhaltende Diskussion; für die Strafbarkeit von Verbänden: Hüper, Positionspapier Transparency International; a. A. Schünemann, ZIS 2014, 1 (1) der Entwurf sei ein „kriminalpolitische(r) Zombie“; Hein, CCZ 2014, 75 (76) m.w. N.; s. Schünemann, Rechtsgutachten zum Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen, der das negative Ergebnis seiner Bewertung bereits im Titel vorwegnimmt. Vgl. Schünemann, ZIS 2014, 1 (1); Schünemann, Rechtsgutachten zum Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen; Hein, CCZ 2014, 75 (76). 89 Schünemann, ZIS 2014, 1 (1). 90 BVerfGE 123, 267. 91 Jahn/Pietsch, ZIS 2015, 1 (2). 92 BVerfGE 123, 267 Rn. 364: „Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz. Dieser setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann.“ 85

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

ist, wird letztlich vom Gesetzgeber getroffen.93 In den Grenzen der Grund- und Menschenrechte kann der Gesetzgeber uneingeschränkt bestimmen und Recht setzen.94 Deshalb ist er grundsätzlich ebenfalls in der Lage, die Handlungs- und Schuldfähigkeit juristischer Person auch im Sinne einer originären Verantwortlichkeit für eine Betriebsführungsschuld zu normieren. Diese Normierung muss die Dogmatik dann verarbeiten.95 Außerdem spricht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht eindeutig gegen die Strafbarkeit von Verbänden. In der Bertelsmann-Lesering-Entscheidung96 wird ausgeführt, dass die juristische Person als solche zwar nicht handlungsfähig, eine strafrechtliche Inanspruchnahme aber gleichwohl möglich sei. Insoweit sei die Schuld der für sie verantwortlich handelnden Personen, maßgeblich.97 Unter Berücksichtigung dieser Argumente spricht die Strafrechtsdogmatik nicht gegen die Bestrafung von Unternehmen. bb) Strafrechtliche Legitimation Somit bleibt die Frage zu klären, ob eine Verbandsstrafbarkeit strafrechtlich zu legitimieren ist. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass eine Entbagatellisierung der Unternehmenskriminalität durch eine Loslösung aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht nicht spiegelbildlich zu einer Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts in toto führen darf. Deshalb muss eine Strafe für Verbände insgesamt mit dem Kriminalstrafrecht vereinbar sein.98 In anderen Worten muss auch die Strafe für Verbände in der Lage sein, die Ziel- und Zwecksetzung der Kriminalstrafe zu erfüllen.99 (1) Ausgangspunkt gesellschaftliches Rechtsempfinden? Als ein Ausgangspunkt zur Feststellung der Ziel- und Zwecksetzung der Institution Strafe wird teilweise das allgemeine Wert- und Rechtsempfinden der sozialen Rechtsgemeinschaft betrachtet.100 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass das Rechtsempfinden gestört sei, wenn das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsordnung nicht mehr bestehe. Erfülle Strafe hingegen das Rechtsgefühl von Recht und Unrecht der Allgemeinheit und des Einzelnen, wirke sich dies positiv auf das Gemeinwohl aus.101 Dann bestehe ein schützenswertes gesellschaftliches

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Vogel, StV 2012, 427 (427 f.). Vogel, StV 2012, 427 (428). 95 Vogel, StV 2012, 427 (428). 96 BVerfGE 20, 323. 97 BVerfGE 20, 323. 98 Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 24. 99 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 27. 100 Hassemer, Warum Strafe sein muss, S. 28 f. 101 Kohlhof, Die Legitimation eine originären Verbandsstrafe, S. 27. 94

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Rechtsgefühl, genannt „Basisvertrauen“.102 Das Rechtsempfinden einer Gesellschaft sei einem stetigen Wandel ausgesetzt, zu dem sich die Rechtsordnung akzessorisch verhalte.103 Somit sei das Strafrecht, das den Schutz des gesellschaftlichen Rechtsempfindens gewährleistet, gleichsam die „Visitenkarte der Gesellschaft“.104 Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sei es nur folgerichtig, dass das strafrechtliche Regelsystem geändert werden müsse, wenn sich das Rechtsempfinden der Gesellschaft ändert.105 An diese Vorstellung schließt sich die Frage an, ob Verbände das Rechtsemfinden der Gesellschaft in vergleichbarer Weise wie Individuen beeinträchtigen können. Verbände haben sich mittlerweile aufgrund der Konzentration ihrer Mitglieder zu einem „dominierenden Faktor des wirtschaftlichen Lebens entwickelt“.106 Sie sind aufgrund der damit verbundenen Macht in der Lage, ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Druck auszuüben.107 Verbände können erhebliche sozialethische Schäden anrichten. In anderen europäischen Ländern wie in Österreich oder der Schweiz haben einschneidende Ereignisse zu einer Einführung einer Verbandsstrafbarkeit beigetragen.108 In der Schweiz bspw. begünstigte eine Umweltkatastrophe Überlegungen zu einer strafrechtlichen Unternehmenshaftung. Hierbei kam es infolge eines Brandes in einem Chemiewerk zu einer erheblichen Verschmutzung des Rheins.109 In Österreich wurde die strafrechtliche Verantwortung juristischer Personen nach dem Brand einer Standseilbahn im Jahr 2000 in Kaprun, bei der 144 Menschen ums Leben kamen, eingeführt. Aus der breiten gesellschaftlichen Resonanz auf Fälle wie den VW-„Abgasskandal“ 110 oder die „Siemens-Schmiergeldaffäre“ 111 wird deshalb teilweise geschlossen, dass das Vertrauen der Gesellschaft erschüttert sei und somit bereits das Unternehmen als eigentlicher Täter oder Urheber eines Schadens wahrgenommen werde.112 Die Verhängung einer Geldbuße wird insoweit als nicht ausreichend betrachtet, da das gegenüber Unternehmen derzeit geltende Ordnungs102

Wolff, in: Strafrechtspolitik, S. 137 (213). Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 28. 104 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (846). 105 Kubiciel, ZRP 2014 (133) 134. 106 Dannecker, GA 2001, 101 (102). 107 Vgl. Kohlhof, Die Legitimation originärer Verbandsstrafe, S. 34; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 142. 108 Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 84 f. 109 Eidam, Unternehmen und Strafe, Kapitel 5 Rn. 546. 110 Vgl. exemplarisch FAZ, Diesel-Skandal, verfügbar unter: https://www.faz.net/ak tuell/wirtschaft/thema/diesel-skandal, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021. 111 Vgl. exemplarisch Die Zeit, Der Fall Siemens, verfügbar unter: https://www.zeit. de/2007/29/Der_Fall_Siemens, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021. 112 Kohlhof, Die Legitimation originärer Verbandsstrafe, S. 34 f. 103

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widrigkeitenrecht dem Rechtsbedürfnis der Gesellschaft nicht ausreichend Rechnung trage.113 Diese zunächst plausiblen Überlegungen geraten jedoch ins Wanken, wenn man berücksichtigt, dass in der Schweiz und in Österreich die dramatischen Ereignisse nur als erster Anstoß114 bzw. Katalysator für die Einführung einer Verbandsstrafbarkeit wirkten.115 Insbesondere der Entwurf des österreichischen VbVg (auch „Lex Kaprun“ genannt) existierte zum Zeitpunkt der Katastrophe bereits. Das Seilbahnunglück hat lediglich die Umsetzung beschleunigt und den politischen Boden geebnet, aber nicht direkt zu einer Unternehmensstrafbarkeit geführt.116 Diese Beispiele zeigen somit, dass einschneidende Ereignisse zwar das Rechtsempfinden der Bevölkerung beeinflussen und so Anteil an einer möglichen Gesetzesänderung haben können. Eine strikte kausale Verbindung zwischen einer möglichen Änderung des Rechtsempfindens der Bevölkerung aufgrund einer Katastrophe und der Einführung einer veränderten oder neuen Strafbarkeit besteht aber nicht. Zudem erscheint es nur schwer möglich, empirisch eine Änderung des Rechtsempfindens der Bevölkerung festzustellen. Dies gilt auch für den Gesetzgeber.117 Das allgemeine Rechtsempfinden kann somit nicht mehr als ein Ausgangspunkt sein. Der Einsatz von Strafe bedarf vielmehr einer über das Rechtsemfinden der Bevölkerung hinausgehenden, auch tatsächlich feststellbaren Legitimation. (2) Straftheorien Strafe greift am schwerwiegendsten und intensivsten in die Grundrechte und Freiheiten von Personen ein und bedarf aufgrund dieser Wirkung einer umfangreicheren Legitimation als die Zwangsmittel des öffentlichen Rechts oder des Zivilrechts.118 In formeller Hinsicht wird die Legitimation durch das verfassungsgemäße Zustandekommen eines Gesetzes hergestellt. In materieller Hinsicht ist hingegen die Zielsetzung der jeweiligen Norm relevant.119 Im Rahmen dieser Ziel- und Zwecksetzung wird deshalb auf die sogenannten Straftheorien zurückgegriffen, die als Erklärungsmodelle für den Zweck einer 113 Vgl. Kohlhof, Die Legitimation originärer Verbandsstrafe, S. 35 m.w. N.; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB, Vor § 81, Rn. 24. 114 Das Verbandsstrafrecht in der Schweiz wurde erst 2003 eingeführt. 115 Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 84 f. 116 Fuchs, ZfRSoz 34 (2014), 51 (69 ff.). 117 A. A. Kohlhof, Die Legitimation originärer Verbandsstrafe, S. 28. 118 Bock, JuS 1994, 89 (89); Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 7, 257. 119 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 2, Rn. 1.

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Strafe dienen.120 Zunächst kann insoweit zwischen absoluten und relativen Straftheorien unterschieden werden.121 (a) Absolute Straftheorien Absolute Straftheorien zeichnen sich dadurch aus, dass Strafe rein repressiv wirken soll.122 Der Strafzweck liegt in der Widerherstellung der Rechtsordnung, indem auf die Tat mit der Zufügung eines gerechten Übels reagiert wird. „Absolut“ bedeutet insoweit losgelöst von der gesellschaftlichen Wirkung der Strafe.123 Innerhalb dieser Theorien wird dann weiterhin zwischen Sühne- und Vergeltungstheorien unterschieden.124 An den absoluten Straftheorien wird hauptsächlich kritisiert, dass sie nicht in der Lage seien, den Sozialisationsschaden des jeweiligen Täters zu heilen.125 Darüber hinaus sei es außerhalb des Transzendenten nahezu nicht erklärbar, warum eine Welt besser sei, in der auf ein Opfer (die ursprüngliche Tat) mit einem weiteren Opfer (der Bestrafung) reagiert werden solle.126 (b) Relative Straftheorien Relative Straftheorien zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass Strafe präventiv wirken soll.127 Diese Zielsetzung stellt auch keinen Gegensatz zur grundsätzlich retributiven Institution Strafe dar. Die Strafzwecke beantworten vielmehr insgesamt die Frage „Strafe, wozu?“, sodass auch ein relativer und somit präventiver Begründungsansatz möglich ist.128 Die repressive Institution und die präventive Natur des Zwecks der Strafe bilden somit eine Einheit.129 „Relativ“ bedeutet, dass der Bestrafungsakt allein auf die Verhinderung weiterer Straftaten bezogen ist. Die Wirkung kann sowohl generalpräventiv, d. h. auf die Allgemeinheit bezogen, als auch spezialpräventiv130 und damit ausschließlich auf den Täter

120

Kohlhof, Die Legitimation originärer Verbandsstrafe, S. 40. Bock, JuS 1994, 89 (90). 122 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 21 f. 123 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 21 f. 124 Bekannteste Vertreter sind Kant und Hegel. Hegel wird zudem die Aussage zugeschrieben, Strafe sei die „Negation der Negation des Rechts“, vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz (von Eduard Gans) zu § 97. 125 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 25. 126 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 104 f. 127 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 23. 128 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 104 f. 129 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 1 S. 3. 130 S. a. zum Strafzweck der Resozialisierung Jahn/Schmitt-Leonardy, FS Streng, S. 499. 121

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bezogen sein.131 Weiter kann außerdem zwischen positiver und negativer General- und Spezialprävention132 unterschieden werden.133 Die relativen Theorien können grundsätzlich noch weiter in instrumentelle und kommunikative Theorien differenziert werden.134 Instrumentelle Theorien knüpfen unmittelbar an die verbrechensverhütende Wirkung des Strafrechts an und zielen auf einen psychologischen Mechanismus der Abschreckung ab.135 Kommunikative Theorien hingegen nehmen auf die Botschaft der Strafe und die Funktion, die ihr im gesellschaftlichen Verständnis von Kriminalität und Verbrechen zukommt, Bezug.136 Die Generalprävention bezieht sich hauptsächlich auf die kommunikative Funktion der Strafe. In diesem Sinne geht es insoweit vorrangig um die Einübung der Normachtung.137 Auch die relativen Theorien können nicht universell überzeugen. Kritikpunkt ist, dass sie nicht in der Lage seien, das konkrete Strafmaß zu begründen, und so zu unverhältnismäßigen Sanktionen führten.138 Eine langfristige Gefängnisstrafe ließe sich kaum aus rein präventiven Legitimationsgründen rechtfertigen.139 (c) Vereinigungstheorie Neben diesen Theorien existiert die in § 46 Abs. 1 StGB kodifizierte140 „Vereinigungstheorie“.141 Diese stellt eine Kombination aus absoluten und relativen Theorien dar, um so die jeweiligen Schwächen der einzelnen Theorien zu adressieren.142 Als vorherrschend innerhalb der Vereinigungstheorie wird die präventive Komponente erachtet, wonach die Strafe primär der Verhinderung weiterer Straftaten dienen soll (punitur ne peccetur) und nicht in einer bloßen Reaktion auf ein vergangenes Vergehen besteht (punitur quia peccatum est).143 Die Gesetz131

Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 23. Positive Generalprävention dient dazu, das Vertrauen der Allgemeinheit zu stärken; negative Generalprävention dient dazu, andere von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Positive Spezialprävention dient zur Besserung des Täters; negative Spezialprävention dient dazu, die Gesellschaft vor dem Täter zu schützen. 133 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 1 S. 4. 134 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 105. 135 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 105. 136 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 105, innerhalb der kommunikativen Theorien existiert darüber hinaus auch die Strömung der expressiven kommunikativen Theorien, vgl. Hörnle, Straftheorien, S. 31 ff. 137 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 105. 138 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 24 m.w. N. 139 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 107. 140 Krit. Kohlhof, Die Legitimation originärer Verbandsstrafe, S. 41. 141 BVerfGE 45, 187 (253); BGHSt 28 318 (326); Köhler, Strafrecht AT, S. 44. 142 Zum diesbezüglichen Konkurrenzverhältnis Martins, ZIS 2014, 514 (514). 143 Vgl. Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 268; MüKoStGB/Joecks/Erb, Einl. Rn. 73 ff.; MüKoStGB/Radtke, Vorb. zu § 3 Rn. 51 f. 132

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gebung setzt insoweit auf eine primär kriminalpolitische Richtung der Prävention.144 Das moderne Strafrecht ist somit hauptsächlich ein Mittel der Risikosteuerung, das zur Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme wie z. B. fortschreitender Globalisierung und Technologisierung oder zur Erfassung neuerer Kriminalitätsformen145 herangezogen wird.146 (3) Konkrete Legitimation des Entwurfs? Der Entwurf setzt zur Legitimation primär auf positive Generalprävention.147 Er folgt somit dem oben geschilderten Trend hin zu einem risikosteuerungsorientierten Strafrecht. Ziel ist, das Rechtsbewusstsein und das Vertrauen der Allgemeinheit zu stärken, damit sich die übrigen Gesellschaftsmitglieder selbst an Gesetze halten.148 Dies soll erreicht werden, indem die unbefriedigende momentane Situation, in der existierende Bußgelder keine ausreichende Präventivwirkung mehr erzeugen und ein kalkulierbares Risiko darstellen, beendet wird.149 In diesem Sinne stellt der Entwurf klar, dass er der folgenden Prämisse folgt: Je öffentlicher und je tadelnder Rechtsfolgen gegen Verbände ausgestaltet seien, desto eher würden diese sich normgetreu verhalten, um schädliche Auswirkungen für ihre Reputation zu vermeiden.150 Die Erwägungen beruhen auf der Vorstellung, dass Verbände sinnkonstituierte Gebilde seien, denen gegenüber Strafzwecke genauso wie gegenüber natürlichen Personen erreicht werden können.151 Das bedeute, dass die gesellschaftliche Erwartung in vergleichbarer Weise sowohl durch einen sich normwidrig verhaltenden Verband als auch durch einen sich normwidrig verhaltenden Menschen tangiert werden könne.152 Dem ist zu widersprechen. Der Entwurf vermag mit seinen Motiven nicht in Gänze zu begründen, wie die Bestrafung des Verbandes zu einer Stärkung und Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnungsmuster beitragen soll.153 Das mit dem 144

Kubink, Strafen und ihre Alternativen im zeitlichen Wandel, S. 686 f. Bspw. Daten-, Umwelt-, Wirtschafts- und organisierter Kriminalität. 146 Vgl. Kohlhof, Die Legitimation originärer Verbandsstrafe, S. 42 m.w. N. 147 NRW VerbStrG-E, S. 2, 27, 28. 148 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 23. 149 NRW VerbStrG-E, S. 2, 27. 150 Theile/Petermann, JuS 2011, 496 (496 ff.); Dannecker, FS Böttcher, S. 465 (483). 151 NRW VerbStrG-E, S. 30; Dannecker, FS Böttcher, S. 465 (484); Vogel, StV 2012, 427 (429). 152 S. Quante, Sanktionsmöglichkeiten gegen juristische Personen und Personenvereinigungen, S. 44 f.; Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 735 ff. 153 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 747 ff.; SchmittLeonardy, ZIS 2015, 11 (21). 145

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Vorwurf verbundene Unwerturteil, dass die jeweilige Tat auf kollektiven Verhaltensmustern und fehlerhafter Organisation (Verbandsattitüde)154 beruhe, setzt voraus, dass der Betroffene überhaupt in der Lage ist, rechtmäßig zu handeln. Der Verband müsste grundlegend zur Reflexion seines Verhaltens fähig sein.155 Unternehmen sind zwar eigenständige Akteure, verfügen jedoch nur über eine primitive Intentionalität. 156 Das bedeutet, sie sind nicht zu einer dem Menschen vergleichbaren Selbstreflexion im eigentlichen Sinne fähig, da sie nicht im selben Maße wie dieser kritische Distanz zu sich selbst aufbauen oder ihre Handlungsmuster zum Zeitpunkt der Tat anpassen können.157 Auf diese Weise sind sie von ihrer Ausgangskonstitution her nicht in der Lage, ihre Metaregeln zum Zeitpunkt der Tat zu aktualisieren oder überhaupt in Beziehung zu setzen. Sie sind „naturgemäß“ nicht im Sinne einer positiven Generalprävention fähig, Gewähr für ein konstant rationales Handeln zu geben oder eine dem Menschen vergleichbare Geltungsreflexion aufzuweisen. Den Verband der vom Entwurf vorgesehenen weiten Erfolgshaftung auszusetzen, vermag das Rechtsempfinden der Allgemeinheit nicht zu stärken.158 Eine positive generalpräventive Legitimation des Entwurfs ist somit von der Grundkonstitution des Unternehmens her unmöglich. (4) Exkurs: Verbandsschuld Auch bezüglich der vom Entwurf vorgesehenen Schuld des Verbandes, die als Korrektiv159 die Strafe von bloßen Präventionsmodellen abgrenzt und diese in ein angemessenes Verhältnis setzt, bestehen grundlegende Bedenken.160 Die Verbandsstrafbarkeit und die Verbandsschuld müssten in der Lage sein, dass bestrafte Unrecht als solches zu bezeichnen.161 Die vom Entwurf vorgeschlagene Verbandsschuld beruht zunächst auf der Abkehr von der klassischen Zurechnungslehre162 und der Annahme einer eigenständigen Verbandsschuld.163 Grundidee des Gesetzesentwurfs ist die Sanktionierung eines spezifischen Verbandsunrechts, das auf einer unzureichenden Organisation des Verbandes beruht und kriminelles Verhalten duldet, begünstigt oder provo154

Vgl. NRW VerbStrG-E, S. 2; vgl. Schünemann, wistra 1982, 41 (45). Vgl. Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 200; Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 137. 156 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 750. 157 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (255). 158 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (21). 159 S. u. a. BVerfGE 20, 323; BGHSt 20, 264 (266). 160 Vgl. Kohlhoff, Die Legitimität einer originären Verbandsstrafe, S. 88 f. 161 Vgl. Jakobs, in: Strafe muss sein! Muss Strafe sein?, S. 29 (32). 162 Die auch § 30 OWiG nach h. M. zugrunde liegt. 163 Hoven, ZIS 2014, 19 (20). 155

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ziert. Dementsprechend soll der Verband für die Fehlentwicklungen verantwortlich sein, die Folgen seiner fehlerhaften Organisation sind.164 Die Verbandsschuld soll auch dann die Sanktionierung des Verbandes ermöglichen, wenn die maßgebliche natürliche Person selbst wegen einer Straftat/Ordnungswidrigkeit nicht zur Verantwortung gezogen werden165 oder der Individualtäter nicht Adressat des § 14 StGB sein kann.166 Auf diese Weise soll auf eine zivilrechtlich anmutende Zuschreibung fremder Schuld auf den Verband verzichtet werden.167 Somit wird der Anknüpfungspunkt der Schuld grundlegend verändert. Die als soziale Verantwortung für eine die Begehung von Unrecht begünstigende Organisationsstruktur verstandene Verbandsschuld ist nicht mit der Schuld einer individuellen Normverletzung vergleichbar.168 Dies wird insbesondere daran deutlich, dass das Unternehmen letztlich nicht wegen einer Zuwiderhandlung in Gestalt einer Normübertretung, sondern aufgrund einer mangelnden Gewährleistung rechtstreuen Verhaltens bestraft werden soll. § 2 Abs. 1 NRW VerbStrG-E pönalisiert, dass es zu Verstößen von Entscheidungsträgern gegen geltende Strafgesetze überhaupt erst kommen konnte, weil sich ihre Auswahl „für ihre Funktion oder für die Rolle als Organ oder Vertreter von Anfang an als fehlerhaft“169 erwiesen hat.170 Damit wird der Vorwurf gegenüber dem Unternehmen ausschließlich auf eine mangelnde Organisation beschränkt. Auf diese Weise kommt gerade nicht zum Ausdruck, dass Unternehmenskriminalität Rechtsgutsverletzungen aller Art ausgehend von sämtlichen Ebenen des Unternehmens, die einen Unrechtsgehalt bis hin zum Totschlag oder der Körperverletzung aufweisen können, umfassen kann.171 Die Verbandsschuld und somit die Verbandsstrafbarkeit des Entwurfs eines Verbandsstrafgesetzbuchs sind somit nicht in der Lage, eine klare Bezeichnung des Unrechts zu leisten. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Verbandsstrafbarkeit nicht in der Lage ist, das Koinzidenzprinzip zu wahren. Letzteres besagt, dass zum Zeitpunkt der Tat gleichzeitig Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld vorliegen müssen.172

164

NRW VerbStrG-E, S. 43. So sollen Strafbarkeits- und Haftungslücken geschlossen werden, wenn z. B. bei mehreren Entscheidungsträgern nicht aufgeklärt werden kann, wer für die maßgebliche Zuwiderhandlung verantwortlich ist. 166 NRW VerbStrG-E, S. 43 f. 167 Hoven, ZIS 2014, 19 (21). 168 Hoven, ZIS 2014, 19 (21). 169 NRW VerbStrG-E, S. 45. 170 Vgl. Hoven, ZIS 2014, 19 (21 f.); BRAK Stellungnahme Nr. 15/2014, S. 10. 171 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19). 172 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 641. 165

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Insoweit kann es zu Problemen im Zusammenhang mit der Anknüpfung der Verantwortlichkeit des Verbandes an das Verhaltensdefizit eines Entscheidungsträgers kommen.173 Die vom Entwurf vorgesehene Verbandsschuld impliziert, dass eine Reihe von anfänglichen Fehlentscheidungen in ihrer Gesamtheit zu einer Rechtsgutsverletzung geführt hat. Dies ist mit den im Strafrecht maßgeblichen Normen des § 16 i.V. m. § 8 StGB nicht vereinbar. Das Organisationsverschulden, das auf diese Weise zum Ausdruck kommen soll, kann die notwendige Koinzidenz von Unrecht und Schuld nicht herstellen.174 Die Konzeption erlaubt es gerade nicht, eindeutig zu bestimmen, in welcher Handlung die schuldhafte Organisation genau liegt. Stattdessen handelt es sich tatsächlich um das Eingehen eines Risikos des Verbandes, das außerhalb der Gefährdungstatbestände nicht strafbar ist.175 Das bedeutet, dass eine weitere Ausnahme176 vom Koinzidenzprinzip nötig wäre, um die Verbandsschuld für eine konkrete Rechtsgutsverletzung aufgrund einer zeitlich gestreckten Unternehmenstat zu konstruieren.177 Um das zu gewährleisten, müsste ein hinreichend konkreter Zurechnungszusammenhang zum Verband geschaffen werden, der eine angemessene Berücksichtigung des Faktors „Risiko“ beinhaltet.178 Wenn das nicht gelingt, bleibt nur eine Art Lebensführungsschuld oder Charakterschuld für den Verband übrig.179 Diese mit der individuellen Schuld gleichzusetzen, stellt eine Verwässerung strafrechtlicher Grundprinzipien dar. cc) Zwischenergebnis Das Verbandsstrafgesetzbuch ist somit zwar verfassungsgemäß und dogmatisch möglich, aber nicht strafrechtlich legitimierbar. Der Entwurf erfüllt die Ziel- und Zwecksetzung der Kriminalstrafe nicht.180 Die Folge einer sich über diese Tatsachen hinwegsetzenden Kodifizierung wäre zwar die Entbagatellisierung der Unternehmenskriminalität, aber gleichzei173 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19) m.w. N., nicht problematisch ist jedoch das grundsätzliche Vorliegen einer Anknüpfungstat. 174 S. Jerouschek/Kölbel, JuS 2001, 417. 175 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (20). 176 Bekannteste Ausnahme in diesem Zusammenhang ist die actio libera in causa. 177 Vgl. Streng, FS Beulke, S. 323 (325), der für ein weiter gefasstes Koinzidenzprinzip eintritt, das nicht im Sinne einer naturalistischen Koinzidenz Gleichzeitigkeit fordert. 178 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (20), von dieser sollte aber aus verschiedenen Gründen abgesehen werden, u. a., weil eine kontextangemessene Bewertung des Faktors „Risiko“ im Zurechnungszusammenhang nur schwer möglich ist, vor allem, weil im Unternehmensbereich eine Risikofreiheit oder ein „Total Quality Management“ nahezu unmöglich ist. 179 Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 665. 180 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 27.

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tig auch die zumindest stückweise Preisgabe des Kriminalstrafrechts und somit eine neue und schwerwiegendere Bagatellisierung. Dieser dysfunktionale Missbrauch des Strafrechts und die Entwertung des spezifisch an Individuen gebundenen Strafrechts sollten vermieden werden.181 d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität Der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen möchte das Unternehmen im Rahmen der Erfassung von Unternehmenskriminalität in das Zentrum der Strafverfolgung rücken.182 Aus diesem Grund soll auf eine reine Zurechnung eines nach außen erkennbaren Fehlverhaltens eines Entscheidungsträgers verzichtet werden.183 Vielmehr soll neben die Zuwiderhandlung des Entscheidungsträgers eigenständig das vorwerfbare Verhalten des Verbandes treten.184 Dem Unternehmen wird dabei der spezifische Vorwurf einer mangelhaften Personalauswahl oder eines mangelhaften Aufgabenzuschnitts gemacht.185 Konkretisiert bedeutet dieser Vorwurf, dass der Verband sich eine unzureichende Organisation gibt, die kriminelles Verhalten duldet, begünstigt oder gar provoziert. Diese Risiken zu vermeiden, ist die Aufgabe des Verbandes. Wenn er dazu nicht in der Lage ist und sich das so geschaffene Risiko realisiert, ist der Verband zu sanktionieren. Letzterer verwirklicht dann eine originäre Verbandsschuld.186 Somit soll somit keine Gleichsetzung von Entscheidungsträger und Verband erfolgen. Vielmehr sollen beide in einem vollkommen unterschiedlichen Kontext betrachtet werden, der die intendierte Differenzierung deutlich macht.187 Diesen Gedanken kann der vom Entwurf vorgeschlagene Gesetzeswortlaut aber nicht gerecht werden. Tatsächlich ist § 2 VerbStrG-E stark an den bereits bestehenden §§ 30 und 130 OWiG orientiert und gibt diese fast wörtlich wieder.188 Die Zuwiderhandlung und ein konkretes Verschulden des Verbandes spiegeln sich nicht im Tatbestand wider. Eine Verbandsschuld ist überhaupt nicht nötig, um den Tatbestand zu erfüllen.189 Relevant ist vielmehr erneut ausschließlich 181 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (21); Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, Rn. 55, die sogar die Bestrafung von juristischen Personen mit der Bestrafung von Tieren vergleicht. 182 Vgl. NRW VerbStrG-E, S. 2. 183 Vgl. NRW VerbStrG-E, S. 43. 184 Vgl. NRW VerbStrG-E, S. 43; Hoven, ZIS 2014, 19 (21). 185 Vgl. NRW VerbStrG-E, S. 45. 186 Vgl. NRW VerbStrG-E, S. 43. 187 Vgl. Osterloh, Strafrechtsdogmatische und strafprozessuale Probleme bei der Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 104. 188 Vgl. Osterloh, Strafrechtsdogmatische und strafprozessuale Probleme bei der Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 103, 114. 189 Vgl. Osterloh, Strafrechtsdogmatische und strafprozessuale Probleme bei der Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 114, und zur Vereinbarkeit dieser Tatsache mit dem Schuldgrundsatz, S. 109 ff.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

die Anknüpfung an den jeweiligen Entscheidungsträger und seine Zuwiderhandlung. Dies führt zu einer mit § 30 OWiG vergleichbaren Situation, in der dann in einem nächsten Schritt an den jeweiligen Rechtsträger angeknüpft wird. Auf diese Weise kann erneut nur das Unrecht des Unternehmensträgers, der über seine Repräsentanten mit der Außenwelt kommuniziert, und nicht wie vom Entwurf intendiert das originäre Verbandsunrecht erfasst werden.190 Letztlich entspricht das vom Entwurf intendierte „spezifische Verbandsunrecht“ somit aufgrund der Pauschalität seiner Konzeption der bereits im Zusammenhang mit § 30 OWiG kritisierten Erfolgshaftung.191 Von einer individuellen Zuwiderhandlung wird auf ein Organisationsverschulden des Verbandes geschlossen und so der Verband für eine Straftat des Entscheidungsträgers ohne Nachweis eines Organisationsfehlers haftbar gemacht.192 Daran kann auch das Absehen von Strafe nach § 5 VerbSG-E nichts ändern. Dadurch kommt es höchstens zu einer verfassungskonformen Beweislastumkehr.193 3. Zwischenergebnis Im Endeffekt stellt der Entwurf somit keine revolutionäre Umwälzung der Rechtslage dar. Der Anwendungsbereich der §§ 30, 130 OWiG wird nur minimal verändert.194 Die identifizierten Kritikpunkte werden nur teilweise adressiert und das bestehende Regelungskonzept lediglich in seiner Sanktionsintensität erweitert. Diese stärkere Pönalisierung durch die Androhung hoher Sanktionssummen verstärkt aber nur die normative abstrakte Forderung einer guten, anderen oder besseren Organisation, die den Vorfall hätte vermeiden können.195 Außerdem sollte eine mit der Entbagatellisierung der Verbandskriminalität einhergehende Bagatellisierung des Strafrechts durch die Einführung einer Verbandsstrafe und Verbandsschuld vermieden werden. Insbesondere die weiterhin mangelnde Adressierung der Unternehmenskriminalität an sich, die bereits im Zusammenhang mit §§ 30, 130 OWiG festgestellt wurde, führt zu der Einschätzung, dass das angebotene Konzept der Verbandsstrafbarkeit nicht in der Lage ist, eine Verbesserung zur Rechtslage de lege lata herbeizuführen.

190

Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19). Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (20). 192 Kubiciel, ZRP 2014, 133 (137); s. a. Hoven, ZIS 2014, 19 (21); s. a. Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (83), dies stelle ein zu weit gehendes gesetzgeberisches Konzept der Risikoerhöhung dar; Osterloh, Strafrechtsdogmatische und strafprozessuale Probleme bei der Einführung und Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit, S. 109 f. 193 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (20). 194 So auch Wagner, ZGR 2016, 112 (123). 195 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (258). 191

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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II. Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes Der „Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes“ (Kölner VerbSG-E) wurde am 6.12.2017 von der Forschungsgruppe Verbandsstrafrecht der Professoren Henssler, Hoven, Kubiciel und Weigend (Gründer der Forschungsgruppe „Verbandsstrafrecht – Praktische Auswirkungen, theoretische Rückwirkungen“) vorgestellt. Er soll die Sanktionierung von Verbänden für verbandsbezogene Straftaten sowie die diesbezüglichen Verfahrensfragen regeln. Der Entwurf beruht auf einer deutschlandweiten Untersuchung der Anwendung des geltenden Rechts sowie einer rechtsvergleichenden Praktikerbefragung in den USA und Österreich und wurde von einer Expertengruppe aus Wissenschaftlern, Vertreten von Verbänden und der Rechtspraxis begleitet. Die Entwurfsverfasser heben insgesamt die „dezidiert spezialpräventive Ausrichtung“ des Entwurfs hervor, die auf eine Strukturverbesserung des jeweiligen Verbandes abziele. Die Sanktion sei nur Ultima Ratio und enthalte ein an das Strafverfahrensrecht angepasstes Niveau an Verteidigungsrechten.196 Insgesamt versteht sich der Entwurf als wissenschaftlicher Beitrag zur Entwicklung eines effektiven und praktikablen Gesetzgebungsmodells.197 1. Wesentlicher Entwurfsinhalt Zentrale Norm des Kölner Entwurfs ist § 3 Kölner VerbSG-E. Die Norm unterscheidet zwischen Verfehlungen von Leitungspersonen eines Verbandes einerseits und seiner Mitarbeiter andererseits. Eine Verfehlung nach § 3 Abs. 1 Kölner VerbSG-E liegt dann vor, wenn eine Leitungsperson in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft bzw. fahrlässig, eine verbandsbezogene Zuwiderhandlung begangen hat. Von einer Sanktionierung kann jedoch in bestimmten „Exzessfällen“ abgesehen werden. Die Sanktionierung des Verbandes aufgrund der Zuwiderhandlung eines Mitarbeiters knüpft an das Fehlverhalten der Leitungsperson an, die die Zuwiderhandlung ermöglicht oder wesentlich erleichtert hat, indem sie erforderliche und zumutbare Maßnahmen unterlassen hat. Begrenzendes Kriterium soll dabei der Verbandsbezug sein. Nur wenn dieser bejaht werden kann, habe nicht das Individuum gehandelt, sondern der Organisationskreis des Verbandes sei aktiv gestaltet worden.198 Die Begrenzung auf Leitungspersonen solle gleichzeitig dafür sorgen, dass der Anwendungsbereich der Norm nicht zu ausufernd werde.199 Vom Anwendungs-

196 Kölner VerbSG-E, S. 2, 22, es soll gerade nicht die Abschreckung des Verbandes im Mittelpunkt stehen, sondern der Verband angehalten werden, ein „Good Corporate Citizen“ zu werden. 197 Henssler/Hoven/Kubiciel, NZWiSt 2018, 1 (8). 198 Krit. Schünemann, StraFo 2018, 317 (324); Rübenstahl, WiJ 2018, 111 (135). 199 Kölner VerbSG-E, S. 22.

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bereich werden nunmehr auch juristische Personen des öffentlichen Rechts und gemeinnützige juristische Personen erfasst.200 Nach § 3 Abs. 1 Kölner VerbSG-E ist für die eigene Straftat einer Leitungsperson schuldhaftes und vorsätzliches Handeln erforderlich, während für die Aufsichtspflichtverletzung nach Abs. 2 eine objektiv tatbestandsmäßige, rechtswidrige Zuwiderhandlung des Mitarbeiters und eine objektive Verletzung der Aufsichtspflicht ausreichend sind.201 Somit kann die objektiv fahrlässige Ermöglichung von Vorsatzdelikten zu einer Sanktionierung von Unternehmen führen.202 Die Verbandssanktion der Verbandsgeldzahlung ist in § 4 Kölner VerbSG-E geregelt. Die umsatzbezogene Geldbuße ist in ihrer Höhe auf 15 Prozent des Umsatzes des Verbandes beschränkt. Zugrunde zu legen ist dabei der durchschnittliche Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre vor dem Ende der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Einheit. Der Entwurf verwendet das Wort „Strafe“ nicht, stellt aber klar, dass grundsätzlich auch nichts gegen die Einführung einer Strafe gegenüber juristischen Personen spreche.203 Nach § 5 Kölner VerbSG-E kann die Geldzahlung zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn die Erfüllung von Auflagen und ein künftig rechtstreues Verhalten zu erwarten sind. Insbesondere die folgenden Auflagen kommen in Betracht: die Wiedergutmachung des entstandenen Schadens und die Durchführung technischer, organisatorischer und personeller Maßnahmen, die geeignet sind, weitere Verbandsverfehlungen zu vermeiden. Für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit kann darüber hinaus das Gericht einen sachkundigen oder unabhängigen Monitor bestellen, der die Erfüllung der Auflagen überwacht und dem Gericht Bericht erstattet. Nach § 7 Kölner VerbSG-E, der auf §§ 73 bis 76b StGB verweist, ist außerdem die Einziehung des durch die Verbandsverfehlung Erlangten möglich. Neben diesen materiellen Regelungen enthält der Entwurf auch prozessuale Regelungen wie z. B. die Ermittlungspflicht nebst korrespondierenden Einstellungsmöglichkeiten,204 eine verbesserte Verfahrensstellung des Verbandes und Regelungen zur Durchführung von internen Untersuchungen.205

200

Krit. Rübenstahl, WiJ 2018, 111 (116 ff.). Es kommt insoweit nicht auf die Rechtswidrigkeit und Schuld der Aufsichtsperson an. 202 Krit. Schünemann, StraFo 2018, 317 (324); Rübenstahl, WiJ 2018, 111 (135). 203 S. ausf. Kölner VerbSG-E, S. 22 f., auch unter Hinweis auf den nicht mehr existierenden Unterschied zum Ordnungswidrigkeitenrecht. Allerdings könne durch den neutralen Begriff der Sanktion die semantische Distanz zum Individualstrafrecht betont und politischer Widerstand vermieden werden. 204 Vgl. §§ 13 ff. Kölner VerbSG-E. 205 Vgl. § 17 Kölner VerbSG-E, § 18 Kölner VerbSG-E, § 19 Kölner VerbSG-E. 201

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2. Analyse Fraglich ist nun, ob der Kölner Entwurf in der Lage ist, eine Verbesserung zur momentanen Rechtslage darzustellen. a) Zu schwache Rechtsfolge Wie bereits der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen zielt auch der Kölner Entwurf darauf ab, die zu schwache Rechtsfolge des § 30 OWiG über die Einführung einer umsatzbezogenen Verbandssanktion zu adressieren. Diese ist auf 15 Prozent des durchschnittlichen Unternehmensumsatzes der vergangenen drei Geschäftsjahre begrenzt und bemisst sich unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Einheit, womit der Konzernumsatz maßgeblich ist.206 Auf diese Weise können die Flexibilität im Rahmen der Sanktionszumessung erhöht und die konkrete Tat sowie die Unternehmensgröße berücksichtigt werden. Insgesamt sieht der Entwurf durch die hohe Umsatzgrenze207 und die parallel mögliche Einziehung nach § 7 VerbSG-E eine starke Sanktionierung von Unternehmen vor.208 Im Vergleich zur aktuellen Rechtslage kommt es zu einer gesteigerten Belastung für Unternehmen,209 die insgesamt zu Zweifeln an der vom Entwurf vorgesehenen „Neutralität“ 210 der Geldzahlung berechtigt.211 b) Anwendungsdefizit Die bezüglich der Anwendung der Normen des Ordnungswidrigkeitenrechts bestehenden Probleme versucht der Kölner VerbSG-E durch die Einführung einer Ermittlungspflicht zu adressieren.212 Wie auch schon beim Entwurf aus Nordrhein-Westfalen bleibt der Erfolg dieser Änderung jedoch unklar, denn die schlechte Ressourcensituation und die unzureichende Ausstattung der Verfolgungsbehörden und Gerichte, die auf umfassend verteidigte Unternehmen treffen, werden auf diese Weise nicht verändert.213 206

§ 4 Kölner VerbSG-E, S. 4 f. Im Vergleich zum Entwurf aus Nordrhein-Westfalen liegt eine Steigerung um 5 Prozent vor. 208 Kämpfer/Knauer, LTO 14.12.2017, es komme auf diese Weise zu unkalkulierbaren Folgen insbesondere für wirtschaftsschwächere Unternehmen. 209 Kämpfer/Knauer, LTO 14.12.2017; Fragen wirft darüber hinaus auf, dass Kubiciel und Hoven die parallele Anwendung von Einziehung und Geldbuße im geltenden Recht kritisieren, s. Kubiciel/Hoven, Die Zeit, 18.1.2018, S. 12. 210 Vgl. Kölner VerbSG-E, S. 23. 211 Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (66). 212 S. § 13 Kölner VerbSG-E, Kölner VerbSG-E, S. 8. 213 Vgl. Köllner/Cyrus, NZI 2018, 18 (21); vgl. auch Grützner, CCZ 2015, 56 (59) und Rübenstahl, WiJ 2018, 111 (113), die auf die mangelnde Umsetzung von RiStBV Nr. 180a Abs. 1, S. 1 hinweisen. 207

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Im Gegenteil wird durch die Einführung eines Verfolgungszwangs die bereits angespannte Ressourcensituation der Staatsanwaltschaft und Gerichte weiterverschärft. Der nun maßgebliche Anfangsverdacht wird durch jede betriebsinterne Störung des Produktions- oder Geschäftsablaufs erreicht, sodass eine erhöhte Arbeitsbelastung zu erwarten ist. Die mit der Ermittlungspflicht korrespondierenden Einstellungsvorschriften hingegen weisen einerseits insgesamt hohe Anforderungen auf 214 und sehen andererseits ausschließlich eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft vor. Eine Einstellung durch das erkennende Gericht ist nicht mehr möglich, da durch § 14 Abs. 1 VerbSG-E die §§ 153 bis 154f StPO nicht anwendbar sind.215 Eine Entlastung der Justiz ist somit nicht zu erwarten, lediglich der Kooperationsdruck für Unternehmen im Ermittlungsverfahren steigt.216 Ob die von dem Entwurf geplanten Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die sich wiederum aus Einnahmen durch Unternehmenssanktionen refinanzieren sollen,217 diesen Arbeitsaufwand erbringen können, erscheint fraglich. Die Anwendung des Unternehmenssanktionsrechts kann somit nicht allein durch die Einführung des Legalitätsprinzips sinnvoll gestärkt werden. c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität Ob sich an der Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität, die grundsätzlich mit der Einordnung in das Ordnungswidrigkeitenrecht einhergeht, durch die Einführung eines eigenen Verbandssanktionsgesetztes etwas ändert, hängt primär von der Einstufung der Sanktionsqualität der vom Entwurf vorgesehenen Geldzahlung ab. Eine gestärkte Sanktionsqualität könnte der Bagatellisierung entgegenwirken. Der Kölner Entwurf selbst bezeichnet seine Geldzahlung als „neutrale“ Sanktion.218 An dieser Klassifizierung bestehen aber aus verschiedenen Gründen Zweifel. Der Entwurfstext verhält sich insgesamt unklar219 und gibt insoweit zu, 214

S. § 14 VerbSG-E, Kölner VerbSG-E, S. 8 f. Vgl. Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (66), die insoweit ein Problem mit dem Ultima-Ratio-Prinzip sehen. 216 Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (314), um einem erheblichen Reputationsschaden zu entgehen. 217 Kölner VerbSG-E, S. 26. 218 Kölner VerbSG-E, S. 23. 219 Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (314), der Entwurf spricht in § 1 Kölner VerbSG-E von verbandsbezogenen Straftaten, in § 3 Abs. 1 S. 1 Kölner VerbSG-E hingegen von der Anknüpfung an verbandsbezogene Zuwiderhandlungen. Außerdem begründe er die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft und der Wirtschaftsstrafkammern und verweist auf die StPO; s. a. Schünemann, StraFo 2018, 317 (325); Kölbel, NZWiSt 2018, 407 (411), der feststellt, dass die Sanktionsqualität ein Mehr als das Ordnungswidrigkeitenrecht sein soll, aber offenlässt, ob durch das Wort Sanktion nur terminologisch kaschiert oder tatsächlich eine andere Rechtsqualität geschaffen werden soll. 215

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dass die Signalwirkung einer „Verbandsstrafe“ höher gewesen wäre.220 Man habe sich mehr aus politischen Gründen gegen die Bezeichnung als „Strafe“ und für den Begriff der „Sanktion“ entschieden.221 Somit erscheint es möglich, dass es sich bei der Geldzahlung tatsächlich um eine Strafe handelt.222 aa) Sanktionsqualität der Geldzahlung Um die Qualität einer Sanktion als Strafe feststellen zu können, ist es zunächst wichtig, sich klarzumachen, dass es insoweit um die Institution Strafe an sich und nicht um die Strafzwecke geht. Die Institution Strafe ist in ihrer Grundausrichtung repressiv. Der mit der Strafe verfolgte Zweck hingegen kann gleichzeitig präventiv sein.223 Die Institution Strafe wird grundsätzlich als die Belastung einer Person als Reaktion auf ein missbilligendes Verhalten, d. h. als Retribution, verstanden. Sie beantwortet somit die Frage: Wofür wird jemand bestraft? Die Strafzwecke hingegen befassen sich mit der Frage: Wozu wird jemand bestraft?224 Konstitutiv für das Vorliegen der Institution Strafe können die sogenannten „Engel-Kriterien“225, die an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Begriff des Strafrechts angelehnt sind, betrachtet werden. Sie werden seit dem Urteil Engel u. a. gegen die Niederlande aus dem Jahr 1976226 verwendet, um festzustellen, ob eine strafrechtliche Anklage vorliegt.227 Insoweit kommt es (1) auf die formale Zuordnung der Sanktion im nationalen Recht, (2) die Natur der Sanktion und (3) die Art und Schwere der Sanktion an.228 Die Europäische Menschenrechtskonvention erlaubt es ihren Mitgliedsstaaten grundsätzlich, frei zu entscheiden, was Disziplinarrecht und was Strafrecht ist. Daraus folgt jedoch gerade nicht, dass die Mitgliedsstaaten wählen können, wel220

Kölner VerbSG-E, S. 23. Kölner VerbSG-E, S. 23. 222 S. a. Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (65), die von einem weiteren Vorschlag zur Einführung eines deutschen Unternehmensstrafrechts sprechen. 223 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 104 f. 224 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 103. 225 EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Beschwerde-Nr. 5100/71, Urteil vom 8.6.1976, Rn. 82, bestätigt in EGMR, Jussilia gegen Finnland, Beschwerde-Nr. 73053/1, Urteil vom 23.11.2006, Rn. 30 ff.; EGMR, Ezeh and Connors gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 39665/98 und 40086/98, Urteil vom 15.7.2002, Rn. 99. 226 EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Beschwerde-Nr. 5100/71, Urteil vom 8.6. 1976. 227 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 19. 228 Vgl. EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Beschwerde-Nr. 5100/71, Urteil vom 8.6.1976, Rn. 82, bestätigt in EGMR, Jussilia gegen Finnland, Beschwerde-Nr. 73053/1, Urteil vom 23.11.2006, Rn. 30 ff.; EGMR, Ezeh and Connors gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 39665/98 und 40086/98, Urteil vom 15.7.2002, Rn. 99. 221

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ches Verhalten zur Anwendung der Art. 6 und 7 EMRK229 führt. Somit steht ihnen gerade nicht frei, die Anwendbarkeit der Artikel durch eine Entscheidung hin zum Disziplinarrecht auszuschließen. Die Autonomie des Begriffs „strafrechtlich“ besteht folglich nur in eine Richtung.230 Aus diesem Grund muss der Gerichtshof in der Lage sein, festzustellen, ob eine strafrechtliche Anklage vorliegt, auch wenn der jeweilige Mitgliedsstaat ihr bloßen Disziplinarcharakter zumisst.231 Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof betrachtet die Kriterien grundsätzlich alternativ. Die Kriterien zwei und drei können jedoch auch kumulativ betrachtet werden, wenn die Analyse der einzelnen Merkmale nicht zu eindeutigen Ergebnissen führt.232 Einer vollständig voneinander getrennten Prüfung und der Annahme, dass es ausreiche, wenn nur eines der Kriterien erfüllt sei, kann auch aufgrund des unterschiedlichen Inhalts und Stellenwerts in der Judikatur nicht vollumfänglich zugestimmt werden.233 Dem ersten Kriterium, der Zuordnung im nationalen Recht, kommt die geringste Bedeutung zu.234 Es stellt lediglich den Ausgangspunkt der Untersuchung, ob es sich um eine strafrechtliche Anklage handelt, dar.235 Von Art. 6 EMRK ist somit in jedem Fall das gesamte Kriminalstrafrecht des jeweiligen Mitgliedsstaats erfasst.236 Diese Kriterien und Erwägungen sollen nunmehr herangezogen werden, um zu überprüfen, ob eine strafrechtliche Sanktion vorliegt. (1) Formale Zuordnung im nationalen Recht; Bezeichnung der Sanktion Die Strafen des Kriminalstrafrechts werden grundsätzlich anhand ihrer Bezeichnung und formalen Zuordnung von anderen Sanktionen abgegrenzt.237 Die Hauptstrafen des Strafrechts sind die Freiheits- und die Geldstrafe.238 229 Art. 6 EMRK beinhaltet das Recht auf ein faires Verfahren, Art. 7 EMRK beinhaltet den Grundsatz keine Strafe ohne Gesetz. 230 EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Beschwerde-Nr. 5100/71, Urteil vom 8.6. 1976, Rn. 81. 231 EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Beschwerde-Nr. 5100/71, Urteil vom 8.6. 1976, Rn. 82. 232 EGMR, Janosevic gegen Schweden, Beschwerde-Nr. 34619/97, Urteil vom 23.3. 2002, Rn. 67; EGMR, Ziliberberg gegen Moldawien, Beschwerde-Nr. 61621/00, Urteil vom 1.5.2005, Rn. 31. 233 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 25. 234 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 20, vor allem in der Praxis sei die Bedeutung des Kriteriums gering. 235 EGMR, Adolf gegen Österreich, Beschwerde-Nr. 8269/78, Urteil vom 26.3.1982, Rn. 30. 236 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 20. 237 Roxin/Greco, Strafrecht AT, Teil 1, § 1 Rn. 2. 238 MüKoStGB/Joecks/Erb, Einl., Rn. 4.

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Betrachtet man die in § 4 VerbSG-E geregelte Verbandssanktion der Geldzahlung bezüglich des ersten Kriteriums, entscheidet sich der Entwurf selbst aus unterschiedlichen Gründen239 expressis verbis gegen eine strafrechtliche Zuordnung.240 Nach der nationalen Zuordnung liegt kein Strafrecht vor. Bei der Geldzahlung handelt es sich formal und der Bezeichnung nach nicht um eine Strafe. (2) Natur der Sanktion Das zweite Kriterium, die Natur der Sanktion, hat für die Entscheidung, ob es sich um eine strafrechtliche Sanktion handelt, größeres Gewicht. Bei der Natur der Sanktion geht es um die im Inhalt der anzuwendenden Regelung zum Ausdruck gebrachte Art der Sanktion.241 Wenn die in der Vorschrift angedrohte Sanktion sowohl einen abschreckenden (präventiven) als auch einen repressiven Charakter aufweist, kann eine Strafe angenommen werden.242 Die Basis dieser Zuordnung bildet zunächst die Strafvorschrift selbst und nicht die unter sie zu subsumierende Handlung.243 Für die Natur der Sanktion sind insbesondere der Regelungsgegenstand und dabei besonders der sachliche und persönliche Anwendungsbereich von Bedeutung. Wenn sich die Regelung wenigstens potenziell gegen die Allgemeinheit richtet, spricht dies für einen strafrechtlichen Charakter.244 Auf Rechtsfolgenseite sind Art und Ziel der Sanktion von Bedeutung, relevant ist folglich, welche Funktion der Sanktion im Rechtssystem insgesamt zukommt, nicht die im Einzelfall konkret verhängte Sanktion.245 Weitere Indizien ergeben sich auch aus dem Verfahren selbst, z. B. aus der Durchführung eines Verhörs durch Kriminalbeamte der Polizei oder durch die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Der tatbestandliche Anwendungsbereich der §§ 3, 4 VerbSG-E erfasst zunächst potenziell die Allgemeinheit der Verbände, sodass insoweit von einer Strafe ausgegangen werden kann. Art und Ziel einer Strafe werden im deutschen Strafrecht wie folgt definiert: Eine Strafe ist eine formalisierte246 Übelzufügung247, die als Reaktion248 auf 239 Kölner VerbSG-E, S. 23; so werden u. a. genannt: die besonders spezialpräventive Ausrichtung und die höheren Umsetzungschancen aufgrund des geringeren rechtspolitischen Widerstandes. 240 Kölner VerbSG-E, S. 22. 241 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21. 242 EGMR, Öztürk gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 8544/79, Urteil vom 21.2. 1984, Rn. 53. 243 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21. 244 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21. 245 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21. 246 Hassemer, Warum Strafe sein muss, S. 21, 203. 247 Neumann/Schroth, Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, S. 6 ff. 248 Neumann/Schroth, Neuere Theorien von Kriminalität und Strafe, S. 8 ff.

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eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Verletzung einer rechtlichen Norm ergeht249 und ein tadelndes Element bzw. ein Missbilligungsurteil enthält.250 Eine Strafe ist retrospektiv,251 d. h. auf ein zeitlich zurückliegendes Fehlverhalten bezogen252 und repressiv. Insoweit unterscheidet sie sich von präventiven Maßnahmen wie Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie präventiven Maßnahmen der Gefahrabwehr.253 Konkret auf den Kölner Entwurf bezogen ergibt sich insoweit Folgendes: Zunächst handelt es sich bei § 4 Kölner VerbSG-E um ein formalisiertes – strengen, spezifischen Regeln folgendes – Verfahren, das auf ein zeitlich zurückliegendes Fehlverhalten bezogen ist. Sanktioniert werden soll, dass der Verband in der Vergangenheit defizitäre oder kriminogene Strukturen herausgebildet hat.254 Die Sanktion soll so die Antwort auf Straftaten sein, die dem Verband zurechenbar sind.255 Fraglich ist jedoch, ob § 4 Kölner VerbSG-E auch eine Übelzufügung und ein tadelndes Element enthält. Insoweit betont der Entwurf selbst stets, dass er von seiner Grundausrichtung her eine dezidiert präventive Wirksamkeit aufweise,256 d. h. grundsätzlich zukünftige Straftaten verhindern und Unternehmen zu „Good Corporate Citizens“ machen will.257 Deshalb werde die neutrale Geldzahlung bevorzugt258 und auf die Sanktion der Unternehmensauflösung sowie die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung verzichtet.259 Nicht in dieses von den Entwurfsverfassern selbst gezeichnete Bild passt jedoch, dass sich die Geldzahlung tatbestandsmäßig kaum von der grundsätzlich repressiven Geldbuße des § 30 OWiG unterscheidet.260 Auch bezüglich der unstreitig repressiven Geldstrafe bestehen keine gravierenden Unterschiede. Somit kann gefolgert werden, dass sich die Geldzahlung abgesehen von ihrer theoretischen Zwecksetzung und der konkreten Bezeichnung nicht signifikant von der Geldbuße in § 30 OWiG oder der Geldstrafe unterscheidet. Zentral ist, dass es 249 Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 137 ff.; BVerfGE 109, 133 (168). 250 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 24; BVerfGE 105, 135 (153). 251 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 4; Achenbach, ZIS 2012, 178 (179). 252 Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 49. 253 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 26. 254 Kölner VerbSG-E, S. 21. 255 Kölner VerbSG-E, S. 21. 256 Kölner VerbSG-E, S. 2. 257 Kölner VerbSG-E, S. 20. 258 Kölner VerbSG-E, S. 23. 259 Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (66); Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (312 f.). 260 Vgl. BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 8 f.

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sich auch bei der Geldzahlung um Kosten bzw. um eine finanzielle Belastung des Verbandes handelt, die einer Übelzufügung gleichkommen. Die vom Entwurf vorgesehene Geldzahlung ist darüber hinaus auch mit einem Tadel verbunden. Der Tadel einer Strafe ist für den Delinquenten einschneidender und weist einen stärkeren stigmatisierenden Effekt auf als andere (präventive) Sanktionen.261 Der Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafrecht ist aber nicht trennscharf, sodass beide ein sozialethisches Unwerturteil bzw. einen Tadel enthalten können.262 Insoweit führt der Entwurfstext aus, dass der Verband für den konkreten Vorwurf getadelt werden soll, dass sich defizitäre oder kriminogene Strukturen herausbilden konnten, die zu Mängeln in der Organisation geführt und so eine Anknüpfungstat überhaupt erst ermöglicht haben.263 Abschließend spricht außerdem für eine strafrechtliche Natur, dass das Verfahren durch eigens zu schaffende Schwerpunktstaatsanwaltschaften unter Anwendung der Strafprozessordnung (StPO) und des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) durchgeführt werden soll.264 (3) Art und Schwere der Sanktion Art und Schwere der Sanktion erfassen die potenziellen Auswirkungen der Sanktion auf den konkreten Beschuldigten. Es geht um das Gewicht der dem Beschuldigten insgesamt drohenden Konsequenzen. Nicht die Höhe der tatsächlich verhängten Strafe, sondern die abstrakte Strafandrohung, im Regelfall die mögliche Höchststrafe, ist dabei entscheidend.265 Letztlich handelt es sich um ein quantitatives Abgrenzungskriterium.266 Für die insoweit relevante Abgrenzung zur Geldstrafe im Besonderen lässt sich jedoch kein allgemein gültiger Betrag angeben, ab wann eine Strafe vorliegt.267 Entscheidend ist vielmehr im Kontext von Individuen, ob die Verhängung der angedrohten Strafe „einer nicht nur kurzfristigen Freiheitsstrafe gleichkommt“.268 Für den Verband hingegen kommt es 261

Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 25 f. Kölner VerbSG-E, S. 22 f. 263 Kölner VerbSG-E, S. 21. 264 Kölner VerbSG-E, S. 26. 265 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 22. 266 Die quantitative Abgrenzung wird auch zur Abgrenzung des Ordnungswidrigkeitenrechts vom Strafrecht favorisiert, vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 1 III Rn. 35; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 7 V 3b, S. 58 f.; Jescheck, JZ 1959, 568 (459 ff.); Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 3 Rn. 8 ff.; Roxin/Greco, Strafrecht AT, Teil 1, § 2 Rn. 132 m.w. N. 267 EGMR, Weber gegen Schweiz, Beschwerde-Nr. 11034/84, Urteil vom 22.5.1990, Rn. 34; EGMR, Öztürk gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 8544/79, Urteil vom 21.2. 1984, Rn. 54; EGMR, Bendenoun gegen Frankreich, Beschwerde-Nr. 12547/79, Urteil vom 24.2.1994, Rn. 47. 268 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 24. 262

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letztlich im Sinne einer quantitativen Abgrenzung darauf an, ob eine erhebliche Sanktionsintensität erreicht wird. Davon kann vorliegend bezüglich der von § 4 Kölner VerbSG-E vorgesehene Geldzahlung ausgegangen werden. Wie bereits dargestellt, weist der Entwurf vor allem durch die Kombination aus umsatzbezogener Geldbuße bis zu 15 Prozent des Jahresumsatzes des Konzerns und Einziehung eine erhebliche Sanktionsintensität auf, die für kleinere und mittelständische Unternehmen bereits konkret existenzgefährdend sein kann269 und in jedem Fall eine erheblich gesteigerte Belastung für Unternehmen im Vergleich zur aktuellen Rechtslage darstellt.270 Art und Schwere der Geldzahlung sprechen somit auch für einen strafrechtlichen Charakter. (4) Zwischenfazit Zwei von drei Kriterien deuten somit bezüglich der Sanktion der Geldzahlung aus § 4 Kölner VerbSG-E für das Vorliegen einer Strafe hin. Allein die nationale Zuordnung erlaubt eine andere Einschätzung. Diesem Kriterium kommt jedoch die geringste Bedeutung zu. Somit handelt es sich bei der Geldzahlung des § 4 Kölner VerbSG-E tatsächlich um eine Strafe. bb) Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts Auch für den Kölner Entwurf stellt sich die Frage, ob die faktisch eingeführte Verbandsstrafbarkeit zu einer Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts führt, denn eine Loslösung aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht darf nicht spiegelbildlich zu einer Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts in toto führen. Deshalb muss eine Strafe für Verbände mit höherrangigem Recht und insgesamt mit dem Kriminalstrafrecht vereinbar sein271 und folglich auch die Ziel- und Zwecksetzung der Kriminalstrafe erfüllen.272 (1) Kein „falsa demonstratio non nocet“ im Strafrecht Der Kölner Entwurf bezeichnet seine Sanktion als neutrale Geldzahlung, obwohl es sich tatsächlich um eine Geldstrafe handelt. Dies steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Im Zusammenhang mit dem deutschen zweigleisigen Konzept von Strafe und Sicherheitsverwahrung273 stellte der EGMR fest, 269 270 271 272 273

Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (66). Kämpfer/Knauer, LTO 14.12.2017. Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 24. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 27. EGMR, M. gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 19359, Urteil vom 17.12.2009.

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dass das Prinzip der Unschädlichkeit einer falschen Bezeichnung – falsa demonstratio non nocet – im Strafrecht nicht gilt.274 Im Strafrecht soll es prägnant formuliert nicht bedeutungslos sein, „was draufsteht“, und darauf ankommen, was tatsächlich „drinnen“ ist. Es ist nicht rechtmäßig, etwas als Sanktion zu „etikettieren“, das inhaltlich eine Strafe darstellt.275 Diese Rechtsprechung hat der EGMR erst kürzlich in der Entscheidung Beradi und Mularoni gegen San Marino bekräftigt.276 Hier stellte der EGMR fest, dass eine Strafe stets auch aufgrund der notwendigen Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit für den Normadressaten als solche zu bezeichnen ist, da sonst eine erhebliche Rechtsunsicherheit entsteht.277 Wenn sich die Rechtsfolge trotz irreführender Bezeichnung als Strafe herausstellt, sorgt dies sogar für eine Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze.278 Die vom Kölner Entwurf gewählte Bezeichnung als Geldzahlung, obwohl es sich tatsächlich um eine Strafe handelt, ist somit nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Ähnliche Erwägungen sind auch gegenüber der Geldbuße des § 30 OWiG möglich,279 dessen Sanktionshöhe280 bisher stetig weiter erhöht wurde. So erscheint es gut möglich, dass auch hier bereits das Niveau einer Strafe erreicht wurde, wodurch eine nicht hinzunehmende Fehlbezeichnung vorliegt. (2) Strafrechtliche Legitimation? Wie im Zusammenhang mit dem Entwurf aus Nordrhein-Westfalen bereits festgestellt, ist eine Verbandsstrafbarkeit grundsätzlich verfassungskonform und dogmatisch möglich.281 Fraglich bleibt somit nur, ob die vom Kölner Entwurf vorgesehene Geldzahlung strafrechtlich zu legitimieren ist.

274

Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251

(261). 275

Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. EGMR, Beradi und Mularoni gegen San Marino, Beschwerde-Nr. 24705/16, Urteil vom 10.1.2019, EuGRZ 2019, 27. 277 EGMR, Beradi und Mularoni gegen San Marino, Beschwerde-Nr. 24705/16, Urteil vom 10.1.2019, Rn. 40, EuGRZ 2019, 27 (29). 278 Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (314). 279 Zur Genese des § 30 OWiG vgl. auch Sachoulidou, Unternehmensverantwortlichkeit und -sanktionierung, S. 278 ff.; für das Vorliegen einer Strafe Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 100 f. 280 Vgl. zur Entstehungsgeschichte KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 22 ff.; § 30 OWiG startete ursprünglich als § 26 OWiG 1968 mit einer Sanktionshöhe von 100.000 Mark bei einer vorsätzlichen Tat und 50.000 bei einer fahrlässigen, vgl. BGBl. I 1968, S. 488, der heutige § 30 OWiG hingegen verhängt für eine vorsätzliche Tat 10 Millionen Euro und bei einer fahrlässigen Tat 5 Millionen Euro. 281 S. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. I. 2. c) aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht und der Strafrechtsdogmatik. 276

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Insoweit stützt sich der Kölner Entwurf sowohl auf absolute282 als auch relative Straftheorien.283 (a) Legitimation über absolute Straftheorien? Fraglich ist, ob Vergeltung und Sühne im Sinne der Retribution bezüglich eines Verbandes überhaupt erreicht werden können. Dafür spricht zunächst, dass der Verband auf diese Weise als reales soziales Gebilde, das Sinn produzieren und kausale Anknüpfungstaten auslösen könnte, anerkannt werden kann.284 Das Verbandsstrafrecht wäre insoweit das Mittel zur Vergeltung subjektiven Unrechts und zur Herstellung von Gerechtigkeit, das dem Verband die Konnexität von Recht, Freiheit und Verantwortung demonstriert285 und kennzeichnet, dass ein Freiheitsmissbrauch sanktioniert wird.286 Gegen eine solche Legitimation spricht jedoch, dass der Verband grundsätzlich kein Subjekt im Sinne einer freiheitstheoretischen Begründung ist. Er ist kein Selbstzweck, sondern bedarf eines Zwecks, um sinnvoll zu existieren („Licence to operate“). Ansätze, die somit den Legitimationsgrund der Strafe in der Mitwirkungspflicht des „Verbands“ an einem Gesellschaftsvertrag287 sehen, können somit für Verbände, auch wenn sie als „Corporate Citizens“ verstanden werden, nicht begründet werden.288 Absolute Strafzwecke und Retribution finden somit beim Verband keinen sinnstiftenden Anknüpfungspunkt.289 (b) Legitimation über positive Spezialprävention? Somit bleibt eine Legitimation über relative Straftheorien. Insoweit ist zunächst fraglich, ob der Verband zur Selbstregulierung angeleitet werden kann,290 das bedeutet, ob eine Verhaltensbeeinflussung insoweit möglich ist.291 Nicht überzeugen kann insoweit der Hinweis, dass die Wirksamkeit der Prävention auch bereits im Individualstrafrecht umstritten ist.292

282

Kölner VerbSG-E, S. 21, die Sanktion soll Antwort auf die Taten des Verbandes

sein. 283

Kölner VerbSG-E, S. 2, 22, 24. Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 92. 285 Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 92. 286 Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 92. 287 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 121. 288 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (21). 289 Vgl. ausführlich Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 728 ff. 290 Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 91. 291 Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 64. 292 Vgl. Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 91. 284

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Nach einer Ansicht besitzt der Verband schon keine Handlungsfähigkeit, die Voraussetzung der Steuerungsfähigkeit ist.293 Der Verband wähle selbst keine Personen aus und organisiere sich nicht selbst.294 Er sei grundsätzlich nicht in der Lage, das Geschehen wie ein Mensch zu beherrschen und intentional zu steuern.295 Das Gebilde Verband verhalte sich selbst gar nicht und könne sich somit auch nicht an Normen halten bzw. eine eigenständige Entscheidung gegen die Normgeltung treffen.296 Eine Normübertretung sei aber immer auch Ausdruck ihrer Nichtakzeptanz.297 Das hierzu notwendige Entscheidungs- und Handlungszentrum weise ein Verband gerade nicht auf. Ihm fehle es insoweit an der Gesamtrationalität und Reflexionsfähigkeit.298 Folglich könne ihm auch nicht vorgeworfen werden, dass er anders hätte handeln können.299 In diesem Kontext kann dann auch die grundsätzlich unzulässige Beeinflussung Dritter als illegitimer Strafzweck zum Problem werden.300 Nach einer anderen Ansicht sind Verbände grundsätzlich handlungs- und steuerungsfähig.301 Dafür spreche, dass Sanktionen geeignet seien, die ökonomische Rationalität des Verbandes anzusprechen.302 Strafen sind für Unternehmen Kosten, die durch die Implementierung von Compliance vermieden werden können. Dies entspreche ökonomisch rationalem Handeln und liege somit im Interesse des Verbands.303 Verbände seien insoweit mit natürlichen Personen vergleichbar, sie agierten im alltäglichen Leben nicht impulsiv und nicht affektiv.304 Sie handelten durch die hinter dem Verband stehenden natürlichen Personen, die 293 So Schroth, Unternehmen als Normadressaten und Sanktionssubjekte, S. 173 ff.; Otto, Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, S. 25; Kaiser, Verbandssanktionen des Ordnungswidrigkeitengesetzes, S. 21; Roxin/Greco, Strafrecht AT, Teil 1, § 8 Rn. 60; Alwart, ZStW 105 (1993), 752 (756 f.); Mitsch, NZWiSt 2014, 1 (3). 294 Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 52. 295 Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 61. 296 Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 52 f. 297 Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 53. 298 Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 54. 299 Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 200 f.; Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 137. 300 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (21). 301 Kohlhof, Die Legitimation originärer Verbandsstrafe, S. 65; s. a. Eidam, Der Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 244 f.; Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (79 ff.); vgl. auch Rittner, Die werdende juristische Person, S. 210 ff.; Teubner, KritV 70 (1987), 61 (64 ff.). 302 Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 48. 303 Vogel, StV 2012, 427 (429). 304 Kohlhof, Die Legitimation einer originärer Verbandsstrafe, S. 65.

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maßgebliche Handlungen vornehmen, die dem individuellen Willen des Verbandes entsprechen.305 Die letzte Ansicht ist grundsätzlich vorzugswürdig. Das Unternehmen besitzt eine gewisse Steuerungs- und Handlungsfähigkeit und kann so ökonomisch rational angesprochen werden. Die Profitmaximierung steht im Zentrum seines Interesses.306 Jedoch ist die Steuerungs- und Handlungsfähigkeit aufgrund der primitiven Intentionalität stark eingeschränkt.307 Weiterhin muss somit geklärt werden, wie ein Unternehmen als unsterblicher, gewissenloser, rechtsindifferenter Akteur gebessert werden soll.308 Als Mindestmaß einer spezialpräventiven Beeinflussung kann insoweit die These aufgestellt werden, dass die Maßnahme zumindest in irgendeiner Weise Eingang in die Unternehmenskultur (sog. Corporate Culture) finden muss,309 damit von einer spezialpräventiven Wirksamkeit ausgegangen werden kann.310 Eine Besserungswirkung wird dann sichtbar, wenn die Corporate Governance gestärkt wird, z. B. durch die Installation von Compliance-Programmen.311 Auch hier besteht jedoch aufgrund der nur begrenzten Steuerungsfähigkeit die Gefahr einer bloßen Beeinflussung und Steuerung Dritter in Gestalt der Entscheidungsträger und Mitarbeiter des Unternehmens.312 Somit kann festgehalten werden, dass eine spezialpräventive Legitimation gegenüber Unternehmen zunächst grundsätzlich möglich erscheint, es aber auf die genaue tatsächliche Ausgestaltung ankommt. Ausweislich seines Textes verzichtet der Entwurf im Sinne der Spezialprävention zunächst auf Sanktionen wie die Unternehmensauflösung, die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung, den Ausschluss des Verbandes von Subventionen oder die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Kollektivbestrafungen,313 die zum Verlust des Arbeitsplatzes für unbeteiligte Mitarbeiter führen könnten.314 Als Sanktion soll stattdessen ausschließlich die Geldzahlung eingeführt werden. Sie kann bis zu 15 Prozent des Unternehmensumsatzes betragen.315 305

Kohlhof, Die Legitimation einer originärer Verbandsstrafe, S. 65. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 284. 307 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (255). 308 Vgl. auch Ortmann, in: Wirtschaft demokratisch, S. 259 (266); Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 284; Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (21). 309 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 67. 310 A. A. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 740 ff. 311 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 67. 312 Vgl. Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (21); Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 67. 313 Kölner VerbSG-E, S. 24. 314 Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (66); Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (312 f.). 315 § 4 Abs. 2 Kölner VerbSG-E. 306

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Ob eine Geldzahlung zur Besserung des Verbandes beitragen kann, ist grundsätzlich fraglich, vor allem dann, wenn man berücksichtigt, dass die aktuelle Geldbuße des § 30 OWiG vom Entwurf insoweit selbst als wirkungslos betitelt wurde.316 Im Endeffekt handelt es sich aber bei der Geldzahlung für das Unternehmen um eine finanzielle Belastung, ohne gleichzeitig ein konkreten Anreiz zu setzen, dass der Verband die Normbotschaft nach innen weitergibt oder die Verteilung interner Verantwortungsbeiträge vornimmt oder Verantwortung fixiert oder gar nach außen weitergibt.317 Somit findet die Geldzahlung auch gerade nicht Eingang in die Unternehmenskultur und gerät gar nicht ins Bewusstsein des Verbandes. Folglich handelt es sich bei der Geldzahlung nicht um eine an der Besserung des Verbandes orientierte Sanktion. Daher kann auch eine spezialpräventive Ausrichtung des Entwurfs nicht erkannt werden. Daran kann auch die sanktionsmildernde Berücksichtigung von Compliance Systemen nichts ändern. Diesbezüglich scheint zudem fraglich, dass der Entwurf hauptsächlich nachträgliche Compliance-Maßnahmen anstatt vorbeugender Maßnahmen honoriert.318 Zusammengefasst weist der Kölner Entwurf keinen hinreichenden strafrechtlichen Legitimationsgrund auf. cc) Zwischenergebnis Mangels eines strafrechtlichen Legitimationsgrunds ist der Kölner Entwurf nicht in der Lage, die Ziel- und Zwecksetzung des Kriminalstrafrechts zu erfüllen.319 Die Entbagatellisierung der Unternehmenskriminalität durch die klandestine Einführung einer Strafe kann somit nur zum Preis einer Bagatellisierung bzw. Relativierung des Kriminalstrafrechts erreicht werden. Im Vergleich zum Entwurf aus Nordrhein-Westfalen kommen insoweit noch die Folgen der Heimlichkeit der Einführung hinzu, die die Rechtssicherheit für Unternehmen beschränken. Dies führt zu Problemen mit dem Bestimmtheitsgebot, das auch die Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns gewährleisten soll. Diese ist gerade nicht gewährleistet, wenn Unternehmen eine scheinbar neutrale Sanktionierung erwarten, die sich dann de facto als Strafe entpuppt und mit signifikanten Reputationsschäden und erheblichen Präventionskosten verbunden ist.320 Insgesamt kann 316 317

Kölner VerbSG-E, S.13 f. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251

(259). 318 Vgl. Kölner VerbSG-E, in § 4 Abs. 3 wird bereits existierende Compliance im Rahmen der Sanktionshöhe berücksichtigt, für eine Aussetzung zur Bewährung reicht jedoch auch die nachträgliche Implementierung aus. Genauso wie für die Einstellung des Verfahrens nach § 14 Abs. 2 und 3, auch hier wird die nachträgliche Implementierung von Compliance-Systemen gleichbehandelt. 319 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 27. 320 Vgl. Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (66).

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festgehalten werden, dass das Kriminalstrafrecht nicht durch geschickte Fehlbezeichnungen für politische Richtungsentscheidungen zweckentfremdet werden sollte.321 d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität Der Kölner Entwurf möchte Unternehmenskriminalität über ein Zurechnungsmodell adressieren, das berücksichtigt, dass Verbände defizitäre oder gar kriminogene Strukturen herausbilden können, die zur Begehung von Verbandsverfehlungen führen.322 Dafür soll entweder an die tatbestandlich von einer Leitungsperson begangene Straftat oder das Unterlassen wirksamer Aufsichtsmaßnahmen angeknüpft werden.323 Bei Vorliegen eines entsprechenden Verbandsbezugs handelt der Täter nicht als Individuum, sondern gestaltet den Organisationskreis des Verbandes.324 Bei genauer Betrachtung der Sanktionsnorm des § 3 Kölner VerSanG-E wird sichtbar, dass sich die zuvor genannten strukturellen Elemente der Unternehmenskriminalität dort nicht wiederfinden. Stattdessen handelt es sich bei § 3 Kölner VerSanG-E um das aus § 30 OWiG bekannte Zurechnungsmodell, jedoch im Vergleich zum Entwurf aus Nordrhein-Westfalen erweitert um die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, wenn ein Exzess des Entscheidungsträgers vorliegt.325 Das bedeutet, dass die am Zurechnungsmodell des § 30 OWiG identifizierten Unzulänglichkeiten bezüglich der Erfassung von Unternehmenskriminalität weiter existieren.326 Auch im Rahmen des § 3 Abs. 2 Kölner VerSanG-E ist der Rückschluss von einer Zuwiderhandlung auf eine Aufsichtspflichtverletzung möglich, der sich wie eine Beweislastumkehr auswirkt.327 Ferner sanktioniert auch § 3 Kölner VerSanG-E nicht die eigene Pflichtverletzung des Verbandes im Hinblick auf betroffene Rechtsgüter, sondern die mangelhafte Aufsicht und Organisation von Leitungspersonen.328 Somit ist auch der Kölner Entwurf aufgrund der Anknüpfung an die Tat einer Leitungsperson nur in der Lage, einen kleinen Teil der Unternehmenskriminalität 321

Vgl. Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (314). Kölner VerbSG-E, S. 21. 323 Kölner VerbSG-E, S. 22. 324 Kölner VerbSG-E, S. 22. 325 Insoweit adressiert der Entwurf zumindest einen der Hauptkritikpunkte des NRW VerbStrG-E. 326 Vgl. Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes D. Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität. 327 Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. 328 Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. 322

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zu erfassen.329 Über die Zuwiderhandlung einer Leitungsperson wird nur das Unrecht des Unternehmensträgers, der über seine Repräsentanten, vorliegend die Leitungspersonen, mit der Außenwelt kommuniziert, erfasst. Das Unternehmen an sich, das mitunter fehlorganisiert sein und insoweit Zuwiderhandlungen begehen kann, bleibt außen vor.330 3. Zwischenergebnis Der Kölner Entwurf täuscht über die Qualität seiner Sanktion, die eine nicht legitimierbare Strafe darstellt. Insgesamt stellt er inhaltlich abermals keine revolutionäre Umwälzung der Rechtslage dar. Der Anwendungsbereich der bestehenden §§ 30, 130 OWiG wird kaum verändert331 und das bestehende Regelungskonzept lediglich in seiner Sanktionsintensität im Sinne einer kriminalpolitisch geforderten qualitativen Aufwertung332 erweitert.333 Das vom Kölner Entwurf angebotene Konzept ist somit nicht in der Lage, die identifizierten Probleme des geltenden Rechts zu adressieren.

III. Regierungsentwurf Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft334 wurde am 15.8.2020 offiziell auf der Webseite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) bekanntgegeben335 und hat es bis zur Stellungnahme in den Bundesrat geschafft.336 Der Entwurf beruhte auf einem ersten inoffiziellen Referentenentwurf,337 der am 20.4.2020 in einer überarbei329

Vgl. Kölbel, NZWiSt 2018, 407 (408). Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. 331 Vgl. auch BeckOK StGB/Momsen/Laudien, § 14 Rn. 34, es kommt erneut zu einer aus den §§ 30, 130 OWiG bekannten Überwälzung des individuellen Fehlverhaltens auf den Verband, die zudem künstlich auf Straftaten begrenzt ist. 332 BeckOK StGB/Momsen/Laudien, § 14 Rn. 34. 333 S. zu den Folgen Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (258). 334 BR-Drucks. 440/20, im Folgenden Regierungsentwurf (RegE). 335 Vgl. krit. hierzu: DStV Stellungnahme Nr. 2/2020 des Gesetzgebungsausschusses des Deutsche Strafverteidiger e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und Verbraucherschutz für ein „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“; Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft; Stellungnahme des DAV, 7/2020, 1.2020, S. 5; sowie VCI/BCM-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“, Juni 2020, mit Verbesserungsvorschlägen; Behr/Guttenberger DB 2020, 1218; vgl. Beukelmann/Heim, StraFo 2020, 230; Bittmann, ZWH 2020, 157. 336 Der Bundesrat hat am 18.9.2020 hierzu Stellung genommen und 17 Prüfbitten gestellt, z. B. bezüglich der Veröffentlichung des Urteils § 14 RegE oder den Einstellungsvorschriften § 35 und § 37 RegE, s. BR-Drucks. 440/20 (B). 337 Zunächst hat das BMJV den „Referentenentwurf“ für eine Neuregelung des Rechts der Sanktionierung von Unternehmen und sonstigen Verbänden, in dessen Zen330

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teten Version veröffentlich wurde. Bezüglich des Referentenentwurfs wurde Wissenschaft und Praxis eine Stellungnahmefrist gewährt und kurz nach deren Ablauf 338 der Regierungsentwurf mit einem geänderten Gesetzestitel veröffentlicht. So wurde aus dem „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ das „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“.339 Der Kerninhalt, das Verbandssanktionengesetz (VerSanG-E), wurde jedoch nicht verändert.340 Im Juni 2021 gab die Regierungskoalition bekannt, das VerSanG-E sei gescheitert.341 Der Regierungsentwurf hat es sich ausweislich seiner Begründung zum Ziel gesetzt, die Sanktionierung von Verbänden auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu stellen, diese dem Legalitätsprinzip zu unterwerfen und ein verbessertes Instrumentarium zur angemessenen Ahndung von Verbandstaten zu schaffen, was mit dem geltenden Ordnungswidrigkeitenrecht nicht möglich sei.342 Der Entwurf will Compliance-Maßnahmen fördern und Anreize dafür setzen, dass Unternehmen bei der Aufklärung von Straftaten im Rahmen von internen Untersuchungen mitarbeiten.343 Die Sanktionierung von Verbänden soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass juristischen Personen, die durch ihre Organe handeln können, die Vorteile einer in ihrem Interesse vorgenommenen Betätigung zufließen, diese aber gleichzeitig beim Fehlen von durchgreifenden Sanktionsmöglichkeiten nicht den Nachteilen ausgesetzt sind.344 Das sei vor allem vor dem Hintergrund der großen Bedeutung von Verbänden im wirtschaftlichen Wettbewerb nicht länger hinnehmbar.345 Mit der Sanktionierung soll nicht nur dem europäischen und weltweiten Trend einer verstärkten Sanktionierung von Verbänden gefolgt,346 sondern zugleich auch auf potenzielle kriminogene Aspekte von Verbandsstrukturen und Verbandszugehörigkeit eingegangen werden.347 Diesen trum das Verbandssanktionengesetz (VerSanG-E) steht, im August 2019 vor ausgewählten Vertretern der Presse vorgestellt. Vgl. SZ v. 22.08.2019, abrufbar unter: https:// www.sueddeutsche.de/wirtschaft/christine-lambrecht-unternehmen-konzerne-strafen-jus tizministerium-1.4571078, zuletzt abgerufen am: 18.8.2021. 338 Nur zwei Arbeitstage später. 339 Vgl. hierzu Jahn/Schmitt-Leonardy, SZ 26.4.2020; vgl. Knauer, NStZ 2020, 441 (441); Kämpfer/Nolte, FAZ 29.4.2020, S. 16; Rotsch/Mutschler/Grobe, CCZ 2020, 169 (169); Lanzinner/Petrasch, CCZ 2020, 183 (183); Saliger, NStZ Editiorial Heft 8/2020. 340 Vgl. Caracas, CCZ 2020, 331 (331); Franke/Henseler, ZRP 2020, 209 (209); zu den Auswirkungen des VerSanG auf die Managerhaftung vgl. Lange, CCZ 2020, 265. 341 Die Union habe das Thema nun endgültig beendet, so der Regierungspolitiker Luczak auf dem Deutschen Anwaltstag zum Thema „Rechtspolitik vor der Bundestagswahl“, in: Skandale ohne Folgen, FAZ 10.6.2021, S. 15. 342 BR-Drucks. 440/20, S. 1, 48 ff. 343 BR-Drucks. 440/20, S. 1. 344 BR-Drucks. 440/20, S. 47; s. a. BT-Drucks. V/1269, S. 59; BT-Drucks. 17/11053, S. 20. 345 BR-Drucks. 440/20, S. 47. 346 BR-Drucks. 440/20, S. 47 ff. 347 BR-Drucks. 440/20, S. 48.

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könne allein durch die Verurteilung der natürlichen Person nicht ausreichend Rechnung getragen werden.348 1. Wesentlicher Entwurfsinhalt Der Regierungsentwurf ist ein Artikelgesetz, das Änderungen in 22 Rechtsgebieten vorsieht.349 Kern des Entwurfs ist das neu einzuführende Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (VerSanG-E).350 Dieses neue Stammgesetz soll sich zwischen OWiG und StGB einreihen und sowohl für Verbände des privaten wie des öffentlichen Rechts gelten,351 deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Es enthält Anleihen sowohl aus dem Kölner Entwurf als auch aus dem österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz aus 2005 (öVbVG).352 Zentrale Idee des Entwurfs ist, das geltende Recht in Gestalt des § 30 OWiG aufzugreifen und weiterzuentwickeln.353 In § 2 VerSanG-E werden zentrale Begriffe (wie z. B. Verband, Leitungsperson und Verbandsstraftat) definiert. Der Begriff des Verbandes soll sich inhaltlich mit dem des § 30 OWiG decken, wobei jedoch auch juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich mit einbezogen werden sollen.354 Der Entwurf führt das geltende Rechtsträgerprinzip fort und verzichtet bewusst auf eine Übertragung des europarechtlichen Unternehmensbegriffs, der jede wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform erfasst.355 Der Begriff der Leitungsperson entspricht dem Täter der Anknüpfungstat im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG; die Verbandsstraftat gleicht der strafbaren Anknüpfungstat des § 30 Abs. 1 OWiG.356 Verbandsstraftat kann jede Straftat sein, sofern sie das Kriterium der Verbandsbereicherung oder Verletzung von Verbandspflichten erfüllt. Somit sind Verbandstaten nicht auf bestimmte Deliktsgruppen wie Vermögens- oder Steuerdelikte beschränkt. Die bisherige Funktion des § 30 OWiG wird von § 3 VerSanG-E übernommen,357 jedoch mit der Einschränkung, dass Ordnungswidrigkeiten keine tauglichen Anknüpfungstaten einer Leitungsperson darstellen.358 348

BR-Drucks. 440/20, S. 52. Z. B. GVG, StPO, OWiG, AO und GWB. 350 Vgl. Schmitz, WiJ 2019, 154 (154 f.) zum RefE. 351 Brouwer, AG 2019, 920 (920). 352 Gercke/Grözinger, LTO 23.08.2019. 353 BR-Drucks. 440/20, S. 42; vgl. vertiefend Rübenstahl, ZHW 2019, 233; Rübenstahl, ZHW 2019, 265, insoweit noch zum RefE. 354 BR-Drucks. 440/20, S. 52. 355 BR-Drucks. 440/20, S. 68; vgl. KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 59 ff. m.w. N. 356 BR-Drucks. 440/20, S. 52. 357 BR-Drucks. 440/20, S. 52 f. 358 BR-Drucks. 440/20, S. 73. 349

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Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E kann gegen einen Verband wegen der Verbandsstraftat einer Leitungsperson eine Verbandssanktion verhängt werden. Der Täter muss dabei in seiner Eigenschaft als Leitungsperson gehandelt haben, unerheblich ist, ob er seinen Zuständigkeitsbereich einhält oder überschreitet, lediglich Exzesstaten sind grundsätzlich ausgenommen.359 Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E kommt es darüber hinaus zu einer Verbandssanktion, wenn eine sonstige Person in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes eine Verbandsstraftat begangen hat, die durch eine angemessene Organisation, Auswahl, Anleitung oder Aufsicht hätte vermieden oder wesentlich erschwert werden können.360 Die Tat muss volldeliktisch begangen werden. Hinsichtlich der angemessenen Maßnahmen der Organisation, Auswahl und Anleitung und Aufsicht wird auf die in §§ 130 OWiG entwickelten Grundsätze verwiesen.361 Wie die „erforderliche“ oder „gehörige“ Aufsicht müssen laut Entwurf auch alle anderen Maßnahmen zur Abwendung von Straftaten rechtlich zulässig, geeignet und notwendig sein, ohne das Maß des Zumutbaren zu überschreiten. Dazu gehören Leistungs-, Koordinations-, Organisations- und Kontrollpflichten.362 Diese Pflichten sollen insbesondere durch Compliance-Maßnahmen erfüllt werden, ohne dass jedoch explizit die Schaffung eines bestimmten ComplianceProgrammes verpflichtend wäre. Entscheidend sind laut Entwurf vielmehr die entsprechende Sorgfalt, Art, Größe und Organisation des Unternehmens. Bei kleinen Unternehmen könnten dementsprechend auch nur einfache Maßnahmen ausreichend sein.363 Das Unterlassen der Vorkehrungen muss insgesamt pflichtwidrig und die dadurch geschaffene Gefahr objektiv erkennbar sein. Eine vorsätzliche oder fahrlässige Begehung durch die Leitungsperson ist nicht notwendig.364 Die Anknüpfung der Verbandsverantwortlichkeit erfolgt an eine volldeliktische Verbandsstraftat. Das Unterlassen ist objektiv festzustellen.365 In § 3 Abs. 2 VerSanG-E sind besonders schwere Fälle geregelt. Die vom Entwurf vorgesehenen Verbandssanktionen rekurrieren auf ein strafbares Verhalten der jeweils handelnden Personen und sollen über die von § 30 OWiG vorgesehene Pflichtenermahnung der Geldbuße hinausgehen.366

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BR-Drucks. 440/20, S. 74 f. BR-Drucks. 440/20, S. 74. 361 BR-Drucks. 440/20, S. 74. 362 BR-Drucks. 440/20, S. 74 f. 363 BR-Drucks. 440/20, S. 75. 364 BR-Drucks. 440/20, S. 75. 365 BR-Drucks. 440/20, S. 75. 366 BR-Drucks. 440/20, S. 53, dies war insbesondere an der im Referentenentwurf noch enthaltenen Sanktion der Verbandsauflösung ersichtlich. 360

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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Als Sanktionen kommen gemäß § 8 VerSanG-E die Verbandsgeldsanktion und die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt in Betracht. Als weitere Folge kann nach § 15 VerSanG-E die öffentliche Bekanntmachung angeordnet werden, um Geschädigte über mögliche Ansprüche zu informieren.367 Die Verbandsgeldsanktion ist der Verbandsgeldbuße des § 30 OWiG nachgebildet und sieht wie das geltende Recht eine starre Höchstgrenze von bis zu 10 Millionen Euro vor. Nur für große Unternehmen und multinationale Konzerne wird eine umsatzbezogene Obergrenze von 10 Prozent des Jahresumsatzes eingeführt. Für fahrlässige Verbandsstraftaten wird der Bußgeldrahmen jeweils halbiert. Die Abschöpfung erfolgt gesondert nach den §§ 73 ff. StGB.368 In speziellen Fällen ist auch eine Verwarnung mit Verbandssanktionsvorbehalt nach § 10 VerSanG-E möglich; diese kann mit Auflagen und Weisungen verbunden werden, die den Vorschriften zur Bewährung §§ 56 ff. StGB nachgebildet sind.369 Im Rahmen der Weisungen kommt auch die Hinzuziehung einer sachkundigen Stelle (Monitor) in Betracht.370 Der Entwurf kodifiziert zudem in den §§ 18 ff. VerSanG-E die Voraussetzungen und den Umfang von Sanktionsmilderungen sowie Mindeststandards für interne Untersuchungen.371 In verfahrensrechtlicher Hinsicht soll der Verband im Verfahren die zentrale Stellung eines Beschuldigten einnehmen372 und das Legalitätsprinzip über den in § 25 Abs. 1 VerSanG-E enthaltenen Verweis auf die StPO eingeführt werden. Insgesamt ist der Entwurf harscher Kritik ausgesetzt, die u. a. eine pauschale Kriminalisierung des Verbandes fürchtet.373 Insbesondere der Verfahrensteil stelle einen Kulturbruch dar, der die vollständige Unterwerfung des Verbandes getarnt als „Kooperationsanreiz“ fordere374 und Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft, die Unternehmen verteidige, schüre.375 Die Landesjustizministerinnen und -justizminister der CDU/CSU forderten daher die Rücknahme des Regierungsentwurfs zugunsten einer sorgfältigeren und unter ernstgemeinter Beteiligung der Länder und anderer Interessengruppen zu erarbeitenden Alternative. Die hessi-

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BR-Drucks. 440/20, S. 53. BR-Drucks. 440/20, S. 75. 369 Rotsch/Mutschler/Grobe, CCZ 2020, 169 (175). 370 Rotsch/Mutschler/Grobe, CCZ 2020, 169 (176), insoweit sind vor allem auch die teilweise gravierenden Kosten eines Monitors zu beachten. 371 Vgl. zu internen Untersuchungen Priewer/Ritzenhoff, WiJ 2019, 166; Petrasch, DRiZ 2020, 96. 372 BR-Drucks. 440/20, S. 55. 373 Rönnau, NZWiSt-Editiorial 10/2019. 374 Rönnau, NZWiSt-Editiorial 10/2019, insoweit ist insbesondere an die eigenfinanzierten internen Untersuchungen zu denken. 375 Kirsch, FAZ Einspruch, 26.8.2019; Stellungnahme des DAV, 7/2020, 1.2020, S. 6. 368

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

sche Justizministerin Kühne-Hörmann bezeichnete den Entwurf in einer Pressemitteilung als „übereilt“ und „unausgereift“.376 2. Analyse Auch für den Regierungsentwurf ist somit zu prüfen, ob er den identifizierten Defiziten bezüglich der Sanktionsintensität, der Anwendung, der Bagatellisierung von Unternehmensverantwortlichkeit und der unzureichenden Erfassung von Unternehmenskriminalität abhelfen kann.377 a) Zu schwache Rechtsfolge Das Problem der zu schwachen Rechtsfolge des § 30 OWiG versucht der Regierungsentwurf wie folgt zu adressieren. Die de lege lata existierende Sanktionshöhe von maximal 10 Millionen Euro wird zwar grundsätzlich beibehalten, die Obergrenze aber für große und internationale Konzerne mit einem Konzernumsatz von mehr als 100 Millionen Euro auf bis zu 10 Prozent378 des Umsatzes angehoben.379 Auf diese Weise soll die Sanktion an der Wirtschaftskraft des jeweiligen Unternehmens orientiert werden. Außerdem soll die Abschöpfung aus der Verbandsgeldsanktion isoliert werden und von nun an kumulativ zur Verbandsgeldsanktion hinzutreten.380 Auf diese Weise wird die Sanktion klar verschärft. Es besteht sogar die Gefahr381 einer unverhältnismäßig hohen Sanktion.382 Insoweit wird kritisiert, dass die durch den Umsatzbezug deutliche Anlehnung an das Kartellrecht nicht gerechtfertigt sei. Die hohe Sanktion sei im Kartellrecht zur Sicherung der freien Marktwirtschaft notwendig. Dieses Ziel werde jedoch durch die Verbandsgeldsanktion gerade nicht verfolgt.383 Somit erscheint es möglich, dass der Regierungsentwurf zwar in der Lage ist, der schwachen Sanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts abzuhelfen, dabei aber auch durch die Kombination von Geldsanktion und Einziehung über das Ziel hinausschießt.384 376 Vgl. Presseinformation Nr. 005 v. 14.01.2021 von Justizministerin Eva KühneHörmann. 377 S. Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes. 378 Im Vergleich dazu: § 6 NRW VerbStrG-E sieht ebenfalls 10 Prozent des Umsatzes vor, § 4 Kölner VerbSG-E sogar 15 Prozent des Umsatzes. 379 S. § 9 VerSanG-E; vgl. hierzu Fiebig, Unternehmensjurist 2020, 56 (58). 380 BR-Drucks. 440/20, S. 53; vgl. hierzu den Überblick bei Trüg, NJW 2017, 1913; sowie zur verurteilungsunabhängigen Einziehung Schilling/Hübner, StV 2018, 49. 381 Kubiciel, juris-PR StrafR 21/2018 Anm. 1; Stellungnahme des DAV, 1.2020, S. 5, der außerdem die Anknüpfung an den Konzernumsatz kritisiert. 382 Kubiciel, juris-PR StrafR 21/2018 Anm. 1. 383 Knauer, NStZ 2020, 441 (443). 384 Vgl. Rotsch/Mutschler/Grobe, CCZ 2020, 169 (176); Knauer, NStZ 2020, 441 (444).

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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Im Kontext der Gesetzesbegründung wird als weitere Sanktion darüber hinaus auch die mögliche Bekanntmachung der Verurteilung nach § 14 VerSanG-E diskutiert, die das Sanktions- und Abschöpfungsregime flankiert.385 Teilweise wird hierin jenseits der konkreten Informationsinteressen der „großen Anzahl von Geschädigten“ vor allem die punitive Kraft der sog. „Naming-and-Shaming“-Sanktionen als gravierend betrachtet.386 b) Anwendungsdefizit Das kritisierte Anwendungsdefizit versucht der Regierungsentwurf wie bereits der Kölner Entwurf und der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen durch die Einführung des Legalitätsprinzips und flankiert von zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten387 zu adressieren.388 So sollen die bisherigen regionalen Besonderheiten und Unterschiede in der Verfolgung ausgeglichen werden.389 Auch hier bleibt aber unklar, wie auf diese Weise die Überbelastung und unzureichende Ausstattung der Verfolgungsbehörden und Gerichte, die auf umfassend verteidigte Unternehmen treffen, verbessert werden sollen.390 Klar ist jedoch, dass die Einführung des Legalitätsprinzips einen abermals erhöhten Bedarf an Stellen und Ressourcen mit sich bringt,391 der zumindest nicht zu einer Entlastung der Verfolgungsbehörden beiträgt. Ob die vom Entwurf intendierten Synergieeffekte392 insoweit einen Unterschied machen können,393 ist fraglich. Auch die bereits angesprochenen Möglichkeiten, von der Verfolgung abzusehen,394 können eine Überbelastung der Gerichte nicht ausreichend minimieren. 385 Kritik hierzu bei von Busekist/Izrailevych, CCZ 2021, 40 mit Verweis auf die Stellungnahmen des Deutscher Industrie- und Handelskammertags, S. 17 und des Deutschen Institut für Compliance, S. 14. 386 Vgl. Nettesheim, Öffentlichkeit als Unternehmenssanktion, Stiftung Familienunternehmen, München 2019. 387 BR-Drucks. 440/20, S. 55, einerseits durch die Einstellungsmöglichkeiten der StPO und andererseits durch verbandsspezifische Möglichkeiten, vom Verfahren abzusehen oder das Verfahren einzustellen, in den §§ 35 ff. VerSanG-E. 388 BR-Drucks. 440/20, S. 54, durch den Verweis auf die grundsätzliche Anwendbarkeit der Vorschriften der StPO in § 25 Abs. 1 VerSanG-E. 389 BR-Drucks. 440/20, S. 51. 390 Vgl. Köllner/Cyrus, NZI 2018,18 (21); vgl. auch Rübenstahl, WiJ 2018, 111 (113), der auf die mangelnde Umsetzung von RiStBV Nr. 180a Abs. 1, S. 1 hinweist. 391 BR-Drucks. 440/20, S. 61. 392 Synergieeffekte sollen durch die bereits existierende Ermittlungspflicht in Individualverfahren entstehen. 393 BR-Drucks. 440/20, S. 3. 394 Vgl. z. B. § 35 Abs. 2 VerSanG-E, im Gegensatz zum Kölner Entwurf oder zum Münchner Entwurf erkennt der Entwurf auch Einstellungsmöglichkeiten des erkennenden Gerichts an.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Die Anforderungen sind insoweit insgesamt sehr hoch, sodass davon ausgegangen werden muss, jede betriebsinterne Störung des Produktions- oder Geschäftsablaufs führe zunächst zu einem Anfangsverdacht und somit zu Ermittlungen.395 Deshalb wird teilweise vertreten, dass das vom Entwurf eingeführte Legalitätsprinzip gezielt dafür genutzt werde, eine massive Drohkulisse gegenüber dem Verband aufzubauen. In einem „Unterwerfungsverfahren“, das die Kooperation des Verbandes erzwingen soll, da dieser massive Reputationsschäden befürchten muss, sollen dann de facto „Opportunitätseinstellungen“ gefördert werden.396 Somit erscheint auch nach einer Einführung des Legalitätsprinzips offen, ob eine verbesserte Anwendung des Unternehmenssanktionsrechts erfolgen wird. c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität Die Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität könnte durch die Einführung einer stärkeren Sanktion gegenüber Unternehmen abgeholfen werden. Fraglich ist somit, welche Sanktionsqualität die vom Entwurf vorgesehene Sanktion tatsächlich aufweist. Der Entwurf stellt insoweit zunächst klar, dass es sich nicht um die Einführung eines Unternehmensstrafrechts,397 sondern um ein eigenständiges Sanktionskonzept handelt. Es erscheint jedoch möglich, dass der Begriff der Sanktion ausschließlich verwendet wurde, um „semantische Distanz“ zum Kriminalstrafrecht aufzubauen. Dafür sprechen u. a.398 der sich durch den gesamten Entwurf ziehende Begriff der Verbandstat,399 die auf eine Straftat einer Leitungsperson aufbaut,400 die strafrechtliche Ausgestaltung des Verfahrens,401 die hohe Intensität der Verbandsgeldsanktion, die über eine bloße Pflichtenmahnung explizit hinausgehen soll,402 und die pauschale Festlegung der Entwurfsverfasser, dass es sich eben nicht um eine Strafe handele.403 aa) Sanktionsqualität der Verbandsgeldsanktion Die genaue Sanktionsqualität muss somit erneut in Anlehnung an die „EngelKriterien“ des EGMR bestimmt werden.404 395

S. Rotsch/Mutschler/Grobe, CCZ 2020, 169 (175). Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, DRiZ 2018, 14 (19). 397 BR-Drucks. 440/20, S. 2. 398 S. vertiefend Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger, NZG 2020, 848 (849 f.). 399 Vormals im Referentenentwurf noch als Verbandsstraftat betitelt. 400 BR-Drucks. 440/20, S. 71. 401 BR-Drucks. 440/20, S. 55. 402 BR-Drucks. 440/20, S. 53, 80. 403 S. BMJV, Gesetzentwurf zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, Fragen und Antworten, 16.6.2020, S. 4. 404 Vgl. Kapitel 5 die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) aa) Sanktionsqualität der Geldzahlung. 396

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Das erste Kriterium der formalen Zuordnung405 ist zunächst nicht erfüllt, da der Regierungsentwurf die Sanktion als „Verbandsgeldsanktion“ und nicht als Strafe bezeichnet. Bezüglich der Natur der Sanktion kommt es darauf an, ob die Verbandsgeldsanktion die in Deutschland geltenden Anforderungen einer Strafe erfüllt.406 Dies ist vorliegend der Fall. Die Verbandsgeldsanktion ist ausweislich ihrer Begründung die staatlich formalisierte Reaktion auf ein strafbares Verhalten.407 Sie stellt für den Verband vergleichbar mit der Geldstrafe des Entwurfs aus Nordrhein-Westfalen eine finanzielle Belastung dar.408 Der Entwurf spricht sogar von einem Sanktionsübel.409 Auch der Anwendungsbereich,410 der potenziell zumindest die Allgemeinheit der Verbände erfasst,411 sowie das Verfahren, das sich nach den allgemeinen Gesetzen über das Strafverfahren (vgl. § 24 Abs. 1 VerSanG-E) richtet, sprechen für diese Einschätzung. Im Zusammenhang mit dem dritten Kriterium, der Art und Schwere der Sanktion, ist hauptsächlich das Gewicht der dem Beschuldigten insgesamt drohenden Konsequenzen, d. h. die mögliche Höchststrafe, relevant.412 Für den Verband kommt es im Sinne einer quantitativen Abgrenzung somit auf eine erhebliche Sanktionsintensität an. Auch eine solche liegt vor, denn die am Umsatz orientierte Sanktionshöhe, die für multinationale Unternehmen bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes betragen kann,413 stellt eine erhebliche Sanktion dar. bb) Zwischenfazit Die letzten beiden Kriterien sprechen somit für das Vorliegen einer Strafe. Da dem ersten Kriterium insgesamt die geringste Bedeutung zukommt, handelt es sich bei der Verbandsgeldsanktion tatsächlich um eine Strafe.414 405

Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24, Rn. 20. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 24; BVerfGE 105, 135 (153); vgl. vertiefend Kapitel 4 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) aa) (2) Natur der Sanktion. 407 BR-Drucks. 440/20, S. 80; s. a. Knauer, NStZ 2020, 441 (442). 408 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (259) im Zusammenhang mit der Geldstrafe, die vom Entwurf aus NordrheinWestfalen vorgeschlagen wurde. 409 BR-Drucks. 440/20, S. 81. 410 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21. 411 BR-Drucks. 440/20, S. 68 f. 412 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 22. 413 BR-Drucks. 440/20, S. 53. 414 Zum selben Ergebnis kommen auch: Stellungnahme des DAV, 7/2020, 1.2020, S. 9; Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 2 f.; vgl. Rotsch/ 406

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

cc) Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts Die Entbagatellisierung der Unternehmenskriminalität durch die Einführung einer De-facto-Unternehmensstrafe soll jedoch nicht zum Preis der Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts erfolgen. Deshalb ist auch bezüglich des Regierungsentwurfs zu klären, ob die Verbandsgeldsanktion mit höherrangigem Recht vereinbar ist und die Ziel- und Zwecksetzung des Kriminalstrafrechts erfüllt.415 Die Verbandsgeldsanktion steht zunächst im Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR,416 denn in der Sache Beradi und Mularoni gegen San Marino417 hat dieser bestätigt, dass eine Strafe im Sinne der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit auch als solche zu bezeichnen und klar zu definieren ist.418 Wie der EGMR bereits im Rahmen des Urteils zur Sicherungsverwahrung ausgeführt hat,419 gilt das Prinzip der Unschädlichkeit falscher Bezeichnung falsa demonstratio non nocet im Strafrecht nicht.420 Da eine Strafe gegenüber Unternehmen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und dogmatisch möglich ist,421 muss nun geklärt werden, ob der Regierungsentwurf strafrechtlich zu legitimieren ist.422 Insoweit stützt sich der Entwurf einerseits auf die negative Generalprävention, was bedeutet, dass andere Unternehmen durch die Sanktion der Verbandsgeldzahlung abgeschreckt werden sollen.423 Andererseits verfolgt er aber auch spezialpräventive Strafzwecke, die insbesondere auch Compliance-Bemühungen des Verbandes berücksichtigen sollen.424

Mutschler/Grobe, CCZ 2020, 169; s. a. Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger, NZG 2020, 848 (849 f.); Jahn/Schmitt-Leonardy, Der Konzern 2021, 349 ff.; Tsambikakis/Gierok, medstra 2020, 205 (205). 415 Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 27. 416 EGMR, Beradi und Mularoni gegen San Marino, Beschwerde-Nr. 24705/16, Urteil vom 10.1.2019, EuGRZ 2019, 27. 417 EGMR, Beradi und Mularoni gegen San Marino, Beschwerde-Nr. 24705/16, Urteil vom 10.1.2019, EuGRZ 2019, 27. 418 EGMR, Beradi und Mularoni gegen San Marino, Beschwerde-Nr. 24705/16, Urteil vom 10.1.2019, Rn. 40; EuGRZ 2019, 27 (29). 419 EGMR, M. gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 19359, Urteil vom 17.12.2009. 420 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (261). 421 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. I. 2. c) aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht und der Strafrechtsdogmatik. 422 Vgl. hierzu auch Brouwer, AG 2019 920 (921), der Entwurf nimmt hierzu nicht eindeutig Stellung. 423 BR-Drucks. 440/20, S. 81; s. a. Brouwer, AG 2019 920 (920). 424 § 10 VerSanG-E Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt, § 11 VersanGE Vorbehalt eines Teils der Verbandsgeldsanktion, § 12 VersanG-E Auflagen bei Verbandsgeldsanktionsvorbehalt, § 13 VersanG-E Weisungen bei Verbandsgeldsanktionsvorbehalt.

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(1) Legitimation über negative Generalprävention? Fraglich ist somit, ob ein Verband als begrenzt intentionaler Akteur, der nur eine beschränkte Geltungsreflexion aufweist, überhaupt durch negative Generalprävention erreicht werden kann.425 Dies ist, wenn man von der grundsätzlichen Handlungsfähigkeit des Unternehmens ausgeht,426 zumindest dann anzunehmen, wenn die Abschreckung in irgendeiner Form Eingang in die Unternehmenskultur findet.427 Dementsprechend müsste die teilweise umsatzbezogene Verbandsgeldsanktion in ihrer abschreckenden Wirkung auch die Unternehmenskultur eines Unternehmens tangieren. Davon ist nicht auszugehen, da das Unternehmen, um am Markt zu überleben, stets nach größeren Gewinnen und Profit strebt.428 Dieser dem Unternehmen immanenten „Gier“ entsprechend wird es sich immer dann rational für eine Unternehmenstat entscheiden, wenn diese sich „lohnt“. Das bedeutet, dass ein Geschäft trotz immanenter Zuwiderhandlung durchgeführt werden wird, wenn dieses in der Gesamtschau auch bei Berücksichtigung einer Verbandsgeldsanktion „lukrativ“, d. h. Profit bringend, erscheint. Ein Unternehmen kann somit nicht über Abschreckung und damit negative Generalprävention erreicht werden.429 (2) Legitimation über positive Spezialprävention? Wie bereits im Zusammenhang mit dem Kölner Entwurf festgestellt, ist eine spezialpräventive Legitimation im Rahmen der begrenzten Steuerungsfähigkeit des Verbandes grundsätzlich möglich, wenn die spezialpräventiven Maßnahmen tatsächlich Eingang in die Unternehmenskultur finden.430 Fraglich ist somit, ob dies auf die Verbandsgeldzahlung zutrifft und sie so zu einer Besserung des Unternehmens beitragen kann. Die Geldbuße an sich gilt, wie bereits festgestellt wurde, insoweit als nicht geeignetes Mittel. Sie stellt eine bloße finanzielle Belastung des Unternehmens dar und gibt prinzipiell keinen Anlass für eine Besse425 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 738, hinzu kommt die geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit von Unternehmenskriminalität. 426 Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 244 f.; Jahn, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 53 (79 ff.); vgl. auch Rittner, Die werdende juristische Person, S. 210 ff.; Teubner, KritV 70 (1987), 61 (64 ff.). 427 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 67. 428 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 737. 429 Vgl. Ortmann, in: Wirtschaft demokratisch, S. 259 (266), der statuiert, dass eine Tat, die sich rechnet, Ausdruck von Vernunft sein kann. Verbrechen können Sache einer ökonomischen Kalkulation sein, Strafen in diesem Sinne bloße Verluste; a. A. Lawall/ Weitzell, NZWiSt 2020, 209 (211 ff.), die davon ausgehen, dass Generalprävention bei ausreichender Anreizgebung funktionieren kann, aber dabei die Besonderheiten des Verbandes unberücksichtigt lassen. 430 Vgl. Darstellung im Rahmen des Kölner Entwurfs Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) bb) (2) (b) Legitimation über positive Spezialprävention?; a. A. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 740 ff.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

rung des Unternehmens oder die Weitergabe der Normbotschaft bzw. eine Verteilung interner Verantwortungsbeiträge oder eine Verantwortungsfixierung.431 Es ist auch nicht ersichtlich, wie die vom Entwurf vorgesehene grundsätzlich unterschiedslose Behandlung von präventiven und nachträglichen Handlungen zur Vermeidung von Verbandstaten dies ändern könnte.432 Das auf Profitmaximierung ausgelegte Unternehmen enthält vielmehr auf diese Weise eine Art Freischein zur Begehung von Unternehmenstaten, die dann bei Erfüllung von anschließenden Weisungen noch einen günstigeren „Sanktionstarif“ nach sich ziehen können.433 Ob auf diese Weise die Weitergabe der Normbotschaft und Verantwortungsfixierung erfolgen kann, ist zweifelhaft. Insgesamt enthält das VerSanG-E keine konkreten Compliance-Erwartungen oder Maßnahmen, die im Sinne einer Handlungserwartung eine andere Bewertung rechtfertigen könnten. Stattdessen wird die Maßnahmenwahl in das Ermessen des Gerichts gelegt.434 Solange aber präventiv etablierte Compliance-Systeme lediglich einen Milderungsfaktor neben vielen darstellen und Leitlinien normativ nicht einmal angedeutet werden, kann auch von diesen keine spezialpräventive Wirksamkeit gegenüber dem Verband ausgehen.435 Eine Legitimation über die positive Spezialprävention scheitert somit ebenfalls. dd) Zwischenergebnis Auch der Regierungsentwurf kann somit keinen strafrechtlichen Legitimationsgrund aufweisen und folglich die Ziel- und Zwecksetzung der Kriminalstrafe nicht erfüllen.436 Die Entbagatellisierung der Unternehmenskriminalität durch die Einführung einer Strafe im VerSanG-E trägt zu einer schleichenden Entwertung des Kriminalstrafrechts bei. Wie bereits beim Kölner Entwurf kritisiert, kommt es durch die Heimlichkeit zudem zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit für Verbände, da die De-facto-Strafe nicht vorhersehbar ist. Letztlich sollte auch insoweit eine Zweckentfremdung des Strafrechts durch geschickte Fehlbezeichnungen für politische Richtungsentscheidungen vermieden werden.437 d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität Abschließend ist somit zu klären, ob der Regierungsentwurf zu einer verbesserten Erfassung von Unternehmenskriminalität führt. Ausweislich des Entwurfs431

Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251

(259). 432 433 434 435 436 437

§ 15 Abs. 3 Nr. 6 und 7 VerSanG-E. BR-Drucks. 440/20, S. 82. BR-Drucks. 440/20, S. 85. Vgl. Ott/Lüneborg, NZG 2019, 1361 (1368). Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 27. Vgl. Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (314).

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textes möchte dieser über die Sanktionierung der strafbar handelnden Person hinaus auch den hinter ihr stehenden Verband sanktionieren.438 Auf diese Weise soll auf potenziell kriminogene Aspekte von Verbandsstrukturen sowie der Verbandszugehörigkeit reagiert werden. Dazu gehöre, dass durch arbeitsteilige Organisation eine Verantwortungsdiffusion entstehen und Straftaten von Unternehmensmitarbeitern erleichtern sowie ermöglichen kann.439 Die Verbandszugehörigkeit vermittele auch kollektive Werte, die sich unmittelbar auf das Verhalten der Unternehmensmitglieder auswirken und im Einzelfall bis hin zu einer „kriminellen Verbandsattitüde“ entwickeln können.440 Die Verurteilung der handelnden Person sei insoweit nicht ausreichend, um diese verbandsbezogenen Umstände abzubilden.441 Diese Erwägungen versucht der Regierungsentwurf vermeintlich durch § 3 VerSanG-E zu erfassen. Dabei handelt es sich bei genauer Betrachtung nahezu unverändert um den aus den §§ 30, 130 OWiG bekannten Zurechnungsmechanismus.442 Das bedeutet, dass die bezüglich des Zurechnungsmodells des § 30 OWiG identifizierten Probleme auch hier relevant werden und keine Verbesserung vorliegt.443 Der beschriebene Rückschluss von einer Zuwiderhandlung auf eine mangelhafte Aufsicht, der sich als Beweislastumkehr auswirkt, wird durch § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E sogar noch verschärft, denn dieser fordert lediglich eine objektive Pflichtverletzung der aufsichtspflichtigen Leitungsperson.444 Auf diese Weise kommt es zu einer verschuldensunabhängigen strafrechtlichen Gefährdungshaftung.445 Diese stellt sogar noch eine Verschlechterung zu der bereits in § 30 OWiG angelegten Erfolgshaftung dar.446 Auch im Rahmen des Regierungsentwurfs wird der Verband außerdem nicht für eine Pflichtverletzung gegenüber betroffenen Rechtsgütern, sondern für eine fehlerhafte Organisation sanktioniert.447 438

BR-Drucks. 440/20, S. 48. BR-Drucks. 440/20, S. 48. 440 BR-Drucks. 440/20, S. 48, der Entwurf legt sich jedoch nicht fest, was genau das kriminelle Verhalten des Verbandes sein soll, vgl. Schmitz, WiJ 2019, 154 (154); Rönnau, NZWiSt-Editiorial 10/2019. 441 BR-Drucks. 440/20, S. 48. 442 BR-Drucks. 440/20, S. 52; Rönnau, NZWiSt-Editiorial 10/2019; vgl. auch Brouwer, AG 2019, 920 (921); vgl. Fiebig, Unternehmensjurist 2020, 56 (58). 443 Vgl. Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes D. Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität. 444 BR-Drucks. 440/20, S. 75; auf ein vorsätzliches oder fahrlässiges Unterlassen wird somit verzichtet. Dies wird auch vom Bundesrat in seiner Stellungnahme kritisiert, vgl. BR-Drucks. 440/20 (B), S. 3 f. 445 Brouwer, AG 2019, 920 (921). 446 Die hier erwähnte Erfolgshaftung findet sich sowohl im NRW VerbStrG-E als auch im Kölner VerbSG-E; vgl. Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (21). 447 HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. 439

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Darüber hinaus wird der Verband auch weiterhin mit seinen Leitungsträgern448 und abschließend mit seinen Rechtsträgern gleichgesetzt.449 Das ist allerdings zu eng, um Unternehmenskriminalität, die von allen Ebenen des Unternehmens ausgehen kann, zu erfassen.450 Gleichzeitig wird erneut auf einen konkreten Verbandsbezug verzichtet, sodass auch Fälle, in denen das Unternehmen nur als Werkzeug oder kriminogener Kontext genutzt wird, miterfasst werden.451 In dieser Hinsicht ist der Regierungsentwurf somit zu weit, um Unternehmenskriminalität zu adressieren. 3. Zwischenergebnis Insgesamt ist der Referentenentwurf in vielen Punkten mit dem Kölner Entwurf vergleichbar. Auch er täuscht über seinen wahren strafrechtlichen Charakter und kann anschließend keinen strafrechtlichen Legitimationsgrund aufweisen. Er beschränkt sich ebenfalls auf die Steigerung der Sanktionsintensität, eine Vorgehensweise, die bereits von § 30 OWiG bekannt ist.452 Somit ist der Regierungsentwurf abschließend nicht in der Lage, die am geltenden Recht identifizierten Defizite umfassend zu adressieren.

IV. Münchner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes Am 5. September 2019 ist der Münchner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (Münchner Entwurf) der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Dieser wurde ausweislich des Entwurfstextes in Erwartung des Referentenentwurfs verfasst und kann insoweit als Gegenentwurf verstanden werden, der auf eine übersteigerte Kriminalisierung von Unternehmen verzichten möchte.453 Ziel des Entwurfs ist, eine eigenständige strafrechtsnahe Regelung zur Sanktionierung von Verbänden in Gestalt eines Verbandssanktionengesetzes einzuführen. Bloße Korrekturen des Ordnungswidrigkeitenrechts seien aufgrund der großen Anzahl und des Umfangs der neu zu regelnden Fragen nicht ausreichend, die Einführung eines Verbandsstrafgesetzbuches aber gleichwohl nicht notwendig.454 Insgesamt solle auf diese Weise der Entwurf des BMJV nicht einfach akzeptiert werden, so Tsambikakis, einer der Entwurfsverfasser.455 Der Entwurf hat sich 448 Hinzukommt im Regierungsentwurf außerdem die Konturenlosigkeit des Begriffs der Leitungsperson, vgl. Brouwer, AG 2019, 929 (921 f.). 449 Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 13. 450 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19). 451 Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 452 Vgl. zur Entwicklung der Höhe der Geldbuße § 30 OWiG KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 22 ff. 453 Münchner Entwurf, S. 5; vgl. Saliger/Tsambikakis, BB 2019, Heft 40 Umschlagteil I.; Podolski, LTO 5.9.2019. 454 Münchner Entwurf, S. 38. 455 Podolski, LTO 5.9.2019.

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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insgesamt eine verhältnismäßige und kohärente Verbandssanktionierung zum Ziel gesetzt.456 Kern des Entwurfs ist das bereits de lege lata existierende Zurechnungsmodell der §§ 30, 130 OWiG. Grundlage der Sanktionierung sollen weiterhin die Zuwiderhandlungen der Leitungspersonen und Mitarbeiter sein.457 Die Verbandszahlung soll sich, wie bereits vom Entwurf des Landes Nordrhein-Westfalens vorgesehen, an einem Tagessatzsystems orientieren. Die Bemessungsgrenzen sollen erhöht werden, jedoch nicht anhand einer umsatzbezogenen Geldbuße.458 Die umsatzbezogene Geldbuße könne leicht zu unverhältnismäßigen Ergebnissen führen, so Saliger, ebenfalls ein Entwurfsverfasser.459 Der Diesel-Skandal sei insoweit als Ausnahme zu betrachten.460 Um eine angemessene Sanktionierung des Verbandsunrechts und der Verbandsschuld gewährleisten zu können, sollen darüber hinaus auch vorhandene Compliance-Systeme sowie der Aufbau von effektiven Compliance-Systemen nach der Anknüpfungstat sanktionsmildernd berücksichtigt werden.461 1. Wesentlicher Entwurfsinhalt Vom Anwendungsbereich des Entwurfs ausgenommen sind zunächst kleine Verbände.462 In § 3 Abs. 1 wird die Verbandssanktionierung an die schuldhafte verbandsbezogene Zuwiderhandlung einer Leitungsperson geknüpft, welche diese in Wahrnehmung von Verbandsangelegenheiten begangen hat. Insoweit ist eine klare Anlehnung an § 30 Abs. 1 OWiG erkennbar. Sanktionsgrund soll die fehlerhafte kollektive Sinnsetzung sein, die in der individuellen Anknüpfungstat der jeweiligen Leitungsperson zum Ausdruck kommt. Die betreffende Person erfülle nicht nur individuellen, sondern kollektiven „Fehlsinn“, sodass von einer eigenen Schuld des Verbandes gesprochen werden könne.463 Die Anknüpfungstat muss darüber hinaus auch schuldhaft und in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes erfolgen.464 Dabei wird ein Handeln im Geschäfts- und Wirkungsbereich des Verbandes in Abgrenzung zu einem Handeln bei Gelegenheit gefordert.465

456

Münchner Entwurf, S. 38. Münchner Entwurf, S. 38. 458 Münchner Entwurf, S. 38 f. 459 Podolski, LTO 5.9.2019. 460 Münchner Entwurf, S. 39. 461 Münchner Entwurf, S. 38 f.; vgl. BGH, NZWiSt 2018, 379, (387), in dem die grundsätzliche Bedeutung von Compliance-Maßnahmen anerkannt wurde. 462 Alle in diesem Abschnitt folgenden Normen ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des Mü-VerbSanG-E. 463 Vgl. KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 4 ff. 464 Münchner Entwurf, S. 51. 465 Münchner Entwurf, S. 51 f. 457

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

In Abs. 2 wird die originäre Verbandsverantwortlichkeit der Organisations- und Aufsichtspflichtverletzung geregelt. Die Verbandssanktionierung wird hierbei an die in Wahrnehmung von Verbandsangelegenheiten begangene Zuwiderhandlung eines Mitarbeiters angeknüpft, die dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass eine Leitungsperson erforderliche und zumutbare Organisations- und Aufsichtsmaßnahmen unterlassen hat.466 Im Kern handelt es sich hierbei um die bekannte Aufsichtshaftung des § 130 Abs. 1 OWiG.467 In bestimmten in § 4 geregelten Fällen soll die Sanktionierung des Verbandes aus Gründen der Rechtssicherheit zudem ausgeschlossen sein. Besondere Bedeutung erlangen im Entwurf gemäß § 8 Abs. 1, 3 existierende Compliance-Systeme eines Verbandes. Sie führen zwar nicht zu einem Ausschluss des Verbandsunrechts, können aber zu einer Minderung im Rahmen der Sanktionszumessung nach § 8 Abs. 1, 3 oder zu einer Einstellung nach § 11 führen. In § 8 Abs. 3 werden zudem die vor einer Zuwiderhandlung ergriffenen Organisations- und Aufsichtsmaßnahmen explizit genannt. Die Vorschrift soll die Spezialprävention stärken und dem Verband Anreize zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen setzen.468 In § 6 werden die Verbandssanktionen festgelegt. Möglich sind die Verbandsgeldzahlung (§ 7), die Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt (§ 14) und die Bekanntmachung der Verurteilung (§ 17). Die Verbandsgeldzahlung unterscheidet sich von der Geldbuße des § 30 OWiG durch Einführung eines Tagessatzsystems bei gleichzeitiger Anhebung der konkreten Höchstgrenzen.469 Differenzierte Regelungen zur Bemessung der Geldbuße sind in § 8 geregelt. Nach § 9 ist des Weiteren die Einziehung möglich. Die Geldzahlung kann noch darüber hinaus zur Bewährung ausgesetzt werden. In prozessualer Hinsicht sind vor allem die Einführung des Legalitätsprinzips in § 24 Abs. 1 und die damit korrespondierenden Möglichkeiten des Absehens von Strafe nach den §§ 25 bis 27 erwähnenswert. Spiegelbildlich erhält dafür der Verband in den §§ 22 ff. Beschuldigtenrechte, die ein rechtsstaatliches Gleichgewicht gewährleisten sollen. In den §§ 33 ff. werden darüber hinaus interne Untersuchungen umfassend geregelt. 2. Analyse Auch der Münchner Entwurf soll nun dahingehend untersucht werden, ob er den Defiziten des gegenwärtigen Rechts abhelfen kann. 466

Münchner Entwurf, S. 52 f. Münchner Entwurf, S. 52 f. 468 Diese entsprechen weitestgehend dem Gesetzgebungsvorschlag des BUJ. 469 Bei einer vorsätzlichen Verbandsverfehlung bis zu 20 Mio. Euro, bei einer fahrlässigen bis zu 10 Mio. Euro und bei einem entsprechenden Umsatz des Unternehmens auch erhöhte Sanktionen. 467

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a) Zu schwache Sanktion Der Münchner Entwurf schlägt eine an § 40 StGB orientierte Verbandsgeldzahlung vor. Dabei soll die Ahndungskomponente der de lege lata existierenden Geldbuße des § 30 OWiG im Verhältnis zum Abschöpfungsteil gestärkt werden, indem die Höchstgrenzen der Verbandsgeldzahlung angehoben werden.470 Der bisher der Geldbuße immanente Abschöpfungsteil soll aus der Verbandsgeldbuße herausgelöst werden und nun vollständig von der Einziehung nach § 9 abgelöst werden. Die Einziehung soll darüber hinaus von nun an obligatorisch ausgestaltet sein.471 Auf eine umsatzbezogene Sanktion wie z. B. vom Kölner Entwurf vorgeschlagen verzichtet der Münchner Entwurf hingegen bewusst. Einerseits würden so zu hohe Sanktionshöhen erreicht und andererseits letztlich die Bestimmtheit und Rechtssicherheit gemindert,472 wenn es wie im Kartellrecht große Unterschiede in der Sanktionshöhe zwischen vom Bundeskartellamt vergebenen Bußgeldern und solchen der Gerichte gäbe.473 Deshalb ist eine gestaffelte Erhöhung der Sanktionshöchstgrenzen vorgesehen. Relevant sind insoweit einerseits das Vorliegen einer vorsätzlichen und fahrlässigen Begehung und andererseits der Verbandsumsatz.474 Die Maximalsanktion des jeweils betroffenen Verbandes beträgt 200 Millionen Euro. Neben sie kann die Einziehung gemäß § 9 treten.475 Somit liegt gegenüber der de lege lata existierenden Geldbuße, die bei vorsätzlicher Begehung 10 Millionen Euro Strafe vorsieht, eine deutliche Verschärfung des Sanktionsregimes vor, die sich aufgrund ihrer tatsächlichen Sanktionshöhe auch kaum von einer umsatzbezogenen Geldbuße unterscheidet. b) Anwendungsdefizit Auch der Münchner Entwurf macht das Opportunitätsprinzip für das Anwendungsdefizit verantwortlich.476 Er will diesen Missstand durch die Einführung des Anklage- und Legalitätsgrundsatzes in § 25 beheben. Das Legalitätsprinzip soll aber auch nicht absolut gelten. § 24 Abs. 2 enthält deshalb Möglichkeiten zur vorläufigen Einstellung der Verfolgung des Verbandes, wenn der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nach einer ersten Prüfung der Staatsanwaltschaft eher im Individualbereich liegt. Diese Regelung verfolgt nach der Begründung zwei 470 471 472 473 474

Münchner Entwurf, S. 58. Münchner Entwurf, S. 58. Münchner Entwurf, S. 58 f. Ost/Breuer, NZKart 2019, 119 (125); Klusmann, ZGR 2016, 252 (268). Dieser entspricht dem durchschnittlichen Jahresumsatz der letzten drei Geschäfts-

jahre. 475 476

Münchner Entwurf, S. 59. Münchner Entwurf, S. 37.

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Ziele: Einerseits soll auf diese Weise der bereits de lege lata hohen Auslastung der Staatsanwaltschaften Rechnung getragen werden, die sich durch die Einführung des Legalitätsprinzips noch weiter verschärfen wird. Andererseits soll so garantiert werden, dass der Fokus der Ermittlungen weiterhin auf der Feststellung und Verfolgung individueller Verantwortlichkeit liegt.477 Unklar bleibt aber weiterhin, ob dieser Ansatz sinnvoll ist. Kritisiert wird insoweit, dass es sich beim Anwendungsdefizit des geltenden Rechts gar nicht um ein Rechtsdefizit des Opportunitätsprinzips, sondern um ein bloßes Durchsetzungsdefizit handele,478 das u. a. auf einer unzureichenden Ausstattung der Verfolgungsbehörden und Gerichte beruhe.479 Letzteres erscheint insbesondere aufgrund der in dem Entwurfstext geschilderten bereits de lege lata existierenden hohen Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaften zumindest nicht ausgeschlossen.480 Der Entwurf führt aus, dass die Zahl erfahrener Mitarbeiter bereits jetzt begrenzt sei.481 Insgesamt ist nicht ersichtlich, wie die geschilderte Regelung zur Einstellung bei schwerpunktmäßiger Individualverantwortlichkeit hier tatsächlich Abhilfe schaffen können soll. Auch die anderen vorläufigen Einstellungsvorschriften und Vorschriften zum Absehen von Strafe haben für sich gesehen jeweils hohe Voraussetzungen und können so nicht zu einer wirklichen Entlastung führen. Faktisch kommt es auf diese Weise lediglich zu einem erhöhten Kooperationsdruck für Unternehmen, um Reputationsschäden zu vermeiden.482 Verschärft wird diese Situation dadurch, dass unklar ist, ob das erkennende Gericht über die in § 11 geregelten Fälle hinaus die Möglichkeit haben soll, das Verfahren einzustellen, oder dieses Recht allein der ermittelnden Staatsanwaltschaft zukommen soll. Nach § 18 soll die StPO dann zur Anwendung kommen, wenn das Verbandssanktionengesetz nichts anderes bestimmt. In den §§ 23 ff. sind Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft, die den §§ 153 ff. StPO nachgebildet sind, kodifiziert. Diese sind jedoch im Abschnitt des Ermittlungsverfahrens angeordnet. Im Abschnitt der Hauptverhandlung findet sich hingegen kein Verweis auf die §§ 153 ff. StPO, sodass zumindest unklar bleibt, ob hier die StPO Anwendung finden soll oder die spezielleren Regelungen, die im Ermittlungsverfahren kodifiziert sind, diese sperren. Im letzteren Fall könnte nicht mehr sichergestellt werden, dass die Geldbuße wirklich Ultima Ratio ist, weil das Gericht nach Anklageerhebung keine Möglichkeit mehr hätte, ein bereits laufen477

Münchner Entwurf, S. 75. Vgl. Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (313). 479 Vgl. Köllner/Cyrus, NZI 2018,18 (21); vgl. auch Rübenstahl, WiJ 2018, 111 (113), der auf die mangelnde Umsetzung von RiStBV Nr. 180a Abs. 1, S. 1 hinweist. 480 Münchner Entwurf, S. 75. 481 Münchner Entwurf, S. 75. 482 Vgl. Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (314). 478

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des Bußgeldverfahren noch durch eine Ermessensentscheidung einzustellen.483 Ob auf diese Weise die Anwendung der Unternehmenssanktionierung gestärkt werden kann, erscheint fraglich. c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität Ob sich an der Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität, die grundsätzlich mit der Einordnung in das Ordnungswidrigkeitenrecht einhergeht, durch die Einführung des vom Münchner Entwurf vorgesehenen Verbandssanktionsgesetzes etwas ändert, hängt mit der grundsätzlichen Einstufung der Sanktionsqualität der Verbandsgeldzahlung aus § 7 zusammen. Zunächst spricht sich der Entwurf gegen eine strafrechtliche Verankerung der Unternehmenskriminalität aus,484 gleichzeitig statuiert er aber, dass es für eine präventive Wirkung irrelevant sei, welchen Titel die Sanktion trage (Geldstrafe, Geldbuße oder Verbandsgeldzahlung),485 und spricht von einer Verbandsschuld.486 Dies erlaubt, die Frage aufzuwerfen, ob es sich bei der Geldzahlung des Münchner Entwurfs nicht um eine Strafe handelt. aa) Sanktionsqualität der Verbandsgeldzahlung Während die formale Zuordnung487 im nationalen Recht nicht strafrechtlich geprägt ist,488 sodass das erste Kriterium nicht erfüllt ist,489 können sowohl die Natur als auch die Art und Schwere der Sanktion als erfüllt betrachtet werden. Bezüglich der Natur der Sanktion kommt es hauptsächlich auf Art und Ziel der Sanktionierung, den persönlichen Anwendungsbereich und die Ausgestaltung des Verfahrens an.490 Die vom Münchner Entwurf vorgesehene Geldzahlung erfüllt insoweit die Anforderungen einer Strafe.491 Bei ihr handelt sich um ein formalisiertes, retrospektives Verfahren, das eine Übelzufügung enthält: die Verbandsgeldzahlung, die für den Verband Kosten bzw. eine finanzielle Belastung bedeu483

Vgl. Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (66). Münchner Entwurf, S. 38. 485 Münchner Entwurf, S. 38. 486 Münchner Entwurf, S. 39. 487 Auch der Münchner Entwurf wird anhand der „Engel-Kriterien“ überprüft; vgl. Kapitel 5 die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) aa) Sanktionsqualität der Geldzahlung. 488 Münchner Entwurf, S. 38, wie schon zuvor der Kölner VerbSG-E und der Regierungsentwurf spricht sich auch der Münchner Entwurf zunächst für eine neue eigenstände und verhältnismäßige Erfassung von Unternehmenskriminalität in einem Verbandssanktionengesetz aus. 489 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 20, diesem Kriterium kommt in der Praxis die geringste Bedeutung zu. 490 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21. 491 Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 24; BVerfGE 105, 135 (153). 484

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tet.492 Die Geldzahlung ist eine repressive Sanktion, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein zumindest teilweise rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellt.493 Zudem spricht für den strafrechtlichen Charakter, dass der Adressatenkreis potenziell die Allgemeinheit erfasst. An dieser Einschätzung ändern auch die Ausnahmen des § 1 Abs. 2 S. 1 nichts.494 Das Verfahren soll von der Staatsanwaltschaft geleitet werden.495 Darüber hinaus sollen die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz nach § 18 parallele Anwendung finden, wodurch eine Einbindung in das strafrechtliche Verfahren gegeben ist. Insgesamt kann deshalb von einer strafrechtlichen Natur ausgegangen werden. Im Zusammenhang mit dem dritten Kriterium, der Art und Schwere der Sanktion, kommt es auf das Gewicht der dem Beschuldigten insgesamt drohenden Konsequenzen, d. h. die mögliche Höchststrafe, an.496 Für Verbände ist insoweit eine Erheblichkeit der Sanktionsintensität zu fordern.497 Die vom Münchner Entwurf vorgesehene maximale Sanktionshöhe der Verbandsgeldzahlung beträgt gemäß § 7 für größere Verbände498 im Falle einer vorsätzlichen Verbandsverfehlung 200 Millionen Euro und für fahrlässige Verbandsverfehlungen 100 Millionen Euro. Die Verbandsgeldzahlung weist somit eine erhebliche Sanktionsintensität auf. Art und Schwere der Sanktion sprechen damit für das Vorliegen einer Strafe. Somit kann festgehalten werden, dass es sich auch bei der vom Münchner Entwurf vorgesehenen Geldzahlung, die eigentlich ausweislich des Entwurfstextes nur eine strafrechtsnahe Sanktionierung sein soll,499 faktisch um eine Strafe handelt. bb) Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts Ob eine Entbagatellisierung der Unternehmensverantwortlichkeit nur zum Preis einer Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts erfolgen kann, hängt davon ab, ob der Entwurf in der Lage ist, die Ziel- und Zwecksetzung des Kriminalstraf-

492 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (259) im Zusammenhang mit der Geldstrafe, die vom Entwurf aus NordrheinWestfalen vorgeschlagen wurde. 493 S. Münchner Entwurf S. 23; s. § 3 Abs. 1, der von einer schuldhaften verbandsbezogenen Zuwiderhandlung ausgeht. 494 Münchner Entwurf, S. 38. 495 Münchner Entwurf, S. 43. 496 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 22. 497 Vgl. Darstellung im Rahmen des Kölner Entwurfs Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) aa) (3) Art und Schwere der Sanktion. 498 Gemeint sind Verbände, die einen durchschnittlichen Jahresumsatz von über 2 Mrd. Euro in den letzten drei Geschäftsjahren aufweisen. 499 Münchner Entwurf, S. 38.

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rechts zu berücksichtigen.500 Somit ist fraglich, ob der Entwurf einen strafrechtlichen Legitimationsgrund aufweist.501 Der Münchner Entwurf verfolgt ausweislich seines Entwurfstextes insbesondere spezialpräventive Ziele. So sollen Anreize zur Sanktionsvermeidung z. B. durch die Berücksichtigung von vorhandenen Compliance-Systemen, deren nachträgliche Implementierung sowie die Möglichkeiten der Aussetzung der Verbandsgeldzahlung zur Bewährung oder der Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt gesetzt werden.502 Auf ein „spezialpräventives Umerziehungsprogramm“ soll hingegen verzichtet werden.503 Spezialpräventive Legitimationsgründe sind, wie bereits im Rahmen des Kölner Entwurfs geprüft wurde, grundsätzlich in der Lage, eine Strafe gegenüber Verbänden zu legitimieren.504 Deshalb ist nun zu überprüfen, ob die vom Entwurf vorgeschlagene Verbandsgeldzahlung und die flankierenden ComplianceMaßnahmen spezialpräventiv sind. Wie bereits festgestellt, weisen Geldzahlungen per se keine spezialpräventive Wirksamkeit auf. Es ist nicht ersichtlich, wie durch die Geldzahlung ein Anreiz geschaffen werden soll, die Normbotschaft nach innen weiterzugeben oder die Verteilung interner Verantwortungsbeiträge vorzunehmen bzw. Verantwortung zu fixieren oder sogar nach außen weiterzugeben.505 Diese Einschätzung kann auch nicht angesichts der flankierenden ComplianceMaßnahmen revidiert werden, denn diese berücksichtigen primär die nachträgliche Implementierung von Compliance-Maßnahmen.506 Zwar erscheint es auch damit möglich, den Verband zu bessern, die nötige Appellwirkung, sich rechtmäßig zu verhalten, bleibt aber aus, da auf diese Weise dem Verband vermittelt wird, dass die lukrative Chance besteht, Compliance-Maßnahmen nicht im Vorhinein zu implementieren, sondern sich durch nachträgliche Maßnahmen einen

500

Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 27. Von der Vereinbarkeit einer Verbandsstrafe mit dem Verfassungsrecht und der strafrechtlichen Dogmatik kann ausgegangen werden, s. Kapitel 5 C. I. 2. c) aa) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht und der Strafrechtsdogmatik; bezüglich der Unvereinbarkeit mit europäischem Recht s. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) bb) (1) Kein „Falsa demonstratio non nocet“ im Strafrecht. 502 Münchner Entwurf, S. 39. 503 Münchner Entwurf, S. 39, ein solches wird von den Entwurfsverfassern im Kölner Entwurf erblickt. 504 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) bb) (2) (b) Legitimation über positive Spezialprävention?; vgl. a. A. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 740 ff. 505 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (259). 506 S. § 11 Abs. 1 und 2 dem Absehen von Sanktionen und § 12 Abs. 2 der Aussetzung der Sanktion zur Bewährung. 501

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günstigeren Sanktionstarif zu sichern. Eine Legitimation des Münchner Entwurfs über positive Spezialprävention scheitert somit. cc) Zwischenergebnis Der Münchner Entwurf ist mangels Legitimationsgrund somit nicht in der Lage, die Ziel- und Zwecksetzung des Kriminalstrafrechts zu erfüllen.507 Die Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität durch die Einordnung in das Ordnungswidrigkeitenrecht kann nicht beseitigt werden, ohne dass eine Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts in Kauf genommen werden müsste. Bereits beschriebene Probleme bezüglich der Vorhersehbarkeit von Strafe für Unternehmen sowie der Zweckentfremdung des Kriminalstrafrechts ergeben sich hier erneut.508 d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität Die mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität kann vom Münchner Entwurf nicht adressiert werden, denn er knüpft seinem Entwurfstext entsprechend sogar expressis verbis inhaltlich „pragmatisch“509 an das existierende und bewährte Zurechnungsmodell des § 30 OWiG an.510 Damit werden die bereits de lege lata genannten Kritikpunkte, dass eine Erfassung von Unternehmenskriminalität speziell durch das Zurechnungsmodell des § 30 OWiG nicht möglich ist, erneut relevant.511 3. Zwischenergebnis Der Münchner Entwurf bewegt sich insgesamt trotz einiger Unterschiede auf einer Linie mit dem Kölner Entwurf und dem Regierungsentwurf. Auch er führt trotz der Proklamation einer „Sanktion“ klandestin eine Strafe ein, die nicht strafrechtlich legitimiert ist. Der Entwurf erhöht die Sanktionsintensität, kann jedoch abermals insbesondere aufgrund des starren Festhaltens am bestehenden Zurechnungsmodell des § 30 OWiG die übrigen Kritikpunkte nicht adressieren.

V. „Frankfurter Thesen“ und Entwurf eines Frankfurter Unternehmenssanktionsgesetzes Abschließend soll nun überprüft werden, ob die „Frankfurter Thesen“ bzw. das auf den „Frankfurter Thesen“ beruhende Frankfurter Unternehmenssanktionsgesetz eine Verbesserung gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage darstellen. 507

Vgl. Kohlhof, Die Legitimation einer originären Verbandsstrafe, S. 27. Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) cc) Zwischenergebnis. 509 Vgl. Münchner Entwurf, S. 50. 510 Münchner Entwurf, S. 38. 511 S. Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes D. Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität. 508

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1. Die „Frankfurter Thesen“ Die „Frankfurter Thesen“ eines parastrafrechtlichen Systems zur Verantwortungszuweisung und Sanktionierung von Unternehmen beruhen auf der Grundlagenarbeit von Schmitt-Leonardy512 und der Konkretisierung von Jahn, SchmittLeonardy und Schoop.513 Sie bauen auf dem von Schmitt-Leonardy definierten Begriff der Unternehmenskriminalität sowie der Vorstellung des Unternehmens als Akteur sui generis auf. Dabei umfasst Unternehmenskriminalität 514 Rechtsgutsverletzungen aller Art,515 die sowohl auf punktuelle und habituelle Normabweichungen von Unternehmensmitarbeitern (Subkulturenkriminalität) als auch auf systematische, korporative Kriminalität zurückgeführt werden können.516 Die „Frankfurter Thesen“ schlagen einen dialogischen Erledigungsmechanismus, den sogenannten Folgenverantwortungsdialog, vor, der speziell für die Unternehmen als Adressaten geschaffen wird. Ziel ist, eine retrospektive Gesamtstrategie zur Unrechtsfixierung zu generieren, die Verantwortungsanteile klar zuweist und auf Wiedergutmachung bzw. die Neuausrichtung des Systems abzielt.517 Die dialogische Struktur soll dabei besser in der Lage sein, die konkreten Informationen verfügbar zu machen, die für eine faire Verantwortungszuweisung notwendig sind.518 Angestrebt wird, auf diese Weise eine Kooperation des Unternehmens honorieren und gleichzeitig Dritte wie Betroffene, Verbände mit Bezug zum verletzten Rechtsgut oder Whistleblower etc. in das Verfahren mit einbeziehen zu können.519 Die parastrafrechtliche Ausgestaltung soll erlauben, 512 Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?; Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251. 513 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27. 514 Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 277, verstanden als abweichendes Verhalten, das in funktionellem Zusammenhang zum Unternehmen erfolgt, um dessen Passiva zu mindern bzw. Aktiva zu erhöhen, und/oder, um im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit eingegangene Verpflichtungen nicht einzuhalten und einen strafrechtlichen relevanten Erfolg zu verursachen, für den das Unternehmen conditio sine qua non war. 515 Dies können außerhalb der klassischen wirtschaftsstrafrechtlichen Tatbestände z. B. Straftaten gegen den Wettbewerb, Betrug, Untreue, Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung durch unternehmensspezifische Arbeitsbedingungen oder Umweltdelikte sein. 516 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 287, insoweit ist aber noch nichts über die Zurechnung dieser Kriminalität zum Unternehmen gesagt. 517 S. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (265). 518 S. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (266); unter Hinweis darauf, dass bei komplexen Kriminalitätsformen, wie der Unternehmenskriminalität, bisher oft ein Informationsdefizit besteht. 519 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (266 f.).

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ohne die Verletzung strafprozessrechtlicher Grundprinzipien eine Verständigung unabhängig von finanziellen Ressourcen, Informationen und Macht durchzuführen.520 Gleichzeitig soll es aber auch möglich sein, die erforderlichen Differenzierungen für das Unternehmen als Sanktionsadressaten sowie mit Blick auf die Tat, Rechts- und Rechtsgutsverletzung vorzunehmen.521 Die inhaltlichen Kernpunkte der „Frankfurter Thesen“ können wie folgt beschrieben werden: Das Unternehmen soll zunächst nicht automatisch Folgenverantwortung für alle singulären Straftaten seiner Mitarbeiter oder Entscheidungsträger tragen. Sie werden nicht per se als Beleg einer „kriminellen Verbandsattitüde“ gewertet, da ein Unternehmen auch als bloßer Kontext wirken kann, der nicht zwingend Ausdruck einer Fehlorganisation ist.522 Stattdessen soll das Unternehmen Folgenverantwortung für alle Handlungen tragen, die Teil der Unternehmensmatrix geworden sind. Dies umfasst sämtliche Straftaten oder zu Rechtsgutsverletzungen führenden Verhaltensweisen, die von der singulären/kollektiven Tat oder Routine zu persistenten Handlungsmustern und zu Entscheidungsprämissen des Unternehmens geworden sind sowie einen funktionalen Bezug zur Unternehmenstätigkeit aufweisen.523 Die Grundlage des parastrafrechtlichen Akts der Verantwortungsattribution ist dann der „Folgenverantwortungsdialog“.524 Der konkrete Verantwortungsgrad für eine Rechts- und Rechtsgutsverletzung wird dem Unternehmen auf Grundlage dieses theoretischen Konzepts je nach Pflichtwidrigkeit und hierauf bezogener „organisationaler Intendiertheit“ zweistufig zugerechnet.525 Das bedeutet, das Unternehmen ist grundsätzlich in dem Maße folgenverantwortlich, in dem ihm nachgewiesen werden kann, dass zumutbare Maßnahmen, die das Risiko eines strafrechtlichen Erfolgs signifikant gesenkt hätten, unterblieben sind.526 Die Folgenverantwortung bemisst sich bis zum Vorliegen einer kritischen Rückmeldung nach der ersten Stufe. Solange wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen die Verwirklichung des Risikos nicht antizipieren konnte.527 Unter520 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (268). 521 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (28). 522 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (289). 523 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (289). 524 Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (29). 525 S. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (29); Jahn/Schmitt-Leonardy/ Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 526 Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 527 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7.

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nehmen können sich darauf berufen, dass sie nicht über die Fähigkeit verfügen, antizipierend auf strafrechtliche Verbote zu reagieren und Schäden an Rechtsgütern Dritter zu vermeiden.528 Die normative Erwartung liegt dann in der Einhaltung objektiver Sorgfaltsstandards wie bestimmter Richt- bzw. Grenzwerte oder Compliance-Maßstäbe, denn auch von einem Unternehmen als Akteur sui generis kann in normativer Hinsicht die Absenkung der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit529 erwartet werden.530 Das Unternehmen trägt Verantwortung, wenn ihm nachgewiesen werden kann, dass es zumutbare Maßnahmen, die das Risiko des Eintritts eines strafrechtlich relevanten Erfolgs signifikant gesenkt hätten, unterlassen hat.531 Durch den Nachweis einer effektiven Compliance (kein bloßes window dressing)532 kann sich das Unternehmen somit bereits auf Tatbestandsebene und nicht erst bei der Strafzumessung vollständig entlasten.533 Spiegelbildlich muss der Staat im Verfahren nachweisen, dass zumutbare Präventivmaßnahmen unterblieben sind, die das Risiko des Erfolgseintritts tatsächlich gesenkt hätten.534 Wenn hingegen eine kritische Rückmeldung oder eine signifikante Irritation vor dem in Rede stehenden Erfolg stattgefunden hat und das System dadurch die „Rückmeldung“ einer unzureichenden Organisation im Hinblick auf die Regeleinhaltung und Compliance-Systeme erhalten hat,535 ist das Unternehmen verpflichtet, den Mechanismus der positiven Rückkopplung und seiner selbstverstärkenden Effekte in Richtung Rechtsgüterschutz zu verändern.536 Es muss eine Kurskorrektur vornehmen und darf das Geschäft nicht im Sinne einer einseitigen Profitmaximierung einfach weiterlaufen lassen. Die Folgenverantwortung befindet sich nun auf der zweiten Stufe und die normative Erwartung geht ab diesem Moment deutlich weiter. Das Unternehmen trägt in dem Maße Verantwortung, in dem ihm nachgewiesen werden kann, dass es trotz der Rückmeldung keine effektive Kurskorrektur vorgenommen hat,537 um eine Phase des „lock-in“ (gekennzeichnet von Beharrungstendenzen, Rigidität und Wandlungsresistenz) zu vermeiden.538

528

Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (29). Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 530 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (29). 531 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (29). 532 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7; Jahn/Schmitt-Leonardy/ Schoop, wistra 2018, 27 (29 f.). 533 Vgl. insoweit die anderen zuvor geschilderten Entwürfe. 534 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 535 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (30). 536 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 537 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 538 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (269 f.). 529

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Sanktioniert werden soll das Unternehmen dann durch ein wirksames, angemessenes und im Sinne der europarechtlichen Vorgaben „abschreckendes“, inhaltlich generalpräventives sowie spezialpräventives Konzept.539 Folgenverantwortung soll zwar unter Berücksichtigung der individuellen Verantwortung ermittelt, aber unabhängig von der jeweiligen Individualsanktion zugewiesen werden.540 Im Rahmen der Folgenzumessung sollen rechtsstaatliche interne Erhebungen und Selbstreinigungsprozesse berücksichtigt werden.541 Konkrete Sanktionen könnten die Unternehmenskorrektur nach dem DPA-/NPA-Modell,542 sogenanntes „Blacklisting“, die Eintragung in das bundesweite Wettbewerbsregister mit Spezifizierung, ob Folgenverantwortung nach erster oder zweiter Stufe getragen wurde, und Löschung bei entsprechender Selbstreinigung543 sowie möglicherweise eine monetäre Wiedergutmachung (Restitution) als Schadensausgleich, der eine Belastung des schädigenden Unternehmens darstellt und nicht durch Dritte oder eine Versicherung übernommen werden darf sein. 2. Das Frankfurter Gesetz zur Unternehmenssanktionierung Die „Frankfurter Thesen“ lassen sich in den Entwurf eines Frankfurter Unternehmenssanktionsgesetzes (UntSankG-E) transferieren. Auszug aus dem Entwurf eines Frankfurter UntSankG-E: § 1 Ziel- und Zwecksetzung Dieses Gesetz dient der Unrechtsfixierung von Unternehmenskriminalität und führt zu einer konkreten Verantwortungszuweisung an das Unternehmen. § 2 Anwendungsbereich Abs. 1 (Unternehmen) Das Unternehmen im Sinne dieses Gesetzes ist eine wirtschaftliche Einheit. Abs. 2 (Mitarbeiter) Mitarbeiter im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die Arbeitsleistungen für das Unternehmen erbringen a) auf Grund eines Arbeits-, Leiharbeits-, Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses oder 539

Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31). Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31). 541 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31). 542 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31) m.w. N. 543 Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (30), insoweit ist an eine Anpassung des § 2 WRegG v. 18.7.2017 (BGBl. I, S. 2739) zu denken. 540

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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b) im Rahmen eines zwischen dem Unternehmen und einem Subunternehmen geschlossenen Vertrages. Abs. 3 (Zuwiderhandlungen) 1

Zuwiderhandlungen sind tatbestandsmäßige strafrechtliche Erfolge eines Unternehmensmitarbeiters. 2Zuwiderhandlungen sind unternehmensbezogen, wenn sie im funktionellen Bezug zur Unternehmenstätigkeit stehen und vom jeweiligen Unternehmensmitarbeiter entweder ohne Vorsatz oder ohne Unrechtsbewusstsein begangen wurden. § 3 Unternehmensverantwortung Abs. 1 (Identifikation und Dokumentation relevanter Risiken) 1

Das Unternehmen ist verpflichtet die vom jeweiligen Unternehmensgegenstand abhängigen strafrechtlichen Risiken periodisch zu ermitteln, zu bewerten und zu dokumentieren. 2Das Unternehmen ist verpflichtet, die auf diese Weise ermittelten Risiken durch Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge zu eliminieren oder zumindest zu mitigieren. Abs. 2 (Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge) 1

Geeignete Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge sind insbesondere: 1. die sorgfältige Auswahl und Instruktion sowie Überwachung und Kontrolle von Mitarbeitern. 2. die regelmäßige Schulung der Mitarbeiter anhand gewonnener Erkenntnisse bezüglich der Identifikation und Dokumentation relevanter Risiken. 3. die Schaffung eines Verfahrens, das es Mitarbeitern ermöglicht unter Wahrung der Vertraulichkeit auf mögliche Zuwiderhandlungen einzelner Mitarbeiter oder Unternehmenstaten hinzuweisen. 4. die Einrichtung von Stellen innerhalb des Unternehmens, die mit ausreichend Ressourcen und Befugnissen ausgestattet sind, um eine effektive Kontrolle der implementierten Compliance-Maßnahmen zu erreichen. 2

Dabei sind insbesondere die Größe des Unternehmens, die Zahl der Beschäftigten, das Betätigungsfeld und die Art der Tätigkeit des Unternehmens (Gefahrträchtigkeit, Gefahr besonders hoher Schäden) und bereits vorgekommene Zuwiderhandlungen und Schadensfälle zu beachten. Abs. 3 (Aktualisierung und Anpassung des Schadenserwartungswerts) Das Unternehmen ist verpflichtet den Schadenserwartungswert periodisch und insbesondere nach unternehmensbezogenen Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter zu aktualisieren und die Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge dementsprechend anzupassen (effektive Kurskorrektur).

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

§ 4 Unternehmenstat Hat ein Mitarbeiter eine unternehmensbezogene Zuwiderhandlung begangen, so handelt das Unternehmen pflichtwidrig, wenn es 1. bei erstmaligem Auftreten der unternehmensbezogenen Zuwiderhandlung nachweislich keine Maßnahmen zur Vermeidung des strafrechtlichen Erfolgs vorgenommen hat (Senkung der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit). 2. bei wiederholtem Auftreten einer unternehmensbezogenen Zuwiderhandlung keine effektive Kurskorrektur nachweisen kann. § 5 Unternehmenssanktion Abs. 1 (Sanktion) Die Unternehmenssanktion besteht in der Wiedergutmachung des durch die Unternehmenstat entstandenen Schadens durch Geldzahlung an den oder die Geschädigten. Abs. 2 (Weitere Maßnahmen) 1

Zur Überwachung der Wiedergutmachung und der Aktualisierung und Anpassung der Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge kann vom Gericht ein Monitor eingesetzt werden. 2Anstatt der Wiedergutmachungszahlung kann das Gericht das Unternehmen auch verpflichten, bei dem oder den Geschädigten den Zustand wiederherzustellen, der vor der Unternehmenstat bestand. § 6 Verfolgung von Unternehmenstaten 1

Die Verfolgung von Unternehmenstaten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. 2Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen. 3. Wesentlicher Entwurfsinhalt Ziel des Entwurfs ist, das Unrecht, das von Unternehmen verwirklicht wird, tatsächlich zu fixieren und so Unternehmenskriminalität zu erfassen. Das Unternehmen selbst soll Verantwortung übernehmen und dementsprechend sanktioniert werden. Gemäß § 2 Abs. 1 Frankfurter UntSankG-E bestimmt der Begriff der wirtschaftlichen Einheit den Kreis der tauglichen Adressaten. Dieser deckt sich inhaltlich mit den Regelungen des Kartellrechts. Damit wird jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung erfasst.544 Verantwortung wird dem Unternehmen und nicht 544 EuGH, Urt. v. 23.4.1991 – I.1979 – Höfner und Elser; EuGH, Urt. v. 17.2.1993 – I-637 – Poucet, m.w. N.; Hengst, in: Langen/Bunte, EU-Kartellrecht, Art. 101 Rn. 5.

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einzelnen Rechtsträgern zugwiesen.545 Letztere sind nur als formelle Entscheidungsadressaten relevant.546 Über das Merkmal des bestimmenden Einflusses können auch Konzerngesellschaften zur Haftung herangezogen werden, die selbst keinen Verstoß begangen haben, wenn sie mit der Konzerngesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bilden.547 Insoweit soll es auf das kartellrechtliche Merkmal des bestimmenden Einflusses ankommen. Ein bestimmender Einfluss soll angenommen werden, wenn die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten trotz eigener Rechtspersönlichkeit nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt.548 Diese „Weisungsgebundenheit“ der Tochter entsteht dabei aufgrund der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen der beiden Rechtssubjekte.549 Der Entwurf kodifiziert in § 2 Abs. 4 Frankfurter UntSankG-E die Anlasstat, die zu einer Unternehmenstat führen kann.550 Dieser menschliche Anknüpfungspunkt soll im Gegensatz zum geltenden Recht und den de lege ferenda vorgeschlagenen Entwürfen nicht auf Entscheidungsträger und Leitungspersonen beschränkt sein, sondern alle Mitarbeiter des Unternehmens unabhängig von ihrer Position gleichermaßen erfassen.551 Auf diese Weise soll einerseits das gesamte Unternehmen auch in der Zuwiderhandlung abgebildet werden552 und andererseits auf die nahezu unerfüllbare Erwartung an den Entscheidungsträger, eine umfassende Überwachung des vollständigen Motivationsbereichs seiner Mitarbeiter zu gewährleisten, verzichtet werden.553 Die Zuwiderhandlung erfasst auf der einen Seite Rechtsgutsverletzungen aller Art554 ausgehend von sämtlichen Ebenen des Unternehmens. Der Unrechtsgehalt kann dabei dem Kernstrafrecht entsprechen und bisweilen demjenigen des Totschlags oder der Körperverletzung gleichkommen.555 Eine Beschränkung auf 545

Monopolkommission, Sondergutachten 72 vom 27.10.2015, Rn. K2. Monopolkommission, Sondergutachten 72 vom 27.10.2015, Rn. K2. 547 Monopolkommission, Sondergutachten 72 vom 27.10.2015, Rn. 30. 548 EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C-97/08 P, Rn. 61 ff. – Akzo Nobel; EuGH, Urt. v. 20.01.2011 – C-90/09 P, Rn. 86 ff. – General Quimica/Kommission. 549 EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C-97/08 P, Rn. 61 ff. – Akzo Nobel; BGH, Urteil vom 26.2.2013, KRB 20/12, Rn. 71; in anderen Fällen wurde aber auch schon bei einer Beteiligung von 89 Prozent und einem Gewinnabführungsvertrag die wirtschaftliche Einheit angenommen. 550 Das bloße Vorliegen einer Anlasstat eines Mitarbeiters führt nicht per se zu einer Unternehmenstat, da diese keine Aussage über die Pflichtwidrigkeit des Unternehmens trifft. 551 Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 21 (29). 552 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19). 553 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19 f.). 554 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 832. 555 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (29). 546

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

einzelne Wirtschaftsstraftaten im Sinne eines „list-based approach“ 556 soll gerade nicht vorgenommen werden. Diese Erweiterung des Sanktionsradius erfährt auf der anderen Seite durch den starken Unternehmensbezug eine spiegelbildliche Einschränkung. Damit aus einer Zuwiderhandlung eines Unternehmensmitarbeiters diejenige des Unternehmens werden kann, ist es nicht ausreichend, dass das Unternehmen bloßer Nutznießer einer Zuwiderhandlung seiner Mitarbeiter ist,557 weshalb das Kriterium einer Bereicherung des Unternehmens nicht in Betracht kommt. Die Zuwiderhandlung muss vielmehr Ausdruck des Systems Unternehmen sein. Dafür muss ein starker Zurechnungszusammenhang der Zuwiderhandlung mit dem Unternehmen bestehen.558 Ein solcher starker Zusammenhang führt dazu, dass in der Handlung des Unternehmensmitarbeiters das Unternehmen an sich nach außen sichtbar wird.559 Die Zuwiderhandlung darf dafür zunächst nicht bloß bei Gelegenheit begangen worden sein,560 sondern muss in Anlehnung an die vom BGH vertretene modifiziert funktionale Betrachtungsweise561 bei § 30 OWiG im objektiven Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit stehen. Dieser Zusammenhang ist für sich genommen aber noch nicht stark genug, um eine Unternehmenstat zu begründen. Die „Frankfurter Thesen“ schlagen insoweit vor, dass das Unternehmen Verantwortung für alles übernehmen muss, was Teil der Unternehmensmatrix ist oder im Laufe der Zeit geworden ist. Das sind alle Straftaten oder zu Rechtsgutsverletzungen führenden Verhaltensweisen der Mitarbeiter, die nicht mehr nur singuläre oder kollektive Taten bzw. Routinen sind, sondern von Anfang an oder mit der Zeit zu persistenten Handlungsmustern werden, die sich zu Entscheidungsprämissen entwickeln.562 Grundlage dieser Erwägungen ist die Unternehmensmatrix als Gesamtheit der Unternehmenskommunikation, die sich aus allem ergibt, was die Unternehmensmitglieder als handlungsleitend interpretieren müssen (expliziter Arbeitsvertrag, informelle Regeln, explizite und implizite Unternehmensphilosophien etc.).563 Die Unternehmensmatrix entfaltet insbesondere dann eine krimi-

556

Im Gegensatz zum vom Entwurf favorisierten „all-crimes Approach“. Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 786. 558 Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 786. 559 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 261 (272 f.). 560 Gürtler, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 30 Rn. 25; BT-Drucks. 14/ 8998, S. 8. 561 BGH, Beschl. v. 15.5.2012 – 3 StR 118/11, wistra 2012, 1451 = BeckRS 2012, 14980 Rn. 12 ff. 562 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (29). 563 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 71 (89). 557

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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nogene Wirkung, wenn sie grundlegende Strukturen der übermäßigen Profitmaximierung („um jeden Preis“) herausgebildet hat.564 Obwohl dieses Kriterium zur Feststellung, ob eine Handlung des Unternehmens vorliegt, sinnvoll erscheint, ergeben sich insoweit erhebliche Schwierigkeiten der Nachweisbarkeit.565 Das Frankfurter UntSankG-E hält deshalb zwar an dem Kriterium der persistenten Handlungsmuster, die sich aus der Unternehmensmatrix ergeben und handlungsleitend auf den einzelnen Mitarbeiter auswirken, fest, richtet aber den Blick auf den einzelnen Mitarbeiter und die konkret in Bezug auf ihn nachweisbaren Folgen der handlungsleitenden Unternehmensmatrix. Eine Handlung eines Mitarbeiters ist dementsprechend nur dann auch die Handlung des Unternehmens, wenn dem Mitarbeiter etwas bezüglich seiner individuellen Strafbarkeit fehlt, das durch die Unternehmensmatrix kompensiert wird, denn die Unternehmensmatrix und die sich aus ihr ergebenden handlungsleitenden Prämissen führen beim einzelnen Mitarbeiter zu einem „Defizit“.566 Dieses „Defizit“ macht die Handlung des Mitarbeiters zu derjenigen des Unternehmens. Bei einer besonders starken, handlungsleitenden Unternehmensmatrix fehlt dem einzelnen Mitarbeiter bereits der Vorsatz. Er weiß gemäß § 16 StGB und der allgemeinen Formel des Vorsatzes als „Wissen und Wollen“ 567 entsprechend nicht, was er konkret, tut und will dies auch nicht. Die starke Unternehmensmatrix und die sich aus ihr ergebenden Entscheidungsprämissen führen dazu, dass der Mitarbeiter gar keine Vorstellung oder schlichtweg falsche Vorstellungen von den konkreten Tatumständen hat.568 In den übrigen Fällen liegt das „Defizit“ im mangelnden Unrechtsbewusstsein im Sinne des § 17 S. 1 StGB, wobei es auf die Vermeidbarkeit im Sinne des § 17 S. 2 StGB für das Unternehmen und die Unternehmenshandlung nicht ankommt.569 Das Unrechtsbewusstsein bezüglich einer Zuwiderhandlung liegt dann vor, wenn sich der Mitarbeiter des Widerspruchs eines Handelns oder Unterlassens zum Wohl der Allgemeinheit zu den Normen, die für das Zusammenleben unentbehrlich sind, bewusst ist.570 Hat er jedoch nur die Vorstellung, die Tat könnte verboten sein (Unrechtszweifel),571 ist entscheidend, ob er die Wider-

564

Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251

(254). 565 Vgl. auch die kritisch zur Nachweisbarkeit persistenten Handlungsmuster im Unternehmen Soyer/Schumann, wistra 2018, 321 (323). 566 Vgl. MüKoStGB/Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 85 ff. 567 Vgl. BeckOK StGB/Kudlich, § 16 Rn 1. 568 Vgl. BeckOK StGB/Kudlich, § 16 Rn 4. 569 Dies ist lediglich im Rahmen der Sanktionierung des Individuums relevant. 570 Vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5. 571 Vgl. BeckOK StGB/Heuchemer, § 17 Rn. 11 ff.

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rechtlichkeit seines Verhaltens aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Normappell in Kauf nimmt (z. B. keine Erkundigungen einholt).572 Das „Defizit“ des mangelnden Unrechtsbewusstseins entsteht dem Verhaltenskonzept der „kontingenten Rationalität“ 573 entsprechend wie folgt: Individuen verhalten sich ausschließlich „systemkonform vernünftig“.574 „Systemkonforme Vernunft“ bedeutet, dass die von Individuen getroffenen Entscheidungen nur in Bezug auf eine bestimmte Umwelt rational und richtig erscheinen.575 Im konkreten Fall ist somit die Zuwiderhandlung eines Unternehmensmitarbeiters in der Umwelt des jeweiligen Unternehmens, das eine auf handlungsleitende, auf übermäßige Profitmaximierung ausgelegte Unternehmensmatrix aufweist, rational. Für Außenstehende wirkt die Zuwiderhandlung falsch und unmoralisch, während sie für den jeweiligen Mitarbeiter logisch, nützlich576 und sogar rechtmäßig erscheint. Immer dann, wenn der Mitarbeiter bei Begehung der Zuwiderhandlung der Auffassung ist, sein Handeln wäre rechtmäßig, handelt er ohne Unrechtsbewusstsein und seine Handlung kann aufgrund dieses „Defizits“ als Handlung des Unternehmens betrachtet werden. Agiert jedoch der einzelne Mitarbeiter mit Unrechtsbewusstsein, hat sich nicht die handlungsleitende Unternehmensmatrix verwirklicht. Damit liegen kein Defizit und somit keine Handlung des Unternehmens vor. Dann ist entweder das Unternehmen bloßer Nutznießer einer Straftat577 oder es handelt sich um Kriminalität zulasten des Unternehmens bzw. Betriebskriminalität.578 Die Strafbarkeit des Individuums und die Sanktionierung des Unternehmens können bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum nebeneinanderstehen, bei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum schließen sie sich hingegen gegenseitig aus. In § 3 Frankfurter UntSankG-E wird die konkrete Handlungserwartung gegenüber dem Unternehmen fixiert, die über die pauschale Erwartung, strafrechtliche Erfolge zu vermeiden, oder die abstrakte Forderung einer „guten Organisation“ hinausgeht.579 Insoweit wäre die Gefahr von sogenannten hindsight bias, d. h. die nachträgliche Begründung einer Tat durch einen Organisationsfehler, zu groß und darüber hinaus die ideale Organisation selbst bei höchsten Bemühungen um Be572

Vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 5a. Vgl. Jüttner, CCZ 2021, 1 (8). 574 Vollmer, Zurück an die Arbeit, 2016, 31. 575 Vollmer, Zurück an die Arbeit, 2016, 31; Jüttner, CCZ 2021, 1 (8) m.w. N. 576 Vgl. Jüttner, CCZ 2021, 1 (8). 577 Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 786. 578 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 274 f. 579 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (270). 573

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stimmtheit nicht erreichbar.580 Stattdessen wird vom Unternehmen verlangt, dass es eine interne Organisation vorweist, die auf die Vermeidung strafrechtlicher Erfolge ausgerichtet ist. Dies kann wie folgt zu einem objektiven Sorgfaltsmaßstab konkretisiert werden.581 Ein Unternehmen ist auf die Vermeidung strafrechtlicher Erfolge ausgerichtet, wenn es (1) periodisch einen Schadenserwartungswert ermittelt, indem es die es betreffende strafrechtlichen Risiken identifiziert und analysiert,582 und (2) daraufhin explizit Maßnahmen ergreift, die die identifizierten Risiken eliminieren oder wenigstens mitigieren. Sofern entsprechende Maßnahmen nachgewiesen werden können, entfallen die Pflichtwidrigkeit und damit die Zurechnung zum Unternehmen.583 Das Prognoseverfahren kann je nach Größe des Unternehmens unterschiedlich ausfallen. So sind aufwendige Verfahren wie Sensitivitätsanalysen in kleinen Betrieben nicht erforderlich, da insoweit Risikopotenziale und Schadenseintrittswahrscheinlichkeiten auch pragmatischer gelöst werden können.584 Entscheidend ist, dass eine Risikoklassifizierung erfolgt, die ex ante plausibel ist und in ein Maßnahmenportfolio mündet.585 Ausgangspunkt des Risikomanagements ist die systematische und strukturierte Identifikation von typisierten Risiken.586 Insoweit kann auf bereits existierende Vorgaben in der Wirtschaftsprüfung587 und auf ausländischen Rechtsordnungen wie den UK Bribery Act 2010588 oder die Guideline zur Evaluation von Corporate-Compliance-Programmen des DOJ589 zurückgegriffen werden. Methodisch kann das Unternehmen bspw. Arbeitsprozessanalysen, Workshops, Benchmarks oder Checklisten nutzen,590 jedoch auch die Befragung von Mitarbeitern sowie

580 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 789; SchmittLeonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (269 f.). 581 S. a. Jahn/Schmitt-Leonardy, Der Konzern, 2021, 349 (356 f.), die ein „publicprivate-partnership“ zur Kodifizierung von Compliance-Standards vorschlagen. 582 Vgl. ausf. Bock, ZIS 2009, 68 (76). 583 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 802. 584 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (274 f.). 585 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (274 f.). 586 Ebersoll/Stork, CCZ 2013, 129 (130). 587 IDW PS 980, IDW Verlautbarungen Werkstand: IDW Life/6 2020, A16. 588 The Bribery Act 2010 – Guidance, verfügbar unter: https://www.gov.uk/govern ment/publications/bribery-act-2010-guidance, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021, p. 26. 589 DOJ, Evaluation of Corporate Compliance Programs, verfügbar unter: https:// www.justice.gov/criminal-fraud/page/file/937501/download, zuletzt abgerufen am: 16.8. 2021, p. 3. 590 Gleißner, in: Risikomanagement und Controlling, S. 23 (27 f.); s. vertiefend Vanini, in: Risikomanagement und Controlling, S. 67.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Experten oder eine Indikator- und Kennzahlenanalyse durchführen.591 Die so identifizierten Risiken müssen dann weiter analysiert werden, um einen aussagekräftigen Wert zu generieren. Dafür muss eine Zusammenfassung in einem Risikoinventar (Hitliste der Risiken) erfolgen.592 Die Risiken müssen anschließend gerankt,593 quantifiziert und aggregiert werden.594 Die individuelle Risikoexposition des Unternehmens ist das Ergebnis einer Vielzahl von Parametern und kann selbst innerhalb der wirtschaftlichen Einheit stark divergieren. Die Bewertung dieser Risiken erfordert ein induktives statt eines deduktiven Vorgehens und tritt dementsprechend in Kontrast zu der in der Regel der juristischen Praxis zugrunde liegenden Ex-post-Betrachtung.595 Die Anforderungen an die Risikoanalyse sind auch mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar, denn ausreichende Bestimmtheit liegt immer dann vor, wenn sich das Unternehmen unter Zuhilfenahme anderer Quellen den Norminhalt erschließen kann.596 Insoweit kann auf die im Zivilrecht bereits seit Langem eingeübte Risikoanalyse verwiesen werden.597 Der Entwurf hat sich darüber hinaus für eine Kodifikation von Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge entschieden.598 Auf diese Weise soll ein verstärkter Anreiz für Unternehmen zur Schaffung und Anwendung von effektiven Maßnahmen bestehen,599 indem Maßnahmen zur Senkung des Risikos strafrechtlicher Erfolge einen spezifischen Wert,600 den Entfall der Pflichtwidrigkeit, erhalten. Als Vorbild601 für die Kodifikation dien-

591 Vanini, in: Risikomanagement und Controlling, S. 67 (69); vgl. auch IDW PS 980, IDW Verlautbarungen Werkstand: IDW Life/6 2020, A16, das Compliance System von Siemens spricht insoweit von einer Risikoanalyse „bottom up“ (Workshops) und „top down“ (Erfassung und Bewertung externer Faktoren); vgl. Moosmayer, Compliance, Anhang Rn. 376. 592 Gleißner, in: Risikomanagement und Controlling, S. 23 (28). 593 Vgl. Gleißner, in: Risikomanagement und Controlling, S. 23 (28); Vanini, in: Risikomanagement und Controlling, S. 67 (73), Relevanzklasse 1 (unbedeutendes Risiko), 2 (mittleres Risiko), 3 (bedeutendes Risiko), 4 (schwerwiegendes Risiko), 5 (bestandsgefährdendes Risiko). 594 Gleißner, in: Risikomanagement und Controlling, S. 23 (30), ein mögliches Verfahren zur Risikosimulation ist die „Monte-Carlo-Simulation“. 595 Ebersoll/Stork, CCZ 2013, 129 (130), die im Folgenden anhand von Beispielen mathematisch die Risikoanalyse erläutern. 596 Vgl. BVerfGE 1, 14, 45; BVerGE 25, 216. 597 Gesetzliche Verpflichtungen zur Compliance bestehen z. B. in § 93 Abs. 1 S. 1 AktG der Legalitätspflicht des Vorstands. 598 Vgl. zur grundlegenden Bedeutung von Compliance-Maßnahmen: BGH, Urt. v. 9.5.2017 – StR 265/16, Rn. 118. 599 Vgl. Moosmayer/Gropp-Stadler, NZWiSt 2012, 241 (243); Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147). 600 Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147); Bock, ZIS 2009, 68 (73). 601 Vgl. z. B. auch mit den Vorgaben des BMI, Initiativkreis Korruptionsprävention Bundesverwaltung/Wirtschaft – Gemeinsam gegen Korruption, 7.2013.

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ten sowohl der IDW-Prüfungsstandard 980 (IDW PS 980)602 als auch die sechs Kernelemente eines Compliance-Systems des UK Bribery Act603 und die Guidelines des DOJ zur Evaluation of Corporate Compliance Programs.604 Genauso wurden aber auch der Entwurf des BUJ605 oder der Münchner Entwurf in § 8 Abs. 3 in die Erwägungen mit einbezogen. Die kodifizierten Kernelemente sollen die Einhaltung der definierten Unternehmensverantwortung sicherstellen und erleichtern. Dabei ist insbesondere der Kontext des jeweiligen Unternehmenstyps zu betrachten. Maßgeblich sind vor allem die Größe des Unternehmens, die Zahl der Beschäftigten, das Betätigungsfeld und die Art der Tätigkeit (Gefahrträchtigkeit, Gefahr besonders hoher Schäden) sowie bereits vorgekommene Zuwiderhandlungen und Schadensfälle.606 Auf diese Weise soll die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen sichergestellt werden. Bezüglich des Bestimmtheitsgebots des Art. 20 Abs. 3 GG bestehen insgesamt keine Bedenken. Zwar sind die Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge offen im Sinne einer Orientierungshilfe formuliert, dies ist aber dem Gesetzgeber gerade in Fällen, in denen eine unübersichtliche Anzahl an Normierungen notwendig wäre oder eine hohe Komplexität und Dynamik vorherrscht, gestattet.607 Ziel ist, eine Rechtslage zu schaffen, die dem Unternehmen im Sinne einer möglichst hohen Bestimmtheit eine eigenverantwortliche Rechtsfindung ermöglicht.608 Dies ist durch die Kodifizierung der Kernelemente geschehen. In § 4 Frankfurter UntSankG-E wird die Unternehmenstat kodifiziert. Sie besteht aus der unternehmensbezogenen Anlasstat eines Mitarbeiters und der konkreten Handlungserwartung gegenüber dem Unternehmen. In objektiver Hinsicht muss der strafrechtliche Erfolg einerseits kausal im Sinne der Conditio-sine-quanon-Formel auf der unternehmensbezogenen Anlasstat beruhen.609 Andererseits 602 IDW PS 980, IDW Verlautbarungen Werkstand: IDW Life/6 2020, A 9; unter Verweis auf andere Verkehrsnormen und Branchenstandards Bock, ZIS 2009, 68 (75); teilweise wird der IDW PS 980 jedoch für eine juristische Anwendung als zu weit erachtet, weil das Unternehmen z. B. selbständig Compliance Ziele entwerfen kann, s. Wiedmann/Greubel, CCZ 2019, 88 (88 f.). 603 The Bribery Act 2010 – Guidance, verfügbar unter: https://www.gov.uk/govern ment/publications/bribery-act-2010-guidance, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021, p. 6. 604 DOJ, Evaluation of Corporate Compliance Programms, verfügbar unter: https:// www.justice.gov/criminal-fraud/page/file/937501/download, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021, p. 1. 605 Vgl. Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 (151 f.); auch hier wird klargestellt, dass es sich nicht um schematische Compliance-Vorgaben handelt, die im Sinne eines zwingenden Maßnahmenkatalogs verstanden werden sollen. 606 Vgl. Bock, ZIS 2009, 68 (75). 607 Vgl. BVerfGE 78, 214, 226. 608 Bock, ZIS 2009, 68 (73). 609 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (273).

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muss die Rechtsgutsverletzung dem Unternehmen auch objektiv zurechenbar sein. Insoweit kann jedoch nicht wie üblich auf die Schaffung irgendeines Risikos abgestellt werden, denn dies erscheint im Kontext eines Unternehmens und der diesbezüglich umfassenden Risikodisposition undifferenziert.610 Der Handlungserwartung entsprechend kommt es vielmehr darauf an, dass das relevante Risiko, das sich im strafrechtlichen Erfolg realisiert hat, erhöht wurde.611 In subjektiver Hinsicht können zwei Verantwortungsgrade unterschieden werden. Der erste vor einer ersten Zuwiderhandlung und der zweite bei wiederholter Zuwiderhandlung.612 Im Rahmen des ersten Verantwortungsgrades kann sich das Unternehmen darauf berufen, dass es nicht über die Fähigkeit verfügt, antizipierend auf strafrechtliche Verbote zu reagieren und Schäden an Rechtsgütern zu vermeiden.613 Deshalb liegt die normative Erwartung lediglich in der Einhaltung des objektiven Sorgfaltsmaßstabs,614 d. h. in der Vermeidung strafrechtlicher Erfolge durch die kodifizierten Maßnahmen. Das Unternehmen trägt insoweit Verantwortung, als ihm nachgewiesen werden kann, dass Maßnahmen zur Senkung des Risikos unterblieben sind. Umgekehrt kann es sich durch den Nachweis entsprechender Maßnahmen bereits auf Tatbestandsebene vollständig entlasten.615 Bei wiederholter Zuwiderhandlung hat das System hingegen die Rückmeldung erhalten, dass seine Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge nicht ausreichend sind.616 Die normative Erwartung geht somit weiter. Das Unternehmen muss aus seinem Fehler gelernt und eine effektive Kurskorrektur vorgenommen haben. Kann eine solche Kurskorrektur durch das Unternehmen nicht nachgewiesen werden, trägt es Verantwortung.617 In § 5 Frankfurter UntSankG-E ist als Sanktion die Wiedergutmachung des durch die Unternehmenstat entstandenen Schadens geregelt.

610 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, Rn. 793. 611 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (274). 612 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (283). 613 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (283); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra, 27 (29). 614 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 819. 615 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (283); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra, 27 (29). 616 Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 822; Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (283 f.); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra, 27 (29). 617 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (284); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra, 27 (29).

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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Die Sanktion ist maßgeblich den in den US-Sentencing Guidelines (USSG) vorgeschriebenen „Restitutions“ nachempfunden.618 Das Ziel der Wiedergutmachung ist dementsprechend die Beseitigung jeglichen Schadens, der durch die Tat verursacht wurde.619 Im Rahmen der Wiedergutmachung620 soll das Unternehmen für die Tat Verantwortung vor den Geschädigten und der Gesellschaft übernehmen.621 Dies soll in monetärer Form durch eine Geldzahlung an den oder die Geschädigten geschehen. Die Wiedergutmachung622 ist im deutschen Strafrecht bislang als Wiedergutmachungsauflage im Adhäsionsverfahren oder im Rahmen der freiwilligen Wiedergutmachung im Täter-Opfer-Ausgleich kodifiziert.623 Die grundsätzliche Einführung der Wiedergutmachung wurde primär von einem Arbeitskreis deutscher, schweizerischer und österreichischer Strafrechtslehrer vorangetrieben, die den „Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung“624 erarbeitet haben, sowie durch den 59. Deutschen Juristentag 1992, bei dem die Erweiterung der strafrechtlichen Sanktionen diskutiert wurde,625 vorbereitet.626 Lediglich im Jugendstrafrecht ist es bislang möglich, die Wiedergutmachung als Sanktion zu verhängen. Dies beruht darauf, dass hier im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht der Erziehungsgedanke bei der Bemessung der Sanktionen im Vordergrund steht. Jugendlichen kann so die Normeinhaltung anhand des Realkonflikts vermittelt werden, ohne dass auf die Rechtsgutsverletzung und den abstrakten Geltungsanspruch der Norm verwiesen werden muss.627 Nebenfolge ist insoweit, dass die Interessen des Geschädigten anstatt der üblicherweise vom Strafrecht verfolgten öffentlichen Interessen in den Mittelpunkt gerückt werden.628

618 Vgl. § 8 B USSG; vertiefend Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 152 f. 619 So der Introductory Commentary zu Kapitel 8 USSG. 620 Die Empfehlung des Europarats Rec 2018 (8) Nr. 3 definiert „restorative justice“ als „any process which enables those harmed by crime, and those responsible for that harm, if they freely consent, to participate actively in the resolution of matters arising from the offence, through the help of a trained and impartial third party“; vgl. zur Wiedergutmachung in den USA Kubiciel, in: Neues Unternehmenssanktionenrecht ante portas, S. 51 (81). 621 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 876. 622 Vgl. zur Geschichte der Wiedergutmachungszahlung Meier, in: GS Walther, S. 743 (750 f.). 623 Vgl. Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 407 ff. 624 Baumann/Brauneck, Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung. 625 Vgl. Beschlüsse des 59. DJT, NJW 1992, 3021 f.; Schöch, Gutachten C 59. DJT 1992. 626 Vgl. Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 408. 627 Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 435 f. 628 Vgl. Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 435.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Im Gegensatz zum zivilrechtlichen Schadensersatz629 soll die Übernahme durch eine Versicherung ausgeschlossen sein, sodass eine persönliche Belastung des Unternehmens eintritt.630 Über die Geldzahlung können außerdem auch die Anteilseigner eines Unternehmens direkt an der Wiedergutmachung beteiligt werden, z. B. in Form einer Kürzung der Dividende.631 Inhaltlich ist die Wiedergutmachung an der Naturalrestitution der §§ 249 ff. BGB orientiert. Wie im Zivilrecht soll so der Zustand, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte, wieder hergestellt werden. Insoweit kommt es auf den Vergleich zweier Vermögenslagen – der tatsächlich eingetretenen Vermögenslage und der hypothetischen Vermögenslage, die ohne das schädigende Ereignis eingetreten wäre – an.632 Der zivilrechtliche Vorrang der Naturalrestitution vor der Geldzahlung633 und die Differenzierung zwischen Vermögensschäden und Nichtvermögensschäden634 sollen jedoch nicht in das Unternehmenssanktionsgesetz übertragen werden. Insbesondere soll die Wiedergutmachungszahlung auch bei Vermögensschäden nicht auf den Wert der Sache beschränkt sein,635 denn das Unternehmen soll umfassend Wiedergutmachung leisten und Verantwortung übernehmen. Damit geht die Wiedergutmachung auch klar über die zivilrechtlichen Verpflichtungen des Unternehmens hinaus. Zu der Überwachung der Wiedergutmachung sowie der Aktualisierung und Anpassung der Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge kann das Gericht außerdem einen Monitor einsetzen. Dies beruht einerseits auf der Erwägung, dass die Wiedergutmachung ein gestreckter Prozess sein kann, der im Einzelfall erst nach der Verurteilung und der damit verbundenen Information der Geschädigten richtig Fahrt aufnimmt. Dieser Prozess bedarf zur Sicherstellung der Sanktionsvollstreckung weiterer Begleitung und Kontrolle. Andererseits hingegen wird die Tatsache berücksichtigt, dass es weder Kernaufgabe noch Kernkompetenz des Gerichts ist, Compliance-Programme zu beurteilen.636 In Einzelfällen erscheint es außerdem möglich, dass das Unternehmen durch tatsächliches Tätigwerden gegenüber dem Geschädigten (z. B., weil es über Spe-

629

Vgl. Kapitel 3 Die Rechtslage de lege lata B. III. Zivilrechtliche Sanktionen. Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31). 631 S. ausf. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (295 f.); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31). 632 Vgl. BeckOK BGB/Flume, § 249 Rn. 37. 633 Vgl. MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 320. 634 BeckOK BGB/Flume, § 249 Rn. 60 ff. 635 BeckOK BGB/Flume, § 249 Rn. 60. 636 Vgl. Zulauf/Studer, GesKR 2018, 301 (310). 630

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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zialkenntnisse oder spezielle Vorrichtungen verfügt) Wiedergutmachung leistet.637 In diesen Fällen soll von einer monetären Sanktion abgesehen werden. Auf eine von den „Frankfurter Thesen“ vorgesehene Unternehmenskorrektur abseits der vorgeschlagenen Einsetzung eines Monitors wurde verzichtet. Hierfür ausreichend bestimmte Kriterien für eine Kodifikation zu finden, erschien nicht möglich. Auch auf das sogenannte „Blacklisting“, dass an das im Kartellrecht bereits existierende Wettbewerbsregister angelehnt hätte werden können, wurde letztlich verzichtet, da es sich insoweit um eine Strafe handelt.638 Dies ist nicht mit dem parastrafrechtlichen, explizit nicht strafrechtlichen Grundcharakter des Frankfurter UntSankG-E vereinbar. Die Verfolgung von Unternehmenstaten soll grundsätzlich auch weiterhin dem Opportunitätsprinzip unterfallen.639 Die gleichmäßige Anwendung des Gesetzes soll nicht durch die pauschale Anwendung des Legalitätsprinzips, sondern vielmehr durch die Schaffung von normativen Leitlinien bezüglich der Ermessensausübung, die bis zu einem gebundenen Verfolgungsermessen reichen können, gewährleistet werden.640 Insoweit kann auf die in den USA existierenden Principles of Federal Prosecution für Unternehmen zurückgegriffen werden. Diese erwähnen exemplarisch bspw. die Natur und Schwere der Zuwiderhandlung, die Tragweite sowie das Vorkommen vergleichbarer Vorkommnisse in der Vergangenheit, die Kooperationsbereitschaft des Unternehmens oder das Vorliegen eines adäquaten Compliance-Programms usw.641 4. Analyse Abschließend ist auch das Frankfurter UntSankG-E dahingehend zu überprüfen, ob es den Mängeln des geltenden Rechts abhelfen und damit eine Verbesserung zur Rechtslage de lege lata darstellen kann. a) Zu schwache Sanktion Das Frankfurter UntSankG-E verzichtet im Gegensatz zum geltenden Recht auf eine Geldzahlung des Unternehmens an den Staat. Stattdessen soll die Sanktionsintensität durch die Implementierung einer alternativen Rechtsfolge, na-

637 Vgl. § 8 B 1.3 Commentary USSG; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 152 f. 638 Vgl. ausf. Nettesheim, Öffentlichkeit als Unternehmenssanktion, Stiftung Familienunternehmen, München 2019, S. 29 f. 639 Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31). 640 Vgl. Trüg, FS Schlothauer, S. 65 (68 f.). 641 Principles of Federal Prosecution, verfügbar unter: https://www.justice.gov/jm/ jm-9-28000-principles-federal-prosecution-business-organizations#9-28.300, zuletzt abgerufen am: 16.8.2021.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

mentlich der Wiedergutmachungszahlung an den Geschädigten, gestärkt werden. Die Sanktion weist in Abhängigkeit von der begangenen Tat eine hohe Intensität auf und ist in ihrer Belastung für das Unternehmen nicht zu unterschätzen. In den USA umfasst die Zahlung einer Geldsumme an den oder die Geschädigten zwecks Wiedergutmachung regelmäßig eine Summe, die diejenige der Geldstrafe um nahezu das Doppelte übersteigt.642 Trotz dieser hohen Sanktionsintensität handelt es sich jedoch gleichwohl um eine verhältnismäßige643 Sanktion. Die Wiedergutmachungszahlung verfolgt zunächst das legitime Ziel, das Unrecht der Unternehmenskriminalität zu fixieren und Verantwortung klar dem Unternehmen zuzuweisen. Die Sanktion ist auch geeignet, da sie dem zuvor geschilderten Ziel dient.644 Auf die Erfüllung strafrechtlicher Sanktionszwecke kommt es insoweit nicht an, da das Frankfurter UntSankG-E nicht im Kriminalstrafrecht, sondern im Parastrafrecht angesiedelt ist, das speziell auf das Unternehmen als Akteur zugeschnitten ist.645 Die Wiedergutmachung soll somit von vornherein keine Strafe sein, sodass die klassischen Strafzwecke auch aufgrund der sogenannten „Trennungsdogmatik“ 646 auf sie nicht anzuwenden sind. Dies steht ebenfalls im Kontrast zu den bereits im Strafgesetzbuch kodifizierten freiwilligen Wiedergutmachungsleistungen wie z. B. dem Täter-Opfer-Ausgleich. Diese sind an den Strafzwecken zu messen, weil nur auf diese Weise das Zurücktreten der Strafe gerechtfertigt ist.647 Bezüglich der Geeignetheit ist somit einzig entscheidend, ob die Unrechtsfixierung und die Verantwortungsübernahme des Unternehmens durch die Wiedergutmachungszahlung tatsächlich gefördert werden können. Dies ist der Fall. Das konkrete Unrecht kann häufig erst durch die Ermittlung der zur Wiedergutmachung nötigen Maßnahmen in seiner Gesamtheit fixiert werden. Die direkte Verantwortungsübernahme erfolgt durch die anschließende Zahlung an den oder die Geschädigten. Die Sanktion ist darüber hinaus auch erforderlich, denn ein milderes Mittel, das weniger belastend, aber genauso effektiv ist,648 ist nicht ersichtlich. Weder

642 Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 598, im Jahr 2007. 643 Vgl. BeckOK/Huster/Rux, Art. 20 Rn. 189 ff. 644 Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 303. 645 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (28). 646 Das Strafrecht schlägt eine neue Wunde, während der Schadensersatz bzw. die Wiedergutmachung eine Wunde heilt, vgl. Binding, Die Normen und ihre Übertretungen, S. 288. 647 Schöch, Gutachten C 59. DJT 1992, C 69; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 426. 648 Vgl. Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 304.

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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die Geldbuße des Ordnungswidrigkeitenrechts649 noch die Einführung einer Geldstrafe gegenüber Unternehmen stellen ein milderes Mittel bei vergleichbarer Effektivität dar.650 Abschließend ist die Sanktion auch angemessen.651 Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Unternehmens652 wird zwar durch die Sanktion beschränkt, dies ist aber von der dem Gesetzgeber grundsätzlich gegebenen Befugnis, ordnend und klärend in das Wirtschaftsleben einzugreifen, gedeckt.653 Zudem verzichtet der Entwurf auf eine Sanktionszahlung an den Staat, sodass nicht von einem unzumutbaren Eingriff ausgegangen werden kann. Somit schafft es der Entwurf, ohne auf das bekannte Mittel der Erhöhung der Geldbuße zurückzugreifen, eine starke, verhältnismäßige Sanktion gegenüber dem Unternehmen zu implementieren. b) Anwendungsdefizit Das kritisierte Anwendungsdefizit versucht der Entwurf des Frankfurter UntSankG-E durch die Modifikation des de lege lata geltenden Opportunitätsprinzips zu adressieren. In bestimmten Fällen soll jedoch ein gebundenes Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft vorliegen.654 Dieses soll durch Leitlinien konkretisiert werden, die den in den USA geltenden Principles of Federal Prosecution nachempfunden sein sollen.655 Die Einführung des Legalitätsprinzips erscheint aufgrund der konkreten Ausgestaltung der materiellen Vorschriften des Frankfurter UntSankG-E auch nicht notwendig. Zunächst entspricht die wirtschaftliche Einheit als Normadressat der wirtschaftlichen Realität des Unternehmens, das aus einer Mutter und verschiedenen Töchtern besteht, die über den bestimmenden Einfluss verbunden sind.656 In diesem Sinne ermöglicht dies der Ermittlungsbehörde, einen Sachverhalt über die Grenzen einzelner Rechtsträger hinaus ganzheitlich zu ermitteln. Das Unternehmen kann sich auch nicht einer Sanktion durch unternehmensinterne Umstrukturierung entziehen, denn die Rechtsfolge wird gegen das tatsächlich handelnde

649

Vgl. Kapitel 4 Defizite des geltenden Rechts A. Zu schwache Sanktion. Insoweit ist eine Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts zu befürchten. 651 Vgl. Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 307. 652 S. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG Kommentar; Di Fabio, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Rn. 147 f. 653 BVerfGE, 18, 315, 329; 78, 232, 244; 91, 207, 221; 98, 218, 259. 654 Das Frankfurter UntSankG-E weist noch keinen vollständigen prozessualen Teil auf, hält insoweit aber an den Ausführungen der „Frankfurter Thesen“ fest, vgl. Jahn/ Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 21 (31). 655 Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 21 (31). 656 Vgl. BT-Drucks. 18/10207, S. 85. 650

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Tochterunternehmen, die einflussnehmende Mutter, den Rechtsnachfolger und den wirtschaftlichen Nachfolger verhängt.657 Weiterhin wirkt sich aber auch die dialogische Struktur658 des Frankfurter UntSankG-E, die das Unternehmen zur Mitwirkung an der Aufklärung eines Sachverhalts anhält, positiv auf die Anwendung der Unternehmenssanktionierung und vor allem auch die Ressourcensituation der Staatsanwaltschaft aus. Alles, was das Unternehmen aus eigenem Interesse in das Verfahren einbringt, muss nicht erst aufwendig ermittelt werden und bindet keine zusätzlichen Ressourcen. Das Frankfurter UntSankG-E bietet insoweit für Unternehmen einen starken Anreiz zur Mitwirkung, denn durch den Nachweis eines ausreichenden ComplianceSystems kann sich das Unternehmen bereits auf Tatbestandsebene vollständig exkulpieren. Die Mitwirkung am Verfahren erhält so einen messbaren Wert und verbessert so die Anwendung.659 c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität Der Frankfurter Entwurf eines UntSankG-E verankert Unternehmenskriminalität im von Schmitt-Leonardy erdachten „Parastrafrecht“.660 Letzteres ist keine Replikation eines auf Menschen zugeschnittenen Systems, sondern spezifisch an den Normadressaten Unternehmen angepasst. Es ist in der Lage, Aspekte zu erfassen, die in das existierende kriminalstrafrechtliche System nicht eingepasst werden und gleichzeitig im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht erfasst werden können.661 Einerseits hat es eine dem Strafrecht entsprechende Streitschlichtungsfunktion,662 andererseits leistet es eine Unrechtsfixierung, die über die „Pannen“ oder „Fehler“ des Ordnungswidrigkeitenrechts hinausgeht.663 Ob die Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität so beendet werden kann, hängt zum einen vom tatsächlichen Verhältnis zum Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht sowie zum anderen von der Qualität der Sanktion der Wiedergutmachungszahlung ab.

657

Vgl. BT-Drucks. 18/10207, S. 40. Vgl. vertieft zum „Folgenverantwortungsdialog“ Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (265 f.). 659 Bspw. der Regierungsentwurf berücksichtigt Compliance-Maßnahmen ausschließlich im Rahmen der Sanktionsbemessung, vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E. 660 Vgl. vertiefend Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 771; Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (253). 661 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (264). 662 Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 28 (29). 663 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (264); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 28 (29). 658

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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aa) Verhältnis zum Ordnungswidrigkeitenrecht und Kriminalstrafrecht Das Parastrafrecht ist quantitativ664 superior zum Ordnungswidrigkeitenrecht.665 Vom zunächst quantitativ gleichwertigen Kriminalstrafrecht unterscheidet sich das Parastrafrecht qualitativ über den Normadressaten Unternehmen. Während das Kriminalstrafrecht grundsätzlich die natürliche Person adressiert und nur durch erhebliche Brüche das Unternehmen als Akteur sui generis inkorporieren kann,666 ist das Parastrafrecht genuin auf den Akteur Unternehmen zugeschnitten und deshalb spiegelbildlich nicht in der Lage, die natürliche Person zu erfassen. bb) Sanktionsqualität der Wiedergutmachungszahlung Die Wiedergutmachungszahlung muss aber, damit das Parastrafrecht keinen „Etikettenschwindel“ und kein „dogmatisches Vakuum“ 667 darstellt, auch klar von der Sanktion Strafe abgegrenzt werden. Somit ist nun die konkrete Sanktionsqualität der Wiedergutmachungszahlung zu überprüfen. Dafür werden erneut die in Anlehnung an die „Engel-Kriterien“ gefundenen Prüfungspunkte herangezogen.668 Die Wiedergutmachungszahlung soll expressis verbis keine Strafe sein, sodass der formalen Zuordnung im nationalen Recht entsprechend keine Strafe vorliegt. Bezüglich der Natur der Sanktion669 sind insbesondere Art und Ziel der Sanktionierung, der persönliche Anwendungsbereich und die Ausgestaltung des Verfahrens in den Blick zu nehmen.670 664 Vgl. die quantitative Abgrenzung des Ordnungswidrigkeitenrechts zum Kriminalstrafrecht: Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 1 III Rn. 35; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 7 V 3b, S. 58 f.; Jescheck, JZ 1959, 568 (459 ff.); Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 3 Rn. 8 ff.; Roxin/Greco, Strafrecht AT, Teil 1, § 2 Rn. 132 m.w. N.; a. A. KKOWiG/Rogall, Vorb. Rn. 2, der von einem qualitativen Ausgangspunkt mit quantitativen Einschlägen ausgeht, weil sich nur so die Einstufung von „Kernbereichen“ des Unrechts rechtfertigen ließ; für eine im Ausgangspunkt quantitative Abgrenzung: Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, § 3 Rn. 9 f. 665 Die quantitative Abgrenzung wird beschränkt durch qualitative Merkmale in Fällen des Kernbereichs der Delinquenz, in denen eine Bestrafung vorgezeichnet ist; vgl. Roxin/Greco, Strafrecht AT, Teil 1, § 2 Rn. 132, wobei trotzdem die Möglichkeit verbleibt, Bagatellfälle im Ordnungswidrigkeitenrecht zu erfassen. 666 Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 907. 667 Vgl. auch Hetzer, EuZW 2007, S. 75 (78). 668 EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Beschwerde-Nr. 5100/71, Urteil vom 8.6. 1976, Rn. 82, bestätigt in EGMR, Jussilia gegen Finnland, Beschwerde-Nr. 73053/1, Urteil vom 23.11.2006, Rn. 30 ff.; EGMR, Ezeh and Connors gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 39665/98 und 40086/98, Urteil vom 15.7.2002, Rn. 99. 669 Vgl. EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Beschwerde-Nr. 5100/71, Urteil vom 8.6.1976, Rn. 82; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21. 670 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Obwohl sich die Wiedergutmachungszahlung an die Allgemeinheit der als Normadressat definierten Unternehmen richtet, was zunächst für eine strafrechtliche Ausgestaltung spricht,671 liegt keine Strafe vor. Bei genauer Betrachtung der Wiedergutmachungszahlung und der Überprüfung der für eine Strafe konstitutiven Merkmale672 ist festzustellen, dass keine staatliche Übelzufügung vorliegt. Auch die Wiedergutmachungszahlung stellt zwar zunächst Kosten und eine finanzielle Belastung des Unternehmens dar, die auch gerade eine subjektive Schwere für das Unternehmen aufweisen sollen.673 Fraglich ist jedoch schon, ob es sich bei diesen Kosten tatsächlich um ein Übel handelt. Binding folgend „heilt“ die Wiedergutmachung die vom Unternehmen geschaffene Wunde, schlägt aber beim Unternehmen selbst keine neue Wunde.674 Nach dieser Auffassung liegt somit schon kein Übel vor. Darüber hinaus ist aber auch die Staatlichkeit des Übels zweifelhaft.675 Bei genauer Betrachtung sind die abstrakte und die konkrete Staatlichkeit der Übelzufügung zu unterscheiden. In abstrakter Hinsicht handelt es sich bei der Wiedergutmachungszahlung um eine staatlich durch das Frankfurter UntSankG-E aufgezwungene Belastung. In konkreter Hinsicht ist die Wiedergutmachung jedoch ein Prozess, in dem das Unternehmen Verantwortung für sein Handeln gegenüber den Geschädigten übernimmt und sein eigenes Fehlverhalten „wiedergutmacht“.676 Konkret ist somit das Unternehmen selbst für das Übel verantwortlich. Folglich handelt es sich um ein selbst geschaffenes „unternehmerisches Übel“. Insgesamt kann daher keine strafrechtliche Natur der Wiedergutmachungszahlung angenommen werden. Aufgrund des hohen Gewichts des zweiten Kriteriums kommt es insoweit auf die Art und Schwere der Sanktion nicht weiter an. Die Wiedergutmachungszahlung stellt keine Strafe dar. Somit ist das Frankfurter UntSankG-E zunächst grundsätzlich geeignet, die Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität zu beenden, die auf der Einordnung in das Ordnungswidrigkeitenrecht beruht. cc) Zwischenergebnis Somit kann festgestellt werden, dass durch die Verortung des Frankfurter UntSankG-E im Parastrafrecht und die Sanktion der Wiedergutmachungszahlung die

671 672 673 674 675 676

Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24 Rn. 21. Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. c) aa) (2) Natur der Sanktion. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31). Vgl. Binding, Die Normen und ihre Übertretungen, S. 288. A. A. Meier, GS Walter, 743 (755). Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 876.

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität beendet werden kann. Das Parastrafrecht ermöglicht, die Unternehmenskriminalität und damit auch die Unternehmensverantwortlichkeit aus einem Rechtsgebiet herauszulösen, dass ab ovo nicht passend erschien,677 ohne gleichzeitig eine Strafe gegenüber Unternehmen expressis verbis oder klandestin einzuführen. Auf diese Weise ist auch eine Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts nicht zu befürchten. d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität Abschließender und wichtigster Kritikpunkt ist, dass das Recht de lege lata nicht in der Lage ist, Unternehmenskriminalität überhaupt zu erfassen. Dies versucht das Frankfurter UntSankG-E einerseits durch die Abkehr vom Rechtsträgerprinzip und andererseits durch die Schaffung eines neuen, eigenständigen Konzepts zur Erfassung von Unternehmenskriminalität zu ändern. Die wohl weitreichendste Veränderung im Zusammenhang mit der Erfassung von Unternehmenskriminalität ist die Änderung des Normadressaten. Während § 30 OWiG auf dem Rechtsträgerprinzip aufbaut und somit letztlich Individuen adressiert, ist der Adressat des Frankfurter UntSankG-E das Unternehmen selbst als wirtschaftliche Einheit. Die Rechtssubjektivität ist wie im europäischen Kartellrecht lediglich im Zusammenhang mit der Versendung des Sanktionsbescheids und der Vollstreckung relevant.678 Damit wird es erstmalig möglich, die soziale Einheit Unternehmen, die im Zentrum jeglicher Überlegungen zum kriminellen Verhalten von Unternehmen steht, und nicht den hinter dem Unternehmen stehenden Rechtsträger als Individuum zu erfassen.679 Diese Änderung wirkt sich auch auf die Erfassung von Unternehmenskriminalität aus. Ausgangspunkt ist insoweit weiterhin die Anlasstat eines Mitarbeiters.680 Diese Individualhandlung wird aber nicht dem Unternehmen schlicht zugerechnet, sondern ist nur dann Ausdruck des „Systems Unternehmen“, wenn ein entsprechender starker Zusammenhang besteht. Letzter kann nach dem UntSankG-E angenommen werden, wenn der Einfluss des Unternehmens, der auf der handlungsleitenden, auf Profitmaximierung ausgelegten Unternehmensmatrix beruht, so stark ist, dass der einzelne Mitarbeiter ein „Defizit“ aufweist, das sich in einem mangelnden Vorsatz oder in der Regel in einem Unrechtsbewusstsein im Sinne des § 17 S. 1 StGB äußert.

677 678 679 680

Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (28). Vgl. Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, S. 29. Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 13. Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (29).

132

Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Im zweiten Fall, der praktisch höhere Relevanz aufweist, weiß der Täter nicht, dass sein Handeln rechtlich verboten ist.681 Insoweit kommt es weder auf ein Bewusstsein der Sozialschädlichkeit oder Sittenwidrigkeit noch auf das konkrete Bewusstsein einer Strafbarkeit an.682 Dieses „Defizit“ im Unrechtsbewusstsein wird dann vom Unternehmen ausgefüllt und rechtfertigt, über die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft eine Handlung des Unternehmens anzunehmen. Bisher wurde die mittelbare Täterschaft im Zusammenhang mit Unternehmenskriminalität lediglich im Rahmen einer Unterlassensstrafbarkeit im Sinne des § 13 StGB bei einer Garantenstellung der juristischen Person gegenüber ihren Mitarbeitern683 oder im Rahmen der Strafbarkeit von Leitungspersonen im Wege der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft diskutiert.684 Zur Frage, ob eine mittelbare Täterschaft überhaupt möglich ist, wenn der unmittelbare Täter schuldhaft handelt, und wie dies im Einzelfall festzustellen ist, nahm der BGH in der Katzenkönig-Entscheidung vom 15.9.1988 Stellung.685 Bis dato wurde von einem Teil der Literatur angenommen, dass die Möglichkeit der mittelbaren Täterschaft dem Verantwortungsprinzip entsprechend dort ende, wo das Werkzeug selbst verantwortlicher Täter sei.686 Im Gegensatz zu Konstellationen, in denen der Täter schuldunfähig ist oder im unvermeidbaren Verbotsirrtum handelt, bleibe dem Täter in diesen Fällen die Möglichkeit der Entscheidung erhalten.687 Herzberg tritt diesen Erwägungen entgegen, dass das Verantwortungsprinzip nicht der Annahme entgegenstehe, den im vermeidbaren Verbotsirrtum Handelnden als Tatmittler zu betrachten. Seine Verantwortlichkeit gründe sich schließlich allein auf den Vorwurf fahrlässiger Verbotsunkenntnis und das Fahrlässigkeitsdelikt schließe per se die mittelbare Täterschaft nicht aus.688 So wie ein Fahrlässigkeitstäter einem anderen, der vorsätzlich handelt, als Werkzeug dienen könne, sei dies auch einem Täter möglich, der selbst wegen vorsätzlich und schuldhaft begangener Tat bestraft wird.689 Roxin hingegen ist der Auffassung, dass das Verantwortlichkeitsprinzip nicht einfach auf die Irrtumsfälle übertragen werden kann. Er schlägt insoweit eine differenzierende Lösung vor: Bei Vorliegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums 681

S. BGHSt 2, 196. Vgl. Roxin/Greco, Strafrecht AT, Teil 1, § 21 Rn. 12. 683 Dust, Täterschaft von Verbänden, S. 66 f. 684 Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 323 ff., 900. 685 BGH, Urt. v. 15.9.1988 – 4 StR 352/88, NJW 1989, 912; BGHSt 35, 347. 686 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 62 S. 664; krit. Strathenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, Teil 1, S. 234 ff.; LK-StGB/Schünemann § 25, Rn. 62. 687 BGH, Urt. v. 15.9.1988 – 4 StR 352/88, NJW 1989, 912 (913). 688 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 21 f.; vgl. außerdem Herzberg, JuS 1974, 374. 689 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 22. 682

C. Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktion

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des unmittelbaren Täters ist abhängig vom konkreten Einzelfall zu entscheiden, ob eine mittelbare Täterschaft oder eine bloße Anstiftung vorliegt.690 Die Differenzierung beruht auf der Ansicht, dass die Verbotsirrtümer eines Ausführenden von sehr unterschiedlicher Dignität sein können.691 In Fällen, in denen der unmittelbare Täter erkennt, dass sein Tun schädigend in die Rechtsgütersphäre anderer eingreift und sozialethisch wertwidrig ist, kommt eine mittelbare Täterschaft nicht in Betracht,692 denn ihm war bei fehlendem Bewusstsein der formellen Rechtswidrigkeit das materielle Unrecht seines Handelns klar. Er wusste mithin alles, das ihn dazu hätte motivieren können, von der Tat Abstand zu nehmen. Gerade die Verwirklichung des sozial Wertwidrigen begründet den vollen Schuldvorwurf, sodass der Hintermann auch bei einer Täuschung über die formelle Rechtswidrigkeit nicht der Herr des Geschehens sein kann.693 In Fällen, in denen der Täter hingegen denkt, sein Verhalten sei auch unter anständigen Menschen „in Ordnung“, da er hat nur eine Norm übersehen und aus mannigfaltigen Gründen auch keine Erkundigungen eingeholt hat, kennt er das materielle Unrecht seines Tuns nicht.694 Dann ist die Stellung des Hintermanns anders zu beurteilen, denn er verwendet den unmittelbaren Täter wie ein argloses Werkzeug und trägt somit die „Hauptschuld“ der Deliktsverwirklichung. Aus diesen Gründen erscheint es gerechtfertigt, ihn als Tatherren und damit mittelbaren Täter zu betrachten.695 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Roxin mittelbare Täterschaft trotz eines vermeidbaren Verbotsirrtums nur in Fällen für möglich hält, in denen der unmittelbare Täter aufgrund eines Irrtums das materielle Unrecht seines Tuns nicht kennt, nicht hingegen, wenn ihm bei fehlendem Bewusstsein der formellen Rechtswidrigkeit das materielle Unrecht seines Handelns klar ist.696 Der BGH kam in der Katzenkönig-Entscheidung697 dann zu dem Ergebnis, die verschiedenen Lösungsansätze, die einerseits die Handlungsherrschaft des Abhängigen und andererseits den bestimmenden Einflusses des Hintermannes fokussierten, zeigten klar auf, dass es sich um ein offenes Wertungsproblem mit fließenden Übergängen handele.698 Der Gesetzgeber habe aufgrund der Vielge-

690

Vgl. Roxin, FS Richard Lange, S. 173 (182 f.). S. Roxin, FS Richard Lange, S. 173 (181) mit Beispielen. 692 Roxin, FS Richard Lange, S. 173 (181). 693 Roxin, FS Richard Lange, S. 173 (181 f.). 694 Roxin, FS Richard Lange, S. 173 (182). 695 Vgl. Roxin, FS Richard Lange, S. 173 (182). 696 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 609. 697 BGH, Urt. v. 15.9.1988 – 4 StR 352/88, NJW 1989, 912 (913). 698 BGH, Urt. v. 15.9.1988 – 4 StR 352/88, NJW 1989, 912 (913); Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT, Teil 1, S. 224; a. A. Renzikowski, in: Maurach/Gössel, Teilbd. 2, 691

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

staltigkeit der Formen von Täterschaft bewusst auf die Festlegung einzelner Voraussetzungen verzichtet.699 Die Vermeidbarkeit des Irrtums jedenfalls sei letztlich kein geeignetes Abgrenzungskriterium, denn auch dem im Irrtum handelnden Täter fehle die Unrechtseinsicht. Die Tatsache, dass er Kenntnisse hätte haben können, ändere insoweit nichts an der Tatherrschaft des die Erlaubtheit vorspiegelnden Täters. Ob Tatherrschaft vorliegt, sei wiederum im Einzelfall zu bestimmen und hänge von Art und Tragweite des Irrtums des unmittelbaren Täters und von der Intensität des Hintermannes ab.700 Dementsprechend ist das „Defizit“ des handelnden Mitarbeiters, der aufgrund einer handlungsleitenden, übermäßig auf Profit ausgerichteten Unternehmensmatrix in einem vermeidbaren oder unvermeidbaren Verbotsirrtum handelt, ein geeignetes Kriterium, um eine Handlung des Unternehmens abzugrenzen. Die Frage, ob eine derartig beschaffene Unternehmensmatrix vorliegt, bleibt jedoch eine im Einzelfall zu entscheidende Wertungsfrage. Durch den auf diese Weise begründeten starken Unternehmenszusammenhang ist es somit möglich, eine Handlung des Unternehmens und somit auch eine Unternehmenstat zu konstruieren, ohne auf den problematischen Zurechnungsmechanismus des § 30 OWiG zurückgreifen zu müssen. Dies hat für die Erfassung von Unternehmenskriminalität weitreichende Folgen. Zunächst bedeutet der Verzicht auf die Zurechnungskonstruktion das Ende der in ihren Voraussetzungen inkonsistenten Normentroika der §§ 8, 30, 130 OWiG,701 weil diese zur Erfassung von Unternehmenskriminalität nicht länger benötigt werden. Auch die häufig kritisierte Beweislastumkehr,702 die sich aus dem nahezu zwingenden Rückschluss von einer Zuwiderhandlung eines Mitarbeiters auf eine Aufsichtspflichtverletzung der Leitungsperson ergibt, kann durch die Aufgabe dieser Normen nicht länger existieren. Die Loslösung von der Anlasstat einer Leitungsperson, die einen zu engen Anwendungsbereich aufwies,703 bei gleichzeitiger Schaffung eines starken Unternehmenszusammenhangs führt zu einer passgenauen Erfassung von Unternehmenskriminalität, die von allen Ebenen des Unternehmens ausgehen kann. Auf diese Weise wird zudem sichergestellt, dass das Unternehmen nicht länger für eine fehlerhafte Aufsicht, sondern für die konkrete Zuwiderhandlung bezüglich S. 453, auf diese Weise werde die Bestimmung der mittelbaren Täterschaft in das unkalkulierbare Ermessen der Rechtsanwenders gestellt. 699 Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 6; BT-Drucks. IV/659, S. 149; BTDrucks. V/4095, S. 12. 700 BGHSt 32, 38 (42), NJW 1983, 2579. 701 Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12. 702 Vgl. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12; so auch Corell/von Saucken, wistra 2013, 297. 703 Vgl. Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19).

D. Vergleich und Stellungnahme

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betroffener Rechtsgüter sanktioniert wird, die einen Unrechtsgehalt bis zum Totschlag aufweisen können.704 5. Zwischenergebnis Das Frankfurter UntSankG-E ersetzt die zu schwache Sanktion des § 30 OWiG durch eine neuartige Sanktionsform mit hoher Intensität, die sogenannte Wiedergutmachungszahlung. Die Anwendung wird durch den neuen Adressaten, die wirtschaftliche Einheit, gestärkt und die de lege lata existierende Bagatellisierung durch die Kodifizierung im Parastrafrecht bei gleichzeitigem tatsächlichem Verzicht auf eine strafrechtliche Sanktion (auch auf eine klandestine Strafe) beendet. Die eigenständige Kodifikation der Unternehmenshandlung, die unter Berücksichtigung der besonderen Konstitution des Unternehmens zu einer Unternehmenstat führen kann, ermöglicht zudem die tatsächliche Erfassung von Unternehmenskriminalität. Das parastrafrechtliche UntSankG-E, das auf den Frankfurter Thesen beruht, ist somit aufgrund seiner tiefgreifenden konzeptionellen Änderungen tatsächlich in der Lage, alle existierenden Kritikpunkte am geltenden Recht zu adressieren.

D. Vergleich und Stellungnahme In einem abschließenden Schritt sollen nun die unterschiedlichen Entwürfe bezüglich ihres Potenzials, eine Verbesserung zur gegenwärtigen Rechtslage darzustellen, vergleichend betrachtet werden.

I. Gestärkte Sanktion? Zunächst sollen die Lösungsansätze bezüglich der zu schwachen Sanktion des § 30 OWiG705 in den Blick genommen werden. § 30 OWiG sieht de lege lata bei vorsätzlicher Begehung eine Sanktion in Höhe von 10 Millionen Euro und bei fahrlässiger Begehung in Höhe von 5 Millionen Euro vor. Vier der fünf Entwürfe – der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen, der Kölner Entwurf, der Regierungsentwurf und der Münchner Entwurf – wählen insoweit die Erhöhung des Sanktionsniveaus als die naheliegende Lösung. Jedoch bestehen Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung der Sanktionserhöhung. Die Entwürfe aus Nordrhein-Westphalen und Köln setzen insoweit auf eine Stärkung der Intensität durch eine umsatzbezogene Sanktion. Das bedeutet, die konkrete Sanktionshöhe ist vom Umsatz des Unternehmens abhängig. In con704 Vgl. Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, DRiZ 2018, 342 (342 f.). 705 Vgl. Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes I. Zu schwache Sanktion.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

creto sieht der Entwurf aus Nordrhein-Westphalen eine umsatzbezogene Geldstrafe von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes des Unternehmens verstanden als wirtschaftliche Einheit vor, die in Tagessätzen verhängt werden soll.706 Der Kölner Entwurf beabsichtigt gar eine umsatzbezogene Sanktion bis zu 15 Prozent des Jahresumsatzes des Unternehmens verstanden als wirtschaftliche Einheit.707 Beide Entwürfe sehen neben der Sanktion die Möglichkeit der Einziehung vor. Im Mittelpunkt der Erwägungen soll die Schaffung einer möglichst effektiven und flexiblen Sanktion stehen.708 Der Regierungsentwurf hingegen möchte eine Stärkung der Sanktionsintensität nur partiell durch die Einführung einer umsatzbezogenen Sanktion erreichen. So soll ausschließlich gegenüber großen und internationalen Konzernen mit einem Konzernumsatz von mehr als 100 Millionen Euro seine Sanktion von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes möglich sein. In allen übrigen Fällen soll die de lege lata existierende Obergrenze des § 30 OWiG in Höhe von 10 Millionen Euro weiterhin bestehen bleiben.709 Auch hier soll die Einziehung isoliert neben die Sanktion treten. Grundgedanke der Ahndung soll eine an die Wirtschaftskraft des Unternehmens angepasste Sanktion sein. Der Münchner Entwurf sieht hingegen grundsätzlich von einer umsatzbezogenen Sanktion ab und möchte stattdessen die Sanktion durch ein gestaffeltes Höchstgrenzensystem stärken. Dabei wird zwischen der vorsätzlichen und der fahrlässigen Begehung durch den Verband unterschieden. Im Höchstfall soll eine Sanktion von 200 Millionen Euro möglich sein.710 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von unter 500 Millionen Euro sowie kleine und mittlere Unternehmen nach europäischem Recht sollen jedoch von den Höchstsanktionen ausgenommen sein.711 Auch hier soll die Einziehung neben der Sanktion möglich sein.712 Im Gegensatz dazu verzichtet der Frankfurter Entwurf gänzlich auf eine Geldzahlung an den Staat und somit auch auf deren Erhöhung. Stattdessen sieht er die Implementierung einer alternativen Sanktion in Form der Wiedergutmachungszahlung an den oder die Geschädigten zur Stärkung des Sanktionsniveaus vor.713 Eine Höchstgrenze der Wiedergutmachungszahlung besteht insoweit nicht. Vielmehr hängt deren Höhe stets von der vom Unternehmen begangenen Tat und dem ab, was nötig ist, um den Zustand, der vor der Tat bestand, wiederherzustel706

NRW VerbStrG-E, S. 57. § 4 Kölner VerbSG-E. 708 NRW VerbStrG-E, S. 2; Kölner VerbSG-E, S. 24. 709 S. § 9 VerSanG-E; BR-Drucks. 440/20, S. 7. 710 BR-Drucks. 440/20, S. 46. 711 Münchner Entwurf, S. 59. 712 Münchner Entwurf, S. 61 f. 713 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C.V. 3. Wesentlicher Entwurfsinhalt. 707

D. Vergleich und Stellungnahme

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len. Somit kann auch diesbezüglich von einer gestärkten Sanktionsintensität ausgegangen werden, da die Wiedergutmachungszahlung keine Deckelung erfährt. Folglich weisen zunächst alle zuvor genannten Entwürfe eine gestärkte Sanktionsintensität gegenüber § 30 OWiG auf. Bezüglich der Entwürfe, die an einer Geldzahlung an den Staat festhalten, ist jedoch auffällig, dass in den jüngeren Entwürfen (Regierungsentwurf und Münchner Entwurf) eine zumindest stufenweise Abkehr vom Konzept der umsatzbezogenen Sanktion zu erkennen ist. Dies erscheint vor allem insoweit überraschend, als die umsatzbezogene Sanktion im Kartellrecht schon lange Zeit erfolgreich angewendet wird.714 Positiv hervorgehoben wird diesbezüglich stets das im Vergleich zum allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrecht erhöhte Bußgeldniveau.715 Im Bereich der Sanktionierung von Unternehmen außerhalb des Kartellrechts wird die Angemessenheit einer umsatzbezogenen Sanktion als problematisch erachtet.716 Einerseits soll der Staat eine möglichst hohe Flexibilität im Rahmen der Sanktionszumessung haben und die Sanktion soll an die Wirtschaftskraft des Unternehmens angepasst sein. Andererseits besteht gleichzeitig ein großes Bedürfnis, weiter am bewährten Konzept des § 30 OWiG festzuhalten und die Wirtschaft nicht zu stark zu belasten.717 Die Grundhaltung, eine übermäßige Belastung zu vermeiden spiegelt sich ebenso in der verweigernden Haltung gegenüber dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit als Sanktionsadressat wider.718 Ob bei einem Verzicht auf eine umsatzbezogene Sanktion jedoch eine Sanktionshöhe erreicht werden kann, die den im Zusammenhang mit § 30 OWiG kritisierten Wettbewerbsnachteil719 deutscher Unternehmen beendet, bleibt fraglich. Als insoweit positives Signal kann die Kodifizierung einer umsatzbezogenen Sanktion im neuen Lieferkettenkettengesetz, das 2023 in Kraft tritt und ohne europäischen Zugzwang entstanden ist, betrachtet werden.720 Die vom Frankfurter Entwurf vorgesehene Wiedergutmachungszahlung an den oder die Geschädigten steht im Kontrast zu der von den anderen Entwürfen vorgeschlagenen Taktik der Sanktionserhöhung. Für Wiedergutmachungszahlung kann man ins Feld führen, dass die Angemessenheit einer Sanktion nicht von der Wirtschaftskraft eines Unternehmens, sondern vielmehr von der Tat, die das Un714

Vgl. Kapitel 3 Die Rechtslage de lege lata C. II. Höhe der Geldbuße. BeckOK OWiG/Meyberg, § 30 Rn. 97. 716 Insoweit wird vorgebracht, dass der Umsatzbezug nur im Kartellrecht aufgrund der als gravierend zu betrachtenden Auswirkungen auf den Markt gerechtfertigt erscheine. 717 Im Zusammenspiel mit der von allen Entwürfen vorgesehenen Einziehung entstehen gleichwohl hohe Sanktionssummen. 718 Vgl. BR-Drucks. 440/20, S. 68. 719 Vgl. Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes I. Zu schwache Sanktion. 720 Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy, Der Konzern, 2021, 349 (351). 715

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

ternehmen begangen hat, abhängig sein sollte. Die von den anderen Entwürfen vorgesehene „pauschale“ Erhöhung der Sanktionshöhe scheint hingegen ein eher kurzfristiges Mittel zu sein, um den gesellschaftlichen Anschein zu erwecken, der Staat bekämpfe Unternehmenskriminalität. Diese Vorgehensweise wird schließlich schon seit Jahrzehnten verfolgt, ohne dass die Sanktionshöhe jemals wirklich ausreichend sein würde.721 Auch die Effektivität der Wiedergutmachungszahlung wird sich erst in der Zukunft erweisen können. Allerdings sollte aufgrund der guten Erfahrungen in den USA, die eine hohe Wirksamkeit und Sanktionsintensität belegen, möglich sein, ihr insoweit einen gewissen Vertrauensvorschuss entgegenzubringen.722

II. Verbesserte Anwendung? Als Hauptgrund für die unzureichende Anwendung des § 30 OWiG wird weitestgehend konsentiert das dem Ordnungswidrigkeitenrecht zugrunde liegende Opportunitätsprinzip betrachtet.723 Das Opportunitätsprinzip besagt gemäß § 47 Abs. 1 OWiG, dass die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörden steht. Erwartungsgemäß versucht der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen, der Kölner Entwurf, der Regierungsentwurf und der Münchner Entwurf, dieses Defizit durch die Implementierung des strafrechtlichen Legalitätsprinzips zu adressieren. Das Legalitätsprinzip im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO bedeutet die Verpflichtung, wegen einer Straftat zu ermitteln, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen sieht neben der Einführung des Legalitätsprinzips verschiedene Möglichkeiten vor, in denen das Gericht von einer Sanktion absehen kann.724 Der Kölner Entwurf hingegen nennt unterschiedliche Optionen für eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft.725 Er sieht aber keine Möglichkeit des erkennenden Gerichts vor, das Verfahren nach Anklageerhebung einzustellen, und erhöht so den Kooperationsdruck für den Verband. Der Regierungsentwurf flankiert das Legalitätsprinzip ebenfalls mit Einstellungsmöglichkeiten nach den §§ 35 bis 42 VerSanG-E bei paralleler Anwendung der Einstellungsmöglichkeiten nach der StPO.726 Die Anforderungen an eine Einstellung sind aber allgemein hoch, sodass der Eindruck entsteht, es solle bewusst eine Drohkulisse aufgebaut werden, in der das Unternehmen „gezwungen“ wird, 721

Vgl. zur Entwicklung der Bußgeldhöhe KK-OWiG/Rogall, § 30 Rn. 22 ff. Vgl. Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 598. 723 Vgl. Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Sanktionsregimes B. Anwendungsdefizit. 724 Vgl. § 5 NRW VerbStrG-E. 725 §§ 14 f. Kölner VerbSG-E. 726 BR-Drucks. 440/20, S. 110 f. 722

D. Vergleich und Stellungnahme

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mit den Verfolgungsbehörden zu kooperieren.727 Auch der Münchner Entwurf weist verschiedene Möglichkeiten zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft auf. Außerdem schlägt er in § 11 spezielle Einstellungsmöglichkeiten des Gerichts bei ausreichenden organisatorischen und personellen Maßnahmen des Verbandes vor. Ob darüber hinaus die aus der StPO bekannten Einstellungsmöglichkeiten des erkennenden Gerichts möglich sein sollen, bleibt unklar. Der Frankfurter Entwurf sieht im Gegensatz zu diesem Ansatz die Beibehaltung des Opportunitätsprinzips vor. Dies soll jedoch von normativ klaren Leitlinien flankiert werden, die festlegen, wie die Verfolgungsbehörden ihr Ermessen auszuüben haben. Auf diese Weise soll es möglich sein, auch ohne die Einführung des Legalitätsprinzips regionale Anwendungsunterschiede aufzuheben.728 Darüber hinaus soll die Anwendung durch strukturelle Änderungen gestärkt werden. Einerseits soll dies durch die Einführung der wirtschaftlichen Einheit als Normadressat geschehen. Dies spiegelt die wirtschaftliche Realität des Unternehmens wider und verhindert, dass sich das Unternehmen dem Verfahren entzieht oder durch geschickte Umstrukturierung der Sanktion entgeht.729 Andererseits soll aber durch die konkrete Ausgestaltung der Sanktionsnorm des Frankfurter Entwurfs auch die Kooperationsbereitschaft des Unternehmens forciert werden. § 4 Frankfurter UntSankG-E gibt Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Erfolge und deren Nachweis einen konkreten Wert730 in Form der Sanktionsfreiheit. Für das Unternehmen besteht somit ein großes Eigeninteresse daran, Maßnahmen zu implementieren, die das Risiko strafrechtlicher Erfolge senken, wodurch schon das Verfahrensaufkommen an sich sinken wird. Darüber hinaus schafft es aber auch einen konkreten Anreiz für das Unternehmen, aktiv am Verfahren mitzuwirken, um so bspw. den geforderten Kurswechsel nachweisen zu können.731 Für den Staat bedeutet dies die Möglichkeit, effektiv Ermittlungsressourcen zu sparen und gleichzeitig eine umfassende Sachverhaltsaufklärung zu gewährleisten. Alle Entwürfe bieten somit grundsätzlich Ansätze, um die Anwendung des Rechts der Unternehmenssanktionierung zu verbessern. Bezüglich der mehrheitlich ins Visier genommen Einführung des Legalitätsprinzips werden aber grundsätzlich Bedenken geäußert. 727

Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, DRiZ 2018, 14 (19). Schmitt-Leonardy/Schoop, wistra 2018, 27 (31). 729 Vgl. Kapitel 3 Die Rechtslage de lege lata C. III. Haftung der wirtschaftlichen Einheit. 730 Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy, Der Konzern, 2021, 349 (356). 731 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. V. 3. Wesentlicher Entwurfsinhalt. 728

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Diese bestehen zum einen aufgrund der aus dem Verfolgungszwang resultierenden Mehrbelastung der Verfolgungsbehörden, die im direkten Widerspruch zu der ebenfalls bemängelten schlechten Ressourcensituation steht. Sie ergeben sich zum anderen aber auch aufgrund der jeweiligen Ausgestaltung der Opportunitätseinschränkungen. Zwei Entwürfe verzichten gänzlich auf Einstellungsmöglichkeiten des erkennenden Gerichts, sodass eine Verurteilung nicht mehr Ultima Ratio ist.732 Die anderen Entwürfe knüpfen ihre Einstellungsmöglichkeiten an insgesamt hohe Voraussetzungen an, wodurch zusammen mit der hohen Sanktionsandrohung eine „Drohkulisse“ aufgebaut wird, die die Kooperation des Unternehmens quasi befördern soll.733 Diese Vorgehensweise gleicht entfernt dem in den USA gebräuchlichen DPA-/NPA-Verfahren.734 Ein DPA ist eine freiwillige Vereinbarung der Strafverfolgungsbehörde mit dem betroffenen Unternehmen, in dem das Letztere ein pflichtwidriges Verhalten einräumt und sich zur Umsetzung von Maßnahmen verpflichtet.735 In Deutschland ist dieses Verfahren aber bisher nicht geregelt. Das bedeutet für das Unternehmen die Verpflichtung, sich in die Abhängigkeit der Verfolgungsbehörden zu begeben, die über die Opportunitätseinstellungen entscheiden. Eine solche Vorgehensweise ist jedoch insbesondere mit einer geeigneten Verteidigung des Unternehmens unvereinbar.736 Die vom Frankfurter Entwurf gewählte Vorgehensweise, die Kooperation des Unternehmens durch den Anreiz der Sanktionsfreiheit zu forcieren, erscheint somit auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten vorzugswürdig. Insgesamt ist es somit fraglich, ob das Legalitätsprinzip allein die gewünschten Wirkungen bezüglich einer verbesserten und gleichmäßigeren Anwendung des Unternehmenssanktionsrechts aufweisen kann. Eine überzeugende Alternative scheint jedenfalls die vom Frankfurter Entwurf vorgeschlagene Beibehaltung des Opportunitätsprinzips bei einer gleichzeitig verbesserten Erfassung des Unternehmens und Steigerung der Kooperationsbereitschaft zu sein.

III. Entbagatellisierung von Unternehmenskriminalität? Die Bagatellisierung der Sanktionierung von Unternehmenskriminalität durch die gegenwärtige Verortung im Ordnungswidrigkeitenrecht soll wie folgt behoben werden. 732

Vgl. Beisheim/Jung, CCZ 2018, 63 (66). Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy, Der Konzern, 2021, 349 (356). 734 Vgl. hierzu zu den Einzelheiten und Unterschieden NPA und DAP: Arlen/Kahan, Chicago L. Rev. 84 (2017), 323 (385 ff.); Hein/von Busekist, CCZ 2013, 185; zur Anwendung des DPA im Rahmen des UK-Bribery Act Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106). 735 Schorn/Sprenger, CCZ 2013, 104 (106). 736 Jahn/Schmitt-Leonardy, Der Konzern, 2021, 249 (354 f.). 733

D. Vergleich und Stellungnahme

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Der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen schlägt zunächst offen die Einführung einer Verbandsstrafe und somit eine strafrechtliche Verortung der Sanktionierung von Unternehmenskriminalität vor.737 Der Kölner Entwurf, der Regierungsentwurf, der Münchner Entwurf und der Frankfurter Entwurf wollen dagegen eine Sanktion außerhalb des Ordnungswidrigkeitenrechts und des Kriminalstrafrechts implementieren. Die genauere Analyse der insoweit konkret vorgeschlagenen Sanktionen anhand von Prüfungskriterien, die an die Engel-Kriterien des EuGH738 angelehnt sind, hat jedoch ergeben, dass es sich sowohl bei der Geldzahlung des Kölner Entwurfs739 als auch bei der Verbandsgeldsanktion des Regierungsentwurfs740 und bei der Verbandsgeldzahlung des Münchner Entwurfs741 trotz der jeweiligen Bezeichnung als „Sanktion“ tatsächlich um eine Strafe handelt. Diese klandestine Einführung einer Strafe gegenüber Unternehmen bedeutet für diese eine erhebliche Rechtsunsicherheit und erweckt den Anschein, dass durch die Fehlbezeichnung der dem Entwurf aus Nordrhein-Westfalen entgegengeschlagene Widerstand bezüglich einer Verbandsstrafe umgangen werden soll.742 Des Weiteren ist eine solche heimliche Einführung nicht mit der Rechtsprechung des EGMR vereinbar. In seiner Entscheidung zur Sicherungsverwahrung hat dieser festgestellt, dass das Prinzip „falsa demonstratio non nocet“ im Strafrecht nicht gilt743 und somit eine diesbezügliche Fehlbezeichnung nicht hinnehmbar ist.744 Lediglich die Wiedergutmachungszahlung des Frankfurter Entwurfs stellt keine Strafe dar. Zum einen ist dies der Fall, weil die Wiedergutmachungszahlung nach der klassischen Trennungstheorie nicht dem Strafrecht zugeordnet ist, da sie keine neue „Wunde“ schlägt.745 Zum anderen trifft dies auch zu, weil sie keine staatliche Übelzufügung, sondern die direkte Folge des Handelns des Unternehmens darstellt, das nur den Schaden, den es durch seine Unternehmenstat

737

§ 6 NRW VerbStrG-E; NRW-VerbStrG-E S. 53. Beruhend auf der Entscheidung EGMR, Engel u. a. gegen Niederlande, Beschwerde-Nr. 5100/71, Urteil vom 8.6.1976, in denen der EGMR Kriterien zur Feststellung, ob eine strafrechtliche Anklage vorliegt, festgesetzt hat. 739 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) aa) Sanktionsqualität der Geldzahlung. 740 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. III. 2. c) aa) Sanktionsqualität der Verbandsgeldsanktion. 741 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. IV. 2. c) aa) Sanktionsqualität der Verbandsgeldzahlung. 742 Vgl. Kölner VerbSG-E, S. 23, der bei einer Bezeichnung als „Sanktion“ von einem geringeren politischen Widerstand ausgeht als bei einer „Strafe“. 743 EGMR, M. gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 19359, Urteil vom 17.12.2009. 744 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (261); Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 745 Vgl. Binding, Die Normen und ihre Übertretungen, S. 288. 738

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

begangen hat, bei dem oder den Geschädigten wiedergutmacht.746 Die Sanktion ist im sogenannten Parastrafrecht747 verankert. Lässt man diese Probleme, die mit der heimlichen Einführung einer Strafe einhergehen, allerdings außer Betracht, kann festgestellt werden, dass grundsätzlich sowohl eine Strafe (vorgeschlagen vom Entwurf aus Nordrhein-Westfalen, Köln und München) als auch eine eigenständige Sanktion (vorgeschlagen vom Frankfurter Entwurf) die Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität beenden könnten. Eine Strafe muss jedoch stets strafrechtlich legitimiert sein. Eine strafrechtliche Legitimation liegt vor, wenn die entsprechende Norm in materieller Hinsicht in der Lage ist, einen Strafzweck zu erfüllen. Dies gelingt tatsächlich keinem der Entwürfe. Der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen versucht eine Legitimation über die positive Generalprävention. Ein Verband vermag jedoch aufgrund seiner nur begrenzten Steuerungsfähigkeit das Rechtsempfinden der Gesellschaft nicht zu stärken.748 Der Kölner Entwurf hingegen setzt sowohl auf absolute Straftheorien als auch auf die positive Spezialprävention. Absolute Straftheorien finden jedoch von Grund auf am Unternehmen keinen sinnstiftenden Anknüpfungspunkt, da diese grundsätzlich keine Subjekte im Sinne einer freiheitstheoretischen Begründung sind.749 Dem gegenüber kommt die Analyse bezüglich einer spezialpräventiven Begründung zu dem Ergebnis, dass eine Legitimation grundsätzlich möglich wäre, wenn die jeweilige Maßnahme Eingang in die Unternehmenskultur finden könnte.750 Diesbezüglich erscheint jedoch die Geldzahlung mit ihrem repressiven Charakter kein geeignetes Mittel, um den Verband zu bessern. Die Geldzahlung stellt lediglich eine finanzielle Belastung für den Verband dar, ohne einen Anreiz zu geben, die konkrete Normbotschaft nach innen weiterzugeben.751 Die Geldzahlung findet dementsprechend gerade keinen Eingang in die Unternehmenskultur. Der Regierungsentwurf setzt zur Legitimation sowohl auf negative Generalprävention als auch auf positive Spezialprävention. Bezüglich der negativen Ge-

746 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. V. 4. c) bb) Sanktionsqualität der Wiedergutmachungszahlung. 747 Vgl. vertiefend Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 771; Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (253). 748 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. I. 2. c) bb) (3) Konkrete Legitimation des Entwurfs? 749 Vgl. Kapitel 5 Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) bb) (2) (a) Legitimation über absolute Straftheorien? 750 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. III. 2. c) aa) Sanktionsqualität der Verbandsgeldsanktion. 751 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. II. 2. c) bb) (2) (b) Legitimation über positive Spezialprävention?

D. Vergleich und Stellungnahme

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neralprävention kann gesagt werden, dass auch diese grundsätzlich gegenüber Unternehmen funktionieren könnte, wenn sie Eingang in die Unternehmenskultur der anderen abzuschreckenden Unternehmen findet. Dieses Ziel kann aber durch eine Verbandsgeldsanktion gerade nicht erreicht werden, denn Unternehmen sind grundsätzlich auf die Maximierung von Profit ausgerichtet.752 Diese gebietet, dass sie eine mögliche Verbandsgeldsanktion in ihre wirtschaftlichen Kalkulationen einbeziehen und sich, sofern es sich lohnt, für eine Zuwiderhandlung samt Strafe entscheiden.753 Eine Abschreckung ist insoweit nicht möglich. Genauso scheitert auch die Legitimation über die positive Spezialprävention. Zwar wäre es grundsätzlich möglich, im Sinne der positiven Spezialprävention auf das Unternehmen einzuwirken, die Verbandsgeldzahlung ist aber dazu nicht geeignet. Sie stellt wie bereits die Geldzahlung des Kölner Entwurfs lediglich eine finanzielle Belastung dar, die keinen Anreiz beinhaltet, die Normbotschaft nach innen weiterzugeben.754 Eine Auswirkung auf die Unternehmenskultur entsteht somit gerade nicht. Bezüglich des Münchner Entwurfs, der durch die Zahlung der Verbandsgeldzahlung ebenfalls auf eine positive Spezialprävention setzt, gilt das zuvor Gesagte entsprechend.755 Die Folge einer Kodifikation einer Strafe gegenüber Unternehmen ohne strafrechtliche Legitimation bedeutet die Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts. Die Strafzwecke sind kein Selbstzweck, sondern die Grundlage dafür, dass der Staat so intensiv in die Grundrechte des Einzelnen eingreifen darf.756 Wenn eine Strafe gegenüber Unternehmen ohne Legitimation implementiert werden kann, schwächt dies die Bedeutung der Legitimation auch im Kriminalstrafrecht gegenüber natürlichen Personen,757 denn durch einen derart „beliebigen“ Einsatz des Strafrechts droht das Kriminalstrafrecht selbst „beliebig“ zu werden.758 Auch wenn das moderne Strafrecht immer weiter in den präventiven Bereich rückt und zur Risikosteuerung auch in Bezug auf neue Kriminalitätsformen ver752

Vgl. Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?, Rn. 284. Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. III. 2. c) cc) (1) Legitimation über negative Generalprävention? 754 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. III. 2. c) cc) (2) Legitimation über positive Spezialprävention? 755 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. IV. 2. c) bb) Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts. 756 Bock, JuS 1994, 89 (89); Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 7, 257; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 2, Rn. 1. 757 Vgl. Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (21); Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, Rn. 55, die sogar die Bestrafung von juristischen Personen mit der Bestrafung von Tieren vergleicht; vgl. Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (314). 758 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (22). 753

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

wendet wird,759 wird dieser Bereich bei einer Strafe gegenüber Unternehmen ohne strafrechtliche Legitimation zugunsten einer politischen Richtungsentscheidung verlassen.760 Kosten und Nutzen stehen insoweit nicht im Verhältnis. Somit kann lediglich die vom Frankfurter Entwurf vorgeschlagene Wiedergutmachungszahlung als tatsächliche Sanktion außerhalb des Strafrechts der Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität abhelfen.

IV. Erfassung von Unternehmenskriminalität? Zuletzt soll vergleichend betrachtet werden, wie die Entwürfe die Erfassung von Unternehmenskriminalität erreichen wollen. Eine Verbesserung ist insoweit notwendig, weil speziell das von § 30 OWiG verwendete Zurechnungsmodell nicht in der Lage ist, das Unternehmen und die Unternehmenskriminalität adäquat zu erfassen.761 Alle Entwürfe stellen zunächst fest, dass es wichtig ist, Unternehmenskriminalität besser zu erfassen. Der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen, der Kölner Entwurf, der Regierungsentwurf und der Münchner Entwurf beschreiben, dass grundsätzlich kriminogene Strukturen für Unternehmenskriminalität verantwortlich sind. Sie stimmen ebenfalls darin überein, dass das Unternehmen selbst stärker in den Fokus der Überlegungen zur Unternehmenssanktionierung gerückt werden muss. Allerdings bleiben die ausformulierten Erwägungen insoweit außer im Rahmen des Entwurfs aus Nordrhein-Westfalen762 eher unkonkret.763 Diese von den vier Entwürfen zunächst gewonnenen Erkenntnisse werden aber daraufhin nicht in die jeweiligen Sanktionsnormen implementiert. Stattdessen replizieren sie abermals jeweils das Zurechnungsmodell des § 30 OWiG nahezu unverändert. Das hat zur Folge, dass die diesbezüglich festgestellten Defizite nicht adressiert und teilweise sogar intensiviert werden.764 Eine Erfassung des Unternehmens und der spezifischen Unternehmenskriminalität bleibt so auch weiterhin unmöglich. Lediglich der Frankfurter Entwurf implementiert ein neues, eigenständiges Konzept zur Erfassung von Unternehmenskriminalität und löst sich somit voll759 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. I. 2. c) bb) (2) (c) Vereinigungstheorie. 760 Vgl. Köllner/Mück, NZI 2018, 311 (314). 761 Vgl. Kapitel 4 Defizite des gegenwärtigen Rechts D. Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität. 762 Der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen kodifiziert ein eigenes Fehlverhalten des Verbandes und eine Verbandsschuld. 763 Vgl. z. B. bezüglich des Regierungsentwurfs Schmitz, WiJ 2019, 154 (154); Rönnau, NZWiSt-Editiorial 10/2019. 764 Vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E der lediglich eine objektive Pflichtverletzung der aufsichtspflichtigen Person fordert und somit zu einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung führt.

D. Vergleich und Stellungnahme

145

ständig vom Zurechnungsmodell des § 30 OWiG.765 Eine Anlasstat bleibt zwar weiterhin bestehen, diese kann aber im Gegensatz zu § 30 OWiG von jedem Mitarbeiter begangen werden. Sie wird über die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft eine Handlung des Unternehmens, wenn das Unternehmen die Handlungsherrschaft über den jeweiligen Mitarbeiter innehat. Dies kann dann angenommen werden, wenn der handelnde Mitarbeiter ein „Defizit“ in Gestalt eines vermeidbaren Verbotsirrtums aufweist. Ein vermeidbarer Verbotsirrtum beim Mitarbeiter entsteht, wenn sich die auf übermäßige Profitmaximierung gerichtete Unternehmensmatrix766 dergestalt handlungsleitend auswirkt, dass der einzelne Mitarbeiter nicht mehr weiß, eine Zuwiderhandlung zu begehen.767 Somit ist möglich, ohne den kritisierten Zurechnungsmechanismus des § 30 OWiG eine eigene Handlung des Unternehmens zu definieren, die bei pflichtwidrigem Verhalten seinerseits zu einer sanktionswürdigen Unternehmenstat führen kann. Auf diese Weise und durch die grundsätzliche Einführung des Normadressaten „wirtschaftliche Einheit“ 768 erfolgt gleichzeitig die Loslösung vom ebenfalls kritisierten Rechtsträgerprinzip. Letzteres führt dazu, dass die hinter dem Rechtsträger des Unternehmens stehenden Individuen sanktioniert werden, nicht aber das Unternehmen selbst. Mit den Regelungen des Frankfurter UntSankG-E ist es nun möglich, das Unternehmen als soziale Einheit bzw. Kriminellen sui generis für sein Handeln zur Verantwortung zu ziehen.769 Damit schafft es der Frankfurter Entwurf, durch die Trennung vom Zurechnungsmodell des § 30 OWiG sowie durch die Einführung des Normadressaten wirtschaftliche Einheit das Unternehmen und die Unternehmenskriminalität an sich erfassen.

V. Fazit Betrachtet man nun die verschiedenen Kritikpunkte und dargebotenen Lösungsansätze, so kann folgendes Fazit gezogen werden: Die zu schwache Sanktion des § 30 OWiG können zunächst alle Entwürfe adressieren. Die Frage, ob die von den Entwürfen aus Nordrhein-Westfalen und 765 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. V. 3. Wesentlicher Entwurfsinhalt. 766 Vgl. Schmitt-Leonardy, in: Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts, S. 71 (89). 767 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. V. 3. Wesentlicher Entwurfsinhalt. 768 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. V. 3. Wesentlicher Entwurfsinhalt; Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 251 (254). 769 Im Gegensatz zu dem geltenden Recht vgl. OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12.

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Kap. 5: Die Rechtslage de lege ferenda

Köln sowie dem Regierungsentwurf und dem Münchner Entwurf vorgeschlagene bloße Erhöhung der Sanktion eine langfristig sinnvolle Lösung darstellt, bleibt jedoch offen.770 Auch dem Anwendungsdefizit kann zunächst von allen Entwürfen abgeholfen werden, wobei allerdings grundsätzliche Bedenken bezüglich der vorgeschlagenen Einführung des Legalitätsprinzips durch den Entwurf aus Nordrhein-Westfalen und den Kölner Entwurf sowie den Regierungsentwurf und den Münchner Entwurf bestehen.771 Die Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität durch die Verankerung im Ordnungswidrigkeitenrecht können hingegen nicht alle Entwürfe beseitigen. Hier zeigt sich eine gravierende Schwäche der Entwürfe aus Nordrhein-Westfalen und Köln sowie des Regierungsentwurfs und des Münchner Entwurfs, die entweder offenkundig oder klandestin die Einführung einer Strafe gegenüber Unternehmen vorschlagen. Keiner der vorgenannten Entwürfe ist insgesamt in der Lage, eine strafrechtliche Legitimation vorzuweisen. Die Folge der Kodifizierung einer Strafe ohne Legitimation ist aber die Entwertung und Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts an sich. Dies stellt einen zu hohen Preis für die Entbagatellisierung der Unternehmenssanktionierung dar und ist insgesamt rechtsstaatlich bedenklich.772 Einzig der Frankfurter Entwurf schlägt mit der „Wiedergutmachungszahlung“ tatsächlich eine Sanktion vor, die aus verschiedenen Gründen keine Strafe darstellt. Sie ist außerhalb des Ordnungswidrigkeitenrechts und außerhalb des Strafrechts im sogenannten „Parastrafrecht“ angesiedelt.773 Auch bezüglich der Erfassung von Unternehmenskriminalität stellen die Entwürfe aus Nordrhein-Westfalen und Köln sowie der Regierungsentwurf und der Münchner Entwurf keine Verbesserung dar. Sie halten allesamt am Zurechnungskonzept des § 30 OWiG und dem damit verbundenen Rechtsträgerprinzip fest.774 Der Frankfurter Entwurf hingegen versucht die Unternehmenskriminalität durch ein neues, eigenständiges Konzept zu erfassen, das eine eigene Handlung des Unternehmens über die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft konstruiert. Das Unternehmen selbst wird außerdem über den Normadressaten wirtschaftliche Einheit direkt einbezogen.775

770

Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda D. I. Gestärkte Sanktion? Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda D. II. Verbesserte Anwendung? 772 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda D. III. Entbagatellisierung von Unternehmenskriminalität? 773 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. V. 4. c) Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität. 774 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda D. IV. Erfassung von Unternehmenskriminalität? 775 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda C. V. 4. d) Mangelnde Erfassung von Unternehmenskriminalität. 771

D. Vergleich und Stellungnahme

147

Somit kann resümiert werden, dass der Vergleich der verschiedenen Entwürfe ein disparates Bild liefert. Auf der einen Seite sind stets mit gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Lösungsvorschlägen die Entwürfe aus Nordrhein-Westfalen und Köln sowie der Regierungsentwurf und der Münchner Entwurf zu finden, während auf der anderen Seite der Frankfurter Entwurf mit neuen Ansätzen und Ideen steht. Das kommt aber bei Betrachtung der Entwicklungsgeschichte ausgehend vom Entwurf aus Nordrhein-Westfalen bis hin zum Münchner Entwurf nicht von ungefähr. Die vorgenannten Entwürfe bauen aufeinander auf, sodass die Lösungsansätze bezüglich der unterschiedlichen Defizite vergleichbar sind. Ausgehend vom Entwurf aus Nordrhein-Westfalen, der zunächst ein Verbandsstrafgesetzbuch vorschlug und dafür heftig kritisiert wurde,776 nahmen der Entwurf aus Köln sowie alle nachfolgenden Entwürfe zumindest vom Namen her Abstand von einer strafrechtlichen Kodifizierung und schlugen eine Kodifizierung in einem eigenständigen Gesetz vor. Der auf den Entwurf aus Nordrhein-Westfalen folgende Kölner Entwurf kann insgesamt als moderate Fortentwicklung des Ersteren betrachtet werden.777 Beide Entwürfe weisen jedoch insgesamt erhebliche Übereinstimmungen auf.778 Sowohl der Regierungsentwurf als auch der Münchner Entwurf fußen wiederum auf dem Kölner Entwurf.779 Im Unterschied zu diesem sprechen sie sich jedoch für eine moderate Sanktionierung aus und enthalten kodifizierte Vorgaben zu Compliance und Internal Investigations.780 Der letzte Kritikpunkt, die unzureichende Erfassung von Unternehmenskriminalität, offenbart das alle Entwürfe verbindende Glied. Sie weisen aufgrund der Beibehaltung des Zurechnungsmechanismus aus § 30 OWiG, der sich in den jeweiligen Sanktionsnormen der Entwürfe widerspiegelt, eine klare inhaltliche Verwandtschaft auf.781 Diese stetige Replikation bekannter Strukturen mit neuen Titeln und Bezeichnungen kann letztlich nicht zum gewünschten Erfolg in Form einer verbesserten Erfassung von Unternehmenskriminalität beitragen. Nur der sich von alten Mustern lösende Frankfurter Entwurf ist mit seinen andersartigen Ansätzen geeignet, eine umfassende Verbesserung zu schaffen.

776

Z. B. von Schünemann, ZIS 2014, 1. Jahn/Schmitt-Leonardy/Schoop, FAZ 9.5.2018, S. 7. 778 So ähneln sich bspw. die Definitionen der Verbandsbezogenheit, der Person des Entscheidungsträgers, die nun Leitungsperson genannt wird, des Tatbestands der Verbandsverfehlung, die lediglich um den Exzess erweitert wurde, oder der Geldstrafe, die nun Geldzahlung heißt. 779 Erneut ähneln sich sowohl die Begrifflichkeiten als auch die Strukturen. 780 Vgl. §§ 16–18 VerSanG-E; §§ 8 Abs. 3, 33 ff. Münchner Entwurf. 781 Vgl. § 2 NRW VerbStrG-E; § 3 Kölner VerbSG-E; § 3 VerSanG-E; § 3 Münchner Entwurf. 777

Kapitel 6

Zusammenfassung, Reformthesen und Ausblick A. Zusammenfassung Unternehmensverantwortung und -sanktionierung sind auch drei Jahre nach Beginn dieser Arbeit immer noch ein virulentes Thema. Skandale wie Wirecard 1 oder die weitere gerichtliche Aufarbeitung von Cum-ex-Geschäften2 zeigen, welch großes kriminelles Potenzial in Unternehmen steckt. Sie offenbaren, wie wünschenswert eine geeignete Sanktionierung von Unternehmen und nicht lediglich der Leitungspersonen wäre, um den systematischen Aspekt der Zuwiderhandlungen greifbar zu machen. Dass dies kein leichtes Unterfangen ist, wird dadurch deutlich, dass der zur Sanktionierung von Unternehmen verfasste Regierungsentwurf kürzlich von der Regierungskoalition für gescheitert erklärt wurde3 und sich so in die Geschichte der fehlgeschlagenen Reformbemühungen zur Unternehmenssanktionierung einreiht. Die Analyse des Rechts de lege lata hat gezeigt, dass es bereits gegenwärtig unterschiedliche Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Unternehmen gibt. So wird das Ordnungswidrigkeitenrecht von zivilrechtlichen, öffentlich-rechtlichen und kartellrechtlichen Sanktionen flankiert. Im Mittelpunkt steht jedoch die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion gemäß § 30 OWiG, die gravierende Mängel aufweist: So führen die §§ 30, 130 OWiG zu einer zu schwachen Geldbuße,4 leiden unter einem scheinbaren Anwendungsdefizit,5 haben eine Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität zur Folge6 und sind letztlich konzeptionell nicht in der Lage, Unternehmenskriminalität überhaupt zu erfassen.7 1 Vgl. Die Tagesschau, Aufstieg und Fall eines Börsenlieblings, verfügbar unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/wirecard-127.html, zuletzt abgerufen am: 16.8. 2021. 2 Vgl. BGH, Urt v. 28.7.2021 – 1 StR 519/20. 3 Skandale ohne Folgen, FAZ 10.6.2021, S. 15. 4 Vgl. u. a. Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, S. 104; Beisheim/Jung, CCZ, 2018, 63 (64), Kölner VerbSG-E, S. 14; Kubiciel/Gräbener, ZRP 2016, 137 (137); Kubiciel/Hoven, juris-PR-Strafrecht 23/2017; VCI/BCM, Position für ein moderneres Unternehmenssanktionsrecht, 18.9.2018, S. 3. 5 S. u. a. Kubiciel/Hoven, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, S. 160 (162 f.); scheinbar, weil der empirische Beweis dieser Vermutung bisher nicht erbracht wurde. 6 Schmitt-Leonardy, in: Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, 251 (257 f.).

A. Zusammenfassung

149

Diesen Mängeln soll durch unterschiedliche Konzepte abgeholfen werden. So umfasst die Rechtslage de lege ferenda zunächst Entwürfe, die eine bloße Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts vorschlagen.8 Insoweit ist festzustellen, dass sowohl der Vorstoß des BUJ als auch das Thesenpapier des VCI/BCM zwar kleine Verbesserungen enthalten,9 insgesamt aber die Mängel des gegenwärtigen Rechts fortführen.10 Darüber hinaus gab es aber in den letzten acht Jahren fünf Entwürfe, die eine eigenständige Kodifizierung der Unternehmenssanktionierung vorschlugen. Nach dem Vorstoß aus Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2013 verging einige Zeit, dann ging es Schlag auf Schlag. Zwischen 2017 und 2020 erblickten zunächst der Kölner Entwurf, der Regierungsentwurf oder der Münchner Entwurf, je nachdem, ob man auf die erste Bekanntmachung oder die offizielle Veröffentlichung des Regierungsentwurfs abstellt, und die Frankfurter Thesen das juristische Licht der Welt. Bis auf den erst im Rahmen dieser Arbeit in Teilen vorgestellten Frankfurter Entwurf wurde jeder Entwurf bisher auch bereits wieder beerdigt. Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Analyse hat ergeben, dass weder der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen noch der Kölner Entwurf, der Regierungsentwurf oder der Münchner Entwurf letztlich die am geltenden Recht identifizierten Mängel ausreichend adressieren.11 Herausgegriffen werden sollen insoweit noch einmal zwei besonders gravierende Unzulänglichkeiten: Einerseits erfolgt die Einführung einer Strafe offenkundig wie im Entwurf aus Nordrhein-Westfalen12 oder klandestin wie im Kölner Entwurf, Regierungsentwurf oder Münchner Entwurf und andererseits gibt es das Festhalten am Zurechnungsmodell des § 30 OWiG. Die Einführung einer Unternehmensstrafe führt zwar dazu, dass Unternehmenskriminalität nicht länger bagatellisiert wird, eine ungewollte Nebenwirkung ist aber, dass in Ermangelung einer strafrechtlichen Legitimation die neue Strafe gegenüber Unternehmen zu einer Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts führt.13 Bislang ist nicht ersichtlich, wie sich eine Sanktion, in der das Unterneh7

S. HK-OWiG/Schmitt-Leonardy, § 30 OWiG Rn. 12 f. Vgl. Vorstoß des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen (BUJ) aus 2014; Entwurf eines Positionspapiers des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und des Berufsverbandes der Compliance Manager (BCM) aus 2018. 9 Der Vorstoß des BUJ setzt sich für die Kodifizierung von Organisations- und Aufsichtspflichten ein; das Positionspapier des VCI und BCM sieht bspw. die Kodifizierung in einem eigenen Gesetz vor, um der Bagatellisierung der Unternehmenskriminalität zu begegnen. 10 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda B. III. Zwischenergebnis. 11 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda D. Vergleich und Stellungnahme. 12 So NRW-VerbStrG-E. 13 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda D. III. Entbagatellisierung der Unternehmenskriminalität? 8

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Kap. 6: Zusammenfassung, Reformthesen und Ausblick

men Geld an den Staat zahlt, spezialpräventiv auf dieses auswirken soll. Eine Strafe ohne Legitimation macht aber das gesamte Kriminalstrafrecht beliebig und nimmt ihm die normative Strahlkraft, ein solcher Fehlgebrauch des Strafrechts sollte daher unbedingt vermieden werden.14 Außerdem halten sowohl der Entwurf aus Nordrhein-Westfalen als auch der Kölner Entwurf, der Regierungsentwurf und der Münchner Entwurf an der Zurechnungssystematik der §§ 30, 130 OWiG fest und sind somit strukturell auch weiterhin nicht in der Lage, Unternehmenskriminalität zu erfassen: zum einen, weil sie die Kriminalität von Leitungspersonen mit der Kriminalität des Unternehmens gleichsetzen, zum anderen aber auch, weil sie weiterhin den Rechtsträger und nicht das Unternehmen selbst adressieren.15 Einzig der Frankfurter Entwurf stellt eine tatsächliche Verbesserung zur gegenwärtigen Rechtslage dar.16 Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der tatsächlichen Erneuerung der als problematisch erachteten Bereiche, statt alte Muster mit neuen Bezeichnungen zu replizieren. Der Frankfurter Entwurf setzt auf eine gänzlich neue Sanktion, die Wiedergutmachungszahlung, die im Parastrafrecht verankert ist und tatsächlich keine Strafe darstellt, sodass eine Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts nicht zu befürchten ist.17 Er stärkt die Anwendung durch mehr als die bloße Einführung des Legalitätsprinzips, indem er das Unternehmen zum Normadressaten macht und somit der wirtschaftlichen Realität entspricht sowie konkrete Anreize zur Kooperation des Unternehmens schafft. Letztlich löst er sich gänzlich vom Zurechnungsmodell des § 30 OWiG und führt ein eigenständiges Zurechnungskonzept ein. Insoweit wird auch weiterhin von einer Anlasstat eines Mitarbeiters ausgegangen, diese wird aber über die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft zur Handlung des Unternehmens. Damit wird die Grundlage für eine tatsächliche Erfassung von Unternehmenskriminalität geschaffen. Abschließend kann somit gesagt werden, dass das Recht der Unternehmenssanktionierung de lege ferenda mit dem auf den „Frankfurter Thesen“ beruhenden Frankfurter UntSankG-E zumindest einen Entwurf enthält, der in der Lage ist, den Mängeln der gegenwärtigen Rechtslage abzuhelfen. In anderen Worten ist es mit dem Frankfurter Entwurf möglich, eine eigenständige, angemessene Unternehmenssanktionierung zu etablieren, ohne dabei das Kriminalstrafrecht zu bagatellisieren.

14

Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (22). Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda D. IV. Erfassung von Unternehmenskriminalität? 16 Vgl. ausf. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda D. IV. Erfassung von Unternehmenskriminalität? 17 Vgl. Kapitel 5 Die Rechtslage de lege ferenda B. V. 3. Wesentlicher Entwurfsinhalt. 15

B. Reformthesen

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B. Reformthesen Die Analyse der Rechtslage bezüglich der Sanktionierung von Unternehmen de lege lata und de lege ferenda mündet in die folgenden Thesen, die bei einer künftigen Reform des Rechts der Unternehmenssanktionierung berücksichtigt werden sollten. • Die Reform des Rechts der Unternehmenssanktionierung ist notwendig. § 30 OWiG ist aufgrund der geschilderten Mängel nicht in der Lage, Unternehmen geeignet zu sanktionieren. Auch die flankierenden Maßnahmen des öffentlichen Rechts oder des Zivilrechts können keine Abhilfe schaffen. Lediglich das europäisch geprägte Kartellrecht kann insoweit teilweise Vorbildcharakter für die Sanktionierung von Unternehmen entfalten. • Adressat der Sanktionierung von Unternehmen muss das Unternehmen sein. Die momentane Anknüpfung der Sanktionierung von Unternehmen an den jeweiligen Rechtsträger und somit letztlich an Individuen geht am eigentlichen Regelungsgegenstand vorbei. Wenn das Unternehmen Zuwiderhandlungen begeht, sollte auch es selbst Adressat der Sanktionen sein. Das Kartellrecht beweist, dass dies möglich ist. • Eine Abkehr vom Zurechnungsmodell des § 30 OWiG ist notwendig. Zwischen der kleinen Lösung, die eine Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts vorsieht, und der großen Lösung, die eine Neuregelung des Rechts der Unternehmenssanktionierung vorschlägt, aber das Zurechnungskonzepts des § 30 OWiG beibehält, besteht kein Unterschied. Die kleine Lösung ist dementsprechend die große Lösung und somit sind abschließend beide keine solche. Über die weitere Anknüpfung an § 30 OWiG wird das Problem einer unzureichenden Erfassung von Unternehmenskriminalität lediglich in einem neuen Gewandt präsentiert, aber nicht adressiert. Nur eine Loslösung vom Zurechnungskonzept des § 30 OWiG kann eine Erfassung von Unternehmenskriminalität ermöglichen. • Eine Strafe gegenüber Unternehmen ohne strafrechtliche Legitimation sollte vermieden werden. Eine Geldzahlung des Unternehmens an den Staat stellt ab einer gewissen Höhe eine Strafe dar. Diese kann bis dato aber nicht strafrechtlich legitimiert werden. Die Einführung einer Strafe gegenüber Unternehmen – ob offen oder heimlich – ohne strafrechtliche Legitimation sollte deshalb, um den Wert des Kriminalstrafrechts zu erhalten, vermieden werden. Die Kosten einer Entbagatellisierung der Unternehmenssanktionierung sind, wenn der Preis die Bagatellisierung des Kriminalstrafrechts ist, eindeutig zu hoch.

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Kap. 6: Zusammenfassung, Reformthesen und Ausblick

C. Ausblick Wie wird die Entwicklung der Sanktionierung von Unternehmen weitergehen? Die längste Zeit meiner Befassung mit dem Thema stand der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ zur Debatte. Nun reiht auch er sich in die wachsende Sammlung der nicht umgesetzten Entwürfe ein. Das bedeutet für die künftige Sanktionierung von Unternehmen gleichermaßen Ernüchterung als auch Erleichterung: Das Ende des VerSanG-E bedeutet Ernüchterung, weil selbst nach zwei Jahren der intensiven Diskussion auf allen Ebenen über die Sanktionierung von Unternehmen kein Konsens gefunden werden konnte. Dies gilt aber auch, weil damit die defizitäre Rechtslage de lege lata unverändert weiter existiert und es fraglich ist, wann ein erneuter Vorstoß auf diesem Gebiet politisch gewagt werden wird. Die Tatsache, dass das VerSanG-E nicht Gesetz werden wird, bedeutet aber gleichermaßen auch Erleichterung, weil das Gesetz keine wirkliche Verbesserung zur existierenden Rechtslage dargestellt hätte. Damit wird der seit Jahrzehnten existierende Ruf nach einer härteren Sanktionierung von Unternehmen nun nicht mit der Erhöhung der Sanktion bei gleichen Zurechnungsparametern zum Schweigen gebracht. Das lässt hoffen, denn es reicht eben gerade nicht aus, im Sinne einer pauschalen Zurechnung Leitungsversagen zu einem Unternehmensversagen zu erklären18 oder zu behaupten, so, wie dem Unternehmen die Vorteile einer Straftat zugutekämen, müsse es auch Verantwortung für die Straftaten seiner Organe übernehmen. Vielleicht erscheint die Reform der Sanktionierung von Unternehmen so schwer umsetzbar, weil der Mut zu einer tatsächlichen Umgestaltung des Rechtsgebietes bisher fehlte. Der Frankfurter Entwurf wagt die Abkehr von den existierenden Strukturen des § 30 OWiG. Auf diese Weise kann den Mängeln des gegenwärtigen Rechts abgeholfen werden und das Unternehmen und die Unternehmenskriminalität können tatsächlich erfasst werden. Letztlich bleibt abzuwarten, wie die Entwicklung der Sanktionierung von Unternehmen voranschreiten wird. Die Hoffnung, dass das Ende des VerSanG-E den Anfang eines Umdenkens bezüglich der Sanktionierung von Unternehmen bildet und den Weg für ein parastrafrechtliches Sanktionsmodell wie den Frankfurter Entwurf ebnet, bleibt bestehen.

18

Vgl. Jahn/Schmitt-Leonardy, Der Konzern, 349 (358).

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Stichwortverzeichnis Abgasskandal 42, 61 Abschöpfungsteil 31, 34, 41, 57, 103 Adhäsionsverfahren 123 Akzo-Vermutung 39 Anknüpfungstat 27, 30, 51, 53, 68, 89, 101 Anknüpfungstäter 51 Appellwirkung 107 Artikelgesetz 89 Aufsichtspflicht 44, 72, 86, 99 Bagatellunrecht 43 Basisvertrauen 61 Bereicherung 24, 28, 30 f. Berufsverband der Compliance Manager (BCM) 47, 49 ff. Bestimmender Einfluss 39, 115 Bestimmtheitsgrundsatz 120 Betriebsbezogene Pflichten 29 f. Betriebsführungsschuld 60 Beweislastumkehr 70, 86, 99, 134 Beweisverwertungsverbot 50 Binding, Karl 130 f. Blacklisting 112, 125 Bruttoprinzip 32 f., 56 Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) 47 ff., 121, 149 Compliance 48 ff., 56, 84 f., 88 ff., 96 ff., 111, 118 ff. Compliance-Maßnahmen 85, 88, 102, 107, 114 Conditio-sine-qua-non-Formel 121 Corporate Citizen 50, 78 Corporate Culture 84

De facto Strafe 85, 96, 98 Dieselskandal 18, 34, 101 DOJ 120 Doppelbestrafungsverbot 58 DPA-/NPA-Modell 112, 140 Drittempfängerverfall 33 Einstellung 140 Einziehung 32 ff., 57, 72, 103, 136 f. Engel-Kriterien 74, 129, 141 Entscheidungsprämissen 117 Entwurf des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW VerbStrG-E) 54 ff. Erfolgshaftung 66, 71, 99 Ermittlungspflicht 72 ff. Exzesstat 30, 90 Falsa demonstatio non nocet 80 f., 96, 141 Fehlbezeichnung 81, 141 Fehlorganisation 110 Folgenverantwortung 109, 110 ff., 128 Folgenverantwortungsdialog 109 f., 128 Frankfurter Gesetz zur Unternehmenssanktionierung (UntSankG-E) 112 ff. Freiheitsstrafe 79 Funktionale Betrachtungsweise 28 f., 116 Geldstrafe 23, 56 f., 76, 78 ff., 105, 126 Geldzahlung 52, 72 ff., 94 ff., 102 ff., 114 ff., 137 ff. Good Corporate Citizen 50 GRECO 22 Guidelines 22, 123 Haftungsadressat 39 Handlungs- und Schuldfähigkeit 17, 60 Höchstgrenze 91, 102 ff., 136

Stichwortverzeichnis IDW PA 980 121 Interessentheorie 28 Interne Untersuchungen 51, 72, 91 Jahn, Matthias 109 Jugendstrafrecht 123 Kartellrecht 40, 92, 103, 114 f. Katzenkönig-Entscheidung 132 f. Koalitionsvertrag 21, 41 Koinzidenzprinzip 67 f. Kölner Entwurf (Kölner VerbSG-E) 71 ff., 147 f. Kompromiss 24 Kontingente Rationalität 118 Konzernmutter 38 Kooperation 74, 94, 103, 109, 125, 138 ff., 150 Kooperationsanreiz 91 Kooperationsdruck 74, 104 Kriminalstrafe 17, 20, 24, 60, 68, 80, 98 Kriminelle Verbandsattitüde 66, 99 Krimineller sui generis 45, 53, 66 Kriminogene Strukturen 78 f., 88, 99, 144 Kriminogener Kontext 100 Kurskorrektur 111, 113 f., 122 Lebensführungsschuld 68 Legal Privilege 51 Legalitätsprinzip 56 f., 74, 88, 93 f., 102 ff., 125 ff., 138 ff., 145 Leitungsperson 28 f., 40, 42 ff., 71, 86 f., 90, 99 ff., 115 f., 132, 148 ff. Lex Kaprun 62 Lissabon-Urteil 59 Lock-in 111 Marktmissbrauchsrichtlinie 23 Minderungsgrund 47, 49 Mittelbare Täterschaft 132 ff., 150 f. Monitor 72, 91, 114, 124 f. Monitoring 52 Münchner Entwurf 100 ff.

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Naming-and-Shaming 93 Naturalrestitution 124 Negative Generalprävention 164, 96 f., 142 Nettoprinzip 31 Normbotschaft 85, 98, 107, 142 f. Normentroika 44, 134 Obergrenze 37, 41, 91 f., 136 Opportunitätseinschränkung 140 Opportunitätsprinzip 31, 42, 103 f., 125, 138 ff. Organisationsherrschaft 132 Organisationsmodell 50, 52 Organisationsverschulden 70 Organisierte Unverantwortlichkeit 53, 55 Organtheorie 26 Parastrafrecht 109 f., 125 ff., 135, 142, 146, 150 Persistente Handlungsmuster 110, 116 f. PIF-Übereinkommen 22 f. Positive Generalprävention 65 ff., 97, 142 f. Positive Spezialprävention 64, 82, 97, 108, 142 f. Principles of Federal Prosecution 125 Profitmaximierung 84, 111, 118, 145 Prognoseverfahren 119 Rechtsempfinden 60 ff., 66, 142 Rechtsnachfolge 25, 46, 52, 128 Rechtsträger 39 f., 45, 70, 89, 100, 116 Rechtsträgerprinzip 39, 89, 131, 145 f. Referentenentwurf siehe Regierungsentwurf Reflexionsfähigkeit 83 Reformansätze 46 Regierungsentwurf (VerSanG-E) 87 ff. Repräsentant 17, 80, 87 Reputationsschäden 94, 104 Risikoanalyse 120 Risikomanagement 119 f.

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Stichwortverzeichnis

Risikosteuerung 66, 143 Rückmeldung 110 f., 122 Sanktionshöhe 42, 46, 81, 85, 95, 103, 106, 135, 138 Sanktionsmilderungen 91 Sanktionsqualität 49, 74 f., 75, 94, 105, 129 Sanktionstarif 98, 108 Schadenseintrittswahrscheinlichkeit 114 Schadenserwartungswert 113, 119 Schmitt-Leonardy, Charlotte 109 Schoop, Christian 109 Schuldgrundsatz 17, 32, 59, 69 Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetz 30 Selbstanzeige 48 f., 51 Semantische Distanz 72, 94 Sicherungsverwahrung 96, 141 Soziale Einheit 45, 131, 145 Spezialprävention 64, 82, 97, 102, 108, 142 f. Steuerungsfähigkeit 83 f., 98, 142 Strafrechtliche Legitimation 60 ff., 76 ff., 98, 107, 149 Strafrechtsdogmatik 58, 60, 81 Strafschadensersatz 36 Straftheorien 62 ff., 82, 97, 142 Strafzwecke siehe Straftheorien Sühne- und Vergeltungstheorien 63, 82 Synergieeffekte 93 Systemkonforme Vernunft 118 Tagessatzsystem 56, 101 f. Täter-Opfer-Ausgleich 123, 126 Täterschaft 17, 26, 132 ff., 146, 150 Tatherrschaft 134 Tesla, Inc. 142 Tochtergesellschaft 38 f., 115 Trennungsdogmatik 51, 126, 142, 145 Trennungsprinzip 39, 51

UK Bribery Act 119, 121, 140 Ultima Ratio 34, 47, 51, 71, 104, 140 Unrechtsbewusstsein 117 f., 131 f. Unternehmensauflösung 34, 78, 84 Unternehmenskommunikation 116 Unternehmenskriminalität 18, 43 ff., 52 f., 59, 61, 67 f., 69 f., 74, 85 f., 88, 92, 94, 96, 98, 100, 140 ff., 144 ff., 150 f. Unternehmenskultur 50, 84 f., 97, 142 f. Unternehmensmatrix 116 ff., 131, 134 Unternehmenssanktionierung 18, 20, 43, 45 f., 49, 105, 112, 128, 139, 144, 146 f. Unternehmenstat 53, 68, 98, 113, 116, 122 ff., 121 f., 125, 141, 145 Unternehmensumsatz 73, 84 Verantwortlichkeitsprinzip 132 Verantwortungsfixierung 98 Verantwortungsgrad 110, 122 Verband der Chemischen Industrie (VCI) 49 ff. Verbandsattitüde 66, 99 Verbandsbezug 55, 88 Verbandsgeldbuße 17, 26, 28, 42, 85, 103 Verbandsgeldzahlung 72, 96 ff., 105 ff., 141, 143 Verbandsschuld 59, 67 ff., 101, 105 Verbandstäterschaft 17, 26 Verbandsunrecht 66, 101 f. Verbotsirrtum 118, 132 ff., 145 Vereinigungstheorie 64 Verständigung 110 Volkswagen 18, 33, 42 Waffenungleichgewicht 43 Wettbewerbsrecht 37, 39, 46, 63 Wettbewerbsregister 36, 40, 125 Whistleblower 109 Wiedergutmachung 130, 136 ff., 141 f., 146, 150 Wirecard 148

Stichwortverzeichnis Wirtschaftliche Einheit 38 ff., 51, 56 f., 72, 89, 112, 115, 120, 127, 132, 135 ff., 145 f. Wunde 130, 141 Wurstkartell 39

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Zirkelschluss 45, 53 Zurechnungsmodell 50, 52, 86, 99, 101, 108, 144 f., 149 ff. Zurechnungsnorm 17, 26