Zeitschrift für Sozialpsychologie: Band 16, Heft 3 1985 [Reprint 2021 ed.]
 9783112469064, 9783112469057

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H ERAUSGEBER HUBERT FEGER

C. F. G R A U M A N N KLAUS HOLZKAMP MARTIN IRLE

BAND

16 1985 H E F T

3

V E R L A G HANS HUBER BERN STUTTGART WIEN

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985, Band 16, H e f t 3 INHALT Theorie und Methoden Handlungspsychologie: Vom Experimentieren mit Perspektiven zu Perspektiven fürs Experimentieren

KÜHL, J . & WALDMANN, M . R . :

153

Empirie A . J . A . & G U B B E L S , J . W.: Die Vorhersage des Rollenverhaltens Eine Untersuchung zum Umweltschutz-Verhalten (Wegwerf-Verhalten): Einstellung, Einstellungs-Verfügbarkeit und soziale N o r m e n als Verhaltensprädiktoren M Ü L L E R , G . F. & A U T E N R I E T H , U . : Koalitionsbildung in 3 - P e r s o n e n - G r u p p e n und ihre Vorhersagbarkeit durch sozialpsychologische Interaktionstheorien

TER H E I N E , E . J . H . , F E L L I N G ,

182

MIELKE, R . :

196 206

Literatur Rezensionen

219

S . E . 1 9 8 4 . Social Cognition. Addison Wesley: Wording S T R A C K , F . : Social Cognition: Sozialpsychologie als Informationsverarbeitung I R L E , M . : Der Souverän «Social Cognition»

FISKE, S . T . &TAYLOR,

219 219

222

Neuerscheinungen

226

Titel und Abstracta

227

Nachrichten und Mitteilungen

228

Autoren

230

C o p y r i g h t 1985 Verlag H a n s H u b e r Bern S t u t t g a r t T o r o n t o H e r s t e l l u n g : Satzatelier P a u l S t e g m a n n , Bern P r i n t e d in Switzerland G e d r u c k t mit U n t e r s t ü t z u n g der D e u t s c h e n F o r s c h u n g s g e m e i n s c h a f t . L i b r a r y of C o n g r e s s C a t a l o g C a r d N u m b e r 78-126626 Die Zeilschrift für Sozialpsychologie wird in Social Sciences Citation Index Current Contents / Social and Behavioral Sciences e r f a ß t .

(SSCI) u n d

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1 9 8 5 , 1 6 , 1 5 3 - 1 8 1

153

Theorie und Methoden Handlungspsychologie: Vom Experimentieren mit Perspektiven zu Perspektiven fürs Experimentieren* JULIUS K Ü H L & MICHAEL R . WALDMANN Max-Planck-Institut f ü r psychologische Forschung, München

A u s g a n g s p u n k t dieser Arbeit ist die F o r d e r u n g , Handlungspsychologie experimentell zu betreiben. Dazu wird in einem ersten Teil zu einigen aktuellen metatheoretischen Positionen Stellung g e n o m m e n , die die Möglichkeit empirischer P r ü f u n g partiell in Frage stellen. Anschließend diskutieren wir vier handlungspsychologische Ansätze, die unterschiedliche Analyseebenen bzw Fragmente des komplexen Phänomens H a n d l u n g bearbeiten: -

d i e D y n a m i s c h e H a n d l u n g s t h e o r i e (ATKINSON & BIRCH) H a n d l u n g s r e g u l a t i o n s t h e o r i e (CARVER & SCHEIER)

-

H a n d l u n g s k o n t r o l l t h e o r i e (KÜHL) Zielbildungstheorien (Erwartungs-mal-Wert Theorien)

T h e paper is based o n the premise that current experimental research does not fully exploit the heuristic p o w e r of psychological theories of action. Since the paucity of experimental research guided by action-theoretical a p p r o a c h e s m a y be partly attributable to the impact of several metatheoretical positions according to which m a n y elements of action theories a r e not a m e n a b l e to experimental testing, these positions are critically examined. Four theories of action are discussed a n d experimental research suggested by each of these approaches is illustrated Finally, typical problems arising when complex theories a r e tested empirically are discussed

Dabei wird ausführlich auf die experimentellen Perspektiven der einzelnen Ansätze eingegangen Schließlich diskutieren wir einige typische P r o b l e m e , die bei der P r ü f u n g komplexer Theorien a u f t r e t e n und plädieren abschließend f ü r eine stärkere theoretische Integration der unterschiedlichen Ansätze

Bei der Lektüre psychologischer Fachzeitschriften kann man sich zuweilen des Eindrucks nicht erwehren, daß die vielen Fortschritte in der experimentellen Erforschung mentaler Prozesse paradoxerweise unser Verständnis menschlichen Handelns kaum fördern. Selbst wenn uns die experimentelle Forschung bald endgültige Antworten auf die gegenwärtig aktuellen Fragen gäbe, z.B. ob sich die Aktivierung von Gedächtnis* Wir möchten uns ausdrücklich für die zahlreichen Anregungen b e d a n k e n , die uns die folgenden Kollegen nach Lektüre der ersten Fassung dieses Referats haben z u k o m m e n lassen

M A R I O VON CRANAC H, J o ( HEN BRANDTSTADTI-R, DIFCT

RL( H D O R S H R ,

H f c l N Z H f ( K.HAUSF.N, G l - R H A R D

KAMINSKI,

M O M K A K N O P F , W O L F G A M , S F O H N , A L F X A N D F R THOMAS u n d

WAI II R Voi FFRI Ein Teil dieser Arbeit wurde während des Aufenthalts des Erstautors am Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences, S t a n f o r d geleistet

strukturen sukzessiv vollzieht (ANDERSON, 1976) oder als paralleler Resonanzprozeß erfolgt ( C A R R & BACHARACH, 1 9 7 6 ; H I N T O N & A N D E R -

SON, 1981), ob Emotionen unabhängig von Kognitionen auftreten können (ZAJONC, 1980,1984) oder abhängig sind von kognitiven Bewertungsprozessen (LAZARUS, 1984) - , fällt es zuweilen schwer zu sehen, inwieweit die Klärung solcher Fragen das Verständnis des menschlichen Handelns fördern wird (vgl. NEWELL, 1 9 7 3 ) . Zu verlockend ist die Versuchung, den je interessierenden Phänomenbereich mit einer Mikrotheorie abzudecken, ohne darüber nachzudenken, ob sich später einmal diese Vielzahl von Mikrotheorien zu einem gemeinsamen Modell menschlichen Erlebens und Verhaltens verknüpfen lassen (vgl. JENKINS, 1 9 8 0 ) . Auf diese Weise gerät der Gesichtspunkt globaler Kohärenz um willen lokaler

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Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

Ökonomieimperative leicht aus dem Blick. Hier setzen psychologische Handlungstheorien mit dem Anspruch an, einen theoretischen Rahmen zu liefern, der für die Beschreibung und Erklärung menschlichen Handelns angemessen ist.

1.

Experimentieren mit Perspektiven

Betrachtet man nun die zahlreichen handlungstheoretischen Ansätze innerhalb der Psychologie, so gewinnt man den Eindruck, daß der Versuch der Ablösung von mikroskopischen Einzelprozessen zunächst einmal dazu geführt hat, daß man sich um Abstand von der Detailvielfalt des Untersuchungsgegenstandes bemüht hat. Nicht selten scheint dieser Abstand so großzügig geraten zu sein, daß einem der Kontakt zum Untersuchungsgegenstand gänzlich zu entgleiten droht. So finden wir in vielen handlungspsychologischen Ansätzen oft nicht mehr als programmatische Metapostulate, die allgemein festlegen, was Handeln sei und was man nicht tun dürfe, um es zu erforschen. Man fragt sich zuweilen doch, ob Abstandsvergrößerung wirklich die einzige Methode ist, um eine ganzheitliche Perspektive zu gewinnen. Die von vielen «Handlungspsychologen» vorgenommene Abstandsvergrößerung hat auch zu einer Entfernung vom experimentalpsychologischen Labor geführt. Das Wort «Experimentieren» trifft auf das, was einige Handlungspsychologen tun, allenfalls noch in einem sehr lockeren Sinn zu: Es ist ein abstraktes Experimentieren mit theoretischen Perspektiven. Man probiert verschiedene metatheoretische Postulate aus, ohne zu versuchen, aus den handlungspsychologischen Perspektiven konkrete experimentelle Forschung abzuleiten. Vielfach wird dieses Vorgehen abgesichert durch wissenschaftstheoretische Positionen, die vorab versichern, daß Handlungstheorien zu einem großen Teil aus empirisch nicht prüfbaren Kernannahmen bestehen oder anthropologische Annahmen explizieren, die mit den herkömmlichen Methoden empirischer Theorienprüfung nicht verträglich seien. Im Gegensatz dazu vertreten wir die These, daß sich der Anspruch, Handlungen mit Hilfe von komplexen Theorien zu erklären und die Forderung, diese empirisch zu begründen, nicht

widersprechen. Um diese These zu begründen, versuchen wir in einem ersten Teil, metatheoretische Argumente, die von einer Reihe von Psychologen und Philosophen gegen die Möglichkeit empirischer Überprüfung handlungstheoretischer Annahmen vorgebracht wurden, zu entkräften. Es soll gezeigt werden, daß die in diesem Bereich häufig gewählten philosophischen Positionen nicht zwingend sind und es durchaus Alternativen gibt, die besser verträglich sind mit der aktuellen psychologischen Forschung. Im zweiten Teil der Arbeit sollen dann exemplarisch unterschiedliche Handlungstheorien dargestellt und im Hinblick auf ihre theoretische Integrationskraft und empirische Fruchtbarkeit evaluiert werden. Schließlich wollen wir auf der Grundlage der im zweiten Teil diskutierten konkreten Probleme noch einmal abstrakt auf einige methodische Probleme eingehen, die sich ergeben, wenn man die Forderung empirischer Prüfbarkeit verbindet mit dem Ziel, komplexe Theorien über das menschliche Handeln zu entwerfen.

2.

Probleme mit einigen handlungstheoretischen Metatheorien

Das Mißverhältnis zwischen dem globalen Erkenntnisanspruch von Handlungstheorien und den empirisch tatsächlich gesicherten Befunden, scheint einige Psychologen dazu zu verleiten, den Mangel an empirisch gesichertem Wisen durch konzeptuelle Analysen kompensieren zu wollen. Dieses Vorgehen profitiert von dem verbreiteten Vorurteil, die Philosophie habe es mit apriorischen Wahrheiten zu tun, ihre Aussagen seien mithin nicht hintergehbar. Diese Ansicht entspricht aber keineswegs dem Vorgehen der modernen Wissenschaftsphilosophie. Diese versteht sich vielfach als metatheoretische Disziplin, der es um die Rekonstruktion des Vorgehens der Einzelwissenschaften geht (vgl. STEGMÜLLER, 1973, 1979a). Ebenso wie auf der Objektebene gibt es natürlich auch auf der Metaebene unterschiedliche Positionen, die sich argumentativ um eine korrekte Rekonstruktion bemühen. Anstatt eine «metascience of science fiction» (STEGMÜLLER) zu schaffen, geht es in der modernen Wissenschaftstheorie eher um Deskription. In der Psychologie findet sich dagegen häufig die traditionelle Vorgehensweise, die Restriktionen postu-

155

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liert, die einen Großteil der vielfach erfolgreichen Forschung lahmlegen würde, würde sich jemand strikt daran halten. An einigen Punkten soll gezeigt werden, daß einige bei Handlungstheoretikern beliebte philosophische Position in der philosophischen Diskussion keineswegs unangefochten sind. Alternative Positionen wurden dort bereits extensiv ausgearbeitet, so daß nicht einzusehen ist, warum man gerade diejenige Rekonstruktion wählen soll, die maximal unverträglich mit dem aktuellen wissenschaftlichen Vorgehen oder unnötig restriktiv ist.

2.1

Terminologie statt Theorie?

Eine Reihe von metatheoretisch engagierten Psychologen haben den wohl allgemein anerkannten Vorsatz, die in der Theorie verwendeten Begriffe zu klären, argumentativ verknüpft mit der Forderung, vor jeder empirischen Untersuchung Begriffe so einzuführen, daß sie zur Verständigung nicht nur innerhalb der Wissenschaftlergemeinde geeignet sind, sondern auch zur Verständigung zwischen Versuchsleiter und Versuchsteilnehmern (KEMPF, 1 9 7 8 ; K E M P F & ASCHENBACH, 1 9 8 1 ) . Dies wird damit begründet, daß die Sozialwissenschaften die argumentativen Grundlagen für die Lösung von Konflikten bereitstellen sollen . W E R B I K ( 1 9 7 8 ) geht in seinem «neuen Ansatz für die terminologische Bestimmung der kognitiven Begriffe» (p.45) davon aus, daß aufrichtige Selbstaussagen der untersuchten Personen die Zuschreibung kognitiver Zustände begründen und weist damit der Alltagskommunikation die Rolle einer Metaebene über menschliches Handeln zu. Um zu einer verbindlichen Terminologie zu gelangen, bedienen sich diese Autoren der aus der «Ordinary-Language»-Philosophie (vgl. v. SAVIGNY, 1 9 7 4 ) übernommenen Verfahren der Rekonstruktion fiktiver Einführungs- und Gebrauchssituationen. So wird der zentrale Begriff der Handlung zunächst, da er nach Ansicht der Autoren in Aufforderungssituationen erworben wird, als Verhalten definiert, das durch Aufforderungen, später auch durch Selbstaufforderungen initiiert wird. Dieses Verfahren der Rekonstruktion von Wortbedeutung durch Gebrauchsanalyse liefert allein - sofern dieses Ziel überhaupt realistisch ist (vgl. PUTNAM, 1975c) - eine analytische Rekon-

struktion der Alltagsbedeutung. Da Begriffe partiell ihre Bedeutung durch ihre funktionale Verknüpfung mit anderen Konzepten erhalten (vgl. Abschnitt 2.3), mithin jede Rekonstruktion des Gebrauchs ein Stück naive Theorie enthüllt, sind diese Verfahren geeignet, beispielsweise unsere impliziten Handlungstheorien herauszuarbeiten. Es gibt allerdings keinen zwingenden Grund, diese Theorien vorab als richtig oder adäquat zu akzeptieren (vgl. P U T N A M , 1 9 7 8 ) . So macht die terminologische Bestimmung des Handlungsbegriffs bereits deutlich, daß unsere naiven Theorien einen «bias» in Richtung der Annahme bewußter Steuerung von Verhalten haben und die wichtige Rolle automatischer Prozesse außer acht lassen (vgl. LESGOLD, 1 9 8 4 ; S C H N E I D E R & SHIFFRIN, 1 9 7 7 ; SHIFFRIN & S C H N E I D E R ,

1977;

Wer seine Begriffe so eng an unser Vorverständnis koppelt, muß sehen, daß er möglicherweise eine Reihe interessanter empirischer Erkenntnisse aus dem Anwendungsbereich seiner Theorien ausschließt. Es kann sich - möglicherweise auch für Konfliktlösungen - als richtig erweisen, völlig vom eigenen Selbstverständnis der Versuchsteilnehmer abzuweichen. Die Reaktionszeiten in einem Worterkennungsversuch etwa geben möglicherweise mehr Aufschluß über die dabei beteiligten kognitiven Prozesse als die naiven Theorien der Versuchsteilnehmer, auch wenn diese aufrichtig wiedergegeben werSTERNBERG, 1 9 8 4 ) .

d e n (BRODY, 1 9 8 3 , K a p . 5 ; NISBETT & W I L S O N , 1 9 7 7 ) . So zwingend uns die Forderung erscheint, die in einer Theorie verwendeten Begriffe klar zu gebrauchen, so wenig scheint es uns sinnvoll, die Forderung zu stellen, daß dieser Gebrauch mit den naiven Alltagsvorstellungen über den Gegenstandsbereich übereinstimmen muß.

2.2

Der neue Apriorismus in der Psychologie

Philosophische Positionen, die wie die Analytischen Handlungstheorien beanspruchen, inhaltliche Aussagen über einen empirischen Gegenstandsbereich zu machen, tendieren dazu, viele Zusammenhänge als analytisch auszuzeichnen, also als Zusammenhänge, die sich bereits aus der Bedeutung der verwendeten Begriffe und nicht aus beobachtbaren Sachverhalten ergeben (vgl. PUTNAM, 1983a). In der Psychologie läßt sich in jüngster Zeit eine Reihe von Positionen ausma-

156 chen, die sich dieser Argumentationsweise anschließen. So behaupten etwa S M E D S L U N D (im Druck) und B R A N D T S T Ä D T E R (1982), daß sich neben den unbestritten empirischen Hypothesen zahlreiche Zusammenhangsbehauptungen in der Psychologie finden lassen, «die auf konzeptuelle Beziehungen zwischen den involvierten Variablen zurückgeführt und insofern als apriorische Bestimmungen rekonstruiert werden können» ( B R A N D T S T Ä D T E R , 1982, p.267). An einer Reihe von Beispielen aus der Psychologie versuchen die Autoren den Nachweis, daß die jeweiligen Untersucher diese apriorischen Elemente in ihren Theorien übersehen haben und deshalb häufig pseudo-empirische Prüfversuche unternehmen.

2.2.1 Die Analytizitäts-Hypothese Spätestens seit der radikalen Kritik von Q U I N E (1953) an der Analytisch-Synthetisch-Unterscheidung wurde in der philosophischen Diskussion die Dichotomisierung in apriorisches Bedeutungswissen und empirisches Tatsachenwissen in Frage gestellt (vgl. STEGMÜLLER, 1979b, Kap.3). P U T N A M (1975b) und F O D O R (1981), die im Unterschied zu Q U I N E durchaus noch zugestehen, daß für einige Fälle (etwa «Junggeselle») analytische Beziehungen formuliert werden können, sehen das traditionsreiche Programm als gescheitert an, konzeptuelle Beziehungen generell nach dem Beispiel des Junggesellenkonzepts rekonstruieren zu wollen. «Junggeselle» gilt als analytisch definierbar, weil es gelingt, bei der Explikation des Begriffs die notwendigen und hinreichenden Bedingungen anzugeben, die unter beliebigen empirischen Umständen die korrekte Anwendung des Begriffs garantieren. Diese Bedingungen, die ohne Ausnahme gelten müssen, stellen ein Kriterium für die Anwendung des Begriffs dar (vgl. P U T N A M , 1975b; 1983b). Es sind keine Sachverhalte vorstellbar, unter denen die entsprechende Regel nicht gilt. F O D O R (1981) zeigt an einer Reihe von Beispielen, daß es für die meisten Begriffe ein hoffnungsloses Unterfangen ist, die notwendigen und hinreichenden Bedingungen bei der Formulierung von Anwendungsregeln zu spezifizieren. Dies gilt zunächst einfach deshalb, weil sich immer wieder Gegenbeispiele zu den gerade formulierten Regeln finden lassen. An einigen Beispielen, in denen S M E D S L U N D und

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie B R A N D T S T Ä D T E R solche analytischen bzw. begriffsstrukturellen Beziehungen ( B R A N D T S T Ä D TER, 1984a) vermuten, sei verdeutlicht, daß es selbst schwierig ist, auch nur notwendige Bedingungen zu spezifizieren (vgl. P U T N A M , 1975C). S M E D S L U N D (1978) hat versucht, die Selbstwirksamkeits-Theorie von B A N D U R A (1977) in Form von Theoremen zu reformulieren, für die er behauptet, daß sie logisch notwendige Beziehungen im Gegensatz zu empirischen (wie es B A N D U R A annimmt) ausdrücken. So etwa in Theorem 6: «If P tries to do T in S, then P wants to succeed in doing T in S and wants not to fail in doing T in S.» Dabei bezeichnet P eine Person, T eine Handlung und S eine Situation. «Try» definiert S M E D S L U N D dabei als «to make an effort or attempt to reach a goal» und «goal» als «something one wants to achieve». Auch wenn man zugesteht, daß der hier postulierte Zusammenhang häufig gilt, so sind doch leicht Situationen denkbar, in denen er nicht gilt, etwa wenn P bei Androhung einer Strafe gezwungen wurde, T in S durchzuführen. Der Einwand von S M E D S L U N D gegen potentielle Gegenbeispiele, daß man hier den Begriff «try» bzw. «goal» nicht korrekt angewendet hat, trifft nicht zu, weil P durchaus im Sinne der Definitionen sich bemühen kann, ein Ziel zu erreichen, um der Strafe zu entgehen. Gleichwohl kann er wünschen, daß äußere Umstände die Zielerreichung verhindern und h o f f e n , daß sein Peiniger erkennt, daß der Mißerfolg nicht ihm anzulasten ist und deshalb von der Strafe abläßt. So konstruiert dieses Beispiel auch erscheinen mag, es macht dennoch deutlich, daß das genannte Theorem keine analytische Beziehung ausdrückt, da es nicht apriori, d . h . unter allen denkbaren Bedingungen von kompetenten Sprechern als richtig unterstellt wird. Man könnte sich nun vorstellen, daß S M E D S L U N D die Definition von «try» weiter spezifiziert, so daß das Theorem im Extremfall zu einer Tautologie würde, doch dann wiederholen sich die Probleme auf der Ebene der Diskussion der Adäquatheit dieser ad-hoc-Definition. Diese Einwände gelten übrigens unabhängig von der Frage, ob S M E D S L U N D die Theorie B A N D U R A S korrekt in seine Theoreme übersetzt hat (vgl. dazu R E I S E N Z E I N , 1984; SJÖBERG, 1982). S M E D S L U N D scheint diese Probleme zu ahnen, da er versucht, viele seiner Theoreme dadurch vor Gegenbeispielen zu bewahren, daß er die Leerformel «if no other circumstances in-

157

ZeitschriftfürSozialpsychologiel985,16,153-181

tervene» hinzufügt. Zusammenhangsbehauptungen, die aber nur unter bestimmten (in der Regel nicht vollständig angebbaren) Randbedingungen gelten und unter anderen nicht, sind der üblichen Sprachregelung zufolge eben kontingent und nicht analytisch bzw. logisch notwendig. Analoge Beispiele lassen sich auch gegen die von BRANDTSTÄDTER postulierte «terminologische Verknüpfung» zwischen erfolgreicher Aufgabenbewältigung und der Begabung einer Person nennen, um nur ein Beispiel herauszugreifen. So kann man sich unschwer vorstellen, daß ein mathematisch Begabter an Aufgaben immer wieder scheitert, etwa weil er Prüfungsangst hat. Dieses Beispiel macht wiederum deutlich, daß die vorgeschlagene Bedeutungsrekonstruktion nicht einmal die notwendigen und schon gar nicht die notwendigen und hinreichenden Bedingungen erfaßt, die das Konzept «Begabung» bei kompetenten Sprechern umfaßt. Das Argument von BRANDTSTÄDTER (1982, p.269, 1984a, p.152, im Druck), daß Gegenbeispiele dieser Art auf einen inkompetenten bzw. regelabweichenden Sprachgebrauch zurückzuführen seien, trifft hier nicht zu, da wohl kaum ein Zweifel besteht, daß man hier im Sinne unseres Sprachverständnisses von Begabung sprechen kann. Ein ganz anderes Problem betrifft übrigens die Frage, ob bei Vorliegen einer unserem Beispiel entsprechenden faktischen Situation jemand Begabung ohne Vorliegen von Indizien attribuieren würde. Die Attribution von Begabung mag epistemisch (also im Bestätigungszusammenhang) in der Regel (da man ja nicht ausschließen kann, daß Begabung auch einmal unabhängig von Prüfungssituationen diagnostiziert werden kann) an das Vorliegen von guten Prüfungsergebnissen gekoppelt sein. Analytisch bzw. logisch notwendig ist dieser Zusammenhang deshalb keineswegs. Natürlicherscheint uns die Deutung, daß gute Prüfungsergebnisse kausal bei Vorliegen näher zu spezifizierender Randbedingungen von bestimmten Dispositionen bewirkt werden und deshalb der Begabungsattribution eine empirische (aber keine logische) Begründungsbasis zu geben vermögen. Dieses Beispiel verdeutlicht, warum für eine Vielzahl von Begriffen keine analytischen Bedeutungsdefinitionen angebbar sind. Viele Begriffe werden mit Bezug auf eine gemeinsame zugrundeliegende Struktur der entsprechenden Gegen-

standsklasse eingeführt, deren Beschaffenheit und Beziehung zu Oberflächencharakteristika in der Regel nicht vollständig bekannt sind. Auf diese Weise erhalten die Begriffe eine hypothetische Komponente. Ihr Gehalt läßt sich besser als naive oder wissenschaftliche Theorie kennzeichnen als als definitorischer Zusammenhang. PUTNAM (1975c) hat dies an Beispielen wie Zitrone, Gold, Tiger usw. verdeutlicht. Für die meisten Sprecher gehören Streifen zu ihrer naiven Theorie von Tigern. Zeigt man ihnen mit entsprechenden Erläuterungen aber Tigermutationen, dann werden sie ohne Zögern ihre Zusammenhangshypothese, die ansonsten wie ein Kriterium für ihren Gebrauch von «Tiger» funktioniert, zurückstellen und das Tier ebenfalls als Tiger bezeichnen (vgl. auch Abschnitt 2.3). Psychologische Theorien und Befunde im Bereich der Konzeptrepräsentation bestätigen übrigens die in der philosophischen Diskussion geäußerten Zweifel am Programm, konzeptuelle Relationen generell nach dem Muster analytischer Beziehungen rekonstruieren zu wollen. Das lange verfolgte Ziel, die Bedeutung von Begriffen als Repräsentation ihrer notwendigen und hinreichenden Bedingungen zu rekonstruieren, dürfte wohl aus unterschiedlichen Gründen als gescheitert gelten (vgl. CAREY, 1 9 8 2 ; FODOR et al., 1 9 8 0 ; M E D I N & SMITH, 1 9 8 4 ; SMITH & M E D I N , 1 9 8 1 ) .

2.2.2 Das Logische-Beziehungs-Argument Spezialisiert auf Handlungstheorien wurde ein der Analytizitätshypothese verwandtes Argument als Logisches-Beziehungs-Argument (LBArgument) bekannt (vgl. ANSCOMBE, 1976; MELDEN, 1977; TAYLOR, 1964; v. WRIGHT, 1 9 7 4 ) . H i e r

wird behauptet, daß die in Handlungserklärungen postulierten Bedingungen, etwa Absichten, Überzeugungen und Intentionen, keine kausalen Ursachen sein können, da zwischen ihnen und den erklärten Handlungen keine empirische, sondern eine logische Beziehung besteht. In der Psychologie wird diese Auffassung etwa von VOLLMER (1982) vertreten (vgl. auch BRANDTSTÄDTER, 1984b; im Druck; KRAIKER, 1980). Gegen diese Position wurden v.a. in der philosophischen Diskussion gewichtige Gegenargumente vorgebracht, die hier nur angedeutet werden können ( v g l . BECKERMANN, 1 9 7 7 ; GOLDMAN, 1 9 7 0 ; T u o -

MELA, 1977,1984, Kap.3; WALDMANN, 1981).

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

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Zunächst ist darauf zu verweisen, daß eine kausalistische Auffassung durchaus verträglich ist mit der Annahme konzeptueller Relationen (wobei wir diese allerdings nicht nach dem Paradigma analytischer bzw. logischer Beziehungen rekonstruieren würden). Der Begriff «Gift» etwa nimmt Bezug auf eine Wirkung, ohne daß man bezweifeln würde, daß dieser Bezug kausal gemeint ist (vgl. DAVIDSON, 1963). Es wäre töricht, in einem Vergiftungsfall dem Gift seine kausale Rolle mit dem Hinweis abzusprechen, daß zwischen dem Begriff «Gift» und den Vergiftungserscheinungen eine logische und damit keine kausale Beziehung bestehe. Die meisten psychischen Vorgänge werden funktional, also mit Bezug auf typische Ursachen und Folgen eingeführt (vgl. FODOR, 1975; P U T N A M , 1975a; PYLYSHYN, 1984). Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, diese Relationen als kausale zu intendieren, auch wenn wir über die dabei ablaufenden Prozesse noch wenig wissen sollten (vgl. TUOMELA, 1977). Ein zentrales Problem des LB-Arguments besteht darin, daß es zwischen verschiedenen Beschreibungen des gleichen Verhaltens, die «logisch» mit dem zu erklärenden Verhalten verträglich sind, nicht entscheiden kann. Eine bestimmte Handbewegung mag in einer bestimmten Situation sowohl mit der Beschreibung verträglich sein, jemand wolle seinen Arbeitsplatz beleuchten, als auch mit der, er wolle testen, ob die Lampe funktioniert. Die Behauptung, beide Beschreibungen seien berechtigt, scheint uns auch dann widersinnig, wenn man aktuell über keineempirischen Indikatoren verfügt, die eine der beiden Deutungen privilegiert. Eine kausalistische Auffassung hingegen fragt nach den Intentionen, Überzeugungen usw., die tatsächlich ein bestimmtes Verhalten verursachen. Ein ähnliches Argument läßt sich auch gegen die Vorstellung vorbringen, in Handlungserklärungen ginge es um die Rekonstruktion von rationalen Gründen, die ein Handelnder bei der Planung und Durchführung seiner Handlungen hatt e (HARRE & SECORD, 1 9 7 2 ; W I N C H , 1 9 7 6 ) . S o l -

che Gründe sind erst dann ein Teil einer Handlungserklärung, wenn sie auch kausal die Handlung mitdeterminiert haben, andernfalls ist es sinnvoller von Rationalisierung zu sprechen. Psychologische Untersuchungen zur Intransitivität von geäußerten Präferenzen (TVERSKY, 1 9 6 9 ) und der Inkonsistenz von Intentionsäußerung

und später beobachtbarem Verhalten (AJZEN & FISHBEIN, 1973) machen deutlich, daß auch aufrichtig geäußerte Gründe nicht zwingend als Erklärungen des Verhaltens angesehen werden können. Schließlich ist daraufhinzuweisen, daß kausalistische Theorien gut verträglich sind mit neuropsychologischen Modellen und Modellen aus der Informationsverarbeitungspsychologie. In beiden Ansätzen geht man von einer zentralen Repräsentation von Handlungsursachen aus, deren Umsetzung in Verhalten kausaler Vermittlungsprozesse bedarf. Neuropsychologen haben inzwischen Techniken entwickelt, mit denen man EEG-Aktivitäten registrieren kann, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als Korrelate handlungsveranlassender Absichten zu interpretieren sind. Diese Forschungstradition hat inzwischen so raffinierte Techniken entwickelt, daß mittlerweile sogar Befunde vorliegen, die nahelegen, daß viele scheinbar bewußt initiierten Willkürbewegungen tatsächlich durch unbewußte Intentionszustände veranlaßt werden (LIBET et al., 1983). Insgesamt zeigen diese Argumente, daß eine kausalistische Position sowohl unserem Alltagsverständnis von Handlungen als auch dem wissenschaftlichen Vorgehen besser entspricht als das LB-Argument. Auch hier läßt sich der Gehalt des Begriffs «Handlung» adäquater als naive oder wissenschaftliche Theorie über einen bestimmten Gegenstandsbereich charakterisieren als als apriorische Zusammenhangsbehauptungen. So hat auch der Philosoph B R A N D (1984) gefordert, daß sich philosophische Handlungstheorien stärker am Stand der empirischen Forschung orientieren sollen und nicht am naiven Verständnis von Handlungen festhalten müssen.

2.3

Die Rolle von Gesetzesknoten-Begriffen komplexen Theorien

in

Die Kritik an der Analytizitätshypothese beinhaltet nicht eine Festlegung auf die Position, alle Zusammenhangsbehauptungen seien generell synthetisch im Sinne der Möglichkeit eines direkten Vergleichs aller verwendeten Begriffe mit beobachtbaren Sachverhalten. Hierin stimmen wir mit BRANDTSTÄDTER (1984a, Abschnitt 4) in seiner Einschätzung des «Hypothesenempirismus» überein (vgl. auch REISENZEIN, 1984). Es besteht

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ein breiter Konsens in der aktuellen Wissenschaftstheorie (vgl. STEGMÜLLER, 1973), daß nicht einzelne empirische Aussagen, sondern mehr oder weniger komplexe Theorien mit der Erfahrung konfrontiert werden (vgl. Q U I N E , 1953). Durch diese strukturelle Komponente ergeben sich für das Problem der Theorienüberprüfung eigentümliche Probleme. P U T N A M (1975b) hat in Anlehnung an Argumente von Q U I N E (1953) darauf hingewiesen, daß neben klar analytischen («Kein Junggeselle ist verheiratet») und klar synthetisch-empirischen Sätzen eine breite Palette von Beziehungen existiert, die dazwischen liegen. Nur bei sogenannten Ein-Kriteriums-Begriffen, also solchen, die durch ein Kriterium klar festgelegt sind, hält er es für sinnvoll, die Analytizitätshypothese aufrechtzuerhalten. Solche Ein-Kriteriums-Begriffe dienen uns als brauchbare sprachliche Abkürzungen. 1 Alle nennenswerten wissenschaftlichen (und auch die meisten alltagssprachlichen) Begriffe sind allerdings in ein komplexes Netzwerk unterschiedlicher (quasi-)theoretischer Bestimmungen verwoben (Gesetzesknoten-Begriffe). Die hier verwendeten Theorien oder Quasi-Theorien sind prinzipiell fallibel und damit Veränderungsprozessen unterworfen (vgl. P U T N A M , 1975c, 1975d). B R A N D T & KIM (1977) haben am Beispiel des für Handlungstheorien zentralen Begriffs des «Wollens» den eigentümlichen Status von theoretischen Begriffen, die mehrgleisig bestimmt sind, demonstriert. So kann man etwa postulieren: (1) Wenn es für x angenehm ist, Tagträume über p zu haben, dann will x p. (2) Wenn x p will, dann gilt unter günstigen Bedingungen: falls p auftritt, ohne daß gleichzeitig Ereignisse auftreten, die x nicht will, so wird x erfreut sein. ( 3 ) . . . usw. Die einzelnen Hypothesen für sich genommen mögen wie analytische Zusammenhangsbehauptungen aussehen, weil jede Hypothese isoliert nicht widerlegt werden kann durch empirische Sachverhalte. Aus (1) und (2) zusammen folgt aber logisch: Wenn es für x angenehm ist, Tag-

1 Als weitere Kandidaten für analytische Bedeutungsbestimmungen werden derzeit diskutiert: Verwandtschaftsbegriffe; Kunstsprachen (z.B. «Primzahl»); Artefakt-Bezeich-

n u n g e n ( z . B . « U h r » ) ( v g l . JOHNSON-LAIRD, 1 9 8 3 ; SCHWARTZ, 1978).

159 träume über p zu haben, dann gilt unter günstigen Bedingungen: falls p auftritt so wird x erfreut sein. Dieser Satz ist synthetisch; das Wort «wollen» kommt in ihm nicht einmal vor. Erweist er sich als falsch, muß man irgendeine der Hypothesen modifizieren. Es besteht kein logischer Grund, eine bestimmte Beziehung aufrechtzuerhalten. P U T N A M hält es für unzweckmäßig, Begriffe, die Bestandteil mehrerer theoretischer Hypothesen (Gesetzesknoten-Begriffe) sind, analytisch zu definieren, weil dadurch bestimmte Relationen vor Revision immunisiert wären, ein sowohl unzweckmäßiges als auch in der Forschung kaum praktiziertes Verfahren. Der Eindruck der Analytizität einzelner Beziehungen mag durch die hierarchische Struktur vieler Theorien Zustandekommen (vgl. Q U I N E , 1953): bestimmte Bestandteile sind für die Theorie zentral, d. h. an ihnen wird festgehalten, wenn die Evidenz gegen die Theorie spricht. Diese Beziehungen sind also nicht in dem Sinne synthetisch, daß sie durch einzelne Erfahrungen widerlegt werden können. Dennoch sind sie auch nicht analytisch, da es - etwa bei einem Paradigmenwechsel - durchaus denkbar ist, diese zentralen Bestandteile aufzugeben. Zentralität ist nicht mit Analytizität zu verwechseln. Betrachtet man etwa die sog. «klassische Energiedefinition» als analytisch, so blockiert man damit den Übergang zur speziellen Relativitätstheorie. Interessanterweise führt S M E D S L U N D (1980) immer wieder die euklidische Geometrie als Paradigma apriorischer bzw. logisch notwendiger Beziehungen an, die in der modernen Wissenschaftsphilosophie geradezu als Paradebeispiel dafür fungiert, daß scheinbar unwiderlegbare zentrale Bestimmungen (hier beim Übergang zur allgemeinen Relativitätstheorie) aufgegeben werden, wenn deren weitere Aufrechterhaltung Konsequenzen haben würde, die unplausibler sind als die, die bei deren Aufgabe entstehen (vgl. P U T N A M , 1975b). Seit wissenschaftstheoretische Rekonstruktionen in unterschiedlichen Bereichen deutlich gemacht haben, daß in der Regel nicht einzelne Sätze, sondern mehr oder weniger komplexe Theorien geprüft werden, ist der Versuch, komplexe Theorien in der Psychologie zu etablieren, wieder gesellschaftsfähig geworden. Holistische Theorienbildung und empirische Prüfung - das sollten die Ausführungen im letzten Abschnitt deutlich gemacht haben - müssen sich nicht wi-

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

160

dersprechen. Es ist klar, daß einzelne Untersuchungen nicht in der Lage sind, jede Theoriekomponente unabhängig zu prüfen. Zur Disposition stehen immer nur komplexe Gefüge (vgl. GLYMOUR, 1980), die in unterschiedlicher Weise in Einklang mit der Erfahrung gebracht werden können. Dennoch scheint es uns ein unglückliches methodisches Prinzip, Teile der Theorie durch rigide Bedeutungsstipulation vor Widerlegung zu schützen. Im folgenden sollen eine Reihe von uns exemplarisch erscheinenden handlungspsychologischen Ansätzen dargestellt und im Hinblick auf die Probleme und Vorgehensweisen beurteilt werden, die sich bei dem Versuch ergeben, eine empirisch begründete Theorie des menschlichen Handelns zu entwerfen. Auf der Grundlage dieser Analyse der konkreten Probleme werden wir exemplarisch einige Perspektiven fürs Experimentieren skizzieren und schließlich noch einmal abstrakt auf einige Probleme bei der Überprüfung komplexer Theorien eingehen und anhand von vorher diskutierten Beispielen diskutieren.

schiedlichen Frageschwerpunkten nähern. Dieses Vorgehen ist durchaus sinnvoll. Eine ganzheitliche Theorie des menschlichen Handelns kann nicht jenseits des psychologischen Forschungsstandes - etwa durch konzeptuelle Innenschau - aus dem Boden gestampft werden. Wir befassen uns deshalb zunächst getrennt mit den einzelnen Ansätzen und ihren experimentellen Perspektiven, um erst am Ende dieses Kapitels zu einer gemeinsamen Würdigung zu gelangen. Insgesamt unterscheiden wir vier Gruppen von handlungspsychologischen Ansätzen, die auf unterschiedliche Fragmente des komplexen Phänomens Handlung abzielen. Von den vier Gruppen handlungspsychologischer Ansätze konzentriert sich die erste auf die Analyse des molaren Handlungsstroms, der durch den fortwährenden Wechsel von einer Handlung zu einer anderen Handlung gekennzeichnet ist (ATKINSON & BIRCH, 1 9 7 0 ; BARKER, 1 9 6 3 ) , die zweite Gruppe handlungspsychologischer Ansätze konzentriert sich auf die Analyse spezifischer Regulationsprozesse, welche die Ausführung von Einzelhandlungen vermitteln (CARVER & SCHEIER,

3.

GALANTER

1 9 8 1 ; H A C K E R , 1 9 7 3 ; LEONTÉV, 1 9 7 7 ; MILLER,

Handlungspsychologische Ansätze: Perspektiven fürs Experimentieren

Wer sich nicht auf einen arbiträren Handlungsbegriff vorab festlegt, sondern die Bestimmung dessen, was Handlung ist, abhängig macht vom aktuellen Forschungsstand, dem wird bald klar, daß sich der in den unterschiedlichen handlungspsychologischen Ansätzen verwendete Handlungsbegriff allenfalls nach dem WITTGENSTEiNschen Konzept der Familienähnlichkeit rekonstruieren läßt. Psychologische Handlungstheorien befassen sich ganz allgemein mit dem Ziel, menschliches Verhalten in Beziehung zu unterschiedlichen Determinanten (motivationale, kognitive, emotionale usw.) zu setzen. In der Regel entstanden diese Ansätze aus dem Unbehagen mit den Restriktionen ihres jeweiligen Herkunftsparadigmas (etwa den motivationspsychologischen Erwartungs-mal-Wert Theorien). Die dabei entstandenen Theorien und Untersuchungsparadigmen können ihre Herkunft natürlich nicht verleugnen. So ist eine Vielzahl von Handlungstheorien nebeneinander entstanden, die sich dem menschlichen Handeln auf unterschiedlichen Analyseebenen und mit unter-

&

PRIBRAM,

1960;

OESTERREICH,

die dritte Gruppe konzentriert sich auf die Analyse von Selbstkontrollprozessen, welche die Abschirmung einer für die Ausführung ausgewählten Handlungstendenz gegen konkurrierende Alternativtendenzen vermitteln ( K Ü H L , 1 9 8 4 ; MISCHEL, 1 9 8 1 ) und die vierte Gruppe konzentriert sich auf die entscheidungstheoretische Analyse der motivationalen Determinanten der Zielbildung ( A J Z E N & FISH1 9 8 1 ; VOLPERT, 1 9 7 4 ) ,

BEIN, 1 9 7 3 ; ECKENSBERGER, 1 9 7 7 ; HECKHAUSEN, 1 9 7 7 , KÜHL,

1983a, Kap. 5; LANTERMANN, 1980;

WERBIK, 1 9 7 8 ) .

Neben den unterschiedlichen Analyseschwerpunkten gibt es noch andere Gesichtspunkte, hinsichtlich derer die vier genannten handlungspsychologischen Ansätze sich unterscheiden, z.B. der theoretische Status der verwendeten Konstrukte (z. B. deskriptiv vs. erklärend), die formale Kohärenz der Annahmen, die Art der nahegelegten empirischen Überprüfung (z.B. Experiment, Protokollanalysen) und die Art und Enge der Beziehung zwischen den theoretischen Annahmen und den empirischen Überprüfungsmethoden. Da es uns in dieser Arbeit in erster Linie darum geht, den Übergang von dem empiriefer-

161

Zeitschrift fürSozialpsychologiel985,16,153-181

nen Hantieren mit Metapostulaten zur Entwicklung handlungspsychologischer Perspektiven für die zukünftige experimentelle Arbeit zu unterstützen, werden wir zu jedem der vier exemplarisch ausgewählten handlungspsychologischen Ansätze das zuletzt genannte Theoriemerkmal in einem eigenen Abschnitt diskutieren.

lyse einer solchen naiv-psychologischen Beschreibung eines Ausschnittes eines alltäglichen Handlungsstroms auf Erklärungsprinzipien aufmerksam macht, die von herkömmlichen Theorien, die sich bemühten, einzelne Handlungen zu erklären, übersehen worden sind. 3.1.1 Die Dynamische Handlungstheorie

3.1

Die A nalyse des Handlungsstroms

Mit dem ersten der vier handlungspsychologischen Ansätze, auf den wir im folgenden näher eingehen möchten, wurde der wohl radikalste Perspektivenwechsel innerhalb der Handlungspsychologie vorgenommen. Nachdem die meisten Motivationspsychologen jahrzehntelang experimentelle Detailforschung über die Bestimmungsgrößen der Zielbildung in eingegrenzten Handlungsbereichen (z.B. Leistungsmotivation) betrieben hatten, versuchen heute einige Motivationspsychologen, sich von diesem traditionellen Ansatz zu lösen und den Blickwinkel radikal zu erweitern. Die vor 30 Jahren von vielen Motivationspsychologen noch gehegte Hoffnung hat sich nämlich nicht bestätigt, daß die experimentelle Detailanalyse einzelner Handlungsbereiche bald zu Modellen führen würde, mit denen man den für das Alltagshandeln typischen fortwährenden Wechsel zwischen inhaltlich ganz unterschiedlichen Handlungen erklären könne. Man beginnt heute einzusehen, daß man den Blickwinkel erweitern muß, um die Erklärungsprinzipien zu entdecken, welche für die Analyse der molaren Aspekte des Handlungsstroms unentbehrlich sind. Die neue Perspektive führt zunächst einmal zu einem verstärkten Bemühen, das zu Erklärende genauer zu beschreiben. Bei der Beschreibung der molaren Aspekte des Alltagshandelns fällt zunächst einmal auf, daß verschiedene Handlungen meist nahtlos ineinander übergehen. Jemand sitzt am Schreibtisch und schreibt einen Brief, steht auf, setzt sich auf sein Trimmfahrrad und, nachdem er zehn Minuten lang in die Pedale getreten hat, geht er vors Haus und beginnt den Rasen zu mähen, unterbricht diese Tätigkeit nach fünf Minuten, um mit dem Nachbarn ein Schwätzchen zu halten usw. Die amerikanischen Motivationspsychologen JOHN ATKINSON und D A V I D B I R C H vertreten die Auffassung, daß die handlungspsychologische Ana-

(ATKINSON & B I R C H )

Wir möchten uns darauf beschränken, einige Grundannahmen und drei der Schlußfolgerungen zu nennen, die ATKINSON & B I R C H aus ihrer Analyse ziehen (ATKINSON & B I R C H , 1970,1978, Kap.2; K Ü H L , 1983a, Kap.6). Bei dem Versuch, das Augenmerk auf den ständigen Tätigkeitswechsel innerhalb des Handlungsstroms zu richten, statt sich auf die Analyse isolierter Handlungsepisoden zu beschränken, konzentriert sich die Dynamische Handlungstheorie zunächst auf das Anwachsen und Abnehmen aller Handlungstendenzen, die über einen bestimmten Zeitraum hinweg aktiviert sind (vgl. Abb.l). Eine Grundannahme der Dynamischen Handlungstheorie besagt, daß von allen zu einem gegebenen Zeitpunkt aktivierten Handlungstendenzen die jeweils stärkste ausgeführt wird. Während die Parameter episodischer Handlungsmodelle die Absolutstärke der in der untersuchten Handlungsepisode konkurrierenden Tendenzen bestimmen, beziehen sich die Parameter der Dynamischen Handlungstheorie auf die Wachstumsrate von Handlungstendenzen (vgl. die Steigung der Kurvenzüge in Abb. 1). Die klassischen Motivationsvariablen (Motive, Anreize, Erwartungen) bestimmen nun nicht mehr direkt die absolute Tendenzstärke, sondern die Anregbarkeit (Wachstumsrate) von Handlungstendenzen in der Zeit. Einige wichtige Implikationen dieser Trennung von Absolutstärke und Wachstumsrate von Handlungstendenzen werden in den folgenden Abschnitten näher ausgeführt. Eine besonders wichtige Implikation besagt, daß zuweilen auch relativ schwach angeregte Handlungstendenzen dominant und damit handlungsleitend werden können (s. Tendenz Z in Abb.l). Die Voraussetzung für die Reduktion einer Handlungstendenz ist die Konsummation, deren Voraussetzung die Ausführung der Tendenz und die Erreichung des angestrebten Zielzustandes ist. Obwohl wir hier

162

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

H

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H

h

c (V "O

W

Zeit Abb.l: Beispiel für einen Verhaltensstrom und die sich ändernden motivationalen Zustände (Umwelt und Persönlichkeitsparameter konstant) (vgl. KÜHL, 1983, p.151).

auf die Darstellung des mathematischen Formalismus verzichten, kann man sich die Rolle der Konsummation in der Dynamischen Theorie recht gut an Hand der Abbildung 1 veranschaulichen: Sobald eine Handlungstendenz dominant wird und deshalb ausgeführt wird (vgl. die in A b b . l oben angegebene Ausführungssequenz), beginnt - nach einer gewissen Verzögerungszeit ihre Reduktion. Insgesamt unterscheidet die Dynamische Handlungstheorie sechs Arten von Parametern. Instigierende Kräfte (1) kontrollieren das Wachstum von Motivationstendenzen, während konsummatorische Kräfte (2) deren Reduktion bewirken. Inhibitorische Kräfte (3) dämpfen die Stärke von Handlungstendenzen (z.B. als Auswirkung von Angst), ohne sie jedoch - wie konsummatorische Kräfte - wirklich zu reduzieren. Die Übertragungswirkung zwischen je zwei motivationalen Kräften wird durch einen Verschiebungswert (4) («displacement value») ausgedrückt, wenn die eine Handlungstendenz instigierende Kraft auch eine andere («ähnliche») Handlungstendenz instigierende Kraft anregt. Das Ausmaß, in dem die Konsummation einer vollendeten Handlungstendenz teilweise eine andere, nicht ausgeführte Tendenz mitreduziert, wird - ganz im Sinne der Theorie L E W I N S - durch den Ersatzwert (5) («substitution value») der aus-

geführten Handlung beschrieben. Schließlich gibt es noch eine sechste Kategorie von Parametern, welche den bei einem HandlungsWechsel zu erwartenden Motivationskonflikt dadurch überwinden helfen, daß sie Beginn und Ende sowie die Verlaufscharakteristik von konsummatorischen Kräften regulieren. Eine detaillierte Darstellung dieser Theorie findet sich an anderer Stelle ( K Ü H L , 1983a, Kap.6). Zwei zentrale Annahmen der Theorie, die durch viele experimentelle Befunde gestützt werden, lauten: (1) angeregte Motivationstendenzen perseverieren (solange sie nicht verhaltenswirksam werden), so daß die sukzessive Anregung derselben Handlungstendenz ein kumulatives Anwachsen dieser Tendenz erzeugt (dessen Wachstumsrate durch die instigierende Kraft beschrieben wird; vgl. die Steigung der nicht-dominanten Kurvenzüge in Abb.l). (2) Die Ausführung und Vollendung (Zielerreichung) einer Handlungstendenz führt zu ihrer Reduktion, deren Stärke durch die konsummatorische Kraft beschrieben wird. Diese beiden Prozesse der Instigation und Konsummation liegen dem durch die Theorie beschriebenen Auf und Ab simultan angeregter Handlungstendenzen zugrunde (Abb. 1). ATKINSON & B I R C H haben auf der Grundlage dieser Annahmen ein Computermodell erstellt,

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mit dem sie versucht haben, die bekannten Eigenschaften dynamischer Handlungsströme zu erklären. Drei Schlußfolgerungen in bezug auf das dafür nötige Modell scheinen ihnen wichtig. Die erste dieser Schlußfolgerungen besagt, daß wir, um den Handlungsstrom erklären zu können, alle Handlungstendenzen erfassen müssen, die innerhalb des für die Analyse ausgewählten Zeitraums konkurrieren, nicht nur die, die den Forscher interessieren oder die, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeführt werden. Die Beobachtung der nahtlosen Übergänge zwischen den einzelnen Handlungen alltäglicher Handlungsabläufe legt die Annahme nahe, daß die Prozesse, welche einen Handlungswechsel herbeiführen, bereits während des Ablaufs der vor dem Wechsel ausgeführten Handlung auftreten. Wir benötigen also ein Handlungsmodell, welches den zeitlich parallelen Verlauf aller, über einen gegebenen Zeitraum hinweg angeregten Handlungstendenzen beschreibt. Die herkömmliche Fokussierung auf einzelne Handlungstendenzen ist nicht zielführend. Die zweite Schlußfolgerung von A T K I N S O N & B I R C H ( 1 9 7 0 ) besagt, daß motivationale Übertragungswirkungen beachtet werden müssen, auch solche, die zwischen völlig verschiedenen Situationen auftreten. Der Motivationspsychologe, der mit einem der entscheidungstheoretischen Modelle der klassischen episodischen Motivationstheorien ausgerüstet zu erklären versucht, warum ein von seinem Chef gedemütigter Büroangestellter zu Hause seine Frau anschreit, hat nach wie vor seine Schwierigkeiten. Die klassischen entscheidungstheoretischen Motivationsmodelle berücksichtigen nicht den Fall, daß sukzessive Anregungen derselben Handlungstendenz eine kumulative Wirkung entfalten, so daß zuweilen nur noch ein minimaler Anlaß ausreicht, um die Umsetzung einer äußerst starken Handlungstendenz in Verhalten herbeizuführen. Die klassische, auf einzelne Handlungsbereiche eingeschränkte Perspektive, hat dazu geführt, daß solche Übertragungswirkungen übersehen wurden. Die dritte der von A T K I N S O N & B I R C H ( 1 9 7 0 ) vollzogenen Schlußfolgerungen betrifft das Problem der Analyse handlungsbeendigender Prozesse. Die auf die Analyse von einzelnen Handlungen eingeschränkte Perspektive hat dazu geführt, daß man sich fast ausschließlich dafür in-

163

teressierte, was bestimmte, den Versuchsleiter interessierende Handlungen in Gang setzt. Die Erweiterung der Perspektive von der einzelnen Handlung auf den Handlungsstrom führt auch zu einem verstärkten Fragen nach den Prozessen, welche die jeweils in der Ausführung befindliche Handlungstendenz reduzieren und damit einen HandlungsWechsel wahrscheinlich machen. Kritiker der Theorie von A T K I N S O N & B I R C H verweisen einerseits auf die außerordentlich hohe Komplexität des Modells, welche den Zugang zum Verständnis der Modellannahmen nicht unerheblich erschwert und andererseits auf die nur spärlichen empirischen Belege für die Gültigkeit der verschiedenen Modellannahmen (z.B. BRODY, 1 9 8 3 ) . Im Vergleich zu den meisten anderen motivationspsychologischen Ansätzen sind die Parameter dieser Theorie recht «deskriptionsnah». Man mag sich z.B. fragen, worin überhaupt der Erklärungswert instigierender Kräfte liegt, die lediglich die Wachstumsrate von Handlungstendenzen beschreiben. Für die meisten Psychologen würde eine Erklärung von Handlung erst an dem Punkt beginnen, an dem man die kognitiven Vermittlungsprozesse aufzeigt, welche die Stärke instigierender Kräfte bestimmen. A T K I N S O N & B I R C H ( 1 9 7 0 ) bestreiten nicht den hohen Erklärungswert kognitiver Determinanten motivationaler Zustände; ihnen kommt es darauf an, aufzuzeigen, wie die motivationale Auswirkung kognitiver Prozesse durch die Parameter der Dynamischen Theorie beschrieben werden können (vgl. B I R C H , A T K I N S O N & B O N GORT, 1 9 7 4 ) . Sie vertreten die Auffassung, daß selbst eine umfassende Kenntnis kognitiver Regulationsmechanismen nicht ausreichen würde, um bestimmte emergente Eigenschaften molarer Handlungsströme zu erklären, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer gleichzeitig angeregter und in ihrer Stärke ständig variierender Handlungstendenzen ergeben. Was die empirische Überprüfung der Modellannahmen angeht, so betonen A T K I N S O N & B I R C H ( 1 9 7 0 ) , daß es ihnen in erster Linie um die theoretische Bewältigung existierender Befunde ging und um die analytische Exploration der Implikationen eines dynamischen Handlungsmodells, die bislang noch praktisch unerforscht sind. Da die mathematische Ableitung der Implikationen selbst einfacher dynamischer Modelle, die Rückkoppelungsbeziehungen zwischen ihren

164

unabhängigen und abhängigen Variablen postulieren, sehr rasch auf praktisch unüberwindbare Schwierigkeiten stößt (HOFSTADTER, 1 9 8 1 ) , haben ATKINSON & BIRCH ein Computerprogramm entwickelt, welches die Implikationen der Theorie für verschiedene Parameterkonfigurationen simuliert. Auf diese Weise können theoretische Implikationen des Modells nachgewiesen werden, die man den scheinbar einfachen Grundannahmen nicht ohne weiteres ansieht. Einige dieser Computersimulationen haben zu einer grundlegenden Kritik klassischer Methoden psychologischen Messens und zu einer Warnung davor geführt, aus der in vielen Untersuchungen hohen transsituationalen Variabilität vieler Verhaltenswerte (MISCHEL, 1 9 6 8 ) auf die Nichtexistenz stabiler Persönlichkeitsdispositionen zu schließen (ATKINSON, 1 9 8 1 ) . Die Simulationsergebnisse zeigen z.B. daß ein Motivationsmodell, das einige von den meisten Motivationspsychologen akzeptierte Grundannahmen vereint, den in der klassischen Testtheorie «undenkbaren» Fall zuläßt, daß ein psychologischer Test trotz extrem niedriger innerer Konsistenz (a < .10) eine extrem hohe Validität besitzt (r > .80). Einige empirische Belege für die Existenz motivationspsychologischer Tests (z.B. LeistungsmotivTAT) mit hoher Validität und relativ niedriger innerer Konsistenz hat MCCLELLAND ( 1 9 8 0 ) diskutiert.

3.1.2 Perspektiven für die experimentelle Forschung Welche Perspektiven eröffnet die Dynamische Handlungstheorie nun für die zukünftige empirische Forschung? Obwohl die Autoren dieser Theorie selbst mehr an der Ableitung theoretischer Implikationen der Theorie interessiert sind, sollte der heuristische Wert dieser Theorie für die experimentelle Forschung nicht übersehen werden (zusammenfassend: K Ü H L & ATKINSON, im Druck). Einige Implikationen der Dynamischen Theorie sind inzwischen einer direkten empirischen Überprüfung unterzogen worden. K Ü H L & BLANKENSHIP (1979a, 1979b) fanden eine Bestätigung für die Annahme kumulativer Motivationswirkungen, welche im Unterschied zu klassischen Motivationsmodellen ein Anwachsen von Handlungstendenzen und damit einen Handlungs-

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

wechsel selbst dann erwarten lassen, wenn ihre kognitiven Determinanten sich nicht verändern. In diesem Experiment wählten leistungsmotivierte Versuchspersonen zuweilen sehr schwierige und extrem schwierige Aufgaben, obwohl sich an ihrer grundsätzlichen Präferenz für Aufgaben mittlerer Schwierigkeit nichts änderte. Dieser Effekt wird durch das kumulative Anwachsen auch schwach angeregter Handlungstendenzen erklärt (vgl. Tendenz W in Abb. 1), so daß es - wenn auch relativ selten - auch zur Ausführung schwach angeregter Tendenzen kommt. In einem Experiment mit 9- und 10jährigen Schulkindern konnte nachgewiesen werden ( K Ü H L & GEIGER, im Druck), wie ein kumulatives Anwachsen einer Handlungstendenz, die aufgrund von Angst inhibiert war, bei plötzlicher Angstreduktion zu einem sprunghaften Freisetzen «angestauter» Handlungsmotivation führt. Auch die Annahme der motivationsreduzierenden Auswirkungen der Handlungsausführung (Konsummation) wurde experimentell bestätigt (KÜHL, 1983a, Kap.7). Ebenfalls sind situationsübergreifende motivationale Übertragungswirkungen experimentell gut dokumentiert (ATKINSON, 1958; K Ü H L & K O C H , 1 9 8 4 ; W I C K L U N D & GOLLWITZER,

1982). Die Dynamische Handlungstheorie hat nun neben den verschiedenen experimentellen Überprüfungen einzelner Annahmen auch die Entwicklung eines neuen experimentellen Paradigmas für die zukünftige experimentelle Forschung angeregt ( K Ü H L & ATKINSON, 1984). Dieses experimentelle Paradigma ist im wesentlichen dadurch charakterisiert, daß man die Beobachtung nicht auf eine Handlungsthematik einschränkt (etwa: Leistung, Macht, Anschluß usw.), sondern daß man den Versuchsteilnehmern die Möglichkeit gibt, über einen längeren Zeitraum hinweg zwischen verschiedenen Handlungsalternativen hin- und herzuwechseln. Nur innerhalb eines solchen methodischen Ansatzes lassen sich die durch die Dynamische Theorie vorhergesagten «emergenten» Eigenschaften komplexer Handlungsströme erfassen. Eine dieser Eigenschaften wird durch das Prinzip der proportionalen Zeitverteilung beschrieben. Dieses Prinzip besagt, daß bei Vorliegen mehrerer konkurrierender Handlungstendenzen die Ausführungsdauer jeder einzelnen Handlungstendenz der Stärke der sie anregenden

165

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,153-181

Motivationskräfte proportional ist. Episodische Erwartungs-mal-Wert Modelle implizieren ein Maximierungsprinzip bei Vorliegen einer über einen längeren Zeitraum konstanten Präferenzhierarchie: Solange sich die konkurrierenden Motivationskräfte nicht ändern, sollte der Handelnde bestrebt sein, die Ausführungsdauer der am stärksten angeregten Handlungstendenz zu maximieren. Erste experimentelle Ergebnisse zur Überprüfung des Zeitaufteilungsprinzips liegen vor. In zwei Untersuchungen wurde Grundschulkindern die Möglichkeit gegeben, über einen längeren Zeitraum hinweg, so oft sie wollten, zwischen drei verschiedenen Aktivitäten hin- und her zu wechseln ( F R A C K M A N N , 1981; KÜHL & GEIGER, im Druck). Obwohl sich bei keiner der Aktivitäten Anzeichen dafür ergaben, daß sich die erlebte Attraktivität im Verlaufe des Versuchs geändert hätte, blieben die Kinder nicht während des gesamten Versuchs bei der subjektiv attraktivsten Tätigkeit, wie es das Maximierungsprinzip erwarten ließe. Stattdessen zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen den Beschäftigungszeiten für die drei Aktivitäten und den entsprechenden Maßen für die subjektive Attraktivität der Tätigkeiten. In diesen beiden Untersuchungen ergab sich also ein Beleg für die Implikation der Dynamischen Theorie, daß auch relativ schwach angeregte Motivationstendenzen zuweilen handlungsleitend werden, ohne daß sich grundsätzlich etwas an der latenten Präferenzstruktur zu ändern braucht. Die Bedeutung dieses Motivationsphänomens etwa für die psychologische Meßtheorie oder für die Konsistenzdebatte in der Persönlichkeitspsychologie kann hier nicht ausführlich diskutiert werden (siehe dazu: ATKINSON, 1981; K Ü H L , 1983a, Kap.6 und 7; K Ü H L , im Druck). Eine weitere interessante Perspektive für die experimentelle Forschung ergibt sich, wenn man die Dynamische Theorie mit neueren kognitionspsychologischen Befunden der Bewußtseinsforschung (vgl. etwa MARCEL, 1983a, 1983b) verknüpft. In einer rezenten Anwendung des Informationsverarbeitungsansatzes auf motivationstheoretische Fragestellungen wurde u.a. die experimentell prüfbare Annahme formuliert, daß es von dem phänomenalen Status (bewußt vs. nicht bewußt) handlungsleitender Kognitionen abhängt, ob sich die in der Dynamischen Theorie postulierten situationsübergreifenden motiva-

tionalen Übertragungswirkungen ergeben oder ob ein rein kontextspezifisches Handeln erfolgt, wie es die klassischen Motivationsmodelle vom Erwartungs-mal-Wert-Typ nahelegen (KÜHL, im Druck). Auch die Frage, ob Handeln nach einem proportionalen Zeitaufteilungsprinzip oder nach dem Maximierungsprinzip erfolgt, könnte sich aufgrund künftiger Forschungsergebnisse als falsch gestellt erweisen. Möglicherweise hängt es von bestimmten Funktionsmerkmalen der handlungsvermittelnden Informationsverarbeitungsprozesse ab, ob Maximierung oder proportionale Zeitaufteilung den Handlungsstrom charakterisiert (KÜHL, im Druck). Diese knappe Diskussion neuer experimenteller Fragestellungen, die sich aus der Dynamischen Handlungstheorie ergeben, mag die Fruchtbarkeit dieser Theorie für die zukünftige Forschung illustrieren. Die Dynamische Theorie hat die Aufmerksamkeit auf verschiedene Motivationsphänomene wie Übertragungswirkungen, Kumulationseffekte, Konsummation und proportionale Zeitaufteilung gelenkt, die in traditionellen Motivationstheorien vernachlässigt worden waren. Die Verknüpfung des Dynamischen Ansatzes mit Informationsverarbeitungsmodellen eröffnet weitere interessante Fragestellungen für die zukünftige experimentelle Forschung.

3.2

Die Analyse handlungsregulatorischer Vermittlungsprozesse

Innerhalb der zweiten Gruppe handlungspsychologischer Ansätze wird der Blickwinkel eingeengt: Es geht nicht mehr so sehr um die möglichst umfassende Beschreibung des molaren Handlungsstroms, sondern um die spezifischen Regulationsmechanismen, welche die Ausführung von Einzelhandlungen vermitteln. «Handeln» bedeutet hier das Ausführen hierarchisch verschachtelter Pläne, die z. B. Instruktionen für das motorische System enthalten. Das von MILLER, GALANTER & PRIBRAM ( 1 9 6 0 ) diskutierte Konzept hierarchisch verschachtelter negativer Rückkoppelungssysteme (vgl. auch POWERS, 1 9 7 4 ) wurde in viele handlungspsychologische Ansätze aufgenommen (z.B. CARVER & Sc HEIER, 1 9 8 1 ; v. C R A NACH e t

al.,

1980;

HACKER,

1973;

LEONTEV,

1 9 7 7 ; OESTERREICH, 1 9 8 1 ; VOLPERT, 1 9 7 4 ) .

166

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

3.2.1 Der kontrolltheoretische Ansatz von CARVER & SCHEIER

(1981) haben dieses Konzept auf besonders viele Phänomenbereiche innerhalb der Psychologie angewendet. In Abbildung 2 ist CARVER & SCHEIERS Anwendung des Konzepts hierarchisch verschachtelter Rückkoppelungssysteme an einem Beispiel erläutert. Auf der obersten Kontrollebene sind sogenannte Prinzipien handlungsleitend, z.B. das Prinzip «Sei eine CARVER & SCHEIER

großzügige Person». Eingebettet in dieses Oberziel ist die Kontrollebene der Handlungsprogramme, in diesem Falle z.B. das Programm «Versorge Deine Gäste mit Erfrischungen». Die hierarchische Verschachtelung zunehmend spezifischer werdender Kontrollebenen schreitet fort bis hin zur «Intensitätsebene», welche die Spannung der Muskeltätigkeit kontrolliert. Die hierarchisch höherliegenden Ebenen erstellen die Referenzwerte, die von den darunterliegenden Ebenen erreicht werden sollen. Innerhalb jeder Kontrollebene wird ein fortlaufender Vergleichsprozeß zwischen einem für die betreffende Ebene charakteristischen Standard und einer Beurteilung des gegenwärtigen Zustandes postuliert. Solange eine Diskrepanz zwischen Standard und Ist-Zustand konstatiert wird, nimmt das Modell eine Wiederholung oder Modifikation der auf der jeweiligen Kontrollebene vorgesehenen Maßnahmen an. Sobald der erreichte Ist-Zustand mit dem betreffenden Standard übereinstimmt, wird - laut Modellannahme - die Kontrolle an die jeweils übergeordnete Kontrollebene weitergegeben. Die These von der hierarchischen Verschachtelung von Planungs- und Kontrollprozessen findet sich häufig in der handlungspsychologischen Literatur. So unterscheidet H A C K E R ( 1 9 7 3 ) drei Handlungsregulationsebenen, die intellektuelle, die perzeptiv-begriffliche und die sensumotorische Ebene, die sowohl untereinander als auch innerhalb hierarchisch-sequentiell strukturiert sind und die die Handlungsdurchführung steuern (vgl. in Anlehnung daran: FRESE & STEWART, 1984;

OESTERREICH,

1981;

SEMMER &

FRESE,

1 9 7 9 ; VOLPERT, 1 9 7 4 , 1 9 8 3 ) . H A C K E R ( 1 9 7 3 ) h a t

Abb.2: Beispiel für die hierarchische Kontrolle eines Verhaltens (aus: C A R V E R & S C H E I E R , 1981, p.133).

seine Theorie mit einer Fülle von experimentellen Untersuchungen gestützt. Obgleich CARVER & SCHEIER ( 1 9 8 1 ) eine ausführliche Ausarbeitung ihrer kontrolltheoretischen Annahmen vornehmen, fällt auf, daß sie sich kaum um eine empirische Überprüfung der teilweise sehr komplexen hierarchischen Kontrolltheorie bemühen. Dies findet sich häufig in handlungstheoretischen Ansätzen. Man ist geneigt, der Konzeption hierarchischer Kontrolle den Status einer Kernannahme zuzuweisen, die das handlungspsychologische Paradigma konstituiert, häufig ohne selbst Gegenstand einzelner empirischer Prüfungen zu sein. So wenden sich z.B. CARVER & SCHEIER ( 1 9 8 1 ) , denen das Ver-

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,153-181

dienst zukommt, besonders viele motivations-, kognitions- und sozialpsychologische Befunde in ihre Rahmentheorie eingebettet zu haben, nach einer theoretischen Darstellung dieser Theorie sehr bald empirischen Fragen zu, die in bezug auf diese Theorie eher peripher angesiedelt sind und sich etwa mit der Rolle der Selbstaufmerksamkeit befassen (vgl. auch DUVAL & W I C K L U N D , 1 9 7 2 ) . Auch in dem von v. C R A N A C H et al. ( 1 9 8 0 ) entwickelten handlungstheoretischen Ansatz (vgl. die Darstellung in: STRÄNGER et al., 1 9 8 3 ) wird der Überprüfung der zentralen Annahme hierarchisch organisierter Regulationsmechanismen keine große Bedeutung beigemessen.

3.2.2 Perspektiven für die experimentelle Forschung Das zentrale Postulat hierarchisch organisierter Kontrollebenen entzieht sich keineswegs der empirischen Prüfbarkeit. Es gibt durchaus Versuche, diese «zentralen» Komponenten empirisch zu untersuchen. So hat etwa DAVID ROSENBAUM, den wir hier exemplarisch aus der Fülle aktueller Ansätze herausgreifen, versucht, die Frage zu klären, welche Struktur die Pläne haben, die bei der Handlungsdurchführung unmittelbar zugrundeliegen. Dabei interessieren ihn weniger die distalen Pläne, die bei der Planung und Vorbereitung von Handlungen entworfen werden, sondern diejenigen Steuerungsprogramme, die die Ausführung unmittelbar steuern (vgl. ROSENBAUM, 1 9 8 4 ) . Um dieser introspektiv nicht zugänglichen Steuerungsphase auf die Spur zu kommen, hat er eine Reihe von experimentellen Paradigmen eingesetzt, die die Umsetzung von Plänen in Verhalten direkt, also «on-line», indizieren. In einer experimentellen Studie von ROSENBAUM, K E N N Y & D E R R ( 1 9 8 3 ) wurden die Versuchsteilnehmer gebeten, eine vorher festgelegte Sequenz von Fingerdrückbewegungen so schnell wie möglich auszuführen. Gemessen wurden die Fehler und die Latenzzeiten zwischen den Bewegungen. Die Latenzzeiten ließen sich gut mittels eines hierarchischen Modells erklären, wenn man annimmt, daß die Latenzzeiten mit der Anzahl der zu durchlaufenden Knoten in einer hierarchischen Baumstruktur anwachsen. ROSENBAUM et al. (1984) haben dieses Modell aufgrund weiterer Befunde verfeinert (vgl. auch INHOFF et al.,

167

1984). In diesen Experimenten sollten die Versuchsteilnehmer so schnell wie möglich eine von zwei vorher spezifizierten Bewegungssequenzen auf ein Signal hin ausführen. Gemessen wurden sowohl die Latenzzeiten bis zur ersten Reaktion als auch die Latenzzeiten zwischen den einzelnen Bewegungen. Die Daten ließen sich wieder am besten durch ein hierarchisches Modell erklären («Hierarchical-Editor»-Modell). ROSENBAUM et al. (1984) vermuten nun zwei getrennte hierarchisch und seriell ablaufende Vorbereitungsphasen nach der Präsentation des Signals. Zunächst werden in einer «Edit »-Phase alle Bewegungen spezifiziert, in denen sich die Alternativen unterscheiden, dann wird in der Durchführungsphase die Planstruktur von der höchsten Ebene des Programms hierarchisch abgearbeitet. Dieses Modell trägt u.a. dem Befund Rechnung, daß die Handlungsinitiierung zwischen ähnlichen Bewegungssequenzen schneller vonstatten geht als zwischen unähnlichen. Die hierarchischen Modelle von ROSENBAUM u.a. sind nicht unwidersprochen geblieben (vgl. GOODMAN et al., 1 9 8 3 ) . Eine Reihe von Psychologen, die sich kritisch mit den an der Computermetapher orientierten Theorien der Informationsverarbeitungspsychologie auseinandersetzen (vgl. CARELLO et al., 1984), beschäftigen sich ebenfalls mit der Frage, ob die traditionellen hierarchischen, durch Rückkoppelung unterstützten Modelle adäquat sind. Angesichts der immensen Freiheitsgrade der einzelnen an Bewegungen potentiell beteiligten Organe und der beobachtbaren Kontextsensitivität des Verhaltens würde diesem Argument zufolge eine zentrale Exekutive vor schier unlösbaren Problemen stehen (vgl. T U R V E Y et al., 1 9 7 8 ) . Deshalb werden in diesem Bereich stärker an biologischen und physikalischen Modellen orientierte alternative Modelle konzipiert, die teils durch biologische Plausibilität, teils aber auch durch experimentelle Befunde gestützt sind. Diese Theorien gehen von selbstorganisierten motorischen Teilsystemen aus, innerhalb und zwischen denen sich Ordnung aufgrund von kooperativen, heterarchischen Koalitionsprozessen zwischen funktionalen Einheiten etabliert, bei denen einzelnen Systemkomponenten in unterschiedlicher Weise die möglichen Ausprägungen anderer Komponenten restringieren (KELSO & TULLER, 1 9 8 4 ; KELSO e t a l . , 1 9 8 0 ; KUGLER e t a l . ,

1980;

LEE, 1984). Heterarchische Modelle lassen hier-

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

168 archische Abläufe als Spezialfall zu. So gibt es auch in diesen Modellen teilweise hierarchische

sive an Subroutinen delegiert werden, die das grobe Lösungsschema verfeinern, zeigen die Pro-

A b l ä u f e ( v g l . TURVEY, 1 9 7 7 ; VOLPERT, 1 9 8 4 ) . S i e

t o k o l l e v o n HAYES-ROTH & HAYES-ROTH, d a ß die

gehen allerdings in stärkerem Maße als die Modelle aus der Tradition der Informationsverarbeitungspsychologie von der funktionalen Autonomie unterer motorischer Systeme aus, die u.U. selbstregulativ die Befehle, die von oben kommen, auch überschreiben können (vgl. auch GALLISTEL, 1980, Kap. 12) und erklären Ordnungsstrukturen im Bewegungsablauf weniger aus der Struktur zentral gebildeter Pläne als aus funktionalen Eigenschaften des Bewegungsapparats

Versuchsteilnehmer häufig («opportunistisch») die Ebenen wechseln, Teillösungen zurücklassen und erst später wieder aufnehmen, nachdem ein anderes konkreteres oder abstrakteres Problem bearbeitet wurde. Sie konnten also zeigen, daß konkrete Planungen in komplexen Bereichen häufig heterarchisch ablaufen und damit ein Modell nahelegen, das solche Prozeßabläufe ermöglicht. Dabei sei allerdings betont, daß dieses Modell hierarchische Planung als Spezialfall von he-

( v g l . KELSO, 1 9 8 1 ) .

terarchischen Prozessen zuläßt. DAVIS & SMITH

Es ist derzeit offen, welche Theorien am besten geeignet sind, die Steuerung des motorischen Systems psychologisch zu erklären. Es gibt auch aus dem Paradigma der Informationsverarbeitungspsychologie eine Reihe von aktuellen Modellen, die sich direkt um eine Erklärung der Flexibilität bei gleichzeitiger Flüssigkeit motorischer

(1983) haben analog dazu ein Problemlösemodell vorgelegt, das Problemlösen als kooperative Aktivität dezentralisierter Wissensbestandteile simuliert. Distributive Kontrollmodelle dieser Art sind weniger anfällig gegenüber Fehlern, die sich auf übergeordneten Kontrollebenen eingeschlichen haben und sind zeitlich nicht gebunden an vollständige Lösungen in übergeordneten Ebenen (vgl. auch das dafür paradigmatische

A b l ä u f e (vgl. z . B . MACKAY, SCHMIDT, 1975) b e m ü h e n .

1982,

1983;

Heterarchische Modelle werden nicht nur auf der vergleichsweise molekularen Ebene motorischer Prozesse diskutiert. Andere empirisch begründete Argumente für heterarchische Kontrollsysteme finden sich in neueren Untersuchungen im Bereich der Planungstheorie und der Problemlöseforschung. Diese Komponenten, die häufig in den an der Ausführungskontrolle interessierten Theorien vernachlässigt werden, werden natürlich in dem Augenblick relevant, in dem Ist-Soll-Differenzen nicht ohne weiteres Nachdenken ausgeglichen werden können. Die herkömmlichen in diesen Bereichen angebotenen Modelle ähneln den Ausführungskontrolltheorien in bezug auf die Annahme hierarchischer K o n t r o l l e . HAYES-ROTH & HAYES-ROTH

(1979)

haben dagegen anhand von Protokolldaten eine Planungstheorie entwickelt, die zwar unterschiedliche Planungsebenen unterstellt, aber nicht davon ausgeht, daß die bei der Planung beteiligten Prozesse hierarchisch diese Ebenen von oben nach unten abarbeiten. Während traditionelle Planungstheorien, die v.a. im Bereich der Künstlichen Intelligenz formal präzise spezifiziert wurden (FIKES et al., 1972; FIKES&NILSSON,

H E A R S A Y II-Modell, ERMAN et al., 1980). Gegen diese Theorien hat ANDERSON (1983) aller-

dings ein stärker hierarchisch organisiertes Modell vorgelegt, das seiner Meinung nach besser mit den vorliegenden empirischen Befunden verträglich ist. Diese Untersuchungen machen unabhängig von der Frage, welche Kontrolltheorie sich als adäquat für die Erklärung von Handlungen erweisen wird, deutlich, daß die häufig festzustellende Abstinenz in bezug auf die empirische Prüfung zentraler Theoriekomponenten nicht zwingend ist und daß die Versuche, zwischen alternativen Modellen empirisch zu entscheiden, zu einer deutlichen Präzisierung der unterschiedlichen Theorien geführt haben. Dieser Vorteil einer experimentalpsychologischen Orientierung hat sich auch bereits in einigen handlungstheoretischen Ansätzen innerhalb der wahrnehmungspsychologischen Forschung gezeigt (NEUMANN, i m D r u c k ; PRINZ, 1 9 8 3 ) .

3.3

Die Analyse voluntionaler prozesse

Vermittlungs-

1 9 7 1 ; SACERDOTI, 1 9 7 4 , 1 9 7 7 ; SUSSMAN, 1 9 7 3 ) ,

davon ausgehen, daß Probleme zunächst auf einem abstrakten Niveau gelöst und dann sukzes-

Die dritte Gruppe handlungspsychologischer Ansätze beschäftigt sich mit einem weiteren

169

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,153-181

Fragment des komplexen Phänomens Handlung. Im Unterschied zu den soeben diskutierten Theorien der Ausführungsregulation geht es in den Theorien voluntionaler Prozesse nicht um die Frage, welche Strukturen und Prozesse die Abwicklung eines Handlungsplans vermitteln, «mit dessen Ausführung bereits begonnen wurde» (MILLER, GALANTER & PRIBRAM, 1 9 6 0 ) , sondern es geht um die Frage, welche Strukturen und Prozesse sicherstellen, daß eine für die Ausführung vorgesehene Handlungsabsicht bis zur Einleitung und Beendigung ihrer Ausführung beibehalten wird. Hier geht es in erster Linie um das Problem der Abschirmung der aktuellen Handlungsabsicht gegen konkurrierende Handlungstendenzen. Dieses Problem, das in der älteren deutschen Willenspsychologie ( A C H , 1 9 1 0 , 1 9 3 5 ) eingehend untersucht worden ist, wird in der zeitgenössischen motivations- und handlungspsychologischen Forschung weitgehend vernachlässigt. Es gibt einige Ansätze in der klinischen Psychologie ( B A N D U R A , 1 9 7 7 , 1 9 8 2 ; KANFER & H A GERMAN,

1981;

THORESEN & MAHONEY,

1974)

und in der Persönlichkeitspsychologie (MISCHEL, 1 9 7 4 , 1 9 8 1 ) , in denen bestimmte Sonderfälle voluntionaler Abschirmung untersucht werden. Diese Sonderfälle, die auch in der klassischen deutschen Willenspsychologie ( A C H , 1 9 1 0 , 1 9 3 5 ; LINDWORSKY, 1 9 2 3 ) besondere Beachtung fanden, beziehen sich auf Situationen, in denen es einer besonderen «Willensanstrengung» bedarf, eine Handlungsabsicht zu verwirklichen, z.B. wenn der Handelnde die Ausführung einer besonders aversiven Handlung beabsichtigt (einen furchterregenden Gegenstand anfassen) oder wenn es um die Unterlassung einer attraktiven Tätigkeit geht (z.B. sich das Rauchen abgewöhnen). In den zu diesen Theorien der «Selbstkontrolle» durchgeführten experimentellen Untersuchungen wurde die Wirksamkeit verschiedener Strategien überprüft, welche die Ausführung einer aversiven Aktivität oder die Unterlassung einer absichtswidrigen attraktiven Aktivität unterstützen sollen.

3.3.1 Ein Ansatz zur Analyse voluntionaler Abschirmprozesse In einem neueren Ansatz, der einerseits an A C H S (1935) Willenspsychologie anknüpft und andererseits neue Ergebnisse der aufmerksamkeitsund gedächtnispsychologischen Forschung berücksichtigt, wird die Rolle voluntionaler Vermittlungsprozesse nicht auf die beiden genannten Sonderfälle eingeschränkt ( K Ü H L , 1983a, 1984, 1985). Angesichts des relativ raschen Verfalls der Aktivierungsstärke einer angeregten Gedächtnisstruktur ( A N D E R S O N , 1983) erscheint es notwendig, einen Mechanismus zu postulieren, der sicherstellt, daß eine einmal aktivierte Handlungsabsicht nicht «vergessen» wird, bevor die Ausführung eingeleitet und abgeschlossen ist. ANDERSON (1983) «erklärt» den gegenüber anderen Gedächtnisinhalten erheblich dauerhafteren Fortbestand einer Handlungsabsicht dadurch, daß er die Gedächtnisstruktur, die das aktuelle Handlungsziel repräsentiert, mit einer besonderen selbstaktivierenden Funktion ausstattet. In der soeben angesprochenen Theorie der «Handlungskontrolle» ( K Ü H L , 1984) wird der Versuch unternommen, die Prozesse und Strukturen näher zu beschreiben, welche den vorzeitigen Aktivierungsschwund einer noch nicht ausgeführten aktuellen Handlungsabsicht verhindern (Abb. 3). Zu diesen Prozessen gehören (1) aktive Auf merksamkeitsprozesse, welche die Verarbeitung absichtsrelevanter Informationen begünstigen, (2) eine Enkodierungskontrolle (Bereitstellung von Wahrnehmungsschemata, die einen Bezug zur aktuellen Handlungsabsicht haben), (3) Emotionskontrolle (Unterstützung solcher Emotionen, welche die Wirksamkeit voluntionaler Prozesse erhöhen), (4) Motivationskontrolle (Stärkung der motivationalen Grundlage der aktuellen Absicht, z.B. durch besondere Beachtung absichtsstützender Anreizmomente), (5) Umweltkontrolle (Gestaltung der eigenen Umwelt im Sinne der Erhöhung der Realisierungschancen schwer durchführbarer Handlungsabsichten) und (6) Sparsamkeit der Informationsverarbeitung (Vermeiden eines übermäßig langen Abwägens von Handlungsalternativen, bevor eine Entscheidung getroffen wird). Die Realisierungschancen einer Absicht werden in dieser Theorie nicht nur von der Wirksamkeit solcher Vermittlungsprozesse abhängig ge-

170

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

Start

Selektionsmotivation

Abb.3: Grobskizze eines Systemmodells der Interaktion von Motivation und Handlungskontrolle (vgl.

macht, sondern auch von der Höhe der Realisierungsschwierigkeit. Die Realisierungsschwierigkeit wird abhängig gemacht von der relativen Stärke innerer und äußerer absichtsgefährdender Faktoren (z.B. soziale Normen und konkurrierende Handlungstendenzen) und von dem momentanen Kontrollzustand des Systems. Es wird

KÜHL,

1983, p.306).

zwischen einem metastatischen (änderungsorientierten) und einem katastatischen (änderungsfeindlichen) Kontrollzustand unterschieden. Diese Theorie hat inzwischen eine Reihe experimenteller Untersuchungen angeregt, in denen einerseits die Vermittlungsrolle der obengenannten Handlungskontrollprozesse untersucht wird

171

Zeitschrift für Sozialpsychologiel985,16,153-181

und andererseits das Ausmaß überprüft wird, in dem der Realisationsgrad von Handlungsabsichten durch das Auftreten von katastatischen Kontrollzuständen herabgesetzt wird (KÜHL, 1983a, 1984,1985).

3.3.2 Perspektiven für die experimentelle Forschung Die traditionelle Motivationsforschung beruhte auf der Annahme weitgehender Kongruenz zwischen Motivation und Handeln: Die in einer spezifischen Situation stärkste Handlungstendenz wird - gemäß dieser Annahme - auch ausgeführt. Diese Auffassung schien lange Zeit so selbstverständlich, daß SMEDSLUND (1978; vgl. Theorem 3) sogar geneigt war, ihr einen apriorischen, logisch notwendigen Status zuzuweisen und damit der empirischen Prüfung zu entziehen. Im Gegensatz zu dieser Sichtweise lenkt die Theorie der Handlungskontrolle die Aufmerksamkeit auf Inkongruenzen zwischen Motivation und Handeln: Nicht immer führt der Handelnde die Tätigkeit aus, die er auszuführen beabsichtigt. Die zu einem gegebenen Zeitpunkt aktivierte Handlungsabsicht kann durch jede der gleichzeitig konkurrierenden Handlungstendenzen verdrängt werden, bevor mit der Ausführung der Absicht begonnen wird. Diese Ausweitung des motivationstheoretischen Paradigmas hat zu einer gezielten experimentellen Untersuchung des Ausmaßes und der Determinanten von Inkongruenzen zwischen Motivation und Verhalten geführt (zusammenfassend: KÜHL, 1983a, Kap. 9, 1984, 1985). Diese Untersuchungen brachten zahlreiche Belege für eine mäßige bis niedrige Kongruenz von Motivation und Verhalten. Dabei wurden die person- und die situationsseitigen Faktoren erforscht, die bewirken, daß bei normaler oder sogar überdurchschnittlicher Motivation Handlungsabsichten nicht ausgeführt werden. So zeigte sich in neueren Experimenten zum Phänomen der «gelernten Hilflosigkeit», daß generalisierte Leistungsdefizite, die häufig nach Induktion von zahlreichen unkontrollierbaren Mißerfolgen auftreten, nicht immer auf generalisierten Motivationsdefiziten beruhen, wie ursprünglich angenommen wurde (SELIGMAN, 1975). Wenn man Versuchspersonen eine Serie

unkontrollierbarer Mißerfolge induziert, so sinkt zwar im Verlaufe des Versuchs die Motivation, sich weiter mit derselben (unlösbaren) Aufgabe zu beschäftigen. Die Motivation, sich an anderen Aufgaben zu versuchen, sinkt aber meist nicht, sie steigt sogar an, so daß man Leistungsdefizite bei solchen (lösbaren) Aufgaben nicht - wie in der Hilflosigkeitstheorie postuliert (ABRAMSON et al., 1978) - auf ein generalisiertes Motivationsdefizit zurückführen kann (KÜHL, 1981). Die experimentellen Befunde legen nahe, daß solche generalisierten Leistungsdefizite auf einem Handlungskontrolldefizit beruhen, d.h. auf der Unfähigkeit der Versuchsteilnehmer, nach einem massiven Mißerfolgserlebnis ihre bei einer neuen Aufgabe durchaus vorhandene Aufgabenmotivierung in aufgabenbezogene Aktivitäten umzusetzen (z.B. während der Bearbeitung der neuen Aufgabe «Grübelkognitionen» auszublenden, die sich auf die nicht bewältigte Aufgabe beziehen). Diese Untersuchungen zeigen, wie die Ausweitung des engen motivationstheoretischen Ansatzes neue Perspektiven für die Untersuchung bekannter Motivationsphänomene eröffnet. Während innerhalb des traditionellen motivationstheoretischen Ansatzes akute Leistungsdefizite (aufgrund der postulierten Kongruenz von Motivation und Verhalten) nur durch Motivationsdefizite erklärt werden konnten, eröffnet die erweiterte Theorie der Handlungskontrolle eine weitere Kategorie von Determinanten für akute Leistungsdefizite, nämlich Störungen der Handlungskontrolle. In einer Reihe weiterer Experimente wurde begonnen, die kognitiven und emotionalen Prozesse näher zu untersuchen, die an dem Zustandekommen von Defiziten der Handlungskontrolle beteiligt sind (KÜHL, 1985, 1983b).

3.4

Die Analyse der Determinanten der Zielbildung

In der vierten Gruppe handlungspsychologischer Ansätze schließlich werden Determinanten der Absichtsge«ese untersucht. Handeln wird in diesen Ansätzen als ein rationaler Entscheidungsprozeß aufgefaßt, der durch das Abwägen verschiedener Handlungsalternativen charakterisiert ist.

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

172

3.4.1 Entscheidungstheoretische Motivationsmodelle Da entscheidungstheoretische Motivationsmodelle seit mehreren Jahrzehnten weite Verbreitung gefunden haben, erübrigt sich an dieser Stelle eine ausführliche Darstellung dieses Ansatzes. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß in diesen Modellen davon ausgegangen wird, daß der Handelnde in der gegebenen Situation die verschiedenen Handlungsalternativen sichtet, bei jeder einzelnen Handlungsalternative die Realisierungschancen (subjektive Realisierungswahrscheinlichkeit) und den Anreiz oder den Nutzen der verschiedenen Folgen jeder Handlungsalternative beurteilt und schließlich diejenige Handlungsalternative für die Ausführung auswählt, die eine Maximierung des subjektiven Nutzens erwarten läßt (AJZEN & F I S H B E I N , 1 9 7 3 ; A T K I N S O N , 1957; H E C K H A U S E N , 1977; V R O O M , 1964). Die soeben zitierten Handlungsmodelle sind als «Erwartungs-mal-Wert-Modelle» formalisiert, die aus spieltheoretischen Modellen entstanden sind. Auch die meisten anderen handlungspsychologischen Theorien, die nicht durch ein Erwartungsmal-Wert-Modell formalisiert sind, enthalten deren wesentliche Annahmen (z.B. D Ö R N E R , 1982, 1 9 8 4 ; LANTERMANN, 1 9 8 0 ; WERBIK,

1978).

Die in den bisher dargestellten Ansätzen diskutierten Fragen z.B. bezüglich motivationaler Übertragungsauswirkungen innerhalb des Handlungsstroms, der Planung und Regulation der Ausführung v®n Einzelhandlungen und der Abschirmung einer aktuellen Absicht gegen konkurrierende Handlungstendenzen werden in diesen entscheidungstheoretischen Ansätzen gar nicht problematisiert. Man geht davon aus, daß die Aufgabe, zielgerichtetes Handeln vorherzusagen, gelöst sei, sobald man in der Lage sei, vorherzusagen, welches Handlungsziel eine Person in einer gegebenen Situation auswählt und für welche Handlungsalternative zur Erreichung des gewählten Ziels sich der Handelnde entscheidet. Es wird eine direkte Umsetzung der dominanten Handlungstendenz in eine entsprechende Handlung vorausgesetzt. Die Unzulänglichkeit solcher rationalistischen Handlungsmodelle hat sicherlich dazu beigetragen, daß in den meisten gegenwärtigen handlungspsychologischen Theorien die Ausführungsseite stärker thematisiert wird als die Zielbildungsproblematik.

Trotz der Unzulänglichkeiten eines einseitig entscheidungstheoretisch orientierten Ansatzes ist die einseitige Thematisierung der Ausführungsseite in den gegenwärtigen handlungspsychologischen Modellen natürlich nicht weniger unzulänglich. Die derzeit übliche Strategie, Probleme der Ausführungskontrolle und Probleme der Zielbildung arbeitsteilig verschiedenen Teildisziplinen der Psychologie zuzuordnen, ist ebenfalls wenig sinnvoll, da auf diese Weise die Interdependenzen zwischen Zielbildungsprozessen und Prozessen der Ausführungskontrolle unerforscht bleiben. Auf dem Wege zu einem umfassenden Modell der Zielbildung und Ausführungsregulation wird man sich zur Behandlung der Zielbildungsproblematik allerdings von dem starren Algorithmus der Erwartungs-mal-WertModelle lösen und sich um eine Molekularisierung, Dynamisierung und Individualisierung von Modellen der Zielbildung bemühen müssen. Mit dem Begriff Molekularisierung ist der notwendige Wechsel der relativ molaren Beschreibungsebene entscheidungstheoretischer Modelle zu einer spezifischeren Analyseebene gemeint, auf der nicht nur der Inhalt von entscheidungsrelevanten Informationen (d.h. Realisierungschancen und Valenz von Handlungsfolgen) thematisiert wird, sondern auch die kognitiven Strukturen und Prozesse, welche die Verarbeitung solcher Informationen vermitteln (z.B. Struktur sowie Speicherungs- und Abrufcharakteristika handlungsbezogener Gedächtnisinhalte, Funktionsmerkmale des Arbeitsgedächtnisses und der Aufmerksamkeitsregulation). Gleichzeitig mit diesem Schritt müßte auch eine Dynamisierung der Modelle erreicht werden, d.h. eine Ablösung von der statischen Verknüpfung handlungsbezogener Informationen zugunsten einer Beschreibung der Verlaufscharakteristik des Informationsverarbeitungsprozesses bei der Planung und Durchführung von Handlungen. Mit Individualisierung ist die notwendige Berücksichtigung interindividueller Unterschiede in den handlungsvermittelnden Entscheidungsstrategien gemeint. Die Notwendigkeit der Individualisierung von Modellen der Zielbildung ist in der traditionellen entscheidungstheoretischen Forschung so lange übersehen worden, wie man zur Modellüberprüfung ausschließlich über Personen hinweg aggregierte Daten herangezogen hat. Sobald man je-

173

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,153-181

doch Methoden der individuellen Modellkontrolle anwendet, wird eine außerordentlich hohe interindividuelle Variabilität sowohl in der Art als auch in dem Verknüpfungsmodus handlungsbezogener Informationen erkennbar. In einer Untersuchung zur Überprüfung der Gültigkeit eines Erwartungs-mal-Wert-Modells des Leistungshandelns (KÜHL, 1977,1983a, Kap. 5) wurde z.B. eine solche Methode zur individuellen Modellkontrolle entwickelt. Es zeigte sich, daß das intendierte Anstrengungsverhalten nur bei etwa V* der untersuchten Versuchsteilnehmer mit einem Modell vereinbar war, in dem der subjektive Anreiz, bei der betreffenden Aufgabe Erfolg zu haben und die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit konjunktiv verknüpft wurde, wie es in den traditionellen Erwartungs-mal-WertModellen postuliert wird. Viele Versuchsteilnehmer schienen ihre Anstrengungsabsicht ausschließlich von den Erfolgschancen abhängig zu machen, während eine andere Gruppe von Versuchsteilnehmern wiederum nur den Erfolgsanreiz zu berücksichtigen schien. Diese Befunde haben dazu geführt, daß die Beschreibung individueller Entscheidungsregeln gefordert (KRUGLANSKI & KLAR, 1985) und zumindest ansatzweise in Form eines netzwerktheoretischen Modells handlungsbezogener Gedächtnisstrukturen auch bereits realisiert worden ist (KÜHL, 1983a, Kap. 5). Die Notwendigkeit der Molekularisierung und Dynamisierung entscheidungstheoretischer Modelle wird inzwischen selbst von traditionellen Verfechtern von Erwartungs-mal-Wert-Modellen erkannt (FISCHHOFF et al., 1982). Es mehren sich Modelle, in denen statt der statischen Beschreibung von Input-Output-Beziehungen die Verlaufscharakteristik hypothetischer Vermittlungsprozesse beschrieben wird (KÜHL, 1983a; M A N N & JANIS, 1 9 8 2 ; PAYNE e t a l . , 1 9 7 8 ; SVEN-

SON, 1979).

3.4.2 Perspektiven für die experimentelle Forschung Eine interessante Perspektive für die zukünftige Erforschung der Zielbildungsproblematik wird durch Ansätze eröffnet, welche die Art der kognitiven Repräsentation entscheidungsrelevanter Information mitberücksichtigen. Im Rahmen eines rationalen Entscheidungsmodells müßte

man erwarten, daß Präferenzstrukturen nicht in Abhängigkeit davon variieren, wie bestimmte entscheidungsrelevante Sachverhalte beschrieben werden, sofern diese Beschreibungen äquivalent sind (Invarianzannahme). KAHNEMAN & TVERSKY ( 1 9 8 4 ) diskutieren eine Reihe von Befunden, die zeigen, daß das Entscheidungsverhalten nachhaltig davon abhängt, wie die Informationen über verfügbare Handlungsalternativen kognitiv repräsentiert sind. So wurden beispielsweise Versuchspersonen veranlaßt, zwischen zwei verschiedenen Programmen zur Bekämpfung einer ansteckenden Krankheit zu wählen. Es ergab sich eine drastische Veränderung des Entscheidungsverhaltens, wenn man statt der bei jedem der beiden Programme zu erwartenden Anzahl geheilter Fälle die Zahl der zu erwartenden Todesfälle angab, obwohl die beiden Alternativen inhaltlich äquivalent waren. Im ersten Fall zeigte sich eine eindeutige Risikomeidung: 72% der Versuchspersonen wählten das Programm, das eine relativ geringe Zahl von Menschen mit Sicherheit retten würde gegenüber dem Alternativprogramm, das eine größere Zahl von Rettungen mit einer mäßig hohen Wahrscheinlichkeit erwarten ließ. Im zweiten Fall, also wenn die Zahl der Toten statt der Zahl der Geretteten genannt wurde, bevorzugten 78% der Versuchspersonen die risiko-orientierte zweite Alternative. Es gibt zahlreiche weitere Belege, die zeigen, daß eine Variation der Repräsentation ein und derselben Entscheidungssituation zu ganz unterschiedlichem Verhalten führen kann (FISCHHOFF e t a l . , 1 9 8 0 ; FISCHHOFF, 1 9 8 3 ) .

Die konsequente Fortsetzung dieses Ansatzes dürfte zu einer Zusammenführung traditioneller motivationspsychologischer Ansätze mit gedächtnis- und aufmerksamkeitspsychologischen Überlegungen führen, wie es eine erweiterte handlungspsychologische Perspektive nahelegt. Die Darstellung handlungsbezogener Wissensstrukturen in Form von propositionalen Netzwerken (KÜHL, 1983a, Kap. 5) ist ein Beispiel für eine solche Zusammenführung (vgl. auch ANDERSON, 1983, K a p . 4 ; M A C K A Y , 1983). Dienetzwerktheoretische Darstellung von Motivationszuständen wie Wünschen, Erwartungen, Absichten usw. beschreibt ein semantisches Gefüge, das aus mehreren Komponenten besteht, nämlich der Äo/Jtertkomponente, welche die Ausführungsbedingungen für eine gewünschte oder beabsich-

174

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

tigte Handlung enkodiert, die Objektkompontnte, welche die auszuführende Handlung selbst beschreibt, die Swiye&fkomponente, welche Aspekte des Selbst als Urheber der Handlung enkodiert und die Äe/ai/onskomponente, welche die Art des betreffenden Motivationszustandes enkodiert (d.h. ob es sich um einen Wunsch, eine Erwartung, eine Absicht o.a. handelt). Macht man nun die folgenden beiden Zusatzannahmen, so ergeben sich einige interessante Implikationen, die experimentell überprüft werden können. Die erste Annahme besagt, daß nicht immer sämtliche Komponenten handlungsbezogener Gedächtnisstrukturen vollständig repräsentiert sind: Es gibt Absichten, in denen der Ausführungskontext nicht spezifiziert ist, Absichten, in denen die auszuführende Handlung nicht spezifiziert ist usw. Die zweite Annahme besagt, daß verschiedenen Typen von handlungsbezogenen Strukturen unterschiedliche Prioritäten für den Zugang zum «Arbeitsspeicher» zugeordnet sind. Speziell wird angenommen, daß Absichten im Vergleich zu Wünschen, Erwartungen usw. die höchste Zulassungspriorität haben (vgl. KÜHL, 1985). Man kann nun experimentell untersuchen, welche Auswirkungen die Vollständigkeit und das Format (z.B. Wunsch- versus Absichtsformat) der kognitiven Repräsentation handlungsbezogenen Wissens auf das Entscheidungsverhalten haben. Erste Ansätze in dieser Richtung liegen vor (KÜHL, 1983a, im Druck).

4.

Methodische Probleme bei der Überprüfung komplexer Theorien

Die Versuche, umfassende komplexe Theorien des menschlichen Handelns zu entwickeln und empirisch zu überprüfen, machen einige typische Probleme deutlich, denen in der herkömmlichen an Mikrotheorien orientierten psychologischen Methodologie wenig Beachtung geschenkt wurde, die uns aber wichtig erscheinen, wenn man versucht, komplexe Theoriebildung und experimentelle Prüfung miteinander fruchtbar zu verbinden.

4.1

Zentrale und periphere

Theorieelemente

Die v o n QUINE (1953) b e g r ü n d e t e U n t e r s c h e i -

dung zwischen Kernannahmen von Theorien, an denen man in der Regel festhält und eher peripheren Annahmen, durch deren Veränderung die Übereinstimmung zwischen Theorie und Evidenz bei Unverträglichkeit hergestellt wird, hat sich an mehreren Stellen als sinnvoll bestätigt. Dennoch sollte etwa die Diskussion über hierarchische vs. heterarchische Kontrolltheorien deutlich machen, daß es überzogen ist, Kernannahmen vor empirischen Prüfungsversuchen zu bewahren. Die Tendenz, solche Kernannahmen gar als nicht empirische, sondern sprachinterne Zusammenhangsaussagen zu verstehen, scheint uns weder metatheoretisch zwingend (vgl. Abschnitt 2.3), noch vereinbar mit dem beobachtbaren wissenschaftlichen Vorgehen. In der wissenschaftstheoretischen Diskussion besteht kaum noch ein Zweifel daran, daß in der Regel in der Wissenschaftspraxis komplexe, holistische Theoriegebilde mit der Evidenz konfrontiert werden. Dadurch ergibt sich aber das Problem, zu bestimmen, welche Teile einer komplexen Theorie von einem Experiment bestätigt werden. Nur radikale Holisten gehen davon aus, daß jeder Befund jede Theoriekomponente gleichermaßen stark berührt. Plausibler erscheint eine g e m ä ß i g t e F a s s u n g ( v g l . GLYMOUR, 1 9 8 0 ) , d i e d a -

von ausgeht, daß einzelne Experimente unterschiedlich signifikant für unterschiedliche Teile der Theorie sind, aus der sie abgeleitet wurden. So ist es denkbar, daß eine Vielzahl der Befunde, d i e CARVER & SCHEIER ( 1 9 8 1 ) v o r l e g e n , v e r t r ä g -

lich sind mit distributiven Kontrolltheorien, obgleich die Autoren vielleicht subjektiv der Überzeugung sind, daß ihre Hypothesen nur auf der Grundlage ihres hierarchischen Modells möglich waren. Vermutlich werden mit den Grundannahmen verträgliche Befunde so lange als indirekte Evidenz auch für diese Grundannahmen angesehen, bis - wie im eben diskutierten Fall - ernsthafte theoretische Rivalen existieren. Das hier exemplifizierte Problem ist wissenschaftstheoretisch keineswegs gelöst. Die traditionellen deduktivistischen Bestätigungstheorien, die davon ausgehen, daß eine deduktive Ableitung von mit den empirischen Beobachtungen kompatiblen Hypothesen aus der Theorie eine notwendige und hinreichende Bedingung der Be-

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,153-181

stätigung der Theorie darstellt, sehen sich mit dem «Tacking»-Paradox (vgl. GLYMOUR, 1 9 8 0 ) konfrontiert: Hypothesen, die aus einfachen Theoriefragmenten ableitbar sind, sind auch aus in geeigneter Weise formalisierten komplexeren Theorien deduzierbar. Welche Theorie wird also durch die Daten bestätigt? Es scheint derzeit innerhalb traditioneller Bestätigungstheorien keine formale Möglichkeit zu geben, genau das Theoriefragment zu bestimmen, das von einem experimentellen Befund berührt ist, obwohl es natürlich in der Forschungspraxis Intuitionen darüber gibt, die formal nur noch nicht hinreichend rekonstruiert werden konnten (vgl. FoDOR, 1 9 8 3 ; WORRALL, 1 9 8 2 ) .

4.2

Computersimulation Theoriebildung

und psychologische

Die wachsende Komplexität der theoretisch postulierten kognitiven und motivationalen Prozesse macht die Formulierung von Prozeßmodellen, die formal konsistent Verhalten suffizient erklären, zu einem eigenständigen Problem, das zunächst unabhängig von empirischen Bestätigungsversuchen angegangen werden muß. Hier können Handlungspsychologen von den formalen Anstrengungen der Künstlichen-IntelligenzForschung profitieren, die sich auch mit der Simulation von intelligentem Verhalten beschäftigt (vgl. den Überblick in COHEN & FEIGENBAUM, 1 9 8 2 ; WALDMANN, 1 9 8 1 ) . Wie auch die Diskussion des Modells von ATKINSON & BIRCH ( 1 9 7 0 ) gezeigt hat, sind Theorien, die sich auf die Formulierung eines konsistenten Modells auf einem bestimmten Abstraktionsniveau festgelegt haben, in der Regel theoretisch überspezifiziert. Um suffiziente Erklärungen zu ermöglichen, sind theoretische Spezifikationen erforderlich, die häufig empirisch (noch) nicht gedeckt sind. Dies scheint uns solange nicht nachteilig zu sein, solange klar ist, daß die postulierten Abläufe grundsätzlich einer empirischen Klärung bedürfen (auch wenn nicht immer klar ist, wie dies im Einzelfall anzustellen ist). So hat etwa die anfangs spekulative Script-Theorie von SCHANK & ABELSON ( 1 9 7 7 ) zahlreiche empirische Prüfversuche provoziert (z.B. BOWER et al., 1 9 7 7 ) , die schließlich zu einer Revision des Modells geführt haben ( S C H A N K , 1 9 8 2 ) . Erst die präzise, wenn

175

auch spekulative Fassung der Ausgangstheorie hat diesen theoretischen Fortschritt ermöglicht, der vielen oft nur vage spezifizierten alternativen Schema-Theorien versagt ist (vgl. THORNDYKE & YEKOVICH, 1 9 8 0 ) .

4.3

Die Rolle des Experiments bei der Prüfung komplexer Theorien

Experimente können in unterschiedlicher Weise dafür eingesetzt werden, komplexe Theorien zu prüfen. So können in eher traditioneller Weise Kausalhypothesen zwischen unterschiedlichen Konstrukten aus der Theorie abgeleitet und experimentell überprüft werden. Man kann etwa fragen, welchen Einfluß Mißerfolgserwartungen auf die Leistung oder aggressive Intentionen auf die Motorik haben. Andererseits kann man versuchen, ein Modell der Repräsentation kognitiver und motivationaler Vorgänge zu formulieren. Diese Art von Handlungspsychologie, die in Anlehnung an kognitionspsychologische Vorgehensweisen an der empirischen Überprüfung von Repräsentationsmodellen interessiert ist, besteht bislang nur in Ansätzen, scheint uns aber eine interessante Perspektive für eine empirische Handlungspsychologie darzustellen (etwa: A N D E R S O N , 1 9 8 3 ; K Ü H L , im Druck). Solche komplexen Theorien lassen sich experimentell prüfen, wenn man Performanzvorhersagen findet, die gleichzeitig verträglich mit dem eigenen Modell und unverträglich mit alternativen Modellen sind. Dabei interessiert vielfach weniger der Kausalzusammenhang zwischen unabhängiger und abhängiger Variable, sondern vielmehr dessen Signifikanz für die Existenz von Systemeigenschaften, die diesem Verhalten zugrundegelegt werden. So dienen beispielsweise die Befunde zur mentalen Rotation von Figuren primär als Indiz für die Existenz bildhafter Repräsentationen (KOSSLYN, 1 9 8 0 ; SHEPARD & COOPER, 1 9 8 2 ) ; nur sekundär im Hinblick auf diesen Zweck interessiert hier der gefundene lineare Zusammenhang zwischen Rotationswinkel und Rotationszeit. Dieses Beispiel macht deutlich, daß es durchaus möglich ist, Hypothesen über komplexe Systemeigenschaften experimentell zu prüfen, sofern man Performanzvorhersagen findet, die distinkt für die Theorie und gegen alternative Theorien sprechen

Kühl & Waldmann: Handlungspsychologie

176 (alternative Theorien zur mentalen Rotation haben etwa A N D E R S O N ( 1 9 7 8 ) , PYLYSHYN ( 1 9 8 1 ) vorgeschlagen). Aus diesem Grund ist es auch nötig, den Zusammenhang zwischen der experimentellen Prozedur und der komplexen Theorie direkt vorzusehen. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Verfahren, die bei der Prüfung von Mikrotheorien entwickelt wurden, sich bruchlos zur Prüfung komplexer Theorien mit emergenten Eigenschaften eignen. Die traditionelle Hoffnung, daß sich die Vielzahl von mit Hilfe von Mikrotheorien gewonnenen Befunde am Ende einmal zu einer integrativen Theorie verknüpfen lassen, hat sich nicht erfüllt ( N E W E L L , 1 9 7 3 ) . Der im Vergleich zu den klassischen Mediationstheorien enorme Komplexitätszuwachs, der dadurch entstanden ist, daß man sich um eine Modellierung der kognitiven Prozesse bei der Handlungsvorbereitung und -regulation bemühte, hat in der Phase der empirischen Überprüfung zu einer verstärkten Beachtung von On-line-Maßen geführt, also solchen Verhaltensindikatoren, die die zugrundeliegenden Prozesse während ihres Ablaufs anzapfen (vgl. D Ö R N E R et al., 1 9 8 3 ; H E C K H A U S E N & K Ü H L , 1 9 8 4 ) . Zu diesen Maßen gehören Reaktions-Latenzen ( R O S E N B A U M et al., 1984) ebenso wie eher introspektive Verfahren, wie sie in der Protokoll-Analyse verwendet werden ( E R I C S S O N & S I M O N , 1 9 8 4 ) . Keinem dieser Maße ist ein grundsätzlich überlegener oder unterlegener Status in bezug auf die zugrundeliegenden Prozesse zuzuschreiben. Erst im Verbund mit einer empirisch gehaltvollen Theorie läßt sich die Signifikanz des jeweiligen Maßes im konkreten Fall begründen.

5.

Schlußbemerkungen

Zwei Punkte wollten wir durch unsere Diskussion verschiedener handlungspsychologischer Ansätze hervorheben. Erstens kam es uns darauf an, au fzuzeigen, daß die Konstruktion mehr oder weniger komplexer Handlungstheorien keineswegs den grundsätzlichen Verzicht auf experimentelle Überprüfung der theoretischen Annahmen impliziert. Der Sachverhalt, daß nicht bei jedem Experiment die gesamte Theorie auf dem Prüfstand stehen kann, bedeutet nicht umgekehrt, daß die theoretischen Annahmen prinzipiell gegenüber Überprüfungsbemühungen im-

mun sind. Über die wichtige Rolle heuristischer empirischer Verfahren, die im «context of discovery» dazu dienen, interessante Fragestellungen für die experimentelle Prüfung zu generieren, sind wir uns im klaren (vgl. B L A C K et al., 1 9 8 4 ; V . C R A N A C H et al., 1 9 8 0 ) . Wir sind allerdings der Ansicht, daß die aktuellen Handlungstheorien sich durchaus in einem Zustand befinden, in dem experimentelle Prüfung sinnvoll und möglich ist. Unser Plädoyer für eine experimentell orientierte handlungspsychologische Forschung ist von der Sorge getragen, daß ein übermäßiges «Herumexperimentieren» mit verschiedenen handlungspsychologischen Perspektiven im «empiriefreien Raum» uns allzu leicht die interessanten Perspektiven übersehen läßt, die handlungspsychologische Theorien in Verbindung mit modernen experimentellen psychologischen Methoden für die zukünftige Forschung eröffnen. Zweitens sollten die unterschiedlichen Fragestellungen, Schwerpunkte und Perspektiven verschiedener handlungspsychologischer Ansätze diskutiert werden. Dabei fällt allerdings auf, daß diese - teilweise mit einem ganzheitlichen Anspruch auftretenden - Theorien aufgrund ihrer ungleichen theoretischen Ausgangssituation ganz unterschiedliche Aspekte des Handelns mit teilweise divergentem theoretischem Vokabular beleuchten. Die Diskussion der einzelnen Ansätze, die sich vorwiegend immanent mit den Perspektiven des jeweiligen theoretischen Frageschwerpunkts befaßt hat, hat gleichzeitig die Lücken und Defizite deutlich gemacht, die in der Regel aufgrund der Vernachlässigung gerade derjenigen Aspekte des Handelns entstehen, die den Schwerpunkt konkurrierender Handlungstheorien bilden. Genauso, wie in der Theorie des molaren Handlungsstroms die Rolle der kognitiven Regulationsprozesse bislang nur am Rande ausgearbeitet ist, fällt an den aktuellen Theorien der Handlungsregulation die Vernachlässigung motivationaler Faktoren und die zu starke Einengung auf einen schmalen Bereich von Handlungen auf. Die Theorien der Zielbildung wiederum sind gerade erst dabei, ihre Modelle zu verbinden mit einer Theorie der Repräsentation entscheidungsrelevanter Informationen usw. Vom Standpunkt einer experimentell orientierten Handlungstheorie darf es nicht verwundern, daß eine ganzheitliche Theorie nicht apriori entwickelt werden kann, sondern sich am bestehenden Wis-

177

Zeitschrift f ü r Sozialpsychologie 1 9 8 5 , 1 6 , 1 5 3 - 1 8 1

senstand orientieren muß. Gleichwohl scheint uns der Zustand erreicht, in dem eine stärkere Verknüpfung der unterschiedlichen Frageschwerpunkte in Richtung einer integrativen Theorie des Handelns sinnvoll und möglich ist.

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Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,182-195

Rollenkonsens: beide sind a oder -a), wird die normative Rollenauffassung realisiert. Typen: 1 und 2. 1.2. Wenn die normative Rollenauffassung neu-

tral ist, und die perzipierte normative Rollenerwartung entweder neutral oder unbekannt ist,

wird die normative Rollenauffassung realisiert. 1 Typ:3. 1.3. Wenn die normative Rollenauffassung nicht

neutral ist, und die perzipierte normative Rollenerwartung entweder neutral oder unbekannt ist, wird die normative Rollenauffassung realisiert. Typen: 4 und 5.

Sanktionen sind relevant: 1.4. Wenn die normative Rollenauffassung von der perzipierten normativen Rollenerwartung abweicht (wir sprechen dann von einem Rollenkonflikt: a vs. - a oder - a vs. a), dann ist das Rollenverhalten von der relativen Anzahl der eigenen Sanktionen abhängig. 1.4.1. Wenn keine eigenen Sanktionen und keine perzipierten Sanktionen zur Verfügung stehen, oder wenn die eigenen und/oder perzipierten Sanktionen unbekannt sind, wird die normative Rollenauffassung realisiert. Typen: 6 und 9. 1.4.2. Wenn ebensoviel oder mehr eigene Sanktionen als perzipierte Sanktionen zur Verfügung stehen, wird die normative Rollenauffassung realisiert. Typen: 7 und 10. 1.4.3. Wenn weniger eigene Sanktionen als perzipierte Sanktionen zur Verfügung stehen, wird die perzipierte normative Rollenerwartung realisiert. Typen: 8 und 11. 1.5. Wenn die normative Rollenauffassung neu-

tral ist, und die perzipierte normative Rollenerwartung weder neutral noch unbekannt ist, ist das Rollenverhalten von der relativen Anzahl der eigenen Sanktionen abhängig. 1.5.1. Wenn keine eigenen Sanktionen und keine perzipierten Sanktionen zur Verfügung stehen, oder wenn die eigenen und/oder die perzipierten Sanktionen unbekannt sind, wird die normative Rollenauffassung realisiert. 1 Typ: 12. 1.5.2. Wenn mehr eigene Sanktionen als perzipierte Sanktionen zur Verfügung stehen, wird die normative Rollenauffassung realisiert. 1 Typ: 13. 1.5.3. Wenn ebensoviel wie oder weniger eigene 1 Die Realisation einer neutralen normativen Rollenauffassung bedeutet, daß Aktivität A nicht ausgeführt wird.

187 Sanktionen als perzipierte Sanktionen zur Verfügung stehen, wird die perzipierte normative Rollenerwartung realisiert. Typen: 14 und 15. Diese Verhaltenspositionen bilden das theoretische System, das im typologischen Modell I ausgearbeitet wurde. Eine schematische Wiedergabe dieses Modells zeigt Tabelle 3. Um festzustellen, inwieweit die Sanktionsvariable die Vorhersagekraft eines theoretischen Systems, zu dem diese Variable nicht gehört, vergrößert, haben wir zwei zusätzliche typologische Modelle entwickelt, IIA und IIB, die aus drei sogenannten Grundtypen bestehen. Die Vorhersagen des Rollenverhaltens im typologischen Modell IIA gründen sich nur auf die normative Rollenauffassung, die Vorhersagen des Rollenverhaltens im typologischen Modell IIB nur auf die perzipierte normative Rollenerwartung. In bezug auf die erste Grundhypothese kann die allgemeine Verhaltensproposition für das typologische Modell IIA folgendermaßen formuliert werden: IIA. Die normative Rollenauffassung wurde realisiert. Wenn die normative Rollenauffassung a ist, dann ist das vorhergesagte Rollenverhalten auch a; wenn die normative Rollenauffassung n oder -a ist, dann ist das vorhergesagte Rollen verhalten -a. Grundtypen: 1, 2 und 3. In der dritten Ausgangshypothese wird gefordert, daß die perzipierte normative Rollenerwartung den Rollenträger nicht motiviert, das gewünschte Verhalten zu realisieren. Wir wollen die Gültigkeit dieser Ausgangshypothese untersuchen, indem wir die Negation dieser Hypothese als eine allgemeine Verhaltensproposition des typologischen Modells IIB formulieren: IIB. Die perzipierte normative Rollenerwartung wurde realisiert. Wenn die perzipierte normative Rollenerwartung a ist, dann ist das vorhergesagte Rollenverhalten auch a, wenn die perzipierte normative Rollenerwartung n oder -a ist, dann ist das vorhergesagte Rollenverhalten -a. Grundtypen: 1, 2 und 3. Eine schematische Wiedergabe der typologischen Modelle IIA und IIB ist in Tabelle 3 dargestellt. Die neun Kombinationen der normativen Rollenauffassung und der perzipierten normativen Rollenerwartung bilden die Haupttypen des typologischen Modells III. Dieses Modell ist eine

188

Ter Heine, Felling & Gubbels: Rollenverhalten

Spezifizierung des typologischen Modells IIA, das ausgeht von der perzipierten normativen Rollenerwartung; die Vorhersage des Rollen Verhal-

tens gründet sich nur auf die normative Rollenauffassung - Verhaltensproposition IIA - . Siehe Tabelle 3.

Tab.3: Die typologischen Modelle. Typologisches Modell I. Die Vorhersage des Rollenverhaltens: 15 Typen PROP

RA

PRE

RS

RV

1 2 3 4 5 6

1.1 1.1 1.2 1.3 1.3 1.4.1

a -a n a -a -a

a -a n n n a

a -a -a a -a

7 9

1.4.2 1.4.3 1.4.1

-a -a a

10 11 12

1.4.2 1.4.3 1.5.1

a a n

13 14 15

1.5.2 1.5.3 1.5.3

n n n

nicht relevant nicht relevant nicht relevant nicht relevant nicht relevant keine ES und keine PS oder: ES und/oder PS unbekannt ES = PS oder: ES > PS ES < PS keine ES und keine PS oder: ES und/oder PS unbekannt ES = PS oder ES > PS ES < PS keine ES und keine PS oder: ES und/oder PS unbekannt ES > PS ES = PS oder: ES < PS ES = PS oder: ES < PS

TYP

8

oder: - a a a -a

oder: - a

Typologisches Modell IIA. Die Vorhersage des Rollenverhaltens: drei Grundtypen GRUNDTYP 1 2 3

PROP

RA

PRE

RS

RV

II.A II.A II.A

a n -a

nicht relevant nicht relevant nicht relevant

nicht relevant nicht relevant nicht relevant

a -a -a

Typologisches Modell IIB. Die Vorhersage des Rollenverhaltens: drei Grundtypen GRUNDTYP 1 2 3

PROP II.B II.B II.B

RA

PRE

RS

RV

nicht relevant nicht relevant nicht relevant

a n -a

nicht relevant nicht relevant nicht relevant

a -a -a

Typologisches Modell III. Die Vorhersage des Rollenverhaltens: neun Haupttypen HAUPTTYP 1 2 3 4 5 6 7 8 9

PROP

RA

PRE

RS

II.A II.A II.A II.A II.A II.A II.A II.A II.A

a n -a a n -a a n -a

a a a n n n -a -a -a

nicht nicht nicht nicht nicht nicht nicht nicht nicht

RV relevant relevant relevant relevant relevant relevant relevant relevant relevant

a -a -a a -a -a a -a -a

189

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,182-195 Erklärung: TYP: GRUNDTYP: HAUPTTYP: PROP: RA: PRE: RS: ES: PS: a: -a: n:

Nummer des Typs Nummer des Grundtyps Nummer des Haupttyps Nummer der Verhaltensproposition normative Rollenauffassung perzipierte normative Rollenerwartung relative Anzahl der eigenen Sanktionen eigene Sanktionen perzipierte Sanktionen Inhalt von RA, PRE, RV bezieht sich auf die Ausführung von Aktivität A Inhalt von RA, PRE, RV bezieht sich auf die Nichtausführung von Aktivität A RA ist neutral; P R E ist neutral oder unbekannt

4. Meßinstrumente Die Daten wurden bei 177 praktizierenden Sozialarbeitern, die bei 53 Ämtern für allgemeine Sozialarbeit in vier niederländischen Provinzen arbeiten, erhoben. Die Feldarbeit fand von Januar bis Mai 1977 statt. Im konzeptuellen Modell wurden die Variablen anhand einer Aktivität definiert. In unserer Untersuchung haben wir die Variablen anhand von 24 verschiedenen Aktivitäten gemessen. Diese Aktivitäten sind eine logische Auswahl aus den täglichen Aktivitäten der Sozialarbeiter. Sie repräsentieren außerdem eine Ausarbeitung des sogenannten durch soziale Aktion gesteuerten Hilfeleistungsmodells und des traditionell-professionellen Hilfeleistungsmodells. Die Kriteriumsvariable Rollenverhalten wurde mittels eines Tagebuchs gemessen, das die Respondenten während 10 Arbeitstagen führten. Jeden Tag wurde angegeben, ob einige der ausgewählten Aktivitäten an diesem Tag ausgeführt worden waren. Die Prädiktorvariablen waren zwei Wochen vorher mit einem Fragebogen gemessen worden. In bezug auf die normative Rollenauffassung mußte der Respondent angeben, ob er selbst fand, er müsse die Aktivitäten ausführen, die ihm aufgetragen werden. In bezug

auf die perzipierte normative Rollenerwartung mußte er für jede der vier Kategorien (Verwaltungsrat, Management, Kollegen und Klienten) angeben, ob diese finden, daß er, der Sozialarbeiter, diese Aktivitäten ausführen müsse. Die rela-

tive Anzahl der eigenen Sanktionen wurde mit den Variablen, die die eigenen Sanktionen und die perzipierten Sanktionen betreffen, konstruiert. Im Fragebogen mußte der Respondent ange-

ben, welche Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen, Druck auf die Rollensender auszuüben (eigene Sanktionen) und welche Möglichkeiten er den verschiedenen Rollensendern zuschreibt, Druck auf ihn auszuüben (perzipierte Sanktionen). Die Konditionsvariable, die perzipierte Handlungskompetenz, wurde ebenfalls mit Hilfe des Fragebogens gemessen. Für diese Variable wurden zwei Aspekte unterschieden, die im Fragebogen in getrennte Fragen aufgeteilt wurden. In einer ersten Frage mußte der Respondent angeben, ob er meine, daß er genügend Kenntnisse und Fähigkeiten besitze, die Aktivitäten auszuführen; in einer zweiten mußte er angeben, ob sein Amt genügend administrative, technische und finanzielle Mittel habe, die Aktivitäten auszuführen. Da es vier Rollensenderkategorien und vier typologische Modelle gibt, wurden 16 typologische Analysen ausgearbeitet. Die Zahl der analysierten Fälle liegt zwischen 3583 und 3815. Im folgenden werden die Resultate präsentiert.

5. Resultate Zunächst untersuchten wir, ob die perzipierte Handlungskompetenz als Konditionsvariable relevant ist. Sie wäre relevant, wenn es sich zeigen würde, daß die Sozialarbeiter, die sich für unfähig hielten, eine Aktivität auszuführen, diese auch tatsächlich nicht ausführten. Wenn dies der Fall wäre, würden wir das typologische Modell nur in den Fällen anwenden, in denen die Sozialarbeiter meinten, das betreffende Rollenverhalten ausführen zu können. Die Analyse zeigt, daß die perzipierte Handlungskompetenz als Kondi-

190

Ter Heine, Felling & Gubbels: Rollenverhalten

Tab.4: Die Vorhersagekraft der Typen, Grundtypen und Haupttypen. Die Vorhersagekraft der einzelnen Typen des typologischen Modells I pro Rollensenderkategorie TYP

1

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

PROP

RA

PRE

1.1 1.1 1.2 1.3 1.3 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.3

a -a n a -a -a -a -a a a a n n n n

a -a n n n a a a -a -a -a

RS

RV

0

a -a -a a -a -a -a a a a -a -a -a a -a

0 0 0 0

1 2 3 1 2 3 1 4 5 5

(-)a (-)a a -a

Verwaltungsrat

Management

Kollegen

Klienten

X

X

X

x

X

X

x '

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X X

X

X X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

Die Vorhersagekraft der einzelnen Grundtypen des typologischen Modells I I A pro Rollensenderkategorie GRUNDTYP 1 2 3

PROP

RA

RV

Verwaltungsrat

Management

Kollegen

Klienten

II.A II.A II.A

a n -a

a -a -a

X

X

X

X

X

X

X

X

Die Vorhersagekraft der einzelnen Grundtypen des typologischen Modells I I B pro Rollensenderkategorie GRUNDTYP 1 2 3

PROP

PRE

RV

Verwaltungsrat

Management

II.B II. B II.B

a n -a

a -a -a

X

X

Kollegen

Klienten X

X X

X

X

Die Vorhersagekraft der einzelnen Haupttypen des typologischen Modells III pro Rollensenderkategorie HAUPTTYP 1 2 3 4 5 6 7 8 9

PROP

RA

PRE

RV

Verwaltungsrat

Management

II.A II.A II.A II.A ILA ILA ILA ILA ILA

a n -a a n -a a n -a

a a a n n n -a -a -a

a -a -a a -a -a a -a -a

X

X

E S = P S oder: E S < P S

Klienten

X

X

X X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

Erklärung: x: der Typ hat Vorhersagekraft; er entspricht den drei Kriterien Die Bedeutung der erwähnten Nummern unter R S : 0: nicht relevant 1: keine E S und keine P S oder: E S und/oder P S sind unbekannt 2: E S = PS oder: E S > P S 3: E S < PS 4: ES > PS 5:

Kollegen

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,182-195

tionsvariable für die Vorhersage des Rollenverhaltens der Sozialarbeiter in unserer Untersuchung nicht relevant ist. Deshalb haben wir alle erhobenen Daten typologisch analysiert, unabhängig davon, ob die Sozialarbeiter im Stande zu sein glaubten, ein bestimmtes Rollen verhalten auszuführen. Wir haben die Vorhersagekraft der einzelnen Typen der typologischen Modelle anhand von drei Kriterien festgestellt: 1. absolute Verbesserung der Vorhersage Das ist der Fall, wenn der Unterschied zwischen der Proportion der korrekten Vorhersagen der betreffenden Typen und der Proportion, mit der das vorhergesagte Rollenverhalten tatsächlich vollständig ausgeführt ist, > .10. 2. Signifikanz des Typs Das ist der Fall, wenn die rechte Überschreitungswahrscheinlichkeit des vorhergesagten Rollenverhaltens < .10 ist. Die ÜberschreitungsWahrscheinlichkeit wird mit Hilfe der hypergeometrischen Distribution berechnet (LIEBERMAN & OWEN, 1961).

3. Zahl der signifikanten Typen pro Analyse Es ist möglich, daß bei jeder der 16 typologischen Analysen die Signifikanz der Typen dem Zufall zuzuschreiben ist. Wenn dies der Fall wäre, würden wir irrtümlicherweise diesen Typen Vorhersagekraft zuerkennen. Um dies zu verhindern, berechnen wir bei jeder Analyse die rechte Überschreitungswahrscheinlichkeit der Zahl der signifikanten Typen mittels einer Schätzung der binomialen Verteilung durch die Poissonverteilung (BOLLE et al., 1 9 7 1 ) . Eine rechte Überschreitungswahrscheinlichkeit < .10 gilt als Kriterium für ein signifikantes Resultat. Die Resultate der Analysen werden in Tabelle 4 dargestellt. Sofern es das typologische Modell I betrifft, ist die Vorhersage, daß Sozialarbeiter ihrer Rollenauffassung in Rollenkonsenssituationen folgen können (Typen 1 und 2) offenbar korrekt. Unsere Vorhersage ist auch dann korrekt, wenn die Sozialarbeiter der Ausführung der Aktivitäten neutral gegenüberstehen, und wenn die perzipierten normativen Rollenerwartungen neutral oder unbekannt sind (Typ 3): die Sozialarbeiter führen die Aktivitäten nicht aus. In Si-

191

tuationen, in denen die perzipierten normativen Rollenerwartungen neutral oder unbekannt sind, während die Sozialarbeiter eine explizite normative Rollenauffassung haben (Typen 4 und 5), realisieren sie nur dann ihre normative Rollenauffassungen, wenn diese beinhalten, daß sie die Aktivitäten nicht ausführen müssen. Die Typen 6 bis 11 betreffen Rollenkonfliktsituationen: die normativen Rollenauffassungen der Sozialarbeiter sind mit den perzipierten normativen Rollenerwartungen unvereinbar. Unsere Vorhersage, daß die Sozialarbeiter ihren normativen Rollenauffassungen folgen, wenn weder eigene Sanktionen noch perzipierte Sanktionen zur Verfügung stehen, oder wenn die eigenen Sanktionen und/oder die perzipierten Sanktionen unbekannt sind (Typen 6 und 9), scheint im allgemeinen nicht korrekt zu sein. Nur wenn die Kollegen die Rollensender sind, hat Typ 6 Vorhersagekraft. Wenn man über ebensoviel oder mehr eigene Sanktionen als perzipierte Sanktionen verfügt (Typen 7 und 10), realisieren die Sozialarbeiter ihre normativen Rollenauffassungen, wenn diese beinhalten, daß sie die Aktivitäten nicht ausführen müssen, zumindest dann, wenn der Verwaltungsrat oder die Kollegen die Rollensender sind. Wenn sie die Auffassung vertreten, daß sie die Aktivitäten ausführen müssen, können sie nur dann ihrer Rollenauffassung folgen, wenn die Klienten die Rollensender sind. Wenn es weniger eigene Sanktionen als perzipierte Sanktionen gibt (Typen 8 und 11), nehmen die Sozialarbeiter nur dann auf die normativen Rollenerwartungen Rücksicht, wenn die Rollensender - Verwaltungsrat, Management oder Kollegen - explizit wünschen, daß diese Aktivitäten nicht ausgeführt werden. Wir sehen also, daß sie in Situationen, in denen die Rollensender nach Ansicht der Sozialarbeiter die Ausführung bestimmter Aktivitäten vorschreiben, nicht nachgeben. Bei den Typen 12 und 15 handelt es sich um eine perzipierte normative Rollener Wartung, bei der eine explizite Präferenz hinsichtlich der Ausführung der Aktivitäten ausgedrückt wird, während die Sozialarbeiter keine Aktivität explizit präferieren. Wenn keine eigenen Sanktionen und keine perzipierten Sanktionen vorhanden sind, oder wenn die eigenen und/oder die perzipierten Sanktionen unbekannt sind (Typ 12), können die Sozialarbeiter, wie vorhergesagt, ihrer normati-

192 ven Rollenauffassung folgen, es sei denn, die Klienten sind nicht die Rollensender. Wenn bekannt ist, daß mehr eigene als perzipierte Sanktionen zur Verfügung stehen (Typ 13), können die Sozialarbeiter in allen Fällen den Rollenauffassungen folgen. Wenn ebensoviel oder weniger eigene Sanktionen als perzipierte Sanktionen vorhanden sind (Typen 14 und 15), kommen die Sozialarbeiter nur dann den perzipierten normativen Rollenerwartungen ihres Rollensenders entgegen, wenn dieser entweder der Verwaltungsrat oder das Management ist, und wenn außerdem den Rollensendern zufolge die Aktivitäten nicht ausgeführt werden müssen. Diese Darlegung impliziert, daß die meisten Verhaltenspropositionen des typologischen Modells I für die Vorhersagen des Rollenverhaltens von Sozialarbeitern nicht adäquat sind. Nur die Verhaltenspropositionen 1.1, 1.2 und 1.5 sind in allen Analysen zutreffend. Wenn der Verwaltungsrat, das Management oder die Kollegen als Rollensender funktionieren, scheint Proposition 1.5.2 vertretbar zu sein. Da die Propositionen 1.4.1, 1.4.2, 1.4.3 und 1.4.5 nicht korrekt sind, müssen wir folgern, daß die Sanktionen im allgemeinen nicht die erwartete Wirkung zeigen. Die Ergebnisse der Analyse des typologischen Modells IIA zeigen, daß unsere Vorhersagen nicht in allen Fällen stimmen; insbesondere ist dies der Fall, wenn die Sozialarbeiter die Auffassung haben, daß sie die Aktivitäten ausführen müssen (Grundtyp 1). Wir müssen daraus schließen, daß die Verhaltensproposition, die diesem typologischen Modell zugrunde liegt, nicht zutreffend ist. Dies bedeutet, daß die vorhergehende Formulierung der ersten Ausgangshypothese nicht richtig ist. Wir konnten nicht beweisen, daß der Rollenträger gewöhnlich seine normative Rollenauffassung in Rollen verhalten umsetzt. Die Resultate der Analyse des typologischen Modells IIB können folgendermaßen beschrieben werden. In dirigistischen Situationen (Grundtyp 1) kann mit der perzipierten normativen Rollenerwartung des Verwaltungsrats, des Managements oder der Klienten das Verhalten von Sozialarbeitern gut vorhergesagt werden. Wenn der Verwaltungsrat, das Management oder die Kollegen als Rollensender fungieren, kann in prohibitiven Situationen (Grundtyp 3) mit ihrer perzipierten normativen Rollenerwartung auch eine gute Vorhersage gemacht werden. Wenn die

Ter Heine, Felling & Gubbels: Rollenverhalten

perzipierte normative Rollenerwartung neutral oder unbekannt ist (Grundtyp 2), kann das Rollenverhalten nur dann richtig vorhergesagt werden, wenn die Kollegen als Rollensender funktionieren. Obwohl die Verhaltensproposition, die diesem typologischen Modell zugrunde liegt, in ihrer Allgemeinheit nicht korrekt ist, konnten wir zeigen, daß sie in einer Reihe von Situationen gut als Prädiktor des Rollenverhaltens der betreffenden Sozialarbeiter funktioniert. Wenn die Sozialarbeiter die Ausführung der Aktivitäten explizit bevorzugen (Haupttypen 1,4 und 7), so geht aus den Resultaten des typologischen Modells III hervor, dann führen sie diese nur dann aus, wenn ihre normativen Rollenauffassungen von den perzipierten normativen Rollenerwartungen unterstützt werden (Haupttyp I). Wenn die Sozialarbeiter sie nicht explizit bevorzugen (Haupttypen 2, 5 und 8), dann führen sie die Aktivitäten dann nicht aus, wenn die perzipierte normative Rollenerwartung neutral oder unbekannt ist; außerdem ist dies der Fall, wenn sie nach der perzipierten normativen Rollenerwartung der Kollegen ausgeführt werden müssen, und ebenso, wenn sie nach der perzipierten normativen Rollenerwartung des Verwaltungsrats und Managements nicht ausgeführt werden müssen. Wenn wir das Rollenverhalten von Sozialarbeitern vorhersagen wollen, müssen wir auf dieser Grundlage folgern, daß es in einer Reihe von Situationen wichtig ist, daß man den eigentlichen Inhalt der perzipierten normativen Rollenerwartung des Rollensenders kennt. Aus den Resultaten des typologischen Modells IIA geht hervor, daß die normative Rollenauffassung als Prädiktor des Rollenverhaltens von Sozialarbeitern nicht geeignet ist; insbesondere wenn die Sozialarbeiter die Ausführung der Aktivitäten explizit bevorzugen, ist diese Prädiktorvariable deutlich mangelhaft. Die Analyse des typologischen Modells III zeigt, daß die Sozialarbeiter ihrer normativen Rollenauffassung nur in jenen Fällen folgen können, in denen die perzipierte normative Rollenerwartung diese normative Rollenauffassung unterstützt (Haupttyp 1). Wir können die Ergebnisse der typologischen Analysen folgendermaßen zusammenfassen. Die Vorhersagen des Rollenverhaltens im typologischen Modell I gründen sich auf vier Ausgangshypothesen. Wir haben angenommen, daß die

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,182-195

Sanktionsvariablen die Wirkung der normativen Rollenauffassung bzw. der perzipierten normativen Rollenerwartung unterstützen. Außerdem nahmen wir an, daß die perzipierte normative Rollenerwartung im Gegensatz zur normativen Rollenauffassung den Rollenträger nicht motiviert, das gewünschte Verhalten zu zeigen. Dem typologischen Modell IIA liegt die Annahme zugrunde, daß die normative Rollenauffassung die einzige Prädiktorvariable ist, die das Rollenverhalten korrekt vorhersagen kann. Im typologischen Modell IIB begründen wir die Vorhersagen des Rollenverhaltens mit der perzipierten normativen Rollenerwartung. Mit Hilfe des typologischen Modells III konnten wir untersuchen, ob die Vorhersagekraft der normativen Rollenauffassung mit der perzipierten normativen Rollenerwartung im Zusammenhang steht. Wenn wir die Resultate der Analyse zusammenfassen, entsteht folgendes Bild in bezug auf die verschiedenen Prädiktorvariablen: Wir nahmen an, daß die relative A nzahl der eigenen Sanktionen in Rollenkonfliktsituationen und in Situationen, in denen die normative Rollenauffassung, im Gegensatz zur perzipierten normativen Rollenerwartung, neutral ist, wichtig ist. Aus den Resultaten geht nicht hervor, daß die relative Anzahl der eigenen Sanktionen in der Art und Weise funktioniert, wie wir angenommen hatten. Zwar hat eine Reihe von Rollenkonflikttypen Vorhersagekraft, aber die Vorhersagen als Ganzes sind nicht zutreffend. Z.B. hat Typ 11 in einer Reihe von Analysen Vorhersagekraft, Typ 8 dagegen überhaupt nicht (bei beiden Typen sind weniger eigene Sanktionen als perzipierte). Typen 9 und 10 haben keine Vorhersagekraft, Typ 11 dagegen wohl, wenigstens wenn der Verwaltungsrat, das Management oder die Kollegen als Rollensender auftreten, obwohl es sich bei den drei Typen um dieselbe Art von Rollenkonfliktsituationen handelt. Wenn die normative Rollenauffassung neutral ist, müßte sich die Wirkung der Sanktionen eigentlich bei Typ 14 an jener Stelle zeigen, an der a für das Rollen verhalten vorhergesagt wurde. Die Vorhersagekraft dieses Typs wird aber bei keiner der Analysen deutlich. Weiterhin ist auch die Annahme über die Vorhersagekraft der normativen Rollenauffassung, die dem typologischen Modell IIA zugrunde liegt, nicht richtig. Besonders jene Vorhersage, daß die Sozialarbeiter die Aktivitäten ausführen,

193 hinsichtlich deren sie die Auffassung vertreten, sie ausführen zu müssen, ist offenbar nicht korrekt. Schließlich konnten wir nachweisen, daß, im Gegensatz zu unserer dritten Ausgangshypothese, die perzipierte normative Rollenerwartung für die Vorhersage des Rollenverhaltens der Sozialarbeiter wichtig ist. Nicht nur einige der Grundtypen des typologischen Modells IIB haben Vorhersagekraft, sondern auch bei den auf dem typologischen Modell III basierenden Resultaten ist die Bedeutung dieser Variable deutlich. Es wurde gezeigt, daß die Sozialarbeiter die Aktivitäten gewöhnlich nur ausführen, wenn die Tendenz der perzipierten normativen Rollenerwartung damit übereinstimmt; wenn sie nicht miteinander übereinstimmen, verwirklichen die Sozialarbeiter ihre normative Rollenauffassung nicht, ungeachtet der relativen Anzahl der Sanktionen. Auch wenn die Sozialarbeiter die Ausführung der Aktivitäten nicht explizit bevorzugen, ist die perzipierte normative Rollenerwartung wichtig. Wenn im letzteren Fall die Ausführung der Aktivitäten explizit bevorzugt wird, folgen die Sozialarbeiter ihrer normativen Rollenauffassung dennoch nicht, unabhängig von der relativen Anzahl der Sanktionen - mit Ausnahme jener Situationen, in denen die Kollegen als Rollensender auftreten. Die perzipierte normative Rollenerwartung ist offenbar nicht wichtig, wenn die Sozialarbeiter die Auffassung haben, daß sie die Aktivitäten nicht ausführen müssen; sie führen sie dann nicht aus, mit Ausnahme jener Fälle, in denen die Klienten als Rollensender auftreten. In unserer Studie haben wir angenommen, daß die Variablen, mit denen das Rollen verhalten der Sozialarbeiter vorhergesagt werden konnte, für jede Rollensenderkategorie dieselben sind und in ähnlicher Weise funktionieren. Diese Annahme ist nicht ganz richtig. Es gibt Hinweise dafür, daß in Rollenkonfliktsituationen, in denen die Sozialarbeiter die perzipierten normativen Rollenerwartungen des Verwaltungsrats, des Managements und der Kollegen berücksichtigen, sie die Rollenerwartungen der Klienten nicht oder kaum berücksichtigen (Typen 10 und 11). Wenn die Sozialarbeiter eine neutrale normative Rollenauffassung haben, sind sie empfänglicher für die perzipierten normativen Rollenerwartungen des Verwaltungsrats und des Managements als für diejenigen der Kollegen und der Klienten.

194 Wenn die Aktivitäten den perzipierten normativen Rollenerwartungen zufolge nicht ausgeführt werden müssen, berücksichtigen Sozialarbeiter nur diejenigen des Verwaltungsrats und des Managements (Haupttyp 8). Wenn die Kollegen als Rollensender auftreten, berücksichtigen die Sozialarbeiter die perzipierten normativen Rollenerwartungen nicht, wenn diese beinhalten, daß die Aktivitäten ausgeführt werden müssen (Haupttyp 2).

6. Diskussion und Anregungen für weitere Untersuchungen

Zu Beginn dieses Artikels haben wir darauf hingewiesen, daß wir die «Untersuchungstradition» in drei Punkten modifiziert haben. Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen, daß diese Änderung nicht in eine Sackgasse führt, sondern daß die theoretischen Modelle vielversprechend sind. Wenn wir diese drei Punkte noch einmal einzeln betrachten, ist es möglich, die eventuellen Konsequenzen für künftige Untersuchungen anzugeben. Hinsichtlich der gewählten Variablen können wir aus unseren Untersuchungen folgende Schlußfolgerungen ziehen. Obwohl die perzipierte Handlungskompetenz augenscheinlich als Konditionsvariable nicht relevant ist, empfehlen wir, diese Variable auch bei weiteren Untersuchungen aufzunehmen. Wir vermuten nämlich, daß wir diese Variable nicht ausreichend valide gemessen haben. Da es für die Sozialarbeiter sehr einfach war anzugeben, daß sie zur Ausführung einer Aktivität nicht imstande seien, ist es erklärlich, daß in vielen Fällen doch Aktivitäten ausgeführt wurden, von denen sie in erster Instanz angenommen hatten, daß sie sie nicht ausführen könnten. Die Art und Weise, wie VAN DE VLIERT (1974) diese Variable gemessen hat, verdient Nachahmung. Die normative Rollenauffassung ist eine relevante Prädiktorvariable. Dies gilt auch für die perzipierte normative Rollenerwartung. Wir haben die eigenen Sanktionen und die perzipierten Sanktionen als perzipierte negative Sanktionsmöglichkeit aufgefaßt. Durch diese Definitionsweise wurde die Möglichkeit geboten, Sanktionen nicht zu gebrauchen, obwohl die betreffenden Personen darüber verfügen. Wenn von Sanktionen nicht oder kaum Gebrauch ge-

Ter Heine, Felling & Gubbels: Rollenverhalten

macht wird, wird deutlich, daß sie nicht die Wirkung haben, die wir ihnen bei der Vorhersage des Rollenverhaltens zuerkannt hatten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß wir zu anderen und - im Hinblick auf unsere Annahmen - besseren Ergebnissen gekommen wären, wenn wir mit wirklich erwarteten Sanktionen gearbeitet hätten. Daraus folgt, daß bei künftigen Untersuchungen nicht mögliche, sondern erwartete Sanktionen aufgenommen werden sollten. Eines unserer Untersuchungsergebnisse ist, daß das theoretische System, mit dem das Rollen ver halten von Sozialarbeitern analysiert werden kann, einen anderen Inhalt hat, wenn es Verwaltungsrat oder Management als Rollensender betrifft, als wenn es Kollegen oder Klienten als Rollensender betrifft. Die perzipierten normativen Rollenerwartungen des einen Rollensenders haben offenbar mehr prädiktive Kapazitäten als diejenigen eines anderen Rollensenders. Wir empfehlen daher, bei künftigen Untersuchungen mit mehr als einem Rollensender darauf zu achten, daß es einen Unterschied in Wichtigkeit der verschiedenen Rollensender geben kann. Das Messen des Rollen verhaltens bildete die zweite Anpassung. Für künftige Untersuchungen wird das Führen eines Tagebuchs zur Messung des Rollenverhaltens empfohlen. Im Vorangehenden haben wir die Vermutung geäußert, daß es möglich ist, daß die Respondenten das Rollenverhalten in Übereinstimmung mit den Prädiktorvariablen bringen, wenn dieses Rollenverhalten mit einem Fragebogen gemessen wird. Das würde bedeuten, daß die typologischen Modelle im Vergleich zur Tagebuchmethode eine größere Vorhersagekraft hätten, wenn das Rollen verhalten mit einem Fragebogen gemessen würde. Um das zu untersuchen, haben wir das Rollenverhalten auch mit Hilfe eines Fragebogens gemessen. Es zeigte sich, daß unsere Annahme richtig war: im allgemeinen können wir das Rollenverhalten besser mit Hilfe eines Fragebogens als mittels eines Tagebuchs vorhersagen. Zur Testung des theoretischen Systems haben wir das Testen der verschiedenen Typen gewählt. Der erwartete Vorteil dieser Methode hat sich in unserer Studie deutlich gezeigt: insbesondere haben wir Unterschiede in der Vorhersagekraft der «kongruenten (Haupt-)Typen» entdeckt; das sind Typen mit derselben Verhaltensproposition. Typ 8 zum Beispiel hat keine Vorhersagekraft,

195

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während Typ 11 das bei der Analyse dort hat, wo Verwaltungsrat, Management oder Kollegen Rollensender sind; hier handelt es sich um Rollenkonfliktsituationen. So wurde auch gezeigt, daß Haupttyp 7 in keiner der Analysen Vorhersagekraft hat, während Haupttyp 3 in mehreren Analysen diese deutlich besitzt; hier handelt es sich ebenfalls um Rollenkonfliktsituationen. Aus unserem Testverfahren ergab sich ein differenziertes Bild der Art und Weise, wie, und der Situation, worin das Rollen verhalten vorhergesagt werden kann. Diese Methode kann deshalb auch bei weiteren Untersuchungen angewandt werden. Das theoretische System gibt jedoch wegen der Beschränktheit unserer Studie ein weniger deutliches Bild der sozialen Wirklichkeit als das möglich wäre. Wir haben das Rollenverhalten u. a. als Reaktion des Rollenträgers auf eine bestimmte perzipierte normative Rollenerwartung aufgefaßt und nicht als Reaktion auf eine Kombination von perzipierten normativen Rollenerwartungen von vier Rollensendern zur gleichen Zeit.

Weiterhin könnte die Gültigkeit unseres theoretischen Systems deutlicher werden, wenn die beim Rollensender festgestellten normativen Rollenerwartungen und Sanktionen, statt perzipierter normativer Rollenerwartungen und perzipierter Sanktionen als Prädiktorvariablen aufgenommen worden wären.

Literatur BOLLE, E . A . W . , GÖBEL, F. & LENOIR, J . M . H . 1 9 7 1 . K a n s -

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I^IH J

196

Mielke: Umweltschutz-Verhalten

Eine Untersuchung zum Umweltschutz-Verhalten (Wegwerf-Verhalten): Einstellung, Einstellungs-Verfügbarkeit und soziale Normen als Verhaltensprädiktoren* ROSEMARIE MIELKE Universität Bielefeld, F a k u l t ä t f ü r Soziologie

102 Studierende w u r d e n n a c h ihrer Einstellung zum Wegwerf-Verhalten, d . h . z u m U m g a n g mit A b f a l l in verschiedenen Situationen, zur Verfügbarkeit (accessibility) solcher Einstellungen (Sicherheit des Einstellungsurteils, persönliche Bedeutsamkeit der Einstellung, Aktivität u n d E n g a g e m e n t in Sachen Umweltschutz) u n d zu sozialen N o r m e n (Familienu n d F r e u n d e s - N o r m e n ) g e f r a g t . Der Z u s a m m e n h a n g zwischen Einstellung u n d (in Interviews berichtetem) Verhalten betrug 0.49. Es w u r d e gezeigt, d a ß dieser Z u s a m m e n h a n g nur bei P e r s o n e n mit h o h e r Einstellungs-Verfügbarkeit im Sinne von Aktivität beim U m w e l t s c h u t z höher ausfällt. Das Einstellungsmerkmal « V e r f ü g b a r k e i t » beeinflußt überdies teilweise den Z u s a m m e n h a n g zwischen sozialen N o r m e n u n d o f f e n e m Verhalten; bei geringer Einstellungs-Verfügbarkeit leisten soziale N o r m e n eine bessere Verhaltensvorhersage als Einstellungen.

In a study on littering a t t i t u d e a n d b e h a v i o r , the influence of attitude accessibility a n d social n o r m s on the predictability of behavior f r o m attitudes was investigated. 102 students served as subjects. Littering attitude accessibility was assessed by Ss' certainty in their attitudinal j u d g m e n t s , by the subjective m e a n i n g f u l n e s s of their attitudes, a n d by ratings of Ss' activity a n d of their general engagement in p r o b l e m s of environment p r o t e c t i o n . T h e attitude-behavior correlation was .49 (where littering behavior was inferred f r o m interviews). It was shown t h a t the attitude-behavior relationship was closer in persons with higher attitude accessibility (in terms of being m o r e active in, e . g . , e n v i r o n m e n t - p r o t e c t i o n g r o u p s ) . It could f u r t h e r be d e m o n s t r a t e d t h a t a t t i t u d e accessibility influences the relationship between social n o r m s (especially f r i e n d s ' n o r m s ) and behavior; when a t t i t u d e accessibility is low, n o r m s a p p e a r to be better predictors of behavior t h a n attitudes.

1.

gen. Eine Angleichung der Spezifitätsebenen findet dadurch statt, daß eine ähnliche Strukturierung auch bei der Erfassung der Einstellung verwendet wird. Einer Forderung von FISHBEIN & A J Z E N ( 1 9 7 5 ) nachkommend, die empfehlen, nicht die Einstellung gegenüber dem Einstellungsobjekt zu erheben, sondern die Einstellung gegenüber dem Verhalten, sind die einzelnen Items weitgehend verhaltensnah formuliert. Es wird also statt nach der Einstellung gegenüber der Abfallbeseitigung beispielsweise danach gefragt, ob man eigenen Abfall unterwegs wieder einpacken oder fremden Abfall in den nächsten Abfalleimer mitnehmen würde. ( 2 ) Bereits von W I C K E R ( 1 9 6 9 ) war die Einbeziehung von Drittvariablen bei Untersuchungen zur Vorhersage von Verhalten aus Einstellungen gefordert worden. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat seitdem gezeigt, daß die Berücksichtigung von situativen Merkmalen und Persönlichkeitsvariablen eine Spezifizierung der Bedingungen erlaubt, unter denen Einstellungen für

Problemstellung

Die bisherige Einstellungs-Verhaltens-Forschung hat gezeigt, daß für die Prognose von Verhalten aus Einstellungen sowohl methodische als auch theoretische Verbesserungsmöglichkeiten zu beachten sind. In der vorliegenden Untersuchung sollen die methodischen Möglichkeiten beachtet und die Verbesserung des EinstellungsVerhaltens-Zusammenhangs durch Berücksichtigung des Konzeptes der «Verfügbarkeit» überprüft werden. (1) Die Forderung nach möglichst großer Spezifität bei der Einstellungs- und Verhaltenserfassung wird durch die Eingrenzung des zu untersuchenden Verhaltensbereichs auf das Wegwerf verhalten (littering) erfüllt. Der Umgang mit Abfall wird zur nochmaligen Erhöhung des Spezifitätsniveaus auf unterschiedliche Abfallarten bezo* Die Verfasserin d a n k t Frau Dipl. Psych. GUDRUN DOBSLAW für ihre Mitarbeit bei der vorliegenden U n t e r s u chung.

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das Auftreten entsprechender Verhaltensweisen Erklärungswert haben. Mit der genaueren Analyse der Bedingungen für Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz tritt die Einstellungs-VerhaltensForschung nach Ansicht von Z A N N A & FAZIO (1982) in ihre dritte Phase. Nachdem in der ersten Phase die Frage nach der Existenz von Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhängen geklärt wurde und in der zweiten Phase Antworten auf die «Wann?»-Frage gefunden wurden, geht es nun in der dritten Phase darum, die «Wie?»-Frage zu beantworten. FAZIO und Mitarbeiter haben als Drittvariable ein Merkmal der Einstellung, nämlich deren Verfügbarkeit (accessibility), untersucht und stellen diese Variable in den Mittelpunkt eines psychologischen Erklärungsmodells für die Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten. Sie nehmen an, daß bei der Konfrontation mit einem Einstellungsobjekt eine bestimmte evaluative Kategorie, die in besonderer Weise mit dem Objekt assoziiert ist, aktiviert wird. Durch diese Bewertungskategorie ist bereits zu Beginn festgelegt, welche Aspekte des Objekts hervorgehoben und welche vernachlässigt werden. Die Selektivität der Wahrnehmung bedingt dann eine bestimmte verhaltensmäßige Reaktion gegenüber dem Objekt, indem die evaluative Reaktion als Leitlinie für das Verhalten fungiert. Das Ergebnis dieses dreiphasigen Prozesses ist ein Verhalten, das mit der Einstellung konsistent ist, die bereits zu Beginn des Prozesses «salient» war. Entscheidend für den Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhang ist bei diesem Prozeß die Wahrscheinlichkeit der Aktivierung der Bewertungsreaktion. Nach den Ergebnissen von FAZIO et al. (1982) hängt diese Wahrscheinlichkeit von der Stärke der Assoziation zwischen Bewertung und Objekt ab. Je stärker diese Verbindung ist, desto leichter ist die Bewertungsreaktion aktivierbar. FAZIO et al. (1982) konnten zeigen, daß die Stärke der Assoziation zwischen Objekt und Evaluation die Verfügbarkeit der Einstellung determiniert; Einstellungen als evaluative Reaktionen gegenüber einem Objekt könnte man also danach unterscheiden, wie schnell sie aus dem Gedächtnis verfügbar sind. Somit läßt sich die Verfügbarkeit einer Einstellung als Merkmal einer Einstellung bezeichnen, das für die EinstellungsVerhaltens-Beziehung von Bedeutung ist. Da die Verfügbarkeit von der Assoziationsstärke zwi-

197 schen Objekt und Evaluation abhängig ist, müßten alle Bedingungen, die geeignet sind, diese Assoziation zu stärken, auch zu einer Erhöhung der Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz beitragen. Nun kann man annehmen, daß Einstellungen, die aufgrund von eigenen Verhaltenserfahrungen gebildet worden sind, eher verfügbar sind als solche, die auf indirekte Weise erworben sind. REGAN & FAZIO (1977) zeigten, daß eigene Erfahrungen mit einem bestimmten Verhalten zu gut definierten und sicheren Einstellungen führen, was wiederum die Möglichkeit verbessert, Verhalten aus Einstellungen vorherzusagen. Zur Erklärung dieses Zusammenhangs läßt sich die Theorie der Selbstwahrnehmung von BEM (1967) heranziehen, wonach das Verhalten als Hinweis auf die eigenen Einstellungen angesehen wird. Über die Selbstwahrnehmungstheorie hinausgehend konnten FAZIO et al. (1982) zeigen, daß derart zustandegekommene Einstellungen schneller aus dem Gedächtnis verfügbar sind als Einstellungen, die nicht über eigene Verhaltensausführungen gelernt wurden. Um das Einstellungsmerkmal «Verfügbarkeit» als konsistenzerhöhende Variable zu untersuchen, werden in der vorliegenden Arbeit vier verschiedene Operationalisierungen gewählt: (a) Zunächst wird davon ausgegangen, daß sich die Verfügbarkeit einer Einstellung in der Sicherheit bei der Abgabe des Einstellungsurteils zeigt; man kann hierin einen subjektiven Zugang zur Erfassung der Latenzzeit sehen, wie sie von FAZIO et al. öfter zur Messung von Verfügbarkeit verwendet wurde, wenn man unterstellt, daß zögerndes Antwortverhalten der Versuchspersonen ein Indikator für Unsicherheit ist. (b) Ferner wird angenommen, daß man über solche Einstellungen schneller verfügt, die man persönlich für bedeutsam hält. (c) Unter Bezugnahme auf die theoretischen Zusammenhänge zwischen Einstellungen mit direkten Verhaltenserfahrungen und ihrer Verfügbarkeit wird das Ausmaß an aktiver Betätigung im Umweltschutzbereich erfaßt. Indem wir in abgestufter Weise erfragen, wie stark jemand in Sachen Umweltschutz aktiv ist, gewinnen wir einen Anhaltspunkt für das Ausmaß an eigenen Erfahrungen in dem vorherzusagenden Verhaltensbereich. (d) Die Angaben über das eigene aktive Engagement in Umweltschutzfragen werden ergänzt

198 durch die subjektive Einschätzung des allgemeinen Engagements für Umweltschutzfragen. (3) Die von FISHBEIN & AJZEN immer wieder berichteten Arbeiten haben vielfach gezeigt, daß soziale Normen oftmals neben den Einstellungen einen erheblichen Einfluß auf das Verhalten haben. Verfolgt man das zunehmende öffentliche Interesse an Fragen des Umweltschutzes und den kontinuierlichen Anstieg der «perzipierten politischen Bedeutsamkeit des Umweltschutzes» (KLEY & FIETKAU, 1979), s o s c h e i n t es s i c h bei

dem untersuchten Verhalten um Verhaltensweisen zu handeln, die erst allmählich unter den Einfluß verhaltensleitender eigener Einstellungen geraten. Derartige Verhaltensweisen, die täglich ausgeführt werden, ohne daß man sie bisher in bezug auf die allgemeine Umweltschutzproblematik überprüft hat, sind möglicherweise noch sehr stark durch in der Familie gelernte Gewohnheiten geprägt. Über die ausgeführten Annahmen zum Einfluß der Verfügbarkeit von Einstellungen hinaus wird hier angenommen, daß der normative Einfluß auf das Verhalten umso höher ist, je geringer die Verfügbarkeit einer Einstellung ist. Speziell unter der Voraussetzung, daß das Wegwerfverhalten erst allmählich unter den Einfluß eigener Einstellungen gerät, da zur Zeit die Diskussion um «richtiges» Verhalten im Sinne größtmöglicher Vermeidung von Umweltverschmutzung noch im vollen Gange ist, erscheint die Annahme plausibel, daß das Verhalten bei geringer Verfügbarkeit einer evaluativen Reaktion zu einem erheblichen Anteil durch das Verhalten der sozialen Bezugsgruppe bzw. durch die wahrgenommenen Erwartungen dieser Personen an das eigene Verhalten bestimmt wird. Im Falle von studentischen Versuchspersonen kommen als soziale Bezugsgruppe die Herkunftsfamilie und der unmittelbare Freundeskreis in Frage. Der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Verhaltensbereich «Wegwerfverhalten» als einem Teilbereich des Problemkomplexes «Abfallbeseitigung» kommt seit längerem große Bedeutung zu, da man offensichtlich auch Änderungsmöglichkeiten individuellen Verhaltens als Ergänzung zu strukturellen Veränderungen im Umweltschutzbereich mehr und mehr Aufmerksamkeit schenkt. Die verhaltensanalytisch orientierte Forschung hat sich hier bereits große Verdienste erworben (vgl. zusammenfassend GELLER et al.,

Mielke: Umweltschutz-Verhalten

1982). Eine längerfristige Effektivität verhaltensanalytischer Interventionsmaßnahmen ist aber offensichtlich erst dadurch zu sichern, daß auch Einstellungsänderungen erfolgen, so daß das individuelle Verhalten unabhängig von externen G r a t i f i k a t i o n e n w i r d . STERN & GARDNER (1981)

plädieren daher für eine stärkere Einbeziehung sozialpsychologischer Forschung bei der Untersuchung umweltbezogener Probleme. Auch WEIGEL (1983) bedauert in seiner Überblicksarbeit zur Einstellungsforschung im Umweltschutzbereich noch die Unabhängigkeit verhaltensanalytischer und sozialpsychologischer Forschungsansätze. Eine kritische Analyse von Einstellungsskalen zur Umweltschutzproblematik (HEBERLEIN, 1981) zeigt, daß es mittlerweile möglich ist, globale Umwelteinstellungen zuverlässig zu erfassen. Im deutschsprachigen Raum haben vor a l l e m KLEY & FIETKAU (1979) s o w i e AMELANG et

al. (1977) solche Forschungsinstrumente entwickelt. Die alleinige Erfassung von Einstellungen erlaubt aber bekanntlich in der Regel nur unzureichende Aussagen über das tatsächliche Verhalten, und so soll mit der vorliegenden Untersuchung auch ein Beitrag dazu geleistet werden, daß bei der Hinzuziehung sozialpsychologischer Einstellungsforschung zur Bearbeitung von Umweltschutzproblemen von vornherein mit differenzierten Ansätzen zur Verhaltensvorhersage gearbeitet wird. Mit der empirischen Untersuchung des modifizierenden Einflusses von Variablen wie «Verfügbarkeit» auf die EinstellungsVerhaltens-Beziehung könnte somit möglicherweise auch ein Schritt in Richtung auf eine Verbindung zwischen sozialpsychologischer Einstellungsforschung und Verhaltensanalyse getan werden, wie er von WEIGEL (1983) vermißt wird und wie er als Beitrag zur Lösung praktischer Umweltschutzprobleme dringend erwünscht erscheint.

2.

Methode

2.1

Ausführung

der Untersuchung

102 Studenten verschiedener Fachrichtungen (59 männlich, 43 weiblich) im Alter zwischen 19 und 33 Jahren wurden im Sommer 1983 in Einzelversuchen untersucht; die Bezahlung betrug 10 DM. Die Vpn bearbeiteten einen Fragebogen zur Er-

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fassung von Einstellungen und Drittvariablen, und unmittelbar anschließend wurden sie anhand eines strukturierten Interviews nach ihrem Verhalten gefragt.

2.1.1 Einstellungsmessung Es wurde ein Einstellungsfragebogen beantwortet, der 24 aufgrund einer Itemanalyse (an 100 Studierenden) aus einer Menge von 58 ausgewählte, einfach formulierte Aussagen zum Wegwerfverhalten enthielt. Die 24 Feststellungen ließen sich fünf verschiedenen Inhaltsbereichen zuordnen; diese Struktur ließ sich jedoch faktorenanalytisch nicht bestätigen. Wegen der zufriedenstellenden internen Konsistenz der Gesamtskala (Cronbachs alpha .81; split-half-Reliabilität .81) wurden keine weiteren Unterskalen gebildet. Bei den fünf Bereichen der Einstellung zur Vermeidung von und zum Umgang mit Abfall handelte es sich um die folgenden Themen (in Klammern die Itemnummern der Liste, die in Tab. 1 wiedergegeben ist): 1. Aufwendige Verpackung ( 1 , 1 0 , 1 1 , 1 2 , 1 3 ) 2. Kauf und Umgang mit Flaschen und Dosen (2, 3, 5, 6, 7, 8) 3. Kauf und Umgang mit Wasch- und Putzmitteln (4, 9 , 1 4 , 1 6 ) 4. Umgang mit kleineren Abfällen unterwegs (15,17,18) 5. Beseitigung von Medikamenten, Batterien, Altöl und ähnlichen gefährlichen Abfällen (19, 20, 21, 22, 23, 24).

2.1.2 Verfügbarkeitsmaße Aktive Betätigung im Umweltschutzbereich: Das Ausmaß an eigener Aktivität im Bereich des Umweltschutzes wurde mit einer achtstufigen Ratingskala geschätzt. Die Skalenpunkte waren verbal umschrieben und reichten von «Ich habe mich noch nie mit dem Thema Umweltschutz beschäftigt» bis hin zu «Ich bin selbst Begründer/ Mitbegründer einer Gruppe/Initiative zum Umweltschutz». Allgemeines Engagement bei Fragen des Umweltschutzes: Auf einer siebenstufigen Ratingskala von - 3 bis +3 wurde erfaßt, wie stark sich die Vpn in Fragen des Umweltschutzes im Ver-

199 Tab. 1: Liste der Feststellungen, die die Skala der Einstellung zum Wegwerfverhalten bilden (in Klammern Trennschärfe r it und Polung). 1. Man sollte beim Einkaufen auf aufwendig verpackte Produkte verzichten (.22) 2. Ich finde, man sollte Milch aus Umweltschutzgründen wieder in Pfandflaschen anbieten (.36) 3. Man sollte Getränke wie Bier, Sprudel und Fruchtsäfte nur in Pfandflaschen kaufen (.38) 4. Man sollte aus Sorge um die Gewässer lieber weniger scharfe Putzmittel verwenden und dafür die zusätzliche Mühe beim Putzen in Kauf nehmen (.36) 5. Ich meine, daß man bei Deodorants auf Spraydosen auf Treibgasbasis völlig verzichten kann (.30) 6. Plastikbecher sollte man wirklich nur in Ausnahmefällen benutzen (.64) 7. Bier oder andere Erfrischungsgetränke in Dosen sollte man nicht kaufen (.41) 8. Es gibt Produkte, bei denen Spraydosen auf Treibgasbasis wirklich eine große Hilfe sind (.28) (-) 9. Wenn es nach mir ginge, dürfte nur noch phosphatfreies Waschmittel verkauft werden (.44) 10. Es gibt viele Verpackungen, auf die ich einfach nicht verzichten möchte, weil sie mir sehr gut gefallen (.35) (-) 11. Ich würde lose Milch kaufen, um unnötige Verpackung zu sparen, auch wenn sie teurer wäre (.52) 12. Ich finde die Idee gut, zu aufwendig verpackte Produkte nach Möglichkeit nicht zu kaufen (.40) 13. Ich finde, daß die meisten Verpackungen überflüssig sind (.31) 14. Phosphatfreie Waschmittel finde ich nicht gut, wenn damit die Wäsche nicht richtig weiß wird (.24) (-) 15. Wenn man im Freien Picknick macht, sollte man auch den Abfall von anderen Leuten bis zum nächsten Abfalleimer mitnehmen (.34) 16. Ich finde, daß man in Ausnahmefällen, wie z. B. auf Reisen, bei Wanderungen und fürs Picknick, Getränke in Dosen oder Plastikflaschen verwenden kann (.39) (-) 17. Ich finde, daß es nicht zumutbar ist, Abfall anderer Leute aufzusammeln (.25) (-) 18. Wenn im Freibad kein Abfalleimer aufgestellt ist, sollte man seinen Abfall wieder mit nach Hause nehmen (.26) 19. Ich finde, Batterien kann man ohne weiteres in den Müll werfen (.47) (-) 20. Leute, die so gefährliche Dinge wie Batterien in den Müll werfen, sollte man mit Bußgeld bestrafen (.44) 21. Altöl sollte man dadurch beseitigen, daß man es mit Zeitungspapier aufsaugt und dann in den Mülleimer wirft (-23) (-) 22. Flüssige oder halbflüssige Essensreste gehören nicht in den Abfluß, wenn sie Fett enthalten (.26) 23. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, den privaten Abfall nach organischem und nichtorganischem Abfall zu trennen, wenn man einen Garten hat (.39) 24. Ich finde es übertriebenen Umweltschutz, alte Medikamente in die Apotheke zurückzubringen (.41) (-)

gleich mit Personen ihrer näheren Umgebung engagieren; die Endpunkte der Skala waren mit «schwach» und «stark» bezeichnet.

200 Sicherheit des Einstellungsurteils: Unmittelbar im Anschluß an die Beantwortung des Einstellungsfragebogens wurde die Urteilssicherheit geschätzt; diese Schätzung wurde in Prozent für den gesamten Einstellungsfragebogen abgegeben. Bedeutsamkeit der Einstellung: Schließlich wurden die Vpn gebeten, in Prozent zu schätzen, wie bedeutsam die im Einstellungsfragebogen behandelten Fragen des Umweltschutzes für sie seien. 2.1.3 Soziale Normen Zur Erfassung der sozialen Normen wurde nach den Erwartungen an das Verhalten von Seiten zweier Personengruppen gefragt, und zwar der Familienmitglieder und der engen Freunde. Da das zu erfassende umweltschonende Verhalten in Form eines vielfältigen Spektrums einzelner spezifischer Verhaltensweisen konzipiert war, wurde die wahrgenommene Erwartung an das eigene Verhalten durch Familienangehörige und enge Freunde auf eine größere Auswahl von Verhaltensweisen bezogen: 1. das Mitführen einer Einkaufstasche zur Vermeidung von Plastiktüten 2. den Kauf von Getränken in Pfandflaschen 3. den Kauf von sparsamer oder mit umweltfreundlicheren Materialien verpackten Produkten 4. die Benutzung des nächsten Altglas-Containers 5. die Verwendung von Umweltschutzpapier 6. die sparsame Verwendung von Spül- und Waschmitteln 7. das Zurückbringen alter Medikamente in die Apotheke. Für jede dieser sieben Verhaltensweisen schätzt die Vp, wie wahrscheinlich es ist, daß Mitglieder ihrer Familie bzw. enge Freunde das betreffende Verhalten von ihr erwarten würden. (Die Motivation, diesen Erwartungen entsprechendes Verhalten zu zeigen, wurde zwar ebenfalls erfaßt, jedoch nicht weiter berücksichtigt, da sich in Übereinstimmung mit Ajzen & Fishbein (1969) zeigte, daß die Gewichtung der sozialen Normen mit der Motivation zur Normerfüllung den Vorhersagewert dieser Komponente verringert. Der Frage, ob es sich dabei möglicher-

Mielke: Umweltschutz-Verhalten

weise um ein methodisches Artefakt aufgrund der üblichen Produktbildung und der damit zusammenhängenden Unsicherheiten des resultierenden Skalenniveaus handelt, soll hier nicht weiter nachgegangen werden.) Die auf siebenstufigen Ratingskalen (von - 3 «unwahrscheinlich» bis +3 «wahrscheinlich») erfaßten Erwartungen wurden über alle sieben Verhaltensweisen zu je einem Summenscore für die Erwartungen von Seiten der Familienangehörigen und der engen Freunde zusammengefaßt. Die interne Konsistenz (Cronbachs alpha) der Einschätzungen der sozialen Normen betrug .77 (Erwartungen der Familienangehörigen) bzw. .88 (Erwartungen der engen Freunde).

2.1.4 Verhaltenserfassung Das Verhalten wurde über Selbstberichtsangaben erfaßt. Den Vpn wurden zunächst 24 Einzelfragen zur schriftlichen Beantwortung vorgelegt. Anschließend wurden die einzelnen Antworten in einer mündlichen Nachbefragung durch den Vi auf Vollständigkeit durchgesehen und, wenn nötig, durch speziellere Angaben der Vp ergänzt. Die Antworten auf die Interviewfragen wurden anhand eines Punktesystems von zwei unabhängigen Beurteilern mit bis zu drei Punkten bewertet; die Beurteilerübereinstimmung (Spearman) betrug .79. Die Interviewfragen bezogen sich auf die folgenden Bereiche: 1. Verwendung und Verwertung von Plastiktüten (7 Fragen) 2. Kauf und Beseitigung von Flaschen und Dosen (4 Fragen) 3. Auswahl und Dosierung von Waschmitteln (3 Fragen) 4. Verwendung und Beseitigung von umweltschädigenden Stoffen wie Treibgas, Farben, Medikamente, Altöl (4 Fragen) 5. Umgang mit Papierabfällen und Verwendung von Umweltschutzpapier (3 Fragen) 6. Beseitigung von kleineren Abfällen unterwegs (3 Fragen) Die interne Konsistenz dieser unterschiedlichen Interview-Items betrug .73 (Cronbachs alpha). Es wurde ein Summenwert über alle Einzelantworten berechnet.

201

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,196-205

3.

Ergebnisse

3.1

Korrelative

Zusammenhänge

Der einfache Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten beträgt .49. Die Korrelation zwischen den wahrgenommenen normativen Erwartungen der Freunde und denjenigen der Familienangehörigen mit den Angaben zum eigenen umweltschonenden Verhalten beträgt .37 bzw. .27. Der multiple Korrelationskoeffizient zwischen den genannten Variablen beträgt .51 (vgl. Tab.2). Wie Tabelle 2 zeigt, ist der Unterschied der Höhe des Zusammenhanges mit den normativen Erwartungen einerseits der Freunde und andererseits der Familienangehörigen bei der Einstellung (.54 vs. .26) höher als beim Verhalten (.37 vs. .27). Auch zwischen den erhobenen Verfügbarkeitsmaßen und der Einstellung gegenüber dem umweltschonenden Verhalten gibt es deutliche Zusammenhänge (vgl. Tab.3). Die Sicherheit bei der Abgabe des Einstellungsurteils korreliert mit Tab.2: Korrelationen zwischen Verhalten, Einstellung und sozialen Normen in der Gesamtgruppe (n = 102). Einstellung Verhalten .49 Einstellung

Freundesnorm

Familien- Multiple norm Korrelation

.37 .54

.27 .26

.51 .40

Tab. 3: Korrelationen zwischen Einstellung und Verfügbarkeitsmaßen in der Gesamtgruppe (n = 102). Sicherheit Bedeutung Aktivität Engagement Einstellung Sicherheit Bedeutung Aktivität

.58

.40 .32

.26 .23 .22

.36 .29 .40 .38

der Einstellung selbst in Höhe von .58. Die Einschätzung der Bedeutung des erfragten Einstellungsbereichs zeigt einen Zusammenhang mit der Einstellung von .40. Ebenfalls positiv korrelieren das Ausmaß der Aktivitäten im Umweltschutzbereich und das Ausmaß des Engagements im Vergleich mit anderen mit der Einstellung (.26 und .36). Die vier Verfügbarkeitsmaße korrelieren untereinander, wie Tabelle 3 zeigt, zwischen .22 und .40. Da zu vermuten ist, daß mit jedem dieser Maße unterschiedliche Aspekte von Verfügbarkeit erhoben worden sind, werden für die weitere Analyse alle vier Maße beibehalten.

3.2

Der Einfluß von Verfügbarkeit auf den Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhang

Wegen der teilweise recht hohen korrelativen Zusammenhänge der herangezogenen Verfügbarkeitsmaße untereinander sowie mit der erhobenen Einstellung werden die Verfügbarkeitsmaße nicht gleichzeitig und gemeinsam mit der Einstellungsvariablen in eine multiple Regressionsanalyse zur Vorhersage des Verhaltens aufgenommen. Zur Überprüfung des Einflusses der Verfügbarkeit auf die Höhe des Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhanges wurden daher Untergruppen unterschiedlichen Verfügbarkeitsgrades gebildet und wegen der unterschiedlichen Gruppengrößen die z-transformierten Korrelationskoeffizienten zwischen Einstellung und Verhalten bei diesen Untergruppen miteinander verglichen (vgl. Tab.4). Es zeigt sich, daß der Einstellungs-VerhaltensZusammenhang bei den Gruppen mit hoher und geringer Sicherheit bei der Abgabe des Einstellungsurteils etwa gleich hoch ist. Ähnlich verhält es sich in bezug auf das Verfügbarkeitsmaß «Bedeutung»; die Einstellungs-Verhaltens-Konsi-

Tab.4: Einstellungs-Verhaltens-Korrelationen bei Personengruppen unterschiedlicher Einstellungs-Verfügbarkeit (in Klammern z-transformierte Werte). Verfügbarkeit

Sicherheit Bedeutung Aktivität Engagement

gering

n

mittel

.34 .53 .51 .57

43 22 47 35

.41 (.43) .39 (.41) .36 (.38)

(.35) (.59) (.56) (.65)

n

hoch

n

50 40 43

.32 .54 .61 .41

59 30 15 24

(.33) (.61) (.71) (.43)

Gesamtgruppe .49 (.53)

202

Mielke: Umweltschutz-Verhalten

Stenz von Personen mit niedriger und hoher Einschätzung der Bedeutung der Einstellung ist dabei tendenziell größer als bei den Personen mit einer mittleren Bedeutsamkeitsschätzung. Auch für das Verfügbarkeitsmaß «Engagement» lassen sich die Unterschiede in der Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz zwischen den drei Gruppen nicht gegen den Zufall absichern; hier zeigt sich der Zusammenhang bei der Gruppe mit geringem Engagement tendenziell erhöht. Überzufällig ist dagegen der Unterschied zwischen den Einstellungs-Verhaltens-Korrelationen der Personen mit mittlerer und hoher Einstellungsverfügbarkeit, gemessen durch «Aktivität» (t = 2.14; p < .05); Personen, die Mitglieder von Umweltschutzgruppen waren oder sind, stimmen deutlich höher in ihrem Verhalten mit ihren geäußerten Einstellungen überein als Personen, die angeben, lediglich regelmäßig in den Medien auf das Thema Umweltschutz zu achten. Einfache Varianzanalysen über die drei Personengruppen mit unterschiedlichem Aktivitätsniveau in Sachen Umweltschutz zeigen, daß sich diese im Ausmaß der Sicherheit ihrer Einstellung (F = 3.28;p < .05), in der Einschätzung ihres Engagements (F = 4.89; p < .01), im Ausmaß ihres Wissens über Umweltschutzfragen (F=7.98; p < .001) und in der Höhe ihrer Einstellung (F = 5.49; p < .01) voneinander unterscheiden. Keine Unterschiede zeigen sich in der Einschätzung der Bedeutsamkeit der Einstellung zum Umweltschutz sowie im Ausmaß des umweltschonenden Verhaltens.

Vergleicht man die Freundesnorm-VerhaltensZusammenhänge einerseits und die EinstellungsVerhaltens-Zusammenhänge andererseits über

die Gruppen unterschiedlicher Verfügbarkeit hinweg, so zeigt sich ein sehr ähnliches Muster (vgl. Tab. 5). Das Verfügbarkeitsmaß «Bedeutung» stellt hierbei eine Ausnahme dar. Die Höhe des Zusammenhanges zwischen Freundesnorm und Verhalten ist zwar bei geringer Einschätzung der Bedeutsamkeit der Einstellung ungefähr gleich hoch wie der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten; bei sehr hoher Einschätzung der Bedeutsamkeit ist allerdings der Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhang tendenziell dem Freundesnorm-Verhaltens-Zusammenhang überlegen. Den höchsten EinstellungsVerhaltens- und auch den höchsten Freundesnorm-Verhaltens-Zusammenhang zeigt die Gruppe der Personen mit hohem Aktivitätsniveau. Der Einfluß der familiären Normen ist bei zwei der vier Verfügbarkeitsmaße («Bedeutung» und «Engagement») in den Gruppen geringer Verfügbarkeit deutlich höher als bei den Gruppen mittlerer und geringer Verfügbarkeit (vgl. Tab. 6); signifikant sind die Korrelationsdifferenzen für «Bedeutung» («gering» vs. «mittel» t = 2.03; p < .05) und für «Engagement» («gering» vs. «mittel» t = 2.58; p < .05). Die Familiennorm-Verhaltens-Zusammenhänge sind zwar geringer als die vergleichbaren Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhänge; einige der genannten Zusammenhänge (.66 bei «Bedeutung gering», .55 bei «Engagement gering») kann man jedoch als deutlich höher als den Familiennorm-Verhaltens-Zusammenhang bei der Gesamtgruppe (.28) ansehen. In den drei Gruppen mit unterschiedlichem Aktivitäts-Niveau in Sachen Umweltschutz zeigt sich eine Gegenläufigkeit im Muster der Einstellungs-Verhaltens- bzw. Familiennorm-Verhaltens-Zusammenhänge. Dort, wo die Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhänge eher hoch sind (bei den Personen mit geringer und hoher

Tab. 5: Freundesnorm-Verhaltens-Korrelationen in Gruppen unterschiedlicher Einstellungs- Verfügbarkeit (in Klammern z-transformierte Werte).

Tab. 6: Familiennorm-Verhaltens-Korrelationen in Gruppen unterschiedlicher Einstellungs-Verfügbarkeit (in Klammern z-transformierte Werte).

3.3

Der Einfluß von Einstellung und sozialen Normen auf das Verhalten

gering Sicherheit Bedeutung Aktivität Engagement

.54 .51 .54 .69

mittel

hoch

(.60) .52 (.57) (.56) .27 (.28) .28 (.29) (.60) .32 (.33) .86(1.30) Gesamtgruppe (.84) .38 (.40) .39 (.41) .27 (.28)

gering Sicherheit Bedeutung Aktivität Engagement

mittel

hoch

.27 (.28) .24 (.24) .58 (.66) .05 ( .05) .32 (.33) .18 (.18) .41 ( .43) .27 (.28) .50 (.55)-.07 (-.07) .19 (.19)

Gesamtgruppe .27 (.28)

203

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,196-205

Aktivität), ist der Familiennorm-Verhaltens-Zusammenhang eher gering; in der Gruppe mit mittlerer Aktivität besteht ein relativ großer Familiennorm-Verhaltens-Zusammenhang, jedoch ein relativ geringerer Einstellungs-VerhaltensZusammenhang im Vergleich mit den beiden anderen Personengruppen. Die beschriebenen Zusammenhänge zwischen Normen und Verhalten bei Personen mit geringer Einstellungs-Verfügbarkeit sind von besonderem Interesse für die Antwort auf die Frage nach der relativen Stärke des Einflusses von sozialen Normen und Einstellungen auf das Verhalten bei Personen mit geringer Einstellungs-Verfügbarkeit. Für diese Betrachtung werden nur die familiären Normen herangezogen, da die Freundesnormen, wie Tabelle 1 zeigt, relativ hoch mit der Einstellung korrelieren. Die Zusammenhänge zwischen familiären Normen und Verhalten sind im Falle von zwei der vier Verfügbarkeitsmaße bei geringer Verfügbarkeit tendenziell höher als bei hoher Verfügbarkeit - die Unterschiede verfehlen jedoch das 5%-Niveau. Multiple Regressionsanalysen mit der Einstellung und der sozialen (Familien-)Norm als Prädiktoren und dem Verhalten als Kriterium (vgl. Tab.7) zeigen nochmals einen relativ beachtlichen Einfluß der normativen Komponente auf das umweltschonende Verhalten, der bei Personengruppen mit unterschiedlicher Einstellungs-Verfügbarkeit im Sinne von «Bedeutung» und «Engagement» stets bei den Gruppen mit relativ großer Verfügbarkeit vernachlässigenswert gering ist, während er bei den

Tab. 7: Beta-Gewichte der Multiplen Regressionsanalysen für die Gruppen unterschiedlicher Einstellungs-Verfügbarkeit. Verhaltensprädiktoren

Verfügbarkeitsvariable

«Bedeutung»

gering (n = 22) mittel (n = 50) hoch (n = 30) Beta Beta Beta Einstellung Familiennorm

Verhaltensprädiktoren

.33 .42

.41 .00

.50 .22

R = .64

R = .41

R = .58

Verfügbarkeitsvariable

3.4

Zusammenfassung der Ergebnisse

(1) Der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten beträgt 0.49. Die Verhaltensvorhersage läßt sich durch die Hinzuziehung von sozialen Normen nur geringfügig steigern (R = 0.51). Insbesondere im Falle der Freundesnormen besteht eine erhebliche Überschneidung zwischen sozialen Normen und Einstellung (r = 0.54). Die Verfügbarkeit einer Einstellung ist umso höher, je positiver die Einstellung gegenüber umweltschonendem Verhalten ist. Dieser Zusammenhang ist am höchsten b»i dem Verfügbarkeitsmaß «Sicherheit» (0.58), am geringsten beim Verfügbarkeitsmaß «Aktivität» (0.26). (2) Eine Erhöhung des Zusammenhangs zwischen Einstellung und Verhalten aufgrund größerer Einstellungs-Verfügbarkeit läßt sich aufgrund der vorliegenden Ergebnisse nicht durchgängig nachweisen. Lediglich die Personen mit der höchsten Einstellungs-Verfügbarkeit im Sinne von «Aktivität», d.h. Mitglieder oder Initiatoren von Umweltschutzgruppen, unterscheiden sich signifikant von der Gruppe mittlerer Verfügbarkeit in der Höhe des Einstellungs-VerhaltensZusammenhanges. (3) Es zeigt sich in einigen Fällen geringer Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhänge, daß die sozialen Normen eine bessere Verhaltensvorhersage erlauben als die Einstellungen. Vergleicht man Gruppen unterschiedlicher EinstellungsVerfügbarkeit hinsichtlich der FamiliennormVerhaltens-Zusammenhänge miteinander, so läßt sich für zwei der vier Verfügbarkeitsmaße feststellen, daß die familiäre Norm bei geringer Verfügbarkeit eine bessere Verhaltensvorhersage erlaubt als bei mittlerer und hoher EinstellungsVerfügbarkeit.

«Engagement»

gering (n = 35) mittel (n = 43) hoch (n = 24) Beta Beta Beta Einstellung Familiennorm

Gruppen mit geringer Verfügbarkeit einer umweltschonenden Einstellung in der von der Einstellung selbst bekannten Größenordnung liegt.

AI .37

.38 .12

.39 .09

R = .67

R = .39

R = .42

4.

Diskussion

Der einfache Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten ist in der vorliegenden Untersuchung zwar deutlich höher als man dies - unter Berücksichtigung der Stichprobengrößen -

204

von Einstellungs-Verhaltens-Untersuchungen gewohnt ist, dies ist aber wohl nur teilweise auf das Bemühen um eine verhaltensnahe Einstellungserfassung im Sinne der Forderungen von FISHBEIN & AJZEN ( 1 9 7 5 ) zurückführbar. Auch die für hohe Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhänge förderliche Tatsache, daß der untersuchte Einstellungsbereich (Umweltschutz-Einstellung) vermutlich für die meisten der untersuchten Personen (Studenten) eine hohe Verhaltensrelevanz hat (d.h., jeder kennt Verhaltensweisen, die zu bestimmten Ausprägungsgraden umweltbewußter Einstellungen passen, oder umgekehrt, man kann dem eigenen Wegwerfverhalten entsprechende Einstellungen zunehmend differenzierter benennen), erklärt noch nicht den Umfang gemeinsamer Einstellungs-VerhaltensVarianz. Ein Teil dieser Varianz dürfte auf die Methode der Verhaltenserfassung durch Selbstberichtsdaten zurückgehen. Zwar wurde bei den Verhaltens-Interviews ausdrücklich nach dem konkreten Umgang mit der Vermeidung von Abfall gefragt, dennoch kann ein konsistenzfördernder Einfluß der Einstellungserfassung auf diese Antworten nicht ausgeschlossen werden, da die Verhaltenserfassung zeitlich kurz nach der Einstellungsmessung erfolgte. Die hohen Zusammenhänge zwischen der sozialen Norm der Freunde und dem umweltschonenden Verhalten sowie die noch höhere Korrelation zwischen sozialer Norm und Umwelt-Einstellung zeigen im Vergleich zu den entsprechenden Zusammenhängen mit der familiären Norm, daß bei der untersuchten Gruppe der Studenten eine sehr starke normative Orientierung an Verhaltenserwartungen befreundeter Personen stattfindet. Bei Studenten kann dies vermutlich damit erklärt werden, daß ihr täglicher Lebens- und Diskussionszusammenhang im Privaten wie im «Beruflichen» von weitgehend identischen Personen bestimmt ist, da sie sich zumeist im Übergang zwischen Herkunftsfamilie und eigener Familiengründung befinden. Diese Freundesnormen scheinen auf die Einstellungen allerdings einen größeren Einfluß zu haben als auf das Verhalten. Die hohe Korrelation zwischen dem Verfügbarkeitsmaß «Sicherheit» und der Einstellung zeigt, daß die untersuchte Personengruppe in ihrem Einstellungsurteil umso sicherer ist, je positiver ihre Einstellung zum umweltschonenden

Mielke: Umweltschutz-Verhalten

Verhalten ist. Da sicherlich zur Zeit die Diskussion um die vielfältige Problematik des Umweltschutzes noch keineswegs abgeschlossen ist und sich der von KLEY & FIETKAU ( 1 9 7 9 ) festgestellte Trend innerhalb der Bevölkerung, zunehmend die politische Bedeutung dieses Themas zu erkennen, weiterhin fortsetzen dürfte, fühlen sich möglicherweise Personen mit weniger positiven Umwelt-Einstellungen zur Zeit eher unsicher, während Personen mit positiven Einstellungen durch den herrschenden Trend in der öffentlichen Meinung eher unterstützt werden. Leider lassen sich aufgrund der vorliegenden Untersuchung nicht mehr als Plausibilitätsüberlegungen zur Gültigkeit der verwendeten Verfügbarkeitsindikatoren für das von FAZIO & Z A N N A (1981) eingeführte Verfügbarkeits-Konzept anstellen. Die Autoren konnten in ihrer Untersuchung von 1978 zeigen, daß die Sicherheit der Einstellung einen Einfluß auf die Höhe des Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhangs hat. Sie fragten ihre Vpn danach, wie sicher sie sich in ihren Einstellungen fühlten. In der vorliegenden Untersuchung wurde dagegen nach der Sicherheit bei der Urteilsabgabe gefragt, und möglicherweise wurde damit ein weniger eng auf Wegwerfverhalten bezogenes Sicherheitsmaß erfragt; z.B. kann die Sicherheit bei der Urteilsabgabe eher allgemein auf den Umgang mit Fragebogen bezogen und damit nicht unbedingt ein Ausdruck von Einstellungssicherheit sein. Die beiden Verfügbarkeitsindikatoren «Bedeutung» und «Engagement» sind ebenfalls nur mit Einschränkungen als valide Indikatoren für eine festgefügte und jederzeit verfügbare Einstellung anzusehen, da sie im Vergleich mit dem Indikator «Aktivität» anfälliger für eine Tendenz zur sozial erwünschten Beantwortung sein dürften. Die Bedeutsamkeit von Einstellungen zum Umweltschutz kann sicherlich kaum abgestritten werden, wenn das Thema in der Öffentlichkeit stark diskutiert wird. Andererseits wird bei einer Aufforderung zur Einschätzung der persönlichen Bedeutsamkeit der Einstellung zum Umgang mit Abfall die gesamte Umweltschutzproblematik «salient», so daß die erfragten Einstellungen demgegenüber als eher unbedeutend eingeschätzt werden könnten. Die Selbstbeurteilung hinsichtlich des persönlichen Engagements in Fragen des Umweltschutzes muß sich nicht unbedingt auf aktives Engagement beziehen, sondern kann

205

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1 9 8 5 , 1 6 , 1 9 6 - 2 0 5

auch reines Verbalverhalten sein, dem eher eine «Bekennerhaltung» zugrundeliegt. Die Angaben über eigene Aktivitäten in Umweltschutzfragen beziehen sich demgegenüber direkt auf das eigene Verhalten. FAZIO et al. vermuten, daß die direkte eigene Erfahrung mit Verhaltensweisen über einen Selbstwahrnehmungsprozeß die Verfügbarkeit entsprechender Einstellungen erhöhe. Das Verfügbarkeitsmaß «Aktivität» dürfte von daher am ehesten geeignet sein, das von FAZIO et al. konzipierte Einstellungsmerkmal valide zu erfassen. Der allein bei dieser Gruppenunterscheidung aufgezeigte erhöhte Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhang macht deutlich, daß bei Personen mit hohem Aktivierungsgrad die Verfügbarkeit der Einstellung höher ist als bei der Gruppe mit geringerer Aktivität und daß dort die Einstellungen in erhöhtem Ausmaß Leitlinien für Verhalten sind. Der Vergleich der Zusammenhänge zwischen Einstellung und Verhalten einerseits, und sozialen Normen und Verhalten andererseits, zeigt in bezug auf die Freundesnormen ein ähnlicheres Bild als in bezug auf die familiären Normen. Dies kann mit der größeren Relevanz der Freundesgruppe als Bezugsgruppe für studentisches Verhalten erklärt werden. Auffällig ist dabei die besonders bei der Personengruppe mit hohem Aktivitätsgrad übereinstimmend hohe Konsistenz zwischen Einstellung und Verhalten einerseits, und Freundesnormen und Verhalten andererseits. Offensichtlich sind Mitglieder von Umweltschutzgruppen häufig untereinander befreundet, so daß ihre umweltbezogenen Einstellungen noch stärker als bei den anderen Personengruppen im Austausch der gegenseitigen normativen Erwartungen an das umweltbezogene Verhalten erworben worden sind. Zur Unterstützung der Annahme, daß soziale Normen dann das Verhalten stärker beeinflussen als Einstellungen, wenn die Einstellungen weniger gut verfügbar sind, kann lediglich ein Fall herangezogen werden: Bei Personen, die den Einstellungen geringe Bedeutung zumessen, zeigt sich ein stärkerer Zusammenhang zwischen familiären Normen und Verhalten als zwischen Einstellung und Verhalten, während in den beiden anderen Personengruppen die Einstellungen das Verhalten sehr viel stärker determinieren. Es gibt also einen Hinweis darauf, daß die Verhaltens-

vorhersage aus Einstellungen von dem Einstellungsmerkmal «Verfügbarkeit» abhängig ist und andere Variablen, wie in diesem Fall die soziale Norm, der Einstellung als Vorhersagevariable überlegen sind, wenn die Einstellung das Merkmal geringer Verfügbarkeit aufweist.

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m ^

1

206

Müller & Autenrieth: Koalitionsbildung

Koalitionsbildung in 3-Personen-Gruppen und ihre Vorhersagbarkeit durch sozialpsychologische Interaktionstheorien GÜNTER F.MÜLLER & U W E AUTENRIETH

Universität Oldenburg, Laplace München Es werden konzeptuelle Probleme individuenzentrierter Untersuchungen zur Koalitionsbildung beschrieben. Der Gültigkeitsbereich sozialpsychologischer Theorien sollte primär die Initiierung von Koalitionen, nicht jedoch deren Konsolidierung und Veränderung umfassen. In einer auktions-ähnlichen Laborsituation werden Vorhersagen des rationalitäts-, gerechtigkeits- und attributionstheoretischen Interaktionsansatzes analysiert. Beobachtungen an 24 3-Personen-Gruppen verdeutlichen, daß die Rationalitäts- und Gerechtigkeitstheorie bessere Vorhersagen machen als die Attributionstheorie, da beide die Bildung von Paarkoalitionen erwarten lassen. Bei der Vorhersage konkreter Paarkoalitionen scheitert die Gerechtigkeitstheorie, sobald eine Ausgewogenheit von Gewinnen für den einzelnen unprofitabel wird. Zur Konsolidierung von Koalitionen machen die Interaktionsansätze unzutreffende Prognosen. In einem weiteren Interaktionsdurchgang wechseln die Gruppen relativ unsystematisch zu anderen Koalitionstypen über, wobei mehrere Gruppen «große Koalitionen» bilden und zu kooperieren beginnen. Implikationen dieser Befunde werden diskutiert; es wird ein integrativer, systemischer Ansatz zur Koalitionsanalyse vorgeschlagen.

Conceptual problems of individualistic approaches to coalition formation are described. It is argued that the predictive scope of social psychological theories is restricted to an initiation of coalitions and excludes the consolidation and change of coalitions in ongoing interaction. In an auction-like laboratory situation coalition predictions of rationality-, equity and attribution-theory are analysed. Data of 24 3-persongroups show that a rationality and equity approach is superior to the attribution theory in correctly predicting the occurance of pair-coalitions. Concerning specific pair-coalitions equity theory fails, when distributional justice becomes unprofitable for the individuals involved. Concerning the consolidation of coalitions theoretical predictions are disconfirmed. During an additional trial the groups changed coalitions in a rather unsystematic fashion. Several groups formed «big coalitions», and, by this, changed to cooperative interaction. Implications of the obtained findings are discussed; an integrative, system-orientated approach to coalition analysis is presented.

1.

spektive riskiert hierdurch im unproblematischsten Fall, lediglich personenspezifische Teilaspekte von Koalitionsbildungsvorgängen zu erhellen. Im problematischsten Fall kann ihr der Vorwurf gemacht werden, Prinzipien der W H I T E HEAD-RussELschen Theorie logischer Typen zu ignorieren und Phänomene zu untersuchen, deren Beschreibung und Erklärung ein anderes, z.B. soziologisches Begriffsinstrumentarium erfordern würde. Der weniger gewichtige erste Einwand stellt eine Psychologie der Koalitionsbildung nicht prinzipiell in Frage. O f f e n bleibt nur ihr Stellenwert im Kanon sozialwissenschaftlicher Disziplinen. Ihre relative Bedeutung ökonomischen, soziologischen oder politologischen Ansätzen gegenüber kann dabei unterschiedlich beurteilt werden (vgl. M U R N I G H A M , 1978). Der zweite Einwand reicht sehr viel weiter, da er die Angemessenheit eines psychologischen Untersu-

Einleitung

Die vorliegende Arbeit versucht, (sozial)psychologische Hintergründe von Koalitionsphänomenen zu analysieren. Sie ist sich hierbei der Tatsache bewußt, daß Koalitionen überindividuelle Phänomene sind und als solche primär die besondere Beziehung von Personen und weniger deren intraindividuelle Besonderheiten charakterisieren. Eine psychologische UntersuchungsperDiese Arbeit ist im Teilprojekt 13 des Sonderforschungsbereichs 24, «Sozialwissenschaftliche Entscheidungsforschung», der Universität Mannheim entstanden. Sie wurde finanziell gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Land Baden-Württemberg. Für tatkräftige Unterstützung und konstruktive Kritik danken die Autoren vor allem der Projektleiterin M. Isis KSIENSIK, wertvolle Anregungen und Hinweise gaben zudem M.POPP, M.IRLE, G.MIKULA u n d F. N A C H R E I N E R .

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,206-218

chungsansatzes als ganzes zweifelhaft erscheinen läßt. Der Einwand rekurriert auf die logische Unmöglichkeit einer Isomorphie von «Klasse» und «Element». Die Klasse kann weder ein Element ihrer selbst sein, noch kann eines ihrer Elemente die Klasse bilden. Entsprechend gehören auch Aussagen über Klassen und Elemente anderen Abstraktionsebenen an, und jede Verquickung beider Ebenen ist notgedrungen fehlerbehaftet. Bezüge zur Analyse von Koalitionsphänomenen liegen auf der Hand. Als spezifischer Beziehungstyp ist die Koalition klasse-konstituierend, denn sie ordnet die in ihr enthaltenen Elemente bzw. Individuen unter einer gemeinsamen Devise sozialen Handelns. Hierin würde dann auch die Unzulänglichkeit des psychologischen Untersuchungsansatzes begründet liegen: Sie ist die natürliche Folge des am Einzelindividuum orientierten Erkenntnisanspruchs und der entsprechend beziehungs-elementaristischen Begriffsinstrumentarien und Aussagensysteme. Man kann nicht gerade sagen, daß sozialpsychologische Koalitions- und Kleingruppenforschung nennenswert von typenlogischen Skrupeln geplagt wird (vgl. SCHNEIDER, 1 9 7 5 ; SADER, 1 9 7 6 ; PIONTKOWSKI, 1 9 7 6 ; CROTT, 1 9 7 9 ) . Relativ sorglos versucht man stattdessen, von individuellen Besonderheiten (Motiven, kognitiven Dispositionen, affektiven Zuständen) auf Besonderheiten überindividueller Ereignisse (Gruppenkohäsion, Zusammenarbeit, Untergruppenbildung) zu generalisieren oder dem Beziehungsaspekt sozialer Interaktion im Denken, Fühlen und Streben des im übrigen sozial isolierten Individuums nachzuspüren. Möglicherweise treten typenlogische Fehlschlüsse deshalb nicht offenkundiger) zu Tage, weil von vornherein auf Beobachtungen in Kontexten sozialer Interaktion verzichtet wird, oder weil die Interaktion (zum Zwecke experimenteller Kontrolle) so wenig Verhaltenspielraum besitzt, daß sie gänzlich beziehungsneutral bleibt. Auch wird den Untersuchungsteilnehmern nicht selten nahegelegt, welches Segment gemeinsamen Handelns erwünscht ist oder worin das konstituierende Moment der Interaktion bestehen soll. Hier erscheint dann per Instruktion bereits vorweggenommen, was realiter (u.U.) erst während und durch Interaktion entsteht. Solche Untersuchungsrestriktionen erleichtern es sozialpsychologischen Theorien natür-

207

lich, Koalitionsverhalten zutreffend vorhersagen zu können. Allerdings muß dies nicht unbedingt viel bedeuten. Oft beschränken sich die Erkenntnisse darauf, wie eine Anzahl beliebig austauschbarer Einzelpersonen die Aufforderung bewältigt, ein bestimmtes «Summierungs-Ritual» zu absolvieren. Da die psychischen Handlungspotentiale der Beteiligten (Situationswahrnehmung, Handlungsziele, Strategieplanung, affektives Engagement) auf die jeweiligen Anforderungen «eingestellt» sind, beeinflussen sie Vorgänge innerhalb eines entsprechender Anforderungsrahmens zwangsläufig sehr stark. Bezeichnenderweise läßt die Bestätigung psychologischer Hypothesen jedoch zu wünschen übrig, wenn es trotz restringierter Vorgaben zu spontanen Beziehungsentwicklungen kommt, oder wenn Untersuchungsteilnehmer länger mit Koalitionsproblemen umgehen dürfen. Hier sind dann nicht selten «überraschende» Ergebnisse zu registrieren, deren Erklärung zumeist nur mit relativ willkürlichen Zusatzannahmen gelingen will. So wurden Beobachtungen, wonach Untersuchungsteilnehmer trotz individueller Nachteile auch als Gesamtgruppe auftraten, etwas hilflos durch Solidaritätsbestrebung (KAUFMANN & TACK, 1975) oder Antiwettbewerbshaltung (GAMSON, 1 9 6 1 ) gedeutet. Ähnliche Verlegenheitsinterpretationen findet man, als sich Personen im Verlaufe mehrerer Koalitionsdurchgänge von Prinzipien individueller Rationalität abzuwenden schienen (BRAUNSTEIN & SCHOTTER, 1978), als sie zunehmende Erfahrung nicht, wie erwartet, zur eigenen Gewinnmaximierung benützten (CROTT et al., 1 9 8 3 ) , oder als die gebildeten Koalitionen entgegen den theoretischen Annahmen instabil waren (KELLEY & A R R O W O O D , 1961). In all diesen Fällen geschah offensichtlich etwas, dessen Explikation über ein rein psychologisches Verständnis des Interaktionsverhaltens hinausgeht. Nach Ansicht der Autoren dieser Arbeit handelte es sich hier um ein Ausbrechen aus den expliziten oder impliziten Regelvorgaben der experimentellen Instruktion und um einen Wechsel von der Personen-Ebene auf die Ebene der interpersonalen Beziehung. Auch wenn das Überindividuelle entsprechender Entwicklungen an Koalitionen gegen den Untersuchungsleiter erinnert, so wäre es trotzdem eine sinnvolle Devise gemeinsamen Vorgehens, aus typenlogischer Sicht sogar die einzige mit originär kollektivem

208

Müller & Autenrieth: Koalitionsbildung

Charakter. Dies als «Fehlervarianz» zu betrachten, bedeutet wesensbestimmende Aspekte der Koalitionsbildung zu ignorieren. Leider tendiert sozialpsychologische Koalitionsforschung dazu, überraschende Befunde auf diese Weise zu bewerten und hierdurch zu suggerieren, als bewähren sich ihre Theorien für Koalitionsverhalten schlechthin. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Reichweite sozialpsychologischer Interaktionstheorien etwas genauer zu analysieren und ihre Gültigkeitsgrenzen empirisch zu bestimmen. «Reichweite» und «Gültigkeitsgrenzen» beziehen sich dabei auf zeitliche Segmente der Interaktion zwischen potentiellen Koalitionspartnern. Vom status nascendi eines Gruppenkontextes aus betrachtet wäre zu erwarten, daß sich Aussagen entsprechender Theorien umso weniger gut bewähren, je länger die Interaktion andauert. Diese Leithypothese signalisiert, daß es psychologischen Ansätzen durchaus zugetraut wird, Hintergründe von Koalitionsphänomenen zu erhellen (eine harte typenlogische Position wird also nicht vertreten). Allerdings sollten diese Aussagen auf ein bestimmtes Interaktionssegment, die Anfangsphase der Koalitionsbildung beschränkt bleiben. Indem zwischen einem beziehungsvorbereitenden und einem beziehungskonstituierenden Stadium der Interaktion unterschieden wird, ist der vermutete Gültigkeitsbereich sozialpsychologischer Interaktionstheorien abgesteckt. Sein empirischer Nachweis dürfte für den Generalitätsanspruch eines Großteils labor-experimenteller Koalitionsforschung von großer Bedeutung sein.

2.

Definitionen und Untersuchungsaspekte der Koalitionsbildung

Als Erscheinungsform sozialer Interaktion hat auch die Koalitionsbildung Prozeßcharakter und durchläuft bestimmte Phasen, die sie zu definieren und anderen Erscheinungsformen sozialer Interaktion gegenüber abzugrenzen erlauben. Was die Initiierung von Koalitionen betrifft, so lassen einschlägige Publikationen drei unterschiedliche Definitionsansätze erkennen. Der erste Ansatz rekurriert auf primär rationale, der zweite auf primär affektive und der dritte auf primär fertigkeitsdefizitäre Entstehungsursachen

innerhalb eines mindestens drei Personen umfassenden Interaktionskontextes. Dem Rationalitätsansatz zufolge werden Koalitionen gebildet, weil sich eine Anzahl von Personen der Möglichkeit bewußt ist, durch gemeinsame Nutzung von Ressourcen zu Ergebnissen zu gelangen, die sie einzeln nicht erreichen können (GAMSON,

1964;

CHERTKOFF,

1970;

KELLEY

&

Innerhalb des Interaktionskontextes mögen entsprechende Überlegungen darauf hinauslaufen, andere Partner von Belohnungsquellen auszuschließen und sich auf deren Kosten Vorteile zu verschaffen. Es kann aber auch beabsichtigt sein, die Ressourcen aller Beteiligten zu vereinigen, um damit eine effizientere Ausbeutung von Belohnungsquellen der gemeinsamen physikalischen oder sozialen Umwelt zu erreichen (vgl. BONOMA, 1 9 7 6 ) . Da Koalitionen hauptsächlich das Resultat von Ressourcenkalkulationen, Interessenerwägungen und Vorteilserwartungen sein sollten, bleiben alle weniger rational motivierten Erscheinungsformen der Mehrpersonen-Interaktion per Definition ausgegrenzt. Hierzu zählen spontane Untergruppenbildungen und Cliquen genauso, wie echte, von einem Wir-Gefühl getragene Personengruppen. Der zweite Definitionsansatz sieht den Anstoß zur Koalitionsbildung weniger im reinen Nutzenkalkül der Interaktionspartner; für den Ein- oder Ausschluß von Personen sollte in erster Linie die affektive Zu- oder Abneigung bzw. emotionale Nähe oder Distanz der Einzelnen untereinander verantwortlich sein. Den Vertretern dieses Ansatzes zufolge werden Koalitionen hauptsächlich vom Prinzip kognitiver Balance initiiert. Im Interaktionskontext bewirkt dieses Prinzip, daß sich Personen mit ähnlichen Einstellungen, Werten oder Überzeugungen ohne größeres verstandesmäßiges Dazutun attraktiv finden und auch eher gemeinsam handeln wollen als Personen mit unähnlichen Ansichten (vgl. M A S U R , 1 9 6 8 ; L E I SERSON, 1 9 7 0 ; L A W L E R & Y O U N G S , 1 9 7 5 ) . Wenngleich gemeinsames Handeln auch Vorteile versprechen kann, so stellen Erwägungen in dieser Richtung doch weniger ein gezielt planendes als vielmehr ein post-hoc rationalisierendes Moment der Koalitionsbildung dar. Der zweite Definitionsansatz ist breiter als der erste, da er alle Formen der Untergruppenbildung als Koalition begreift. Ausgeschlossen sind lediglich Gesamtgruppenaktivitäten. THIBAUT, 1 9 7 8 ) .

209

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1 9 8 5 , 1 6 , 2 0 6 - 2 1 8

Auch für den dritten Definitionsansatz ist Koalitionsbildung ein Intragruppenprozeß. Vertretern dieses Ansatzes zufolge stellt sie allerdings keine «normale», sondern eine pathologische Form sozialer Interaktion dar (vgl. HALEY, 1 9 6 7 ; Di BLASIO, 1 9 8 4 ) . Der pathogene Effekt sollte vor allem durch Defizite einzelner Partner verursacht sein, in Konfliktfragen angemessen kommunizieren und offen darlegen zu können, welche Interessen sie verfolgen. Koalitionsbildung enthält so typischerweise widersprüchliche Informationen. Meist wird sie auf non-verbaler Ebene signalisiert, auf verbaler hingegen verleugnet. Konflikte bleiben daher ständig in der Schwebe, da niemals eindeutig expliziert ist, wer mit wem in welcher Sache gegen wen welche Position vertritt. Werden einzelne Positionen expliziert, so sprechen H A L E Y und Di BLASIO nicht mehr von Koalition, sondern von Allianz. Daß Koalitionsbildung mit derart heterogenen Bestrebungen, Neigungen und Verhaltenstendenzen in Verbindung gebracht wird, spricht für ein Erkenntnisinteresse an verschiedenen Klassen von Interaktionskontexten. So rekurriert ein durch Rationalität begründeter Definitionsansatz ausgesprochen oder unausgesprochen auf primär ökonomische Interaktionskontexte. Ähnlich Marktpartnern oder Kapital-Eignern sollten Personen damit beschäftigt sein, Einsätze und Erträge gemeinsamen Handelns zu reflektieren, um diejenige Koalition ausfindig zu machen, die prospektive Gewinne maximiert. Der homo oeconomicus diktiert auch die weiteren Phasen des Koalitionsprozesses. Zunächst werden Verhandlungen über den Verwendungsoder Aufteilungsmodus des zu erwartenden Ertrags geführt. Sind diese ergiebig, so «steht» die Koalition zu den im Verhandlungsergebnis niedergelegten Bedingungen. Bei unveränderten Einsätzen der Beteiligten und stabiler Beziehungsumwelt kann sich die Koalition nun bewähren. Veränderungen drohen, wenn andere Handlungsalternativen individuell vorteilhafter erscheinen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn es in der Koalition zu Degenerationserscheinungen kommt oder wenn einzelne Koalitionsmitglieder höherwertige externe Angebote erhalten. Autoren, die affektive Koalitionsursachen betonen, haben eher ökonomisch unbestimmte, zieloffene und handlungsambivalente Kontexte im Auge, wie sie für alltägliche Interaktionen

oder informelle Sozialkontakte, aber auch für im weitesten Sinne politisch motivierte Zusammenarbeit typisch sind. Merkmalsähnlichkeit und -unähnlichkeit, sei es in demographischer, dispositioneller oder ideologischer Hinsicht, sollten zur Annäherung und Abgrenzung der Interaktionspartner führen. Verhandlungen um Koalitionsmitgliedschaft entfallen, weil man sich zumeist entweder versteht oder nicht versteht, und es deshalb überflüssig ist, Zugehörigkeitsbedingungen formell zu regeln. Zwar können auch hier unterschiedliche Belohnungsansprüche geäußert werden. Vom Aushandeln solcher Ansprüche hängt jedoch die Mitgliedschaft nicht ab. Der persönliche Binnenzusammenhalt macht die Koalition in gewisser Weise veränderungsresistent. Zumindest sollte sie externen Versuchungen gegenüber weniger anfällig sein als eine rational begründete Koalition. Vertreter der dritten Koalitionsauffassung richten ihr Augenmerk primär auf solche Kontexte, in denen Personen permanent interagieren und einen hohen Grad wechselseitiger Abhängigkeit und Intimität herausgebildet haben (Familien, langjährige Arbeitsgruppen). Koalitionsbildungen können hier der Kontrolle aller Beteiligten völlig entgleiten und das Zusammenleben derart zwingend beeinflussen, daß dieses pathogene Formen annimmt. Wenn Interaktionsalternativen fehlen, bleibt einzelnen mitunter nur die Flucht in psychische oder organische Krankheitssymptome, um sich dieser Art des Umgangs anpassen zu können. Ein Aufbrechen und Verändern solcher nach H A L E Y ( 1 9 6 7 ) «perversen» Koalitionsstrukturen ist dann meist nur noch durch therapeutische Interventionen möglich (vgl. SELVINI PALAZZOLI, 1 9 8 1 ) .

Betrachtet man die Schwerpunktsetzungen sozialpsychologischer Koalitionsforschung, so fällt auf, daß sich ökonomische Interaktionskontexte unverhältnismäßig großer Beliebtheit erfreuen (vgl. S A U E R M A N N , 1 9 7 8 ; TIETZ, 1 9 8 3 ; CROTTetal., 1983). Speziell labor-experimentelle Arbeiten bedienen sich bevorzugt solcher Situationen, die Auszahlungscharakter haben und monetäre Anreize zur Koalitionsbildung bieten (s.u.). Zusammenschlüsse in andersartigen Kontexten, Diskussiongruppen oder Entscheidungsgremien z.B., werden vergleichsweise weniger oft untersucht (vgl. MILLS, 1 9 5 4 ) . Situationen mit politischer Thematik sind

210

Müller & Autenrieth: Koalitionsbildung

quasi-ökonomisch gestaltet, wenn sie als Vorbild für Laborsimulationen dienen (vgl. SCHNEIDER, 1978) oder sie werden, wie auch Familien oder Arbeitsteams, als Einzelfälle analysiert (vgl. GROENNINGS et a l . , 1970; JACKSON &

YALOM,

1965; SELVINI PALAZZOLI, 1984). V o n Einzelfallstudien abgesehen, die alle Koalitionsphasen ausführlich beschreiben, geben Untersuchungen lediglich über relativ spezifische Aspekte der Koalitionsbildung Auskunft. Koalitionsabsicht, K o alitionsverhandlung und Koalitionsentschluß stellen hier zweifellos die bislang am häufigsten analysierten Phänomene dar. Wenngleich die für diese Arbeit durchgeführte Untersuchung den augenblicklichen Schwerpunktsetzungen sozialpsychologischer Koalitionsforschung verpflichtet bleibt, so weist sie doch einige Besonderheiten auf, mit denen der einleitend formulierte Zielanspruch eingelöst werden kann. D a diese Besonderheiten operationaler A r t sind, soll als nächstes dargelegt werden, worin sich der verwendete Untersuchungskontext v o n üblichen Laborsituationen unterscheidet und worin sein Vorteil für eine P r ü f u n g v o n Gültigkeitsgrenzen sozialpsychologischer Interaktionstheorien besteht.

3.

Experimentelle Koalitionssituationen

Sozialpsychologische Koalitionsforschung ist überwiegend labor-experimentell orientiert und läßt einen ausgesprochenen Situationskonservatismus erkennen, der sich mitunter auch als « p a radigmatisch» versteht. Das Gros der Untersuchungen klebt sozusagen an wenigen Standardsituationen, die mit kleinen Strukturvarianten immer wieder eingesetzt werden. I m gegebenen Zusammenhang genügt es, die beiden prominentesten Koalitionssituationen zu beschreiben. Der ihnen eigenen Apostrophierung als «experimentelle Spiele» z u f o l g e kann man die erste Situation als « M a j o r i t ä t s s p i e l » , die zweite als « Q u o t e n spiel» bezeichnen. Ihre Darstellung beschränkt sich auf das jeweilige Grundmodell b z w . die 3-Personen-Version. Beim Majoritätsspiel sind die Anreize so gesetzt, daß es sich individuell auszahlt, Paarkoalitionen zu bilden. Die Spielstruktur läßt sich anhand der Relation G K ( A , B , C ) = G B verdeutlichen, in der G K ein bestimmtes Gewinnkrite-

rium, A , B und C individuelle Ressourcen und G B einen fixen Gewinnbetrag bei Erfüllung des Gewinnkriteriums symbolisieren. V o n einem « e i n f a c h e n » Majoritätsspiel spricht man dann, wenn lediglich die personelle Überzahl gewinnentscheidend ist, wenn also 2(1,1,1) gilt und die Beteiligten gleichsam nur sich selbst als Ressource einbringen. Daneben gibt es das « g e w i c h t e t e » Majoritätsspiel, bei dem die Ressourcen der Interagierenden unterschiedlich sind und Ressourcenüberlegenheit erreicht werden muß, um etwas zu gewinnen. Eine typische und in Experimenten häufig verwendete Situation ist 5(4,3,2), bei der die individuelle « S t ä r k e » der Beteiligten gleichmäßig abgestuft ist. O b w o h l das Gewinnkriterium auch hier eine personelle Überzahl erzwingt, sind die Ausgangsbedingungen andere als im einfachen Majoritätsspiel. Der Unterschied liegt im Vorhandensein eines Machtgefälles zwischen den Beteiligten, das die Beliebigkeit von Paarkoalitionen einschränkt. Das gewichtete Majoritätsspiel besitzt verschiedene Einkleidungen. A u f dem «parcheesi b o a r d » , einem indischen Brettspiel, stellen die Ressourcen Gewichtszahlen dar, mit denen Würfelergebnisse multipliziert werden (vgl. VINACKE & ARKOFF, 1957), im «Convention g a m e » entsprechen die Ressourcen den Stimmanteilen einer politischen Partei (vgl. GAMSON, 1961), im «Company g a m e » sind sie Kapitalanteile der Hauptaktionäre einer Firma (vgl. CHERTKOFF, 1971).

Anders als beim Majoritätsspiel sind beim Quotenspiel die in Aussicht stehenden Gewinne nicht f i x , sondern variabel. Darüberhinaus ist die « S t ä r k e » der Einzelpersonen nicht durch eine bestimmte Ressourcenverteilung festgelegt, sondern muß aus den Auszahlungswerten möglicher Koalitionen zurückgerechnet werden. Sie entspricht individuellen Anteilen ( Q u o t e n ) am K o alitionsgewinn und indiziert, wieviel die M i t gliedschaft Einzelner für die Koalition a b w i r f t . D a das Quotenspiel sehr strukturvariabel ist, wird es in neueren Untersuchungen zunehmend eingesetzt (vgl. SAUERMANN, 1978; KSIENSIK et al., 1981; TIETZ, 1983). A u f g r u n d seiner f o r m a l ökonomischen H e r k u n f t ähneln Einkleidungen dieses Spiels allerdings eher mathematischen Problemlöseaufgaben als realen Koalitionssituationen. Sie können v o n Untersuchungsteilnehmern daher meist nicht ohne Vortraining in angemessener Weise bewältigt werden (vgl. RAPOPORT & K A H A N , 1976; MASCHLER, 1978).

211

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1 9 8 5 , 1 6 , 2 0 6 - 2 1 8

Bei allen Vorteilen, die beiden Spieltypen zuzubilligen sind, erscheint ihre Verwendung im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Es gibt dafür im wesentlichen zwei Gründe: Zum einen engt der häufige Einsatz einiger weniger Koalitionssituationen die Forschungsperspektive ein. Ein Gewinn an Präzision bei Analysen im operational wohl definierten «Mikrokosmos» wird mit dem Verlust an Offenheit für situations-übergreifende Phänomenaspekte bezahlt. Herkömmliche Spiele sind reduziert in dem Sinne, als sie Voraussetzungen und Instrumentalitäten der Koalitionsbildung ausklammern. Das Verhalten der Partner ist daher quasi pseudo-interaktiv, denn die Regeln des Umgangs miteinander stehen fest und jeder ist lediglich bemüht, möglichst viel für sich selbst dabei herauszuholen. Der zweite Grund betrifft das Theoriedefizit experimenteller Koalitionsforschung. Mitbedingt durch ihren Situationskonservatismus verharren viele Autoren im relativ undifferenzierten Erklärungsschema rationaler Verhaltenssteuerung und schöpfen so den Reichtum anderer Theorien sozialer Interaktion in keiner Weise aus. Vernachlässigt werden sowohl wichtige der im engeren Sinne sozialpsychologischen Ansätze (z.B. Attributionstheorie, Theorie der Machtdistanz-Reduktion, Gerechtigkeitstheorie) als auch Ansätze, deren Erklärungskonzepte von Einzelindividuen abstrahieren (z.B. systemische Interaktionstheorien). Um Untersuchungsteilnehmer nicht von vornherein in ihrer Beziehung zu neutralisieren und den Fokus von Verhaltenserklärungen zu stark einzuengen, wird für die hier durchgeführte Studie eine Situation mit koalitionsoffener Ausgestaltbar keit gewählt. Als Vorbild dienen Auktions- oder Versteigerungssituationen, da diese nicht automatisch mit Koalitionsbildung assoziiert werden, gleichwohl jedoch koalitionsfähig sind. Herrscht Einigkeit zwischen Bietern, so können, wie jeder Auktionserfahrene weiß, Steigerungspreise gedrückt oder in die Höhe getrieben, Konkurrenten ausgebootet oder zu finanziellen Risiken verleitet, Auktionatoren um Pro-

Gebote Erträge

21 22 23 12,00 11,75 11,50

Abb. I: Steigerungstabelle ( A u s / u g ) .

.

30 9,75

31 9,50

fitmargen gebracht werden, usw. Gemeinsames Handeln in dieser Situation ist jedoch optional, d.h. eine frei wählbare Devise der Interaktion zwischen den Bietern untereinander und zwischen den Bietern und dem Auktionator. Für die Zwecke der durchgeführten Untersuchung wird der Versteigerungskontext im Labor simuliert. Das Basis-Arrangement sieht vor, daß der Untersuchungsleiter als Auktionator auftritt und jeweils drei Versuchspersonen eine Auktionsteilnehmer-Gruppe bilden. Durch seine Rolle wird der Untersuchungsleiter Teil der experimentellen Aufgabe und damit auch mögliches Ziel einer Koalitionsbildung. Die Struktur der Situation verdeutlicht Abbildung 1. In der Abbildungsspalte «Gebote» sind PreisÄquivalente eines Steigerungsgutes enthalten, die Abbildungsspalte «Erträge» erhält die Nutzen-Äquivalente der Auktionsteilnehmer. Preis und Nutzen weisen, wie in solchen Situationen üblich, eine inverse Relation auf. Um den Nutzen zu objektivieren und eine in etwa vergleichbare Anreizgrundlage für alle Teilnehmer zu schaffen, wird nicht um konkrete Güter, sondern um Güterwerte gesteigert. Diese Güter werte sind in Geldeinheiten definiert und entsprechen unterschiedlich hohen DM-Beträgen. Wie das Gut, so ist auch das Steigerungskapital der Untersuchungsteilnehmer imaginär. Es läßt sich auf diese Weise beliebig zuteilen und kann deshalb benutzt werden, die Stärkeverhältnisse in der Gruppe zu manipulieren. Um einen konkreten Koalitionsanlaß zu schaffen, braucht man lediglich ungleich große Kapitalien zuzuteilen und mehrere Steigerungsdurchgänge in Aussicht zu stellen. Da der stärkste Teilnehmer zunächst gewinnt, entsteht zumindest für die vom Gewinn Ausgeschlossenen das Problem, etwas zur Verbesserung ihrer Lage zu tun. Im vorliegenden Fall erhalten die Teilnehmer entweder 30, 40, oder 50 Kapitalpunkte. Hierdurch bleibt, wie noch verdeutlicht wird, ein maximales Reaktionsspektrum gewahrt.

40 7,25

41 7,00

50 4,75

51 4,50

59 2,50

60 2,25

61 2,00

212 4.

Müller & Autenrieth: Koalitionsbildung

Koalitionsvorhersagen sozialpsychologischer Interaktionstheorien

Die Untersuchungssituation ist so arrangiert, daß der kapitalstärkste Teilnehmer beim Gebot von 41 den Zuschlag erhält und für sich alleine einen bestimmten DM-Betrag gewinnt (vgl. A b b . l und «Untersuchungsbedingungen»). Im nächsten Durchgang gibt es prinzipiell fünf Reaktionsmöglichkeiten. Drei dieser Möglichkeiten sind Koalitionen, in denen sich zwei Teilnehmer gegen den dritten zusammenschließen: Koalieren 50 und 40, so bietet nur einer, der den bei 31 ersteigerten Gewinn dann mit dem anderen aufteilt. Koalieren 50 und 30, so bietet nur 50 und teilt den bei 41 ersteigerten Gewinn mit 30. Koalieren 40 und 30, so legen beide ihre Kapitalien zusammen und teilen den bei 51 ersteigerten Gewinn untereinander auf. Eine vierte Möglichkeit ist die Solidarisierung der Gesamtgruppe. Die Partner sind sich einig, daß sie nicht gegeneinander, sondern gegen den Auktionator vorgehen. Einer der Partner bietet, die anderen halten sich heraus. Der Zuschlag erfolgt beim niedrigsten Gebot, der Gewinn wird unter allen aufgeteilt. Die fünfte Möglichkeit ist, daß einzelne Partner nicht zusammen kommen wollen oder können, und daß der Stärkste hierdurch wiederum alleine gewinnt. Situationsvorgaben und Reaktionsmöglichkeiten sind nun so aufeinander bezogen, daß sich je nach Dominanz psychischer Mechanismen der Verhaltenssteuerung jeweils andere Vorhersagen zur Koalitionsbildung ableiten lassen. Interaktionstheorien, die hedonistische Motive und Zweckrationalität des Denkens postulier e n ( z . B . THIBAUT & KELLEY, 1 9 5 9 ; MULDER e t

al., 1973; RAPOPORT, 1983), w ü r d e n zu v e r m u t e n

geben, daß sich die Partner folgender strategischer Lage bewußt sind: 1) Das erkennbare Stärkeverhältnis in der Gruppe zeigt, daß ohne Zusammenschluß kein Gewinn bzw. Gewinnzuwachs zu erzielen ist. Nicht nur den Verlierern ist dies klar, auch der Stärkste weiß, daß sein Kapital nicht ausreicht, um eine Gegenkoalition zu schlagen. 2) Unter den möglichen Zusammenschlüssen gibt es Varianten, die individuell günstiger sind als ein solidarisches Vorgehen der Gesamtgruppe. 3) Innerhalb der Koalitionsmöglichkeiten bringt es individuell mehr, gegen Schwächere zu bieten als gegen Stärkere. - Diese Einsichten

vorausgesetzt, kann der Kapitalstärkste relativ sicher sein, auch weiterhin etwas zu gewinnen, da sich die Schwächeren um ihn als Koalitionspartner bemühen. Seine Präferenz gilt dabei dem Partner mit dem mittleren Kapital; jedoch auch die Koalition mit dem Schwächsten ist für ihn noch attraktiv. Es wäre also zu erwarten, daß überzufällig häufig Koalitionen mit dem Gewinner des ersten Durchgangs resultieren. Da strategierelevante Vorerfahrungen das Erkennen solcher Koalitionslösungen beeinflussen können (vgl. RAPOPORT et al., 1979), werden ihre E f f e k t e

im vorliegenden Fall kontrolliert (s.u.). Andere Prognosen machen Gerechtigkeitstheorien des Interaktionsverhaltens (z.B. ADAMS, 1 9 6 5 ; WALSTER e t a l . , 1 9 7 3 ; MIKULA,

1980). Diesen Ansätzen zufolge muß man insbesondere die strategischen Implikationen des ersten Durchgangs neu beurteilen. Hedonistische Bestrebungen werden zwar ebenfalls postuliert, sie gelten jedoch als sozial überformt und auf kollektive Werte hin ausgerichtet. Herausragende Bedeutung sollte z.B. eine ausgewogene Verteilung von Interaktionsergebnissen haben. Was ausgewogen ist, bestimmen die Beiträge der Einzelnen und einschlägige Verteilungsnormen. Da die Untersuchungsteilnehmer bezüglich Vorleistungen und Investitionen keinen besonderen Status für sich ableiten können, wären sie gehalten, gemeinsame Ergebnisse an der Gleichverteilungsnorm zu messen. Das Resultat des ersten Durchgangs verletzt diese Norm und so ließe sich erwarten, daß die Benachteiligten versuchen, distributive Gerechtigkeit wieder herzustellen. Durch Zusammenschluß gegen den im ersten Durchgang Bevorteilten kann eine Kompensierung erlittener Nachteile erreicht und eine gleichmäßigere) Gewinnverteilung in der Gruppe realisiert werden. Es wären von daher also überzufällig häufig Koalitionen gegen den Gewinner des ersten Durchgangs zu erwarten. Da die Attraktivität ausgewogener Verteilungen davon beeinflußt sein kann, als wie lohnend diese individuell erscheinen (geht es um viel, sind Nachteile f r u s t r i e r e n d e r , vgl. MÜLLER, 1982),

werden neben Erfahrungseffekten auch Einflüsse des Gewinnanreizes kontrolliert. Schlagen Variationen dieser Bedingungen auf das Verhalten durch, so müßten auch kontextspezifische Gültigkeitsgrenzen der Interaktionstheorien berücksichtigt werden. Der jeweilige Kontext verändert

213

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,206-218

dann gleichsam die Intensität, mit der vermutete psychische Mechanismen angeregt und für die Handlungen der Partner relevant werden. Während Rationalitäts- und Gerechtigkeitsansätze Paarkoalitionen vorhersagen, läßt sich aus Annahmen einer weiteren Theorie auch die Solidarisierung der Gesamtgruppe begründen. Es handelt sich hierbei um die Attributionstheorie, der zufolge Interaktionsverhalten maßgeblich davon abhängt, welche Beweggründe wahrgenommenen Reaktionen zugeschrieben werden und wie sich damit zusammenhängend das Zustandekommen gemeinsamer Ergebnisse erklären läßt (vgl. KELLEY& STAHELSKI, 1 9 7 0 ; KELLEY, 1973). Erlittene Nachteile z.B. sollten primär dann Konflikte in der Gruppe auslösen, wenn sie mit ausbeuterischen Absichten oder selbstsüchtigen Motiven eines Partners in Verbindung gebracht werden können. Sind es eher externe Faktoren (situative Zwänge oder Zufälle), die Benachteiligungen verursachen, so wären Maßnahmen gegen einen Partner unbegründet. Nun kann im vorliegenden Fall aber keine absichtsvolle Vorteilsnahme unterstellt werden, da eine Kapitalvergabe (bekannterweise) per Willkürprinzip erfolgte. Wer wieviel Kapital erhalten hatte, machte überdies erst der Ausgang des ersten Durchgangs transparent. Wenn aber nicht einsichtig ist, was unterschiedliche Kapitalstärke begründet, dann wäre es auch nicht erforderlich, hierüber Rivalitäten aufkommen zu lassen. Man kann daher auch vermuten, daß überzufällig häufig «große Koalitionen» gebildet werden. «Große Koalitionen» sind gegen den Auktionator gerichtet, denn sie kosten diesen am meisten. Die Teilnehmer müssen zwar Abstriche bei individuellen Gewinnen machen, maximieren damit aber den gemeinsamen Gewinn. Da sich für jeden der drei Ansätze gute Argumente finden lassen, weshalb gerade seine Prognosen zutreffen, kann nur auf empirischer Grundlage entschieden werden, ob und unter welchen Bedingungen sich welche psychologischen Annahmen bewähren. Ungeachtet des Ausgangs dieses Theoriewettstreits wird jedoch vermutet, daß die Prognosen selbst des treffsichersten Ansatzes ungenau werden, wenn die Interaktionsdauer zunimmt.

5. 5.1.

Untersuchungsbedingungen Untersuchungsteilnehmer

Zu der 1982 in den sozialwissenschaftlichen Forschungslabors der Universität Mannheim durchgeführten Untersuchung wurden insgesamt 72 männliche Personen angeworben. Die Stichprobe bestand überwiegend aus Studierenden der Wirtschafts- und Rechtswissenschaft; die Teilnahme an der Untersuchung war freiwillig. Interessenten wurden postalisch und mit Flugblättern auf die Möglichkeit hingewiesen, bei einer «Entscheidungsstudie» mitzumachen. Anwerbungsschreiben und Flugblätter informierten darüber, daß die Untersuchungsaufgabe interessant sei und Geldgewinne in Aussicht stünden. Außerdem wurde auf eine 90minütige Untersuchungsdauer und ein Garantiehonorar von DM 7,50 hingewiesen . War der Kontakt mit dem später auch als Auktionator auftretenden Untersuchungsleiter hergestellt, so erfolgten Terminabsprachen in der Weise, daß sich stets drei Teilnehmer zu einem Termin im Labor einfanden.

5.2.

Untersuchungsablauf

Um zu verhindern, daß sich die Teilnehmer absprachen, wurden sie zu unterschiedlichen Eingängen des Laborgebäudes bestellt. Von dort führte sie der Untersuchungsleiter, ein Diplomand der Sozialwissenschaft, nacheinander zum Untersuchungsraum. Für jeden Teilnehmer gab es hier einen durch Sichtblenden abgeschirmten Einzeltisch. Die Tische waren halbkreisförmig um den Platz des Untersuchungsleiters herum gruppiert. Sobald die Teilnehmer Platz genommen hatten, wurden sie vom Untersuchungsleiter begrüßt und gebeten, die auf den Tischen ausliegenden Instruktionen durchzulesen. Sie erfuhren darin, daß zwei weitere Untersuchungsteilnehmer anwesend sind und daß eine auktionsähnliche Aufgabe zu bewältigen ist. Weiterhin wurden sie über die Steigerungsgewinne informiert und darüber, wieviel Steigerungskapital ihnen selbst zusteht. Auch die Rolle des Untersuchungsleiters wurde erklärt. Zusätzlich erfuhren die Teilnehmer, daß es mehrere Steigerungsdurchgänge gibt, und daß Kommunikation nur in schriftlicher Form zwischen den einzelnen Durchgängen erlaubt ist. Während des Versuchs wurde jeder Steigerungsdurchgang vom Untersuchungsleiter mit dem niedrigsten Gebot erö f f n e t . Wollte einer der Teilnehmer überbieten, so hob er eine Signalkelle in die Höhe. Der Untersuchungsleiter nannte dann das neue Gebot und sagt auch, wer es abgegeben hatte. So blieben die Teilnehmer trotz Sprechverbots stets auf dem laufenden. Zwischen den Durchgängen konnte jeder Teilnehmer an jeden anderen bis zu drei schriftliche «Absichtserklärungen» richten. Hierin ließen sich Vorschläge über die Zusammenarbeit, die Geldverteilung im Gewinnfall und die Art des gemeinsamen Auftretens machen. Jede Absichtserklärung mußte vom Adressaten beantwortet werden. Sie konnte akzeptiert, teilweise abgelehnt und mit Gegenvorschlägen versehen oder vollständig abgelehnt werden. Die Kommunikationsrunden hatten jeweils ein Zeitlimit von 15 Minuten; weitere 5 Minuten nahm das Ausfüllen eines kleinen Fragebogens in Anspruch. Der Versuch wurde nach dem dritten Durchgang beendet.

214 5.3.

Müller & Autenrieth: Koalitionsbildung

Untersuchungsvariablen

Erfahrung variierte auf zwei Ausprägungsstufen. Stufe 1 bedeutete Unerfahrenheit im U m g a n g mit (experimentellen) Koalitionssituationen. D a z u wurden Personen rekrutiert, die bis z u m Untersuchungszeitpunkt n o c h an keiner ähnlichen Studie teilgenommen hatten. Stufe 2 bedeutete Koalitionserfahrung. Dazu wurden Personen rekrutiert, die wenige M o nate vor dem Untersuchungszeitpunkt Teilnehmer einer der Koalitionsstudien v o n CROTT et al. (1983) gewesen waren. D a der kapitalstärkste Partner die Zentralfigur rationalitätsbegründeter Koalitionsbildung ist, wurde Erfahrung nur bei Teilnehmern dieser Position variiert. Die kapitalschwächeren Teilnehmer waren ausnahmslos erfahren. Gewinnanreiz variierte auf drei Ausprägungsstufen: Stufe 1 bedeutete insgesamt niedrige Gewinne und kleine Gewinnabstufungen zwischen den Einzelgeboten. Die Gesamtgruppe erhielt D M 6 . — , die 50-40-Koalition D M 5.50, die 50-30-Koalition D M 5 . — und die 40-30-Koalition D M 4 . 5 0 . Stufe 2 bedeutete insgesamt mittelhohe Gewinne und große Gewinnabstufungen zwischen den Einzelgeboten ( s . o . A b b . 1). Hier erhielt die Gesamtgruppe D M 1 2 . — , die 50-40Koalition D M 9.50, die 50-30-Koalition D M 7 . — und die 4030-Koalition D M 4.50. Der Wert der Koalition gegen den Bevorteilten ist zwar mit dem von Stufe 1 identisch, die m o n e t ä ren Versuchungen anderer Koalitionen sind jedoch größer. Stufe 3 beinhaltete hohe Gewinne und kleine Gewinnabstufungen zwischen den Einzelgeboten. Die Gesamtgruppe erhielt D M 12.—, die 50-40-Koalition D M 11.50, die 50-30-Koalition D M 1 1 . — und die 40-30-Koalition D M 10.50. Außer bei den unerfahrenen Teilnehmern erfolgte die Kapitalzuteilung per Zufall. Unter welcher Anreizbedingung eine Gruppe agierte, wurde ebenfalls per Zufall bestimmt. Der Untersuchungsplan enthielt insgesamt 4 Beobachtungen pro Ausprägungskombination.

6.

Stärkste jedoch auch ausgeschlossen. Der Anteil großer Koalitionen ist verschwindend gering; verglichen damit schafft es der Stärkste häufiger, wiederum alleine erfolgreich zu sein. Mithin erweist sich die attributionstheoretische Koalitionsprognose als wenig treffsicher. Bessere Vorhersagen machen Rationalitäts- und Gerechtigkeitsansätze. Da Rationalität und Gerechtigkeit allerdings etwa gleich oft den Ausschlag für eine Koalitionsbildung zu geben scheinen, sind weitergehende Analysen notwendig. Abbildung 3 enthält die Reaktionsverteilung in Abhängigkeit vom Erfahrungsstand des stärksten Teilnehmers und vom Gewinnanreiz der Koalition. Abbildung 3a gibt zu erkennen, daß lediglich eine marginal signifikante Beziehung zwischen der Erfahrung des stärksten Teilnehmers und seinem erneuten Teilhaben am Gewinn besteht. Erfahrung ist damit keine allzu effiziente Moderatorvariable. Berücksichtigt man lediglich die Koalitionshäufigkeiten, so verschwinden die Unterschiede ganz. Ein anderes Bild bietet die in Abbildung 3b wiedergegebene Reaktionsverteilung. Aus ihr läßt sich ablesen, daß der Koalitionsgewinn eine wichtige Randbedingung dafür ist, ob gerechtigkeitstheoretische Vorhersagen zutreffen. Wie ersichtlich kommt es überzufällig häufig nur dann zur Koalition der Benachteiligten, wenn sich eine Nachteilskompensierung auch «lohnt». Sie lohnt sich ganz offensichtlich nicht, wenn es insgesamt nur um wenig geht, oder wenn die Ko-

Ergebnisse

6.1. Erster koalitionsfähiger

Durchgang

Mit welchen Devisen der arrangierte Koalitionsanlaß von den Untersuchungsteilnehmern beantwortet wird, zeigt Abbildung 2. Wie ersichtlich ist, sind alle Reaktionsmöglichkeiten vertreten. Anteilmäßig am häufigsten kommt es zu Koalitionen mit dem Gewinner des ersten Durchgangs, nahezu ebenso oft wird der

50 wieder alleine 3

50-40 (6) 50-30 (4)

40-30

10

gesamte Gruppe

9

2

ersten

koalitionslähigen

Chi 2 = 8,33; df = 3; p < 0.05 Abb.2: Reaktionsverteilung Durchgang.

im

50 erneut mit Gewinn

50 geht leer aus

50 ohne Erfahrung

5

7

50 mit Erfahrung

9

3

Chi 2 = 3,3; df = 1;p < 0.10 Abb.3a:

K o a l i t i o n s c r f a h r u n g des s t ä r k s t e n T e i l n e h m e r s (50).

40-30

Rest

Gewinnanreiz niedrig

2

14

Gewinnanreiz hoch

9

3

Chi 2 = 9,6; df = 1;p < 0.01

Abb. 3 b: G e w i n n a n r e i z der Koalition gegen den G e w i n n e r des 1. D u r c h g a n g s . Abb.3:

R e a k t i o n s v e r t e i l u n g bei v a r i i e r e n d e m K o n t e x t .

215

Zeitschrift für Sozialpsychologie 1985,16,206-218

alition nur einen geringen Kompensationseffekt erzielen kann. Was die Gewinnanteile der Partner in den Koalitionen betrifft, so zeigt sich, daß Kapitalunterschiede zumindest ordinal in Rechnung gestellt werden. In den 50-40- und 50-30-Koalitionen liegen die Anteile im Schnitt bei 52,5% und 47,5% und in der 40-30-Koalition bei 53,4% und 46,6%. Lediglich die «große Koalition» weist eine disproportionale Gewinnverteilung auf (16,7%, 41,7% und 41,7%). Dies hängt allerdings damit zusammen, daß der Stärkste in einem Fall überhaupt keine Gewinnansprüche stellt und damit sozusagen von sich aus eine Gewinnkompensierung anbietet. 6.2. Zweiter koalitionsfähiger

Durchgang

Die untersuchten Theorien würden vermuten lassen, daß einmal gebildete Koalitionen stabil sind. Im Lichte des ersten Ansatzes wäre es weiterhin rational, die Koalition mit dem Stärksten beizubehalten. Im Licht des zweiten Ansatzes wäre wenigstens ein weiterer Ausschluß des Stärksten erforderlich, um eine gleichmäßige Gewinnverteilung zu erreichen. Auch die weitere Zusammenarbeit in der Gesamtgruppe wäre angezeigt, solange die Situation unverändert bleibt. Der Leithypothese dieser Arbeit zufolge sollten sich Ereignisse eines späteren Interaktionsstadiums jedoch zunehmend rein psychologischen Vorhersagen entziehen. Koalitionsstabilität wäre demnach ein wichtiges Prüfkriterium für die (zeitliche) Reichweite der herangezogenen Interaktionstheorien. In Abbildung 4 ist zusammengestellt, wie die Untersuchungsteilnehmer ihre Interaktion fortführen. Den Zahlen ist zu entnehmen, daß es überzufällig oft zu anderen Koalitionsvereinbarungen kommt. Die Wechseltendenzen erscheinen auf den ersten Blick relativ unsystematisch. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, daß eine Tendenz zur «großen Koalition» besteht. In immerhin 7 von 24 Fällen verändert sich damit der Umgangstenor in kooperative Richtung. Die im vorangegangenen Durchgang festgestellten Häufigkeitsunterschiede sind nicht mehr registrierbar. Koalitionen mit dem stärksten Teilnehmer kommen 6mal zustande, 40-30-Koalitionen lOmal und Zusammenschlüsse in der Gesamtgruppe 8mal.

stabil

instabil

7

17

Chi 2 = 4,2; df = 1;p < 0.05 Abb.

4a:

Abb.4b:

50 50 50-40 50-40 50-40 50-30 Abb.4c: Abb.4:

Häufigkeitsverteilung.

50-40

40-30

gesamte Gruppe

2

4

1

Stabile Koalitionen.

— — -

40-30 ges.Gr. 40-30 50-30 ges.Gr. 50-40

2 1 2 1 1 1

50-30 50-30 40-30 40-30 ges.Gr.

— — -

40-30 ges.Gr. 50-30 ges.Gr. 40-30

1 2 2 3 1

Wechseltypen. Koalitionsstabilität.

Erfahrungseffekte treten ebensowenig auf wie Gewinnanreizeffekte. Die Gewinnverteilungen weichen z.T. von denen des vorangegangenen Durchgangs ab. In der 50-40-Koalition z.B. verzichtet der Stärkste auf größere Anteile; er kommt dabei im Durchschnitt auf 46,7%, sein Koalitionspartner auf 53,3%. Die Anteile in der 50-30-Koalition sind im Durchschnitt gleich groß (jeweils 50%). Lediglich in der 40-30-Koalition werden Kapitalunterschiede berücksichtigt (53,0% und 47,0%). Relativ ausgeglichene Gewinnverteilungen weist die Gesamtgruppe auf, wenngleich auch hier Konzessionen des stärksten Teilnehmers erkennbar sind (31,2%, 36,1% und 32,7%).

7.

Zusammenfassung, Diskussion und Integration

Den Untersuchungsbefunden läßt sich entnehmen, daß unmittelbare Reaktionen auf einen Koalitionsanlaß zwar zufriedenstellend mit sozialpsychologischen Interaktionstheorien vorhergesagt werden können; für Aussagen darüber, ob und wie sich eine Koalitionsbeziehung weiterent-

216 wickelt («konsolidiert»), sind solche Theorien jedoch ganz offensichtlich weniger brauchbar. In der vorgegebenen Situation sind zunächst kaum Solidarisierungstendenzen zu erkennen, selbst wenn ein gemeinsames Vorgehen der Gruppe begründet, vernünftig und durchführbar erscheint. Sehr eindeutig kommt es stattdessen zur Untergruppenbildung, wie sie Rationalitäts- oder Gerechtigkeitserwägungen nahelegen würden. Welche theoretische Position mit ihren Prognosen recht behält, hängt vom Aufforderungscharakter der Situation ab. Die Benachteiligten koalieren nur dann, wenn die zu erwartenden Ergebnisse kompensierungseffizient und individuell lohnend sind. Distributive Gerechtigkeit um ihrer selbst willen trägt danach ganz offenbar nicht zur Koalitionsbildung bei. Gewinnt der Bevorteilte nicht allzu viel oder bringt die Koalition gegen ihn nur wenig, so kann er mit weiterer Ergebnis Verbesserung rechnen. Das Kalkül individueller Nutzenmaximierung arbeitet für ihn und gegen die um Anschluß rivalisierenden Partner. Alles in allem bleiben diese Befunde im Rahmen von Erkenntnissen, die auch andere Koalitionsexperimente zu erkennen geben (vgl. KOMORITA & B R I N BERG, 1 9 7 7 ; C R O T T & ALBERS, 1 9 8 1 ; KSIENSIK e t al., 1984).

Wie aufgrund konzeptueller Überlegungen vermutet, ist der weitere Koalitionsprozeß nicht mehr adäquat durch die herangezogenen Theorien vorherzusagen. Das Interaktionsgeschehen folgt offenbar einer selbst generierten Dynamik und verändert sich in relativ unsystematischer Weise. Trotzdem deuten sich gewisse Veränderungspräferenzen an. So könnte das Überwechseln zur «großen Koalition» als Versuch betrachtet werden, einen zur Konsolidierung geeigneten Interaktionszustand ausfindig zu machen. Ließe sich - was die Autoren dieser Arbeit nicht untersucht haben, jedoch vermuten würden - eine Stabilisierung dieser Tendenz nachweisen, dann wäre damit auch die situationsspezifische Koalitionsbeziehung identifiziert. Wie es scheint, unterliegt die Etablierung solch einer Beziehung nur bedingt der Verhaltenssteuerung des einzelnen. Hierzu sind auch Ergebnisse mehrerer Experimente instruktiv, die der Erstautor im Rahmen eines psychologischen Prozeßmodells sozialer Interaktion durchgeführt hat ( M Ü L L E R , 1 9 8 3 ) . Schon bei 2-Personen-Beziehungen sind Einschränkungen zu berücksichtigen, was die Zeiter -

Müller & Autenrieth: Koalitionsbildung

streckung von Prognosen des Interaktionsprozesses betrifft. Für den vorliegenden 3-PersonenFall ist das Modell zwar in der Lage, weiterreichende Aussagen als die herangezogenen Theorien zu machen; die Aussagen sind gleichzeitig jedoch unpräziser. Werden die äußeren Merkmale der Gesamtsituation in Rechnung gestellt, so läßt sich sowohl die Bildung von Paarkoalitionen als auch die Instabilität dieser Koalitionen begründen (vgl. KSIENSIK et al., 1984). Es können jedoch weder Aussagen über konkrete Paarkoalitionen gemacht werden, noch ist plausibel erklärbar, weshalb die Partner zunehmend in der Gesamtgruppe zusammenarbeiten. Die Interaktion dürfte mit der Zeit der Kontrolle des Individuums entgleiten und notgedrungen verlieren auch die am individuellen Denken, Streben und Fühlen ausgerichteten Theorien an Vorhersagekraft. Solch eine Schlußfolgerung wird in gewisser Weise durch Befragungsbefunde der durchgeführten Untersuchung gestützt. Angaben der Teilnehmer zu Zielsetzungen und Erwartungen während der Interaktion bieten ein ausgesprochen inkonsequentes Bild: Zwar besitzt die Beibehaltung der Koalition eine deutlich höhere Priorität als der erneute Erfolg nur eines Partners (F=9,5; p < 0.01), und es ist den Teilnehmern auch zunehmend wichtig, daß Ausgeschlossene am Gewinn teilhaben (F=7,7; p1). Obwohl entsprechende Prioritäten nur durch Mitgliedschaftsrotation und erneuten Mitgliedschaftsausschluß zu realisieren wären, schätzen die Partner gleichzeitig das eigene Teilhaben am Gewinn als wahrscheinlicher ein (F=3,5; p