Zeitschrift für Sozialpsychologie: Band 5, Heft 3 1974 [Reprint 2021 ed.]
 9783112470305, 9783112470299

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HERAUSGEBER HUBERT FEGER

C. F. G R A U M A N N KLAUS HOLZKAMP MARTIN IRLE

BAND

15 1 9 8 4 H E F T 2

V E R L A G HANS H U B E R BERN STUTTGART WIEN

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, Band 5, Heft 3 INHALT

THEORIE W.: Zur Relevanz experimenteller Nichtnullsummenspiele TACK, W. H.: Zwei Theoreme zur Konstruktion von 3-Personen-Spielen mit nichtleerem Kern BECKER, H . & KÖRNER, W . : Kognitives Gleichgewicht und Cliquen-B ildung: eine Kritik und Modifikation der Balance-Theorie SCHMIDT, H. D . & SCHMIDT-MUMMENDEY, A . : Waffen als aggressionsbahnende Hinweisreize: eine kritische Betrachtung experimenteller Ergebnisse SCHWANENBERG, E . & H U T H ,

167 184 189

201

EMPIRIE Persönlichkeitsmerkmale und -idealvorstellungen von Jugendlichen verschiedener sozialer Schichten und einer Gruppe jugendlicher Delinquenten

WITTE, H . & WITTE, E . H . :

219

LITERATUR Neuerscheinungen Titel und Abstracta

233 238

AUTOREN

239

Vorankündigungen

240

Copyright 1974 by Akademische Verlagsgesellschaft Frankfurt und Verlag Hans Huber Bern Stuttgart Wien Satz und Druck: Druckerei Heinz Arm Bern Printed in Switzerland Library of Congress Catalog Card Number 78 - 126626 Die Zeitschrift für Sozialpsychologie wird im Social Sciences Citation Index (SSCI) erfaßt. ANZEIGENANNAHME Akademische Verlagsgesellschaft Falkensteiner Straße 75/77 D - 6000 Frankfurt am Main

Verlag Hans Huber Länggaßstraße 76 CH - 3000 Bern 9

167

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1974, 5,167-183

Theorie Zur Relevanz experimenteller Nichtnullsummenspiele E N N O SCHWANENBERG

WOLFGANG H U T H

Fachbereich Psychologie der Universität F r a n k f u r t

A m Beispiel des Nichtnullsummenspiels wird - auf d e m Hintergrund des Problems der Intersubjektivität - die F r a g e nach der Relevanz experimenteller sozialpsychologischer Forschung gestellt und zu beantworten versucht. Verschiedene Spiele (prisoner's dilemma, chicken, maximizing difference) werden beschrieben u n d in bezug auf das in ihnen bestehende D i l e m m a zwischen individueller und kollektiver Rationalität die verschiedenen Zugänge und begrifflichen Vorstellungen von ökonomisch-mathematischer Spieltheorie und sozialpsychologisch-experimenteller Spielforschung herausgearbeitet. D a s Problem des von den Spielern im Spiel gesehenen Nutzens wird dabei sowohl f ü r die Organismuswie f ü r die Situationsvariablen bedeutsam. Die Relevanzfrage wird darauf zugeführt, überlegte Theorie und überlegte Methode zu erkennen und zu bewerten. The nonzerosum-game is used as a paradigm to discuss the relevance of the experimental approach in social psychology on the foil of the problem of intersubjectivity. G a m e s typically reported in the literature (prisoner's dilemma, chicken, maximizing difference) are presented and the different approaches and conceptualizations of economic-mathematical game theory and social psychological experimental game research with regard to the dilemma between individual and collective rationality are distilled. T h e problem of the utility that players assign to the features of the game reveals itself as crucial f o r interpreting the effects both of organismic and situational variables. T h e question of relevance is turned towards recognizing and evaluating well-reasoned, in every sense, theory and method.

V o n der sozialpsychologischen F o r s c h u n g wird

s o l l ' s ? ist in d e r o f f e n e n D i s k u s s i o n e i n e R e g e l -

h e u t e m e h r v e r l a n g t als in d e n s e c h z i g e r J a h r e n :

frage g e w o r d e n , mit der über den praktischen

Relevanz. Die methodischen Bemühungen

B e z u g (im Gegensatz z u m methodischen) die In-

um

intersubjektive Verbindlichkeit der Erkenntnis-

tersubjektivität wieder hergestellt w e r d e n

aussage - dokumentiert in den Verfeinerungen

S o g l o b a l d i e F r a g e ist u n d s o n e g a t i v s i e g e l e -

des

experimentellen

designs

und

der

soll.

statisti-

gentlich v o n dem Fragesteller bereits beantwor-

schen Analyse - haben paradoxerweise dazu ge-

tet w i r d - B e w e r t u n g e n d e s F o r s c h u n g s p r o z e s -

führt, d a ß d a s V e r s t ä n d n i s ( =

ses sollte m a n nicht aus d e m W e g e gehen, d e n n

Intersubjektivi-

tät) b e i j e n s e i t s d e r p r o f e s s i o n e l l e n

Interkom-

sie sind ein Teil desselben, u n d ein n o t w e n d i g e r

munikation stehenden Empfängern solcher For-

dazu.

s c h u n g s a u s s a g e n , z u d e n e n d e r N a t u r der a k a -

m a n c h e r Relevanzfragen und der professionel-

d e m i s c h e n Sache nach namentlich die studenti-

len I m m a n e n z der M e t h o d e könnte der W e g zu

schen Hörer zählen, im gleichen M a ß e

abge-

n o m m e n z u h a b e n s c h e i n t . W a s bringt's? W a s

Zwischen

dem

praktischen

Kurzschluß

e i n e r - w e n n a u c h w a h r s c h e i n l i c h stets p r e k ä r e n und nie ganz gesicherten -

Intersubjektivität

Schwanenberg & Huth: Relevanz exp. Nichtnullsummenspiele

168

fortschreitender Erkenntnis liegen, um die es bei aller Forschung als Aufklärung ja geht. Am Fall der Forschungen zum oder mittels des Nichtnullsummenspiels läßt sich die Relevanzfrage 1 paradigmatisch bearbeiten, und zwar so, daß sie sich nicht global selbst erledigt, sondern - differenziert - zu jener notwendigen Bewertung der Ansätze und Ergebnisse führt, die bei der methodischen Fixierung nicht selten zu kurz kommt. Die Forschungen zum Nichtnullsummenspiel eignen sich deshalb zu diesem Exerzitium, weil sie (a) ein zu den Grenzen hin relativ überschaubares und in sich charakteristisches Ensemble darstellen, das gleichwohl (b) typische Merkmal der allgemeineren Gattung zeigt. I

Nichtnullsummenspiele gehören wie die Nullsummenspiele zu den «experimentellen Zweipersonenspielen», die ihrerseits wiederum mit den Koalitions- und Verhandlungsspielen (n 3) die Allgemeinheit der «experimentellen Spiele» in der sozialpsychologischen Forschung bilden 2 . Der wissenschaftshistorische Ur- und Hintergrund dieser Forschungsrichtung ist die Polit- oder Nationalökonomie, die das Spiel als Probe- oder Exempelfall ihrer Prämissen aus sich entließ. Als sich dann Mathematiker der «Lösung» von Spielen im Sinne der Politökonomie annahmen, reduzierten sie die Entscheidungskomplexität der Spiele in ihrer «extensiven», d. h. konkreten Form, indem sie die Spiele in eine «Normalform» transformierten und le-

1

diglich noch Entscheidungen zwischen Strategien berücksichtigten ( = mathematische Spieltheorie). In dieser Form wurden die «Spiele» von der experimentellen Sozialpsychologie für die eigene Forschung «entdeckt». Von ihr werden sie allerdings als konkrete Spiele verwendet (wenn auch nicht immer theoretisch so verstanden). Aus der Diskrepanz zwischen dem rationellen Modell und der manifesten experimentellen Empirie rührt, soviel sei vorweg gesagt, ein guter Teil der Relevanz, die speziell das Nichtnullsummenspiel für sich beanspruchen kann. Das Spiel besteht konkret für die Versuchspersonen darin, daß jeder der beiden Teilnehmer zwischen einer bestimmten Anzahl von Zügen 3 (im typischen Fall: zwei) entscheiden bzw. wählen muß, ohne die Entscheidung des gleichzeitig wählenden Partners zu kennen; d. h. das Spiel findet unter der restringierenden Bedingung «ohne Kommunikation» statt (wenn diese nicht eigens in der unabhängigen Variation wieder eingeführt wird). Wenn derart zwischen den Spielern keine Kommunikation besteht, so doch - im Resultat des Entscheidungsverhaltens - Interdependenz: das Ergebnis, der «pay-off», den der einzelne Spieler erreicht, hängt nicht nur von der eigenen Entscheidung, sondern ebenso auch von der des Mitspielers ab: die Spieler sind wechselseitig voneinander abhängig. In der Regel wird den Versuchspersonen das Spiel unter Vorlage einer Matrize verständlich gemacht, die die payoffs für beide Spieler enthält, so daß jeder Spieler nicht nur über den eigenen Gewinn (oder Verlust) im Anschluß an eines der

Gestellt im Anschluß an einen Vortrag an der Universität Konstanz. SS 1973. Vgl. HUTH et al. (1974). Eine frühe Übersicht und Systematik bieten RAPOPORT & ORWANT (1962). Zu den Verhandlungsspielen vgl. CROTT (1972a, b) in dieser Zeitschrift. Der Vollständigkeit halber seien auch die Simulationsspiele (vgl. BALDWIN, 1969) erwähnt, die aus dieser Klassifikation jedoch herausfallen, insofern ihre Verwendung weniger systematischen als pragmatischen Interessen folgt. - Einen interessanten Sonderfall bilden die «Einpersonenspiele» (— Spiele gegen die Natur), wie sie beim Wahrscheinlichkeitslernen vorliegen. Sie gehören jedoch in den Bereich der allgemeinen, nicht der Sozialpsychologie. Allerdings sind die theoretischen Vorstellungen, die sich mit der Planung und der Analyse von Zweipersonen-Nichtnullsummenspielen verbinden, von individualpsychologischen Modellen geprägt (siehe unten). 3 eigentlich: Strategien; doch ist es bei wiederholten Spielen (trials) sinnvoller, von Zügen (moves) zu sprechen und den Begriff der Strategie für bestimmte Entscheidungsmuster zu reservieren, die in allen Wiederholungen wirksam sind. Sonst müßte man Begriffe wie etwa Super- oder Metastrategie einführen (vgl. RAPOPORT 1968).

2

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5 , 1 6 7 - 1 8 3

2 X 2 = 4 möglichen Ereignisse im Bilde ist, sondern auch über den des anderen 4 . Die Abbildungen 1 & 2 zeigen je eine solche Matrix, wie sie den Versuchspersonen vorgelegt wird, und zwar beim Nichtnullsummenspiel, wobei es sich im ersten Fall um die Matrize eines prisoner's dilemma-Spiels (des weitaus am häufigsten verwendeten Nichtnullsummenspiels) und im zweiten Fall um ein chicken-Spiel handelt. Spieler 2

a

b

a

5,5

-5,8

b

8,-5

Spieler 1 0,0

Abbildung 1 Matrize eines prisoner's dilemma-Spiels Spieler 2

a

b

a

5,5

-5,8

b

8,-5

- 10, - 10

Spieler 1

Abbildung 2 Matrize eines chicken-Spieh Spieler 2 C

D

C

R-l, R2

SvTt

D

TvSt

Px.Pt

Spieler 1

Abbildung 3 RAPOPORTS Notation 4

169 Mit den eingetragenen Zahlenwerten sind, wieder im typischen Fall, entsprechend der Herkunft der Spielforschung aus der Nationalökonomie, Geldbeträge verbunden (meistens Pfennig- bzw. ce«/-Beträge, da Mark- bzw. dollarBeträge beim Forscher zu sehr in die Kasse reißen); es kann jedoch auch lediglich um (symbolische) Punkte gespielt werden, was indessen der seltenere Fall ist, obwohl es sozialpsychologisch und vom konkreten Spiel her betrachtet empirisch durchaus sinnvoll ist. Kurzum, mit den Nationalökonomen gehen die meisten experimentellen Spielforscher davon aus, daß Geld konkreter (materieller) ist als Punkte. Aber ist es das auch (a) in einem Spiel, in dem (b) um Pfennigbeträge gespielt wird? Die empirischen Resultate sprechen, im Rahmen dieser Spiele, eine andere Sprache: auch Geld ist symbolisch. Um jedoch zunächst auf die Perspektive der Versuchspersonen bzw. der beiden Spieler angesichts der Matrize zurückzukommen, so stehen sie vor der gleichen Entscheidung: entweder Zug a oder Zug b zu wählen. Wenn beide sich für Zug a entscheiden, werden beide belohnt; wenn beide sich für Zug b entscheiden, werden beide bestraft. Weniger symmetrisch ist die Lage bei den beiden anderen Ereignissen: wenn Spieler 1 sich für Zug a und Spieler 2 sich für Zug b entscheidet, wird 1 bestraft und 2 erhält eine individuelle Belohnung, die größer ist als in dem Fall der gemeinsamen Belohnung; und umgekehrt für den Fall, daß Spieler 1 Zug b wählt und Spieler 2 den Zug a. Aus diesen vier möglichen Ereignissen ist die

D a s muß «im Leben» nicht unbedingt so sein, sondern ist aus der formalen Spieltheorie in das sozialpsychologische Experiment hinübergenommen worden: "This particular form for displaying information was originally adopted by those investigators w h o were concerned with evaluating the prescriptive power of formal game theory. That is, in order to evaluate the formal theory it was necessary, insofar as possible, that the experimental circumstances conform to the assumptions of the theory since the theoretical prescriptions depend critically upon the information made available to the decision makers" (MESSICK & MCCLINTOCK 1968, p. 6). MESSICK & MCCLINTOCK benutzen statt dessen "zerlegte Spiele" (decomposed games), bei denen der einzelne Spieler per Matrize nur darüber informiert wird, was ein bestimmter Zug von ihm (a) für ihn selbst und (b) für den anderen abwirft. Es wird ihm allerdings gesagt, daß zum E n d - p a y o f f die entsprechende reziproke Entscheidung des anderen hinzukommt. Wenn das Spiel symmetrisch ist, kann sich der Spieler den payoff «im Geiste» schon vorher, während der Entscheidung, wieder zusammensetzen. D a der Spieler jedoch nicht «reiner Geist» ist, und da der Experimentator der Zerlegung verschiedene Formen geben kann, die den Spieler motivational verschieden ansprechen, sind hier andere empirische Werte als bei der klassischen (zusammengesetzten) Form der Matrize denkbar. Ein systematischer Vergleich zwischen den beiden Matrizenformen scheint jedoch noch nicht unternommen worden zu sein.

170

Schwanenberg & Huth: Relevanz exp. Nichtnullsummenspiele

Charakteristik der Nichtnullsummenspiele ersichtlich, deretwegen sie auch «Dilemma-Spiele» genannt werden. Wenn man von der (nationalökonomischen) Annahme ausgeht, daß ein Spieler so viel wie möglich gewinnen und so wenig wie möglich verlieren will, so steht er vor einem Dilemma (Abb. 1): den höchsten Gewinn verspricht Zug b, denn wenn der Gegenspieler auf a gezogen hat, liegt der payoff bei 8. Wenn aber der Gegenspieler ebenfalls b gezogen hat, ist der Gewinn stark reduziert bzw. ein Verlust, der im Fall des chicken-Spiels (Abb. 2) der größte überhaupt ist. Um diesem Verlust auszuweichen, kann Spieler 1 sich für Zug a entscheiden und kann hier 5 Einheiten gewinnen — vorausgesetzt, Spieler 2 macht denselben Zug. Tut er das nicht, ist Spieler 1 entweder von dem größten Verlust überhaupt (Abb. 1) oder, im Fall des chicken-Spiels (Abb. 2), von einer immer noch schmerzlichen relativen oder sogar absoluten Verlustzuweisung betroffen. Diese Verhältnisse s i n d v o n RAPOPORT & CHAMMAH ( 1 9 6 5 ,

1969)

Spieler auf C einigen könnten bzw. von vornherein sich in diesem Zug einig wären, sie davon beide zusammen den größten und jeder für sich einen zufriedenstellenden und gleichzeitig sicheren Nutzen hätten. Anders ausgedrückt, «die .individuelle Rationalität' schreibt die Entscheidung D vor, während die ,kollektive Rationalität' die Entscheidung C vorschreibt (RAPOPORT & CHAMMAH 1965, p. 831). Beim chicken-SpM schreibt die «kollektive Rationalität» ebenfalls C vor, während die «individuelle Rationalität» zu je verschiedenen Entscheidungen rät: zu D, wenn der Gegenspieler C zieht, und zu C, wenn der Gegenspieler D zieht. C ist hier tatsächlich die Minimax-Strategie, hat aber die unangenehme Folge, daß sie vom Gegenspieler ausgenutzt werden kann, der als preemptor (jemand, der dem anderen den Vortritt wegnimmt bzw. den Vortritt für sich selbst beansprucht) dem vorsichtig die Minimax-Strategie spielenden chicken gegenüber der Erfolgreichere und damit der Rationalere ist 5 .

in eine symbolische Notation überführt worden, die sich in der Literatur durchgesetzt hat und von Abb. 3 wiedergegeben wird.

II

Dabei bedeutet C einen kooperativen Zug, D einen abtrünnigen (defective) bzw. kompetitiven Zug; R bedeutet Belohnung (reward), P steht für Bestrafung (punishment), T signalisiert Versuchung (temptation) und 5 den hereingelegten Tölpel (sucker) bzw. den opfermütigen Heiligen (saint). Dabei gilt für das prisoner's dilemmaSpiel die generelle Relation T>R>P>S und für das chicken-Spiel die Relation T > i ? > 5 > P. Beiden Spielen ist die Ungleichung 2R > S + T gemeinsam. Das prisoner's dilemma besteht, nach dem klassischen Verständnis, für den einzelnen Spieler darin (Abb. 1), daß ohne Kommunikation und/oder ohne einen sanktionierten Konsensus die rationalste Wahl D ist, weil sie den größtmöglichen Verlust am kleinsten hält (Minimax-Strategie), während, wenn sich beide

Der Dilemma-Situation zwischen «individueller» und «kollektiver» Rationalität wegen haben die Nichtnullsummenspiele das mit ihnen verknüpfte Forschungsinteresse auf sich gezogen. Während sich bei den Nullsummenspielen die Resultate der Spieler zu Null ergänzen (was der eine gewinnt, verliert der andere) und dabei die Entscheidungen der Spieler im Regelfall den Voraussagen der formalen Spieltheorie trivial (bei Matrizen mit Sattelpunkten) oder in wachsender, wenn nicht vollkommener Annäherung (bei Matrizen ohne Sattelpunkte, wenn die Spieler auf eine «gemischte» Strategie verfallen müssen, bei der sie den durchschnittlich zu erwartenden Gewinn zu ermitteln und in Rechnung zu stellen haben) entsprechen, ist bei den Nicht-

5

"Thus prudence and rationality are split. It seems rational to be bold on the assumption that the other is prudent, but it is rational to be prudent if the other is bold. If, in the Game of Chicken, one assigns to the other the same characteristic as to oneself, the result is not satisfactory, though it is in Prisoner's Dilemma, because if both are bold, disaster obtains; if both are prudent, one has missed the chance to get the greatest gain by being bold" (RAPOPORT 1969, p. 135).

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5 , 1 6 7 - 1 8 3

nullsummenspielen die Rationalität uneindeutig bzw. empirisch offen. Als Dilemma-Spiele sind sie, genau betrachtet, keine Nichtnullsummenspiele in der einfachsten Form - was der eine gewinnt, gewinnt auch der andere - , sondern stellen eigentlich eine Kombination von Nichtnullsummenspiel und Nullsummenspiel dar: der Spieler kann sich alternativ entscheiden zwischen den Möglichkeiten (a) was der eine gewinnt, gewinnt auch der andere, (b) was der eine gewinnt, verliert der andere. In allgemeinerer Form - wenn keine exakte Parität gegeben ist - lauten die Alternativen: (a) wenn der eine gewinnt, gewinnt auch der andere, (b) wenn der eine gewinnt, verliert der andere. Der Spieler kann sich also jeweils entscheiden, ob er kooperativ («Mein Gewinn ist zugleich dein Gewinn») oder ob er kompetitiv spielen will, wobei die Kompetition je nach Matrize und Phänomenologie verschiedene Gestalten haben kann: «Mein Gewinn sei dein Verlust», oder «Dein Verlust sei mein Gewinn», oder «Mein Gewinn sei größer als deiner», oder «Dein Verlust sei größer als mein Verlust». Von diesen beiden Alternativen her trägt das Dilemma-Spiel auch die Bezeichnung mixed-motive game (Spiel mit gemischten Motiven). Das Dilemma wird also als ein Motivkonflikt betrachtet, in dem der einzelne Spieler selbst steht und in dem er den anderen Spieler stehen sieht. «Gemeinsamer Gewinn» (joint gain) und «relativer Gewinn» (relative gain) leuchten, noch ehe man empirische Ergebnisse sieht, als relevante und sozialpsychologisch dimensionierte Motive ein. Es ist hier allerdings zu sagen, daß man es bei diesen beiden Motiven sowie ihrem Konflikt mit tatsächlich bereits der empirischen sozialpsychologischen Forschung entnommenen Variablen bzw. Begriffsbildungen zu tun hat, die auf einer anderen, eben empirischen oder auch «konkreten», Ebene liegen als das formalisierte Strategiespiel der mathematischen Spieltheorie. Diese, von der ökonomischen Theorie herkommend, sieht nämlich ein anderes, drittes, Motiv im Vordergrund der Strategiewahl und erklärt

171 aus ihm den Entscheidungskonflikt - und zwar individualpsychologisch, nicht sozialpsychologisch. Es handelt sich um das Motiv «Eigengewinn» (own gain) oder «absoluter Gewinn» (absolute gain), auch «individualistische Orientierung» bezeichnet. Der Spieler hat demzufolge das eigennützige Motiv, den größtmöglichen Gewinn zu erzielen (bzw. den geringstmöglichen Verlust zu erleiden) - rein für sich, ganz egal, ob das dem Mitspieler bzw. Gegenspieler Gewinn oder Verlust bringt. Das ist natürlich der utilitaristische Kern der klassischen ökonomischen Theorie bzw. deren Postulat von der rationalen Verfolgung des Selbstinteresses (rational pursuit of self-interest), und liegt dem Rationalitätsbegriff (s. o.) zugrunde. Nach diesen Prämissen ist das Dilemma keines der Motive (Maximierung des individuellen oder auch differentiellen Gewinns versus Maximierung des gemeinsamen Gewinns), sondern ein solches der Rationalität bzw. der Strategie, denn: der Spieler steht nicht im Konflikt zwischen zwei Motiven, kann es gar nicht, weil er im Grunde nur eines hat: das Motiv, den eigenen, den absoluten Gewinn zu maximieren; und die Frage, ob der kooperative oder der kompetitive Zug getan werden soll, ist lediglich eine Frage der Strategie zur Verwirklichung dieses individuellen, absoluten Ziels. Sofern es sich um einen Motivkonflikt handelt, ist es lediglich der, daß die zwei Spieler dasselbe Motiv haben und derart das Motiv gewissermaßen mit sich selbst kollidiert; der Motivkonflikt ist in Wirklichkeit ein Interessenkonflikt im sozialwissenschaftlichen Sinn. Das wird deutlich, wenn man sich das Dilemma noch einmal vor Augen hält: es ist - vor dem Hintergrund dieses Motivs - eine endlose strategische Überlegung von der Form: «Der lukrativste Zug für den Anderen ist D, vorausgesetzt, ich wähle C; der lukrativste Zug für mich ist ebenfalls D, vorausgesetzt, der Andere wählt C. Wenn wir beide diesen Zug machen, ist es für mich nicht der lukrativste Zug, und für den Anderen auch nicht. Wenn der Andere sich das denkt, und wenn er denkt, daß ich mir das auch denke, wird er vielleicht tatsächlich C ziehen, und wenn ich dann D ziehe, habe ich den größten Gewinn. Wenn er sich das aber denkt, wird er ...» usw., usw.

Schwanenberg & Huth: Relevanz exp. Nichtnullsummenspiele

172

Die Tatsache, daß im sozialpsychologischen Experiment das Dilemma nicht als ein strategisches, sondern als ein motivationelles, die Nichtnullsummenspiele als «mixed-motive games» verstanden und bezeichnet wurden, weist darauf hin, daß sich die Spielkonzeption unter der Hand auf dem Weg von der Formalität der ökonomisch-mathematischen Theorie in die konkrete Empirie des Experiments verändert hat. Zum einen denkt ein Psychologe eher als ein Mathematiker oder ein Nationalökonom in Begriffen von Motiven, zum anderen scheint die Beobachtung des konkreten Spiels solche Begriffe und eine entsprechend veränderte Konzeption des Spielvorgangs nahezulegen. Eine wissenschaftliche und am Ende wohl auch praktische Relevanz des experimentellen Nichtnullsummenspiels liegt also wesentlich darin, daß sie einer formalen Theorie, die - in der Nationalökonomie - nicht nur nomothetischen, sondern auch normativen bzw. praxeologischen Charakter hat, die empirische Probe entgegenstellt. Nun könnte man sagen, daß Spiele um Pfennigbeträge mit dem Wirtschaftsleben wenig zu tun haben und der Theorie gegenläufige Befunde sie nicht widerlegen. Dieser Einwand gilt nicht, da die utilitaristische Theorie allgemeinen Anspruch hat und entsprechend ja auch die mathematische Spieltheorie begründet wurde.

III

Korrekterweise muß man sagen, daß nur wenige Experimentatoren mit solchen theoretischen oder gar theoriekritischen Absichten an die Nichtnullsummenspiele herangegangen sind. Zu diesen wenigen zählen an vorderster Stelle MESSICK & MCCLINTOCK ( 1 9 6 8 ) , d i e a u c h a n -

hand experimenteller Beobachtung systematisch die drei Motive «own gain», «relative gain» und «joint gain» unterschieden, in ihrer relati6

ven Dominanz untersucht und ihre Abhängigkeit von Informations- (feedback-)Bedingungen (Rückmeldung des kumulativen Resultats, variiert nach «own display», «joint display» und «difference display») demonstriert haben. RAPOPORT&ORWANT(1962) u n d RAPOPORT ( 1 9 6 8 ,

1969) haben diesen Gesichtspunkt weniger empirisch-analytisch als theoretisch - und dies sehr effektiv - verfolgt. Ein anderer, fast größerer Teil der Forschungen zum Nichtnullsummenspiel fällt unter die breite Kategorie «experimenteller Pragmatismus», der sich an im Laboratorium naheliegenden Variablen und der feasability ihrer Manipulation orientiert. Sofern es eine theoretische Leitvorstellung gibt, ist es wenn auch eher unbestimmt und im Hintergrund - diejenige individueller Entscheidungsprozesse, die nach irgendwelchen - man weiß nicht genau welchen - Gesetzmäßigkeiten erfolgen 6 . Warum wird im letzteren Fall überhaupt mit Nichtnullsummenspielen experimentiert? Zwei bis drei Gründe lassen sich finden. Erstens erfüllt das Spiel ideal die Erfordernisse des Methodenkanons: es liefert Verhaltens-, also «harte» Daten in Gestalt der genau registrierbaren «Züge» der Spieler (und nicht bloß verhältnismäßig «weiche» Fragebogendaten). Dazu sind es - inhaltlich - Daten über Tatbestände der sozialen Interdependenz, an die sonst sehr schwer heranzukommen ist: «Obwohl wechselseitige Totalkontrolle (mutual jäte control) offenkundig im wirklichen Leben äußerst schwerwiegend ist, wurde sie vor dem Heraufkommen der experimentellen Spiele nur selten untersucht» (SCHEFF 1967, p. 216). Begünstigt wurde die Beschäftigung mit der sozialen Interdependenz dadurch, daß diese im Gefolge der mathematischen Spieltheorie auf das Modell individueller Entscheidungsprozesse heruntertransformiert wurde, das für die Forscher einfacher und geläufiger war.

"The majority of studies makes no attempt to test a theory, or even to use general concepts relevant to a theory. Rather, they report the effects of varying certain conditions associated with the game, such as the amount of communication, the level of reward or punishment, or the type of instruction to the players. When hypotheses are reported, it often seems that they were formulated for the particular game under study" (SCHEFF, 1967, p. 217).

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5 , 1 6 7 - 1 8 3

Ein zweiter Grund, der so trivial scheint, daß er oft übersehen wird, ist quasi ein moralischer. Die experimentelle Forschung zum Nichtnullsummenspiel scheint in der Mehrheit aus dem Staunen entstanden zu sein, warum Menschen nicht kooperieren, wenn es die Vernunft (Rationalität) gebietet. Nicht nur das Theater, auch das sozialpsychologische Laboratorium ist nicht selten eine moralische Anstalt, mit den Experimentatoren als Regisseuren und Zuschauern. Das ist nicht nur an den «Versuchungs»-Experimenten oder solchen zum helping behavior zu erkennen, sondern auch am Nichtnullsummenspiel. In den USA entstanden, simuliert es sozusagen - unter den Bedingungen «ohne Kommunikation», «ohne sanktionierten Konsensus», «ohne selbstverständliche gemeinsame Tradition», «Fremde» - die Situation im Wilden Westen, nur - und das ist der Vorteil des Laborexperiments - daß kein Blei Gefahr bringt. Wie man weiß, sind die Western-Filme höchst moralische Szenationen, in denen das «Recht» eine so überragende wie kritische dramaturgische Rolle spielt. An der Typus-Bezeichnung «Gefangenen-Dilemma» wird dieser Zusammenhang mittelbar sinnfällig 7 . Auch das chicken-Spie\, das von RAPOPORT & CHAMMAH (1969) vorgestellt wird als Simulation der «basic features of brinkmanship and appeasement», fügt sich hier ein - als Exempel möglichen unmoralischen Verhaltens 8 . RAPOPORT

7

173 von, daß die Rationalitätshypothese der mathematischen Spieltheorie in Dilemma-Situationen durch psychologische, wenn nicht ethische Hypothesen zu ersetzen sei 9 . Kurzum, die besondere Position der Nichtnullsummenspiele als Dilemma-Spiele zwischen Moralität und Amoralität, in der Nähe zum common sense, ist zweifellos nicht unerheblich an ihrer Aufnahme in die sozialpsychologische Forschung beteiligt. Denn diese hat es vom Forschungsgegenstand her mit sozialer Interdependenz zu tun, und die ist, zumindest für die Beteiligten, aber auch in der Analyse, von der Struktur her immer eine jenseits der Rationalität bewertete - eine moralische, ethische, politische - oder die jeweilige Abweichung. Das ist auch in der praktischen Problemstellung «Conflict Resolution» zu erkennen, in deren Rahmen zahlreiche Experimente zum Nichtnullsummenspiel gestellt wurden. «Homo homini lupus» oder «homo homini socius», das ist die die Dilemma-Forscher faszinierende Frage. Man könnte, für einen Teil der sozialpsychologischen Forschung generalisierend, sagen, daß diese experimentelle Moralistik sei - während sich die französischen Moralisten des Aphorismus (und die amerikanische Folklore sich der Ballade) bedienten, demonstrieren Sozialpsychologen die Probleme der Moral an den harten wie systematischen (Verhaltens-) Fakten des Experiments. Auch das ist ein Gesichtspunkt der Relevanz.

(1969, p. 130) spricht selbst da-

"The original anecdote called Prisoner's D i l e m m a concerns two prisoners accused of the same crime and held incommunicado. Each has a choice of confessing to the crime or not. If both confess, both will be convicted; if neither confesses, they must be acquitted for lack of evidence. However, if only one of the prisoners confesses, h e not only goes free but gets a reward for having turned state's witness; while the prisoner w h o refused to confess gets a more severe sentence than if he had confessed. The dilemma arises f r o m the circumstance that it is to each prisoner's individual advantage to confess regardless of what the other does, but at the same time it is better for both of them not to confess than to confess" (RAPOPORT & CHAMMAH 1965, p. 8 3 1 ) . 8 "The usual argument for brinkmanship is that if one can convince the other player that one is unalterably committed to D , for example, by letting him know that one has deliberately destroyed one's own freedom of choice (burned one's bridges), then one can safely play D against a rational opponent" (RAPOPORT & CHAMMAH 1 9 6 9 , p. 1 5 2 ) . 9 "It b e c o m e s clear that the deeper analysis of the very meaning of rationality w o u l d have to be undertaken if the term is to represent a useful point of reference either in the theory of decision or in psychology. ... There is a hierarchy of levels of decision problems, and the concept of rational decision b e c o m e s progressively more dependent o n specific psychological or even ethical hypotheses as w e pass to more complex levels of decision problems" (RAPOPORT 1969, p. 130). Ethische Probleme sind solche der sozialen Interdependenz (siehe unten).

Schwanenberg & Huth: Relevanz exp. Nichtnullsummenspiele

174 IV

Nun sind Fakten zwar hart, ihre Interpretation jedoch ist notgedrungen weich. Die Experimentatoren versuchen einen Zusammenhang zwischen den objektiven Matrizenwerten und den objektiven Verhaltensdaten herzustellen, indem sie sich gewissermaßen in die Erlebniswelt der Spieler einfühlen. Das drückt sich in der RAPOPORTschen Notation aus (Abb. 3), und auch in d e n B e z e i c h n u n g e n , d i e RAPOPORT & CHAMMAII

(1965, pp. 833-4) den verschiedenen abhängigen Wahrscheinlichkeiten gegeben haben: C nach CC «legt einen Widerstand gegen die (immer vorhandene) Versuchung zur Abtrünnigkeit nahe, daher Vertrauenswürdigkeit'». C nach CD wird mit exemplarischem «Martyrium» oder «Vergebung» in Verbindung gebracht. C nach DC läßt Besserung oder «Reue» vermuten. C nach DD stellt «Vertrauen» dar, daß der Partner ebenfalls von D heruntergeht. WORCHEL (1969) hat eine experimentelle Untersuchung vorgelegt, die er unter die Begriffe «Versuchung» und «Bedrohung» gestellt hat. Etwas systematisiert und mit den Konzepten von RAPOPORT sowie MESSICK & MCCLINTOCK a n g e r e i -

chert läßt sich seine «Interpretation» so zusammenfassen: Für den Zug D spricht (1) die Versuchung (T), den höchsten absoluten Gewinn (own gain) zu erzielen, (2) die Versuchung (T), einen differentiellen Gewinn (relative gain) zu erreichen, (3) die Bedrohung (5), nach einem kooperativen Zug als sucker darzustehen. Gleichzeitig findet WORCHEL Gründe für einen C-Zug: (1) Furcht vor Vergeltung für Nonkooperation - hier könnte man von Furcht vor einer äußeren Sanktion sprechen; (2) Schuldgefühl darüber, den anderen hereinzulegen (double-crossing) — das ließe sich auch als Furcht vor einer inneren Sanktion auffassen. WORCHEL konzentriert sein Interesse nicht auf die Bedrohung durch P (Fall der Vergeltung bzw. äußeren Sanktion), sondern auf S (bei ihm: T 2 ) und bezeichnet diesen Wert als «Bedrohungs-Parameter». Die Bedrohungen durch S sind dann diese: (1) Selbstwertminderung durch Hereingelegtwerden (ego-dejlation at being a

sucker) - das ist der Fall, wenn mir S angetan wird (und läßt mich zum Selbstschutz D wählen); (2) Schuldgefühl über die Verletzung des Vertrauens, das der Partner hegt (guilt at violating the trust of a partner) - das ist der Fall, wenn ich jemandem S antue (und läßt mich C wählen). Empirisch, anhand von fünf verschiedenen Matrizen, konnte WORCHEL feststellen, daß bei konstantem P ( = - 1 ) und nur bei der ersten Matrize variiertem R ( = 3, sonst bei den übrigen Matrizen = 1) die Erhöhung der Differenz zwischen R und T von der ersten zur zweiten Matrize (von 3 : 4 zu 1 : 4) und abermals die zusätzlich eingeführte Extremisierung von S von der zweiten zur dritten Matrize (von - 4 zu - 10) eine deutliche Zunahme der kompetitiven Züge erbrachten, daß sich aber die dritte, vierte und fünfte Matrize nicht unterschieden, bei denen entweder S extrem ( - 10) oder T extrem ( + 10), oder beide extrem waren. WORCHEL schließt daraus, daß das gleiche Verhalten aus verschiedenen Gründen (Versuchung und Bedrohung) erfolgen kann, und daß sich die Effekte nicht addieren (wenn sowohl T als auch S extrem sind). V Es ist an dieser Stelle zweckmäßig, weiter ins Detail der experimentellen Operationen und empirischen Befunde zu gehen, um sie in ihrer Erkenntnisleistung beurteilen zu können, und erst dann wieder auf die allgemeinere Frage nach der Relevanz zurückzukommen. WORCHELS Arbeit gehört zu jenem Typus von Untersuchungen, die das experimentell Nächstliegende tun und die Matrizenwerte variieren - entweder innerhalb der Strukturrelationen eines Spieltypus (z. B. prisoner's dilemma, wie bei WORCHEL) oder quer zu verschiedenen Spieltypen. Typisch hierfür, und auch für die Anspruchslosigkeit, die sich mit solchem Vorgehen manchmal verbindet, ist die A r b e i t von ELLS & ERMAT (1968), die in-

nerhalb der cWcfceH-Struktur die Werte von R, T und 5 variieren und das eigentlich geläufige bzw.

anderwärts

(MESSICK

&

MCCLINTOCK

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5 , 1 6 7 - 1 8 3

175

1 9 6 8 ; W O R C H E L 1 9 6 9 ) systematischer und analytischer untersuchte Ergebnis zu Tage fördern, daß die Differenz zwischen R und T (vgl. absolute gain) und die zwischen T und S (vgl. relative gain) die Entscheidungswahrscheinlichkeiten bestimmen und bei einem hohen Wert von T die Wirkungen beider Differenzen (bzw., mit MESSICK & M C C L I N T O C K , Motive) zusammentreten. Außerdem wird demonstriert, daß das chicken-Spiel (wegen des größeren P-Effekts) kooperativer gespielt wird als das prisoner's clilemma-Spiel. Eine anspruchsvollere Bemühung zielt dahin, Formeln zu entwickeln, die aus den Matrizenwerten das Spielverhalten vorhersagen. So haben BOYLE & BONACICH ( 1 9 7 0 ) für das prisoner's dilemma einen «caution index» aufgestellt, der sich aus den drei Werten g = Gewinn aus der Kooperation (d. i. R - P), r = Risiko der Kooperation (d. i. P - S), und t = Versuchung zur Abtrünnigkeit (d. i. T — 7?) zusammensetzt: Vorsicht = i/r • t/g. Allerdings belegen sie diesen Index nur anhand der Veröffentlichungen anderer Autoren und testen ihn nicht.

tuationen involviert ist, die sich aus objektiv analysierbaren Strukturen der Spiele ergeben» ( 1 9 6 9 . p. 149 f.). Diese Notwendigkeit sieht er deshalb gegeben, weil es noch zu früh für eine ernsthafte mathematische Theorie des Dilemma-Spiels sei und man erst in einem «natural history approach» Erfahrungen über das Spiel selbst sammeln müsse, ehe man daran gehen könne, über das Spiel hinaus zu generalisieren bzw. Variationen außerhalb der Matrize einzuführen. Für solche vertiefte Exploration des Spiels als solchem hat RAPOPORT erfindungsreich eine Vielfalt von abhängigen Variablen eingeführt, die weit über das Auszählen lediglich der C-Züge der Spieler hinausgehen: verschiedene Korrelationen, Anfangs- und Endhäufigkeiten individueller und bilateraler Kooperation (oder generell eine Analyse des zeitlichen Verlaufs der nachstehenden Meßwerte), abhängige Wahrscheinlichkeiten der C-Züge (nach den individuellen wie nach den dyadischen Ereignissen), einen «Märtyrer-Index», ein Maß der «Schiefe» der unilateralen Kooperation im Vergleich zweier Spieler (beim chicken-Spiel) ( R A P O P O R T

Am nachdrücklichsten wird die Matrizenvariation von RAPOPORT ( 1 9 6 8 , 1 9 6 9 ) favorisiert, obgleich er selbst die Notwendigkeit von 6561 Spielen errechnet, wenn jede der acht unabhängigen Variablen ( = payoffs) der Matrize in nur drei Ausprägungen (niedrig, mittel, hoch) variiert wird; und angesichts solcher prohibitiven Verhältnisse davor warnt, zuviel Glauben in einen «Barfuß-Empirizismus» zu setzen, «das heißt in ein Programm, das darauf abzielt, integriertes Wissen über Situationen dieser Art mittels der Überprüfung großer Mengen von Daten zu erwerben, selbst wenn sie systematisch gesammelt werden. Ganz klar ist eine theoretische Leitvorstellung erforderlich, wenn man den Daten einen Sinn entnehmen will» ( 1 9 6 8 , p. 4 6 1 ) . RAPOPORTS theoretische Orientierung besteht darin, sich dennoch - allerdings unter Beschränkung auf die relativen Größen der payoffs - der Matrizenvariation - und keiner anderen zuzuwenden, «um ein volles Verständnis dessen zu erwerben, was - sowohl logisch wie psychologisch - an sich in der großen Vielfalt von Si-

& CHAMMAH 1 9 6 5 , 1 9 6 9 ) .

Diese Vorgehensweise nennt er einen «divergenten» Ansatz (Vervielfältigung der abhängigen Variablen) und unterscheidet ihn vom «konvergenten» Ansatz, bei dem dem Leben nachempfundene Bedingungen (Spielerpersönlichkeit, Kommunikation, Einstellung zum Spiel, usw., siehe weiter unten) variiert werden und in den meisten Fällen nur eine einzige abhängige Variable, nämlich C (oder alternativ D) beobachtet wird ( R A P O P O R T 1968, 1969). Bei seinen mit CHAMMAH (1969) durchgeführten Untersuchungen zum chicken-Spie\ ermittelt er bei einer Variation von P ( - 3, - 5, - 10, - 20, - 40) eine Zunahme der kooperativen Wahlen, allerdings mit einer Unterbrechung der Tendenz bei P = - 10, was die Autoren damit erklären, daß bei diesem Wert die Spieler damit rechnen, daß der Gegenspieler das Risiko einer D-Wahl nicht eingehen wird, sie selber aber, unter dieser Vermutung, D ziehen. Bei weniger extremen Werten fürchten sie den Gegenschlag, bei extremeren Werten wird ihnen selbst das Risiko zu

Schwanenberg & Huth: Relevanz exp. N i c h t n u l l s u m m e n s p i e l e

176

groß. Dieser Auszählung der C-Züge schließt sich dann die Auswertung der weiteren genannten Meßwerte und ihrer Verläufe an sowie ein Vergleich gemittelter Resultate vom chickenund vom prisoner's dilemma-Spie\. Die größere Häufigkeit individueller kooperativer Züge (C) im chicken-Spiel beruht danach nicht auf einer größeren Zahl dyadischer Kooperationen (CC), sondern, bei verringertem DD, auf der größeren Häufigkeit unilateraler Kooperation (CD + DC), die wiederum mit der größeren «Schiefe» der Kooperation in diesem Spiel zusammenhängt und auf die Charakteristik von brinkmanship vs. appeasement verweist 1 0 .

durch das Motiv begründet ist, «die Differenz (zum anderen Spieler) zu maximieren». Ein Beispiel für den Fall, daß ein Motiv konstant gehalten ist und je ein Motiv für je eine der beiden möglichen Wahlen spricht, gibt Abb. 5 wieder.

Spieler 2

C

D

C

6,6

0,5

D

5,0

0,0

Spieler 1

M D G (maximizing

Abbildung 4 difference

garner-Matrix

Spieler 2

VI

5,5

0,5

5,0

0,0

Spieler 1

Matrizen variieren auch die bereits genannten MESSICK & MCCLINTOCK ( 1 9 6 8 ) z w e c k s H e r s t e l -

lung von verschiedenen Spiel typen, an denen sich die Effekte der Motive «eigener Gewinn», «relativer Gewinn» und «gemeinsamer Gewinn» isolieren lassen. Bei zwei Zugalternativen und drei Zielsetzungen ist es denkbar, daß alle drei Motive für eine Wahl (C) sprechen ( = Einfachdominanz), daß zwei Motive für die eine Wahl und das dritte für die alternative Wahl sprechen ( = Doppeldominanz), oder daß schließlich jeder Alternative je ein Motiv zugeordnet ist und das dritte nondiskriminant (gleicherweise von beiden Wahlen zu befriedigen) bleibt (ebenfalls Doppeldominanz). Das prisoner's dilemma-Spiel hat zum Beispiel eine Struktur, in der die zwei Motive «eigener Gewinn» und «relativer Gewinn» den Zug D anregen, wohingegen das Motiv «gemeinsamer Gewinn» den Zug C nahelegt. Das «maximizing dijference game» (MDG, vgl. Abb. 4 ; MCCLINTOCK & MCNEEL 1966a) ist dagegen so strukturiert, daß die zwei Motive «eigener Gewinn» und «gemeinsamer Gewinn» beide für den kooperativen Zug sprechen, während der kompetitive Zug nur

10

Abbildung 5 Matrix mit egalisiertem «absolutem Gewinn»

Damit nur die Motive und nicht strategische Überlegungen die Wahl beeinflussen, verwend e n MESSICK & MCCLINTOCK S e r i e n v o n

Ein-

mal-Spielen (one-trial games, one-shot games), ohne Wiederholungen. Außerdem sind, wie bereits erwähnt (Anm. 4), ihre Spiele decomposed, damit sie natürlicheren Verhältnissen (und nicht denen der mathematischen Spieltheorie) angenähert sind und der Effekt verschiedener Rückmeldungen über den kumulativen Spielerfolg bzw. -mißerfolg um so reiner ermittelt werden kann. D a das Motiv «Eigengewinn» nicht isoliert werden kann, laufen die Ergebnisse auf einen Vergleich zwischen der relativen Stärke der Motive «relativer Gewinn» und «gemeinsamer Gewinn» hinaus. Dabei zeigt sich, außer einer starken Interaktion zwischen Rückmeldungsart und Spielstruktur (bzw. zwischen Information und Motivation), eine Dominanz des Motives «relativer Gewinn» über das Motiv

D e m RAPOPORTschen «divergenten Design» folgt teilweise auch die Untersuchung v o n HUTH et al. (1974) anhand der in Abb. 2 wiedergegebenen chicken-Matrize. A u c h hier fand sich bei einer Reihe v o n Paaren die Schiefe der Kooperation bzw. ein preemptor/victim-Verhä\tnis.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5,167-183

«gemeinsamer Gewinn», wobei die Dominanz besonders ausgeprägt ist (und zu einer hohen Zahl von kompetitiven Zügen führt), wenn die Rückmeldung in der Differenz des Spielstandes für beide Spieler besteht. Die Stärke des Rivalitätsmotivs «relativer Gewinn» wurde (an weiblichen Studenten, aus einem Einführungskurs in die Psychologie, wie häufig bei solchen Untersuchungen) auch von M E S S I C K & T H O R N G A T E ( 1 9 6 7 ) in einer Reihe von Experimenten mit dem MDG-Spiel festgestellt, bei denen die Versuchspersonen überhaupt keine Matrize zu Gesicht bekamen und nur auf die Erfolgsrückmeldung angewiesen waren, die entweder bloß den eigenen kumulativen Gewinn oder den Gewinn beider Spielerinnen vermittelte. Wenn die Züge in den letzten 20 triáis (von 100) verglichen wurden, so wiesen in der ersten Gruppe 11 Dyaden (von 22) in 90 oder mehr Prozent der triáis das wechselseitig kooperative CC-Ereignis auf und nur 5 Dyaden in dieser Höhe ein DD-Ereignis. In der zweiten Gruppe waren es 20 (von 22) Dyaden, die sich antagonistisch auf DD eingespielt (und ihren möglichen absoluten Eigengewinn selbst geschmälert) hatten, und nur 1 Dyade, die ihr Spiel zu CC hin entwickelt hatte. Dabei war die Differenz zwischen T ( = 2) und S ( = 1) minimal, allerdings die «Bestrafung» auch nicht sehr hoch (P = 5, bei R = 8). Bei anschließenden Versuchen konnten M E S S I C K & T H O R N G A T E ermitteln, daß innerhalb des Motivs «relativer Gewinn» das Teilmotiv, ein Zurückfallen zu vermeiden, stärker ist als dasjenige, einen Vorsprung herauszuspielen. Ähnliches «irrationales» Verhalten (im Sinne der ökonomischen Theorie) hatten bereits M C C L I N T O C K & M C N E E L ( 1 9 6 6 ) bei der ersten Anwendung des MDGSpiels festgestellt. Auch hier spielten die Versuchspersonen (diesmal männliche belgische Anfangssemester) kompetitiver, wenn ihnen nicht nur der eigene, sondern auch der Erfolg

11

177 des anderen Spielers zurückgemeldet wurde. Außerdem wurde die Kooperation von den Revenuen (.50 bfrs vs. .05 bfrs) pro Zähler in der Matrize beeinflußt: bei niedrigen Revenuen war das Spielverhalten kompetitiver. Der Effekt der Rückmeldung auf die Kompetition war jedoch stärker als derjenige des Geldniveaus. Im einzelnen zeigte die Gruppe, die für niedrige Revenuen spielte und zugleich den Spielstand beider Spieler rückgemeldet bekam, die größte Zahl an Z)D-Ereignissen - und gleichzeitig die geringste Varianz im Spielverhalten zwischen den Dyaden. Umgekehrt ist die Varianz bei der am meisten Kooperation zeigenden Gruppe (hohe Revenuen, Rückmeldung nur des eigenen Gewinns) am größten 1 1 . Die Revenuen (nicht die Rückmeldung) wurden auch von O S K A M P & K L E I N K E (1970) variiert, anhand des prisoner's-dilemma-Spiels, bei dem, anders als beim MDG-Spiel, die größere Erwerbsmöglichkeit - unter Zugrundelegung des Motivs «eigener Gewinn» - sowohl den Zug C (bei langfristiger Überlegung des «aufgeklärten Selbstinteresses») als auch unmittelbar den Zug D (aufgrund T) nahelegt. Fünf Matrizen mit abnehmendem und schließlich ins Minus führenden Erträgen wurden verwendet (R = 3 30 c, 3 c, 1 c, - 2 c; dabei wurden bei den ersten beiden Matrizen die angegebenen Beträge nicht wirklich ausgezahlt, sondern es wurden während des Spiels erst Spielmarken ausgehändigt, für die ein Umtausch am Ende des Spiels in Aussicht gestellt wurde, der dann in reduziertem Umfang erfolgte). Das Ergebnis ist symptomatisch für mit geringem theoretischem Aufwand betriebene Untersuchungen: während der Erstautor in einer früheren Untersuchung die größte Kompetition bei den niedrigsten (negativen) Revenuen gefunden hatte, zeigte diesmal eine Teilgruppe (männliche Versuchspersonen, aus einer zweigeschlechtlichen Versuchspopulation von Oberschülern) bei diesen Werten die höchste Koope-

"This observation suggests that, given the experimental manipulations, competition may be the more stable game strategy" (MCCLINTOCK & MCNEEL 1966, p. 611). Bei eher Kooperation begünstigenden Bedingungen scheinen sich häufig bimodale Verteilungen herauszubilden: die einen Dyaden kooperieren und die anderen rivalisieren.

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Schwanenberg & Huth: Relevanz exp. Nichtnullsummenspiele

ration. In einem Anschlußexperiment, in dem die Gruppen (aus derselben Population) entweder für Punkte, oder für Pfennige (cents) oder Groschen (dimes) spielte, lag die Kooperation bei den um Punkte spielenden Schülern leicht (nicht signifikant) höher. Die Autoren kommen - nach einer nicht in die Tiefe der nichtkontrollierten Bedingungen gehenden, sondern nur die gemeldeten Kooperationswerte anderer Untersuchungen aufgreifenden Übersicht - zu dem kühnen Schluß, daß im prisoner's dilemma-Spiel generell (1) Unterschiede in der Höhe der Revenuen nur kleine Wirkungen auf die Kooperation haben, (2) kleine oder imaginäre Revenuen mehr Kooperation erzeugen, (3) ein niedriger Durchschnitts-payo// größere Kooperation erzeugt (weil, so ist die Annahme, bei höherem payoff die Spieler bei einzelnen Zügen soviel gewinnen, daß sie sich häufiger Kompetition leisten können). Dabei bleibt völlig ausgeklammert, welchen «Nutzen» solch ein Spielmarken-, Groschen- oder Pfennigspiel für - sagen wir Tertianer hat. VII

Der Frage des «Nutzens», der zweifellos zwischen Populationen verschiedener Herkunft variiert, gehen indirekt solche Untersuchungen (des «konvergenten» Typs) nach, die das Nichtnullsummenspiel gewissermaßen als diagnostisches Instrument betrachten und behandeln und die Kooperationsraten verschiedener «Organismen» (nach dem methodisch-experimentellen Sprachgebrauch, der die Organismus- von den Situationsvariablen unterscheidet) zu ermitteln suchen. Da menschliche Organismen kulturgeprägt sind, hat man es meistens mit Kultur- bzw. Sozialisationseffekten zu tun. Hierher gehört wahrscheinlich die Beobachtung von RAPOPORT & CHAMMAH (1965), daß weibliche CollegeStudenten zwar in der Kooperation gleiche Anfangsraten wie ihre männlichen Studiengenossen zeigen, im Verlauf des Spiels (prisoner's dilemma) sich jedoch deutlich kompetitiver zeigen. Männlich-weibliche Dyaden zeigen Zwischenwerte. Am aufschlußreichsten sind inter-

kulturelle Vergleiche, da sie auf verschiedene Sozialisationsmuster bzw. die Genese solchen Verhaltens Licht werfen und gleichzeitig eventuelle biologische Universalien aufdecken. KAGAN & MADSEN (1972a; vgl. auch für andere Methoden 1971, 1972b) reduzierten die Entscheidungssituation auf die Alternative rivalisierend/nichtrivalisierend, wobei das Ergebnis nur von der individuellen Entscheidung eines Wählenden abhing, also völlig in dessen Kontrolle lag und keine Interdependenz bestand (wenn die Anfangs-Vp ihren Versuchsdurchgang beendet hatte, kam ihr Gegenüber an die Reihe). Statt aus Ziffern bestanden die Einträge in den Zweifelder-Matrizen aus Murmeln. In dieser Form konnte das Dilemma an Kinder herangetragen werden. Bei den vier verwendeten Matrizen kehrten in der Struktur die von MESSICK & McCLINTOCK (1968) her bekannten drei Motive «eigener Gewinn», «relativer Gewinn» und «gemeinsamer Gewinn» wieder, wobei eine der Matrizen - unter dem mcftfrivalisierenden Zug auch den Effekt eines «relativen Verlusts» zu prüfen erlaubte. Der rivalisierende Zug war als jener operationalisiert, in dem das Kind dem anderen Kind weniger Murmeln gab als sich selber. Variiert wurden das Alter der Kinder (5-6 vs. 8 - 1 0 Jahre) und ihre nationale Siedlungsgruppe (Anglo-Amerikaner vs. Mexikaner). Die Ergebnisse demonstrieren, daß ältere Kinder über die Kulturen hinweg mehr rivalisieren als jüngere, und daß für alle Gruppen die Kombination von «eigenem Gewinn» und «relativem Gewinn» zur meisten Rivalität führt. Allerdings zeigen sich die Kultureffekte nicht weniger eindeutig: anglo-amerikanische Kinder rivalisieren mehr als mexikanische, und der Unterschied nimmt mit dem Alter noch zu. Bei den amerikanischen Kindern zeigt sich außerdem bei zunehmendem Alter eine größere Rivalität der Jungen im Vergleich zu den Mädchen, eine Geschlechtsdifferenz, die bei den mexikanischen Kindern nicht auftritt. Die Rivalität der amerikanischen Jungen war am auffälligsten bei jener Matrix, wo die rivalisierende Wahl einen im Vergleich zur nichtrivalisierenden Wahl verringerten absoluten Gewinn bedeutete (vgl. das

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maximizing difference game). Umgekehrt waren die älteren mexikanischen Kinder die einzigen, unter denen sich Versuchspersonen fanden, die bei einer anderen (von der Motivstruktur her entgegengesetzten) Matrix sich unter Verzicht auf den höheren absoluten Gewinn bei der rivalisierenden Wahl für eine nichtrivalisierende Wahl und damit die Parität der Gewinne entschieden. Die Tatsache, daß die amerikanischen Jungen bei KAGAN & M A D S E N heftiger als die Mädchen rivalisieren und im College-Alter ( R A P O P O R T & CHAMMAH 1965) die Verhältnisse umgekehrt sind, deutet auf weitere, zur Adoleszenz hin anschließende Sozialisationsprozesse hin, bei denen die Rivalität der Jungen - zumindest die manifeste - wieder abgebaut bzw. von einer Kooperationsnorm überlagert wird. Das könnte man auch der Untersuchung von M C C L I N T O C K & M C N E E L (1966b) entnehmen. Sie verglichen, anhand eines maximizing difference game (Abbildung 4) das Spielverhalten von kalifornischen und flämischen männlichen Studenten und variierten dabei auch die Art der Rückmeldung (eigener kumulativer Gewinn vs. sowohl eigener kumulativer Gewinn als auch kumulativer Gewinn des Mitspielers). Die Belgier waren deutlich kompetitiver als die Amerikaner (an einer anderen amerikanischen Studentenpopulation wurde das Ergebnis wiederholt und bestätigt), und nur bei ihnen unterschied sich die doubledisplay-Gruppe von der single-display-Gruppt: die Belgier, die auch über den Gewinnstand ihres Mitspielers informiert wurden, waren die weitaus kompetitivste Gruppe von allen. Man hat den Eindruck, daß sie sich im Vergleich zu den Amerikanern naiv auf den Antagonismus des Spiels einließen. Der Eindruck erhärtet sich bei der Inspektion der Daten, die M C C L I N T O C K & M C N E E L bei der Befragung der Spieler nach dem von ihnen für den bevorstehenden Zug bevorzugten Ereignis (CC, DD, DC - eine Präferenz für das Martyrium-Ereignis CD war praktisch nichtexistent) und den sie zu dieser Präferenz veranlassenden Motiven erhoben. Wenn Spieler, die sich im Rückstand befanden, eine Präferenz für DC (kompetitiver Vorteil) äußer-

ten, so gaben die belgischen, wenn ihnen nur der eigene Gewinn zurückgemeldet wurde, zu 34 % den Grund an: «den anderen Spieler einzuholen»; wurde ihnen auch der Gewinn des anderen Spielers übermittelt, so waren es 64 % . Bei den amerikanischen Spielern waren die Verhältnisse umgekehrt, und das nahezu extrem: 1 0 0 % vs. 3 0 % . Mit anderen Worten: bei den belgischen Studenten wird die Rivalität durch den direkten Vergleich gefördert, bei den amerikanischen wird sie gehemmt; nur wenn der Vergleich sozial nicht manifest ist, sondern indirekt hergestellt werden kann, lassen amerikanische College-Studenten Motive der Rivalität (sehr) deutlich werden. VIII Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die geringere kompetitive Naivität der amerikanischen Spieler mit einem sozial reflektierteren Selbstwahrnehmungsprozeß (BEM 1967) bzw. der Herstellung einer «situierten Identität» (ALEXANDER & N I G H T 1971) in Zusammenhang steht, über den nach Maßgabe der sozialen Erwünschtheit eine kooperative Norm sich stärker im Verhalten durchsetzt. ALEXANDER & W E I L (1969) konnten tatsächlich diesen Effekt beim prisoner's dilemma-Spiel nachweisen. Sie boten ihren Probanden versteckt Verhaltensstandards an - kooperativ vs. kompetitiv - und verzeichneten die erwarteten Wirkungen. Ähnlich hatte bereits früher D E U T S C H (1960) die Wirkung verschiedener Instruktionen (eine «individualistische» vs. eine «kooperative» vs. eine «kompetitive») feststellen können. Die Versuchspersonen verhielten sich den Instruktionen - d. h. den vom Versuchsleiter vermittelten Erwartungen entsprechend, wobei die individualistisch instruierten am stärksten von der jeweiligen Matrize beeinflußt waren. ABRIC & KAHAN (1972) wirkten per Instruktion auf die Vorstellungen ein, die sich die Spieler vom Mitspieler bei Beginn des Spieles machten: im einen Fall wurde ihnen gesagt, daß sie gegen einen (menschlichen) Partner, im anderen Fall, daß sie gegen ein Maschinenprogramm spielen würden. Tat-

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Schwanenberg & Huth: Relevanz exp. Nichtnullsummenspiele

sächlich waren die Züge in beiden Fällen programmiert. Das Programm - ein zweiter Faktor - wurde in einem 2 X 2-Plan unabhängig variiert; für die Hälfte der Versuchspersonen war es adaptiv: die ersten zwei - von 100 - Züge waren bedingungslos kooperativ, die restlichen repetierten tit-for-tat den vorausgegangenen Zug der Versuchsperson. Das andere Programm war starr: die ersten beiden Züge wieder bedingungslos kooperativ, dann 6 0 % kooperative Züge, nach dem Zufall verteilt. Der Effekt der «Vorstellung» war größer als der des Programms, wenn auch der Programm-Effekt im Verlauf des Spiels an Boden gewann. Das gilt jedoch nur für jene Hälfte der Probanden, denen tatsächlich auch gesagt wurde, daß sie gegen ein Maschinenprogramm spielten. Bei der anderen Hälfte, mit der Vorstellung «menschlicher Partner», blieb der Abstand zwischen der Teilgruppe mit dem adaptiven Programm und derjenigen mit dem starren Programm über das ganze Spiel hin gleich: «Das könnte erklären, warum völlig verschiedene Kooperationsniveaus durch absolut identische Verhaltensweisen (des Mitspielers) induziert werden können» ( A B R I C & KAHAN 1972, p. 135). Es ließe sich ergänzen: das könnte auch erklären, warum variierte Verhaltensweisen des Mitspielers keine Kovariation im Verhalten der Versuchspersonen auslösen (BIXENSTINE, P O TASH & WILSON 1963). Nur massive sequentielle Veränderungen zeigen einen solchen Effekt (BIXENSTINE & WILSON 1963). Die Bedeutung, die die Vorstellung vom Partner für das eigene Verhalten hat, belegt auch der Befund von JOHNSON & E W E N S (1971), die im Anschluß an JONES & DAVIS (1965) unter anderem die Macht sowie den Personalismus (das vom wahrnehmenden Subjekt einer Stimulusperson attribuierte Bewußtsein, ihre Handlungen könnten zum Guten oder zum Bösen für das Wohlergehen des wahrnehmenden Subjekts von Bedeutung sein) variierten. Jene Versuchspersonen, die dem Partner Wissen um die Wirkungen seiner Handlungen auf ihre eigenen Spielerfolge (oder -mißerfolge) zuschrieben (PersonalismusAttribution), spielten weniger kooperativ als jene, die glaubten, er wisse nicht, was er tue.

Offenbar waren die ersteren mißtrauischer, und das Mißtrauen wurde durch die attribuierte Intentionalität des Partners geweckt: die Spieler erwarteten von ihr (vergleichsweise) nichts Gutes. Umgekehrt zeigten sich hinsichtlich des Faktors Macht (prisoner's dilemma = wechselseitige Totalkontrolle) vs. Ohnmacht (eine Matrize mit einseitiger Totalkontrolle durch den Spieler über den Partner) jene Spieler (unter der ersteren Bedingung) kooperativer, die dem Partner Macht zuschrieben. Kooperation war offensichtlich hier eine strategische Bemühung, den anderen Spieler (der hier wie bei den anderen Bedingungen in 27 von 30 Spielen D zog) zu mehr Kooperation zu bewegen. Der Schluß liegt nahe, daß bei den situativen Variablen - mit der Ausnahme der verbalen und nonverbalen Kommunikation (WICHMAN 1970) - die Rahmenbedingungen des Spiels bzw. das Situationsverständnis der Beteiligten wirksamer sind als solche, die die Revenuen (Punkte/Geld) oder die Strategie (starre/kontingente) betreffen. Der Nutzen eines Zugs ist bei solchen Spielen offenbar nicht durch die eingesetzten Geldbeträge eindeutig definiert, sondern ist in erheblichem Ausmaß eine Funktion der Situation (die ihrerseits wieder soziokulturell über die Sozialisation determiniert ist) und nicht zuletzt des Spiels als solchem. Die Spieler trachten nicht bloß danach, im Sinne der ökonomisch-mathematischen Spieltheorie den absoluten, individuellen Geldgewinn zu maximieren - egal, wie es um Gewinn oder Verlust beim anderen Spieler aussieht - , sondern ebenso danach, soziales Verhalten vom Typus der Kooperation (gemeinsamer Gewinn) oder vom Typus des Wettkampfs (differentieller Gewinn) zu realisieren. Man sollte nicht vergessen, daß das Wort «Spiel» in der Umgangssprache gerade diese beiden Bedeutungen hat - und die Umgangssprache ist die Sprache der Versuchspersonen. Selbst wenn die Spieler um Geld spielen, neigen sie dazu, das Geld - vor allem wenn es sich, wie in der Regel, um niedrige Beträge handelt, die keinen wirklichen materiellen Wert haben - symbolisch im Sinne von Wettkampfpunkten bzw. als Zertifikate für gewährte und bewiesene Kooperation

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aufzufassen. Im Experiment kommt noch eine weitere sozialpsychologische Dimension hinzu, die als «Versuchsleiter-Effekt» geläufig ist: die Spieler spielen nicht nur um des Spieles, sondern auch um des Versuchsleiters willen 1 2 . Sie trachten nicht nur danach, im Medium des Spiels soziales Verhalten vom Typus der Kooperation oder (unter Kindern und Schülern) vom Typus des Wettkampfs zu realisieren - sondern unter den Augen des Versuchsleiters zu demonstrieren. IX Für die Relevanz des Nichtnullsummenspiels scheint unter diesen Voraussetzungen nicht mehr viel übrig zu bleiben. Ist es so? Erstens erlauben die Untersuchungen zum Nichtnullsummenspiel - als Exempel - eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit der experimentellen sozialpsychologischen Forschung überhaupt. Man erkennt gute und schlechte Experimente. Auf der einen Seite liegen die theoretisch und methodisch durchdachten und entsprechend ergiebig a n g e l e g t e n E x p e r i m e n t e v o n MESSICK u n d M c CLINTOCK u n d i h r e n M i t a r b e i t e r n , auf der a n -

deren Seite solche, bei denen sich der theorielose experimentelle Pragmatismus um sich selbst im Kreise dreht. Hier gilt in aller Deutlichkeit FOPPAS ( 1 9 7 0 , p. 3 9 ) S c h l u ß f e s t s t e l l u n g :

«Die

Frage nach der Angemessenheit von Beobachtungsweisen und theoretischen Konzepten wird damit in letzter Instanz zu einer Frage nach dem empirischen Charakter der wissenschaftlichen Psychologie.» RAPOPORT nimmt als «Naturalist» (theoretisch disponierter Forscher, der sich aufs Sammeln verlegt) eine eigentümliche mittlere Sond e r s t e l l u n g ein. W i e BALDWIN ( 1 9 6 9 ) w a r n t er

vor naiv-pragmatischen experimentellen Simulationen von Situationen «aus dem Leben»; aus theoretisch-methodischen Gründen plädiert er 12

dafür, die intensive Untersuchung solcher 2 X 2 Spiele um dieser Spiele selbst willen (in their own right) zu betreiben und für den Augenblick die Frage zurückzustellen, «wie relevant dieses Wissen für ein Verständnis der Konflikte aus gemischten Motiven im wirklichen Leben sein mag. Diese Frage in Verbindung mit jedem Experiment zu erheben, mag zu nicht zu verantwortenden Schlüssen führen (wenn man übereilte Extrapolationen anstellt), oder sonst zu einer vorzeitigen Entmutigung bezüglich des Werts der experimentellen Methode (wenn man beständig die Gefahren der Extrapolation im Kopf hat). Was schlimmer ist: die Laboratoriumsmethode als Simulation realer Lebenskonflikte zu betrachten führt zu Versuchsplänen, die nicht von der inneren Logik systematischer Forschung geleitet sind» (RAPOPORT 1968, p. 469). So kommt RAPOPORT dazu, das Laboratoriumsexperiment im einfachen Kontext des 2 X 2-Spiels zunächst ausschließlich im Rahmen der Möglichkeit zu betrachten, die es für den Aufbau einer systematischen Theorie von dieser Situation bietet, und Informationen lediglich über die Wirkungen der Variation der payojjs zu sammeln. Er klammert damit sowohl das Relevanz- als auch das Nutzenproblem aus 1 3 . Erst wenn mit solchen «einfachsten Formaten» genügend Erfahrung gesammelt worden sei, könne - nach der Konstruktion der angestrebten 2 X 2-Theorie - die Relevanzfrage gestellt werden. RAPOPORTS Standpunkt ist in seiner Beschränkung nicht bloße Beschränktheit: er hatte bei diesen Formulierungen die praktisch-pragmatischen Erwartungen vor Augen, die an das Nichtnullsummenspiel hinsichtlich der Aufstellung einer allgemeinen Theorie der Konfliktlösung - gewissermaßen im Weltmaßstab - gerichtet wurden. Mit solchen überstiegenen Erwartungen praktiziert, mag das Nichtnullsummenspiel tatsächlich zur experimentellen Spielerei herabsinken.

Der Versuchsleiter wird von den Versuchspersonen auf dem semantischen Differential mit einer bemerkenswerten Valenz ausgestattet. Vgl. HUTH et al. (1974). 13 "The payoffs should be taken simply as the givens of our study and results should be related to them" (RAPOPORT 1968, p. 464). Die Crux liegt natürlich in der Herstellung dieser Beziehung - über die das Nutzenproblem wieder hereinkommt.

182

Schwanenberg & Huth: Relevanz exp. Nichtnullsummenspiele

Aber wie ist die Relevanz dieses Spiels nun wirklich zu beurteilen? Es bietet, als Experiment, bekannte methodische Vorteile: hergestellte - man braucht auf den Untersuchungsgegenstand nicht zu warten - und dabei gleichzeitig kontrollierte Situation, verhältnismäßig präzise und verläßliche Messung der unabhängigen und abhängigen Variablen, statistische Verarbeitbarkeit der Daten, größere Möglichkeit der Kausalanalyse. Als Spiel ist es zudem sprachfrei (wichtig hinsichtlich von «Sprachbarrieren» in und zwischen Kulturen) und liefert außerdem Daten über soziale Interdependenz. Und nicht zuletzt sind Spiele eine universale Form des sozialen Verhaltens ( = haben einen intrinsischen Nutzen). Schwierig bleibt die Vergleichbarkeit der Auffassung der Instruktionen und der payojjs durch die Spieler (das Nutzenproblem) sowie - unausweichlich - die theoretische Interpretation durch den Forscher. Doch erlaubt das Spiel es, sich dem Nutzenproblem bei hinreichender theoretischer Reflexion - empirisch zu nähern. Dazu gehört der Einfluß sozialer Normen, den diese auf den Nutzen der alternativen Spielzüge haben, auch in der Vermittlung über den «Versuchsleiter-Effekt». Insofern kann man methodisch auch über kulturelle (oder subkulturelle) Normen der Interaktion etwas herausfinden. Ebenso läßt sich die unaufwendige Spielsituation dazu benutzen, anderweitig aufgestellte theoretische Aussagen zu testen (JOHNSON & E W E N S 1 9 7 1 , s. o.) oder anderwärts bereits im Effekt beobachtete Variablen auch in diese Situation zu transponieren (WJCHMAN 1 9 7 0 , für die Variable der nonverbalen Kommunikation).

Dabei sind aus solcher Empirie gewonnene theoretische Einsichten allgemeineren Maßstabs bereits zu erkennen: die relativ häufigen lock-ins der Dyaden beim wechselseitig punitiven Ereignis DD - deren Fortsetzungswahrscheinlichkeit mit ihrer Länge noch zunimmt widersprechen sowohl dem utilitaristischen Axiom der klassischen Nationalökonomie als auch der Reinforcement-Theorie. Wahrscheinlich wird hier der Nutzen vom Selbstwert bestimmt. Gleichzeitig wird man aus der Psychopathologie an das Phänomen des Wiederholungszwangs erinnert, der hedonistisch nicht zu erklären ist, so daß Freud seinerzeit keine andere Wahl sah, als einen Todestrieb zu postulieren. Vielleicht liegt hier wirklich noch ein weites empirisches wie theoretisches Feld.

Konkret können Antagonismus und Konsensus in der sozialen Interaktion - und das auch im interkulturellen Vergleich, der Aufschlüsse über Sozialisationsmuster liefert - und sogar klinisch die Verhältnisse von Dominanz und Submission (beim chicken-Spiel) in ihrem natürlichen Ablauf beobachtet oder auch induziert werden, ohne daß die «Dynamik» für die Versuchsperson unerträglich wird - immerhin handelt es sich nur um ein Spiel, und das mag ein Vorteil gegenüber dem «wirklichen Leben» sein.

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Tack: 3-Personen-Spiele

184

Zwei Theoreme zur Konstruktion von 3-Personen-Spielen mit nichtleerem Kern WERNER H . TACK Fachbereich Sozial- und Umweltwissenschaften Fachrichtung Psychologie Universität des Saarlandes

Es werden notwendige und hinreichende Bedingungen für die Existenz nichtleerer und einelementiger Kerne bei 3-Personen-Spielen aufgezeigt, die durch ihre charakteristische Funktion gegeben sind. This paper contains necessary and sufficient conditions for nonempty cores and oneelement-cores of 3-person-games, which are given by their characteristic functions.

EINFÜHRUNG Untersuchungen über das Verhalten in 3-Personen-Spielen mit Seitenzahlungen und bei den zugehörigen Verhandlungen haben in der sozialpsychologischen Forschung vor allem deshalb Beachtung gefunden, weil Dreiergruppen die kleinste Gruppengröße repräsentieren, bei der Koalitionsbildungen möglich sind. Vor allem im Gefolge der Annahmen von CAPLOW (1953) sind überwiegend «einfache MajoritätsSpiele» untersucht worden, bei denen ein Einzelspieler nichts, jede beliebige Koalition aus mehr als einem Spieler jedoch alles gewinnen kann. CAPLOW (1953) hat einige Annahmen aufgestellt, die angeben, wie bei derartigen Spielen die von den beteiligten Personen vereinbarte Gewinnaufteilung von jenen Aufteilungen abweicht, die von NEUMANN & MORGENSTERN (1947) als «Lösungen» eines solchen Spieles betrachten. Spätere Untersuchungen (siehe z. B. den Überblick bei WILKE, MEERTENS & STEUR 1973) haben zu verschiedenen Modifikationen der Annahmen von CAPLOW geführt, dabei jedoch im allgemeinen bestätigt, daß das Verhalten der untersuchten Personen mit dem Lö-

sungsbegriff bei von NEUMANN & MORGENSTERN (1947) nicht vereinbar ist. Diese Befunde dürfen nicht dahingehend interpretiert werden, daß hiermit allgemein die Abweichung menschlichen Verhaltens von jeder in der Spieltheorie definierten Rationalität nachgewiesen sei. Es dürfte sinnvoll sein, zunächst einfache theoretische Annahmen über rationales Verhalten bei Gewinnaufteilungen aufzustellen und zu untersuchen. Hierzu bieten sich folgende Annahmen an: 1. Jede Spielermenge verteilt in jedem Fall den maximal möglichen Gesamtgewinn (PARETOOptimalität). 2. Jeder Spieler erhält bei der Aufteilung mindestens soviel, wie er sich auch als Einzelspieler gegen die Koalition aller übrigen Spieler sichern kann. 3. Jede mögliche Teilmenge von Spielern erhält zusammen mindestens soviel, wie sie sich sichern kann, wenn sie eine Koalition gegen alle anderen Spieler bildet. Eine Gewinnverteilung, die diesen Forderungen entspricht, bezeichnet man als Element des «Kernes» eines Spieles. Bei den geschilderten einfachen Majoritäts-

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Spielen werden die Bedingungen 1 und 2 stets trivial erfüllt. Da hier jede Koalition aus nur 2 Personen den gleichen Gewinn erzielt wie die Gesamtkoalition aus allen 3 Spielern, wird stets der maximal mögliche Gesamtgewinn aufgeteilt; da weiterhin in den geschilderten MajoritätsSpielen jeder Einzelspieler gegen alle anderen nichts sichern kann, ist Bedingung 2 nicht zu verletzen. Die dritte der genannten Forderungen kann anhand der einfachen Majoritäts-Spiele nicht untersucht werden, da hier keine Gewinnaufteilung möglich ist, die dieser Bedingung genügt. Für weitere empirische Untersuchungen ist es sinnvoll, solche Spiele zu konstruieren, bei denen Gewinnaufteilungen, die allen drei angegebenen Bedingungen genügen, realisierbar sind. Um die Konstruktion solcher Spiele zu vereinfachen, sollen notwendige und hinreichende Bedingungen für die Existenz derartiger Aufteilungen nachgewiesen werden. Weiterhin erscheint es unter Umständen wünschenswert, A b weichungen realen Verhaltens von einer Aufteilung unter den angegebenen Bedingungen einfach beschreiben zu können. Hierfür eignen sich Spiele, in denen es nur eine mögliche Aufteilung unter den gegebenen Bedingungen gibt. Zur E r leichterung der Konstruktion derartiger Spiele werden Bedingungen für die Existenz genau einer derartigen Gewinnaufteilung angegeben.

Charakteristische

Funktion, Aufteilung, Kern

Für die folgenden Überlegungen ist es ausreichend, ein Spiel durch seine «charakteristische Funktion» zu beschreiben. Diese Funktion gibt für jede mögliche Teilmenge von Spielern an, welchen Gewinn sich die Spieler einer solchen Teilmenge sichern können, wenn sie miteinander eine Koalition bilden. Ist N die Spielermenge und bezeichnen wir die möglichen Gewinne durch reelle Zahlen, dann läßt sich die charakteristische Funktion als eine Abbildung der Potenzmenge von N in die Menge der reellen Zahlen darstellen, die bestimmten zusätzlichen Bedingungen genügt. D a eine Koalition, der niemand angehört, auch nichts gewinnen kann, ist der Wert der

charakteristischen Funktion für die leere Menge gleich Null. Schließen sich 2 disjunkte Teilmengen von Spielern zu einer Koalition zusammen, so kann sich diese Koalition mindestens die Summe der Minimalgewinne einer Koalition aus der einen Teilmenge und einer Koalition aus der anderen Teilmenge sichern. Damit gilt: Df. 1: Ist N die Spielermenge eines Spieles mit Seitenzahlungen, dann ist die charakteristische Funktion eine Abbildung der Potenzmenge von N in die reellen Zahlen v: P(N) R, für die gilt: [1.1] v ( 0 ) = 0 [1.2] v ( A w B ) 2; v(A) + v(B) für alle A, B c N mit A ^ B =

0

Eine Gewinnaufteilung können wir durch einen Vektor darstellen, der für jeden Spieler i angibt, wieviel eben dieser Spieler erhält. Wir sprechen von einer «Aufteilung» (Imputation), wenn der maximal mögliche Gesamtgewinn des gegebenen Spieles vollständig aufgeteilt wird, und wenn jeder Spieler mindestens soviel erhält, wie er sich auch als Einzelspieler gegen eine Koalition aller anderen sichern kann. Df. 2: Die Spielermenge sei N = { 1 , 2, ... i, ... n } . Der Vektor e R n ist genau dann eine Aufteilung (Imputation) des durch die charakteristische Funktion v gegebenen n-Personen-Spieles, wenn gilt: [2.1] v(N) = 2 x, [2.2] v ( { i } ) £ x ; für alle i e N. Die in der Einleitung aufgestellte dritte Forderung entspricht der Definition des Kernes eines Spieles. Df. 2a: Eine Aufteilung < x p x 2 , . . . xn> gehört genau dann zum Kern eines durch v gegebenen n-Personen-Spieles, wenn zusätzlich zu [2.1] und [2.2] gilt: [2.3] v(S) ^ S X; i eS

für alle S c N . Wir werden in Zukunft statt v ( { i } ) vereinfacht v(i) und statt v ( { i , j } ) vereinfacht v(i,j) schreiben. Für die nun ausschließlich zu be-

Tack: 3-Personen-Spiele

186 trachtenden 3-Personen-Spiele vereinfachen sich die angegebenen Definitionen. Satz 1: x3 :> x, +

v(l,2) v(l,3) v(2,3) x3 = v(N)

Spiele mit nichtleerem

Kern

Theorem 1: Ein durch v gegebenes 3-Personen-Spiel besitzt genau dann einen nichtleeren Kern, wenn [4.] v(N) £ i (v(l,2) + v(l,3) + v(2,3)) Wir beweisen zunächst die Notwendigkeit der in [4.] angegebenen Forderung. Hierzu zeigen wir, daß aus der Existenz eines Kernelementes eben diese Bedingung folgt. Es sei Element des Kernes. Dann müssen für diese x; die Ungleichungen [3.2] gelten. Addiert man diese Ungleichungen, so erhält man [5.1] 2(x, + x2 + x 3 ) ^ v(l,2) + v(l,3) + v(2,3). Wegen [3.3] können wir die Summe auf der linken Seite durch v(N) ersetzen und erhalten [5.2] 2v(N) v(l,2) + v(l,3) + v(2,3). Division beider Seiten durch 2 ergibt dann die in [4.] angegebene Bedingung, die mithin notwendig für die Existenz eines nichtleeren Kernes ist. Um nachzuweisen, daß die in [4.] genannte Bedingung auch hinreichend ist, wird gezeigt, daß sich unter eben dieser Bedingung in jedem Fall ein Kernelement konstruieren läßt. Zur Konstruktion eines solchen Elementes benutzen wir die Gleichungen [6.1] X l = Min {v(l,2) - v(2), v(N) - v(2,3)} x2 = v(l,2) - Xj x 3 = v(N) - Xj - x 2 . Damit ist in jedem Fall [6.2] X l + x2 + x 3 = v(N), wodurch für jeden nach [6.1] konstruierten Vektor [3.3] erfüllt wird.

Wir betrachten nun den Fall [7.1] v ( l , 2 ) - v ( 2 ) ^ v ( N ) - v ( 2 , 3 ) . [6.1] nimmt dann die Form an [7.2] x t = v(l,2) - v(2) x2 = v(2) x 3 = v(N) - v(l,2). Wegen der für jede charakteristische Funktion geltenden Eigenschaft [1.2] ist [7.3] x, 2; v(l) x, = v(2) x3 > v(3) Damit gilt für auch die unter [3.1] angegebene Bedingung. Paarweise Addition der Gleichungen [7.2] führt auf [7.4] Xj + x, = v(l,2) X l + x 3 = v(N) - v(2) x2 + x 3 = v ( N ) - ( v ( l , 2 ) - v ( 2 ) ) Wegen der für jede charakteristische Funktion gegebenen Eigenschaft [1.2] ist [7.5] v ( N ) - v ( 2 ) ^ v(l,3). Aus der Bedingung 7.1 folgt [7.6] v ( N ) - ( v ( l , 2 ) - v ( 2 ) ) ^ v ( N ) - ( v ( N ) - v ( 2 , 3 ) ) = v(2,3). Setzt man [7.5] und [7.6] in [7.4] ein, dann erhält man [7.7] X l + x 2 = v(l,2) Xj + x 3 ¡> v(l,3) x2 + x 3 ^ v(2,3). Unter der Zusatzbedingung [7.1] stellt der nach [6.1] konstruierte Vektor mithin ein Kernelement dar. Wir müssen nun noch zeigen, daß [6.1] auch dann ein Kernelement liefert, wenn [7.1] nicht gilt. Die Negation von [7.1] lautet [8.1] v ( N ) - v ( 2 , 3 ) < v ( l , 2 ) - v ( 2 ) . [6.1] ergibt in diesem Fall [8.2] X l = v(N) - v(2,3) x2 = v ( l , 2 ) - ( v ( N ) - v ( 2 , 3 ) ) x3 = v ( N ) - v ( l , 2 ) . Wegen [1.2] ist nun [8.3] v(N) - v(2,3) v(l) v(N)-v(l,2)^v(3). Aus [8.1] folgt [8.4] v(l,2)-(v(N)-v(2,3))>v( 1,2)—v( 1,2)-v(2)) = v(2). Setzt man [8.3] und [8.4] in [8.2] ein, dann erhält man

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Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5 , 1 8 4 - 1 8 8

[8.5]

Xl

;> V(l)

x 2 > v(2) x 3 ^ v(3). Damit liefert [6.1] auch in den Fällen, in denen die Nebenbedingung [7.1] nicht gilt, einen Vektor, der nicht nur [3.3], sondern auch [3.1] genügt. Es bleibt noch zu zeigen, daß dieser Vektor auch [3.2] erfüllt. Hierzu addieren wir die unter [8.2] angegebenen Gleichungen paar weise und erhalten [8.6] X l + x 2 = v(l,2) X l + x3 = 2 v ( N ) - v ( l , 2 ) - v ( 2 , 3 ) x 2 + x 3 = v(2,3). Nun ist aber wegen [4.] [8.7] 2 v(N) - v(l,2) - v(2,3) ¡>v(l,2) + v(l,3) + v(2,3)-v(l,2)-v(2,3) = = v(l,3). Setzt man [8.7] in [8.6] ein, dann ergibt sich [8.8] x t + x 2 = v(l,2) Xj + x 3 ^ v(l,3) x 2 + x 3 = v(2,3). Damit ist auch unter der Zusatzbedingung [8.1] die Bedingung [3.2] erfüllt. Aus der in Theorem 1 genannten Bedingung [4.] folgt also in jedem Fall die Existenz mindestens eines Kernelementes. [4.] ist mithin nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend für die Existenz eines nichtleeren Kernes. Spiele

mit einelementigem

Kern

Theorem 2: Notwendig und hinreichend für die Existenz eines einelementigen Kernes ist [9-] v(N) = i (v(l,2) + v(l,3) + v(2,3)). Wir bringen [3.2] in die Form [10.1] X l + x 2 + ax = v(l,2) X l + x 3 + a 2 = v(l,3) x 2 + x 3 + a 3 = v(2,3) mit a{ > 0. Ist eines dieser a ; echt größer Null, dann können wir den Betrag eben dieses a; einem der beiden zugeordneten x zuschlagen und erhalten so ein x', das zu einem zweiten Kernelement gehört. Bei diesem Vorgehen erhöht sich ein x^ für den neuen Vektor sind damit die Forderungen [3.1] und [3.2] erfüllt. Es ist also für die Existenz eines einelementigen Kernes notwen-

dig, daß alle a; gleich Null sind. Wir erhalten damit [10.2] X l + x 2 = v(l,2) x

i + X 2 +

x

s = X 3=

v

(l>3) ( > )"

V 2 3

Addition dieser Gleichungen und Substitution nach [3.3] führt auf die in Theorem 2 angegebene Bedingung [9.], die mithin für die Existenz eines einelementigen Kernes notwendig ist. Daß [9.] auch hinreichend ist, kann man zeigen, indem man zunächst das Kernelement konstruiert. Wir bilden dazu [10.3]

= i (v(l,2) + v(l,3) - v(2,3)) x 2 = i ( v ( l , 2 ) - v ( l , 3 ) + v(2,3))

Xl

x

3 = l (-v(l,2) + v(l,3) + v(2,3)).

Paarweise Addition dieser Gleichungen führt auf [10.2], Damit erfüllt der nach [10.3] konstruierte Vektor die Bedingung [3.2], Addition aller Gleichungen unter [10.3] und Substitution nach [9.] führt direkt auf [3.3], das mithin auch erfüllt ist. Wegen [9.] und der für jede charakteristische Funktion geltenden Eigenschaft [1.2] gilt weiterhin [10.4] | ( v ( l , 2 ) + v ( l , 3 ) - v ( 2 , 3 ) ) = v(N)-v(2,3)^v(l) i ( v ( l , 2 ) - v ( l , 3 ) + v(2,3)) = v(N)-v(l,3)^v(2) ! ( - v ( l , 2 ) - v ( l , 3 ) + v(2,3)) = v(N)-v(l,2)kv(3). Setzt man diese Ungleichungen in [10.3] ein, so erhält man [10.5] X l ^ v(l) x, v(2) x 3 ^ v(3). Damit wurde gezeigt, daß der nach [10.3] konstruierte Vektor in der Tat ein Kernelement ist. Wir haben bereits gezeigt, daß aus [9.] für jedes Kernelement unter dieser Bedingung [10.2] folgt. Würde ein zweites Kernelement existieren, dann müßte auch hierfür [10.2] entsprechend gelten. Es ergäbe sich dann [10.6] Xj + x 2 = yx + y2 x x + x s = Yi + y 3 x 2 + x s = y2 + y3

188

Tack: 3-Personen-Spiele

Indem man je zwei dieser Gleichungen voneinander subtrahiert und dann die jeweils dritte addiert, erhält man [10.7] X l = y t x

2 = y2 3~~ y 3 Damit ist gezeigt, daß [9.] für die Existenz eines einelementigen Kernes nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend ist. x

Konstruktion einer charakteristischen mit einelementigem Kern

Funktion

Um eine charakteristische Funktion mit einelementigem Kern zu konstruieren, legt man zunächst beliebig Werte für v(l), v(2) und v(3) fest. Man wählt weiterhin 3 Werte a15 a 2 und a:t, die sämtlich positiv sind, und berechnet [11.1] v(l,2) = v(l) + v(2) + a, v(l,3) = v(l) + v(3) + a 2 v(2,3) = v(2) + v(3) + a 3 [11.2] v(N) = v(l) + v(2) + v(3) + i ( a i + a2 + a3) Addition der Gleichungen unter [11.1] ergibt genau das Doppelte von dem in [11.2] für v(N) festgelegten Wert. Mithin wird die in Theorem 2 genannte Forderung durch diese Art der Konstruktion erfüllt. Wegen der Positivität der a; folgt aus [11.1] direkt

[11.3] v(l,2) :> v(l) + v(2) v(l,3) :> v(l) + v(3) v(2,3) :> v(2) + v(3) Damit die angegebene Konstruktion wirklich auf eine charakteristische Funktion führt, muß weiterhin v(N) - v(i,j) - v(k) stets größer als Null sein. Die angegebenen Ausdrücke nehmen die Form an [11.4] i ( - 3 l + a 2 + a 3 ) h ( a i - a 2 + a3) h ( a i + a 2 ~~ a 3) Um deren Positivität zu sichern, sind bei der Konstruktion die a ; so zu wählen, daß gilt [11.5] a j + a 2 = a s a! + a 3 ^ a 2 a2 + a3 ^ Damit sind die Regeln zur Konstruktion einer charakteristischen Funktion mit einelementigem Kern gegeben. LITERATUR CAPLOW, T. (1953). A theory of coalitions in triads. A m . soc. R e v . 21, 4 8 9 ^ 9 3 . VON NEUMANN, J . & MORGENSTERN, O . (1947). T h e o r y

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Hj|H 1

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5,189-200

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Kognitives Gleichgewicht und Cliquenbildung Eine Kritik und Modifikation der Balance-Theorie HENRIK BECKER

WOLFGANG KÖRNER

Universität Hamburg

Ausgehend von einer Theorie aus der Sozialpsychologie, die James A. DAVIS (1966) in seiner Arbeit «Structural Balance, Mechanical Solidarity and Interpersonal Relations» entwickelt hat, wollen wir prüfen, inwieweit sich diese Theorie dazu eignet, soziologische Tatbestände zu erklären. Die Intention eines solchen Vorgehens geht auf George C. HOMANS (1972) zurück, der behauptet, daß es zurzeit keine allgemeinen soziologischen Hypothesen gibt, die nicht aus psychologischen Hypothesen abgeleitet werden können. Dieser Gedanke wurde von H . J. HUMMELL & K.-D. O P P (1971), O P P & HUMMELL (1973) präzisiert, deren Definition von Soziologie und Psychologie unserer Arbeit zugrundeliegt Um aus der Theorie von DAVIS logisch stringente Ableitungen gewinnen zu können, die Falsifikatoren der Theorie darstellen, wollen wir die DAVis-Theorie in axiomatischer Form explizieren. Wir berücksichtigen dabei einige Modifikationen, die in einem zweisemestrigen Seminar über kognitive Gleichgewichtstheorien erarbeitet wurden 2 . Wir werden dann unter Benutzung eines Computers ihre Anwendbarkeit auf soziologische Fragestellungen am Beispiel einer Hypothese über die Cliquenbildung untersuchen. Dabei wird sich zeigen, daß die DAVis-Theorie falsche Ergebnisse liefert, die wir durch eine Modifikation des formalen Apparats berichtigen werden. Proceeding from a theory of social psychology evolved by James A. DAVIS (1966) in his essay "Structural Balance, Mechanical Solidarity and Interpersonal Relations" we want to examine how far his theory is suitable to explain social factual findings. The intention of such an advance traces back to G. C. HOMANS (1970). He maintains that at present there are no general social hypotheses which cannot be derived out of psychological hypotheses. This idea has been made more precise by H . J. HUMMELL & K . - D . O P P (1971), O P P & HUMMELL (1973). We take their definition of sociology and psychology as basic for our work. In order to get logical stringent derivations out of the DA vis-theory, which represent counter-instances of the theory, we want to explicite the DAvis-theory in an axiomatic model. Besides that we take into consideration some modifications which have been worked out in a two-term course about cognitive balance-theories. Then we try to examine, by making use of the computer, their applicability on social questions at the example of a hypothesis about the clique-formation. Yet you will see, that the DAvis-theory supplies wrong results, which we want to correct by a modification of the formal apparatus.

1

Um Aussagen als soziologisch oder psychologisch zu klassifizieren, verwenden die Autoren drei Unterscheidungsmerkmale: (a) Art der Subjekte (b) Art der Prädikate (c) Art der verwendeten Begriffe Soziologische Aussagen beinhalten als Subjekte menschliche Kollektive (Gruppen, soziale Systeme), als Prädikate Merkmale, die Soziologen üblicherweise (Konvention über den Sprachgebrauch) menschlichen Kollektiven zuschreiben und Begriffe, die Kollektiven oder Merkmalen von diesen zugeordnet sind. Psychologische Aussagen beinhalten als Subjekte Individuen, als Prädikate Merkmale, die Psychologen üblicherweise Individuen zuschreiben, und Begriffe, die Individuen oder Merkmalen von diesen zugeordnet sind. Es sei noch bemerkt, daß wir die Reduktionismusthese als bestätigt voraussetzen. 2 K.-D. OPP, Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Hamburg, Proseminar: Anwendung kognitiver Gleichgewichtstheorien in der Soziologie I, Die Balance-Theorie, Wintersemester 1972.

Becker & Körner: Balance-Theorie und Cliquenbildung

190 DIE THEORIE

VON

JAMES

A.DAVIS

Die kognitiven Theorien gehen von der gleichen Grundannahme aus. KIESLER, COLLIKS & M I L LER (1969) formulieren sie als das Streben jeden Individuums nach Konsistenz, da das Vorhandensein von Inkonsistenzen in den Relationen, die zwischen perzipierten anderen Individuen und Objekten bestehen, psychologische Spannung hervorbringt, die reduziert werden muß. Dies kann z. B. geschehen durch Re-Arrangement der psychologischen Welt, um Konsistenz zu erreichen. Die verschiedenen Autoren belegen diese Konsistenz mit unterschiedlichen Begriffen. So definiert FESTINGER ( 1 9 5 7 ) Inkonsistenzen in den Kognitionen einer Person als Dissonanz, wobei er unter einer Kognition jede Art von Kenntnis, Meinung oder Glauben einer Person über ihre Umgebung, über sich selbst oder über ihr Verhalten versteht, und postuliert, daß die Existenz von Dissonanz, die psychologisch unangenehm ist, Personen motiviert, den Versuch zu machen, die Dissonanz zu senken und Konsonanz zu erreichen. ROSENBERG & A B E L S O N ( 1 9 5 8 ,

1960),

FEA-

und H E I D E R ( 1 9 4 6 ) bezeichnen die Konsistenz mit Balance. O S G O O D & T A N N E N BAUM ( 1 9 5 5 ) prägen dafür den Begriff Kongruität. In allen Arbeiten steckt aber das gleiche Grundprinzip, das von H E I D E R zuerst formuliert wurde. O P P & H U M M E L L ( 1 9 7 3 ) konstatieren, daß die Balance-Theorie die generellste der kognitiven Theorien ist und sich alle anderen in diese integrieren lassen. H E I D E R S Balance-Theorie beschreibt die phänomenologische Welt einer Person, bestehend aus: (a) der Person P, die diese Welt perzipiert; einer anderen Person O und einem Objekt X; (b) zwei Typen von Relationen, die zwischen jedem Paar der obigen drei Entitäten existieren können: die Liking-Relation und die Unit-Relation. H E I D E R sagt, daß das Konzept von ausgeglichenen Zuständen eine Situation darstellt, in der die perzipierten Einheiten und wahrgenommenen Gefühle ohne Streßsymptome koexistieren. Der Gleichgewichtszustand ist ein stabiler ZuTHER ( 1 9 6 7 )

stand. Demgegenüber stellt der Ungleichgewichtszustand eine unstabile Konfiguration dar, die psychologische Spannung bei der Person P hervorruft, und die erst dann aufhört, wenn eine Änderung der bestehenden Situation so stattgefunden hat, daß ein Gleichgewichtszustand erreicht wurde. Die so von H E I D E R verbal formulierten Hypothesen sind von CARTWRIGHT & H A R A R Y ( 1 9 5 6 ) mit Hilfe der Graphentheorie ( W A G N E R 1 9 7 0 ) , die der deutsche Mathematiker K Ö N I G ( 1 9 3 6 ) entwickelt hat, formalisiert worden. Eine weitere Formalisierung hat SUKALE ( 1 9 7 1 ) gegeben, die uns aber für unser Vorhaben ungeeignet erscheint. D A V I S ( 1 9 6 6 ) greift den Ansatz von CARTWRIGHT & H A R A R Y auf und faßt den formalen Apparat seiner Theorie in acht Definitionen zusammen. Der mathematische

Kalkül der

Graphentheorie

Im Unterschied zu D A V I S haben wir bei den Definitionen 2, 3, 4 und 5 eine präzise Formulierung gewählt. Ferner haben wir zwei Bemerkungen eingefügt und Def. 7 , in der D A V I S «Gleichgewicht» bzw. «Ungleichgewicht» von Kreisen definiert, ersetzt durch die Definition der Länge eines Kreises, die wir später zur Klassifikation der Kreise benötigen. Kreisen «Gleichgewicht» oder «Ungleichgewicht» zuzuschreiben, halten wir für unerheblich, da D A V I S diese Begriffe in seiner Arbeit nicht weiter verwendet. Wir werden mit H E I D E R «Gleichgewicht» und «Ungleichgewicht» zur Charakterisierung der kognitiven Struktur einer Person verwenden (vgl. p. 1 9 2 ) . Def. 1: Ein linearer Graph, oder kurz ein Graph, besteht aus einer endlichen Anzahl von Punkten A, B, C, ... zusammen mit allen ungeordneten Paaren von verschiedenen Punkten. Jedes dieser Paare wird Linie genannt. Bemerkung 1: Aus Def. 1 ergibt sich, daß nur ungerichtete Graphen betrachtet werden. Bemerkung 2: Linien können sich unterscheiden im Vorzeichen (plus oder minus) und im numerischen Wert. Es werden also bewertete Graphen betrachtet.

191

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5,189-200

Dej. 2: Werden zwei Punkte durch n Linien verbunden, so faßt man die Menge der bestehenden Linien zu einer Linie vom Typ n zusammen. Dej. 3: Der Nettowert einer Linie vom Typ n ist die Summe der Werte der einzelnen Linien. Dej. 4: Ein Pfad ist eine Zusammenstellung von k-Linien (k > 1), die k + 1 verschiedene Punkte verbindet, der Endpunkt der (k - l)-ten Linie muß identisch sein mit dem Anfangspunkt der k-ten Linie. Dej. 5: Pfade, deren Anfangs- und Endpunkt identisch sind, heißen Kreise. Dej. 6: Der Wert eines Kreises ist das Produkt der Nettowerte seiner Linien. Dej. 7: Die Länge eines Kreises (oder Pfades) ist die Anzahl seiner Linien; ein n-Kreis ist ein Kreis der Länge n. Dej. 8: Der Nettowert eines Graphen im Punkt P ist die Summe der Werte derjenigen Kreise, in denen P Punkt ist.

Kreise des G r a p h e n d u r c h den P u n k t A

W e r t des Kreises

ABCA ACDA ABCDA

-2 3 -1,5

Summe = Nettowert des Graphen im Punkt A

Beispiel: An dem folgenden Graphen wollen wir einige Definitionen veranschaulichen: B

3

Zu Dej. 2 und Dej. 3: Die Punkte C und D werden durch n = 2 Linien verbunden; das Paar CD bildet damit eine Linie vom Typ 2. Ihr Nettowert ist: 1 + 0,5 = 1,5. Alle anderen Linien dieses Graphen sind vom Typ 1. Zu Dej. 4: Die Linien AB und BC bilden den Pfad ABC, der aus k = 2 Linien besteht und k + 1 = 3 Punkte verbindet. Zu Dej. 5, Dej. 6 und Dej. 7: Der Pfad ABCA ist ein Kreis. Sein Wert ist 1 • ( - 1) • 2 = - 2. Er besteht aus drei Linien und ist damit ein Kreis der Länge n = 3. Zu Dej. 8: Der Nettowert des Graphen im Punkt A berechnet sich wie folgt:

Die Interpretation Tatbestände 3

-0,5

des Kalküls durch

empirische

Dej. 9: Den Punkten eines Graphen werden Personen oder Gegenstände (soziale Objekte) zugeordnet: (a) P ist das Individuum, dessen Verhalten durch die Theorie vorhergesagt werden soll. (b) O ist ein zusätzliches Individuum. (c) X ist ein Wert oder soziales Objekt, manchmal ein drittes Individuum. Dej. 10: Den Linien eines Graphen werden zwei Arten von sozialen Relationen zugeordnet:

Ein Kalkül stellt eine formale Sprache ohne direkten Bezug zur Realität dar. Der Bezug zur Realität wird hier hergestellt, indem eine eindeutige Zuordnung zwischen Begriffen des uninterpretierten Kalküls und den Begriffen der verbal formulierten sozialpsychologischen Theorie vorgenommen wird. Die Interpretation des Kalküls stellt eine Formalisierung der Theorie dar, die es ermöglicht, daß aus der Menge der vorhandenen Axiome und Definitionen leicht Ableitungen (Theoreme) gewonnen werden können. Hierzu auch: Hans J. HUMMELL (1972a).

192

Becker & Körner: Balance-Theorie und Cliquenbildung

(a) Liking und Disliking Dies bezieht sich auf die Einschätzung, die eine Person in bezug auf irgend etwas vornimmt, z. B. Gefühle wie Schätzen, Lieben, Bewundern, Hassen und Verachten. (b) Unit Formation Die stellt eine Relation der Zusammengehörigkeit dar, die z. B. durch Ähnlichkeit, Kausalität oder Besitzrecht charakterisiert werden kann. Def. 11: Liking hat einen positiven Wert. Sein Gegenteil Disliking hat einen negativen Wert. Gleichgültigkeit hat den Wert Null. Def. 12: Unit Formation hat einen positiven Wert Sein Gegenteil, die Trennungsbeziehung (segregation relationship) hat einen negativen Wert 4 . Bemerkung 3: Relationen mit positiver Bewertung werden durch durchgezogene Linien dargestellt, Relationen mit negativer Bewertung durch gebrochene Linien. Bemerkung 4: Jedem Graphen läßt sich in eindeutiger Weise (Isomorphismus) die assoziierte Matrix zuordnen. Die assoziierte Matrix eines linearen Graphen ist symmetrisch. Beispiel: Graph G A

assoziierte Matrix M

-1

\ 0,5

y

\

/ \ /

/

0,8

B A B C

A

B

C

0 -1 0,5

-1 0 0,8

0,5 0,8 0

C

Existiert zwischen zwei Punkten des Graphen G eine Linie, so trägt man an der entsprechenden Stelle der Matrix M die Bewertung der Linie ein (DOLLASE 1973). Die

Axiome

der

DAVIS-Theorie

Die eingeführten Graphen stellen Modelle zur Simulation der kognitiven Struktur einer Person P dar. HEIDER charakterisiert die kognitiven 4

Strukturen durch zwei Zustände: Gleichgewicht (balance) und Ungleichgewicht (imbalance). Wir definieren diese beiden Begriffe in der Sprache des Kalküls (siehe Def. 8) folgendermaßen: Def. 13: Hat der Nettowert des Graphen im Punkt P seinen logisch größtmöglichen Wert erreicht, so befindet sich die kognitive Struktur der Person P im Gleichgewicht. Def. 14: Hat der Nettowert des Graphen im Punkt P seinen logisch größtmöglichen Wert nicht erreicht, so befindet sich die kognitive Struktur der Person P im Ungleichgewicht. Es besteht, behauptet HEIDER, die Tendenz, daß eine Person P ihre kognitive Struktur in Richtung eines Gleichgewichtszustandes verändert (HEIDER 1946; MAYNTZ 1967). Diese grundlegende Hypothese nahmen eine Reihe von Autoren als Ausgangspunkt für empirische Untersuchungen. So zum Beispiel JORDAN (1953), der als Ergebnis die Bestätigung dafür erhält, daß Personen gleichgewichtige Situationen angenehmer empfinden als ungleichgewichtige. HOROWITZ, LYONS & PERLMUTTER (1951) versuchten den Gleichgewichtsbegriff durch sukzessive Analyse von dreielementigen Systemen auf Systeme mit vier Elementen auszudehnen, wobei sie feststellen konnten, daß auch Systeme mit vier Elementen zum Gleichgewicht tendieren. Schließlich haben auch TAGIURI & PETRULLO (1958) die empirische Evidenz für die Annahme der Tendenz zum Gleichgewicht hervorgehoben. HEIDER behauptet weiterhin, daß Ungleichgewicht Spannung hervorruft. Diese Hypothese wurde von BURDICK & BURNES (1958) unter Verwendung eines physiologischen Maßes (GSR) getestet, mit dem Resultat, daß ihre Ergebnisse HEIDERS Vermutung stützen. Mit den in Def. 13 und Def. 14 eingeführten Begriffen können die Hypothesen der BalanceTheorie folgendermaßen als axiomatisches System 5 dargestellt werden:

Die Tatsache, daß es sich bei den Postulaten II und III von DAVIS um definitorische Zuordnungen handelt, rechtfertigt ihre Darstellung als Def. 11 und Def. 12. 5 Eine Theorie besteht normalerweise aus einer Menge von Sätzen, in der man zwei Teilmengen zu unterscheiden hat: (a) empirische Aussagen und (b) Definitionen. Die empirischen Aussagen sind auf ihre logischen Abhängigkeiten hin zu untersuchen, z. B. ob sie durch Ableitung auseinander hervorgehen. Wenn sich dabei her-

193

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5,189-200

AXIOM 1: Hat der Nettowert eines Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt t x seinen logisch größtmöglichen Wert nicht erreicht, so tritt bei der Person P mit einer Wahrscheinlichkeit von p > 0,5 ein Spannungszustand auf, der wiederum mit einer Wahrscheinlichkeit von p > 0,5 zu einer Reorganisation der kognitiven Struktur bzw. zu Aktivitäten der Person P führt, die auf eine Verminderung der Spannung zielen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von p > 0,5 ergibt sich dann zum Zeitpunkt t 2 ein höherer Nettowert im Punkt P. Bemerkung 5: Veränderungen der kognitiven Struktur bedeuten Änderungen in den Bewertungen der Linien des zugehörigen Graphen. AXIOM 2: Je niedriger der Nettowert zum Zeitpunkt tx ist, d. h. je größer der Grad von Ungleichgewicht, desto größer ist die Intensität des Spannungszustandes bei der Person P und desto größer ist damit die Wahrscheinlichkeit, daß die Reorganisation der kognitiven Struktur bzw. die Aktivitäten der Person P einen höheren Nettowert zum Zeitpunkt t_, zur Folge h a b e n 6 .

zustandes nötigen Aufwand möglichst gering hält. Eine ähnliche Annahme machen ROSENBERG & ABELSON (1960), um die Art der Veränderung vorhersagen zu können. Das führt zu: AXIOM 4: Sind mehrere Möglichkeiten der Veränderung gegeben, so tritt die Änderung ein, bei der sich am wenigsten Linien ändern. Wir haben, im Unterschied zu DAVIS, der die Balance-Theorie mit deterministischen WennDann-Aussagen formuliert hat, probabilistische Wenn-Dann-Aussagen verwendet (ABELL 1968), die den Vorteil haben, daß sie den realen sozialen Prozeß besser beschreiben. Als Nachteil ergibt sich, daß man nicht ohne weiteres Ableitungen vornehmen darf, wie dies bei deterministischen Aussagen möglich ist (HUMMELL 1972a). Zur empirischen Prüfbarkeit muß bemerkt werden, daß die Daten Ratioskalenniveau haben müssen, da bei der Berechnung des Nettowertes Multiplikationen durchgeführt werden. Auf die sich daraus ergebenden Probleme soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. DIE

U m den Informationsgehalt zu erhöhen, wird die von DAVIS konzipierte Theorie um zwei Axiome erweitert. Die unterschiedliche numerischer Bewertung der Linien eines Graphen ist Ausdruck der Existenz unterschiedlicher Intensität der Relationen, die zwischen den sozialen Objekten vorliegen. Beziehungen von großer Intensität sind relativ stabil im Gegensatz zu Beziehungen von niedriger Intensität. Das führt zu: AXIOM 3: Linien mit extremer Bewertung ändern sich mit niedrigerer Wahrscheinlichkeit als Linien mit einer Bewertung nahe Null. Es scheint weiterhin plausibel, daß eine Person den zum Erreichen des Gleichgewichts-

ANWENDUNG

DER DAVIS-THEORIE AUF

GRÖSSERE

SYSTEME

Die Sozialpsychologie stützt ihre Aussagen auf die Analyse von 2-Personen- oder 3-PersonenSystemen. Wenn Soziologen sozialpsychologische Theorien dazu verwenden wollen, soziologische Aussagen daraus abzuleiten, dann müssen sie zusätzliche Angaben darüber machen, wie sie die dyadischen Beziehungen der Sozialpsychologie erweitern, d. h. sie müssen durch Kompositionsregeln, dieser Begriff stammt von BERGMANN (1957), angeben, wie aus den sozialpsychologischen Hypothesen über 2-PersonenSysteme solche über 3-Personen-Systeme und schließlich soziologische Hypothesen über nPersonen-Systeme gefolgert werden können.

ausstellt, daß aus einigen wenigen Sätzen, die logisch voneinander unabhängig und widerspruchslos sein müssen, Axiome genannt, die anderen Aussagen, Theoreme genannt, ableitbar sind, dann stellt eine so aufgebaute Theorie ein axiomatisches System dar (Genaueres siehe bei OPP 1970, 1972). 6 Axiom 1 und Axiom 2 stellen eine Verdeutlichung und präzise Formulierung des Postulats I bei D A V I S dar.

194 Dieses Versäumnis von JAMES A. DAVIS wollen wir versuchen nachzuholen ( H U M M E L L & O P P 1971). Darstellung und Kritik des methodischen Vorgehens von JAMES A . DAVIS erhebt den Anspruch, mit seiner sozialpsychologischen Theorie soziologische Tatbestände erklären zu können. Seine Theorie liefert nur Aussagen über die Veränderung der kognitiven Struktur der Person P, die Mitglied einer Gruppe ist, wobei diese kognitive Struktur die Struktur dieser Gruppe widerspiegelt, so wie die Person P sie perzipiert. Um soziologische Aussagen machen zu können (z. B. Veränderung der Gruppenstruktur), geht DAVIS von zwei impliziten Annahmen aus: (a) Mitglieder der gleichen Gruppe zeigen in spezifischen sozialen Situationen gleiches Verhalten. (b) Mitglieder der gleichen Gruppe perzipieren soziale Situationen in der gleichen Weise (assumption of congruent perception) (ABELL 1970). Unter den Voraussetzungen (a) und (b) ist es möglich, die subjektive Ebene der Perzeption einer Person zu verlassen. Die Inkonsistenzen, die in der kognitiven Struktur jedes einzelnen Gruppenmitglieds auftreten, stellen in ihrer Gesamtheit ein getreues Abbild der Inkonsistenzen der Grappenstruktur dar. Mit dem Versuch jedes einzelnen Individuums, den Gleichgewichtszustand zu erreichen, werden die Inkonsistenzen in der Struktur der Gruppe reduziert. Unser theoretischer Ansatz kann also weder den rein kognitiven noch den rein strukturellen Gleichgewichtstheorien zugeordnet werden. Vielmehr vermittelt er zwischen beiden Modellen. DAVIS

Den formalen Apparat seiner Theorie wendet DAVIS nur auf Systeme mit maximal vier Elementen an. Ausgehend von den Ergebnissen, die er bei der Analyse der 4-elementigen Systeme erhält, macht er Aussagen über n-Personen-Systeme (mit beliebig großem n), ohne sie durch den Einsatz des formalen Apparats zu fundieren. Unserer Ansicht nach ist es unbedingt er-

Becker & Körner: Balance-Theorie und Cliquenbildung

forderlich, den formalen Apparat der Theorie bei der Analyse n-elementiger Systeme einzusetzen. Ob das ohne Einschränkungen möglich ist, wollen wir im folgenden untersuchen. Eine Hypothese von JAMES S. und ihre Verallgemeinerung

COLEMAN

Um zu prüfen, ob die DAVis-Theorie auf n-elementige Systeme direkt anwendbar ist, benötigen wir eine oder mehrere verallgemeinerungsfähige Ableitungen. Die folgende Hypothese von James S . C O L E MAN (1957) erscheint uns brauchbar. Unter Verwendung der Begriffe der DAVis-Theorie lautet sie: Wenn zwischen zwei Personen eine L-Beziehung vorliegt, sie unterschiedlicher Meinung sind bezüglich zweier sozialer Objekte und die Voraussetzungen (a) und (b) erfüllt sind, dann folgt mit einer Wahrscheinlichkeit von p > 0,5 Disliking zwischen den beiden Personen. Voraussetzungen: (a) Die Liking-Beziehungen zu den sozialen Objekten sind intensiver als die Liking-Beziehungen zwischen den Personen. (b) Die sozialen Objekte stellen wechselseitig starke Gegensätze dar. Beispiel: -l

Graph zum Zeitpunkt tj Nettowert des Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt t, = - 0,4

-1

Graph zum Zeitpunkt t 2 Nettowert des Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt t 2 = 4,4

Die Verallgemeinerung der Hypothese nach n Personen und m sozialen Objekten sieht folgendermaßen aus: Wenn zwischen n Personen L-Beziehungen vorliegen und sie bezüglich m sozialer Objekte in ihrer Meinung differieren, dann bleibt mit einer Wahrscheinlichkeit von p > 0,5 zwischen Personen gleicher Meinung die L-

195

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5,189-200

Beziehung bestehen und zwischen Personen unterschiedlicher Meinung erfolgt mit einer Wahrscheinlichkeit von p > 0,5 Disliking. (Voraussetzung wie oben) Mit Hilfe der unten angegebenen Definitionen 15 und 16 läßt sich aus der verallgemeinerten Hypothese von COLEMAN folgende soziologische Hypothese ableiten: Wenn eine Gruppe vorliegt und die Mitglieder der Gruppe bezüglich m sozialer Objekte in ihrer Meinung differieren, dann zerfällt die Gruppe mit einer Wahrscheinlichkeit von p >- 0,5 in m Cliquen. (Voraussetzungen wie oben) Def. 15: Eine Gruppe ist eine Menge von n Personen, zwischen denen positive Liking-Beziehungen bestehen 7 . Def. 16: Eine Teilmenge von Gruppenmitgliedern, deren Durchschnitt im Liking untereinander größer ist als ihr Durchschnitt im Liking den anderen Mitgliedern gegenüber, ist eine Clique 8 .

Auf die Angabe der Bewertungen der Linien wird hier wegen der Übersichtlichkeit verzichtet. Man kann sie der assoziierten Matrix auf p. 196 entnehmen. Unter Berücksichtigung der Axiome 3 und 4 wird sich die kognitive Struktur der Person P zum Zeitpunkt t 2 in folgender Weise geändert haben: Graph zum Zeitpunkt t2

Als konkretes Beispiel dient folgender Graph:

Graph zum Z e i t p u n k t t.

Um die Nettowerte der Graphen im Punkt P zu berechnen, ist die Berechnung der Werte sämtlicher Kreise erforderlich, in denen P Punkt ist. Die Anzahl A n der Kreise errechnet sich nach folgender Formel: 9 A» = i 2 i=

3

(n-1) ! (n-i) !

Für n = 10, wie in unserem Beispiel, erhält man: A

10 9! lo = i y 2 Í = 3 (10—i) !

= 493 200

Die Berechnung der Nettowerte der Graphen ist angesichts der enormen Anzahl von Kreisen

7

6 0

Def. 15 zusammen mit den Annahmen (a) und (b) (vgl. p. 194) unterscheidet sich von der Definition der Gruppe, wie sie R. K. MERTON (1967) gibt, nur unwesentlich. Def. 16 ist wörtlich übernommen von James A. DAVIS (1966, p. 86, Def. 17). Die Anzahl A " der i-elementigen Kreise eines vollständigen n-elementigen Graphen errechnet sich aus der Formel für die Anzahl der Variationen ohne Wiederholung von m-Elementen zur k-ten Klasse:

Becker & Körner: Balance-Theorie und Cliquenbildung

196 ohne Einsatz eines Computers nicht zu bewältigen! Die Berechnung der Nettowerte A Igol-Programms

mit Hilfe

eines

Das von uns erstellte Programm I 1 0 berechnet die Nettowerte zweier Graphen von zehn Elementen im Punkt P. Die Kreise der Graphen werden simuliert durch Permutieren der Indexpositionen der assoziierten Matrizen. Dazu ist die Übertragung der Graphen in Matrizen erforderlich.

D a die Erzeugung der Permutationen sehr viel Rechenzeit in Anspruch nimmt, sind uns bei der Wahl der Größe des Systems Grenzen gesetzt. Nach 8 5 0 , 4 7 2 sec Rechenzeit, d. h. nach knapp 15 min, lieferte das Programm I folgende Ergebnisse: Nettowert des Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt tj = 164 555

Nettowert des Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt t 2 = - 407 053

Matrix A des Graphen zum Zeitpunkt t t :

p 0., 0, 04 05 06 Xi x2 x3

p

0i

02

03

04

05

o„

0 1 1 1 1 1 1 2 -2 -2

1

1 1 0 1 1 1 1 2 -2 -2

1 1 1 0 1 1 1 -2 2 -2

1 1 1 1 0 1 1 -2 2 -2

1 1 1 1 1 0 1 -2 -2 2

1 1 1 1 1 1 0 -2 -2 2

1 1 1 1 1 2 -2 -2

X2

x3

2 2 2 -2 -2 -2 -2 0 -2 -2

-2 -2 -2 2 2 -2 -2 -2 0 -2

-2 -2 -2 -2 -2 2 2 -2 -2 0

o6

x,

x2

x3

_\

_1

-1 -1 -1 -1 0 1 -2 -2 2

-1 - 1 -1 -1 1 0 -2 -2 2

2 2 2 -2 -2 -2 -2 0 -2 -2

-2 -2 -2 2 2 -2 -2 -2 0 -2

-2 -2 -2 -2 -2 2 2 -2 -2 0

Matrix B des Graphen zum Zeitpunkt t ä :

P 0, 0., o3 04 05 0» X, X, x3

p

0,

02

o3

04

0 1 1 - 1 -1 -1 - 1 2 -2 -2

1

1 1 0 -1 -1 -1 -1 2 -2 -2

-1 -1 -1 0 1 -1 -1 -2 2 -2

-1 -1 -1 1 0 -1 -1 -2 2 -2

1 -1 -1 -1 -1 2 -2 -2

v mk = Demnach ist:

A• =

05

(m-i)! (n-1)! 2(n-i)!

Denn (a) lassen wir das erste Element P jeder Variation fest, also m = n-1 und k = i-1. (b) werden die Kreise nur einmal durchlaufen. Die inverse Variation wird nicht berücksichtigt; darum der Faktor Die Anzahl A° sämtlicher Kreise eines vollständigen n-elementigen Graphen durch den Punkt P ist demnach die folgende Summe: (n 1)! 2 i = 3 2(n-i)! 10 Die von den Autoren entwickelten Algol-Programme können von Interessenten angefordert werden.

A" =

2

:3

A" =

197

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5 , 1 8 9 - 2 0 0

Die Ergebnisse stehen in genauem Gegensatz zu den Werten, die man nach der DAvis-Theorie erwarten müßte. Die bei der Analyse n-elementiger tretenden Schwierigkeiten

Systeme

(1) Nach Def. 6 berechnet sich der Wert eines Kreises durch Multiplikation der Nettowerte seiner Linien. Durch die größere Anzahl von Multiplikationen bei der Berechnung der Werte der großen Kreise erfolgt praktisch eine «Potenzierung», die die Werte der großen Kreise unangemessen hoch werden läßt. Die kleinen Kreise tragen demgegenüber, bedingt durch ihre niedrigen Werte, kaum zum Ergebnis bei. (2) Je größer die Länge der Kreise (Def. 7) ist, desto größer ist ihre Anzahl. Der Unterschied tritt sehr kraß in Erscheinung:

3 4 5 6 7 8 9 10

Anzahl der Kreise

1 7 30 90 181 181

O,

2

02

2

Oj

auf-

Wir sehen, daß ohne eine Modifikation die Anwendung der DAVis-Theorie auf n-elementige Strukturen nicht möglich ist. Bei größeren Systemen treten Schwierigkeiten folgender Art auf, die DAVIS bei seiner Beschränkung auf kleine Systeme nicht zu berücksichtigen brauchte:

Länge der Kreise

Beispiel:

36 252 512 560 240 720 440 440

Wiederum sind es die kleinen Kreise, die, bedingt durch ihre äußerst geringe Anzahl, das Ergebnis so gut wie gar nicht beeinflussen. Demgegenüber wäre es zu vermuten, daß es gerade die kleinen Kreise sind, die in der Perzeption der Person P ein großes Gewicht erhalten, da sie P direkter tangieren.

G r a p h z u m Z e i t p u n k t ti

O,

Graph zum Zeitpunkt t2

Eine Änderung der Bewertung der Linie 0 3 0, verändert den Nettowert des Kreises P0 1 0 2 0 3 0 4 0 5 P, in dem P zu 0 3 und 0 4 nur eine mittelbare Beziehung hat, entscheidend: Nettowert der Linie 0 3 0 4 = + 2 Wert des Kreises P O j O ^ O ^ P = 64 Nettowert der Linie 0 3 0 4 = - 2 Wert des Kreises P0 1 0 2 0 3 0 4 0 5 P = - 64 Dagegen fällt eine Änderung der Bewertung der Linie 0 3 0 4 für den Wert des Kreises P0 3 0 4 P, in dem P zu 0 3 und 0 4 eine unmittelbare Beziehung hat, wenig ins Gewicht: Nettowert der Linie 0 3 0 4 = -[- 2 - > Wert des Kreises P0 3 0 4 P = 8 Nettowert der Linie 0 3 0 4 = - 2 - + Wert der Kreises P0 3 0 4 P = - 8 Um feststellen zu können, welchen Anteil die verschiedenen Kreise ihrer Länge nach zu Klassen geordnet am Nettowert des Graphen haben, folgt eine Aufstellung der Nettowerte bezüglich der einzelnen Kreisklassen (Berechnung der Nettowerte durch Programm II). Wir sehen, daß die Nettowerte des Graphen, gebildet aus 3-, 4- oder 5-elementigen Kreisen, die DAVis-Theorie stützen, während die Nettowerte des Graphen gebildet aus n-elementigen Kreisen mit n > 5 der DAVis-Theorie widersprechen.

198

Becker & Körner: Balance-Theorie und Cliquenbildung

Kreisklasse

Anzahl der Kreise

3 4 5 6 7 8 9 10

36 252 1 512 7 560 30 240 90 720 181 440 181 440

Die Modifikation

der

Nettowert des Graphen z. Z. ti

Nettowert des Graphen z. Z. t 2

31 72 -412 -1800 -536 22 944 71 296 72 960

55 312 548 - 3 880 - 38 040 - 125 280 - 153 984 - 86 784

Dwis-Theorie

Um die genannten Mängel zu eliminieren, schlagen wir folgende Modifikation der DAVis-Theorie vor: DAVIS' Vorschrift zur Berechnung des Nettowertes (vgl. Def. 8, p. 191) eines n-elementigen Graphen im Punkt P - N G £ (NG als Abkürzung für Nettowert des Graphen; Index n als Verdeutlichung, daß es sich um einen n-elementigen Graphen handelt; Index P als Hinweis, daß der Nettowert des Graphen im Punkt P berechnet wird) - läßt sich durch folgende Formel ausdrücken: NGp

= 2 NKj, i= 3

wobei NKS = Summe der Werte der i-elementigen Kreise durch den Punkt P. Wir schlagen vor, zur Berechnung des Nettowertes eines n-elementigen Graphen im Punkt P NG £ folgende Formel zu verwenden: NGp

= 2 NK i; i = 3

wobei NKj = f(Aj>, B L ) • NK ; , d. h. wir führen eine Gewichtungsfunktion f ein, die von zwei Variablen abhängig ist: (a) von der Anzahl A1} der i-elementigen Kreise eines n-elementigen Graphen: (b) von der Bewertung B L der Linien, also von dem Bereich, aus dem die Werte der Linien stammen. Diese Gewichtungsfunktion soll den oben erwähnten Mängeln entgegenwirken. Eine solche Funktion f, abhängig von zwei Variablen, die den gewünschten Effekt erzielt, wäre von kom-

plizierter mathematischer Struktur. Um eine für die Praxis verwendbare Funktion zu konstruieren, wollen wir die Variable B L in der Funktion f unberücksichtigt lassen, dafür aber den Bewertungsbereich der Linien festlegen auf das abgeschlossene Intervall [ - 1 , + 1], Wir erreichen dadurch außerdem noch eine gewisse Verminderung des Einflusses der großen Kreise: ist die Bewertung ihrer Linien betragsmäßig kleiner als 1, so ergibt die bei großen Kreisen häufiger durchzuführende Multiplikation kleine Werte. Nach der Auswertung der Ergebnisse von Programm II erscheint uns folgende Funktion f brauchbar: f(A?) = Damit ergibt sich für die Berechnung des Nettowertes eines n-elementigen Graphen im Punkt P folgende Formel: NG 2r = i

i= 3

-A j k • NK ; i

Prüfung der modifizierten DAVIS-Theorie bezüglich ihrer Anwendbarkeit auf größere Systeme Wir werden im folgenden versuchen, das negative Ergebnis aus p. 196 zu revidieren, d. h. die Hypothese über die Cliquenbildung mit Hilfe der modifizierten DAVis-Theorie zu erklären. Die Anwendung der nicht modifizierten DAVis-Theorie (vgl. p. 196) hatte ein Ergebnis, das die Hypothese über die Cliquenbildung in ihr Gegenteil verkehrt. Inwieweit die Modifikation die Hypothese stützt, werden wir nun aufzeigen. Die Modifikation verlangt, daß die Werte der Linien aus dem Bereich [ - 1, + 1] gewählt werden. Die assoziierten Matrizen haben dann folgende Gestalt:

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5,189-200

199

Matrix A des Graphen zum Zeitpunkt t1

p Ol 02 03

04 0ä

06 xt x2 x3

p

0!

02

o3

O4

05

o8

X!

x2

X3

0 0,6 0,6 0,6 0,6 0,6 0,6

0,6 0 0,6 0,6 0,6 0,6 0,6

0,6 0,6 0 0,6 0,6 0,6 0,6

0,6 0,6 0,6 0 0,6 0,6 0,6

0,6 0,6 0,6 0,6 0 0,6 0,6

0,6 0,6 0,6 0,6 0,6 0 0,6

0,6 0,6 0,6 0,6 0,6 0,6 0

1 1 1

_1 -1 - 1 1 1

_1 -1 -1 -1 -1

1 -1 - 1

1 - 1 -1

1 -1 -1

-1 1 -1

-1 1 -1

-1 -1 1

-1 -1 1

-1 -1 -1 -1

0

-1 -1

-1 -1

-1 0

1 1

-1

-1

-1

0

Xi

x2

X3

1 1 1 -1 -1 -1 -1

_1 -1 - 1 1

_1

Matrix B des Graphen zum Zeitpunkt t,:

p 0, 0* 03 04 05 06 x, x2 x3

P

o,

02

o3

O4

05

o„

0 0,6 0,6 -0,6 -0,6 -0,6 -0,6

0,6 0 0,6 -0,6 -0,6 -0,6 -0,6

0,6 0,6 0 -0,6 -0,6 -0,6 -0,6

-0,6 -0,6 -0,6 0 0,6 -0,6 -0,6

-0,6 -0,6 -0,6 0.6 0 -0,6 -0,6

-0,6 -0,6 -0,6 -0,6 -0,6 0 0,6

-0,6 -0,6 -0,6 -0,6 -0,6 0,6 0

1 -1 - 1

1 -1 -1

1 -1 -1

-1

1

-1

-1 1 -1

Wir berechnen (Programm III): a) die Nettowerte der Graphen «vor der Gewichtung», d. h. wir berücksichtigen nur eine Fehlerquelle (den Bereich der Bewertungen), und erhalten: Nettowert des Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt tx vor der Gewichtung = 493,981 Nettowert des Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt t 2 vor der Gewichtung = - 2137,772 Das Ergebnis zeigt, daß es allein nicht genügt, den Bewertungsbereich einzuschränken. (b) die Nettowerte der Graphen «nach der Gewichtung», d. h. wir berücksichtigen auch die zweite Fehlerquelle (die unterschiedliche Anzahl der Kreise in den einzelnen Kreisklassen), und erhalten: Nettowert des Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt t j nach der Gewichtung = 0,177 Nettowert des Graphen im Punkt P zum Zeitpunkt t 2 nach der Gewichtung = 0,321

-1 -1 1

-1 -1 1

0

-1 -1

1 -1 -1 -1 0

-1

-1 -1 - 1 -1 1 1 - 1 _1 0

Die Ergebnisse entsprechen unseren Erwartungen. Die modifizierte Fassung der DAVis-Theorie vermag also tatsächlich die Hypothese über die Cliquenbildung zu erklären. WEITERE ANWENDUNGSMÖGLICHKEITEN DER KOGNITIVEN T H E O R I E N In diesem Abschnitt wollen wir nur exemplarisch darauf hinweisen, daß sich die Anwendung der kognitiven Theorien auf vielen Gebieten der Soziologie als fruchtbar erweist. ZIMMERMANN (1973) betont, daß für die Erklärung von Statusinkonsistenz-Phänomenen die Theorien des kognitiven Gleichgewichts von größter Bedeutung sind. Wir können im Rahmen der modifizierten DAVis-Theorie Statusinkonsistenz folgendermaßen definieren: Def.: Wenn eine Person P eine bestimmte soziale Merkmalskombination besitzt, die im Gegensatz zu der von einer Person O erwarteten steht (Voraussetzung: P und O haben das in ihrer Gruppe etablierte Wertsystem in

200

Becker & Körner: Balance-Theorie und Cliquenbildung

h o h e m G r a d e a k z e p t i e r t ) , d a n n ist e i n e P e r son P statusinkonsistent. Man

kann eine s o definierte Situation

als

einen Fall v o n Ungleichgewicht auffassen, da d i e U b e r s e t z u n g in e i n e n G r a p h e n m i t e n t s p r e chend bewerteten Linien einen niedrigen Nettow e r t i m P u n k t P z u m Z e i t p u n k t t, z u r F o l g e hat. M i t H i l f e d e s v o n u n s auf p. 1 9 3 d a r g e s t e l l t e n axiomatischen Systems kann m a n A u s s a g e n ableiten, w i e Statusinkonsistenz

von

Individuen

abgebaut werden kann. Auch theorie

die H y p o t h e s e n (MERTON

1957)

der

Bezugsgruppen-

lassen

sich

auf

der

G r u n d l a g e der kognitiven T h e o r i e n diskutieren. Weitere A n w e n d u n g s m ö g l i c h k e i t e n finden sich i m A u f s a t z v o n DAVIS, i n d e m e r d i e H y p o t h e sen der T h e o r i e der «cross pressures» und der T h e o r i e der r e l a t i v e n B e n a c h t e i l i g u n g auf

der

G r u n d l a g e der B a l a n c e - T h e o r i e erörtert. A u ß e r d e m w e n d e t er s e i n e T h e o r i e z u r E r k l ä r u n g d e r V e r b r e i t u n g v o n I n n o v a t i o n e n in G r u p p e n an.

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201

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 201-218

Waffen als aggressionsbahnende Hinweisreize: Eine kritische Betrachtung experimenteller Ergebnisse HANS DIETER SCHMIDT

AMELIE SCHMIDT-MUMMENDEY

Universität Bielefeld

Universität Münster

Die Theorie von BERKOWITZ, die die allgemein aggressionsbahnende Funktion aggressiver Hinweisreize postuliert, wird kritisiert, indem die Experimente zur aggressionsbahnenden Wirkung von Waffen näher analysiert werden. Das Experiment von BERKOWITZ & LEPAGE, eine Reihe von Replikationen einschließlich eigener Experimente werden vor allem unter Gesichtspunkten der internen und externen Validität diskutiert. Es wird der Schluß gezogen, daß der Nachweis einer aggressionsbahnenden Wirkung von Waffen im Sinne der «cue-elicited aggression» bislang im Experiment nicht gelungen ist. Gelegentlich aufgetretene Wirkungen aggressiver Hinweisreize werden nach dem Paradigma des operanten Konditionierens interpretiert. BERKOWITZ' theory of cue-elicited aggression is criticized by analyzing experiments on cue-elicited effects of weapons on aggressive behavior. The original experiment by BERKOWITZ & LEPAGE as well as its replications and own experiments are discussed with respect to internal and external validity. It is concluded that experimental evidence of a cueelicited effect of weapons on aggressive behavior is still lacking. Occasionally observed increases in aggressive behavior after presentation of aggressive cues are interpreted according to the operant conditioning paradigm.

PROBLEMSTELLUNG Bei der Verfolgung des Ziels, aggressive soziale Interaktionen zu reduzieren, stößt man unter anderem auf folgende Frage: Inwieweit erhöhen Reizkonstellationen, die gemäß bestimmten theoretischen Positionen aggressives Verhalten bahnen sollen, die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens tatsächlich? In dieser Arbeit sollen daher sowohl bisherige Experimente als auch eigene Replikationen zu dieser Annahme berichtet und - vor allem unter den Gesichtspunkten ihrer internen und externen Validität - diskutiert werden. Eine konkrete Verhaltensweise (wie z. B. diejenige, jemanden zu schädigen) kann allgemein als durch Wechselwirkungen zwischen im Individuum widergespiegelten Umweltbedingungen und stärker überdauernden, «dispositionellen»

Reaktionstendenzen determiniert angesehen werden (wobei letztere wiederum als Ergebnis vorangegangener derartiger Wechselwirkungen zu verstehen sind). Damit wird die Relevanz äußerer, z. B. visuell wahrnehmbarer Umweltgegebenheiten für die Entstehung konkreten, «offenen» Verhaltens deutlich. Aus der Fülle äußerer Reizkonfigurationen eignen sich zur Verhaltensvorhersage vor allem solche Reize, die als Signale für konkrete Verhaltensweisen in dem Sinne dienen, daß a) Erwartungen über die Angemessenheit eines bestimmten Verhaltens in der betreffenden Situation gebildet werden, oder b)ein bestimmtes Verhalten in dieser Situation unmittelbar ausgelöst wird. Sie werden als Hinweisreize (cues) bezeichnet. So kann z. B. in einer Straßenverkehrssituation das plötzliche Auftauchen eines schnittigen,

202

Schmidt & Schmidt-Mummendey: Aggressionsbahnende Hinweisreize

mit Zusatzscheinwerfern bestückten Kühlergrills im Rückspiegel eines Verkehrsteilnehmers dazu führen, daß die Bereitschaft, aggressiv zu reagieren, erhöht wird; der erwähnte Kühlergrill hat somit die Eigenschaft eines aggressiven Hinweisreizes. Ebenso kann die gleiche Reizkonfiguration, ergänzt durch Blaulicht oder ähnliche Hinweise auf Polizei oder Krankentransport, «cue» für nicht-aggressives, kooperatives Verhalten sein. Ob und für welches Verhalten ein bestimmter Reiz Signalcharakter hat, stellt sich als Ergebnis vorangegangener, gelernter Bedeutungs-Verknüpfungen dar. Im Rahmen seiner revidierten FrustrationsAggressionstheorie hat BERKOWITZ (1965) die Rolle aggressiver Hinweisreize beim Zustandekommen offen aggressiven Verhaltens betont und in einer Serie von Laborexperimenten ihre aggressionsbahnende Funktion aufgewiesen. BERKOWITZ sieht aufgrund der Ergebnisse seiner Experimente die aggressionsfördernde Funktion aggressiver Hinweisreize als ausreichend nachgewiesen an. Er leitet daraus die Empfehlung ab, daß es für eine erfolgreiche Verringerung aggressiver Verhaltensweisen in einer Gesellschaft darauf ankomme, die hervorstechenden Reize dieser Art, z. B. Schußwaffen (zumindest aus dem Blickfeld) verschwinden zu lassen. Daraus ergibt sich eine Vielzahl von möglichen praktischen Konsequenzen. Betrachtet man einmal allein das Beispiel «Waffen», so könnten sich z. B. Argumente für die öffentliche Diskussion um folgende Forderungen ergeben: - Verringerung von Waffen-Darstellungen in Massenmedien; - Verringerung der Möglichkeit, Waffen im Alltagsleben wahrzunehmen (Polizei usw.); - Einengung der Möglichkeiten des Waffenerwerbs; - Verringerung der Waffenproduktion. Die praktische Wichtigkeit des BERKOWITZschen Ansatzes und der daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen erfordern u. E. eine nähere Untersuchung des tragenden Zwischengliedes zwischen Theorie und Anwendung: der Experi-

mente zur Bahnung aggressiven durch aggressive Hinweisreize. EXPERIMENTE ZUR AGGRESSIVEN DURCH

Verhaltens

BAHNUNG

VERHALTENS

AGGRESSIVE

HINWEISREIZE

(WAFFEN)

Die Möglichkeit der Förderung aggressiven Verhaltens durch aggressive Hinweisreize wurde erstmals f ü r W a f f e n von BERKOWITZ & LEPAGE

(1967) im Experiment aufgewiesen. Das Ergebnis wird in der Literatur auch als «WaffenEffekt» bezeichnet. In einer Reihe nachfolgender Laborexperimente wurde dieses Experiment durch eine Reihe von Autorengruppen und von verschiedenen theoretischen Positionen her teils exakt repliziert und teils von mehr oder weniger kritischen Standpunkten aus unter Variation verschiedener Versuchsbedingungen wiederholt. Aufbau und Ergebnisse dieser Experimente sollen im folgenden kurz dargestellt werden. 1) Das Experiment und LEPAGE

von BERKOWITZ

(1967)

Die Autoren schreiben Schußwaffen als aggressiven Hinweisreizen dann eine aggressionsbahnende Funktion zu, wenn Personen, erregt durch Ärger oder Frustration, schon eine grundsätzliche Bereitschaft zu aggressivem Verhalten aufweisen. Die Hälfte der studentischen Vpn (männliche Psychologieanfänger, die «freiwillig» teilnahmen, «um dadurch f ü r ihre Abschlußprüfung notwendige Punkte zu sammeln») wurde durch eine ausgesprochen schlechte Bewertung ihrer eigenen Leistung (durch Elektro-Schocks) dazu gebracht, sich über eine andere Vp (die mit dem Versuchsleiter verbündet war) zu ärgern; die anderen Vpn wurden freundlich behandelt. Im Anschluß daran konnten die Vpn die Leistung der anderen Vp durch die Vergabe einer unterschiedlichen Anzahl von Elektroschocks «bewerten». Bei zwei Dritteln der Vpn befand sich im Versuchsraum in der Nähe der Schocktaste ein Gewehr

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1974, 5, 2 0 1 - 2 1 8

und ein Revolver; der Hälfte dieser Vpn wurde erklärt, diese Waffen seien von dem Partner bzw. Gegenspieler zurückgelassen worden. Bei dem restlichen Drittel der Vpn befanden sich keine Gegenstände in der Nähe der Schocktaste. Auf diese Weise entstand ein 2 X 3-Design (15 Vpn pro Zelle) mit den Faktoren «Ärger» (Ärger/kein Ärger) und «Waffen» (Waffen/mit dem Gegenspieler verknüpfte Waffen/keine Waffen). Bei einer siebenten (Kontroll-)Gruppe geärgerter Vpn lagen Federballschläger und -bälle in der Nähe der Schocktaste, um den Einfluß irgendwelcher (auch nicht-aggressiver) Hinweisreize zu untersuchen. Es zeigte sich eine signifikante Wechselwirkung der Faktoren «Ärger» und «Waffen»: Geärgerte Vpn gaben ihrem Gegenspieler dann mehr Elektroschocks, wenn sich Waffen im Raum befanden. Dabei war es belanglos, ob die Waffen mit dem Gegenspieler assoziiert waren oder nicht, auch ergaben sich keine Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Bedingung «keine Waffen». 2) Replikationen

mit leichten

Variationen

KELM & R O S E ( 1 9 6 9 ) verwendeten statt Schußwaffen Messer mit hypothetisch abgestuft aggressivem Charakter und variierten sowohl das Geschlecht der Vpn als auch den durch negative Fremdbeurteilungen erzeugten «Streß». Das so entstandene 2 X 2 X 4-Design (4 Personen pro Zelle) enthielt die Faktoren «Streß» (Streß/kein Streß), «Geschlecht» und «Waffen» (Springmesser/Tranchiermesser/Tafelmesser/Kein Messer). Gemessen wurde das Ausmaß, in welchem Vpn sich selbst und andere Vpn aufgrund des ersten Eindrucks auf Beurteilungsskalen negativ bewerteten. Diese Beurteilungen geschahen in Kabinen, in welchen unter den entsprechenden Bedingungen ein Messer ausgelegt war. Als Ergebnis zeigte sich außer einem signifikanten «Streß»-Effekt nur eine interpretierbare 2 X 2 X 4-Wechselwirkung: Nur in Gegenwart des «nicht-aggressiven» Tafelmessers beschrieben sich frustrierte männliche Vpn als feindseliger und bewerteten ihre Nachbarn negativer. Nach Ansicht der Autoren läßt FISCHER,

203 sich das Ausbleiben des Waffen-Effekts wie folgt deuten: Bei Frustration und starken aggressiven Hinweisreizen werden zwar aggressive Tendenzen erhöht, doch wird offen aggressives Verhalten durch Schuld- oder Angstgefühle unterdrückt («some mechanism is operating to suppress the overt expression of this hostile feeling», p. 759). «Beinahe signifikante» Erhöhungen von «Angst» und «Depression» bei der frustrierten Männergruppe und der Anwesenheit des Springmessers werden zur Stützung dieser Interpretation herangezogen. FRACZEK & MACAULAY (1971) berücksichtigten bei einer ziemlich exakten Replikation des Originalexperiments von BERKOWITZ & L E P A G E den Grad der emotionalen Erregbarkeit der Vpn durch aggressive Hinweisreize. In einem eigens konstruierten Wort-Assoziationsversuch wurden neben neutralen Wörtern Namen von Waffen wie «Gewehr» oder «Rasiermesser» dargeboten und die darauf erfolgten Assoziationen von Beurteilern nach dem Grad der «Emotionalität» eingestuft. In einem 2 X 2-Design (10 Vpn pro Zelle) wurden die Faktoren «Waffen» (Waffen/Keine Waffen) und «Emotionalität» (hoch/niedrig) kontrolliert. Versuchsanordnung und Versuchspersonen entsprachen denjenigen des ursprünglichen Experiments. Es ergab sich eine signifikante Wechselwirkung zwischen den Hauptfaktoren. Eine Analyse dieser Wechselwirkung bestätigte den «Waffen-Effekt» nur bei den Personen mit geringer Ansprechbarkeit gegenüber den aggressiven Reizwörtern. Das Vorhandensein aggressiver Hinweisreize führte bei «hoch-emotionalen» Vpn eher zu einer Umkehrung des «Waffen-Effekts». Die Autoren vermuten, daß sich bei diesen Personen vermehrt Angst gegen aggressive Tendenzen ins Spiel setzt. Buss, BOOKER & Buss (1972) führten zunächst vier verschiedene Versuche aus, bei denen die Vpn der Experimentalgruppen Schußwaffen abfeuern durften, ehe ihr aggressives Verhalten an einer «Aggressionsmaschine» nach Buss (1961) gemessen wurde. In diesen Versuchen wurde auch die bisherige Erfahrung mit Schußwaffen auf seiten der Vpn kontrolliert. Da

204

Schmidt & Schmidt-Mummendey: Aggressionsbahnende Hinweisreize

sich im wesentlichen keinerlei Unterschiede zwischen Experimental- und Kontrollgruppen ergaben, bezweifelten die Autoren die Replizierbarkeit des Experiments von BERKOWITZ & LEPAGE, bei dem die bloße Gegenwart von Waffen zu vermehrt aggressivem Verhalten mit einer Schocktaste geführt hatte. In einer ersten, ziemlich exakten Replikation (2 X 2-Design; 15 Vpn pro Zelle) ergab sich eine signifikante Umkehrung des Waffen-Effekts: In Gegenwart von Waffen nahm die Zahl der vergebenen Elektroschoks ab. Daraufhin verringerten die Autoren in einer zweiten Replikation die Stärke der den Vpn zur Erzeugung von Ärger anfänglich erteilten Schocks, da sie vermuteten, die zu schmerzhaften Schocks (die denjenigen bei BERKOWITZ & LEPAGE genau entsprochen hatten) könnten zu einer allgemeinen Dämpfung aggressiven Verhaltens geführt haben. Nach dieser Änderung der Versuchsanordnung fanden sich überhaupt keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Versuchsgruppen mehr.

pen von je 17 Vpn befanden sich jeweils Schußwaffen, Federballschläger oder keine Gegenstände im Versuchsraum. Es zeigte sich ein «Waffen-Effekt» für die abhängige Variable «Schockstärke»; gegen den standardisiert spielenden, unsichtbaren Gegenspieler wurden unter der Bedingung «Waffen» die intensivsten Elektroschocks verteilt. Für die abhängige Variable «Schockdauer» ergab sich dagegen kein «Waffen-Effekt». Mit Ausnahme von «Autoritarismus» zeigte sich kein Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und Persönlichkeitsvariablen innerhalb der Versuchsgruppen. Da das Schockstärke-Maß in diesem Experiment als im Sinne instrumenteil aggressiven Verhaltens eher interpretierbar angesehen wurde (HAGNER 1973) zogen wir den Schluß, daß sich ein «Waffen-Effekt» auch bei nicht frustrierten bzw. durch Ärger erregten Personen und in Situationen zeigt, in denen es darauf ankommt, mit aggressivem Verhalten als Instrument Erfolge zu erzielen.

(1974)1

SCHMIDT-MUMMENDEY & SCHMIDT modifizierten in einem weiteren, unveröffentlichten Experiment 2 die Beschaffenheit der aggressiven Hinweisreize, indem sie einen (im Vergleich zum vorher verwendeten Kellerraum etwas freundlicheren) Versuchsraum mit Waffen-Abbildungen ausstatteten: Im Blickfeld der Vp waren Waffenprospekte ausgelegt, und an den Wänden hingen Abbildungen verschiedener Arten von Schußwaffen; das Türschild des Versuchsraumes enthielt den Vermerk «Waffenlabor». Zu Beginn dieses Experiments wurden im Unterschied zum vorher berichteten alle Vpn (Hauptschüler im Alter von 14-16 Jahren) durch abwertende Bemerkungen, Zeitdruck und Mitteilen angeblich schlechter Leistungen in Fragebogen- und Denksport-Verfahren durch einen Versuchsleiter «frustriert». In einem 2 X 2-Design (20 Vpn pro Zelle) wurden die Faktoren «Aggressive Hinweisreize» (WaffenAbbildungen/Keine Abbildungen) und das Ge-

SCHMIDT-MUMMENDEY &

SCHMIDT

replizierten das Experiment von BERKOWITZ & LEPAGE mit folgenden Abwandlungen: a) Auf vorherige Frustration bzw. Induzierung von Ärger wurde verzichtet, b)die im Versuchsraum deponierten Waffen wurden nicht mit dem Gegenspieler verknüpft, c) aggressives Verhalten wurde mit der Versuchsanordnung nach SCHMIDT-MUMMENDEY (1972) gemessen. d) statt Psychologiestudenten wurden 14—16jährige gewerbliche Lehrlinge untersucht, e) fünf Persönlichkeitsmerkmale (u. a. Autoritarismus und Intelligenz) wurden durch Parallelisierung kontrolliert. In einem Wettspiel ähnlich demjenigen von DEUTSCH & KRAUSS ( 1 9 6 2 ) hatte sich die Vp gegen einen sich ihr entgegenstellenden Mitspieler durch verschieden intensive und dauerhafte Elektroschocks durchzusetzen. Bei drei Grup1

2

Mitarbeiter bei diesen Versuchen: Dipl. Psych. Dorith Deckner, Astrid Krameyer, Christian Nentwig, Jürgen Schultz. Mitarbeiter bei diesen Versuchen: Dipl. Psych. Manfred Bornewasser, Dorith Deckner, Christian Nentwig.

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1974, 5, 2 0 1 - 2 1 8

schlecht der Vpn kontrolliert. Gemessen wurde das aggressive Verhalten an der «Aggressionsmaschine» in gleicher Weise wie beim vorher berichteten Experiment. Es zeigte sich weder ein «Waffen-Effekt» noch ein Einfluß des Geschlechts der Vpn. Dieses Ergebnis könnte u. a. darauf hinweisen, daß Abbildungen von Waffen einen geringeren Hinweisreiz-Wert besitzen als tatsächlich vorhandene und sichtbare Schußwaffen. 3) VerfahrensReplikationen

und

theoriekritische

wies auf die Vernachlässigung relevanter Kontextbedingungen bei der Untersuchung der Wirkung von Waffen als aggressiven Hinweisreizen hin. In einer Replikation des Experiments von BERKOWITZ & L E P A G E wurde daher zusätzlich zur «Waffen»-Bedingung der situative Kontext variiert: Sowohl Waffen als auch neutrale Gegenstände wurden unter «relevanten situativen» Bedingungen dargeboten, die neutralen Gegenstände zusätzlich noch unter normalen Laborbedingungen. Als (aggressions-) relevante situative Bedingung wurde ein «Civil Riots Planning Room» angesehen, in dem verschiedenste Hinweise auf Gewalt und Aufruhr zu sehen waren. Da sich keine Unterschiede im Ausmaß aggressiven Verhaltens in Gegenwart von aggressiven oder neutralen Hinweisreizen ergaben, sofern beide in den gleichen aggressiven Kontext gestellt sind, bezweifelt der Autor, daß aggressives Verhalten von aggressiven Hinweisreizen ausgelöst werden kann. Entscheidend sei vielmehr die Umgebung, in die solche isolierten Reize eingebettet seien.

KOPPEL ( 1 9 7 0 )

PAGE & SCHEIDT ( 1 9 7 1 ) nahmen insgesamt drei Replikationen des Experiments von BERKOWITZ & L E P A G E vor. Die Autoren vermuteten von Anfang an, daß der «Waffen-Effekt» durch das Zusammenspiel von Erwartungen der Vpn und deren kooperativem Verhalten in Richtung ihrer Hypothesen zustande komme. Informationen über die impliziten Hypothesen und das hypothesenkonforme Verhalten der Vpn wollten die Autoren durch postexperimentelle Befragungen gewinnen.

205

In Experiment I wurde bei 62 PsychologieStudienanfängern in einem 2 X 2-Design die Wirkung der Faktoren «Waffen» (mit dem Gegenspieler verknüpfte Waffen/keine Waffen) und «Ärger» (Vp erhält 7 Schocks/Vp erhält 1 Schock) untersucht. Während sich ein signifikanter «Ärger»-Effekt zeigte, ergab sich keinerlei «Waffen-Effekt». In der intensiven Nachbefragung wurden Informationen über möglichen Verdacht gegenüber dem (eingeweihten) Gegenspieler und andere mögliche Hypothesen über Ziel und Zweck des Experiments und einzelner seiner Bedingungen eingeholt. Dabei zeigte sich, daß nur eine einzige Vp der «Waffen»-Bedingung die Funktion der Waffen im Experiment durchschaute; sie verhielt sich kooperativ im Sinne der Hypothese von BERKOWITZ & L E P A G E . PAGE & SCHEIDT vermuten daher, daß der «Waffen-Effekt» bei fehlendem Einblick in die Ziele des Experimentators (Demand Awareness) überhaupt nicht auftritt. In Experiment II wurde daher mit 34 Psychologiestudenten gearbeitet, die zuvor Filme über Experimente diskutiert hatten, in denen die Täuschung von Vpn (Deception) eine Rolle spielte. Sie wurden ausschließlich unter der «Ärger»Bedingung untersucht, d. h. sie hatten von ihrem Gegenspieler jeweils 7 Schocks erhalten. Diese Vpn teilten in Gegenwart von Waffen signifikant weniger Schocks aus als bei Abwesenheit solcher Hinweisreize. Bei der Nachbefragung gab die Hälfte der Vpn an, sich des Zweckes der deponierten Waffen bewußt gewesen zu sein. Fast alle mißtrauten dem Gegenspieler. Feindseligkeit wurde eher gegen den Versuchsleiter als den Gegenspieler geäußert. Die Autoren vermuten, daß nicht-naive und zusätzlich mißtrauische Vpn wissen, was man von ihnen erwartet und in Gegenwart von Waffen versuchen, sich gerade entgegen der Hypothese zu verhalten. In Experiment III sollte nun das Mißtrauen gegenüber Täuschung im Experiment abgebaut werden, um die Einsicht in die vermutet negative Bewertung des gezeigten Verhaltens durch den Experimentator (Evaluation Apprehension) nicht zu fördern. Gleichzeitig sollte die Möglich-

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Schmidt & Schmidt-Mummendey: Aggressionsbahnende Hinweisreize

keit, den Zweck der Waffen zu erkennen (Demand Awareness) erhalten bleiben, damit (nach PAGE & SCHEIDT) die Vpn eine möglichst kooperative Rolle spielen sollten: Die Anwesenheit der Waffen wurde daher in diesem Versuch etwas glaubwürdiger begründet. Von den 65 untersuchten Psychologiestudenten hatte die Hälfte bereits an Experimenten mit Vpn-Täuschungen teilgenommen, die Hälfte dagegen nicht. In einem 2 X 2-Design mit ungleichen Zellhäufigkeiten (11, 12, 20, 22) wurde die Wirkung der Faktoren «Aggressive Hinweisreize» (Waffen/keine Waffen) und «Sophistication» (naive Vpn/sophisticate Vpn) geprüft. Es ergab sich eine signifikante Wechselwirkung zwischen diesen Faktoren. Der «Waffen-Effekt» war signifikant nur für aufgeklärte (sophisticated) Personen; bei nicht-aufgeklärten (naiven) Vpn zeigte sich eher eine Umkehrung des WaffenEffekts. Damit sehen die Autoren ihre Vermutung bestätigt, daß es zu einem «Waffen-Effekt» nur kommt, wenn die Vpn kooperativ sind. Sie bezweifeln, daß Ergebnisse aus derartigen Versuchsanordnungen als Beleg für die theoretische Annahme von Waffen als konditionierten Stimuli (Hinweisreizen) für aggressives Verhalten herangezogen werden können. Darüber hinaus glauben sie das in Experimenten dieser Art gezeigte Verhalten der Vpn zutreffender in Begriffen wie «Demand Awareness» und «Kooperationsbereitschaft mit dem Experimentator» als in Begriffen «aggressiven Verhaltens» erklären zu können. ELLIS, WEINIR & MILLER ( 1 9 7 1 ) bezweifeln zunächst, daß aggressives Verhalten vom Typus des von BERKOWITZ & L E P A G E untersuchten gleichsam automatisch, d. h. von bestimmten Reizen ausgelöst (cue-elicited), und nicht Funktion positiver oder negativer Verhaltenskonsequenzen, d. h. operant konditioniert sei. B E R K O WITZ und seine Mitarbeiter haben nach Ansicht der Autoren niemals gezeigt, daß impulsives aggressives Verhalten nicht operant konditioniert werden könne. Da jedoch bei anderen Arten gleichsam automatisch erfolgender Reaktionen, z. B. denjenigen des autonomen Nervensystems, eine operante Konditionierung aufgewiesen wer-

den konnte, versuchen E L L I S U. a. gerade dies für den Fall des «Waffen-Effekts» nachzuweisen, indem sie zunächst die notwendigen experimentellen Bedingungen für den «Waffen-Effekt» herstellen und dann das Auftreten des kritischen Verhaltens mit positiven bzw. negativen Konsequenzen verbinden. In einem 3 X 2-Design (13 Vpn pro Zelle) wurde die Wirkung der Faktoren «Ärger» (Vergabe von 0 Schocks/2 Schocks/8 Schocks an die Vpn) und «Waffen» (Waffen/keine Waffen) untersucht. Die dargebotenen Waffen wurden nicht mit dem Gegenspieler, einem Studenten, verknüpft. Bei zwei zusätzlichen, stark «geärgerten» Gruppen (8 Schocks) wurde der Gegenspieler als Polizist vorgestellt; diese Gruppen arbeiteten teils in Gegenwart von Waffen, die hier mit dem Gegenspieler verknüpft wurden, teils ohne Waffen. Es zeigte sich ein signifikanter «Ärger»-Effekt, jedoch kein «Waffen-Effekt». Eine signifikante Interaktion kam dadurch zustande, daß diejenigen Personen, die nicht geärgert worden waren (0 Schocks), in Gegenwart von Waffen überhaupt keine Schocks verteilten. Zwischen den beiden Gruppen mit «Polizisten» als Gegenspielern ergaben sich Unterschiede im aggressiven Verhalten auf dem 7%-Niveau: Vpn gaben in Gegenwart von Waffen, die mit einem Polizisten verknüpft worden waren, weniger Schocks an den Gegenspieler. ELLIS, WEINIR & MILLER interpretierten zunächst den hier wie in mehreren anderen Experimenten erhaltenen Effekt, daß «geschockte» oder sonstwie «frustrierte» Vpn mehr oder stärkere Schocks vergeben, in Begriffen von Kosten und Nutzen: Es lohnt sich für die Vp zurückzuschlagen. Die im ganzen negativen, in Hinblick auf die Art des Gegenspielers jedoch unterschiedlichen Ergebnisse bezüglich eines «Waffen-Effekts» werden damit erklärt, daß Waffen keineswegs in gleichförmiger Weise aggressives Verhalten bahnen oder fördern. Vielmehr geschieht dies in Abhängigkeit von modifizierenden Einflüssen auf Seiten des Individuums (unterschiedliche Verstärkungs-Geschichte) und verschiedenen Aspekten der expe-

Zeitschrift für S o z i a l p s y c h o l o g i e 1974, 5, 2 0 1 - 2 1 8

rimentellen Situation. Der Polizist als Gegenspieler fungiert z. B. in diesem Experiment als diskriminierender Reiz für Bestrafung aggressiven Verhaltens (S (lel,a ). Nach Ansicht der Autoren müssen für das Auftreten eines «WaffenEffekts» genügend «bahnende» diskriminierende Reize (SD) wirksam sein. Bei Uberwiegen hemmender diskriminierender Reize (S doltas ) würde es dagegen zu keinem «Waffen-Effekt» kommen. Waffen können demnach - abhängig von der Lerngeschichte der Vpn - eine entweder bahnende oder hemmende Wirkung für aggressives Verhalten haben, während sie nach Auffassung von BERKOWITZ - zusammen mit vorhergehender Erregung - stets bahnende Wirkung besitzen. In der folgenden Übersicht werden die hier kurz berichteten Experimente noch einmal unter Aufzählung einiger wichtiger Bestimmungsstücke zusammengefaßt.

DISKUSSION DER

EXPERIMENTE

Die Zusammenstellung der Experimente zeigt eine Reihe von Unterschieden im Versuchsaufbau, ohne deren Berücksichtigung die Ergebnisse zur Klärung der Frage des «Waffen-Effekts» nicht interpretiert werden können. Diese Differenzen sollen daher dargelegt, und es soll ihr Einfluß auf die Gültigkeit der experimentellen Ergebnisse näher betrachtet werden. Frustration der

Versuchspersonen?

Mit Ausnahme von SCHMIDT-MUMMENDEY & SCHMIDT (1974) wird zu Beginn des Experiments eine ärgererzeugende Frustration als diejenige Bedingung gesetzt, unter der - gemäß der modifizierten Frustrations-Aggressions-Hypothese von BERKOWITZ - aggressive Hinweisreize zu Auslösern aggressiven Verhaltens werden sollen. Dies geschieht fast ausschließlich - und in direkter Replikation von BERKOWITZ & L E PAGE - durch die Vergabe einer erhöhten Elektroschock-Anzahl vom Gegenspieler an die Vp, die eine schlechte Beurteilung einer Leistung der Vp bedeuten soll. Diese Prozedur wirft u. E.

207 deshalb Probleme der internen Validität der Experimente auf, weil die für das Zustandekommen aggressiven Verhaltens angeblich notwendige Erregung der Vp durch eine soziale Interaktion mit dem Gegenspieler erzeugt wird, deren Funktion theoretisch auch ganz anders gesehen werden kann: Die Vp befindet sich in einer für sie neuen, ungewohnten, eben der typischen «minimal-sozialen» Laborsituation, in welcher ihr eine ganze Reihe von normalerweise zur Verfügung stehenden Verhaltensorientierungen entzogen werden. So ist die Beurteilung anderer Personen oder deren Leistungen durch die Vergabe von mehr oder weniger Elektroschocks eine ziemlich unübliche - und von der Vp sicherlich ungeübte Verhaltensweise. In eben dieser Situation erhält nun die Vp mit ihrem - vermeintlichen oder leibhaftigen - Gegenspieler ein Verhaltensmodell: Er bewertet die Leistungen der Vp beispielsweise mit sieben Elektroschocks (ÄrgerBedingung). Es kann daher geradezu erwartet werden, daß die Vp in einer genau parallelen Situation, d. h. in der Rolle des Verhaltensmodells mit gleicher Aufgabe und gleichen Verhaltensmöglichkeiten ein das Modell imitierendes Verhalten zeigt (sofern keine negativen Verhaltenskonsequenzen in Aussicht sind; dies ist in den vorliegenden Experimenten aber nicht vorgesehen). Eine ähnliche Interpretation des Verhaltens der Vpn geben PAGE & SCHEIDT, die die Tendenz der Vpn, Maßstäbe für ihr «aggressives Verhalten» aus der Zahl der zuvor erhaltenen Schocks abzuleiten versuchen (norm of reciprocity). Die in diesen Experimenten zu beobachtende Vergabe erhöhter Anzahlen von Elektroschocks muß daher u. E. nicht unbedingt im Sinne von aggressivem Verhalten als Folge von Frustration gedeutet werden. Ebenso gut könnten Erklärungen in Begriffen von «Imitation von Verhaltensmodellen» oder von «reziproken Verhaltensnormen» herangezogen werden. BERKOWITZ (1971) hat zwar geltend gemacht, die Vpn im Originalexperiment seien tatsächlich durch die erhaltenen Schocks geärgert und zur Gegenaggression motiviert worden, da sie

Schmidt & Schmidt-Mummendey: Aggressionsbahnende Hinweisreize

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