Zeitschrift für Sozialpsychologie: Band 5, Heft 2 1974 [Reprint 2021 ed.]
 9783112470268, 9783112470251

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H ERAUSGEBER HUBERT FEGER

C. F. G R A U M A N N KLAUS HOLZKAMP MARTIN IRLE BAN D 5

1974

H E FT 2

A K A D E M I S C H E VERLAG SG ES E L L S C HAFT F R A N K F U R T / M AUN VERLAG HANS HUBER BERN STUTTGART WIEN

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, Band 5, Heft 2 INHALT

Zu diesem Heft

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THEORIE H.: Über Reduktion in den Humanwissenschaften BIERHOFF, H. W.: Attraktion, hilfreiches Verhalten, verbale Konditionierung und Kooperation: eine Integration durch die Austauschtheorie BEDALL, F. K.: Zur Analyse mehrdimensionaler Häufigkeitstabellen . . . GUSKI, R . : Drei Möglichkeiten zur Schätzung fehlender Daten KEUTH,

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84 108 115

EMPIRIE F.: Verständlichkeit von Informationstexten: Messung, Verbesserung und Validierung NEUBERGER, O . & ROTH, B . : Führungsstil und Gruppenleistung: Eine Überprüfung von Kontingenz-Modell und LPC-Konzept SCHULZ VON THUN,

Rezension: Westmeyer, Kritik der psychologischen Unvernunft Besprechung durch Th. Herrmann Besprechung durch K. Holzkamp

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LITERATUR Neuerscheinungen Titel und Abstracta

161 164

AUTOREN

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Vorankündigungen

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Copyright 1974 by Akademische Verlagsgesellschaft Frankfurt und Verlag Hans Huber Bern Stuttgart Wien Satz und Druck: Druckerei Heinz Arm Bern Printed in Switzerland Library of Congress Catalog Card Number 78 -126626 Die Zeitschrift für Sozialpsychologie wird im Social Sciences Citation Index (SSCI) erfaßt. ANZEIGENANNAHME Akademische Verlagsgesellschaft Falkensteiner Straße 75/77 D - 6000 Frankfurt am Main

Verlag Hans Huber Länggaßstraße 76 CH - 3000 Bern 9

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Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5

Zu diesem Heft Nicht selten werden den Herausgebern Beiträge angeboten, die trotz hoher wissenschaftlicher Qualität für diese Zeitschrift nicht angenommen werden können. Fast immer sind das Abhandlungen aus der Wissenschaftstheorie und -methodologie, die in solchen Zeitschriften besser ihr Publikum finden, die sich zentral dieser Thematik widmen. Die Zeitschrift für Sozialpsychologie kann solche Beiträge nur dann aufnehmen, wenn sie in Anwendungen auf sozialpsychologische theoretische und empirische Probleme direkten Bezug zu unserer Wissenschaft haben. Es ist dennoch nicht einfach, die Grenze optimal zu ziehen. Sozialpsychologen bemerken manchmal mit Unbehagen, wie sich Soziologen eines sozialpsychologischen Jargons bedienen. Daneben erregen seriöse Versuche ihre Aufmerksamkeit, konventionell als soziologisch bezeichnete Theorien durch konventionell als sozialpsychologisch bezeichnete, allgemeine Theorien zu erklären: Diese Strategie, Soziologie auf Sozialpsychologie zu reduzieren, ist ein Thema, das auch unmittelbar die Sozialpsychologie tangiert. Nach eingehender Diskussion haben sich die Herausgeber dahin entschieden, daß der Beitrag von Keuth diesseits der Grenze angesiedelt ist. Keuth analysiert verschiedene Reduktionsverfahren; seine Ergebnisse dämpfen den Optimismus, daß der Tag nicht mehr fern sei, an dem die Einheit der Sozial- und/oder Verhaltenswissenschaften herstellbar sei. Der Beitrag von Bierhoff zur Austauschtheorie schließt unmittelbar an einen früheren Aufsatz dieses Autors in dieser Zeitschrift an 1 . Er setzt umfassende Kenntnisse der relevanten Forschungsliteratur seitens der Leser voraus. Diese Zeitschrift hat eine Sparte «Diskussion», die 1

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bislang von den Lesern nur selten ausgenutzt wird; gerade dieser Beitrag erscheint den Herausgebern diskussionswürdig und -bedürftig. Während Bierhoff diesen Aufsatz schrieb, ist eine reformulierte «equity-theory» der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorgestellt worden 2 ; der Autor hat diese beachtenswerte Publikation verständlicherweise in seinem Beitrag noch nicht diskutieren können. Die Aufnahme der Beiträge von Bedall und Guski werden denjenigen Lesern keinesfalls befremdlich erscheinen, deren Metier die empirische sozialpsychologische Feldforschung ist. Diese Zeitschrift ist offen für fundierte Beiträge, welche - wie in diesen beiden Fällen - Lösungen spezifischer methodischer Probleme der Datenanalyse in sozialpsychologischer Feldforschung vorführen. Das Heft 1 dieses Jahrgangs wies ein totales Ubergewicht empirischer Beiträge aus; der Eingang akzeptabler Arbeiten kehrt dieses Verhältnis in diesem Heft 2 nahezu um. Schulz von Thun berichtet ein Experiment aus angewandter Sozial- und Sprachpsychologie. Neuberger und Roth stellen eine empirische Untersuchung des Kontingenzmodelles der Führungseffektivität von Fiedler vor; dieses Modell findet international die stärkste Beachtung unter Sozialpsychologen, die in der Praxis tätig sind. Beide empirischen Arbeiten mögen auch die Politik der Herausgeber dokumentieren, solche angewandte sozialpsychologische Forschung durch Publikation zu fördern, die theoretischen und methodologischen Ansprüchen unserer Wissenschaft genügt und die Wertkriterien praktischer Relevanz ausreichend expliziert. Von Fall zu Fall bitten die Herausgeber

Bierhoff, H. W. 1973. Kosten und Belohnung: Eine Theorie sozialen Verhaltens. Zeitschrift für Sozialpsychologie 4, 297-317. Walster, E., Berscheid, E. & Walster, G. W. 1973. N e w Directions in Equity Research. Journal of Personality and Social Psychology 25, 151-176.

72 (möglichst je zwei) sachverständige Kollegen, eine Buchpublikation aus der Sozialpsychologie zu rezensieren, die den Herausgebern besonders bedeutsam erscheint. Diese Politik scheint mit dem Buch von Westmeyer gelungen zu sein: Es gibt den Rezensenten die hier genutzte Chance, in der Auseinandersetzung mit dem Text ihre Auffassung von Psychologie im allgemeinen und Sozialpsychologie im besonderen zu exemplifizieren; Urteilsmaßstäbe in wissenschaftlichen Kontroversen können auf diese Weise deutlicher werden.

Die Herausgeber wissen selbstverständlich, daß eine Zeitschrift nicht Theorie und Forschung eines jeden Zuschnittes präsentieren kann. Die Bereitschaft, eine Reihe sozialpsychologischer Monographien in Buchform parallel zur Zeitschrift zu unterstützen, besteht fort. Eine solche Reihe zu beginnen kann nur derjenige wagen, dem in genügender Anzahl Manuskripte vorliegen, die eine Beständigkeit H H einer solchen Reihe prognostizieren las- ^ ^ ^ sen. Martin Irle .J

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 7 3 - 8 3

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Theorie Über Reduktion in den Humanwissenschaften HERBERT KEUTH Universität Mannheim

Angesichts des gegenwärtigen Standes der Theoriebildung in den Humanwissenschaften ist die Reduktion nicht von unmittelbarem Interesse, weil auch jede potentiell reduzierende Theorie zu wenig erklärt und deshalb unzulänglich ist. Trotzdem besteht ein heuristisches Interesse an Reduktionsversuchen, auch w e n n sie fehlschlagen, weil sie Aufschluß über das Bestehen oder Fehlen von Zuammenhängen zwischen den vorhandenen Theorien geben. In verschiedenen Beiträgen namhafter Autoren werden Reduktionsverfahren vorgeschlagen, die keine logische Ableitung involvieren. Sie sind zur Reduktion im Sinne der Erklärung empirischer Hypothesen durch allgemeinere Theorien sämtlich ungeeignet.

At the present state of theory formation in the humanities there is no immediate interest in reduction, as no potentially reducing theory explains enough. Nevertheless attempts at reductions are heuristically interesting, even when they fail, because they provide hints as to whether or not there are connections between existing theories. Procedures of reduction which do not involve logical derivations are proposed in various contributions of well known authors. N o n e of them permits reductions which explain empirical hypotheses by means of more general theories.

Wer mit empirischen Hypothesen aus den Bereichen der Psychologie, Sozialpsychologie oder Soziologie Sachverhalte erklären oder prognostizieren möchte, wird zu seinem Leidwesen feststellen, daß kaum je eine einzelne Hypothese dazu hinreicht, daß aber verschiedene Hypothesen sich meist eines unterschiedlichen Vokabulars bedienen. Andererseits können nur Hypothesen, die sich wenigstens in eine einheitliche Sprache übertragen lassen, im gleichen Erklärungszusammenhang auftreten. So verwundert es nicht, daß das Programm der Einheitswissenschaft neben Rudolf CARNAP in Otto NEURATH auch einen Sozialwissenschaftler zum Autor hatte. Es sah vor, die Sprache der Physik zur universalen Sprache aller Wissenschaften zu machen, verlangte aber nicht etwa die Entwicklung einzelwissenschaftlicher Terminologien einzustellen, sondern nur sie durch Definitionen auf die physikalische zurückzufüh-

ren (CARNAP 1932, p. 462). Mit Hilfe solcher Definitionen sollten einzelwissenschaftliche Hypothesen zunächst in physikalische übersetzt und dann mit allgemeineren physikalischen Theorien erklärt werden. Eine solche Erklärung einer empirischen Hypothese oder Theorie B durch eine Theorie A wird auch die Reduktion von B auf A genannt. Den Autoren des Programms war von vornherein klar, daß es sich in absehbarer Zeit nicht verwirklichen ließ. Später mußte CARNAP feststellen, daß definitorische Zusammenhänge nicht ohne weiteres herzustellen sind. Da in allen Fachbereichen alte Theorien verworfen und neue eingeführt werden, könnte man das Programm auch nie als abgeschlossen betrachten. Das kann aber kein Einwand sein, wenn man sich einmal von der Illusion sicheren und vollständigen Wissens getrennt hat. Beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaf-

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ten sind Reduktionen nur ausnahmsweise möglich, so bei der Erklärung des Zustandekommens chemischer Verbindungen mit physikalischen Hypothesen. Dagegen scheitert die Erklärung von Hypothesen über die Funktionen eines Organismus mit Hypothesen aus der Biochemie, weil letztere nicht gehaltvoll genug sind. Sie erklären sein Organisationsprinzip nicht. Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit solcher Prinzipien selbst für die Erklärung der Arbeitsweise von Maschinen hat POLANYI die Unmöglichkeit begründen wollen, Hypothesen über andere Gegenstände als die der unbelebten Materie auf physikalische Theorien zu reduzieren (POLANYI 1968, p. 1308 ff.). Auf diesen Versuch bin ich an anderer Stelle eingegangen ( K E U T H 1 9 7 2 ) . Trotz vieler Änderungen im Detail hat CARNAP auch in seiner Antwort auf FEIGLS Beitrag zu «The Philosophy of Rudolf Carnap» an der Skizze des Programms der Einheitswissenschaft festgehalten: «Alle Naturgesetze, einschließlich derer, die für Organismen, Menschen und menschliche Gesellschaften gelten, sind logische Implikate der physikalischen Gesetze, d. h. jener Gesetze, die zur Erklärung anorganischer Vorgänge benötigt werden» (CARNAP 1 9 6 3 , p. 883, meine Übersetzung). Wir wollen hier aber nicht die Möglichkeiten des Programms der Einheitswissenschaft weiterverfolgen, sondern nur die des Programms einer einheitlichen Humanwissenschaft. Hypothesen aus den Humanwissenschaften unterscheiden sich am auffallendsten und auch folgenschwersten in ihrem Gegenstandsbereich. Die einen beziehen sich auf menschliche Individuen, sie werden der Psychologie oder der Sozialpsychologie zugerechnet. Andere beziehen sich auf Aggregate, auf in bestimmter Weise strukturierte Mengen menschlicher Individuen, wie Gruppen, Organisationen, Staaten usw. Sie gehören zum traditionellen Arbeitsgebiet der Sozialpsychologie bzw. der Soziologie. Gegenwärtig ist kaum noch jemand der Meinung, man könne Sachverhalte wie den Lernerfolg eines Menschen mit Hypothesen erklären, die sich nur auf den Lernenden selbst beziehen. Vielmehr spielen die Bedingungen, welche die

Keuth: Reduktion

Gesellschaft ihm bietet, eine entscheidende Rolle. Andererseits sind diese Bedingungen keineswegs unabhängig von dem, was die Menschen, welche die Gesellschaft bilden, zuvor gelernt haben. Offenbar werden Hypothesen sowohl über Individuen als auch über Aggregate benötigt. Bezieht sich aber nicht ein- und dieselbe Hypothese einerseits auf Individuen und andererseits auf Aggregate, so ist es damit nicht getan, denn wenn verschiedene Hypothesen gemeinsam zur Erklärung eines Sachverhaltes benutzt werden sollen, so müssen Zusammenhänge zwischen ihnen bestehen. Die können durch Definitionen oder durch weitere empirische Hypothesen hergestellt werden, welche sich ihrerseits sowohl auf Individuen als auch auf Aggregate beziehen. Betrachtet man aber einmal jene Gegenstände der Humanwissenschaften, die nicht selbst menschliche Individuen sind, als Aggregate solcher Individuen und nimmt man an, daß in den Humanwissenschaften Erklärungen und Prognosen ohne Berücksichtigung von Zusammenhängen zwischen Individuen und Aggregaten nicht möglich sind, so liegt die Vermutung nahe, daß Eigenschaften von und Beziehungen zwischen Aggregaten das Ergebnis des Verhaltens von Individuen sind und deshalb ebenso wie Eigenschaften von und Beziehungen zwischen Individuen mit einer allgemeinen Theorie über das Verhalten von Individuen erklärt werden können. Eine solche allgemeine Verhaltenstheorie kann aber aus verschiedenen Gründen mit den gegenwärtig bekannten nicht identisch sein. So müßte sie Rückwirkungen des Verhaltens einer Person über die Reaktionen der anderen auf die Person selbst erklären können. Entsprechendes gilt für das koordinierte Verhalten mehrerer oder auch vieler Personen, welches im allgemeinen das Verhalten einer Gruppe, eine Maßnahme einer Organisation usw. genannt wird. Wegen der außerordentlich großen Zahl der möglicherweise direkt oder indirekt betroffenen und reagierenden Personen dürfte es ausgeschlossen sein, nur mit Beziehungen zwischen Individuen zu arbeiten. Vielmehr wird die Theo-

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rie sich darauf beschränken müssen, nur solche Beziehungen zwischen Einzelpersonen zu berücksichtigen, die besonders folgenschwer sind, wie die Beziehungen in der Familie, zu Lehrern, Mitschülern, Kollegen usw. bei der Erklärung des Lernerfolgs, und die übrigen Beziehungen nur als Beziehungen zu und zwischen Aggregaten zu erfassen. Andererseits ist damit zu rechnen, daß eine leistungsfähige allgemeine Verhaltenstheorie physiologische Tatbestände berücksichtigen muß, ohne deshalb schon auf die Biologie reduzierbar zu sein. Unsere physiologische Ausstattung ist die Grundlage unseres Handelns. Hypothesen aus dem Bereich der Biologie begrenzen deshalb die Menge der möglicherweise zutreffenden verhaltenswissenschaftlichen Hypothesen. Wir wissen z. B., daß Urteile über Sinneswahrnehmungen sozial beeinflußt werden. Soll ein Proband etwa die Zahl dargebotener Lichtpunkte schätzen, so können Mitarbeiter des Versuchsleiters ihn durch wissentlich falsche Urteile zur Änderung seiner Schätzung in Richtung auf die ihre veranlassen. Ihr Einfluß ist um so größer, je weniger eindeutig der Proband die wahre Zahl erkennen kann. Der letzte Satz ist eine Hypothese, die einen sozialen Sachverhalt mit einem physiologischen verknüpft. Kaum ein Sozialpsychologe wäre bereit, auf diese Hypothese zu verzichten, obwohl die Auswirkungen der Wahrnehmungsgrenzen auch berücksichtigt werden können, ohne sie zu erwähnen. Dazu wäre allerdings eine Vielzahl von Hypothesen erforderlich, welche die Beeinflußbarkeit der Urteile von den verschiedensten Darbietungen der Lichtpunkte abhängig machen. Die Hypothese, welche die Wahrnehmungsgrenzen erwähnt, kann einfach durch biologische Hypothesen über die Art der Grenzen ergänzt werden. So lassen zwei Lichtpunkte sich nicht mehr unterscheiden, wenn sie nicht auf einen Ausschnitt der Retina mit mindestens drei in einer Reihe angeordneten Sinneszellen projiziert werden, von denen die äußeren gereizt werden, während die mittlere in Ruhe bleibt. Alle Zellen müssen über eigene Nervenbahnen mit

75 dem Cortex verbunden sein. Aber nur im Zentrum der Retina, der Fovea, haben fast alle Zellen eigene Nervenbahnen. Außerdem variiert die Größe ihrer Oberfläche und die Dichte ihrer Verteilung auf der Retina. Ohne die durch diese physiologischen Sachverhalte bestimmten Wahrnehmungsgrenzen zu erwähnen, kann man sie nur angemessen berücksichtigen, indem man Hypothesen über eine Vielzahl von Experimentalsituationen formuliert, die sich in hinreichend kleinen Schritten den Grenzen der optischen Wahrnehmung annähern, und deren Wirkung dadurch indirekt erkennen lassen. Die Erwähnung dieser Grenzen erlaubt nicht nur einjachere Hypothesen, sondern auch allgemeinere, die sich nicht nur auf schon bekannte Experimentalsituationen beziehen, und präzisere, da z. B. Besonderheiten der Augen des Probanden berücksichtigt werden können und nicht in der statistischen Streuung der Ergebnisse untergehen. Außerdem wird die geringere Sicherheit des Urteils auch des unbeeinflußten Probanden in bestimmten Experimentalsituationen nicht nur konstatiert, sondern mit der Annäherung an die physiologischen Grenzen seiner Wahrnehmung erklärt. Bei komplexeren Vorgängen kann es zudem unmöglich sein, die Erwähnung physiologischer Sachverhalte auch nur annähernd durch die Beschreibung von Experimentalsituationen und Handlungen zu ersetzen. So versuchen Humanwissenschaftler Abfolgen von Handlungen als Mittel zur Realisierung von Zielen zu erklären. Die Ergebnisse reichen von ad-hoc-Hypothesen, die auf «Einfühlung» beruhen, bis zu den Modellen der Entscheidungstheoretiker. Allgemein wird aber angenommen, daß die Entscheidungen über die einzelnen Handlungen sich an denselben Zielvorstellungen orientieren können, ja sogar, daß dies der Normalfall ist. Wir müssen aber damit rechnen, daß die Zielvorstellungen zu den Zeitpunkten der Entscheidungen über die einzelnen Handlungen nur zufällig identisch, normalerweise aber nur ähnlich sein können. Unsere Präferenzen sind in noch unbekannter Weise in Neuronen repräsentiert. Zur Beurteilung einer Situation, in der über eine Handlung

76 entschieden wird, müssen die Präferenzen abgerufen werden, gleich ob die Beurteilung bewußt oder unbewußt erfolgt. Nun ist aber die Verknüpfung der beteiligten Neuronen vermutlich mindestens so stark wie die der Sinneszellen in der Retina. Von dort kennen wir den Effekt der Kontrastverstärkung, der lateralen Inhibition. Wenn ein ähnlicher Effekt auch beim Abruf der Präferenzen eintritt, so hängt ihre Berücksichtigung offenbar von der Reihenfolge des Abrufs ab, und zwar auch dann, wenn sie in gleichartigen Neuronen gleich repräsentiert sind. Das zuerst aktivierte Neuron wird die spätere Aktivierung benachbarter Neuronen oder deren Wirkung hemmen. Ob ein solcher Effekt vorliegt, kann aufgrund des Verhaltens von Versuchspersonen nicht ermittelt werden. Trotzdem kann er für eine allgemeine Verhaltenstheorie von entscheidender Bedeutung sein. Der Einwand, physiologische Sachverhalte seien in Verhaltenstheorien nicht zu erwähnen, weil sie nicht zum Gegenstandsbereich der Soziologie, Sozialpsychologie usw. gehörten, kann deshalb ein Verbot der Entwicklung einer leistungsfähigen Verhaltenstheorie beinhalten. Er dient nicht einfach der Verteidigung eines Besitzstandes an Arbeitsgebieten, sondern der des begrifflichen Apparates überkommener Hypothesen und damit der Festschreibung des Entwicklungsstandes einer Wissenschaft. Hypothesen, die sich nur auf ein oder wenige Individuen beziehen, sind wegen ihrer geringen Erklärungskraft als Prämissen für die Reduktion von Hypothesen über Aggregate nur von geringem unmittelbarem Interesse. Andererseits ist an eine Reduktion von Hypothesen der einen oder anderen dieser Arten auf eine allgemeine Verhaltenstheorie nicht zu denken, weil die noch nicht vorliegt. Die Reduktion von Hypothesen über Aggregate auf solche über Individuen kann aber bei der Entwicklung einer allgemeinen Verhaltenstheorie von heuristischem Interesse sein, denn solange die vorhandenen Hypothesen sich bewähren, haben wir Grund zu der Annahme, daß die allgemeine Verhaltenstheorie auch sie erklären wird, daß sie also auf die allgemeine Verhaltenstheorie reduzierbar sein werden. Ihre

Keuth: Reduktion

Konjunktion gehört dann zu deren Explananda. Wie jedes Explanandum muß die Konjunktion auf bestimmte logische Eigenschaften hin untersucht werden. Vor allem muß sie konsistent sein, da sich zu einem inkonsistenten Explanandum kein konsistentes Explanans finden läßt. Weiter sollten die Glieder der Konjunktion voneinander unabhängig sein, weil eine redundante Formulierung von Explananda die Entwicklung erklärender Hypothesen unnötig kompliziert. Die Glieder sind aber genau dann voneinander unabhängig, wenn keines von ihnen aus einem anderen oder einer Konjunktion mehrerer anderer logisch ableitbar bzw. darauf reduzierbar ist. Deshalb kann man die Prüfung auf Unabhängigkeit auch eine Prüfung auf Reduzierbarkeit nennen. Die Untersuchung der logischen Zusammenhänge zwischen den vorhandenen empirischen Hypothesen bringt Informationen über - mögliche - Zusammenhänge zwischen den entsprechenden Sachverhalten, die durch bloße Anwendung und Uberprüfung der Hypothesen nicht zu erreichen sind. Das gilt nicht nur, wenn Ableitbarkeit oder Widerspruch festgestellt werden können, sondern auch, wenn Unabhängigkeit vorliegt, sofern man sich nicht mit dem klassischen Unabhängigkeitsbeweis begnügt, sondern die Struktur der Hypothesen untersucht und bei Hypothesen mit verwandter Struktur und verwandten nichtlogischen Zeichen nach Eigenschaften sucht, welche einen logischen Zusammenhang gegenwärtig ausschließen. Das alles fördert unmittelbar nur die Kenntnis der Problemlage. Spätestens seit H U M E ist bekannt, daß wir kein Verfahren haben, daraus induktiv eine erklärende Hypothese zu erschließen, und obwohl die Wissenschaftssoziologie und die Wissenschaftsgeschichte zunehmend Interesse finden, verfügen wir noch nicht über empirische Hypothesen, die uns allgemeine Bedingungen angeben, unter denen die Chance, eine erklärungskräftige Hypothese zu finden, wenigstens überdurchschnittlich ist. Angesichts des gegenwärtigen Hypothesenbestandes der Humanwissenschaften ist die Entwicklung einer

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Hypothese ein viel zu gehaltvolles Explanandum. So sind Erklärungen in der Wissenschaftssoziologie und -geschichte noch ganz überwiegend ad hoc und deshalb denkbar ungeeignet, Wissenschaftlern damit Empfehlungen für ihre Arbeit zu geben, wie K U H N und FEYERABEND d a s t u n

1

.

Die Kenntnis der Problemlage ist aber auch dann erforderlich, wenn man von vornherein damit rechnet, daß sie sich im Zuge der Entwicklung einer erklärenden Hypothese ändert, weil die Hypothese die Wahrnehmung empirischer Sachverhalte beeinflußt und u. U. «korrigiert». Sicher ist FEYERABENDS Aufforderung eindrucksvoll, man möge sich bei der Entwicklung neuer Hypothesen nicht an bestehenden orientieren, sondern von vornherein radikale Alternativen entwickeln, die auch unsere Wahrnehmung der Situation und unsere Problemstellung ändern. Es fehlen aber nicht nur Hinweise, wie man das macht, sondern die Aufforderung ist auch inhaltlich unbestimmt, denn damit eine Hypothese eine konkrete Problemformulierung ändert und nicht eine beliebige andere, muß sie mit ihr und nicht mit der anderen etwas gemeinsam haben. Wenn aber zwei Hypothesen Eigenschaften ihres Explanandums teilen, so sind auch sie selbst und damit auch die Explanantes nicht völlig voneinander verschieden. Wie groß muß aber der Unterschied sein, damit man von einer wirklichen und vielleicht einer radikalen Alternative sprechen kann? Das entschärft auch FEYERABENDS Bedenken, der Gebrauch etwa des HEMPEL-OPPENHEIMschen Erklärungsmodells und die Reduktion von Hypothesen hätten konservative Effekte, weil logische Ableitungen nur möglich sind, wenn man die Bedeutung der involvierten Zeichen konstant hält. Verzichtet man auf ein Erklärungsmodell, so muß man Zusammenhangsbehauptungen nicht nur beliebigen Inhalts, sondern auch beliebiger Form zulassen. Die Hoff-

1 2

77 nung, die untauglichen seien durch radikale Kritik zu eliminieren, dürfte trügen, denn es ist nicht zu sehen, wie eine Zusammenhangsbehauptung scheitern soll, wenn sie etwa nur wahre Sätze (bzw. Tatsachen) involviert, ihre Form aber beliebig ist. Andererseits ist es, wie wir noch sehen werden, völlig unannehmbar, jede solche Zusammenhangsbehauptung als zutreffend zu akzeptieren. So wichtig ständige Aufforderungen zu rigoroser Kritik aller Hypothesen sind, haben sie doch in den letzten Jahren etwas an Überzeugungskraft verloren, als sich herausstellte, daß nicht nur die Anhänger der «kritischen Theorie», sondern auch die des «kritischen Rationalismus» ernsthafte Kritik trotz gegenteiliger Beteuerungen auf die geistigen Erzeugnisse der anderen beschränken. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist Karl POPPER selbst. Obwohl er nicht müde wird, die Funktion der Logik als Mittel der Kritik zu betonen (POPPER 1972, pp. 304318), vermeidet er es sorgfältig, das Mittel auf seine eigenen Beiträge anzuwenden. So postuliert er neben Welten der physischen und der psychischen Gegenstände eine «dritte Welt» der Ideen. Dabei treibt er einen Aufwand an Entitäten, der selbst für einen metaphysischen Realisten ganz entbehrlich ist (pp. 107-190) und charakterisiert die «dritte Welt» inkonsistent 2 . Für die in seiner Wissenschaftslehre zentrale Korrespondenztheorie der Wahrheit beruft er sich auf TARSKI mit der Behauptung, Sätze wie « P ist wahr genau dann, wenn p» und «P entspricht den Tatsachen genau dann, wenn p» drückten Beziehungen zwischen Sätzen und Sachverhalten aus (p. 326), während sie tatsächlich die Form von Bijunktionen haben und deshalb nur die Beziehung der Äquivalenz zwischen Sätzen oder Satzformeln ausdrücken können, worauf TARSKI auch ausdrücklich hinweist (TARSKI 1943-44, p. 344). Seine Aussagen über die «Feinstruktur der Wahrscheinlichkeit und des Gehalts» basieren darauf, daß er

Vgl. KUHN, 1962 und 1970; FEYERABEND, 1970a und 1970b. Siehe dazu: KEUTH, H. Objective knowledge out of ignorance. Popper on body, mind, and the Third World. Theory and Decision, V / 3 (im Druck).

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Ct(a) = Ct(b) für vereinbar mit Ct(a) Ct(b) und Ct(a) ^ Ct(b) hält (POPPER 1 9 6 6 , p . 3 2 7 ) .

Dabei ist « = » das mathematische Gleichheitszeichen und « bedeutet «ist höher» und «C^ » «ist niedriger». Angesichts der LEIBNIZschen Definition der Identität müssen diese Ausdrücke aber sämtlich miteinander unvereinbar sein. Die Liste gravierender logischer Fehler in POPPERS Beiträgen läßt sich ganz erheblich verlängern. Vor allem unter deutschen Sozialwissenschaftlern hat POPPERS «Kritischer Rationalismus» oder «Rationaler Kritizismus» im letzten Jahrzehnt viele Anhänger gefunden. Das hat aber nicht etwa zu einer sorgfältigeren Prüfung seiner eigenen Beiträge geführt. Sofern Einwendungen dagegen erhoben werden, sind sie von LAKATOS oder FEYERABEND übernommen. Davon abgesehen ist es durchaus die Regel, sich kritiklos auf POPPER ZU berufen. Die Notwendigkeit, Hypothesen streng zu kritisieren, enthebt nicht von der Notwendigkeit, sie zunächst zu entwickeln. Dabei kann d i ^ R e duktion eine wichtige Rolle spielen. Damit eine empirische Theorie B durch eine andere Theorie A erklärt und in diesem Sinne auf sie reduziert werden kann, muß B aus A logisch ableitbar sein. Das ist die formale Anforderung, die wir in den empirischen Wissenschaften an eine adäquate Erklärung stellen (vgl. HEMPEL 1 9 6 5 ) . Die Ableitbarkeit wird mit den Verfahren der Formalwissenschaften Logik und Mathematik überprüft. Auch in den Formalwissenschaften werden Theorien auf andere reduziert. Nur meint man hier mit «Reduktion» etwas "anderes. Eine formale Theorie B kann auf eine andere Theorie A reduziert werden, wenn sie mit ihr die relevanten strukturellen Eigenschaften teilt. Die Anforderungen an die strukturelle Übereinstimmung variieren. Die stärkste mögliche Übereinstimmung ist die Isomorphie, die eineindeutige und gleichzeitig relations- oder operationstreue Abbildbarkeit. Nun setzt, wie das Theorem a a V b illustriert, die Ableitbarkeit keine strukturelle Ubereinstimmung voraus. Andererseits garantiert, wie wir noch sehen

Keuth: Reduktion

werden, selbst die Isomorphie nicht die Ableitbarkeit. Unglücklicherweise trennt selbst ein Autor wie Patrick SUPPES, der sich sowohl in den empirischen als auch in den Formalwissenschaften einen Namen gemacht hat, die beiden Verwendungsweisen von «reduzieren» nicht. Daraus resultiert eine Charakterisierung der Reduktion in den empirischen Wissenschaften, die den Anforderungen an Erklärungen mit empirischen Hypothesen nicht mehr Rechnung trägt. Das gleiche gilt auch für die Beiträge anderer Autoren. Wir wollen uns die Konsequenzen der Vermengung an möglichst einfachen, aber noch hinreichend aussagekräftigen Beispielen, klarmachen. Wir beginnen mit einer Formulierung von SUPPES, auf die verschiedene Autoren sich berufen: «Z. B. ist es bekannt, daß ein großer Teil der klassischen Thermodynamik in dem Sinne aus der statistischen Mechanik abgeleitet werden kann, daß viele Gesetze der Thermodynamik aus verschiedenen Grundgesetzen der statistischen Mechanik abgeleitet werden können. Um in einem präzisen Sinn zu zeigen, daß die Thermodynamik auf die statistische Mechanik reduziert werden kann, müßten wir beide Disziplinen axiomatisieren, indem wir geeignete mengentheoretische Prädikate definieren und dann zeigen, daß wir zu jedem Modell T der Thermodynamik ein Modell der statistischen Mechanik finden können, auf dessen Grundlage sich ein zu T isomorphes Modell konstruieren läßt» (SUPPES 1957, p. 271, meine Übersetzung, meine Hervorhebungen). Offenbar ist, wie wir erwarten, abgeleitet, wenn reduziert ist, und es ist reduziert, wenn sich zu jedem Modell der zu reduzierenden Theorie ein isomorphes Modell jener Theorie konstruieren läßt, auf die reduziert werden soll. Tatsächlich gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Modellen und logischer Ableitbarkeit. «Der Satz X folgt logisch aus den Sätzen der Menge K genau dann, wenn jedes Modell der Menge K auch ein Modell des Satzes X ist» (TARSKI 1956, p. 417, meine Übersetzung, 2. und 3. Hervorhebung von mir). Enthält die Menge K nur einen einzigen Satz Y, so wird das

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Modell der Menge K auch ein Modell des Satzes Y genannt. Demnach folgt der Satz X genau dann aus dem Satz Y, wenn jedes Modell von Y auch ein Modell von X ist. Die Menge K' enthalte genau jene Satzfunktionen, aus denen die Sätze von K durch Substitution von Konstanten für Variable oder durch Binden der Variablen mit Quantoren hervorgehen. Dann wird «eine beliebige Folge von Objekten, die jede Satzfunktion der Menge K' erfüllt, ein Modell oder eine Realisierung der Menge K von Sätzen genannt» (TARSKI 1956, p. 417, Hervorhebung im Original). Eine äquivalente Formulierung, die aber auf die Wahrheit von Sätzen und nicht auf die Erfüllung der entsprechenden Satzformeln abhebt und deshalb ohne den Modellbegriff auskommt, findet sich auch bei SUPPES: «Eine Formel Q folgt logisch aus einer Formel P genau dann, wenn in jedem nichtleeren Individuenbereich jede Interpretation, die P wahr macht, auch Q wahr macht» (SUPPES 1957, p. 68, meine Übersetzung). Nun bezieht SUPPES Aussage über Reduktion sich nur auf Theorien, welche durch die Definition mengentheoretischer Prädikate axiomatisiert sind. Dementsprechend unterscheidet sich auch seine Definition von «Modell» etwas von TARSKIS allgemeinerer Definition: «Wenn eine Theorie durch Definition eines mengentheoretischen Prädikates axiomatisiert ist, so verstehen wir unter einem Modell der Theorie einfach eine Entität, die das Prädikat erfüllt. Für die Theorie der Quasi-Ordnungen könnten wir das trivialerweise wie folgt darstellen. Wenn steht für die Implikation und / für das ausschließende Oder.

86

Bierhoff: Austauschtheorie

So mag etwa Kooperation unter bestimmten Umständen belohnender sein, während in anderen Situationen Wettbewerb zu günstigeren Konsequenzen führen mag. Diese Konsequenzen des Verhaltens von Person A werden mit G bzw. G symbolisiert. Offensichtlich vereinfacht die Theorie soziales Verhalten insofern, als sie anstelle kontinuierlicher Merkmale eine dichotome Ausprägung annimmt. Das ist allerdings eine Vereinfachung, die sich in vielen der relevanten Untersuchungen wiederfindet. Aber auch bei kontinuierlichen Merkmalen entsteht keine prinzipielle Schwierigkeit, da sie sich wieder im Sinne der Theorie vereinfachen lassen. Zusammengefaßt ergibt sich, daß die Situationen in zweierlei Hinsicht durch die Ai-Aussage gekennzeichnet werden, nämlich durch bestimmte Verhaltensweisen und bestimmte Konsequenzen, die Person A bei der Wahl einer Verhaltensweise erwartet. Damit haben wir die Terme des Kalküls in einer Weise interpretiert, die Rückwirkungen auf den begrifflichen Status der einzelnen Merkmale haben muß, für die die Terme stehen sollen. Die Verhaltensweisen von Person A (p und p) sind direkt beobachtbar. Hingegen kann die Motivausprägung (G bzw. G) nur indirekt erschlossen werden, insofern sie sich auf ein hypothetisches Konstrukt bezieht, nämlich die Motive. Schließlich sind die situationalen Merkmale direkt beobachtbar. So ist etwa in dem obigen Beispiel die Spielstrategie des Partners und die von Person A direkt beobachtbar, während die Motive von Person A indirekt erschlossen werden müssen. Diese Sachverhalte

I

n

S i t u a t i o n e n (q, q)

r

Verhaltensweisen (p, p) A |

I Motivausprägungen (G, G)

1

|

Fig. 1 2

S i t u a t i o n e n (q, q )

Verhaltensweisen (p, p)

lassen sich in Fig. 1 ablesen, in der direkt beobachtbare Merkmale und Beziehungen von Merkmalen mit durchgezogenen Linien gekennzeichnet wurden, während hypothetische Konstrukte bzw. hypothetisch angenommene Prozesse mit gestrichelten Linien dargestellt sind. Fig. 1 gibt den begrifflichen Status der Terme der A4-Aussage wieder. Auf der linken Seite von Fig. 1 (und von A4) werden also beobachtbare Situationen mit beobachtbaren Verhaltensweisen aufgrund hypothetischer Vermittlungsprozesse (Motive) verbunden. Wie in Fig. 1 deutlich wird, gehen in A4 weitere hypothetische Prozesse ein, die durch die logischen Zeichen (A usw.) bezeichnet werden. Diese Prozesse beziehen sich darauf, daß die Austauschtheorie jede Verhaltensweise als mit bestimmten Motiven assoziiert sieht [wie etwa in (p A G) zum Ausdruck kommt], und zum anderen darauf, daß jede Handlung von Person A im Hinblick auf das Verhalten anderer Personen bzw. bestimmter anderer situativer Faktoren betrachtet wird, wie in Ausdrücken wie [q A (p A G)] angezeigt wird. Damit nimmt die Theorie an, daß bei Person A eine Informationsverarbeitung derart stattfindet, daß charakteristische Situationsfaktoren mit Verhaltensweisen assoziiert werden, denen Person A Befriedigung oder Frustration zuschreibt. Die Terme auf der linken Seite von A4 werden durch Konjunktionen verbunden, von denen angenommen wird, daß sie die Struktur der psychischen Verarbeitungsprozesse, die soziales Verhalten begleiten, in charakteristischer Weise beschreiben. Aufgrund dieser Annahme ergeben sich Voraussagen auf das Verhalten von Person A in verschiedenen Situationen, die sich auf der rechten Seite von A4 und Fig. 1 finden. Die Terme und Verbindungen von Termen stehen hier für Merkmale und deren Assoziationen, die direkt beobachtbar sind. So läßt sich z. B. unmittelbar beobachten, ob Person A kooperiert oder nicht. Diese direkt beobachtbaren Assoziationen (wie q A p ) stellen die Voraussagen der Theorie dar. Wenn sie sich empirisch bestä-

Unter der Voraussetzung, daß Person A positive Konsequenzen erstrebt.

87

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 84-107

tigen, kann die Austauschtheorie zwar nicht als

aufgefaßt hatten. Während wir weiter oben da-

verifiziert gelten (da die Implikation nicht um-

von ausgegangen waren, daß Person A zwei ver-

kehrbar ist), wohl aber wird das Vertrauen in

schiedene Situationen gleichzeitig

ihre Brauchbarkeit verstärkt.

tigt, sind die V p n des Experiments nur je einer

Wir waren von dem Problem ausgegangen,

berücksich-

Situation ausgesetzt, wobei der Vergleich der

eine Identifizierung der Terme und Zeichen der

beiden

Austauschtheorie mit den experimentellen M a -

über gibt, welche Verhaltensweisen in welchen

nipulationen zu bewerkstelligen, die in Untersu-

Situationen von Personen im allgemeinen (von

chungen vorgenommen werden. Nachdem der

Person A ) bevorzugt werden.

begriffliche Status einzelner Terme und Zeichen

Versuchsbedingungen

Aufschluß

dar-

Rechts von der Implikation in A4 wurde an-

aufgezeigt wurde, sollte es nun möglich sein,

gegeben, welche Erwartungen für das Auftreten

eine Beziehung zu den Variablen bzw. experi-

des p- und p-Verhaltens unter den verschiede-

mentellen Plänen herzustellen, wie sie in der so-

nen situationalen Bedingungen bestehen. Diese

zialpsychologischen Forschung verwendet wer-

Assoziation von Verhalten und Situation sollte

den. Diese Pläne sind typischerweise so struktu-

direkt beobachtbar sein (s. Fig. 1). Nehmen wir

riert, daß in einem ein- oder mehrfaktoriellen

das Beispiel des kooperierenden oder konkurrie-

Design bestimmte unabhängige Variablen abge-

renden Spielpartners. Durch eine entsprechende

stuft werden, um dann eine bestimmte Teilklasse

Datenerhebung können Meßwerte der abhängi-

sozialen Verhaltens der Vpn in Abhängigkeit

gen Variablen (für das Spielverhalten der V p n )

von der jeweiligen Versuchsbedingung zu beob-

gewonnen werden, u. z. getrennt für die q- und

achten ( = die abhängige Variable zu messen).

die q-Bedingung. Eine Voraussage der Ergeb-

Betrachten wir der Einfachheit halber nur ein-

nisse könnte etwa die folgende Aussage sein:

faktorielle Pläne mit zwei Abstufungen der unabhängigen Variable, wie es dem oben angeführten Beispiel zur Kooperation entspricht.

A4Teii4: [(q

A

P ) / (q

A

P)]

Hier wird vorausgesagt, daß die V p n in der q-

Zwei Situationen dieser Art, die direkt beob-

Bedingung (also bei Kooperation des Gegenspie-

achtbar sind und sich voneinander unterschei-

lers) mehr kooperieren werden als in der q-Be-

den (einmal kooperiert der Partner und einmal

dingung. Wenn diese Annahme anhand der er-

spielt er auf Wettbewerb), hatten wir mit q bzw.

hobenen Daten geprüft werden soll, kann mit

q der Ai-Aussage identifiziert. Nun ergibt sich,

H i l f e eines statistischen Entscheidungstests fest-

daß diese Terme - übertragen auf die Termino-

gestellt werden, ob

logie des Experiments - die Versuchsbedingun-

schiede finden, so daß Kooperation der V p n in

gen bezeichnen können, wenn man die alternati-

der q-Bedingung häufiger auftritt.

ven Situationen von Person A getrennt vonein-

sich bedeutsame

Unter-

Während sich die Terme p, q usw. relativ

ander herstellt. So kann man eine Bedingung, in

leicht mit dem sozialpsychologischen

der ein Verbündeter des V I kooperiert, einer an-

ment in Beziehung setzen lassen, sind die Be-

deren Bedingung gegenüberstellen, in der der

ziehungen zwischen den hypothetischen Prozes-

Verbündete auf Wettbewerb spielt, und beob-

sen, die in der Austauschtheorie angenommen

achten, ob die entsprechenden Vpn nun ihrer-

werden, und den Vorgängen in Experimenten

seits kooperieren oder auf Wettbewerb spielen.

weit weniger einsichtig. Zwar machen viele Un-

Diese direkt beobachtbaren

Verhaltensweisen

tersucher in der Diskussion der Ergebnisse von

der Vpn, die in bestimmten sozialen Situationen

motivationalen Konzepten, die sich unter G bzw.

Experi-

auftreten, entsprechen dann dem p- und p-Ver-

G subsumieren lassen, Gebrauch, aber diese ha-

halten von Person A . Diese Terme bezeich-

ben oft den Charakter von ad-hoc-Erklärungen.

nen im sozialpsychologischen Experiment die

Entsprechend finden sich in den experimentellen

abhängige Variable, während wir sie bisher als

Anordnungen auch nur z. T . Vorkehrungen, um

Verhaltensalternativen

diese vermittelnden Prozesse zu messen. Aller-

einer

einzigen

Person

88

Bierhoff: Austauschtheorie

dings versuchen viele Untersucher, einige der hypothetischen Prozesse aus Fig. 1 zu erfassen, was dann z. T. als Überprüfung des Erfolges der experimentellen Manipulationen abgehandelt wird. Bei der Anwendung von AI-Aussagen auf die experimentelle Planung ergeben sich also Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Ausprägung der motivationalen Konsequenzen, die notwendig ist, um mit der Austauschtheorie Voraussagen auf das Verhalten in experimentellen Situationen zu machen. Diesem Problem wenden wir uns im folgenden ausführlicher zu. Zur Identifizierung

relevanter Bedürfnisse führten das Konzept der salience ein, um das Hervorstechen einer spezifischen situationalen Komponente zu bezeichnen. Solche hervorstechenden Merkmale der Situation können zur Aktivierung bestimmter Motive beitragen, die dann durch ein spezifisches Verhalten belohnt oder frustriert werden können. Experimentelle Situationen, in denen unterschiedliche Motive salient sind, können nur unzureichend darauf analysiert werden, ob insgesamt eher positive oder eher negative Konsequenzen überwiegen. Allerdings unterscheiden sich viele experimentelle Situationen in einer relativ hervorstechenden Art und Weise, so daß sich das relevante Motiv erschließen läßt. Situationen, die sich in so eindeutiger Weise mit Bezug auf ein bestimmtes Motiv voneinander abheben lassen, bezeichnen wir als klar strukturierte Situationen. THIBAUT & KELLEY ( 1 9 5 9 )

Im folgenden werden bevorzugt solche Untersuchungen berücksichtigt, in denen die Versuchsbedingungen klar strukturiert sind. In diesen Situationen kann der belohnende Charakter einer Aktivität daraus erschlossen werden, welche Bedürfnisse von Person A (bzw. der Vp) in

3

ihnen angeregt und befriedigt bzw. frustriert werden (s. GERGEN 1 9 6 9 ) . Ein Motiv (bzw. eine Motivart im Sinne von THOMAE 1965a) ist dann zu erschließen, wenn sich eine spezifische Gerichtetheit, Orientierung und Energetisierung des Verhaltens ergibt (s. THOMAE 1965b). Anhand dieser Kriterien lassen sich mit Hilfe von empirischen Untersuchungen eine Reihe von primären und erworbenen Motiven bzw. Werten unterscheiden. Deren Vielfalt mag zwar für eine systematische Theorie der Motivation problematisch sein (s. THOMAE 1965a). Für die Uberprüfung der Austauschtheorie stellt sie aber kein Hindernis dar, weil nur dann ein Motiv erschlossen werden soll, wenn in einer Reihe von empirischen Untersuchungen von diesem Motiv gezeigt worden ist, daß es Gerichtetheit, Orientierung und Energetisierung des Verhaltens hervorruft. Solche Motive sollten eine transsituationale Gültigkeit besitzen, so daß anzunehmen ist, daß sie in vielfältigen Situationen das Verhalten motivieren können. Wir wollen schon an dieser Stelle einige erworbene Motive, auf die wir weiter unten zurückkommen werden, anführen, wobei wir Belege dafür, daß sie Verhalten motivieren, anfügen 3 : - Motiv, die Umwelt zu manipulieren und einen Effekt auf sie auszuüben (WHITE 1959) - Leistungsmotiv (HECKHAUSEN 1963) - Bedürfnis nach sozialer Billigung (CROWNE & MARLOWE 1 9 6 4 )

- Bedürfnis

nach

konsistenten

Kognitionen

(ZIMBARDO 1 9 6 9 , PALLAK & PITTMAN

1972)

- Bedürfnis, sich reziprok zu dem Interaktionspartner zu verhalten (BACKMAN & SECORD 1 9 5 9 , GOULDNER 1 9 6 0 )

- Bedürfnis, die Korrektheit von Einstellungen zu bewerten (FESTINGER 1954)

Aus Raumgründen zeigen wir nicht auf, daß es sich bei den genannten Werten wirklich um Motive im oben dargelegten Sinne handelt. Vielmehr sollen die Literaturangaben zu jedem Motiv kurze Hinweise geben, die in diese Richtung weiterführen. Weiterhin ist anzumerken, daß verschiedene der genannten Motive eng aufeinander bezogen sind und möglicherweise nicht scharf voneinander zu trennen sind. Dies gilt etwa für die Reziprozität des Verhaltens, die sich darauf bezieht, daß A die Person B so zu behandeln versucht, wie B Person A behandelt hat, was sich auch auf ein Konsistenzstreben zurückführen ließe.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 84-107

- Bedürfnis nach einer gerechten Welt (ADAMS 1 9 6 5 , BERSCHEID & WALSTER 1 9 6 9 )

Nun ist die Lösung des oben skizzierten Motivproblems greifbar geworden. Von den Autoren, die die obigen Motive empirisch untersucht haben, werden bestimmte Situationsbedingungen angeführt, die zur Aktivierung des entsprechenden Motivs führen. In den klar strukturierten Situationen, die im folgenden mit der Austauschtheorie konfrontiert werden, ist immer dann ein bestimmtes Motiv zu erschließen, wenn sich Situationsbedingungen finden, die vergleichbar sind zu denen, die in den entsprechenden empirischen Arbeiten (s. oben) die entsprechenden Motive ausgelöst haben. Dabei sind insbesondere die Komponenten der Situation zu berücksichtigen, die zwischen den Versuchsbedingungen variieren. Wenn von ähnlichen Situationskomponenten in verschiedenen empirischen Arbeiten gezeigt wurde, daß sie ein bestimmtes Motiv auslösen, scheint es angemessen, dieses Motiv zur Erklärung von Unterschieden in den Verhaltensweisen zwischen verschiedenen Versuchsbedingungen heranzuziehen. Zusammenfassend ergibt sich, daß die positive oder negative Ausprägung der motivationalen Konsequenzen davon abhängt, inwieweit eine bestimmte Handlung in einer spezifischen Situation (die ein bestimmtes Motiv aktiviert) belohnend ist bzw. Kosten verursacht, indem die Handlung entweder zur Befriedigung oder zur Frustration des Motivs beiträgt. Aufgrund einer solchen Analyse ergeben sich in der Prämisse von At Ausdrücke wie [q A (p A G) / (p A G)]. Wenn man zwei Situationen, in denen dieselben Verhaltensweisen zur Wahl stehen, auf diese Weise gegenüberstellt (d. h. sie durch ein ausschließendes Oder verbindet), ergeben sich eindeutige Voraussagen auf das Verhalten in diesen Situationen, was in A4 rechts von der Implikation in Ausdrücken wie (q A p) oder (q A p) zu sehen ist. Diese Konjunktionen von Situationen und Verhaltensweisen sagen - auf experimentelle Untersuchungen angewandt - voraus, welche Aktivität von "zwei einander sich ausschließenden Aktivitäten (wie Kooperation oder Wett-

89

bewerb) in einer bestimmten Versuchsbedingung eher zu erwarten ist. HILFREICHES

VERHALTEN

Zunächst wenden wir uns dem hilfreichen Verhalten zu, wobei wir davon ausgehen, daß hier die Prinzipien der Austauschtheorie anwendbar sein müssen. Dies ist deshalb anzunehmen, weil die Austauschtheorie soziales Verhalten im allgemeinen betrifft und hilfreiches Verhalten als Teilmenge des sozialen Verhaltens anzusehen ist. KREBS ( 1 9 7 0 ) hat einen Überblick über Untersuchungen zum Altruismus gegeben, in der er eine Gliederung nach dem unterschiedlichen Niveau der Generalität der unabhängigen Variablen vornahm. Er unterschied u. a. Situationsbedingungen, Persönlichkeitsmerkmale und soziale Normen. In bezug auf die Situationsbedingungen sind die Untersuchungen von Interesse, d i e PILIAVIN, R O D I N & PILIAVIN ( 1 9 6 9 ) b z w . P i -

durchgeführt haben. In ihrem theoretischen Konzept unterscheiden die Autoren zwischen den Kosten des Helfens und den Kosten des Nichthelfens, die bei der Konfrontation mit einem Unfall entstehen. In der ersten Untersuchung zeigten sie, daß einem Betrunkenen weniger geholfen wurde als einem Invaliden bzw. Verletzten, was sie dahingehend erklärten, daß die Hilfe für einen Betrunkenen hohe Kosten verursacht (er könnte um sich schlagen oder stinken), während gleichzeitig die Nichthilfe geringe Kosten verursacht, da man dem Betrunkenen die Schuld für seinen Zustand zuschreiben kann. LIAVIN & PILIAVIN ( 1 9 7 2 )

In der zweiten Untersuchung wurde nun der Kollaps eines Invaliden benutzt, um die Hilfsbereitschaft in Abhängigkeit von situativen Bedingungen zu studieren. Die zwei wichtigsten Versuchsbedingungen unterschieden sich dadurch, daß in dem einen Fall der Kollaps mit einem Blutfluß aus dem Mund verbunden war, während Blut in dem anderen Fall nicht sichtbar wurde. Es ist anzunehmen, daß das Blut in der q-Bedingung die Kosten einer direkten Hilfe vergrößert, insofern eine unangenehm erlebte physiologische Erregung sowie eine Sorge we-

90

B i e r h o f f : Austauschtheorie

gen einer möglichen Beschmutzung hervorgeru-

haltens handelten. W i r wollen eine dieser Stu-

fen werden kann. W i r können jetzt das Zuhilfe-

dien herausgreifen, in der der K o l l a p s eines In-

kommen von Passanten mit p und das achtlose

validen in Szene gesetzt wurde, einmal in einer

Vorbeigehen mit p gleichsetzen. Dann

ergibt

U-Bahn und das andere M a l auf einem Flug-

sich in dieser Versuchsbedingung die folgende

hafengelände. D i e Ergebnisse zeigten, daß mehr

Aussage:

als doppelt so viele Passanten in der U-Bahn zu

A 4 T e i l l : [q A ( H e l f e n A G ) / (Vorbeigehen A G ) ]

H i l f e kamen. A l s Erklärung für diesen Unter-

q: M i t Blut

schied konnten die Autoren unter Beweis stel-

D i e Assoziation des Helfens mit negativen K o n -

len, daß das U-Bahn-Gelände den Benutzern

sequenzen geht darauf zurück, daß durch ein

vertrauter war als das Flughafengelände.

hervorstechendes M e r k m a l dieser Situation

-

größere Familiarität könnte aber zu einer ver-

nämlich das Bluten - unangenehme A f f e k t e er-

mehrten H i l f e führen, weil unter diesen Umstän-

zeugt werden, die bei einem achtlosen Weiter-

den die H i l f e effektiver gegeben werden kann.

Die

Außerdem wird eine Verlegenheit der Passanten

gehen vermieden werden können. W e n n wir nun die Situation, in der das U n -

vermieden, insofern eine bekanntere

Umwelt

fallgeschehen nicht mit Blut verbunden ist, mit

besser voraussagbar ist. Entsprechend können

q bezeichnen, dann ergibt sich für die beiden in

wir annehmen, daß in der U-Bahn das Streben

Frage stehenden Aktivitäten folgende Aussage:

nach Effektivität und Voraussagbarkeit besser

A 4T eii 2 :

befriedigt wird als auf dem unbekannteren Flug-

[q

A

( H e l f e n A G / (Vorbeigehen A G ) ] q: Ohne Blut

hafengelände.

Wenn wir T e i l 1 und T e i l 2 der A i - A u s s a g e ver-

Dieser Sachverhalt läßt sich zusammenfas-

gleichen, wird deutlich, daß in der q-Situation

send darstellen, wenn wir mit q die bekannte

hilfreiches Verhalten aufgrund unserer M o t i v a -

Umgebung der U - B a h n und mit q die weniger

tionsanalyse mit negativeren Konsequenzen ver-

bekannte Umgebung des Flughafens bezeichnen:

bunden wurde als in der q-Situation. Dies ist darauf zurückzuführen, daß bei dem Kollaps ohne

A 4 Teill,2 : [q A ( H e l f e n A G ) / (Vorbeigehen A G ) ] /

Blutfluß keine schockierende Szene in G r e i f weite der Passanten abläuft, so daß auch eine Entschuldigung

für

das Nichthelfen

_

q: U-Bahn

[q A ( H e l f e n A G ) / (Vorbeigehen A G ) ]

entfällt.

q: Flugplatz

Entsprechend ist hier auch das Vorbeigehen mit

D i e Konsequenzen ergeben sich unter Berück-

negativeren Konsequenzen assoziiert.

sichtigung der Familiarität, die in der q-Bedin-

Nun können wir aufgrund von A4 folgende

gung zu höheren Kosten des Helfens führen

Voraussage auf das Verhalten der Passanten in

sollte, während in der q-Bedingung das Nicht-

den beiden Versuchsbedingungen machen:

helfen um so aufwendiger werden sollte, je bes-

A 4 T o i l 4 : (q A V o r b e i g e h e n ) / (q A H e l f e n )

ser man Bescheid weiß. A u f g r u n d der A 4 - F o r -

Anhand der empirischen Resultate von PILIAVIN

mulierung ergibt sich folgende Folgerung bzw.

& PILIAVIN (1972) kann diese Voraussage über-

Hypothese:

prüft werden. Ein einfacher Kollaps führte tat-

A4Teii4: (q

sächlich zu schnellerer H i l f e , und außerdem war

A l s o wird vorausgesagt, daß in der bekannten

die Hilfeleistung häufiger, als wenn Blut floß.

Umgebung mehr geholfen wird, was sich auch

DARLEY & LATANE (1970) untersuchten eben-

A

H e l f e n ) / (q A V o r b e i g e h e n )

empirisch bestätigte.

falls die Wirkung verschiedener situativer Bedin-

I n ähnlicher W e i s e ergibt sich auch eine zu-

gungen auf das hilfreiche Verhalten. I n ihren

treffende Voraussage für die Studie Down in the

verschiedenen Studien, insbesondere Down

subway,

the subway und in der Frisbee

Studie,

in

konnten

in der jemand, der einen Fragenden

fehlinformierte, einmal einen kriegerischen und

sie zeigen, daß die Personen in ihren Feldstu-

drohenden Eindruck machte (q-Bedingung) und

dien entsprechend den Konsequenzen ihres V e r -

einmal in zivilisierter W e i s e

aufgetreten

war

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1974, 5, 8 4 - 1 0 7

91

(q-Bedingung). Passanten korrigierten den Fehlinformierer dann erheblich seltener, wenn er einen kriegerischen Eindruck gemacht hatte. Wenn wir davon ausgehen, daß die Erwartung einer verbalen oder sogar körperlichen Bedrohung aufgrund damit verbundener Angst im allgemeinen mit Kosten verbunden ist, ergibt sich, daß in Anwesenheit des kriegerischen Mannes Helfen (p) zu negativeren Konsequenzen als Schweigen (p) führen kann, während in Anwesenheit eines zivilisierten Fehlinformanten das Schweigen aufwendiger sein sollte als das Helfen: A W e i u : (q

A

P ) / (q

A

p)

q: kriegerische Haltung q: friedliche Haltung Diese empirisch bestätigte Voraussage basiert auf der Annahme, daß das kriegerische Verhalten im Gegensatz zu dem friedlichen Verhalten Angst und damit Kosten erzeugt, wenn man sich einmischt. Auch die Untersuchung von W A G N E R & WHEELER ( 1 9 6 9 ) ergibt Hinweise darauf, wie situative Faktoren die Hilfsbereitschaft kontrollieren. In dieser Untersuchung wurde ebenfalls mehr geholfen, wenn die Kosten des Helfens geringer waren. Außerdem zeigte sich, daß Modelleffekte des Helfens, die zuvor in verschiedenen Untersuchungen demonstriert worden waren, nur dann auftraten, wenn die Kosten des Helfens gering waren, während bei hohen Kosten des Helfens die Modelleffekte sowohl eines großzügigen wie eines egoistischen Vorbildes unbedeutend waren. Dies ist ein Hinweis auf die dominierende Rolle von Kostenerwägungen, die von den potentiell hilfreichen Personen angestellt werden, und die auch Modelleffekten eine sekundäre Rolle zuschreiben können. WALSTER, BERSCHEID & WALSTER ( 1 9 7 0 )

ha-

ben ihre Untersuchungen zur Wiedergutmachung bzw. Rechtfertigung einer Schädigung in einen theoretischen Rahmen gestellt, der auf der equity-Theorie von A D A M S ( 1 9 6 5 ) aufbaut, also auf einem Motiv, das wir weiter oben unter das Streben nach einer gerechten Welt untergeordnet haben. WALSTER et al. ( 1 9 7 0 ) beschreiben eine Schadenszufügung (harm doing), die Per-

son A gegenüber Person B zeigt, als eine Handlung, die eine inequitable Beziehung zwischen A und B schafft, insofern der Schädigende (A) ein günstigeres Verhältnis von seinen Belohnungen zu seinem Input erhält als das Opfer (B). Parallel zu dem Ansatz von A D A M S ( 1 9 6 5 ) stellen W A L STER et al. ( 1 9 7 0 ) die Hypothese auf, daß die Schädigung von B für A Kosten in Form einer Bedrängnis (distress) verursacht und daß A versuchen wird, diese Bedrängnis durch die Wiederherstellung der equity zu reduzieren. Dieses Bestreben nach einer gerechten Welt können wir als ein gelerntes Bedürfnis ansehen, insofern es dem Verhalten Richtung und Intensität gibt. Für die Wirkung dieses Motivs im Produktions- und Arbeitsbereich gibt es zahlreiche Belege, die vor allem dahingehen, daß bei einer inequity aufgrund zu niedriger Belohnung weniger von der erwünschten Aktivität gezeigt wird, während bei einer inequity aufgrund einer zu hohen Belohnung ein besonders starker Einsatz gezeigt wird. WALSTER et al. ( 1 9 7 0 ) weisen darauf hin, daß die inequity aufgrund einer Schädigung eines Opfers auf verschiedenen Wegen reduziert werden kann, wobei die wichtigsten die Abwertung des Opfers auf der einen Seite und auf der anderen Seite Kompensation bzw. Wiedergutmachung ist. Entscheidend ist nun die Hypothese, daß, je adäquater eine Technik zur Wiederherstellung einer gerechten Welt ist, desto eher wird sie genutzt. Wir können sagen, daß diejenige Technik verwandt wird, die die besten Konsequenzen verspricht. BERSCHEID & WALSTER ( 1 9 6 7 ) brachten ihre Vpn dazu, gegenüber einem Opfer eine Schädigung auszuführen. Nach dieser Handlung, die das Streben nach einer gerechten Welt aktivieren sollte, erhielten die Vpn Gelegenheit zur Reduzierung der entstandenen Bedrängnis. Dabei ergab sich, daß die Vpn dann den Schaden des Opfers kompensierten, wenn sie dazu angemessene Mittel zur Verfügung hatten. Wenn abei nur eine unangemessene Wiedergutmachung möglich war, fand eine Herabwürdigung des Opfers statt. In der ersten Bedingung (q) des WALSTER &

Bierhoff: A u s t a u s c h t h e o r i e

92

BERSCHEID-Versuchs

war

die

Wiedergutma-

chung eher mit belohnenden Konsequenzen verbunden, da eine angemessene Form der Kompensation gegeben war, die zu einem Ende der Bedrängnis beitragen konnte: A A 4Teiii: q (Abwertung A G ) / (Kompensation A G) q: angemessene Bed. Die Abwertung weist in dieser Versuchsbedingung negativere Konsequenzen auf, weil sie eine Realitätsverschiebung beinhaltet, die Kosten hervorruft (s. WALSTER et al. 1 9 7 0 ) . In der qBedingung (mit unangemessenen Kompensationsmitteln) war durch Wiedergutmachung hingegen nicht die Möglichkeit gegeben, die inequity zu reduzieren. Vielmehr bestand bei dieser Verhaltensalternative die Gefahr, eine neue inequity und damit neue Bedrängnis zu erreichen. Unter diesen Umständen ist anzunehmen, daß hier die Abwertung des Opfers eine Alternative mit günstigeren Konsequenzen darstellt, weil hier zwar die Kosten der Realitätsverzerrung entstehen können, während aber andererseits eine Beendigung der Bedrängnis erreicht wird. Entsprechend ergibt sich in der Versuchsbedingung, in der nur ein unangemessener Ausgleich zur Verfügung steht, folgende Aussage: A4xeii2: A (Abwertung A^G) / (Kompensation A G) q: unangemessene Bed. Aufgrund dieser beiden Prämissen läßt sich anhand der A4-Aussage folgern, daß in der q-Bedingung die Abwertung und in der q-Bedingung die Kompensation als Technik zur Wiederherstellung einer gerechten Welt herangezogen wird. Das Bedürfnis nach Reziprozität hat in bezug auf das hilfreiche Verhalten einige Beachtung gefunden, nachdem es von G O U L D N E R ( 1 9 6 0 ) als «Norm» eingeführt worden war. Wir glauben allerdings, daß dieser Normbegriff weitgehend überflüssig ist, insofern er gelernte Bedürfnisse umschreibt, die in einem bestimmten Kulturkreis eine weite Verbreitung finden können. Das Bedürfnis der Reziprozität zeigt sich als das Bestreben von B (dem Empfänger) zurückzugeben, wenn er von A (dem Geber) eine Gunst

erhalten hat. BERKOWITZ & DANIELS (1963) entwickelten eine experimentelle Standardsituation für ihre Studien zur «Norm der sozialen Verantwortlichkeit», in der die Vp jeweils innerhalb einer Supervisor-Arbeiter-Relation die Rolle des Arbeiters übernimmt, der sich für einen von ihr mehr oder weniger abhängigen Supervisor anstrengen soll. Dabei soll die wahrgenommene Abhängigkeit das auslösende Moment sein, das die Hilfsbereitschaft - vermittelt durch die «Norm der sozialen Verantwortlichkeit» - in Gang setzt. In der Arbeit von BERKOWITZ & DANIELS (1964) wurde der Grad der Abhängigkeit sowie die frühere Hilfsbereitschaft des Supervisors variiert, wobei sich neben einem Haupteffekt für den Faktor Abhängigkeit eine statistische Interaktion zwischen Abhängigkeit und dem Ausmaß der früheren Hilfe ergab, so daß dem Abhängigen bei vorheriger Hilfeleistung am meisten geholfen wurde. Dieses Ergebnis ist am ehesten auf die Wirkung des Motivs der Reziprozität zurückzuführen, da die Vpn sich dann am meisten für den Supervisor einsetzten, wenn dieser ihnen zuvor - als sie der Hilfe bedurften - geholfen hatte. Hinweise auf die Wirkung des Motivs der Reziprozität ergaben sich auch in der Studie von PRUITT(1968), der zusätzlich noch zeigen konnte, daß die Bereitschaft zu einer reziproken Hilfe um so größer war, je geringer die Mittel des Gebers waren und je eher die Aussicht bestand, daß der Geber der Vp aufgrund großer Resourcen auch zukünftig helfen konnte. In diesem Zusammenhang ist auch die Arbeit von TESSER, G A T E W O O D & DRIVER (1968) anzuführen, die mehr Dankbarkeit für eine Wohltat fanden, wenn die Kosten des Wohltäters hoch und wenn der Nutzen der Wohltat für den Empfänger hoch war. SCHOPLER (1970) weist darauf hin, daß "the donor's reward potential is probably a much more potent variable than is conformity to the social responsibility norm". Nicht abstrakte Normen im Sinne von BERKOWITZ & DANIELS, sondern situationale Komponenten beeinflussen die Hilfsbereitschaft nach einer Wohltat. An den

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1974, 5, 8 4 - 1 0 7

oben dargestellten Untersuchungen läßt sich ohne weiteres ablesen, daß das reziproke Helfen um so stärker war, je mehr die Situation den Schluß erlaubte, daß der ursprüngliche Geber sich angestrengt hatte und sich auch zukünftig als nützlich erweisen konnte. Diese Bedingungen scheinen gut geeignet zu sein, um das Bedürfnis nach Reziprozität anzuregen. In neueren Felduntersuchungen kommen BERKOWITZ & MACAULAY sowie MACAULAY & BERKOWITZ (zit. nach BERKOWITZ 1 9 7 2 ) zu dem Ergebnis, daß sich die Norminterpretation hilfreichen Verhaltens nicht bewährt. Auch hilfreiches Verhalten, das nicht reziprok zu einer vorherigen Hilfe zustandekommt, scheint z. T. von den Konsequenzen des Verhaltens kontrolliert zu werden. So fanden DANIELS & BERKOWITZ ( 1 9 6 3 ) mehr Hilfe gegenüber einem attraktiven Abhängigen als gegenüber einem weniger attraktiven, und SCHOPLER & BATESON ( 1 9 6 5 ) b z w . SCHOPLER & M A T T H E W S ( 1 9 6 5 )

fanden, daß mehr geholfen wurde, wenn die Kosten der Hilfe gering sind und wenn die Abhängigkeit unverschuldet ist. An diesen Resultaten wird deutlich, daß die Hilfeleistung jeweils dann hoch ist, wenn die Kosten der Hilfe niedrig sind, wenn die Kosten der Nichthilfe hoch und wenn die Belohnung für die Hilfe hoch ist. Daran wird deutlich, daß das an der Austauschtheorie orientierte Modell von PILIAVIN, R O D I N & PILIAVIN ( 1 9 6 9 ) unter Berücksichtigung der belohnenden Konsequenzen des Helfens gut geeignet ist, hilfreiches Verhalten zu erklären. Neben der Situation an sich ist eine wichtige Variable für das Helfen, wie die Situation interpretiert wird, d. h. vor allem, welche Motive auf den Geber und den Empfänger attribuiert werden. In diesem Zusammenhang ist besonders die Attributionsanalyse von Interesse, die SCHOPLER (1970) in bezug auf reziprokes Helfen gegeben hat. Von der Seite des Empfängers einer Gunst lassen sich zwei Hauptmotive des Gebers unterscheiden, nämlich Hilfe, um dem Empfänger aus seiner Notlage zu helfen («recipientinstigated»), und auf der anderen Seite Hilfe aus Eigennutz («donor instigated»). SCHOPLER ( 1 9 7 0 ) führt

93

verschiedene situationale Merkmale an, die die Attribution dieser beiden Motive von dem Empfänger auf den Geber beeinflussen. Weiterhin kann SCHOPLER ( 1 9 7 0 ) die Hypothese mit empirischen Untersuchungen unterstützen, daß dann, wenn Eigennützigkeit attribuiert wird, weniger reziproke Hilfe stattfindet. Es scheint nicht zu weit hergeholt zu sein, wenn man die Erklärung für diesen Sachverhalt darin sucht, daß durch die Attribution von Eigennutz das Motiv nach Reziprozität weniger aktiviert wird, da das Verhalten des Gebers so verstanden wird, daß er in Wirklichkeit der Person des Empfängers überhaupt nicht helfen wollte. In der subjektiven Interpretation des Empfängers könnte das dazu führen, daß er das hilfreiche Verhalten des Gebers weniger als Helfen interpretiert als taktischen Schachzug, womit das Bedürfnis nach Reziprozität nicht aktiviert würde. Tatsächlich konnten T H O M P S O N , STROEBE & zeigen, daß jemand, der aus möglicherweise eigennützigen Motiven hilft, als weniger attraktiv eingestuft wird als jemand, der scheinbar aus uneigennützigeren Motiven Hilfe geleistet hat. Wir können daraus den Schluß ziehen, daß erst die Interpretation der Situation bestimmte Motive wie das Streben nach Reziprozität in Gang setzen, die dann ihrerseits die Konsequenzen des Verhaltens und das Verhalten selber beeinflussen. Die objektiven Merkmale der Situation scheinen nur vermittelt durch die kognitive Bewertung der Situation, das Verhalten zu kontrollieren. Ein wichtiges gelerntes Motiv für hilfreiches Verhalten scheint, wie wir oben schon angeführt haben, das Streben nach einer gerechten Welt zu sein. SIMMONS & LERNER ( 1 9 6 8 ) konnten zeigen, daß in einer BERKOwiTZ-DANIELS-Situation mehr geholfen wurde, wenn der Empfänger vorher aufgrund eines «Verrats» seines Mitarbeiters versagt hatte. Dieser Effekt trat allerdings nur auf, wenn objektive Belege für den vorherigen «Verrat» vorlagen, wenn also für die Vp relativ unzweifelhaft feststand, daß der andere sein Schicksal nicht verdiente. In dieser q-Situation ist anzunehmen, daß das gelernte Bedürfnis nach einer gerechten Welt am ehesten befriedigt SCHOPLER ( 1 9 7 1 )

94

Bierhoff: Austauschtheorie

werden konnte, wenn sich die Vpn anstrengten, um für das vorherige Unrecht einen Ausgleich zu schaffen. Von dieser Versuchsbedingung ist also anzunehmen, daß hier hilfreiches Verhalten im Dienste des Motivs nach einer gerechten Welt belohnender war als Gleichgültigkeit. In der q-Bedingung, in der dem Hilfsbedürftigen kein Unrecht widerfahren war, ist anzunehmen, daß hier das Bedürfnis nach einer gerechten Welt durch die Situation nicht erregt wurde, da keine Ungerechtigkeit vorgefallen war, so daß hilfreiches Verhalten hier auch nicht in dem Maße belohnend sein konnte wie in der q-Bedingung. Da in dieser Bedingung die Belohnung für das Helfen also relativ gering war, erreichten hier viele Vpn bessere Konsequenzen, wenn sie sich relativ gleichgültig verhielten. Aufgrund dieser Prämissen ergibt sich anhand der A4-Aussage folgende Folgerung: A4Teü4: (q A Helfen) / (q A Nichthelfen) q: Mit Unrecht q: Ohne Unrecht In der Untersuchung von SIMMONS & LERNER (1968) war auch noch interessant, daß die Hilfeleistung besonders hoch ausfiel, wenn die Vpn zuvor selbst von einem Mitarbeiter «verraten» worden waren. Es ist zu vermuten, daß ein solcher selbst erlebter «Verrat» die Ungerechtigkeit, die dem Hilfsbedürftigen widerfahren ist, besonders hervorstechend macht, so daß die Situation besonders intensiv das Bestreben nach einer gerechten Welt aktiviert. In einer Situation, in der das Bedürfnis nach einer gerechten Welt besonders intensiv erregt wird, da das auslösende Situationsmerkmal (die Ungerechtigkeit) besonders hervorstechend ist, wirkt sich hilfreiches Verhalten auch am ehesten belohnend aus. ATTRAKTIVITÄT

Im wesentlichen wenden wir uns in diesem Abschnitt den antezedenten Bedingungen der Attraktion zu. In der Studie von KAPLAN & O L CZAK (1970) wurde - wie in verschiedenen anderen Arbeiten - die Attraktion in bezug auf belohnende Personen untersucht. Dazu wurde eine Lernaufgabe durchgeführt, in der ein Verbünde-

ter des VI die Vpn entweder in jedem von 6 Durchgängen, in jedem zweiten Durchgang oder überhaupt nicht belohnte. Anhand der Attraktionsratings, die mit der «interpersonal judgment scale» (IJS) von B Y R N E (1971) durchgeführt wurden, ergab sich, daß der Partner um so mehr gemocht wurde, je mehr er belohnte. Wir gehen davon aus, daß hohe Attraktion die Erwartung von positiven Konsequenzen und den Wunsch nach Fortsetzung der Interaktion reflektiert, während niedrige Attraktion im Gegenteil die Erwartung negativer Konsequenzen und den Wunsch nach Beendigung der Interaktion widerspiegelt. Wenn wir nun die beiden extremen Versuchsbedingungen von KAPLAN & OLCZAK (1970) betrachten, ergibt sich, daß die Interaktion während der Lernaufgabe in der Versuchsbedingung, in der jeder Durchgang positiv verstärkt wurde (q), angenehmer war als in der Bedingung, in der keine Verstärkung gegeben wurde (q), wenn wir es (was wir voraussetzen) mit Personen zu tun haben, die allgemein positive Konsequenzen erstreben: A 4 T e i l l : q A (Interaktion A G) q: Belohnung je Durchgang A 4TeiI2 : q A (Interaktion A G) q: Ohne Belohnung In Teil 1 weist die weitere Interaktion positivere Konsequenzen auf, weil diese Situation einen Hinweisreiz (nämlich die wiederholten Belohnungen) darauf enthält, daß auch die zukünftige Interaktion belohnend sein wird. Hingegen ergeben sich in der q-Bedingung weniger günstige Konsequenzen, weil hier nur geringe Aussichten auf Belohnungen in der Zukunft bestehen. Wie aus den obigen Aussagen deutlich wird, weisen die Voraussagen bei dieser Art von Attraktionsuntersuchungen eine einfachere Struktur auf als etwa in bezug auf das hilfreiche Verhalten. Dies ist darin begründet, daß die Vpn hier nur jeweils eine Klasse von Verhaltensweisen in jeder Versuchsbedingung zur Verfügung haben, nämlich die Attraktionsratings. Der Ausdruck (Interaktion A G) steht dafür, daß die V p ihren Partner mag, während (Interaktion A G) dafür steht, daß sie ihn nur wenig mag. Diese Symbolisierung geht auf die Annahme zurück,

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1974, 5, 8 4 - 1 0 7

daß Mögen die Erwartung bestimmter Konsequenzen in zukünftigen Interaktionen reflektiert. Aufgrund der Prämissen kann vorausgesagt werden, daß in der Versuchsbedingung q positivere Konsequenzen für zukünftige Interaktionen erwartet werden als in q: A4: {[q A (Interaktion A G)] / [q A (Interaktion A G)] A G} -H>- (q A Interaktion) Das bedeutet also, daß nur in der q-Bedingung, in der die Vpn während des Lerntests jeweils positiv verstärkt werden, von Seiten der Vp eine freiwillige Fortsetzung der Interaktion zu erwarten ist. In verschiedenen Studien wurde die Belohnung nicht durch den Partner ausgeteilt, sondern durch einen dritten (etwa der VI), während der Partner, dessen Attraktion von den Vpn eingeschätzt werden sollte, anwesend war. LOTT & LOTT (1960) konnten zeigen, daß jemand, der bei einer Belohnung nur anwesend ist, mehr gemocht wird als jemand, der bei negativen Konsequenzen nur anwesend ist. Daraus ergibt sich, daß oft nicht so sehr darauf geachtet wird, ob man dem Partner die Tatsache der Belohnung oder Bestrafung persönlich attribuieren kann. Vielmehr kann sich eine positive Erfahrung in ihrer Wirkung auf den Kontext dieser Erfahrung übertragen. Dieser Sachverhalt wurde auch von GRIFFITT & G U A Y (1969) unter Beweis gestellt, die diesen Effekt auch in bezug auf nichtmenschliche Objekte beobachten konnten. Aufgrund der motivationalen Betrachtung des Verhaltens anhand der Austauschtheorie ist anzunehmen, daß ein Belohnungseffekt davon abhängig ist, inwieweit ein primäres oder erworbenes Bedürfnis befriedigt wird. Eine solche Befriedigung ist aber nur dann zu erwarten, wenn ein entsprechendes Bedürfnis überhaupt vorhanden ist. LOTT, BRIGHT, WEINSTEIN & LOTT (1970) gingen von dem Streben nach Leistung aus und stellten eine experimentelle Situation her, in der die Vpn in vorprogrammierter Weise entweder Erfolg oder Mißerfolg erlebten. Dabei fand die Erfolgsmeldung durch den VI statt, der im Anschluß in bezug auf seine Attraktion eingeschätzt werden sollte. Es ergab sich, daß Vpn

95 mit einer hohen Leistungsmotivation den VI, der mit einer Erfolgsmeldung verbunden war, positiver einschätzten als den mit einer negativen Rückmeldung assoziierten VI, während dieser Effekt bei Vpn mit niedriger Leistungsmotivation nicht auftrat. Wenn keine Leistungsmotivation gegeben war, konnte die Erfolgsmeldung keine Belohnung und die Mißerfolgsmeldung keine Bestrafung für die Vpn darstellen, da kein Bedürfnis frustriert oder befriedigt wurde. Für diese Vpn waren die beiden Versuchsbedingungen in ihren Konsequenzen nicht unterscheidbar, so daß die Interaktion mit dem VI auch nicht mit unterschiedlichen Konsequenzen assoziiert wurde. Hingegen bedeutete die Erfolgsmeldung für die leistungsmotivierten Vpn sehr wohl eine Belohnung, während für sie die Mißerfolgsmeldung eine negativere Konsequenz darstellte, so daß sich für sie die folgende Schlußfolgerung ergibt: A 4Tejl4 : (Interaktion A Erfolgsmeldung) Nach einer Erfolgsmeldung sind diese leistungsmotivierten Personen also eher bereit, die Interaktion fortzusetzen als nach einer Mißerfolgsmeldung, was sich auch anhand der empirischen Resultate fand. Belohnungen, die Attraktivität hervorrufen, können auch in der Nachbarschaft bzw. Nähe begründet sein (s. BERSCHEID & WALSTER 1969). Ein Grund dafür liegt darin, daß bei größerer Entfernung die Kontaktaufnahme mit einem größeren Aufwand an Zeit und Kraft verbunden ist, so daß die Konsequenzen bei größerer Entfernung insgesamt negativer werden. Zwar fand sich empirisch eine Beziehung zwischen Entfernung und Attraktion, aber andererseits besteht auch die Möglichkeit, daß mit größerer Nähe sowohl mehr Mögen wie mehr Haß und Feindseligkeit verknüpft sein kann (s. BERSCHEID & WALSTER 1969). Dies könnte mit der Möglichkeit zu mehr Informationsaufnahme in bezug auf Personen in der Nachbarschaft zusammenhängen, die sowohl intensive Zuneigung wie intensive Abneigung hervorrufen könnte, während sich auf größere Entfernungen eher milde Zuneigung bzw. Abneigung finden könnte. Andererseits können kognitive Prozesse, wie

Bierhoff: Austauschtheorie

96

sie in der Balance-Theorie ( H E I D E R 1 9 5 8 ) beschrieben werden, doch dazu führen, daß sich bei bloßer physischer Nähe die Attraktion vergrößert, ohne daß der Informationsfaktor ins Spiel kommt. Nach HEIDER ( 1 9 5 8 ) besteht nämlich ein Bedürfnis, «sentiment relationships» in Harmonie mit «unit relationships» zu bringen, wie sie die räumliche Nähe konstituieren. Das Streben nach Balance sollte also bei bloßer räumlicher Nähe mehr positive Gefühle bzw. mehr Attraktion hervorrufen, weil damit das Streben nach Konsistenz zwischen «sentiment relationships» und «unit relationships» befriedigt wird. In den Untersuchungen von DARLEY & BERSCHEID ( 1 9 6 7 ) u n d BERSCHEID, BOYE

&

die diese Hypothese prüfen soll ten, ergab sich tatsächlich, daß die Antizipation einer Interaktion zu einer positiven Attraktion führt und - darüber hinaus - daß vielfach auch ein negativ beschriebener Diskussionspartner nach der Antizipation einer «unit relationship» bei einer freien Wahl gegenüber einem positiv beschriebenen Gesprächspartner bevorzugt wird. Dieses Zusatzergebnis ist von besonderem Interesse, da es zeigt, daß eine positive Attraktion wirklich zu weiterer freiwilliger Interaktion führt. Damit bestätigt sich die Annahme, daß Attraktion in Zusammenhang mit der Erwartung positiver Konsequenzen in zukünftigen Interaktionen steht. DARLEY ( 1 9 6 8 ) ,

formulierten ein Reinforcement-Modell der Attraktion, das sich an die Theorie von L O T T & L O T T ( 1 9 7 2 ) anlehnt, aber weniger an HuLLschen Lernprinzipien orientiert ist. Mit ihrem Modell wollen BYRNE & CLORE ( 1 9 7 0 ) erklären, wieso die Einstellungsähnlichkeit die Attraktivität beeinflußt. BYRNE ( 1 9 6 1 ) und viele andere konnten zeigen, daß die Attraktivität als positive und lineare Funktion der Einstellungsähnlichkeit darstellbar ist, wobei die Attraktion gegenüber einem Fremden mit dem IJS gemessen wurde. Diese Beziehung konnte auch außerhalb der studentischen Versuchspersonen unter Beweis gestellt werden. So fanden BYRNE & GRIFFITT ( 1 9 6 6 ) schon bei neunjährigen Kindern diese Beziehung, und von BYRNE, GRIFFITT, H U D G I N S & BYRNE

&

CLORE

(1970)

wurde diese Beziehung z. B. bei Alkoholikern und Schizophrenen nachgewiesen. BYRNE & CLORE ( 1 9 7 0 ) argumentieren, daß eine ähnliche Einstellung ein positives Reinforcement darstellt, das als unkonditionierter Stimulus (UCS) eine positive affektive Reaktion hervorruft, die ihrerseits wieder Bewertungen des Stimulus (UCS), aber auch aller anderen unterscheidbaren Stimuli, die sich in räumlicher oder zeitlicher Kontiguität zu dem UCS befinden, bestimmen. Dabei wird die Person, die eine Einstellung zum Ausdruck bringt, als ein solcher CS angesehen. Wenn eine solche Person nun mehr übereinstimmende Einstellungen äußert, sollte ihre Beurteilung zunehmend positiv werden, was die positive und lineare Beziehung zwischen Einstellungsähnlichkeit und Attraktion erklären kann. REEVES ( 1 9 6 9 )

Anhand der Austauschtheorie ergibt sich eine ähnliche Formulierung, die aber auf den Rückgriff auf das klassische Konditionierungsmodell, auf das wir weiter unten noch zu sprechen kommen, verzichtet. Wir sagen voraus, daß die Person mehr gemocht wird, die positivere Konsequenzen hervorruft. Eine Stimulusperson, die Meinungen äußert, die in Übereinstimmung mit den Ansichten der Vp stehen, ruft verschieden positive Konsequenzen für die Vp hervor (s. BERSCHEID & WALSTER 1 9 6 9 ) . Unter diesen ist wohl die wichtigste darin zu sehen, daß eine Validierung der eigenen Meinung ermöglicht wird. Der Einstellungsfragebogen, den B Y R N E und seine Mitarbeiter verwenden, beinhaltet in der Tat nur Items, die sich in der sozialen Realität, nicht aber anhand objektiver Beweise bestätigen lassen. Entsprechend sollte auch das Bedürfnis, die Korrektheit von Einstellungen und Meinungen zu bewerten, ausgelöst werden, wenn ein (hypothetischer) Fremder der Vp anhand von Reaktionen in einem Einstellungstest vorgestellt wird. Dieses Bedürfnis kann befriedigt werden, wenn die Stimulusperson ähnliche Einstellungen vertritt und so die Meinungen der Vp validiert. Greifen wir die beiden Extremfälle heraus, in denen die Stimulusperson entweder weitgehend übereinstimmende Einstellungen (q-Bedingung) oder weitgehend nicht übereinstimmende Ein-

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 84-107

Stellungen (q-Bedingung) äußert. Im ersten Fall sollte der Interaktion mit dem Fremden eine mehr positive Konsequenz zugeschrieben werden, insofern die eigenen Meinungen validiert werden: ^•4Teiu: W tcrt o . * E

0

6.74

2.68**

.47**

-.15*

6.71

1.69 1.66

-5.44**

5

-5.60**

3.05**

.45**

-.13*

.06 .04

10

6.71

1.65

-5.72**

3.35**

.46**

-.12

15

6.77

1.57

-4.35**

1.92

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-.20**

20

6.65

1.62

-5.10**

3.32**

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-

0.26

0.21

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0.21

0.21

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.23** 23**

-

0.26

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0.31

0.31

0.21

0.246

.06

.28**

0.26

0.42

0.31

0.00

.01

.23**

0.79

0.14

0.14

0.52

0.83 0.21

0.360

0.364

25

6.64

5.11**

.08

.22**

0.87

0.14

0.42

0.21

0.14

0.356

—4.91**

2.87**

.48** 49**

-.19**

6.68

1.55 1.52

-6.50**

30

-.16*

.05

0.52

0.31

0.14

0.14

6.72

1.48

-5.35**

5.16**

49**

-.13*

.03

0.17

0.31

0.21

0.31

0.63 0.94

0.376

35

.26** 29**

40

6.47

1.48

-3.56**

3.69**

.53**

-.07

.11

.20**

2.45

0.83

0.83

0.52

0.14

0.953

45

6.69

1.43

-3.82**

2.79**

.52**

.17*

.25**

0.44

0.63

1.36

1.15

1.67

1.050

50

6.70

1.49

-6.12**

4.73**

.58**

-.24**

1.56

0.31

3.13

0.83

1.235

55

6.41

-4.02**

6.38**

1.77

0.73

0.73

0.73

1.315

60

6.99

1.30 1.32

0.35 2.62

-4.49**

3.90**

2.19

2.98

2.71

2.60

1.25

2.348

0.93

0.59

0.64

0.82

0.65

* = sign. 5 »/«-Niveau, * * =

-.21'"'

.59**

-.18** -.08

-.01

.28** .14*

.63**

-.39**

—.19**

.32**

1 »/o-Niveau

Mittlere z-Differenz:

0.388

ginalvariable und den jeweils vier anderen V a -

untersuchten Stichprobe bis zu 45 Prozent der

riablen; schließlich wurden diese mittleren z-

Rohwerte

bzw. z'-Differenzen noch über die Variablen

mit kompletten Daten schätzen, ohne daß die

A G E , S E X und E I N L gemittelt. Betrachtet man

Unterschiede bei Mittelwerten und Korrelatio-

den Zusammenhang zwischen Fehleranstieg und

nen zwischen

Datenausfall, so stellt sich heraus, daß die Ver-

Schätzungen «aufgefüllten» Stichprobe bemer-

wendung individueller (gerundeter) Schätzwerte

kenswert (z = l ) verschieden wurden. Dagegen

durch Mittelwerte

der «wahren»

der

Restgruppe

und der

durch

auf der Basis von multiplen Regressionsanalysen

ist die Verwendung von Zufallszahlen nur bei

nur bis zu Datenausfällen von 25 Prozent dem

Alternativdaten (siehe S E X ) den anderen M e -

Einsetzen von Zufallszahlen oder (gerundeten)

thoden ebenbürtig; bei erweiterten Werteberei-

Mittelwerten überlegen ist. Die aufwendige Re-

chen bewirkt sie schon bei 5 Prozent Datenaus-

gressions-Schätzmethode wird der Mittelwerts-

fall größere Fehlschätzungen.

Methode jedoch ab 35 Prozent Datenausfall deutlich unterlegen, was vor allem zu Lasten der steigenden Abhängigkeit zwischen den geschätzten Werten einerseits und deren Prädiktoren andererseits geht. Bei

größeren

Datenausfällen

scheint das Einsetzen von Mittelwerten aus dem kompletten Datensatz die geringsten Fehler zu verursachen. Immerhin ließen sich bei der hier

L I T E R A T U R KISH, L . 1965. Survey sampling. N e w Y o r k . ROHRMANN, B. 1974. D i e interdisziplinären A n a l y s e n . In: F l u g l ä r m w i r k u n g e n - eine interdisziplinäre Untersuchung über die A u s w i r k u n g e n des F l u g l ä r m s Druck).

auf

den

Menschen

(im

^ ^ H ^ J

124

Schulz von Thun: Verständlichkeit von Informationstexten

Empirie Verständlichkeit von Informationstexten: Messung, Verbesserung und Validierung FRIEDEMANN SCHULZ VON T H U N

Psychologisches Institut der Universität Hamburg

Überprüft wurde eine Theorie zur Verständlichkeit schriftlicher Informationstexte. Danach ist das Verstehen und Behalten des Lesers abhängig von 4 Dimensionen der sprachlichen Textgestaltung: Einfachheit, Gliederung-Ordnung, Kürze-Prägnanz und Zusätzliche Stimulanz. 8 veröffentlichte kurze Texte aus verschiedenen Bereichen wurden ausgewählt und von Experten sprachlich neu gestaltet. Diese 8 neuen Textfassungen hatten - verglichen mit den Originalfassungen - sämtlich günstigere Werte in den 4 Dimensionen der sprachlichen Gestaltung, eingeschätzt durch trainierte Beurteiler in einem Blindversuch. In einem Experiment wurden die Originalfassungen und die neuen Textfassungen einer zufallshalbierten Gruppe von 64 Primanerinnen zum Lesen vorgelegt. Jede Versuchsperson erhielt dabei unwissentlich 4 Originalfassungen und 4 neugestaltete Fassungen in variierter Reihenfolge. Anschließend wurde Verständnis und Behalten durch lehrzielorientierte Tests geprüft. Ergebnis: in 7 von 8 Fällen hatte die Gruppenhälfte, die die neugestaltete Textfassung gelesen hatte, höhere Verständniswerte als die Gruppenhälfte, die die Originalfassung gelesen hatte. In 6 dieser 7 Fälle waren die Unterschiede statistisch signifikant und zum Teil von beträchtlicher Höhe. Diese theoretisch erwarteten Befunde sind unmittelbar praktisch verwertbar. An intelligibility theory was tested to determine the effectiveness of text information. This theory states that comprehension and retention are dependent on four dimensions of text arrangement: simplicity, organization-structure, brevity-conciseness and additional stimulation. Eight published articles of various disciplines, which were revised by experts, were chosen. Trained evaluators, in a blind trial, found higher scores in the four dimensions of linguistic arrangement in the eight revised texts than in the original texts. The original and revised texts were given sixty-four students to read, who had been randomly divided into two groups. Each subject unknowingly received four original and four revised texts in varied systematic sequence. Comprehension and retention were tested by use of achievement tests. Result: In seven of eight cases the group which had been given the revised texts showed higher comprehension scores than the group which had read the original texts. In six of these seven cases the differences were statistically significant and some were extremely so. These theoretically anticipated results are of direct practical usage.

F a s t alle M e n s c h e n m ü s s e n h e u t z u t a g e f o r t w ä h -

richtungen e r m ö g l i c h e n , z. B . b e i B e d i e n u n g s -

rend I n f o r m a t i o n e n a u f s u c h e n u n d verarbeiten,

anleitungen für K ü c h e n g e r ä t e . S o l c h e I n f o r m a -

u m wichtige K e n n t n i s s e zu e r w e r b e n u n d u m

t i o n e n sind aber a u c h G r u n d l a g e für eine b e -

mündig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen

w u ß t e L e b e n s o r i e n t i e r u n g der M e n s c h e n in ei-

zu können. Solche Informationen können

im

e i n f a c h s t e n F a l l e ein z i e l g e r e c h t e s H a n d e l n im täglichen U m g a n g mit Gegenständen und Ein-

ner k o m p l e x e n W e l t , z. B . bei A u f k l ä r u n g über politische u n d w i s s e n s c h a f t l i c h e Sachverhalte. Die

Informationen

sind

überwiegend

in

125

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 1 2 4 - 1 3 2

schriftlicher Form für jedermann zugänglich: Instruktionsblätter, Gesetzestexte, Beratungsbroschüren, Zeitungen, Taschenbücher. Jedoch scheint der Zugang zu den Inhalten dieser Texte für viele Menschen versperrt, und zwar teilweise wegen geringer Verständlichkeit in der sprachlichen Darstellung. Die Bedeutung allgemeinverständlicher Kommunikation wird um so größer, je mehr der Wunsch besteht, breite Kreise der Bevölkerung - und nicht nur eine geistige Elite - zu informieren und an Entscheidungen teilnehmen zu lassen. Die Vermutung, daß auch schwierige Inhalte verständlicher übermittelt werden können, soll in der folgenden Untersuchung überprüft werden. Forschungskontext. Die vorliegende Arbeit ist Teil eines größeren Forschungsprojektes, das seit 1969 am Hamburger Psychologischen Institut durchgeführt wird. Es soll eine wissenschaftliche Grundlage geschaffen werden, um die Verständlichkeit bei der Informationsübermittlung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu erhöhen. Das Projekt gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Teilabschnitte. Teil 1: Merkmalsanalyse von Lehr- und Informationstexten hinsichtlich sprachlicher Gestaltung; Auswirkungen bestimmter Merkmalsbündel (Dimensionen) auf Verstehen und Behalten der Leser (STEINBACH et al. 1 9 7 2 und LANGER et al. 1 9 7 3 , Hauptergebnisse siehe unten). Teil 2: Sprachliche Neugestaltung von Informationstexten aus verschiedenen Bereichen aufgrund der Ergebnisse des Teiles 1. Gleichzeitig Herstellung von Meßinstrumenten zur Erfassung der Dimensionsausprägungen der Texte. Feststellung, ob neukonzipierte Texte mehr Verstehen und Behalten auslösen als die inhaltsgleichen Originaltexte. Die vorliegende Arbeit gehört zu diesem Forschungsteil. Teil 3: Erstellung und Erprobung von Trainingsprogrammen aufgrund der Ergebnisse der Teile 1 und 2 für verschiedene Gruppen von Kommunikatoren (Lehrer, Gewerkschaftler, Hochschullehrer usw.). Ein Trainingsprogramm für Pädagogen (LANGER, SCHULZ VON T H U N &

liegt bislang vor. - Für weitere Forschung ist vorgesehen, Lernkriterien auf höherem taxonomischen Niveau miteinzubeziehen, z. B. neben Verstehen und Behalten auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Lehrinhalt. TAUSCH 1 9 7 4 )

Theorie der Textverständlichkeit. Aufgrund der Befunde von STEINBACH et al. ( 1 9 7 2 ) und LANGER et al. ( 1 9 7 3 ) wurden der vorliegenden Arbeit folgende theoretische Annahmen zugrundegelegt: vier Dimensionen der sprachlichen Gestaltung nehmen Einfluß auf das Verständnis und Behalten des Lesers: Einfachheit, Gliederung-Ordnung, Kürze-Prägnanz und Zusätzliche Stimulanz. Bei diesen Dimensionen handelt es sich um Merkmalsbündel, die faktorenanalytisch aus den Eindrucksurteilen von Beurteilern (Ratern) gewonnen worden sind. Die Dimension Einfachheit setzt sich zusammen aus den Einzelaspekten «geläufige Wörter, kurze Sätze, konkrete und anschauliche Ausdrucksweise». Einfachheit umfaßt damit auf der Eindrucksebene etwa das, was der früher geläufige Flesch-Index durch Auszählen von Wort- und Satzlängen erfaßt (vgl. TEIGELER 1968). Gliederung-Ordnung setzt sich zusammen aus innerer Folgerichtigkeit der Informationsabfolge und äußerer Übersichtlichkeit (Gegenteil: Zusammenhanglosigkeit, Unübersichtlichkeit). Kürze-Prägnanz besteht im Verzicht auf sprachliche Weitschweifigkeit und inhaltliche Entbehrlichkeiten («aufs Wesentliche beschränkt»). Zusätzliche Stimulanz umfaßt alle Stilelemente, die beim Leser persönliche Anteilnahme und Anregung hervorrufen sollen. Aus den Untersuchungen von STEINBACH et al. ( 1 9 7 2 ) und LANGER et al. ( 1 9 7 3 ) kann gefolgert werden, daß ein optimal verständlicher Text gekennzeichnet ist • durch ein hohes Ausmaß an Einfachheit und Gliederung-Ordnung, • durch ein mittleres bis mäßig hohes Ausmaß an Kürze-Prägnanz. Auch Zusätzliche Stimulanz förderte das Verständnis des Lesers, allerdings nur bei gleichzeitig hohem Ausmaß an Gliederung-Ordnung; andernfalls hatte Zusätzliche Stimulanz eher eine behindernde Wirkung.

126

Schulz von Thun: Verständlichkeit von Informationstexten

In der vorliegenden Arbeit wurde der Versuch gemacht, dieses Wissen zur Herstellung optimal verständlicher Texte zu nutzen. Die Herstellung erfolgte durch sprachliche Neugestaltung bereits veröffentlichter Texte (Originaltexte). Die oben dargestellte Theorie wurde überprüft, indem die Verständniswirkungen der Originaltexte und der optimierten Texte an Lesergruppen miteinander verglichen wurden. Die Untersuchung gliedert sich in drei Schritte: I. Auswahl von veröffentlichten Originaltexten und Herstellung je einer optimierten Textfassung durch Experten. II. Einschätzung aller Textfassungen durch geschulte Beurteiler in den vier Verständlichkeitsdimensionen. III. Erfassung von Verständnis- und Behaltensleistungen von Lesern, sodann Leistungsvergleich der Gruppen mit Originaltext und mit optimiertem Text.

I. A U S W A H L V O N UND

TEXTEN

HERSTELLUNG

OPTIMIERTER

TEXTFASSUNGEN

Textauswahl: Acht veröffentlichte Texte wurden ausgewählt. Sie entstammten den Bereichen Soziologie, Psychologie, Gesetzesparagraphen, Bedienungsanleitungen, Literatur und politische Öffentlichkeitsarbeit. Die Länge der Texte betrug höchstens eine Schreibmaschinenseite. Alle ausgewählten Texte lagen in höherer Auflagenzahl vor und wendeten sich an breite Leserkreise (z. B. Taschenbücher). Sie waren in sich abgeschlossen oder stellten den Anfang eines Buches oder Kapitels dar. Sie enthielten abprüfbare Information. Ferner war für die Auswahl maßgeblich, daß nach intuitivem Eindruck die Verständlichkeit der sprachlichen Übermittlung verbesserungsfähig war. Folgende Texte wurden für die Untersuchung ausgewählt: 1. «Tachometeranzeige» - § 5 7 , Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO). 2. «Travestie» aus G. v. Wilpert. 1964. Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart. 3. «Abtauen einer Frosterbox», aus einer Betriebsanleitung für Kühlschränke, herausgegeben von der Firma Bosch.

4. «Sprache und Lernen» aus B. Bernstein. 1958. Soziale Struktur, Sozialisation und Sprachverhalten. Aufsätze, p. 8. 5. «Grundlagen der Sexualität» aus: H. Schelsky. 1955. Soziologie der Sexualität. (14. Auflage), p. 11, Zeilen 1-18, unwesentlich gekürzt. 6. «Anlage und Umwelt», aus P. R. Hofstätter. 1957. Psychologie - Fischer Lexikon. (2. Auflage), p. 15, Zeilen 1-31. 7. «Parodie» aus G. Wilpert. 1864. Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart. 8. Kapitelzusammenfassung aus G. Bartsch. 1970. Kommunismus, Sozialismus und Karl-Marx-Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn, p. 134.

Optimierung der Texte: Die acht Texte wurden auf drei Experten verteilt (Pädagogische Psychologen), die durch eigene Forschung mit dem vierdimensionalen Verständlichkeitskonzept vertraut waren. Die Experten wurden gebeten, die vorliegenden Texte so umzugestalten, daß bei gleichem Informationsziel die Dimensionen Einfachheit, Gliederung-Ordnung, Kürze-Prägnanz und Zusätzliche Stimulanz in möglichst günstiger Weise verwirklicht seien. Auf diese Weise entstand zu jedem der acht Originaltexte eine optimierte Textfassung, deren inhaltliche Gleichwertigkeit durch zwei Gutachter bescheinigt wurde. Die optimierten Texte fielen in vier Fällen etwas länger, in drei Fällen etwas kürzer aus (gemessen durch die Anzahl der Silben pro Text). Durchschnittliche Silbenzahl: 350 bei den Originaltexten, 324 bei den optimierten Texten.

II. M E S S U N G D E R

TEXTE

IN D E N D I M E N S I O N E N

DER

VERSTÄNDLICHKEIT Fragestellung: Läßt sich veröffentlichtes Textmaterial durch Herstellung neuer Textfassungen in den Dimensionen Einfachheit, Gliederung-Ordnung, Kürze-Prägnanz und Zusätzliche Stimulanz optimieren? Zur Entscheidung dieser Frage wurden alle 16 Textfassungen von fünf unabhängigen, trainierten Beurteilern in den vier Dimensionen eingeschätzt. Diese Einschätzung wurde auf fünfstufigen bipolaren Skalen vorgenommen:

127

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 1 2 4 - 1 3 2

EINFACHHEIT

+2

+1

0

-1

-2

KOMPLIZIERTHEIT

GLIEDERUNG-ORDNUNG

+2

+1

0

-1

-2

ZUSAMMENHANGLOSIGKEIT GESTALTLOSIGKEIT

KÜRZE-PRÄGNANZ

+ 2

+1

0

-1

-2

WEITSCHWEIFIGKEIT

ZUSÄTZLICHE STIMULANZ

+ 2

+1

0

-1

-2

KEINE ZUSÄTZLICHE STIMULANZ

Für jede dieser Skalen liegen ausführliche Merkmalsbeschreibungen vor, ferner Beispieltexte («Anker») für einzelne Skalen-Ausprägungsstufen ( S C H U L Z von T H U N et al. 1972). In einem Beurteilertraining lernen die Beurteiler zuvor, Texte beliebigen Inhalts in den vier Dimensionen trennscharf wahrzunehmen und ihre Eindrücke in Skalenwerten anzugeben. Trainingsziel: Qualifizierung der Beurteiler, übereinstimmende (reliable) und konzeptgetreue (valide) Einschätzungswerte für neue Texte zu vergeben. Beurteilertraining: D a s Training enthält folgende Schritte: o Kennenlernen der vier D i m e n s i o n e n und ihre Bedeutung sowie Handhabung der entsprechenden Beurteilungsskalen, o Konzepttraining: Eindrücke, die beim Lesen eines Textes auftreten können (z. B. «man verliert dauernd den roten Faden») sind einer der vier Dimensionen zuzuordnen, so im obigen Beispiel der Dimension Gliederung-Ordnung, o Prägnante Textbeispiele zur Verankerung der Skalenstufen, o Ü b u n g im Einschätzen v o n Texten nach den vier Dimensionen. D i e konzeptgemäßen Werte werden anschließend mitgeteilt und begründet (Feedback). Beurteilertest: N a c h dem Training wird anhand v o n acht Texten festgestellt, ob die Einschätzungen des Beurteilers im wesentlichen mit den konzeptgemäßen Werten (zuvor ermittelt durch Expertengremien) übereinstimmen. - E i n e vollständige gedruckte Fassung des Trainingsprogrammes liegt vor (LANGER, SCHULZ VON THUN & TAUSCH 1974).

Einschätzung der untersuchten Texte: Die fünf trainierten Beurteiler (Psychologiestudenten nach dem Vorexamen) schätzten alle 16 Textversionen in jeweils gemischter Reihenfolge nach den vier Dimensionen ein, ohne zu wissen, bei welchen Texten es sich um optimierte Fassungen handelte (Blindversuch). Die Einschätzungswerte wurden pro Text und Dimension durch Bildung des arithmetischen Mittels zusammengefaßt; somit lagen für jeden Text vier Kennwerte vor.

Die Beurteilungsübereinstimmung (berechnet nach E B E L 1951, bezogen auf fünf Beurteiler) war befriedigend hoch für alle vier Dimensionen: .91 für Einfachheit, .97 für GliederungOrdnung, .73 für Kürze-Prägnanz und .82 für Zusätzliche Stimulanz. Vergleich der Dimensionswerte zwischen Originaltexten und optimierten Texten: Für jedes der acht Themen lag eine Original- und eine optimierte Fassung vor, einschließlich ihrer Einschätzungswerte in den vier Dimensionen der Verständlichkeit. Durch Vergleich dieser Einschätzungswerte bei Originaltext und optimiertem Text wurde ermittelt, ob eine Verbesserung der Verständlichkeit eingetreten war. Als Voraussetzung für eine solche Verbesserung wurde definiert: Die optimierte Fassung sollte in mindestens einer Dimension einen auf dem 5 %-Niveau signifikant günstigeren Wert aufweisen (einseitige Fragestellung); gleichzeitig sollte diese Differenz mindestens eine Skalenstufe betragen (Beträchtlichkeitskriterium). Eine solche Verbesserung in einer Dimension sollte nicht auf Kosten einer Verschlechterung in einer anderen Dimension gehen. Das Ausprägungs-Optimum wurde gemäß früheren Untersuchungen festgesetzt: « f ü r Einfachheit und Gliederung-Ordnung bei + 2 , • für KürzePrägnanz im Bereich 0 bis + 1 , • für Zusätzliche Stimulanz im Bereich 0 bis + 2 im Falle positiver Ausprägung in Gliederung-Ordnung, andernfalls im Bereich 0 bis - 2 . Ergebnis: Die acht Originaltexte wiesen ohne Ausnahme erhebliche Mängel in der Verständlichkeit auf, insbesondere in den Dimensionen Einfachheit (siebenmal im negativen Skalenbereich) und Gliederung-Ordnung (achtmal). Alle optimierten Textfassungen wurden als verständ-

Schulz von T h u n : Verständlichkeit von Informationstexten

128

licher eingeschätzt: Im Sinne der oben formulierten Kriterien gelang in sieben Fällen eine Optimierung in Einfachheit, in acht Fällen in Gliederung-Ordnung, in zwei Fällen in KürzePrägnanz und in vier Fällen in Zusätzlicher Stimulanz (siehe nachfolgende Demonstrationsbeispiele). Im Sinne der Fragestellung läßt sich damit aussagen: Texte, die in einer oder mehreren Dimensionen der sprachlichen Gestaltung Mängel aufweisen, können optimiert, d. h. unter Beibehaltung des Informationszieles verständlicher gestaltet werden. D E M O N S T R A T I O N SB EI S P I E L E

Im folgenden sind als Beispiele zwei Originaltexte und ihre optimierten Fassungen

abge-

druckt, einschließlich ihrer vier Dimensionswerte. Ein Vergleich dieser Dimensionswerte zeigt: Im ersten Beispiel (Textpaar Nr. 5, vgl. p. 126) hat eine Optimierung besonders in den Dimensionen

Einfachheit

und

Gliederung-Ordnung

stattgefunden; im zweiten Beispiel

(Textpaar

Nr. 3, vgl. p. 126) besonders in den Dimensionen Gliederung-Ordnung und Kürze-Prägnanz, bei gleichzeitiger Verminderung von Zusätzlicher Stimulanz. 1. Beispiel: «Grundlagen der Sexualität» (vgl. p. 126). a) Originaltext Dimensionsausprägungen (Mittelwerte von 5 Beurteilern, Skalen von - 2 bis + 2 ) : Einfachheit -2.0 Gliederung-Ordnung Kürze-Prägnanz Zusätzliche Stimulanz

-1.8 0.9 -1.8

Die neueren sozialwissenschaftlichen Theorien der Sexualität w e n d e n sich zunächst gegen die in der älteren Soziologie vielfach vertretene Ansicht, die Sexualität des Menschen stelle ein biologisch in seinem Ablauf so gesichertes Instinktverhalten dar, d a ß eine Soziallehre der Geschlechtlichkeit in ihr einen präsozial weitgehend festgelegten Verhaltenskomplex einfach a u f z u n e h m e n h a b e oder gar von ihm soziale Beziehungen und F o r m e n in ihrer Struktur deduzieren könne. Die m o d e r n e A n t h r o p o l o g i e und die auf ihr a u f b a u e n den Kulturlehren, wie sie in einigen W e r k e n (z. B. M a r -

garet Mead) vorliegen, sehen in der Sexualität wie in a n d e r e n biologisch bedingten Antrieben des Menschen eher weitgehend unspezialisierte G r u n d b e d ü r f n i s s e , die gerade wegen ihrer biologischen Ungesichertheit und Plastizität der F o r m u n g u n d F ü h r u n g durch soziale N o r m i e r u n g und d u r c h Stabilisierung zu konkreten Dauerinteressen in einem kulturellen Ü b e r b a u von Institutionen b e d ü r f e n , damit die E r f ü l l u n g schon des biologischen Zweckes, so im Falle der Sexualität etwa die Fortpflanzung, sichergestellt ist.

b) optimierte Textfassung Dimensionsausprägungen (Mittelwerte von 5 Beurteilern, Skalen von - 2 bis + 2 ) : Einfachheit Gliederung-Ordnung

1.0 1.5

Kürze-Prägnanz Zusätzliche Stimulanz

0.8 -0.3

Welchen E i n f l u ß hat die U m w e l t auf die Sexualität (Geschlechtsleben) des Menschen? Z u dieser F r a g e gibt es zwei verschiedene Ansichten in der Wissenschaft: 1. Ansicht keine Rolle:

der

älteren

Soziologie:

Umwelt

spielt

Die Sexualität des Menschen ist d u r c h Instinkte festgelegt. D e r Soziologe findet ein N a t u r - V e r h a l t e n vor. D a s m u ß er einfach hinnehmen. E r kann sich ausrechnen, wie a u f g r u n d dieser biologischen Gegebenheiten d a n n die sozialen Beziehungen zwischen Menschen (z. B. Ehe) aussehen werden. 2. Ansicht der modernen spielt entscheidende Rolle:

Anthropologie:

Umwelt

Die Sexualität ist ein biologisches G r u n d b e d ü r f n i s . Es kann aber wie alle naturgegebenen Triebe auf tausend verschiedene Weisen befriedigt w e r d e n . Weil die Art der Befriedigung ü b e r h a u p t nicht festgelegt ist, m u ß der Sexualtrieb d u r c h gesellschaftliche Regeln gef o r m t und gelenkt werden. Die Gesellschaft m u ß sagen: so u n d so ist es richtig u n d anständig. U n d die Gesellschaft m u ß Einrichtungen schaffen (z. B. Ehe), in denen der Trieb d a u e r h a f t gesichert ist. D a d u r c h ist d a n n auch die F o r t p f l a n z u n g gesichert, u n d damit der biologische Zweck der Sexualität erfüllt.

2. Beispiel: p. 126).

«Abtauen

der

Frosterbox»

(vgl.

a) Originaltext Dimensionsausprägungen (Mittelwerte von 5 Beurteilern, Skalen von - 2 bis + 2 ) : Einfachheit Gliederung-Ordnung

Í .2 -1.6

Kürze-Prägnanz Zusätzliche Stimulanz

-1.4 1.6

Gestatten Sie bitte, d a ß ich bei diesem Abschnitt wieder meine F r a u hinzuziehe. Wir begeben uns also

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 124-132 vor den eigenen Kühlschrank und sehen die Bescherung: Die Frosterbox ist mit einer dicken Eiskruste umgeben. Ich (streng): «Habe ich dir nicht schon oft gesagt, daß du regelmäßig einmal in der Woche abtauen sollst?» Sie: «Erstens habe ich vor wenigen Tagen abgetaut, obwohl z. B. für den Schrank unserer Nachbarin diese wöchentliche Arbeit auch nicht vorgesehen ist, zweitens solltet ihr gescheiten Männer den Schrank eben so konstruieren, daß kein Eis auftritt, und drittens sehe ich überhaupt nicht ein, warum das Eis schaden soll. Es ist doch auch kalt.» «Erstens», entgegne ich, «hat unsere Nachbarin einen Schrank mit Großraumfroster, für den besondere Bedienungsvorschriften gelten, wir aber haben eine normale Frosterbox und können z. B. jetzt wegen der dicken Eisschicht die Flasche Wein nicht schnell kühlen, die wir nachher zusammen trinken wollen; zweitens können auch die Kühlschrank-Konstrukteure die Naturgesetze nicht aufheben, und drittens kann es nichts schaden, wenn du jetzt einmal zuhörst, warum das Eis entsteht und weshalb es schadet: Die Luft im Kühlraum enthält immer Feuchtigkeit, die aus den darin abgestellten Kühlgütern, und zwar nicht nur aus Flüssigkeiten, z. B. Milch, sondern auch aus dem Gemüse, Obst, sogar aus verhältnismäßig trockenen Speisen, wie Fleisch, Käse usw. stammt. Diese Feuchtigkeit schlägt sich am kältesten Teil des Schrankes, also an der Frosterbox, in Form einer Eisoder Reifschicht nieder. Eis ist aber ein schlechter Wärmeleiter. Eine Eisschicht erschwert es also, daß die im Kühlraum vorhandene Wärme von der Frosterbox aufgenommen werden kann. (Das ist aber nötig, wenn gekühlt werden soll.) Die Folge ist verminderte Kühlleistung. Wir verhindern dies, indem wir das Eis regelmäßig durch Abtauen entfernen; wohlgemerkt, durch Abtauen, nicht etwa mit dem Messer oder Ähnlichem, weil sonst die Gefahr besteht, daß die Frosterbox beschädigt wird. Auch angefrorene Eisschalen und Lebensmittel dürfen nicht mit spitzen oder scharfkantigen Gegenständen angehoben werden. Also einfach den Drehknopf auf «Abtauen» stellen, bis die ganze Eisschicht geschmolzen ist. (Dies kann u. U. mehrere Stunden dauern.) Im übrigen steigt die Temperatur im Kühlschrank während des Abtauens nur unwesentlich an. Nur darf man nicht vergessen, die Tropfschale bzw. den Auffangbehälter unter der Frosterbox rechtzeitig zu entleeren und wieder an ihren Platz zurückzustellen; sonst gibt es unerwünschte Überschwemmungen. - Zum Abtauen niemals elektrische Heizgeräte in das Innere des Kühlschrankes einbringen.»

b) optimierte

Textfassung

Dimensionsausprägungen (Mittelwerte von 5 Beurteilern, Skalen von - 2 bis + 2 ) : Einfachheit 2.0 Gliederung-Ordnung 1.8 Kürze-Prägnanz 1.2 Zusätzliche Stimulanz 0.4

129 Dieser Kühlschrank hat eine normale, d. h. ziemlich kleine Frosterbox. Um die Frosterbox von der umgebenden Eisschicht zu befreien, muß der Kühlschrank regelmäßig einmal in der Woche abgetaut werden. Sie erfahren in diesem Abschnitt, wie man das macht, warum man es machen muß und wie die Eisschicht überhaupt entsteht. Wie wird abgetaut? t. Drehknopf auf «Abtauen» stellen. 2. Warten, bis Eisschicht geschmolzen ist (bis zu mehreren Stunden). 3. Auffangbehälter zwischendurch mehrmals entleeren. Bitte halten Sie sich genau an diese Anweisungen. Auf keinen Fall darf die Eisschicht mit einem Messer oder anderen Gegenständen entfernt werden - die Frosterbox wird dadurch beschädigt. Auch angefrorene Eisschalen oder Lebensmittel dürfen so nicht entfernt werden. Keine Angst: Durch Abtauen wird es im Eisschrank nur ganz wenig wärmer. Aber stellen Sie zu diesem Zweck keine elektrischen Heizgeräte in den Kühlschrank! Warum muß man abtauen? Die im Kühlschrank enthaltene Wärme wird von der Frosterbox aufgenommen. Diese Aufgabe kann die Box nur schlecht erfüllen, wenn sie von einer Eiskruste umgeben ist, denn Eis ist ein schlechter Wärmeleiter. Die Kühlleistung wird also vermindert, wenn man nicht abtaut. Wie entsteht die Eisschicht? Die Luft im Kühlschrank enthält immer Feuchtigkeit. Sie stammt von allen Lebensmitteln (nicht nur Milch, sondern z. B. auch Gemüse, Obst usw.). Diese Feuchtigkeit schlägt sich in Form einer Eis- oder Reif schicht an der Frosterbox nieder.

III. V E R S T Ä N D N I S -

UND

BEHALTENS LEISTUNGEN LESERN BEI

VON

ORIGINALTEXTEN

UND OPTIMIERTEN

TEXTEN

Führen die optimierten Textversionen bei den Lesern zu mehr Verständnis und Behalten als die Originaltexte? Diese Erwartung ergibt sich aus der auf p. 125 dargestellten Theorie der Verständlichkeit in Verbindung mit dem Ergebnis der Messung der Texte in den vier Dimensionen der sprachlichen Gestaltung (Teil II).

130

Schulz von Thun: Verständlichkeit von Informationstexten

EMPIRISCHE ÜBERPRÜFUNG DER HYPOTHESE VERSUCHSPERSONEN

64 Unterprimanerinnen aus vier Hamburger Schulklassen. Diese Gruppe wurde gewählt, weil sie zur Verfügung stand und als angesprochene Teil-Zielgruppe für alle acht Texte gelten kann. VERSUCHSPLAN

Die Schülerinnen wurden pro Klasse nach dem Zufall halbiert: die eine Hälfte erhielt die Texte 1 - 4 in der Originalfassung sowie die Texte 5 - 8 in der optimierten Fassung zum Durchlesen. Die andere Hälfte erhielt umgekehrt die Texte 1 - 4 in der optimierten Fassung sowie die Texte 5 - 8 in der Originalfassung. Die Schülerinnen lasen ihre 8 Texte ohne Pause hintereinander; die Lesezeit wurde für jeden Text durch Signale von einem Tonbandgerät («bitte umblättern») vereinheitlicht. Die Lesezeiten betrugen pro Text je nach Länge 2 - 4 Minuten, ermittelt in Vorversuchen anhand der Originaltexte. Die Reihenfolge war innerhalb einer Klasse konstant, zwischen den Klassen wurde sie variiert: Zwei Klassen erhielten die Texte in der Reihenfolge 1-8, die zwei anderen Klassen in der Reihenfolge 5-8, dann 1 - 4 . Positionseffekte wirken sich auf beide Textversionen gleich aus. Im Anschluß an das Lesen der acht Texte bearbeiteten die Schülerinnen acht entsprechende Verständnis-Behaltenstests (s. u.), die für alle Schülerinnen die gleichen waren. Mit diesem Versuchsplan sollte eine Alltagssituation simuliert werden, in der sehr vielfältige neue Informationen in zeitlicher Nähe aufgenommen und gespeichert werden müssen. Vermutung: Verständlich dargebotene Informationen sind erfolgreicher im Rivalisieren um «Speicherplätze». E R F A S S U N G VON U N D BEHALTEN

VERSTÄNDNIS

Pädagogische Psychologen hatten auf der Basis der acht Originaltexte acht dazugehörige lehrzielorientierte Tests konstruiert. Diese Tests enthielten Fragen und Aufgaben, die sich auf den jeweiligen Lesestoff bezogen und den Informa-

tionsgehalt im wesentlichen erfaßten (Beispiele: «Wie sollte man auf keinen Fall abtauen?» «Welche Rolle spielen soziale Normen in den älteren Theorien der Sexualität?»). Die Fragen waren von den Schülerinnen frei zu beantworten. Für jede Frage wurden vor der Untersuchung in einem Auswertungsschlüssel diejenigen Elemente festgelegt, die sinngemäß in einer richtigen Antwort enthalten sein mußten. Jedes richtig wiedergegebene Element wurde mit einem Punkt bewertet. Gesamtleistung einer Vp: Summe der von ihr erreichten Punkte in diesem Test. Die maximal erreichbare Punktzahl betrug zwischen 4 und 12. Den zwei studentischen Auswertern war nicht bekannt, welche Textversion die zu bewertende Versuchsperson gelesen hatte (Blindversuch). Auswertungsobjektivität: Die Übereinstimmung der beiden Auswerter betrug .94 (Spearmans Rho). ENTSCHEIDUNGSPLAN ÜBER DIE HYPOTHESE

Die Varianz zwischen den Klassen sowie zwischen den beiden Reihenfolgebedingungen sollte unkontrolliert in der Prüfvarianz verbleiben. Die zufallskritische Sicherung des auf die gelesene Textversion zurückgehenden Effektes erfolgte über den t-Test für zwei unabhängige Stichproben, und zwar getrennt für jedes der acht Textpaare. Theoriegemäß wurde erwartet, daß sich die Gruppen in ihren Verständnis-Behaltenswerten unterscheiden würden, und zwar nicht im Sinne einer generellen Überlegenheit einer Gruppenhälfte, sondern im Sinne einer wechselweisen Überlegenheit jeweils der Gruppenhälfte, welche die optimierte Textfassung gelesen hatte. DER PRAKTISCHE ABLAUF DER U N T E R S U C H U N G

Die Versuche wurden im Juni 1971 an zwei Hamburger Schulen in den Klassenzimmern der Schülerinnen von einer Versuchsleiterin (Studentin nach dem Vorexamen) durchgeführt. Dauer: 45 Minuten (zur Hälfte Lesen und Testbearbeitung). Die Schülerinnen wurden instruiert: Es gehe darum, herauszufinden, wie gut

131

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 124-132

verschiedene Informationen verstehbar und behaltbar seien. An jede Schülerin wurde ein Textheft ausgeteilt mit einer versuchsplangemäßen Anordnung von acht Texten. Jeder Text war mit Schreibmaschine geschrieben und umfaßte eine Seite. Das Kommando zum Umblättern wurde über ein Tonband gegeben und galt für alle Schülerinnen. Nach dem letzten Text wurden die Texthefte eingesammelt und die acht Verständnistests ausgeteilt. Die Tests wurden von den Schülerinnen in freier Zeiteinteilung bis zum Ende der Stunde bearbeitet. ERGEBNISSE

Verständnis- und Behaltensleistungen von Schülerinnen aufgrund von Originaltexten und optimierten Texten. Tab. 1 erlaubt einen Vergleich der Leistungen unter den Bedingungen «Originaltext» und «optimierter Text», und zwar gesondert für jedes der acht Textpaare. Gruppe 1 (Zufallshälfte aus vier Schulklassen) las die Originalfassung der Texte 1 - 4 sowie die optimierte Fassung der Texte 5-8, Gruppe 2 in entsprechender Umkehrung.

Die Ergebnisse sprechen insgesamt deutlich für die bessere Verständniswirkung optimierter Texte und gegen die entsprechende Nullhypothese. Bei 7 von 8 Texten liegen die Unterschiede in vorausgesagter Richtung, in 6 Fällen statistisch signifikant. Die Höhe der Effekte ist zum Teil beachtlich, am größten beim Textpaar Nr. 6 mit 36 °/o determinierter Varianz durch die Textversion. In einem Fall (Nr. 8) erbrachte die Gruppe nach dem Lesen des Originaltextes eine (insignifikant) höhere Leistung. Dieser Befund muß unerklärt bleiben; es fällt allerdings auf, daß in diesem Fall die beiden Textversionen in den Dimensionen der sprachlichen Gestaltung am wenigsten auseinanderliegen. Im übrigen ergibt sich kein Zusammenhang zwischen der Größe des Leistungseffektes (gemessen in co2) und der Größe der Differenz in den vier Dimensionen. Eher deutet sich ein Zusammenhang an zwischen der Größe des Leistungseffektes (gemessen in co2) und der Länge des (Original-)Textes (gemessen in Silben): Die

Tabelle 1 Mittelwerte (Streuungen) der Verständnis-Behaltensleistungen aufgrund von Originaltexten und optimierten Texten

Textpaar N r . (s. p. 126)

G r u p p e 1 (N = 32) (Originaltext)

2

co22

1

0.83

(1.55)

1.75

(1.29)

2

2.77

(1.66)

2.94

(1.92)

3

2.88

(1.76)

4.16

(1.52)

< .001

21 %>

4

1.47

(1.01)

2.09

(0.83)

< .001

16 »/o

3 6 %>

(Optimierter Text)

1

p'

G r u p p e 2 (N = 32) (Optimierter Text)