260 85 33MB
German Pages 72 [89] Year 1991
GEROLD MIKULA AMÉLIE M U M M E N D E Y B E R N H A R D ORTH
B A N D 21 1990 H E F T 3
VERLAG HANS BERN STUTTGART
HUBER TORONTO
Zeitschrift für Sozialpsychologie Gegründet von: Hubert Feger Klaus Holzkamp Carl Friedrich Graumann Martin Irle Wissenschaftlicher Beirat: Günter Albrecht Hans-Werner Bierhoff Mario von Cranach Helmut Crott Dieter Frey Volker Gadenne Franz Urban Pappi Peter Petzold John Rijsman Peter Schönbach Wolfgang Stroebe Arnold Upmeyer Rolf Ziegler
Copyright 1990 Verlag Hans Huber Bern Stuttgart Toronto Herstellung: Lang Druck AG, Liebefeld Printed in Switzerland Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Library of Congress Catalog Card Number 78-126626 Die Zeitschrift für Sozialpsychologie wird in Social Sciences Citation Index (SSCI) und Current Contents / Social and Behavioral Sciences erfaßt
Zeitschrift für Sozialpsychologie 1990, Band 21 Heft 3 INHALT
Theorie und Methode MIELKE, R . : Ein Fragebogen zur Wirksamkeit der Selbstdarstellung A questionnaire of efficacy of
162
self-presentation
Empirie ECKES, T :
Situationskognition: Untersuchungen zur Struktur von Situationsbegriffen . . .
Situation cognition: Studies on the structure of situation
R. & SIEDERSLEBEN, Regelverstößen im Sport
WESTERMANN,
S.:
171
concepts
Ursachenattributionen und Schwereeinschätzungen von 189
Causal attributions and ratings of the severeness of irregularities in sport MEEUS,
W. &
Administrative
RAAIJMAKERS,
Q.: Autoritätsgehorsam und persönliche Haftung
196
obedience and legaI liability
Literatur Doppelrezension HEWSTONE, M.; STROEBE, W.; CODOL, J.-P. & STEPHENSON, G.M. (eds.) 1988: Introduction to Social Psychology. A European Perspective CRANACH, M. VON & OCHSENBEIN, G.: Europäische Sozialpsychologie: Nicht ganz einfach IRLE, M . : Sozialpsychologie in Europa oder Europäische Sozialpsychologie?
203 203 203 207
Kurzrezensionen 214 ENGEL, U. & HURRELMANN, K . 1989: Psychosoziale Belastung im Jugendalter. Empirische Befunde zum Einfluß von Familie, Schule und Gleichaltrigengruppe (U. SCHÖNPFLUG) . . . 2 1 4 ROSENSTIEL, L . VON; NERDINGER, F . W . ; SPIESS, E. & STENGEL, M . 1989: Führungsnachwuchs im Unternehmen. Wertkonflikt zwischen Individuum und Organisation (G. F. MÜLLER) 216 BIERHOFF-ALFERMANN, D . 1989: Androgynie ( H . - M . ÜIAUTNER) 218 Dissertationen Titel und Abstracta Neuerscheinungen
222 223 224
Nachrichten und Mitteilungen
226
Autoren
231
Verlag Hans Huber, Bern Stuttgart Toronto
162
Mielke: Wirksamkeit der Selbstdarstellung
Theorie und Methoden Ein Fragebogen zur Wirksamkeit der Selbstdarstellung1 A questionnaire of efficacy of self-presentation ROSEMARIE MIELKE Universität Bielefeld Die Wirksamkeit der Selbstdarstellung wird als Ergebnis der theoretischen und empirischen Auseinandersetzung mit dem Self-Monitoring-Konstrukt (MIELKE & KILIAN, 1990) einge-
führt. Es wird über die Konstruktion eines Meßinstruments zur Erfassung individueller Unterschiede der Erwartung, sich in sozialen Situationen wie gewünscht darstellen zu können, berichtet. Der Fragebogen zur Wirksamkeit der Selbstdarstellung umfaßt drei mögliche Subskalen (emotionale Zuwendung, intellektuelle Anerkennung, materielle Ziele). Es zeigen sich Ähnlichkeiten der erfaßten Aspekte der Selbstdarstellung zu einigen der von IFEDESCHI und seinen Mitarbeitern (1985) beschriebenen Selbstdarstellungstechniken. Erste Validitätshinweise ergeben sich aus Beziehungen zu Kontrollüberzeugungen, Selbstaufmerksamkeit, den Teilkonstrukten von Self-Monitoring und verschiedenen bereichsspezifischen Selbstkonzepten.
1. Problemstellung Mit dem vorliegenden Fragebogen sollen individuelle Unterschiede der Selbstdarstellung erfaßt werden. Wir gehen mit GOFFMAN ( 1 9 5 9 ) davon aus, daß man in sozialen Interaktionen den Eindruck, den man auf seine Interaktionspartner macht, aktiv steuert und kontrolliert. Uns interessiert, in welchem Ausmaß einzelne Personen in der Lage sind, einen solchen Steuerungs- oder Kontrollprozeß nach ihren Wünschen zu gestalten und dadurch einen bestimmten Eindruck bei anderen Personen zu erzielen oder zu hinterlassen. Da sich diese Informationen am ökonomischsten von den Personen selbst in Erfahrung bringen lassen, wollen wir die subjektive Einschätzung des zu erwartenden Selbstdarstellungsverhalten der Personen in unterschiedlichen sozialen Situationen erfassen. 1 Die vorliegende Fragebogenkonstruktion erfolgte im Rahmen eines mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojektes (MU 597/3-2).
Starting from a critical discussion of the self-monitoring construct (MIELKE & KILIAN, 1990) a questionnaire of efficacy of self-presentation in social situations is constructed. It consists of 43 items and three subscales (striving for social approval, intellectual approval, and material goals). There are some similarities to impression-management-technics described by I t e D E S c m and his coworkers (1985). First result of validation studies, and relations with internal/external control, self-awareness, and self-monitoring are reported.
Mit einer solchen direkten Einschätzung der Erwartungen an das eigene Selbstdarstellungsverhalten lassen sich eine Reihe von Problemen umgehen, die sich bei der differentiellen Erfassung von Merkmalen der Selbstdarstellung mit dem Self-Monitoring-Fragebogen von SNYDER (1979) ergeben haben. SNYDER nimmt an, daß die Selbstdarstellung entweder durch die aus der sozialen Situation oder die aus der eigenen Person kommenden Signale stärker beeinflußt wird. Er nimmt weiter an, daß für die beiden Arten der Selbstdarstellung unterschiedliche Ausprägungen auf zwei zugrundeliegenden Merkmalen («Soziale Fertigkeiten» und «Inkonsistenz») verantwortlich sind, die er in seinem Fragebogen zur Erfassung des Self-Monitoring-Konstrukts gefunden hat. Dieser Umweg der Operationalisierung des Self-Monitoring-Konstrukts über zwei Unterkonstrukte hat sich im Verlaufe der Auseinandersetzung als empirisch nicht haltbar erwies e n (vgl. MIELKE & KILIAN, 1990).
Wir halten die Grundidee des Self-Monitoring-
163
Zeitschrift für Sozialpsychologie 1990, 162-170
Konzepts nicht für falsch. Wir halten auch die Operationalisierung der Unterkonstrukte nicht für schlecht. Wir meinen allerdings, daß es mittlerweile klar geworden ist, daß empirische Ergebnisse die Beziehungen zwischen den Unterkonstrukten und dem Self-Monitoring-Konstrukt nicht mehr stützen. Wir sind der Auffassung, daß man Selbstdarstellung direkt über die Wahrnehmungen des Selbstdarstellungsverhaltens der Person erfassen sollte, solange es keine gesicherten Zusammenhänge zwischen verschiedenen Arten der Selbstdarstellung und zugrundeliegenden Merkmalen gibt. 2. Selbst-Wirksamkeits-Theorie und Selbstdarstellungstheorie In der Selbst-Wirksamkeits-Theorie von BANwerden Verknüpfungen zwischen Lernerfahrungen und den kognitiven Repräsentationen dieser Lernerfahrungen hergestellt. Die Lernerfahrungen liegen nicht als einfaches Abbild vor, sondern in einer so weit verarbeiteten Form, daß sie als kognitive Vermittlungsvariablen in Form von Erwartungen für nachfolgendes Verhalten von Bedeutung sind. Die Erwartung der eigenen Wirksamkeit beeinflußt die Art und Weise, wie bevorstehende Situationen antizipiert und die Möglichkeiten der Bewältigung auftretender Probleme eingeschätzt werden. Durch kognitive Repräsentationen können zukünftige Ereignisse zu Anreizen und Regulatoren in der Gegenwart stattfindenden Verhaltens werden. Persönliche Zielsetzungen werden durch die Selbsteinschätzung der eigenen Verhaltenswirksamkeit in starkem Maße beeinflußt. Je stärker die wahrgenommene Selbst-Wirksamkeit ist, desto höher sind die Zielsetzungen und die Überzeugung, diese Ziele auch erreichen zu können. DURA ( 1 9 7 7 )
Die Impression-Management-Theorie (SCHLENgeht davon aus, daß Individuen ein möglichst großes Maß an Selbstwertschätzung bevorzugen. Eine hohe Selbstwertschätzung erreicht man dann am ehesten, wenn man den Interaktionspartner erfolgreich in seinem Verhalten zu beeinflussen in der Lage ist, da das eine günstige Bedingung für die Herstellung von selbstwertdienlichen Gegebenheiten der sozialen Situation ist. Verknüpft man Ideen aus beiden theoretischen Ansätzen, so ergibt sich eine Optimierung des
KER, 1980; T^DESCHI, 1981)
Selbstdarstellungsverhaltens, wenn man ein großes Maß an Selbtwertschätzung anstrebt und dies um so mehr, je höher die Selbst-Wirksamkeits-Erwartungen sind, weil dadurch die Zielsetzung erhöht und die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung verbessert wird. Erreichbar sind diese Ziele, wenn man über Verhaltensweisen verfügt, mit denen man das Verhalten seiner Interaktionspartner beeinflussen kann, um die Bedingungen der sozialen Situation für sich günstig zu gestalten. Welcher Art diese Verhaltensweisen günstigerweise sein sollten, geht aus der Klassifikation von Impression-Management-Techniken hervor, die von IFEDESCHI und seinen Mitarbeitern (TFCDESCHI, LINDSKOLD & ROSENFELD, 1985) zusammengestellt wurden. Die Entwicklung des vorliegenden Fragebogens erfolgte ursprünglich ohne Berücksichtigung dieser Klassifikation. Die Unterstruktur des Fragebogens zeigte jedoch nachträglich einige deutliche Ähnlichkeiten 2 mit den von ItDEscHi unterschiedenen Impression-Management-Techniken. Wir werden darauf weiter unten ausführlicher eingehen.
3. Erfassung von Selbst-WirksamkeitsErwartungen Die Theorie der Selbst-Wirksamkeits-Erwartung ist mittlerweile in einer Vielzahl von Bereichen erfolgreich angewendet worden. BANDURA ( 1 9 8 6 ) führt u.a. folgende Untersuchungsgebiete an: psychosoziale Störungen, emotionale Reaktion auf Streß und Angst, kognitive Entwicklung, Leistungsstreben, Berufswahl und Karriere, athletische Kraftakte. Die Operationalisierung von Selbst-Wirksamkeits-Erwartungen erfolgt in der Regel durch Ratingskalen, die sich auf eine Hierarchie von Verhaltensschritten beziehen. Beurteilt wird die Ausführbarkeit der einzelnen Verhaltensschritte (magnitude), die Sicherheit dieser Beurteilung (strength) und die Ausführbarkeit in anderen Situationen (generality). Im deutschsprachigen Bereich hat die Verfasserin über Experimente zur Selbst-Wirksamkeits-Erwartung des Redeverhaltens und des Durchsetzungsverhaltens berichtet (MIELKE, 1986). 2 Wir verdanken diesen Hinweis einem anonymen Gutachter.
164 Mit dem vorliegenden Fragebogen soll der Versuch gemacht werden, Selbst-Wirksamkeits-Erwartungen, die sich auf einen bestimmten Verhaltensbereich - den der Selbstdarstellung - beziehen, zu erfassen. Im deutschsprachigen Bereich gibt es nach unserer Kenntnis bislang lediglich die Fragebogen von SCHWARZER (1986) zur Erfassung allgemeiner, schulspezifischer und studiumsspezifischer Selbst-Wirksamkeit, sowie die Selbst-Wirksamkeits-Skala von KLAUER & FiLIPP (1988). Die Erfassung allgemeiner SelbstWirksamkeit läuft m.E. sehr leicht Gefahr, von der Operationalisierung eines allgemeinen Fähigkeitskonzeptes nicht deutlich abgegrenzt werden zu können, da es immer schwierig ist, operative Fähigkeiten, d.h. die Fähigkeiten zur Umsetzung eigener Kompetenzen abgehoben von konkreten Situationen und Verhaltensbereichen zu formulieren. Daher plädieren wir dafür, die Erfassung von Selbst-Wirksamkeits-Erwartungen zumindest auf abgegrenzte Verhaltensbereiche zu beziehen und bei der Itemformulierung möglichst konkrete Situationen zu schildern, wenn es erforderlich ist, Selbst-Wirksamkeits-Erwartungen auf der allgemeinen Fragebogenebene zu erfassen.
4. Kriterien der Itemformulierung Neben den bekannten Kriterien für die Formulierung von Fragebogen-Items wie Eindeutigkeit, Kürze, Vermeidung von doppelter Verneinung etc. wurde für diesen Fragebogen auf die folgenden Punkte im besonderen Maße geachtet: - In den Items sollen jeweils spezielle Situationen angesprochen werden, die über möglichst viele Bereiche (beruflich-universitär, persönlich-privat, öffentlich) streuen. - Es sollen nach Möglichkeit Aussagen vermieden werden, in denen absichtliche Täuschung und direkte Verstellung zum Ausdruck kommen. Dadurch werden zwangsläufig solche Situationen angesprochen, in denen ein gewisses Ausmaß an Kontrolle der eigenen Selbstdarstellung sozial angemessen und akzeptabel ist. - Jedes Item soll in bezug auf das Ausmaß der Wirksamkeit der Selbstdarstellung auf einer 4-Punkte-Skala von -2 bis +2 eingeschätzt werden, um zu gewährleisten, daß eine gewisse
Mielke: Wirksamkeit der Selbstdarstellung
Breite von «Item-Schwierigkeiten» und eine Ausgewogenheit von positiven und negativen Formulierungen in den Items repräsentiert ist. Die Items wurden von einem Team von vier Personen nach den genannten Kriterien formuliert3. Es wurden insgesamt 43 Items für die empirische Überprüfung des Fragebogens ausgewählt. 5. Empirische Überprüfung des Fragebogens Den Items des Fragebogens wurden vier Eisbrecher-Items vorangestellt, und er wurde insgesamt n=102 männlichen studentischen Versuchspersonen zur Beantwortung (stimmt/stimmt nicht) vorgelegt. Die Reliabilität des Fragebogens mit sämtlichen 43 Items lag mit .79 (Kuder Richardson 20) bereits recht hoch. Die Trennschärfeanalyse ergab für sechs Items Koeffizienten um .10. Die Reliabilität der um diese sechs Items verkürzten Fragebogenversion wurde dadurch leicht erhöht (.82; vgl. Tabelle 1). Obwohl keine theoretischen Überlegungen zu einer möglichen Unterstruktur des Fragebogens bei der Itemsammlung zugrundelagen, wurde mit Hilfe von Faktorenanalysen nach möglichen inneren Differenzierungen des Fragebogens gesucht. Die Varianz der 43 Items wurde durch 14 Faktoren mit Eigenwert größer als eins zu 70,9% aufgeklärt. Die ersten drei Faktoren hatten Eigenwerte größer als zwei; der Verlauf der Eigenwerte zeigte nach diesen drei Faktoren einen leichten Knick. Die drei Faktoren klärten allerdings lediglich 28,8% der Gesamtvarianz. Da die Faktorenanalyse keine eindeutige Lösung nahelegte, wurden mehrere Lösungen zu interpretieren versucht. Es zeigte sich, daß am ehesten die Drei-Faktorenlösung zu einer interpretierbaren Aufteilung der Items führen würde. 33 der 37 Items zeigen nach Varimax-Rotation Faktorenladungen größer als .30 auf mindestens einem der drei Faktoren. Um möglichst eindeutige und voneinander unabhängige Unterskalen zu erhalten, wurden die Items jeweils den Faktoren zugeordnet, mit denen sie am höchsten korrelierten. Ein Item korrelierte mit dem ersten und 3
Die Verfasserin dankt Andrea EVERS, Reinhold Ulrich SIMON für ihre Mitarbeit.
KILIAN
und
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dem dritten Faktor gleich hoch. Aus inhaltlichen Gründen wurde dieses Item dem dritten Faktor zugerechnet. Die drei so gebildeten Unterskalen enthalten zwölf, zehn und elf Items und haben interne Konsistenzwerte, die deutlich unterhalb der internen Konsistenz des Gesamtfragebogens, jedoch mit Werten um bzw. deutlich über .70 zufriedenstellend hoch liegen (vgl. Tabelle 1). Die Interkorrelationen der drei Skalen liegen um .30 und zeigen damit, daß jeweils unterschiedliche Aspekte der Wirksamkeit der Selbstdarstellung erfaßt werden, die sich zu einem homogenen Fragebogen ergänzen. Die Interpretation der drei Skalen stellte sich als nicht leicht heraus. Es soll an dieser Stelle lediglich über einen vorläufigen Unterscheidungsversuch berichtet werden. Selbstdarstellungsverhalten wird hierbei nach seiner Funktion für die Person unterschieden. Der Inhalt der Items legt nahe, daß sich die Ziele der Selbstdarstellung möglicherweise unterschiedlichen Bereichen zuordnen lassen. Sie können eher aus dem emotionalen oder dem intellektuellen Bereich stammen oder auch sehr konkret materielle Ziele sein. Tabelle 1: Reliabilität der Gesamtskalen und der Subskalen Gesamtskala
Item- Inter-Itemzahl Korrelation
KuderRichardson 20
Ursprüngliche Version Vorläufige Version Endgültige Version
43 37 33
.08 .11 .12 (.16)
.79 .82 .82 (.86)
Subskalen Faktor 1 Faktor 2 Faktor 3
12 10 11
.20 (.16) .22 (.28) .17 (.13)
.75 (.70) .75 (.80) .70 (.61)
(Die Zahlen in Klammern stammen aus einer zweiten Untersuchung, die zu Validierungszwecken durchgeführt wurde.)
Faktor 1: «Emotionale
Zuwendung»
Hier finden sich Items zur Einschätzung der Selbstwirksamkeit, sich emotionale Zuwendung (wie z.B. Sympathie, Bewunderung, Interesse) zu verschaffen. Typische Beispiele für diese Skala (vgl. Tabelle 2) im Sinne dieser Interpretation sind: «Manchmal kann ich in voller Absicht Menschen dazu bewegen, mich zu bewundern.»
«Nie kann ich auf Anhieb sympathische Personen von mir überzeugen.» Schwierigkeiten ergeben sich bei Item Nr. 25. Es läßt sich wegen seiner sehr allgemein gehaltenen Formulierung im Grunde allen drei Dimensionen gleichermaßen zuordnen. In der Tkt korreliert es auch mit dem dritten Faktor in einer Höhe von über .30.
Faktor 2: «Intellektuelle
Anerkennung»
Im Mittelpunkt dieser Skala stehen Selbstdarstellungen, die auf eine intellektuelle Anerkennung durch andere zielen. In den Items werden Situationen angesprochen, die eine Einschätzung der beruflichen bzw. fachlichen Kompetenz der Person und ihrer Klugheit und Bildung erlauben. Typische Items sind: «In Seminaren kann ich so auftreten, daß mich die anderen für einen klugen Kopf halten.» «In Diskussionen kann ich nicht nur durch mein Wissen, sondern auch durch mein Auftreten imponieren.» Dieser Skala lassen sich alle 10 Items des Faktors 2 problemlos zuordnen. Faktor 3: «Materielle Ziele» Inhalt der meisten Items dieses Faktors ist die Wirksamkeit der Präsentation bestimmter Eigenschaften, die für die Erreichung verschiedenster materieller Ziele (z.B. die Erlangung einer Arbeitsstelle oder einer Wohnung) dienlich sein können. Einige der typischen Items beziehen sich auf Bewerbungs- und Vorstellungssituationen: «Es ist wahrscheinlich, daß ich in Vorstellungsgesprächen nicht das erreiche, was ich will.» «Ich bin davon überzeugt, daß ich bei einem Vorstellungsgespräch für eine Wohnung einen seriösen und zuverlässigen Eindruck hinterlassen kann.» Der Großteil der Items (sechs von zehn) thematisiert nicht die konkreten Ziele, sondern die Präsentation von Eigenschaften zur Erreichung möglicher Ziele. Gemeint sind Items wie:
166
Mielke: Wirksamkeit der Selbstdarstellung
Tabelle 2: Wortlaut der Items pro Faktor mit Ladungshöhen Item Nr. 25. 19. 39. 17. 8. 21. 37. 6. 15. 35. 24. 28.
«Emotionale Zuwendung»
Faktor 1
In vielen Situationen kann ich meine guten Seiten herausstreichen. Ich schaffe es, bei Reisebekanntschaften einen interessanten Eindruck zu hinterlassen. Manchmal kann ich in voller Absicht Menschen dazu bewegen, mich zu bewundern. Ich bin der Überzeugung, Menschen verblüffen zu können. Ich kann durch mein Schmollen erreichen, daß sich Menschen reuig wieder auf mich zu bewegen. Nie kann ich auf Anhieb sympathische Personen von mir überzeugen. ( - ) Bei einem wichtigen, aber langweiligen Gegenüber gelingt es mir, einen interessierten Eindruck zu hinterlassen. Ich bin überzeugt davon, daß ich auf Frauen selbstsicher und überlegen wirken kann. Ich bin ziemlich schnell in der Lage, bei einer mir wichtigen Person Sympathie zu wecken. Verkäufer(inne)n gegenüber kann ich als interessierter Kunde erscheinen, selbst wenn ich nicht die Absicht habe, etwas zu kaufen. Wenn ich will, kann ich auf andere Menschen lustig wirken. Es ist möglich, daß ich auf Frauen anfänglich anders wirke, als ich beabsichtige. ( - )
.65 .58
-.01 .17
.36 -.07
.56 .55 .55
.35 .31 .12
-.07 .02 -.23
.51 .46
-.15 .07
.18 .25
.45 .44
.20 .09
.10 .28
.43
.04
-.13
.37 .35
.09 -.08
.14 .12
«Intellektuelle Anerkennung»
Faktor 1
Item Nr. 34. 16. 22. 40. 14. 26. 38. 33. 11. 31.
27.
10. 32. 18. 7. 20. 13. 36. 12. 29.
-.07
-.14 .21
.61 .59
.23 .19
.04
.52
.29
.09 .15
.50 .50
-.02 .21
.20 .05
.50 .46
-.10 .05
.22
.46
-.17
.41
.34
-.11 Faktor 1
w Wiillll .
30.
.66
«Materielle Ziele» Es ist wahrscheinlich, daß ich in Vorstellungsgesprächen nicht das erreiche, was ich (
Faktor 2 Faktor 3
.06
In Seminaren kann ich so auftreten, daß mich die anderen für einen klugen Kopf halten. Als Teilnehmer an einer Podiumsdiskussion würde ich keine gute Figur abgeben. ( - ) In Diskussionen kann ich nicht nur durch mein Wissen, sondern auch durch mein Auftreten imponieren. Ich könnte mir vorstellen, daß ich bei einem Fernsehinterview völlig verwirrt wäre, obwohl ich zu dem Thema etwas zu sagen hätte. ( - ) Ich kann sehr schlecht über Dinge reden, von denen ich nur sehr wenig verstehe. ( - ) Ich bin überzeugt, ich würde in Fernsehsendungen einen weniger peinlichen Eindruck als die meisten anderen machen. Ich kann bei vielen Themen mitreden, auch wenn ich keine Ahnung habe. Ich könnte mir vorstellen, bei mündlichen Prüfungen durch mein Auftreten das Ergebnis mit zu beeinflussen. In der Rolle des Alleinunterhalters aufzutreten, kann ich mir kaum vorstellen, selbst wenn ich es wollte. ( - ) Bei Seminar-Diskussionen gebe ich oft eine unglückliche Figur ab. ( - )
Item Nr.
Faktor 2 Faktor 3
Faktor 2 Faktor 3
.09
.22
.60
.04
.24
.55
-.03 .06
-.08 .02
.54 .50
.15 .24
-.08 .02
.49 .48
.07 .07 .10
.11 -.20 .09
.44 .44 .40
.07 .32
.27 -.17
.34 .31
J\
Ehrgeizig und leistungsfähig zu erscheinen, würde mir in Bewerbungsgesprächen keine Schwierigkeiten bereiten. Bei öffentlichen Anlässen kann ich mich immer angemessen verhalten. Ich bin davon überzeugt, daß ich bei einem Vorstellungsgespräch für eine Wohnung einen seriösen und zuverlässigen Eindruck hinterlassen kann. Ich kann, wenn es darauf ankommt, taktisch klug handeln. Wenn ich mich hart und durchsetzungsfähig zeigen will, so ist das selten überzeugend. ( - ) Einer meiner Vorteile ist, mich immer gut verständlich machen zu können. Ich habe sehr häufig das Gefühl, mißverstanden zu werden. ( - ) Ich kann mir vorstellen, lustig wirken zu wollen, und damit keinen Erfolg zu haben. ( - ) Bei Auseinandersetzungen kann ich sowohl verbindlich als auch unerbittlich sein. Ich kann mich weniger gut verstellen als die meisten anderen. ( - )
«Ich kann, wenn es darauf ankommt, taktisch klug handeln.» «Wenn ich mich hart und durchsetzungsfähig zeigen will, ist das selten überzeugend.» «Bei Auseinandersetzungen kann ich sowohl verbindlich als auch unerbittlich sein.»
Es zeigt sich, daß die Zuordnung von Item Nr. 29 zu dieser Skala inhaltlich sinnvoll ist und die interne Konsistenz über das durch die Erhöhung der Itemzahl zu erwartende Ausmaß hinaus verbessert (während die interne Konsistenz der ersten Skala durch Weglassen dieses Items nicht beeinflußt wird).
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Die Reduzierung des Gesamtfragebogens um die übrigbleibenden vier Items (Nr. 5, Nr. 9, Nr. 23, Nr. 41), die sich den drei Unterskalen nicht zuordnen lassen, führt trotz der Verringerung der Gesamtzahl der Items von 37 auf 33 nicht zu einer Verminderung der internen Konsistenz von .82. Der Fragebogen zur Wirksamkeit der Selbstdarstellung kann daher ohne Bedenken nochmals um die vier genannten Items verkürzt werden.
6. Der Fragebogen zur Wirksamkeit der Selbstdarstellung und die Taxonomie des Selbstdarstellungsverhaltens von TEDESCHI
und Mitarbeitern (1985) Als Einteilungsgesichtspunkte für unterschiedliche Selbstdarstellungs-Techniken (eine umfassende Darstellung in deutscher Sprache findet sich bei MUMMENDE Y, 1990) verwenden HIDESCHI und seine Mitarbeiter die Begriffspaare strategisch-taktisch und assertiv-defensiv. Das erste Begriffspaar bezieht sich auf die Langfristigkeit der mit dem Selbstdarstellungsverhalten angestrebten Ziele. Mit strategischem Selbstdarstellungsverhalten werden situationsübergreifende Ziele angestrebt, die z.B. auf die Herstellung eines bestimmten Bildes von der eigenen Person hin angelegt sind, während taktisches Selbstdarstellungsverhalten eher auf kurzfristige, situationsspezifische Wirkungen angelegt ist. Die Unterscheidung von assertivem und defensivem Selbstdarstellungsverhalten bezieht sich auf den Einsatz von solchen Techniken, die im Falle von Assertivität von aktivem Gestaltungsvermögen und Durchsetzungsfähigkeit in sozialen Situationen zeugt. Defensive Selbstdarstellungstechniken werden dagegen zur Verteidigung und zum Schutz der Person eingesetzt, wenn die eigene Identität bedroht ist. In den von uns formulierten Items finden sich keinerlei Hinweise auf die zuletzt genannte defensive Selbstdarstellungstechnik. Unsere Vorstellungen von wirksamem Selbstdarstellungsverhalten waren offensichtlich deutlich von der erfolgreichen Präsentation der eigenen Person und einem Selbstdarstellungsverhalten geprägt, wie es von aktiven und selbstbewußten Personen gezeigt wird, deren Selbstwertgefühl keinerlei Bedrohung ausgesetzt ist.
167 Dagegen finden sich sowohl strategische als auch taktische Selbstdarstellungstechniken in unserem Fragebogen wieder. Die beiden ersten Faktoren können als eher strategische Selbstdarstellungstechniken bezeichnet werden, während der dritte Faktor Selbstdarstellungsverhalten enthält, das eher auf die Erreichung kurzfristiger Ziele angelegt ist und daher als taktisches Selbstdarstellungsverhalten bezeichnet werden kann. Wir haben den ersten Faktor mit dem Etikett «emotionale Zuwendung» versehen. Bei diesem Faktor zeigen sich inhaltliche Ähnlichkeiten mit den bei "ITEDESCHI und Mitarbeitern als Strategien zur Erreichung von «attractiveness» bezeichneten Selbstdarstellungstechniken. Assertive Selbstdarstellungsstrategien können auf die Erreichung von «Beliebtheit, Sympathie oder positive^) sozial-emotionale(r) Einschätzung» (MUMMENDEY, 1990, S. 142) gerichtet sein. Sich persönliche Attraktivität zu verschaffen, ist offensichtlich ein lohnendes Ziel der Selbstdarstellung, da man auf seinen Interaktionspartner als «attraktive» Person großen Einfluß ausüben und mit der Kontrolle über das Verhalten des Interaktionspartners die soziale Situation effektiver nach den eigenen Wünschen gestalten kann. Die Iteminhalte beziehen sich bei unserem Fragebogen im wesentlichen darauf, mit dem eigenen Verhalten bestimmte positive Eindrücke auf der Ebene der sozial-emotionalen Bewertung bei anderen Personen erwecken zu können. Der von uns an zweiter Stelle genannte Faktor wurde mit der Bezeichnung «intellektuelle Anerkennung» versehen. TÉDESCHI und seine Mitarbeiter nennen die entsprechende Selbstdarstellungsstrategie «competence/expertise». Die Analogie ist hier sehr deutlich. Der Inhalt der Items bezieht sich auf die Erzielung der verschiedensten Eindrücke von sich selbst, wobei fast ausschließlich intellektuelle Fähigkeiten eingesetzt werden müssen oder die überzeugende Demonstration solcher Fähigkeiten Ziel der Selbstdarstellung ist. Die Items des dritten Faktors beziehen sich auf kurzfristig in bestimmten Situationen einsetzbares taktisches Selbstdarstellungsverhalten. Dies ist nicht etwa so zu verstehen, daß hier die verschiedensten Taktiken angesprochen werden, mit denen man mehr oder weniger geschickt andere Leute «um den Finger wickeln» kann. Vielmehr handelt es sich um die Verfügbarkeit über Selbst-
168
Mielke: Wirksamkeit der Selbstdarstellung
darstellungsverhalten, das zur kurzfristigen Erlangung von Zielen, die in der jeweiligen Situation angestrebt werden, einsetzbar ist. Sei es, daß die effektivste Tkktik in einer bestimmten Situation den Einsatz von Klugheit oder Durchsetzungsfähigkeit verlangt, sei es, daß die überzeugende Präsentation von Zuverlässigkeit erforderlich ist.
7. Validitätshinweise
In einer zweiten Untersuchung wurde der Fragebogen zusammen mit einer Reihe von Erhebungsinstrumenten zu Selbstkonzept- und Persönlichkeitsmerkmalen männlichen Studenten (n=100) vorgelegt. Die Selbstkonzeptmerkmale und die beiden Persönlichkeitsmerkmale Neurotizismus und Psychotizismus wurden mit einem Selbstratingverfahren erfaßt, bei dem die eigene Person hinsichtlich einer Vielzahl von Eigenschaftspaaren auf siebenstufigen Ratingskalen einzuschätzen ist (MUMMENDEY, RIEMANN & SCHIEBEL, 1983). Die Items des Fragebogens zur Wirksamkeit der Selbstdarstellung konnten wegen des gemeinsamen «stimmt/stimmt nicht»Antwortmodus mit den Items der folgenden Persönlichkeitsfragebögen gemischt werden:
- Interne/externe Kontrollüberzeugung nach LEVENSON (1974) i n d e r b e i MIELKE (1982) a b -
gedruckten Version von SCHÖNBACH - Selbstaufmerksamkeit nach FENIGSTEIN, SCHEIER & Buss ( 1 9 7 5 ) in der überarbeiteten Version von FILIPP ( 1 9 8 8 ) - Self-Monitoring nach SNYDER ( 1 9 7 4 ) in der Version von NOWACK & KAMMER (1987). Der Gesamtwert des Fragebogens zeigt einen deutlichen Zusammenhang mit dem Selbstkonzept-Gesamtwert (vgl. Tabelle 3). Im einzelnen wird deutlich, daß Personen mit hoher Einschätzung der Wirksamkeit der Selbstdarstellung auch hohe Werte in den Unterskalen «Leistungsfähigkeit», «Selbstsicherheit», «Flexibilität» und «Soziale Kontaktfähigkeit» haben. In Entsprechung dazu zeigt sich ein mittelhoher negativer Zusammenhang mit Neurotizismus und ein überaus starker Zusammenhang mit der Skala «Soziale Fertigkeiten» aus dem Self-MonitoringFragebogen von SNYDER (1974). Erwartungsgemäß fällt auch der mittelhohe Zusammenhang mit interner Kontrollüberzeugung aus und der negative Zusammenhang mit der Überzeugung, daß die meisten Dinge im Leben zufällig sind. Keinerlei Übereinstimmung zeigt sich mit dem Selbstkonzeptbereich «Disziplin», der Überzeu-
Tabelle 3: Zusammenhänge mit Selbstkonzept- und Persönlichkeitsmerkmalen Wirksamkeit der Selbstdarstellung Gesamtwert Faktor 1 Faktor 2 Faktor 3 Selbstkonzept-Gesamtwert Leistungsfähigkeit Selbstsicherheit Flexibilität Soz. Kontaktfähigkeit Toleranz Disziplin
.56 .56 .53 .50 .49 .19 .02
.50 .43 .35 .42 .50 .24 .11
.40 .41 .51 .45 .39 .03 -.19
.53 .58 .49 .38 .33 .23 .18
Neurotizismus Psychotizismus
-.31 .22
-.22 .06
-.14 .40
-.46 .06
Interne/externe Kontrollüberzeugung Interne Kontrolle Ext. Kontr. d. andere Ext. Kontr. d. Zufall
.33 -.09 -.29
.28 -.01 -.19
.21 -.08 -.20
.35 -.16 -.36
Selbstaufmerksamkeit Priv. Selbstaufm. öffentl. Selbstaufm.
.17 .11
.14 .23
.19 .02
.09 .01
Self-Monitoring Soziale Fertigkeiten Inkonsistenz Soziale Vergleiche
.81 -.17 -.05
.72 -.04 .10
.75 -.27 -.12
.56 -.11 -.12
169
Zeitschrift für Sozialpsychologie 1990, 162-170
gung, daß mächtige andere die Kontrolle haben und der Skala «Soziale Vergleiche» aus dem SelfMonitoring-Fragebogen. Dieses Muster von Zusammenhängen mit Selbstkonzept- und Persönlichkeitsmerkmalen macht deutlich, daß mit dem vorliegenden Fragebogen eine Einschätzung der eigenen Wirksamkeit der Selbstdarstellung erfaßt wird, die deutlich auf einem allgemeinen positiven Selbstkonzept einer positiven Einschätzung der eigenen sozialen Fertigkeiten und der Überzeugung, selbst Kontrolle über die meisten Dinge im Leben ausüben zu können, beruht. Die drei Unterskalen des Fragebogens zur Erfassung der Wirksamkeit der Selbstdarstellung weichen nur geringfügig von diesem Zusammenhangsmuster ab. Die diskriminative Validität der drei Skalen läßt sich am ehesten an den unterschiedlichen Zusammenhängen mit den beiden EYSENCK-Skalen «Neurotizismus» und «Psychotizismus» sowie der Skala «Inkonsistenz» aus
u n d a u f d i e v o n BANDURA (1977) a l s F o l g e h o h e r
Selbst-Wirksamkeits-Erwartungen beschriebene Aufrechterhaltung des betreffenden Verhaltens selbst gegenüber Widerständen zurückgeht. Die hohen Zusammenhänge des Gesamtwerts und aller drei Skalen mit einem allgemeinen positiven Selbstkonzept unterstützen die Vermutung, daß der Fragebogen zur Wirksamkeit der Selbstdarstellung lediglich «assertive» Impression-Management-Techniken erfaßt. Angesprochen sind ausschließlich soziale Interaktionssituationen, in denen ein aktives und möglicherweise innovatives Selbstdarstellungsverhalten gefragt ist. Das angesprochene Selbstdarstellungsverhalten geschieht aus einer Situation der Stärke heraus, in der die Person selbst die Kontrolle darüber hat, ein bestimmtes Bild von der eigenen Person zu entwerfen. Für diese Interpretation spricht auch die positive Korrelation mit der «internen Kontrollüberzeugung».
d e m S e l f - M o n i t o r i n g - F r a g e b o g e n v o n SNYDER
(1974) erkennen. Danach wird deutlich, daß die zweite Skala, bei der die Selbstdarstellung zum Zwecke intellektueller Anerkennung im Mittelpunkt steht, den höchsten Zusammenhang mit Psychotizismus aufweist (der Unterschied zu beiden anderen Skalen ist statistisch auf dem 1 °7oNiveau gesichert); gleichzeitig zeigt sich hier ein negativer Zusammenhang mit dem Selbstkonzeptbereich «Disziplin» und der oben erwähnten «Inkonsistenz»-Skala (der sich im letzteren Fall allerdings nur gegenüber der ersten Skala gegen den Zufall absichern läßt) und im Gegensatz zu den beiden anderen Skalen (wiederum überzufällig anders) kein Zusammenhang mit dem Selbstkonzeptbereich «Toleranz». Danach liegt der Schluß nahe, daß mit der zweiten Skala eine Einschätzung der Wirksamkeit der Selbstdarstellung erfaßt wird, die deutlich mit assertivem bis hin zu nonkonformem Selbstbewußtsein und einer gewissen Tendenz zu konsistentem Verhalten einhergeht. Personen mit hohen Werten in den beiden anderen SelbstWirksamkeits-Skalen haben dagegen keinerlei Nähe zu solchen psychotizistischen Zügen. Möglicherweise ist in den Items dieser Skala auch ein Aspekt der Selbstwirksamkeitsüberzeugung enth a l t e n , d e r b e i SHERER, MADDUX, MERCANTE, PRENTICE-DUNN, JACOBS & ROGERS (1982) a l s
«Hartnäckigkeit» (persistence) bezeichnet wird
8. Schlußbemerkung Der vorgestellte Fragebogen zur Wirksamkeit der Selbstdarstellung ist als Forschungsinstrument in sozialpsychologischen Untersuchungen zum Selbstdarstellungsverhalten geeignet. Der Gesamtwert des Fragebogens repräsentiert in zuverlässiger Weise das zu erfassende Konstrukt. Die Unterscheidung verschiedener Aspekte der Wirksamkeit der Selbstdarstellung ist zunächst vorläufig und bedarf noch weiterer Validierung. Die nachträglich festgestellten Ähnlichkeiten mit einigen der von HJDESCHI und Mitarbeitern (1985) unterschiedenen Impression-Management-Techniken machen deutlich, daß sowohl die Alltagsbeobachtungen von uns als auch die Vorstellungen über Selbstdarstellungsverhalten auf Seiten der Versuchspersonen große Gemeinsamkeiten mit dieser Taxonomie zeigen. Deutlich wird aber auch, daß sich noch sehr viel mehr Selbstdarstellungstechniken unterscheiden lassen als mit dem vorliegenden Fragebogen erfaßt werden können.
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171
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Empirie Situationskognition: Untersuchungen zur Struktur von Situationsbegriffen1 Situation cognition: Studies on the structure of situation concepts TtaoMAS ECKES Universität des Saarlandes Um die begrifflichen Grundlagen der Wahrnehmung und Kategorisierung von Situationen im studentischen Alltag zu untersuchen, wurden 48 männliche und weibliche Studierende gebeten, im Laufe einer Woche angetroffene Situationen schriftlich festzuhalten und charakteristische Situationsmerkmale aufzulisten. Anhand dieser Aufzeichnungen wurden 30 konsensuell akzeptierte Situationsprototypen bestimmt und zwei unabhängigen Vpn-Gruppen zur Sortierung nach Ähnlichkeit bzw. zur Beurteilung auf Adjektivskalen vorgelegt. Hierarchische Clusteranalysen und nicht-metrische mehrdimensionale Skalierungen der Ähnlichkeitsdaten lieferten eine Darstellung der kognitiven Organisation der Situationsprototypen. Aus der klassifikatorischen Analyse resultierten acht Prototyp-Klassen, die sich teils durch affektivevaluative, teils durch objektiv-strukturelle Merkmale auszeichneten. Eine zweidimensionale Darstellung war am besten durch die korrelierten Aspekte der Evaluation, der Vertrautheit, des wahrgenommenen Handlungsspielraums und der Intimität zu beschreiben. Ausgeprägte Inter- und Intraklassen-Beziehungen verdeutlichten die komplexe Struktur des Prototypenraumes. Das klassifikatorische (clusteranalytische) Modell zeigte sich dem üblicherweise verwendeten geometrischen (dimensionsanalytischen) Modell aufgrund seiner größeren Nähe zum psychologischen Konzept eines Modal-Prototyps und aufgrund seines höheren Auflösungsvermögens bezüglich der kulturspezifischen Wahrnehmung von Situationen überlegen. Daraus wurde gefolgert, daß die Konstruktion von Tkxonomien alltagstypischer Situationsbegriffe bevorzugt von klassifikatorischen Modellen Gebrauch machen sollte.
In order to examine perceptions and categorizations of situations typically occurring within the university milieu, 48 male and female students were asked to keep a written record of the situations they encountered over a one-week period. From these records 30 consensually held situation prototypes were derived and presented to two independent groups of subjects for sorting according to perceived similarity and for rating on adjective scales, respectively. Clustering and scaling analyses of the similarity data were performed in order to represent the cognitive organization of situation prototypes. These prototypes were partitioned into eight clusters based on affective-evaluative as well as on objective-structural aspects. A two-dimensional solution was obtained which could be described by the correlated aspects of evaluation, familiarity, perceived behavioral constraint and intimacy. A large number of significant inter- and intracluster relations illustrated the complex structure of the prototype space. The classificatory (cluster analytic) model proved to be superior to the traditionally used geometric (dimensional) model by having greater affinity to the psychological construct of a modal prototype and a higher sensibility to the specific ways situations are perceived in a given cultural context. It was concluded that more weight than before should be placed on constructing taxonomies of culturally specific situation concepts by classificatory models.
Das psychologische Konstrukt «Situation» hat eine lange Tradition. Dennoch - oder gerade deswegen - ist sein Gebrauch im wissenschaftlichen Diskurs sehr uneinheitlich und mit der «Hypothek» der Vieldeutigkeit» (GRAUMANN & WIN-
TERMANTEL, 1984) belastet. Das Situationskonzept bleibt häufig Undefiniert oder wird im Austausch mit Konzepten wie «Reiz» («Stimulus») oder «Umwelt» verwendet (vgl. PERVIN, 1978). Die drei Konzepte Reiz, Situation, Umwelt lassen sich zwar auf einer «molekular/molar»-Dimension anordnen, die von «Reiz» am molekularen Pol bis «Umwelt» am molaren Pol reicht, doch könnte leicht eine Liste von vorgeschlagenen Si-
1 Die Studie wurde durch ein Forschungsstipendium (Az. Ec 92/1-1) und eine Sachbeihilfe (Az. Ec 92/1-2) der Deutschen Forschungsgemeinschaft an den Autor ermöglicht.
172
tuations-Definitionen erstellt werden, die sich kontinuierlich zwischen beiden Polen einreihten. Etwa in der Mitte dieses hypothetischen Kontinuums wäre die folgende Definition von WAKENHUT ( 1 9 7 8 ) zu lokalisieren: «Situation ist ein räumlich und zeitlich begrenzter Ausschnitt der aktuellen Umwelt einer Person, die darin handelt oder zu handeln beabsichtigt.» (S. 15). Abgesehen von der Frage einer eher molekularen oder einer eher molaren Konzeption lassen sich psychologische Ansätze danach unterscheiden, ob sie eine an objektiven Merkmalen oder eine an der subjektiven Sicht des Wahrnehmenden orientierte Analyse von Situationen vornehmen. Während beispielsweise in der behavioristischen Tradition unter «Situation» nichts anderes als das Gesamt der Reize, die in einer gegebenen Zeiteinheit auf einen Organismus einwirken, verstanden wird, legt die gestaltpsychologische Tradition den Schwerpunkt auf die subjektive Erfahrung und Interpretation von Situationen (vgl. ARNOLD, 1981; BUBA, 1 9 8 0 ) . Die Unterscheidung zwischen objektiver Situationsdefinition und subjektiver Zuschreibung von Bedeutung ist für die vorliegende Untersuchung der begriffliche Grundlagen der Kognition sozialer Situationen zentral.
Situationskognition Unter «Situationskognition» wird im folgenden die Wahrnehmung, Kategorisierung und Beurteilung von Situationen auf der Grundlage konsensuellen Wissens und individueller Erfahrung verstanden. «Konsensuelles Wissen» meint hierbei jene Wissensbestände, die Angehörige einer kulturellen Gemeinschaft teilen. Das Konzept der Situationskognition ist damit nicht einseitig subjektivistisch oder kognitivistisch, sondern verweist auf die duale Natur der Wahrnehmung von Situationen, insbesondere von sozialen Situationen: Situationen werden innerhalb einer kulturellen Gemeinschaft konsensuell definiert und bilden - in der Sprache des symbolischen Interaktionismus ausgedrückt - «externe» symbolische Objekte, die durch Verhaltensregeln, soziale Rollen und normative Erwartungen beschrieben werden können; zugleich werden sie individuell konstruiert und interpretiert. Kulturelle bzw. konsensuelle (externe) Definition und indivi-
Eckes: Situationskognition
duelle (interne) Definition machen die unteilbare, duale Natur sozialer Situationen aus. In ähnlicher Weise nehmen auch Konzepte wie «soziale Episoden» (FORGAS, 1 9 7 9 , 1 9 8 2 ) oder «kulturelle Modelle» ( Q U I N N & HOLLAND, 1 9 8 7 ) auf das Zusammenspiel zwischen der Ebene kultureller Situationsdefinitionen und der Ebene individueller Erfahrung Bezug. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Erhebung, Analyse und formal-strukturelle Repräsentation alltagstypischer Situationsbegriffe, die als grundlegende Einheiten der Kognition sozialer Situationen innerhalb einer bestimmten kulturellen Gemeinschaft konzipiert werden. Der Ausdruck «Situationsbegriff» soll deutlich machen, daß Situationen nicht unter objektiv-physikalischen, sondern unter subjektiv-psychologischen Aspekten untersucht werden. Als «alltagstypisch» (oder «alltagsrelevant») sollen Situationsbegriffe bezeichnet werden, die sich auf Klassen im Alltag häufig wiederkehrender und einem Großteil der Angehörigen einer kulturellen Gemeinschaft vertrauter Situationen beziehen. Zusätzlich wird eine strikte terminologische Trennung zwischen «Begriffen» als den Wissenseinheiten, auf die das empirische Forschungsinteresse gerichtet ist, und «Konzepten» als den Instrumenten dieser Forschung vorgenommen. Analog zu Begriffen in der dinglichen Wahrnehmung kommt Situationsbegriffen die grundlegende Funktion zu, die subjektiv erfahrene Welt in Klassen oder Kategorien einander ähnlicher Situationen zu ordnen. Diese Ordnungsoder Kategorisierungsfunktion zielt auf eine Komplexitätsreduktion, welche die kognitive Orientierung eines Individuums in seiner Welt sicherzustellen und aufrechtzuerhalten hilft. Wahrnehmung bzw. Konstruktion von Ähnlichkeit zwischen konkret erfahrenen Situationen und ihre Bündelung zu Situationsbegriffen sind stets abhängig vom Vorwissen und von den Zielsetzungen eines Individuums. Welche der im Prinzip unendlich vielen Merkmale von Situationen Beachtung finden und welches Gewicht ihnen bei einer entsprechenden Kategorisierung oder Beurteilung beigemessen wird, ist nur vor dem Hintergrund einer individuellen Matrix von vorhandenem Situationswissen, Zielen und Handlungsintentionen erklärbar. Hierin liegt die pragmatische Basis der Situationskognition begründet. Der amerikanische Soziologe I k o M A S ,
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dessen Arbeiten großen Einfluß auf die frühe Entwicklung des symbolischen Interaktionismus hatten, hat dies in einer Weise zum Ausdruck gebracht, die eine bemerkenswerte Aktualität im Hinblick auf neuere kognitive Situationsmodelle besitzt: The .individual does not find passively ready situations exactly similar to past situations; he must consciously define every situation as similar to certain past situations, if he wants to apply to it the same solution applied to those situations The individual, in order to control social reality for his needs, must develop not series of uniform reactions, but general schemes of situations; his life-organization is a set of rules for definite situations, which may be even expressed in abstract formulas. FLHOMAS, 1966, pp. 27-28)
Soziales Handeln wird danach als abhängig von der wahrgenommenen Ähnlichkeit zwischen einer gegebenen Situation und früher erfahrenen Situationen gesehen. Die Herstellung von Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Situationen wird als ein aktiver Konstruktionsprozeß aufgefaßt, welcher auf der Entwicklung abstrakter «Situations-Schemata» basiert. Erst diese Schemata versetzen das Individuum in die Lage, situationsadäquat zu handeln.
Situationsprototypen Eine kognitionstheoretische Modellierung der Wahrnehmung von Situationen, die es gestattet, allgemeine «schemes of situations» präziser zu fassen, gründet sich auf das Konzept des «Situationsprototyps». Ein Situationsprototyp enthält eine Liste von Merkmalen, die für die in der betreffenden Kategorie zusammengefaßten Situationen besonders charakteristisch sind bzw. die Situationen dieser Kategorie von Situationen anderer Kategorien zu unterscheiden gestatten. Die Grundannahme des Prototypansatzes bezüglich der Verarbeitung von Information über soziale Situationen besagt, daß ein Individuum, welches sich mit einer konkreten Situation konfrontiert sieht, die auffallenden Merkmale dieser Situation mit den Merkmalen im Gedächtnis gespeicherter Situationsprototypen vergleicht (vgl. ECKES & Six, 1 9 8 4 ) . Zu charakteristischen Merkmalen können nicht nur typische Ereignisse oder Handlungen, sondern auch typische soziale Rollen, Eigenschaften, Stimmungen und Gefühle von Personen sowie verschiedene Aspekte des
173
physikalisch-behavioralen Settings zählen. Die an eine Situation herangetragenen Erwartungen hängen ganz wesentlich vom Ergebnis des Vergleichsprozesses ab: Je größer die Übereinstimmung bzw. Ähnlichkeit zwischen der angetroffenen Situation und dem aktivierten Prototyp, desto eher werden ihr die prototypischen Merkmale zugeschrieben und desto geringer ist die subjektiv empfundene Unsicherheit darüber, was auf den Wahrnehmenden in der Situation zukommt. Situationsprototypen sind eng mit skriptähnlicher Information über stereotyp wiederkehrende Ereignissequenzen verknüpft: Die Zuordnung einer gegebenen Situation zu einer Kategorie von Situationen erleichtert über den Abruf prototypischer Situationsmerkmale die Planung und Realisation situationsadäquater Handlungssequenzen (ABELSON, 1981). Ergebnisse von SCHUTTE, KENRICK und SADALLA ( 1 9 8 5 ) haben beispielsweise gezeigt, daß mit zunehmender Prototypikalität, also mit zunehmender Ähnlichkeit zwischen Situation und gespeichertem Prototyp, die Variabilität vorhergesagter Verhaltensweisen in der Situation deutlich sank. In den bisherigen Untersuchungen zur Prototyp-Repräsentation sozialer Situationen, einmal im amerikanischen (CANTOR, MISCHEL & SCHWARTZ, 1 9 8 2 ) und zum anderen im deutschsprachigen Raum ( E C K E S , 1 9 8 6 ) , wurden Taxonomien von Situationsbegriffen mit drei hierarchisch angeordneten Abstraktionsebenen zugrunde gelegt. Die Begriffe auf der höchsten hierarchischen Ebene lauteten im Falle der deutschsprachigen Studie «Arbeitssituation», «feierliche Situation», «Freizeitsituation» und «Streßsituation». Der Kategorie feierlicher Situationen wurden z.B. auf der mittleren Ebene «Familienfeier» und auf der unteren Ebene «Geburtstagsfeier» zugeordnet. Die Auswahl der Situationsbegriffe und ihre Anordnung in Taxonomien sollten gewährleisten, daß möglichst verschiedene Bereiche des alltäglichen Lebens angesprochen würden. Der Prototyp einer Situationskategorie wurde in beiden Studien operational definiert als eine Liste von Merkmalen, die von einem bestimmten Prozentsatz von Vpn als charakteristisch für die betreffende Kategorie genannt wurden. Verschiedene Struktur-, Inhalts- und Prozeßanalysen zeigten, daß Personen über ein wohlgeordnetes, reichhaltiges und leicht zugängliches Wissen über Situationen verfügen.
174 Die untersuchten Situationsbegriffe waren allerdings von den Versuchsleitern nach mehr oder weniger einleuchtenden, intuitiven Kriterien ausgewählt und zusammengestellt worden. Daher können diese Arbeiten nicht den Anspruch erheben, die für eine bestimmte kulturelle Gemeinschaft relevanten Begriffe erfaßt und strukturell wie inhaltlich analysiert zu haben. So war die Dreistufigkeit der von Cantor et al. verwendeten Taxonomien das Ergebnis a priori angestellter Überlegungen; sie resultierte nicht aus einer empirischen Erhebung und strukturellen Darstellung alltagssprachlich geläufiger Situationsbegriffe. Zwar wurde die taxonomische Organisation nachträglich überprüft und validiert, doch kann dadurch nicht der Nachweis hoher kulturspezifischer Relevanz der konstruierten begrifflichen Ordnungssysteme erbracht werden. Untersuchungen zur Situationskognition sollten sich vielmehr das Ziel setzen, eine möglichst hohe Relevanz bzw. Typikalität der betrachteten Stichprobe von Situationen im Hinblick auf eine bestimmte Gruppe von Personen sicherzustellen. Danach ist großes Gewicht auf eine sorgfältige Erhebung einer Stichprobe von Alltagssituationen zu legen, die innerhalb einer gegebenen Gruppe von Personen als typisch gelten können. Bereits FORGAS (1976) und PERVIN (1976) haben diese Forderung erhoben und deren Realisierung durch die Gewinnung freier Beschreibungen von Situationen, die den individuellen Lebensalltag charakterisieren, vorgeschlagen. Die Konstruktion von Ordnungssystemen alltagstypischer Situationsbegriffe kann in unterschiedlichen Gegenstandsbereichen sozial- und persönlichkeitspsychologischer Forschung als empirische Grundlage dienen. Ein Beispiel hierfür ist die Untersuchung des Einflusses sozialer Situationen auf das Sprachverhalten von Mitgliedern einer spezifizierten kulturellen Gemeinschaft (vgl. z.B. FORGAS, 1983b; GILES & H E W STONE, 1982). Ein anderes Beispiel betrifft die Analyse des Zusammenhangs zwischen der wahrgenommenen Ähnlichkeit von Situationen und der transsituativen Konsistenz bzw. Kohärenz individuellen Verhaltens (vgl. z.B. CHAMPAGNE & PERVIN, 1987; KRÄHE, 1986). In beiden Bereichen wird es wesentlich darauf ankommen, daß keine nach ad hoc-Kriterien zusammengestellten Situationen das Reizmaterial bilden, sondern eine an den tatsächlichen Wahrnehmungen
Eckes: Situationskognition
der interessierenden Population von Individuen orientierte Auswahl von Situationen getroffen wird. Fragestellung Ziel dieser Untersuchung ist zum einen die Identifikation derjenigen Begriffe, die der Wahrnehmung und Kategorisierung alltäglicher sozialer Situationen in einem definierten kulturellen Milieu zugrunde liegen, und zum anderen die Analyse der Struktur dieser Begriffe. Die hier ins Auge gefaßte Personengruppe ist die der Universitäts-Studenten. Das universitäre Milieu wurde deshalb gewählt, weil empirische Studien in der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie, die sich beispielsweise mit der Beziehung zwischen der Kognition sozialer Situationen und dem Sprachbzw. Sozialverhalten beschäftigen, üblicherweise mit Vpn aus diesem Milieu durchgeführt werden und es wenig sinnvoll wäre, sich um die Erhebung alltagsrelevanter Situationsbegriffe zu bemühen, wenn die damit zu gewinnenden Erkenntnisse nicht für andere Fragestellungen genutzt werden könnten. Zugleich sei aber betont, daß die hier vorgestellte Methodik ohne weiteres auf andere kulturelle Gruppen übertragbar ist. Dadurch werden auch Perspektiven für kulturvergleichende Studien eröffnet. Wie bereits näher ausgeführt, soll es nicht darum gehen, im voraus spezifizierte, zu einem bestimmten Untersuchungszweck konstruierte ad hoc-Kategorien zu betrachten, sondern jene Situationsbegriffe nach inhaltlichen und strukturellen Merkmalen zu studieren, die eine möglichst hohe Relevanz innerhalb der Gruppe der Studierenden besitzen. Aus prototyptheoretischer Sicht interessieren besonders die folgenden Fragen: Lassen sich für alltagssprachlich geläufige Situationen Prototypen ableiten, die innerhalb der studentischen Subkultur konsensuell akzeptiert sind? Wie ist die kognitive Organisation der Situationsprototypen beschaffen? Nach welchen Kategorien bzw. Dimensionen lassen sich die wahrgenommenen Beziehungen zwischen Situationsprototypen ordnen? Ist eher eine klassifikatorische (clusteranalytische) oder eine geometrische (dimensionsanalytische) Repräsentation von Ähnlichkeiten zwischen Situationsprototypen angemessen? Die letzte Frage
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bezieht sich auf Implikationen des gewählten Meßmodells für die theoretische Konzeption von Situationsprototypen. Vereinfacht gesagt implizieren klassifikatorische Modelle das Konzept eines «Modal-Prototyps», darstellbar als Liste (gewichteter) Merkmale; geometrische Modelle implizieren das Konzept eines «DurchschnittsPrototyps», darstellbar. als geometrischer Schwerpunkt einer Kategorie in einem dimensional organisierten Merkmalsraum. Mit der Wahl einer der beiden formalen Repräsentationen ist also eine Entscheidung für ein bestimmtes Prototyp-Konzept verbunden. Es wird zu diskutieren sein, welches Modell die wahrgenommenen Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Situationsprototypen besser abzubilden in der Lage ist. Um die komplexe Fragestellung systematisch angehen zu können, wurde ein mehrstufiges empirisches Vorgehen gewählt, das im wesentlichen aus den folgenden Schritten bestand: (1) Vpn sollten alltagstypische Situationen benennen und in Form freier Merkmalsbeschreibungen charakterisieren. (2) Aus der Fülle der genannten Situationsbegriffe wurden jene mit relativ großer Nennungshäufigkeit für die nachfolgenden Analyseschritte ausgewählt. (3) Zu jedem Situationsbegriff wurden die am häufigsten genannten Merkmale ermittelt, um zu Situationsprototypen zu gelangen. (4) In einem freien Sortierversuch wurden Ähnlichkeiten zwischen den Situationsprototypen erhoben. (5) Eine unabhängige VpnGruppe beurteilte die Situationen anhand von Skalen, die sich inhaltlich an den aufgelisteten charakteristischen Merkmalen orientierten. (6) Die Ähnlichkeitsdaten wurden strukturell mittels hierarchischer Clusteranalysen und nicht-metrischer mehrdimensionaler Skalierungen repräsentiert. Methodik Erhebung der Situationsbegriffe Versuchspersonen. An der Erhebung alltagsrelevanter Situationsbegriffe nahmen 24 männliche und 24 weibliche Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen an der Universität des Saarlandes gegen Bezahlung teil. Materialien. Jeder Vp wurde ein mehrseitiges Heft ausgehändigt, in das sie Eintragungen vor-
175 nehmen konnte. In der Instruktion wurden die Vpn gebeten, «Situationen bzw. Situationstypen, die Sie im Laufe einer Woche antreffen oder auf die Sie in irgendeiner Weise aufmerksam werden, so genau wie möglich zu beschreiben». Beispiele von Merkmalen, die für eine Situationsbeschreibung in Frage kommen, wurden angegeben:«... äußere Situationsmerkmale (Tageszeit, Räumlichkeit, Ort usw.), die Atmosphäre in der Situation, typische Ereignisse, übliche Verhaltensweisen von Personen, eigene Gefühle und Erlebensweisen, Regeln und Normen usw.». Die jeweilige Situation sollte bezeichnet und hinsichtlich ihrer wichtigsten Merkmale charakterisiert werden. Durchführung. Die Vpn wurden einzeln auf dem Campus der Universität des Saarlandes angesprochen und um Mitarbeit bei einem Forschungsprojekt zur Wahrnehmung und Beurteilung von Alltagssituationen gebeten. Bei Bereitschaft zur Teilnahme wurde ihnen das Beschreibungsheft gegeben und ein Termin für die Rückgabe des ausgefüllten Heftes vereinbart. Eine kurze Nachbefragung zum zeitlichen Aufwand und zu möglichen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung des Heftes schloß diese Phase ab.
Auswertung der freien Situationsbeschreibungen Auswahl der Situationsbegriffe. Die Vpn nannten insgesamt 478 verschiedene Situationen. Pro Vp waren es zwischen 3 und 32 Situationen (das arithmetische Mittel der Nennungen lag bei 10.0). In einem ersten Auswertungsschritt wurde eine Urliste aller genannten Situationen samt der zugehörigen Merkmale erstellt. Darauf folgte die Zusammenfassung all jener Situationsbeschreibungen, die sich namentlich auf die gleiche Alltagssituation bezogen bzw. bei abweichender Benennung übereinstimmende Merkmalsangaben enthielten. Der am häufigsten aufgetretene Situationsname wurde beibehalten; alle genannten Merkmale wurden zusammen mit ihren Nennungshäufigkeiten aufgelistet. Schließlich wurden jene Situationsbegriffe für die weitere Analyse ausgewählt, die von mindestens vier Vpn genannt worden waren (das entspricht 8.3% der Vpn-Stichprobe). Dieses Kriterium sollte idiosynkratische Begriffe ausschließen und hinreichende Konsensualität innerhalb der Vpn-Stich-
176
Eckes: Situationskognition
Tabelle 1: Die 30 am häufigsten genannten Situationsbegriffe im Supermarkt (15) Sport treiben (6) Zugfahrt (4) beim Zahnarzt (9) jemanden kennenlernen (8) im Freibad (5) in der Mensa (19) Tagesanfang (16) Busfahrt (7) Stadtbummel (4) Bekannten treffen (14) Stadtfest (4) in einer Vorlesung (12) Waldlauf (4) Trampen (5)
Kinobesuch (4) im Fahrstuhl (5) Referat vorbereiten (9) in einem Geschäft (6) Frühstück (9) Fernsehen (10) beim Lernen (10) in der Kneipe (9) Jobben (6) private Party (6) bei einem Unfall (9) Familienfeier (5) Autofahren (15) ein Tag an der Uni (4) im Café (10)
Anmerkung: Die Zahlen in Klammern geben die Nennungshäufigkeit an.
probe sicherstellen. In Tabelle 1 sind die Namen der 30 verbliebenen Situationsbegriffe wiedergegeben. Auswahl charakteristischer Situationsmerkmale. Die Auswahl der Merkmale, die zusammen mit dem Situationsnamen einen Situationsprototyp bilden sollten, erfolgte anhand von acht Inhaltskategorien, welche die Menge der aufgeführten Merkmale weitgehend auszuschöpfen erlaubten. Damit wurde der Zweck verfolgt, für jeden Situationsbegriff eine möglichst differenzierte Merkmalsliste zu erstellen. Die Inhaltskategorien lauteten: (a) Merkmale des physikalisch-behavioralen Settings (Raum, Ort, Zeit usw.), (b) Ereignisse (Abläufe, komplexe Geschehnisse), (c) Atmosphäre der Situation, (d) äußeres Erscheinungsbild der Personen, (e) Eigenschaften und Gefühle der Personen, (f) Verhaltensweisen (auch Kognitionen, Antizipationen), (g) soziale Rollen und (h) Zieldefinitionen, Werte und Sinnzuweisungen. Zunächst wurde jedes Merkmal, das in der zusammengefaßten Liste von Beschreibungselementen (siehe oben) enthalten war, genau einer der acht Kategorien zugeordnet. Ausgewählt wurden jene Merkmale, die von mindestens zwei Vpn genannt worden waren (dieses Kriterium sollte rein idiosynkratische Merkmale ausschließen); als Nebenbedingung galt, daß die verschiedenen inhaltlichen Kategorien der Situationsbeschreibungen möglichst vollständig und entsprechend ihrer Besetzungshäufigkeit vertreten waren. Im Anhang finden sich die so gewonnenen Situationsprototypen zu-
sammen mit den Nennungshäufigkeiten der sie konstituierenden Merkmale. Sortierversuch Versuchspersonen. Es nahmen 25 männliche und 25 weibliche Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen an der Universität des Saarlandes gegen Bezahlung teil. Materialien. Zu sortieren waren die 30, im Anhang wiedergegebenen Situationsprototypen. Diese waren (ohne Nennungshäufigkeiten) auf Kärtchen geschrieben und mit einer Zufallsnummer für die spätere Notierung durch die Vpn versehen. Durchführung. Der Versuch wurde in Gruppen von zwei bis acht Vpn durchgeführt. Jede Vp bekam ein Heft mit der Instruktion und mit einem Blatt zur Notierung und Begründung der gebildeten Gruppen. Gleichzeitig wurde ihr ein Stapel mit den Kärtchen ausgehändigt. In der Instruktion wurden die Vpn gebeten, Gruppen von Situationen zu bilden, so daß diejenigen Situationen, die ihnen in irgendeiner Weise als zusammengehörig oder einander ähnlich erschienen, in einer gemeinsamen Gruppe lägen. Die Vpn waren frei in der Anzahl und Größe der gebildeten Gruppen. Situationen, die nach sorgfältiger Überlegung keiner Gruppe zugeordnet werden konnten, waren in einer Restgruppe zusammenzufassen. Im Anschluß an die Sortierung sollten die Vpn Gruppe für Gruppe die jeweiligen Nummern der Situationen notieren und zusätzlich angeben, warum sie die betreffenden Situationen in eine gemeinsame Gruppe gelegt hatten.
Ratingversuch Versuchspersonen. Als Vpn dienten neun männliche und acht weibliche Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen an der Universität des Saarlandes. Alle Vpn nahmen gegen Bezahlung teil. Materialien. Aus der sozialpsychologischen Literatur zur Wahrnehmung sozialer Situationen bzw. sozialer Episoden (vgl. z.B. BATTISTICH &
177
Zeitschrift für Sozialpsychologie 1990, 171-188 Tabelle 2: Multiple Korrelationen zwischen externen Skalen und der ein- bis fünfdimensionalen NMDS-Lösung Skalen
1
aufregend/langweilig gezwungen/ungezwungen kompliziert/unkompliziert Gefühl der Angst/ keine Angst förmlich/nicht förmlich entspannend/anspannend frustrierend/ nicht frustrierend allein sein/ mit anderen zusammen emotional engagiert/ emotional nicht engagiert angenehm/unangenehm interessant/uninteressant intim/unpersönlich Gefühl der Sicherheit/ Gefühl der Unsicherheit vertraut/fremd übersichtlich/ unübersichtlich hektisch/ruhig konfliktreich/ ohne Konflikte leistungsbetont/ nicht leistungsbetont Anmerkung:
Anzahl der Dimensionen 2 3 4 5
.29 .39 .48 .43 .53 .72* .67* .70* .79* .82* .68* .61* .63* .65* .76* .55* .51* .54* .60* .78* .31 .28 .33 .37 .36 .64* .61* .64* .72* .74* .57* .55* .61* .74* .79* .60* .61* .70* .69* .72* .07
.15
.16
.15
.61
.73* .72* .74* .83* .85* .44 .50* .54 .62* .65* .56* .66* .63* .64* .76* .62* .59* .61* .66* .73* .62* .71* .72* .73* .74* .45
.41
.53
.57
.29
.30
.41
.57
.55
.51* .50* .52
.55
.65*
.40
.57
.63
.29
.53
.57
*p
LERNEN
VORLESUNG
S UNI-TAG
WALDLAUF
FRÜHSTÜCK
TAGESANFANG
CLUSTER V I I I
Abbildung3: Zweidimensionale Darstellung der Beziehungen zwischen Situationsprototypen. Gestrichelte Konturen bilden die Grenzen der acht Cluster in der Complete-Linkage-Lösung. Ungerichtete Kanten zwischen Punkten stehen für statistisch signifikante Ähnlichkeiten zwischen korrespondierenden Situationsprototypen. Vektoren stellen eingepaßte externe Skalen dar; die Skalen sind: S2 - gezwungen/ungezwungen, S10 - unangenehm/angenehm, S12 - unpersönlich/intim, S14 - fremd/ vertraut.
Klassen von Situationsprototypen sind keineswegs so wohldefiniert, intern homogen und extern separiert wie es im formalen Modell einer disjunkten Clusteranalyse vorgesehen ist. Vielmehr lassen sich zahlreiche Überlappungen und Überkreuzungen feststellen, die eine eindeutige Zuordnung eines Situationsprototyps zu einer bestimmten Klasse erschweren. Darüber hinaus bieten sich einige Prototypen als zentrale Elemente ihres Clusters an, wie z.B. «Café», «Kneipe» oder «Stadtfest» im Cluster VI. Die diese Prototypen repräsentierenden Punkte haben nicht nur die geringsten durchschnittlichen Abstände zu den übrigen Punkten innerhalb des
Clusters, sondern besitzen auch die meisten signifikanten Intracluster-Relationen, nämlich jeweils sechs. Damit weisen die Cluster nicht nur unterschiedlich stark ausgeprägte InterclusterRelationen, sondern auch eine IntraclusterStrukturierung in mehr oder weniger zentrale Clusterelemente auf. Die Prototypen-Struktur läßt sich also, wenigstens teilweise, auf einer höheren Abstraktionsstufe des Systems von Situationsbegriffen replizieren.
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Zusammenfassung und Diskussion Ziel der Studie war es, strukturelle Eigenschaften der Kognition von Situationen innerhalb einer definierten kulturellen Gruppe zu analysieren. Die Begriffe sollten Situationen umfassen, die als typische Elemente der alltäglich erfahrenen Lebensumwelt aufgefaßt werden können. Den theoretischen Rahmen bildete die Prototypkonzeption von Begriffen, derzufolge die Wahrnehmung, Kategorisierung und Beurteilung von Situationen auf abstrakten Mengen im Gedächtnis gespeicherter charakteristischer Situationsmerkmale basieren. Situationsprototypen sind gleichsam kognitive Bezugspunkte für die Verarbeitung komplexer Umweltinformationen. Um Aufschluß über die strukturellen Einheiten der Situationskognition und ihrer Organisation in dem hier untersuchten kulturellen Milieu von Universitäts-Studenten zu erhalten, wurden in freien Beschreibungen die typischen Situationen einschließlich ihrer charakteristischen Merkmale erfaßt. Die am häufigsten genannten Situationsbegriffe bildeten zusammen mit den ebenfalls am häufigsten genannten Merkmalen die Analysestichprobe von Situationsprototypen. In Sortierund Ratingversuchen wurden die für klassifikatorische und dimensionale Analysen notwendigen Daten erhoben. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Analysen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: (1) Auf empirischem Wege wurden konsensuelle Prototypen von Situationskategorien gewonnen, welche innerhalb der betrachteten Gruppe von Universitäts-Studenten als alltagstypisch gelten können. (2) Die kognitive Organisation der Situationsprototypen war durch eine Aufteilung in acht Kategorien beschreibbar. Diese Kategorien betrafen (a) die alltägliche Hektik (z.B. beim Jobben und Einkaufen), (b) den situativen Kontext öffentlicher Verkehrs- und anderer Fortbewegungsmittel (z.B. «Busfahrt», «Trampen»), (c) Situationen, die durch ein hohes Angstpotential charakterisiert sind, wie «beim Zahnarzt» oder «bei einem Unfall», (d) sportliche Freizeitaktivitäten, (e) Situationen, in denen Entspannung und Unterhaltung im Vordergrund stehen (z.B. «Kinobesuch»), (f) soziale Begegnungen und Treffpunkte (z.B. «Bekannten treffen», «in der Kneipe»), (g) Situationen des akademischen All-
183 tags (z.B. «in einer Vorlesung») und (h) stereotype Merkmale des Tagesanfangs. (3) Auf höheren Ebenen der Abstraktion ergaben sich Charakterisierungen als Routinesituationen des Alltagslebens und Freizeitsituationen. Auf der höchsten Abstraktionsstufe war zwischen angenehmen Situationen, unangenehmen Situationen und Situationen des studentischen Alltags zu unterscheiden. (4) Aus dimensionsanalytischer Sicht waren die Situationsprototypen am besten durch die (miteinander korrelierten) Aspekte der Bewertung als angenehm oder unangenehm, der Vertrautheit, des wahrgenommenen Handlungsspielraums und der interpersonellen Nähe oder Intimität zu beschreiben. (5) Eine differenzierte statistische Analyse und graphische Darstellung der zugrundeliegenden Ähnlichkeitsstrukturen zeigte vielfältige Inter- und Intracluster-Beziehungen auf, die im Sinne des WiTTGENSTEiNschen Konzepts von Familienähnlichkeiten als Hinweis auf die externe Vernetzung und interne Strukturierung der gefundenen Kategorien von Situationsprototypen interpretiert wurden. Die Ergebnisse stellen einerseits eine Bestätigung, andererseits eine Erweiterung der in früheren Studien zur kognitiven Organisation der Situationswahrnehmung gewonnenen Erkenntnisse dar. Bestätigung findet sich vor allem für die dimensionsanalytischen Befunde. So wurde von Autoren wie BATTISTICH und THOMPSON (1980), FORGAS (1976, 1983a), KING und SORRENTINO (1983), MAGNUSSON (1971, 1974) und PERVIN (1976) die Wahrnehmung von Situationen in unterschiedlichen sozialen Milieus übereinstimmend durch drei, maximal vier Merkmalsdimensionen beschrieben. Diese eher bereichsunspezifischen, konsensuellen Dimensionen lauteten Evaluation, soziale Isolation, Intimität und Verhaltenssicherheit. Den höchsten Grad an Replizierbarkeit hatte die Evaluationsdimension. Gemäß dieser Resultate werden Situationen des alltäglichen Lebens nicht nach objektiven, formalen oder strukturellen Aspekten, sondern überwiegend nach subjektiven, affektiv-evaluativen Aspekten geordnet. Auch in der vorliegenden, zweidimensionalen Darstellung der wahrgenommenen Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Situationsprototypen dominierte eindeutig der Bewertungsaspekt. Darüber hinaus zeigte sich in der
184 Korrelation der beiden externen Skalen «angenehm-unangenehm» und «gezwungen-ungezwungen», daß der angenehme oder unangenehme Charakter einer Situation eng mit dem wahrgenommenen Handlungsspielraum zusammenhängt. Dies ist zumindest korrelative Evidenz für die Annahme von FORGAS (1976), daß jene Situationen als angenehmer empfunden werden, die mehr Freiheit für Verhaltensentscheidungen gewähren. Eine dreidimensionale Lösung, die angesichts des Streßwertverlaufs ebenfalls in Frage gekommen wäre, aber u.a. aus Gründen der geringeren Anschaulichkeit einer graphischen Repräsentation nicht näher betrachtet wurde, stellt neben die Evaluationsdimension zwei weitere, relativ leicht als «soziale Isolation» (z.B. «Waldlauf» versus «Jemanden kennenlernen») bzw. als «akademische/nicht-akademische Situationen» interpretierbare Dimensionen. Wie allerdings das Muster der statistisch signifikanten multiplen Korrelationen zwischen den jeweiligen Koordinatenachsen der zwei- bis fünfdimensionalen Lösungen mit den verschiedenen Ratingskalen verdeutlicht, kommen bei höherdimensionalen Darstellungen im Vergleich zur zweidimensionalen Darstellung keine neuen inhaltlich-psychologischen Einteilungsgesichtspunkte hinzu. Kongruent mit den Ergebnissen der früheren dimensionsanalytischen Studien kann daher der Schluß gezogen werden, daß Situationen nach maximal drei bis vier, hauptsächlich evaluativ-affektiv gefärbten Ordnungsaspekten wahrgenommen werden. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen CANTOR und KIHLSTROM (1987). Eine deutlich differenziertere Betrachtung der Organisation von Situationsbegriffen ergibt sich aus einer klassifikatorischen Analyse. Die Erweiterungen gegenüber den traditionell durchgeführten Dimensionsanalysen bestehen im wesentlichen in einer höheren Sensitivität gegenüber kulturell bedingten Besonderheiten der Situationskognition und in einer geringeren Betonung rein subjektiv-psychologischer Faktoren. Gerade die hohe Konvergenz der dimensionalen Strukturen der Situationswahrnehmung in verschiedenen kulturellen Milieus unterstreicht, daß mit einer dimensionsanalytischen Methodik zwar das, was man «interkulturelle Konsensualität» nennen könnte, darstellbar und sichtbar wird, aber die kulturspezifischen Aspekte nicht
Eckes: Situationskognition
hinreichend berücksichtigt werden können. Hierzu scheinen nach den vorliegenden Befunden klassifikatorische Analysen sehr viel eher in der Lage. Selbst auf der höchsten hierarchischen Ebene des Clustersystems findet sich neben einer evaluativ-affektiv begründeten Einteilung in zwei große Cluster ein weiteres, nur von Situationen des universitären Alltags besetztes Cluster. Auch auf niedrigeren Stufen des hierarchischen Clustersystems lassen sich Situationscluster identifizieren, die deutlich von der Natur des behavioralen Settings bestimmt sind («Fortbewegung», «Sport», «Uni-Alltag», «Tagesanfang»). Der kategoriale Charakter der Kognition von Situationen wird durch das Muster der statistisch signifikanten Intra- und Intercluster-Beziehungen unterstrichen. Klassen von Situationsprototypen besitzen eine Reihe von Querbeziehungen und weisen eine interne Strukturierung nach mehr oder weniger zentralen Situationen auf ganz so, wie es von der Prototyptheorie für diese Ebene der Kategorisierung vorhergesagt wird. Einige unabhängige empirische Befunde stützen die hier vertretene Auffassung, daß einer klassifikatorischen Repräsentation von Situationsbegriffen der Vorzug vor einer dimensionalen Repräsentation zu geben sei. Zunächst ist festzuhalten, daß im klassifikatorischen Modell der Clusteranalyse Merkmale als binäre Attribute, die einem Objekt entweder zukommen oder nicht zukommen (im Englischen «feature» genannt), konzipiert werden. Demgegenüber basieren geometrische Modelle, wie jenes der NMDS, auf der Vorstellung eines Raumes, der von kontinuierlichen, quantitativen Dimensionen aufgespannt wird. Wichtig ist diese Unterscheidung für die Präzisierung des jeweils implizierten Prototypkonzepts (vgl. ECKES, 1988). Wird die Prototyptheorie mit einem «Feature-Ansatz» verbunden, so gelangt man zum Konzept eines «Modal-Prototyps». Dieser ist definiert als Liste von (gewichteten) Merkmalen, die innerhalb einer Kategorie am häufigsten auftreten bzw. die Kategorie von anderen Kategorien zu unterscheiden gestatten. Legt man dagegen ein geometrisches (dimensionsanalytisches) Modell zugrunde, so resultiert das Konzept eines «Durchschnitts-Prototyps». Ein Durchschnitts-Prototyp kann als geometrischer Schwerpunkt oder «Zentroid» einer Kategorie aufgefaßt werden, d.h. er enthält für jede relevante Dimension das arithmetische
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Mittel der Verteilung der Werte auf dieser Dimension. P R U Z A N S K Y , T V E R S K Y und C A R R O L L ( 1 9 8 2 ) konnten in einer Vergleichsstudie zeigen, daß «konzeptuelle Daten» (in ihrer Studie Ähnlichkeitsdaten zu semantischen Kategorien wie «Obst», «Möbel» oder «Sportart») besser klassifikatorisch, «perzeptuelle Daten», wie z.B. Ähnlichkeiten zwischen Farben oder Buchstaben, besser geometrisch zu repräsentieren sind. Situationskategorien sind sicherlich eher «konzeptueller» als «perzeptueller» Natur, so daß dieses Ergebnis für die Anwendung klassifikatorischer Modelle und damit für die Konzeption eines Modal-Prototyps spricht. Empirische Evidenz, die den gleichen Schluß nahelegt, stammt aus experimentellen Untersuchungen zum Kategorie-Erwerb. So haben z.B. G O L D M A N und H O M A ( 1 9 7 7 ) gefunden, daß der Modal-Prototyp einer Kategorie schneller und genauer klassifiziert wurde als der Durchschnitts-Prototyp. Ferner entschieden sich Vpn, die angeben sollten, welcher der beiden Prototypen (es handelte sich um schematisierte Gesichter) repräsentativer für eine gegebene Kategorie sei, mit großer Mehrheit für den Modal-Prototyp. Unabhängig von diesen Befunden ist natürlich die operationale Definition von Situationsprototypen als Listen charakteristischer Merkmale einzig mit einer Abbildung von Prototypen-Ähnlichkeiten durch klassifikatorische Modelle konsistent. Die angeführten theoretischen und empirischen Argumente belegen die bereits von A R G Y L E , F U R N H A M und G R A H A M ( 1 9 8 1 ) geäußerte Annahme: « . . . situations fall into types rather than along dimensions.» (p. 11).
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Anhang Situationsprototypen (Zahlen in Klammern geben Nennungshäufigkeiten für Begriffe bzw. Merkmale an) Im Café (10) viele Leute (8) sehen und gesehen werden (2) rauchen (3) Leute beobachten (6) sich unterhalten (2) warten (3)
Kinobesuch (4) Karten kaufen (3) etwas zum Knabbern besorgen (3) Platz suchen (2) Film (2) sich unterhalten (2)
Eckes: Situationskognition
Autofahren (15) Autobahn (6) Verkehrsteilnehmer (4) Aufregung (6) Ärger (10) überholen (5) hupen (4) Radio hören (4) Gedanken freien Lauf lassen (5)
In der Kneipe (9) Abend (3) Musik (6) Bekannte treffen (5) viele Leute (4) gemütlich (2) diskutieren (9) Bier trinken (8) Leute beobachten (5)
Fernsehen (10) sich berieseln lassen (6) Kommentare abgeben (7) Informationen erhalten (4) nicht richtig hinhören (2) Bier trinken (2) Entspannung (4)
Frühstück (9) gedeckter Tisch (2) sich unterhalten (3) Radio hören (4) sich Zeit lassen (3) essen (3) Zeitung lesen (4) Tisch abräumen (3)
Sport treiben (6) Mannschaftskameraden (3) Sporthalle (2) Training (2) sich aufwärmen (2) durchhalten (3) duschen (2) sich wohlfühlen (2) in Kneipe gehen (2)
Familienfeier (5) Verwandte (2) Wiedersehensfreude (2) Geburtstag (3) viele Leute (2) sich unterhalten (3) essen (4)
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In einer Vorlesung (12)
Ein Tkg an der Uni (4)
Waldlauf (4)
Hörsaal (5) Studenten (5) Professor (6) sich unterhalten (5) Fragen stellen (2) mitschreiben (2)
Vorlesung besuchen (3) in Bibliothek gehen (4) in Mensa gehen (2) mit Freunden zusammen (2) Freistunde (3) Café (3) müde werden (3)
schöner 1kg (2) Vogelzwitschern (2) Blätterrauschen (2) keuchen (2) schwitzen (2) sich wohlfühlen (2) Gedanken freien Lauf lassen (2)
Referat vorbereiten (9)
Zugfahrt (4)
lesen (6) Bücher (4) gliedern (5) Kaffee trinken (3) zuviel Stoff (2) Angst (2) schreiben (3)
Abteil (3) viele Leute (2) lesen (2) Leute beobachten (2) zufällige Begegnungen (2) Distanz wahren (2)
Busfahrt (7) Haltestelle (4) viele Leute (4) Leute beobachten (7) Zeitung lesen (3) freien Platz suchen (3) aus dem Fenster schauen (2) angegafft werden (4)
Trampen (5) Tramperstelle (3) kurze Frage (3) einsteigen (4) ungutes Gefühl (4) schweigen (3) erleichtert beim Aussteigen (2)
Im Fahrstuhl (5) einsteigen (2) viele Leute (3) eng (2) Blickkontakt vermeiden (2) schweigen (2) sich eingeengt fühlen (2)
Private Party (6) zu spät kommen (3) viele Leute (3) Musik (3) sich unterhalten (4) essen (4) trinken (4) tanzen (3) müde werden (4)
Stadtfest (4) viele Leute (2) Imbißstände (2) bestellen (2) Straßen (2) Plätze (2) Musik (3) Gedränge (2)
Stadtbummel (4) Großstadt (3) mit Freund(in) unterwegs (2) ins Café gehen (2) Sonderangebote (3) Kleider anprobieren (2) gute Laune (2)
Im Freibad (5) blauer Himmel (4) viele Leute (2) sich umziehen (2) schwimmen (4) Leute beobachten (4) in der Sonne liegen (3) lesen (2)
Im Supermarkt (15) viele Leute (5) Sonderangebote (6) Schlange stehen (5) Leute drängeln sich vor (S) Hektik (3) Nervosität (6) nach Artikeln suchen (4) an der Kasse warten (8)
In einem Geschäft (6) Verkäufer (3) Kunden (3) Waren betrachten (2) sich beraten lassen (2) Fragen stellen (2) Unsicherheit (2)
Beim Zahnarzt (9) Angst (8) Schmerzen (6) Praxisgeruch (4) Wartezimmer (2) weiße Kittel (2) Nervosität (2)
Beim Lernen (10) Schreibtisch (3) Bücher (2) Überblick über Stoff verschaffen (3) Kaffee trinken (2) Pause machen (3) keine Lust (5) schlechtes Gewissen (4)
In der Mensa (19) Mittagszeit (9) Essen aussuchen (9) Schlange stehen (8) mit Freunden zusammen (7) sich unterhalten (8) Platz suchen (6) Lärm (5) Nervosität (3)
Bekannten treffen (14) unerwartet (2) wiedererkennen (2) Floskeln austauschen (6) sich das Übliche fragen (2) lächeln (2) Unsicherheit (3)
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Eckes: Situationskognition
Tagesanfang (16)
Bei einem Unfall (9)
Morgen (6) Wecker klingelt (13) müde (4) duschen (8) sich anziehen (5) frühstücken (11) Radio hören (5)
Zuschauer (4) Krankenwagen (5) Aufregung (3) Streß (3) Hektik (3) Angst (4)
Jemanden kennenlernen (8) Café (3) alleine (2) am Tisch sitzen (2) angesprochen werden (2) sich unterhalten (2) zuhören (2)
Jobben (6) viele Leute (3) kritisch gemustert werden (2) Geld verdienen (2) Frust (2) Ärger (2)
B
Zeitschrift für Sozialpsychologie 1990, 189-195
189
Ursachenattributionen und Schwereeinschätzungen von Regelverstößen im Sport Causal attributions and ratings of the severeness of irregularities in sport RAINER WESTERMANN u n d STEFAN SIEDERSLEBEN Georg-August-Universität Göttingen Auf der Grundlage der Attributionstheorie von WEINER wurde untersucht, inwieweit Beurteilungen der Schwere von sportlichen Regelverstößen davon abhängen, auf welche Ursachen sie zurückgeführt werden. Dazu wurden drei Foulsituationen im Fußball beschrieben, die sich in Wichtigkeit und Verletzungsfolgen unterschieden. Jede Person hatte eines der Fouls jeweils angesichts verschiedener Traineräußerungen zu beurteilen, die den 8 möglichen Ausprägungskombinationen von WEINERS Attributionsdimensionen entsprachen. Die Regelverstöße wurden bei internalen Ursachen schwerer beurteilt als bei externalen und bei stabilen schwerer als bei variablen. Auch die Kontrollierbarkeit der Ursachen hatte einen deutlichen Einfluß, infolge von Interaktionen mit den anderen Dimensionen war er aber weniger stark. Trotz relativ geringer Unterschiede zwischen den beschriebenen Fouls und trotz interindividueller Bedingungsvariation hingen die Schwerebeurteilungen jedoch nicht allein von den Attributionen ab, sondern auch vom Situationsfaktor. Dieses Ergebnis weist darauf hin, daß die Klasse der durch die Attributionstheorie voll erklärbaren Phänomene begrenzt ist und daß die Konsequenzen von Handlungen einen wesentlichen Faktor zur Abgrenzung des erfolgreichen Anwendungsbereiches der Theorie darstellen.
On the basis of WEINER'S theory of attribution it is studied how ratings of the severeness of irregularities in sport depend on the causes they are traced back to. Each person read the description of one of three foul situations in a soccer game which differed in importance and resulting injuries. In addition, eight trainer's statements were given which represented the possible combinations of WEINER'S attribution dimensions. The foul had to be evaluated repeatedly by taking into consideration each of the statements. In the case of internal or stable causes the fouls were rated much more severe than in the case of external or unstable causes. Because of interactions with the other dimensions, the effect of the dimension of controllability was smaller. Although the three foul situations did not differ very much and were evaluated by different persons, the responses were not only influenced by the attributions but also by the situational factor. This result demonstrates that the classes of behavioral phenomena that can be fully explained by WEINER'S theory are limited and that the consequences of actions are an important demarcation factor for the area of successful applications of the theory.
Problemstellung
in dieser Arbeit prüfen, ob die
Attributionstheo-
rie von WEINER (1986) geeignet ist, diese Schwere-
Das Bild des Sports in der Öffentlichkeit wird durch Fouls, Aggressionen und Verletzungen beeinträchtigt, die besonders in populären Mannschaftsdisziplinen an der Tagesordnung zu sein scheinen. Die Verstöße gegen sportliche Regeln werden aber keineswegs durchgängig negativ bewertet, sondern häufig auch als «gesunde Härte» interpretiert oder auf den «Eifer des Gefechts» zurückgeführt. In der Sportpsychologie gibt es zwar Arbeiten zu Determinanten, Formen und Konsequenzen aggressiven Verhaltens (ALBRECHT, 1979; Hus-
beurteilungen und ihre kognitiven Determinanten zu erklären. Der Kern von WEINERS Theorie besteht in der Klassifikation möglicher Ursachenkategorien auf drei Dimensionen mit jeweils zwei Ausprägungen: Lokation (internal/external), Stabilität und Kontrollierbarkeit. Die bisherigen sportpsychologischen Anwendungen dieser Theorie betreffen vor allem die Erklärung von Erfolg und Mißerfolg im Wettkampf und insbesondere die Rolle selbstwertdienlicher Attributionen (RE-
MAN& SILVA, 1984; PILZ, 1979; WIDMEYER, 1984),
nur eine frühere zweidimensionale Taxonomie zugrundegelegt wird. Für unser Thema von besonderem Interesse sind die attributionstheoretischen Untersuchungen zur Bewertung von Straftaten von CARROLL
unseres Wissens aber noch keine gezielten theoretischen Erklärungen und empirischen Untersuchungen zur unterschiedlichen Bewertung der Schwere von Regelverstößen. Wir wollen deshalb
JESKI & BRAWLEY, 1983), w o b e i h ä u f i g a l l e r d i n g s
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Westermann/Siedersleben: Ursachenattributionen im Sport
und PAYNE (1976,1977a, b). Sie legten Studenten und tatsächlichen Mitgliedern von Bewährungskommissionen Schilderungen verschiedener Taten vor und kombinierten diese mit Hintergrundinformationen, die entsprechend der Taxonomie WfiiNERs unterschiedliche Kausalattributionen nahelegen sollten. Beurteilt werden sollte unter anderem die Schwere der Tat, die angemessene Dauer des Freiheitsentzuges und die Rückfallwahrscheinlichkeit. Während die Urteile der tatsächlichen Kommissionsmitglieder stark von Strafrechtsnormen und speziellen Fachkenntnissen beeinflußt wurden, wurden die Ergebnisse für die Studenten als Bestätigung der Attributionstheorie interpretiert (WEINER, 1984, S. 307). Diese Bewertung muß allerdings modifiziert werden, wenn wir exemplarisch die Ergebnisse für die Schwereeinschätzungen etwas näher betrachten. Die Richtung der Mittelwertsunterschiede entspricht zwar durchaus den aus der Attributionstheorie ableitbaren Vorhersagen, für beide Personengruppen signifikant sind sie allerdings nur für die Lokationsdimension. Außerdem sind sie insgesamt sehr klein: Knapp die Hälfte der Varianz der Schwereeinschätzungen wird durch die unterschiedlichen Deliktschilderungen erklärt, durch die attributionale Hintergrundinformation jedoch nur 0 bis 4% (CARROLL & PAYNE, 1977a, S. 600-601). Ein wesentlicher Grund für diesen geringen Einfluß von Attributionen dürfte darin liegen, daß die beschriebenen Straftaten vom Ladendiebstahl bis zum Mord reichten und damit von sehr unterschiedlicher Schwere waren. Da übliche sportliche Regelverstöße sich weniger massiv unterscheiden, erwarten wir, daß die Attributionstheorie sich in diesem Bereich deutlich besser bewährt.
fluß sollten insbesondere die Konsequenzen des Foulspiels für beide Beteiligten haben, d.h. die tatsächlichen Nachteile des «Opfers» und die erwarteten Vorteile (und «entschuldigenden Gründe») für den «Täter». Konkret erwarten wir, daß ein Foul leichter beurteilt wird, wenn es zu keiner Verletzung führt und wenn Spielszene und -ausgang sehr wichtig sind.
Für unsere Untersuchung ergeben sich damit die folgenden Hypothesen. Erstens sollten die Schwereeinschätzungen deutlich von den attribuierten Ursachen abhängen. Konkret erwarten wir entsprechend WEINERS Theorie, daß die Fouls bei internalen Ursachen schwerer beurteilt werden als bei externalen, bei stabilen schwerer als bei variablen und bei kontrollierbaren schwerer als bei nicht-kontrollierbaren. Zweitens nehmen wir an, daß die Anwendbarkeit der Attributionstheorie dennoch insofern beschränkt ist, als die Beurteilungen darüberhinaus auch von der jeweiligen Situation bestimmt werden, in der der Regelverstoß stattfindet. Ein-
Methode Um die vermutete Situationsabhängigkeit der Schwereeinschätzungen mituntersuchen zu können, haben wir drei Foulsituationen (Si 1, 2, 3) in einem Fußballspiel zweier wenig bekannter Mannschaften beschrieben, die sich in ihren (möglichen positiven) Konsequenzen für den regelwidrigen Spieler und ihren (tatsächlichen negativen) Konsequenzen für den gefoulten Spieler unterscheiden. Ihr Wortlaut ist im Anhang 1 wiedergegeben. In Si 1 findet das Foul bei einem wichtigen Spiel und in einer wichtigen Spielszene statt und hat keine Verletzungsfolgen. In Si 3 hingegen sind Spiel und Szene wenig bedeutsam, und der Regelverstoß führt zu einer schweren Verletzung. Si 2 stellt eine von mehreren möglichen Abstufungen zwischen den beiden realisierten Extremen dar. Zur Prüfung des Einflusses der Attributionsdimensionen internal/external (IE), stabil/variabel (SV) und kontrollierbar/nicht-kontrollierbar (KN) auf die Schwerebeurteilungen wurde für jede der acht Ursachenkategorien, die sich durch Kombination dieser drei Dimensionen ergeben, eine entsprechende hypothetische Stellungnahme des Trainers formuliert, dessen Spieler das Foul begangen hat (Wörtlaut siehe Anhang 2). Diese Ursachenattributionen wurden nicht (wie in vielen anderen Untersuchungen) in Form relativ abstrakter Begriffe wie «geringes Können» oder «Pech» gegeben, sondern möglichst konkret und lebendig. Dazu wurden Spieler und Mannschaften namentlich genannt, und die Texte wurden ähnlich wie in der Sportberichterstattung abgefaßt. Einerseits vermindert sich damit zwar die Eindeutigkeit der empirischen Umsetzung attributionstheoretischer Begriffe. Andererseits reduziert sich die Gefahr, daß unsere Hypothesen keinen wesentlichen empirischen Gehalt haben, weil ihre Gültigkeit schon aus der
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Annahme einer normalen Begriffsverwendung folgt (BRANDTSTÄDTER, 1982). Als Grundlagen bei der Formulierung dieser Texte dienten die Beschreibungen der Ursachenkategorien im Leistungs- und Sozialbereich von WEINER (1984, S. 271, 1986, S. 44-51), die auf Sportleistungen bezogene Taxonomie von BIERHOFF-ALFERMANN (1979) und die Items von CARROLL und PAYNE (1977a, b). Den drei Bedingungen des Situationsfaktors Si wurden die Probanden zufallig zugeordnet. Aufgrund einiger nicht zurückgegebener Fragebögen gingen die Bedingungen aber nicht mit gleicher Probandenzahl in die Auswertung ein (vgl. Tabelle 3). Die Attributionsfaktoren IE, SV und KN wurden aus ökonomischen Gründen intraindividuell variiert. Um mögliche Sequenzeffekte auszugleichen, wurden die acht Trainerstellungnahmen in drei verschiedenen Zufallsabfolgen vorgelegt. An der Untersuchung nahmen 96 Personen (61 männlich, 35 weiblich) aus dem weiteren Bekanntenkreis des Zweitautors teil. Jede Person bekam einen insgesamt siebenseitigen «Fragebogen» ausgehändigt. Nach ihren eigenen Angaben waren von den Probanden 9 unter 20, 54 zwischen 20 und 30 und 33 über 30 Jahre alt. Unter den Probanden waren 45 Berufstätige, 8 Schüler und 25 Studenten (davon vier Psychologie- und neun Sportstudenten). Die Frage, ob sie regelmäßig eine Sportart in einem Verein betrieben, bejahten 49 Probanden, von denen 16 (zumindest auch) Fußball spielten. Nach einer ausführlichen Anleitung wurde den Probanden eine der Foulsituationen beschrieben, und es wurden die acht unterschiedlichen Trainerstellungnahmen wiedergegeben. Es sollte jeweils angegeben werden, wie schwer das Foul angesichts jeder Stellungnahme beurteilt wird. Die Beurteilung erfolgte durch Zuordnung einer Zahl zwischen 0 und 100 zu jeder Stellungnahme, wobei zur Verdeutlichung ein entsprechender «Zollstock» graphisch dargeboten wurde (siehe WESTERMANN, 1987b). Nach den Ergebnissen vorangegangener Untersuchungen (WESTERMANN, 1985; WESTERMANN & HAGER,
1985) scheint die Erwartung berechtigt, daß dieses Vorgehen zu Einschätzungen auf Intervallskalenniveau führt.
Tabelle 1: Mittlere Schwerebeurteilungen für die Attributionsfaktoren kontroll, (K)
nicht-kontr. Gesamt (N)
stabil (S) (I) variabel (V)
72,6
86,5
70,0
48,9
stabil (S) external (E) variabel (V)
66,3
64,1
55,1
39,2
Gesamt
66,0
59,7
internal
69,5 53,3 72,9 56,2
Tabelle 2: Varianzanalyse der Schwerebeurteilungen SS
df
R2
F
Situation (Si) Vpn innerhalb
21673,5 154327,3
2 93
0,12
6,53»
zwischen Vpn
176000,8
95
33537,8 46,9 28834,5 70966,1 644,0 46485,5 7348,3 411,8 31733,5 252,5 267,6 22509,7 1576,6 733,0 37771,4 28415,9 173,9 37522,6 5267,2 349,1 33314,0
1 2 93 1 2 93 1 2 93 1 2 93 1 2 93 1 2 93 1 2 93
0,54 0,00
108,17* 0,08
0,60 0,01
141,78* 0,64
0,19 0,01
21,54* 0,60
0,01 0,01
1,04 0,55
0,04 0,02
3,88 0,89
0,43 0,01
70,43* 0,22
0,14 0,01
14,70* 0,49
388161,9 564162,7
672 767
Lokation (IE) Six IE IExVpn Stabilität (SV) Six SV SV x Vpn Kontrolliert). (KN) SixKN KNxVpn IExSV SixIExSV IE x SV x Vpn IExKN SixIExKN IE x KNxVpn SVxKN SixSVxKN SVx KNxVpn IE x SVxKN Si x IE x SVxKN IE x SVx KNxVpn Innerhalb Vpn Gesamt Anmerkung:
'signifikant (o=0,01)
Ergebnisse Wie Thbelle 1 zeigt, entsprechen die Mittelwertsordnungen für die drei Attributionsdimensionen unseren theoretischen Erwartungen: bei internaler Ursachenzuschreibung werden die Fouls schwerer eingeschätzt als bei externaler, bei stabilen Ursachen schwerer als bei variablen und bei kontrollierbaren schwerer als bei nicht-kontrollierbaren. In einer vierfaktoriellen Varianzanalyse sind die entsprechenden Haupteffekte IE, SV und KN auch signifikant (vgl. Tabelle 2). Die
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Westermann/Siedersleben: Ursachenattributionen im Sport
Tabelle 3: Schwerebeurteilungen für die beschriebenen Foulsituationen
Ordnung um, d.h. erwartungswidrig werden hier die Fouls bei kontrollierbaren Ursachen leichter beurteilt als bei nicht-kontrollierbaren (69,5 vs. 75,3, i=3,04).
M SD n t r2
Si 1
Si 2
Si 3
55,5 12,4 32
65,6 12,7 28
67,4 16,6 36
3,08* 0,14
0,49 0,02 •signifikant (a = 0,01)
Anmerkungen. Angegeben sind arithmetische Mittel (M) und Standardabweichungen (SD) der Einschätzungen der Schwere der Regelverstöße sowie die Probandenzahlen (n), /-Werte und aufgeklärte Varianzanteile (r2).
aufgeklärten Varianzanteile (ausgedrückt in partiellen R2-Werten, nach COHEN, 1977, S. 366,412) sind bei der Lokation und der Stabilität mit 0,54 und 0,60 sehr groß. Bei der Kontrollierbarkeit ist die Effektgröße zwar mit 0,19 erheblich geringer, liegt aber immer noch recht hoch 1 . Auch mit dem Situationsfaktor Si ist ein signifikanter Haupteffekt verbunden. Wie Tabelle 3 zeigt, entspricht die Rangordnung der Mittelwerte unseren Erwartungen. Der Unterschied zwischen Si 1 und Si 2 ist auch signifikant und mit einem erklärten Varianzanteil von ^ = 0 , 1 4 reellt groß. Der Unterschied z\vl°c^Vi^n o unH Si 3 hingegen ist nur klein und trotz ausreichender Teststärke (l-ß>0,75, für große Effekte, nach COHEN, 1977) nicht-signifikant. Die Interaktionseffekte sind zum großen Teil sehr klein und trotz hoher Teststärken insignifikant. Auffällig und analysebedürftig ist jedoch die starke Interaktion zwischen Stabilität und Kontrollierbarkeit, die auch eine signifikante, allerdings wesentlich kleinere Dreifachinteraktion mit dem Faktor Lokation nach sich zieht. Eine Inspektion der entsprechenden, aus Tabelle 1 zu berechnenden Mittelwerte und die Ergebnisse zusätzlicher ¿-Tests zeigen, daß die zweifache Interaktion disordinal bezüglich des Faktors der Kontrollierbarkeit ist (vgl. HAGER & WESTERMANN, 1983, S. 148-153). In der Unterkategorie der variablen Ursachen ist die mittlere Schwere bei kontrollierbaren Ursachen signifikant höher als bei nicht-kontrollierbaren(62,5 vs. 44,0, i=9,ll). Für stabile Ursachen hingegen dreht sich die Rang1 Für die Auswertung mit Hilfe von SPSS X auf der Großrechenanlage der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung Göttingen danken wir Herrn Hans-Jürgen FROMM.
Diskussion Den stärksten Einfluß auf die Schwerebeurteilungen haben nach unseren Ergebnissen die Kausalfaktoren der Lokation und Stabilität. Daß bei internalen Ursachen dem foulenden Spieler ein größeres Maß an persönlicher Kausalität, Verantwortung und Schuld zugeschrieben und deshalb seine Tkt schwerer bewertet wird, ist konsistent mit den experimentellen Befunden von DYCK & RULE (1978), nach denen ein Angriff mehr Ärger und Gegenaggression auslöst, wenn er nicht auf externale, sondern nur auf internale Ursachen zurückgeführt werden kann. Bei variablen Ursachen werden die Fouls wohl als außergewöhnliche Ereignisse und damit als weniger schwer beurteilt als bei stabilen Ursachen, die eine erhebliche Wiederholungsgefahr beinhalten. Da die Interaktion zwischen Lokation und Stabilität nicht von Bedeutung ist, wirken beide Faktoren auuii.iv. Am schwelstcii werden Fouls bei internalen und stabilen Ursachen bewertet (Af=79,6), am leichtesten bei externalen und variablen Ursachen (M=47,2), während die Mittelwerte der beiden anderen Kombinationen dazwischen liegen. Daß die Kontrollierbarkeit der Ursachen einen geringeren Einfluß auf die Schwerebeurteilungen hat als ihre Lokation und Stabilität, mag zunächst überraschen, denn normkonträres Verhalten wird gerade dann als aggressiver und verwerflicher beurteilt, wenn es intendiert ist (siehe MUMMENDEY, BORNEWASSER, LÖSCHPER & LINNEWEBER,
1982; IFEDESCHI, SMITH & BROWN,
1974). In dem relativ geringen Einfluß der Kontrollierbarkeit auf die Beurteilungen in unserer Untersuchung spiegeln sich jedoch Schwierigkeiten bei der theoretischen Konzeptualisierung und der empirischen Realisierung dieser Attributionsdimension wider. Zum einen ist problematisch, daß die Kontrollierbarkeit gerade in unserem Anwendungsbereich bei internalen und bei externalen Ursachen eine unterschiedliche Bedeutung hat: Sie bezieht sich im ersten Fall auf die willentliche Beeinflußbarkeit durch die handelnde Person selbst, im
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zweiten Fall jedoch auf die Beeinflußbarkeit durch andere Personen. WEINER (1986, S. 49-50) selbst erörtert deshalb die Möglichkeit, bei externalen Ursachen auf eine Differenzierung zwischen kontrollierbar und nicht-kontrollierbar zu verzichten. Nach unseren Ergebnissen scheint er diese Möglichkeit aber zu Recht verworfen zu haben. Würde die Kontrollierbarkeit bei externalen und internalen Ursachen unterschiedliche Auswirkungen auf die Schwereeinschätzungen haben, müßte eine Interaktion zwischen Lokation und Kontrollierbarkeit bestehen. Gemäß Tabelle 2 ist der entsprechende Effekt mit 0,04 zwar etwas größer als die meisten anderen Interaktionseffekte, der F-Test ist trotz der hohen Teststärke aber nicht signifikant. Zum anderen liegt ein wesentlicher Grund für den relativ kleinen Haupteffekt der Kontrollierbarkeit in der erwähnten disordinalen Interaktion mit der Stabilität. Sie entsteht vor allem dadurch, daß sich in der Bedingung ISK (internalstabil-kontrollierbar) erwartungswidrig ein viel kleinerer Mittelwert ergibt als in ISN (vgl. Tabelle 1). Dies ist wahrscheinlich auf spezielle Merkmale unserer Items zurückzuführen. Vermutlich haben wir bei der Formulierung des Items ISN Häufigkeit und Schwere der Regelverstöße so sehr betont, daß die Stabilitätsaspekte wesentlich deutlicher zum Tragen kommen als beim Item ISK und die mangelnde Kontrollierbarkeit nicht so stark hervortritt. Insgesamt stellt unsere Untersuchung ein weiteres Beispiel für die breite Anwendbarkeit der Attributionstheorie von WEINER dar, denn die empirischen Ergebnisse bestätigen die Hypothese, daß die Beurteilungen von Fußballfouls gut mit Hilfe der Attributionsdimensionen Lokation, Stabilität und Kontrollierbarkeit erklärt werden können. Andererseits weisen unsere Ergebnisse aber auch deutlich auf die Grenzen des Geltungsbereiches der Theorie hin. Obwohl jede der Foulsituationen von einer anderen Gruppe von Personen beurteilt wurde und keine anderen Situationen zum Vergleich oder zur Ausbildung eines Bewertungsstandards vorgelegt wurden, zeigte sich ein bedeutsamer Situationseffekt auf die Beurteilungen. Deshalb dürfen wir bei der Erklärung der Schwerebeurteilungen neben den attributionalen Faktoren den Kontext nicht vernachlässigen, in dem das regelwidrige Verhalten stattfindet.
Zu berücksichtigen sind dabei vor allem die Konsequenzen der Tat. Generell wird eine Person umso mehr für ein (aggressives) Verhalten verantwortlich gemacht, je schwerwiegender dessen Folgen sind (WALSTER, 1966; LOWE & MEDWAY, 1976; NESDALE, RULE & M C A R A , 1975). Deshalb dürfte der bedeutsame Unterschied zwischen den Situationen 1 und 2 (vgl. Tabelle 3) primär durch die unterschiedlichen Verletzungsfolgen bedingt sein, zumal der Vergleich der Situationen 2 und 3 zeigt, daß die höhere Wichtigkeit des Spiels allein zu keiner wesentlich geringeren Schwereeinschätzung führt. Da unsere Probanden weder eine abgeschlossene Population noch eine Zufallsstichprobe darstellen und da die betrachteten Situationsbedingungen und Ursachenkategorien jeweils nur durch ein Item repräsentiert sind, kann unsere Untersuchung nur als eine exemplarische Prüfung der erfolgreichen Anwendbarkeit der Attributionstheorie auf bestimmte Schwereeinschätzungen von sportlichen Regelverstößen angesehen werden. Auch wenn es keine massiven Gründe gibt, an der Stabilität der Hauptergebnisse zu zweifeln, sind zur Prüfung ihrer generelleren Gültigkeit weitere Untersuchungen mit konzeptuellen Replikationen und gezielten Prüfungen möglicher Interaktionen sinnvoll (BREDENKAMP, 1980, S. 14-40; WESTERMANN, 1987a, S. 140-150). Hypothesen über mögliche moderierende Faktoren für die Wirkung der Attributionsdimensionen ergeben sich vor allem, wenn man den Kontext der Regelverstöße über unsere grobe Unterscheidung von drei Situationen hinaus ausdifferenziert. Dabei kann man beispielsweise gezielt impulsive, instrumenteile und feindselige Aggressionen unterscheiden (vgl. FESHBACH, 1964; RULE & NESDALE, 1976), die Schwere der Folgen systematisch variieren (vgl. HOLM, 1983), Persönlichkeitsunterschiede berücksichtigen (vgl. CARROLL,
PERKOWITZ,
LURIGIO
&
WAEVER,
1987), über eine stärkere Identifikation mit Akteur oder Opfer unterschiedliche Beurteilungsperspektiven hervorrufen (JONES & NISBETT, 1971) und die spezifischen und unterschiedlich aggressionstoleranten Regeln und Normen verschiedener Sportarten berücksichtigen (GABLER, 1976; GOLDSTEIN, 1983). Es bleibt die Frage, inwieweit die Beurteilungen von sportlichen Regelverstößen auch dann
194
Westermann/Siedersleben: Ursachenattributionen im Sport
von den attribuierten Ursachen abhängen, wenn diese nicht als wesentliche Information herausgestellt und den Beurteilern präsentiert werden. Von Kritikern der Attributionstheorien wird betont, daß Menschen in «natürlichen» Situationen nur relativ selten nach Ursachen für Ereignisse suchen und ihr nachfolgendes Verhalten danach ausrichten. Gerade im Bereich des Sportes scheint aber einiges gegen diese Vermutung zu sprechen. Eine Analyse der Sportberichterstattung durch L A U und RUSSELL ( 1 9 8 0 ) läßt vielmehr den Schluß zu, daß derartige Attributionen auch ohne Aufforderung vorgenommen werden.
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Zeitschrift für Sozialpsychologie 1990, 189-195
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Anhang 1: Verwendete Situationsbeschreibungen
IVK: (internal, variabel, kontrollierbar) Das mit dem Foul von Schneider, das liegt wohl daran, daß das heute ein Spiel gegen seinen alten Verein Mainz 05 war. Mit denen hatte er noch eine Rechnung offen, weil die den damals wegen schlechter Leistung rausgeschmissen haben. Da wollte der heute halt zeigen, daß er doch was kann, und da war er wohl ein bißchen übermotiviert. Normalerweise passieren dem solche Fouls nicht - der ist sonst eher ein Routinier.
Si I: (hohe Wichtigkeit, keine Verletzung) In einem Fußballspiel der Amateur-Oberliga Südwest zwischen dem FSV Mainz OS und Borussia Neunkirchen um den Aufstieg in die Zweite Bundesliga ergibt sich die folgende Situation: In unmittelbarer Nähe des eigenen Strafraums stellt der Neunkirchner Spieler Schneider seinem mit dem Ball auf das Tor zustürmenden Gegenspieler Weise ein Bein. Weise kommt dadurch zu Fall, kann nach einer kurzen Unterbrechung aber ohne Probleme weiterspielen. Si 2: (mittlere Wichtigkeit, Verletzung) In einem Fußballspiel der Amateur-Oberliga Südwest zwischen dem FSV Mainz 05 und Borussia Neunkirchen um den Aufstieg in die Zweite Bundesliga ergibt sich die folgende Situation: Bei einem Zweikampf auf Höhe der Mittellinie tritt der Neunkirchner Spieler Schneider seinem Gegenspieler Weise von hinten in die Beine. Weise kommt dadurch zu Fall und muß mit einem Achillessehnenanriß verletzt vom Platz getragen werden. Si 3: (geringe Wichtigkeit, Verletzung) In einem Fußballspiel der Amateur-Oberliga Südwest zwischen dem FSV Mainz 05 und Borussia Neunkirchen, dessen Endergebnis für beide Mannschaften nur noch von untergeordneter Bedeutung ist, ergibt sich die folgende Situation: Bei einem Zweikampf auf Höhe der Mittellinie tritt der Neunkirchner Spieler Schneider seinem Gegenspieler Weise von hinten in die Beine. Weise kommt dadurch zu Fall und muß mit einem Achillessehnenanriß verletzt von Platz getragen werden.
Anhang 2: Verwendete Ursachenerklärungen ISK: (internal, stabil, kontrollierbar) Dieses harte Einsteigen ist mir bei dem Schneider in der letzten Zeit häufiger aufgefallen. Der ist auch nicht mehr so oft beim Training erschienen. Das mit dem Foul an Weise kam deshalb, weil der Schneider die fehlende Technik durch besonderen kämpferischen Einsatz wieder wettmachen wollte. ISN: (internal, stabil, nicht kontrollierbar) Der Schneider ist doch überall bekannt dafür, daß er gerne mal härter hinlangt. 13 gelbe und zwei rote Karten - was soll man dazu noch weiter sagen? Ich hab dem schon ein paarmal gesagt, er soll nicht immer so reinhauen, aber das hat wohl nicht genutzt. Der ist eben ein Treter, ein ganz harter Brocken, und der kann nicht anders.
IVN: (internal, variabel, nicht kontrollierbar) Ich glaube, das war heute nicht Schneiders Tag. Bei dem hat ja absolut nichts geklappt. Und dann auch noch dieses blöde F o u l . . . Normalerweise hätte der den Weise vom Spielerischen und Technischen her voll im Griff gehabt. Aber heute, da war der schon seit der ersten Minute nervös und mit den Gedanken irgendwie woanders. Da ist dem das mit dem Foul halt passiert. Ich versteh das auch nicht. ESK: (external, stabil, kontrollierbar) Wenn ich ehrlich sein soll: Bei derartigen Fouls macht sich noch die harte Linie meines Vorgängers in diesem Verein bemerkbar. Der hatte von den Spielern bedingungslosen Einsatz bis zum Letzten verlangt, sogar im Training. Wer da nicht mitgemacht hat, der konnte sich gleich nach einem neuen Verein umsehen. Das steckt halt in manchem Spieler noch drin. ESN: (external, stabil, nicht kontrollierbar) Gegen so gute Mannschaften wie Mainz bleibt uns gar nichts anderes übrig. Bei der technischen Überlegenheit und den spielerischen Möglichkeiten von denen, da haben wir doch nur eine Chance, wenn wir kämpfen bis zum Umfallen. Da passieren eben auch mal Fouls. Aber ohne bedingungslosen Einsatz könnten wir die Punkte gegen solche leistungsstarken Teams gleich verschenken. EVK: (external, variabel, kontrollierbar) Die Mainzer sind im Verlauf des Spiels immer stärker geworden. Die haben heute gekämpft, wie ich es bei denen noch nicht gesehen habe. Dazu kommt, daß der Schiedsrichter uns in einigen Situationen klar benachteiligt hat. Nach meiner Meinung war also heute eindeutig der Heimvorteil für Mainz ausschlaggebend. In so einer Atmosphäre kommt dann schon mal das eine oder andere Foul vor. EVN: (external, variabel, nicht kontrollierbar) Zu dem Foul kann ich nur sagen: Gucken Sie sich die Platzverhältnisse an! Durch den Regen heute morgen ist der Platz doch matschig und unberechenbar geworden. Von kontrolliertem Spiel kann unter solchen Bedingungen wohl keine Rede mehr sein. Da ist beim Kampf um den Ball auch immer Glück im Spiel. Das Foul vorhin war völlig unabsichtlich.
B
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Meeus/Raaijmakers: Autoritätsgehorsam
Autoritätsgehorsam und persönliche Haftung Administrative obedience and legal liability WIM MEEUS & QUINTEN RAAIJMAKERS
Universität Utrecht
Zwei Experimente wurden durchgeführt, um die Frage zu klären, ob Versuchsteilnehmer einem Versuchsleiter auch dann Gehorsam leisten, wenn sie für die Konsequenzen ihres Handelns verantwortlich sind und wissen, daß das Opfer gegen sie strafrechtliche Schritte einleiten kann. Folgen die Probanden den Instruktionen, wenn dies negative Auswirkungen für sie selbst haben könnte? Das Paradigma des administrativen Gehorsams wurde zur Beantwortung dieser Frage herangezogen. In Experiment 1, «Persönliche Haftung», wurde erheblich geringerer Autoritätsgehorsam beobachtet als im Basisexperiment zum administrativen Gehorsam. In Experiment 2 zeigten diejenigen Probanden, die nicht für die Konsequenzen ihres Handelns verantwortlich waren, größeren Gehorsam als die, die persönlich haftbar waren. Diese Ergebnisse belegen, daß der schwächste der am Experiment Beteiligten, nämlich das Opfer, durch Verweis auf geeignete Rechtsgrundsätze einen die Autorität des Versuchsleiters übertreffenden Einfluß geltend machen konnte. Der extreme Autoritätsgehorsam, wie er in MUQRAMS Experimenten und in unseren Untersuchungen zum administrativen Gehorsam auftrat, wird durch unsere neuen Befunde einer weiteren Klärung entgegengebracht. Die Versuchsteilnehmer sind grundsätzlich in der Lage, der Autorität des Versuchsleiters zu widerstehen, jedoch entscheiden sie sich unter den Bedingungen der Basisexperimente nicht dazu.
TWo experiments were conducted to ascertain whether subjects obey an experimenter when they are liable for the consequences of their actions and they are aware that the victim may take legal steps against them. Do subjects carry out instructions if this could result in negative legal consequences for themselves? The paradigm of administrative obedience was used to study this question. In experiment 1, «Legal liability», the level of obedience was found to be considerably lower than in the baseline experiment on administrative obedience. In experiment 2, obedience was greater in the condition in which the subject was not legally answerable for the consequences of the procedure than in the condition in which he was legally liable. These results showed that the least powerful party in the obedience experiment, namely the victim, derived an influence from legal rules that was strong enough to outweigh the influence of a scientific authority. Also, the results shed fresh light upon the extreme obedience found in MILORAM'S experiments and in our experiments on administrative obedience. Subjects are capable of resisting the experimenter's authority if they wish, but they choose not to in the baseline experiments.
Einleitung
suchsleiter gegebenen Instruktion, teilten also schließlich 450-Völt-Schocks aus. Durch physische Nähe erlangte das Opfer einen größeren Einfluß; wenn es sich im gleichen Raum aufhielt oder wenn der Proband aufgefordert wurde, das Opfer während des Austeilens der Elektroschocks festzuhalten, nahm der Anteil der autoritätsgehorsamen Versuchsteilnehmer ab. Die Opfer in derartigen Experimenten könnten weitere, nicht-körperliche Mittel einsetzen, um die Versuchspersonen dazu zu bewegen, nicht weiter den Anweisungen des Versuchsleiters Folge zu leisten. Das Opfer könnte Einfluß erlangen, indem es auf weitgehend anerkannte soziale Normen verweist, zum Beispiel auf naheliegende Rechtsgrundsätze. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Versuchsperson ein Opfer gegen dessen Willen schädigt, wenn sie in dem Glauben handelt, für ihr Tun haftbar zu sein.
MILGRAMS Basisexperiment beinhaltete zwei unterschiedliche Beziehungen: Die Versuchsperson, Y, war dem Versuchsleiter, X, untergeordnet, der sie instruierte, elektrische Schocks zu verabreichen (MILGRAM, 1 9 7 4 ) . Ferner bestand für Y eine Beziehung zum Opfer, Z, das um eine Beendigung der Schocks flehte. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Y-Z-Beziehung innerhalb des X-Y-Z-Verhältnisses und prüft die Frage, ob Z in der Lage wäre, Einfluß auf Y zu nehmen. In MILGRAMS Basisexperiment übte das Opfer nur minimalen Einfluß auf den Versuchsteilnehmer aus. Obwohl das Opfer protestierte, Schmerzensschreie ausstieß und ausdrücklich den Probanden aufforderte, das Verabreichen der Elektroschocks zu beenden, folgten 65% der Versuchsteilnehmer vollständig der vom Ver-
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Die Untersuchung von WEST, G U N N & CHERliefert einige Anhaltspunkte zu dieser Frage. Dort wurden die Versuchsteilnehmer angewiesen, einen Einbruch im Auftrag einer offiziellen Behörde, nämlich der US-Regierung, zu begehen. Der Einbruch würde helfen, einen Steuerbetrug aufzuklären. Bedingung I: Den Versuchsteilnehmern wurde zugesichert, im Fall ihrer Festnahme nicht strafrechtlich verfolgt zu werden; Bedingung II: Bei Festnahme würde ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet. Der Anteil autoritätshöriger Versuchsteilnehmer betrug 45% (Bedingung I) bzw. 5% (Bedingung II). Die Differenz ist statistisch signifikant (WEST et al., 1975, p. 5 9 ) . Der erhebliche Unterschied im Ausmaß an Autoritätsgehorsam zwischen den beiden Bedingungen entspricht dem unterschiedlichen Rechtsanspruch, den Z (durch Einbruch Geschädigter) gegenüber Y (Versuchsteilnehmer) habe. In der ersten Bedingung hätte Z keine rechtliche Handgabe gegen Y, in der zweiten Bedingung durchaus. Autoritätsgehorsam war deshalb in der zweiten Bedingung für den Versuchsteilnehmer mit einem persönlichen Risiko verbunden. Offensichtlich sperrten sich die Versuchspersonen in diesem Fall: Sie waren nicht bereit, zugunsten einer Autorität persönliches Risiko einzugehen. Dies veranschaulicht den Einfluß eines Rechtsanspruchs seitens des Opfers. In der vorliegenden Untersuchung wird dem Zusammenhang zwischen Autoritätsgehorsam und juristischer Haftung anhand eines neuen experimentellen Designs nachgegangen: das Paradigma des administrativen Gehorsams. Wie bei MILGRAM hat unser Experiment eine X-Y-ZStruktur. X, der Versuchsleiter, ist ein akademischer Forscher, Y ist die Versuchsperson und Z ein arbeitsloser Bewerber (Konföderierter). Die Universität führt angeblich im Auftrag ein Ausleseverfahren durch. Die Versuchsperson wirkt daran (einmalig) gegen Bezahlung mit. Der auszuführende Auftrag ist zweiteilig. 1. Sie nimmt einem Bewerber einen entscheidenden Test ab; sie stellt Testfragen und notiert den Score. 2. Während des Tests soll sie den Bewerber psychisch stark unter Druck setzen, indem sie nach dessen Antworten auf die Testfragen 15 sehr negative Äußerungen (Streßbemerkungen) über seine Leistungen macht. Der Versuchsperson wird mitgeteilt, dies geschehe nicht im Rahmen der StellenNICKY ( 1 9 7 5 )
ausschreibung, derentwegen sich der Bewerber gemeldet habe - dafür sei die Fähigkeit, unter großem Druck zu arbeiten, unerheblich. Vielmehr wolle der Versuchsleiter untersuchen, wie psychischer Streß Testleistungen beeinflusse. Die Situation ist so gestaltet, daß der Bewerber durch dieses Vorgehen ernsthaft benachteiligt erscheint. Weil die Versuchsperson ihn schwer unter Druck setze, sei sein Tfestergebnis ungenügend, wodurch ihm die Anstellung verwehrt werde. Im Basisexperiment zum administrativen Gehorsam wurde ein hohes Maß an Autoritätsgehorsam ermittelt: 92% der Probanden folgten uneingeschränkt den Anweisungen des Versuchsleiters (MEEUS & RAALTMAKERS, 1986). Experiment 1: Persönliche Haftung In unserem ersten Experiment wollten wir feststellen, ob die persönliche Haftung des Probanden Einfluß auf die Höhe des administrativen Gehorsams nehmen würde. Zu diesem Zweck modifizierten wir das Basisexperiment geringfügig. Der Versuchsleiter bat die Versuchsperson, eine schriftliche Erklärung zu unterzeichnen: Ihr sei bekannt, daß das Opfer Verletzungen davontragen könne, für die der Unterzeichnende die juristische Haftung übernehme. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse von WEST et al. ( 1 9 7 5 ) erwarteten wir einen niedrigeren Grad an Gehorsam als in der Basisbedingung. Methode Eine detaillierte Beschreibung des experimentellen Designs zum administrativen Gehorsam findet sich bei MEEUS & RAAIJMAKERS ( 1 9 8 6 , 1987). Die folgenden Aspekte sind hier bedeutsam. Versuchsteilnehmer. 20 Probanden, sowohl männliche als auch weibliche, zwischen 18 und 55 Jahre alt, beteiligten sich an der Untersuchung'. 1 Das zahlenmäßige Verhältnis von Männern und Frauen war in allen hier beschriebenen Untersuchungsbedingungen identisch. Auf den abhängigen Variablen ergaben sich, wie be MILGRAM (1974), keine geschlechtsspezifischen Unterschiede.
198 Durchführung Einführung. Der Versuchsleiter teilte den Versuchspersonen mit, das Psychologiesche Institut der Universität habe den Auftrag erhalten, Bewerber für die Anstellung in staatlichen und städtischen Behörden auszuwählen. Das Auswahlverfahren umfasse u.a. einen Test, dem sich jeder Bewerber unterziehen müsse. Für die Durchführung dieser Tests seien die Versuchspersonen zuständig. Der Test sei für den arbeitssuchenden Bewerber von entscheidender Bedeutung; er erhalte die Anstellung nur, wenn er erfolgreich den Test absolviere. Streßbemerkungen. Der Versuchsleiter stellte die Untersuchung folgendermaßen vor: «Obwohl dies beim Psychologischen Institut nicht üblich ist, verbinden wir das Auswahlverfahren mit einer weiteren Untersuchungsfrage, der nach dem Zusammenhang zwischen psychischem Streß und Testleistung. Die wesentliche Frage hierbei lautet: Verbessert oder verschlechtert sich die Testleistung - und gegebenenfalls in welchem Ausmaß - , wenn die Bewerber anwachsendem psychischem Streß ausgesetzt werden?» Dann erläuterte der Versuchsleiter die vom Psychologischen Institut für die Beantwortung dieser Frage entwickelte Untersuchungsmethode. «Während des Tests sollen Sie bestimmte negative Bemerkungen zum Bewerber bezüglich seiner Testleistungen äußern, und zwar 15mal. Diese Äußerungen werden den Bewerber glauben lassen, er komme mit den Testanforderungen nicht gut zurecht. Unserer Erwartung nach wird ihn das in zunehmende Spannung versetzen. Dies eröffnet uns die Möglichkeit, die Auswirkungen von psychischem Streß auf die Testleistungen zu erforschen.» Negative Konsequenzen für den Bewerber. Die negativen Folgen der Streßbemerkungen gipfelten im Scheitern des Anwärters an den Testanforderungen. Ihm waren insgesamt zehn Fehler unterlaufen, während maximal acht Fehler zulässig waren. Ohne jeden Zweifel hätte der Bewerber In allen hier referierten Experimenten zum administrativen Gehorsam wurde die Funktion des Versuchsleiters wie des Opfers von denselben Personen (männl.) übernommen. (Nähere Einzelheiten bei M E E U S & R A A I I M A K E R S , 1 9 8 6 . )
Meeus/Raaijmakers: Autoritätsgehorsam
den Test bestanden, wenn er ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre, denn im ersten Teil des Tests, in dem noch keine Streßbemerkungen fielen, machte er überhaupt keine Fehler. Proteste des Bewerbers. Besonders heftig fiel der Protest des Anwärters nach der zehnten Streßäußerung aus. Er bestand auf Unterlassung der Bemerkungen und drohte juristische Schritte gegen den Probanden an. Haftbarkeit des Versuchsteilnehmers. Nachdem der Versuchsleiter die Versuchspersonen soweit instruiert hatte, erläuterte er die persönliche Haftung folgendermaßen: «Aus einem bestimmten Grund wenden wir uns an Sie mit der bitte, den Test durchzuführen. Es gab einen Fall, wo ein Bewerber aufgrund der Behandlung, die er hier im Institut erfahren hatte, sich an das Gericht wandte und juristische Schritte gegen uns einleitete. Wir als Institution möchten ausschließen, daß wir gegebenenfalls ein weiteres Mal von einem Bewerber mit Schadenersatzforderungen in Anspruch genommen werden können.» Der Versuchsleiter bat die Versuchsperson dann, eine Erklärung zu unterzeichnen, daß sie für die Folgen des Experiments selbst die Haftung übernehmen würde. Aufforderungen durch den Versuchsleiter. Falls der Proband sich weigerte, mit den Streßäußerungen zu beginnen oder sie fortzusetzen, reagierte der Versuchsleiter mit vier in der Reihenfolge festgelegten Aufforderungen weiterzumachen. Aufklärung der Probanden. Im Anschluss an das Experiment wurden die Teilnehmer durch einen speziell geschulten Psychologen sorgfältig über den tatsächlichen Versuchsaufbau unterrichtet. Abhängige Variablen Autoritätsgehorsam. Der Gehorsam wurde auf zweierlei Weise erfaßt. Die erste Messung, absoluter Gehorsam, gibt Aufschluß darüber, ob der einzelne Proband sämtliche Streßbemerkungen äußerte oder nicht. Das zweite Maß, relativer Gehorsam, erfaßt die Anzahl der vom einzelnen geäußerten Streßbemerkungen, variiert also zwischen 0 und 15.
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Fragebogen. Nach dem Experiment, aber noch vor der abschließenden Aufklärung, äußerten sich die Versuchsteilnehmer in einem Fragebogen zu verschiedenen Aspekten des Verfahrens.
ven Gehorsams signifikant niedriger als im Basisexperiment (MANN-WHITNEY-U-Test, z = 4.22, p< 0.001).
Fragebogen. Die Versuchsteilnehmer erlebten im Verlauf der Untersuchung einen heftigen inneren Konflikt. Wie im Basisexperiment brachten sie Ergebnisse und Diskussion zum Ausdruck, daß es ihnen äußerst unangeAutoritätsgehorsam. Der prozentuale Anteil au- nehm war, Streßbemerkungen zu machen (Mittoritätshöriger Versuchsteilnehmer sowie die von telwert 1.81; Beurteilungsskala: «stark ausgeden Teilnehmern durchschnittlich (Median) ge- prägter Widerwille» ( 1 ) . . . «sehr großes Vergnüäußerte Anzahl an Streßbemerkungen zeigt là- gen» (8)). Sie war davon überzeugt, das Testerbelle 1. Die Werte im ersten Teil von Tabelle 1 ge- gebnis des Bewerbers sei durch die Streßbemerben an, wieviele Probanden nach der jeweiligen kungen ganz erheblich beeinträchtigt worden (Mittelwert 2.9; Beurteilungsskala: «ein wenig Streßbemerkung die Untersuchung abbrachen. negativ beeinflußt» (1) . . . «sehr negativ beeinDer Prozentsatz autoritätshöriger Versuchsflußt» (3)). In der Bedingung «Persönliche Hafteilnehmer lag in der Bedingung «persönliche tung» beurteilten sie den Bewerber signifikant Haftung» signifikant niedriger als im Basisexpe2 negativer als im Basisexperiment (/(39)=2.10, riment (X (l ,N = 44) = 15.36, p< 0.001). Acht p