Zeitschrift für Sozialpsychologie: Band 15, Heft 3 1984 [Reprint 2021 ed.]
 9783112468548, 9783112468531

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HERAUSGEBER HUBERT FEGER C. F. G R A U M A N N KLAUS H O L Z K A M P MARTIN IRLE

B A N D 15 1 9 8 4 H E F T 3

VERLAG HANS HUBER BERN STUTTGART W I E N

Zeitschrift fur Sozialpsychologie 1984, Band 15, Heft 3 INHALT Zw diesem Heft

179

Theorie und Methoden Wissenschaftliche Forschungspraxis und alltagspsychologische Wirklichkeit: Ein Beitrag zur attributionstheoretischen Methodendiskussion G N I E C H , G . & S T A D L E R , M.: Methodische Probleme b e i m kriminalistischen Gegenüberstellungsexperiment L A N G E H E I N E , R.: Neuere Entwicklungen in der Analyse latenter Klassen und latenter Strukturen KRAHÉ, B.:

180 194 199

Empirie DoBRiCK,M.:Mißverstehen:eineexperimentelleUntersuchung

211

Diskussion A n m e r k u n g e n und K o r r e k t u r e n zu H A G E R & W E S T E R M A N N : Entscheidung über statistische und wissenschaftliche Hypothesen: P r o b l e m e bei m e h r f a c h e n SignifikanztestszurPrüfunge/«?rwissenschaftlichen Hypothese H A G E R , W . & W E S T E R M A N N , R.: Z u r K u m u l a t i o n von Fehlern 1. u n d 2. A r t bei m e h r f a c h e n Signifikanztests. Erwiderung a u f « A n m e r k u n g e n u n d K o r r e k t u r e n » von B R E D E N K A M P . . WITTE, E . H . : Z u r A n w e n d u n g der Gruppen-Situations-Theorie. A n m e r k u n g e n zu einer Studie von B E S T H O R N (1983) BESTHORN,C.:EinekurzeBemerkungzuWiTTE(indiesemHeft) BREDENKAMP, J.:

224 230 235 240

Literatur Neuerscheinungen

242

Titel und Abstracta

243

Autoren

244

Copyright 1984 Verlag Hans Huber Bern Stuttgart Wien Herstellung: Satzatelier Paul Stegmann, Bern Printed in Switzerland Gedruckt mit Unterstützungder Deutschen Forschungsgemeinschaft. Library ofCongress Catalog Card Number 78-126626 Die Zeitschriftfiir Sozialpsychologie wird in Social Sciences Citation Index(SSC\) Current Contents / Social and Behavioral Sciences erfaßt.

und

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984

179

Zu diesem Heft Als ich, u m mir Anregungen für dieses Editorial zu verschaffen, die letzten Hefte/Bände unserer Zeitschrift durchsah, fiel mir auf, daß in den bei der Zeitschrift für Sozialpsychologie erschienenen experimentellen Arbeiten einschlägige methodenoder begriffskritische Analysen, die vorher in derselben Zeitschrift erschienen sind, k a u m berücksichtigt oder auch n u r erwähnt werden: Wechselseitige Bezüge zwischen verschiedenen ZeitschriftenBeiträgen gibt es bestenfalls innerhalb der experimentellen oder innerhalb der theoretischen Sparte. Als Beispiel dafür imponiert die bereits 1982 (in Bd. 13) erschienene (m. E. sehr bedeutsame) Analyse von JOCHEN B R A N D T S T Ä D T E R «Apriorische Elemente in psychologischen Forschungsprogrammen»: In keinem der seither bei uns erschienenen Berichte über experimentelle Untersuchungen wird die von B R A N D T STÄDTER auseinandergelegte Möglichkeit, d a ß es sich bei den vermeintlich experimentell gep r ü f t e n empirischen Hypothesen in Wirklichkeit u m sprachliche Implikationsverhältnisse handeln könnte, womit das Experiment eher das Sprachverständnis der Versuchspersonen als einen empirischen Z u s a m m e n h a n g untersucht hätte, in Erwägung gezogen oder gar ausführlich diskutiert und für den gegebenen Fall zu entkräften versucht. Dabei ist es leicht zu zeigen, d a ß in (sagen wir) zwei Dritteln der

experimentellen

Arbeiten, deren A u t o r e n Beitrag hätten k e n n e n können, mindestens der Verdacht, d a ß dabei im G e w ä n d e experimenteller P r ü f u n g die von B R A N D T S T Ä D T E R aufgewiesenen pseudoexperimentellen Arrangements hergestellt worden sind, nicht leicht abzuweisen ist. Statt praktischer Berücksichtigung findet sich zu B R A N D T STÄDTERS Analysen in der Zeitschrift für Sozialpsychologie lediglich ein (abwiegelnder) K o m m e n t a r von REISENZEIN ( 1 9 8 4 , H. 1), der B R A N D T S T Ä D T E R (im selben Heft) zu einer Verschärfung und Differenzierung seiner Argumentation veranlaßte - was, wie ich p r o p h e zeien möchte, an der forschungspraktischen Folgenlosigkeit nichts ändern wird. BRANDTSTÄDTERS

Welche G r ü n d e es für eine derartige Selbstabschottung experimentell-psychologischer Forschung auch geben mag: A u f jeden Fall widerspricht dies dem erklärten Ziel unserer Zeitschrift, Diskussionen im Interesse weiterf ü h r e n d e r grundsätzlicher Klärungen nicht n u r mit den Lesern, sondern auch unter unseren A u t o r e n anzuregen, und nicht bloß verschiedenen nebeneinander herlaufenden Trends, Kleinforschungsrichtungen, Mini-Traditionsbildungen innerhalb der experimentellen Sozialpsychologie Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu verschaf- I ^ H fen. m KLAUS HOLZKAMP

I—J

180

Krähe: Wissenschaftliche Forschungspraxis und alltagspsychologische Wirklichkeit

Theorie und Methoden Wissenschaftliche Forschungspraxis und alltagspsychologische Wirklichkeit: Ein Beitrag zur attributionstheoretischen Methodendiskussion BARBARAKRAHE Erziehungswissenschaftliche Hochschule Rheinland-Pfalz, Abteilung Landau

Ausgehend von einer Kritik der vorherrschenden attributionstheoretischen Forschungspraxis werden drei methodologische Probleme der Erfassung von Kausalattributionen als laienpsychologische Erklärungskonzepte diskutiert: — Die Angemessenheit experimenteller Methoden zur Aktualisierung der motivationalen Voraussetzungen von Attributionsprozessen — Die U n t e r s u c h u n g der personalen und situativen Auslösebedingungen von Kausalinterpretationen — Die Erfassung und Systematisierung der Inhaltskategorien, die zur Kausalerklärung sozialer Ereignisse herangezogen werden. Auf der Basis weniger bisher vorliegender U n t e r s u c h u n gen werden theoretische und empirische Lösungsansätze zusammengetragen, die zu einer methodologischen N e u orientierung der Attributionsforschung im Sinne einer stärkeren A n n ä h e r u n g an die alltagspsychologische Erfahrungswelt fuhren können.

Als wissenschaftliche Theorie laienpsychologischer Verhaltenserklärungen steht die Attributionstheorie vor der Aufgabe, sowohl dem Realitätsbezug ihres Forschungsgegenstandes als auch den Anforderungen kontrollierter empirischer Untersuchungstechniken gerecht zu werden. Ausgehend von der vorherrschenden methodischen Praxis soll diskutiert werden, in welchem Maße attributionstheoretische Forschungsergebnisse zum Verständnis alltagspsychologischer Kausalinterpretationen beitragen und inwieweit durch eine verstärkte methodologische Rückbesinnung Fortschritte für die Theoriediskussion in der Attributionsforschung zu erwarten sind.

Starting f r o m a critical evaluation of current attributional methods, three methodological problems are discussed concerning the analysis of causal attributions as lay people's ordinary explanations: — T h e adequacy of experimental m e t h o d s for creating the motivational basis of attributional search — T h e exploration of necessary and sufficient conditions for instigating attribution processes — T h e systematic analysis of causal categories and causal distinctions used by naive psychologists to explain social events. On the basis of the scarce evidence available, theoretical and empirical starting points are suggested for a re-orientation of attributional methodology in terms of a closer approximation of scientific research to lay people's reality.

Die zunehmende Popularität des Attributionskonzepts in der psychologischen Forschung ist ebenso unübersehbar wie unbestritten: mehrere aktuelle Bestandsaufnahmen dokumentieren den attributionstheoretischen Erkenntnisstand ( A N T A K I , 1981; B I E R H O F F & BIERHOFF-ALFERMANN, 1981;

1 9 8 3 ; HARVEY e t

HARVEY & WEARY,

1981;

al.,

HEWSTONE,

1983b; J A S P E R S et al., 1983), wobei dem Nachweis der Anwendbarkeit von Attributionskonzepten auf sozial relevante Fragestellungen verstärkte Beachtung geschenkt wird ( A N T A K I & B R E W I N , 1982 ; F R I E Z E et al., 1979). Bei aller thematischen Vielfalt, die sich in diesen Arbeiten widerspiegelt, wird jedoch ein

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984, 15, 1 8 0 - 1 9 3

grundlegender Forschungsaspekt allgemein vernachlässigt: Die Frage nach den methodologischen Voraussetzungen der Erfassung von Attributionen als alltagspsychologische Kausalinterpretationen sozialer Ereignisse, wie sie H E I D E R ( 1 9 5 8 ) in seiner «naiven Phänomenologie» charakterisiert hat. In der Auseinandersetzung mit den vorliegenden empirischen Befunden zur Kausalattribution fallt auf, daß es nur eine geringe Bandbreite des methodischen Spektrums und einen sehr hohen Konsensus darüber gibt, in welchem Rahmen attributionstheoretische Fragestellungen angemessen zu untersuchen seien. Kurzgefaßt läßt sich die vorherrschende attributionstheoretische Forschungspraxis folgendermaßen charakterisieren: - Es werden fast ausschließlich Kausalattributionen untersucht, die in experimentellen Settings auf ausdrückliche Aufforderung eines Versuchsleiters hin abgegeben werden. Die alltagspsychologische Bedeutsamkeit von Attributionsprozessen und ihren auslösenden Bedingungen wird selten zum Gegenstand empirischer Analyse (vgl. T E T L O C K , 1 9 8 1 , p. 1 2 3 ; ULICH, 1981, p. 22).

Diese Kritik bezieht sich nicht auf generelle Vorbehalte gegen (labor-)experimentelle Forschung im Sinne der «Sozialpsychologie des Experiments», sondern auf die Frage, ob angesichts der hohen Reaktivität dieses methodischen Vorgehens gerade für eine theoretische Orientierung, die die Alltagswelt des «common sense» als ihren Gegenstand beschreibt, eine Konzentration auf experimentelle Versuchsanordnungen vertretbar ist. - Kausalattributionen werden in der empirischen Praxis überwiegend definiert als Gewichtungsurteile über die vier Kausalfaktoren Fähigkeit, Anstrengung, Aufgabenschwierigkeit und Zufall. Die Aufgabe der Vpn besteht entweder darin, den für das zu erklärende Verhalten einflußreichsten Kausalfaktor zu nennen oder jeden der vier Faktoren im Hinblick auf seinen Anteil am Zustandekommen des Verhaltensergebnisses zu gewichten. Es wird dabei zumindest implizit vorausgesetzt, daß diese vier Faktoren das gesamte Spektrum potentieller Verhaltenserklärungen abdecken (vgl. hierzu auch die Kritik von B A R - T A L & DAROM, 1979, p . 264).

181 - Es werden keine Prozeßabläufe oder Attributionsabfolgen untersucht, sondern «single shot measures» erhoben, die jede einzelne Attribution unabhängig von der individuellen Attributionsgeschichte für interpretierbar und aussagekräftig halten (kritisch dazu auch Ross, 1977b und U L I C H & H A U S S E R , 1979). «Prozeßanalysen» werden in der Attributionsforschung allein im Sinne der Informationsauswahl und -Verarbeitung verstanden (TAYLOR & F I S K E , 1981), von denen das Attributionsergebnis, die Entscheidung für den ausschlaggebenden Kausalfaktor, bestimmt wird. Dieser Uniformität des empirischen Zugangs zu attributionstheoretischen Fragestellungen, die sicher nicht zuletzt auf Praktikabilitätsgesichtspunkten beruht, ist es zuzuschreiben, daß einige aus der frühen attributionstheoretischen Literatur abzuleitende Grundfragen bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben sind. Ziel der folgenden Auseinandersetzung mit der attributionstheoretischen Forschungspraxis ist es, erste Ansatzpunkte einer methodischen Umorientierungzusammenzutragen, die als Voraussetzung einer stärkeren theoretischen Explizierung der Grundlagen von Attributionsprozessen betrachtet wird. Im Sinne von SHAVERS ( 1 9 8 1 ) Plädoyer «Back to the basics» werden drei dem attributionstheoretischen Zeitgeist ( L O W E & K A S S I N , 1 9 8 0 , p. 5 3 2 ) zum Opfer gefallene Probleme der Erfassung von Kausalinterpretationen diskutiert: 1. Das Problem der Angemessenheit experimenteller Versuchsbedingungen zur Erfassung alltagspsychologischer Konstrukte: Inwieweit wird im Kontext psychologischer Experimente das individuelle Bedürfnis nach Kontrolle und Vorhersage aktualisiert, so daß valide Aufschlüsse über «common sense»-Erklärungen zu erwarten sind? 2. Das Problem der Auslösebedingungen von Kausalattributionen in der Alltagswelt des intuitiven Psychologen: Wann wirdattribuiert, und wie läßt sich das in der Attributionstheorie postulierte Bedürfnis nach Kausalität empirisch nachweisen? 3. Das Problem der Erfassung der Inhalte von Kausalinterpretationen: Wie läßt sich das Spektrum von Kausalfaktoren erfassen und systematisieren, das der intuitive Psychologe zur Erklärung von Verhaltensergebnissen heranzieht?

182

Krahé: Wissenschaftliche Forschungspraxis und alltagspsychologische Wirklichkeit

Wie sich z. B. aus der ausfuhrlichen Darstellung von BIERHOFF & BIERHOFF-ALFERMANN (1983) ablesen läßt, bleiben diese Fragestellungen in den vorliegenden attributionstheoretischen Ansätzen ausgeklammert: die beiden Punkte «Wann wird attribuiert?» und «Warum wird attribuiert?» stehen an vorletzter Stelle und nehmen zusammen nicht mehr als eine Seite in Anspruch. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist man deshalb bezogen auf die Lösung der hier zur Diskussion gestellten Probleme weitgehend auf Plausibilitätsannahmen in Anlehnung an die Attributionstheorie angewiesen.

(1979) geäußert werden, lassen sich durch empirische Untersuchungsergebnisse stützen: In einer der wenigen Untersuchungen zum Problem der Aktualisierung von Attributionsprozessen in psychologischen Experimenten konnten ENZLE & SCHOPFLOCHER (1978) zeigen, daß Vpn nur dann Kausalattributionen vornehmen, wenn sie dazu aufgefordert werden. Die Vpn mußten die Attraktivität eines Interaktionspartners einschätzen, der ihnen zuvor beim Korrekturlesen eines Textes geholfen hatte. Aufgrund der experimentellen Manipulation erschien ihnen die Hilfeleistung entweder als spontan oder als Reaktion auf eine entsprechende Anweisung des Versuchsleiters.

Mit Hilfe der herkömmlichen Methodik läßt sich zwar belegen, daß Individuen «auf Wunsch», d.h. nach entsprechender Instruktion, Kausalerklärungen abgeben. Die für die Attributionstheorie im Gefolge HEIDERS weit grundlegendere Annahme, daß Individuen von sich aus danach streben, Kausalerklärungen für soziale Ereignisse zu finden, läßt sich auf diesem Wege jedoch nicht oder nur sehr unvollkommen stützen. Es ist fraglich, ob die vom Versuchsleiter induzierte Suche nach Kausalerklärungen im Rahmen (reaktiver) psychologischer Untersuchungen als Manifestation von Erklärungs-und Kontrollbedürfnissen aufgefaßt werden kann oder nicht primär als «compliance» gegenüber den von außen definierten Bedingungen und Anforderungen der Untersuchungssituation zu betrachten ist: «In making attributions for the investigator, the subject is flexible and responds to the task given to her. In such a situation, her attributions are not spontaneous [ . . . ] and she tends to feel indifferent about them» (FISKE, 1978, p. 288).

Unterschiede in der Attraktivitätsbeurteilung in Abhängigkeit von der Spontaneität der Hilfeleistung zeigten sich nur bei den Vpn, die zusätzlich dazu aufgefordert worden waren, den Interaktionspartner auf dem Merkmal Hilfsbereitschaft einzuschätzen: nur diese Vpn zogen die unterschiedlichen Ursachen des beobachteten Verhaltens bei der Attraktivitätsbeurteilung in Betracht. KASSIN & HOCHREICH (1977) haben versucht, einen Teil ihrer Vpn in einen Zustand erhöhter motivationaler Beteiligung zu versetzen, indem sie ihnen die Attributionsaufgabe entweder als Maß des Verständnisses kausaler Zusammenhänge im Sinne sozialer Intelligenz oder als wichtigen Beitrag zur Dissertation des Versuchsleiters darstellten. Gegenüber der neutral instruierten, motivational indifferenten Kontrollgruppe gaben diese Vpn ausführlichere und komplexere, sowohl Person- als auch Situationsfaktoren berücksichtigende Attributionen ab. Dieser Befund, der auch durch die Ergebnisse von PITTMAN, SCHERRER & W R I G H T (1977) unterstützt wird, legt eine kritische Einschätzung der attributionstheoretischen Forschungspraxis nahe, eine hinreichende Attributions-Motivation ihrer Vpn als gegeben vorauszusetzen.

Demgegenüber wird in der vorherrschenden attributionstheoretischen Forschungspraxis unterstellt, daß Individuen in experimentell erzeugten oder auch nur fiktiv vorgestellten Situationen ebenso dazu motiviert sind, nach Kausalerklärungen zu suchen wie in ihrer Alltagswelt. Zweifel an dieser impliziten Voraussetzung, wie sie auch von U L I C H & HAUSSER

Die experimentelle Attributionsforschung wird von diesen Ergebnissen vor eine entscheidende Forderung gestellt: Ausgangspunkt empirischer Analysen naiver Verhaltenserklärungen müssen solche Fragestellungen und situativen Rahmenbedingungen sein, die die Vpn dazu motivieren, kausale Überlegungen anzustellen, und in denen aufgrund der themati-

1. In welchem Maße wird in experimentellen Untersuchungsbedingungen das Bedürfnis nach kausaler Erklärung aktualisiert?

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1984, 15, 1 8 0 - 1 9 3

183

sehen und situativen Merkmale des Untersuchungsrahmens das individuelle Bedürfnis nach Erklärung und Kontrolle aktualisiert wird. Die wenigen attributionstheoretischen Arbeiten, die sich diesem Problem der motivationalen Voraussetzungen von Kausalerklärungen zuwenden (z.B. HARVEY et al., 1 9 8 0 ; PYSZCZYNSKI & GREENBERG,

1981; WONG

&

zeichnen sich jedoch gerade dadurch aus, daß in ihren experimentellen Anordnungen die Vpn bei minimalem «ego-involvement» mit hypothetischen Beurteilungssituationen und diversen, willkürlich erscheinenden Informationen bzw. Instruktionen konfrontiert werden. In der Studie von PYSZCZYNSKI & G R E E N BERG (1981) soll die Hypothese geprüft werden, daß nach erwartungswidrigem Verhalten eines Gegenübers die Suche nach erklärungsrelevanten Informationen stärker ist als nach erwartungskonformem Verhalten. Die Vpn werden in dieser Untersuchung nicht nur ausdrücklich in die Rolle des Beobachters gewiesen, sondern auch zu realitätsfernen Beurteilungen und Entscheidungen aufgefordert. Ohne diesem Beispiel übermäßige Beweiskraft beizumessen, erscheint es charakteristisch für die zunehmende Künstlichkeit attributionstheoretischer Experimente, wie folgender Auszug aus der Untersuchungsbeschreibung verdeutlichen soll (vgl. W E I N ER, 1 9 8 1 ) ,

PYSZCZYNSKI

&

GREENBERG,

1981,

p.

34f.;

Übersetzung v. Verf.): [. . . ] Der VI erklärte, d a ß die H a n d e l n d e im Verlauf der U n t e r s u c h u n g in eine Vielzahl von Situationen gestellt werde, G Y . Die entgegengesetzte Rangreihe wird für den Typ «demokratischer Erziehungsstil» (VS - , VU + , MS - , MU + ) erwar-

Tab. 6: Modelltests zu den Daten aus Tabelle 5. Modell

X2

L2

df

MO Ml M2

399.90 32.70 87.55

367.78 35.31 87.37

41 29 39

tet, während für den Kontrolltyp (VS + , VU + , MS + , MU + ) keine Hypothese besteht. U m diese Vermutungen zu prüfen, wird daher zusätzlich zu M 1 spezifiziert, daß die prozentuale Verteilung der Personen innerhalb der G r u p pen für alle 3 G r u p p e n identisch ist. M 2 postuliert somit eine total homogene, restringierte Struktur für die 3 Gruppen. Tabelle 6 enthält die Ergebnisse verschiedener Modelltests. MO dient - analog zur Analyse für eine G r u p p e - als Basismodell, das totale Unabhängigkeit zwischen den 4 manifesten Variablen spezifiziert. Mit Modell M 1, das in guter Übereinstimmung mit den Daten ist, erfolgt eine Reduktion der Residual Variation von MO auf 10% ([367.78-35.31]/367.78). Die Parameter für M 1 sind in Tabelle 7 wiedergegeben. Die aus diesen Parametern berechenbaren Pfadkoeffizienten (zur Berechnung vgl. G O O D MAN, 1974a; L A N G E H E I N E , 1982) sind in das Pfaddiagramm der Abbildung 2 eingetragen. Das Ergebnis entspricht sowohl hinsichtlich der 2-faktoriellen Struktur mit negativ korrelierten latenten Variablen als auch hinsichtlich der Kennzeichnung der 4 Klassen/Typen den Resultaten der vorangegangenen Analysen. Da M l einem Modell mit 12 Klassen entspricht, und da die Anzahl der Personen in den 3 G r u p p e n differiert, m u ß zur Beurteilung der prozentualen Verteilung der Personen auf die 4

Tab. 7: Parameterschätzungen für Modell M 1 Latente Klasse t (s, u) 1 2 3 4

(1,1) (1,2) (2,1) (2,2)

GX *lt

GX *2t

„GX 3t

.0863 .2672 .0880 .1490

.0334 .0731 .0381 .0366

.0440 .0841 .0587 .0414*

VSGX Igt .7867 .7867* .0948 .0948*

VUGX "igt .9866 .2369 .9866* .2369*

MUGX

MSGX Igt

Igt 1.0000 .2325 1.0000* .2325*

.7901 .7901* .0519 .0519*

Parameter mit * können aus den restlichen Parametern bestimmt werden.

Tab. 8: Prozentuale Verteilung innerhalb der 3 Gruppen unter Modell M 1 und M2. Klasse/Typ 1 2 3 4

Manifeste Variablen

Inhaltliche Kennzeichnung

VS

VU

MS

MU

+ + —

+ + —

+ + -

+

Alle Werte sind Prozentzahlen

+ -

Modell M 1 HS

Kontrolle autoritärerErz.-Stil demokratischer Erz.-Stil laissez-faire Erziehung

14.6 45.3 14.9 25.4

Modell M 2

RS < > < >

18.2 40.3 21.0 20.3

< > < >

GY

HS = RS = G Y

19.4 37.0 26.0 17.6

17.4 40.9 20.6 21.1

209

Zeitschrift fur Sozialpsychologie 1984, 15, 199-210

Typen innerhalb der Gruppen auf die Gruppengröße umgerechnet werden. Das Ergebnis findet sich in Tabelle 8. In allen 3 Gruppen finden wir also den autoritären Erziehungsstil am weitaus häufigsten vor. Es zeigt sich ebenfalls eine Bestätigung der postulierten Rangreihen: Hauptschüler fühlen sich eher als Realschüler und diese eher als Gymnasiasten einem autoritären wie laissezfaire Erziehungsstil ausgesetzt. Umgekehrt fühlen sich Gymnasiasten eher als Realschüler und diese eher als Hauptschüler eher demokratisch erzogen, aber auch stärker kontrolliert. Um dieses Ergebnis einem kritischen Test zu unterziehen, postuliert M2 zusätzlich zu M1 für die 3 Gruppen eine identische prozentuale Verteilung auf die 4 Klassen/Typen (vgl. Tab. 8. Programmtechnisch wurde so vorgegangen, daß aus den Prozentzahlen unter M1 die Mittelwerte für M2 berechnet wurden. Diese Mittelwerte wurden wiederum auf die Gruppenfallzahlen umgerechnet und die resultierenden p y

Klassenparmeter n ^ so daß

i

j

wurden in M2 fixiert, = 1.0). Der Modell-

test für M2 zeigt, daß diese Hypothese mit den Daten nicht verträglich ist.

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^ ^ H ^ ^ I A

211

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984, 15, 211 —223

Empirie Mißverstehen: eine experimentelle Untersuchung MARTIN DOBRICK Lehrstuhl Erziehungswissenschaft II (Pädagogische Psychologie), Universität Mannheim

Ausgehend von einer im Hinblick auf das Verstehen von Mitteilungen konstatierbaren zwischen Sprachproduktions- und -rezeptionsforschung, wird eine Integration unter dyadischer Perspektive vorgeschlagen. Zwei (top-down-)Hypothesen zu Bedingungen für Mißverstehen werden in dyadischem Kontext experimentell überprüft. Die Ergebnisse verweisen darauf, daß Richtig-Verstehen nur bei gleichen Intentionen seitens Sprecher und Hörer und bei veridikaler Intentionsattribution erwartet werden kann. Neben den Befunden werden die experimentelle Situation und die Forschungsstrategie diskutiert.

Speech production and speech perception are two distinct research traditions. To handle the problem of (misunderstanding communications, an integration is necessary and will be proposed in a dyadic framework. T w o (top-down-) hypotheses concerning conditions for misunderstanding are examined experimentally within a dyadic design. Results indicate, that right understanding cannot be expected, unless intentions, held by communicators, are equal and the attributions of intentions are correct. In addition to the results, the experimental situation and the research strategy will be discussed.

Verstehen von Mitteilungen setzt die Existenz eines Sprechers und eines Hörers voraus; das ist trivial. Doch lassen Sprachproduktionsund Sprachrezeptionsforschung den Bezug aufeinander weitgehend vermissen. Es liegt hier in bezug auf die Gesamtproblematik eine Art vor, die sich anhand der Spannweite jeweiliger empirischer Untersuchungen grob wie in Abbildung 1 veranschaulichen läßt. Experimente zur Sprachproduktion beim produzierten Sprachgebilde; solche zur Rezeption setzen dort ein.

Abb. 1 : (Arbeitsteilung) im Hinblick auf die Verstehensproblematik.

Als Folge aus dieser kann die Unterschiedlichkeit theoretischer Konzeptualisierungen aufgefaßt werden: In der Rezeptionsforschung spielt der Schemabegriff eine große Rolle, in der Sprachproduktionsforschung wird er nahezu gänzlich vernachlässigt. Dabei wird in der Rezeptionsforschung fast nur auf BARTLETT (1932) rekurriert, nicht aber auf S E L Z ( Z . B . 1924; vgl. H E R R M A N N , 1982a), obwohl der Schemaansatz die (Re-)Konstruktionsarbeit in der Wahrnehmung in den Vordergrund rückt, und sich bei S E L Z die aktivere Variante einer Schemakonzeption findet.

SELZens Mittelaktualisierung durch schematische Antizipation könnte darüberhinaus für eine Produktionstheorie fruchtbar gemacht werden, in der Sprechen als Problemlösungsvorgang aufgefaßt wird. Angesichts der Untrennbarkeit von Sprechen und Wahrnehmen in der sozialen Interaktion aus phänomenologischer Sicht mag die ungekoppelte Theorieentwicklung befremdlich erscheinen. Gravierend wird sie allerdings erst, wenn sie zu restringierter Begriffsentwicklung

Sprachproduktion

UV Situation, usw.

Sprachrezeption

->AV Sprachgebilde UV Sprachgebilde, usw.

->AV Verstehensleistung

212

Dobrick: Mißverstehen: eine experimentelle Untersuchung

führt. Letzteres gilt m.E. für den in der Rezeptionsforschung verwendeten Verstehensbegriff. Entsprechend der Beschränkung auf die Hörer-/Leserseite eines normalerweise den Sprecher/Schreiber umfassenden Kommunikationsprozesses tut man so, als gebe es letzteren nicht und operationalisiert Verstehen über den Vergleich der vom Rezipienten reproduzierten Textinhalte mit den vom Forscher meist durch propositionale Zerlegung im Text gefundenen tatsächlichem Inhalten (siehe M A N D L et al., 1980). Ein solcher Verstehensbegriff ist rein individuumzentriert und seiner sozialen Verständigungskomponente (mit Blick auf Sprecher und Hörer) beraubt. Während aus der Rezeptionsforschung bekannt ist, daß Verstehen mehr bedeutet als ein schlichtes Registrieren des Sprachgebildes (BRANSFORD e t al., 1 9 7 2 ; JOHNSON et al., 1 9 7 3 ; W A R R E N et al., 1979), wird durch die Sprachproduktionsforschung nahegelegt, daß es auch mehr sein muß. Wenn der Sprecher nicht alles sagt, was er meint, sondern mit seiner Äußerung das Gemeinte nur zeichenhaft repräsentiert ( S C H L E S I N G E R , 1977; H E R R M A N N , 1982b), dann muß sich der Hörer aus der Äußerung das Gemeinte rekonstruieren. Damit deutet sich das vom Sprecher Gemeinte als der Prüfstein an, an dem das vom Hörer Verstandene zu messen ist (statt des vom Forscher Verstandenen).

1.

Modalitäten des Verstehens

Geht man davon aus, daß Verstehen den Aufbau eines Sinnzusammenhanges voraussetzt ( S C H Ü T Z , 1974; H Ö R M A N N , 1978), dann folgt Nicht-Verstehen aus der Unfähigkeit des Hörers, einen solchen herzustellen. Umgekehrt ist das Erkennen eines Sinnzusammenhanges jedoch kein Garant dafür, richtig verstanden zu haben. Richtig-Verstehen setzt die individuelle (Re-)Konstruktion eines Sinnzusammenhanges voraus und transzendiert diese zugleich, indem das Verstandene einem überindividuellen Kriterium, dem Gemeinten, ausgesetzt wird (vgl. Abb. 2). Erst mit einer derartigen Explikation istjenes Verstehen in den Griff zu bekommen, das für alltägliche Verständigung benötigt wird. Darüberhinaus wird auch deutlich, daß für die

.

Sinnzusammenhang durch den Hörer konstruiert

Nicht-Verstehen

neu

ja

Richtigverstehen

| I

MißVerstehen

ja

nein

Übereinstimmung mit dem Gemeinten Abb.2: Modalitäten des Verstehens.

Analyse solchen Verstehens die Dyade als Untersuchungseinheit zugrundezulegen ist. 2.

Eine dyadische Perspektive

Das nachfolgend skizzierte Kommunikationsmodell stellt einen Versuch dar, wesentliche Elemente aus Sprachproduktions- und -rezeptionstheorien in einen dyadischen Kontext zu stellen. Wesentlicher Bestandteil des Modells ist ein präzisierter Schemabegriff, der sich auf der Sprecher- wie auf der Hörerseite anwenden läßt, der die Aktivierung von Schemata durch Intentionen zu fassen gestattet, und auf dessen Basis Schemata besser erhebbar sein sollten. Aus Platzgründen kann das Modell nur thesenartig vorgestellt werden (zu einer ausführlichen Ableitung und Begründung siehe D O B R I C K , 1984). I) Kommunizierende verfolgen Intentionen. Unter Intention wird das Hinzielen auf einen Zustand verstanden, den das Individuum als befriedigend antizipiert. II) Diese Intentionen leiten/steuern die Aktivitäten der Kommunizierenden. Die Aktivitäten (auch sprachliche) werden als Mittel zur Erfüllung der jeweiligen Intention aufgefaßt (LUHMANN,

1 9 7 3 ; SCHWEMMER,

1976;

HERR-

MANN, 1982b).

III) Kommunikatives Agieren kann analysehalber unterteilt werden in (a) Aktivitäten des Äußerns (Sprechen, Zeigen, usw.) und (b) Aktivitäten des Wahrnehmens (Hören, Sehen, usw.). Beide finden i.d.R. simultan statt, weshalb eine strikte Trennung nicht durchgängig möglich ist.

213

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984, 15, 211 - 2 2 3

IV) Beide Arten von Aktivität werden durch Schemata gesteuert. Als Schema wird eine kognitive Struktur bezeichnet, die aus mindestens zwei (Gegenstands- oder BegrifTsklassen repräsentierenden) Konzepten besteht, welche durch eine Relation verknüpft sind. Ein Schema kann seinerseits an die Stelle eines Konzeptes in einem übergeordneten Schema treten. Die Anwendung (Instantiation) eines Schemas erfolgt, indem seinen Konzepten aktuelle Referenten zugewiesen werden (z. B. dem Konzept dasjenige in der Rangengasse 6). Die Aktivierung eines Schemas erfolgt u.a. dadurch, daß das vom Individuum angestrebte Ziel aktueller Referent eines Konzeptes wird. Dieses Konzept ist mit weiteren Konzepten über eine Mittel-Ziel-Relation verknüpft (SELZ, 1924). V) Das Gemeinte ist in dem- (oder d e n j e n i gen Konzept(en) zu sehen, die beim Sprecher aktiviert sind und die dieser in ähnlicher Weise beim Hörer aktiviert sehen möchte. Sprecher setzen das Gemeinte nicht vollständig in Äußerungen um. Sie tun dies nur für bestimmte Teile des Gemeinten (pars-pro-toto; Zeichenfunktion; H E R R M A N N , 1982b). Welche Teile dies im einzelnen sind, hängt von der eigenen sowie der beim Partner angenommenen Situationsauffassung ab. Sprecher versuchen so, mit Hilfe ihrer Äußerungen eine geistige Bewegung beim Hörer auszulösen und sein Denken in eine gewünschte Position zu dirigieren (vgl. HÖRM A N N , 1978); er soll Konzepten bestimmter Art bestimmte Referenten zuweisen. VI) Hörer sind als Wahrnehmende nicht passiv ( N E I S S E R , 1 9 7 9 ) . Sie ordnen eingehende Information dem ihrerseits aktivierten Schema bzw. Konzept zu ( A N D E R S O N et al., 1 9 7 7 ; PICHERT & A N D E R S O N , 1 9 7 7 ; A N D E R S O N e t a l . ,

An den Äußerungen des Partners werden diejenigen Merkmale/Aspekte berücksichtigt, die die Zuordnung erlauben. Fehlende Informationen werden ggf. ergänzt. Mit Hilfe des Schemas rekonstruiert sich der Hörer so das vom Sprecher vermeintlich Gemeinte. Dies ist das Verstandene. Es ist als Produkt selektiver und konstruktiver Wahrnehmungstätigkeit instrumenteil bezogen auf die Hörer-Intention 1978).

( v g l . JONES & T H I B A U T ,

1 9 5 8 ; ZAJONC,

1960;

In übertragenem Sinne entspricht die Intention dem Standpunkt des IndiHOFER,

1978).

viduums, der seine Perspektive bestimmt (vgl. 1960). Sofern dem Gesprächspartner eine eigene Intention unterstellt wird, kann auch unter dessen Perspektive wahrgenommen werden. VII) Richtig-Verstehen liegt dann vor, wenn das der Äußerung des Sprechers zugrundeliegende Konzept durch dieselben Merkmale definiert ist und (den- oder) dieselben aktuellen Referenten aufweist wie das Konzept, dem die Äußerung durch den Hörer zugeordnet wird. Gemeintes und Verstandenes sind dann gleich. (Ob der Partner aufgrund des Verstandenen dann auch diejenige Reaktion ausführt, die der andere zur Erfüllung seiner Intention wünscht, ist u.a. eine Frage der Akzeptanz und bleibt hier unberührt.) Abbildung 3 gibt einen Überblick über das Modell. Die Graphik ist insofern unvollständig, als gegenseitige Intentionsunterstellungen darin noch nicht berücksichtigt sind. Wegen der mangelnden empirischen Befundlage zum Problem der Interaktion gleichzeitig aktivierter Schemata erscheint es angemessen, zunächst von einer einfachen Parallelität (Modellverdoppelung für Intentionsunterstellungen; hier nicht dargestellt) auszugehen. Richtet man das Augenmerk nun einerseits auf die Mehrdeutigkeit von Sprachprodukten (z. B. könnte das geäußerte aus verschiedenen stammen) sowie andererseits darauf, daß der Hörer nur die objektiv vorliegende Äußerung zum Ausgangspunkt seiner Interpretation nehmen kann, wobei die Interpretation, bei allem Spielraum, den die Äußerung läßt, eben auch von den Verstehensmöglichkeiten des Hörers mitbestimmt wird, dann lassen sich u.a. folgende Hypothesen formulieren: GRAUMANN,

H 1 : Bei divergierenden Intentionen zweier Gesprächspartner tritt eher/größeres Mißverstehen auf als bei übereinstimmenden Intentionen. H 2 : Bei falscher Intentionsattribution tritt eher/größeres Mißverstehen auf als bei veridikaler Intentionsattribution. Diese Hypothesen sind allein auf die bei der kognitiven Verarbeitung angenommenen topdown-Prozesse (Einfluß von Vorwissen, usw.) abgestellt, unter Vernachlässigung möglicher bottom-up-Prozesse (Einfluß des Reizmate-

214

Dobrick: Mißverstehen: eine experimentelle Untersuchung

rials - deswegen die senkrechten Trennungslinien im Modell). Letztere ( z . B . H A V I L A N D & C L A R K , 1 9 7 4 ) sollen hier nicht verleugnet werden. Sie müßten als Falsifikationsinstanz zur Widerlegung der Hypothesen beitragen. UJ -o -c

3.

Methodisches Vorgehen

Zur Überprüfung der Hypothesen ist ein Vorgehen erforderlich, das über die eingangs erwähnten Beschränkungen in Sprachproduktions- und -rezeptionsforschung (vgl. Abb. 1) hinausgeht: das Sprachgebilde wird zur intervenierenden Größe (vgl. Abb. 4). Untersuchungseinheit ist die Dyade. Dabei verbietet sich die Verwendung vorgefertigter Texte und der Einsatz von Vertrauten des Versuchsleiters (stooges). Vielmehr darf das Gemeinte erst in der Gesprächssituation selbst entstehen. Gefragt ist das spontane Gespräch unter kontrollierten äußeren Rahmenbedingungen.

3.1. Allgemeine Beschreibung des Experimentes Jeweils zwei Versuchspersonen (Vpn) werden zu einem quasi-natürlichen Gespräch mit unterschiedlichen Aufgaben/Intentionen (Unabhängige Variable) veranlaßt. Das Gespräch wird aufgezeichnet. Anschließend werden den Vpn einzelne Äußerungen vorgespielt. Mit Hilfe eines geeigneten Erhebungsinstrumentes wird die Übereinstimmung zwischen Gemeintem und Verstandenem (Abhängige Variable) geprüft.

3.2. Der experimentelle

Rahmen

Alle Vpn waren entweder Prüfungskandidaten oder hatten eine Prüfung kürzlich absolviert. Die Gespräche wurden als Rollenspiel inszeniert und fanden in einem Raum statt, der so gestaltet war, daß man sich mit geringer Mühe in ein

UV

intervenierende • Variable

IntentionsKonstellation Sprachgebilde IntentionsAttribution

->- AV

Übereinstimmung von Gemeintem und Verstandenem

Abb. 4: Das Sprachgebilde in einer dyadischen Konzeption.

215

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984, 15, 211 - 2 2 3 Café versetzt fühlen konnte. Jeweils zwei Vpn erschienen zu einem Termin. Sie wurden in zwei getrennten Räumen schriftlich instruiert. Der allgemeine Teil der Instruktion enthielt eine Einführung in die Idee des Rollenspiels und eine Beschreibung der Rahmensituation für das vorliegende Spiel. Die Rollenspielsituation war folgende: Drei Kommilitonen haben für eine bevorstehende Examensprüfung dasselbe Prüfungsthema erhalten. Sie haben sich in einem Café verabredet, um über eine eventuelle gemeinsame Prüfungsvorbereitung zu diskutieren. A und B (die beiden Vpn) treffen sich zur verabredeten Zeit; C (fiktive, dritte Person namens ) ist verhindert. A und C kennen sich, B und C kennen sich nicht. A entschuldigt C und beschreibt die Nichtanwesende. Eine Vorklärung in Sachen Prüfungsvorbereitung beginnt. Die dritte Person Anke hatte vor allem die Funktion, den Gesprächseinstieg zu erleichtern. Vp (A) hatte sich vor Beginn des Gespräches aus ihrem Bekanntenkreis jemanden auszusuchen und diesen als im Sinn zu behalten. Vp (B) wurde über die Bekanntschaft von A und C nur informiert. Über die hier einsetzende treatmentspezifische Instruktion wird weiter unten berichtet. Die Vpn sich dann im Café. Zu diesem Zeitpunkt wurde Kaffee bzw. Tee serviert. Der Versuchsleiter verließ den Raum. Das sich anschließende Gespräch wurde im Nebenraum mitgehört und aufgezeichnet (zwei Kohlemikrophone in der G r ö ß e einer Streichholzschachtel waren unauffällig in Stereoposition im untergebracht; die Vpn waren sich darüber im Klaren, d a ß mitgeschnitten wurde). Zehn Äußerungen aus dem Gespräch wurden nach einem formalen Kriterium (zeitlicher Abstand) ausgewählt, markiert und den Vpn anschließend zur Erhebung der Abhängigen Variablen (AV) vorgespielt (genaueres siehe unten). Das Experiment endete mit der Aufklärung der Vpn und der an sie gerichteten Bitte, nichts weiterzuerzählen.

3.3. Manipulation der Variablen (UV)

Unabhängigen

Die Vpn erhielten - neben der allgemeinen Instruktion unterschiedliche Aufgaben und Informationen, die das Ziel hatten, Intention und Intentionsattribution systematisch zu variieren. Mit folgenden Intentionen (eigenen und zu unterstellenden) wurde gearbeitet. — Kooperation: auf eine möglichst gute Zusammenarbeit bei der Prüfungsvorbereitung hinzielen; — Abstauben: bei wenig Aufwand möglichst viel Nutzen aus der Prüfungsvorbereitung ziehen wollen. Die genauen Textpassagen sind der Tabelle 1 zu entnehmen. Jede Vp bekam einen Text der linken und einen Text der rechten Spalte. Durch geeignete Kombination der Instruktionen für Vp (A) mit denen für Vp (B) wurden vier unterschiedliche Bedingungen erzeugt (siehe Tab. 2). Die Instruktion für Vp (A) war in allen vier Bedingungen gleich. N u r über die Instruktion für Vp (B) erfolgte die Manipulation der UVn. Die einzelne Vp wußte über die spezifische Instruktion des Gesprächspartners natürlich nicht Bescheid. Gelegentliche Anfragen wurden mit dem Hinweis beantwortet, daß die Instruktion der anderen Vp nicht identisch mit der eigenen sein könne, da ja nur einer von beiden die kenne. Weitere Schwierigkeiten gab es in dieser Hinsicht nicht. Im Hinblick auf die Hypothesen ergeben sich aus Tabelle 2 die Vergleichsmöglichkeiten nach Tabelle 3. Damit liegt ein 2 x 2 - D e s i g n vor mit den Faktoren und (im folgenden: Attribution). Zudem enthält das Design durch beide Gesprächsrollenverteilungen gewissermaßen seine eigene Replikation: jede Vp war Hörer und Sprecher zugleich.

Tab. / . Treatmentspezifische Instruktionspassagen. Attribution

Intention

Kooperation

Der/die Student(in), den/die Sie gleich treffen werden, hat ungefähr gleichviel Ahnung vom Prüfungsgebiet, wie die anderen auch. Er/Sie arbeitet nicht gerne so für sich alleine. Die Auseinandersetzung mit anderen spornt ihn/sie zur eigenen Arbeit an, so daß er/sie in der G r u p p e besser vora n k o m m t . Er/Sie ist deshalb sehr an einer kooperativen Prüfungsvorbereitung interessiert.

Für Sie selbst stellt sich die mögliche Z u s a m m e n arbeit durchaus positiv dar. Die äußeren U m stände bieten eine Gelegenheit, die man sonst nicht so leicht bekommt. Das ist eine gute Voraussetzung. Versuchen Sie also - das ist Ihre Aufgabe - , das Treffen so zu gestalten, daß sich eine wirklich gute Kooperation ergeben kann.

Abstauben

Von allen dreien sind Sie der/die einzige, der/die zu dem Prüfungsthema schon einmal ein Referat gemacht hat. Sie haben also Vorsprung. Der/die Student(in), den/die Sie gleich treffen werden, bringt es nicht fertig, angestrengt zu arbeiten. Er/ Sie hängt sich gerne an andere dran, um abzustauben und ist sehr daran interessiert, daß Sie bei der Sache mitmachen.

Sie selbst müssen für eine andere, wichtigere Prüfung im Hauptfach noch so viel arbeiten, daß Sie kaum mehr Zeit aufbringen können. Sie haben deshalb keine andere Wahl, als die Zusammenarbeit mit den anderen möglichst gut zu Ihrem Vorteil zu nutzen, indem Sie eigene Arbeit einsparen. Verfolgen Sie - das ist Ihre Aufgabe - im Hinterkopf diese -Strategie.

216

Dobrick: Mißverstehen: eine experimentelle Untersuchung

Tab. 2: Übersicht über die Treatment-Bedingungen. Bedingung

Vp A

Vp B

Intention

Attribution

I

Kooperation

Kooperation

II

Kooperation

Kooperation

III

Kooperation

Kooperation

IV

Kooperation

Kooperation

Attribution Kooperation A W W W W OOv A b s t a u b e n W v v v ^

Intention Kooperation Kooperation

W ^ W A V i V / / / ' s/ s/ / / / / / WO\AbstaubenVvW\ vWAbstauben'XAW/ W W \ \ \ w \\W\W / / / / / Kooperation // V ^ A b s t a u b e n / / / / / // / / / / / / /

Gesprächsrollenverteilung (Zuordnung von Äußerungen): a)

Sprecher

Hörer

b)

Hörer

Sprecher

Tab. 3: Vergleich der Treatment-Bedingungen. Effekte der unabhängigen

Variablen:

Veridikalität der Hörer-Attribution: Ivs.IIundlllvs.lV Übereinstimmung der Intentionen: II vs. III und I vs. IV

bei Gesprächsrollenverteilung a)

Übereinstimmung der Intentionen: IIvs. I l l u n d l v s . IV Veridikalität der Sprecher-Attrib.: I vs. II und III vs. IV

bei Gesprächsrollenverteilung b)

3.4. Erhebung der Abhängigen (AV)

Variablen

Das Gespräch wurde im Nebenraum mitgeschnitten. Dabei wurden die Tonband-Zählerstände für insgesamt 12 Äußerungen in vorher festgelegten Abständen notiert. Die Äußerungen Nr. 1, 3, . . . , 11 stammten von Vp (A), die anderen von Vp (B). Anschließend wurde das Gespräch unterbrochen. Der Versuchsleiter bat die Vpn (mit ihren Getränken) in den Nebenraum. Dort hörten sie sich die ersten zehn der ausgewählten Äußerungen an' und wurden je Äußerung nach Gemeintem und Verstandenem befragt. Diese Befragung erfolgte anhand eines Fragebogens, in dem die Vpn für je 30 Statements auf einer Ratingskala anzugeben hatten, inwieweit das Statement auf die fragliche Äußerung zutraf. Dieses Verfahren erschien notwendig, um eine rein numerische Übereinstimmungsprüfung zu ermöglichen und Interpretationen des Versuchsleiters aus1 Die Äußerungen 11 und 12 dienten zur Reserve. Auf sie wurde nur zurückgegriffen, wenn eine der anderen akustisch nicht zu verstehen war, oder sich eine der beiden Vpn nicht mehr zurückerinnern konnte (die chronologische Reihenfolge wurde beibehalten).

zuschalten. Andernfalls wäre letzterer ein dritter Kommunikant! gewesen, der die Vpn seinerseits (möglicherweise hypothesengemäß) hätte mißverstehen können (Prinzip der Selbstanwendung). Allgemeine Beantwortungstendenzen, z. B. nach sozialer Erwünschtheit, können sich nur gegen die Hypothesen richten, da diesen zufolge treatmentspezifische Unterschiede erwartet werden. In einer ein-seitigen Instruktion zum Fragebogen wurden die Vpn darauf hingewiesen, daß sie Angaben dazu machen sollten, wie die betreffende Äußerung in der Gesprächssituation gemeint bzw. verstanden worden war, und daß nachträgliche Interpretationen zu vermeiden seien. Dann folgten 10 Seiten mit je 30 Statements, die in einer gesonderten Voruntersuchung zusammengestellt worden waren. Exkurs: Voruntersuchung zum Fragebogen Das Hauptproblem bei diesem Fragebogen bestand darin, daß er erstellt werden mußte, bevor die Äußerungen bekannt waren, die es einzuschätzen galt. Die Statements mußten also in ihrer Gesamtheit allgemein genug sein, um auf jede mögliche Äußerung angewendet werden zu können; und doch spezifisch genug, um die Abbildung divergierender Auflassungen zu erlauben. Theoriegemäß sollten verschiedene Auffassungen zu einer Äußerung schemaspezifisch divergieren. Es lag daher nahe, Kooperations- und Abstauberschema für die Fragebogenkonstruktion heranzuziehen. In informellen Interviews mit Kollegen versuchte ich, die beiden Schemata zu erheben, indem ich danach fragte, was ihnen zu und einfiele, wie sich eine entsprechende Person verhielte, usw. Die Angaben wurden systematisiert und den Befragten zur Korrektur vorgelegt. Auf der Basis dieser Unterlagen wurden etwa 100 Statements erstellt, die in einem weiteren Schritt von zwei verschiedenen Gruppen von Studenten dem Abstauber bzw. dem Kooperierenden zugeordnet wurden. Solche Statements, die eindeutig zwischen beiden Schemata differenzierten, bildeten die in den Fragebogen aufgenommene Itemliste. Die Itemliste wurde in Vorversuchen zum Experiment erprobt und verbessert. Sie bestand schließlich aus 28 schemaspezifischen Statements (14 + 14) und zwei Füllitems, die eingefügt wurden, um auch konversationshalber getä-

217

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984, 1 5 , 2 1 1 - 2 2 3 Jetzt geht es um das, was Sie selbst gesagt haben. Wie haben Sie das gemeint? will einen passablen Eindruck machen möchte herausfinden, ob es mir was bringt bin bereit, mich einzusetzen möchte für fähig gehalten werden will damit etwas Angenehmes/ Nettes sagen möchte das Gespräch aufrechterhalten binjetztaktivumspäterwenigertunzu müssen möchte Hilfeanbieten wünsche mir Offenheit und Vertrauen möchte als am Thema interessiert gelten fühle/übernehme Verantwortung bringe (erste) eigene Ideen ein zeige, daß ich uns als gleichberechtigt ansehe möchte eine für mich günstige Aufgabenverteilung lasse eigene Unsicherheit erkennen will mich vorsichtig/zurückhaltend ausdrücken will ein bißchen auf action machen schmeichle ein wenig will, daß es in der Sache vorangeht möchte ein bißchen auf den Putz hauen (Eindruck machen) versuche, das Bisherige zusammenzufassen möchte meine Wertschätzung ihm/ihr gegenüber zeigen will, daß meine eigenen Aktivitäten wichtig erscheinen zeige Bereitschaft, Kritik auch entgegenzunehmen kommentiere ein bißchen, ohne selbst produktiv sein zu wollen. möchte eigene Passivität verbergen drücke ein wenig Enttäuschung aus will etwas Neues sagen will mich nicht festlegen lassen versuche, wirkliches Einvernehmen zu erzielen

ja, trifft

so ungefähr

trifft kaum

so nicht

O O O o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o

O O O O O O O o o 0 o o o o o o o o 0 o o o o o o o o o o o

o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o

o o o o o o o o o o o o o o o o o o o o O o o o o o o o o o

Abb. 5: Eine Seite des Fragebogens.

tigte Äußerungen einstufen zu können. Die endgültige Liste ist in Abbildung 5 einzusehen. Eine gesonderte Erhebung zur Bestimmung der Retestreliabilitäten des Fragebogens ergab genügend hohe Werte (rt, = .57), um im Falle des Scheiterns der Hypothesen den Fragebogen als corpus delicti ausschließen zu können. Der Fragebogen enthielt 10 solcher Seiten, wie sie Abbildung 5 zeigt. Jede Seite war einer Äußerung zugedacht. Da sowohl eigene als auch fremde Äußerungen eingeschätzt werden mußten, waren eine Ich-Version und eine Er/Sie-Version erforderlich, die sich dadurch unterschieden, daß z.B. durch ersetzt wurde; außerdem variierte die Seitenüberschrift, in der auf den jeweiligen Sprecher hingewiesen wurde. Beide Versionen wechselten sich im Fragebogen ab, da auch die Äußerungen wechselweise von einer der beiden Vpn stammten. Der Fragebogen für Vp (A) begann mit einer Ich-Version, der für Vp (B) mit einer Er/Sie-Version. Die Vpn schätzten die Äußerungen sukzessive, in chronologischer Reihenfolge ein. Sie sprachen während der Erhebungsphase nicht miteinander. Am Ende des Fragebogens beantworteten sie u.a. Fragen nach der eigenen, sowie nach der beim Gesprächs-

partner vermuteten Intention (in freien Worten). Diese Angaben dienten der Kontrolle der UV-Manipulation.

4.

Durchführung

Insgesamt 100 Vpn ( = 50 Dyaden) nahmen an dem Experiment teil. Die Dyaden wurden in der Reihenfolge ihrer Termine auf die Gruppen I bis IV verteilt. Die jeweils zuerst erscheinende Vp wurde der Rolle A zugewiesen. Bei gleichzeitigem Erscheinen erfolgte die Rollenverteilung nach Zufall. Auf das Geschlecht der Vpn wurde dabei keine Rücksicht genommen (es wurde lediglich versucht, jeweils verschiedengeschlechtliche Personen zu einem Termin zu bestellen, um das Auseinanderhalten der Stimmen beim Mithören zu erleichtern). Der einzelne Versuchsdurchgang dauerte ungefähr eine bis anderthalb Stunden (einschließlich Aufklärung; sie führte oft zu langen Gesprächen, in denen meist auch deutlich wurde, daß die experimentelle Situation als realistisch empfunden worden war). Auf das Rollenspiel selbst entfie-

218

Dobrick: Mißverstehen: eine experimentelle Untersuchung

len davon etwa sieben Minuten. Die Datenerhebung war nach 23 Tagen abgeschlossen. Sechs Durchgänge waren unbrauchbar, z.B. weil sich die Vpn vor der AV-Erhebung über ihre Instruktionen informierten, oder weil eine von beiden angab, sich hinterher an die Instruktion nicht mehr erinnern zu können. Weitere sieben Dyaden wurden ausgeschieden, weil mindestens einer der Partner im Fragebogen eine (eigene) Intention angegeben hatte, die mit der Instruktion nicht in Einklang zu bringen war (leider fielen damit i m m e r gleich zwei Vpn aus). Hier war die Durchschlagskraft der experimentellen Manipulation offensichtlich nicht ausreichend gewesen (BREDENKAMP, 1980). Die Angaben zur Intention des Gesprächspartners (Attribution) wurden nicht in dieser Weise behandelt, weil die eventuelle Aufgabe einer falschen Unterstellung im Verlaufe des Gespräches ein D a t u m ist, das zur Widerlegung der Hypothesen zugelassen werden m u ß (bottom-up). Die verbliebenen Gruppenhäufigkeiten lauteten 9 , 1 0 , 1 0 , 9 , für die G r u p p e n I bis IV (respektive).

nungen doch einbezogen. Es ist aber zu beachten, d a ß für ein rechnerisches Übereinstimm u n g s m a ß das Verhältnis von Z u s t i m m u n g e n zu Ablehnungen beiderseits von Ausschlag ist: bei beispielsweise 29 A b l e h n u n g e n und einer Z u s t i m m u n g auf beiden Seiten ergibt sich eine hohe Übereinstimmung, wenn die A b l e h n u n gen einbezogen werden; mindestens 28 Ablehnungen decken sich dann nämlich. R e k u r r i e r t m a n n u r auf die Z u s t i m m u n g e n , d a n n ergibt sich (völlige) Nichtübereinstimmung, wenn die Z u s t i m m u n g e n bei verschiedenen Items liegen; andernfalls würde die Nicht-Koinzidenz der einen Z u s t i m m u n g bei 28 A b l e h n u n g e n n u r geringfügig ins Gewicht fallen. Als Dichotomisierungskriterium wurde die individuelle Skalenmitte verwendet, um durchgängige personenspezifische Skalenpräferenzen auszuschalten. Da n u r deutliche Zustimmungen einbezogen werden sollten, wurde von der Skalenmitte jeweils der Wert 1 abgezogen. 2 Die Übereinstimmungen der Gesprächsp a r t n e r in den Zustimmungen dürfen nicht einfach p r o Ä u ß e r u n g ausgezählt werden. Je nach Anzahl der Z u s t i m m u n g e n auf jeder Seite ist eine Ü b e r e i n s t i m m u n g bestimmter H ö h e mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit a priori zu erwarten. der eine Partner z.B. 15 Items und der andere 16, so ist die Übereins t i m m u n g in einem Item (bei insgesamt 30 Items) sogar zwingend; wählen beide n u r drei Items, so ist eine Ü b e r e i n s t i m m u n g wesentlich unwahrscheinlicher. Die empirische Ü b e r e i n s t i m m u n g ist also auf die theoretisch zu erwartende zu beziehen. Die theoretischen Wahrscheinlichkeiten folgen der hypergeometrischen Verteilung; die vorliegenden Verhältnisse sind d e m U r n e n m o dell o h n e Zurücklegen vergleichbar: die W a h r scheinlichkeit für eine Ü b e r e i n s t i m m u n g bestimmter H ö h e (Trefferzahl) ist abhängig von der Zahl der Items (Kugeln insgesamt), von der Anzahl der Wahlen des einen Partners (weiße Kugeln) und von der Anzahl der Wahlen des anderen Partners (Ziehungen). Sie berechnet sich nach

5.

Auswertung

Den Angaben der Vpn wurden p r o Item die Werte 1 bis 4 (Zustimmung bis Ablehnung) zugeordnet. Als M a ß für das Verstehen (AV) wurden die Übereinstimmungen zwischen den beiden Partnern der Dyade hinsichtlich Meinen (Sprecher) und Verstehen (Hörer) je Ä u ß e r u n g herangezogen. Bei der Berechnung der Übereinstimmungen sind aus inhaltlichen G r ü n d e n die Zustimmungen anders zu behandeln als die Ablehnungen. Die Item-Ablehnungen sind mit einer Ambiguität belastet: wird in bezug auf eine bestimmte Ä u ß e r u n g ein Item als nicht zutreffend bezeichnet, d a n n kann dies deswegen erfolgen, weil (a) das Item auf die Ä u ß e r u n g grundsätzlich nicht anwendbar ist, oder weil (b) das Item zwar anwendbar, aber der Betreffende der Auffassung ist, der Iteminhalt sei nicht gemeint gewesen. Diese Ambiguität resultiert u.a. aus der notwendigerweise breiten inhaltlichen Streuung der Items wegen der Vorfertigung des Fragebogens. Es ist deswegen problematisch, gemeinsame A b l e h n u n g e n als Übereinstimmung von G e m e i n t e m und Verstanden e m zu werten. Im folgenden leite ich ein Übere i n s t i m m u n g s m a ß ab, das lediglich auf gemeinsamen Zustimmungen b e r u h t . Zustimmungen von A b l e h n u n g e n zu unterscheiden, verlangt eine Dichotomisierung der Antworten. Zwar sind d a n n Nicht-Zustimmungen i m m e r auch A b l e h n u n g e n , so daß m a n meinen könnte, indirekt würden die Ableh-

2 Dadurch entfallt in Gruppe I eine Dyade, deren einer Partner dann keine Zustimmungen mehr zeigt.

219

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984, 15, 2 1 1 - 2 2 3

Stimmung genommen; die Übereinstimmung war ja faktisch aufgetreten. Dieses M a ß wurde anschließend zur Stabilisierung der Varianz und zur N o r m a l i s i e r u n g wobei N = Zahl der Items (Kugeln) M = Zustimmungen des einen Partners (weiße Kugeln) n = Zustimmungen des anderen Partners (Ziehungen) m = Zahl der Übereinstimmungen (Treffer).

Die S u m m e dieser Wahrscheinlichkeiten über alle möglichen (!) Ereignisse (minimale bis maximale Ü b e r e i n s t i m m u n g bei gegebenen Wahlen) ist gleich 1. Variiert n u n die Anzahl der möglichen Ereignisse von Ä u ß e r u n g zu Ä u ß e r u n g und über die Dyaden (veränderte Zahl von Wahlen), d a n n sind die Einzelwahrscheinlichkeiten (Summanden) nicht miteina n d e r vergleichbar. U m diese Vergleichbarkeit herzustellen, ist auf die Wahrscheinlichkeit für höchstens oder mindestens (statt genau) eine Ü b e r e i n s t i m m u n g des gefundenen Ausmaßes zurückzugreifen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Übereins t i m m u n g mindestens des gefundenen Ausmaßes ist die S u m m e der Einzelwahrscheinlichkeiten der oberhalb des vorliegenden Ereignisses möglichen Ereignisse einschließlich des vorliegenden. Dieser Wert wird i m m e r kleiner, je größer die vorliegende Ü b e r e i n s t i m m u n g ist, da die Zahl der darüberliegenden Ereignisse absinkt. Aus diesem G r u n d e wurde die Differenz zu 1 (sicheres Ereignis) berechnet. Diese entspricht nicht der Wahrscheinlichkeit für höchstens eine Ü b e r e i n s t i m m u n g des gefundenen Ausmaßes, da hierfür das gefundene Ereignis d e m unteren Schwanz der Verteilung zugerechnet werden m ü ß t e . Doch läßt sich dieser Wert als Unwahrscheinlichkeit für eine Übereins t i m m u n g mindestens der gefundenen H ö h e interpretieren, und er weist den Vorteil auf, d a ß er gleich 0 (Null) ist, wenn tatsächlich keine Ü b e r e i n s t i m m u n g vorliegt oder n Übereinstimmungen zwingend sind. D a auf dieser G r u n d l a g e die vorfindlichen Ü b e r e i n s t i m m u n g e n über Ä u ß e r u n g e n und Dyaden vergleichbar sind, wurde die genannte Differenz (Unwahrscheinlichkeit für mindestens . . . ) als M a ß für die H ö h e der Überein-

a r c u s - s i n u s - t r a n s f o r m i e r t (vgl. SACHS, 1968, p.

269f.; D I X O N & MASSEY, 1969, p. 324f.); arcus sinus p liefert das G r a d m a ß (Altgrad) jenes Winkels, dessen Sinus gleich p ist. Das Übere i n s t i m m u n g s m a ß kann daher zwischen 0 und 90 schwanken.

6.

Ergebnisse

Je Dyade und Ä u ß e r u n g resultiert bei d e m beschriebenen Verfahren ein Übereinstimmungswert. Innerhalb jeder Dyade s t a m m e n je fünf Ä u ß e r u n g e n von einem Partner. Über diese wurde jeweils gemittelt, so d a ß sich auf Dyadenebene zwei Übereinstimmungswerte p r o Fall (Dyade) ergaben. Sie wurden herangezogen, u m die Hypothesen zu p r ü f e n . Die Ergebnisse sind - getrennt nach Sprechern - über die G r u p p e n m i t t e l w e r t e in Tabelle 4 und Abbildung 6 einzusehen. Ich gehe zunächst auf die Ä u ß e r u n g e n von Vp (A) ein. Die höchsten Ü b e r e i n s t i m m u n g s werte wurden dort durch G r u p p e I (gleiche Intentionen, veridikale Attribution) erzielt (55.2). Die anderen G r u p p e n unterschieden sich nicht wesentlich voneinander. Eine zwei-

Tab.4: Mittlere Übereinstimmung zwischen den Gesprächspartnern pro Treatmentbedingung; Streuungen in Klammern. Die Ausgangswerte sind nach der hypergeometrischen Verteilung berechnet, arcus sinus transformiert und über die fünf Äußerungen pro Gesprächspartner (Vp (A)/(B)) gemittelt. Die Tabelle basiert auf der nach den Intentionsangaben reduzierten Stichprobe. Äußerungen von Treatment

I II III IV

Gesamt

Vp(A)

Vp(B)

55.2 (20.4) 36.4 (18.7) 36.8 (19.1) 38.5 (15.4)

49.0 (14.4) 37.8 (15.0) 31.6 (11.4) 41.4 (12.4)

41.1 (18.5)

39.7 (13.4)

220

Dobrick: Mißverstehen: eine experimentelle Untersuchung Übereinstimmung

Übereinstimmung

70.

70.

^

20.

gleich

Attr.veridikal

Attr.veridikal Attr. falsch

Attr. falsch 20.

divers

gleich

divers Intentionen

Intentionen

Abbildung 6b (zu Tab.4), Äußerungen von V P (B)

Abbildung 6a (zu Tab.4), Äußerungen von V P (A) Abb.6: Graphische Darstellung der Ergebnisse aus Tabelle4.

faktorielle Varianzanalyse wies weder einen signifikanten Haupteffekt noch eine signifikante Wechselwirkung aus. Doch wird die Intentionshypothese über den Vergleich der G r u p pen I und IV bestätigt 3 (t = 1.91, df = 15, p = .038/einseitig). Sie kann nur für den Fall veridikaler Attribution aufrechterhalten werden. Der Unterschied zwischen den Gruppen I und III ist zwar ebenfalls signifikant (t = 1.96, df = 16, p = ,034/einseitig), doch lassen sich die beiden Hypothesen hier nicht auseinanderhalten. Die Attributionshypothese wird durch den Vergleich der G r u p p e n I und II bestätigt (t = 2.02, df = 16, p = .030/einseitig), nicht aber durch den Unterschied zwischen den G r u p p e n III und IV, so daß auch sie nur eingeschränkt auf den Fall übereinstimmender Intentionen aufrechtzuerhalten ist. Alle angeführten Mittelwertsignifikanzen lassen sich durch den UTest, zur Absicherung wegen des Skalenniveaus berechnet, bestätigen. Bei den Äußerungen von Vp (B) (vgl. Abb. 6b) ergab die zweifaktorielle Varianzanalyse einen signifikanten Haupteffekt für die Veridikalität der Attribution (vgl. Tab. 5). Im Einzelvergleich sind die Mittelwerte der G r u p p e n III und IV (t = — 1.81, df = 17,p = ,044/einseitig) sowie I und III (t = 2.94, df = 17, 3

Unabhängige Einzelmittelwertvergleiche sind hier zulässig, da vorab gerichtete Hypothesen vorlagen (SACHS, 1968, p. 495).

Tab. 5: Varianzanalyse zu den Äußerungen von Vp (B) (vgl. Tab. 4). Quelle

SS

DF

MS

F

Sign

Haupteffekte Attribution (A) Attribution (B) Interaktion A x B Erklärt Rest Insgesamt

1491.69 1044.07 447.62 4.03 1495.73 6082.62 7578.34

2 1 1 1 3 34 37

745.85 1044.07 447.62 4.03 498.58 178.90 204.82

4.17 5.84 2.50 .02 2.79

.02 .02 .12 .88 .06

p = ,005/einseitig) signifikant voneinander verschieden. Im letzteren Vergleich werden die beiden Hypothesen wieder gemeinsam geprüft.

7.

Diskussion

7.1. Zu den

Ergebnissen

Die Resultate bezüglich der Äußerungen von Vp (A) und Vp (B) sind insofern konsistent, als die höchste Übereinstimmung jeweils erzielt wurde, wenn sowohl die Intentionen gleich waren als auch veridikal attribuiert wurde (Gruppe I). Dies ist hypothesenkonform. Die oben genannten Einschränkungen lassen sich so interpretieren, daß bereits einer der hypothesengemäß ungünstigen Fälle (falsche Attribution oder verschiedene Intentionen) genügt, um gegenseitiges Verstehen qua Übereinstimmung

221

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984, 1 5 , 2 1 1 - 2 2 3

zwischen Gemeintem und Verstandenem deutlich zu erschweren. Auch dies gilt für die Äußerungen beider Partner. Nur für die Äußerungen von Vp (B) allerdings führt die hypothesengemäß doppelt ungünstige Bedingung verschiedener Intentionen und falscher Attribution zu einer weiteren Erhöhung von Mißverstehen. Hinsichtlich einer möglichen Modifizierung der Effekte beim Sprecherrollenwechsel waren keine Hypothesen formuliert worden. Vielmehr sollten die formulierten Hypothesen für beide Gesprächsrollenverteilungen (mit dem Hintergedanken einer internen Replikation) gelten. Die Unterschiede zwischen den Äußerungen von Vp (A) und Vp (B) wurden dementsprechend nicht statistisch geprüft. Dennoch erscheint es lohnenswert, sie zu diskutieren. Die Unterschiede gehen im wesentlichen auf eine Positionsveränderung der G r u p p e n III und IV zurück. Wie erinnerlich (vgl. Tab. 2), sind in G r u p p e III sowohl die Intentionen verschieden, als auch die Attributionen falsch. In G r u p p e IV attribuiert Vp (B) demgegenüber veridikal auf Kooperation, intendiert aber selbst Abstauben. Spricht nun in G r u p p e IV die Vp (B), so wird eine höhere Übereinstimmung erzielt, als wenn Vp (A) spricht. In G r u p p e III sinkt die Übereinstimmung statt dessen ab (beides nicht statistisch abgesichert, siehe oben). Wie ist das zu erklären? In Bedingung IV ist Vp (B) in einer Situation, die taktisches Vorgehen nahelegt. Sie weiß, daß der Gesprächspartner auf Kooperation aus ist und läuft Gefahr, diese hinsichtlich der eigenen Intention günstige Konstellation zu zerstören, wenn die eigene Intention entdeckt wird. Insbesondere beim eigenen Sprechen dürfte Vp (B) deshalb die Intention des anderen im Auge haben und sich daran orientieren. Da der andere die unterstellte Intention tatsächlich hat, kommt es zu erhöhten Übereinstimmungen. Dies entspricht dem erwarteten Attributionseffekt. Unter Bedingung III dagegen ist die Intentionsunterstellung falsch und Taktieren müßte aus der Sicht von Vp (B) überflüssig sein. Hier kann sie sozusagen offen auftreten, trifft aber auf eine ganz andere Wahrnehmungsperspektive, ohne dafür sensibilisiert zu sein (niedrigste Übereinstimmung überhaupt). Daß die Über-

einstimmung nicht genauso niedrig ist, wenn Vp (A) spricht, mag daran liegen, daß einem Abstauber kooperative Äußerungen willkommen sein dürften, auch wenn er sie nicht erwartet. Unabhängig von der Plausibilität der angebotenen Erklärungen verweist der diskutierte Effekt in den Ergebnissen auf das eingangs (S. 211) als ungelöst bezeichnete Problem der Interaktion gleichzeitig aktivierter Schemata. Offensichtlich kommt man hier mit einer einfachen Parallelitätsannahme nicht aus. U m genauere Aussagen machen zu können, hätten die tatsächlich im Gespräch verwendeten Schemata erhoben werden müssen, was nicht möglich war. Die in der Voruntersuchung erhobenen Schemata hatten lediglich als Basis für die Fragebogenstatements gedient. Unterschiedliche Ankreuzungen sind somit nur Indikatoren dafür, daß verschiedene Schemata angewendet wurden.

7.2. Zur experimentellen

Situation

Gespräche finden im Alltag gewöhnlich nicht mit künstlich induzierten Intentionen statt und werden auch nicht als Rollenspiel aufgeführt. Man könnte unter dem Gesichtspunkt der ökologischen Validität gegen das beschriebene Experiment einwenden, es sei eine vergleichsweise statische Konzeption von Gespräch realisiert worden. Dazu möchte ich auf drei Aspekte verweisen: a) Die Wahl des Rollenspiels war notwendig, um die Intentionsattribution manipulieren zu können. Hätte man die experimentelle Situation als Situation verkauft, dann hätte den Vpn plausibel gemacht werden müssen, wie der Versuchsleiter dazu kommt, zuverlässig über Intention bzw. Arbeitsverhalten der anderen Vp Bescheid zu wissen. Der Verdacht, beim Gesprächspartner handele es sich u m einen Vertrauten des Versuchsleiters, wäre kaum auszuräumen gewesen. Beim Rollenspiel entfällt dieses Problem. Die dafür eingehandelte Folge möglicherweise Intentionen erscheint mir weniger gravierend; kann man doch vermuten, daß die beobachteten Effekte unter natürlichen Bedingungen selbstgenerier-

222

Dobrick: Mißverstehen: eine experimentelle Untersuchung

ter Intentionen (und Attributionen) eher deutlicher ausfallen. b) Im vorliegenden Experiment wurde auf das D u r c h h a l t e n zumindest der je eigenen Intention Wert gelegt. Darin liegt zugegebenerm a ß e n eine statische Restriktion, die allerdings methodisch erforderlich war. Doch hat dies nicht zwingend statische Gespräche zur Folge. Jedes Gespräch konnte seinen freien Lauf nehmen und für das Erzielen von Verstehen standen alle sprachlichen und nichtsprachlichen Mittel (Mimik, Gestik, usw.) zur Verfügung. T r o t z d e m konnten die Effekte abgesichert werden. c) Natürlich können sich während eines Gespräches Intentionen auch verändern, z.B. dann, wenn m a n merkt, d a ß die Zielerreichung angesichts eines verbohrten Partners aussichtslos ist. Häufig aber sind Interaktionen n u r von kurzer Dauer (wie im Experiment) und werden nicht wieder a u f g e n o m m e n , weil ein Urteil über den anderen entstanden ist, das zur Wied e r a u f n a h m e nicht motiviert. D a n n besteht kaum eine Chance aufzuklären, ob das Urteil auf einem Mißverständnis beruht. M a n ist möglicherweise nicht weit von dem entfernt, was N E W C O M B (1947) als autistische Feindseligkeit beschrieben hat. Diesbezüglich wäre eine statische Konzeption sogar angemessen.

gleichsweise harmlose Konsequenz, d a ß m a n doppelt so viele Vpn braucht. In diesem Aufsatz wurden viele Überlegungen u n d Entscheidungen, die notwendig waren, u m Eventualitäten zu managen, gar nicht erwähnt, weil dazu m e h r Platz nötig gewesen wäre. H E R R M A N N (1982b) hat die bisherige Vernachlässigung von Sprachproduktionsprozessen d u r c h Psycholinguisten damit erklärt, d a ß die AV schwer zu fassen sei, d a ß die Notwendigkeit, mit spontanen Ä u ß e r u n g e n umzugehen, gewissermaßen davor abgeschreckt habe, sich damit ü b e r h a u p t zu befassen. F ü r eine Verstehensforschung mit dyadischem Ansatz gelten solche Probleme in verstärktem Maße.

7.3. Zur

Forschungsstrategie

Über Verstehen wird viel geschrieben. Eine dyadische Perspektive findet sich dabei z. B. in der Sprachphilosophie (mutual knowledge; SMITH, 1982). In der empirischen Forschung fehlt sie. Zwar wird in der Sprachproduktionsforschung der H ö r e r nicht ignoriert (wie in der Rezeptionsforschung der Sprecher/Schreiber), aber er spielt n u r als vom Sprecher kognizierter H ö r e r eine Rolle. Der Wert individuumzentrierter Forschung zu Sprechen und Verstehen soll hier nicht geschmälert werden. Die vorliegende Arbeit wäre o h n e die einschlägigen Vorgaben nicht denkbar gewesen. Faktisches Verstehen läßt sich m. E. jedoch n u r untersuchen, wenn Sprecher und H ö r e r real zusammengebracht werden. Die Untersuchungssituation wird d a d u r c h erheblich komplizierter. Es ist n u r eine ver-

D e n n o c h wird m a n nicht daran vorbeikommen, die Dyade zur Untersuchungseinheit zu m a c h e n , will m a n Verstehen von Mitteilungen tatsächlich in den G r i f f b e k o m m e n . Die Dyade als Einheit ist dabei nicht nur erforderlich, u m Bedingungen für Mißverstehen zu untersuchen, wie im vorliegenden Fall, sondern auch, wenn es u m Techniken der Verständnissicherung (bottom-up) geht. Andernfalls e r f ü h r e m a n nicht, ob M a ß n a h m e n auch tatsächlich greifen. Vielleicht erfahrt m a n auf diesem Wege auch, d a ß Richtig-Verstehen viel seltener vork o m m t , als m a n glauben möchte.

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224

Bredenkamp: Anmerkungen und Korrekturen zu HAGER & WKSTERMANN

Diskussion Anmerkungen und Korrekturen zu H A G E R & W E S T E R M A N N : Entscheidung über statistische und wissenschaftliche Hypothesen: Probleme bei mehrfachen Signifikanztests zur Prüfung einer wissenschaftlichen Hypothese JÜRGEN BREDENKAMP Fachbereich Psychologie der Universität Trier

HAGER & WESTKRMANN erörtern, wie eine wissenschaftliche Hypothese streng geprüft werden kann, wenn der Einsatz mehrfacher Signifikanztests erforderlich ist. In dieser Arbeit werden Probleme und Fehler, mit denen die Vorschläge der Autoren behaftet sind, diskutiert bzw. korrigiert.

HAGER & WESTERMANN discuss how a scientific hypothesis can be strongly tested if more than one test of significance is required. In this article problems and mistakes associated with the author's suggestions are discussed resp. corrected.

1.

lichkeiten von s eine echte Teilklasse der Falsifikationsmöglichkeiten von q ist. Da HAGER & WESTERMANN, die sich «der Falsifikationstheorie Poppers oder einer ihrer Modifikationen verpflichtet» (p. 106) fühlen, den Z u s a m m e n hang zwischen Bestimmtheit u n d Prüfbarkeit übersehen haben, gelangen sie zu Aussagen, die u n h a l t b a r sind und hier korrigiert werden sollen (vgl. Abschnitt 3). Bevor dies geschieht, ist jedoch die Behandlung eines anderen Punktes notwendig. Wenn sich aus psychologischen Hypothesen statistische Populationsaussagen über die Gleichheit z. B. zweier Parameter (H 0 ) oder über die Richtung des Unterschieds zwischen P a r a m e t e r n (H,) ableiten lassen, k o m m t der Entscheidung über statistische Hypothesen dieselbe Funktion wie der Festsetzung von Basissätzen innerhalb POPPERS Methodologie zu. M . W . war M E E H L (1967) der erste, der auf die Möglichkeit einer implikativen Verknüpfung zwischen psychologischen und statistischen Hypothesen hingewiesen hat, und in A n k n ü p f u n g a n diese Arbeit habe ich zu zeigen versucht, welche Anforde-

Einleitung

In der Methodologie POPPERS entscheidet über den G r a d der Bewährung einer wissenschaftlichen Hypothese «nicht so sehr die Anzahl der bewährenden Fälle, als vielmehr die Strenge der Prüfung, der der betreffende Satz unterworfen werden kann und unterworfen wurde. Diese hängt aber von d e m Prüfbarkeitsgrad (von der «Einfachheit») des Satzes ab: der in höher e m G r a d e falsifizierbare . . . Satz ist somit auch der in h ö h e r e m G r a d e b e w ä h r b a r e » (POPPER, 1966, p. 213). Die Prüfbarkeit einer Hypothese hängt u.a. von ihrer Bestimmtheit ab. POPPER (1966, p. 85) erläutert dies a n h a n d folgender Sätze: q: Alle Planetenbahnen sind Kreise, s: Alle Planetenbahnen sind Ellipsen. Von q zu s n i m m t die Bestimmtheit der Prädikation ab. D u r c h die Falsifikation des Satzes s wird Satz q mitfalisifiziert. Satz q heißt in höher e m G r a d e falsifizierbar oder besser p r ü f b a r als Satz s, weil die Klasse der Falsifikationsmög-

225

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1984, 1 5 , 2 2 4 - 2 2 9

rungen von hier aus an statistische Tests zu stellen sind. 1 In erster Linie sind die statistischen Fehlerwahrscheinlichkeiten a und ß bei der Planung einer U n t e r s u c h u n g gering zu halten. Aus verschiedenen G r ü n d e n kann jedoch die Falsifikation einer der statistischen Populationsaussage vorgeordneten psychologischen Hypothese logisch auch d a n n nicht erzwungen werden, wenn a und ß klein sind. Die M a ß n a h men zur Kleinhaltung von a und ß und die Befolgung weiterer Regeln ermöglichen es aber einem Forscher, der gewillt ist, nicht jeden für seine Hypothese negativen Befund zu exhaurieren, sich für ihre Falsifikation entscheiden zu können (ausführlich dazu BREDENKAMP, 1980).

B) Aus einer psychologischen Hypothese wird die K o n j u n k t i o n von k statistischen Alternativhypothesen abgeleitet. C) Aus einer psychologischen Hypothese wird die K o n j u n k t i o n von k, Null- und k 2 Alternativhypothesen abgeleitet. Ihre Lösungsvorschläge sollen zunächst jeweils losgelöst vom jeweiligen D e m o n s t r a tionsbeispiel ü b e r p r ü f t werden; sodann wird darauf eingegangen, wie die Autoren das jeweilige Beispiel im Kontext des übergeordneten Problems behandeln. Da die A u t o r e n auf das Problem, d a ß statistische Populationsaussagen aus psychologischen Hypothesen n u r unter Zuhilfenahme von Hilfshypothesen ableitbar sind, nicht eingehen, sei es auch hier ausgespart (vgl. dazu BREDENKAMP, 1980).

HAGER & WESTERMANN befassen sich vor allem mit der Frage, wie U n t e r s u c h u n g e n in dem kurz skizzierten R a h m e n zu planen sind, wenn sich eine Verknüpfung von m e h r e r e n Populationsaussagen aus der psychologischen Hypothese ableiten läßt. Ihre Lösungsvorschläge sind jedoch mit Problemen behaftet, die die A u t o r e n nicht bedenken. D a r a u f soll im folgenden eingegangen werden. H A G E R & WESTERMANN behandeln drei Fälle:

2.

Zur Adjustierung der Fehlerwahrscheinlichkeiten

Z u m besseren Verständnis der folgenden Ausf ü h r u n g e n sind in Tabelle 1 die Wahrscheinlichkeiten für falsche und richtige Entscheidungen bei unabhängigen Tests dargestellt, wenn k = 2. Die Wahrscheinlichkeit, sich fälschlich gegen die aus der psychologischen Hypothese abgeleitete K o n j u n k t i o n von P o p u lationsaussagen zu entscheiden, wird mit e, bezeichnet. Entsprechend beträgt die Wahrscheinlichkeit, sich richtig für diese K o n j u n k tion zu entscheiden, 1 — e,. Trifft die abgeleitete

A) Aus einer psychologischen Hypothese wird die K o n j u n k t i o n von k statistischen Nullhypothesen abgeleitet. 1 Es entspricht wohl kaum dem Gebot der Fairness, wenn HAGER & WESTERMANN derartige Bemühungen (BREDENKAMP, 1969, 1972) nunmehr ausschließlich für sich und GADENNE reklamieren.

Tab. 1. Zutreffend ist

HO(1|AHO(2>

H|(I)AH|(2)

H|(1)AH0

HQ^AHO12»

1-c,

e, =

e, = ß , ( l - a , )

e, = ( l - a , ) ß .

~ (HO(2>AH0>2>)

e, = 1 —(1 — a i K1 — a,) 1 — e 2

1-e,

l-e2

H|(I)AH|(2)

e2 = a , a .

1-e,

e, = (l-ß,)a 2

e2 = a,(l-ß,)

~(H,