Wohnen nach dem Krieg: Wohnungsfrage, Wohnungspolitik und der Erste Weltkrieg in Deutschland und Großbritannien (1914-1932) [1 ed.] 9783428506170, 9783428106172

Gegenstand der Arbeit sind die Darstellung und Analyse der Wohnungspolitik und der Debatten um die Wohnungsfrage im und

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Wohnen nach dem Krieg: Wohnungsfrage, Wohnungspolitik und der Erste Weltkrieg in Deutschland und Großbritannien (1914-1932) [1 ed.]
 9783428506170, 9783428106172

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THOMAS KOINZER

Wohnen nach dem Krieg

Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte In Verbindung mit Rainer Fremdling, Carl-Ludwig Holtfrerich, Hartmut Kaelble und Herbert Matis herausgegeben von Wolfram Fischer

Band 72

Wohnen nach dem Krieg Wohnungsfrage, Wohnungspolitik und der Erste Weltkrieg in Deutschland und Großbritannien (1914-1932)

Von Thomas Koinzer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Koinzer, Thomas:

Wohnen nach dem Krieg : Wohnungsfrage, Wohnungspolitik und der Erste Weltkrieg in Deutschland und Großbritannien (1914-1932) I Thomas Koinzer. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte ; Bd. 72) Zug!.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10617-2

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0588 ISBN 3-428-10617-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II

I. Wohnen im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. .. .. . . . . . . .. . . . .. .. .. .. .. . . .

24

I. Wohnungsmangel und Wohnungsbau .. .. . . . . . .. .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

b) Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

2. Mieter und Vermieter zwischen Selbstbehauptung und staatlicher Reglementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

a) Die "Fehde im Innem" - Mietunterstützung, Mieteinigungsämter und Mietgesetzgebung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

aa) Mietunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

bb) Mieteinigungsämter und Mieterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

b) Kampf den "Hunnen zu Haus"- Trennungsentschädigung, Mietstreiks und Mietgesetzgebung in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

aa) Trennungsentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

bb) Mietstreiks und Mietgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .

56

3. "Erbe" und die Politik der Bestandssicherung - Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

II. Diskurs und Politik im Krieg - Die Wohnungsfrage zwischen Propaganda und politischem Gestaltungswillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

I. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform, ihre Propaganda und die Reaktion in Staat, Militär und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

a) Der Bund Deutscher Bodenreformer und die "Kriegerheimstätten" . . . . . . . .

69

aa) Die Rezeption des "Kriegerheimstätten"-Gedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

bb) Militärführung, Wohnungsfrage und "Kriegerheimstätten" . . . . . . . . . . . . 108 cc) Staat, Wohnungsfrage und "Kriegerheimstätten" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Vom Netzwerk zum Zusammenschluß der WohnungsreformbestrebungenDie deutsche Wohnungs- und Siedlungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Der Krieg und die Wohnungsfrage . . .. . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . 146 bb) Der Deutsche Wohnungsausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . 152 cc) Die Kritik an den "Kriegerheimstätten" . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

6

Inhaltsverzeichnis 2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform, ihre Propaganda und die Herausforderungen des ,.Reconstruction after the war" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) David Lloyd George und die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform . . . . 168 b) Wohnungsreformer in den Regierungen Asquith und Lloyd George . . . . . . . . 181 c) Die Wohnungsfrage in der Beurteilung der organisierten Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform, der liberal-radikalen Presse und der Labour Party 200 aa) National Housing and Town Planning Council . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Garden Cities and Town Planning Association . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) Land Reform Movement ....... . .. .... .. ... . . . . ........ . . .. . .. .... .. .. 211 dd) Die Wohnungsfrage und die Kritik staatlicher Politik in The Nation und The New Staresman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 ee) Labour und die Wohnungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 d) Christopher Addison - Ein Minister als Streiter für die Wohnungsreform zwischen sozialem Anspruch und ministeriellen Sachzwängen . . . . . . . . . . . . . 220 3. Von der Reform und Propaganda zur politischen lnstitutionalisierung Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

111. Wohnen nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Das preußische Wohnungsgesetz von 1918 und die reichs- und bundesstaatlichen Maßnahmen zur Förderung des Wohnungs- und Siedlungswesens nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Der Beirat für Städtebau und städtisches Wohn- und Siedlungswesen . . . . . . 249 c) Der Staats- und Reichskommissar für das Wohnungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . 252 d) Kontinuität und Neubeginn - Wohnungs- und Siedlungsbau nach dem Krieg . . ................. . . ...... . ......... . . .. . . ·.· . ..... . ....... . ... . . . ... 260 e) Doch noch ,.Kriegerheimstätten"? - Ländliche Ansiedlung und die Institutionalisierung des ,.Heimstättengedankens" nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 a) Von Kommissionen und Berichten zu den Wohnungsgesetzen von 1919 . . . 308 aa) Der Bericht der Royal Commission on Housing in Scotland . . . . . . . . . . . 308 bb) Der Tudor Walters Report . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 cc) Die Wohnungsgesetze von 1919 .... . . .. ... . ............. ...... ...... . 314 b) ,.Hornes for Heroes" und die Rückkehr zum "Business as usual" - Wohnungspolitik und Wohnungsbau nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 c) Ländliche Ansiedlung von Kriegsheimkehrern und die Auswanderung nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3. Wohnungs- und Siedlungspolitik, Wohnungsbau und ländliche Ansiedlung nach dem Krieg - Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Inhaltsverzeichnis IV. Zusammenfassung

7

360

V. Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . 366

2. Zeitungen, Zeitschriften, Amts- und Mitteilungsblätter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 3. Gedruckte Quellen, Quelleneditionen, Literatur bis 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 4. Literatur ab 1940 ......... .. ............ .. ....... .. ........................... 381 Personenverzeichnis . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . .. . . .. .. . . . . . . . . .. . . .. .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . 402 Ortsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

Verzeichnis der Tabellen Tab. 1: Gesamtzahl der errichteten Wohngebäude und Wohnungen im Deutschen Reich von 1912-1916 (45 deutsche Städte über 50.000 Einwohner) . . . . . . . . .

27

Tab. 2: Entwicklung des Kleinwohnungsbaus 1905- 1916 in 40 englischen und walisischen Städten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

Tab. 3: Mietausfallstatistik für die Monate August, September und Oktober 1914 in Berlin für Wohnräume in 10.819 Häusern....... . . . . .. . ........ . ..... . . . . . . ..

39

Tab. 4: Höhe der wöchentlichen Unterstützung im Vergleich zum Einkommen von Frauen und Männem in ausgewählten Branchen (Angaben in shillings und pence) und Index der Lebenshaltungskosten in Großbritannien 1914 bis 1919

55

Tab. 5: Zahl der Wohnungssuchenden und der angemeldeten Wohnungen in Dresden zwischen Juli 1920 und August 1921 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269

Tab. 6: Übersicht über die seit Kriegsende bis zum 30. Juni 1921 im Deutschen Reich begonnenen Wohnungen vom 25. August 1921 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

274

Tab. 7: Bau von Wohngebäuden und Wohnungen im Deutschen Reich von 19191924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276

Tab. 8: Verteilung der Bautätigkeit in Berlin nach Bauträgem 1919 - 1928 . . . . . . . . . . .

278

Tab. 9: Anteil des Hoch- bzw. Flachbausam Wohnungsneubau in Berlin 1924 - 1930

280

Tab. 10: Übersicht über die unter Mitwirkung der Wohnungsfürsorgegesellschaften errichteten Einfamilienhäuser in Deutschland ( 1931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

301

Tab. 11: Kostenschätzung des LGB für das Wohnungsbauprogramm 1919- 1922 (England und Wales) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

322

Tab. 12: Schätzungen des LGB für die vom Staat den Lokalverwaltungen und PUS zur Verfügung zu stellenden finanziellen Beträge (England und Wales, Angaben in Klammem für PUS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

322

Tab. 13: Wohnungsbau der verschiedenen Bauherren in England und Wales 19201925 (in Tausend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

334

Tab. 14: Londoner Gartenvorstädte seit 1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

335

Abkürzungsverzeichnis BarchB BarchK BOB BLHA BLO BLPES GCTPA GLRO GstaB

IWM LarchB LGB LHC NHTPC PRO PUS

Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Koblenz Bund Deutscher Bodenreformer Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam Bodleian Library Oxford British Library of Political and Economic Science, London School of Economics and Political Seiences Garden Cities and Town Planning Association Greater London Record Office Geheimes Staatsarchiv Berlin Imperial War Museum London Landesarchiv Berlin Local Govemment Board Liddei Hart Centre for Military, Archives King's College London National Housing and Town Planning Council Public Record Office London Public Utility Society

Einleitung Wohnen nach dem Krieg ist die historiographisch gewandelte Formel für die Darstellung und Analyse von Anspruch und Umsetzung eines menschlichen Grundbedürfnisses unter den Bedingungen des Ersten Weltkriegs für die Zeit nach dem Krieg. Als gesellschaftliche Kategorie ist Wohnen zu jeder Zeit "soziales Totalphänomen" und "anthropologische Grundkonstante", ist Menschsein selbst, Spiegel individueller subjektbezogener Umwelt und deren Abbild. Es ist ein zeitunabhängiges Bedürfnis, das, als soziales Interaktionsfeld begriffen, mit der beschriebenen materiellen Umwelt in Beziehung steht. Wohnen ist eine Form soziokulturellen Handelns, bei der nach Handlungsträgern, Handlungsräumen und Handlungszeiten differenziert werden kann. Es wirkt auf die überindividuellen Normen bzw. psychisch-subjektiven Werthaltungen. Als soziale Interaktionsbereiche sind Wohnen und das Wohnerlebnis sowohl Daseinsform als auch Erwerbsform, Reproduktion der Arbeitskraft, Konsumtion, Herrschaftsform, soziales Statussymbol, d. h. Ausdruck sozialer Gruppen- bzw. Schichtidentifikation, Sozialisation und Enkulturation. Zudem wirken jene Normen und Werthaltungen, Wahrnehmungen und Identifikationen auf das Wohnen selbst zurück. 1 Wohnen als komplexes Phänomen (eng!.: housing) ist auch und gerade Teil der politischen und ökonomischen Sphären, ist Wohnungspolitik und Wohnungsmarkt, ist Wohnungsbau vom Kleinhaus bis zum vielstöckigen Wohnhaus. Diese Dimensionen des Wohnens kumulierten in den zahlreiche gesellschaftliche Bereiche einschließenden Debatten um die Wohnungsfrage, der Frage danach, wie der Mensch (der i. d. R. unterbürgerlichen Schichten) wohnen soll und wer dafür Verantwortung zu tragen habe. Die Thematisierung der Wohnungsfrage, als Teil der sozialen oder Arbeiterfrage zeitigte Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und Großbritannien nahezu zeitgleich ihren ersten Höhepunkt. Das Wohnen, welches die Wohnungsfragedebatten dominierte, fand seinen Ausdruck in engen, unhygienischen und überbelegten innerstädtischen Wohnquartieren, in denen die vom Land in die sich industrialisierenden Städte zuwandernden Arbeiter und Arbeiterinnen unterkaI Vgl. Teuteberg, Hans J., Betrachtungen zu einer Geschichte des Wohnens, in: Ders., Homo habitans, Münster 1985, S. 1 f. ; Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte. 1866-1918, Bd. I, München 1990, S. 136-150; Daunton, M. J., Housing, in: The Cambridge socia1 history of Britain 1750-1950, Vol. 2, Cambridge 1990, S. 195-250; Triebe/, Armin, Variations in pattems of consumption in Gerrnany in the period of the First World War, in: Wall, Richard; Winter, Jay (Ed.), The upheaval of war, Cambridge 1988, S. 159 -195; Saalfeld, Diedrich, Die Mieten und Wohnungsausgabe der privaten Haushalte in Deutschland 1880- 1980, in: Schulz, Günther (Hrsg.), Wohnungspolitik im Sozialstaat, Düsseldorf 1993, S. 201 - 221.

12

Einleitung

men? Die Konjunkturen im Wohnungsbau standen einerseits hinter denen der die Industrialisierung befördernden Zyklen zurück, so daß der Bau von Wohnungen für diese Bevölkerungsgruppe mit den Zuwanderungswellen nicht kongruierte. Andererseits führte der Wohnungsbau in den prosperierenden Städten und Regionen zur Verdichtung des Wohnens und der Bevölkerung. Steigende Grundstückspreise beförderten die "Bodenverwertung", in deren Ergebnis eine noch engere Bebauung vorgenommen wurde. Diese Verdichtung, vor allem in den ohnehin "schlechten" Vierteln, brachte soziale, gesundheits- und damit gesellschaftsgefährdende Zustände hervor, die eine Intervention von außen, von kommunalen, staatlichen und privaten Initiativen beförderte. Diese Eingriffe verbanden die Interessen der städtischen und bürgerlichen Hygienisierung mit einer philanthropischen Verantwortung, die über die Reform des Arbeiter- und Kleinwohnungswesens auf eine "staatsbürgerliche" Integration der Arbeiterschaft zielte. Selbstschutz und Fremddisziplinierung, gemischt mit der Erziehung zum und einer Kontrolle des "besseren" Wohnens und die Beförderung von "Selbsthilfe" waren die äußeren Zeichen dieser Einmischung bis 1914. 3 Die Debatten um die Lösung der Wohnungsfrage, um Wohnungsangebot und Wohnungsausstattung, Wohnverhalten, Wohnungsbau und dessen ökonomisch-so2 Die ländliche Wohnungsfrage, das Vorhandensein von schlechten bzw. zu wenigen Landarbeiterhäusern beförderte oft die Abwanderung vom Land und fand deshalb in den wohnungsreformerischen Debatten ihren Berücksichtigung. Vgl. Gau/die, Enid, Cruel Habitations, London 1974, S. 21-69; Kapitel II und 111 der vorliegenden Arbeit. 3 Vgl. u. a. Engels, Friedrich, Zur Wohnungsfrage, in: Marx, Kari/Enge1s, Friedrich, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. I, Berlin 1976, S. 516-602; Zimmermann, Clemens, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik, Göttingen 1991; Witt, Peter-Christian, Die Wohnverhältnisse der Arbeiter, Angestellten und Unterbeamten der Stadt Harburg am Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Treue, Wilhelm (Hrsg.), Geschichte als Aufgabe, Berlin 1988, S. 603-628; Tarn, John N., Five per cent Philanthropy, Cambridge 1973; Burnett, John, A social history of housing 1815-1985, London I New York 1986; besonders S. 3 -139; Whelan, Roben (Ed.), Octavia Hill and the social housing debate, London 1998, vor allem Einleitung und S. 43 -64; Reulecke, Jürgen, Die Politik der Hygienisierung, in: Behnken, lmbke (Hrsg.), Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozeß der Zivilisation, Opladen 1990, S. 13 - 25; Rodrigues-Lores, Juan, Stadthygiene und Städtebau am Beispiel der Debatten im Deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege 1868-1911, in: Reulecke, Jürgen/Castell Rüdenhausen, Adelheid Gräfin zu (Hrsg.), Stadt und Gesundheit, Stuttgart 1991, S. 63- 75; Fisch, Stefan, Die zweifelhafte Intervention der Städte, in: Ebenda, S. 91-104; Weindling, Paul, Degeneration und öffentliches Gesundheitswesen 1900- 1930: Wohnverhältnisse, in: Ebenda, S. 105 -113; Tennstedt, Florian, Vom Proleten zum Industriearbeiter, Köln 1983, S. 135143, 368 - 377; Suttcliffe, Anthony, Stadtpolitik und städtische Umwelt in Großbritannien zwischen 1875 und 1900, in: Rodriguez-Lores, Juan/Feh1, Gerhard (Hrsg.), Städtebaureform 1865-1900, Harnburg 1985, S. 59-90; Tilly, Charles H., Wohnstandard und Wohnkonjunktur. Einführung, in: Teuteberg, Hans Jürgen, Homo habitans, Münster 1985, S. 223-226; Wohl, Anthony S., The housing of the working classes in London 1815- 1914, in: Chapman, Stanley D. (Ed.), The history of working class housing, Newton Abbot 1971, S. 13-54; Butt, John, Working-class housing in Glasgow 1851-1914, in: Ebenda, S. 55-92; Beresford, M. W., The back-to-back house in Leeds 1787 - 1937, in: Ebenda, S. 93 -132; Gauldie, S. 73 141; Daunton, M. J., House and Horne in the Victorian City, London 1983.

Einleitung

13

ziale Grundlagen und die Schaffung von bedürfnisgerechtem und bezahlbarem Wohnraum für die "arbeitenden Klassen" hatten in Deutschland und Großbritannien vielfältige Beteiligte und nahmen zahlreiche Richtungen. Vorwiegend männliche, bürgerliche Sozialreformer, Ökonomen, Architekten, Ärzte, Sozialhygieniker, Siedlungs- und Bodenreformer beteiligten sich an ihnen. Die Wohnungsfragedebatten waren geprägt von Begriffen wie Volksgesundheit, individueller und kollektiver Leistungsfähigkeit sowie familiärer Qualität und Stabilität und orientierten sich an bürgerlich-moralischen Maßstäben. Das romantisierte "Kleinhaus mit Garten" und die Ablehnung der die "natürliche" Entwicklung von Individuum, Gesellschaft und Nation negativ beeinflussenden Zustände in den anwachsenden Städten waren wichtige Eckpunkte dieser Debatten. 4 Politische, staatliche Lösungsansätze waren in Deutschland und Großbritannien bis 1914 selten. Der Staat verstand die Lösung der Wohnungsfrage nicht als seine Aufgabe und zog sich auf die begrenzten, unterschiedlich stark ausgeprägten kommunalen Vorstöße zurück bzw. erließ entsprechende Rahmengesetze von beschränkter Wirkung. Kommunale Wohnungspolitik beruhte in Deutschland, im Gegensatz zu britischen Städten und Gemeinden, auf der hervorgehobenen politischfiskalischen Stellung der Kommunen und war abhängig vom sozialen Problembewußtsein der Stadträte und Gemeindeparlamente. Bau- und Raumordnungsgesetze zeugten von öffentlichen Eingriffen in das marktwirtschaftlich bestimmte Wohnungswesen. "Baupolizeiordnungen" waren lokale Anstattwohnungsgesetze, deren Schwerpunkt die Verminderung von zusätzlicher, innerstädtischer Verdichtung vor dem Hintergrund des Brand- und Gesundheitsschutzes war. In Großbritannien zeigte der Staat zurückhaltend Präsenz, als er 1868 den Artisan and Labourers' 4 Vgl. u. a. Berger-Thimme, Dorothea, Wohnungsfrage und Sozialstaat, Frankfurt a. M./ Bem 1976, S. 37 -131; Bullock, Nieholast Read, James, The Movement for Housing Reform in Germany and France 1840-1914, Cambridge 1985 S. 13-276; Zimmermann, Clemens, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik, S. 29 - 50, 60 - 78, 131-166; Ders., Wohnen als sozialpolitische Herausforderung, in: Reulecke, Jürgen (Hrsg.), Geschichte des Wohnens, Band 3, Stuttgart 1997, S. 503-634; Nömberg, Hans-Jürgen/Schubert, Dirk, Massenwohnungsbau in Hamburg, Berlin 1975, S. 49-53; Lemke, Gundela, Wohnungsreformerische Bestrebungen in Braunschweig 1850- 1918, Braunschweig 1995, S. 41- 116; Walther, Sigrid, Der Garten, in: Lepp, Nicola/Roth, Martin/Vogel, Klaus (Hrsg.), Der neue Mensch, Ostfildem 1999, S. 142-172; Linse, Ulrich, Völkisch-rassische Siedlungen der Lebensreform, in: Puschner, Uwe I Schmitz, Walter I Ulbricht, Julius H. (Hrsg.), Handbuch der "Völkischen Bewegungen" 1871-1918, München 1996, S. 397 -410; Merrett, Stephen, State housing in Britain, London 1979, S. 3 - 30; Holmans, A. E., Housing policy in Britain, London 1987, S. 21 - 53. Zur Wohnungsfrage aus sozialistischer I sozialdemokratischer Sicht zwischen Engels "Lösung durch Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise" und Bebeis "Wohnen im Zukunftsstaat" vgl. Engels, Zur Wohnungsfrage; Schmitz, Gerhard (Hrsg.), Wohnung, Siedlung, Lebensweise, Berlin 1980; Bebet, August, Die Frau und der Sozialismus, Berlin 1954, S. 563 - 566; Rohls, Horst W., Bebeis literarischer Entwurf vom Wohnen und Siedeln im Zukunftsstaat, in: Mühlberg, Dietrich /Rosenberg, Rainer (Hrsg.), Literatur und proletarische Kultur, Berlin 1983, S. 224-242; Ratz, Ursula, Arbeiteremanzipation zwischen Kar! Marx und Lujo Brentano, Berlin 1997, S. 168-188; Berger-Thimme, S. 133-146.

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Einleitung

Dwelling Act erließ, der 1879 und 1882 modifiziert wurde, und den Gemeinden gestattete, Häuser und Wohnungen abzureißen, die als "unfit for human habitation" eingestuft wurden. Ein Anisans and Labourers' Dwellings Improvement Act wurde 1875 erlassen. Er erlaubte die Sanierung, d. h. den in der Regel ersatzlosen Abriß ganzer Viertel mit schlechten Wohnungen. Im Jahr 1890 wurden beide im Housing of the Working Classes Act zusammengefaßt, der 1909 und 1914 novelliert wurde. Seine Bestimmungen erlaubten den Gemeinden wohnungspolitische Interventionen und eigenständigen (sozialen) Wohnungsbau, machten diese aber nicht zur Pflicht, so daß sie Ausnahmen und auf wenige Kommunen beschränkt blieben. 5 Das Wohnen im Krieg, die Wohnungsfrage zwischen nationaler innerer Befriedungspolitik und gewachsener sozialer Verpflichtung stellte die staatliche und kommunale Zurückhaltung in Frage. (Gutes) Wohnen als "heimatliches Rückzugsfeld" und ,,kraftspendender Quell" wurde zum festen Bestandteil nationaler Wehrhaftmachung und -haltung und reihte sich in den Kanon der sozialen und ökonomischen Erfordernisse der Kriegsgesellschaften Deutschland und Großbritannien ein. Der Erste Weltkrieg war ein totaler Krieg und forderte die ganze Gesellschaft. Total bedeutete die wirtschaftliche, kommunikative und soziale Ausrichtung der gesamten Gesellschaft, aller Klassen, Schichten und Milieus auf die militärischen Erfordernisse, auf den Sieg. Der Krieg beendete das "lange 19. Jahrhundert" (Eley) und markierte den Beginn des ,,Zeitalters der Extreme" (Hobsbawm). Ihm folgte eine Welle von Veränderungen institutioneller und politischer Strukturen und Normen in den beteiligten Ländern, die wiederum mit Veränderungen gesellschaftlicher und individueller Hoffnungen, Erwartungen und Sehnsüchte einher gingen. Der Erste Weltkrieg war Ausdruck und Ursache sozialen Wandels zugleich. Er veränderte die sozialen Beziehungen innerhalb der kriegsteilnehmenden Gesellschaften auf vielfältige Art und Weise. Dazu zählte die Erwartung, daß der Staat in einem starken, bisher nicht gekanntem Maß als Fürsorge- und Verantwortungsstaat begriffen wurde. Gleichzeitig veränderte der Krieg das Verhältnis Staat und Individuum derart, daß Dienst für und Entlohnung durch den Staat verknüpft wurde mit der Vorstellung von gleichen Freiheits- und Wohlstandsrechten. Schließlich beeinflußte der Krieg individuelle Lebensentwürfe, die in einer Zeit tiefer menschlicher Erschütterungen, das Überleben des Einzelnen oft nur erträglich schienen ließen in der Erwartung an ein gänzlich anderes danach, ein besseres, Strahlenderes Leben. "Making men think" war das, was der Krieg allgemein bewirkte, wie der englische s Die ersten beiden Gesetze in Großbritannien wurden auch Torrens und Cross Acts nach ihren Hauptinitiatoren genannt. Vgl. u. a. Lowe, Stuart, Introduction, in: Ders./ Hughes, David (Ed.), A new century of social housing, Leicester 1991, S. 1- 12; Morton, Jane, The 1890 Act and its afterrnath, in: Ebenda, S. 13- 32; Bullock, Nicholas, Zum englischen Arbeiterwohnungsgesetz vom 18. August 1890, dessen praktische Anwendung und Rezeption in Deutschland, in: Rodrigues-Lores, Juan I Fehl. Gerhard (Hrsg.), Die Kleinwohnungsfrage, Harnburg 1988, S. 363-372; Niethammer, Lutz, Kein Reichswohnungsgesetz!, in: Ebenda, S. 52 - 73; Saldem, Adelheid von, Kommunale Wohnungs- und Bodenpolitik in Preußen 1890- 1914, in: Ebenda, S. 74 - 94.

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Autor J. L. Harnrnond, der im Frühjahr 1917 Lesereisen an die Westfront und zu Einrichtungen des Young Men's Christian Association (YMCA) für Verwundete unternahm, von Soldaten zu hören bekam. Harnmond faßte die Eindrücke seiner Besuche und die Gespräche mit Soldaten in einem Bericht an das Army Demobilisation Cornmittee zusammen. Er bemerkte, daß die Soldaten es als selbstverständlich annehmen würden, daß dem Krieg drastische gesellschaftliche Veränderungen folgen müßten, einschließlich einer "ambitionierten, konstruktiven Wohnungspolitik".6 Was der Staat im Krieg zu leisten vermochte, sollte sich erst recht im darauffolgenden Frieden beweisen. Dabei kam dem Wohnen, der Wohnungspolitik in einer Zwitterstellung von Real- und Symbolpolitik eine besondere Rolle zu. Eine sinnlich und realiter "erfahrbare" Wohnungspolitik, ihren Ausdruck im Bau von öffentlich geförderten, bedürfnisgerechten und billigen Wohnungen und Häusern findend, stand für die Beibehaltung bzw. Rückkehr zu innerer Stabilität und Geborgenheit sowie für die gewachsene Verantwortung des Staates und die weitere Gestaltung und den Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Der Erste Weltkrieg beeinflußte die Wohnungsfrage und Wohnungspolitik derart, daß die Debatten darüber und die Pflichten des Staates dabei in einen breiten öffentlichen, politischen und ökonomischen Zusammenhang gestellt wurden. Mit dem Krieg kumulierte die Wohnungsfrage zu einem Problernkomplex ökonomischer, sozialer, moralisch-religiöser, nationaler und militärischer Dimensionen. Von der individuell-gesundheitlichen und ökonomischen Variable, die auf "minderbemittelte" Bevölkerungsschichten in den Städten und auf dem Land beschränkt war, wurde die Wohnungsfrage nun zu einer politischen, staatlichen und gesamtgesellschaftlichen Aufgabenstellung. Aus der Arbeiterfamilie in der engen, dunklen Kellerwohnung wurde die "Kriegerfamilie" in ihnen "unwürdigen" Wohnverhältnissen; Bewohner von großstädtischen Slums und Arbeiterbezirken wurden zu "Helden in Feldgrau" und "Vaterlandsverteidiger", die an der Front "Übermenschliches" leisteten. Innerhalb der deutschen und britischen Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform dieser Zeit wurde deutlich artikuliert, daß die Heroen und Heroinnen des Krieges, des unermüdlichen Kampfes gegen "den Feind draußen" und in der Kriegswirtschaft daheim, nicht wieder in die Normalität dunkler, enger und feuchter Wohnungen zurückkehren sollten. Ihre Propaganda und Agitation bzw. Einbindung in politische Entscheidungsebenen richtete sich zwischen 1914 und 1918 auf die breite, sinnstiftende Vermittlung von individuellen und kollektiven Erwartungshaltungen an das Wohnen nach dem Krieg. Der Krieg wurde dabei oft als Katalysator und Chance zugleich begriffen, die Wohnungsfrage endgültig einer Lösung zuzuführen. Der Krieg und das "Kriegsereignis" haben in beiden Ländern die Debatte um die Wohnungsfrage stark beeinflußt. Sie waren der äußere Rahmen, der die Aus6 PRO London, RECO I I 837, ohne Bl.-Nr.: Report by Mr. J. L. Harnmondon his visit to the carnps and YMCA at home.

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einandersetzung um Markt- oder Staatssteuerung des Wohnungswesens eine neue Qualität verlieh. Der Krieg brachte einerseits eine neue "Versorgungsklasse", die Kriegsteilnehmer und ihre Familien hervor, die staatliche Verantwortung einzuklagen bereit war. Andererseits fand die Sprache des Krieges, das "Heldenhafte" dieser "großen Zeit" Eingang in die wohnungsreformerischen Debatten. Die Forderungen der Reformbewegungen wurden auf eine neue Stufe gehoben, indem sie Wohnungsfrage, Kriegserfolg und die Erwartungen an eine "bessere" Nachkriegszeit untrennbar miteinander verbanden. Die Kriegszeit und die politischen Vorbereitung auf die Nachkriegszeit wurden von der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform in beiden Ländern zur entscheidenden Chance stilisiert, die Wohnungsfrage als gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbereich zu begreifen. Die vorliegende Arbeit fragt, dabei Deutschland und Großbritannien vergleichend in den Blick nehmend, nach den Erscheinungen dieser Vermittlungstätigkeit, ihren Verläufen, Akteuren und Ergebnissen im Krieg und in den ihm folgenden Jahren. Im Mittelpunkt stehen vor allem zwei Phänomene, die sowohl die öffentlichen als auch die politischen Debatten zur Wohnungsfrage im Krieg und ihrer Lösung danach bestimmen. Einen Schwerpunkt des deutschen Diskurses in der Kriegszeit bildeten seit 1915 die "Kriegerheimstätten", die der Bund Deutscher Bodenreformer (BDB) lancierte und eine Bewegung zur massenweise Errichtung kleiner Siedlungshäuser ins Leben rief. Kleinhäuser für Kriegsheimkehrer sollten als Symbol staatlicher, vaterländischer Dankesschuld und Anerkennung errichtet werden. Hunderttausendfach sollten Wohnungen und Häuser entstehen, die nach Jahrzehnten strukturellen Wohnungsmangels und den Entbehrungen des Krieges eine Verheißung individuellen und nationalen Glücks bedeuteten. 7 In Großbritannien fehlte eine derartig reformerische Bewegung, wie sie von den deutschen Bodenreformem ins Leben gerufen wurde. Ab 1916117 wurde hier ein "nationales Wohnungsbauprogramm" als Chiffre staatlicher Verantwortung und wohnungspolitischen Engagements entwickelt, das im Kern und als wirkungsmächtiges, nachträglich konstruiertes Bild hunderttausende "Hornes for Heroes" entstehen lassen sollte. Vor diesem Hintergrund werden die Entwicklungslinien der "Kriegerheimstätten" und "homes for heroes", deren begrifflich-programmatische Nähe zum Vergleich herausfordert, zum einen nachgezeichnet und analysiert. Zum anderen wird ihre Genese im Spiegel der zeitgenössischen Kritik durch Öffentlichkeit und Politik dargestellt. Schließlich wird nach den Ergebnissen in gebauter Form gefragt, die derartige Initiativen hervorgebracht haben. Vor diesem Hintergrund stehen der Arbeit folgende Fragen voran: a) Für die Darstellung der Entwicklungen in Deutschland: Ausgehend von der These, daß die deutsche Wohnungspolitik bis zum Ausbruch des Krieges von einer reichsstaatlichen Zurückhaltung bzw. von bundesstaatlichem und gemeindlichem 7 Zur theoretischen Begründung von Propaganda als Sinnstiftung vgl. Daniel, Ute / Siemann, Wolfram (Hrsg.), Propaganda, Frankfurt a. M. 1994, Einleitung, S. 7- 20; Weinroth, Michelle, Reclaiming William Morris, Montreal 1996, S. 24 - 49.

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Eigeninteresse mit Fürsorgecharakter gekennzeichnet war, wird gefragt, wie zur Bewältigung der neuen Beziehung Krieg und Wohnungsfrage von Seiten der deutschen Reichsregierung, der Bundesstaaten und Gemeinden reagiert wurde? Mit welchen Ergebnissen wurde mit den Mitteln des Mieterschutzes, der Mietkontrolle und sogenannter Zwangsmaßnahmen Wohnungspolitik formuliert und durchgesetzt? Welche Rolle spielten dabei die ab Ende 1914, erst in den Bezirken einzelner Generalkomrnandos, ab Juli 1917 reichsweit eingerichteten Mieteinigungsämter, die nach Anrufung durch Mieter oder Vermieter über die Zulässigkeit von Wohnungskündigungen und Mieterhöhungen entschieden? Auf welche Initiativen beschränkte sich das wohnungspolitische Engagement der Bundesstaaten und Gemeinden im Krieg? Welche wohnungspolitisch-perspektivischen Vorstöße wurden im Reichstag unternommen? Welche Rolle spielte das preußische Wohnungsgesetz vom März 1918 hinsichtlich seiner symbolischen und tatsächlichen Bedeutung bei der Lösung der Wohnungsfrage? Welches Ausmaß und welche Wirkungen hatte das Eindringen siedlungs-, wohnungs- und bodenreformerischen Debatten in die Formulierung und Ausführung der Nachkriegswohnungspolitik? b) Für die Darstellung der Entwicklungen in Großbritannien: Welche Auswirkungen hatte der Krieg auf den Wohnungsmarkt und mit welchen Mitteln versuchte die Politik auf die sich verändernden Mieter-Vermieter-Beziehungen zu reagieren? In welchen politischen Initiativen und (staatlichen) Strukturen wurde sich auf das Wohnen nach dem Krieg vorbereitet? Welche Rolle spielten die in den Wiederaufbaukomitees der Kriegskabinette inkorporierten Reformer? Mit welchen Ergebnissen traten derartige Gremien in den öffentlichen Diskurs um die Wohnungsfrage im und nach dem Krieg? Wie wurde im Londoner Unterhaus die Wohnungsfrage im und nach dem Krieg debattiert? Welche Positionen bezogen Wohnungs- und Siedlungsreformvereinigungen und Teile der Öffentlichkeit? Welche Grundlagen und Auswirkungen hatten die Wohnungsgesetze von 1919? Zentral für den Vergleich sind somit die Darstellung und Analyse der Wohnungsreformdebatten im Ersten Weltkrieg in Deutschland und Großbritannien, ihrer Akteure und Ergebnisse mit dem Ziel zu fragen, ob und in welchem nationalen Ausmaß der Krieg die Debatte "radikalisierte" und die Wohnungsfrage und -politik als gesellschaftliches und staatliches Handlungsfeld konstituierte. Der Vergleich soll zeigen, ob das Auftreten und das Ausmaß der wohnungspolitischen Debatten und Reformen ein nationaler Einzelfall oder für eine Kriegs- und Nachkriegsgesellschaft typisch war, was an den Ursachen von Wohnungspolitik und an den Strukturen ihre Formulierung und Durchsetzung typisch und was spezifisch war. Es ist ein analytischer Vergleich8 , in dem Debatten und Institutionen in ihren jeweils nationalen Kontexten (mit gelegentlichen Seitenblicken) gegenübergestellt werden, um zu fragen, mit welchen Intensionen und Akteuren die Wohnungsfrage einer politischen Problemlösung zugeführt wurde und welche gebauten Ergebnisse 8 Vgl. Kaelble, Hartmut, Der historische Vergleich, Frankfurt a. M. I New York 1999, S. 48 - 55.

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die jeweiligen nationalen Strukturen hervorbrachten. Im Ergebnis wird deutlich, daß bezüglich einer Typisierung in staatsnahe und staatsferne Lösung des sozialen und ökonomischen Problems Wohnen in den Phasen des Krieges und der "Übergangszeit" danach kaum eine klare Trennung möglich ist. Das Ergebnis war der Ausbau der Sozialstaatlichkeit im Wohnungswesen in beiden Ländern, jedoch ohne diese einen allgemeinen, konstituierenden Charakter analog traditioneller Sozialstaatlichkeit (Krankheit, Alter, Unfall) annehmen zu lassen. 9 Auch eine "Vorreiterrolle" Deutschlands, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg u. a. bei der für die Wohnungsfrage relevanten Stadtplanung konstatiert wurde 10, ist bei der Wohnungspolitik und beim Wohnungsbau der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht festzustellen. Lediglich die quantitative Ausführung des Wohnungsbaus in der Nachkriegszeit, dies sei kurz angedeutet, ließ den im Krieg Unterlegenen einen Sieg davontragen. Der Vergleich der Entwicklungen in Deutschland und Großbritannien ist in seiner historischen Dimension als auch in seiner historiographischen Analyse von Bedeutung. Seit dem 19. Jahrhundert beobachteten sich deutsche und britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformer gegenseitig, nahmen Anleihen und nutzten wohnungs- und städtebauliche Ergebnisse des jeweils anderen Landes als Grundlage für eigene Ideologien und Forderungen. Ein herausragendes Beispiel ist der Einfluß der britischen Gartenstadtbewegung und das deutsche "Lob des englischen Hauses". Nach dem Motto, die Reform des jeweils anderen Landes zeige bessere Ergebnisse bzw. hätte nicht gegen die bürokratischen Beschränkungen zu kämpfen wie man selbst, wurden Bilder vom "besseren Anderen" stilisiert. Gegenseitige Bezugnahmen in einschlägigen Veröffentlichungen und die Teilnahme an internationalen Kongressen folgten.11 Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Entwicklung. Die Beobachtung indes ging weiter und zeigte zaghafte Ergebnisse in der Vorlage von offiziösen und Presseberichten über die Lage des Wohnungsmarktes und den Stand der Wohnungspolitik im jeweils anderen Land nach dem Krieg. Ende der 1920er Jahre wurden die Treffen und Kongresse wieder aufgenommen. Ein Höhepunkt der Vergleichsbetrachtungen war der Bericht des Internationalen Arbeits9 Im engen Sinne wurde Wohnen (housing) nicht als Lebensrisiko verstanden, das es zu "versichern" galt. Vgl. allgemein zu Sozialstaat, Sozialstaatlichkeit und ihren Bestandteilen Ritter, Gerhard A., Der Sozialstaat, München 1991, Einleitung. Ritter zählt zu den Aufgaben des Sozialstaates u. a. den "sozialen Wohnungsbau" (S. 16). Zur Würdigung von Wohnungspolitik als Teil deutscher Sozialstaatlichkeit vgl. Schildt, Axel, Wohnungspolitik, in: Hokkerts, Hans Günter (Hrsg.), Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit, München 1998, S. 151189, für die hier behandelte Zeit S. 151-157. to Vgl. Hennock, E. P., British Social Reform and German Precedents. The Case of Social Insurance 1880-1914, Oxford 1987, S. 21-28. tt Vgl. u. a. Muthesius, Hermann, Das englische Haus, Berlin 1911; Berlepsch-Valendas, Die Gartenstadtbewegung in England, ihre Entwickelung und ihr jetziger Stand, München/ Berlin 1912; Alter, Peter, Hermann Muthesius, in: Ritter, Gerhard A. /Wendt, Peter (Hrsg.), Rivalität und Partnerschaft, Faderborn u. a. 1999, S. 53-68; Muthesius, Stefan, Das englische Vorbild, München 1974; Posener, Julius (Hrsg.), Ebenezer Howard, Berlin u. a. 1968, S. 7-49; Hartmann, Kristiana, Deutsche Gartenstadtbewegung, München 1976, S. 15-26; Zimmermann, C1emens, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik, S. 39-47.

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amtes 1931, der den Wohnungsbau und die Wohnungspolitik zahlreicher europäischer Staaten, u. a. auch Deutschlands und Großbritanniens nebeneinanderstellte und verglich. 12 ßie Arbeit ist in drei große Abschnitte gegliedert, die jeweils die Entwicklungen in Deutschland und Großbritannien nacheinander darstellen und an deren Ende beide in vergleichender Perspektive zusammengeführt werden. Im ersten Kapitel wird die Situation auf dem jeweils nationalen Wohnungsmarkt erörtert. Zum einen wird die Kontinuität des Wohnungsmangels aus der Vorkriegszeit in zahlreichen Städten und Regionen Deutschland und Großbritanniens gezeigt, und wie im Kriegsverlauf der Wohnungsbau immer stärker rückläufig wurde. Im Ergebnis fehlten am Ende des Kriegs in beiden Ländern hundertlausende Wohnungen; Demobilmachung und Zuwanderung in die Städte mit ausgeprägtem Wohnungsmangel verschärften die Situation zudem. Zum anderen werden die Maßnahmen der Mietkontrolle, die in beiden Ländern Züge des Mieterschutzes hatten, und deren Ursachen analysiert, und in welcher Weise in Deutschland und Großbritannien finanzielle Mietunterstützung und Trennungsentschädigung als Mittel zur Aufrechterhaltung des Wohnungsmarktes eingesetzt wurden. Das zweite Kapitel thematisiert die Debatten um die Wohnungsfrage im Krieg und die perspektivische Orientierung auf die Wohnungspolitik der Nachkriegszeit. Im Zentrum der Darstellung stehen im deutschen Teil die Auseinandersetzungen um die "Kriegerheimstätten" des BDB unter Führung Adolf Damaschkes und die umfassenden wohnungspolitischen Forderungen der Wohnungs- und Siedlungsreform. Für den britischen Teil hebt die Darstellung auf die Bedeutung der Kriegskabinette unter Asquith und Lloyd George und ihr inkorporierter Persönlichkeiten (vor allem Christopher Addison) und Kommissionen ab, die wesentlich die Wohnungsreformdebatte bestimmten. Gezeigt wird, welche wohnungspolitischen Ergebnisse die starke und wirkungsmächtige Position dieser Akteure zeitigte, welche inneren Strukturen die Reform beförderten bzw. hemmten, und wie diese Ergebnisse in der Öffentlichkeit aufgenommen wurden. Im dritten Kapitel werden die wohnungspolitischen Maßnahmen im und nach dem Krieg und ihre bauliche Umsetzung bzw. die Alternativen (Auswanderung, ländliche Siedlung) dargestellt. So folgte der hektisch-euphorischen Wohnungspolitik des Jahres 1918 in Deutschland (Verabschiedung des preußischen Wohnungsge12 Vgl. u. a. Ministry of Health, Housing in Germany. Report prepared in the Intelligence Department of the Local Govemment Board, London 1919. Exemplarisch für Presseberichte Weingartz, B., Das englische Wohnungsproblem, in: Rheinische Zeitung vom 2. Januar 1926; Internationales Arbeitsamt (Hrsg.), Die Wohnungspolitik in Europa. Der Kleinwohnungsbau, Genf 1931; Internationale Kongresse für neues Bauen und städtisches Hochbauamt Frankfurt am Main (Hrsg.), Die Wohnung für das Existenzminimum, Frankfurt a. M. 1930. Vgl. zur vergleichende Forschung zur Sozialstaatlichkeit in Deutschland und Großbritannien u. a. Ritter, Gerhard a., Der Sozialstaat, S. 81 f.; Ders., Sozialversicherung in Deutschland und England, München 1983; Rieger, Elmar, Die Institutionalisierung des Wohlfahrtsstaates, Opladen 1992, Kap. 3 und 4, vor allem S. 137-150.

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setzes, Ernennung eines Staats- und Reichskommissars für das Wohnungswesen), nach Notstands- und Übergangsmaßnahmen ein umfassender Wohnungsbau, der hunderttausende Wohnungen hervorbrachte, von denen ein wesentlicher Teil unter staatlicher und kommunaler Beteiligung und durch Zurverfügungstellung umfangreicher staatlicher finanzieller Mittel entstand. In Großbritannien, so kann gezeigt werden, hatten verschiedene staatliche Kommissionen und Berichte einen großen Einfluß auf die Formulierung der Nachkriegswohnungspolitik. Diese Kommissionen, denen namhafte Sozial- und Wohnungsreformer angehörten, gaben Empfehlungen zur Novellierung bereits bestehender Wohnungsgesetze, schätzten den Wohnungsbedarf ein und legten Pläne zur Umsetzung von Bauprogrammen vor. Sie gaben wesentliche Impulse für die Wohnungsgesetze von 1919, in deren Folge Wohnungsbaumaßnahmen unter staatlicher Beteiligung geplant und ausgeführt wurden. Es wird dargestellt, welche Debatten sich um diese Prozeß entspannten und welche Ergebnisse er hervorbrachte. Abschließend wird einerseits die Wohnungspolitik und der vielfaltige Wohnungsbau in Deutschland und Großbritannien nach der jeweiligen "Not- bzw. Übergangszeit" bis zum Beginn der 1930er Jahre bewertet. Andererseits wird dargelegt, wie in beiden Ländern weite Teile des Komplexes Wohnungswesen als mehrdeutige Befriedungsstrategie im und unmittelbar nach dem Krieg hinübergeführt wurden in eine gewachsene staatliche Verantwortung bei der Lösung der Wohnungsfrage. Der Staat (Zentralstaat, Gemeinden) trat nun nicht als gänzlich neuer und rein symbolischer, aber doch als starker Akteur auf dem Wohnungsmarkt auf. Dieser (soziale) Wohnungsbau ergänzte den bisher weitestgehend privatwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarkt und stellte eine Alternative zu ihm dar. Der massenweise soziale Wohnungsbau wurde begründet. Im Ergebnis und im Wechselspiel von wohnungsreformerischem Diskurs, politischer Verantwortung und gesellschaftlichem Wandel waren in Deutschland und Großbritannien als sichtbare Zeichen zahlreiche "neue Wohnsiedlungen" entstanden, die zu den "basic social products" des 20. Jahrhunderts (Briggs) avancierten. Die Geschichte des Wohnens hat Tradition. Seit Ende der 1970er Jahre sind in Deutschland als auch in Großbritannien lokale und nationale Studien zur Wohnungsfrage, -reform, -politik, zum Wohnungsbau, seiner inneren und äußeren Gestaltung und die Beschreibung des Alltags zwischen Villen und "Mietskasernen" ein fester Bestandteil der sozial-, kultur- und stadthistorischen Forschung zum 19. und 20. Jahrhundert. Die fünf Bände der deutschen Geschichte des Wohnens, die Mitte der 1990er Jahre erschienen sind, bilden den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung. 13 Der Erste Weltkrieg wird oft als End- bzw. Ausgangspunkt der Betrachtungen gewählt; die Anfange der Wohnungsreform und -politik werden durch ihn vom Aufstieg des sozialen Wohnungsbaus in der Zwischenkriegszeit getrennt. Größere nationale bzw. lokale Studien überschreiten die "zeitliche Grenze" aber auch, bzw. es erfolgt eine epocheübergreifende Annäherung durch das Zusammen13 Für die in der Arbeit behandelte Zeit: Reulecke, Jürgen (Hrsg.), Geschichte des Wohnens, Band 3, Stuttgart 1997; Kähler, Gert (Hrsg.), Geschichte des Wohnens, Band 4, Stuttgart 1996.

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fassen von Forschungen zu einem Band, die wiederum Ausdruck der Vielfältigkeit der Studien sind. 14 Arbeiten, in denen die wohnungspolitischen Enlcwicklungen während des Ersten Weltkriegs thematisiert werden, sind seltener. Sir: analysieren einerseits die staatliche Intervention in den Wohnungsmarkt im Kri eg sowie die staatlichen Vorbereitungen auf die Nachkriegszeit oder binden andererseits di.e Wohnungsfrage in den Kanon zu lösender Nachkriegsproblem ein. 15 Die vergleichende Geschichte des Wohnens, der Wohnungsfra,ge und Wohnungspolitik in Deutschland und Großbritannien nimmt eine bislang untergeordnete Stellung ein. Nur wenige Arbeiten überschreiten die geograp hisehe Grenze, stellen die Entwicklung in beiden Ländern gegenüber und suchen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden bei den Debatten um die Wohnungsfrage und bei der Institutionalisierung staatlicher Wohnungspolitik. 16 Die vergleich( !nde Perspektive der europäischen Wohnungsgeschichte bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschränkte sich auf nationale bzw. regionale Studien, die in jevveils einem Band zusammengefaßt wurden. 17 Dem Vergleich des Wohnens, der Wohnungsreform und -politik im Ersten Krieg in Deutschland und Großbritanni·en widmeten sich nur sehr wenige Arbeiten, 18 während zahlreiche Untersuchunge·n die Wirkung des 14 Burnett; Holmans; Merrett; Saldern, Adelheid von, Häuserleber1, Bonn 1995; Führer, Kar! Christian, Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt, SLuttgart 1995; Kerner, Frank, Wohnraumzwangswirtschaft in Deutschland, Frarikfurt a. M. tl. a. 1996; Kuhn, Gerhard, Wohnkultur und kommunale Wohnungspolitik in Frankfurt am, Main 1880 bis 1930, Bonn 1998; Peterek, Michael, Wohnung, Siedlung, Stadt, Berlin 2000; Peters, Karl-Heinz, Wohnungspolitik am Scheideweg, Berlin 1984; Rudloff, Wilfried, Die Wohlfabrtsstadt, Göttingen 1998; Niethammer, Lutz (Hrsg.), Wohnen im Wandel, Wupp•ertal 1979; Melling, Joseph (Ed.), Housing, social policy and the state, London 1980. 15 Kerner; Führer; Kuhn; Rudloff,· Brandmann, Paul, Leipzig zwi:>chen Klassenkampf und Sozialreform, Köln u. a. 1998; Orbach, Laurence F., Hornes For He1roes, London 1977; Swenarton, Mark, Hornes fit for heroes, London 1981; Johnson, Paul B~.rton, Land fit for heroes, Chicago I London 1968. 16 Schubert, Dirk, Stadterneuerung in London und Hamburg, Braunschweig/Wiesbaden 1997; Teichmann, Gabriela, Britischer und deutscher Wohnungsbau in den Zwischenkriegsjabren, Frankfurt a. M. u. a. 1997; Schulz, Günther, Wohnungspolitik in Deutschland und England 1900-1933, in: Zimmermann, Clemens (Hrsg.), Europäische Wohnungspolitik in vergleichender Perspektive 1900-1939, Stuttgart 1997, S. 153-165. Harloe, Michael, The people's home, Oxford 1995 stellt beide Länder in einem, bis in die Gegenwart reichenden, typologisierenden Vergleich den Entwicklungen in Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und den USA gegenüber. Vgl. auch: Berghoff, Hartmut/Ziegler, Dieter, Pionier und Nachzügler, in: Dies. (Hrsg.), Pionier und Nachzügler?, Bochum 1995, S. 15 - 28. 17 Brunn, Gerhard/Reulecke, Jürgen, (Hrsg.), Metropolis Berlin, Bonn/Berlin 1992; Daunton, M. J. (Ed.), Housing the worker 1850-1914, London/New York 1990; Pooley, Colin G. (Ed.), Housing Strategies in Europe 1880-1930, Leicester 1992; Schulz, Günther (Hrsg.), Wohnungspolitik im Sozialstaat; Zimmennann, Clemens (Hrsg.), Europäische Wohnungspolitik in vergleichender Perspektive 1900-1939, Stuttgart 1997; Ders., Die Zeit der Metropolen, Frankfurt a. M. 1996; Alter, Peter (Hrsg.), Im Banne der Metropolen, Göttingen/Zürich 1993. 18 Magri, Susanna, Housing, in: Winter, Jay /Robert, Jean-Louis (Ed.), Capital Cities at war, Cambridge 1997, S. 374-417; Zimmermann, Clemens, Der Erste Weltkrieg und der

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Ersten Weltkriegs auf die sozialen Entwicklungen (Wohnen z. T. eingeschlossen) thematisieren. 19 Insgesamt beziehen die Foti'lchiingen zum Ersten Weltkrieg in den letzten Jahren verstärkt mentalltlits-, kultur- und sozialgeschichtliche Fragestellungen ein. Sie entfem~fi !iich damit von einer Fixierung auf die Darstellung und Untersuchung militärisch-politischer Ereignisse und lassen Raum für vergleichende Betrachtungen. Neben narrativen Großwerken in der angelsächsischen Tradition leisten jene mentalitäts-, kultur" und Sollälgesehichtliche Betrashtungen einen entscheidenden Beitrag zur Forschutigilö Quellengrundl~ d~ Vöfliegenden Arbeit waren erstens die Publikationen der Refotm.be\W~ungen im und nach dem Ersten Weltkrieg, ihre Zeitungen und Zeit-

schriften, Mitteilungsblätter und Propagandaschriften, um die verschiedenen Posi-

tionen in der Wohnungsreformdebatte zu erschließen. Um ihre Verbreitung festzustellen, wurden sie im jeweiligen nationalen Zusammenhang "gegeneinander" gelesen, d. h., ob und wie sie in den Publikationen anderer Vereinigungen, in der Presse, an der Front und in der Politik wahrgenommen wurden. Zweitens wurden zei~ttt5!!slsche Studien von ,,Fachleuten", von Architekten, Ärzten, Geistlichen, Ökonomen, Soziologen, Kommunalbeamten und Politikern verwendet, um einerseits zu fragen, ob und wie der Krieg die Wirkungsmacht d..:r sich verändernden Wohnungsfrage beeififlüßte. Andererseits gelang damit eirte kritische Auseinandersoziale WohnungsBäu, in: Hudemann, Rainer I Walter, Franyois (Sous Ia direction), Villes et guettes lli.ortdiales en Europe XX. siede, Paris I Montreal 1997, S. 51-73.\ 19 Müi'Wick, Arthur, The Deluge, Harmondsworth 1965; Ders. (Ed.), Total wat and Social Chl!llge, London 1988; Mommsen, Wolfgang, The social consequences of World War I, in: Ebenda, S. 25 -44; Ritter, Gerhard A., Der Sozialstaat, S. 103 ff.; Phillips, Gordon, The Social Impact, in: Constantine, Stephen/Kirby, Maucice W./Rose, Mary B. (Ed.), The First World War in British History, London 1995, S. 106-140; Hong, Young-Sun, The contradiction of modemization in the German welfare state, in: Social History, Vol. 17, No. 2, May 1992, S. 251-270; Koselleck, Reinhart, Der Einfluß der beiden Weltkriege auf das soziale Bewußtsein, in: Wette, Wolfram (Hrsg.), Der Krieg des kleinen Mannes, München/ Zürich 1992, S. 324- 343; Prinz, Michael/ Frese, Matthias, Sozialer Wandel und politische Zäsuren seit der Zwischellkriegszeit, in: Dies. (Hrsg.), Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert, Paderbom 1996, S. 1- 30. zo Vgl. zur Geschichte des Ersten Weltkriegs u. a. Cecil, Hugh/ Liddle, Peter H. (Ed.), Facing Armageddon, London 1996; Constantine; Kirby I Rose, The First World War in British History; Ferro, Mare, Der Große Krieg 1914-1918, Frankfurt a. M. 1988; Fussel, Paul, The Great War and modern memory, New York/London 1975; Hirschfeld, Gerhard/ Krumeich, Gerd/ Langewiesche, Dieter/ Ullmann, Hans-Peter (Hrsg.), Kriegserfahrungen, Essen 1997; Hirschfeld, Gerhard/ Krumeich, Gerdl Renz, Ina (Hrsg.), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch... , Essen 1993; Horne, John (Ed.), State, society and mobilization in Europe during the First World War, Cambridge 1997; Kruse, Wolfgang (Hrsg.), Eine Welt von Feinden, Frankfurt a. M. 1997; Herzfeld, Hans, Der Erste Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1968; Mai, Gunther, Das Ende des Kaiserreichs, Frankfurt a. M. 1987; Michalka, Wolfgang (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg, München 1994; Schulz, Gerhard, Revolutionen und Friedensschlüsse 19171920, Frankfurt a. M. 1967; Wette, Wolfram (Hrsg.), Der Krieg des kleinen Mannes, München/Zürich 1992; Wilson, Trevor, The myriad Faces of War, Cambridge 1986; Winter, Jay .M., The Great War and the British People, London 1986; Jahr, Christoph, Gewöhnliche Sold,l.ten, Gättingen, 1998; Ferguson, Niall, The Pity of War, London 1998.

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setzung mit der Ideologie und den Forderungen der an der wohnungsreformerischen Sinnstiftung beteiligten Organisationen und Persönlichkeiten. Drittens wurden die Vorstöße der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform im und nach dem Ersten Weltkrieg in die Politik und die Staatsintervention anband der Akten der mit der Wohnungspolitik betrauten Ministerien untersucht. Der ressortübergreifende Charakter der Wohnungsfrage eröffnete hier eine Fülle an Material, das zum einen das Nachzeichnen und die Analyse der Entwicklung der staatlichen Verantwortung im Wohnungswesen zuließ. Zum anderen bildeten die Akten der offiziösen Politik (Reichs- und preußische Staatsregierung bzw. britischen Zentralregierung) ein nützliches Korrektiv und Instrument, um die Verbreitung und Wirkung der reformerischen Ideen zu messen und zu werten.

Danksagung

Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2000/2001 an der HumboldtUniversität zu Berlin, Philosophische Fakultät I, Institut für Geschichtswissenschaften als Dissertation angenommen worden (Tag der Disputation: 14. Februar 2001, Dekan der Fakultät: Prof. Dr. Wilfried Nippel, Gutachter/Gutachterin: Prof. Dr. Hartmut Kaelble, Prof. Dr. Christiane Eisenberg). Für die vielfältige Unterstützung, die kritisch-hilfreichen Anregungen und die zahlreichen Hinweise möchte ich mich bei all jenen bedanken, die am Zustandekommen der Arbeit Anteil hatten: Prof. Dr. Hartmut Kaelble, Prof. Dr. Christiane Eisenberg, Prof. Dr. Lutz Raphael, Prof. Dr. Andreas Gestrich, den Kollegiatinnen und Kollegiaten des Graduiertenkollegs "Westeuropa in vergleichender historischer Perspektive" der Universität Trier, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Doktorandenkolloquiums bei Hartmut Kaelble, Prof. Dr. Adelheid von Saldern, Prof. Dr. Richard Bessel, Prof. Dr. Clemens Wischermann, Sebastian Manhart, Aribert Reimann, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Archive und Bibliotheken und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mit einem Stipendium diese Dissertation ermöglichte.

I. Wohnen im Krieg Die Annahme, daß kein Krieg wirklich "total" ist, suggeriert die Existenz von Nischen im bestehenden gesellschaftlichen System, in denen der Krieg keine oder nur eine geringe Rolle zu spielen scheint. Die Wohnung war keiner dieser unberiihrten Räume, dieser Rückzugsfelder, wenn sie überhaupt existierten, wo der Krieg vor der Tür blieb. Er kam täglich "nach Hause" mit den Briefen der Söhne und Ehemänner, Vater und Briider von der Front, in Zeitungsmeldungen, auf öffentlichen Anschlägen und Bekanntmachungen sowie über die Erfolgs- und Todesmeldungen. Der Krieg hielt auch Einzug in die Familien und Haushalte über die sich verändernden Bedingungen der Mietzahlungen, die durch den Ausfall des männlichen Hauptfamilieneinkommens auf eine neue Grundlage zu stellen waren, und die durch die Versorgungsprobleme mit Lebens- und Verbrauchsmitteln, wie etwa Kohlen und Holz zur Feuerung im Winter, noch verstärkt wurden. Haushaltungen wurden während des Krieges verkleinert, zusammengelegt oder ganz aufgegeben. Der nahezu vollständigen Einstellung des Wohnungsbaus im Verlauf des Krieges folgte die Verknappung des Gutes Wohnung, der eine die öffentliche Ruhe und Ordnung störende Wirkung beigemessen wurde. Die Anforderungen und Entbehrungen, die der Krieg an die ökonomischen und sozialen Kräfte in den beteiligten Gesellschaften stellte bzw. von diesen verlangte, gingen vor allem für große Teile der Arbeiterklasse, kleine Angestellte und Handwerker, wie Jürgen Kocka feststellte, mit "eine(r) Knappheits-, Verelendungs- und Ausbeutungssituation, wie sie seit Beginn der Industrialisierung nicht mehr existiert hat", einher. 1 Für das Wohnungswesen galt dies im besonderen.

1. Wohnungsmangel und Wohnungsbau a) Deutschland Die Verknappungen und Entbehrungen, die den deutschen Wohnungsmarkt und das individuelle Wohnen prägten, zeigten sich im Verlauf des Krieges durch teilweise gegenläufige Entwicklungen. Phänomene wie Wohnungsüberfüllungen standen der Erscheinung einer relativen Erhöhung der Leerstandsquote über 3% in zahlreichen deutschen Städten gegenüber.2 Der Kriegsbeginn im August 1914 beKocka, Jürgen, Klassengesellschaft im Krieg, Frankfurt a. M. 1973, S. 37. Zur Leerstandsquote vgl. Zimmermann, C., Von der Wohnungsfrage zur Wohnungsreform, S. 25. Zimmermann beschreibt hier die nach dem Hallenser Statistiker Hasse Mitte des I

2

1. Wohnungsmangel und Wohnungsbau

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deutete selbstverständlich nicht den plötzlichen Abbruch von wohnungswirtschaftlichen Entwicklungen der Vorkriegszeit, sondern verstärkte deren Wirkungen und Mängel sogar noch. Die strukturellen und qualitativen Mängel von großen Teilen des deutschen Wohnungsmarktes der Vorkriegszeit waren beträchtlich. Nach der Berliner Wohnungs- und Bevölkerungsaufnahme vom Dezember 1910 wohnten 68.300 Menschen (2,4% der Groß-Berliner Bevölkerung) in nur einem Zimmer, 789.000 (27,8%) in Wohnungen, die lediglich aus Küche und einem Zimmer bestanden und 940.000 (32,7%) in Wohnungen mit einer Küche und zwei Zimmern. Als überfüllt galten nach dem Statistischen Jahrbuch deutscher Städte nur solche Wohnungen, die einen oder keinen beheizbaren Raum hatten und von sechs oder mehr Menschen bewohnt wurden. 3 Das Statistische Amt Berlin zählte im seihen Jahr noch fast 20.000 solcher Wohnungen, d. h., daß etwa 140.000 Menschen, ca. 7 % der Bevölkerung, in sogenannten überfüllten Wohnungen lebten.4 Der Anteil an Wohnungen in Kellergeschossen am gesamten Wohnungsbestand nahm zwar seit der Jahrhundertwende stetig ab, doch waren in Berlin im Jahre 1910 noch 4,5 % aller Wohnungen, in Harnburg 5% und in Breslau 2,5 % Kellerwohnungen. 5

19. Jahrhunderts begründete "Hasse'sche Regel", nach der 3% Wohnungsleerstand Richtwert für eine ausreichende Wohnungsversorgung waren. Die zweite Methode zur Beurteilung der Lage auf dem Wohnungsmarkt ist die Berechnung des fehlenden Wohnraums. Diese wurde erst nach 1918 in Deutschland eingesetzt. Vgl. Führer, Kar! Christian, Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutschland 1914-1960, Stuttgart 1995, S. 27. Die Anzahlleerstehender Wohnungen im Verhältnis zum Gesamtbestand an Wohnungen hat und hatte einen eingeschränkten Aussagewert. Zum einen beschreibt diese Art der Statistik einen Wohnungsmarkt, der gekennzeichnet ist durch ein Überangebot an Wohnungen egal welcher Größenordnung und Qualität. Zum anderen läßt sich der "objektive, ... an den Bedürfnissen der Wohnungssuchenden orientierte Bedarf' nicht erfassen. Kerner, Frank, Wohnraumzwangswirtschaft in Deutschland, Frankfurt a. M. u. a. 1996, S. 41. Der objektive Bedarf, den Wohnungssuchende bzw. Mieter um 1914 zu dekken versuchten, läßt sich direkt nur schwer bestimmen. Zumal wenn es um die Deckung des Wohnungsbedarfs von großen Teilen der Arbeiterschaft und unterer Einkommensgruppen ging, also um das Angebot an billigen Wohnungen in vorwiegend innerstädtischen, fabrikund gewerbenahen Gegenden waren Begriffe wie Bedürfnisgerechtigkeit unbekannt. Welche Art von Behausungen der Markt häufig für diese Gruppe als "Wohnung" offerierte, konnte in zahlreichen Städten in den sogenannten Arbeiterquartieren erfahren werden. Doch auch in urbanen Gebieten mit einer sozialen Mischung waren dunkle und feuchte Keller- und Mansardenwohnungen bekannt. Die bekannteste zeitgenössische, deutsche Dokumentation ist die Zusammenstellung der Photographien der Wohnungs-Enquete der Berliner Ortskrankenkasse der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker von 1903 bis 1920. In: Asmus, Gesine (Hrsg.), Hinterhof, Keller und Mansarde, Reinbek 1982, S. 47-221. 3 Vgl. Schmittmann, B., Reichswohnungsversicherung, Stuttgart 1917, S. 12; Engler, Wilhelm, Wohnungsgenossenschaften gegen Wohnungsnot, Freiburg I B. 1920, S. 3 f. Die GroßBerliner Wohnungsaufnahme vom 1. Dezember 1910 umfaßte die Zählung in der Stadt Berlin und 44 Nachbargemeinden. 4 Vgl. Beier, Rosemarie, Leben in der Mietskaserne, in: Asmus, G., S. 263. s Vgl. Zimmermann, C., Von der Wohnungsreform zur Wohnungspolitik, S. 86.

I. Wohnen im Krieg

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Der dreiprozentige Leerwohnungsbestand, nach dessen Unterschreitung erst von einem Angebotsmangel auf dem Wohnungsmarkt gesprochen wurde, wies unmittelbar vor dem Kriegsbeginn starke regionale Unterschiede auf. Wahrend mehrere Großstädte, unter ihnen Berlin (4,6%), Harnburg (5,6%) und Düsseldorf (4,2%) sich durch relativ hohe Leerstandsquoten auszeichneten, wiesen die Leerstandszahlen andere Städte wie Essen (0,9%), Stettin und Remscheid Ge 0,5%), Bremen (0,7%) und Ludwigshafen (0,35%) auf einen akuten Wohnungsmangel hin. Im Herbst 1914 setzte sich diese differenzierte, uneinheitliche Entwicklung fort. In Düsseldorf standen 5,1% aller Wohnungen leer, in Hamburg, Berlin, Frankfurt a. M. und Aachen wurde die dreiprozentige Marke ebenfalls überschritten. Städte, in denen bereits in den Jahren zuvor ein starker quantitativer Mangel an Wohnungen verzeichnet wurde, wie Bremen und Essen, blieben mit nur 0,9% bzw. 1,3% leerstehenden Wohnungen weit unterhalb des Marktindikators.6 Bis zum Frühjahr 1917 bestätigte sich der Trend. Wie das Kaiserliche Statistische Amt dem Reichsamt des Innem mitteilte, waren die höchsten Vonhundertsätze an leerstehenden Wohnungen in folgenden Städten zu verzeichnen: Aachen 8,2 (1915: 5,0), Altona 6,8 (1913: 5,3), Barmen 6,7 (1913: 2,5), Berlin 6,2, Harnborn 6,1 (1913: 1,5), Augsburg 5,7, Frankfurt a.M. 5,3, Krefeld 4,6, Recklinghausen 4,6, Buer 4,5, Bonn 4,3, Düsseldorf 4,3 (1913: 4,4) und Neukölln 4,0. Die niedrigsten Leerstandszahlen wiesen hingen die Städte Essen 0,2 (1913: 0,9), Erfurt 0,3 (1914: 0,9), Kiel 0,3 (1913: 3,0), Brandenburg 0,4 (1914: 0,9), Lübeck 0,6 (1913: 0,5), Stettin 0,8 (1913: 0,5), Königsberg 0,8 (1913: 1,1), Mühlheim a.R. 1,1 (1913: 2,8), Kassel 1,2, Ludwigshafen 2,2 (1914: 0,3), Linden 1,3 (1913: 0,5), Magdeburg 1,4 (1913: 1,6), Hildesheim 1,5, Bremen 1,7 (1913: 0,7), Karlsruhe 1,8 (1913: 1,3) und Halle 1,9 (1913: 1,5) aue Vor allem Garnisonsstädte und Orte mit kriegswichtiger bzw. Rüstungsproduktion bekamen den wachsenden Druck des Angebotsmangels auf dem Wohnungsmarkt zu spüren. In Mainz, Magdeburg, Königsberg und Kiel nahm, wie die 1921 veröffentlichte Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921 berichtete, die Zahl der Leerwohnungen erheblich ab. 8 Doch betrachtet man den Anteil der leerstehenden Wohnungen in diesen Städten vor dem Krieg, so bestätigte sich, mit Ausnahme von Kiel, auch hier, daß niedrige Vgl. Führer. K. C., Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt, S. 27 f. Bundesarchiv Berlin (BarchB), R 3901/11247, BI. 160-165: Kaiserlich Statistisches Amt, Abt. für Arbeiterstatistik, an Regierungsrat Scheidt im Reichsamt des Innem am 24. April1917 betr. die Ergebnisse über den Wohnungsmarkt, hier BI. 164 f. Diese Zahlen wurden auch von den Haus- und Grundbesitzern herangezogen, um auf ihre wirtschaftliche Lage hinzuweisen. V gl. u. a. Der Tag. Grundbesitz und Realkredit vom 30. November 1916. s Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921. Abgeschlossen im Dezember 1921, in: Verhandlungen des Reichstags, I. Wahlperiode 1920, Band 371, Anlagen zu den stenographischen Berichten, Nr. 3472, S. 3374-3430, hier S. 3385. 6 7

1. Wohnungsmangel und Wohnungsbau

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Leerstandszahlen bereits vor dem Krieg existiert hatten. In Magdeburg lag zuletzt 1905 die Leerstandsquote knapp über 3%, in Königsberg war dies im Jahre 1907 der Fall. Kiel hingegen verfügte bis 1913 über einen ausgeglichenen Markt, der mit Kriegsbeginn zusammenbrach. 1916 waren, bei 0,3% leerstehender Wohnungen, nahezu keine Mietwohnungen mehr im Angebot. 9 Eine vom Kaiserlich Statistischen Amt für 1914 konstatierte Wiederbelebung des Wohnungsbaus in Deutschland wurde mit dem Kriegsbeginn jäh unterbrochen. Erleichterungen auf dem Geldmarkt und das weitere "Zusammenschmelzen der Wohnungsvorräte" galten zwar als Indikatoren für einen möglichen Aufschwung bei der Wohnungsproduktion. Doch zeichnete sich eine gegenläufiger Trend beim Absatz von Baustoffen ab. So setzte sich bspw. der seit 1910 anhaltende Rückgang der Ziegelproduktion fort. Auch der Arbeitsmarkt war im Baugewerbe von einem Nachlassen des Arbeitskräftebedarfs gekennzeichnet. 10 Nach einer Untersuchung zur Bautätigkeit in 45 deutschen Städten mit über 50.000 Einwohnern, deren Ergebnisse das Statistische Amt im Frühjahr 1917 veröffentlichte, wurde festgestellt, daß die Bautätigkeit allgemein bereits vor dem Krieg rückläufig war. 11 Tabelle 1

Gesamtzahl der errichteten Wohngebäude und Wohnungen im Deutschen Reich von 1912-1916 (45 deutsche Städte über 50.000 Einwohner) 12

>

Anzahl der errichteten Wohngebäude

Anzahl der errichteten Wohnungen

1912 1913 1914 1915 1916

9.507 7.581 6.286 2.589 1.099

64.107 47.817 34.475 13.646 5.015

Bis Kriegsende nahm die Wohnungsproduktion weiter ab. Der Reinzugang an Wohnungen lag nach Angaben des Preußischen Ministers für Volkswohlfahrt ,. 9 Vgl. Feig, Johannes, Nachfrage und Angebot auf dem Wohnungsmarkt, in: Fuchs, Carl Johannes (Hrsg.), Die Wohnungs- und Siedlungsfrage nach dem Kriege, Stuttgart 1918, S. 53. 10 Kaiserlich Statistisches Amt (Bearb.), Bautätigkeit und Wohnungsmarkt in deutschen Städten im Jahre 1914, Sonderbeilage zum Reichsarbeitsblatt Nr. 7, Juli 1915, S. 3-7. Zwischen Januar und Februar 1914 wurde der Reichsbankdiskont von 5 auf 4% gesenkt und stand damit um 2 v.H. unter dem Satz des Vorjahres. II BarchB, R 3901/11247, BI. 160-165, hier BI. 162: Kaiserlich Statistisches Amt, Abt. für Arbeiterstatistik, an den Regierungsrat Scheidt im Reichsamt des lnnern am 24. April 1917 betr. die Ergebnisse über den Wohnungsmarkt. 12 BarchB, R 3901111247, BI. 162: Kaiserlich Statistisches Amt, Abt. für Arbeiterstatistik, an RegierungsratScheidtim Reichsamt des lnnern am 24. April1917.

28

I. Wohnen im Krieg

Heinrich Hirtsiefer 1917 in 37 deutschen Großstädten bei 1.712 Wohnungen. Im folgenden Jahr wurden in insgesamt 54 Städten nur 3.923 Wohnungen errichtet.13 Im Vergleich zur durchschnittlichen Wohnungsproduktion vor dem Krieg, die bei jährlich 180.000 bis 200.000 Wohnungen lag, bedeuteten diese Zahlen einen dramatischen Rückgang. Spätestens ab dem Sommer I Herbst 1917 konnte eine sowohl für die Zahl freier Wohnungen als endgültig auch für den Wohnungsbau absolute Abnahme konstatiert werden. Wahrend zahlreiche Städte bis dahin weder einen Wohnungsmangel beklagten, noch den Ausfall der Wohnungsproduktion als bedrohlich ansahen, spitzte sich die Situation in anderen Städten nun deutlich zu. Mit Ausnahme solcher Städte wie Leipzig, das 1913 noch über 1.634 Leerwohnungen, 1918 aber über 5.199 verfügte, oder Altona 2.913 (1913: 2.246) und Harnburg 15.194 (1913: 14.948) war ein Umschwung auf dem Wohnungsmarkt unverkennbar. 14 Der Rückgang der Wohnungsbauproduktion im Krieg war u. a. durch die Baumaterialknappheit begründet, da "das gesamte Wirtschaftsleben im Dienst um den Daseinskampf des Volkes" stand, wie Hirtsiefer rückblickend 1929 schrieb. Nicht nur durch das militärische Bauverbot eingeschränkte Vorhandensein von Baustoffen, sondern auch der rückläufige Zahl an Arbeitskräften durch die Einberufung zum Heeresdienst wirkte sich negativ auf die Wohnungsbauproduktion aus. Kamen auf 100 offene Stellen im Mai 1915 noch 126 Bewerber, waren es ein Jahr später nur noch 88. Im September 1916 ging die Zahl der Bewerber sogar auf 42 zurück.15 Darüber hinaus zog die Hochkonjunktur in der Rüstungsproduktion Arbeitskräfte ab. In Essen und Düsse1dorf überstieg in dieser Zeit bspw. der Arbeitskräftebedarf der Kriegsindustrien das Arbeitskräfteangebot um das Drei- bis Fünffache. 16 Die hohen Löhne in diesen Industrien ermöglichten es zudem, daß auch 13 Vgl. Hirtsiefer, Heinrich, Die Wohnungswirtschaft in Preußen, Eberswalde 1929, S. 54 f., vgl. auch Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3385. Das Statistische Reichsamt bezifferte für 1917 den Zugang in 51 deutschen Groß- und Mittelstädten mit 2.581 Wohnungen. 1918 wurden danach bis September 2.162 Wohnungen in 44 Städten gebaut. Vgl. Kaiserlich Statistisches Amt (Bearb.), Bautätigkeit und leerstehende Wohnungen in deutschen Städten im Jahre 1917, Sonderbeilage zum Reichsarbeitsblatt Nr. 6, Juni 1918, S. 28 f. und Reichsarbeitsblatt 1918, Nr. 5, S. 379; Nr. 8, S. 594 f.; Nr. 10, S. 738 f. 14 Vgl. Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3385. Daß verschiedene Gemeinden und Regionen kei~n Wohnungsmangel im Krieg verzeichneten, zeigten eine Stellungnahme aus Braunschweig, die zur Vorbereitung der Denkschrift eingeholt wurde. Die Mitteilung über die Entwicklung des Wohnungs- und Siedlungswesens im Freistaat Braunschweig dazu: "Während des Krieges trat eine Wohnungsknappheit nicht nennenswert hervor... Das lag begründet neben anderen Ursachen, besonders in dem Fernsein der zum Heere Eingezogenen und in dem Zusammenziehen vieler Familien in eine Wohnung." BarchB, R 3901 I 11405, BI. 524-550: Denkschrift über die Entwicklung des Wohnungs- und Siedlungswesens im Deutschen Reich, Freistaat Braunschweig, 1921, hier BI. 525 15 Hirtsiefer, S. 55 f.; vgl. auch Preller, Ludwig, Sozialpolitik in der Weimarer Republik, Stuttgart 2 1978, S. 679 f.

1. Wohnungsmangel und Wohnungsbau

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größere Wohnungen, die bisher nicht oder nur schwer zu vermieten waren, wieder Abnehmer fanden. Zugezogene Arbeitskräfte beschleunigten die Entwicklung, so daß das Wohnungsangebot in diesen Orten weiter zurückging. Bestand vor dem Krieg eine "Wohnungsnot" nur in Hinblick auf die qualitativ unbefriedigenden "Kleinwohnungsverhältnisse", wie Hirtsiefer meinte, so war in der zweiten Hälfte des Jahres 1917 in vielen deutschen Städten das Fehlen von Wohnungen nahezu aller Größen zu verzeichnen. 17 Der relative Wohnungsmangel, jene "Wohnungsnot", die ihren Ausdruck in ungesunden und menschenunwürdigen Wohnbedingungen fand, wurde nun abgelöst vom Problem eines absoluten Wohnungsmangels in zahlreichen Städten und Gemeinden Deutschlands, der sich zu einer allgemeinen Wohnungsnot bis zum Ende des Krieges auszuwachsen begann. In den Jahren 1917 und 1918 verzeichnete man in ganz Deutschland nur noch 34.574 bzw. 18.972 Leerwohnungen, was 5,74% bzw. 3,14% des gesamten Wohnungsbestandes ausmachte. 18 Der Wohnungsneubau ging in diesen beiden Jahren weiter zurück und belief sich nach einer Erhebung in 54 deutschen Städten im Jahre 1918 auf 3.923. 19

b) Großbritannien

Der Vergleich deutschen und britischen, speziell des Arbeiterwohnens spielte seit Ende des 19. Jahrhunderts eine nicht unbedeutenden Rolle in der gegenseitigen Beschreibung und Wertung der nationalen Situationen im Wohnungswesen. Anknüpfend an die Tradition des Sich-Beobachtens über den Kanal hinweg, beschrieb William Harbutt Dawson 1916 das System der deutschen kommunalen Verwaltung. Er stellte in seiner Studie, die im Kapitel zur Wohnungspolitik vor allem auf den Vergleich der Städte Berlin und London einging, fest, daß britische Arbeiterwohnungen größer und billiger als deutsche seien, und insgesamt in Deutschland höhere Preise für Wohnraum gezahlt werden müßten, der aber "selten" den Wohnbedürfnisse "vollständig" gerecht werde. 20 Dem positiven Selbstbild, das Dawson in bewußt "gegnerischer Abgrenzung" zu Deutschland vom Wohnen in Großbritannien zeichnete, fehlten die "grauen Far16 Vgl. Reulecke, Jürgen, Städtische Finanzpolitik und Kriegswohlfahrtspflege im Ersten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Barmen, in: Zeitschrift für Slladtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege, 1 I 1975, S. 48 - 79, hier S. 53 f. 17 Vgl. Hirtsiefer, S. 85. 18 Vgl. ebenda, S. 86. 19 Vgl. Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3385; Uhle, P., Chemnitz in großer und schwerer Zeit 19.141919, Chemnitz 1919, S. 603 f. ; Reichsarbeitsblatt 1918, S. 378 - 380, 593-595, 875 -879. 2o Dawson, William Harbutt, Municipallife and government in Germany, London 2 1916, S. 145. Die erste Auflage erschien bereits 1914.

30

I. Wohnen im Krieg

ben" des ungesunden und mem;chenunwürdigen Wohnens im eigenen Land. Das "cruel habitation", wie es Eniril Gauldie beschrieb21 , drückte sich bspw. in den Back-to-back-houses aus, jenen eng aneinandergereihten und aufeinanderfolgenden Häuserzeilen, denen es an hygienische Standards, an Licht und Luft fast vollständig mangelte. 22 Innerstädtische Elendsquartiere, sogenannte Slums, waren in zahlreichen britischen Städten an;mtreffen gewesen, jene Gegenden, in denen Menschen in Häusern und Wohnungen lebten, die als "unfit for human habitation" bekannt waren.23 Die "Kriegsgesellschaft" Großbritannien übernahm 1914 jenen nicht unerheblichen Wohnungsbes.tand, den der Vorsitzende des National Housing and Town Planning Councils Henry R. Aldridge 1917 als "heritage from the past" bezeichnete. Mit diesem "survivals of the unfit", so Aldridge, war das gesamte Land "belastet".24 Der Zensus von 1911 verdeutlichte, welches quantitative Ausmaß das "Erbe" hatte. Als aussagekräftigstes Mt!rkm.al der strukturellen Problem des Wohnungsmarktes galt die Wohnungsüberfüllung (overcrowding). Entgegen der deutschen, zeitgenössischen Berechnung, a'b wieviel Personen pro Wohnung von überfüllten Behausungen und damit ungenügenden Wohnbedingungen gesprochen werden konnte, wurden in Großbritannien als überfüllte Wohnungen gezählt, in denen mehr als zwei Personen in einem Raum lebten. Die industriellen Zentren und Großstädte waren besonders betmffen. Von der Gesamtbevölkerung Glasgows lebten 53,6% in überfüllten Wohnungen. In Edinburgh waren es 31,1 %, in London 16,8% und in Birmingham und Liverpool 9,8% bzw. 9,5%. Die Situation in zahlreichen kleineren Städten konnte, nach Ansicht John J. Clarkes, der mit The Housing Problem 1920 eine umfassende Studie zur britischen Wohnungspolitik vorlegte, aber auch nicht als besse:r eingeschätzt werden. 25 In sämtlichen städtischen Regionen lebten 9,3% der Bevöilkerung 1913 in Mietwohnungen mit mehr als zwei Personen pro Raum. In ländlichen Gegenden waren es immerhin 6,3 %. Bezogen auf die Gesamtzahl der gerniete:ten Wohnungen belief sich die Anzahl überfüllter Wohnungen im Königreich auf 5,8% (Stadt) bzw. 3,5% (Land) aller Wohnungen. Gauldie, Enid, Cruel Habitations, London 1974. Vgl. Beresford, M. W., The Back-to-back house in Leeds 1787-1937, in: Chapman, Stanley D. (Ed.), The history ofworking class housing, Newton Abbot 1971, S. 93-132. 23 VgL ebenda; Wohl, Anthony S ., The housing of the working classes in London 18151914, in: Chapman, S. 13 - 54, hier S. 42 f.; Ders., The Etemal slum, London 1977, S. 200 220; Gauldie, S. 92 -100; Daunton, M. J, Housing, in: The Cambridge social history of Britain 1750-1950, Vol. 2, Cambridge 1990, S. 195 - 250, hier S. 204-209, 214- 217; Smith, Roger I Whysall, Paul, The origins and deve1opments of local authority housing in Nottingham 1890- 1916, in: Lowe, Stuart I Hughes, David (Ed.), A new century of social housing, Leicester 1991, S. 33-43, hier S. 34 f.; Rodger; Richard, Die Krise des britischen Wohnungswesens 1830-1920, in: Teuteberg, Homo habitans, S. 301-329, hier S. 307-310. 24 Aldridge, Henry R., Housing after the War, in: Dawson, William Harbutt (Ed.), AfterWar Problems, London 1917, S. 233-250, hier S. 233. 25 Vgl. Clarke, John J., The Housing Problem, London 1920, S. 135-137; Bowley, A. L./ Bumett-Hurst, A. R., Livelihood and poverty, London 1915, S 21 f. 21

22

1. Wohnungsmangel und Wohnungsbau

31

In den Städten Englands und Wales' lebten 8, I% der Bevölkerung zu mehr als zwei Personen pro Raum, auf dem Land waren es 5,8%. In Wohnungen mit mehr als drei Personen/Raum lebten noch 1,7% der städtischen bzw. 0,8% der ländlichen Bevölkerung?6 Insgesamt lebten über drei Millionen Menschen zu mehr als zwei Personen, über eine halbe Million sogar zu dritt oder mehr in einem Raum. 27 Für England und Wales wurde das Fehlen von 120.000 cottages, Kleinhäusern für Landarbeiter, und ein ernsthafter Übelstand in den Städten konstatiert. Die Stadtverwaltung von Birmingham, der zweitgrößten Stadt Großbritanniens, schätzte 1913 ein, daß von den 1,75 Millionen bewohnten Häusern und Wohnungen der Stadt, 50.000 "unfit for human habitation" seien, viele davon ohne sanitäre Einrichtungen wie Toiletten, Wasser- und Abwasserversorgung. 28 Die Kontinuität des Mangels und des "unfit" kennzeichnete die Wohnungssituation im Krieg. Besonders in den Städten mit kriegswichtiger und Rüstungsproduktion sowie in landwirtschaftlich wichtigen Regionen spitzte sich der Wohnungsmangel weiter zu. Im März 1915 standen in Glasgow nur 4,7% aller Wohnungen leer. In einzelnen Stadtvierteln wie Partick und Greenock gab es bei Leerstandsziffern von 0,9 und 0,2% schon zu diesem Zeitpunkt quasi keine freien Wohnungen mehr. 29 Spätestens 1917 verschlechterte sich die Lage zusehends. So verdeutlichte der Bericht der Royal Commission on Housing in Scotland, erstellt im November 1917, wie dramatisch die Wohnungssituation breiter Bevölkerungsschichten in Schottland war. Den im Zensus von 1911 ermittelten 113.430 Wohnungen, in denen mehr als drei Personen lediglich in nur einem Zimmer lebten und die somit benötigt würden, fügte die Kommission einen zusätzlichen Bedarf von weiteren 8.000 Häusern hinzu. Schlußfolgemd empfahl die Kommission eine Erhöhung des Wohnungsbestandes um nicht weniger als 11,6%?0 In den anderen Landesteilen war die Lage nicht besser. In ihrer unterschiedlichen Intensität und Verteilung war der Wohnungsmangel besonders in London sichtbar. Die einzelnen Verwaltungsbezirke der Stadt wiesen erheblich unterschiedliche Überbelegungsquoten auf. Lebten in den zentral-östlichen Stadtteilen (Metropolitan boroughs) Shoreditch, Stepney, Bethnal Green und Holborn zwischen 26 und 37% der Bevölkerung in überfüllten Wohnungen, waren es in den westlichen Bezirken Westrninster und Chelsea 13 bzw. 15%, im nördlichen Borough Hampsted 7% und im süd-östlichen Lewisham 4%. 31

26 Vgl. Public Record Office London (PRO), RECO 1/488, ohne Bl.-Nr.: Report of the Organising Committee of the National Conference on Housing after the war, Juli 1917, S. 37; vgl. auch Orbach, S. 42. 27 Vgl.Orbach,S.39und51. 28 Vgl. ebenda, S. 42. 29 Vgl. Englander, Landlord and tenant, S. 212. 30 Vgl. Orbach, S. 57. Zur Tätigkeit der Kommission siehe Kapitel II. 2. b). 31 Vgl. Winter, The Great War and the British people, S. 151.

I. Wohnen im Krieg

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Doch der zur Beseitigung dieser Verhältnisse notwendige Kleinwohnungsbau, der Bau von "working class houses" mit einem jährlich steuerbaren Wert von unter f. 20 war seit 1906 rückläufig. Die Kosten für den Wohnungsbau verdoppelten sich zwischen 1914 und 1918; Bauhandwerker fanden in der Rüstungsproduktion bessere Verdienstmöglichkeiten oder waren an der Front. 32 Den Rückgang der Wohnungsproduktion verdeutlichten die Ergebnisse des im Juli 1917 vorgelegten Berichts des Organising Committee of the National Conference on Housing after the war. Dieser stellte die Wohnungsbauzahlen von 40 englischen und walisischen städtischen Regionen u. a. von Birmingham, Brighton, Cardiff, Leeds, Liverpool, Manchester, Sheffield und Southampton für den Zeitraum 190 1 bis 1916 zusammen. Tabelle 2

Entwicklung des Kleinwohnungsbaus 1905-1916 in 40 englischen und walisischen Städten33 Gesamtzahl der errichteten Wohnungen 1905

32.165

1906

29.665

1907

27.492

1908

23.773

1909

22.829

1910

20.696

1911

16.526

1912

13.600

1913

13.067

1914

11.726

1915

7.026

1916 Gesamt

3.509 354.643

Nach Harry Bames, dem Vizepräsidenten des Royal Institute of British Architects, belief sich die Gesamtzahl der 1905 in England, Wales und Schottland ge-

Vgl. ebenda, S. 242 f.; Swenarton, Mark, Hornes fit for heroes, London 1981, S. 67 f. PRO, RECO 1/488, ohne Bl.-Nr.: Report of the Organising Committee of the National Conference on Housing after the war, Juli 1917, S. 8. Zur Arbeit des Komitees siehe Kapitel II. 2. b). In den Jahren 1901 bis 1904 belief sich die Zahl der errichteten Wohnungen in den untersuchten Gemeinden auf Werte zwischen 31.000 und 34.000. 32

33

2. Mieter und Vermieter

33

bauten "working class homes" auf 99.905, so viele derartige Wohnungen wie noch nie zuvor errichtet worden waren. Bis 1912 ging aber die Wohnungsproduktion in diesem Segment stetig auf 44.821 zurück?4 Auch der übrige Wohnungsbau war rückläufig. Noch 1910 wurden in England und Wales etwa 86.000 Wohnungen errichtet, im Schnitt der Vorkriegsjahre in ganz Großbritannien etwa 100.000. Im zweiten Kriegsjahr 1915 hatte sich der Bau von Wohnungen aller Größen bereits auf 30.800 Einheiten verringert. 35 Für die Jahre bis 1918 sind die Wohnungsbauzahlen insbesondere die für Kleinwohnungen, wie Clake betonte, "not available".36 Der Zuwachs an Wohnungen zwischen 1911 und 1921 betrug in England und Wales insgesamt etwa 288.000, inklusive etwa 50.000 Wohnungen, die zwischen Januar 1919 und 1921 errichtet wurden. Subtrahiert man diese, beläuft sich die Zahl der jährlich in den Jahren 1911 bis 1918 errichteten Wohnungen auf knapp 30.000 jährlich. Da die Zahlen vor dem Krieg deutlich höher lagen, muß die Wohnungsproduktion in den Jahren 1916 bis 1918 weit unter diesen 30.000 gelegen haben bzw. zum fast vollständigen Erliegen gekommen sein. 37

2. Mieter und Vermieter zwischen Selbstbehauptung und staatlicher Reglementierung a) Die "Fehde im Innern"- Mietunterstützung, Mieteinigungsämter und Mietgesetzgebung in Deutschland

Die Einschätzung des Kaiserlich Statistischen Reichsamtes über die "Opferbereitschaft", die es auf dem deutschen Wohnungsmarkt zu Kriegsbeginn festzustellen meinte, stimmte optimistisch. An der "Heimatfront des Mietwesens" war vorerst nicht mit Problemen zu rechnen, die einer staatlichen Regulierung bedurften. So "hat der äußere Feind die Fehde im Innem verstummen lassen, und - bei mancherlei sachlichen Meinungsverschiedenheiten - herrscht unter früheren Gegnern Einmütigkeit in den Bestreben, der bestehenden Schwierigkeiten Herr zu werden; ebenso zeigt sich bei den Beteiligten ein anerkennenswerter Opfersinn, namentlich haben sich Hauseigentümer bereit erklärt, ihrerseits Opfer auf sich zu nehmen. " 38 34 Vgl. Bames, Harry, Housing, London 1923, S. 54. Bames war zwischen 1918 und 1922 auch Vorsitzender des Housing Committees der Independent Liberal Party im Unterhaus. 35 Pooley, Colin G., England and Wales, in: ders. (Ed.), Housing Strategies in Europe 1880-1930, Lekester 1992, S. 73-104, hier S. 82; vgl. Kunze, Walther, Die gesetzlichen Grundlagen zur Behebung der Wohnungsnot in England, ihre praktische Lösung durch den Londoner Grafschaftsrat sowie im Vergleich zu den deutschen Verhältnissen, Tilsit 1926, S. 21 f. 36 Clarke, S. llO. 37 V gl. Bowley, Marian, Housing and the State 1919- 1944, London 1945, S. ll f. 38 Reichsarbeitsblatt 1914, S. 991 f.

3 Koinzer

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I. Wohnen im Krieg

Jenen "Opfersinn" durch Gesetze zu flankieren, sahen sich Reich und Bundesstaaten aber trotzdem gezwungen. Der Kriegsbeginn erforderte die Anpassung der Regularien für den Umgang mit vertraglich gebundenen Übereinkünften von an die Front Eingezogenen. Den Mietverträgen für Wohn- und Geschäftsräume und deren Behandlung brachte man dabei besondere Aufmerksamkeit entgegen. Mit dem Gesetz, betreffs den Schutz der infolge des Krieges an der Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen vom 4. August 1914 wurden diese Sonderrechte für Kriegsteilnehmer, deren Angehörige und Hinterbliebene institutionalisiert. Paragraph 2 bestimmte die Unterbrechung aller bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für Eingezogene, die bei ordentlichen Gerichten anhängig oder für die Folgezeit vorgesehen waren. Diese Regelung betraf zwar "mobile und gegen den Feind gerichtete Teile der Land- und Seestreitkräfte", nicht jedoch Kriegsbeschädigte oder gerade Eingezogene in Ausbildung. In der Praxis bedeutete das die Aussetzung von Klagen auf Zahlung der Miete oder zur Räumung einer Wohnung gegen Einberufene. 39 In einer Verfügung des Berliner Magistrat vom 2. Oktober 1914 wurde das Gesetz mit dem Wunsch von Regierung und Öffentlichkeit begriindet, "daß die zum Krieg Einberufenen bei ihrer Rückkehr aus dem Felde ihr bisheriges Heim vorfinden, und daß sie alsdann nicht durch größere Mietrückstände belastet sind."40 Zudem trug das Gesetz Erscheinungen auf dem Gebiet des Wohnungswesens Rechnung, welche mit dem Kriegsausbruch in Deutschland Hand in Hand gingen. Einerseits nötigte die Einberufung der Männer zahlreiche Familien zur Einschränkung ihres Wohnstandards. Viele Wohnungen wurden aufgegeben, Ehefrauen von Kriegsteilnehmern zogen zu Eltern oder Schwiegereltern, Haushaltungen verkleinerten sich, neuvermählte Paare verzichteten auf eine eigene Wohnungen. Bis Ende 1917 hatten bspw. in Groß.-Berlin 4.674 "Kriegerfrauen" ihren Haushalt aufgelöst.41 Andererseits kam es häufig zu Mietrückständen oder gar zur Einstellung von Mietzahlungen durch die Familien der Eingezogenen, die ihre bisherige Wohnung halten wollten. Dies hatte zur Folge, daß die Kündigung bestehender Miet39 Geheimes Staatsarchiv - Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GstaB), HA I Rep. 84a Nr. 1763, BI. 2-4: Gesetz, betr. den Schutz der infolge des Krieges an der Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen vom 4. August 1914. Drei Tage danach, am 7. August 1914, erließ der Bundesrat eine Verordnung zur Bewilligung von Zahlungsfristen auch für nicht einberufene Personen. Die Gleichstellung von Kriegsbeschädigten und deren Familien erfolgte durch die Bekanntmachung zum Schutz von Angehörigen immobiler Truppenteile vom 20. Januar 1916. Vgl. Sachße, Christoph!Tennstedt, Florian, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Stuttgart u. a. 1988, S. 50 f. 40 Zitiert nach: Kundrus, Birthe, Kriegerfrauen, Harnburg 1995, S. 142. Zu Kriegsunterstützung in Deutschland allgemein siehe ebenda. 41 Vgl. Kuczynski, Robert R., Die Wohnweise der Kriegerfrauen in Groß-Berlin, in: Zeitschrift für Wohnungswesen 16. Jg, 1917/18, S. 97- 99, hier S. 98; vgl. auch Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3385; vgl. Kundrus, S. 142.

2. Mieter und Vermieter

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verträge wegen des Zahlungsverzuges drohte. Die Nichtzahlung der Miete beruhte sowohl auf der "irrigen Auffassung, daß die Kriegszeit von der Mietzahlung befreit" als eben auch auf finanziellem Unvermögen, wie der Berliner Polizeipräsident von Jagow Ende August 1914 bemerkte. 42 Trotz des Umstandes, daß, wie er weiter meinte, die Hauswirte mit wenigen Ausnahmen "entgegenkommend und zur Annahme von Raten und Stundungen bereit" waren, konnte die Erscheinung landesweiter Exmittierungen von "Kriegerfrauen" nicht verleugnet werden.43 Reich und Bundesstaaten versuchten mit weiteren gesetzgebenscher Maßnahmen auf diese Situation zu reagieren. Die Bundesratsverordnung vom 7. I 8. August 1914 ermächtigte die Gerichte, Schuldnern allgemein einen Zahlungsaufschub von drei Monaten zu gewähren. Auf die besondere Situation im Wohnungswesen Einfluß nehmend, wurde diese Verordnung noch im seihen Monat mit Elementen des Mieterschutzes ausgestattet. Danach konnten Gerichte auch die Rechtsfolgen der Nichtzahlung wie Wohnungsräumung "als nicht eingetreten erklären oder nur unter bestimmten Bedingungen, z. B. nach fruchtlosem Ablauf einer Drei-Monats-Aufschubfrist, eintreten lassen. " 44 Der preußische Justizminister erließ im September 1914 eine Verfügung betr. das Gerichtsvollzieherwesens, nach der die Vollstreckung von Räumungsklagen gegen Ehefrauen von Kriegsteilnehmern verboten wurde. Auch in Fällen, wo die Ehefrau den Mietvertrag mit abgeschlossen hatte, sah die Verfügung die Nichtvollstreckung der Klagen vor. Erlasse dieser Art stießen besonders auf die Kritik der Haus- und Grundbesitzerorganisationen. In einem Schreiben des Berliner Hausund Grundbesitzervereins verlangte dieser wenige Wochen nach Inkrafttreten der Bestimmung, deren Rücknahme, da Ehefrauen, wenn sie gemeinsam mit ihrem Mann den Mietvertrag unterschrieben hatten, "auch kraft ihres Mietrechts als Besitzerin der Mieträume" gelten würden. Wenn die Verpflichtungen aus dem Mietverhältnis dann nicht erfüllt werden, könne die betreffende Ehefrau "aus dem Besitz gesetzt werden".45 Daß Exmittierungen von "Kriegerfrauen" Alltag waren, dokumentierten und kommentierten umfassend die deutschen Zeitungen. Nachdem der sozialdemokratische Vorwärts bereits im November 1914 berichtete, daß Mietkündigungen gegen Ehefrauen von Kriegsteilnehmern unzulässig seien, folgte im Dezember die "sittlich-moralisch" Begründung dieser Unzulässigkeit. In polemischer Negierung weiblicher Emanzipation oder als originelle Abwehrvariante von Forderungen der Vermieter empfahl die Zeitung: 42 Dokument 1 und 2, I. und 2. Stimmungsbericht vom 22. und. 26. August 1914, in: Materna, lngo/ Schreckenbach, Hans-Joachim/ Holtz, Bärbel (Bearb.), Dokumente aus geheimen Archiven, Band 4, Weimar 1987, S. 3 f. Vgl. auch Kuhn, S. 27; Brandmann, S. 183 f. 43 Dokument 1, I. Stimmungsbericht vom 22. August 1914, in: Materna u. a., S. 3. 44 Preller; S. 67. 45 GstaB, HA I Rep. 84a Nr. 1763, BI. 45-46: Haus- und Grundbesitzerverein im Osten Berlins an den preußischen Justizminister vom 19. Oktober 1914.

3*

I. Wohnen im Krieg

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"Frauen laßt Euch nicht beunruhigen! ... Die Männer, nicht die Ehefrauen, sind die Mieter, gleichviel, ob die Ehefrauen mit unterschrieben haben. Das folgt aus der sittlichen Natur der Ehe. Eine Frau eines Kriegsteilnehmers, die die Miete nicht zahlen kann, ist durchaus berechtigt und sich, ihrem Manne und ihren Kindern gegenüber moralisch verpflichtet, dem Gericht gegenüber zu erklären: ich bin nicht schuldig, ich darf ohne Zustimmung meines Mannes nichts weiter erklären und verlange Abweisung des Klägers oder Aussetzung des Verfahrens bis nach beendigtem Kriegszustand." 46

Auch die militärischen Oberkommandos griffen mit Verordnungen und Erlassen in die Regelung der Mietangelegenheiten ein. Das in Berlin ansässige Oberkommando in den Marken nahm wiederholt zu den Mietkündigungen gegen Ehefrauen von Kriegsteilnehmern Stellung. Gegenüber dem preußischen Justizministerium machte des Oberkommando im April 1915 deutlich, daß es vor allem in jenen Fällen "Schwierigkeiten" gebe, in denen Mietverträge entweder allein von der Ehefrau geschlossen, bzw. wenn nach Kriegsausbruch gemeinsam geschlossene Verträge durch neue Vereinbarungen geändert wurden. Letzteres sei dann geschehen, wenn der Vermieter auf die Änderung des Vertrages bei Ermäßigung der Miete gedrungen hatte. In der Hoffnung, den verminderten Mietzins zahlen zu können, stimmten die Frauen der Vertragsänderung zu. Konnten sie nun die Miete nicht aufbringen, drohte ihnen die Exmission. Den zuständigen Gerichten wurde eine Mitschuld an dieser Verfahrensweise unterstellt, indem es die Abwesenheit des Ehemannes ausnutzte. Die Gerichte nähmen wohl an, so das Oberkommando weiter, daß die betroffenen Frauen dem "Schutz der Kriegsabwesenheit des Mannes" entbehren müßten. 47 Zu staatlichem Regelungsbedarf, gesetzlich gegen Exmittierungen von Ehefrauen von Kriegsteilnehmern vorzugehen, sahen sich Reich und Bundesstaaten in der Stellungnahme zu den geschilderten Umständen aber nicht genötigt. Exmissionen von "Kriegerfrauen" wurden im Frühjahr 1915 als Einzelfälle angesehen. Das preußische Justizministerium versicherte dem Oberkommando in den Marken auf dessen Anfrage, ob derartige Verfahren auf Wohnungsräumungen anhängig seien, daß bei den Amtsgerichten von Groß-Berlin nur eine "ganz verschwindende Anzahle zu einer gerichtlichen Verfolgung der Räumungsklage gegen die Ehefrau geführt" hätten. 48 Tatsächlich wurden in der Praxis Urteile über Wohnungskündigung durch örtlicher Gerichte häufig nicht vollstreckt. Der Vorwärts hatte Anfang April 1915 über eine Klage auf Wohnungsräumung in der Gemeinde Pankow nördlich von Berlin berichtete. Doch war die gerichtliche Freimachung unterblieben, wie das Amtsgerichts Pankow am 12. April 1915 dem preußischen Justizministerium mitgeteilt hatte. "Die Frage der Vollstreckung des Urteils gegen die Ehefrau ist", wie das Gericht betonte, "hierbei nicht zur gerichtlichen Entscheidung gelangt. " 49 Vorwärts vom 8. Dezember 1914; vgl. auch Kundrus, S. 143 f. GstaB, HA I Rep. 84a Nr. 1763, BI. 105: Oberkommandos in den Marken an den preußischen Justizminister vom 1. Aprill915. 48 Ebenda, BI. 143: Konzept eines Schreibens des preußischen Justizministeriums an das Oberkommando in den Marken vom 26. April1915. 46

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2. Mieter und Vermieter

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Zwar griffen Reich und Bundesstaaten nicht mit einem generellen Verbot von Wohnungskündigung für Kriegsteilnehmer und deren Familien ein. Aber mit den "Sondergesetzen" hatten sie sich als staatlich reglementierende Organe auf dem Gebiet des Wohnungswesens konstituiert. Zurückhaltung sollte zunächst das Auftreten des Staates als Akteur auf dem Wohnungsmarkt charakterisieren. Die·"Regelung vor Ort" und die Anerkennung einer weitestgehend kommunalen Autonomie bei diesen Regelungen bestimmte das Handeln. Kommunale und regionale Zuständigkeiten im Wohnungswesen wurden beibehalten. Maßnahmen, welche diesen Bereich tangierten, wie etwa die Organisation und Durchführung der Auszahlung der Mietunterstützungen bzw. die Arbeit der Miet- und Hypothekeneinigungsämter, lagen vordergründig in der Zuständigkeit der Kommunen und Landkreise. Die Gewährung und Auszahlung der Mietunterstützung für "Kriegerfrauen" und die Arbeit der Miet- und Hypothekeneinigungsämter, deren Rahmenbedingungen durch Verordnungen und Erlasse der zuständigen Reichsorgane gesetzt wurden, waren in den ersten Kriegsjahren bestimmende Elemente im deutschen Wohnungswesen. Durch die Bekanntmachungen zum Schutz der Mieter vom 26. Juli 1917 und vom 23. September 1918 wurden die Befugnisse der Mieteinigungsämter hinsichtlich des Mieterschutzes gestärkt und erweitert.

aa) Mietunterstützung

Mit Einführung und Auszahlung der Kriegs- und vor allem Mietunterstützung sollte es den Familien der Einberufenen möglich gemacht werden, auch bei Ausfall des Hauptfamilieneinkommens den Forderungen der Hausbesitzer und Vermieter nachzukommen. Die zuständigen lokalen und regionalen Stellen waren dabei bemüht, nach der Antragstellung die umgehende Auszahlung der Unterstützung zu gewährleisten. Im ersten Monat des Krieges gingen bspw. bei der Berliner Unterstützungskommission, welche für die Organisation und Auszahlung der Beihilfe zuständig war, 33.608 Anträge auf Unterstützung von Familien Einberufener ein. In etwa 10.000 Fällen war die Auszahlung bis zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt.50 Im September des Jahres wurde die Kriegsunterstützung in Berlin "prompt ausgezahlt", wie Polizeipräsident von Jagow zu vermelden wußte. 5 1

49 Ebenda, BI. 141: Amtsgericht Pankow an das Justizministerium zu dessen Verfügung vom 4. April 1915 betr. Geltendmachung eines Räumungsanspruchs des Hauswirts gegen die Ehefrau eines Kriegsteilnehmers vom 12. April1915. so Landesarchiv Berlin (LarchB), A Rep. 01-04, Nr. 3983, BI. 35 d: Abschrift des Protokolls des Unterstützungsausschusses vom 21. August 1914. 51 Dokument 5, 5. Stimmungsbericht vom 5. September 1914, in: Matema u. a., S. 7. Nach dem Gesetz vom 28. Februar 1888, das am 4. August 1914 leicht modifiziert wurde, war die finanzielle Unterstützung von eingezogenen Soldaten paraphiert. Die Höhe der allgemeine Mindestsätze lagen 1914 bei 9 M für die Ehefrauen im Sommer und12M im Winter, regionale Unterschiede eingeschlossen. Im Herbst 1918 betrug in Barmen, das zu diesem

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I. Wohnen im Krieg

Einen Anspruch auf Mietbeihilfen hatten Ehefrauen von Kriegsteilnehmern, alleinstehende, unverheiratete Kriegsteilnehmer mit eigener Wohnung, deren eheliche und uneheliche Kinder sowie mit dem Einberufenen in einem gemeinsamen Haushalt lebende Verwandte, die Kriegsunterstützung in irgendeiner anderen Form bezogen, wie Wochenhilfe, Zuschüsse zur Lebensführung u.ä. 52 Dies versetzte diese Familien in die Lage, "unter Zuhilfenahme ihrer Unterstützungen, den Mietverpflichtungen nach Möglichkeit nachzukommen", wie in einem polizeilichen Stimmungsbericht vom September 1914 aus Berlin vermeldet wurde. 53 Ende 1915 bezogen etwa 4 Millionen Familien, zusammen ca. 11 Millionen Menschen Kriegsunterstützung in irgendeiner Form. Jeder dritte deutsche Haushalt war in das System der Kriegsunterstützung einbezogen, wobei die Mietbeihilfen einen wichtigen Teil der finanziellen Kriegsfürsorgeleistungen darstellten. 54 Deren Höhe war in der Regel von der Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder abhängig. Je mehr Kinder zu versorgen waren, um so mehr allgemeine Kriegsunterstützung wurde ausgezahlt. Die Mietbeihilfen waren dann geringer bzw. wurden häufig gar nicht mehr ausgezahlt, da die Unterstützung zur Zahlung der Miete in diesen Fällen, wie der Berliner Archivar Ernst Kaeber in seinem Abriß zur "städtischen Kriegsarbeit" 1921 ruckblickend einschätzte, "ganz unnötig war". 5 5 In der Hauptsache waren Reich und Gemeinden für die Gewährung der Unterstützung verantwortlich. Das Reich als kriegführende Institution stellte den Gemeinden als Orten der Unterstützungsgewährung ab Januar 1915 die Bewilligung von bis zu einem Drittel ihres absoluten Aufwandes für Wohlfahrtszwecke in Aussicht. Die Bundesstaaten schlossen sich der Reichsregelung an, so daß die Gemeinden bis zu zwei Drittel ihrer Kriegswohlfahrtsausgaben erstattet bekamen. Die vierteljährlich für Kriegsunterstützung vorgesehenen 10 Millionen Mark mußten im Verlauf des Krieges ständig erhöht werden, bis sie 40 Millionen Mark Anfang 1918 erreichten. Achtzig Prozent der Mittel der Kriegswohlfahrtspflege wandten die Gemeinden 1915 für die Familienunterstützungen auf, 8% für die Erwerbslosenfürsorge und die verbleibenden 16% für Mietbeihilfen. 56 Wie unterschiedlich Zeitpunkt die höchsten Unterstützungssätze in Preußen gewährte, der monatlich ausgezahlte Unterstützungsbetrag für Ehefrauen von Kriegsteilnehmern 53 M. Das benachbarte Düsseldorf zahlt lediglich die Summe von 42 Maus. Vgl. Reulecke, J., Städtische Finanzierungsprobleme, S. 65 und 71. Vgl. auch Hirsch, Paul, Die Kriegsfürsorge der deutschen Gemeinden, in: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung, 4 (1916), S. 261-348, hier S. 262-264, 272-289; Lindemann, S. 4-40. 52 Vgl. Kaeber, Ernst, Berlin im Weltkriege, Berlin 1921, S. 50. Das Stadtparlament von Berlin faßte bis Februar 1916 zwei Beschlüsse, die das Verfahren über die Mietzahlung an "Kriegerfamilien" regelten. Die beiden Beschlüsse vom 2. Oktober und 19. November 1914 wurden dreimal novelliert bzw. ergänzt. Vgl. Friedeburg, E./Wronsky, S. (Hrsg.), Handbuch der Kriegsfürsorge im Deutschen Reich, Berlin 1917, S. 231-235. 53 Dokument 5, 5. Stimmungsbericht vom 5. September 1914, in: Matema u. a., S. 7 54 Vgl. Kundrus, S. 52. 55 Kaeber, S. 50. 56 Vgl. Kundrus, S. 60.

2. Mieter und Vennieter

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hoch dabei die gewährten Beträge waren, zeigte der Vergleich von Düsseldorf und Berlin. Für den Zeitraum vom 1. August 1914 bis zum 31. Juli 1919 wendete die Stadt Düsseldorf von insgesamt etwa 131,8 Millionen Mark für Kriegsunterstützungen jeglicher Art nur 969.504 Mark (0,73%) für Mietbeihilfen auf. 5 7 Die Stadt Berlin hatte hingegen bis Ende März 1919 insgesamt 89 Millionen Mark an Mietbeihilfe ausgezahlt, was etwa der Summe der in dieser Zeit zu zahlenden Grundsteuer Berlins entsprach. 58 Hierbei wurde die Bedeutung der Mietunterstützung auch und gerade für den Haus- und Grundbesitz deutlich. Der "Schutz des Hausbesitzes" stand ebenso im Mittelpunkt des Interesses bei der Gewährung von Mietbeihilfen, wie der Erhalt der Wohnmöglichkeiten für große Teile der Bevölkerung. Hatten Hausbesitzer nach Einschätzung des Kaiserlich Statistischen Amtes auch in Friedenszeiten "nicht immer auf vollständigen Eingang der Mieten" setzen können, mußten sie zu Kriegsbeginn "mit erheblichen Ausfallen an Mieten" rechnen. 59 Der Bund derBerliner Grundbesitzervereine veröffentlichte im Dezember 1914 in der Deutschen Hausbesitzerzeitung eine Aufstellung zu den Gründen des Mietausfalls, die das Reichsarbeitsblatt, Mitteilungsblatt des Kaiserlich Statistischen Amtes, im Frühjahr 1915 übernahm. Für die Situation bei der Vermietung von Wohnräumen ergab sich folgendes Bild: Tabelle 3

Mietausfallstatistik für die Monate August, September und Oktober 1914 in Berlin für Wohnräume in 10.819 Häusern60 Grund des Mietausfalls ,,Einberufung der Mieter zum Heer"

August (in Mark) September (in Mark) Oktober (in Mark) 220.325

357.953

512.114

328.645

552.274

883.007

"Böswilligkeit der Mieter"

76.617

124.635

141.388

"Leerstehen von Räumen"

429.712

439.854

762.648

1.055.299

1.474.716

2.299.157

"Erwerbslosigkeit der Mieter"

Summe

Vgl. Düsseldorfer Nachrichten vom 12. Dezember 1919. Vgl. Kaeber, S. 50; Kundrus, S. 144. 59 Reichsarbeitsblatt 1914, S. 992. Vgl. Lindemann, Hugo, Die deutsche Stadtgemeinde im Kriege, Kriegswirtschaftliche Zeitfragen Nr. 617, Berlin 1917, S. 41-46. 60 Reichsarbeitsblatt 1915, S. 326 f. 57

58

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I. Wohnen im Krieg

Zusammen betrug der Mietausfall danach mehr als 4,8 Millionen Mark. Hinzu kamen weitere Verluste aus der Nichtvermietung von Geschäftsräumen für den selben Zeitraum in Höhe von über 3 Millionen Mark. 61 Die Zahlen zeigten, daß in den ersten Kriegsmonaten die hohen Mietausfälle vor allem der Arbeitslosigkeit der Mieter und dem Anstieg des Wohnungsleerstandes geschuldet waren. Nicht, wie häufig geäußert, die Unwilligkeit der Mieter ihre Raten zu bezahlen brachte zahlreiche Hausbesitzer in finanzielle Bedrängnis, sondern der Umstand, vorhandenen Wohnraum nicht vermietet zu bekommen. Durch "Böswilligkeit", die Verweigerung von Mietzahlungen mit der Begründung, im Krieg müsse diese nicht entrichtet werden, entgingen den Vermietern prozentual die wenigsten Einkünfte. Da dieses Phänomen auch bei den Geschäftsvermietungen auftrat, gehörte die Nichtzahlungen von Mieten also zum "normalen" Risiko des Vermietungsgewerbes. 62 Wahrend durch die Mietunterstützung die Einbußen der Vermieter gedämpft werden konnten, bedeuteten Einnahmeverluste aus Nichtvermietung häufig Zahlungsschwierigkeiten gegenüber den Hypothekengläubigern. "Seitens der beteiligten Kreise (wurde) nachdrücklich darauf hingewiesen", so das Reichsarbeitsblatt Ende 1914, daß Hausbesitzern dadurch größere wirtschaftliche Schwierigkeiten drohten, "die leicht weite Kreise in Mitleidenschaft ziehen" konnten. 63 Die "beteiligten Kreise" des Haus- und Grundbesitzerstandes, aber auch der kommunalen Verwaltungen hatten vor allem die Aufrechterhaltung des Wohnungsmarktes im Blick. Bedeutete doch die Mietbeihilfe zwar eine finanzielle Unterstützung zum Erhalt des herkömmlichen Wohnstandards weiter Teile der Mieterschaft, so war sie darüber hinaus eine wichtige ökonomische Grundlage der Tätigkeit der Vermieter. Der Ausfall von Mieten führte häufig zu Verzögerungen bei der Zahlung von Hypothekenzinsen, die wiederum zur Folge hatten, daß sich die "Leistungsunfähigkeit der Hypothekengläubiger"64 zu einer Schwächung des gesamten FfandbriefgeVgl. ebenda. Mit öffentlichen Aufrufen und Anzeigen, sollte der "Böswilligkeit" der Mieter entgegengewirkt und der Mietausfall eingedämmt werden. In der Presse wurde wiederholt ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß während des Krieges die Miete zu zahlen sei. Die Erscheinung, daß sich Mieter die Vorschriften des Kriegsteilnehmergesetzes vom August 1914 zu Nutze machten, um "die Erfüllung begründeter Zahlungsverpflichtungen böswillig" zu verweigern, wurde im Reichsjustizministerium im Dezember des Jahres angemahnt. Diese Art der "Böswilligkeit" sei vor allem unter Geschäftsinhabern verbreitet, die nach der Einberufung zum Militär die Mietzahlungen verwehrten, die Ehefrau oder andere Verwandte aber einen Laden oder Betrieb weiterführten. Vgl. GstaB, HA I Rep. 84a Nr. 1763, BI. 58: Staatssekretär des Reichsjustizministeriums an den preußischen Justizminister vom 12. Dezember 1914. Gleichzeitig erinnerten Zeitungen und amtliche Bekanntmachungen die Hausbesitzer und Vermieter daran, besonders auf Familien von Kriegsteilnehmern Rücksicht zu nehmen. Vgl. Bußmann-Strelow, Gabriele, Kommunale Politik im Sozialstaat, Nürnberg 1997, S. 95. 63 Reichsarbeitsblatt 1914, S. 992. 64 Kruschwitz, Hans, Deutsche Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik seit 1913, in: Zimmermann, Waldemar (Hrsg.), Beiträge zur städtischen Wohn- und Siedeiwirtschaft Erster Teil, München/Leipzig 1930, S. 1-48, hier S. 12. 61

62

2. Mieter und Vermieter

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schäftes auszuweiten drohte. In verschiedenen Kommunen waren bereits Kriegskreditbanken und Darlehens- und Vorschußkassen eingerichtet worden, die Darlehen zur Hypothkenzins- und Hypothekenzahlung gewährten. Diese wurden aber nur in wenigen FälJen in Anspruch genommen, wie der Wohnungswirtschafter Hans Kruschwitz 1930 ruckblickend feststelJte. Einige Städte zahlten auch direkte Zuschüsse zu den Hypothekenzinszahlungen an Hausbesitzer oder wiesen in leerstehende Wohnungen Familien von Kriegsteilnehmern ein, für welche sie dann die volJe Miete übemahmen. 65 Die Auszahlung der Mietunterstützung erfolgte entweder an die Mieter oder direkt an die Vermieter. Vor alJem in FälJen, bei denen die Mietunterstützung direkt an die Vermieter gezahlt wurde, war ein Mietnachlaß durch diesen häufig Voraussetzung für die Zahlung des Zuschusses. Der betreffende Hausbesitzer übernahm in der Regel einen Teil der Mietlasten oder stundete sie bis nach Beendigung des Krieges und verzichtete auf Kündigung und Räumung solange die Beihilfe gezahlt wurde. 66 Die Höhe des Mietnachlasse war für die Auszahlung der Unterstützungsleistungen von Kommune zu Kommune verschieden. Zahlreiche Städte verlangten keinen Nachlaß durch die Vermieter, um diese in die Lage zu versetzten, Mietbeihilfen ihrer Mieter direkt von den Unterstützung gewährenden Ämtern ausgezahlt zu bekommen. Andere Städte forderten hingegen einen Mietnachlaß von ca. 30% ohne den die Vermieter keinen Anspruch hatten, die Beihilfen ihrer Mieter direkt einzuziehen. 67 Der Berliner Magistrat erließ dahingehend am 2. Oktober 1914 eine Verfügung, nach der die Mietunterstützung von "Kriegerfamilien in den FälJen, in denen es sich um Frauen mit nicht mehr als 4 Kindem handelt und an aUeinstehende Kriegsteilnehmer" unmittelbar an den Vermieter gezahlt werden sollte, "falJs er sich mit einem Mietnachlaß einverstanden erklärt". 68 Andere Gemeinden verzichteten im Verlauf des Krieges auf einen Mietnachlaß als Voraussetzung für die Zuschußgewährung direkt an die Vermieter. So wurde in Barmen im Juli 1917 die Verpflichtung zum Mietnachlaß von 25% auf 10% ermäßigt und im September 1918 ganz aufgehoben. 69 Daß und wie die Kriegsunterstützung häufig unzureichend war, hatte Birthe Kundrus in Kriegerfrauen zeigen können. 70 Doch wurde durch die Kriegs- und Vgl. ebenda, S. 14 f. Vgl. Friedeburg/Wronsky, S. 134 f.; Kundrus, S. 144-147. 67 Vgl. Führer; S. 120. 68 Friedeburg!Wronsky, S. 229. Nach Kaeber lag die Höhe der Mietbeihilfen in Berlin für kinderlose Ehefrauen von Kriegsteilnehmern im Oktober 1914 bei 10 M und bei 5 M für Frauen mit 2 Kindern; ab dem 1. November 1914 zwischen 15M und 5 M bei 4 Kindern; ab dem 1. November 1915 zwischen 18M und 10M. Für alle anderen beihilfeberechtigten Angehörigen von Kriegsteilnehmern lag die Höchstgrenze bei 18M. Vgl. Kaeber; S. 50. 69 Vgl. Reulecke, Städtische Finanzprobleme, S. 73 f. 70 Vgl. Kundrus, S. 71-97. Zur allgemeinen Lage der Arbeiter- und "Kriegerfrauen" im Krieg vgl. Daniel, Ute, Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1989; Daniel, Ute, Informelle Kommunikation und Propa65

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I. Wohnen im Krieg

Mietbeihilfen ein wichtiges Ziel erreicht: Die Erhaltung der angestammten Wohnung für die Familien der Kriegsteilnehmer. Das Oberkommandos in den Marken hatte für eine Erhebung, die diesen Zusammenhang erfassen sollte, einen Fragebogen, eine sogenannte "Wohnungskarte" ausgegeben, und verpflichtete die "Kriegerfrauen" in allen 46 Gemeinden Groß-Berlins, diese auszufüllen. Danach hatten zwischen August 1914 und Mai 1917 von 253.851 unterstützten "Kriegerfrauen" nur 1,8% ihre Wohnung aufgegeben. Die überwiegende Zahl der Frauen (92,9%) gab an, in dieser Zeit einen eigenen Haushalt geführt zu haben. 71

bb) Mieteinigungsämter und Mieterschutz

Neben der Auszahlung von Mietbeihilfen waren zur Regelung von Mietstreitigkeiten sogenannte Miet- und Hypothekeneinigungsämter in zahlreichen Städten eingerichtet worden. Am 15. Dezember 1914 hatte der Bundesrat eine Verordnung zur Errichtung solcher Ämter in den Bezirken einzelner Generalkommandos erlassen.72 Wo eine solche Behörde zu begrunden war, richtete sich sowohl nach der geographischen und demographischen Lage der Städte und Gemeinden, ihrer militärischen und kriegswirtschaftlichen Bedeutung sowie nach der Einschätzung durch lokale und militärische Verwaltungen, ob ein Einigungsamt notwendig sei. In der Regel war es jedoch den Gemeindebehörden selbst überlassen, ein solches Amt als kommunale oder gemeinnützige Anstalt einzurichten, um "zwischen Mietern und Vermietern oder zwischen Hypothekenschuldnern und Hypothekengläubigem zum Zwecke des billigen Ausgleichs der Interessen zu vermitteln", wie es in der Bekanntmachung zu ihrer Griindung hieß. 73 ganda in der deutschen Kriegsgesellschaft, in: Quandt, Siegfried/ Schichte!, Horst (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg als Kommunikationsereignis, Gießen 1993, S. 76-94; Hausen, Karin, The German Nation's obligations to the Heroes's widows of the World War I, in: Higonnet, Margaret Randolph/Jenson, Jane/Michel, Sonya/Weitz, Margaret Collins (Ed.), Behind the lines, New Haven/London 1987, S. 126-140. 71 Vgl. Kuczynski, Die Wohnweise der Kriegerfrauen, S. 97-99. Die fehlenden 5,3% hatten ihre "Wohnungskarte" bis zur Auswertung noch nicht abgegeben. Eingeschränkt wurden diese Zahlen dadurch, daß das Führen eines eigenen Haushalts nicht in jedem Fall den Besitz einer eigenen Wohnung bedeutete. 72 Vgl. Hirtsiefer, S. 107. Zur Struktur der deutschen Militärverwaltung und den Generalkommandos vgl. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, Stuttgart 1969, S. 524. Kommunen und Landkreise hatten bei der Institutionalisierung der Einigungsämter weitestgehend freie Hand. Dort, wo sie eingerichtet wurden, war ihre Arbeitsweise von der örtlichen Affinität gegenüber den Problemen auf dem Wohnungsmarkt abhängig. Vor dem Krieg bestehende Einigungsämter waren Ausdruck städtisch-administrativer Zurkenntnisnahme eines Regelungsbedarfs im Miet- und Wohnungswesen. Die systematische Durchsetzung rechtlich-begründeter Normen im Verhältnis Mieter I Vermieter lag bis dahin selten in der Absicht der Städte und Gemeinden. 73 Bekanntmachung, betreffend Einigungsämter vom 15. Dezember 1914, § 1, zitiert nach: Bodenreform 1914, S. 312.

2. Mieter und Vermieter

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Vor allem in Garnisonsstädten etablierten die Militär- bzw. Zivilverwaltungen solche Schlichtungsstellen. Die Einschätzung zahlreicher militärischer und ziviler Administrationen, durch die Schaffung einer Vermittlungsstelle in Fragen des Mietwesens auf ein zu erwartendes angespanntes Verhältnis zwischen Mietern und Vermieter reagieren zu können, führte frühzeitig zur Einrichtung von Einigungsämtern. So griffen die stellvertretenden Generalkommandos einiger Armeekorpsbezirke der Bundesratsverordnung vor. Im September 1914 wurde für einzelne Städte, in denen entweder bereits Mieteinigungsämter bestanden oder in der Art gleichgestellte Behörden eingerichtet waren, angeordnet, bei Mietstreitigkeiten und drohenden Wohnungsräumungen das Amt anzurufen. Der auf Befehl des Gouverneurs des XV. Armeekorpsbezirks (Straßburg) am 3. September 1914 geschaffene Dienststelle beim Bürgermeisteramt in Straßburg oblag in erster Linie die Entscheidung über die Zulässigkeit von Mietkündigungen. Generell war verboten, "die Exmission vorzunehmen und Klagen auf Räumung zu erheben, bevor nicht das Einigungsamt gehört ist und sich für die Zulässigkeit dieser Maßnahme ausgesprochen hat." Vermietern, die dem Verbot zuwider handelten, wurde das Einschreiten der Militärverwaltung angedroht. 74 Die Entscheidungen des Einigungsamtes konnten Vermieter im XVII. Armeekorpsbezirk (Danzig) nur umgehen, wenn der zwischen ihnen und den Mietern geschlossene Vertrag einmütig gelöst wurde, und "wenn der Mieter eine freistehende Wohnung bezieht und nachweist, dass er seine Miete vollständig bezahlt oder Stundung erhalten hat."75 Das Mieteinigungsamt sollte hier nur in ,,Zweifelsfällen" anzurufen sein. Die zwangsweise Räumung durch den Vermieter war nur statthaft, wenn dieser nachweisen konnte, "dass der Mieter böswillig seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt, insbesonderetrotzvorhandener Mittel den Mietszins nicht entrichtet."76 Die Idee einer staatsfernen, auf kommunaler und gemeindlicher Grundlage bestehenden Schlichtungsstelle im Mietwesen war nicht neu. Dabei wurde eine Praxis aufgegriffen, welche in einigen Städten vor dem Krieg zur Anwendung kam. In Frankfurt am Main bspw. existierte ein Einigungsamt seit 1911. Als kommunale Behörden vermittelten sie bei Mietstreitigkeiten und schlichteten bei drohenden Wohnungskündigungen. Meist aus örtlichen Rechtsauskunftsstellen hervorgegangen, sollten sie angerufen werden, bevor es zu einer Klageerhebung vor den Gerichten kam. 77 Eine Pflicht für Vermieter oder Mieter, vor dem Einigungsamt zu erscheinen, bestand nicht. Erst die Bundesratsverordnung vom Dezember 1914 stattete die bestehenden und neu zu gründenden Ämter mit ersten rechtlich-ver74 BarchB, R 1501/12238, BI. 41, Bekanntmachung vom 3. September 1914. Vgl. Wittenbrock, Rolf I Leiner, Stefan, Die Einwirkung politischer Zäsuren auf kommunale Wohnungspolitik; in: Schu1z, Günther (Hrsg.), Wohnungspolitik im Sozialstaat, S. 47--{)9, hier s. 57-59. 75 BarchB, R 1501/12240, BI. 35, Bekanntmachung vom 28. September 1914 aus Graudenz vom Gouverneur der Festung Graudenz von Zastrow. 76 Ebenda. 77 Vgl. Kerner, S. 10 f.

I. Wohnen im Krieg

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pflichtenden Zwangsmaßnahmen aus. Bis 1915 bestanden in 63 Städten und Gemeinden derartige Mieteinigungsämter. 78 Grundsätzlich waren die jeweiligen Landeszentralbehörden, in Preußen das Ministerium des lnnern, nach der Verordnung ermächtigt, in Orten mit gegenwärtigem oder zu erwartendem Wohnungsmangel, in Garnisonsstädten und Regionen mit kriegswichtiger Produktion Ämter einzurichten, die Mieter, Vermieter und Hypothekenschuldner und -gläubiger verpflichteten, "auf Erfordern eines so privilegierten Einigungsamtes vor diesem zu erscheinen". 79 Gemeindebehörden konnten mit Ordnungsstrafen bis zu 100 Mark die betreffenden Parteien dazu anhalten. Vor allem Vergleiche über Zahlungsaufschübe, Wohnungsräumungen und Mietnachlässe wurden vor dem Mieteinigungsamt verhandelt. Führten Mietstreitigkeiten trotzdem zu einer Klage vor Gericht, konnten Mieteinigungsämter als Gutachter angerufen werden. 80 Wie ein Einigungsamt personell zusammengesetzt werden sollte, wurde endgültig erst im September 1918 geregelt. Nach der Reichsverordnung über die Zusammensetzung eines Miet- und Hypothekeneinigungsamtes war ein Richter oder ein zum höheren Verwaltungsdienst befähigter Beamter als Vorsitzender zu bestellen. Je ein Vertreter der Vermieter als auch der Mieterseite waren ihm beigeordnet. 81 Einen guten Einblick in die Tätigkeit und Entscheidungen eines Mieteinigungsamtes gibt der Bericht der Behörde in Steglitz im Südwesten Berlins, wo erst im Juli 1917 eine solche Schlichtungsstelle eingerichtet worden war. Im Schreiben des Gemeindevorstandes an den Regierungspräsidenten in Potsdam wurden die Anträge und Beschlüsse für den Zeitraum Juli 1917 bis Juli 1918 zusammengestellt. Von insgesamt 1.083 erledigten Anträgen wurde etwa die Hälfte der Fälle vor einer Ladung zum Einigungsamt oder durch einen dortigen Vortermin geklärt. Lediglich 4mal zogen Vermieter die Kündigungen vor dem Termin der Anhörung auf dem Einigungsamt zurück, 170mal hingegen die Mieter. 315 Fälle wurden im Vortermin geklärt. Von der anderen Hälfte waren nur in 64 Fällen Wohnungskündigungen durch die Vermieter ohne Mieterhöhung für unwirksam erklärt worden. Meistens endete der Haupttermin mit der Abweisung der Kündigung, eine Mieterhöhung war aber zu zahlen. Eine Vielzahl von Anträgen der Mieter wurde von dieVgl. Führer, S. 119. Friedeburg/Wronsky, S. 92. 80 Vgl. ebenda. In Berlin war die Tatigkeit der Mieteinigungsämter bspw. auf Streitigkeiten über Wohnungen beschränkt, die einen Betrag bis zu 500 Mark jährlicher Miete nicht überschritten, was immerhin etwa 3/ 4 aller Wohnungen betraf. Die insgesamt zehn Ämter hatten schon vor Verabschiedung der Bundesratsverordnung ihre Tatigkeit am 21. November 1914 aufgenommen. In der Folgezeit wurden sie zu vier Dienststellen zusammengelegt. In der Ausführungsbestimmung des preußischen Ministers des Innern hatten die Behörden ab dem 13. Januar 1915 das Recht, das Erscheinen von Mietern und Vermietern beim Amt zu erzwingen, Ordnungsstrafen auszusprechen und eidesstattliche Versicherungen abzunehmen. Vgl. Kaeber, S. 447. 81 Vgl. Hirtsiefer, S. 108. 78

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2. Mieter und Vermieter

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sen bereits vor der Verhandlung auf dem Einigungsamt zurückgezogen. Ihre sowie die Ergebnisse der "Vergleiche" und "Verständigungen", immerhin 439 Fälle, blieben bezüglich eines vorteilhaften Ausgangs für Mieter oder Vermieter im Dunkeln. Berücksichtigt man aber die Tatsache, daß die Hausbesitzer im örtlichen Gemeindevorstand eine starke Stellung hinsichtlich der Durchsetzung dem Mieteinigungsamt zugrunde liegender Verordnungen hatten, und diese zu ihren Gunsten anwendeten, so liegt der Schluß nahe, daß Steglitzer Mieter vielfach Mietsteigerungen hinnehmen mußten. 82 In Berlin bearbeitete das Mieteinigungsamt 1917 rund 6.000 Fälle, 1918 bereits 21.000. Auch hier ist die Hälfte der Verfahren ohne Termin vor dem Einigungsamt beendet worden.83 Die Miet- und Hypothekeneinigungsämter hatten, ähnlich den Mietunterstützungen einen Doppelcharakter. Neben den Momenten des Mieterschutzes, denen die Einigungsämter gerecht zu werden versuchten, war vor allem die wirtschaftliche Sicherung des Haus- und Grundbesitzergewerbes und des ihm nahestebenden Kapitalmarktes von Bedeutung. Mieteinigungsämter hatten vorrangig die Sicherstellung eines friedlichen Miteinanders von Mieter und Vermieter zum Ziel. Institutionalisiert und akzeptiert als Ausgleichs- und Ordnungsanstalten in kommunaler Verantwortung waren sie zum einen Symbol eines zivilisierten und rechtlichen Miteinanders an der "Heimatfront". Zum anderen waren die Mieteinigungsämter Werkzeuge der weitestgehenden Aufrechterhaltung der Marktmechanismen im Wohnungswesen, Instrumente zur Erhaltung des Status Quo. Wie das Steglitzer Beispiel zeigte, waren die Vermieter in der Mehrzahl der Verfahren als ,,Sieger" hervorgegangen, ihre Forderungen wurden erfüllt. Auch wenn, wie aus der "Praxis der Mieteinigungsämter" 1915 zu berichten war, Einigungsversuche an der Weigerung von Mietern, vor allem von Ehefrauen der Kriegsteilnehmer, scheiterten, war deren Position in der Regel schwach. Von ihnen abgegebene Er82 LarchB, B Rep. 212 Bd. 2, Ace. 3691, ohne Bl.-Nr.: Gemeindevorstand an den Regierungspräsidenten in Potsdam vom 8. November 1918. Zur Stellung der Hausbesitzer vgl. LarchB, B Rep. 212 Bd. 2, Ace. 3691, ohne Bl.-Nr.: Arbeiter- und Soldatenrat Steglitz an den Kommissar für Wohnungswesen beim Ministerium für öffentliche Arbeiten vom 27. Januar 1919. Es wurde darauf hingewiesen, daß der Gemeindevorstand, in dem die Hausbesitzer eine starke Position hatten, die in einem Notgesetz festgelegte Forderung, Wohnungskündigungen von der Entscheidung des Einigungsamtes abhängig zu machen, nicht durchsetzen wollte. Im benachbarten Lankwitz lag eine andere Situation vor. Der dortige Gemeindevorstand verneinte, nachdem er durch den preußischen Erlaß über die Einrichtung von Mieteinigungsämtern vom 21. August 1917 aufgefordert wurde, ein solches zu gründen, dessen Notwendigkeit. "[B]isher (ist) kein Bedürfnis nach Mieteinigungsämtern hervorgetreten. Es hat sich als ausreichend erwiesen, dass bei etwaigen Unstimmigkeiten zwischen Vermieter und Mieter eine Einzelperson als freiwillig vereinbarter Schiedsrichter in Tätigkeit trat." Ein Mieteinigungsamt "im Interesse der Kriegsfürsorge" mit Satzung und Bürozeiten, wie in den Lankwitzer Nachrichten vom 23. Oktober 1914 berichtete wurde, war lediglich als ein Schiedsgericht tätig. LarchB, B Rep. 212 Bd. 2, Ace. 3689, ohne Bl.-Nr.: Gemeindevorstand Berlin-Lankwitz an den Landrat des Kreises Teltow vom 25. August 1917 und 22. September 1917. 83 Vgl. Kaeber, S. 450.

I. Wohnen im Krieg

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klärungen, daß "sie ... nicht schuld am Kriege (seien), hätten es daher auch nicht nötig, sich Entbehrungen aufzuerlegen und etwas für die Wohnungsmiete zu tun" 84, verhinderten Mieterhöhungen selten. Der Krieg, so argumentierten zahlreiche Frauen, hatte ihnen ihre Männer genommen. Kämen diese wieder nach Hause, könne man über die Mietzahlungen verhandeln. 85 Wenn nicht als Zeichen einer frühen Friedenssehnsucht zu deuten, wohnte einer derartigen Haltung die Erwartung nach stärkerer staatlicher Intervention in das Wohnungswesen inne. Eher ungewollt und vor allem symbolisch konstituierte sich der Staat, vertreten durch die Gemeinden, somit als "Einkommenssurrogat" in der Kriegszeit Der allgemeine Wohnungsleerstand der ersten Kriegsjahre wurde ab 1917 von einer hohen Nachfrage vor allem in Garnisonsstädten und Orten mit kriegswichtiger Produktion abgelöst. Der gestiegene Arbeitskräftebedarf der Rüstungsindustrien im Zuge des Hindenburgprogramms86, verstärkt durch das ihm folgende Hilfsdienstgesetz, ließ neue Beschäftigtenmassen zuwandern, die das in diesen Gemeinden ohnehin relativ knappe Wohnungsangebot aufsogen. Die Regierung der Provinz Brandenburg konstatierte in Auswertung der Zeitungsberichte zwischen Januar und April 1917, daß es durch die Einstellung der privaten Bautätigkeit zu einem Wohnungsmangel gekommen sei. In Brandenburg, Spandau, Rathenow und Tegel führte deshalb der Zustrom von Arbeitern durch die Erweiterung der in der Nähe gelegenen Industriebetriebe zu Unterbringungsschwierigkeiten. 87 Der Druck auf die Mieten nahm zu; Exmittierungen folgten. Mietkontrolle und rechtliche Regelungen des Mieterschutzes, die über die weitestgehende Freiwilligkeit der Verfahren vor den Mieteinigungsämtern hinaus gingen, waren überfällig. Der unzureichende allgemeine Mieterschutz war das entscheidende Defizite im System der Regulierung des Mietwesens und besonders der Mieteinigungsämter. Die Mietbeihilfen sorgten zwar dafür, daß die Farnilien der Kriegsteilnehmer vor Exmittierungen weitestgehend geschützt waren, da die finanziellen Unterstützungen laufend an die Erhöhung der Mieten angepaßt wurden. Andere Mieter hingegen sahen sich Mieterhöhungen ausgesetzt, die, vor das Mieteinigungsamt gebracht, dort oft nur bestätigt wurden. Diese zu akzeptieren, war dann bei einer zunehmenden Verringerung des Wohnungsangebotes die einzige Wahl, die sich Mietern bot. Mietsteigerungen von 40 bis 50% und zum Teil darüber, waren im Ergebnis der Verhandlungen auf dem Einigungsamt in Großstädten zu verzeichZitiert nach: Kerner; S. 26. Vgl. ebenda; Riese, Horst, Mieterorganisationen und Wohnungsnot. Geschichte einer sozialen Bewegung, Basel u. a. 1990, S. 91-95. 86 Im September 1916 forderte die 3. Oberste Heeresleitung als Konsequenz aus den Materialschlachten des Sommers die Erhöhung der Waffen- und Munitionsproduktion um das zwei bis dreifache. Das sogenannte Hindenburgprogramm wurde im Dezember 1916 durch das "Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst" ergänzt. 87 Vgl. Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdarn (BLHA) Rep. 2 A Regierung Potsdam I P Nr. 748, Bl. 194- 201: Zeitungsbericht für die Zeit von Januar - April 1917 vom 30. April 1917, hier Bl. 200. 84

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2. Mieter und Vennieter

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nen. 88 Bei Mietverhältnissen, die befristet abgeschlossen wurden, hatten die Einigungsämter ohnehin keinen Regelungsspielraum. Die Tendenz, Mietverträge für Zeiträume von wenigen Monaten abzuschließen, war deshalb bei den Vermietern nicht selten verbreitet. 89 Die Bekanntmachung zum Schutz der Mieter vom 26. Juli 1917 bedeutete den Beginn einer neuen Stufe der Wohnungsbestandsschutzpolitik im Krieg, dem Mieterschutz. Im Gegensatz zu den vorausgegangenen gesetzlichen Regelungen, war sie die erste von zwei Erweiterungen staatlicher Eingriffe, die das Mietverhältnis in den Mittelpunkt stellten. Die Bekanntmachung flankierte und ergänzte das System der Mieteinigungsämter und war eine eigenständige Gesetzgebung, die den Staat tiefer in den Wohnungsmarkt eingreifen ließ. Die ihr vorausgegangenen Verordnungen des Bundesrates, die den Mieterschutz regeln sollten, waren ihrem Charakter nach Maßnahmen, welche die Gerichte ermächtigten, "notleidenden Schuldnern" während des Krieges Zahlungsaufschübe zu gewähren oder abzuwehren. Dabei wurde vor allem das Gesetz betr. den Schutz der infolge des Krieges an der Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen vom 4. August 1914 bezüglich der Regelung des Schulden- bzw. Mietzahlungsdienstes erweitert. Mit der Bekanntmachung vom Juli 1917 erkannte der Gesetzgeber an, daß das Problem des Mietwesens im Krieg mehr als nur ein Schuldnerproblem war, das durch Zahlungsaufschub lediglich zeitlich verschoben werden mußte. Der individuellen "Schuldenhilfe" bisheriger Verordnungen sollte eine Mieterschutzgesetzgebung als ftir zukünftige Entwicklungen wichtiges Stück Wohnungspolitik hinzugefügt werden und den Kriegserfolg sichern helfen. Der Gefahr eines schlechten wirtschaftlichen Fortkoromens besonders der Kriegsteilnehmer sollte, so der Verein Berliner Wohnungsmieter auf Krieg und Mieterschutz vorausschauend, durch die Stundung der Mietzahlungen vermieden bzw. abgeschwächt werden. In einer Eingabe des Vereins, die dem preußischen Justizministerium bereits im November 1915 übergeben wurde, forderte man das Ministerium auf, wegen schon zu diesem Zeitpunkt aufgelaufener Mietrückstände, den Kriegsteilnehmern und ihren Familien gesetzlich Hilfe zu leisten. In "vielen Briefen" von der Front und aus der "Heimat in Form von verzweifelten Anfragen" habe sich gezeigt, daß die Soldaten und ihre Familien "naturgemäß" Gedanken an die Zukunft bedriickten. Es bestünde die dringende Befürchtung, .,dass die somit verursachte Besorgnis auf die Entschliessungen der Familien der Kriegsteilnehmer in der Heimat unheilvolle Folgen haben wird, ebenso aber auch, dass die Entschlossenheit der Soldaten im Felde darunter leidet. Ein Kriegsteilnehmer, den derartige Sorgen schwer drücken, wird nicht die ruhige Ueberlegung entwickeln, zu der er sonst fähig wäre. " 90 Vgl. Kerner, S. 68. Vgl. ebenda, S. 74 f. 90 BLHA, Rep. 84a, Nr. 1763, BI. 233-236: Eingabe des Vereins Berliner Wohnungsmieter vom 16. November 1915. 88

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I. Wohnen im Krieg

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Der Verein Berliner Wohnungsmieter verlangte von den "zuständigen Stellen", über dieses Problem schon frühzeitig in Beratungen zu treten, da solche "hinreichende Beruhigung" bringen würden. Auch wenn von Staat und Gemeinden noch keine konkreten Schritte eingeleitet werden könnten, werde "doch allein der Gedanke", daß nach dem Krieg Hilfen zur Verfügung gestellt würden, einen "im wirtschaftlichen wie militärischen Interesse dringend zu fordernden Einfluss haben.'m Der symbolische Gehalt einer Mieter-, in erster Linie Kriegsteilnehmerschutzpolitik durch Mietstundungen und Zahlungsnachlässe sowie als "Beruhigung" für die Zeit nach dem Krieg war im Sommer 1917 weitestgehend aufgebraucht. Die Ausdehnung des Kündigungsschutzes als novellierte Variable der Wohnungspolitik und gleichnishaftes Element praktischen Handeins stand im Zentrum der Bekanntmachung vom Juli 1917. Deren Bestimmungen erweiterten zum einen die Befugnisse der Mieteinigungsämter. Zum anderen stellten sie den Versuch dar, spekulative Mieterhöhungen zu verhindem und gleichzeitig das Steigen der Wohnungspreise an die allgemeine Kostensteigerung anzupassen. 92 Der Schwerpunkt lag auf der institutionellen Ausdehnung der Befugnisse der Mieteinigungsämter. Sie erhielten durch die ihnen reichseinheitlich übertragenen Entscheidungsbefugnisse eine Aufwertung. Sie konnten, wie in zahlreichen Gemeinden bereits praktiziert, über die Wirksamkeit von Kündigungen entscheiden sowie über die Dauer von Mietverhältnissen und über Mieterhöhung. Ihr Charakter als reichseinheitliche Bestimmung erhob die Bekanntmachung vom Juli 1917 über die bisherigen Maßnahmen. Mit der Verordnung wurden lokale und regionale Ermächtigungen über das Mietwesen im Krieg zusammengefaßt und durch eine reichseinheitliche Regelung ersetzt. Einzelne, von den stellvertretenden Generalkommandos der Armeekorps erlassene Richtlinien konnten damit aufgehoben werden. Auf ein allgemeines Verbot von Mietsteigerungen und Wohnungskündigungen verzichtete man, da mit der neuen Verordnung die Mieteinigungsämter, dort wo sie bestanden, eine stärkere Handhabe bei der Regelung der Mietverhältnisse erhielten.93 Wie oben gezeigt, garantierte die Anrufung des Einigungsamts durch die Mieter zwar einen Schutz vor Kündigung, verhinderte aber in vielen Fällen eine Allhebung der Miete nicht. Zu recht verweist Frank Kerner darauf, daß staatliche Eingriffsmöglichkeiten im Krieg unvermeidlich waren, da von einer wohnungsmarktgemäßen "Balance der Kräfte" spätestens mit Ende des Jahre 1917 in zahlreichen deutschen Gemeinden keine Rede mehr sein konnte. Gleichzeitig stellte diese Art der Intervention keine in erster Linie sozialpolitisch motivierte Maßnahme dar. Da Ebenda, BI. 235. Vgl. Führer, S. 124. 93 Vgl. Kerner, S. 56 und 58; Hirtsiefer, S. 107 f. Der Bundesrat übertrug durch eine Novelle der Bekanntmachung zum Schutz der Mieter am 15. September 1917 die Aufgaben eines Mieteinigungsamtes auf die Amtsgerichte in Orten, in denen kein Einigungsamt bestand. Die Novellierung wurde nach Ansicht des Bundesrates notwendig, weil die Verordnung nicht überall dort ausgeführt wurde, wo es eigentlich geboten sei. 91 92

2. Mieter und Vermieter

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ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt nicht mehr möglich war, griff der Staat zum "Einsatz systeminkonformer Mittel mit systemstabilisierender Wirkung". 94 Daß die Einigungsämter von einer der beiden Seiten anzurufen waren, um ihre Schlichtungstätigkeit aufzunehmen und ihrer Mieterschutzfunktion gerecht zu werden, wurde als Schwäche des Systems alsbald erkannt. Die vor allem bezüglich des Kündigungsschutzes bestehenden Lücken führten in den Bezirken einiger Armeekorps wieder zu Interventionen durch die stellvertretenden Generalkommandos. Aus dem Zuständigkeitsbereich des IV. Armeekorps (Magdeburg) wurde Anfang Dezember 1917 berichtet, daß die allgemeinen Preissteigerungen, "die Stimmung ungünstig zu beeinflussen droh(en)". Neben der Verteuerung von Lebensmitteln, Bekleidung und Schuhen, haben die Mietsteigerungen "in der Bevölkerung immer größere Unzufriedenheit erweckt." 95 Im März 1918 meldeten das VII. und VIII. Armeekorps (Münster und Koblenz) "Möbelknappheit und Wohnungsnot". Vor allem in letzterem nehme "die Wohnungsnot ... besonders in den Orten, in denen die großen Rüstungsbetriebe liegen, schnell zu, was ein starkes Steigen der Miete zur Folge hat. Die Zahl der leerstehenden Wohnungen ist stark gesunken."96 In den Monatsberichten der stellvertretenden Generalkommandos wurde ab Frühjahr 1918 regelmäßig auf eine vorhandene bzw. bevorstehende Wohnungsnot in den Orten mit Rüstungsbetrieben und in den Großstädten ihres Zuständigkeitsbereiches hingewiesen. Den Alltag, die Intervention und die Androhung weiterer Maßnahmen beleuchtete beispielhaft der Bericht des II. Armeekorps (Stettin) vom Mai 1918. In Ergänzung vorangegangener Ausführungen zum Problem der steigenden Mieten im Bezirk wurde in einer längeren Stellungnahme darauf hingewiesen, daß das Eingreifen des stellvertretenden Generalkommandos unerläßlich sei. Das Verhältnis Mieter I Vermieter gestaltete sich schwierig. Die Genehmigungspflicht für Mietsteigerungen von Wohnungen mit einem Mietwert von bis zu 1.000 Mark würden von den Vermietern derart umgangen, daß diese betreffende Wohnungen umgehend kündigten bzw. nur befristet vermieteten. Danach würden die Wohnungen zu einem deutlich höheren Betrag weitervermietet, insbesondere an Zuziehende, "was bei dem allgemeinen Wohnungsmangel nicht schwer" sei. Duldete man eine solche Vorgehensweise, wäre im folgenden Herbst eine "Unzahl von Familien" ohne Wohnung. Das Stettiner stellvertretende Generalkommando wies daher an: 94

Kerner; S. 73.

BarchB, R 1501 I 12478: Zusammenstellung der Monatsberichte der stellvertretenden Generalkommandos, Oktober 1916 bis Mai 1918, Bericht vom 3. Dezember 1917, S. 19. 96 Ebenda, Bericht vom 3. März 1918, S. 47. Auf die Zunahme der Wohnungsnot und das damit verbundene Ansteigen der Mieten in den Orten mit Rüstungsproduktion verwies auch das VII. Armeekorps. Vgl. Ebenda, S. 48; Sicken, Bemhard, Die Festungs- und Garnisonsstadt Wesel im Ersten Weltkrieg, in: Kirchgässer, Berhard I Scholz, Günter (Hrsg.), Stadt und Krieg, Sigmaringen 1989, S. 125-219, besonders S. 203-205. 95

4 Koinzer

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I. Wohnen im Krieg

"daß Kündigungen von Wohnungen jeder Art nur zulässig sind, wenn das Mieteinigungsarnt bzw. die Polizeiverwaltung die Genehmigung zur Kündigung erteilt. Nur durch solche Maßregeln ist schwersten Übergriffen entgegenzutreten .... [W]enn es ja auch eine große Anzahl anständiger Vermieter gibt, so ist doch die Zahl derjenigen, welche wucherisch die Notlage ausbeuten, noch immer sehr groß, und zur Zeit trifft sie besonders denjenigen Teil der Bevölkerung, der schon arn schwersten durch die Kriegsschäden leidet, die Festbesoldeten. ,m

Die hier zusammengefaßten Einschätzungen und Maßnahmen waren zum einen dadurch gekennzeichnet, daß die Probleme im Miet- und Wohnungswesen schlicht wahrgenommen wurden. Zum anderen zeugten sie vom Willen der militärischen Verwaltung, die Situation auf diesem Gebiet nicht weiter eskalieren zu lassen. Doch bei den von den "zuständigen Stellen" getroffenen Maßnahmen konnte es sich, wie das stellvertretende Generalkommando des XI. Armeekorps (Kassel) einschätzte, "naturgemäß ... nur um vorbereitende Schritte handeln", um eine zukünftige "Notlage" abzuwenden. 98 "Stimmungsumschwung", die Vermeidung von "schwersten Übergriffen" und das "wucherische" Ausnutzen von individuellen "Notlagen" waren die Attribute, mit denen die Folgen der sich zuspitzenden Lage auf zahlreichen lokalen Wohnungsmärkten zu beschreiben versucht wurde. Die Wohnungsfrage hatte endgültig das Potential, die ,,Stimmung nachteilig (zu) beeinflussen". Dabei wurde nicht nur der bekannte Mangel an kleinen Wohnungen beklagt, "sondern auch an mittleren und größeren Wohnungen", wie die militärische Führung des VIII. Armeekorps (Koblenz) einschätzte.99 Das Königliche Württembergische Kriegsministerium meldete im Juli 1918, daß die Wohnungsknappheit als eine Quelle der Unzufriedenheit vor allem für "kleine Leute" gesehen werden müsse. Durch die "drohende Gefahr" der Obdachlosigkeit, sei vor allem bei den Familien der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten eine "recht erhebliche Beunruhigung" entstanden. Um den "ungeheuer schädlichen Erfolg für die Stimmung weiter Kreise" einzudämmen, müßten umgehend weitere Gesetze auf dem Gebiet des Wohnungswesens erlassen werden. 100 Bis zum Sommer 1918 hatten zahlreiche stellvertretenden Generalkommandos "Verfügungen zum Schutz der Mieter" erlassen, um die "stellenweise lebhafte Unzufriedenheit" eindämmen zu wollen. In der Bevölkerung würden diese Maßnahmen, wie der Bericht vom August 1918 zusammenfaßte, "mit großer Begeisterung aufgenommen". Doch waren diese Maßnahmen in den einzelnen Korpsbezirke z. T. unterschiedlich und bedurften der unausweichlichen Vereinheitlichung. 101 97 BarchB, R 1501/12478: Zusammenstellung der Monatsberichte der stellvertretenden Generalkornrnandos, Oktober 1916 bis Mai 1918, Bericht vorn 3. Mai 1918, S. 27. 98 Ebenda, Vgl. Jahrbuch der Bodenreform 1918, S. 286 f. 99 BarchB, R 1505112479: Zusammenstellung der Monatsberichte der stellvertretenden Generalkornrnandos, 4. April1918 bis 23. Dezember 1918, Bericht vorn 3. April 1918, S. 28. 100 Ebenda, Bericht vorn 3. Juli 1918, S. 19. 101 Ebenda, Bericht vorn 3. August 1918, S. 9. Ein rechtliches Problern stellten die KorpsVerordnungen dahingehend dar, daß sie nur einen eingeschränkten Rechtsstatus besaßen. Sie

2. Mieter und Vermieter

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Die Bekanntmachungen zum Schutze der Mieter und über den Wohnungsmangel vom 23. September 1918 bedeuteten einerseits diese einheitliche Regelung, andererseits den Abschluß der Kriegsmaßnahmen im Wohnungswesen und schließlich die Vorbereitung auf die Bestandsschutzpolitik der Nachkriegszeit. Eingeleitet im Krieg und zivilrechtlich verbindlich für die Zeit danach, ermächtigte die erste Bekanntmachung die Mieteinigungsämter, nach der Anrufung durch die Mieter auch abgelaufene Mietverhältnisse für die Dauer eines Jahres zu verlängern. Dem bekannten Doppelcharakter gerecht werdend, konnte das Einigungsamt nach dieser Zeit eine Angleichung der Miete an die allgemeine Preissteigerung vornehmen. In Kommunen und Gemeinden, die in ihrer Selbsteinschätzung einen "besonders starken Wohnungsmangel" verzeichneten, konnten die Landeszentralbehörden nun die Einigungsämter ermächtigen, Vermieter zu verpflichten, jede Mieterhöhung bei Neuvermietung anzuzeigen. Die Ämter waren danach befugt, diese Erhöhung zu genehmigen oder auch herabzusetzen. Mietverhältnisse von Seiten der Vermieter waren zudem nur mit vorheriger Zustimmung des Einigungsamtes zu kündigen. Ziel dieser Ermächtigung war nicht in erster Linie eine Schutzpolitik für Mieter gegen die Erhöhung der Miete als vielmehr eine lokale Kontroll- und Regulierungsfunktion der Mieten allgemein. 102 Die Bekanntmachung über den Wohnungsmangel war die verspätete Anerkennung desselben in weiten Teilen Deutschlands. Die in der Verordnung vorgesehene Mobilisierung von Wohnraumreserven durch lokale Behörden machte die Ohnmacht im Gestaltungsspielraum und die Festschreibung einer ausschließlichen Mangelverwaltung deutlich. Qualitativ neu war die Eingriffsmöglichkeit auf der Angebotsseite des Wohnungsmarktes, indem die Erhaltung, Erfassung und Ausnutzung sowie die Schaffung neuer Wohngelegenheiten durch die Umwandlung bisher nicht zu Wohnzwecken genutzter Räume angewiesen werden konnte. 103

waren Notbehelfe, denen zivilrechtliche Maßnahmen folgen mußten. Im Reichstag wurde im Juli 1918 diese Frage diskutiert. Generalmajor von Wrisberg, Departementsdirektor im Kriegsministerium und stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat für das Königreich Preußen nahm dazu Stellung. Er stellte fest, daß die Militärbefehlshaber nach § 9b des Belagerungsgesetzes zu solchen Erlassen befugt waren. Die Verordnungen der stellvertretenden Generalkommandos erfolgten "auf Antrag und im Einvernehmen mit den Zivilbehörden, um einer durch die Massenkündigungen und Mietsteigerungen bis zu 45 Prozent entstandenen Wohnungsnot und der daraus folgenden schweren Beunruhigung der Bevölkerung im Interesse der Sicherheit des Reiches so schnell als möglich abzuhelfen". Sie stellten eine Ergänzung der Bundesratsverordnung vom 26. Juni 1917 dar. Die Verordnungen seien damit Erweiterungen bestehender Vorschriften und machten Mietsteigerung oder Wohnungskündigung grundsätzlich von der Genehmigung des Mieteinigungsamtes bzw. der Polizeiverwaltung abhängig. BarchB, R 1501 I 12219, BI. 1: Stenographischer Bericht des Reichstages vom 4. Juli 1918, S. 5768 A-C, 5774 C-D; BI. 2: Ausschnitt aus dem stenographischen Bericht des Reichstages vom 9. Juli 1918, S. 5967 B -D. Vgl. auch Kerner; S. 78 f. 102 Vgl. Kerner; S. 79- 86; Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungsund Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3397-3401; Hirtsiefer; S. 108. 103 Vgl. Kerner; S. 94. 4*

I. Wohnen im Krieg

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Zu einer "Fehde im Inneren", von der Wohnungsfrage im Krieg ausgelöst, kam es durch die Bestandsschutzpolitik von Reich, Bundesstaaten und Gemeinden nicht. Dieser Abschnitt der "Heimatfront" konnte befriedet gehalten werden. Aber die Sicherung des Bestandes war auch ein weitestgehendes Nichtreagieren auf den Ausfall der Wohnungsproduktion. Am Ende des Kriegs waren Reich, Bundesstaaten und Gemeinden mit einem enormen Wohnungsbedarf konfrontiert, der den vor dem Krieg aufgestauten und den neuen Bedarf vereinte. Allein in Berlin, so schätzte Kuczynski, fehlten 1918 etwa 20.000 Wohnungen. Wenn die nach Kriegsende anstehenden Eheschließungen hinzukämen, verdoppelte sich diese Zahl. 104 Am Ende des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren bestand im gesamten Reichsgebiet ein Wohnungsbedarf zwischen 800.000 und einer Million.105

b) Kampf den "Hunnen zu Haus"- Trennungsentschädigung, Mietstreiks und Mietgesetzgebung in Großbritannien

Der Kriegsbeginn zog auch in Großbritannien eine Gesetzgebungstätigkeit nach sich, die gewissermaßen einem Mietkündigungsverbot für Familien von Kriegsteilnehmern gleichkam. Der Courts (Emergency Powers) Act von 1914 beinhaltete eine Art Moratorium, welches den Aufschub der Mietzahlungen regeln und Exmittierungen, wenn nicht ausschließlich, so doch vor allem von Ehefrauen bzw. Familien der Eingezogenen verhindem sollte. In einigen Fällen führte dies tatsächlich zu Stundungen. Einen Schutz gegen mögliche Mieterhöhungen im Zuge des zunehmenden Mangels an Wohnungen vor allem in landwirtschaftlichen Regionen und Städten mit kriegswichtiger Produktion bot das Gesetz kaum. Solchen "Eventualitäten" konnte die britische "Marktmentalität" im Wohnungswesen 1914/15 noch wenig entgegensetzten. 106 Vorerst griffen traditionelle Unterstützungssysteme, welche den Familien der Kriegsteilnehmer die Männem zumindest finanziell "ersetzen" sollten. Nach dem Aufbau eines Familienunterstützungswesens (Trennungsentschädigung), das keine ausdrucklieh als Mietbeihilfe definierte Zuwendung beinhaltete, konnten bestehende Wohnverhältnisse im Krieg aufrecht erhalten, Mietsteigerungen und Wohnungskündigungen in der Folge einer zunehmenden Wohnungsknappheit aber nicht vollständig verhindert werden. Erst ab dem Herbst 1915 bremste ein Mietgesetz diesen Trend und hatteangesichtsimmer weniger freier Wohnungen mit regional unterschiedlicher Ausprägung seine Berechtigung als staatliche Mieterschutzinstitution.

Vgl. Kuczynski, Die Wohnweise der Kriegerfrauen in Groß-Berlin, S. 99. Vgl. u. a. Nadel, Kurt, Die deutsche Wohnungspolitik der letzten Jahre und die Bekämpfung des Wohnungsmangels, Schriften des Deutschen Vereins für Wohnreform e. V., Heft 2, Berlin 1927, S. 35; ausführlich in Kapitel 111. 1. d). 106 Englander, Landlord and tenant, S. 200 f. 104 105

2. Mieter und Vermieter

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aa) Trennungsentschädigung

Den Familien der Kriegsteilnehmer sollte eine nach dem Dienstgrad abgestufte, allgemeine finanzielle Unterstützung (separation allowance) gewährt werden, die auch die Mietzahlungen sicher stellen sollte. Am 10. August 1914 hatte Premierminister Asquith derartige Zahlungen als staatliche Beihilfen für alle Ehefrauen von Kriegsteilnehmern angekündigt. Aber die Nichtexistenz einer funktionierenden organisatorischen Maschinerie im August/ September 1914 hatten zur Folge, daß den auszahlenden Stellen weder Listen über die Zahl der Anspruchsberechtigten vorlagen, noch sie der Flut der Anträge gewachsen waren. Zahlreiche Familien kamen bezüglich ihrer Mietzahlungen in Bedrängnis. Die Soldiers and Sailors Families Association, während des Burenkrieges (1899-1902) unter königlicher Schirmherrschaft gegriindete, private Hilfsorganisation, sprang in solchen Fällen ein, in denen die Unterstützung nicht oder verspätet gezahlt wurde. Für die Regelung der Mietverhältnisse empfahl sie den Hilfesuchenden, als Gegenleistung für gewährte Unterstützungen, ihre Mietkosten zu senken. Zahlreiche Ehefrauen von Kriegsteilnehmern zogen daraufhin, wie in Deutschland, zu Eltern oder Schwiegereltern bzw. in kleinere, billigere Wohnungen. 107 Die Soldiers and Sailors Families Association sorgte sich seit ihrer Griindung vor allem um die Unterstützung von "off the strength wives". Im Kriegszustand war das Heiraten von Soldaten reglementiert. Nur einem geringen Prozentsatz von "einfachen" Militärangehörigen, vorwiegend als Belohnung für Loyalität und lange Dienste, gestattete das System des "marriage on the strength" sich zu verehelichen. Die Ehefrauen "on the strength" hatten damit u. a. einen Anspruch auf Wohnungs-, Bildungs- und sonstige Fürsorge durch die Armee. Den Frauen "off the strength", welche die Ehe mit Soldaten ohne Erlaubnis der Militärbehörden eingingen, standen philanthropische Organisationen wie eben die Soldiers and Sailors Families Association finanziell zur Seite. 108 Der Erste Weltkrieg stellte dieses System der Unterstützungsgewährung grundlegend in Frage. Das Nichtwahrnehmenwollen des "off the strength"-Phänomens und die Erweiterung der regulären Armee um hunderttausende Freiwillige hatte zu den organisatorischen Defiziten bei den Unterstützungszahlungen geführt. Aber ab Oktober waren die Anlaufschwierigkeiten weitestgehend überwunden, und die Beihilfen wurden landesweit über die Postämtern ausgezahlt. Zu Beginn des Krieges bezogen gerade einmal 1.100 Ehefrauen von Soldaten staatliche finanzielle Unterstützung. Während der ersten Welle der Kriegsfreiwilligenwerbung im Herbst 1914 stieg diese Zahl auf etwa eine halbe Million an. I07 Vgl. Magri, Susanna, Housing, in: Winter /Robert (Ed.), Capital Cities at war, S. 381 f.; Aldridge, H., Housing after the War, S. 235 f. 108 V gl. Pedersen, Susan, Gender, Welfare, and Citizenship in Britain during the Great War, in: The American Historical Review, Vol. 95, No. 4, Oktober 1990, S. 983-1006, hier S. 986 f.; Dies., Family, dependence and the origins of the welfare state, Cambridge 1993, S. llO f.

54

I. Wohnen im Krieg

Neben den staatlichen Zuwendungen zahlten die 900 Büros der Soldiers and Sailors Families Association, die 1915 bestanden, mit ihren rund 50.000 freiwilligen, vorwiegend weiblichen Mitarbeitern, Beihilfen aus. Allein in den ersten fünf Kriegsmonaten half die Organisation etwa 300.000 Frauen und 700.000 Kindem von Soldaten. Ende 1915 wurde durch die Naval and Military Pension Bill die administrative Zuständigkeit der Unterstützungszahlungen endgültig in die Hände eines zentralen, gesetzlich verankerten Gremiums mit örtlichen Ausschüssen aus militärischen, politischen und philanthropischen Repräsentanten gelegt. Im folgenden Jahr gingen die Befugnisse des Zentralausschusses auf das neugegründete Ministry of Pensions über. Große Teile der nebenamtlichen Tätigkeit der Association wurde damit offiziell von lokalen, staatlichen Verwaltungen übernommen. Doch setzten die Zweigstellen der Soldiers and Sailors Families Association ihre Arbeit fort und waren teilweise "simply ... appointed as subcommittees" der britischen Kriegswohlfahrtspflege. 109 Die institutionellen Anlaufschwierigkeiten und die Praxis, einen beachtlichen Teil der Zuwendungen durch die lokalen Niederlassungen militärischer Wohlfahrtseinrichtungen auszahlen zu lassen, stieß auf öffentliche Kritik. Die liberalradikale Wochenzeitschrift The Nation fragte im Dezember 1914 "Whose servant is the soldier and sailor?" und versuchte sich vorzustellen, was wohl Regierungsbeamte denken würden, wenn ihnen ihr Gehalt durch Wohlfahrtseinrichtungen ausgezahlt würde. 110 Es wurde bemängelt, daß die Unterstützungszahlungen erst Wochen und Monaten nach Kriegsbeginn auf eine "vernünftige Grundlage" gestellt wurden. Der Staat habe zu spät eingesehen, die Verantwortung für die Familien der Eingezogenen, die Kriegsbeschädigten und die Hinterbliebenen übernehmen zu müssen. Auch die Höhe der Unterstützung war für die Zeitschrift Grund zur Beanstandung. Die angekündigte Erhöhung der wöchentlichen Zuwendung von mindestens 12 Schilling und 6 Pence hätte "generöser" ausfallen können. Jedoch bemerkte The Nation, daß die Zahlungen in Zukunft nicht nur den Ehefrauen zugute kommen sollen, sondern auch Müttern und Schwestern von Kriegsfreiwilligen. Die Kritik gipfelte in der Feststellung, daß Regierung und Staat die Soldaten eben als Diener, als Unmündige und nicht als Staatsbürger verstünden. 111 Als "need-blind benefits" bezeichnet Susan Petersen die Unterstützungszahlungen für die Ehefrauen und Kinder der eingezogenen Soldaten. 112 Der britische Staat übernahm zwar mit den Zahlungen eine entscheidende allgemeine Verantwortung, quasi als "Ersatzehemann", die sich aber nur wenig an den Bedürfnissen der Familien der Kriegsteilnehmer orientierte. Die Erhöhung der Beihilfen orientierte sich an den allgemeinen Preissteigerungen, berücksichtigte hingegen nicht 109 110 111 11 2

Vgl. Pedersen, Gender, Welfare, and Citizenship, S. 991-994. The Nation vom 19. September 1914, S. 855. Ebenda. Petersen, Gender, Welfare, and Citizenship, S. 985.

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2. Mieter und Vennieter

die lokal unterschiedlichen Preisanstiege, was besonders bei den Mieten in den Städten und Regionen mit Rüstungsproduktion zum Tragen kam. Die finanziellen Aufwendungen für die Familienunterstützung waren nichtsdestotrotz beträchtlich. Der Staat zahlte von April 1914 bis März 1920 über f414 Millionen an "separation allowances". Die Summe entsprach fast der Hälfte dessen, was als Wehrsold für diesen Zeitraum aufgewendet wurde. Etwa 1,5 Millionen Ehefrauen "mit mehren Millionen Kindern" und weitere 1,5 Millionen Angehörige von Kriegsteilnehmern bezogen staatliche Hilfen. 113 Wie sich die Höhe des Trennungsgeldes im Vergleich zum Index der Lebenshaltungskosten und den Löhnen im Krieg entwickelte, zeigt die folgenden Darstellung:

Tabelle 4

Höhe der wöchentlichen Unterstützung im Vergleich zum Einkommen von Frauen und Männern in ausgewählten Branchen (Angaben in shillingsund pence) und Index der Lebenshaltungskosten in Großbritannien 1914 bis 1919 114

.

1914

1915

1916

1917

1918

50

k.A.

k.A.

50

k.A.

50

Frauen mit zwei Kindern

1417

21/-

211-

24/6

24/6

31/-

Frauen mit drei Kindern

17/6

25/-

25/-

311-

311-

40/6

Einkommen von Frauen in der Nichtrüstungsproduktion

13/6

14/9

15/10

1911

23/6

k.A.

Einkommen von Männern (metallverarbeitendes Gewerbe) ••

160

188

k.A.

233

300

320

Index der Lebenshaltungskosten (lt. Ministry of Labour)

100

125

145

180

205

210

Frauen ohne Kinder

1919

k. A. = keine Angaben • monatliche Beträge, Angaben 1914 für August, 1917 und 1919 für Januar in London, alle anderen Beträge jeweils für Juli **monatliches Einkommen in shillings, Angaben 1914 für August, 1915, 1917 und 1918 für Juli, 1919 für Januar in London

Die Trennungsentschädigung bedeutete für die Mehrzahl der Ehefrauen wie Henry R. Aldridge 1917 feststellte, eine wichtige Errungenschaft, insbesondere bezüglich der Mietverpflichtungen. Die Unterstützungen, so Aldridge,

Vgl. ebenda, S. 984 f. , Kundrus, S. 426 f. Petersen, Gender, Welfare, and Citizenship, S. 1001; Bonzon, Thierry, Transfer payments and social policy, in: Winter I Robert (Ed.), Capital Cities at War, S. 294 [* und **]). 113

114

I. Wohnen im Krieg

56

"had a good sense to maintain their homes and to regard the payment of the rent as the first charge on a separation allowance, which, for the first time in the history of European wars, has been sufficient to enable our soldiers' wives to maintain their homes without charitable aid." 115

Nicht ohne Überschwang betonte Aldridge, daß die Zahlung der Miete aus dem "Trennungsgeld" als erstes erfolgen würde. Wie selbstverständlich kündigte sich für ihn die Ablösung der "wohltätigen Hilfe" durch einen gesetzlichen Zuschuß zur Lebenshaltung als eine historische Zäsur in der "Geschichte europäischer Kriege" an. Gesetzlich verankerte Wohlfahrtsleistungen für Ehefrauen von Soldaten waren damit ein Schritt hin zur Übernahme sozialer und hier wohnungspolitischer Verantwortung des Staates für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. Nichtsdestotrotz schätzte Aldridge in seinem voluminösen Werk The National Housing Manual, einem Führer zur nationalen Wohnungspolitik und deren Verwaltung, 1923 rückblickend ein, daß die Trennungsentschädigung in den ersten Kriegsjahren keinen Spielraum ließ, die Steigerung der Mietkosten auszugleichen. Diese Tatsache führte bei den Soldaten und ihren Ehefrauen zur Unzufriedenheit, so daß von der Regierung erwartet wurde, durch ein Gesetz die Mietsteigerungen während des Kriegs einzudämmen bzw. ganz zu verbieten. 116

bb) Mietstreiks und Mietgesetzgebung

Der Miet- und Wohnungssituation in ländlichen, landwirtschaftlich geprägten Regionen und in den Städten mit umfangreicher Rüstungsproduktion galt besondere öffentliche und politische Aufmerksamkeit. Mietsteigerungen und Wohnungskündigungen waren an der Tagesordnung. In der Landwirtschaft erregte diese Situation im Winter 1914/1915 erste Aufmerksamkeit. Den Ehefrauen von Landarbeitern, die sich zum Militär gemeldet hatten, wurden die Wohnungen auf zahlreichen Farmen gekündigt, um diese für neu einzustellende Landarbeiter freizumachen. Wie der Labour-Abgeordnete W. C. Anderson im Februar 1915 im Unterhaus bemerkte, herrschte, obwohl der Courts (Emergency Powers) Act die lokalen Schiedsgerichte mit großer Machtbefugnis ausgestattet hatte, Unsicherheit bei der Durchsetzung dieser Befugnisse hinsichtlich des Verbots von Exmissionen. Die "Macht des Ermessens" in den Händen der Gerichte und diese einzusetzen, scheiterte an der Existenz eines Gutteils Zweifel und Ungewißheit, die unter den vermietenden Bauern anzutreffen sei. Sie kannten, wie der Abgeordnete feststellte, kaum ihre Befugnisse, wie auch die auf den Höfen lebenden Ehefrauen der Soldaten in vielen Fällen ihren Rechten "vollständig ignorant" gegenüberstünden. 11 7

Aldridge, Housing after the War, S. 235. Aldridge, Henry R., The National Housing Manual, London 1923, S. 144. 117 PRO, ZHC 2/579, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 70, 3. vol. of session 1914- 15, col. 234. 115

116

2. Mieter und Vermieter

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Die "Ignoranz", die dazu verleitete, Mietkündigung hinzunehmen, und ein unzureichender, gesetzlich nicht verankerter Schutz vor Exmittierungen waren die Auslöser für zahlreiche Debatten im Unterhaus. Wohnungskündigungen, wie auf dem Land, waren Ausdruck einer sich zunehmend verändernden Situation im Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern. Sie wurden durch den Umstand verschärft, daß in den betroffenen Regionen insgesamt ein Mangel an Wohnungen, die alternativ hätten bezogen werden können, bestand. Den Wohnungsmangel auf dem Land schätzte Anderson für England, Wales und Schottland auf etwa 120.000, wenn selbst solche, die "unfit for human habitation" waren, in die Bestandsaufnahme einbezogen würden. Anderson betonte, daß die Regierung im Krieg die Pflicht habe, in Zusammenarbeit mit den zuständigen Gerichten vor Ort, das Problem der Wohnungskündigungen und des Wohnungsmangels durch gesetzgebensehe Intervention zu lösen. Es könne nicht sein, daß die Frauen und Kinder der Kriegsteilnehmer gezwungen würden, ihre Wohnungen zu verlassen. Die Pflicht von Staat und Regierung müsse es sein zu verhindern, daß diejenigen, die "wir gefragt haben .. . hinauszugehen und zu kämpfen für unsere Heimstätten" und ihre Angehörigen obdachlos gemacht würden. 118 In den Städten, vor allem denen mit kriegswichtiger und Rüstungsproduktion, deutete sich nach Kriegsbeginn ein Trend zum Anstieg der Mieten an. Der Arbeitskräftebedarf der Rüstungsindustrien ließ arbeitslos gewordene oder vom Land zuwandernde Männer und Frauen in die Orte der Kohlen- und Stahlproduktion, des Schiffsbaus und der Munitionsherstellung ziehen. Besonders der Anstieg der Mieten und Fälle von Exmittierungen im schottischen Glasgow waren seit Februar I März 1915 Themen der Debatten im Unterhaus. Obwohl zahlreiche Vermieter zu Kriegsbeginn freiwillig erklärt hatten, die Mieten nicht zu erhöhen 119, traten Fälle von Mietsteigerungen auf und fanden wiederholt Eingang in die parlamentarischen Auseinandersetzungen. Die Glasgower Abgeordneten stellten in ihren Interpellationen die Mieterhöhungen in der Stadt zur Diskussion und fragten die Regierung, welche Stellung sie zu den Vorgängen einnehme, bzw. ob sie bereit sei, Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Auf die Anfrage des Abgeordneten Bames vom Sommer 1915 bezüglich des Anstiegs der Mieten in Glasgow als Konsequenz der kriegsbedingten Steuererhöhung, erwiderte der Minister für Schottland McKinnon Wood zustimmend: "1 regret to say that a good deal of feeling has been aroused by the fact that in some of the notices the increase in taxation necessitated by the War is mentioned as a reason for increasing the rent. . .. I venture to think that this is an unfortunate attitude for owners to assume at a time like this, when all classes of the community may be expected to be ready to bear their share of the sacrifices entailed by the War.'d 20

Ebenda, col. 235. Vgl. Hurwitz, Samuel J., State intervention in Great Britain, New York 1949, S. 258 f. 12o PRO, ZHC 2 I 579, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 70, 3. vol. of session 1914--15, col. 971 ; vgl. auch ebenda, col. 165 f., col. 232, col. 1828, col. 1838. 118 119

58

I. Wohnen im Krieg

Die "gewagte" Annahme, daß die "unglückliche Einstellung" einiger Vermieter Belastungen, welche die gesamte Gesellschaft träfen, an die Mieter weitergeben würden, verdeutlichte auch eine Anfrage vom Juli desselben Jahres. Nachdem der Präsident des Board of Trade Runciman, dessen Amt u. a. für die zentrale Kontrolle von Preisen und Tarifen zuständig war, Mieterhöhungen in Glasgow seit Beginn des Krieges zugestand, mußte er auch Mieterhöhungen auf Grund der Anhebung der Farnilienunterstützung für Eingezogene konstatieren. Den Vorschlag nach Einrichtung von speziellen Gerichten in den betroffenen Gebieten, sogenannten "Fairreut Courts", wies er hingegen mit der Begründung zurück, daß das bestehende Gesetz, der Courts (Emergency Powers) Act, ausreiche. Eine spezielle Mietgerichtsbarkeit ablehnend versicherte er dem Parlament, daß, wenn es die Situation verlangte, die Regierung "will not fail to seek fresh powers." 121 Im Herbst 1915 forderte die Lage "frische Kräfte". In verschiedenen Teilen Großbritanniens war es wiederholt zu Mietstreiks gekommen. Im Unterhaus ermahnten einige Abgeordnete diejenigen unter den Vermietern, die ihre Mieten im Krieg erhöhten, daß "their action in raising at a time when this country is engaged in a life and death struggle, when the noblest and best of her sons are giving their life's blood to defend hearth and home from German horrors, to defend their wives and children, and also the wives and children of the landlords, is wrong. " 122

Obwohl auch die Vermieter anerkennen würden, daß sie stolz seien auf ",ihre' Söhne", welche das Land vor einer deutschen Invasion schützten, zögerten sie nicht, in der Abwesenheit der Männer die Mieten zu erhöhen oder deren Angehörige auf die Straße zu setzen. Der liberale Abgeordnete Alfred Yeo, der im September 1915 diese Anklage vorbrachte, forderte gleichzeitig die Regierung auf, endlich Schritte einzuleiten, die dem Vorgehen der Vermieter Einhalt gebieten sollten. Indem die Frontsoldaten und ihre Familien auf solche Art und Weise "beunruhigt und schikaniert" würden, säe man "industrielle Unzufriedenheit und Unruhe". 123

121 PRO, ZHC 2 I 582, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 73, 6. vol. of session 1914-15, col. 978 f. Welche Qualität der Schutz vor Exmittierung hatte, war von Gericht zu Gericht verschieden und hing nicht selten von der "Stimmung" des vorsitzenden Richters ab. In Glasgow wurden beispielsweise im Dezember 1914 200 Verhandlungen wegen Mietkündigungen pro Tag abgehalten. Bei einige Gerichten ergingen sogar 60 bis 100 Entscheidungen pro Stunde. Vgl. Englander, Landlord and tenant, S. 203 f. Englander dokumentiert einen solchen Fall vom Juni 1925. Der Ehefrau des in Rouen im Lazarett liegenden Michael M'Hugh, Mutter von sieben Kindern, zwei davon ebenfalls eingezogen, wurde verurteilt, binnen 48 Stunden ihre Wohnung wegen Mietrückständen von unter 20 Schilling zu verlassen. Ebenda, S. 217f. 122 PRO, ZHC 2/583, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 74, 7. vol. of session 1914-15, col. 1566 f. 123 Ebenda, col. 1566.

2. Mieter und Vermieter

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Regierung und Premierminister reagierten auf die Anwürfe gelassen. Premier Asquith entgegnete wiederholt auf die Forderung nach Einrichtung der "Fairrent Courts" als Reaktion auf die Mieterhöhungen, daß "the matter is being carefully watched." 124 Die Frage, ob er sich bewußt sei, daß in allen Gebieten mit kriegswichtiger Produktion Mietsteigerungen auftreten würden und Arbeiter ihre Häuser und Wohnungen verlassen müßten, da sie die Miete nicht mehr zahlen könnten, quittierte er mit der Bemerkung: "I should be very glad if the hon. Member would fumish me with particulars." 125 Die "Details" kamen aus Schottland, aus Glasgow, der Stadt, die zum Zentrum der Mietstreiks wurde. Die Streiks erfaßten mehrere Stadtteile, wie Partick und Parkhead mit einem hohen Arbeiteranteil und bezogen Hunderte von Wohnungen ein, deren Besitzer sich weigerten, Mieterhöhungen zu zahlen. Einen Höhepunkt erreichten die Ereignisse Anfang September 1915. Die Ankündigung von Mieterhöhungen und der sich anschließende Streik hatten zur Folge, daß ein Vermieter den betroffenen Mietern mit der Wohnungsräumung drohte. Die Mieter reagierten auf die Drohung nicht, worauf der Vermieter einen Räumungsprozeß angestrengte. Unter den Mietstreikenden befanden sich auch der Sekretär des Glasgower Tenants Defence Comrnittee, Reid und der Herausgeber der lokalen Partick Gazette und Vorsitzender des Partick Tenants' Defence Committee Hood, die in einer Art Musterprozeß vor Gericht gestellt werden sollten, um die Mieterhöhungen bzw. die Wohnungskündigung durch den Wohnungsverwalter Nicholson gerichtlich bestätigen zu lassen. 126 Der Prozeß und der Streik zogen sich mehrere Wochen hin. Große Teile der Bevölkerung versammelten sich wiederholt auf den Straßen der Stadt, um gegen Mieterhöhungen und Exmittierungen zu protestieren, und um ihre Solidarität mit den Mietstreikenden zu demonstrieren. Anfang Oktober befanden sich bis zu 1.000 Menschen gegen die Erhöhung ihrer Miete im Streik. Mieterhöhungen von 10 bis 20% wurden beklagt. Im Bericht eines umgehend einberufenen Untersuchungsausschusses konstatierte man den Anstieg der Mieten hingegen nur um 5 bis 10%. Nur wenige Erhöhungen wären sehr beträchtlich, so daß die meisten Betroffenen die Belastung verkraften könnten. Allein für die Frauen der Kriegsteilnehmer stellte die Steigerung eine zusätzliche Entbehrung dar. Zusammenfassend versuchte der Bericht mahnend zu beschreiben, wie die Mieter die Mietsteigerungen vordergründig interpretierten:

Ebenda, col. 13 f. und 561. Ebenda, col. 561. 126 Vgl. Forward vom 27. November 1915; Englander. Landlord and tenant, S. 228. Im April1915 kam es bereits zu ähnlichen Aktionen. In Govan, seit 1912 ein Stadtteil Glasgows, gingen einige Mieter nach Mieterhöhungen in 250 Häusern in einen Streik. Nach Intervention lokaler politischer Vereinigungen zog der Vermieter Ende Mai die Erhöhung zuriick. Vgl. Englander, Landlord and tenant, S. 215. 124

125

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I. Wohnen im Krieg

"The increase were treated by the tenants, and perhaps correctly, as symbolic of the Iandlords' intentions not to sacrifice anything and, if possible to profit from the wartime shortage."l27

Die Verbreitung dieser Einschätzung, daß die Vermieter von der Wohnungsknappheit im Krieg profitieren wollten, bedingte die große öffentliche Aufmerksamkeit und breite Sympathien für Mietstreiks allgemein. Zeitungen berichteten darüber und unterstützten die Belange der Streikenden nicht selten durch lebhafte Reportagen über diejenigen, welche in den "vordersten Linien" solcher Proteste und Aktionen standen. Das waren nicht selten die Ehefrauen der "Heroes at the front", die sich jedoch nicht nur an Mietstreiks beteiligten, sondern aktiv auf "vielen Gebieten städtischer Unruhen" waren. 128 Neben den Frauen der Kriegsteilnehmer initiierten vor allem Angehörige der sogenannten "respektablen" Schichten Widerstand gegen die Erhöhung der Mieten. So ging der erste Mietstreik in Glasgow, der bereits im Mai 1915 stattfand, von South Govan aus, einem Stadtteil, in dem vorwiegend Familien von Angestellten, Vor- und Facharbeitern wohnten. 129 Auch in anderen Teilen das Landes erregten Mietstreiks und Proteste Aufsehen. Nachdem es Ende 1914 in Woolwich im Südosten Londons zu Mietsteigerungen kam, drohte ein Mietstreik. In der hier angesiedelten Rüstungsproduktion stieg allein zwischen August und Oktober 1914 die Beschäftigtenzahl von 10.866 aufüber 44.000 an. Mit weiteren 20.000 zuwandernden Arbeitern und Arbeiterinnen wurde gerechnet. Wohnungen und Zimmer wurden knapp, ihre Preise stiegen. 130 The Times berichtete am 17. September 1915, daß in Weymouth im Südwesten Englands Arbeiter aus der Kriegsproduktion gegen die "wucherische" Erhöhung der Hausmieten protestierten. Die Beteiligten verabschiedeten eine Resolution, mit der Aufforderung, diese Art der "systematischen Ausbeutung der Arbeiter" per Gesetz zu stoppen. 131 In Birmingham weigerten sich Anfang Oktober 130 Mieter "of the best class of tenants" ihre erhöhte Miete zu zahlen. 132 Doch vor allem die Vorgänge in Glasgow erregten nationale Beachtung. Anfang Oktober demonstrierten etwa 800 Frauen und Kinder gegen Mieterhöhungen und Exmittierungen. Einige Kinder trugen dabei neben Union Jacks Transparente 127 Report of the Scottish Committee of Inquiry into Alleged Rent Increase, zitiert nach: Orbach, S. 14. 12s Ebenda. 129 Melling, Joseph, Clydeside housing and the evolution of ~tate rent control 1900-1939, in: ders. (Ed.), Housing, social policy and the state, London 1980, S. 139-167, hier S. 148. 130 Um die Situation zu entschärfen, sah sich das für kriegswichtige Produktion zuständige Ministry of Munitions unter Lloyd George genötigt, zusätzlichen Wohnraum ft.ir Beschäftigte des dortigen Arsenals bereitzustellen. Vgl. Wilson, S. 807. Anfang 1915 fand sich eine Kommission der mit dem Wohnungsbau befaßten Ministerien und Behörden zusammen, um den Bau von 1.000 Wohnungen und Häuser, der Siedlung Weil Hall zu beschließen. Vgl. Eng/ander; Landlord and tenant, S. 199. 131 Zitiert nach: Orbach, S. 13. 132 Englander; Landlord and tenant, S. 208 f.

2. Mieter und Vermieter

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und Plakate mit der Aufschrift "My father is fighting in France - We are fighting the Huns at home" und "While my father is a prisoner in Germany the Iandlord is attacking our home".133 Bis Ende Oktober befanden sich nach Schätzungen des Labour-Abgeodneten Dollan nicht weniger als 15.000 Menschen aus allen Arbeiterviertel im Streik. 134 Im November waren es bereits 20.000, die durch die Verweigerung der Zahlungen gegen hohe Mieten aufbegehrten. 135 Die Proteste erreichten ihren Höhepunkt schließlich am 17. November, dem Tag der Gerichtsverhandlung gegen Reid, Hood und 16 weitere Mietstreikende. Tausende Menschen versammelten sich vor dem Gerichtsgebäude, um für die Niederschlagung der Klage und die Beendigung der Verfahrens zu demonstrieren. Der Friedensrichter (Sheriff) sah sich gezwungen, verschiedene Abordnungen Glasgower Arbeiter zu empfangen, die unmißverständlich ihren Unmut über den Prozeß zum Ausdruck brachten. Ein Vertreter der Dalmuir Schiffswerft erklärte, wenn der Prozeß nicht niedergeschlagen würde, wäre der Punkt erreicht, die Arbeit einzustellen. Wie die Labour-Wochenzeitung Forward berichtete, unterstrich er die Haltung der Werftarbeiter, indem er darauf verwies, daß "[t]he country cannot do without these 8.000 workers, but the country can do without the factors." 136 Der Sprecher einer zweiten Abordnung, der die Angestellten der wichtigsten Maschinenfabriken Glasgows und Umgebung repräsentierte, machte deutlich, daß bei der Nichteinstellung des Verfahrens eine allgemeine Arbeitsniederlegung drohen würde. 137 Daraufhin wurde lediglich die Unterbrechung des Verfahrens verfügt. Vor dem Gerichtsgebäude kam es zu Handgemengen. Aus Unzufriedenheit mit der Entscheidung, den Fall nicht vollständig einzustellen, drohte sich eine unterstützende, zeitlich befristete Arbeitsniederlegung zu einem industriellen Generalstreik bis zur Erfüllung der Forderung von Mietern und Sympathisanten auszuwachsen. Schließlich wurde der Kläger Nicholson "überzeugt", die Klage zuriickzuziehen; die Mieter hatten gesiegt. Dieser Sieg bedeutete die Stärkung der Streikbewegung und gab Aktionen landesweit Auftrieb, die forderten, daß die Regierung endlich bei der Regelung der Mieten in die Pflicht zu nehmen sei. 138 133 Vgl. Photographie aus The Bulletin vom 8. Oktober 1915, in: Melling, Joseph, Rent strikes, Edinburgh 1983, S. 84 f. Vgl. auch ZHC 2/583, Parliarnentary Debates. Officia1 Report, Vol. 74, 7. vol. ofsession 1914-15, col. 1572-1575. 134 Vgl. Englander, Landlord and tenant, S. 225. 135 Vgl. Damer, Sean, State, class and housing. Glasgow 1885-1919, in: Melling (Ed.), Housing, social policy and the state, S. 73-112, hier S. 95; Orbach, S. 24 f. 136 Forward vom 27. November 1915. 137 Vgl. ebenda. 138 Englander, Landlord and tenant, S. 232; vgl. auch Melling, Joseph, Clydeside rent struggles and the making of Labour politics in Scotland 1900-39, in: Rodger, Richard (Ed.), Scottish housing in the twentieth century, Leicester 1989, S. 54-88, hier S. 65-72; Gallacher, William, Revolt on the Clyde, London 1936, S. 50-66 und 77- 114; Rodger, Richard, Scot1and, in: Pooley, S. 105- 131, hier S. 123 f.; Wilson, S. 807 f.

I. Wohnen im Krieg

62

Nicht nur symbolisch waren die Mietstreiks und die mit ihnen verbundenen Proteste vom Herbst 1915 ein Erfolg. Der Staat reagierte. Seit Anfang Oktober 1915 arbeitete man im Ministry of Munitions, das im Krieg für die Wohnungsangelegenheiten für die Beschäftigten der Rüstungsindustrie zuständig war, an einer Mietkontroll- und Mieterschutzgesetzgebung. Diese sollte für die Dauer des Krieges, auf die Regionen mit kriegswichtiger und Rüstungsproduktion beschränkt, eingeführt werden. Kein Mietkontrollgesetz bzw. die weitere Hinauszögerung eines solchen bedeutete eine anhaltende Unruhe in den Industrieregionen um Glasgow und anderswo. Das hatten die Streiks deutlich gezeigt. Aber die anfangs angedachte regionale Beschränkung war nicht durchzusetzen. Am 25. November wurde der Increase in Rent and Mortgage (War Restriction) Act im House of Parliaments eingebracht und wenig später verabschiedet. 139 Das neue Gesetz legte die zulässigen Höchstmieten für bestimmte Wohnungen und Häuser, die sogenannten "working-class-homes", nach der Höhe ihres jährlich steuerbaren Wertes fest. Allgemein wurden diese Mieten auf dem Vorkriegsstand eingefroren bzw. auf das Niveau der Erstvermietung im Krieg fixiert. Davon betroffen waren ab November 1915 Häuser und Wohnungen mit einer jährlichen Miete von bis f35 in London, BO in Schottland und ±:26 im übrigen Königreich. 140 Bereits eine Woche nach Einführung des neuen Gesetzes verkündete der Abgeordnete Yoe im Parlament, daß sich "positive Effekte" eingestellt hätten, Wohnungskündigungen zuriickgezogen wurden, und die Erstattung bereits gezahlter, erhöhter Mieten auf Antrag nun möglich sei. 141 Allein in Glasgow wurde so per Gesetz ein Mietsteigerungsstop über mehr als 200.000 Häuser und Wohnungen verhängt. Im Friihjahr 1917 waren in ganz Großbritannien etwa sieben Millionen Wohnungen mietpreisgebunden. 142 Die positiven "effects on recruiting", die sich nicht nur der Labour-Abgeordente Barnes durch das neue Gesetz versprach, 143 waren mit der Einführung der Wehrpflicht im Folgejahr nicht mehr notwendig. Exmissionen traten zwar noch vereinVgl. Englander; Landlord and tenant, S. 231 f. PRO, HLG 291128, ohne Bl.-Nr.: Note on Rent restriction act. Die Höhe der Miete der vom neuen Gesetz betroffenen Häuser variiert je nach Quelle leicht. 141 PRO, ZHC 21585, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 76, 9. vol. of session 1914-15, col. 784. 142 Vgl. ebenda, col. 845. Auf die Anfrage eines schottischen Parlamentsabgeordneten vom 2. Dezember 1915 über die Anzahl der Häuser und Wohnungen in Glasgow, die einen Mietwert von bis zu unter der Grenze von :E30 liegenden !:21 hatten, antwortete McKinnon Wood, Secretary for Scotland, daß es sich hierbei um 198.405 handele. Vgl. auch Kölnische Volkszeitung vom 23. Juni 1917. 143 Vgl. ZHC 2 I 583, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 74, 7. vol. of session 1914-15, col. 1574 f. Vgl. auch Orbach, S. 26-32. Der Abgeordnete Yoe war im Dezember der gleichen Meinung. Das neue Gesetz hätte einen guten Einfluß auf die Rekrutierung neuer Soldaten, die sich nun keine Sorgen mehr über das Wohnen ihrer Ehefrauen und Familienangehörigen machen müßten. Vgl. PRO, ZHC 2 I 585, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 76, 9. vol. of session 1914-15, col. 784. 139

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3. "Erbe" und die Politik der Bestandssicherung

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zelt auf, aber deren Willkürlichkeit wurde durch die zuständigen Gerichte mittels bestehender und novellierter Gesetze beschränkt [Courts (Emergency Powers) Act, 1917 und lncrease in Rent and Mortgage (Amendment) Act, April 1918]. 144 Der als zeitlich beschränkt geplanten, aber massiven Eroberung dieses politischen Feldes mußte die Intervention in einem weiteren, wichtigerem Bereich des Wohnungswesens folgen, dem Wohnungsbau. Die Festlegung von Maximalmieten für kleine Wohnungen hatte negative Effekte auf deren Instandhaltung und, was entscheidender war, sie verstärkte den anhaltend rückläufigen Trend beim Neubau solcher dringend erforderlichen Wohnungen. Bei Kriegsende fehlten in England, Schottland und Wales mehr als eine halbe Million Wohnungen. 145

3. "Erbe" und die Politik der Bestandssicherung Gemeinsamkeiten und Unterschiede Der Kriegsbeginn bedeutete in Deutschland und Großbritannien die Fortsetzung rückläufiger Trends beim Bau von kleinen Wohnungen und mit regional und zeitlich unterschiedlicher Intensität die Vertiefung bestehenden struktureller, qualitativer Mängel des Wohnungsmarktes. Garnisonsstädte, Städte mit Rüstungsindustrien und einzelne landwirtschaftliche Regionen waren von diesen Entwicklungen besonders betroffen. Im Verlauf den Krieges wurden die "ererbten" Mängel durch die stark nachlassende Wohnungsproduktion verschärft, in deren Ergebnis bei Kriegsende ein umfassender Mangel an kleinen und mittleren Wohnungen in beiden Ländern zu verzeichnen war. Bedacht auf den "Schutz" der Rechte von Kriegsteilnehmer und zur "Befriedung der Heimatfront", wurden sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien bei Kriegsbeginn Gesetze erlassen, die Kriegsteilnehmer und ihre Familien in die Lage versetzen sollten, von den Verknappungstendenzen auf dem Wohnungsmarkt "verschont" zu bleiben. Flankiert wurden diese Gesetze durch die Gewährleistung staatlicher Beihilfen zur Aufrechterhaltung der Wohnung bei gleichzeitiger Abwesenheit des Hauptfamilieneinkomrnens. In Deutschland wurden spezifische Mietbeihilfen als fester Bestandteil der Familienunterstützungen ausgezahlt, während in Großbritannien lediglich allgemeine Beihilfen gewährt wurden, von denen die Mietzahlungen im Krieg sichergestellt werden sollten. Diese Maßnahmen hatten in beiden Ländern eine Doppelfunktion. Einerseits sollten sie zum Eintritt in die Armee mit dem Gedanken motivieren, daß "daheim alles geregelt sei", und "Vater Staat" sich um die "zurückbleibenden" Angehörigen kümmern würde. Diese Funktion war in Großbritannien bis 1916 stärker ausgeprägt, da sie zur Rekrutierung in die Freiwilligen144 Vgl. ZHC 2/607, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 98, 11. vol. of session 1917, col. 1473 f.; col. 2148; vgl. Englander, Landlord and tenant, S. 258-263; Holmans, A. E., Housing policy in Britain, London 1987, S. 387 f. 145 Vgl. Kapitel II. 2. c) und III. 2. b).

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I. Wohnen im Krieg

armee Anwendung fand. In beiden Ländern sollte die Wirkung des "Behütet-Wissens" den Krieg aus der Heimat fern halten, die sozialen und ökonomischen Kräfte für den Krieg bündeln und zum Kampf motivieren. Andererseits sollten die Mechanismen der heimatlichen Wohnungswirtschaft und das Verhältnis Mieter I Vermieter weitestgehend staatsfern aufrecht erhalten werden. Die Familien- und Mietunterstützungen sicherten auch die Existenz der privaten Wohnungswirtschaft, die ihrerseits zur "Opferbereitschaft" angehalten war, die sich in der Zurliekhaltung bei Mieterhöhungen und Wohnungskündigungen ausdrucken sollte. Die "sichere Wohnung" verstand sich als eine komplexe Problemlösungsstrategie, welche die deutsche als auch die britische Gesellschaft im Krieg einen und auf das Kriegführen konzentrieren lassen sollte. Aber Schutzgesetze sowie Miet- und Familienbeihilfen konnten bei der zunehmenden Wohnungsknappheit das postulierte "friedliche Miteinander" nicht garantieren. In Deutschland wurden mit den Mieteinigungsämtern und regionalen, durch militärische Verwaltungsstellen erlassenen Wohnungskündigungsverboten flankierende Maßnahmen ergriffen, die den Mieterschutz sicherstellen sollten. Der Mieterschutz bekam den Charakter der "Schlichtung", des Ausgleichs zwischen den Interessen zugewiesen, der nicht vor dem Sommer 1917 in verbindliche Regeln gegossen wurde. Als im Herbst 1918 mit der Doppelbekanntmachung zum Schutz der Mieter und den Maßnahmen über den Wohnungsmangel eine reichseinheitliche Verordnung erlassen wurde, war die Bestandsschutzpolitik nicht mehr als eine Notverwaltungspolitik. Die Bekanntmachungen vom September 1918 hatten wie die Vorgängerverordnungen einen vordergrundig wirtschafts- und ordnungspolitischen Hintergrund. Staatliche Reglementierung war in ihrem Charakter korrigierend dort, wo die Mechanismen des Wohnungsmarktes nicht mehr funktionierten. Die Verordnungen und Bestimmungen der Kriegszeit waren als zeitlich befristete Korrektive konzipiert, die nicht sozialpolitisch orientiert waren. Ein allgemeiner Mieterschutz im eigentlichen Sinn des Wortes lag nur bedingt im Interesse des Gesetzgebers. Für die Gesellschaft im Krieg war die Minimaloption staatlichen Eingreifens fast ausschließlich zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und als symbolische Anteilnahme an den Entwicklungen im Wohnungswesen von Bedeutung. Das preußische Wohnungsgesetz, im März 1918 verabschiedet, und die parallel dazu ins Leben gerufenen Institutionen des Reichs und der Länder, welche die Zuständigkeiten im Wohnungswesen zu vereinen versuchten, erschienen in den letzten Kriegsmonaten als perspektivisch angelegte Verlegenheitsmaßnahmen aus Mangel an Alternativen und als Ergebnis einer weitestgehenden, staatlichen Problemverdrängung. 146 In Großbritannien kulminierte die Auseinandersetzung zwischen Mietern und Vermietern in der Verabschiedung des Mietgesetzes im November 1915. Seiner Einführung waren massive Mietstreiks vor allem in Glasgow vorausgegangen, die

146

Vgl. Kapitel III. 1.

3. "Erbe" und die Politik der Bestandssicherung

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letztlich Auslöser des politischen Handeins waren. Obwohl zeitlich früher als in Deutschland institutionalisiert, war das neue Gesetz ein "Zeichen von Schwäche und Unentschlossenheit" (Englander). Der Gesetzgeber reagierte zu spät, um den "Unruheherd Mieterhöhungen" einzudämmen und wies dem Wohnungswesen insgesamt ein die öffentliche Ruhe und Ordnung störendes, ja revolutionäre Potential zu. Dieses Kräfte zu "bannen", war in den folgenden Jahren ein wichtiger, politisierter und zu einer Erwartung stilisierter Antrieb bei der Formulierung der britischen Wohnungspolitik. Sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien kam dem Wohnen im Krieg in Form des Wohnungsbaus für die Beschäftigten der Rüstungsindustrie eine große Bedeutung zu, die eine weiterführende Wohnungspolitik postulierte und Maßstäbe setzte. Der Wohnungsbau im englischen Woolwich (Weil Hall Estate), im schottischen Grenta oder an verschiedenen Produktionsorten der u. a. panzerbauenden Vickerswerke setzte Zeichen. In insgesamt 38 Orten entstanden unter Leitung des Ministry of Munitions Wohnungen und Siedlungen, deren Standards "Versprechen" für den zukünftigen, einem vom Staat geförderten Wohnungsbau waren. Das Ministerium ließ zwischen 1915 und 1918 mehr als 10.000 Wohnungen und Einfamilienhäuser bauen und gab dafür etwa f:4,3 Millionen aus. Äußerlich im Stil der "old English Villages" (Pepper, Swenarton), wie Weil Hall, setzten die Wohnungen im Inneren Maßstäbe in Größe und Ausstattung, genügten hygienischen Anforderungen und kamen dem Ideal vom "Haus mit Garten" oft nahe. 147 Mit der "Gartenstadt Staaken" bei Berlin oder der Siedlung beim mitteldeutschen Kraftwerk Zschornewitz entstanden ab 1915 Wohnungen in Siedlungen für die Beschäftigten der Rüstungsindustrie bzw. Energiewirtschaft, die ähnliche Maßstäbe setzen. In Staaken baute das Reichsamt des Innern eine "mustergültige Anlage" mit mehr als 400 Wohnungen, die sowohl in Mehr- als auch in Einfamilienhäusern zur Ausführung kamen und neben Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmern über einen kleinen Garten verfügten. 148 Diese Wohnungen und Siedlungen der

147 Vgl. Pepper, Simon/ Swenanon, Mark, Horne Front, in: The Architectural Review, Vol. CLXIII, No. 976, June 1978, p. 366-376; Swenanon, S. 49--{)2; Winter, The Great War and the British people, S. 243; May, Trevor, An Economic and Social History of Britain 1760-1970, London 1987, S. 357 f.; Hutton, J. E., Welfare and housing, London 1918, S. 44 - 50. Zusätzlich wurden 20.800 Unterkünfte in Hostels zur Verfügung gestellt und 2.800 "temporary cottages" errichtet. Vgl. Pepper/Swenanon, S. 368. Kurz vor dem Krieg, war mit dem Wohnungsgesetz von 1914 dem Problem des Wohnungsmangels an Orten der Rüstungsproduktion (vor allem Schiffbau) beizukommen versucht worden. Die Baumaßnahmen des Ministry of Munitions stützten sich im wesentlichen auf dieses Gesetz. Vgl. Swenarton, S. 44-47; Winter, The Great War and the British People, S. 243 f. 148 BLHA, Rep. 2 A Regierung Potsdam I P Nr. 743: BI. 141/142: Polizeiverwaltung Spandau an Regierungspräsidenten in Potsdam am 10. Januar 1917. Vgl. Westfalisches Monatsblatt 1915, S. 263- 267; Schmitthenner, Paul/Stahl, Fritz (Hrsg.), Die Gartenstadt Staaken, Berlin 1917, Einleitung; Kiem, Karl, Die Gartenstadt Staaken 1914-1917, Berlin 1996; Reiß, Herlind, Kraftwerk und Kolonie Zschornewitz 1915-1995, Dessau 1995, S. 96-100.

5 Koinzer

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I. Wohnen im Krieg

Kriegszeit waren gebaute Zeichen eines mächtigen Staates, der, wenn die Umstände es verlangten, bei der Lösung der Wohnungsfrage anzupacken verstand. Der Staat hatte sich im Krieg in beiden Ländern als "Ersatzehemann" (Pedersen) und Träger des Wohnungsbaus mit Schutz- und Kontrollfunktionen etabliert, eine Position eingenommen, die ihn für die Aufgaben der Nachkriegszeit in die Pflicht nahm. Es war eine unfreiwillige Vereinnahmung, die auf die Kriegszeit beschränkt bleiben sollte. Doch sie führte in Deutschland zu einer "Wohnen-nach-dem-KriegPropaganda", die den Staat in einer umfassenden wohnungspolitischen Verantwortung sehen wollte. In Großbritannien folgten der Erfahrung, welche Kraft die Wohnungsfrage im Krieg hatte freisetzen können, die Fachleute und Reformer einschließenden Bemühungen um einen wohnungspolitischen und vor allem wohnungsbauliehen "Wiederaufbau", der mit zahlreichen politischen Versprechen und Programmen einher ging, wie im folgenden zu zeigen sein wird.

II. Diskurs und Politik im Krieg Die Wohnungsfrage zwischen Propaganda und politischem Gestaltungswillen 1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform, ihre Propaganda und die Reaktion in Staat, Militär und Öffentlichkeit Am 25. September 1914 erging an die Leser der Zeitschriftfür Wohnungswesen folgender Aufruf: "Der Krieg hat die Friedensarbeit jäh unterbrochen, und gegenüber dem einen Gedanken ans Vaterland und seinem schweren Entscheidungskampf treten alle anderen Fragen in den Hintergrund. Dennoch aber dürfen wir, die wir daheim bleiben, nicht tatenlos dem gewaltigen Ringen zuschauen. Soweit wir unsere Kräfte nicht unmittelbar in den Dienst der Kriegsaufgaben stellen können, sollen wir, ein jeder an seinem Platze, mit vermehrtem Ernst unsere Arbeit weiterführen, denn alles dient dem großen Vaterland. Die Zeitschrift für Wohnungswesen wird weiter erscheinen, und wir hoffen, daß auch in der Kriegszeit manche gesetzliche und Verwaltungsaufgabe fortgeführt wird." 1 Der Wille zur kontinuierlichen Arbeit und das Hoffen auf fortgesetzte, gesetzgeberische Maßnahmen sollten Ziel des Wirkens der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformer auch im Krieg sein. Im sicherem Bewußtsein, daß die Reform hinter den Anforderungen der Kriegsarbeit zurückzutreten hatte, ließen die Herausgeber der Zeitschrift jedoch keinen Zweifel daran, gemeinsam mit ihren Lesern der Sache einer Reform des Wohnungs- und Siedlungswesens auch und gerade im Krieg zu dienen. "Wirken und Hoffen": Das waren die Maximen der Tätigkeit der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform im Krieg. Diese Arbeit war die Fortsetzung jahrzehnI Zeitschrift für Wohnungsreform, 12. Jg., 1913 I 14, S. 329. Empfänger des Aufrufs waren die Mitglieder zahlreicher Vereinigungen und Verbände der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform, als dessen Organ die Zeitschrift für Wohnungswesen fungierte. Zu diesem Netzwerk, das sich zur Aufgabe gestellt hatte, neben der Unterstützung des "vaterländischen Ringens im Kampfe", auch daheim die Sache der Reform weiterzuführen, gehörten neben dem Rheinischen Verein für Kleinwohnungswesen und dem Westfälischen Verein zur Förderung des Kleinwohnungswesens, der Verein zur Förderung des Arbeiterwohnungswesens in Frankfurt a. M., der Hessische Zentralverein zur Errichtung billiger Wohnungen, der Deutsche Verein für Wohnungsreform, der Groß-Berliner Verein für Kleinwohnungswesen sowie die Verbände der schleswig-holsteinischen und ostpreußischen Baugenossenschaften und der Verband der gemeinnützigen Bauvereinigungen im Königreich Sachsen.

5*

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li. Diskurs und Politik im Krieg

telangen Schaffens und gleichzeitig eine umfassende Neubestimmung dieses Wirkens und seiner Inhalte im und durch den Krieg. Sie war sowohl Aufgabenstellung als auch Verpflichtung, die Kräfte der Reform zu bündeln, zu stärken und dazu beizutragen, daß in der Zeit nach dem Krieg ein Reformwerk und eine Politik auf den Weg gebracht werden konnten, welche die Wohnungsfrage zu lösen in der Lage sein würden. Vier Jahre später, am 10. Dezember 1918 veröffentlichte dieselbe Zeitschrift einen Aufruf Hindenburgs an die heimkehrenden Truppen. Mit "freudiger Zustimmung" versicherte der Chef des Generalstabes des Feldheeres und spätere Reichspräsident, waren Staat und Parteien damit beschäftigt, ein nun anstehendes "großes Siedlungswerk" für die Kriegsheimkehrer durchzuführen. "Kameraden! Die Vorarbeiten zu einem großzügigen Ansiedlungswerke sind im Gange, die Ausführung wird unverzüglich beginnen und so schnell gefördert werden, wie der gegenwärtige Mangel an Baumaterial, Kohlen und Transportmitteln es gestattet. Da die Regierung und alle Parteien hierin einig sind, wird die Nationalversammlung dem Werke ohne jeden Zweifel freudig zustimmen." 2

Den Kriegsteilnehmern sei der "Dank der Heimat" gewiß. All jene, die "bis zu ihrer ordnungsmäßigen Entlassung ihre Pflicht getan haben", würden die ersten sein, denen "Deutschland, sobald es geschehen kann, ein Heimstätte schaffen" werde. Den in "tausend Schlachten" Unbesiegten würde mit öffentlichen Geldem billig erworbenes Land zur Verfügung gestellt werden, auf dem Häuser und Siedlungen errichtet würden. Hunderttausende von Siedlungsstellen seien in ländlichen Regionen für Landarbeiter geplant. Für städtische Arbeiter, Angestellte und Beamte sollten "Häuser in Gartenstädten und Gartenvorstädten erbaut und gegen mäßige Verzinsung der Selbstkosten übergeben werden." Hindenburg beteuerte, daß es wohl einiger Jahre bedarf, bis Siedlungen und Häuser zur Ausführung kommen würden, aber "[d]as große Werk ist schon begonnen". Er versicherte, daß die Kriegsteilnehmer, welche die "heimatliche Erde" geschützt hatten, von der "dankbaren Heimat" zu "freien Herren auf deutschem Grund und Boden" gemacht würden. Doch nur durch die entschlossene Mitarbeit der Kriegsteilnehmer könne dieses "hohe Ziel" erreicht und im "Herzen nur desto tiefer befestigt" werden: "Habt nur eine kurze Zeit Geduld! Helft unserem wunden Vaterland über seine schwerste Zeit hinweg; rettet es noch einmal durch deutsche Manneszucht und deutschen Ordnungssinn, dann bereitet Ihr eure eigene Zukunft, euer eigenes Glück." 3

2 Zeitschrift für Wohnungswesen, 16. Jg., 1917 I 18, S. 345. Dergl. in: Bodenreform 1918, S. 365 f., Kriegerheim. Nachrichtenblatt des Kriegerheimstättenvereins für das Herzogtum Oldenburg. Ratgeber für Krieger und ihre Angehörigen, Nr. 6 vom 15. Dezember 1918, S. 2. 3 Ebenda. Einen derartigen Aufruf sollte ursprünglich Wilhelm II., als "Allerhöchste Botschaft über die Wohnungsfrage" verkünden. Das Reichswirtschaftsamt begegnete aber einer solchen Rede mit Skepsis. Vgl. GstaB, Rep. 89, BI. 109: Schreiben des Staatssekretärs des Reichswirtschaftsamtes an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts vom 8. Oktober 1918.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Nach der "schwersten Zeit" des Vaterlandes sollte sich, gestützt auf "deutsche Manneskraft und deutschen Ordnungssinn" erfüllen, was gesellschaftlich längst notwendig und mit Rücksicht auf die Wahrung von Ruhe und Ordnung politisch gewollt war sowie als Verpflichtung und "Heimatdank" wiederholt postuliert worden war. Die weitergeführte wohnungs-, siedlungs- und bodenreformerische Arbeit im Krieg hatte, wie Hindenburg behauptete, Ergebnisse hervorgebracht, die es nun vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Umbrüche in Deutschland zu nutzen und weiterzuführen galt. Aber auf welche "Reformprojekte" und politischen Vorbereitungen konnte sich die Geduld der Kriegsteilnehmer und -heirnkehrer im Winter 1918/19 stützten? Welche Substanz hatten die Ankündigungen von einer "Zukunft im neuen Heim" nach dem Krieg? Welche Erwartungen waren in den zurückliegenden Jahren aufgebaut worden? Wie sollten sie erfüllt werden und durch wen?

a) Der Bund Deutscher Bodenreformer und die "Kriegerheimstätten"

Von den zahlreichen Vereinigungen der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tätigen Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Boden-, Siedlungs- und Wohnungsreform tat sich im Ersten Weltkrieg besonders der 1898 gegründete Bund Deutscher Bodenreformer (BDB) hervor. Inhaltlich anknüpfend an seine Agitationsarbeit hin auf eine umfassende Bodenreform, verstärkte der Bund unter seinem Vorsitzenden Ado1f Damaschke (1865-1935) im Krieg seine Tätigkeit unter den Vorzeichen der Verknüpfung von traditionellen Wertvorstellungen und Zielen mit den Erfordernissen des totalen Krieges sowie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung danach. Der BOB, dessen Vorläufer, der Verein für Bodenbesitzreform, 1888 aus zahlreichen kleineren Strömungen hervorgegangen war, zielte auf die Neuordnung eines Gemeinwesens, das von "gesellschaftlicher Gerechtigkeit" und "persönlicher Freiheit" getragen sein sollte. Die Bodenreformer verfolgten Bestrebungen zur Schaffung und Sicherung eines "sozialen Eigentums", das, wie Damaschke in seinem zentralen Werk Die Bodenreform schrieb, "groß genug (war), um alle Kulturbedürfnisse der Gemeinschaft leicht und reich zu befriedigen, und so gestaltet, daß es jeder redlichen Arbeit ehrliches Brot und eine gesicherte Heimstätte erschließt." 4

4 Damaschke, Adolf, Die Bodenreform, Jena 1915, S. 56. Vgl. Harteck, Max, Darnaschlee und die Bodenreform, Berlin 1929, vor allem S. 11-50. Vgl. Pergande, Hans-Günther/ Pergande, Jürgen, Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Wohnungswesens und des Städtebaus, in: Deutsche Bau- und Bodenbank Aktengesellschaft (Hrsg.), 1923- 1973. 50 Jahre im Dienste der Bau- und Wohnungswirtschaft, Bonn-Bad Godesberg 1973, S. 11-209, hier S. 28-33.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Die Damaschke'sche Tätigkeit charakterisierte eine der drei Hauptströmungen der internationalen Bodenreform. In ihrem Mittelpunkt standen vor allem Bestrebungen zur Besteuerung der Bodenrente und eine Reform des Erbbau- und Hypothekarrechts sowie die politische und pädagogische Arbeit zugunsten einer "Heimstättenbewegung".5 Damaschke selbst bezeichnete sein Wirken als "Kampf', der ihm in den Jahren 1914 bis 1918 und teilweise auch danach kämpferisches Vokabular und Durchhaltevermögen abverlangte. Doch hob er bereits 1890 hervor, "nie persönlich kämpfen" zu wollen. Nur jenen Leuten, "die vom alten Freisinn gehen und guten Willen haben", wollte er "durch die Bodenreform den Weg zu einer wirklich fruchtbaren sozialen Betätigung" ebnen.6 Im Rückblick und von den Erfahrung dieser Propagandatätigkeit geprägt, schrieb Damaschke dazu in seinen 1928 erschienen Erinnerungen: "Das Wort eines Vortrages verhallt. Ist heute die Begeisterung auch noch so heiß und ehrlich - morgen kommt der Alltag mit seinen Pflichten; übermorgen kommen andere Eindrücke - das Feuer erlischt, ehe es wirklich Licht und Wärme im Kopf und Herz verbreiten kann.... Nur das Wort, das wieder und wieder an Verstand und Gewissen heranschlägt, wird eine Macht, die den Willen bestimmt."7

s Vgl. Dreier; Wilhelm, Raumordung als Bodeneigentums- und Bodennutzungsform, Köln 1968, S. 51-53. 6 Damaschke, Adolf, Aus meinem Leben, Berlin 1928, S. 244. 7 Ebenda, S. 249 f. Vgl. auch Damaschke, Adolf, Die staatsbürgerliche Bildung nach dem Siege, in: Soziale Zeitfragen, Heft 59, Berlin 1915, S. 18-23; Ders., Aufgaben der Gemeindepolitik, Jena 1904, Einleitung; Liertz, Max, Adolf Damaschke und die deutsche Bodenreform, Düsseldorf 1948, S. 5- 10, 51 f. Vor allem in den USA, aber auch in Großbritannien und Irland versammelten sich die Bodenreformer der zweiten Hauptrichtung in der "Singletax-movement". Diese gründete sich auf die 1879 von Henry George erschienene Schrift Progress and Poverty. Durch die Abschöpfung der Bodenrente mittels einer einzigen Steuer, die wiederum andere Steuern überflüssig machen würde und einer Vergesellschaftung des Bodens gleichkäme, sollte die "Soziale Frage" endgültig gelöst werden. Vgl. Roycroft Sommer; Maureen, Bodenreform im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Hofmann, Wolfgang/ Kuhn, Gerd (Hrsg.), Wohnungspolitik und Städtebau 1900- 1930, Berlin 1993, S. 6788, hier S. 68; Einem, Eberhard von u. a., Die Entwicklung von der sozialkritischen Bodenreformbewegung zur reformerischen Bodenpolitik, in: Arch+, Heft 1, 1973, S. 63-78. Dreier; S. 44-46; Brede, Helmut, Ökonomie und Städtebau, in: Rodriguez-Lores, Juan/Fehl, Gerhard (Hrsg.), Städtebaureform 1865-1900, Harnburg 1985, S. 91-100. Die dritte Richtung der Bodenreform versammelte sich um die Verstaatlichungs- und Freilandtheorien von Michael Flürscheim, Theodor Hertzka und Franz Oppenheimer, den theoretischen Vorläufern der Ideen des BDB unter Damaschke. Flürscheim war Gründer des Bundes für Bodenbesitzreform und trat für eine vollständige Verstaatlichung des Bodens ein. Entfiele das Spekulationsobjekt Boden, so seine Auffassung, könnte sich sämtliches Kapital der Industrie zuwenden und damit gesellschaftlichen Reichtum erwirtschaften und die Armut beseitigen. Demgegenüber sprach sich Hertzka in seinem 1889 erschienenen Werk Freiland für den genossenschaftlichen Besitz allen Produktivkapitals, einschließlich des Bodens aus. Auch Oppenheimer plädierte für die Beseitigung des Privateigentums an Boden zur Abschaffung wirtschaftlicher Ungleichheit. Der Boden sollte zum Gemeineigentum werden. Vgl. Dreier; S. 46-51; Schneider; Dieter, Selbsthilfe, Staatshilfe, Selbstverwaltung. Ein Streifzug durch Theorie und Praxis der Wohnungspolitik, Frankfurt a.M. 1973, S. 29 - 42; Broniatowska,

I. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Die pädagogisch-agitatorische Betätigung hinsichtlich der Schaffung von "Heimstätten" war Ausdruck des "Heranschlagens an Verstand und Gewissen". Schon vor dem Ersten Weltkrieg war das Wort "Heimstätten" jenes, das, mit mäßigem Erfolg, eine den "Willen" bestimmende "Macht" gewinnen sollte. Im Krieg wurde dem zivilen Streben nach einem eigenen, bezahlbaren und sicheren Heim auf billigen öffentlichen Ländereien ein kriegerisches, die Ideen des BDB erhöhendes Attribut hinzugefügt. Als "Kriegerheimstätten" waren sie nun Inbegriff der Erwartung an das Wohnen nach dem Krieg, wie es sich für breite Bevölkerungsschichten insbesondere die Kriegsteilnehmer und ihre Familien erfüllen sollte. Diese "Heimstätten" standen gleichzeitig für ein gesellschaftliches Modell, einen Weg zwischen "Mammonismus und Kommunismus", der u. a. die Lösung der Wohnungsfrage in Aussicht stellte und für den die Bodenreformer unter Damaschke nicht erst seit dem Frühjahr 1915 energisch stritten. In der doppelten Abwehrstrategie gegen Großkapital und Großgrundbesitz auf der einen und die Sozialdemokratie auf der anderen Seite, erhoben sie wie andere Sozial- und Wohnungsreformer die "Reform zur rechten Zeit" zur Maxime ihres Handels. Wer die Reform versäumte, so das Organ des BDB die Bodenrefonn 1917, "der verfällt der Revolution". Dieser Satz wurde zum Gesetz erhoben, das nun im Krieg, dieser "Zeitenwende manchen nachdenklich stimmen sollte".8 Am 20. März 1915 gründete der BDB den "Hauptausschuß für Kriegerheimstätten" als Zusammenschluß von zunächst 28 Organisationen mit dem Ziel, allen heimkehrenden Kriegsteilnehmern, Kriegswitwen und -waisen den Erwerb einer "Heimstätte" zu ermöglichen. Vorsitzender wurde Damaschke. Zu den Mitgliedern, die sich im Ausschuß als "zweites Gremium" der Bodenreform (Berger-Thimme) neben dem BDB assoziierten, zählten Einzelpersönlichkeiten wie auch zahlreiche deutsche Städte, Konfessionsgemeinschaften, Gewerkschaften und anderen Vereinigungen, die das gesamte Spektrum deutscher Vereinstätigkeit abdeckten. In unregelmäßigen Abständen veröffentlichte die Bodenrefonn eine Aufstellung der dem "Hauptausschuß" angehörenden Vereinigungen. In einzelnen Gruppen, die nach demjeweiligen Wirkungsbereich gegliedert waren, wurden sie mit ihren Ortsvereinigungen vorgestellt. Arbeitnehmerorganisationen, Privatbeamtenvereinigungen und kaufmännische Vereinigungen fanden sich hier ebenso wie Vereinigungen der Post-, Telegrafen- und Eisenbahnbeamten oder Bau-, Siedlungs- und Gartenvereine sowie religiöse Organisationen, Gesundheits- und Nüchtenheitsvereine. Diese schlossen den Caritasverband für das katholische Deutschland ebenso ein wie den Deutschen Bund abstinenter Studenten, zahlreiche Frauenvereine, die Deutsche Gartenstadtgesellschaft und die Obstkolonie Eden. Ein kämpferisch entschlossener, siegessicherer und in seiner Argumentation zeitgemäßer Damaschke schätzte deshalb anläßlich seines 50. Geburtstages im November 1915 ein: Ruchla, Die Bodenreformbewegung in Theorie und Praxis, Diss. Universität Leipzig, 1931, S. 7 -33; Bemoulli, Hans, Die Stadt und ihr Boden, Basel u. a. 1991 (1946), S. 99-110. s Bodenreform 1917, S. 315.

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II. Diskurs und Politik im Krieg "Noch nie entstand in unserem Volke für einen sozialen Gedanken eine solche gewaltige Vereinigung von Kräften aller Art. Gelingt uns das Werk, dann ist die große DurchbruchsSchlacht gewonnen, dann rollen wir den Feind auf. Kriegerheimstätten - das ist das nächste Ziel! -Wir stehen zusammen; wir gewinnen den Sieg."9

Bis zum März 1918 schlossen sich dem "Hauptausschuß" 3.554 Behörden und Organisationen an. Laut Damaschke fanden sich "[f]ast 6 Millionen Familien, ... fast die Hälfte des gesamten deutschen Volkes" zusammen, die für die Sache der "Kriegerheimstätten" stritten, d. h. propagandistisch eingebunden waren bzw. werden konnten. 10 Der Gedanke, daß das Wohnungsproblem durch die Schaffung von Eigenheimen in ländlichen aber auch städtischen bzw. stadtnahen Siedlungen beseitigt werden könnte, brachte diese überinstitutionelle Forum hervor, welche stark durch die Tätigkeit Damaschkes und zahlreicher weiterer Mitglieder des BDB, aber auch anderer Reformbestrebungen geprägt wurde. 11 Eine Satzung und die Grundsätze für ein Reichsgesetz zur Schaffung von Kriegerheimstätten, eine Art Gesetzentwurf, der sich auf den letzten, durch den BDB erarbeiteten Vorschlag zur Schaffung von "Heimstätten" aus dem Jahre 1913 bezog, wurden 1915 einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. 12 Die Satzung bestimmte in vier Paragraphen die Inhalte und Ziele der Vereinigung, die sich als "Ausschuß" konstituierte, um zum einen ihren Charakter als lose Verbindung zu unterstreichen, die Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen verschiedenster Herkunft zu einem bestimmten Zweck zusammenführte. Eine solche Organisationsform in Haupt- und Untergremien ließ zum anderen die Gründung zahlreicher kommunaler und landesweiter "Unterausschüsse" in ganz Deutschland zu, die vom Berliner "Hauptausschuß" mit Propagandamaterial versorgt wurden. 13

9 Darnaschlee auf der Festveranstaltung des BDB anläßlich seines 50. Geburtstages am 24. November 1915, in: Schrameier, W., Das Zeugnis-Buch für Bodenreform und Kriegerheimstätten, Frankfurt/0. 1919, S. 41; Vgl. auch Schneider, S. 147 - 150; Berger-Thimme, s. 107-113. IO Bodenreform 1917, S. 163. Die Zahl der bis November 1915 der dem "Hauptausschuß" angeschlossenen Vereinigungen betrug 2.ll6, im Frühjahr 1917 bereits 3.258. Vgl. auch Berger-Thimme, S. 108. 11 Der BDB hatte sich wiederholt mit einem Gesetzentwurf zur Schaffung eines "Heimstättenrechts" beschäftigt. Wie Heinrich Freese, Darnaschlees Vorgänger im Amt des BOBVorsitzenden, beschrieb, gab es ab den 1880er Jahren in Deutschland Bestrebungen hin zur rechtlichen Verankerung der "Heimstätte". Der aus den USA nach dem Bürgerkrieg stammende Gedanke wurde vom Landwirtschaftlichen Lokalverein in Gießen aufgegriffen, der den Erlaß eines derartigen Gesetzes einbrachte. Freese stellte weiter fest, daß darüber hinaus Bismarck das Reichsjustizamt beauftragt hatte, "mit Vorarbeiten für die Gewährung eines unangreifbaren Mindestgrundbesitzes" zu beginnen. Diese Aktivitäten blieben ohne große Erfolge und hatten, wie im Fall des BDB, keine "praktischen Ergebnisse". Freese, Heinrich, Nationale Bodenreform, Berlin 1926, S. 368 f. 12 Entwürfe für ein "Reichsheimstättengesetz" wurden bereits Ende des 19. Jahrhundert im Reichstag erfolglos eingebracht. Vgl. Führ, Eduard (Red.), Wo noch niemand war: Heimat, Wiesbaden/Berlin 1985, S. ll8.

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Der "Hauptausschuß für Kriegerheimstätten" erstrebte, laut seiner auf der Gründungsversammlung beschlossenen Satzung, die Verabschiedung eines Reichsgesetzes, "durch das den heimkehrenden Kriegern die Möglichkeit geboten wird, mit öffentlicher Hilfe im Reiche oder seinen Kolonien eine Heimstätte zu erwerben, sei es zum Zwecke ländlicher oder gärtnerischer Siedlung, sei es zum Erwerb eines Wohnheirns". 14

Grundlage dieser Siedlungstätigkeit bzw. der Errichtung von hunderttausenden Eigenheimen sollte dabei erstens der "Anspruch eines Kriegers" auf die öffentliche Zurverfügungstellung von billigem Bauland sein. Das Gesetz sollte zweitens verankern, daß ein Grundstück "gegen eine mäßige unkündbare Rente" erworben werden könne, die nicht erhöht werden dürfe, "solange der Kriegsteilnehmer lebt oder sich nicht der Heimstätte entäußert". Drittens strebte der "Hauptausschuß" auf die gesetzliche Festschreibung der Bereitstellung von gering verzinsten Baudarlehen und Betriebskapital zur Ausstattung und zum Unterhalt ländlicher und gärtnerischer Ansiedlungen, "damit auch Unbemittelten die Errichtung einer Heimstätte ermöglicht wird". In der im Juni 1915 aufgestellten und veröffentlichten ersten Fassung der Grundsätze wurde vor allem das Staatsengagement betont, um die "Kriegerheimstätten" Realität werden zu lassen. Erste organisatorische, finanzierungs- und eigentumsrechtliche Richtlinien, von der jahrzehntelangen Tätigkeit der Bodenreform beeinflußt, beschrieben Umfang und Inhalt eines zu schaffenden Gesetzes. Indem der Zentralstaat, das Reich, sicherzustellen hatte, daß "auf dem vaterländischen Boden ein Familienheim auf eigener Scholle (Kriegerheimstätte) zu errichten" sei, machte der BDB deutlich, daß nur vergesellschafteter, verstaatlichter Boden die Grundlage der "Kriegerheimstätten" sein könne. Diese sollten nämlich, "gemäß den Lehren dieses Läuterungskrieges, das deutsche Boden- und Siedlungswesen auf das Ziel hinlenken, einen körperlich und sittlich gesunden Volksnachwuchs zu sichern, die Wehrkraft des Volkes zu erhöhen und die Erträgnisse des heimischen Bodens zu steigern."15

13 Die zahlreich entstandenen Landes- und Ortsvereinigungen gaben auch eigene Zeitungen oder Mitteilungsblätter heraus. Kriegerheim, das Nachrichtenblatt des Kriegerheimstättenvereins für das Herzogtum Oldenburg, verstand sich als "Ratgeber für Krieger und ihre Angehörigen" und versorgte diese u. a. mit Neuigkeiten über die regionale SiedlungstätigkeiL Der Württernbergische Landesverein unterhielt in Stuttgart eine Geschäftsstelle, die anfangs monatliche, später sporadische Mitteilungen vertrieb. Neben der Berichterstattung über die eigene Tatigkeit, unterhielt der Verein auch eine "Bauauskunftsstelle", eine "Beratungsstelle für Heirnstättenbewerber" sowie eine Rechtsberatungsstelle mit angeschlossener Finanzierungsabteilung aus der im Herbst 1916 als Tochterunternehmen der Schwäbische Siedlungsverein e. V. hervorging. Vgl. Monatliche Mitteilungen des Württernbergischen Landesvereins für Kriegerheimstätten e.V. in Stuttgart, Nr. 1, Dezember 1916, S. 2; siehe auch Kriegerheirn. Nachrichtenblatt des Kriegerheimstättenvereins für das Herzogturn Oldenburg. Ratgeber für Krieger und ihre Angehörigen. 14 Jahrbuch der Bodenreform 1915, S. 136 f. 15 Ebenda, S. 137. Zu den "Grundsätze" im einzelnen vgl. Bodenreform 1915, 353-355.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Der Krieg und seine "Läuterungskraft" wurden hervorgehoben, um eine umfassende Boden-, Siedlungs- und Wohnungsreform durchzusetzen, die militärische und demographisch-rassische Zwecke verfolgte sowie die Wiederbelebung eines idealisierten bäuerlichen Landlebens erstrebte. Eine Erweiterung und Detaillierung der ersten Grundsätze erfolgte im November 1915. Von da an wurden sie Grundzüge für ein Kriegerheimstättengesetz genannt und waren das Fundament künftiger Propaganda. Während einer Zusammenkunft des "Hauptausschusses" und des BDB am 20. und 21. d.M. wurden auf der Basis der ersten Leitlinien vom Frühjahr neun Paragraphen vorgestellt, die Gegenstand, Ziele und praktische Durchführung einer "Kriegerheimstättenbewegung" markierten. Die in der Satzung aufgestellten drei Leitlinien wurden im ersten Abschnitt stark erweitert und bestimmten zum einen diejenigen Bevölkerungsschichten, welche von einem zukünftigen Gesetz Nutzen haben sollten. Zum anderen standen die organisatorischen und technischen Einzelheiten bezüglich der Ausgestaltung und finanziellen Ausstattung des "Programms" im Mittelpunkt. 16 Vor allem Fragen der Bodenbeschaffung und Darlehensgewährung wurden in den folgenden Passagen der Grundzüge behandelt. Über die Einrichtung eines zentralen "Heimstättenamtes" beim Reichsministerium des Innern sollte die Ausgabe von Darlehenskassenscheinen in Millionenhöhe zur Finanzierung des Bauprogramms initiiert und koordiniert werden. Bürgschaften des Reichs, die bis zu 90% der Baukosten sichern sollten, waren darüber hinaus vorgesehen, Darlehen anderer potentieller Geldgeber einzuwerben. Diese Finanzierungsprinzipien fanden ihre Begründung in der Feststellung, daß es sich bei der bevorstehenden Aufgabe, darum handelte, einem "Viel-Millionen-Heer, das aus dem Felde zurückkehrt", Wohnraums zu schaffen. Als erste Maßnahme des Staates war die Einrichtung eines Reichsfonds über 500 Millionen Mark vorgesehen, um mindestens die "einstweiligen Bedürfnisse" zu decken, wie es Heinrich Erman, Bodenreformer und Professor der Rechte an der Universität Münster, in seinem Kommentar der Grundzüge formulierte. Für die ersten zwei Jahre nach Kriegende veranschlagte er, daß der von der Bodenreform geschätzte Betrag der somit zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, den Bau von rund 100.000 Eigenheimen ermöglichte. "Als Ventil bei einem etwa höher steigenden Bedarf', sah Erman die Finanzierung durch andere öffentliche Geldgeber, wenn das Reich für diese Beträge eine Bürgschaft übernehmen würde. 17 Im April 1918 legte der BDB schließlich zwei Gesetzentwürfe vor, die auf die Vorarbeiten der Professoren der Rechte von Blume, Erman und Jakobi aus Tübingen bzw. Münster zurückgingen. Der erste Entwurf war mit Reichsgesetz über das Heimstättenrecht überschrieben. Im zweiten wurden die im Herbst 1915 erarbeite16 Bodenreform 1915, S. 786-789, hier S. 786; vgl. auch Rueß, Karl-Heinz, Kommunaler Wohnungsbau für Arbeiter, Tübingen 1989, S. 204 f. 17 Ennan, Heinrich, Die Grundzüge für ein Kriegerheimstättengesetz, Soziale Zeitfragen, Heft 64, hrsg. von Adolf Damaschke, Berlin 1916, S. 23.

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ten Grundzüge als Entwurf eines Reichsgesetzes über Kriegerheimstätten der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Wiederbelebung des Gedankens der "Volksheimstätten", der vielschichtigen von den Bodenreformern verfolgten Vorkriegsinitiative, versuchte breite Bevölkerungsschichten in die Nutznießerschaft des zukünftigen Gesetz einzubeziehen. Kriegsteilnehmern sollte wie gehabt besondere Berücksichtigung entgegengebracht werden. Aber "im Dienst der deutschen Familie" sollten Reich, Bundesstaaten, kommunale wie gemeindliche und dazu ermächtigte Verbände und Organisationen "Heimstätten für alle volljährigen deutschen Männer und Frauen" begründen können. 18 Der Entwurf des "Kriegerheimstättengesetzes" behielt die Bestimmungen der Grundsätze im wesentlichen bei. Mit der Bezeichnung "Gesetzentwurf" wollte man den Forderungen und der Notwendigkeit staatlichen Handeins Nachdruck verleihen. Als "Gesetzentwurf" verstand er sich als eine Vorlage staatlichen Handelns, ein direkter Paß für Reichsparlament und -regierung. Ergänzt wurde der Entwurf u. a. um die Verankerung staatlicher Vorkautsund Enteignungsrechte, um billigen, unbebauten Boden für die Errichtung von Eigenheimen erwerben zu können. Das Engagement des Reichs und der Bundesstaaten bei der Finanzierung der Wohnbauten wurde bekräftigt. 19 Zwei Monate später, im Juni 1918, legte der "Hauptausschuß" dann einen von Erman, von Blume und Damaschke ausgearbeiteten Gesetzentwurf vor, der die beiden ersten Vorlagen zusammenfaßte. Der Entwurf eines Reichsgesetzes über Heimstätten und Kriegerheimstätten trug der Tatsache Rechnung, daß, wie beim ersten Entwurf, der von der Initiative angesprochene Personenkreis erweitert werden sollte: Heimstätten für alle, für die Kriegsteilnehmer aber im besonderen und zuerst. 20 Bereits zu Kriegsbeginn hatte Damaschke in der Bodenreform deutlich gemacht, daß mit dem Krieg die Arbeit des BDB ein anderes, bisher nicht gekanntes Niveau Jahrbuch der Bodenreform 1918, S. 98 f. Vgl. ebenda, S. 99-102. 2o Bodenreform 1918, S. 306-309. Neben der Erarbeitung der Gesetzentwürfe lancierten "Hauptausschuß" und BDB auch die tägliche, "praktische" Arbeit im "Kampf um die Kriegerheimstätte". In der Berliner Hauptgeschäftsstelle des BDB wurden im August 1916 die "Auskunftsstelle für praktische Kriegerheimstättenarbeit" und die "Beratungsstelle für Kriegerheimstätten-Stiftungen" eingerichtet. Von den Mitgliedern der "Beratungsstelle", unter ihnen Damaschke und Pohlmann (2. Vorsitzender des BDB), wurde "wohlmeinenden Privatpersonen oder Körperschaften" Rat erteilt, "die geneigt sind, Land oder Geld stiftungsweise für die Gründung von Kriegerheimstätten zur Verfügung zu stellen". Bodenreform 1916, S. 416 u. 441. Eine weitere "Beratungsstelle" war die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Pornologen-Verein betriebene "Beratungsstelle für Obstbau und Krit?gerheimstätten", die sich ebenfalls in der Berliner Hauptgeschäftsstelle des BDB befand. Uber die Arbeit der "Auskunftsstelle", deren Bestreben die Sammlung, Beurteilung und Weiterleitung von Erfahrungen auf dem Feld der "Kriegerheimstätten" war, berichtete die Bodenreform regelmäßig. Vgl. Bodenreform 1916, S. 411 und 477-480. Zur "praktischen Arbeit" gehörten auch Ausstellungen für "Kriegerheimstättenbau und Ansiedlung", auf denen Überblicke über sparsame Bauweisen, Baumodelle, Möblierung etc. gegeben wurden. Vgl. Zeitschrift für Wohnungswesen, 15. Jg., 1916/17, S. 296. 18

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erreichen würde. Die "dunklen Wolken von heute", wie Damaschke im August 1914 in dem programmatischen Artikel Der Krieg und die Bodenfrage schrieb, waren nicht vorübergezogen und hatten Deutschland in den Krieg hineingezogen. Damaschke umriß die zukünftige Tätigkeit des BDB und stellte, "in der Größe unserer Tage", die gegenwärtigen und kommenden Aufgaben vor: "Die deutschen Bodenreformer dürfen sich bewußt sein, daß auch ihre soziale Friedensarbeit, die stets das Gemeinsame aller ehrlichen Arbeit hervorhob, die sittliche Kraft in unserem Volke gemehrt hat, aus der jetzt die Hochflut der Begeisterung strömt, die mit einem Schlag hinwegspült (sie) alles, was als künstlich aufgebauschtes ,Parteiinteresse' so viel in unserem Volksleben verdarb. Gerade wir erleben es als eine Erfüllung, dieses wunderbare Schauspiel, wie alle trennenden Schranken fallen und wie alles zusarnrnenklingt in dem einen großen vaterländischen Gedanken, der auch der letzte Grund all unserer Arbeit zu jeder Zeit gewesen ist."21

Die Fortführung der bisherigen Arbeit, gepaart mit den Herausforderungen des Krieges und der Zeit, die diesem folgen würde, sollte sich mit der "vaterländischen Pflicht" und dem "Hochgefühl nationalen Willens" verbinden, um für den Aufbau eines neuen Reiches dienstbar gemacht zu werden. Aus dem Krieg und mit Hilfe seiner beschworenen, einenden Kräfte sollte ein Deutschland geschaffen werden, "das jeder ehrlichen Arbeit ehrliches Brot und eine gesicherte Heimstätte gewährt." Um den Weg hin zu den "sicheren Heimstätten" zu beschreiben, erinnerte Damaschke an den deutschen Sieg 1871 über Frankreich und die "Kriegsentschädigung". Die "Mittel, die ein glücklicher Krieg gewinnt", sollten im Gegensatz zur damaligen Zeit, für eine "wahrhaft bodenreformerische (.. . ) Siedlungspolitik in Stadt und Land" Verwendung finden: "Das Vaterland muß den Familien, die ihr Bestes für dieses Vaterlandes Zukunft heute willig einsetzten, ein großes deutsches Heimstättengesetz bescheren, dessen grundlegender Gedanke heißt: Jeder Deutsche, der seine Pflicht gegen das Vaterland erfüllt hat, hat das Recht, von diesem Vaterlande eine unverpfändbare, unverlierbare Heimstätte zu erwarten!"22

Was mit den Worten des "Augustgefühls" begann, wurde im Frühjahr 1915 Programm und weitete sich zu einer bisher nicht gekannten Agitations- und Propagandatätigkeit für die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform aus. Zur Vorbereitung und Organisation einer breiten öffentlichen und sich anschließenden politischen Diskussion, die in eine Gesetzgebungstätigkeit münden sollte, wurden über den BDB und den "Hauptausschuß" Flugblätter und Druckerzeugnisse in großer Zahl verbreitet. Neben den traditionellen Publikationsmitteln der Bodenreformer und den Büchern Damaschkes, gehörte dazu die Verteilung der "Gelben Hefte", benannt nach der Farbe ihres Einbandes. Auf diese Weise wurden die Ziele und Konzepte des BDB in seinen Tages-, Wochen- und Jahresschriften, wie Die Bodenrefonn, Deutsche Warte, Deutsche Nachrichten, Jahrbuch der Bodenreform und So21 Bodenreform 1914, S. 484. 22 Ebenda.

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ziale Zeitfragen sowie durch hunderttausende Flugblätter und taschenbuchformatige Pamphlete popularisiert. 23

Damaschke und der BDB verstanden es, ihre Propaganda für die "Kriegerheimstätten" auf die "historische Erfahrung" des Kriegsendes 1871 zu gründen, um mit den Bildern eines vergangeneu Krieges und seiner Folgen, Stimmungen für das Handeln im gegenwärtigen aufzubauen. So erinnerte Pohlmann, stellvertretender Vorsitzender des BDB, an die "tapferen Krieger im Jahre 1871 ", die siegreich heimkehrten, sich mit den Problemen des Wohnungsmangels und Mietwuchers auseinanderzusetzen hatten und zwischen "Gründerzeit und Börsenkrach" allein gelassen wurden. Diese Erfahrung hatte sich, so die Argumentation, in die Erinnerung weiter Teile der deutschen Bevölkerung eingebrannt. Vor allem auf dem Lande wurden Kriegsheimkehrer, in der Hoffnung, einen eigenen Hausstand gründen zu können, damit konfrontiert, daß sie für die "heimatliche Erde", die sie mit ihrem "Blute" verteidigt hatten, höhere Preise als vor dem Krieg zahlen mußten. Den Heimkehrern in die Städte sei es nicht besser ergangen. "[Z]um Dank dafür", daß sie die Städte "vor der Zerstörung durch den Feind bewahrt hatte(n)", wurden sie mit einer Mieterhöhung "beglückt".24 Bodenreformer wie Pohlmann, der diese "Erfahrungen" und die durch sie hervorgerufene "tiefe Erbitterung" mit ihren negativen Wirkungen für das "öffentliche Leben" beschrieb, nutzten häufig die "historischen Vorlagen" und "Lehren der Geschichte". Sie sollten ohne komplizierte, ökonomische oder statistische Begründungen das Problem deutlich machen und in diesem Sinn erzieherisch-aufklärend wirken. Das "Unheil", das "öffentlich", allen sieht- und nachvollziehbar wurde, verband sich mit der Forderung der Aktion, des Tuns für die Ideen und Ziele der Boden- und Wohnungsreform. Im Ergebnis sollten die "Kriegerheimstätte" stehen. Indem die Vorstellung vom "eigenen Heim auf eigener Scholle", dem Pfortenspruch einer Mehrheit der Boden-, Siedlungs- und Wohnungsreformer, mit dem "Dank des Vaterlandes für seine erfolgreiche Verteidigung" vereint zu werden möglich und nötig schien, versprach die Erfahrung des gegenwärtigen Krieges zum Gipfel jahrzehntelangen Strebens zu führen. Die Propaganda des BDB und des "Hauptausschusses" konzentrierte sich auf die Betonung religiös-mystischer, militärisch-demographischer, sittlich-gesundheitlicher und bäuerlich-landwirtschaftlicher Notwendigkeiten einer umfassenden Reform. Überschneidungen in der Argumentationsweise, zum Teil unter Ausnut23 Die "Gelben Hefte" wurden für 10 Pfennige verkauft und fanden große Verbreitung. Johannes Lubahns Schrift Kriegerheimstätten hatte bis 1916 bereits eine Auflage von 130.000 Stück. Lubahn, Johannes, Kriegerheimstätten, Leipzig 1915. 24 Pohlmann-Hohenaspe, A., Kriegerheimstätten, in: Die Bodenreform 1915, S. 96-100, hier S. 96. Zur Anknüpfung an "historische, militärische Erfahrungen" vgl. Rohkrämer; Thomas, Der Gesinnungsmilitarismus der "Kleinen Leute" im Deutschen Kaiserreich, in: Wette,

s. 95-109.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

zung synergetischer Effekte machen deutlich, daß die Bodenreformer sowohl unterschiedliche Ebenen der "Beweisführung" als auch die Wirkungsweisen dieser Rechtfertigungen einsetzten und ausnutzten. Die Herausgeber der Bodenreform waren bemüht, soweit die Beiträge nicht aus ihrer Feder stammten, ein möglichst breites Spektrum von Unterstützern und Verbündeten zu Wort kommen zu lassen. Berufs- und berufungsspezifische Stellungnahmen waren besonders willkommen, da man sich aus "berufenem Munde", eine größere Wirkung der Aufsätze, Aufrufe, Meldungen und Proteste versprach. Wenn nicht Damaschke in "volkserzieherischer" Art oder Vertreter des BDB-Vorstandes sich für argumentativ zuständig erklärten, taten dies je nach der Richtung der Propaganda Geistliche, Ärzte, Statistiker, Militärs, Landwirte oder Industrielle. a) Religiös-mystische Dimension. Die Begeisterung für die "Mystik des Bodens", dieses "durch die Opfer des Krieges doppelt geheiligte Erbteil der Gesamtheit"25 hatte religiöse Formen angenommen, die von den Bodenreformern wieder und wieder beschworen wurden. Die "Heiligkeit" des Bodens sei durch den Krieg noch verstärkt worden und forderte zum "Endkampf' auf, zum Auszug, die letzte, die entscheidende Schlacht zu schlagen, so wie es Deutschland in den "Tagen des großen Krieges" tat: "Nur um den Boden, der Deutschland heißt, können wir von unserem Volke Opfer fordern, Opfer, unerhört in der Geschichte, seitdem Deutsche auf diesem Stück Erde zu wohnen berufen sind. Nicht das Geld, nicht irgendwelche Waren und Werte, die hin- und hergeschoben werden können- nur die ,Mystik des Bodens' spricht: Ich bin das Vaterland, ich bin das Heilige; um meinetwillen geht in den Tod, in Blindheit, in Krüppelhaftigkeit, denn nur auf diesem Boden kann deutsches Wesen wachsen und sich entfalten zum Segen für alle!" 26

Neben der Verteidigung des Bodens, dem "Kampf' um und für diesen, war das zu den Konstanten menschlichen Daseins postulierte Wohnbedürfnis, in der Agitation als Belohnung für das Überwinden einer schier ausweglosen Situation, der Kriegssituation betont worden. Wo die menschliche Katastrophe, das Leiden und die Entbehrungen am größten seien, da erwachse am Ende die Rettung. Die Hoffnung, daß sich paradiesische Zustände in Form hundertlausender Behausungen für die "Helden des Krieges" einstellen würden, nahm alttestamentarische Anleihen. Die Vorhersage, von der Katastrophe des Krieges ins Paradies des Wohnens hinüber geleitet zu werden, stützte sich auf Prophetisches. Nach Jesaja 4, 6 wird den Erretteten künftig "ein Schutz sein über allem ... und eine Hütte zum Schatten am Tage vor der Hitze und Zuflucht und Obdach vor dem Wetter und Regen". Als eine Wirkung des Krieges, feierte die Sehnsucht nach eigenem Haus und Land an der Front "Auferstehung", "so wundervoll und segensreich, daß wir ihn (den Krieg, Bodenreform 1918, S. 251. Damaschke in: Schrameier, S. 37. In den Sozialen Zeitfragen hatte Damaschke bereits 1906 einen Beitrag verfaßt, der sich mit der Bodenreform in der Bibel beschäftigte. Vgl. Soziale Zeitfragen, Heft 28, Berlin 1906. 25 26

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T.K.) drum segnen müßten", wie der Bremer Pfarrer Uhlig 1916 predigte. Die "Herolde der Heimstättenidee" verkündigten in Abwandlung des neunten Gebotes: "Du sollst begehren ein eigenes Heim". Den vermeintlichen und sprichwörtlichen "Vaterlandslosen" sollte ein Stück Heimaterde gegeben werden, um dem Riesen Antaeus gleich, im Ringen mit Herkules bestehen zu können.Z7 Herkules besiegte den Sohn Gaias, der Mutter Erde, als dieser den Boden unter seinen Füßen verlor. Ein wirkungsmächtiges Bild: Der deutsche Riese des Krieges mit hundertausendfacher Bindung an die heimatliche Erde bzw. der Aussicht auf diese werde unbesiegbar bleiben. Die verschiedenen Religionsgemeinschaften in die "heiligen Aufgaben" einzubinden, fiel bei dem Anklang, den die Ideen der Bodenreformer fanden, nicht schwer. Auf dem Herbstkonvent des evangelischen Kirchenkreises Landsberg I Warte im Oktober 1916 verdeutlichte Pfarrer Rauch seinen Kollegen des Pfarrers Stellung zur "Kriegerheimstätten-Bewegung". Diese hätten die "Bewegung in Predigt, Unterricht und öffentlichen Vorträgen" zu fördern und zu unterstützen. "Bodenwucher", so der Geistliche in einer Aufzählung alttestamentarischer Überlieferungen "ist Sünde wider Gottes Gebot ... (und) die Hauptursache vieler äußeren und inneren Schäden unseres Volkslebens". Hingegen sei die Errichtung von "Kriegerheimstätten" eine "Pflicht der Dankbarkeit gegen unsere Krieger" und "Quelle der äußeren und inneren Gesundung unseres Volkes." Indem die Kirche sich für die Sache der "Kriegerheimstätten" engagiere, sich dem "Hauptausschuß" anschließe sowie Kirchen- und Pfarrland zur Errichtung solcher Eigenheime zur Verfügung stelle, schloß Rauch, wäre die Mitarbeit "an diesem großen Werke ... am meisten geeignet. .. , die der Kirche Entfremdeten wieder für sich zu gewinnen."28 Auf der Diözesansynode zu Konstanz machte Pfarrer Heisler am 19. Juni 1918 schließlich deutlich, welche Chancen der Kirche aus dem Engagement für die Bodenreform erwachsen würden. Einige "einflußreiche Brotgeber" werde sich die Kirche wohl "verscherzen", wenn sie sich zum "scharfen Gegner" der Bodenspekulation erheben würde. Dafür gewinne sie aber die "Liebe und Achtung von Millionen", alljener nämlich, "die es der Kirche danken werden, daß sie sich uneigennützig in den Dienst der Wahrheit und des Rechts stellt." Weil die Kirche für die "Kriegerheimstätten" und die Bestrebungen der Bodenreform eintrete, so Heisler weiter, diente sie nicht nur der Deutschen Zukunft, sondern sich selbst. 29 Der Aufforderung folgten, wenn sie nicht schon vorher dem "Hauptausschuß" beigetreten waren, zahlreiche Gemeinden und Kirchentage in ganz Deutschland. 27 Uhlig, Ewald, Du sollst begehren ein eigenes Heim. Predigt in Bremen am 27. Februar 1916, in: Bodenreform 1916, S. 180-186. 28 Zitiert nach: Bodenreform 1917, S. 5 f. Im Frühjahr 1918 berichtete die Bodenrefonn aus dem preußischen Oschersleben, wo der Gemeindekirchenrat durch eine Stiftung Land für den Siedlungsbau erworben hatte. Vgl. Bodenreform 1918, S. 140. 29 Vgl. Heister, Hermann, Die Stellung der Kirche zur Kriegerheimstättenbewegung. Vortrag gehalten auf der Diözesansynode zu Konstanz am 19. Juni 1918, Berlin 1918, S. 7.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Im Sommer 1918 erklärte z. B. der Bezirkskirchentag Pforzheim-Stadt seinen Beitritt mit der Begründung, daß die Bodenreform "der andauernden, tiefgreifenden und weitreichenden Förderung des sittlichen, religiösen und kirchlichen Lebens" Rechnung trage. 30 Die Verbindung von persönlichem oder institutionellem Nutzen mit den Bestrebungen des BDB ließ eine Themen übergreifende, propagandistische Melange entstehen, deren Urheberschaft zum einen nicht mehr eindeutig auszumachen war. Zum anderen standen sich die Partner in der Wahl und der Form ihrer Mittel der Agitation recht nahe, gegenseitige Bezüge, geistige Anleihen und die "Liebe zur Heimat"31 waren die Regel. Ursache war das gemeinsame geistige und soziale Milieu, dem die in der Mehrheit männlichen Propagandisten entstammten. Sie verstanden ihre Tätigkeit als Erziehung und verbanden nicht selten, wie nicht zuletzt die Person Damaschkes zeigte, uneigennützige mit zutiefst eigennützigen Interessen. 32 Sei es die Erhöhung der Zahl der Kirchenmitglieder oder, wie in einem der folgenden Abschnitte gezeigt werden wird, die Wiederbelebung der Landwirtschaft und eines nostalgischen Bauerntums, stets überschnitten und ergänzten sich die Interessenlagen der im "Hauptausschuß" zusammengefaßten Organisation und Vereinigungen mit denen der Bodenreformer. Unter das zeitgenössische, nationale und traditionell-völkische Gedankengut mischten sich auch antisemitische Töne. Als Damaschke jene "Schädlinge unserer Volkswirtschaft" geißelte, "die wir heute als solche bekämpfen müssen, wenn wir den Mißbrauch mit dem vaterländischen Boden ausschließen wollen"33 , waren die Adressaten in erster Linie die großen, oft jüdischen Berliner Haus- und Grundbesitzer, vor allem Haberland und Rosenbaum. Trotzdem kam nach den Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche im August 1918 der Darmstädter Rabbiner Dr. Marx in der Bodenreform zu Wort. Marx predigte Errettung und Wiedergeburt nach dem Krieg durch die "religiöse Tat" für die "Kriegerheimstätten": "Draußen in der Wüste, soeben der feindlichen Hand ägyptischer Knechtschaft entronnen, frei vom Sklavenschicksal ... war es das erste unseres Volkes, sich Hütten zu bauen. Dort wohnten sie glücklich und frei, denn über dem Dach .. . breitete sich die schimmernde und schirmende Wolke des Himmels und schützte sie gegen Sonnenbrand, während in der Nacht ihnen die Feuersäule den Weg wies zu der Sehnsucht ihres Herzens, einem heiligen

30 Zitiert nach: Bodenreform 1918, S. 235; vgl. auch das Hirtenschreiben des Stuhlweißenburger (Szekesfebervar) Bischhofs Ottokar Prohaska, S. 282 f. 31 Zum politische und Milieugrenzen überschreitenden "Heimatbegriff' als Chiffre nationaler Zugehörigkeit und Begeisterung vgl. Cofino, Alon, The Nation as a local metaphor, Chape1 Hiii/London 1997, besonders S. 125-152. 32 Die Vielfältigkeit der Tuns Damaschkes, beschrieb Friedrich Naumann, Gründer des Deutschnationalen Vereins und erster Vorsitzender der Deutschen Demokratischen Partei, anläßlich des 50.Geburtstages Damaschkes so: "Ein Organisator, ein Redner, ein Schriftsteller, ein Volkswirtschaftler und ein staatsbürgerlicher Menschenfreund." Schrameier, S. 18. 33 Bodenreform 1916, S. 508. Vgl. auch Götschmann, Dirk, "Jedermann Hauseigenthümer", in: Schulz, (Hrsg.), Wohnungspolitik im Sozialstaat, S. 141-168, hier S. 151.

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Boden zu. Ist es nicht ähnlich jetzt so? Helfet bauen Hütten den von der Wüste da draußen heimkehrenden Kriegern. Der Feindeshand entronnen, wird ein freies Volk heimwärts kehren nach Kampf und Not. Wird auch unser Erstes sein, ihm Hütten des Friedens zu bauen? Wird nach dem Sonnenbrand der Wüste die schirmende und schützende Wolke der Liebe sich wie dereinst über seine Hütten breiten? " 34

Nach der "Heimkehr" aus der "wüsten" Zeit des Krieges, werde der "Dank" als eine göttliche, im übertragenen Sinne staatliche Belohnung für Entbehrungen und Not erscheinen müssen. Es werde ein "würdiger Dank" sein, da sich daheim die Bodenreformer durch ihr Tun und ihren Einsatz im Kampf um die "Kriegerheimstätten" hervorgetan hatten. Der "Dank der Heimat" werde sich, so die Argumentation, in den "Kriegerheimstätten" erfüllen, um die "Wiedergeburt" einer friedlichen, aber wachsamen deutschen Nation zu gewährleisten. Das waren religiöse Beschwörungen, getragen von völkischem Pathos, die dem Traum eines einigen Deutschlands ohne Klassen- und Glaubensschranken nachhingen, im Dienst bodenreformerischer Propaganda. b) Militärisch-demographische Dimension. "Den Schutz der Grenzen durch die Waffen muß der Schutz unserer Heimat durch das Recht begleiten. " 35 Mit diesen Worten schloß die Bekanntmachung der Satzung des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" in der Bodenreform im April 1915. Als "Kämpfer des Rechts" für die "Verteidiger der Heimat", deren Familien und deren Nachwuchs verstanden sich Damaschke und der BDB, wenn der militärische Nutzen ihres Tuns begrundet werden sollte. Die Kräfte, welche die Bodenreformer für den deutschen Sieg aufzubringen bereit waren, sollten nicht das viel beschworene "Schweiß und Blut" kosten, das an den Fronten vergossen wurde. Ideelle und vor allem rechtliche Kräfte wollte man bereitstellen, um zu einem deutschen Sieg beizutragen. Ihr Streben nach einem reichseinheitlichen Gesetz, das die Verankerung der Pflicht des Staates für die Errichtunghunderttausender Eigenheime auf heimischem Grund und Boden vorsah, war Verpflichtung und Herausforderung. Es zeugte von zivilem "Heldenmut" und "Aufopferung" für eine starke, wehrfähige deutsche Gemeinschaft. Die militärische Funktion der "Kriegerheimstätten" deutete die Propaganda der Bodenreform zum einen mit der Errichtung eines "Grenzwalls", der besser als jede "Verteidigungstechnik" sei. 36 Dort, wo sich nach dem Sieg, die "letzten Schützengräben" hinzögen, sollten die ersten "Kriegerheimstätten" entstehen. Jedes einzelne Haus wäre dort zugleich "Grenzwachhaus" und "Stätte treuer vaterländischer Gesinnung". 37 "Kriegerheimstätten" waren praktischer und ideeller Schutz, der dem Ansturm jedwedes Feindes gewachsen, wie keine andere Burg, Festung oder Ideologie standhalten sollte.

34 35 36 37

Bodenreform 1918, S. 233 f. Ebenda 1915, S. 201. Ebenda 1917, S. 198. Ebenda 1916, S. 226.

6 Koinzer

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Zum anderen wurde die "Kriegerheimstätte" als jener Ort gepriesen, der "[d]as Wertvollste, was ein Volk besitzt, dasjenige was seine Größe, seine Bedeutung unter den Volkern ausmacht, das was sein Schutz und seine Wehr ist gegen den Feind, sein Schönstes und Herrlichstes, was es besitzt"

hervorbrächte, "seine starken, gesunden Männer"?8 Die massenweise Geburt gesunder, kräftiger und wehrfähiger deutscher Sprößlinge wurde als notwendige Folge der Existenz der "Kriegerheimstätten" und als deren Erfolg und Verdienst glorifiziert. "Gesunde Männer" versprachen das Fundament, die demographische Basis für zukünftige Armeen zu sein, ausgestattet mit allen körperlichen und geistigen Voraussetzungen für gegenwärtige und zukünftige militärische Siege. Der Zustimmung durch die deutsche militärische Führung waren sich die Bodenreformer gewiß. Erman betonte in seiner Erläuterung der Grundzüge, daß auf "die für Deutschlands Verteidigungsfähigkeit verantwortlichen militärischen Stellen, insbesondere das Kriegsministerium, .. . mit Sicherheit gezählt werden (darf), je besorgter Deutschlands Siegesadler sich umschauen muß nach seinem einst so treuen schwarz-weißroten Fluggenossen, dem - Klapperstorch. " 39

Der gemeinsame "Siegesflug" von Adler und Storch wurde zum Inbegriff dessen, was Militärs und Bodenreformer vereinte: Durch die gebaute und rechtlich gesicherte "Bindung" an die "Heimaterde", durch das vom Reich geschaffene "eigene Heim", hin zur Erziehung und Aufzucht einer militärtauglichen und einsatzbereiten Rasse. Aktive Militärs und jene, die ihrem Dienstgrad das Kürzel z. D. (zu Diensten, T.K.) anfügten, sahen sich deshalb in der Pflicht, die Ideen der Bodenreformer zu vertreten. Im Mai 1917 überreichte der "Hauptausschuß für Kriegerheimstätten" der Bibliothek des preußischen Innenministeriums eine Sammlung von Gedichten, Pamphleten und "fachmännischen" Stel-lungnahmen zu den Kriegs- und Nachkriegsforderungen des BDB. Darin begründete Generalleutnant z. D. Rohne das "warme" Eintreten für die "Kriegerheimstätten" mit der bekannten und oft artikulierten "Dankesschuld". Aber auch im Bewußtsein, das "Wohl des Vaterlandes" und damit das ureigene Heil jedes Deutschen zu fördern, beförderte ihn in seinem propagandistischen Engagement. Der an die Front befohlene Arbeiter und seine im Krieg erwachte "heiße, unauslöschliche Sehnsucht nach Heimat, nach eigener Scholle", lag Rohne besonders am Herzen. Leicht drohend und mit Verweis auf die oft kolportierte "historische Erfahrung" fügte er an: .,Wehe uns, wenn dieser Sehnsucht abermals eine Enttäuschung bereitet würde, wie den Kämpfern des Krieges 1870 /71, wenn sie die Erfahrung machen müßten, daß sie weniger als vorher Anteil an dem von ihnen verteidigten Boden hätten... Das Bewußtsein aber, für eine eigene Scholle zu kämpfen, wird in allen Kriegern den Willen zum Siege stärken und dadurch unser Volk unüberwindlich machen."40 38 Bonne, Georg H., Heimstätten für unsere Helden, 1915, in: Frank, Hartmut/Schubert, Dirk (Hrsg.), Lesebuch zur Wohnungsfrage, Köln 1983, S. 191-198, hier S. 191. 39 Erman, Die Grundzüge für ein Kriegerheimstättengesetz, S. 9.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Damaschke legte nach. Der Geburtenrückgang durch die schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse in den großstädtischen Mietskasernen kostete "unserem Volk ganze Armeekorps."41 Die Beschwörungen der "Unerläßlichkeit", nach dem Krieg für die Reform, ja den in seiner argumentatorischen Erscheinung und im Umfang revolutionären Wandel im Wohnungs- und Siedlungswesens einzutreten, griffen hier am eindringlichsten und durchgreifendsten. Poetisch hingerissen und militärisch-propagandistisch verpackt, verlautete dazu charakteristisch vom Kieler Vorsitzenden des "Ortsausschusses für Kriegerheimstätten" Admiral von Thomsen: "Stahlhart waltet im deutschen Kopf der Wille, den Feind zu vernichten, der uns das völkische Leben will rauben. Liebevoll trachtet das deutsche Herz, dem Krieger nach schwer errungenem Sieg ein trauliches Heim zu bereiten, die Wurzel völkischer Kraft, einem Born beglückender Freiheit!"42

Mit "Wille und Herz" zum "Sieg"; das "Heim" als "Born völkischer Kraft", von "Glück" und "Freiheit": Begriffs- und ldeenspiele, leichtverständlich, pathetisch und jederzeit reproduzierbar, ob in Prosa- oder Versform waren ein wichtiges Mittel der Propaganda der Bodenreformer. Das Moment der "Nachwuchsförderung" und die Lösung des ,,Bevölkerungsproblems" spielten vor allem unter Verweis auf ihre militärische Bedeutung eine herausgehobene Rolle in der Propaganda. Der gegenwärtige Krieg hatte seine "tiefste sittliche Rechtfertigung" einzig darin, daß er ein "Krieg für das deutsche Kind" sei.43 Die Rubriken in der Bodenreform, "Vom Kampf gegen das deutsche Kind" und "Vom Kampf um das deutsche Kind", berichteten regelmäßig von Hausbesitzem, die Wohnungen inserierten mit dem Vermerk, dort keine Familien mit Kindem einziehen lassen zu wollen. 44 Der Umkehrschluß bedeute keine Wohnungen für Familien mit Kindern, keine Kinder für die Stärkung und den weiteren Aufbau des wehrhaften deutschen Volkes. Anhand von Zeitungsmeldungen aus dem gesamten Reichsgebiet wurde der Mangel an ausreichendem Wohnraum vor allem für Familien mit mehreren Kindem thematisiert. Der von den Bodenreformern gezogene Schluß war immer der Verweis darauf, daß "angesichts solcher Tatsachen" niemand daran zweifeln könne, "daß die Kriegerheimstättenfrage in der Tat die Schicksalsfrage unseres Volkes ist".45

40 Rahne, H., Wehrkraft und Kriegerheimstätten, in: Kriegerheimstätten. Drucksachen des Hauptausschusses für Kriegerheimstätten, Berlin 1916, Dokument 8. Das Berliner Tageblatt berichtete am 29. Juni 1916 im Zusammenhang mit einem erwarteten Wohnungsmangel nach dem Krieg und der "historischen Erfahrung", daß die Wohnungsnot nach 1870171 in Berlin und Breslau zu Straßenkrawallen geführt hatte. 41 Damaschke, Adolf, Der Neuaufbau nach Seiten des Wohnungswesens, in: Bericht des Ersten deutschen Kongresses zu Bevölkerungsfragen, Dannstadt 1916, S. 45-61 , hier S. 57. 42 Bodenreform 1917, S. 101. 43 Damaschke, Der Neuaufbau, S. 48. 44 Vgl. u. a. Bodenreform 1917, S. 37 f., l04f., 169 f. 45 Ebenda 1917, S. 38.

6*

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Durch die "Kriegerheimstätten", so der Schluß, könne die "Geburtenfreudigkeit" wieder entdeckt werden, nicht nur zur Zeugung künftiger Soldaten, sondern für "alle höchsten Menschheitsziele, die wir dem deutschen Volke gesetzt glauben". Die "Kriegerheimstätten" waren der Garant für ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum, das Voraussetzung dafür sei, daß Deutschlands Feinde zukünftig daran gehindert würden, "den blutig erkauften Frieden wieder anzutasten", wie Erman meinte. 46 Diesem, die wie auch immer gearteten deutschen "Menschheitsziele" bewahrenden Nachwuchs, müßte zudem die "Sorge um einen körperlich und sittlich gesunden" Gehalt entgegengebracht werden. Denn ,jede militärische Bewertung stellt ja das ,moralische Element' mit Recht an die erste Stelle." Bedroht durch das vor dem Krieg herrschende "Schlaraffen- und Rummelplatztreiben", wohne dem deutschen Volk noch jene in den "Unerhörtheiten des Weltenbrandes immer aufs neue betätigte sittliche Gesundheit und Spannkraft" inne.4 7 Diese, durch zügel- und nutzlose Vergnügungen angeschlagene "Spannkraft" zu erhalten, brauche es "Kriegerheimstätten". c) Sittlich-gesundheitliche Dimension. Die "Nachwuchsförderung", d. h. die Stärkung der Gesundheit und sittlichen Verfaßtheit von Kindem und Jugendlichen war das Ziel derartiger Argumentationsmuster. Einen herausragenden Faktor stellte die Kindersterblichkeit im Zusammenhang mit den schlechten hygienischen, großstädtischen Wohnbedingungen einzelner Bevölkerungsschichten in den "Mietskasernen" dar. Die Intervention des Staates über gesetzliche Maßnahmen und Geldleistungen bessere hygienische Verhältnisse herzustellen, die u. a. den Anstieg der Geburten fördern sollten, befürworteten die Bodenreformer zwar. Doch nur die Veränderung der Wohnverhältnissen selbst, könnte das Problem grundlegend lösen.

Anwaltschaft holte sich der BDB, wie immer wenn es einer allgemein wissenschaftlichen Begründung bedurfte, von den jeweiligen Fachleuten. In diesem Sinne legten die sittlich-gesundheitlichen Elemente der Nützlichkeit von "Kriegerheimstätten" vor allem Geistliche und Mediziner dar. Ernst Bumrn, Medizinprofessor an der Berliner Universität, nahm sich der Situation der sogenannten kinderreichen Familien an. Er bezeichnete die finanziellen Zuwendungen an sie einen "Hohn". Eine "Zumutung" sei es überdies, von ihnen zu verlangen, "noch mehr Kinder zu bekommen", obwohl sie bereits mit denen die sie hatten, schwer Wohnungen finden würden. Bumms Lösungsansätze lagen ganz im Sinne der Bodenreformer: "Eine praktische, zugunsten der armen und mittleren Bevölkerungsklassen berechnete Boden- und Wohnungspolitik, die Vermehrung der Arbeiterkolonien in den Industriezentren, die Rückführung des armen Volkes aus der Hölle seines Großstadtlebens auf das Land, wo die Sonne allen scheint. .. , kommen als sozialpolitische Mittel zur Hebung der Geburtenrate in erster Linie in Betracht. " 48 46 47

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Erman, Die Grundzüge für ein Kriegerheimstättengesetz, S. 8. Ebenda, S. 9. Bodenreform 1917, S. 69.

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Diese Mittel seien auch der "sicherste und einfachste Weg", die nach Bumms Angaben vergleichsweise hohe Kindersterblichkeit einzudämmen. Gelänge es die Sterblichkeit der Säuglinge auf 10% zu senken, "erhält Deutschland alle Jahre 100.000 Kinder geschenkt, die so gut wie neugeborenen sind, und nichts kosten."49 Das "Heraus aus den Mietskasernen", aus der "Hölle" der Großstadt hin zu Luft und Sonne eines bomiert-ästethisierten Landlebens unterschrieben die Bodenreformer mit der Forderung: "Schafft Kriegerheimstätten!". Nur dort könnten die "natürlichen", die "gesunden Triebe" ausgelebt werden. Die "Lust an Kindern", die das Vaterland jetzt und künftig brauchte, gedeihe allein dort. Nur diese Umwelt wäre die Grundlage dafür, daß gesunde und starke deutsche Nachkommen erwüchsen. All das, so der Feldgeistliche und BDB-Mitglied Fresenius mit einem anti-intellektuellen Seitenhieb, helfe "dem Nachwuchs rascher und sicherer auf, als alle Ansprachen gelehrter Brillenschlangen und wohlmeinender Maulpatrioten. " 50 In der Bodenreform wurden die "Anforderungen kinderreicher Familien" an das Wohnen mit der Notwendigkeit des Wohnens im Siedlungshaus verbunden. Den Zusammenhang von "Kriegerheimstätte" und "Rassenhygiene" artikulierten die Bodenreformer dabei ausdriicklich, um die "Zahl und Tüchtigkeit ausreichenden Nachwuchses" zu erhöhen. Der Vorsitzender der Gesellschaft für Rassenhygiene und BDB-Mitglied von Grober sprach sich dafür aus, gerade für städtische Familien mit vielen Kindem "gartenstädtische Siedlungen" und "Laubenkolonien" im Zuge einer "inneren Kolonisation" bereitzustellen. 51 Der Zusammenhang Gesundheit und "Heimstätte" beriihrte, so Damaschke auf dem Ersten Deutschen Kongreß zu Bevölkerungsfragen 1916 in Darmstadt, "die dunkelste Seite unseres ganzen Kulturlebens". 52 Unter Verwendung der seit Jahrzehnten vorgebrachten Argumente von überfüllten und schlecht beheizbaren Wohnungen, wo Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts zusammengedrängt leben müßten, charakterisierte er die Wohnverhältnisse, "die den deutschen Volkskörper zu zerstören drohen". Sie förderten Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Alkoholismus, "Unsittlichkeit" und "Jugendentartung"53 , all die "Gifte" also, deren Wirksamkeit und Verlockungen in der "Kriegerheimstätte" ausgeräumt würden. Die Bodenreformer setzten auf die Überzeugungskraft des Vergleichs von großstädtischem Wohnen und dem Wohnen in Kleinhaussiedlungen und ihren "Einwirkungen auf die Volksgesundheit". Willkommen war dabei besonders die Studie von C. Flügge, dem Direktor des Hygienischen Instituts der Berliner Universität. 49 50 51 52 53

Ebenda. Zitiert nach: Bodenreform 1917, S. 133. Ebenda 1916, S. 136. Damaschke, Der Neuaufbau, S. 48. Ebenda, S. 60.

II. Diskurs und Politik im Krieg

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Die "hygienische Ueberlegenheit des Kleinhauses in weiträumiger Bebauung über das großstädtische Miethaus"54 wurde als wichtigstes Resultat der Untersuchung Flügges herausgestellt. Nicht die wohnliche Bescheidenheit minderbemittelter Bevölkerungsschichten in der Stadt sei die Ursache des großstädtischen Wohnungselends. Auch auf dem Lande lebten viele Menschen in Enge und schlechten Wohnungen. Aber besonders die hohe Dichte des Zusammenlebens in der Stadt bedingte das Wohnen in "schlechten Behausungen". 55 Das Landleben wurde zum "Heilsbringer" bei der Lösung der Wohnungsfrage stilisiert. Die landwirtschaftlichen Siedlungen als Ergebnisse zahlloser, "innerer Kolonisationen" waren trotz der ständigen Betonung, "Kriegerheimstätten" gleichermaßen in Städten und auf dem Land fördern zu wollen, der offensichtliche Endpunkt bodenreformerischen Strebens. Hier erschloß sich eine traditionelle, nostalgisch-verklärte Lebensform in einer "neuen", "geläuterten" großen deutschen Gemeinschaft. Dieser hatte der Krieg vor Augen geführt, aus welchen Quellen sich die "Kraft des Volkes" speiste. Nur in der gepriesenen Rück-Bindung an die "natürlichen" Verhältnisse, würden Gesundheit und Kraft, Zukunft und Größe zu bestimmenden Elementen. d) Bäuerlich-landwirtschaftliche Dimension. "Sehnsucht" und "Verlangen" wurde zu Kennzeichen derer erhoben, die "nach Jahren des Kampfes" heimkehrten. Ihr Drang, die "Fruchte" des Sieges zu ernten, fand seine agitatorische Unbeschränktheit nicht nur in der Befriedigung von "Mannesrechten"56 sondern auch in der "Begierde", endlich hinaus in die Natur zu wollen. Friedrich von Bodelschwingh, Sohn des Griinders der christlichen Wohlfahrts- und Missionsanstalten Bodenreform 1918, S. 273. Vgl. ebenda. Was den Lesern der Bodenreform nicht mitgeteilt wurde, war die zusammenfassende Bemerkung Flügges über den allgemeinen Einfluß der Wohnung auf die Gesundheit. "Im großen Ganzen", so der Arzt, "ist die aus den statistischen Erhebungen gewonnene Ausbeute für die Erkenntnis der hygienischen Nachteile der Großstadtwohnungen nicht bedeutend." Offensichtlich wurden nur die Ergebnisse herausgestellt, die sich in der Argumentation problemlos einbauen ließen. Flügge stellt bspw. für die Säuglingssterblichkeit fest, daß diese auf dem Lande höher war als in der Stadt. Die Resultate zur Tuberkulosesterblichkeit und Morbiditätsstatistik beurteilte er verhalten diagnostizierbar, da sich ein Vergleich ausschloß bzw. die Datenlage zu dünn sei. Den Einfluß der Wohnung auf diese Gesundheitsparameter konnte Flügge schwer oder nicht folgern. Lediglich für die Militärtauglichkeit verwies er auf die "auf dem Lande hygienisch günstigeren Verhältnisse". Flügge, C., Großstadtwohnungen und Kleinhaussiedelungen in ihrer Einwirkung auf die Volksgesundheit Eine kritische Erörterung für Ärzte, Verwaltungsbeamte und Baumeister, Jena 1916, S. 66-68; vgl. auch Salomon, Hermann, Krieger-Siedlung und Hygiene, in: Berliner Vereinigung zur Förderung der Kriegsbeschädigten-Ansiedlung (Hrsg.), Beiträge zur Ansiedlung von Kriegsbeschädigten, Berlin 1916, S. 15 -18; Sondermann, R., Die Wohnungsfrage im neuen Reiche, Dieringshausen 1916. 56 Vgl. Bodenreform 1916, S. 609 f. Hermann Ricken verwies in seinem in der Bodenreform veröffentlichten Der Krieger und das Weib auf das "Mannesrecht auf's Weib", das zuvorderst den .,Kriegern" zustehe. Das .,Leben mehrende Weib", sollte das sein, was die Heimkehrer und Fronturlauber .,verdienten". Ebenda. 54

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1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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in Bethel bei Bielefeld, meinte 1916 diese Sehnsucht treffend in Worte zu fassen. Der Krieg hatte erstmals zahlreiche Stadtbewohner "hinausgeführt" und sie damit "hinein ins Leben der Natur" geleitet: "Der Mann, der wieder einmal Tag und Nacht in engster Fühlung mit der Mutter Erde zugebracht hat, der der Sonne und Sterne Lauf wieder ganz neu verfolgt und studiert hat, der die Vöglein im Walde nicht nur an seltenen Feiertagen, sondern Tag für Tag hat singen hören - wie soll der zurückkehren nach ein paar kahlen Zimmern im vierten Stock eines langweiligen Steinhauses in irgendeinem Berliner Hinterhof7"57 Der "Romantik des Schützengrabens" stand die zeitgenössische Beschreibung des Kriegsteilnehmers Otto Dix gegenüber, die Bodelschwinghs Annahmen ad absurdum führte: "Läuse, Ratten, Drahtverhau, Flöhe, Granaten, Bomben, Höhlen, Leichen, Blut, Schnaps, Mäuse, Katzen, Gase, Kanonen, Dreck, Kugeln, Mörser, Feuer, Stahl. .. "58 Hier war nicht die Rede von singenden "Vöglein", die ein Verlangen nach einer Zukunft in ländlicher Umgebung aufkommen ließen. Statt dessen hatte sich der Lärm der Geschütze und jede Menge "Dreck" in das Gedächtnis vieler Soldaten eingegraben. Solche "inneren Erschütterungen" aber waren nach uneingeschränkter Ansicht der Bodenreformer, erst beim Übergang vom Militär- ins Zivilleben in einer anderen Form zu erwarten. Hatte man im Krieg den "Bund mit der Erde" geschlossen, sich an "Luft und Licht, an Graben und Pflanzen gewöhnt", wartete daheim bereits der "alte Jammer" von Wohnungsnot und "Mietskaserne" . Diese Erinnerungen würden die Soldaten beunruhigen und stellten eine Bedrohung des bestehenden Gemeinwesen dar, wenn nicht "als eine Frucht des Krieges" eine große "Kriegerheimstättenbewegung" aktiv werde. 5 9 In oft schwärmerisch Art betonten die Bodenreformer den Nutzen zukünftiger ländlicher "Kriegerheimstätten" für die Nahrungsgüterproduktion, zur Eindämmung der Landflucht und der Vermeidung von zu erwartender Auswanderung. Die "Volksemährung", durch die britische Seeblockade im Krieg ein Dauerthema, sollte in Rückbesinnung auf die Stärkung der inländischen Produktion gerade durch den Ertrag, den "Kriegerheimstätten" und das sie umgebende Land erbrach57 Zitiert nach: Bodenreform 1916, S. 325. Ähnlich die Argumentation 1916 im Türmer: "Sie (die Kriegsteilnehmer, T. K.) haben im Felde draußen nun ein Jahr und darüber gelebt, . . . am Herzen der Natur, ... in Luft und Wetter, in Sonne und in Gefahren ohne Zahl. Sie haben gelernt, mit ihrer Hände Werk sich ihr engbegrenztes Leben zu erleichtern und wohl auch zu verschönen nach Kräften und Möglichkeit, wie es dem deutschen Gemüt so nahe liegt - wie viele Tausende würden verkümmern, müßten sie bei ihrer Rückkehr in die engen, lichtlosen Verhältnisse beschränktesten Eingepferchtseins zurück! Tausende haben sich gewöhnt, an ihren kleinen Anpflanzungen Freude und bescheidenes Genügen zu finden und Interesse zu gewinnen an allem Feinen, Kleinen, das die Natur ihnen gezeigt." Rhein, Frank vom, Deutsche Scholle für unsere Tapferen!, in: Der Türmer, Kriegsausgabe, hrsg. von J. E. Freiherr von Grotthuß, 18. Jg., Bd. 2, April- September 1916, Stuttgart 1916, S. 813-816. 58 Conzelmann, Otto, Der andere Dix, Stuttgart 1983, S. 132 f. 59 Bodenreform 1916, S. 185.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

ten, befördert werden. Im Frühjahr 1917 veröffentlichte die Bodenreform eine Aufstellung der Ernteerträge von Arbeitern einer Spinnerei in Landsberg, die sowohl in ihnen zur Verfügung gestellte Gärten als auch auf Ackerland im Gesamtumfang von über 6.000 m2 erzielt worden waren. Angebaut wurden zahlreiche landwirtschaftliche Produkte von Kartoffeln über Bohnen und Erbsen bis hin zu Zwiebeln und Tomaten, die zur Eigenversorgung der Arbeiter dienten. Die Ergebnisse belegten, so die Zeitschrift, daß "außerordentlich günstige Erträge im Kleingarten erzielt werden können". Dieser "unmittelbar aus dem täglichen Leben genommene Beweis" zeige somit, welche hohe Bedeutung den "Kriegerheimstätten für die Volksernährung" zukomme. 60 Den wirtschaftlichen Wert von "Kriegerheimstätten-Gärten" sollten auch die Ergebnisse verdeutlichen, die der Vorsteher der "Abteilung für Familienkriegsgärten" der Vereinigung für private Kriegshilfe München-Nord und BDB-Mitglied Freytag veröffentlichte. Die Erntebilanz auf 50.000 m 2 bebauten Landes verzeichnete 1917 ein Ergebnis von über 120 Tausend Pfund Gemüse, das von mehr als Eintausend Pächtern erbracht wurde. Die Bodenreform ließ ihre Leser erwartungsgemäß wissen, daß Freytags Ausführungen angesichts dieser Erfolge mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer umfassenden Bodenreform und der Schaffung von "Kriegerheimstätten" schloß. 61 Die Entwicklung der Forstwirtschaft, die Öd- und Moorlandkultivierung, Eindeichungen und Neulanderschließungen wurden mit den "Kriegerheimstätten" in Verbindung gebracht. Die Logik der Bodenreformer war simpel. Um Menschen für derartige Maßnahmen der Landgewinnung motivieren zu können, bedürfe es Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten, die der Abwanderung entgegenwirkten. Wer wenn nicht die Kriegsheimkehrer seien für derartige "Eroberungstätigkeit" geeignet.62 Mit den Schlagworten "Krise der Arbeiterbeschaffung" und "Ansässigmachen" betonte man die Notwendigkeit der Neuschaffung von Siedlungs- und damit Lebensmöglichkeiten in ländlichen Regionen. Neben der landwirtschaftlichen Bearbeitung des Bodens verwies man auf die Vorteile des "Nebenbetriebs" dieser Siedlungstätigkeiten. Durch das Halten von Kaninchen, Ziegen, Hühnern und Bienen, und im Falle der Neusiedler in der Forstwirtschaft durch "Beeren sammeln", könnten die Einkünfte gesteigert werden. 63 Die "natürlichen Verbündeten" der Bodenreform, die Vereinigungen für Gartenbau, Obstzucht oder Kleintierhaltung, unEbenda 1917, S. 199. Vgl. ebenda, S. 287 und S. 566 mit einer ähnlichen Meldung aus Weimar. 62 Vor allem seit der Reichsgründung 1871 setzte eine Binnenwanderung von bisher nicht gekannten Ausmaß ein. Bis 1907 hatte die Hälfte der deutschen Bevölkerung in der einen oder anderen Form an dieser Binnenwanderung teilgenommen. Zwar machte die Nahwanderung aus benachbarten Städten in größere den bedeutendsten Teil der Wanderungen aus. Doch war diesen oft eine Zuwanderung vom Land vorausgegangen. Auch die massive Ost-WestMigration ließ bis 1907 über 1,9 Millionen Menschen das stark landwirtschaftlich geprägte Ostdeutschland verlassen. Vgl. Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3. Band, München 1995, S. 504 f. 63 Vgl. Bodenreform 1917, S. 115; Bodenreform 1918, S. 203 zu den Eindeichungen zwischen Borkum und Emden. 60

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terstützten rege die Propaganda der Bodenreformer mit Argumenten über die Nützlichkeit kleinsiedlerischer oder bäuerlicher Anwesen. Eingereiht in die Riege der Mitgliederorganisationen des "Hauptausschusses", verwiesen sie auf jene "400 Quadratmeilen vaterländischen Bodens", der "öde und ungenutzt" sei. Es handelte sich dabei um ausreichend Land, das nach der Urbarmachung Platz bieten würde für die Ansiedlung, und "lebensspendende Frucht, Korn, Gemüse und Ostbäume" zu tragen in der Lage sei.64 Die Intensionen der Bodenreformer lassen sich mit der Losung "Mehr Bauern braucht das Vaterland!" 65 und der Begrundung einer Eigen- und Selbsterzeugermentalität in der deutschen Bevölkerung zusammenfassen. Die Vorstellungen von der Bereitstellung staatlich subventionierten Landes und einer finanziellen Unterstützung, der darauf zu errichtenden Wohnbauten, gingen Hand in Hand mit der Verbreitung des Gedankens, nur ein mit dem Boden verbundenes Volk, ist ein wirklich starkes, wehrfähiges Volk. Dieser Boden, bebaut mit Häusern ebenso wie mit den die Ernährung aller sichernden, landwirtschaftlichen Produkten, sei ein wahrer "Kraftquell". Die Bodenreformer beschworen die Verbriiderung, das "Wieder-Verstehen" und geistige Zusammenwachsen von Stadt und Land, wo ein jeder ein Freier sei, aber die feste Bindung an ein Stück des Vaterlandes und damit an den Staat hatte. Die weihevoll vorgetragene, allumfassende Heilung versprechende Lehre von einem eigenem Stück "Heimaterde" für jeden beschrieb jene Zukunft, die erst durch die Erfahrungen des Krieges möglich gemacht worden sei. Der Boden, so das Gedicht Heinrich Lerchs in der Bodenreform, der "der Briider Blut" eingesogen hatte, kann nun nicht mehr das Land weniger sein. Als "heiliges Gut" gehöre es nach Kriegsende all jenen, die im Krieg "Not und Tod und Elend" teilten. Nach dem Krieg solle der Boden geteilt werden, ihm, "dem das Kämpfen galt". 66 Auf ihm, zur Krönung und höchsten Weihe sollten die "Kriegerheimstätten" errichtet werden. Die Strategien zur komplexen Lösung der Wohnungsfrage nach dem Krieg durchzogen die Propaganda des BDB unter Damaschke seit dem Herbst 1914. Anfangs wies man auf die ungenügende Tätigkeit der Einrichtungen der Mietkontrolle hin, reflektierte über die Leerstandszahlen von Wohnungen in den deutschen Großstädten und predigte den Anstieg der Mieten nach Beendigung des Krieges. Ihre Kritik an der vergangeneu und gegenwärtigen Handhabung aller das Wohnungswesen betreffenden Bestimmungen, Verordnungen, Gesetze und Institutionen gipfelte immer in der Forderung, mit der Lösung der Wohnungsfrage, eine "Schicksalsfrage für das deutsche Volk" lösen zu wollen: Die umgehende Schaffung von Wohnraum in Kleinhäusern, der Bau von "Kriegerheimstätten".

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Ebenda 1918, S. 301; 1916, S. 237 f. Ebenda 1917, S. 237. Lersch, Heinrich, Der junge Bauer, in: Ebenda, S. 589.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Die "Kriegerheimstätten" als "Schicksalsfrage" war Damaschkes programmatische und zugleich elementarste Aussage während des Kriegs. Ob auf der Festveranstaltung des BDB im November 1915, auf dem Darmstädter Kongreß zu Bevölkerungsfragen 1916 oder in den zahllosen Artikel in der Bodenreform, dem Jahrbuch und den Sozialen Zeitfragen, Damaschke malte das erlösende Bild der "Kriegerheimstätte". Unentwegt beschrieb und erläuterte er die organisatorischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Mittel und Notwendigkeiten der Durchführbarkeit dieses, seines Programms. Da es den Deutschen allgemein, wie Damaschke Bismarck zitierte, an "Zivilkurage" mangelte, komponierte er eine nationale, Klassen unabhängige Ersatztugend, ein nebulöses "Staatsbürgertums". Verankert im täglichen, im "staatsbürgerlichen" Leben, mit Pflichten und der Versicherung staatlicher sozialer Fürsorge, sollte es die "wahre Gesinnung" in der Bindung aller an den Staat erzeugen. Das war die "riesengroße" Aufgabe, die sich nach dem Krieg stellen würde. 67 In seiner Absage an die im 19. Jahrhundert dominierende Idee der "Selbsthilfe", die sich den Spott der "sozialistischen Agitation" zugezogen hatte, wo der Staat "in die Rolle des Nachtwächters (gedrängt sei), der nur ruhestörenden Lärm und groben Unfug zu verhüten habe", suchte Damaschke die Nähe zum Staat. 68 Dieser sollte die Verantwortung für die wichtigsten Belange der Gesellschaft übernehmen, um so wiederum Pflichten an die Gesellschaft und die Individuen verteilen zu können. Die höchste dieser Pflichten würde dabei die "staatsbürgerliche Treue" sein. Eine "Treue zum Trotz" sollte geboren werden, die allen äußeren aber auch inneren Feinden widerstehen könne. Gegen letztere, die "Sozialdemokratie", den "Kommunismus" oder "Bolschewismus", oder wie auch immer er in den Schriften und Reden der Bodenreformer in Erscheinung trat, helfe nur eine treue Bindung an den Staat und den Boden. Die Wohnungsreform, und darin sah sich Damaschke keineswegs isoliert, stellte einen dieser Werte dar, für die der Staat Verantwortung zu übernehmen hätte. Doch eine Wohnungsreform ausschließlich in den Städten bedeutete nur die Lösung eines einzelnen gesellschaftlichen Problems, der städtischen Wohnungsfrage. Sie beinhaltete jedoch nicht das bodenreformerische Endziel, die Lösung der "Sozialen Frage" im Allgemeinen durch eine umfassende Bodenreform. Vor allem die wiederum nicht nur für Bodenreformer bedeutende Frage der Abwanderung vom Lande, die Steigerung der Leistungsfähigkeit der nationalen landwirtschaftlichen Güterproduktion und die "gesundheitlich-natürlichen" Bedingungen des Landlebens standen dabei im Mittelpunkt. Aus diesem Grunde forderte Damaschke die "Kriegerheimstätten in Stadt und Land" mit den Ziel, "daß in dem nächsten großen Völkerringen jeder Deutsche so in den Kampf gehen kann nicht nur wie ein Soldat, der seine Pflicht tut, sondern wie ein Mann, der seine eigene 67 Damaschke, Adolf, Kriegerheimstätten eine Schicksalsfrage für das deutsche Volk, in: Soziale Zeitfragen, Heft 66, Berlin 1918, S. 3. 68 Ebenda, S. 6.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Heimstätte verteidigt, in der er mit Kindern, die gesund an Leib und Seele sind, in Sicherheit sich des Ertrages seiner Arbeit freuen kann."69

Darnaschke und die Bodenreformer hatten mit ihrer Propaganda für die "Kriegerheimstätten", unter Ausnutzung des "Kriegserlebnisses", die Wohnungsfrage zu einem gesellschaftlichen und politischen Handlungsfeld erhoben, das nicht mehr zu übersehen war. Wie die "Kriegerheirnstätten" von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, von der deutschen militärischen und politischen Führung und nicht zuletzt von denjenigen aufgenommen wurde, für die das Programm in erster Linie bestimmt war, die Kriegsteilnehmer, ist Gegenstand des folgenden Kapitels. aa) Die Rezeption des "Kriegerheimstätten"-Gedankens

Das Echo auf die "Kriegerheimstätten" war geteilt. In Leserbriefen von der Front, abgedruckt in den Publikationen des BDB, drückten zahllose Kriegsteilnehmer, Bundesmitglieder zumeist, ihre Zustimmung zu den Bestrebungen der Bodenreformer aus. Zeitungen und Zeitschriften berichteten rege über die Gründung und die Arbeit des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" und dessen "Erfolge" in ganz Deutschland. Welche Gruppen dabei welche Stellungen zu den "Kriegerheimstätten" bezogen, wird im folgenden dargestellt. a) Organisierter Haus- und Grundbesitz. Von Seiten des organisierten Hausund Grundbesitzes schlug den "Kriegerheimstätten" a la Bodenreform heftigste Kritik entgegen. Die "Anfeindung" kommentierte der Württembergischen Landesverein für Kriegerheimstätten e. V. in Stuttgart im Mai 1917 mit der Feststellung, daß "[d]as beliebteste Kampfmittel unserer Gegner (darin) besteht, daß sie sich selbst als die wahren Schutzpatrone der Kriegerheimstättensache ausgeben". Indem die Grundbesitzer versprächen, die Ansiedlung von Kriegsteilnehmern in breitester Weise zu fördern, "lockten" sie mit dem Argument, für "die freie und unbegrenzte Verkäuflichkeit (der) Heimstätten". 70

Das Hauptaugenmerk der Haus- und Grundbesitzer galt die Durchsetzung der Freizügigkeit im Umgang mit den zu schaffenden "Kriegerheimstätten". Aber den Ausschluß der Boden- und Heimstättenspekulation hatten die Bodenreformer zum 69 Ebenda, S. 12. Wie groß und gleichzeitig bescheiden das zukünftig zu verteidigende Siedlungsland mit dazugehöriger "Kriegerheirnstätte" sei, verdeutlichte die Bodenreform 1915. Auf 1.250 m2 Fläche pro Siedlungsstelle sollten zwei Millionen "Kriegerfamilien" mit einem Eigenheim und landwirtschaftlicher oder gärtnerischer Nutzfläche versorgt werden. Insgesamt müßten 2.500 km2 Land zur Verfügung gestellt werden, ein "Raum . . . noch nicht de(m) zehnten Teil der Rheinprovinz oder der Provinz Sachsen (entsprechend), etwa de(r) fünfzehnte( . . .) Teil der Provinz Ostpreußen- ... nicht ganz die Größe der Kreishauptmannschaft Zwickau im Königreich Sachsen". Bodenreform 1915, S. 385 f. 70 Monatliche Mitteilungen des Württembergischen Landesvereins für Kriegerheimstätten e. V. in Stuttgart, Nr. 6, Mai 1917, S. 3.

li. Diskurs und Politik im Krieg

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wichtigsten Grundsatz auf dem Weg zu einer Gemeinschaft deutscher Eigenheimbesitzer erkoren. Das Handelsverbot von Grund und Boden, den darauf errichteten Häusern und Wohnungen sowie deren sonstige privatwirtschaftliche Verwertung sollte verbindlich festgeschrieben werden. Diese Prinzipen nicht zur Durchsetzung gelangen zu lassen, war eine wesentliche Bestrebung der Haus- und Grundbesitzer. Bereits kurz nach der Gründung des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" schlugen örtliche Verbände für Haus- und Grundbesitz Töne an, die den BDB als Verfechter von "Idealisten-Ställen" betitelten. Diese würden den heimkehrenden Kriegsteilnehmer in einer "geistesabstumpfenden Einöde langgesteckter, lebenstoter Gartenstädte", "unfrei" machen. Die Altonaer Bürgerzeitung, ein dem "Schutzverband des Altonaer gewerblichen Grundbesitzes" nahestehendes Blatt, deren Artikel die Bodenreform im Herbst 1915 abdruckte, fragte: "Dürfen wir unsere heimkehrenden Krieger, ob krank oder gesund, unfrei machen, in dem wir sie durch festliegende Vergünstigungen an eine Scholle fesseln?"71

Der Schutzverband für Deutschen Grundbesitz e.V., 1912 in Berlin gegründet, und seine reichsweiten Ortsverbände sprachen sich nichtsdestotrotz für das vom BDB und dem "Hauptausschuß" initiierte nationale Siedlungswerk für Kriegsheimkehrer und ihre Familien aus. Als Interessenvertretung wichtiger Groß- und Hypothekenbanken, Versicherungsuntemehmen, Terraingesellschaften und der Verbände der Grundbesitzer und Immobilienmakler stellte er den Dachverband all jener dar, die eine vermeintliche "politische Defensive des Grundbesitzes" zu überwinden antraten. 72 Ihre anfängliche Abwehrhaltung gegen die "Kriegerheimstätten" hatte sich spätestens ab dem Frühjahr 1918 gewandelt. Die Vorstellung über den Umfang und die Durchführungen des Programms wichen aber von denen der Bodenreformer entschieden ab. Ausgehend von divergierenden Auffassungen zur Finanzierung, über Maßnahmen zur Beschaffung von Bauland bis hin zur Abfassung eigener Grundsätzen für ein Kriegerheimstättengesetz agitierten die Grundbesitzer ausdrücklich gegen den BDB. So wurde u. a. eine aufgelockerte Bebauung in gärtnerischen, stadtnahen Siedlungen mit der Begründung abgelehnt, daß eine "schädliche Wirkung der jetzigen Wohnweise . .. in dem vielfach behaupteten Umfange bisher nicht zu verzeichnen" sei. Lokale Maßnahmen, wie die "Herabzonung von Bauklassen" in den Berliner Außenbezirken im Sommer 1917, die eine dichte, die "Mietskasernen" fördernde Bauweise verhindem sollten, waren, wie Der Tag, Organ der Grundbesitzer meinte, eine "Gefährdung der Kleinwohnungsversorgung". Der Krieg hatte doch gezeigt, so die Zeitung weiter, "daß eine gesunde, kampfkräftige und widerstandsfähige Bevölkerung auch unter der bestehenden Bauweise groß werden konnte, und daß auch die Männer, die nicht im eigenen Hause mit Garten wohnen, sich dem Leben im Schützengraben und den harten Anforderungen des Krieges an Geist, Gemüt, Nerven- und Körperkraft durchaus anzupassen vermocht haben.'m 71

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73

Bodenreform 1915, S. 484. Bemhardt, Christoph, Bauplatz Groß-Berlin, Berlin 1998, S. 304 f. Der Tag. Grundbesitz und Realkredit vom 5. Juli 1917.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Die Intervention der Haus- und Grundbesitzer zog weite Kreise. Bei den zuständigen Reichsstellen oder jenen, von denen man sich Unterstützung zur Verhinderung der "Idealisten-Ställe" versprach, wurde der Schutzverband vorstellig, um seine Auffassungen zum "Kriegerheimstättengesetz" deutlich zu machen. In einem Schreiben des Kölner Ortsverbandes an das preußische Kriegsministerium im Juni 1918 stellten die Grundbesitzer fest, daß "Kriegerheimstätten" nur "als Eigentum bürgerlichen Rechts" gewährt werden dürften. Bindende "Sondervorteile", wie sie die Bodenreformer forderten, sollten ausgeschlossen werden. Sämtliche Unternehmen oder staatliche Stellen, die gemeinnützige Siedlungsprojekte durchführen wollten, dürften gegenüber anderen Bauunternehmungen nicht bevorteilt werden. Jegliche besitzrechtliche Bindung sowohl einer Siedlungsstelle, als auch eines Eigenheims lehnten die Grundbesitzer als Beschränkung der wirtschaftlichen Freizügigkeit ab. 74 Im Frühjahr 1918 veröffentlichte der Schutzverband drei Grundsätze, die sich als Entwürfe für ein "Kriegerheimstättengesetz", ein "Reichssiedlungsgesetz" und schließlich ein "Siedlungsgeldbeschaffungsgesetz" verstanden. Ziel dieser Grundsätze war es, "einen Weg zu suchen, wie eine Kleinsiedlung im allgemeinen und eine Kriegeransiedlung im besonderen ermöglicht werden könnte, die im Rahmen des Erreichbaren bleibt und deshalb Enttäuschungen nicht hervorruft."75

Mit diesen Gesetzentwürfen und ihren Erläuterungen wurden sämtliche Kritikpunkte am Programm der Bodenreformer zusammengefaßt und ein konkurrierendes Modell vorgestellt. Der Schutzverband sah seine Bestrebungen nach Schaffung von "Kriegerheimstätten" mit der "Sorge" um die, "die für das Vaterland gelitten und gestritten haben", begründet. Die "Kriegerheimstätten" nach den Vorstellungen des Schutzverbandes sollten, ähnlich den Formeln der Bodenreformer, den Kriegsheimkehrern "die Gewähr geben, daß sie in auskömmlicher Weise von ihrer Arbeit sich und ihre Familie ernähren können, und daß sie mit ihr im wohnlichen Heim auf eigener Scholle als freie Männer ihre Tage verbringen können."76

74 BarchB, R 3901/10983, BI. 461: Schreiben des Schutzverbandes Deutscher Grundbesitzer in Köln an das preußische Kriegsministerium vom 20. Juni 1918. 75 Schutzverband für Deutschen Grundbesitz (Hrsg.), Kleinsiedlung und Kriegeransiedlung. Drei Gesetzentwürfe nebst Erläuterungen, Berlin 1918, S. 3; vgl. auch BarchB, R 3901111104, BI. 12: Schreiben des Schutzverbandes für deutschen Grundbesitz e.V. an das Reichsarbeitsministerium vom 7. Dezember 1918. Zur Strategie der Schutzverbandes gehörte es, mit eigenen Gesetzentwürfen und "wissenschaftlichen" Schriften an die Öffentlichkeit zu treten, um im Krieg in die Debatte um die Wohnungsfrage einzugreifen. So veröffentlichte er 1916 die Ergebnisse eines Preisausschreibens von 1912, das der Frage nachging, wie man "der minderbemittelten Bevölkerung die billige und zweckmäßige Wohnung" verschaffen könne. Vgl. Schutzverband für Deutschen Grundbesitz (Hrsg.), Zur Wohnungsfrage. Drei Preisschriften, Berlin 1916. 76 Schutzverband für Deutschen Grundbesitz, Kleinsiedlung und Kriegeransiedlung, S. 4.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Dabei war aber das "freie Eigentum" von Haus und Siedlungsstelle bei allen juristischen und wirtschaftlichen Maßnahmen hin zur Schaffung der "Heimstätten" der leitende Gedanke. Eine postulierte Wirtschaftsfeindschaft der Bodenreformer stand somit gegen die vom Haus- und Grundbesitz abgelehnte, ihren Wirtschaftszweig überflüssig machende Vergesellschaftung von Grund und Boden sowie der auf ihnen erstellten Bauten. Was die Haus- und Grundbesitzer mit der Forderung nach Einhaltung des "guten deutschen Rechtes" bei der Gestaltung eines zukünftigen Gesetzes in den Mittelpunkt rückten, stieß bei Damaschke und dem BDB auf "prophetische" Ablehnung. Auf dem Ersten Deutschen Kongreß zu Bevölkerungsfragen in Darmstadt im November 1916 skizzierte Damaschke seiner Zuhörerschaft ein Szenario zukünftiger Entwicklungen, wenn die Grundbesitzer ihre Vorstellungen der "Kriegerheimstätten" durchsetzen würden. Billig zur Verfügung gestelltes, öffentliches Bauland könne, so kein rechtliches Verbot uneingeschränkter Veräußerung bestünde, verkauft werden. Daran, wer dieses Bauland und möglicherweise bereits gebaute Häuser kaufen würde, bestand für Damaschke kein Zweifel: "Terrainspekulanten (würden) den Kriegerheimstätten folgen wie Hyänen den Löwen, die Heimstätten ihren Besitzern ablisten, und in kaum einem Menschenalter würde die Mehrheit des früheren öffentlichen Gemeindeeigenturns billig in die Hände der Spekulanten kommen. Es wäre noch schlimmer als vorher.'.n

Die Bodenreformer wehrten sich vor allem gegen den Vorwurf, daß ihre "Kriegerheimstätten"-Initiative ein Gesetz "minderen Rechts" begründen würde. Das Mitglied des preußischen Herrenhauses, der Staatsrechtier Philipp Zorn wendete sich in einem Artikel in der Bodenreform 1918 dem Problem des "minderen", also eines traditionell ungebräuchlichen Rechts des Grund- und Bodenerwerbs zu. In der modernen Rechtsentwicklung, so Zorn, habe sich der "römisch-rechtliche Gedanke, daß der Boden eine Ware" sei, durchgesetzt. Doch stehe dieser Vorstellung der "uralte Gedanke des deutschen Rechts" entgegen, nachdem der Boden dem "Gemeinwesen" gehörte. In romantischer Verklärung historischer Entwicklungen, verlangte Zorn für die "deutsche Zukunft" nach dem "alte(n), echte(n) . .. Recht" zurück, das zu nutzendes und unveräußerliches Land als "Lehen" ausgebe. 78 Die Kritik an den Bestrebungen Damaschkes und des BDB hatte deutlich werden lassen, daß die Haus- und Grundbesitzer über anfängliche verbale Attacken bis hin zu eigenen Gesetzentwürfen alle Register der Agitation zogen, um die "Kriegerheimstätte", das Wohnen nach dem Krieg allgemein nach ihrem Bild mit gestalten zu können. Die Altonaer Bürgerzeitung brachte es auf den Punkt. Die Gemein77 Damaschke, Der Neuaufbau, S. 58. Ein anschauliches Bild, das seine Wirkung nicht verfehlt haben dürfte: Da der tapfere "Löwe", der Kämpfer, der an der Front sein Bestes zur "Verteidigung der Heimat" gegeben hatte, dafür mit einer "Kriegerheirnstätte" belohnt, die ihm rechtlich aber nicht gesichert war. Dort die gerissene "Hyäne", der (jüdische) Bodenspekulant, allzeit bereit, den "Krieger" um seinen Lohn zu betrügen. 78 Bodenreform 1918, S. 192; vgl. auch Erman, Die Grundzüge für ein Kriegerheirnstättengesetz.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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nützigkeit im Bau- und Wohnungswesen sei Unfug, schrieb sie schon 1915, und die Kriegszeit fördere zudem die Einsicht, "daß unser gesunder, deutscher Geist einmal Stellung zu dieser Gemeingefährlichkeit nimmt, wo es sich um das Wohl unserer heimkehrenden Krieger und um die Existenz unserer Volkswirtschaft handelt."79

Die Äußerungen über die "Gemeingefährlichkeit" des Tuns der Bodenreformer zielten auf deren Gleichsetzung mit den Zielen der organisierten Arbeiterbewegung. Diese wiederum, in Gestalt der Sozialdemokratie, ab 1917 vor allem die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), war für Damaschke und den BDB aber nur die andere Seite der Medaille einer "mammonistischen und radikal kommunistischen" Kritik an den "Kriegerheimstätten". 80 b) Sozialdemokratie. Ausgangspunkt, um die Kritik an den hodenreformistischen "Kriegerheimstätten" von dieser Seite abzuwehren, war die bekannte Formeln von den "Lehren der Vergangenheit". Der Aufstieg der Sozialdemokratie wurde von den Bodenreformern als eine Folge der schlechten Wohnverhältnisse, die im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung des 19. Jahrhunderts zu konstatieren waren, betrachtet. Die Bodenreform beleuchtete wiederholt die Stellung der Sozialdemokratie zur Wohnungsfrage. Konnten die Bodenreformer eine Nähe zu Proudhorns Vorstellung nach einer breiten Eigentumsverteilung und Bindung an Wohn- und Bodeneigentum feststellen, verkörperten die Ideen Engels', nach denen der derzeitige Staat außerstande war, die Wohnungsfrage zu lösen, die Beseitigung des von der Bodenreform hochgehaltenen Status Quo. Die "Auflösung des Staates", von Engels konstatiert, war nicht nur den Bodenreformern ein Graus. Indem Engels' Ausführungen zur Wohnungsfrage, erstmals 1874 veröffentlicht, zur Zeit des Sozialistengesetzes wieder aufgelegt wurden, stand fest, daß die Sozialdemokratie sich sicher war, "daß die Erinnerung an die große Enttäuschung der heimkehrenden Krieger 1871 am leichtesten in den Arbeitermassen das Mißtrauen gegen 'diesen' Staat lebendig erhalten würde. Und es ist kein Geheimnis, daß Richtungen, wie sie heute durch den Namen Liebknecht gekennzeichnet werden, auf eine ähnlich verhängnisvolle Entwicklung ihre Rechnung stellen. " 81

Unterstellt wurde, daß die Sozialdemokratie im und nach dem Krieg diese "Enttäuschung" wieder nutzen wolle, um mit Hilfe der Wohnungsfrage den Status Quo in Frage zu stellen. Zitiert nach: Bodenreform 1918, S. 485. so Vgl. Bodenreform 1917, S. 283. Die Bodenref orm verwendete im Frühjahr 1917 diese Bezeichnung für die Parlamentarier Bredt und Graf Spee als "Vertreter des Rosenbaum-Haberlandschen Schutzverbandes" sowie für A. Hoffmann, "der Vertreter der sogenannten 'unabhängigen' Sozialdemokratie" im Preußischen Abgeordnetenhaus, als diese ihre Ablehnung des Entwurfs zum preußischen Wohnungsgesetz zum Ausdruck brachten. Die Bodenreform: "Es ist das alte Bild: marnmonistische und radikal-kommunistische Vertreter einmütig in der Bekämpfungjedes organischen Fortschritts." Ebenda. BI Bodenreform 1916, S. 110- 112, hier S. 112; vgl. auch ebenda, S. 298-300. 79

II. Diskurs und Politik im Krieg

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Doch eine klare Freund-Feind-Stellung war für die um allseitige Anerkennung suchenden Bodenreformer im Fall der Sozialdemokratie schwierig. Im Sommer 1918 setzte sich ein Artikel der USPD nahestehenden Freiheit positiv mit den "Kriegerheimstätten" auseinandersetzte. Als hätte man nicht mit solcher Unterstützung von Seiten der politischen Linken gerechnet, zitierte die Bodenreform aus den in der Freiheit veröffentlichten Aufsätzen des Tübinger Volkswirtschaftlers Robert Wilbrand, der sich zu den Anforderungen der Nachkriegsentwicklung in Deutschland äußerte. Zwar wurde die postulierte Unfähigkeit des bestehenden Staates, das Wohnungsproblem zu lösen bzw. eine umfassende Siedlungspolitik durchzusetzen bekräftigt. Aber die "Siedlungsaktion", welche die Verfechter des bodenreformerischen "Kriegerheimstätten"-Gesetzes" forderten, bezeichnet Wilbrand als ökonomisches und soziales Gebot, als eine "nur noch auszuführende Tat." In den Chor der Befürworter der "Kriegerheimstätten" einstimmend, beschwor er in bekannter Manier die zukünftige Verheißung: "Jedem, der das Vaterland verteidigt hat, soll es auch gehören. Wenn ihr heimkommt, dann sollt ihr nicht wieder vor den Mietskasernen um Wohnungen betteln, mit einer überall abgewiesenen Kinderschar von Hausbesitzer zu Hausbesitzer irren, sondern unabhängig, gesichert, von dem Druck willkürlicher Mietssteigerungen befreit, auf Gartenland siedeln. Der Boden soll nicht mehr das Monopol einer ihn absperrenden, verteuernden, mit ihm spekulierenden Minderheit von Besitzenden sein, sondern euer aller, die ihr euer Blut für ihn hingabt." 82

c) Presse. Die Griindung des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" im März 1915, dessen Agitationstätigkeit und Gesetzesinitiativen verfehlten ihre Wirkung nicht. 83 Die "Kriegerheimstätten" riefen ein breites öffentliches Interesse hervor, das sich in zahlreichen Veröffentlichungen in der in- und ausländischen Presse widerspiegelte. Die Herausgeber der Bodenreform waren bemüht, den umfangreichen Artikelschatz, teilweise auch kritische Beiträge, weitestgehend vollständig in ihren eigenen Publikationen wiederzugeben. 84

Zustimmende Reaktionen wurden oft kommentarlos in der Bodenreform, der Deutschen Warte und den Deutschen Nachrichten abgedruckt. Häufig versah man diese Auszüge aus Zeitungen, welche einen Großteil des politischen Spektrums abdeckten, mit dem Hinweis auf deren "treffenden" oder "prächtigen" Gehalt. Diese Zitiert nach: ebenda 1918, S. 388. Der Deutsche Handlungsgehilfenverband und der Deutsche Werkmeisterverband sammelten Presseartikel zu den "Kriegerheimstätten" unter einem eigenen Stichwort. Das Arbeitswissenschaftliche Institut der Deutschen Arbeitsfront faßte Mitte der 1930er Jahre beide Sammlungen zusammen, die sich im Bundesarchiv Berlin befinden. Allein in der Akte NS 51 VII 233, welche die Zeitungsartikel für die Jahre 1915 und 1916 vereint, finden sich mehr als 300 Artikel über die "Kriegerheimstätten". 84 Die Zeitungen des BOB, die Deutsche Warte und die Deutschen Nachrichten, brachten in ihren Sonntagsausgaben regelmäßig Stellungnahmen der Presse zu den "Kriegerheimstätten". Die Leser der Bodenreform waren aufgerufen, wenn sie in Tageszeitungen, Berufsorganen und "sonst irgendwie von der Sache der Kriegerheimstätten" berichteten, Belegexemplare an die Redaktion der Bodenreform zu schicken. Vgl. Bodenreform 1917, S. 64. 82 83

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Bekundungen und deren Veröffentlichung in den BDB-eigenen Publikationen nahmen damit einen nicht unwesentlichen Platz in der bodenreformerische Propaganda ein. Die kritische Berichterstattung über die "Kriegerheimstätten" verortete man hingegen vorwiegend bei den Haus- und Grundbesitzern und versah diese mit polemischen Kommentaren. Schon kurze Berichte über schlechte Wohnverhältnisse oder die Empörung über drohende Exmittierungen von "Kriegerfrauen", wie sie bspw. im Sommer 1915 in einem Leserbrief im sozialdemokratischen Vorwärts abgedruckt wurden, waren in ihrer Weise "ein Beitrag zur Kriegerheimstättenfrage", wie die Bodenrefonn meinte.85 In dieser Frage, bescheinigte die Westdeutsche Arbeiterzeitung Ende 1915 den als "Laien" und "Phantasten" verschrienen Bodenreformern anerkennend "den Willen, etwas zu schaffen". 86 Einer Stellungnahme des Kunstwarfs gewährten die Herausgeber der Bodenrefonn im Sommer 1915 sogar über sechs Seiten, um die Leistungen des BDB und die Bedeutung der "Kriegerheimstätten" hervorzuheben. Der Artikel schloß beispielhaft: "Die Kriegerheimstätten sind als ein Anfang zu einem neuen Bodenrecht und zu einer allgemeinen deutschen Siedlungstätigkeit zu werten. Beides brauchen wir, weil wir, um die neu errungene Machtstellung unter den Volkern aufrecht zu erhalten, vor allem Kinder und besiedeltes Land brauchen."87

Besonderen Stolz dürfte die Einschätzung der Continental Times vom Dezember 1917 ausgelöst haben, die, so berichtete die Bodenrefonn zu Beginn des Jahres 1918, über die Bedeutung der "Kriegerheimstätten" sinnierte. Sollte der vom BDB erarbeitet Entwurf Gesetz werden, so die prophetisch-großartige Stellungnahme, "dann wird Deutschland einen neuen großen Schritt vorwärts auf dem Gebiet des sozialen Fortschritts getan haben, einen Schritt von noch größerer Bedeutung als das soziale Versicherungs-Gesetz aus Bismarcks Zeit (es) war."88

Die Deutsche Landwirtschaftliche Presse würdigte im August 1915 die Bestrebungen der Bodenreformer als wichtigen Beitrag zur Sozialpolitik. Diese fände ihren Ausdruck "in der körperlichen, geistigen und sittlichen Hebung weiter Volksschichten". Eine solche Politik hätte bisher "gute Früchte" gezeigt und zur ,,Stärkung des Solidaritätsgefühls" beigetragen. Sie galt es nun auch auf den Bereich des Wohnens und Siedeins auszudehnen. 89 Im Berliner Tageblatt vom 20. Oktober 1915 ergriff Martin Wagner, der in den 1920er Jahren als Berliner Stadtbaurat den Wohnungsbau prägte, ohne die "Kriegerheimstätten" speziell zu erwähnen, das Wort für die "Schollensehnsucht". Diese würde in "hunderten Briefen aus dem Kampffelde und aus den Lazaretten" artikuliert und war zur Parole für die städtische Siedlung nach dem Krieg geworden. Sie 85 86 87 88

89

Bodenreform 1915, S. 543. Zitiert nach: ebenda 1916, S. 18. Zitiert nach: ebenda 1915, S. 355-361, hier S. 361. Zitiert nach: ebenda 1918, S. 76 Deutsche Landwirtschaftliche Presse vom 28. August 1915.

7 Koinzer

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II. Diskurs und Politik im Krieg

zu stillen, müßte im Zusammenwirken mit den Großstädten durch einen "Abbau der engräumigen zur weiträumigen Bauweise" erfolgen. 90 In der Frankfurter Zeitung fanden sich dagegen Äußerungen von prominenter Seite, die den "Kriegerheimstätten" ablehnend gegenüberstanden. Im Dezember 1915 veröffentlichte das Blatt eine Einschätzung des Frankfurter Bürgermeisters Luppe, der urteilte, daß das "populäre Schlagwort der ,Kriegerheimstätten' ... phantastische Projekte erzeugt" habe. Ihre Verwirrung stiftende Verbreitung müßte unter Berücksichtigung der "gesunden Weiterentwicklung unseres Wohn- und Siedlungswesens" bekämpft werden, weil sie von den "wirklichen Aufgaben abzulenken geeignet ist". Unter Beachtung des Gleichstellungsgedankens könnten Eigenheime nicht ausschließlich für Kriegsteilnehmer errichtet werden. Eine solche Vorgehensweise hatte nur die Teilung der Bevölkerung zur Folge. Sowieso sei das Wohnungsproblem von solch umfassender wirtschaftlicher und sozialer Komplexität, daß es schwer zu lösen war und darüber hinaus "nicht durch den Gedanken der Belohnung" erschwert werden sollte. 91 Eine verbreitete Tendenz der Rezeption in der Presse war die Interpretation der "Kriegerheimstätten" als Teil der Invalidenfürsorge im und nach dem Krieg. Die Frankfurter Zeitung maß, skeptisch zwar, der Fürsorge für die Kriegsinvaliden dahingehend Bedeutung bei. Nicht allein "Fürsorge" und finanzielle "Versorgung" sollte den Kriegsbeschädigte entgegengebracht werden, sondern die Förderung des "Neuaufbau(s) ihrer wirtschaftlichen Existenz" galt es zu unterstützen. Die Schaffung von Eigenheimen, so die Zeitung entgegen den Äußerungen Luppes, werde in diesem Zusammenhang für alle, besonders aber für die beschädigten Kriegsheimkehrer einen Beitrag leisten können. 92 Um auf kritische Stellungnahmen in der Presse und auf abwertende Äußerungen bei öffentlichen Auftritten reagieren zu können, veröffentlichte der "Württembergische Landesverein für Kriegerheimstätten" im Sommer 1916 ein mehrseitiges Flugblatt mit dem Titel: "Für und Wider Kriegerheimstätten". 93 Mit insgesamt 20 Erwiderungen auf kritische Einwände, die das Siedlungswerk der Bodenreformer als "Zukunftsmusik Utopie" abtun wollten, stellte das Papier eine Art Argumentationshilfe für Mitglieder und Interessierte dar. Die "Einwände", gegen die Stellung bezogen werden sollte, wenn man den "Kriegerheimstätten" den Weg ebnen wollte, wurden in drei Gruppen eingeteilt und mit Adressaten versehen. Die "Bequemlichkeit" des Nichtstuns wurde als Einwand verortet, der unter "sonst Erschwerende(s)", die Verfügbarkeit von ausreichenden Siedlungsland und die ausreichende Zahl von Eigenheimbewerbern in Frage stellte. Die Ansicht, daß sich Berliner Tageblatt vom 20. Oktober 1915. Frankfurter Zeitung vom 31. Dezember 1915. 92 Ebenda vom 1. Dezember 1915. 93 BarchB, R 3901/10983, BI. 10/11: "Für und Wider Kriegerheimstätten", Flugschrift der Geschäftsstelle des Württembergischen Ausschusses für Kriegerheimstätten vom Juni 1916. 90

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1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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z. B. nicht alle ein Leben im eigenem Heim vorstellen wollten und könnten, die anders "Begehrenden", wurde mit dem Hinweis auf die schlechten räumlichen und gesundheitlichen Wohnverhältnisse in den Mietwohnungen kommentiert und abgewiesen. Die Haus- und Grundbesitzer wurden als "Verwehrende" bloß gestellt, welche die Maßnahmen der "Bevölkerungspolitik . . . zum Wiederaufbau unserer Volkswirtschaft" mindern wollten. Diese "Bevölkerungspolitik", in ihrer diffusen und eigentümlich komplexen Gestalt, bedeutete für die Bodenreformer ein unabdingbares Element des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Um die Kritiker als diejenigen zu kennzeichnen, die sich hemmend dem "Fortschritt" der "Kriegerheimstätte" in den Weg stellten, steigerten sich die Bodenreformer in eine Beschwörung von "Mitteln der Volkserhaltung und Wiedergeburt": Eine "Volksgesellschaft, deren Sittenstand ... über Verrat und Wucher erhaben ist". 94 Stellungnahmen aus Front-, Kriegs- oder "Schützengrabenzeitungen" galten als besonders authentisch und wurden in den Zeitungen und Zeitschriften des BDB häufig zitiert.95 Die Deutschen Nachrichten veröffentlichten im April 1918 unter der Überschrift Der Frontsoldat und die Kriegerheimstätte mehrere Auszüge, die sich mit den Vorschlägen der Bodenreformer auseinandersetzten. Eine Kriegszeitung aus einem Genesungsheim wurde genannt, die den Vorschlägen der Bodenreformer beipflichtete, die Voraussetzungen zu schaffen, jedem Kriegsteilnehmer, "ein wirkliches Heim" zu sichern, um "all die seelische und körperliche Not" zu überwinden. Ihr "Verlangen ... nach eigenem Heim und einem Stückehen Griinen dabei" sollten die "Briider an der Front", wie die Feldzeitung des Deutschen Alpenkorps zitiert wurde, zum Ausdruck bringen. Danach könnten nur die Kriegsteilnehmer selbst, der "neue(n) Regelung der Rechtsverhältnisse" zum Durchbruch verhelfen und den Geriichten, ihr "Verlangen ... nach einem Eigenheim" wäre gar nicht so groß, entgegentreten. In der Armeezeitung der 2. Armee wurde der "Stellungskrieg" zur Wurzel der "Bodenständigkeit" stilisiert. Durch den Bau von Unterständen, so der wiedergegebene Auszug, "mit regelrechten Wohnräumen ergab sich für jeden ein gewisses Boden- und Heimatrecht, daß sich im Bewußtsein des einzelnen umsernehr ausprägte, als es durch steuerartige Abgaben oder einschränkende Mieterpflichten in keiner Weise beeinträchtigt wurde. Und dieses Heimat- und Bodenrecht wurde zu einer froh bejahten Pflicht, wenn es galt, den Schützengraben, der es urnfaßte und umschloß, mit Leib und Blut zu verteidigen."96

Ebenda. Über die eingeschränkten Authentizität der Frontzeitungen vgl. Liller Kriegszeitung. Eine Auslese aus Nummer 1-40, hrsg. von Hauptmann d.L. Hoecker und Rittmeister a.D. Frh. von Ompteda, Berlin u. a. 1915. Sie war die Zeitung der 6. Armee und die Herausgeber betonten, daß "kein Raum soll in diesen Spalten finden, was unseren Gegnern zum Vorteil dienen koennte. Wenn dieses Blatt unseren Gegnern bekannt wuerde, so duerfte es ihm keine Handhabe bieten, zu erkennen: wie wir kaempfen. Sondern erkennen sollen unsere Feinde nur, wie gross, wie stark, wie kampfesmutig, wie siegesgewiss, wie herzensfroehlich ist: Das deutsche Heer!". Vgl. auch Lipp, Anne, Heimatwahrnehmung und soldatisches "Kriegserlebnis", in: Hirschfeld u. a., Kriegserfahrungen, S. 225 - 242. 94 95

7*

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Hier wurde eine Zustimmung zum Ausdruck gebracht, welche die "Kriegerheimstätten" als ein individuell "erworbenes Recht" und eine kollektive "sittliche Pflicht" sahen. Die Aussicht auf die "Kriegerheimstätten" als Belohnung für den geleisteten Dienst wurde durch die Frontzeitungen transportiert. Sie verbreiterten damit den Agitationsraum der Bodenreformer an der Front und in der Etappe. d) Kriegsteilnehmer. Den persönlichen Stellungnahmen der eigentlich "Betroffenen", der Kriegsteilnehmer, kam eine besondere Bedeutung zu. Die Veröffentlichung der "Briefe von der Front", in denen ihre Haltung pro "Kriegerheimstätten" zum Ausdruck gebracht wurde, war eine wirkungsmächtig-authentische Werbung für die "Kriegerheimstätten". Die Bodenreform veröffentlichte ab Mitte 1915 in nahezu jeder Ausgabe Feldpostbriefe, in erster Linie von Mitgliedern des BDB, die sich zu den "Kriegerheimstätten" äußerten. Auch die Jahrbücher der Bodenreform druckten ab 1915 gelegentlich längere Passagen aus Feldpostbriefen ab, welche der Forderung nach "Kriegerheimstätten" Nachdruck verleihen sollten.97 Die allgemeine Tendenz des "Echos von der Front" entsprach dem, was Damaschke und die Bodenreformer in der Rubrik "Von deutscher Rede- und Dichtkunst" als Poetisches von Kriegsteilnehmern zu veröffentlichen wußten: "Wir brauchen Kriegerheime I Deutschland hör's! ... Oh edles Deutschland, schwör's, ... daß du keinen deiner tapferen Krieger... verdorren läßt! Nein, ehre deine Sieger; ... dann ist kein teures Blut umsonst geflossen fürs Vaterland". 98

Dieser "Heimstättensang" eines Kriegsteilnehmers Ende 1916 stellte die Forderung nach der "Kriegerheimstätte" unter die Leitgedanken "Belohnung" und "Pflicht". Die Belohnung für den geleisteten Kriegsdienst wurde in Form von staatlicher Förderung bei der Bewältigung des individuellen und kollektiven Lebensrisikos Wohnen eingefordert. In die Pflicht nahm der Absender, wie zahlreiche andere auch, den Staat. Der Staat stand dabei als Verkörperung des "Vaterlandes", dessen ideellen und materiellen Teil sich nun Millionen deutscher Männer im Krieg erkämpft zu haben wähnten bzw. in den Darstellungen der Propaganda gesetzmäßig hatten. In der Doppelstrategie aus Besitz von und Bindung an staatlich geschützten "Heimatboden" mit den darauf zu errichtenden Wohnungen drückte sich in den Schreiben von der Front aus, was die Propaganda des BDB für das Wohnen nach dem Krieg zu implantieren versuchte: Der Krieg als Quelle Deutsche Nachrichten vom 14. April1918. Der Abdruck von Feldpostbriefen in den Organen von Berufsverbänden und Parteien war üblich und weit verbreitet. Zu den Feldpostbriefen und ihrem Gehalt vgl. Ulrich, Bernd, Feldpostbriefe im Ersten Weltkrieg, in: Knoch, Peter (Hrsg.), Kriegsalltag, Stuttgart 1989, S. 40-83; Ders., "Eine wahre Pest in der öffentlichen Meinung", in: Niedhart, Gottfried/ Riesenberger, Dieter (Hrsg.), Lernen aus dem Krieg?, München 1992, S. 319-330; Ders., Die Augenzeugen, Essen 1997, Einleitung; Krumeich, Gerd, Kriegsfront-Heimatfront, in: Hirschfeld u. a., Kriegserfahrungen, S. 12- 19; Reimann, Aribert, Die heile Welt im Stahlgewitter, in: Ebenda, S. 129-145. 98 Bodenreform 1916, S. 554. 96 97

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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und Jungbrunnen eines geeinten, klassen-, geschlechter- und religionsfernen menschlichen Konglomerats, Volk genannt, in den behüteten Armen eines mächtigen Staates. Abgesehen von den prosaischen Ergüssen waren die Stellungnahmen anfangs mehrseitige Zustimmungserklärungen und trugen Titel wie Wir im Felde und das kommende deutsche Heimstättengesetz, Das Notwendigste, Ein Wunsch aus dem Schützengraben oder Wie sich Familienväter im Felde freuen. Später wurden auf einer Seite der Bodenreform mehrere, kurze Auszüge aus Feldpostbriefen veröffentlicht, welche die Arbeit der Bodenreformer lobten und ihre Zustimmungen zu den "Kriegerheimstätten" ausdrückten. Die Schreiben thematisieren eingangs oft den Dank für die "Liebesgaben", die Zusendungen von Publikationen an die Mitglieder des BDB an der Front, wie Tageszeitungen, die Bodenreform oder die Gelben Hefte. Die "geistige und leibliche Erquickung" dieser Schriften, so ein Kriegsteilnehmer Anfang 1915, "möge der bodenreformerischen Wahrheit unbegrenzte Ausdehnung" verschaffen, damit nach erhofft baldigem, "siegreichem" Kriegsende "ein freies Volk auf freiem deutschen Boden wohne". 99 "Mit wahrer Gier bemächtige" man sich, wie ein Soldat bemerkte, der "geistigen Nahrung". Hatte man diese Kost dann zu sich genommen, wurde berichtet, gab man die Zeitungen und Zeitschriften an andere weiter, oder es wurde "mit ergänzenden Erläuterungen" aus ihnen vorgelesen und anschließend darüber diskutiert. 100 Dem Interesse geschuldet, welches den Publikationen des BDB entgegengebracht worden war, und dem Umstand, "hier im Schützengraben recht viel freie Zeit" zu haben, baten Bundesmitglieder nicht zuletzt um neue Mitglieder zu werben, um die Zusendung weiterer Verbandsschriften. "[D]enn die Gelegenheit", so ein Fähnrich, "die Gedanken der Bodenreform" zu verbreiten, sei "so günstig wie nie zuvor." 101 Die Schriften der Bodenreform, so eine Zusendung aus Belgien, wanderten "von Tomister zu Tornister", vermittelten die "lebendige Kraft der Bodenreformbewegung" und verbreiteten den "natürlichen" Gedanken, ein "Kriegerheimstätten-Gesetz durchzubringen". 102

99 Bodenreform 1915, S. 87. Die Anzahl der monatlichen Zeitungssendungen, die "unter Umschlag vom Postzeitungsamt" ausgingen, stieg ständig. Im September 1914 waren es noch 300.000 Zeitungssendungen, im Dezember 1914 schon 690.000, im Januar 1916 über drei Millionen und im Dezember 1917 über 5,88 Millionen. Dazu kam noch eine große Zahl privat verschickter Zeitungen von Verbänden und Vereinen. Vgl. Schracke, Karl, Geschichte der deutschen Feldpost im Kriege 1914/18, Berlin 1921, S. 190. 1oo Bodenreform 1915, S. 118. Vgl. auch S. 150, 343, 376. 101 Ebenda, S. 278. Vgl. auch S. 472; ebenda 1917, S. 576,592, 616; ebenda 1918, S. 72, 88, 136, 152, 280. 102 Ebenda 1916, S. 32. Vgl. auch ebenda, S. 64, 128, 223, 224, 288, 320; ebenda 1917, S. 64, 192,248,336,456,560,576,592,616;ebenda 1918,S. 72.

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BDB-Mitglieder, in der Mehrzahl im Unteroffiziers- oder Offiziersrang 103 , berichteten von Vortrags- und Seminarabenden. Diese würden an den "Ruhetagen" abgehalten, wenn man "zu seinen Kameraden als Mensch zum Menschen sprechen" könne, und würden von vielen besucht, wie ein Leutnant jovial der Bodenreform schrieb. "Nirgends", auch nicht bei denen, welche die Bodenreform aus der "gegnerischen Presse" kannten, hatte er die Ablehnung bodenreformerischer Ziele erlebt. 104 Diejenigen, welche der Leutnant als Leser der "gegnerischen Presse" ausmachte und für seine Vorstellungen zu begeistern suchte, waren in diesem Fall Leser der sozialdemokratischen Publikationen. Unterstützend und im Anklang an einen kleinen Sieg, schrieb dazu ein Landwehrmann aus Brüssel, daß die Bodenreform "namentlich von Mitgliedern der Arbeiterorganisationen eifrig studiert" werde. 105 Ein Kriegskrankenpfleger berichtete Anfang 1916 davon, wie er seinen 103 Die 1931 erschienene Dissertation zur Bodenreformbewegung von Ruch1a Broniatowska enthält eine Zusammenstellung zur Mitgliederstruktur von 1903. Danach waren von 1.000 Mitgliedern 142 Staats- und Kommunalbeamte, 139 Fabrikbesitzer und Kaufleute, 112 Volksschullehrer, 80 Lehrer an höheren Schulen, 71 Ärzte, 57 Privatgelehrte und Studenten, 39 Architekten, Baumeister und Ingenieure, 39 Geistliche, 35 Rechtsanwälte, 35 Redakteure und Schriftsteller, 27 Justizbeamte, 24 Verlagsbuchhändler und Buchdrucker, 21 Bankiers und Bankbeamte, 21 Offiziere, 20 Universitätsprofessoren und Privatdozenten, 10 Mechaniker und Optiker,10 Chemiker und Techniker, 15 Künstler, 30 Angehörige sonstiger Berufe, 87 Landwirte bzw. Mitglieder, von denen keine Berufsangabe vorlagen. Vgl. Broniatowslw, S. 29. 104 Bodenreform 1915, S. 440. Vgl. auch ebenda 1916, S. 320, 496; ebenda 1917, S. 360; ebenda 1918, S. 184. Wie tief die Propaganda der Bodenreformer und ihrer "Kriegerheimstätten" ging und vor allem wie weit über die eigentlichen Mitglieder des BDB hinaus, deuteten einige Briefeschreiber oft zu wissen an. Übertreibungen und das unkritische Benennen von dargebrachten Bekundungen wie "spontane Zustimmung" und "Beitritt zum Bund" dürften nicht selten gewesen sein. Vgl. Beispiele in Bodenreform 1915, S. 151; 1918, S. 72. Ein Deuten-nach-eigenem-Bilde stellte wohl hin und wieder die Folie des Geschriebenen dar. Selbstprofilierung und das Unterstreichen der eigenen Propagandaarbeit unter den Bedingungen des Krieges waren möglicherweise öfter Hintergrund der Briefe. Daß um Zustimmung heischende Briefe erfunden wurden, erscheint bei der großen Zahl der verbreiteten Publikationen und der Art der alles und jeden ansprechenden Propaganda eher abwegig, kann aber nicht in jedem Fall ausgeschlossen werden. Das teilweise große Interesse an den Vorträgen und die umfangreiche Lektüre der Zeitschriften waren wohl häufig Ausdruck eines Zerstreuungsbedürfnisses der Soldaten an der Front und in der Etappe. Eine abschließende Aussage, ob deutsche Zeitungen und Zeitschriften, verbandseigen oder nicht und Zensur unabhängig, immer die Einstellungen und Stimmungen der Mehrheit der Leser bzw. Mitglieder wiedergaben, lassen auch die veröffentlichten Feldpostbriefe nicht zu. So schrieb bspw. der Gewerkschafter Kar! Otten im Sommer 1916 an seinen Verband der Bergarbeiter Deutschlands wie er derartige Veröffentlichungen einschätzte. Seiner Ansicht nach, propagierten "die Bergarbeiterzeitung und auch die anderen Gewerkschaftsblätter" eine "Durchhaltepolitik", mit der kaum noch ein Soldat einverstanden sei. Diese "Schreibweise" würde den Krieg nur verlängern. Vgl. Ulrich, Bernd/Ziemann, Benjamin (Hrsg.), Frontalltag im ersten Weltkrieg. Wahn und Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 1994, S. 60 f. Vgl. auch Nicolai, Walter, Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg, Berlin 1920, S. 222- 226; Deist, Wilhelm, Zensur und Propaganda während des Ersten Weltkrieges, in: Ders., Militär, Staat und Gesellschaft, München 1991, S. 153 - 163.

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Patienten in einem Lazarett die Berichte des Bielefelder Bundestages des BDB vortrug. Besonders, so der Pfleger, habe man sich über den Vortrag von H. Rohne Wehrkraft und Kriegerheimstätten ausgelassen. Da "verschiedene Stände vertreten" waren, bewegten sich die Stellungnahmen zwischen "Fragen, Bedenken und Zustimmung". Alle hätten aber, ob Arbeiter, Handwerker, Lehrer, Kaufmann oder Student zum Ausdruck gebracht, daß den "Kriegerheimstätten" eine "natürliche Erfüllung" zuteil werden müsse. 106 Ein Offizier faßte in seinem Schreiben an die Bodenreform im Friihjahr 1916 zusammen, wie aus seiner Sicht die Ideen des BDB an der Front Verbreitung fanden. Die Schriften der Bodenreform, vor allem die Gelben Hefte "wandern eifrig umher bis in die Schützengräben hinein". Die "Frage der Kriegerheimstätten" würde dort heftiger diskutiert, als die "meisten Deutschen zu Hause" sich vorstellen könnten. 107 Die Reflexion über die "eigene Erfahrung", sei es in der Vergangenheit oder an der Front, wurde häufig als Hintergrund der positiven Stellungnahmen zu den "Kriegerheimstätten" genannt. "Im Felde", so ein Landsturmmann 1918, sei ihm die "Erkenntnis" gekommen, was für ein "sittlicher Wert" in der Bodenreform begriindet läge. Er und seine "Kameraden" hatten, als sie in den zuriickliegenden, "schweren Kämpfen" tagelang im "wildesten Trommelfeuer" lagen, durch die "Erde" ein "Gefühl der Sicherheit" verspürt. Die Erfahrung des Kampfes um "die Erde" und der Verweis, daß diese, die "von Gott gegebene Schöpfung" im Kampf schützte, erzeuge eine endgültige, "natürliche" und "gesetzmäßige" Bindung an sie. Als ob seine Forderungen durch die pathetische Beschreibung eigenen Erlebens in keinster Weise in Frage gestellt werden dürften, schrieb er weiter: ,,Je schwerer das Feuer wurde, je tiefer gruben wir uns ein und drückten uns an die Erde. Es schlug eine Granate zwei Schritte hinter uns ein; wir wurden in einen tiefen Granattrichter geworfen und mit Erde zugedeckt; jedoch waren alle unverletzt, denn der Erdboden hatte uns vor tödlichen Splittern geschützt." 108

Die "Heiligkeit" des Bodens und der "sittliche Wert der Kriegerheimstätte" begriindete den "Wunsch vieler Kameraden" nach dem Krieg "ein kleines Anwesen" bewirtschaften zu wollen. Der Krieg, wie sie meinten, hatte ihnen klar werden lassen, um wievieles besser derjenige dran sei, der "ein Stückehen Boden" sein eigen nennt. Die Formel vom "Krieg als Lehrmeister" fehlte nicht: "Man lernt hier in der schweren Schule des Krieges den Boden lieben und ihn als Heiligtum betrachten." 109 105 Bodenreform 1915, S. 376. Dagegen beklagte im Sommer 1918 ein Leutnant, der einen großen Mangel an "Bürgerkunde" zu "nationalökonornischen und sozialpolitischen Fragen" an deutschen Gymnasien konstatiene, einen diesbezüglichen "Voneil" sozialdemokratischer Arbeiter. Dieser "Voneil", den er "oft unangenehm empfunden habe", bestehe darin, daß "die gleichaltrigen sozialdemokratischen Arbeiter . . . im Verbandsinteresse politisch erzogen" worden seien. Bodenreform 1918, S. 280. 106 Bodenreform 1916, S. 192. 107 Ebenda, S. 224. 108 Ebenda 1918, S. 232.

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Erlebtes und Erfahrenes im eroberten Land, im Schützengraben und in der Etappe, bzw. das was mitzuteilen gewollt oder gestattet war, mischte sich mit der "Heimaterfahrung" zu einem Bild aus Lobpreisung des Landlebens und einem zukünftigen Recht auf Belohnung und Teilhabe. Da berichtete ein Unteroffizier im Frühjahr 1915 von dem hier anzutreffenden "Prachtland für bodenreformerische Studien". Einfamilienhäuser mit Nutzgarten und Kleintierhaltung prägten die Gegend, deren "Reinlichkeit . . . die Freude am Heim" zum Ausdruck bringe. 110 Das Vorbild gebende "Prachtland" stand im krassen Gegensatz zur "Erinnerung an die Mietskasernen" daheim. Beides waren Bezugsgrößen, um der hohen Wertigkeit der Forderungen der Bodenreform nach einem zukünftigen Leben auf der eigenen Scholle Nachdruck zu verleihen. Machte man sich den Unterstand und die Unterkünfte noch "recht sauber und gemütlich" 111 , so denke man "mit Grauen", wie ein Gefreiter Ende 1917 zu berichten wußte, "an die hohen Mieten", die viele seiner Kameraden für ihre Wohnungen zahlen müßten. Wenn das Werk des BDB gelänge, versicherte der Gefreite, würden die, die "heute ungern kämpfen" einsehen, daß sie für ihr eigenes Volk kämpfen, und werden dies freudiger tun!" 112 Ein Jahr später reflektierte ein Landsturmmann über die "immer größer werdende Wohnungsnot der Großstädte" als den größten "inneren Feind" Deutschlands. Sie würde täglich stärker und "bedrückt das Volk". Die Regierung sei endlich gefordert, diesem "Feind" entgegenzutreten und sollte "nicht eher ruhn, bis er besiegt ist!" 113 Die Feinde einer umfassenden Reform des Wohnungs- und Siedlungswesens sowie des Bodenrechts waren in der Wahrnehmung und Beschreibung der Kriegsteilnehmer vielfältig. Für den eben zitierten Landsturmmann waren vordergründig die Haus- und Grundbesitzer die Kräfte der "schrecklichen Unvemunft". 114 Ein Regimentsarzt, der den Offizieren seiner Umgebung im Winter 1916/17 "die Grundzüge der Bodenreform klarzumachen" versuchte, spürte den "ethische(n) Zug des deutschen Gemüts" als Feind auf. Um für die Bodenreform zu werben, sei seine Unterkunft im Keller eines zerstörten Hauses an der Westfront, eine "richtige Mietskasernenwohnung", hervorragend geeignet. Doch stellte er fest, daß sich Menschen an bestimmte Zustände des Wohnens gewöhnten und nicht in der Lage wären, es als "Elend" zu empfinden. Die "Gemütlichkeit" sei der Feind seiner und aller "Reformarbeit". 115 Ob nun "Gemütlichkeit", Haus- und Grundbesitz oder sonstige "Unvernunft", in den Reflexionen deuteten sich zum einen die Forderung nach Veränderung, 109 110

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Ebenda, S. 232. Ebenda 1915, S. 151. Ebenda, S. 183. Ebenda 1917, S. 592. Ebenda 1918, S. 360. Ebenda. Ebenda 1917, S. 32.

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nach Reforrnierung bestehender Verhältnisse im Wohnungswesen an. Zum anderen betonten die Briefeschreiber, daß der Krieg für eben diese Probleme sensibilisiere wie kein Ereignis vor ihm. Wenn "[d]raußen . . . die Granaten (bersten), die Splitter und Schmutz auf den Unterstand spritzen und ... Unheil anrichten", meinte ein Leutnant 1918, sei "die richtige Stimmung", über die Bodenreform nachzudenken und "zur Tat anzufeuern, daß den wackeren Helden, die mit ihrem Leib und Blut in wortloser Selbstverständlichkeit den Boden der Heimat vom Feinde freihalten, ihr Recht nicht verkümmert werde". 116

Die "Taten" der Bodenreformer, das Recht auf eine "Kriegerheimstätte" zu erkämpfen, beförderte unter den Kriegsteilnehmern eine vielschichtige Erwartungshaltung an das Wohnen nach dem Krieg, die "süßen Friichte" der Zukunft zu ernten. 117 In zahlreichen Feldpostbriefen an die Bodenreform wurde die "Kriegerheimstätte" zum Symbol eines zukünftigen Deutschlands stilisiert. Der Krieg wurde als Zeichen der Fruchtbarkeit und als Voraussetzung für das Heraufziehen des Neuen interpretiert, zum "Friihlingserwachen" mit reicher "Blüte", das eine reiche zukünftige "Ernte" bringen werde. Einen gar "großen Friihling" erlebte das deutsche Volk in der Zeit des Krieges, schrieb ein Gefreiter im Sommer 1915. Im "Sommer", der dem kriegerischen "Friihling" folgte, würden alljene "Bestrebungen", die auf "Volksgesundung und Volkswohlfahrt" abzielten, einen neuen "Aufschwung" erleben. 118 Der "Boden" sei bereitet, und die "Saat" der Bodenreform ausgestreut. Der Krieg, so ein Militärarzt im Friihjahr 1917, vereinte beide derart, daß die ihm aus "treuen deutschen Augen" entgegen leuchtende "Zukunftshoffnung" an die mythische Auguststimmung 1914 erinnerte. 119 Die "Zukunftshoffnungen" Bodenreform und "Kriegerheimstätten" waren Reflexe auf die Propaganda und Ausdruck der Erwartung der Kriegsteilnehmer, die "Sehnsucht" nach Land und "Heimat", zur "Gesundung des deutschen Volkes" von der imaginierten Krankheit völligen Losgelöstseins von den einenden und sozialen Bindungen eines "wahren" deutschen Gemeinwesens. Diese "Sehnsucht" nach Land und einer eigenen "Heimstatt" driickten die Briefschreiber am häufigsten aus. Sie waren es, denen man sich im Krieg bewußt geworden sei. Die Bestrebungen zur Schaffung von "Kriegerheimstätten" wiesen den Weg dorthin. "Ein kleines Stück Land, ein eigenes Häuschen wünscht' ich mir wohl!", war die Reaktion derer, die von den Vorschlägen des BDB hörten, wie ein "Lehrer aus dem Schützengraben" berichtete. 120 Ein solcher Wunsch, so der Agitator des BDB, driickte die gewachsene "Wertschätzung" des "einfachen Soldaten" für die "eigene Scholle" Ebenda 1918, S. 24. Ein Unteroffizier: "Die Bodenreformer sind berufen, dafür zu sorgen, daß der bittere Krieg wenigstens süße Früchte bringe!" Bodenreform 1915, S. 503. 118 Ebenda 1915, S. 214 f. 119 Ebenda 1917, S. 192. 120 Ebenda 1915, S. 440. 116 117

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aus, wie sie in zahlreichen Briefen betont wurde. Das "ruhige Fleckchen", auf dem nach dem Krieg "im Kreise (der) Familie das Glück der Heimat" genossen werden könne, stand als Wunsch und verheißungsvolle Erwartung im Mittelpunkt. 121 Die Vorstellung von einer glücklichen Zukunft im eigenen Heim erzeugte, wie ein Gefreiter im Winter 1917 I 18 schrieb, neue "frohe Hoffnung" bei dem, "der triib in die Zukunft sah". In ihren Gedanken sähen sie sich bereits als "Heimstättenbesitzer", die mit ihrer Familie in ,,höchster Glückseligkeit" auf der "eigenen Scholle" herumwirtschafteten. 122 Ein einiges und soziales Deutschland war das großartig Bild, daß in den Briefen von der Front von der kollektiven Zukunft gemalt wurde. Der Krieg war "sinnlos", so ein Leutnant im Friihjahr 1916, wenn sich nach seiner Beendigung der "politische Kampf in der alten Weise als Kampf der verschiedenen Eigeninteressen" und nicht als dem Vaterlande nützlicher "Meinungsstreit" fortsetzen würde. 123 Die "Eigeninteressen" sollten aufgehoben sein und nur was dem "Vaterland" nützt, sollte den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Alltag Nachkriegsdeutschlands bestimmen. Damit erhob man den Krieg zum Sinnstifter auf dem Weg hin zu einer zukünftigen Gesellschaft, wo sich ihre Mitglieder, um sich selbst am besten zu nutzen, am Nutzen für eine großartige Gemeinschaft orientierten. Die "Kriegerheimstätten" wurden zu den Werkzeugen stilisiert, die zur Schaffung dieser Gemeinschaft im und nach dem Krieg nötig seien. Sie werden, wie ein Offizier im Winter 1917 schrieb, aussöhnen, "Härten" verschwinden lassen und "Leben spriihende Lebenskraft" schaffen, also zur Verkörperung des "sozialen Ausgleichs". 124 Die Bekenntnisse zu "Heimat" und "Vaterland" wurden als Bekenntnisse zum bestehenden Staat gedeutet. Wer "Heimat" meint, meint den Staat, und wer ein Stück "Vaterland" sein Eigen nennt, ist Teil des Staates. 125 Die Idee und das Programm "Kriegerheimstätten" als Dank und Belohnung, als Hoffnung und Mittel zur Vertreibung von Zweifeln an den Sieg sowie als Ordnungselement in der Nachkriegszeit wurde in den Feldpostbriefen zur All-

Ebenda 1916, S. 592. Vgl. auch S. 256 und ebenda 1917, S. 96. Ebenda 1918, S. 24. In seiner Analyse von Feldpostbriefen britischer und deutscher Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs betonte Aribert Reimann, daß der "Kategorie Zukunft" eine vordergründig private Bedeutung zukam, orientiert "an (der) Rückkehr in die gewohnten Lebenszusammenhänge". Reimann, Aribert, Der große Krieg der Sprachen, Diss. Universität Tübingen, 1997, S. 265. Vgl. auch Ders., Die heile Welt im Stahlgewitter, in: Hirschfeld u. a., Kriegserfahrungen, S. 129 - 145, besonders S. 140- 144. 123 Bodenreform 1916, S. 223 f. 124 Ebenda 1917, S. 616. 125 Diejenigen, welche den ewigen Bestand des Kaiserreichs skeptischer betrachteten, sahen in den "Kriegerheimstätten" zumindest die Chance, "das deutsche Volk vor schweren inneren Stürmen nach dem Kriege" zu bewahren. Vgl. Bodenreform 1918, S. 344. Die Durchsetzung des "inneren Friedens" nach dem Krieg stand dabei ebenso als Argument für die "Kriegerheimstätten", wie das rechtzeitige Entgegensteuern der "Not" im Wohnungswesen. Vgl. Bodenreform 1918, S. 200, 216. 12 1

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mächtigkeit materialisiert. Durch ihre Einforderung kündeten sie von der "Einsicht auf staatsbürgerlichem Gebiet", die bei den Kriegsteilnehmern, so ein VizeFeldwebel im Frühjahr 1918, durch den Krieg verbreitet sei. Bliebe hingegen die "mammonistische Richtung am Ruder", die diese massenweise Einsicht unterschätze, verkennt diese, zu was das "Heer ... faltig sein wird". Die Warnung, die Kriegsteilnehmer nicht zu "betrügen", und das plakativ vorgetragene Vertrauen in die Arbeit Damaschkes und des BDB verbanden sich mit der Versicherung gelernt zu haben, wie man "zähe Gegner" nieder zu ringen in der Lage sei. 126 So vermischten sich die Hoffnungen auf die politische und schließlich praktische Umsetzung des "Kriegerheimstättenprogramms" mit Drohungen nach einer anderweitigen Durchsetzung dieses, sollten sich Staat und Regierung nicht dazu in der Lage sehen. Zusammenfassend spiegelten alle veröffentlichten Auszüge aus den Feldpostbriefen an die Bodenreform die Argumentationsmuster wider, die Damaschke, Pohlmann, Erman, Lubahn u. a. in ihren Beiträgen und Aufsätzen vorgaben bzw. zum komplexen Allgemeingut deutschen, "staatsbürgerlichen" Denkens gehörten. Es wurde die "Heiligkeit" des Bodens und des "eigenen Heims" beschworen, das "Grauen" der Großstädte verteufelt und ein Wiedererstarken des "gesunden" Landlebens begrüßt. Aus einem romantisierten, "eigenen Erleben" im Schützengraben wurde eine kollektive Erwartung, daß der Staat diejenigen mit einem Stück "Vaterland" belohnen werde, die für ihn ihre Pflicht erfüllt hatten. Ein wirkungsmächtiges und scheinbar authentisches Bild entstand, das hunderttausende, individuelle ,,Zukunftshoffnungen Kriegerheimstätte" als eine kollektive, den Bestand des Staates garantierende Zukunft bedeutete. Die deutsche Presse- und Postzensur sah, bedenkt man die Fülle der Publikationen und Stellungnahmen zu den "Kriegerheimstätten", keinen Handlungsbedarf korrigierend einzuwirken. Mit der ersten Thematisierung im Reichstag 1916 und spätestens dem Eindringen der Ideen in die Diskussionen von Militärführung und Reichsregierung ab Ende 1917 wurde die "Kriegerheimstätte" auch "offiziell" zu einem Synonym für militärischen Durchhaltewillen und völkischen Wiederaufbau. Die Zuversicht verheißenden "Kriegerheimstätten" bekamen dadurch eine Funktion, die militärische und politische Kreise nutzen wollten: Durchhalten im Krieg und dafür belohnt werden mit der "Kriegerheimstätte" zur Vertreibung der "trüben Gedanken" von Tod, Friedenssehnsucht und militärisch schikanösen Praxen. Indem Hindenburg für die "Kriegerheimstätten" eintrete, wie ein Oberleutnant Anfang 1918 zustimmend bemerkte, stünde dem "Parteiengezänk" über die dahingehenden Gesetzentwürfe die Stimme des Generalfeldmarschalls entgegen. Als wären die Kriegsteilnehmer, vom Oberbefehlshaber bis zum geringsten Soldaten eine homogene Gemeinschaft, beseelt von der Großartigkeit der Ideen der Bodenreform, schrieb er:

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Bodenreform 1918, S. 248.

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"Ist doch in uns Feldgrauen allen, Mannschaften und Offizieren, die große Sehnsucht nach einem eigenen Heim erwacht, das nicht wieder in den engen Gassen und dem Großstadtplatz, sondern draußen in der freien Natur liegt, deren Sprache und Schönheit viele von uns ja erst im Felde kennen und verstehen gelernt haben." 127

Keine "engen Gassen" mehr, sondern "freie Natur": Die stilisierte "Erkenntnis des Feldes" wurde zum Vorbild für die postulierte, zukünftige Genesung eines kranken "Volksganzen". Da war kein "undeutscher Mammonismus" mehr, sondern die "Wurzelfestigkeit an der Scholle" zur Erziehung neuer, starker "Kämpfer", die in der Lage waren, ihren "Dienst für das Vaterland" zu tun. 128

bb) Militärführung, Wohnungsfrage und "Kriegerheimstätten" Das Westfälische Wohnungsblatt, Organ des westfälischen Vereins zur Förderung des Kleinwohnungswesens und des Verbandes Westfälischer Baugenossenschaften, veröffentlichte 1917 einen kurzen Auszug aus einem Buch des ursprünglich der Sozialdemokratie nahestehenden Schriftstellers Anton Fendrich. 129 Dieser war Weihnachten 1916 Gast beim Chef des Generalstabes des Feldheeres Paul von Hindenburg. Wahrend dieses Besuches wurden, wie Feodrieb in seinem lobpreisenden "Hindenburgbuch", das den salbungsvollen und völkische Gemeinschaft assoziierenden Titel Wir führte, auch die Themen Wohnverhältnisse und Bevölkerungsfragen diskutiert. Hindenburg war danach für eine großzügige Verbesserung der Wohnbedingungen in Deutschland eingetreten. Ihnen komme besonders hinsichtlich der beginnenden "Kinderknappheit" eine herausragende zukünftige Bedeutung zu. In Ablehnung von Forderungen "kluger Köpfe, die bei ihren Kindem Quantität durch Qualität ersetzen wollen", seien Hindenburg die Ursachen des demographisch-militärischen Problems bewußt, wie Feodrieb zu berichten wußte. Nach Hindenborgs Ansicht war die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, "großzügig in Angriff genommen", eine wichtige Grundlage der "Bevölkerungs-

127 Bodenreform 1918, S. 56. Über die Wirkung solcher Durchhalterhetoriker im Kampf gegen die "Friedenssehnsucht" vgl. Lipp, Anne, Friedenssehnsucht und Durchhaltebereitschaft, in: Archiv für Sozialgeschichte, 36, 1996, S. 279-292. 128 "Ein Obermatrose" in: Bodenreform 1918, S. 56. Zum Zusammenhang von "Durchhaltewillen" und "Kriegerheimstätten" außerhalb des BDB vgl. auch BarchB, R 3901/10983, BI. 260-262: Schreiben des Kyffhäuser-Bundes der Deutschen Landeskriegerverbände an Reichskanzler von Bethmann Hollweg vom 6. Juni 1917; ebenda, BI. 330: Unterschriftenliste der Vereinigung der Hamburger Lehrer zur Förderung der Heimstättenfrage, Dezember 1916; ebenda, BI. 49-90: Gesellschaft für Heimkultur (Hrsg.), Heimkultur - Deutsche Kultur. Heimstätten für Krieger, Offiziere und Mannschaften, Wiesbaden 1917; ebenda, BI. 46: Schreiben der Gesellschaft für Heimkultur an Staatsminister Helfferich vom 9. Februar 1917; ebenda BI. 93: Schreiben Helferichs an die Gesellschaft für Heimkultur vom 3. März 1917. 129 Westfalische Wohnungsblatt, Organ des westfalischen Vereins zur Förderung des Kleinwohnungswesens und des Verbandes Westfälischer Baugenossenschaften, Jg. 1917, s. 118 f.

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frage". Fendrich berichtete weiter über eine gemeinsame Autofahrt zu "einer neu erbauten SiedeJung mit hübschen, gut gebauten Häusern und großen Gärten". Seine Erlebnisse zusammenfassend, endete er mit der zeitgemäßen und voll Ehrfurcht vorgetragenen Charakterisierung Hindenburg, der gesellschaftlichen Problemen und eben auch denen des Wohnens als "Militär und Deutscher" seine AufmerKsamkeit entgegen zu bringen vermochte: "Er ist Soldat, aber so im höchsten Sinne Soldat, daß er ganz intuitiv überall die letzten seiner Wurzelfasern sieht, hegt und pflegt, daraus das Volk seine Kraft schöpft." 130

Es war diese "Intuition" und ihre publizistische Verbreitung, die Hindenburg zum Paten der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform und der "Kriegerheimstätten" im besonderen aufsteigen ließ. Bereits im Sommer 1915 zog die Bodenreform "Ein Wort Hindenburgs" heran, das, so berichtete die Zeitschrift, von einem Chemnitzer Landrichter in einem Aufsatz für die Mitteilungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz wiedergegeben, von Hindenburgs positiver Haltung gegenüber den "Kriegerheimstätten" zeugte. Hindenburg habe sich, als er sich "zur Schlacht von Tannenberg begab", nicht wie ein Heerführer gefühlt, sondern wie ein "Privatmann, der sein Haus und seine Familie verteidigt". 13 1 Doch erst mit dem Jahreswechsel 1917118 wurde Hindenburg zur Galionsfigur der "Kriegerheimstättenbewegung". Den positiven Stellungnahmen Hindenburgs und der deutschen Militärführung zu den "Kriegerheimstätten" im Frühjahr 1918 ging im Dezember 1917 ein Besuch Damaschkes im Großen Hauptquartier voraus. Dort hielt er einen Vortrag, um für die Bodenreform und die "Kriegerheimstätten" zu werben. 132 Die erste Ausgabe der Bodenreform vom Januar 1918 machte daraufhin mit den Zustimmungsschreiben des Generalfeldmarschalls, des Ersten Quartiermeisters Ludendorffund des Generalstabsarztes Schjerning groß auf. Der Arbeit des "Hauptausschusses" wurde in den Erklärungen "volles Verständnis" entgegengebracht. Jedem heimkehrenden Kriegsteilnehmer zu helfen, ein eigenes, "vor Wucherhänden geschütztes Heim" zu errichten, sei, wie Hindenburg zitiert wurde, Aufgabe des "Vaterlandes". Die Ergebnisse der Arbeit der Bodenreformer 130 Fendrich, Anton, Wir. Ein Hindenburgbuch, Stuttgart 1917, S. 26 f. Fendrichs Buch erschien 1917 in einer Auflage von 30.000 Stück. Fendrich war u. a. Redakteur einer sozialdemokratischen Zeitung in Frankfurt a. M., löste sich jedoch 1909 von der Partei und lebte bis zu seinem Tod 1949 als freier Schriftsteller. Auch aktive Bodenreformer hielten sich in der Lobpreisung Hindenburgs in ihren nicht vordergrundig BDB-agitatorischen Schriften keineswegs zuriick. Der Jenaer Pädagogikprofessor Wilhelm Rein widmete die 1918 erschienene Auflage seines Grundrisses der Ethik, verehrungsvoll und zeitgemäß, Hindenburg. In ähnlicher Weise wie Fendrich, pries Rein den General als den die komplexen Zusarnrnenhänge begreifenden "Vorkämpfer für Kriegerheimstätten und für eine gesunde Bodenreform, der sozialen Grundlage aller Volkskraft". Vgl. Bodenreform 1918, S. 268. 131 Zitiert nach: Bodenreform 1915, S. 316. 132 Vgl. Bodenreform 1918, S. l. In der Bodenreform 1918, S. 335-340 beschrieb Damaschke seinen Aufenthalt im Großen Hauptquartier näher. Danach hielt er am Abend des 15. Dezembers einen Vortrag "vor unseren ersten Heerführern". In der sich anschließenden Aussprache hätten sich Hindenburg und Ludendorff beteiligt.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

bezeichnete Hindenburg als eine "Quelle neuer Freudigkeit und dankbarer Hingebung", als ein "Werk von größter sozialer Tragweite". 133 Ludendorff erging sich in einem Schreiben an Damaschke, das ebenfalls in der Bodenreform veröffentlicht wurde, in einer längeren Stellungnahme ausgiebig über die "Erinnerung 1871 ". Nach dem deutsch-französischen Krieg waren, wie Ludendorff ausführte, die heimkehrenden Kriegsteilnehmer und ihre Familien "verderblichem Wohnungselend, zum Teil sogar völliger Obdachlosigkeit preisgegeben". Eine solche "Erfahrung" dürfe nicht ein zweites Mal gemacht werden. Diese "Erfahrung", so Ludendorff in der Perzeption der auch die Bodenreformer folgten, wurde "naturgemäß eine Quelle schwerster Enttäuschung und verhängnisvoller Verbitterung". Aber für die zukünftige Förderung eines "gesunden" und "sittlichen" Familienlebens sei kein Mittel besser geeignet, als für die "organisatorische Besserung" der gegenwärtigen Zustände zu sorgen. Welche Form diese Verbesserung haben sollte, stand für Ludendorff fest: "Ausbreitung von Heimstätten, die Raum und Luft und Licht für einen zahlreichen gesunden Volksnachwuchs bieten". 134 Im Ludendorff'schen Sinn war das Wohnen im Kleinhaus die Grundlage für die strukturierende und steuerbare Neubelebung deutscher Fruchtbarkeit. Indem der General die Durchsetzung der "Heimstättenbewegung" als Interesse aller, von Individuen und "Ständen", von Gesellschaft und Staat betonte, erhob er sie zu einem wichtigen Werkzeug bei der Bewältigung möglicher Nachkriegsprobleme. Die "Heimstättenbildung" beuge zu erwartender "Unzufriedenheit" vor und biete ein probates Mittel, den "wirtschaftlichen Kämpfe(n), die unser Volk nach diesem Kriege noch schwerer denn je schädigen müßten", entgegenzuwirken. Für Ludendorff war das herausragende Argument, die Bestrebungen der Bodenreformer zu unterstützen, die Rolle des Wohnens im und auf dem "Eigenen" als Abwehr von Arbeits- und K.lassenkämpfen. Die Gefahr einer Revolution könne gebannt werden, so die Formel, wenn nur ,,Haus, Garten und Hof' von den Gedanken an die Veränderung des Status quo ablenkten. 135 Der Generalstabsarzt und Chef des Feldsanitätswesens Schjerning betonte in seiner Stellungnahme die Förderung von "gesundem Körper, Sinn und Volk" durch Kleinhäuser. In der Verurteilung der "Iuft- und lichtarrnen, überfüllten städtischen Mietswohnung" als Ursache für zahlreiche Krankheiten stellte er sich hinter die "Volks- und Wehrkraft" sichernden "Kriegerheimstätten". Sie seien zum einen, im Anklang an die Forderungen nach Schaffung von "Invalidenheimstätten", Grundlage bei der Bewältigung der Folgen von Kriegsbeschädigungen. Zum anderen bedeuteten sie eine "Ehrenpflicht" gegenüber den Kriegsteilnehmern und seien ein

Zitiert nach: Bodenreform 1918, S. I. BarchK, Nachlaß Damaschke Nr. 806, fol. I, BI. 42: Schreiben Ludendorffs an Adolf Damaschke vom 14. Dezember 1917. 135 Ebenda. 133

134

I. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

111

probates Mittel "zur Erhaltung eines arbeitsfrohen Geschlechts und zur Erziehung eines zahlreichen, wehrkräftigen Nachwuchses". 136 Die öffentlichen Äußerungen Hindenburgs, Ludendorffs und Schjemings beförderten eine Flut von Bekenntnissen von militärischen, gesellschaftlichen und politischen Funktionsträgem zu den "Kriegerheimstätten". Die Bodenreform druckte ab Januar 1918 ständig, das Jahrbuch der Bodenreform seltener, Briefe von Generälen, Admiräle und hohen Offizieren an Damaschke ab und warb so für ihre Sache. Hatten sich bis zum Jahreswechsel 1917 I 18 nur vereinzelt höhere Militärs, Mitglieder des BDB in der Regel, positiv geäußert, glänzten die Unterstützerlisten für die "Kriegerheimstätten" nun mit Namen wie Tirpitz, Scheer, Baudissin, Beseler, Mackensen und Falkenhayn. Die öffentlichen Stellungnahmen offenbarten zum einen die Gegenliebe, auf welche die Bestrebungen der Bodenreformer stieß. "Viel Erfolg" und "gutes Gelingen" wurden gewünscht. Zum anderen betonte man, daß die "Erfahrung von 1871" eine beispielhafte Lehre für die Entwicklungen im Wohnungswesen nach einem Krieg sei. Diese Entwicklungen und ihre sozialen und politischen Folgen dürften sich nicht wiederholen.137 Die "Kriegerheimstätte" wurde zum Inbegriff und zur unabdingbaren demographischen Formel für die militärisch wichtige Nachwuchssicherung und die Erziehung einer Gemeinschaft williger, zukünftiger "Krieger". Damit rezipierte und instrumentalisierte die deutsche Militärführung im letzten Kriegsjahr die Bestrebungen der Bodenreformer in mehrfacher Hinsicht. Als Versprechen für den geleisteten Dienst im Krieg, zur Disziplinierung sowie zur Wieder-, Neu- und WeiterMobilisierung im Krieg und dem Vertrösten auf die Belohnung in der Zukunft waren sie ein gegenwärtiges Herrschaftsinstrument In der Betonung der perspektivischen Leistung des Projektes "Kriegerheimstätte" als Anstrengung des ganzen Volkes wurden sie darüber hinaus, ein die Probleme der Zukunft bannendes Mittel zur Sicherung der Macht. Der Krieg hatte danach endgültig die Jahrzehnte alte Über-

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Zitiert nach: Bodenreform 1918, S. 3.

m Vgl. Jahrbuch der Bodenreform 1915, S. 143; Bodenreform 1917, S. 32, 96; ebenda

1918, S. 73 f., 89 f., 105; BarchK, Nachlaß Darnaschlee Nr. 806, fol. 1: BI. 5: Schreiben Generaloberst von Beselers an Darnaschlee vom 24. Februar 1918. Darnaschlee versorgte in der Folge Beseler, der im März 1918 sich als lebenslängliches Mitglied dem BOB anschloß, und andere Militärs mit weiteren Schriften der Bodenreform. Ebenda BI. 19: Schreiben von Falkenhayns an Darnaschlee vom 27. Oktober 1918; Ebenda BI. 24: Schreiben Freiherr von Freytag-Loringhovens an Darnaschlee vom I. Februar 1918. Vgl. auch Führende Stimmen zur Kriegerheimstättenbewegung, Soziale Zeitfragen. Beiträge zu den Kämpfen der Gegenwart, Heft 69, hrsg. von Adolf Damaschlee, Berlin 1918, S. 5-11. Der Generalintendant des Feldheeres Roem bestellte eigens für Fragen, welche die "Kriegerheimstätten" betrafen, einen Referenten. Dieser, ein Dr. Bill, sollte im Februar 1918 vom Staatssekretär im Reichswirtschaftsamt Regierungsrat von Scheidt empfangen werden, um sich bei ihm über den Stand der "Kriegerheimstättenfrage" zu unterrichten. Vgl. BarchB, R 3901 I 10983, BI. 387: Telegramm des Reichswirtschaftsamtes an den Generalintendanten des Feldheeres Roem vom 30. Januar 1918. Der Termin wurde für den 2. Februar 1918 festgelegt.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

zeugung der Bodenreform, jedem "sein" Haus auf "seinem" Land, verankert und wurde zum finalen Konzept, die bestehende politische und soziale Ordnung zu erhalten. Eine weitreichende Debatte innerhalb der militärischen Führung im Wechselspiel mit der Reichsregierung und dem Kaiser über die "Kriegerheimstätten" und die Propaganda des BDB, und durch sie befördert, folgte. Darüber hinaus mehrten sich die Meldungen über die sich zuspitzende Lage auf dem Wohnungsmarkt, die in den Monatsberichten der stellvertretenden Generalkommandos 1918 eine nicht geringe Bedeutung einnahmen. Seit dem Frühjahr reflektierten die Berichte aus den einzelnen Armeekorpsbezirken verstärkt die Wohnungssituation in den größeren Städten. Zu Kriegsbeginn hatten die stellvertretenden Generalkommandos einzelner Armeekorps den gesetzlichen Regelung zur Sicherung der Mietverhältnisse vorgegriffen. Ab dem Frühjahr 1918 konstatierten die meisten, daß die "Wohnungsschwierigkeiten" zugenommen hatten, dadurch "die Stimmung sehr nachhaltig" beeinflußt werde, und eine staatliche Intervention unausweichlich sei. 138 Die Instrumentalisierung der Wohnungsfrage durch militärische Verwaltungen spiegelte vor allem das fortgesetzte Engagement Ludendorffs wider. Mit seinen zustimmenden öffentlichen Stellungnahmen stärkte er die Ideen der Bodenreformer und beförderte die Ausstrahlungskraft und Verbreitung der "Kriegerheimstätten". Ludendorff definierte die "Kriegerheimstätte" als das Engagement der "Heimat" für die "Front" mit einer stark betonten "Rückwirkungen" auf die gesamte Gesellschaft im Krieg. Diese Wirkungen beschrieb Ludendorff nachträglich in Kriegführung und Politik als Festigung des "Seelenzustandes" und des "Kriegswillens" an der Front. Beide hätten, um so länger der Krieg dauerte, Schaden genommen. Gleichzeitig sei an der Front ein "Verlangen" nach "seelischer und sittlicher Stärkung" zum Ausdruck gebracht worden. 139 Die "Kriegerheimstätten" böten diese Stärkung. Ludendorff nahm an dieser "Stärkung" mit seinem Eintreten für die "Kriegerheimstätten" regen Anteil. Sein Engagement erstreckte sich dabei auf unterschiedliche Ebenen. Seit seinem ersten Kontakt mit Damaschke zum Jahreswechsel 1917 I 18 unterhielt er mit diesem einen Briefwechsel und fand selbst während der deutschen Frühjahrsoffensive 1918 die Gelegenheit, Damaschke für die Zusendung von dessen Schriften zu danken. In seinem Antwortschreiben ermahnt er pathetisch, daß die Opfer des Krieges nicht umsonst gebracht würden, und "Deutschland aus diesem Krieg schöner und größer" hervorgehen werde. Auch was neben soldatischen Tugenden und militärischer Technik zur Erreichung diese Ziels "zum Wohle des Deutschtums und des Vaterlandes" nötig sei, wußte der General:

138 BarchB, R 1505112479: Zusammenstellung der Monatsberichte der stellvertretenden Generalkommandos, 4. April1918 bis 23. Dezember 1918, Bericht vom 3. Aprill918, S. 28, BI. 16; Vgl. Ebenda, S. 61, BI. 32; Ebenda, Bericht vom 3. Juni 1918, S. 33, BI. 38. 139 Ludendorff, Erich, Kriegführung und Politik, Berlin 2 1922, S. 101 f.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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"Dazu gehört eine großzügige Weiterentwicklung unseres Vaterlandes in sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehung. Zugleich ist eine Bevölkerungspolitik, für die erfreulicherweise mehr und mehr Verständnis erwacht, erforderlich. Diese Fragen sind aber alle mit einer gesunden Bodenreform verbunden." 140

Für solche Anteilnahme gebührte Ludendorff die besondere Achtung und Wertschätzung Damaschkes. Dieser hatte erkannt, was für eine herausragende Bedeutung dem Verbündeten im Großen Hauptquartier zukam. Doch erst im Herbst 1918 fand der Führer des BDB Gelegenheit, Ludendorff als Ludendorff zu lobpreisen. Nach einem Vortag im Oktober in Berlin veröffentlichte die Bodenreform eine Aufsatz über den Mann und den Namen, "der nicht vergessen werden wird, solange es deutsche Geschichte gibt". 141 In Verteidigung Ludendorffs gegen Angriffe in der Presse und der Armee, sein Wirken zwischen diktatorischem Herrschen und allgemein politischem Nichtstun einzuordnen, reflektierte Damaschke aus den Briefen des Generals an ihn und die Reichsführung vom Frühsommer 1918. Diese Schreiben seien ein "einmütig(es) Zeugnis ... für das Wirken dieses Mannes auf unserem Arbeitsgebiet", schrieb der Vorsitzende des BDB in großzügiger Vereinnahme Ludendorffs für die Bodenreform. Vor allem aus zwei Briefen des Generals wurde zitiert, die dessen Engagement dokumentieren sollten. Danach, so Damaschke, sei Ludendorff unermüdlich für die Sache der "Kriegerheimstätten" eingetreten, die ihm, wie anderen Militärs auch, "naturgemäß ... am Herzen" gelegen hätte. In Würdigung der militärischen Karriere Ludendorffs und in tiefer Verehrung beschrieb Damaschke dessen Leistung: "Diese in ihrer Art gewaltige Persönlichkeit hat die Frage der Bodenreform und insbesondere der Kriegerheimstätten in ihrer ganzen sozialen und nationalen Bedeutung erfaßt. Er hat erkannt, welche Bedeutung sie hat für die seelische Stimmung der kämpfenden Truppen, die ja zum Schluß über Sieg und Niederlage entscheidet. Er ist deshalb mit aller Kraft seiner Persönlichkeit für diesen Gedanken eingetreten ... " 142

Dem Schriftwechsel gingen weitere Maßnahmen auf Anordnung Ludendorffs zuvor, die dessen Interesse an einer "empirischen" Begründung von "Kriegerheimstätten" zum Gegenstand hatten. Zum einen schlug Ludendorff im März 1918 vor, eine "Belehrung" über die Wohnungsfrage unter den Heeresangehörigen zu veranstalten. "[D]ie im Felde stehenden Familienväter, deren Frauen ohne eigene Wohnung sind, (fürchteten)", so der General, "daß sie bei ihrer Rückkehr mit Wohnungselend empfangen oder gar mit Frau und Kindem der Obdachlosigkeit preisgegeben werden" könnten. Diesen Kriegsheimkehrern sollte die Unsicherheit genommen und etwaigen "Mißverständnissen" vorgebeugt werden, indem sie auf die schwierigen Wohnverhältnisse auf Grund des "unvermeidlichen Stockens des Bau140 BarchK, Nachlaß Damaschke Nr. 806, fol. 1, BI. 44: Brief Erich Ludendorffs an Adolf Damaschke vom 22. Juni 1918. Vgl. auch Ludendorffs und Hindenburgs Bestrebungen zur Soldatenansiedlung im Baltikum u. a. in: Boyens, Wilhelm Friedrich, Die Geschichte der ländlichen Siedlung, Bd. I, Berlin/Bonn 1959, S. 31 f., 114-116. 141 Damaschke, Ludendorff, in: Bodenreform 1918, S. 335-340. 142 Ebenda, S. 340.

8 Koinzer

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Il. Diskurs und Politik im Krieg

wesens" und der "Umschaltung des Wirtschaftslebens" hingewiesen werden sollten. Ziel derartiger Belehrungen sollte sein, über kommunale Einrichtungen zu informieren, die "zur Linderung der Wohnungsnot" bereitstünden, aber auch einem "Hasten nach den Großstädten" entgegenzuwirken. Deshalb forderte Ludendorff vom preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten schriftliches Material an, das zur Information der Truppen hinreichend sei. 143 Zum anderen schlug Ludendorff in einem Telegramm an das Reichswirtschaftsamt im Mai 1918 vor, bei einzelnen Truppenteilen über den zu erwartenden Bedarf an "Massenmöbeln für 2-Zimmerwohnungen" eine Umfrage durchzuführen, und diese dann, auf den zukünftigen Bedarf an kleinen Wohnungen auszudehnen. 144 Im Reichswirtschaftsamt stieß dieser Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Postwendend wurde der Generalstab informiert, daß eine Wohnungszählung zur Feststellung des Wohnungsbedarfs gegenwärtig durchgeführt werde. Auch in den Gebieten, die von "Wohnungsnot" bedroht seien, erfolge bereits von den Kriegsamtsstellen mit Hilfe der Zivilbehörden vor Ort eine Schätzung des Bedarfs. Den Vorschlag Ludendorffs entgegnete man, daß durch eine Umfrage unter den Soldaten kein "einigermaßen sicheres Ergebnis" zu erwarten sei. Die Entwicklung der einzelnen Industriezweige in der Nachkriegszeit und die daraus resultierende Arbeitskräftewanderung, so das Reichswirtschaftsamt, lasse eine zahlenmäßige Erfassung des Wohnungsbedürfnisse nicht zu. Vielmehr könne man sich vorstellen, falls die Umfrage mit der von ihnen vorgeschlagenen Stoßrichtung stattfände, daß "Kontrollziffern" genommen werden könnten. Diese ließen dann zusammen mit den Daten über die Wohnungsausstattung "gewisse Schlüsse für den Wohnungsbedarf' zu. Um den Interessen Ludendorffs entgegenzukommen, schlug das Ministerium vor, beide Ansinnen zu verbinden, und zu fragen, wer eine Wohnung, in welcher Größe und Stadt suche. 145 Die Vollzugsmeldung über den Abschluß der Befragung war eine von Ludendorffs letzten Tatigkeiten als Generalquartiermeister. Am 25. Oktober 1918, ein Tag vor seinem Abschied, meldete Ludendorff dem Reichswirtschaftsamt die Ergebnisse der bei den Heeresgruppen durchgeführten "Stichproben". Danach betrug die Zahl der nach Kriegsende mit "einfachen Massenmöbeln" zu versorgenden Haushalte etwa 165.000. Bei zwei Divisionen einer Heeresgruppe waren dariiber hinaus die im Schreiben des Reichswirtschaftsamtes vom Mai 1918 vorgeschlagenen Fragen gestellt worden. Hiernach gaben 189 bzw. 191 Soldaten an, keine eigene Wohnung zu haben, oder eine solche nach Kriegende haben zu wollen. Der überwiegende Teil von ihnen, gefragt nach der Anzahl der Zimmer, die eine Wohnung nach 143 BarchB, R 3901111026, BI. 77b: Schreiben Ludendorffs an das preußische Ministerium der öffentlichen Arbeiten vom 18. März 1918. 144 BarchB, 3901/11248, BI. 88/89: Telegramm i. A. Ludendorffs an das Reichswirtschaftsamt vom 11. Mai 1918. 145 BarchB, R 3901/11248, BI. 90/91: Schreiben des Reichswirtschaftsamtes an den Chef des Generalstabes des Feldheeresam 26. Mai 1918.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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ihren Bedürfnissen haben sollte, favorisierte jene mit zwei Zimmern und Küche (116 bzw. 110). Drei Zimmer und Küche bedurften nur 55 bzw. 59 Soldaten nach ihrer Heimkehr. Schließlich ergab die Erhebung bei einer der beiden Divisionen, daß die Mehrzahl der Wohnungen in Städten gesucht werden würden. 146 Diese Ergebnisse, in ihrer eingeschränkt repräsentativen Aussagekraft, bedeuteten für Ludendorff und seine "Kampfgefährten" vom BDB ein mit Nachdruck zu forderndes staatliches Engagement im Wohnungswesen, um einer Wiederholung der "Erfahrung von 1871" entgegenzuwirken. Wieder stand die Heimkehr deutscher Soldaten bevor, wieder drohte die Wohnungsfrage zu einem die politischen und sozialen Verhältnisse entscheidend beeinflussenden Problem zu werden. Die sich spätestens seit Ende 1917 abzeichnende Wohnungsnot hatte mit der einsetzenden Rückkehr der Soldaten endgültig Krisencharakter angenommen. Dieser Krise kündete vom Verlust des Status quo, von Ruhe und Ordnung, war eine Absage an die gewünschte Harmonisierung der sozialen und politischen Verhältnisse, bedeutete Zusammenbruch und Revolution. Aber von "Kriegerheimstätten", die derartigen Zuständen entgegenwirken sollten, war zum Jahresende 1918 nichts zu sehen. Sie hatte Ludendorff noch im Sommer bei der Reichsführung vehement eingefordert. Seine schreibende Sommeroffensive führte Ludendorff im wesentlichen mit dem Argument, daß Wohnungsfürsorge und Bevölkerungsentwicklung in unmittelbarem Zusammenhang stünden, wie der Krieg gezeigt habe. Die Wohnungsfrage rufe bei vielen Kriegsteilnehmern Zukunftssorgen hervor, und sei dariiber hinaus "von weittragender Bedeutung für die Nachwirkung des Kriegs auf unsere gesamte Volks- und Wehrkraft". 147 In der Verbindung von Wohnen und militärischer Nachwuchssicherung und der Betonung, daß die Lösung der Wohnungsfrage die wichtigste Voraussetzung einer dahingehenden Bevölkerungsentwicklung sei, schlug Ludendorff wiederholt entscheidende Schneisen für die Argumente der Bodenreformer. Die Vorschläge des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" böten eine Handhabe gegen Mietstei146 BarchB, R 3901 I 11248, BI. 104/105/106: Schreiben des Chefs des Generalstabes des Feldheeres an das Reichswirtschaftsamt am 25. Oktober 1918 nebst Anlagen. Einschränkend fügte Ludendorff hinzu, sich auf den Möbelbedarf beziehend, daß dieses "Ergebnis ... jedoch nur als sehr unsicherer Wert in Rechnung gestellt werden (kann), da die Errechnung des Gesamtbedarfs aus den Stichproben, auf die ich aus militärischen Bedenken die Feststellung beschränken mußte, notgedrungen viele Fehler aufweisen muß; z. B. werden Truppenteile mit sehr viel jungen Ersatz anderen Bedarf haben, als solche mit viel Leuten älterer Jahrgänge." Auch in der Bodenreform las man von Erhebungen über den Wohnungsbedarf von Kriegsteilnehmern. Sie veröffentlichte im Sommer 1918 die Ergebnisse einer Umfrage, die in einer württembergischen Landwehrkompanie durchgeführt worden war. Danach strebten, ganz im Sinne der Bodenreformer, 15% der Verheirateten bzw. Heiratswilligen nach einem eigenen Haus. Auf drei Bauern kämen dabei immerhin zwei Handwerker und Arbeiter, die sich ein eigenes Haus wünschten. Vgl. Bodenreform 1918, S. 204. 147 BarchB, R 3901/11017, BI. 32a: Schreiben des Chefs des Generalstabes des Feldheeres Ludendorffan den Reichskanzler Graf von Hertling vom 29. Juni 1918. Der Schriftwechsel wurde auch im Jahrbuch der Bodenreform 1919, S. 26-33 dokumentiert.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

gerungen und hohe Neubaupreise. Die von den Bodenreformern zuletzt unterbreiteten Gesetzentwürfe vom Juni 1918 würden, so Ludendorff in einem Schreiben an den Reichskanzler, "von einer über das ganze Heer und Volk verbreiteten nationalen Bewegung befürwortet, an der hervorragende Vertreter aller Parteien, Bekenntnisse und Berufsstände beteiligt sind... Diese Gesetzesvorschläge baldigst zur gesetzlichen Geltung zu bringen, ist auch für die Stimmung des Heeres eine unserer dringendsten Aufgaben." 148

Ludendorff stilisierte, ganz im Sinne des BOB, die "Kriegerheimstätten" zur "nationalen Bewegung" und hob unumwunden deren Bedeutung zur Hebung der "Stimmung" unter den Kriegsteilnehmern hervor. Er verstärkte damit die Wirkung, daß die Ideen der Bodenreform, weitläufig akzeptiert seien und eine herausragende Funktion für die Weiterführung des Krieges hätten. Doch mehr als eine "letzte Schlacht", in der die angekündigte Lösung der Wohnungsfrage, zumindest deren Wahrnehmung und vor allem die "Kriegerheimstätten" die Munition sein sollten, konnte Ludendorff nicht schlagen. Der angekündigte "vaterländische Unterricht" an der Front, der über von der Reichsregierung eingeleitete Maßnahmen informieren wollte und mit dessen Hilfe, "übertriebene Erwartungen noch rechtzeitig in geordnete, ruhige Bahnen eingelenkt werden" könnten, war nicht mehr als ein Versuch verspäteter Legitimierung und Motivierung. 149 Auf die nüchterne und zurückhaltende Antwort des Reichskanzlers Ende August 1918 erwiderte Ludendorff, daß er die bereits eingeleiteten Maßnahmen zwar anerkennen würde. Trotzdem empfinde er diese als nicht ausreichend und erachte es als "nötig, den in dieser Hinsicht Notleidenden wenigstens die feste Aussicht zu eröffnen", ihre Vorstellungen vom Wohnen zukünftig erfüllt zu wissen. Dieser symbolischen Bedeutung politischer Initiative maß Ludendorff große Wirkung bei. Wenigstens "Aussichten" auf die Lösung der nun anstehenden Wohnungsprobleme sollte der Gesetzgeber geben. Die Zusage, ja lediglich die Ankündigung über die Vergabe von Bauzuschüssen und die Bereitstellung öffentlichen Baugeländes würde ihre Ausstrahlungskraft nicht verfehlen. Dann, und nur dann, so Ludendorff, "werden die von der Wohnungsnot am meisten betroffenen breiten Schichten geduldiger die bedrückte Einengung der Wartezeit ertragen und sich weniger leicht zu Unruhen und Ausschreitungen hinreisen lassen." 150

148 BarchB, R 3901/11017, BI. 32a: Schreiben des Chefs des Generalstabes des Feldheeres Ludendorffan den Reichskanzler Grafvon Hertling vom 29. Juni 1918 149 Ebenda. Zur "vaterländischen Erziehung" allgemein vgl. Deist, Wilhelm, The German army, the authoritarian nation-state and total war, in: Horne, S. 160- 172; Verhey, Jeffrey, Der "Geist von 1914" und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Harnburg 2000, s. 317-328. 150 Ebenda, BI. 147a: Schreiben des Chefs des Generalstabes des Feldheeres Ludendorff an Reichskanzler von Hertling am 6. September 1918.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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cc) Staat, Wohnungsfrage und" Kriegerheimstätten"

Der bildhafte Begriff der "Bevölkerungspolitik" war das Bindeglied zwischen den Interessen der Bodenreformer, der sie unterstützenden Wohnungs- und Siedlungsreformer und Militärs und dem Staat. Letzter war in ihrer Wahrnehmung das versinnbildlichte Ganze, eine großartige und einmalige Institution zum Schutz und Wohl der von ihm herge- und damit unterstellten Bevölkerung. Ihr Werden und Gedeihen konnte sich danach nur in einer Art Generalpolitik widerspiegeln, die Tendenzen sämtlicher staatlicher Politiken einschloß. Die Forderung nach dem Staat, nach staatlicher Wohnungspolitik wurde zur entscheidenden Grundlage einer imaginierten und nachhaltigen "Bevölkerungspolitik". Indem der Staat als einzig gedachte und gewollte Instanz eine umfassende Wohnungspolitik durchsetzte, könnten in deren Folge, die die deutsche Bevölkerung bedrohenden Elemente einer einigen, wehr- und fortpflanzungsfähigen deutschen Gemeinschaft endgültig beseitigt werden. Der "Untergang des Volkes", den Staat, Regierung und Politik nicht nur von der Propaganda der Bodenreform vor Augen geführt wurde, zeige sich durch den Geburtenrückgang, die Aufzucht eines "minderwertigen" Nachwuchses und durch die "Wucherungen" der verteufelten Großstädte mit ihren Verlockungen und vielfach schlechten Wohnbedingungen. In der Propaganda für die "Kriegerheimstätten" und deren Rezeption gebärdete sich der Krieg als "reinigendes" Element dieser Verwerfungen des "Volkskörpers". Wurde der Krieg als äußerer Rahmen dieser "Reinigungs- und Leuterungsaktion" betrachtet, so kam dem Staat die Rolle des Organisators, Leiters und Aufsichtführenden dieses Schauspieles zu. Vor allem der militärischen "Kriegerheimstätten"Rezeption konnten sich der Staat trotz aller Zurückhaltung letztlich nicht entziehen. Die Bereit- und Wiederherstellung der Wehrkraft lag in der Verantwortung des Staates. Ludendorffs "Wehr- und Volkskraft" stellte gleichzeitig die Quelle dar, aus der sich die vom Staat gehütete Bevölkerung speiste. Diese Bevölkerung zu behüt(t)en war schließlich und endlich das Ziel; dieses Ziel hieß umfassende Wohnungspolitik, hieß auch "Kriegerheimstätten". Der Prozeß der "Einsicht", durch staatliche Reglementierung nicht nur den Wohnungsbestand sondern auch den zukünftigen Wohnungsbau zu sichern, zeitigte im Verlauf des Jahres 1918 Wirkungen. Das Wohnen nach dem Krieg eröffnete neben der Entrevolutionierung zahlreiche damit im Zusammenhang stehende Perspektiven. Re-Zivilisierung, Re-Familisierung und Re- und Neu-Vergemeinschaftung in einen Verband deutscher Staatsbürger waren Tendenzen der Wohnungs(krisen)politik zum Ende des Krieges. Das Wohnungswesen und seine divergierenden Interessenlagen standen nun wesentlich im Spannungsfeld zwischen real-politischem Gestaltungszwang und visionär-politischem Gestaltungswillen. Die Erkenntnis, daß die "Kriegerheimstätten" der politischen Sinnstiftung am Ende des Krieges dienlich sein könnten, kam Staat und Politik doch nur bedingt. Aber die Vermittlung eines wie auch immer gearteten staatlichen Engagements verursachte, daß Wohnungspolitik weitläufig den Status eines Versprechens be-

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II. Diskurs und Politik im Krieg

kam, welches Staat, Regierung und Politik abgegeben hatten, und das nach dem Krieg eingelöst würde.

a) Reichstag. Die "Kriegerheimstätten" wurden im Frühjahr 1916 erstmals im Reichstag debattiert. Im Haushaltsausschuß hatten am 10. Mai 1916 die Abgeordneten Behrens (Christlich-soziale Wirtschaftliche Vereinigung) und Giesberts (Zentrum) beantragt, den Reichskanzler zu ersuchen, "die Bestrebungen nach Schaffung von Heimstätten für Kriegsteilnehmer oder deren versorgungsberechtigten Hinterbliebenen" zu fördern. Ein dementsprechendes Gesetz sollte so bald als möglich unterzeichnet werden. 151 Die Bodenrefonn begleitete und kommentierte den "Weg der Kriegerheimstätten" in den Parlamenten, vor allem aber im Reichstag mit Begeisterung und Leidenschaft. Wohlwollend wurden die zustimmenden Äußerungen von Abgeordneten zu den Ideen des BDB aufgenommen. Diejenigen, in der erwähnten Ausschußdebatte die Sozialdemokraten Bauer und Hoch, die sich kritisch und skeptisch und letztlich ablehnend äußerten, wurden als "Scharfmacher" gegen die "Kriegerheimstätten" herabgesetzt. Mit Befriedigung und Entrüstung zugleich stellte die Bodenreform fest, daß die Vorlage mit 13 zu 11 Stimmen angenommen wurde. Nur die "Vertreter der Freisinnigen Volkspartei und die Sozialdemokratie hatten es fertig gebracht", so der Kommentar, "gegen den Antrag zu stimmen". 152 Zwei Wochen später, am 24. Mai, nahm der Reichstag zwei dahingehende Entschließungen an. Die erste war vom im August 1915 wiedereingesetzten, aber verhalten aktiven Wohnungsausschuß vorgelegt worden. 153 Die zweite folgte dem Antrag, der im Haushaltsausschuß beschlossen wurde. "Einstimmig" seien die Entscheidungen gefallen, wie die Bodenrefonn in ihrer ersten Juniausgabe 1916 trium-

Zitiert nach: Bodenreform 1916, S. 298. Ebenda, S. 298 f. In der darauffolgenden Reichstagssitzung am 18. Mai 1916 nahm Giesberts zum Ergebnis der Nichteinstimmigkeit Stellung. Er vertrat die Ansicht, daß dieses Ergebnis durch ein "Mißverständnis" zustande kam. Danach "glaubt man nämlich, diese Resolution verlange allgemein, daß für jeden Kriegsteilnehmer auf Staatskosten eine Heimstätte geschaffen werde". Doch sei der Zweck hingegen nur, die Reichsregierung auf diese Frage aufmerksam zu machen, die doch eine "eminent zukunftsreichende Frage" nicht nur der Fürsorge, sondern auch der Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Siedlungspolitik sei. Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session 1914/18, 49. Sitzung vom 18. Mai 1916, Stenographischer Bericht, S. 1122. 153 Der Reichstag hatte im Frühjahr 1914 die Arbeit seines 1913 eingesetzten Wohnungsausschusses einstellen lassen. Auf Antrag einiger Abgeordneter wurde der Ausschuß im August 1915 wieder einberufen, um die "Wohnungsfrage und die zu dieser eingegangenen Petitionen zu behandeln". Der Ausschuß traf sich im darauffolgenden November, hielt im Dezember zwei, im April 1916 insgesamt drei Sitzungen ab und legte am 12. Mai 1916 den ersten Tatigkeitsbericht vor. Vgl. BarchB, R 101/251, BI. 26: Erster Bericht (Teilbericht) der 10. Kommission zur Beratung aller das Wohnungswesen betreffenden Anträge und Petitionen, Reichstag, 13. Legislaturperiode, II. Session 1914/18, Aktenstück Nr. 295. Zur Tatigkeit des Ausschusses bis zum Frühjahr 1916 vgl. auch Soziale Praxis und Archiv fLir Volkswohlfahrt, 25. Jg., 1915116, Sp. 311,714,795 f. 151

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1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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phierend berichtete. Danach wurden in der ersten Entschließung die Regierungen der einzelnen deutschen Bundesstaaten ersucht, "dem Reichstag ... einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher bezweckt: Schaffung einer gesetzlichen Unterlage zur Errichtung von Kriegersiedlungen in Stadt und Land (Kriegerheimstätten), wobei die bisher veröffentlichten, freien Vereinigungen entstammenden Vorschläge mit benutzt werden können". 154

Die vom Haushaltsausschuß vorgelegte und angenommene Resolution forderte hingegen den Reichskanzler auf, gesetzliche Grundlagen für die Schaffung von "Heimstätten für Kriegsteilnehmer" zu fördern. Die Zustimmung im Reichstag, auch von den Parteien, die in den Ausschüssen den "Kriegerheimstätten" ablehnend gegenüberstanden, werteten die Bodenreformer als herausragenden Erfolg. Als "ersten großen Sieg" bezeichnete man das Ergebnis der Abstimmung im nationalen Parlament. Die Debatte wurde in langen Abschnitten in der Bodenreform wiedergegeben. Endlich habe der Reichstag Stellung bezogen und das Einbringen eines Gesetzes gefordert, das in seinen Grundzügen dem Vorschlag des BOB folgen sollte. In feierlicher Genugtuung, wider alle Kritiker in der Vergangenheit zog man den Schluß: "Und nun vorwärts! Unter Berufung auf den Reichstagsbeschluß müssenjetzt überall Versammlungen stattfinden, welche die Bedeutung des Beschlusses darlegen und der Reichsregierung zeigen, daß jeder entschlossenen Schritt auf diesem Wege wirklich getragen wird von dem Verständnis und der Zustimmung des ganzen deutschen Volkes." 155

Im Gegensatz zum preußischen Wohnungsgesetz, das seit Jahren im preußischen Abgeordnetenhaus diskutiert wurde und im Wohnungsausschuß des Reichstages Thema war 156, bedeutete die Debatte über die "Kriegerheimstätten" ein Novum. Doch täuschte das Engagement einiger Abgeordneter quer durch alle Fraktionen nicht darüber hinweg, daß der BOB zwar einen Achtungserfolg errungen hatte, aber ein entsprechendes Gesetz noch lange auf sich warten lassen konnte. Die Position des Parlaments bei der Normierung einer reichsweiten Wohnungs- und Siedlungspolitik war schwach. Die beiden Resolutionen trugen lediglich den Charakter von Empfehlungen und hatten zudem verschiedene Adressaten. Die erste betonte die Zuständigkeit der Bundesstaaten. Dagegen war die zweite an die Reichsregierung gerichtet und hob hervor, daß eine ausreichende und umfassende Wohnungsund Siedlungspolitik in der Verantwortlichkeit des Reiches liegen sollte. Die "Kriegerheimstätten"-Bestrebungen verbanden den Krieg und die Verantwortung der den Krieg führenden Institution, nämlich das Reich, mit einer postulierten "Dankesschuld" gegenüber den Teilnehmern des Krieges, den "Helden" an der 154 Erster Bericht der 10. Kommission, S. 10; vgl. auch Bodenreform 1916, S. 321. In der 53. Sitzung am 24. Mai 1916 wurden die Resolutionen einstimmig angenommen. Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session 1914/18, 53. Sitzung vom 24. Mai 1916, Stenographischer Bericht, S. 1251. 155 Bodenreform, S. 322 f. 156 Vgl. Niethammer; Ein langer Marsch durch die Institutionen; vgl. Kapitellll.l.a).

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Front und in der Etappe. Nicht in der Zuständigkeit lokaler und regionaler deutscher Parlamente und Regierung sollte eine künftige Wohnungs- und Siedlungspolitik liegen, sondern einheitliche, reichsweite Regeln sollten geschaffen werden. Die ausführliche Dokumentation der Debatten über die beiden Resolutionen zeugte davon, daß der BDB die zukünftig und gewünschte Rolle des nationalen Parlaments in der Wohnungs- und Siedlungspolitik stärken wollte. In den drei Vollsitzungen des Reichstags zwischen dem 18. und 22. Mai 1916 fanden, im Spiegel der Bodenreform, die Ideen des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" weitestgehend Anklang, Zustimmung und Unterstützung. Der Umstand, daß zwei ähnlich lautende Entschließungen am selben Tag verabschiedet wurden, ließ die in der Bodenreform abgedruckten Stellungnahmen der Abgeordneten verschwimmen und vermittelte Einmütigkeit im Reichstag. Das Parlament debattierte im Mai 1916 parallel zu den "Kriegerheimstätten" allgemeine Fragen des Wohnungswesens, welche dem Wohnungsausschuß in Form von Petitionen zugegangen waren bzw. in dessen zurückliegenden Sitzungen behandelt wurden. In der Darstellung der Bodenreform mutierten aber nahezu alle Stellungnahmen, Kommentare und Redebeiträge zur Wohnungsfrage zu Bekenntnissen für die "Kriegerheimstätten". Die Wohnungsdebatte war nur ein Teil der Beratungen über den Reichshaushalt für das laufende und kommende Jahr und firmierte unter dem allgemeinen Titel Förderung und Herstellung geeigneter Kleinwohnungen usw. am Ende der Aussprache über die sozialpolitischen Perspektiven. Der Zyklus startete mit dem Bericht Graf von Westarps in Vertretung des zuständigen Staatssekretärs des Innern von Delbrück über die Durchführung der Sozialpolitik. Fragen der Gewerbeinspektion, der Frauen- und Kinderbeschäftigung, der Wochenbeihilfe und des Arbeitsschutzes standen ebenso im Interesse wie das Nachtbackverbot, die Arbeitslosenunterstützung und der allgemeine "Sparzwang". Erst am Ende verwies Westarp auf die gesonderte Debatte zu den "Kriegerheimstätten" und der Wohnungsfrage, die am 22. Mai stattfinden würde. 157 Grundlage der Debatte am 22. Mai 1916 war der Erster Bericht (Teilbericht) der 10. Kommission zur Beratung aller das Wohnungswesen betreffenden Anträge und Petitionen. In diesen fanden insgesamt 19 Anträge und Gesetzesinitiativen Eingang, die dem Reichstag vorgelegt worden waren. Der Bericht, das Ergebnis von Zusammenkünften im Dezember 1915 und April 1916, faßte die verschiedenen Haltungen von Reichstag, Reichsregierung und Bundesrat sowie von Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformern zusarnrnen. Neben 21 Reichstagsabgeordneten nahmen an den Sitzungen der 10. Kommission (Wohnungsausschuß) mehrere Bevollmächtigte des Bundesrates teil. 158 In einer beachtlich komplexen Form wurden 157 Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session 1914/18, 49. Sitzung vom 18. Mai 1916, Stenographischer Bericht, S. 1114. 158 Neben sechs Abgeordneten des Zentrums, fünf der SPD (inkl. ein Abgeordneter der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft I USPD), jeweils drei der Nationalliberalen Partei und der Konservativen Partei, je einem der Christlich-sozialen Wirtschaftlichen Vereinigung und der polnischen Fraktion sowie zwei der Deutschen Fortschrittlichen Volkspartei nahmen

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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die verschiedenen Fragen des gegenwärtigen und zukünftigen Wohnungswesens in Deutschland beraten. Ausgehend von der Feststellung, daß der Krieg den "engen Zusammenhang des Wohnungswesens mit Wehrhaftigkeit und Kinderreichtum unwiderleglich gezeigt" habe, wollte man sich den dahingehend zu lösenden Aufgaben stellen. "Es sei doch unmöglich", so der Bericht verheißungsvoll und zeitgemäß weiter, "die Krieger, die im Felde dem Feinde ihre Brust dargeboten hätten, wieder in das System der Mietskaserne und des Massenpferchs einzuzwängen, in die engräumigen Wohnungen der Hof- und Hintergebäude einzusperren, die der Tod eines gesunden Familienlebens, kinderreicher Ehen und der Wehrhaftigkeit sein." 159

Der Bericht des Wohnungsausschusses enthielt u. a. Vorschläge hinsichtlich einzubringender Gesetze über den Wohnungsfürsorgefonds des Reichs, das Reichsbürgschaftsgesetz zur Förderung des Kleinwohnungsbaus für Kriegsteilnehmer, deren Hinterbliebene und Militärbedienstete und die "Errichtung von Kriegersiedlungen". Die letzte Empfehlung stützte sich auf die Meinung der Kommission, daß "[d]ie Zurückkehrenden . . . vielfach verlangen (würden), daß das Vaterland, für das siegeblutet, sie nicht wieder in die Mietskaserne zurückstoße, sondern für gesunde raum-, lichtund luftreiche Wohnungen sorge bzw. Handreichung dazu leiste. Auch würden [.. .] zahlreiche Krieger, durch die weitreichende Bewegung für Kriegerheimstätten veranlaßt ... auf eigener Scholle anzusiedeln suchen..." 160

Die Debatte um die Wohnungsfrage und die "Kriegerheimstätten" begann mit ihrer Würdigung als "schöner Gedanke" durch den Zentrumsabgeordneten Eugen Jaeger. Sein Redebeitrag war von einem pathetisch-beschwörenden Grundton getragen, der das Wohnungswesen und den Krieg in einem Atemzug mit der "Sicherung der Zukunft" des Deutschen Reiches erscheinen ließ. Jaeger bediente sich an den Sitzungen des Wohnungsausschusses als Bevollmächtigter des Bundesrates der Direktor des Reichsamtes des Innern Lewald, der Königlich Württembergische Ministerialdirektor von Schleehauf und vier weitere vom Bundesrat ernannte Kommissare teil. 159 Erster Bericht der 10. Kommission, S. 3. In der Auseinandersetzung, ob das Reich oder die Bundesstaaten für die Fragen der Wohnungs- und Siedlungspolitik zuständig sein sollten, stellte der Bericht fest, daß das Reich "das größte Interesse" daran hätte, daß der Nachwuchs "mehr als bisher in engem Zusammenhang mit der Natur aufwachse". Die wichtigste "Kriegsrüstung für die Zukunft" sei nun einmal die Förderung der "Geburtenfreudigkeit". Obwohl dem Reich letztlich mehr Verantwortung für die zukünftige Wohnungs- und Siedlungspolitik übertragen werden sollte, waren innerhalb der Kommission die Meinungen über die Zuständigkeiten staatlichen Handeins geteilt. Die Meinungen schwankten zwischen der Beibehaltung von Zuständigkeiten und der Ausdehnung der Verantwortung des Reiches. Die erste Position wurde durch die Tatsache gestützt, daß das Reich nicht über die nötigen strukturellen Voraussetzung und Organe einer leistungsfähigen Verwaltung im Wohnungs- und Siedlungswesen verfügte. Lediglich in seiner Funktion als Arbeitgeber würde eine zukünftige Wohnungsfürsorge durch das Reich sicherzustellen sein. Diese Position aufgreifend, stützte sich die zweite Ansicht auf den Umstand, daß das Reich als kriegsführende Institution für eine zukünftige, an "Dankbarkeit" und "Belohnung" orientierte Wohnungs- und Siedlungspolitik verantwortlich zu machen sei. 160 Ebenda.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

zahlreicher polemischer Anleihen, um die Dramatik einer Zukunft ohne ein Wohnungswesen, das den "Bevölkerungsrückgang" und den hiermit angedrohten Verlust der "Wehrfähigkeit" verhinderte, deutlich werden zu lassen. Dieser Zusammenhang fand seinen Höhepunkt in der Formel: Entweder hat Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts 200 Millionen Menschen, oder "es ist eine russische Provinz". Diesen in seiner "Unerträglichkeit" zeitgemäß höchst einleuchtenden Zustand zu verhindern, waren die "Kriegerheimstätten" ein geeignetes Mittel, für welches das Reich umgehend die rechtlichen Grundlagen schaffen müsse. 161 Den Ausführungen des sich als Wohnungsreformer bekennenden Jaegers schlossen sich zahlreiche Beiträge von Abgeordneten verschiedener politischer Lager an. In ihren Ausführungen zur Wohnungsfrage nahmen die "Kriegerheimstätten" häufig einen zentralen Platz ein. Bei der Deutschen Fortschrittlichen Volkspartei blieb man z. B. gegenüber einer möglichen Wohnungsnot nach dem Krieg zwar verhalten. Falls es aber zu einer solchen kommen sollte, sprach sich deren Abgeordneter Bartschat dafür aus, wenn also ein "Bedürfnis nach Kleinwohnungen und Kriegerheimstätten" unter den Kriegsteilnehmern vorläge, diesem Genüge zu tun. 162 Keine Meinungsverschiedenheit bestehe im Parlament wohl über die Frage, so der Abgeordnete der Deutschen Reichspartei Arendt, für die heimkehrenden Soldaten "mit allen Mitteln . .. Kriegerheimstätten ins Leben zu rufen". 163 Die Konservativen reklamierten die Idee der Heimstätte gar für sich und deren Abgeordneter Frommer betonte, daß "die Frage der Kriegerheimstätten gerade im Anschluß an die Wohnungsfrage eine dankbare Arbeit für die Zukunft sein" werde. 164 Der Vertreter der Christlich-liberalen Wirtschaftlichen Vereinigung Mumm bekannt sich freimütig zu den "Kriegerheimstätten" und Damaschke, der "die Freude an der eigenen Scholle in Millionen" neu belebt habe. 165 Vor allem mit Blick auf die Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen hob der nationalliberale Abgeordnete Schoeneich-Carolath die Verantwortung des Reiches im Wohnungswesen mindestens für jene hervor, die "sich ihre Beschädigung zweifellos im Dienste des Reiches" zugezogen hätten. 166 Ergänzend, und nicht nur auf die Kriegsinvaliden beschränkt, verteidigte der SPD-Abgeordnete Göhre die Forderungen der Resolutionen, da sie sich mit Problemen befaßten, "die der Krieg aufgeworfen oder jedenfalls brennend gemacht hatte". ,,Brennend" war für ihn dabei vor allem die "rasche Herstellung von Kleinwohnungen für Kriegsteilnehmer". 167 161 Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session, 1914/18, 52. Sitzung vom 22. Mai 1916, Stenographischer Bericht, S. 1200. Jaeger hatte sich spätestens mit seiner Schrift Grundriß der Wohnungsfrage und Wohnungspolitik, Mönchengladbach 1911 als profunder Kenner der Wohnungsfrage und -politik ausgewiesen. 162 Ebenda, S. 1209. 163 Ebenda, S. 1212. 164 Ebenda, S. 1224. 165 Ebenda. 166 Ebenda, S . 1204. 167 Ebenda, S . 1207.

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Wie sein sozialdemokratischer Kollege aus dem Wohnungsausschuß Cohn und im Gegensatz zur Mehrheit der anderen Redner in der Debatte vermied Göhre dabei die schwerpunktmäßige Ausrichtungen der zu schaffenden Kleinwohnungen auf "Kriegerheimstätten". Zwar trugen beide, im Gegensatz zu ihren Parteikollegen im Haushaltsausschuß, den Bericht der Wohnungskommission mit und empfahlen dessen positive Beschlußfassung. Doch gingen sie in ihrer Beurteilung der Wohnungsfrage in der Reichstagsdebatte am 22. Mai 1916 von unterschiedlichen Standpunkten aus. Cohn, als Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, dem Vorläufer der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, schloß seine Stellungnahme in der Debatte mit der Bemerkung, daß sich durch die Annahme der Entschließungen nichts "Wesentliches" ändern würde. Seiner kritischen Haltung, einer klaren Opposition gar, stand jedoch seine Mitarbeit im Wohnungsausschuß und an deren Resolutionen entgegen. So endete er mit einer dialektischen Empfehlung, der seine Kollegen von der Arbeitsgemeinschaft folgten: "Nehmen Sie die Anträge der Kommission an und setzten Sie den Kampf für die Verbesserung unserer Wohnungsverhältnisse morgen fort!" 168

Bevor die Wohnungsfrage und die "Kriegerheimstätten" erneut Gegenstand einer Reichstagsdebatte wurden, vergingen zwei Jahre. Im Frühjahr 1918 nahm sich das deutsche Parlament nach der Vorlage des Zweiten Berichtes des Wohnungsausschusses vom 20. April 1918 abermals der Wohnungsfrage an. Diesem Bericht lagen insgesamt 22 Anträge und Gutachten zu Grunde, die sich mit den "Kriegerheimstätten", der Wohnungs- und Siedlungspolitik, ihrer zentralen Organisation und Steuerung, ihrer Institutionalisierung und Finanzierung befaßten. Die am Ende dieser Beratung dem Reichstag zur Beschlußfassung vorgelegte Resolution erwähnte die "Kriegerheimstätten" aber nicht mehr. Über eine sie unterstützende Entschließung wurde im Ausschuß noch beraten, so daß sie auch in der Reichstagsentschließung vom 10. Mai 1918 keine Erwähnung fanden. Darin sprach sich der Reichstag für die Schaffung einer zentralen Stelle im Reichswirtschaftsamt aus, die für die "Übergangswirtschaft" eine "planmäßige und umfassende Wohnungserstellung" leiten sollte. Wegen der befürchteten Baukostenverteuerung sollte das Reich außerdem Zuschüsse und zinsgünstige Darlehen im Umfang von 500 Millionen Mark bereitstellen und Anstrengungen zur unverzüglichen Wiederinbetriebnahme der zivilen Baustoffwirtschaft unternehmen. Die wichtigsten Träger eines zukünftigen, im "Flachbau" auszuführenden Wohnungs- und Siedlungsbaus sollten die Gemeinden sein, welche die vom Reich und den Einzelstaaten bereitgestellten Mittel zum ,,Eigenbau" verwenden oder als Bürgschaft an gemeinnützige Bauunternehmungen weitergeben sollten. 169 Ebenda, S. 1220. Zweiter Bericht (Teilbericht) der 10. Kommission zur Beratung aller das Wohnungswesen betreffenden Anträge und Petitionen, Reichstag, 13. Legislaturperiode, II. Session 19 14/ 18, Aktenstück Nr. 1492. In der Dokumentation der Beratungen des Wohnungsausschusses finden sich u. a. Vermerke über Diskussionen zur Einführung einer "Mietsteuer" und der 168

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Eine Stellungnahme des Reichstages zur Unterstützung der "Kriegerheimstätten" des BDB blieb im Frühjahr 1918 aus. Bis auf die Unabhängigen Sozialdemokraten sprachen die Abgeordneten in der Debatte, die der Entschlußfassung vorausging, der Idee zwar ihre Sympathien aus. Aber für die ersten Jahre nach dem Krieg sollte man die "Heimstättenillusionen ... in unserem Volke ... zerstören", so der SPD-Abgeordnete Göhre, um die prognostizierten Schwierigkeiten im Wohnungswesen nicht weiter zu vergrößern. Bei den empfohlenen Schritten, handele es sich in erster Linie um "Notstandsmaßnahmen" (Jaeger), die Reich, Einzelstaaten und Gemeinden zu ergreifen hätten, um der jetzt schon problematischen Lage auf dem Wohnungsmarkt Herr zu werden. 170 Doch werde man nicht umhin kommen, nach den "Notmaßnahmen", die dem Kriegsende folgen würden, eine "nie wieder einschlafende organische Wohnungspolitik" als Teil der Sozialpolitik zu institutionalisieren. Die "Kriegerheimstätten" würden in einem solchen System ihren Platz finden, da ihr "innerster und wertvollster Gedanke... , jedem Volksgenossen eine menschenwürdige Behausung", dann umgesetzt werden könne. Mit einem Seitenhieb auf die Undurchführbarkeit einer rechtlichen Verankerung der "Bodenbindung", endeten Göhres Bemerkungen zu den Leistungen der "Kriegerheimstättenbewegung" anerkennend: "Jetzt aber scheint während des Krieges und durch den Krieg und zwar ... dank vor allem der Tätigkeit der Kriegerheimstättenbewegung, in allen Schichten der Bevölkerung der Gedanke zu einer Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Von nun an muß festgehalten werden, an dieser Selbstverständlichkeit, und es gilt alles daran zu setzen, sie nun auch wirklich in die Tat zu verwandeln." 171 Zusammenfassend war die Haltung der Reichstagsabgeordneten zu den "Kriegerheimstätten" überwiegend von anerkennender Zustimmung geprägt. Im Früh"Typisierung" des Wohnungsbaus, die in den 1920er Jahren durchgesetzt werden sollten. Vgl. auch Jahrbuch der Bodenreform 1918, S. 145-147; Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 27. Jg., 1917/18, Sp. 509 f. 110 Göhre und Jaeger in der Reichstagsdebatte vom 10. Mai 1918, zitiert nach: Jahrbuch der Bodenreform 1918, S. 147-177, hier S. 152 und 154. 111 BarchB, R 101/30655, BI. 89: Stenographischer Bericht über die 162. Sitzung des Reichstages, 13. Legislaturperiode, 2. Session, 1914/18 vom 10. Mai 1918, Abgeordneter Göhre, SPD: "In einem Punkt werden die bodenreformerischen Kreise freilich auf ihren Lieblingsgedanken verzichten müssen, nämlich auf den, zugleich zu den Volksheimstätten auch ein Volksheimstättenrecht zu schaffen. Das ist nach meiner Meinung schlechterdings unmöglich." Einer "Schollenfesselung" der Arbeiterschaft könne er wegen des sich "stets wandelnden wirtschaftlichen Lebens" nicht zustimmen. Die "Zurückstellung" von Bestrebungen zur Schaffung von "Kriegerheimstätten" forderten die meisten Redner der anderen Fraktionen. Vgl. Bundesarchiv Berlin, R 3901/10820, BI. 11: 162. Sitzung des Reichstagesam 10. Mai 1918. Vgl. auch die Redebeiträge Stesemanns im Reichstag und seinen Schriftwechsel mit dem Reichswirtschaftsamt Stenografischer Bericht über die 135. Sitzung des Reichstages, 13. Legislaturperiode, 2. Session, 1914/18 vom 27. Februar 1918, S. 4195; BarchB, R 3901/ 10983: BI. 439: Schreiben Stresemanns an den Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes, Freiherr von Stein vom 21. Juni 1918; BI. 455-457: Schreiben Scheidts an Stresemann vom 13. Juli 1918.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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jahr 1918 wurde diese aber zurückhaltender artikuliert als zwei Jahre zuvor. Man zog sich auf die Stärkung einer allgemeinen Wohnungs(not)politik zurück, welche die veränderte Situation im letzten Kriegsjahr anerkannte. Ein übertrieben starkes Interesse des Reichstages in Sachen Wohnungspolitik und "Kriegerheimstätten" bestand zwischen 1914 und 1918 ohnehin nicht. Abgesehen von den beiden Debatten im Frühjahr 1916 und 1918, der Arbeit des Wohnungsausschusses und wenigen, wirkungslosen Entschließungen, flackerte das Thema nur sporadisch auf. Doch einzelne Vertreter des Reichstages unterstützten die "Kriegerheimstättenbewegung" intensiv und machten sie in unregelmäßigen Abständen zum Gegenstand von Anfragen im Parlament. Vor allem der Berliner Publizist und Pastor Mumm wurde nicht müde, als Abgeordneter der Christlich-sozialen Wirtschaftlichen Vereinigung die Tatigkeit Damaschkes und des BDB im Reichstag zu thematisierten. Die Bodenreform frohlockte mit seinen Reden in einer Weise, daß sie sich jedes Kommentars enthielt, den Redebeitrag abdruckte und am Ende in Klammem die im Protokoll vermerkten Unterstützungsrufe "Bravo! rechts." vermerkte. 172 Beispielhaft für Mumms Engagement war seine Anfrage im Parlament ein Jahr nach der einstimmig gefaßten Entschließung des Reichstages, die Reichsleitung zu ersuchen, sich für die Förderung von "Heimstätten für Kriegsteilnehmer oder deren versorgungsberechtigte Hinterbliebene" einzusetzen. Mumm fragte, welche Schritte der Reichskanzler seit dem Mai 1916 eingeleitet hätte, um "gesetzliche Regelung" zu schaffen. 173 Die Antwort der Reichsregierung fiel kurz und zurückhaltend unverbindlich aus und wiederholte sich bei gleichlautenden Anfragen bis zum Sommer 1918: "Die Ansiedlung von Kriegsteilnehmern wird von der Reichsleitung als eine Aufgabe betrachtet und behandelt, von deren glücklicher Lösung die wirtschaftlich gefestigte Existenz und die Zufriedenheit vieler Tausender von Kriegerfamilien abhängt, damit gleichzeitig auch ein wesentliches Stück sozialen Friedens und innerer Anhänglichkeit an das Vaterland."174

b) Reichsregierung und Bundesrat. Bereits in der Reichstagsdebatte vom Mai 1916 machte der Vertreter der Bundesstaaten und Direktor des Reichsamtes des Innem Lewald, klar, welchen Stellenwert die Entschließungen zur Wohnungsfrage und den "Kriegerheimstätten" haben würden, und vor allem welche Position die Vgl. Bodenreform 1917, S. 231-233. m Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session, 1914/18, 88. Sitzung vom 21. März 1917, Stenographischer Bericht, S. 2568, vgl. auch 100. Sitzung vom 4. Mai 1917. 174 Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session, 1914/18, 100. Sitzung vom 4. Mai 1917, Stenographischer Bericht, S. 3021, vgl. auch Monatliche Mitteilungen des Württembergischen Landesvereins für Kriegerheimstätten e.V. in Stuttgart, Nr. 8, Juli/ August 1917, S. 4 und Bodenreform 1917, S. 420. Zum gleichen Sachverhalt siehe das Schreiben des Präsidenten des Reichstages an den Reichskanzler. BarchB, R 3901 I 10983, BI. 208: Präsident des Reichstags an den Reichskanzler vom 30. April 1917. Zur Person Mumms und dessen sozialpolitischen Engagements siehe Friedrich, Norbert, "Die christlichsoziale Fahne empor!", Stuttgart u. a. 1997, vor allem S. 106-109. 172

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Reichsregierung und der Bundesrat vorerst einzunehmen gedachten. Als Teilnehmer an den Sitzungen des Wohnungsausschusses hatte Lewald zwar Anteil an den Formulierungen der Entschließungen. Doch zeigte sein Auftreten in der Reichstagsdebatte, daß er und mit ihm Reichsregierung und Bundesrat zahlreichen Forderungen des Wohnungsausschusses nicht zustimmen wollten. Nach der Berichterstattung über die bisherige finanzielle Unterstützung des Wohnungswesens für Staatsbedienstete und die Förderung der privaten Bauwirtschaft schloß er die weitere Einbindung des Reiches in die Wohnungsfürsorge aus. Unerhört steigende Kosten und eine mangelnde organisatorische Struktur stünden gegen ein umfassendes, weitergehendes Engagement des Reiches im Wohnungswesen. 175 Lewald nahm auch zu den "Kriegerheimstätten" Stellung. Diese Vorschläge wendeten sich "mit großer Stärke an das Gefühl und das Empfinden" und würden in ihrer emotionalisierten Thematisierung übersehen, gegen welche sozialen und ökonomischen Anforderungen sie stünden. Die Maßnahmen des Reiches wie z. B. das Kapitalabfindungsgesetz vom 3. Juli 1916 176 böten bereits eine ausreichende Grundlage, zumindest für Kriegsbeschädigte oder -hinterbliebene, sich die "Finanzierung einer Heimstätte" zu ermöglichen. Auch der weiterführenden Frage einer "inneren Kolonisation", die durch die Förderung von Häusern für Kriegsheimkehrer "Millionen von Menschen" einbeziehen würde, erteilte Lewald eine Absage. Er betonte, daß man "sehr vorsichtig" sein müsse, um nicht "Hoffnungen zu erwecken", die im Nachhinein nicht erfüllt werden könnten. Auch der Nachweis, daß eine "Rechtsgrundlage zu schaffen (sei), welche die Heimstätten dauernd ihrem Zweck erhalten sollen", war für Lewald bisher nicht ausreichend erbracht worden. 177 Ein Jahr danach, im Sommer 1917, faßte Damaschke in der Bodenreform seine bis dahin gemachten agitatorischen Vorstöße auf die Reichsregierung zusammen. Der Wechsel im Reichskanzleramt im Juni 1917 von Bethmann Hollweg zu Michaelis ermunterte ihn, die Sache der "Kriegerheimstätten" endlich auch hier voran bringen zu wollen. Die "zögernde zuriickhaltende Natur" Bethmann Hollwegs, so Damaschke, habe sich als "große Hemmung" erwiesen, so daß die Frage der "Kriegerheimstätten" in Reichsregierung und Bundesrat nicht vorangekommen sei. 178 Um derartige agitatorische Vorstöße Damaschkes auf die Reichsleitung einzudämmen, sah sich das Reichsinnenministerium bereits Mitte Dezember 1916 genötigt, dem Kronprinzen ein Treffen mit Damaschke auszureden. Das Reichsamt nahm dahingehend Stellung, da sich der Thronfolger mit der Absicht trug, Damaschke im Großen Hauptquartier zu einem Vortrag zu empfangen. Auf die Unter175 Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session, 1914/18, 52. Sitzung vom 22 Mai 1916, Stenographischer Bericht, S. 1218. 176 Zum Kapitalabfindungsgesetz vgl. Kapitel 111.1.1. 177 Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session, 1914/18, 52. Sitzung vom 22 Mai 1916, Stenographischer Bericht, S. 1218. 178 Bodenreform 1917, S. 419.

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richtung des Reichsinnenministeriums durch die Adjutantur des Kronprinzen schrieb Staatssekretär Helfferich, daß davon abzuraten sei, Damaschke oder seine "Gesinnungsgenossen" zu empfangen bzw. für deren "Bestrebungen" einzutreten. Die Werbetätigkeit, welche die Bodenreformer während des Kriegs entfaltet hätten, berge "nicht zu verkennende Gefahren für die Zukunft". In Vorträgen und Veröffentlichungen, wurde dem Kronprinzen mitgeteilt, haben die Bodenreformer "in weiten Kreisen des deutschen Volkes die Vorstellung erweckt ... , als ob es ohne weiteres möglich sei, für alle deutschen Kriegsteilnehmer oder ihre kriegsversorgungsberechtigten Hinterbliebenen auf Antrag Kriegerheimstätten zu errichten. Die hierdurch geweckte Vorstellung geht über die Grenze des Erreichbaren hinaus." 179 Ähnlich und in seiner Art nachdrücklicher reagierte das Reichsinnenministerium auf den Versuch Damaschkes, dem Kaiser im Frühjahr 1917 persönlich seine Aufwartung zu machen. Der Staatssekretär des Reichsamtes des Innern unterstellte Damaschke, "nachdem er weite Volkskreise durch die Werbetätigkeit der Bodenreformer für den Gedanken der Kriegerheimstätte bearbeitet" hätte, nun auch "die deutschen Bundesfürsten für seinen Plan" gewinnen zu wollen. 180 In einer ausführlichen Form nahm man, wie im Fall des Kronprinzen, zu den Forderungen der Bodenreformer Stellung, erläuterte deren Ziele und argumentierte letztlich gegen die "Kriegerheimstätten" vor allem aus finanziellen Gründen. Zwar sei der Gedanke einer Ansiedlung möglichst vieler Kriegsteilnehmer auf einem eigenen Stück Land "fördernswert", doch habe die staatliche Finanzierung eines derart großen Bau- und Siedlungsprojektes "eine überaus bedenkliche Steigerung der Reichsschulden zur Folge". Dem Kaiser wurde deutlich gemacht, daß es nicht bei einer Förderung von 100.000 "Heimstätten", wie den Bodenreformern vorschwebte, bleiben würde. Der Reichshaushalt würde "dauernd" belastet, 179 BarchB, R 3901 I 10983, BI. 28129: Entwurf des Schreibens des Staatssekretärs des Innem an die Adjutantur des Kronprinzen des Deutschen Reichs und von Preußen vom 17. Dezember 1916. Helfferich versicherte dem Kronprinzen, daß die Regierung sich des Wohnungs- und Siedlungsproblems bewußt sei, und daß die "maßgebenden Stellen" bereits Vorsorge getroffen und rechtliche Grundlagen geschaffen hätten. Diese und entsprechende Maßnahmen einzelner Bundesstaaten würden, soweit es die finanziellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zuließen, in Zukunft noch verstärkt. Doch würden jene Schritte in Frage gestellt, wenn "übertriebene Hoffnungen" bei den Kriegsteilnehmer und -hinterbliebenen geweckt und ein "unerfüllbarer Rechtsanspruch" begründet würde. ISO BarchB, R 3901 I 10983, BI. 160-166: Entwurf des Schreibens des Staatssekretärs des Innem an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen vom 10. März 1917, hier BI. 160 Im Juni 1918 trat Damaschke zum wiederholten Mal an den Kaiser heran, um diesem eine Unterstützerliste mit 6.000 Unterschriften für die "Kriegerheimstätten" überreichen zu wollen. Der Kaiser sollte davon in Kenntnis gesetzt werden, um diese "Schicksalsfrage" zur Aufrechterhaltung des "sozialen Frieden(s)" zu fördern. "Ein Wort", so Damaschke weiter, "von dieser Stelle würde Ungezählten daheim und draussen die Furcht vor der kommenden Wohnungsnot nehmen und, um mit Hindenburg zu sprechen, damit zugleich ,eine Quelle neuer Freudigkeit und dankbarer Hingebung unserer tapferen Truppen werden'." BarchB, R 3901110983, BI. 468 f.: Schreiben Damaschkes an von Berg, Chef des Zivilkabinetts Seiner Majestät des Kaisers, Großes Hauptquartier vom 18. Juni 1918.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

und Verluste entstünden, deren "Höhe ganz unübersehbar" wären. Nach der Absage einer finanziellen Unterstützung folgte die Kritik an der vorgeschlagenen Eigentumsform der zu errichtenden Wohnungen und Häuser. Schließlich fehlte, so das Reichsinnenministerium, dem Konzept des BDB überhaupt eine "klare Erkenntnis des wirtschaftlich Erreichbaren". Zusammenfassend und despektierlich schloß man, daß eine positive Stellungnahme zu den Plänen der Bodenreformer dahin führen würde, "dass das Reich mit unabsehbaren Schulden sowie dauernd mit hohen Ausgaben belastet, aber eine Gewähr für die durchgreifende Besserung der Wohn- und Siedlungsverhältnisse nicht gegeben sein würde. Die utopischen Pläne der Bodenreformer hindem den Fortschritt da, wo er an sich wirtschaftlich möglichst, und die Werbetätigkeit des Hauptausschusses für Kriegerheimstätten ist namentlich nicht unbedenklich, weil sie mit einem auf die Massen stark wirkenden Schlagwort Hoffnungen erweckt, die nicht erfüllbar sein können." 181

Neben der Ablehnung der "Kriegerheimstätten" stellte das Reichsinnenministerium in seinem Schreiben an den Kaiser eine Art Rechenschaftsbericht auf, der die bisherigen Leistungen der Reichsregierung im Wohnungs- und Siedlungswesen während des Krieges pries. Es sollte deutlich gemacht werden, daß man sich den zu erwartenden Wohnungsschwierigkeiten nach dem Krieg bewußt war. Man verwies auf das Kapitalabfindungsgesetz, die Erhöhung des Wohnungsfürsorgefonds des Reichsinnenministeriums auf 10 Millionen Mark im Haushaltsjahr 1917 und die Einbeziehung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen als Begünstigte des Fonds. Darüber hinaus wurden die Maßnahmen der Bundesstaaten zur Förderung des Wohnungs- und Siedlungswesens benannt. Dem Kaiser wurde zusammenfassend mitgeteilt, daß das Reich zwar eine allgemeine staatliche Förderung des Wohnungs- und Siedlungswesens jetzt und zukünftig anerkennen würde. Doch machte man unmißverständlich klar, daß die Hauptaufgabe der Privatwirtschaft, dann den Bundesstaaten und Gemeinden obliege, bekannte aber angesichts der Größe des Problems, daß wo mit "privater Initiative" der Wohnungswirtschaft nicht gerechnet werden könne, "ein Eingreifen des Staates durch unmittelbare Kredithilfe, z. B. Übernahme von Bürgschaften vertretbar" sei. Bezug nehmend auf die angestrebte und propagierte Förderung des Ansiedlungswesens für Kriegsteilnehmer und ihre Familien, bekannte das Reichsinnenministerium, daß es sich um einen "verhängnisvolle(n) Fehler" handeln würde, wenn eine Beschränkung auf diese Bevölkerungsgruppe stattfinden würde. Patriotisch, das "Volksganze" im 181 BarchB, R 3901 I 10983, BI. 160-166: Entwurf des Schreibens des Staatssekretärs des Innem an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen vom 10. März 1917, hier BI. 161, 163 und 166. Der Vorschlag einer Finanzierung über Darlehenskassenscheine wurde aus "wirtschaftlichen und banktechnischen Gründen" abgelehnt. Man zweifelte daran, den Bau der "Heimstätten" derart finanzieren zu können, und wollte den Präsidenten der Reichsbank um ein entsprechendes Gutachten bitten: "Ich werde jedoch den Herrn Reichsbankpräsidenten noch ausdrücklich um ein Gutachten über diesen Vorschlag ersuchen." (BI. 162). Diese Formulierung wurde aber, wohl um keinen Zweifel an der ablehnenden Haltung anzudeuten, im Entwurf gestrichen.

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Blick, das in den Genuß staatlicher, paternalistischer Wohnungsfürsorge kommen sollte, stellte man fest: "Weshalb sollen diejenigen, die wegen ihrer Beschäftigung vom Heeresdienst freigestellt sind, also beispielsweise in einer Munitionsfabrik arbeiten, oder diejenigen, die infolge ihres Gesundheitszustandes vom Heeresdienst freigestellt worden sind, in Bezug auf Wohnund Ansiedlungsverhältnisse benachteiligt werden? Es wird angestrebt werden müssen, dass das deutsche Volk in seiner Gesamtheit mehr als bisher aus der grossen Mietskaserne herauskommt." 182

Die Reichsregierung sah sich, ohne dies ausdrücklich zu betonen, in einem Dilemma zwischen "Weiter so!" und kleinen Interventionen auf der einen Seite und einem umfassenden, immer stärker ins Bewußtsein gerücktem Engagement im Wohnungs- und Siedlungswesen auf der anderen Seite. Das Eintreten für weniger "Mietskasernen" und die Überlegungen, die finanziellen Belastungen im Wohnungsbau in einer unbestimmbaren "Übergangszeit" zu übernehmen, zeugten vom gestiegenen Verantwortungsbewußtsein innerhalb der Reichsleitung. Doch an den organisatorischen, finanziellen und vor allem rechtlichen Zuständigkeiten zu rütteln, schloß man aus. Daß dieser Prozeß noch bis weit ins Jahr 1918 hinein reichte, zeigte abschließend und nachhaltig der Schriftwechsel zwischen Ludendorff und der Reichsregierung vom Winter 1917 I 18 und Frühjahr I Sommer 1918. Hier machten das Reichsamt des Innern, Reichswirtschaftsamt und Reichskanzler noch einmal unmißverständlich deutlich, was sie von den Forderung der Bodenreformer und den "Kriegerheimstätten" hielten. Ende März 1918 antwortete das Reichswirtschaftsamt auf das Schreiben Ludendorffs vom Vormonat, in dem dieser zu einer Stellungnahme der Reichsleitung zu den "Kriegerheimstätten" gebeten hatte, daß der Gedanke der Ansiedlung von Kriegsheimkehrern zwar durchaus zu fördern sei. Die "uferlosen" Pläne der Bodenreformer wies es hingegen entschieden zurück. 183

182 BarchB, R 3901/10983, BI. 160-166: Entwurf des Schreibens des Staatssekretärs des Innern an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen vom 10. März 1917, hier BI. 165. Vgl. auch GstaB, Rep. 89, BI. 109: Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes an Chef des Geh. Zivilkabinetts am 8. Oktober 1918. Darin wurde anderthalb Jallre später, als der Kaiser eine "Botschaft an die Nation" bezüglich der Wohnungsfrage halten sollte, die von der Reichsregierung abgelehnt wurde, betont: "Eine Botschaft, die sich lediglich mit dem Wohnungswesen befaßt, begegnet zur Zeit ernsten Bedenken schon deshalb, weil sich noch nicht übersehen läßt, in welchem Umfang ein finanzielles Eingreifen der öffentlichen Gewalten in die Wohn- und Siedlungsverhältnisse nach dem Krieg nötig und möglich sein wird. Der Zeitpunkt für eine Allerhöchste Botschaft dürfte gekommen sein, wenn ... an den Wiederaufbau der gesamten deutschen Volkswirtschaft herangetreten werden kann. In diesem Falle dürfte sich dann allerdings die Botschaft nicht auf die Wohnungs- und Siedlungsverhältnisse beschränken, sondern müßte die gesamten Aufgaben des Wiederaufbaues umfassen ohne zu sehr auf die Einzelheiten einzugehen. Unter allen Umständen wäre zu vermeiden, daß die Allerhöchste Stelle in so umstrittenen Fragen, wie sie in dem Entwurf berührt werden, einseitig für die Bestrebungen der Bodenreformer Stellung nähme."

9 Koinzer

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Im darauffolgenden August wandte sich Reichskanzler Hertling an Ludendorff, um dessen unterstützenden Stellungnahmen für die "Kriegerheimstätten" definitiv eine Absage zu erteilen. Der Briefwechsel, der im Jahrbuch der Bodenreform dokumentiert wurde, machte deutlich, daß die Reichsregierung von ihrer ablehnenden Haltung nicht abrückte. Wie im Schreiben an den Kaiser wies man darauf hin, daß die eingeleiteten Maßnahmen im Wohnungs- und Siedlungswesen als ausreichend betrachtet würden. Zukünftige Entwicklungen werde man beobachten und falls nötig eingreifen. Eine einseitige, auf die Kriegsteilnehmer beschränkte Wohnungs- und Siedlungspolitik wurde verworfen. Die für eine "Übergangszeit" erwartete Erhöhung der Baukosten, die einer zügigen Wiederaufnahme des Wohnungsbaus entgegenstehen könnten, und deren finanzielle Abfederung würden bereits in den zuständigen Gremien von Reich und Bundesstaaten beraten. Hertling versicherte Ludendorff, daß bei der "Durchführung der Wohnungsfürsorge und Ansiedlung . . . auf die Bevorzugung der Kriegsteilnehmer und auf Sicherung gegen unerwünschte Einflüsse der Bodenspekulation bedacht genommen (würde)". 184

Mit Blick auf rechtlichen Rahmenbedingungen erklärte der Reichskanzler, daß bei die Reichsleitung "ernsthafte Bestreben" hin zu gesetzgebensehen Maßnahmen einer "großzügigen Wohnungs- und Bevölkerungspolitik" eingeleitet werden würden. Das von der Bodenreform vorgeschlagene "Kriegerheimstättengesetz" werde von den "breiten Volksmassen gar nicht verstanden". Die finanziellen Möglichkeiten fehlten überdies, so daß man nur auf ein Gesetz optieren würde, daß "für Heimstätten . .. eine besondere Rechtsform und nähere Regelungen" schaffen könnte. Damaschke und den Bodenreformer erteilte Hertling eine entschiedene Abfuhr als er Ludendorff schrieb, "daß die zu hoch gespannten Erwartungen der Kriegsteilnehmer in geordnete, ruhige Bahnen gelenkt werden (müssen), und daß der uferlosen Werbetätigkeit der Bodenreformbewegung, die sich ganz besonders und nicht ohne Erfolg bemüht, Beziehungen zu hochgestellten Persönlichkeiten anzuknüpfen und deren Namen in der Öffentlichkeit für ihre Sache zu verwerten endlich Einhalt geboten wird." 185

Die ablehnende Haltung der Reichsleitung bedeutete eine empfindliche Niederlage für die "Kriegerheimstättenbewegung". In der Dokumentation des Briefwech183 BarchB, R 3901/10983, Bl. 391/392: Entwurf des Schreibens des Staatssekretärs des Reichswirtschaftsamtes Scheidt an Ludendorff vom 26. März 1918. In der wahrscheinlich letzten Version des Schreibens an Ludendorff (Bl. 407 -410), die sich stark an das Schreiben vom Vorjahr an den Kaiser hielt, wurde "uferlose" wieder in "utopisch" geändert. 184 BarchB, R 3901111017, Bl. 32d: Entwurf des Schreibens Hertlings an Ludendorff vom 20. August 1918. Die Worte "Wohnungsfürsorge und Ansiedlung" stehen hier anstelle der allgemeineren ersten Version "Bereitstellung der Reichsmittel". Vgl. auch Jahrbuch der Bodenreform 1919, S. 28-30. Zur Beziehung zwischen Reichsleitung und Oberster Heeresleitung vgl. auch Direnberger, Erwin, Die Beziehungen zwischen Oberster Heeresleitung und Reichsleitung von 1914-1918, Berlin 1936, Einleitung. 185 BarchB, R 3901111017, Bl. 32d: Entwurf des Schreibens Hertlings an Ludendorff vom 20. August 1918.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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sels im Jahrbuch der Bodenreform kam eine mit "D.H." (Der Herausgeber, T.K.) unterschriebene Fußnote nicht umhin, nach den Schuldigen für die Haltung der Reichsleitung zu fragen. "D.H.", also Damaschke, erklärte, daß Hertling ihm "persönlich" bei einer zurückliegenden Begegnung "jede Förderung der Kriegerheimstättensache" zugesagt habe. Dieser hätte aber, als er Reichskanzler und von Damaschke an seine "Zusage" erinnert wurde, deutlich gemacht, daß "sein hohes Alter und sein Gesundheitszustand" ihn alle das Wohnungs- und Siedlungswesen betreffenden Fragen den zuständigen Stellen überlassen müsse. Zuständig waren während des Krieges das Reichswirtschaftsamt und seine Staatssekretäre Stein und Scheidt. Ihnen lastete Damaschke vorwurfsvoll die "Verantwortung für diese Ablehnung" an. 186 Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die Bestrebungen um "Kriegerheimstätten" a Ia Bodenreform bei der Reichsleitung eine Art doppelte Bedrohung ausgelöst hatten. Zum einen bedeuteten die Initiativen der Bodenreformer während des Krieges einen Vorstoß auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens, der den Interessen der Reichsführung zuwider lief. Diese Vorstöße stellten eine Gefährdung eigener Initiativen dar, die man sich durch die umfassende und breite Schichten einschließende Propaganda des BDB nicht in Frage stellen lassen wollte. Dies waren Eingriffe in die als weitestgehend ausreichend angesehenen wohnungsund siedlungspolitischen Maßnahmen der Reichsregierung im gegenwärtigen und vor allem zukünftigen Deutschland. Zum anderen fand die Reichsleitung am Potential der "Kriegerheimstätten" für die Durchhaltepolemik und allgemeine Kriegsermunterung nur verhalten Gefallen. Sie manövrierte sich, wenn sie diese "Kraftreserve" zu sehr strapazieren würde, in eine Situation, in der "Enttäuschung und Verbitterung" bei der Nichterfüllung derartiger Programme hervorgerufen würden, wie wiederholt betont wurde. Ein UmIB6 Jahrbuch der Bodenreform 1919, S. 30. Herausgeber der Jahrbücher der Bodenreform war Adolf Darnaschke. Er unterschrieb seine Artikel mit vollem Namen, A. D. oder eben D. H. Vgl. auch BarchB, R 3901/10983: BI. 439: Schreiben Stresemanns an den Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes, Freiherr von Stein vom 21. Juni 1918; BI. 455-457: Schreiben Scheidts an Stresemann vom 13. Juli 1918. In letztem machte Scheidt deutlich, daß bei der Schaffung von Siedlungen für "Krieger" Bauzuschüsse gewährt werden würden. "Die Gewährung von Bauzuschüssen wird hierzu der kräftigste Anreiz sein, nicht aber - wie es die Bodenreformer vorschlagen - die Schaffung eines besonderen Gesetzes, das den Kriegern unter allen Umständen die Möglichkeit nimmt, ihr Anwesen mit Vorteil zu verkaufen oder mit Hypotheken über die Gestehungskosten hinaus zu belasten. Ein solches Gesetz würde dann, wenn es den Kriegern aufgezwungen würde, die Ansiedlung nicht fördern, sondern eher hemmen. Die Werbetätigkeit der Bodenreformer hat eine falsche Vorstellung in die Reihen der Krieger hinein getragen. Wenn die Krieger den Vorschlägen der Bodenreformer zujubeln, so tun sie das in dem Bestreben, ein kleines Besitztum zu erwerben, sie tun es aber nicht in dem Wunsche, ein so stark gebundenes Eigentum zu bekommen, wie es die Bodenreformer durchzusetzen versuchen.. . . Eine solche weitgehende Bindung würde dahin führen, daß die Krieger schlechter gestellt würden, als andere Ansiedler und das sie keine Neigung haben würden, Arbeit und Geld in eine Stelle hineinzustecken, bei der sie nicht das Gefühl des Eigentums haben."

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II. Diskurs und Politik im Krieg

schlagen in Revolten oder gar Haß auf den Staat stellte den Status quo in Frage. Dies galt es zu verhindern. Die Haltung der Reichsregierung war daher vom indifferenten Hervorheben einer Förderung der "Wehr- und Volkskraft" durch die gehaltlose Formel "Gesundes Wohnen" geprägt. Dahingehend würde, dies wurde die Reichsleitung nicht müde mitzuteilen, bereits eine ausreichende Politik betrieben. In der Wohnungsfrage zog sich die Reichsleitung nicht auf militärisch-propagandistische Deutungsmuster, Denkstile und Sinnhorizonte zurück. Sie wollte eigene Zeichen setzen bzw. mit einem "Weniger-ist-mehr" und "Gar-nichts-ist-billiger" Verantwortung vermeiden. 187 Die Unsicherheit und Unentschlossenheit des Reichstages bestärkte die Reichsregierung in ihrer Haltung, die Wohnungs- und Siedlungspolitik, vor allem aber die Sache der "Kriegerheimstätten" nicht auf die politische Tagesordnung im Krieg setzten zu müssen. Sie laborierte weiter am Bestehenden, sparte sich Geld und Gesetze und beließ die Zuständigkeiten bei den Bundesstaaten und Gemeinden.

c) Bundesstaaten und Gemeinden. "Reich oder Einzelstaaten?" war für die Bodenreformer eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der rechtlichen und organisatorisch-finanziellen Ausgestaltung der "Kriegerheimstätten". Der Vorsitzende der "Beratungsstelle für Kriegerheimstättenstiftungen" beim BDB in Berlin, Pohlmann, warnte im Frühjahr 1917 bei dieser Frage: "Nur jetzt kein Flickwerk!".188 Die Reichsregierung müsse auf Grund des notwendigen Aufbaus einer zentralen Behörde zur Planung und Durchführung und wegen der Finanzierung des Programms uneingeschränkt verantwortlich sein. Ein "Reichsheimstättenamt" und seine regionalen Dienststellen sollten sowohl die Vergabe von Siedlungsland anweisen können, als auch "gleich das Bargeld zum Hausbau" zur Verfügung stellen. Die Darlehens- und rechtlichen Bedingungen der einzelnen Bundesstaaten waren zu uneinheitlich und unübersichtlich, wie Pohlmann meinte, und würden Siedlungswillige vor den Schwierigkeiten "verzagen" lassen. 189 Einige Bundesstaaten und Gemeinden gingen in der Tat ihren Weg in Sachen Wohnungs- und Ansiedlungsgesetzgebung und "Kriegerheimstätten". Sie nahmen ihre Zuständigkeiten im Wohnungs- und Siedlungswesen im Krieg wahr und bereiteten sich ab 1916 verstärkt auf die rechtliche Absicherung der Ansiedlung von Kriegsteilnehmern und -heirnkehrern vor. Eine einheitlich Richtung in der Politik der Bundesstaaten und Gemeinden gab es aber nicht. Die Haltung zu den "Kriegerheimstätten" war ambivalent. Nicht wenige Bundesstaaten und Gemeinden zeigten sich gegenüber den Ideen der Bodenreformer bzw. einer Ansiedlungspolitik, die diesen Vorstellungen nahe kam, aufgeschlossen. Andere sahen keinen derartigen Handlungsbedarf. 187 Zum Problem, daß militärische Denkstile außerhalb militärischer Strukturen wirksam werden, vgl. Frevert, Ute, Gesellschaft und Militär im 19. und 20. Jahrhundert: Sozial-, kultur- und geschlechtergeschichtliche Annäherungen, in: Frevert, Ute (Hrsg.), Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, S. 7-14. 188 Bodenreform 1917, S. 288. 189 Ebenda, S, 290 f.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Obwohl zahlreiche einzelstaatliche Initiativen nicht dem Urgeist der bodenreformerischen Ansiedlungsidee entsprachen, schon gar nicht den "Kriegerheimstätten", begleitete die Bodenreform die Gesetzgebungstätigkeit der Bundesstaaten leidenschaftlich. Einerseits versprachen sich die Bodenreformer dadurch, daß andere, zurliekstehende Bundesstaaten den dokumentierten Beispielen folgen würden. Andererseits erwarteten sie sich davon, den Druck auf das Reich und eine entsprechende Rahmengesetzgebung erhöhen zu können. Die Haltung, erst einmal abzuwarten und weiter in alle Richtungen zu agitieren, begrundete am ehesten die Position des BDB zur Wohnungs- und Siedlungspolitik der deutschen Bundesstaaten und Gemeinden. Im Mittelpunkt der gesetzlichen Bestrebungen der Bundesstaaten und Gemeinden stand häufig der Ausbau bzw. die Novellierung bestehender Vorschriften, die das Bau- und Siedlungsrecht betrafen. Die Entschlossenheit zur Verankerung eines eigenständigen Ansiedlungsrechts während des Krieges war hingegen neu. Das Herzogtum Braunschweig, die Königreiche Sachsen und Bayern, das Großherzogtum Hessen sowie nicht zuletzt das Königreich Preußen verfolgten eigene Heimstättengesetzgebungen. Dabei gingen ihre Bestrebungen zur Regelung einer Siedlungstätigkeit nach dem Krieg Hand in Hand mit den Bestrebungen zur Lösung der Wohnungs frage. Im Februar 1916 standen im braunschweigischen Landtag die "Kriegerheimstätten" erstmals zur Debatte. Die Bodenreform verfolgte, sich auf die lokale Presse stützend, die Ausführungen der einzelnen Redner mit viel Interesse. Die Zeitschrift zitierte den nationalliberalen Landtags- und Reichstagsabgeordneten Kleye, der die "Dankespflicht" und die Fürsorge für Kriegsheimkehrer und besonders Kriegsbeschädigte hervorhob. Dieser "Pflicht" nachzukommen, sei in erster Linie durch die Bereitstellung von Siedlungsland zu gewährleisten, was durch die Aufteilung der staatlichen Domänen sichergestellt werden könne. 190 Doch erst im Januar 1918 legte das braunschweigische Staatsministerium dem Landtag ein entsprechendes Siedlungsgesetz vor. Danach konnten, in zurückhaltend unverbindlicher Formulierung und keineswegs nur auf Kriegsteilnehmer beschränkt, "[d]as Reich, der Staat, die Kreise, Gemeinden, gemeinnützige Gesellschaften, Anstalten, Stiftungen und Vereine ... Heimstätten begründen". 191

Am 23. März 1918 nahm der Landtag verschiedene Gesetze an, welche, wie die Bodenreform zuversichtlich berichtete, die "Heimstättenbewegung" fördern würVgl. ebenda 1916, S. 142 f. Ebenda 1918, S. 75. Vgl. auch Jahrbuch der Bodenreform 1918, S. 102-107 und die Zusammenstellung des Preußischen Justizministeriums Ende 1917/ Anfang 1918 über die "Maßnahmen der Bundesregierungen, um nach dem Kriege die Beschaffung von Kapitalien für den Kleinwohnungsbau zu erleichtern". Diese hob für Braunschweig u. a. die Pläne zur Förderung des Kleinsiedlungsbaus vorwiegend für Kriegsteilnehmer und -beschädigte hervor. Vgl. GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 100 f.: Maßnahmen der Bundesregierungen, Ende 1917/ Anfang 1918. 190 191

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II. Diskurs und Politik im Krieg

den. Ein Gesetz betonte die Pflicht des Staates, ländliche und städtische Kleinsiedlungen sowie Häuser mit höchsten vier, in der Stadt Braunschweig sechs Wohnungen und anliegendem Acker- und Gartenland zu fördern. Gleichzeitig sollte ein sogenanntes Siedlungsamt, das die Leitung und Förderung der Ansiedlungstätigkeit übernehmen sollte, eingerichtet werden. In der Verabschiedung eines weiteren Gesetzes, des "Heimstättengesetzes" , sahen sich die Bodenreformer in ihrer langjährigen Arbeit bestätigt. Das Gesetz orientierte sich an den Vorschlägen des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" und führte die besondere Rechtsform der vor Spekulation geschützten "Heimstätte" im Herzogtum Braunschweig ein. Beide Gesetze sicherten Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmern und deren Hinterbliebenen eine besonders Beriicksichtigung zu, was die Bodenreform als einen "wichtigen Erfolg" der "Kriegerheimstättenbewegung" wertete. 192 In Sachsen bemerkte der beim Ministerium des Innern herausgegebene Heimatdank Ende 1915, daß der sächsische Kleinwohnungsbau und die ländliche Ansiedlung eine dringliche Aufgaben der Wohlfahrtspflege, insbesondere der Kriegsteilnehmerfürsorge seien. Diese aus einer Denkschrift der Zentralstelle für Wohnungsfürsorge im Königreich Sachsen an das sächsische Finanz- und Innenministerium wiedergegeben Beurteilung brachte zum Ausdruck, daß in Sachsen die Wohnungsfrage bereits vor dem Krieg "erhebliche Bedeutung (hatte), die sich durch den Krieg, insbesondere die Dankespflicht gegen Kriegsinvalide und Kriegsteilnehmer überhaupt nur verschärft und gesteigert hat, wogegen die Frage der ländlichen Ansiedlung vor dem Kriege in Sachsen durchaus nicht im Vordergrunde der inneren Politik stand und erst für das engere Vaterland - vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Kriegsteilnehmerfürsorge - erhebliche Bedeutung gewonnen hat."l93

Zur Frage der ländlichen Ansiedlung schlug das Innenministerium, ohne explizit Bezug auf die Forderungen der Bodenreformer zu nehmen, die Schaffung von "Handwerker- und Arbeiterstellen", aber auch bäuerlicher Stellen vor, die vorwiegend Kriegsinvaliden zugute kommen sollten. Von denen, so schätzte das Ministerium in statistisch unbelegter Voraussicht 1915 ein, werde "Deutschland nach 1 bis 2 Kriegsjahren" etwa 200.000 haben, wovon auf Sachsen 22.000 (7,4%) entfielen. Davon würden rund 9.000 Kriegsinvalide vom Land stammen. Auch wenn von ihnen 2/ 3 für eine Ansiedlung nicht in Betracht kämen, verblieben noch 3.000, die bei "vorläufiger Schätzung" einen Bedarf an Siedlungsland und finanzieller Unterstützung geltend machen würden. Die dafür vorzubereitenden Maßnahmen (Beschaffung von Land, Bereitstellung von Krediten und rechtliche Vorsorge gegen 192 Bodenreform 1918, S. 129 f. Als drittes wurde das Leihhausgesetz novelliert, so daß die Staatsbank des Herzogtums die Leihhausanstalt ermächtigen konnte, Siedlungsgrundstükke so weit zu beleihen, "wie die Bürgschaft des Staates, eines Kreises, einer Gemeinde .. . übernommen" worden war. 193 BLHA, Provinz Brandenburg Rep. 2A Regierung Potsdam I S Nr. 557, ohne Bl.-Nr.: Heimatdank. Nachrichten über die soziale Kriegsteilnehmerfürsorge im Königreich Sachsen. Anzeiger der Stiftung "Heimatdank" ., Nr. 12, 1. Jg. vom 15. Dezember 1915.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Mißbrauch) standen auch den Überlegungen zum städtischen Kleinwohnungsbau vor. Hier schätzte das sächsische Innenministerium den jährlichen Wohnungsbedarf für die Zeit nach dem Krieg, abzüglich der 3.000 ländlichen Siedlungsstellen, auf 9.000 Kleinwohnungen bis zu vier Zimmern. Dieser Fehlbedarf müßte, wollte man verhindern, daß "Notstände von bedenklichster Tragweite Platz greifen", noch vor Rückkehr der Kriegsteilnehmer "unbedingt ausgefüllt werden". 194 Die Bodenreform berichtete über die sich anschließenden Landtagsdebatten und dokumentiere im Frühjahr 19 I 6 den Gesetzentwurf über die Ansiedlung von Kriegsteilnehmern. Nach diesem Entwurf sollte zum einen die Kreishauptmannschaft Dresden als "Generalkommission" die Ansiedlung von "geeigneten" Personen, in erster Linie Kriegsteilnehmer und -invalide, vermitteln. Ein beratendes Gremium sollte der Verwaltung hierfür zur Seite gestellt werden. Zum anderen sollte das Gesetz die Gemeinden zum Erwerb von Siedlungsland und zur Übernahme von Bürgschaften bzw. zur Bereitstellung von Baugeldhypotheken ermächtigen. Die Begründung des Gesetzentwurfs las sich wie von den Bodenreformern verfaßt Danach wurde betont, daß die Ansiedlung von Kriegsteilnehmern eine "bedeutsame Aufgabe" sei. Besonders die ländliche Kleinsiedlung wurde hervorgehoben. Sie werde, so die komplexe Begründung, "der Volksernährung und Volksgesundheit, der Volksvermehrung und Wehrkraft wichtige Dienst leisten, auch dazu beitragen können, daß der Landwirtschaft der nach dem Kriege voraussichtlich sehr empfindliche Mangel an Arbeitskräften einigermaßen ersetzt wird". 195

Auch die Einrichtung einer zentralen Behörde mit regionalen Gliederungen, die mit der Durchführung des Programmes betraut werden sollte, fand die Zustimmung des BDB. Nur mit der Formel über die Weiterveräußerbarkeit des von staatlichen Stellen zu übergebenden Siedlungslandes sah sich der Vorsitzende des sächsischen Landesverbandes des BDB, Waentig, nicht einverstanden. In einer Rede vor dem sächsischen Landtag im März 1916 machte er deutlich, daß "freihändig" weiter zu veräußerndes Land, nicht in Einklang mit den Vorstellungen der Bodenreformer sei. Nach bekanntem Muster verwies er auf die "historische Erfahrung", diesmal in Ostpreußen, wo bei vergleichbaren Programmen von den "angesetzten kleinbäuerlichen Ansiedlern" in wenigen Jahren etwa 15% ihr Land weiterverkauft hätten. Diese "traurigen Folgen" wollte man jedoch durch die Vorschläge zu den "Kriegerheimstätten" zukünftig verhindern. 196 Im Mai 1916 trat das sächsische Gesetz, die Ansiedlung von Kriegsteilnehmern betreffend in Kraft. Im darauffolgenden November erließ das Ministerium des Innern eine Verordnung, welche die Aufgaben einer "Landessiedlungsstelle" umriß und Bestimmungen über die Bezugsberechtigten und Ansiedlungsarten enthielt. 197 194 195 196 197

Ebenda. Zitiert nach: Bodenreform 1916, S. 277 f. Ebenda, S. 280 f. Vgl.Bodenreform1917,S.46f.

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li. Diskurs und Politik im Krieg

Was die Unterbindung der Weiterveräußerung des Bodens anbelangte, trugen sich die Bodenreformer mit der Hoffnung, daß den Darlegungen Waentigs "bei der Ausführung des Gesetzes" durch die sächsische Staatsregierung Rechnung getragen würde. 198 In Bayern hatte sich die zweite Kammer des Parlaments im Sommer 1916 mit einer Reihe von Eingaben zu befassen, die sich auf die "Kriegerheimstätten" bezogen. Neben den Münchner und Nürnberger Ortsgruppen des BDB und dem Münchner "Ausschuß für Kriegerheimstätten" forderten auch die örtlichen Kartelle der christlichen Gewerkschaften und des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes in der bayerischen Hauptstadt sowie der Mieterverein Regensburg die staatlich unterstützte Schaffung von "Kriegerheimstätten". Die Bodenreform dokumentierte wieder auszugsweise die Aussprache zu diesen Eingaben. Die Ausführungen des sozialdemokratischen Abgeordnete Nimmerfall wurden dabei als stichhaltige Belege für eine notwendige staatliche Intervention bei der Schaffung von "Kriegerheimstätten" herangezogen. Nimmerfall begründete den Gesetzentwurf mit dem Umstand, die bayerische Regierung auf die ,,Schaffung von Kriegerheimstätten überhaupt aufmerksam" machen zu wollen. Die Landesregierung betonte ihrerseits, daß bezüglich der städtischen Ansiedlung von den Gemeinden in Verbindung mit örtlichen Bauvereinen und -gesellschaften eine ausreichende Vorsorge getroffen worden sei. Die Wohnbedürfnisse waren in dieser Weise bisher ausreichend befriedigt worden, und auch eine mögliche Ansiedlung von Kriegsbeschädigten werde von den Städten zukünftig durchgeführt werden können. Nimmerfalls Schlußfolgerung über die abwehrende Haltung der Staatsregierung fiel kurz und bildlich aus: "Der Staat will sich vor den Aufgaben der Dankeserfüllung für die Vaterlandsverteidiger im allgemeinen drücken. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan ... " 199

Im Frühjahr 1917 wurden die "Kriegerheimstätten" im bayerischen Parlament abermals thematisiert. Der liberale Abgeordnete Quidde argumentierte in einer leidenschaftlichen Stellungnahme für die staatliche, d. h. von Reich und Bayern gleichermaßen betriebene, Förderung einer allgemeinen Siedlungstätigkeit und der "Kriegerheimstätten" im besonderen, die für zukünftige Generationen das Wohnen und Leben in Deutschland bestimmen sollten. Die Werte und Gestaltung des bisherigen Wohnungswesens, die städtische Wohnverhältnisse also, könnte man zwar nicht einfach beseitigen. Aber den "Millionen, die da nachwachsen", sollten Wohn198 Bodenreform 1916, S. 282. Bezüglich der finanziellen Förderung des Kleinwohnungsbaus in Sachsen war die Landeskulturrentenbank bereits per Gesetz vom 30. Juni 1914 ermächtigt bis zu einem vom Innenministerium festgelegten jährlichen Höchstbetrag (1917: 7 Millionen Mark), Darlehen zum Bau von "Kleinwohnungen für minderbemittelte Klassen" gegen Einräumung nachstelliger Hypotheken auszugeben. Vgl. GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 100 f. 199 Zitiert nach: Bodenreform 1916, S. 600. Eine ländliche Ansiedlung von Kriegsbeschädigten wurde in Bayern durch das Gesetz vom 15. Juli 1916 geregelt.

1. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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möglichkeiten geschaffen werden, "die besser und gesünder, die für das Volksleben zuträglicher" seien, als Mietskasernen weiter "in die Höhe schießen" zu Jassen. 200 In der zweite Kammer des hessischen Landtages stellte der Bodenreformer Henrich im Sommer 1916 einen Antrag, der die hessische großherzogliche Regierung aufforderte, die "Kriegerheimstätten" zu unterstützen. In der Antwort der Regierung, welche die Bodenreform abdruckte, hieß es u. a., daß der hessische Staat bereit sei, "fiskalischen Grundbesitz" für die Ansiedlung von Kriegsteilnehmern zur Verfügung zu stellen. Die wohlwollende Haltung des Staates gegenüber den Bestrebungen des BDB kam darüber hinaus in der Aussage zum Ausdruck, daß man "zu jeder Förderung bereit" sei. Nichtsdestotrotz blieb die Unterstützung unverbindlich und vieldeutig, wenn die Staatsregierung beteuerte, daß die Kreisämter "besonders angewiesen" wurden, sich der Angelegenheit der Ansiedlung von Kriegsteilnehmern im Sinne der Bodenreformer zuzuwenden. 201 Neben weiteren einzelstaatlichen Bestrebungen zur Schaffung gesetzlicher Grundlagen im Wohnungs- und Siedlungswesen202 war vor allem die Reaktion der preußischen Staatsregierung auf die Initiative des BDB, ein Reichsgesetz zur Förderung von "Kriegerheimstätten" durchzusetzen, von Bedeutung. Im Fall Preußens zeigte sich dabei am deutlichsten, wie die Interessenlagen im Wohnungs- und Siedlungswesen zwischen Reich und Bundesstaaten abgesteckt und aufgeteilt waren und weitestgehend unangetastet bleiben sollten. Wie in den anderen Bundesstaaten auch, verteilten sich die behördlichen Zuständigkeiten im Wohnungs- und Siedlungswesen in Preußen auf mehrere Ministerien. Für das Siedlungswesen zeichnete das Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, für das Wohnungswesen das Ministerium für öffentliche Arbeiten verantwortlich. Diese hatten im Verbund mit den entsprechenden Abteilungen des 200 Zitiert nach: Bodenreform 1917, S. 236. Eine staatliche Landeskulturrentenanstalt stellte den bayerischen Gemeinden zum Wohnungsbau und zur landwirtschaftlichen Siedlungstätigkeit Kredite zur Verfügung, insbesondere zweitstellige Hypotheken. Vor und im Krieg wurden jährlich 75.000 Mark bereitgestellt. Weiterhin wurde Ende 1917 über einen einmaligen Kredit in Höhe von 2 Millionen Mark beraten, der für die unter Beteiligung des Staates zu gründenden Bauvereinigungen für den Kleinwohnungsbau bereitgestellt werden sollte. Wie in Sachsen wurde eine Landessiedlung GmbH mit einem Starrunkapital von 3,5 Millionen Mark gegründet. Vgl. GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 100 f. 20 1 Zitiert nach: Bodenreform 1916, S. 607. Zur Erleichterung der Finanzierung des Kleinwohnungsbaus und Ansiedlungswesens sollte in Hessen die Geldbeschaffung durch Gemeindebürgschaften erleichtert werden. Ergänzend war die Regierung nach dem Landeskreditkassengesetz in der Lage, weitere 4 Millionen Mark durch Ausgabe von Staatsschuldverschreibungen aufzubringen, und für gemeinnützige Baugenossenschaften zur Verfügung zu stellen. Die Landeshypothekenbank gewährte darüber hinaus zweitstellige Hypothekendarlehen an private Bauherren. Vgl. GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 100 f. 202 Vgl. Bodenreform 1917, S. 588 und Jahrbuch der Bodenreform 1918, S. 254 - 262 zum Siedlungsgesetz im Herzogtum Anhalt sowie Bodenreform 1917, S. 194 f. zu gleichartigen Bestrebungen im Herzogtum Gotha. Vgl. zu weiteren bundesstaatliehen Maßnahmen auch Geheimes Staatsarchiv- Preußischer Kulturbesitz, Berlin, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 100 f.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Staats- und Finanzministeriums, des Ministeriums für Handel und Gewerbe sowie des Innenministeriums siedlungs- und wohnungspolitische Entscheidungen abzusprechen und dahingehende Programme und Finanzierungen abzustimmen. Gemeinsam mit vor und im Krieg gegründeten regionalen Wohnungsverbänden, wie dem Wohnungsverband Groß-Berlin, dem Berlin und über 40 weitere Städte und Umlandgemeinden angehörten, die eine Zusammenarbeit örtlicher Behörden auf diesem Gebiet zu koordinieren versuchten, trugen diese Ministerien die Verantwortung im preußischen Wohnungs- und Siedlungswesen. Die "Kriegerheimstätten" des BDB fanden bei den vielschichtigen, regionalen und kommunalen Aktivitäten wenig Beachtung bzw. wurden bis 1918 in Preußen kaum politisch thematisiert. Preußen hatte mit dem Rentengutgesetz von 1890 eine rechtliche Grundlage geschaffen, welche die Ansiedlung in den Städten und auf dem Land unterstützte. Die Gemeinden waren durch das Gesetz angehalten, "Bodenpolitik" zu betreiben. Für Wohnungs- und Siedlungsbauten waren finanzielle Förderungen möglich. Zudem wurde im Mai 1916 ein Gesetz zur Förderung der Ansiedlung erlassen, das die Gewährung von weiteren Zwischenkrediten für die Ansiedlung auf sogenannten Rentengütern in einer Gesamthöhe von 100 Millionen Mark durch die Seehandlung- Preußische Staatsbank garantierte?03 Für die "praktische Arbeit" der vom BDB beförderten "Kriegerheimstätten" waren damit zwar wichtige Grundlagen gelegt. Eine spezielle, sich an den Richtlinien der Bodenreformer orientierende Gesetzgebung, gar eine Reichsgesetzgebung schien durch diese Verordnungen aber überflüssig. So trafen sich im Herbst 1916 Vertreter der zuständigen Ministerien im preußischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, um über die Förderung die Hergabe von domänen- und forstfiskalischen Ländereien für den Bau von Arbeiter- und Mittelstandswohnhäusern zu beraten. Dabei zeigte sich das Landwirtschaftsministerium grundsätzlich bereit, "durch Hergabe staatlichen Geländes" bei der besseren Gestaltung der Wohnungsverhältnisse mitzuwirken. Im Ergebnis der Beratung, erklärte der Vertreter des Landwirtschaftsministeriums, Unterstaatssekretär Freiherr von Falkenhausen, daß seine Behörde Baugelände und deren Preise für den Kleinsiedlungsbau prüfen und näher bezeichnen werde. Dem Ministerium des Innern und der Finanzen sollte die organisatorische Ausgestaltung der Ansiedlung und die Finanzierung der Siedlungsunternehmungen überlassen werden. 204 Vorausgegangen war der Beratung ein Schriftwechsel zwischen dem Verbandsdirektor des Wohnungsverbandes Groß-Berlin, Steiniger, und dem Finanzministeri203 Vgl. BLHA, Potsdam, Provinz Brandenburg, Rep. 2A Regierung Potsdam I S Nr. 817, ohne Bl.-Nr. Im März 1917 erließ der Minister für öffentliche Arbeiten, ergänzend zu den benannten Bestimmungen, Leitsätze zur Förderung des Kleinhausbaus, die jedoch nicht mehr als Richtlinien im Sinne tradierter, baupolizeilicher Gesetze waren. Vgl. Jahrbuch der Bodenreform 1917, S. 122-135. 204 GstaB, Rep. 151 I C, Nr. 12338, ohne Bl.-Nr.: Abschrift eines Protokolls der Besprechung betr. die Hergabe domänen- und forstfiskalischen Landes für den Bau von Arbeiterund Mittelstandswohnhäusern am 14. November 1916 in Berlin.

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um über das Wohnungswesen inner- und außerhalb der Reichshauptstadt nach dem Krieg. Steiniger machte deutlich, daß es bereits zum "Gemeingut der herrschenden Auffassung" gehörte, daß nach dem Krieg eine "durchgreifende Reform" des Wohnungswesens anstehen müsse. Eine "starke Kleinwohnungsnot" werde erwartet, und die Aussicht auf eine "Vergrößerung der im Hochbau zusammengedrängten Bevölkerung" um das Zwei- oder gar Dreifache, stelle eine "erhebliche Staatsgefahr" dar. Wie zahlreiche seiner Kollegen in anderen Bundesstaaten betonte er, daß die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten und die Kriegsheimkehrer außerdem "Anstoß zu dem Versuche" geben sollte, das Kleinwohnungswesen "einschneidend" zu fördern. Das bedeutendste Mittel dieses Projektes, das nur unter Mitwirkung der preußischen Regierung durchgesetzt werden könnte, sei das Kleinhaus. Die billige Beschaffung von Bauland, die Baukostensenkung durch die Zulassung erleichterter Bauvorschriften, verbilligte Straßenbaukosten und günstige und ausreichende Baukredite seien die "Grundpfeiler" solcher Behausungen.205 Die "Kriegerheimstätten" fanden im Frühjahr 1917 im preußischen Abgeordnetenhaus durch eine Debatte um die "Bevölkerungspolitik" Eingang. Die Bodenreform ließ es sich gewohnheitsmäßig nicht nehmen, aus den positiven Redebeiträgen einzelner Abgeordneter zu zitieren. Der Zentrumspolitiker Kaufmann betonte, daß das Streben "weiter Volkskreise" nach "Kriegerheimstätten", dabei meinte er vor allem jene auf dem Land, müsse in ,jeder Weise" unterstützt werden. 206 Von Seiten der SPD machte deren Abgeordneter Haenisch deutlich, daß seine Partei zwar nicht immer mit den Ideen der Bodenreformer übereinstimmte. Aber was die "Kriegerheimstätten" anbelangte, müßte er "aufs Wärmste" anerkennen, daß Damaschkes Bestrebungen "in höchstem Maße begrüßenswert" seien und "ohne Zweifel die freudigste Unterstützung" der SPD finden würden?07 Doch konnten die "warmen Worte" im Landtag den "Kriegerheimstätten" vorerst auch in Preußen die Tore zu den politischen Entscheidungsebenen nicht weit genug öffnen. Die Ministerialbürokratie machte ab 1917 auf der Grundlage der oben erwähnten Maßnahmen eigene Anstalten, um sich auf das Wohnen nach dem Krieg vorzubereiten. Die Ministerien für öffentliche Arbeiten und für Landwirt205 Ebenda, ohne Bl.-Nr.: Schreiben des Verbandsdirektors des Verbandes Groß-Berlin Steiniger an den preußischen Finanzminister vom 3. Juli 1916. Steiniger betonte in einem Schreiben an das Landwirtschaftsministerium im Juli 1916, daß zahlreiche Ländereien zur Ansiedlung von ca. 250.000 Menschen in Ein- und Zweifamilienhäusern herangezogen werden könnten. Der preußische Staat besäße mit ca. 1.500 ha forst- und domänenfiskalischen Ländereien in und um Berlin soviel Boden, daß jährlich 5 - 10 Tausend Menschen angesiedelt werden könnten. Vgl. ebenda, ohne Bl.-Nr.: Abschrift eines Schreibens Steinigers an den Landwirtschaftsminister vom 3. Juli 1916. Dem Hinweis Steinigers, daß der preußische Staat über zahlreiche geeignete Ländereien in und um Berlin verfüge und diese bereitstellen müßte, entgegnete das Finanzministerium, daß eine Aufschließung nur nach kaufmännischen Gesichtspunkten möglich sei. Ebenda, ohne Bl.-Nr.: Niederschrift einer Besprechung mit Steiniger am 31. Mai 1916. 206 Bodenreform 1917, S. 175. 201 Ebenda, S. 177.

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schaft, Domänen und Forsten führten die behördeninternen Maßnahmen an, die vor allem die Situation in und um die Reichshauptstadt in den Blick nahmen. Aber es war das Innenministerium, daß die weiterführenden Anstrengungen im Wohnungs- und Siedlungswesen vorantrieb. Es schätzte im Januar 1917 zwar ein, daß ein baldiger Abschluß der ministeriellen Erörterungen über den Bau von "Arbeiterund Mittelstandshäusern" nicht zu erwarten sei. Besonders die Bereitstellung von preisgünstigen Bauland durch die Gemeinden bezeichnete das Innenministerium als eine der herausragenden Schwierigkeiten dabei. Aber es kam nicht umhin anzuerkennen, daß eine "flachbaumäßige Ansiedlung eines Teils der minderbemittelten Groß Berliner Bevölkerung für die Erstarkung der deutschen Volkskraft nach dem Krieg ... so wichtig und dringend ist, daß ein außerordentliches, alsbald wirksames Vorgehen am Platze erscheint. " 208

Die Probleme bei der Ansiedlung und die ,,Stärkung deutscher Volkskraft" im Blick machte sich das Landwirtschaftsministerium in der Folge daran, eine Aufstellung von forstfiskalischem Land in und um Berlin den beteiligten Ministerien vorzulegen. Darin wurden Flächen in einem Umfang von insgesamt 516 ha mit einem Verkehrswert zwischen 2 und 10 Mark1m2 aufgeführt. Weitere Flächen im Westen Berlins (Eichkamp, Grunewald und Heerstraße) waren bereits im Vorfeld als "zu hochwertig" für Arbeitersiedlungen angesehen und nicht auf der Liste beriicksichtigt worden. Generell habe man keine Bedenken, die teilweise hochpreisigen Grundstücke auch unter Verkehrswert abzugeben, versicherte das Landwirtschaftsministerium. Doch sollte diese, "für die Förderung der Kleinsiedlung vom Staate geschenkweise" gemachte Zuwendung, bei zukünftigen Verhandlungen in der "Öffentlichkeit" betont werden, vor allem um den Gemeinden die "Opfer des Staates" vor Augen zu führen. Gleichzeitig wurde deutlich gemacht, daß von den Gemeinden gleichwertige Leistungen erwartet würden, denn daß der Staat Kleinsiedlung für Groß-Berlin "allein dotiert", so der Landwirtschaftsminister, "scheint ... nicht eingängig".209 Die Antwort aus dem Finanzministerium im März 1917 fiel zustimmend aus. Nur im Detail hielt man ein paar Änderungen für angebracht. Einige Flächen wurden wegen ihrer schlechten Verkehrsanbindung abgelehnt. Zusätzliche Flächen wurden vorgeschlagen, die das Landwirtschaftsministerium vorher als ungeeignet eingestuft hatte. Vor allem gab das Finanzministerium die Höhe der Bodenpreise zu bedenken und bat, diese auf den Betrag zwischen 1,75 und 5 Mark1m2 zu senken, ohne aber, mit Rücksicht auf die Haus- und Grundbesitzer, deren wirtschaftliche Vertretbarkeit in Frage zu stellen. Denn nur auf einem solchen Niveau könne sichergestellt werden, daß die

2os GstaB, Rep. 151 I C, Nr. 12338, ohne Bl.-Nr.: Abschrift eines Schreibens des Ministers des Innem an den Landwirtschafts- und Finanzminister vom 6. Januar 1917. 209 Ebenda, ohne Bl.-Nr.: Schreiben des Landwirtschaftsministers an den Finanzminister vom 17. Februar 1917.

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"Herstellung von Kleinwohnungen für die minderbemittelte Bevölkerung im Flachbau ohne Seitenflügel und Quergebäude, unter Beigabe von Gartenland und nach Möglichkeit in Einfamilienhäusern (erfolge)". 210 Im März 1917 machte dazu parallel das Ministerium für öffentliche Arbeiten in einem Schreiben an die Ober- und Regierungspräsidenten in Preußen auf die nach dem Krieg erwartete Lage im Wohnungs- und Siedlungswesen aufmerksam. Es bekannte, einen Wohnungsmangel zu befürchten, und betonte in diesem Zusammenhang die Bedürfnisse der zukünftigen "Bevölkerungspolitik". Beide bedingten einander, so das Ministerium, und müßten gemäß der von ihnen erlassenen Leitsätze zur Förderung von Kleinsiedlung und Kleinhausbau in den Städten und Gemeinden des Königreiches Berucksichtigung finden. Eine ruckläufige Bevölkerungsentwicklung gelte es zu verhindern. Um Wohnungsmangel und Bevölkerungsruckgang nach dem Krieg nicht noch deutlicher hervortreten, ja "verhängnisvoll anwachsen" zu lassen, müßten, soweit "behördliche Maßnahmen möglich", "künftig in stärkerem Maße als bisher Teile der städtischen Bevölkerung an der Peripherie oder in der näheren Umgebung der Städte in Kleinhäusern mit Garten- oder Landzulage angesiedelt werden." 211 Die Erfahrungen, die in neueren Siedlungsprojekten gemacht worden waren, hatten ergeben, daß die einfachste Gestaltung der Anliegerstraßen und die Herabsetzung baupolizeilicher Bestimmungen dem Bau von Kleinhäusern förderlich waren. Diese in seinem Aufwand bescheidenen Maßnahmen hätten gezeigt, daß sie "gesunde Kleinhauswohnungen" schafften, die unter Einbeziehung von "Gartenwirtschaft und Kleintierhaltung" nicht teurer als vergleichbare herkömmliche Wohnungen im Mietshaus seien. Nachdem dieser Nachweis erbracht worden war, sei es nun die "Hauptaufgabe aller beteiligten Stellen", vor allem der Gemeindebehörden, zu prufen, "ob und in welchem Umfange mit einem Mangel an Kleinwohnungen nach dem Kriege zu rechnen ist und welche Baugebiete - auch abgesehen von der Wahrscheinlichkeit eines solchen Mangels - im Interesse der allmählichen Verbesserung des Wohnungswesens etwa zur Anlage von Kleinhaussiedlungen in Aussicht zu nehmen sind."212 Innerhalb von drei Monaten erwartete das Ministerium eine vorläufige Stellungnahme von allen preußischen Gemeinden. Im Herbst 1917 trafen die ministeriellen Bestandsaufnahmen aufeinander. Nachdem sich das Landwirtschaftsministerium für die Beibehaltung der Grundstückspreise ausgesprochen hatte, und das Ministerium für öffentliche Arbeiten beklagte, nicht ausreichend in die Vorbereitungen einbezogen worden zu sein, legte das 210 Ebenda, ohne Bl.-Nr.: Entwurf des Schreibens des Finanzministers an den Landwirtschaftsminister vom 28. März 1917. 211 LarchB, Rep. 48 - 05/3, Ace. 54, Gemeindeverwaltung Weißensee, ohne Bl-Nr.: Schreiben des Ministers der öffentlichen Arbeiten an die Herren Oberpräsidenten und den Herrn Regierungspräsidenten in Sigmaringen vom 26. März 1917. 212 Ebenda.

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Landwirtschaftsministerium eine Liste von zur Ansiedlung bereitstehenden staatlichen Ländereien vor.Z 13 Mehrfach wurden Verzeichnisse der zu Siedlungszwecken bestimmten domänen- und forstfiskalischen Flächen vom Landwirtschaftsministerium vorgestellt. Von den ursprunglieh vorgeschlagenen 516 ha im März blieben Ende 1917 noch 15 Flächen mit 481 ha zu einem Rohlandpreis zwischen einer und fünf Mark1m2 und einem Gesamtpreis von 10,6 Millionen Mark übrig. Darin waren, im Gegensatz zur ersten Aufstellung, auch "bessere" Gegenden um Berlin verzeichnet, wie Eichkamp oder Tegel. 214 Im Februar des darauffolgenden Jahres waren es wiederum 16 Flächen mit insgesamt 578 ha zu einem Quadratmeterpreis zwischen einer und fünfMark. 215 Von den zuständigen Ministerien waren Vereinbarungen getroffen worden, nach denen Lage und Preise des für die Erschließung und Durchführung von Siedlungsprojekten vorgesehenen Geländes in Groß-Berlin bestimmt wurden. Diesbezüglich bestünden, so das Resümee der Besprechung über die geplanten Ansiedlungsunternehmungen im Februar 1918, keinerlei Frage mehr. Offen war lediglich, ob von anderer Seite, gemeint waren die Gemeinden, ebenfalls Siedlungsland zur Verfügung gestellt werden würde und wie Siedlungsunternehmungen, an denen der Staat beteiligt sein könnte, aufgebaut sein sollten. Insgesamt war der Bau von 18.740 Wohnungen ftir 97.350 Bewohner in Aussicht genommen worden. Von den 578 ha Land kämen, nach Schätzung der gemeinsamen Besprechung der preußischen Ministerien, 70% als Bauland in Frage (405 ha). Darauf sollten im einzelnen 4.910 Ein-, 4.340 Zwei-, und 750 Drei- sowie 478 Vier- und Mehrfamilienhäuser errichtet werden. Jeder Wohnung sollte durchschnittlich eine Fläche von 200 m2 Boden zur gärtnerischen und landwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Außerdem war der Bau von Schulen, Kirchen und sonstige Gemeinschaftsbauten vorgesehen. Das geplante Siedlungsvolumen deckte nach den ministeriellen Schätzungen etwa des Bedarfs für Groß-Berlin in zehn Jahren nach Kriegsende. Die Baukosten für alle Wohnbauten und Siedlungen waren mit einer Gesamtsumme von 148 Millionen Mark, zuzüglich der Aufschließungs- und Bodenkosten von insgesamt 16 Millionen Mark veranschlagt. 216 213 Die beiden Probleme konnten in den folgenden Monaten behoben werden, indem sich erstens auf die Herabzonung von Grundstücken geeinigt wurde, und zweitens das Ministerium für öffentliche Arbeiten beratend hinzugezogen wurde. Vgl. GstaB, Rep. 151 I C, Nr. 12338, ohne Bl.-Nr.: Referentenvermerk im Finanzministerium am 18. Mai 1917 über eine Besprechung vom 15. Mai 1917 u. a. mit Falkenhausen und Oberbaurat Stübben über die Bereitstellung von Gelände für Siedlungsgesellschaften. Stübben legte u. a. einen Plan zur Errichtung einer Siedlungsgesellschaft Groß-Berlin unter staatlicher Beteiligung vor. Vgl. ebenda. 214 GstaB, Rep. 151 I C, Nr. 12339: BI. 18: Anlage zum Entwurf eines Schreibens des Finanzministers an den Landwirtschaftsminister vom 3. November 1917. 215 Vgl. Ebenda, BI. 115: Übersicht der für Siedlungszwecke in der Umgebung von GroßBerlin zur Verfügung stehenden fiskalischen Ländereien in Anlage eines abschriftlichen Briefes des Landwirtschaftsministeriums an den Verbanddirektor des Verbandes Groß-Berlin durch den Oberpräsidenten in Potsdam unter Kenntnisnahme des Finanzministers vom 23. Februar 1918.

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Trotz der Größe und der zeitlichen Ausdehnung der durch den preußischen Staat vorgeschlagenen und unterstützten Siedlungsprojekte, ließ das Finanzministerium keine Zweifel an der "Besonderheit" dieses Tuns. Die Förderung des Kleinsiedlungswesens könne nicht überwiegend die Aufgabe des Staates sein. Vielmehr sei dies, soweit die private Bautätigkeit die Nachfrage nicht befriedigen könnte, die Aufgabe gemeinnützigen Bauvereinigungen. Deren Förderung, so Staatsminister von Loebell, sei "in erster Linie von den nächstbeteiligten Gemeinden und Gemeindeverbänden" zu erwarten. Der preußische Staat erklärte sich zwar grundsätzlich bereit, sich finanziell an der Gründung solcher gemeinnütziger Siedlungsgesellschaften für Groß-Berlin zu beteiligen. Auch würden für die Siedlungstätigkeit fiskalische Ländereien in günstiger Verkehrslage und zu günstigen Preisen zur Verfügung gestellt, die eine "weiträumige Bebauung mit Kleinwohnungen in der Form des Flachbaues für die minderbemittelten Bevölkerungskreise" ermöglichten. Doch müßten die Gemeinden Entgegenkommen zeigen und sich sowohl finanziell als auch mit Ländereien am Siedlungsprojekt beteiligen.Z 17 Die Maßnahmen des preußischen Staates, 1917 I 18 einem befürchteten Wohnungsmangel nach dem Krieg entgegenzutreten, waren zusammenfassend durch folgende Schritte gekennzeichnet: Die geplante Bereitstellung von staatlichen Ländereien zum Siedlungsbau, eine finanzielle Förderung gemeinnütziger Wohnungsund Siedlungsuntemehmungen, die Ermittlung des Wohnungsbedarfs in den Gemeinden sowie eine späte Gesetzgebungstätigkeit Während die Zurverfügungstellung von Ländereien in ihrem Umfang neuartig war, griff die Unterstützung der Gemeinnützigkeit im Wohnungs- und Siedlungswesen auf Ansätze der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zurück. Seit dieser Zeit hatten Bundesstaaten und Reichsregierung bei der Förderung des Wohnungswesens für die unteren Einkommensklassen ihrer Staatsbediensteten Erfahrungen gesammelt, die nun auf andere Bevölkerungsgruppen ausgedehnt werden konnten und sollten.

21 6 Ebenda, BI. 221-234: Niederschrift über eine Besprechung betr. Ansiedlungsunternehmen in Groß-Berlin am 9. Februar 1918 im Finanzministerium vom 1. März 1918. Im einzelnen waren für Groß-Berlin folgende Gelände in die Planung einbezogen worden: Insgesamt 16 Geländeflächen in Niederbarnim und Teltow, in den Stadtkreisen Spandau und Berlin, deren Größen sich zwischen zwei und 92 ha bewegten. Hauptsächlich sollten Wohnbauten in der Bauklasse F (Erdgeschoß und Obergeschoß) entstehen, ein kleinerer Teil sollte in der Bauklasse C (Erdgeschoß und 2 Obergeschosse) und in der Hochbauklasse erstellt werden. Vgl. ebenda, BI. 222. Die Kosten waren mit einem erwarteten Preisanstieg gegenüber der Zeit vor dem Krieg um 1/ 3 kalkuliert und wurden für die einzelnen Bauklassen wie folgt geschätzt: Für ein Einfamilienhaus 5.500 M, in Falkenberg 6.000 und in Staaken 6.500 M, für ein Zweifamilienhaus 8.700, für ein Drei- 12.000 und ein Sechsfamilienhaus 21.000 M, insgesamt also 111 Millionen M zuzüglich erwarteter erhöhter Kosten von 1/ 3 , zusammen 148 Millionen M. Vgl. ebenda, BI. 233. 217 Ebenda, BI. 78-80: Entwurf eines Schreibens des Finanzministeriums an den Oberpräsidenten in Potsdam und den der Provinz Brandenburg unter Mitzeichnung des Landwirtschaftsministeriums vom 4. Januar 1918, hier BI. 78 f.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Für die Förderung des städtischen Wohnungs- und Siedlungswesen, wie in und um Berlin, war die Gründung von mehreren gemeinnützigen Siedlungsgesellschaften unter staatlicher Beteiligung geplant. Einer der Gesellschafter sollte dabei stets der Königlich Preußische Staat vertreten durch den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg sein.Z 18 Insgesamt war ein Betrag von 20 Millionen Mark vorgesehen, womit sich der preußische Staat über Stammeinlagen an der Gründung von Bauvereinigungen beteiligen und "auf diese Weise das Entstehen kapitalkräftiger gemeinnütziger Bauvereinigungen fördern" wollte. 219 Um die bereitgestellten Siedlungsflächen, die finanzielle Unterstützung und den Wohnungsbedarf in Preußen ins Verhältnis zu setzen, forderten die Minister für öffentliche Arbeiten und des Innem im Oktober 1917 die Regierungsbezirke und Gemeinden auf, ihren Bedarf zu ermitteln, den Ministerien zu melden und parallel dazu, zur Eindämmung des gegenwärtigen Mangels, "Wohnraurnreserven" zu erschließen. Was die Minister als Mobilisierung von bisher nicht genutzten Flächen verstanden, zeigte die Aufforderung, polizeilich gesperrte Dach- und Kellerwohnungen wieder zuzulassen. Darüber hinaus wurden die "Einrichtung kommunaler Wohnungsnachweise mit An- und Abmeldezwang" empfohlen. Die Halbherzigkeit des Engagements legte das Westfälische Wohnungsblatt offen, das aus der abschließenden Notiz des Erlasses zitierte: "Dabei ist jedoch darauf Bedacht zu nehmen, daß die Nachprüfung der gemeindlichen Anordnungen nicht zu einer Belastung der Kommunen mit Berichten und zeitraubenden Zusammenstellungen führt .•mo 218 Vgl. die Satzungsentwürfe für zu gründende gemeinnützige Siedlungsgesellschaften in Groß-Berlin, in: GstaB, Rep. 151 I C, Nr. 12339, BI. 118-137 und 138-149. 219 GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, Bl. 100. Eine weiterführende Maßnahme war die Initiative für ein Bürgschaftssicherungsgesetz, wonach der Höchstbetrag einer möglichen Bürgschaft auf 150 Millionen M festgesetzt werden und zur Förderung sogenannter Stadtschaften führen sollte. Letzte hatten u. a. die Gründung von Pfandbriefanstalten zum Zwekke, die durch Vereinigung von Grundstückseigentümern gebildet und durch staatliche Verleihung rechtsfähig werden konnten, um öffentlich rechtliche Eigenschaften zu erlangen. Diesen Stadtscharten konnten dann staatliche, zinsgünstige Darlehen in Höhe von 10 Millionen Mark für das Wohnungs- und Siedlungswesen zu Verfügung gestellt werden. Vgl. ebenda. Das Berliner Tageblatt meldete am 12. April 1918 die Pläne zur Besiedlung von Groß-Berlin. Danach wollte die preußische Regierung eine oder mehrere große Gesellschaften m.b.H. mit zusammen mindestens 20 Millionen Mark Stammkapital gründen. Sie selbst plante, sich mit fünf Millionen Mark zu beteiligen. Die Gemeinden, die Provinz Brandenburg, die Kreise, das Berliner Pfandbriefamt, Großindustrielle und "andere Private" sollten den Rest aufbringen. Die Regierung erklärte sich bereit, die zweite Hypothek zu übernehmen. Bauherren der Siedlungen sollten in der Regel gemeinnützige Bauunternehmungen sein. Weiter bemerkte das Tageblatt: "Die zehn Millionen, welche das Wohnungsgesetz für Bürgschaftshypotheken ausgeworfen hat, sollen der Preußenkasse überwiesen werden, die dafür im ganzen 150 Millionen zweite Hypotheken verbürgen will. Bei der Unterbringung der Hypotheken rechnet man auf die Landesversicherungsanstalten und die Angestelltenversicherung, ferner die Berufsgenossenschaften, die Krankenkassen, die Gewerkschaften und diejenigen groBindustriellen Unternehmungen, in deren Nähe gebaut werden soll." Berliner Tageblatt vom 12. April 1918.

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Mit der Konstituierung des Beirates für Städtebau und städtisches Wohn- und Siedlungswesen im Oktober 1917, dem Wohnungsgesetz vom März 1918 und der Einsetzung eines Staatskommissars für das Wohnungswesen im Mai 1918 reagierte der preußische Staat schließlich, in dem er rechtliche und organisatorische Rahmen schuf, um den veränderten Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt Rechnung zu tragen. 221 Bemerkenswert war die relative, äußerliche Unempfänglichkeit der preußischen Regierung gegenüber der Propaganda des BDB. Mit den selbständig eingeleiteten wohnungs- und siedlungspolitischen Maßnahmen ließ sie vordergrundig wenig agitatorischen Spielraum für die "Kriegerheimstätten". Die innerministerielle Betriebsamkeit war zum einen Selbst-, zum anderen Außenversicherung, sich mit den zukünftigen Problemen im Wohnungs- und Siedlungswesen auseinanderzusetzen. Ähnlich wie die Reichsregierung vermittelte man den Eindruck, ausreichend für die kommenden Aufgaben gerustet zu sein. Indem Preußen, aber vor allem die Bundesstaaten wie Bayern und Sachsen die Zuständigkeiten im Wohnungs- und Siedlungswesen nicht oder nur bedingt an das Reich abzugeben gedachten, stärkten sie ihre Stellung in diesem Politikfeld. Auch der Reichsleitung lag nichts ferner, als für die Wohnungs- und Siedlungspolitik weitere Zuständigkeiten an sich zu reißen. Beide, Reichsregierung und Bundesstaaten, erkannten zwar die sich verändernde Bedingungen im Siedlungs- und Wohnungswesen an und beteuerten Engagement, hatten aber vordergrundig die Beibehaltung der hergebrachten Ordnung im Sinn. Eine Ausdehnung der Fürsorge im Wohnungs- und Siedlungswesen wurde anerkannt, auch deren Ausdehnung auf andere, nicht als "Staatsdiener" tätige Bevölkerungsschichten. Aber Fürsorge der Fürsorge wegen oder gar eine Verstaatlichung des Wohnungs- und Siedlungswesen waren keineswegs Handlungsgrundsätze, gar Denkmuster in den Ministerien des Reiches und der Bundesstaaten. Erst wenn den private Bauwirtschaft die Wohnungsnachfrage nicht befriedigen würde, sollte ein staatliches Engagement an deren Stelle treten. Für eine "Übergangszeit" gedachten Reich und Bundesstaaten jedoch im letzten Kriegsjahr, korrigierend eingreifen zu müssen.

b) Vom Netzwerk zum Zusammenschluß der Wohnungsreformbestrebungen - Die deutsche Wohnungs- und Siedlungsreform

Die Auswirkungen des Krieges auf die Wohnungsfrage, die Wohnungsgesetzgebungstätigkeit des preußischen Staates und die "Kriegerheimstätten" vornehmlich 22o Westfälisches Wohnungsblatt 1917, S. 220 f. Vgl. LarchB, Rep. 48-05/3, Ace. 54: Gemeindeverwaltung Weißensee, ohne BI.-Nr.: Schreiben der Minister für öffentliche Arbeiten und des Innem vom 6. Oktober 1917 an sämtliche Regierungspräsidenten. Vgl. auch Kapitel III.l.b ). 221 Siehe Kapitel III.l.a) bis l.c).

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II. Diskurs und Politik im Krieg

als "Kriegsinvalidenheimstätten" bestimmten die Debatten der deutschen Wohnungs- und Siedlungsreform im Krieg. 222 Anknüpfend an die Agitationsarbeit der Vorkriegszeit, waren die allgemeine Wohnungsfürsorge, die hygienische Verbesserung des großstädtischen Wohnungswesens und der gemeinnützige Organisation der Wohnungswirtschaft wichtige Themen in Zeitschriften wie Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, Westfälischem Wohnungsblatt und der Zeitschrift für Wohnungswesen und in den sie herausgebenden Vereinigungen und Organisationen.223 Dabei fand sich die Wohnungsreform ab dem Herbst 1914 zwischen traditioneller Programmatik und Agitation und den neuen Herausforderungen bzw. geänderten Bedingungen durch den Krieg wieder. Was in den folgenden vier Jahren unter dem Titel "Der Krieg und die Wohnungsfrage" in diversen Zeitschriften, Büchern und Pamphleten der Wohnungs- und Siedlungsreform diskutiert wurde, war einerseits, wie eingangs des Kapitel gezeigt, eine "Unterbrechung der Friedensarbeit". Andererseits erkannte man aber die befördernde Wirkung des "Völkerringens" für die Wohnungsreform in Deutschland, der im Krieg im Rahmen von "Wehr- und Volkskraft" zwar keine neue, aber eine belebte und herausgehobene Bedeutung zukam.

aa) Der Krieg und die Wohnungsfrage

Der Kölner Professor für Sozialpolitik Schmittmann beschrieb 1917 die Wirkungen, die der Krieg auf das deutsche Wohnungswesen haben werde, mit dem Heraufziehen des "vielgefürchteten Gespenstes einer direkten Wohnungsnot". Wie in den Beiträgen der Bodenreformer bemühte auch er die "historische Erfahrung", um den Gehalt seiner Aussagen zu erhöhen. Die unmittelbar bevorstehende Wohnungsnot, so Schmittmann, schleiche "ebenso verstohlen heran, wie 1815/16. . . , ebenso wie 1866 und ebenso wie 1872/73. Es wird wie damals unerbittlich ganze Scharen unserer Bevölkerung auf die Strassen setzen. Man braucht den Augenblick der Katastrophe nicht erst abzuwarten, um den Tatbestand feststellen zu können. Die abschüssigen Wege sind uns klar vorgezeichnet." 224

222 Vom BDB wurde die Beschränkung der "Kriegerheimstätten" ausschließlich für Kriegsinvalide nachhaltig abgelehnt. Damaschke: "Wir wollen nicht bloß den Kranken, den Invaliden, helfen, sondern wir wollen in organischer Weise jedem heimkehrenden Krieger die Wege erleichtern, auf dem von ihm verteidigten Boden ein unverlierbares Heim zu gewinnen." Zitiert nach: Bodenreform 1917, S. 366. 223 Ständige Mitarbeiter bzw. Autoren der Zeitschrift für Wohnungswesen waren u. a. der Karlsruher Oberbaurat Baumeister, der Oberbürgermeister von Frankfurt am Main Adickes, der Tübinger Professor der Volkswirtschaftslehre Fuchs, der Berliner Baurat Goecke sowie der Generalsekretär des Deutschen Vereins für Wohnungsreform von Mangoldt und der spätere Berater für das Wohnungs- und Siedlungswesen im preußischen Finanzministerium Oberbaurat Stübben. 224 Schmittmann, B., Reichswohnungsversicherung, Stuttgart 1917, S. 19.

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Um diesem "abschüssigen Weg", der für viele Wohnungs- und Siedlungsreformer seinen Ursprung nicht ausschließlich in den besonderen Herausforderungen eines Krieges und der Zeit danach hatte, einen anderen, positiveren Verlauf zu geben, ging man vorerst zur Verteidigung bereits errungener, wenn auch bescheidener wohnungsreformerischer Erfolge über. Gleichzeitig spiegelten sich auch die veränderten Herausforderungen der Kriegszeit in ihrer Tätigkeit wider. Das Westfälische Wohnungsblatt, Organ des westfälischen Vereins zur Förderung des Kleinwohnungsweseng und des Verbandes westfälischer Baugenossenschaften, riickte im Herbst 1914 die "Kriegs-Wohnungsfürsorge" allgemein und in westfälischen Städten im besonderen ins Zentrum ihrer Berichterstattung. Die "Zuriickgebliebenen", hätten, wenn "die Besten des Volkes ins Feld gezogen", ihre nicht weniger wichtigen "vaterländischen Pflichten" zu erfüllen. Wie in der Septemberausgabe der Zeitschrift für Wohnungswesen 1914, wurden die Mitglieder des Vereins daran erinnert, daß das in langwieriger "Friedensarbeit Errungene" durch den Krieg nicht zerstört werden dürfe. 225 Als Zeichen der Verbindung von weiterführender Arbeit und neuen Herausforderungen formulierte der Verein ein Rundschreiben an alle westfälischen Städte und Gemeindeverbände mit über 10.000 Einwohnern, das die "Kriegsfürsorge für minderbemittelte Mieter und Hausbesitzer" zum Gegenstand hatte. Beispielhaft betonte das Rundschreiben, daß das Ziel des Vereins, die "Befriedung der Wohnungsbedürfnisse der minderbemittelten Bevölkerung", im Krieg einer "erhöhten Aufmerksamkeit" bedürfe. Die "planmäßige Kriegsfürsorge" sollte durch den Aufbau einer Vermittlungs- und Koordinierungsstelle, sogenannte Kriegswohnungsausschüsse, erweitert werden, eine Forderung, die mit den Miet- und Hypothekeneinigungsämter durchgesetzt werden könnte. Dem Wort "Befriedung" kam dabei die doppelte Bedeutung von Bedürfnisbefriedigung im Wohnen einerseits, und von "Stillegung" innerer, das System möglicherweise gefährdender Bedingungen andererseits, zu?26 Auch die Leser der Zeitschrift Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, dem Organ der preußischen Staatsregierung nahestehenden Gesellschaft für Soziale Reform, wurden im Oktober 1914 über die Rolle des Krieges als "Lehrmeister" für die kommende "Friedensarbeit" Wohnungsreform aufgeklärt. Der Darmstädter Wohnungsinspektor Gretzschel betonte, in Übereinstimmung mit zahlreichen deutschen Wohnungsreformem, daß die "Verbesserung der Wohnungsverhältnisse" zum einen nur in "Friedenszeiten" durchgeführt werden könne. Zum anderen, und darin bestehe der Dualismus in der Wohnungsreform generell, diente die soziale Besserung im Wohnungswesen "in besonders herausragender Weise dem inneren Frieden". Obwohl die Beseitigung der Mängel im Wohnen bereits seit Westfälisches Wohnungsblatt 1914, S. 225. Ebenda, S. 226 - 230. Man machte u. a. darauf aufmerksam, daß die eingeforderten Maßnahmen nach Einsetzung eines Kriegswohnungsausschusses nicht nötig wären, wenn "die im preußischen Wohnungsgesetz in Aussicht genommenen Wohnungsämter" bereits bestehen würden. Diese wären dann ja dazu berufen, diese Aufgaben wahrzunehmen. 225

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II. Diskurs und Politik im Krieg

geraumer Zeit in Angriff genommen worden sei, werde nach dem Krieg "eine Reihe bedeutender Aufgaben" stehen. Der Krieg habe nämlich gezeigt, so Gretzschel kämpferisch und mit Blick auf die zu schlagenden militärischen Schlachten weiter, daß "nur in guten Wohnungen ... ein geistig und körperlich gesundes Geschlecht heranwachsen (kann), und daß gerade wir Deutschen ein solches ganz besonders nötig haben."227

Der Notwendigkeit der Herstellung eines "gesunden Volkes" zur Kriegführung durch ein "gesundes Wohnen", sei nicht nur eine zukünftig Herausforderung, sondern auch aktuelle Realität, wie Gretzschel weiter ausführte. "Stark und kräftig" seien die Deutschen in diesen ersten Kriegsmonaten, und nicht ohne Betonung der eigenen, wohnungsreformerischen Verdienste, kam jetzt die "Liebe zu unserem schönen deutschen Vaterlande" besonders zum Tragen. Die "glühende Heimatliebe", die im Krieg zum Durchbruch gelangt sei, bedeutete eine besondere "Genugtuung" für alle "Kathedersozialisten". Sie hätten, so Gretzschel unter Anspielung auf den vom Kaiser verkündeten "Burgfrieden", immer schon "nur Menschen, Mitbürger, Deutsche" gesehen und in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Diese, alle Deutschen umtreibende Heimatliebe, im Krieg stärker denn je hervorgetreten, werde die "Wurzeln um so tiefer schlagen", je mehr der "Einzelne mit dem vaterländischen Boden verwachsen" sei. Die Förderung der "Seßhaftigkeit" sei damit die wichtigste zukünftig Etappe bei der Lösung der Wohnungsfrage. 228 Wie die Bodenreformer, zogen die Vereinigungen der Wohnungs- und Siedlungsreform ihre Legitimierung und Argumentationsmuster im Krieg aus dem Krieg, den zu führen, alle Deutschen angetreten waren. Die "Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft" wurde gerade im Krieg in einer Weise beschworen, daß durchgreifende Reformen im Wohnungs- und Siedlungswesen als wichtige Grundlagen einer rassisch begründeten Deutschenvermehrung angesehen wurden. Die Zeitschriftfür Wohnungswesen berichtete im November 1915 über eine "vielhundertköpfige Versammlung", bei der neben der "Volkskraftvermehrung" durch richtige Säuglings- und Kinderaufzucht auch Fragen der Erziehung und Ernährung, des "Schutzes der Volksgesundheit", der "Rassenhygiene" und eben des Wohnungs- und Siedlungswesens behandelt wurden. 229 Der Berliner Wohnungsreformer H. Albrecht, Leiter der Zentralstelle für Volkswohlfahrt und Herausgeber der eben genannten Zeitschrift, stellte dort den Zusammenhang von jahrzehntelangem Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 24. Jg., 1914/15, Nr. 4, Sp. 93 f. Ebenda, Sp. 94. Gretzschel forderte, daß Arbeiter zukünftig um die Industriezentren herum angesiedelt werden sollten. Zusätzlich könne, vor dem Hintergrund der Seßhaftmachung, ein Stück "Eigentum" auf dem Land erworben werden. Auch innerhalb von Städten sollten "kleine Häuser zum Erwerb" oder zumindest, wo das ökonomisch nicht möglich sei, "Häuser mit zwei Wohnungen" errichtet werden. Die Begründung dafür fiel knapp und unmißverständlich aus: "Ein Vergleich zwischen einem Arbeiter mit Kleinbesitz und einem solchen, der in einer städtischen Mietwohnung wohnen muß, ist gar nicht möglich: denn alle Vorteile liegen auf der einen, alle Nachteile auf der anderen Seite." 229 Zeitschrift für Wohnungswesen, 14. Jahrgang, 1915/16, S. 29-33 227 228

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Wirken und aktuellen, kriegs- und nachkriegsbedingten Anforderungen im städtischen Wohnungs- und Siedlungswesen dar. Ausgehend vom Wandel der Städte im Zeitalter der Urbanisierung sowie der Bevölkerungszunahme und -Verschiebung vom Land in die Städte kennzeichnete er, mit zeitgenössisch nachdrucksvollem Blick auf die Verhältnisse in Berlin, das Wohnen dort als die "Zusammendrängung breitester Massen der Bevölkerung in überfüllten kleinen und kleinsten Wohnungen auf eng bebauten Boden". 230 Welche Bedeutung dabei dem "Bevölkerungsproblem" zukam, lag für Albrecht auf der Hand. Er machte sich seine Beweisführung jedoch nicht einfach. Der Umweg zum Ziel, eine durchgreifende, auf die Schaffung von licht- und luftdurchfluteten Wohnungen gerichtete Wohnungsreform, führte Albrecht über die Stationen "Gesundheit und Lebenskraft" sowie, im Krieg scheinbar besonders einleuchtend, über die "Wehrtauglichkeit". Erste würden nicht allein durch die schlechten Wohnbedingungen, sondern auch durch den individuellen, von "Unterernährung, ungesunder Beschäftigung, Alkoholismus, Vererbung, mangelhafter Bewegung im Freien usw." geprägten Lebensstil negativ beeinflußt. Auch der Umstand, daß Berlin mit 27% "Tauglichen" hinter Elsaß-Lothringen und Ostpreußen mit 66 bzw. 59% zurückläge, weise nicht auf einen direkten Zusammenhang von Wohnverhältnissen und Militärtauglichkeit hin. Wie bekannt und von militärischer Seite wiederholt bestätigt, so Albrecht weiter, seien diese Zahlen von "dem Bedarf an Mannschaften abhängig". Doch ganz ohne kriegerische Pathos kam auch Albrecht nicht aus, um seinen Argumenten die richtige Durchschlagskraft zu verleihen. Seit Jahrzehnten seien zwar all die "schädigenden Ursachen" für Gesundheit und "Lebenskraft" bekannt, aber die Wohnungsfrage sei "noch nie so unmittelbar in den Vordergrund gerückt ... wie heute, wo sich die Bedeutung eines zahlreichen, Iebens- und wehrkräftigen Nachwuchses als eine Existenzfrage für das deutsche Volk geradezu aufdrängt."231

Schlußfolgernd blieben deshalb nur zwei Entwicklungen, die eine umfassende Reform im deutschen Wohnungs- und Siedlungswesen durchzusetzen in der Lage seien. Erstens müsse der "inneren Kolonisation" durch die Rückwanderung aufs Land zum Erfolg verholfen werden. Die Beseitigung der "gesundheitlichen Minderwertigkeit" der bestehenden mehretagigen Mietshäuser sei zweitens voranzu230 Zeitschrift für Wohnungswesen, 14. Jahrgang, 1915/16, S. 30. Albrechts Rede erschien auch als Sonderdruck. Vgl. Albrecht, H., Städtisches Wohnungs- und Siedlungswesen, hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt zur Konferenz "Die Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft", Berlin 1915. 231 Zeitschrift für Wohnungswesen, 14. Jahrgang, 1915/16, S. 31. Daß hinter den Rekrutenzahlen eine, von den Bedingungen des Wohnungs- und Siedlungswesens eher losgelöste "Rekrutierungspolitik" stand, zeigen die Zahlen, die Wehler für die allgemeine Wehrpflicht 1911 zusarnrnenstellte. Danach kamen 64,1% der Rekruten vom Land, 22,3% aus Kleinstädten und nur 7% aus Mittel-, 6% aus Großstädten. Wehlers Schluß: Ausnutzung ,jahrhundertelang verinnerlichte(r) Untertanenmentalität der Landbevölkerung", um die Rekrutenzahlen aus den ",roten' Städten" niedrig zu halten. Wehler, Hans-Ulrich, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1988, S. 162.

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treiben. Gemeinnützige Baubetriebe und -Vereinigungen hätten, "ergänzend" zur privaten Bautätigkeit, dabei bereits gute Arbeit geleistet. Beide Maßnahmen sollten schließlich ihr Ziel in der vollständigen "Dezentralisierung der städtischen Siedlungsweise" finden. Bis es jedoch so weit sei, betonte Albrecht vorsichtig mit Blick auf die zehn Jahre andauernden Anstrengungen zur Schaffung eines preußischen Wohnungsgesetzes, müßten noch eine ganze Reihe von Gesetzesänderungen bzw. -erlassen vorgenommen werden. Nichtsdestotrotz war Albrecht zuversichtlich: "Die augenblicklichen Zeitumstände, die engen Beziehungen, in denen alle diese Fragen zur Erhaltung der Wehrkraft des deutschen Volkes stehen, lassen der Hoffnung Raum geben, daß ein energisches Vorgehen der zuständigen Stellen heute weniger Widerständen begegnen werde als vorher. " 232

Die Wohnungs- und Siedlungsreform begleitete die Entstehung und Arbeit der Miet- und Hypothekeneinigungsämter und das Funktionieren des Mietunterstützungssystems genauso wie die bestandssichernden Maßnahmen im Wohnungswesen durch die stellvertretenden Generalkommandos in den einzelnen Armeekorpsbezirken. Ab der zweiten Hälfte des Jahres 1916 bestimmte der sich abzeichnende und auswachsende Wohnungsmangel, mit besonderem Blick auf die Nachkriegszeit, die Debatten. Die Wohnungsfrage wurde, in Anknüpfung an jahrelange Sinnstiftungstätigkeit, als eines der am dringendsten zu lösenden Problem nach dem Krieg gedeutet. Der kontinuierliche Rückgang der Wohnungsproduktion als ein bekanntes Phänomen der Vorkriegszeit und der zu erwartende Anstieg der Haushaltsgründungen der im Krieg geschlossenen Ehen waren Gradmesser künftiger Anforderungen an den Wohnungsbau, wie die Zeitschrift für Wohnungswesen 1916 schrieb. Beide Erscheinungen und ihre Meßbarkeit in vielen Teilen Deutschlands kündeten einen Nachkriegswohnungsmangel, ja eine Wohnungsnot nicht gekannten Ausmaßes an, dem aus den oben genannten Gründen entgegen gewirkt werden müsse. Um mit dem Wohnungsbau unmittelbar beginnen, um die "Gesundung" des Wohnungswesens ohne Mietskasernen und in Kleinhäusern gewährleisten zu können, bedürfe es vor allem der Überwindung von verwaltungstechnischen Hindernissen und der Inangriffnahme einer "zielbewußten großzügigen Wohnungsgesetzgebung". Als zur Erhaltung der Wehrkraft "lebenswichtig", wurde die Mahnung wiederholt, "dem Wohnungswesen des deutschen Volkes diejenige Förderung endlich zu Teil (werden zu lassen), die ihm als dem Grundpfeiler deutschen Familienlebens und deutscher Volkskraft vor allen anderen gebührt." 233

Ähnlich argumentierte der Deutsche Verein für Wohnungsreform in seinen Leitsätzen, die im ersten Teil als "eilige Maßnahmen zum Durchhalten des Krieges und zur Überleitung der Kriegs- in die Friedenswirtschaft" im Juli 1916 deklariert wurden. Das Westfälische Wohnungsblatt dokumentierte den Maßnahmenkatalog, 232 233

Zeitschrift für Wohnungswesen, 14. Jahrgang, 1915/16, S. 33. Ebenda, 15. Jahrgang, 1916/17, S. 69 - 72, hier S. 72.

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der im wesentlichen folgende Punkte umfaßte: Um den Krieg "glücklich durchzuhalten", wurde erstens die schnelle Überleitung der Reichstagsresolutionen vom Frühjahr 1916 in gesetzliche Rahmen verlangt. Zweitens wurde die Verpflichtung des Reiches betont, den Gemeinden bei der finanziellen Belastung durch Mietrückstände von Kriegsteilnehmern weitreichende Unterstützung zu gewähren. Drittens wurden ein stärkerer Hypothekenschutz, der Ausbau der Miet- und Hypothekeneinigungsämter und reichseinheitliche Mieterschutzbestimmungen gefordert. Als Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Nachkriegszeit und zur Verhinderung einer Wohnungsnot bekräftigte man viertens im zweiten Teil der Leitsätze Forderungen nach einer umfassenden Förderung des Wohnungsbaus. Dafür bereits während des Kriegs einzuleitende Schritte seien u. a. eine statistische Erfassung des Leerwohnungsstandes, der "Bedürfnisprüfung", ob und wo Wohnungsbau nötig werde, kommunale Wohnungsnachweise und eine "gemeinnützige Bautätigkeit". Fünftens sollten finanzielle Mittel in ausreichender Höhe von den Bundesstaaten und vom Reich zur Verfügung gestellt werden, um "bereits jetzt und alsbald nach Waffenstillstand" den Wohnungsbau anzustoßen. Neben Maßnahmen zur Teilung größerer Wohnungen in kleinere Einheiten standen sechstens besonders Vorbereitungen zur Erleichterung des Kleinhausbaus und vorherige Landbeschaffung im Interesse des Deutschen Vereins für Wohnungsreform. Eine "[e]nergische Propaganda für möglichste Ausbreitung des kleinen Eigenheims nebst Garten" und die Bevorzugung desselben bildete siebtens neben der besonderen Förderung kinderreicher Familien sowie Kriegsbeschädigter und -hinterbliebener den Abschluß des Forderungskataloges.234 Im November 1916 trat auch die Gesellschaft für Soziale Reform mit einer Maßnahmeliste an die Öffentlichkeit, die Vorschläge enthielten, nach denen die Wohnungsfrage nach dem Krieg gelöst werden sollte. Diese Zusammenstellung floß im Oktober 1917 in ihren "sozialpolitischen Arbeitsplan" ein, der konkrete Empfehlungen für die Politik der Nachkriegszeit enthielt. Wieder wurde das Wohnungswesen in Berlin als "anschauliches" Problemfeld angeführt. Die Eingabe der Berliner Sektion der Gesellschaft, gerichtet an die Stadtgemeinden von Groß-Berlin, machte einleitend den Hintergrund der Forderungen der Gesellschaft für Soziale Reform deutlich. Der zu erwartende Mangel, besonders an kleinen Wohnungen auf Grund einer unzureichenden Bautätigkeit vor und im Krieg, berge die Gefahr einer "brennenden" Wohnungsnot in sich. "Nichts", so die Gesellschaft in redundant trommelnder Art, "würde nach den gewaltigen Opfern, die unser Volk während des Krieges hat bringen müssen, aufreizender und erbitternder wirken, als wenn die heimkehrenden Krieger, die Kriegsbeschädigten, die Kriegswitwen, sowie alle, die wirtschaftlich am schwersten unter dem Kriege gelitten haben, keine oder nur unzulängliche und verhältnismäßig teure Wohnungen fanden.'m 5

234 Westfalisches Wohnungsblatt 1916, S. 199 f. Vgl. auch Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 25. Jg., 1915/16, Nr. 45, Sp. 993 f.

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Ein Sofortprogramm, sogenannte "Notstandsmaßnamen", wurden dabei von perspektivisch ausgerichteten "Dauermaßnahmen" unterschieden. Zu ersten zählte der unverzügliche "Ankauf sämtlicher Baracken", welche vom Militär in den Städten und Gemeindeverbänden nicht mehr benötigt würden. Diese sollten für "unbemittelte Familien" eingerichtet und zur Miete abgegeben werden. Allerdings war diese "Notstandsmaßnahme" nur solange durchzuführen, bis der private und gemeinnützige Wohnungsbau "genügend andere Wohnungen" erstellen würde. In einem zweiten Schritt sollten diejenigen Hausbesitzer öffentliche finanzielle Unterstützung erhalten, die sich bereit erklärten, bisher nicht genutzte große Wohnungen bzw. leerstehende Gewerberäume in mittlere und kleine Wohnungen umzuwandeln. Mit den geforderten "Dauermaßnahmen" knüpfte die Gesellschaft für Soziale Reform an traditionelle Forderungen an, die sowohl die gemeindliche Bodenpolitik, die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus als auch die Schaffung zentraler und lokaler Wohnungsämter mit den Arbeitsgebieten Wohnungsstatistik ,aufsieht und -nachweis zum Gegenstand hatte. 236

bb) Der Deutsche Wohnungsausschuß

Nicht zuletzt, um ihrer informell sozialreformerischen Einflußnahme237 auf die Regierungen in Reich und Bundesstaaten mehr Gehalt zu verleihen, gründete sich auf Initiative des Deutschen Vereins für Wohnungsreform im November 1916 in Berlin der Deutsche Wohnungsausschuß. Als lockere Dachorganisation konstituiert, stellte er eine Vereinigung von Institutionen und Personen dar, die weitläufig an der Lösung der Wohnungsfrage interessiert waren. Die "Grundlinien" der neuen Vereinigung sahen vor, "ein großes zusammenhängendes Reformwerk aller in der Wohnungsfrage zuständigen Faktoren" auf den Weg zu bringen. Der Wohnungsausschuß verstand sich als Medium, das staatliche, kommunale und Gemeindestellen mit gemeinnützigen, genossenschaftlichen und privater Wohnungs- und Siedlungstätigkeit zusammenzubringen wollte. 238 235 Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 26. Jg., 1916/17, Nr. 7, Sp. 126. Vgl. auch Ratz, Ursula, Zwischen Arbeitsgemeinschaft und Koalition. Bürgerliche Sozialreformer und Gewerkschaften im Ersten Weltkrieg, München u. a. 1994, S. 493-498. 236 Vgl. Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 26. Jg., 1916/17, Nr. 7, Sp. 126. 237 Vgl. Ratz, Zwischen Arbeitsgemeinschaft, besonders S. 240 f. Albrecht traf sich bspw. im November 1917 als Leiter des Unterausschusses für Wohnungsfragen, der sich mit Problemen der Nachkriegsübergangswirtschaft beschäftigenden Berliner Kriegswirtschaftlichen Vereinigung, mit dem Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes. Albrecht forderte die Behörde auf, eine einheitliche Wohnungszählung zur Ermittlung des Wohnungsbedarfs im Reich zu veranlassen. In einem dem Treffen folgenden Schreiben skizzierten er die bisherigen, regionalen Maßnahmen und kennzeichnete diese als "planlose(s) Nebeneinanderarbeiten" (BI. 4). BarchB, R 3901 I 11248, BI. 1-7: Brief Albrechts an den Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes am 14. November 1917. 238 Beschlüsse der Gründungsversammlung vom 19. November 1916, in: Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Vorwärts in der Wohnungsfrage, Schriften Heft 1, Berlin 1917, An-

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Zum einen wurde angestrebt, durch einen lockeren Verband eine starke Lobby für die Wohnungs- und Siedlungsreform zu bilden. Zum anderen sollte ein spezieller Wohnungsausschuß das Zusammenwirken aller zuständigen Stellen im Reich, den Bundesstaaten, Städten und Gemeindeverbänden fördern. Der Ausschuß verstand sich darüber hinaus als ein Zusammenschluß zahlreicher bereits engagierter städtischer, Landes- und Reichsbeamter zur Durchsetzung von Gesetzen zur Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform. Nicht zuletzt sollte dadurch der Grundstein zur Schaffung einer zentralen Reichsstelle gelegt werden, die sich mit den Fragen des Wohnungs- und Siedlungswesen befassen sollte. Der illustere Kreis der Anwesenden auf der Gründungsveranstaltung setzte sich aus Vertretern des bereits genannten Deutschen Vereins für Wohnungsreform, der Zentralstelle für Volkswohlfahrt, der Gesellschaft für Soziale Reform, des Vereins für Sozialpolitik, der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, des Hauptverbandes Deutscher Ortskrankenkassen und des Deutschen Städtetages sowie von zahlreichen Landesversicherungsanstalten und Baugenossenschaften, Kirchen-, Beamten-, Gewerbe-, Lehrer-, Frauen- und Mietervereinen zusammen. Die Mitgliederliste verzeichnete Anfang 1917 insgesamt 79 Organisationen aus ganz Deutschland. Zum erster Vorsitzenden wurde der Darmstädter Geheime Rat Dietz, Vorsitzender des Deutschen Vereins für Wohnungsreform, gewählt; H. Albrecht, Zentralstelle für Volkswohlfahrt, und C. J. Fuchs, Deutscher Verein für Wohnungsreform, als dessen Stellvertreter berufen. Erster Geschäftsführer wurde K. von Mangoldt, Generalsekretär des Deutschen Vereins für Wohnungsreform. 239 Das erste Heft der Schriften des Deutschen Wohnungsausschusses trug den euphorischen und an eine kriegerisch zeitgemäße Motivationsparole erinnernden Titel Vorwärts in der Wohnungsfragel In ihm wurden neben den Gründungsdokumenten und dem Verzeichnis der Mitglieder zwei als programmatisch zu bezeichnende Schriften von Fuchs und Mangoldt abgedruckt. Diese waren die überarbeiteten Versionen der Vorträge, welche beide auf der Gründungsversammlung gehalten hatten. Die Beiträge spiegelten traditionelle Forderungen und Reformvorschläge wider, betonten darüber hinaus aber die neue Qualität, die der Krieg für die Lösung der Wohnungsfrage bedeutete. Fuchs' Krieg und Wohnungsfrage vereinte in knapper Formall jene Gedanken und Forderungen, die Wohnungs- und Siedlungs-, aber auch Bodenreformer im Iage 2, S. 32. Seit dem Sommer 1916 wurde für die Gründung des Wohnungsausschusses von Seiten des damals noch in Frankfurt a. M. ansässigen Deutschen Vereins für Wohnungsreform gearbeitet. Vgl. Preller, S. 69; Kuhn, S. 36. 239 Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Vorwärts in der Wohnungsfrage, Schriften Heft I, Berlin 1917, S. 25-31 (Anwesenheitsliste), S. 34 f. (Geschäftsführender Ausschuß), S. 26-38 (Mitgliederliste). Die Zentralstelle für Volkswohlfahrt gehörte, trotz Albrechts Engagement, nicht zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Wohnungsausschusses. Albrecht trat in seiner Funktion als Vertreter des Verbandes der auf der Grundlage gemeinschaftlichen Eigentums stehenden deutschen Baugenossenschaften dem Wohnungsausschuß bei. Vgl. auch Kuhn, S. 37 f.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Krieg umtrieben. Einem Abriß bisheriger Wohnungsreform, die, so Fuchs zwar mangelhaft, aber auf den Weg gebracht und durch den Ausbruch des Kriegs unterbrochen wurde, folgte eine Zusammenstellung all dessen, was der Krieg der Reform und Politik "vor Augen geführt" hätte. Wieder wurde die "historische Erfahrung 1870/71" bemüht, um deutlich zu machen, daß eine Wohnungsnot drohe, wenn nicht umgehend gegengesteuert würde. Um die zukünftige Wohnungsnot (Mangel an Kleinwohnungen und hohe, unerschwingliche Mieten) zu verhindern, sei der organisatorische Zusammenschluß der Wohnungs- und Siedlungsreformbewegungen die "Pflicht" aller, denen die "Zukunft unseres Volkes und eine ruhige soziale Entwicklung am Herzen liegt". 240 Alle Vereine und Organisationen, Fuchs benennt mit dem Deutschen Verein für Wohnungsreform, der Gartenstadtgesellschaft und dem BDB drei, müßten gemeinsam gegen diejenigen Strukturen vorgehen, wegen derer die Wohnungsreform vor dem Krieg "so langsam vorwärtskam". Den Hauptgrund dafür sah Fuchs in der Haltung der Reichsregierung, die sich in Sachen Wohnungspolitik als nicht bzw. nur bedingt zuständig erklärt hätte. Begleitet würde diese "Schwäche" einer durchgreifenden Wohnungspolitik durch die "Zersplitterung der Wohnungsfrage" in den einzelnen Bundesstaaten. In Preußen, so Fuchs, seien die Zuständigkeiten auf fünf Ministerien verteilt. Zudem stünden die Interessen des Terrainbesitzes und der Bodenspekulation, namentlich der Schutzverband für deutschen Grundbesitz, einer umfassenden Wohnungs- und Siedlungsreform entgegen. 241 Mit dem Zusammenschluß zum Deutschen Wohnungsausschuß, mit dem Aufbau einer gemeinsamen Organisation, einem "Generalstab", wie Fuchs meinte, könnten sowohl alle Kräfte der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform gebündelt, als auch ein "Gegengewicht" zum Schutzverband aufgebaut werden. Wie es sich für einen disziplinierten Feldzug von Reformern im Krieg gehörte, galt dabei für Fuchs: "Getrennt marschieren, vereint schlagen". Am Ende dieses "Kampfes" müßten Ergebnisse stehen, die der Krieg und das in seinen "Schicksalsstunden" erlebte, allen Deutschen gezeigt haben: Raus aus den "Mietskasernen" und "Dezentralisation" als Maxime zukünftigen Wohnensund Siedelns?42 Mangoldts Artikel Wohnungsrefonn durch das Reich verwies mit Bestimmtheit auf diejenige Institution, welche die Reformer in einer umfassenden Verantwortung für die Lösung der Wohnungsfrage sehen wollten, das Reich. Weniger pathetisch, dafür den organisatorischen und finanziellen Umfang gegenwärtiger und die kommenden Anforderungen im Wohnungswesens beschreibend, formulierte Mangoldt seine Vorstellungen vom Engagement des Reiches in der Wohnungsfrage. Ein "wohlüberlegtes Gesamtwerk" sei, bei allem, was in den einzelnen Bundesstaaten vorgelegt und weitergeführt würde, nur durch reichseinheitliche Regelun240 Fuchs, Carl Johannes, Krieg und Wohnungsfrage, in: Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Vorwärts in der Wohnungsfrage, S. 3. 241 Ebenda, S. 3 f. 242 Ebenda, S. 5 und 9.

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gen möglich. Die Aufgaben des Reiches erstreckten sich dabei von der notwendigen Ausgestaltung und Stärkung der Miet- und Hypothekeneinigungsämter, über Vorkehrungen zur Bereitstellung von 500 Millionen Mark für Wohnungsbauzwekke bis hin zur Vereinheitlichung von Wohnungsaufsicht und Baubestimmungen sowie die Förderung der Gründung von gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften und der Einführung einer Reichswohnungsversicherung. "Das Mindeste, was geschehen müßte", so Mangoldt, wäre der Aufbau einer "Zentralstelle" im Reichsinnenrninisterium, die mit sämtlichen Aufgaben der Wohnungs-fürsorge betraut werden sollte. Auch wenn er abschließend eingestand, daß in der Kriegszeit diese Forderungen den Interessen der Kriegführung untergeordnet zu sein hätten, sei nur unter der Regie des Reiches eine positive "allgemeine Stimmung" für eine umfassende Wohnungs- und Siedlungsreform vorzubereiten. 243 Damit sprach von Mangoldt aus, was im Interesse der Wohnungs- und Siedlungsreform letztlich Erfolg verheißen sollte. Indem man die Unterstützung des Zentralstaates für die eigene Bewegung der Wohnungs- und Siedlungsreform gewinnen wollte, sollte gleichzeitig die Verpflichtung des Reiches eingeholt werden, um dessen Führerschaft und endlich die Durchsetzung einer umfassenden Wohnungs- und Siedlungsreform festzuschreiben. "Von der Reform zur Politik" war der Jahrzehnte alte Anspruch der Wohnungs- und Siedlungsreform, den man mit der Gründung des Deutschen Wohnungsausschusses im Krieg unterstrichen haben wollte.244 Das agitatorische Wirken des Deutschen Wohnungsausschusses dokumentierte sich vorrangig in der Veröffentlichung weiterer Schriften zur Wohnungsfrage nach dem Krieg. Als zweite Schrift erschien im Sommer 1917 eine Studie des Direktors des Statistischen Amtes Berlin-Schönebergs Robert R. Kuczynskis. Wohnungsnot bei Friedensschluß? unterlegte die Forderungen der Wohnungs- und Siedlungsreform mit Zahlen über die Entwicklung auf dem deutschen Wohnungsmarkt vor und im Krieg. Nach der Auswertung der Erhebungen über den Wohnungsbestand, 243 Mangoldt, Kar! von, Wohnungsreform durch das Reich, in: Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Vorwärts in der Wohnungsfrage, S. 11 f., 15, 18. Ein umfangreiches Programm zur städtischen Siedlungspolitik nach dem Krieg legte der Berliner Stadtbaurat a. D. F. Beuster bereits 1915 vor. Die hier geforderten und beschriebenen staatlichen Leistungen im Wohnungs- und Siedlungswesen fanden sich in zahlreichen darauffolgenden Schriften der Reformbewegung wieder. Vgl. Beuster, Fritz, Städtische Siedlungspolitik nach dem Krieg, Berlin 1915. 244 Keineswegs, so wurde in der Aussprache auf der Gründungsversarnrnlung festgestellt, werde der Wohnungsausschuß die Aktivitäten einzelner Vereine oder Verbände zu beschneiden versuchen. Auch die Fixierung auf wohnungs- und siedlungspolitische Initiativen des Reiches seien, so betonte Mangoldt im Anschluß an seinen Vortrag nochmals, zwar vordergründig. Doch wies er darauf hin, "daß jeder Fortschritt, den z. B. die Einzelstaaten und Gemeinden in der Wohnungsreform anstrebten ... , durchaus zu begrüßen und zu fördern sei". Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Vorwärts in der Wohnungsfrage, S. 21 f. Im Nachwort der gedruckten Version des Vortrages äußerte sich Mangoldt darüber hinaus zustimmend, daß Preußen sein Wohnungsgesetz erneut beraten würde. Vgl. Mangoldt, Kar! von, Wohnungsreform durch das Reich, in: Ebenda, S. 19.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

auf die sich die Studie in weiten Teilen stützte, legte Kuczynski eine Bedarfsrechnung über den Wohnungsbedarf nach dem Krieg vor. Diese Verwissenschaftlichung der Wohnungsfrage, die mit der Veröffentlichung als Schrift des Deutschen Wohnungsausschusses in zwei Richtungen stieß, bedeutete zum einen die nachdriickliche Unterstützung der Forderungen der Reformbewegung und damit deren Stärkung und öffentliche Präsenz. Zum anderen ließ die Prognose des Statistikers für die Entwicklungen im Wohnungswesen einen äußerst negativen Schluß zu und verlieh den Forderungen der Wohnungs- und Siedlungsreform eine zu beachtende Dringlichkeit. Kuczynskis Fazit: "[W]o 1916 noch reichlich oder überreichlich Wohnungen vorhanden waren, wird früher oder später ein Wohnungsmangel eintreten. Endet der Krieg noch in diesem Jahre (1917, T.K.), so wird eine eigentliche Wohnungsnot vor Friedensschluß nur in einer Minderheit von Städten herrschen, dauert er länger, so verwandelt sich die Minderheit in eine Mehrheit, und diese Mehrheit wird in bedrohlicher Weise wachsen." 245

Die "Bedrohung" Wohnungsnot, so sie in realiter von der Öffentlichkeit und Politik noch nicht wahrgenommen wurde, schwebte mit solcher Art von Publikationen wie ein Damoklesschwert über der Gesellschaft. Diese Einschätzungen von Seiten anerkannter Vereinigungen und Persönlichkeiten verhießen Gefahr für den Bestand der Gesellschaft. Die Wohnungs- und Siedlungsreform benutzte das "Schwert" bzw. versprach sich von dessen Gebrauch das Überspringen des "siegreichen Funkens" der Kriegszeit auf die "Friedensarbeit" Wohnungsreforrn. Die Größe dieser Aufgabe wurde wieder und wieder deutlich gemacht. Nur derjenige sei in der Lage diese "Schlacht" führen und gewinnen zu können, der im gegenwärtigen "Volkerringen" an "forderster Front" stand: der Staat mit der Reichsregierung an der Spitze. Mit der Schrift Wohnungsreform und Übergangswirtschaft legte der Deutsche Wohnungsausschuß Ende 1917 schließlich einen seine bisherigen Vorstellungen erläuternden und zusammenfassenden Bericht vor. Darin waren neben allgemeinen Stellungnahmen zum Charakter der "Übergangswirtschaft" nach dem Krieg, deren verwaltungstechnische Ausgestaltung und Wirkung auf das Wohnungswesen vor allem aber Vorschläge zur Bestandssicherung des Wohnungsmarktes und zur Ausgestaltung der zukünftigen Bauwirtschaft dargelegt. Der Krieg habe einen Zustand auf dem Gebiet des Wohnungswesens geschaffen, der es notwendig machte, so Mangoldt in der Einleitung, daß es schier nicht möglich sei, für die Zeit nach Friedensschluß, "die Verhältnisse sich selbst zu überlassen". Mit mehr Pathos als in vorangegangenen Schriften unterstrich Mangoldt die Notwendigkeit dieser, sich als umfassendes Programm zukünftiger Wohnungs- und Siedlungswirtschaft verstehende Darstellung. Eine "dringende Gefahr", "gewaltigen angesammelten Was245 Kuczynski, Robert R., Wohnungsnot bei Friedensschluß?, Schriften des Deutschen Wohnungsausschusses Heft 2, Berlin 1917, S. 24. Vor allem der sich bereits 1917 abzeichnende und in zahlreichen Städten bereits bestehende Mangel an Kleinwohnungen werde, so Kuczynski, nach dem Krieg besonders groß sein. Vgl. ebenda, vor allem S. 27 f.

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ser(s)" gleich, habe sich im Wohnungs- und Siedlungswesen angestaut und drohe nun, "verheerend zu Tale" zu stürzen und "das größte Unheil" anzurichten?46 Die Vorschläge für eine Überleitung der Beschränkungen und Vorschriften des Kriegs in den Friedenszustand beinhaltete dabei vor allem die Erfassung und Analyse des gegenwärtigen Wohnungsmarktes. Die Darstellung des Mitarbeiters der Zentralstelle für Wohnungsfürsorge im Königreich Sachsen, Rusch, endete mit der Forderung nach einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die für den Bestand an Wohnungen unmittelbar nach dem Krieg bindend sein sollten. Neben der Einrichtung von kommunalen Wohnungsvermittlungen und der Teilung größerer Wohnungen in kleinere, wurden zur Eindämmung der zu erwartenden Wohnungsnot, u. a. die Benutzung von Gefangenen- und Barackenlagern vorgeschlagen. 247 Sich u. a. auf die statistischen Daten stützend, folgten umfangreiche Vorschläge und Forderungen, um eine groß angelegte Neubautätigkeit in die Nachkriegszeit zu fördern und durchzuführen. An erster Stelle stand dabei die Forderung nach einer Unterstützung der Tätigkeit gemeinnütziger Bau- und Siedlungsvereinigungen. Diese könnten, wie G. Albrecht meinte, neben der eingeschränkten privaten Bautätigkeit, gerade durch ihr nicht auf privaten Gewinn gerichtetes Wirken, in der Übergangszeit den Anforderungen des Wohnungswesen genügen. Sie könnten zu den eigentlichen Trägem des Kleinwohnungsbaus der Nachkriegszeit werden. Neben allgemeinen vorbereitenden Maßnahmen wie die Erstellung von Bebauungsplänen und Bauordnungen sowie der Gewährung von Steuererleichterungen wurden im Weiteren ausgiebig Vorschläge zur Beschaffung von Bauland, -geld, -material und -arbeitern vorgelegt. In allen vorgelegten Punkten kam dem Staat, sprich dem Reich und den Bundesstaaten, eine herausgehobene Stellung zu, sich der Wohnungsfrage anzunehmen, um eine Wohnungsnot zu verhindern. 248 246 Mangoldt, Kar! von u. a., Wohnungsfrage und Übergangswirtschaft, Schriften des Deutschen Wohnungsausschusses Heft 3, Berlin 1917, S. 1. Auf den Seiten 19 bis 32 dieser Schrift setzte Mangoldt sich auch mit den Vorschlägen über die Einführung einer "Mietsteuer als Nothelfer" zur Finanzierung der Neubautätigkeit nach dem Krieg auseinander. Neben Heusters und Schrnittrnanns Ideen (siehe dort) fand vor allem der Vorschlag Martin Wagners Beachtung. Im Kern war hier die 1921 bzw. 1924 wirksam werdende sogenannte Hauszinssteuer angelegt. 247 Vgl. Rusch, Dr,. Der Wohnungsmarkt und die vorhandenen Behausungsmöglichkeiten, in: Ebenda, S. 34-47, hier S. 40-47. Rusch steuerte einen weiteren Beitrag hinzu, der sich unter dem Titel Der Schutz des Hausbesitzes kurz mit der Situation des privaten, vorwiegend kleinen Hausbesitzes befaßte. Durch die Beibehaltung und den weiteren Ausbau der Mietund Hypothekeneinigungsämter sah Rusch deren Problerne vorerst arn günstigsten gelöst. Vgl. Rusch, Dr., Der Schutz des Hausbesitzes, in: Ebenda, S. 80-85, besonders S. 85. 248 Albrecht, G., Die Vorbereitung der Neubautätigkeit für die Zeit der Übergangswirtschaft, in: Mangoldt, Kar! von u. a., Wohnungsfrage und Übergangswirtschaft, Schriften des Deutschen Wohnungsausschusses Heft 3, Berlin 1917, S. 48-79, hier S. 49 f. Vgl. ähnliche Vorschläge und Forderungen des Groß-Berliner Vereins für Kleinwohnungswesen wie sie auf der Dritten Hauptversammlung des Vereins arn 6. Februar 1917 geäußert wurden. In: Siemens, Friedeich von!Thielcke, Fritz/ Leyser; Erich, Großstadt und Kleinhaus, Berlin 1917, s. 25 - 55.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Einen wichtigen und vorerst letzten Höhepunkt, bevor mit dem Jahr 1918 das erste Jahr der Nachkriegswohnungsreform und -politik eingeleitet wurde, war die "Wohnungsreformkundgebung" des Deutschen Wohnungsausschusses. In einer als nichtöffentlich deklarierten Veranstaltung versammelten sich im Oktober 1917 in Berlin zahlreiche Vertreter der zentralen Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformvereinigungen sowie weiterer an der Lösung der Wohnungsfrage Interessierte aus kommunalen und regionalen Verwaltungen von Landesversicherungsanstalten, Frauen-, Beamten- und Gewerbevereinigungen. Unter den Teilnehmern waren auch Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses, wie P. Hirsch, Wuermeling und Liepmann, sowie die Reichstagsabgeordneten Göhre, Mumm und Silberschmidt. Vom preußischen Innenministerium befand sich Regierungsrat Stölzel unter den Gästen. Der Bericht über die Kundgebung, der als Heft 4 der Schriften des Deutschen Wohnungsausschusses erschien, beschrieb die tatsächliche und wirkungsmächtig anmutende Atmosphäre der Veranstaltung: "[D]er Veranstaltungssaal war dicht gefüllt von den Vertretern einer großen Zahl der hervorragendsten einschlägigen Körperschaften, die gewaltige Volksmassen hinter sich haben... Die Einmütigkeit der abgegebenen Erklärungen und die einstimmige Annahme der vorgeschlagenen Leitsätze... beweisen, wie weit verbreitet und dringend jetzt das Verlangen nach baldigen gründlichen Wohnungsreformmaßregel ist." 249

Nach der Eröffnungsansprache durch den ersten Vorsitzenden des Deutschen Wohnungsausschusses folgten ein Vortag von C. J. Fuchs, Die Wohnungsfrage nach dem Krieg, und mehrere Erklärungen von Teilnehmern und Teilnehmerinnen der Veranstaltung, die deren Positionen zur Wohnungsfrage wiedergeben sollten. Getragen von der nach außen verbreiteten Euphorie der Zusammenkunft, war die gedruckte Version der Fuchs'schen Rede in "geflügelte Worte" eingebettet, die den Forderungen der Wohnungs- und Siedlungsreform zusätzliche Erhöhung zuteil werden lassen sollten: "0 schöner Tag, wenn endlich der Soldat ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit", um dann "auf freiem Grund mit freiem Volke (zu) steh' n" - Dichtkunst im Geist der Zeit als Mittel der (Wohnungs-)Propaganda. Zwischen poetisch verklärter Heimkehr- und Freiheitsduselei waren die bekannten Positionen eingebaut, die in vorausgegangenen Publikationen und Reden mehrfach vertreten worden waren. 250 Um einer Wohnungsnot nach dem Kriege entgegenzuwirken, wurde die Forderung nach einer durchgreifenden Wohnungs- und Siedlungsreform mit den Geboten nach entsprechenden politischen und juristischen Mitteln für eine solche Neuordnung verbunden. Die Reform könne nur zum Ziel führen, wenn erstens die Bodenfrage gelöst werde. Dazu gehöre, daß gesetzliche Regelungen zur Beschaffung von Land aus privater Hand durch die Ausgestaltung des Enteignungsrechts verabschiedet würden. Außerdem sollten öffentliche Ländereien billig zur Verfügung gestellt, und Boden- und Siedlungsgesellschaften zu de249 Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg. ), Die Wohnungsreform als Volkswille. Bericht über die Wohnungsreformkundgebung des Deutschen Wohnungsausschusses am 30. Oktober 1917 in Berlin, Schriften Heft 4, Berlin 1918, S. 1. 250 Fuchs, Carl Johannes, Die Wohnungsfrage nach dem Krieg, in: Ebenda, S. 2 und 17.

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ren Erschließung gegründet werden. Zweitens forderte Fuchs die Lösung der Kapitalfrage durch die Gewährung von Darlehen und Bürgschaften für den Wohnungsbau durch das Reich, die Bundesstaaten und Gemeinden sowie die Erschließung neuer Geldquellen. Drittens sprach er sich für die Verbesserung der Verwaltungsorganissation aus, an deren Ende die Errichtung einer Zentralstelle für die gesamte Wohnungsfürsorge im Reichsamt des Innern stehen sollte. In Preußen sollte zudem ein Ministerium bestimmt werden, das alle Bestrebungen im Wohnungswesen zusammenführen sollte. Letztlich unterstrich Fuchs die Forderung der Wohnungsund Siedlungsreform nach dem baldigem Zustandekommen eines preußischen Wohnungsgesetzes.251 Die Zeitschrift Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt kommentierte die sich anschließenden Verlautbarung von Reichstags- und Landtagsabgeordneten sowie einiger dem Wohnungsausschuß angeschlossener Organisationen als "kurze Zustimmungserklärungen".252 Tatsächlich unterstützten namentlich Göhre und Mumm, die eigene Erklärungen abgaben, die Forderungen der Wohnungs- und Siedlungsreform. Göhre war der Ansicht, daß das Programm, welches Fuchs vorgelegt hatte, eine "geeignete und erschöpfende Grundlage" sei, um "der schweren Gefahr einer Volkswohnungsnot" entgegenzuwirken. Der Widerstand des Reiches, wonach die Bundesstaaten für alle Angelegenheiten des Wohnungs- und Siedlungswesens zuständig seien, habe zu bröckeln begonnen, so der SPD-Abgeordnete. Nicht zuletzt durch das beharrliche Festhalten des Reichstages, konnten der Reichsregierung verschiedene Zugeständnisse dahingehend abgerungen werden. Besonders die Erhöhung des Reichswohnungsbaufonds und dessen Ausdehnung auf die Unterstützung von allen Baugenossenschaften, die Kriegsbeschädigte und hinterbliebenen zu ihren Mitgliedern zählten, sei als Erfolg zu werten. Da "wohl alle in Deutschland" kriegsbeschädigt seien, so Göhre weiter, "ist ... der ursprüngliche Grundsatz der Reichsregierung durchbrachen und jener Fonds zu einem Reichswohnungs-Baugenossenschaftsfonds geworden". 253

Für Mumm lag die Bedeutung einer umfassenden Lösung der Wohnungsfrage, in ihrer "sachlichen Kraft zusammenzuführen". Der Deutsche Wohnungsausschuß hatte gezeigt, daß ein solches Zusammenführen sämtlichen Bestrebungen der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform möglich sei. Das darauffolgende Jahr sollte zeigen, daß die sozialen Erfordernisse im Wohnungswesen und die Forderungen der Reformer ihren Niederschlag in politischen Entscheidungen sowie in personeller und gesetzgebenscher Hinsicht fanden. 254

V gl. ebenda, S. 3- 17. V gl. auch Kuhn, S. 38. Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 27. Jg., 1917/18, Nr. 5, Sp. 94 f. 253 Erklärung Göhres in: Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Die Wohnungsreform als Volkswille, S. 18 f. 254 Erklärung Mumms in: Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Die Wohnungsreform als Volkswille, S. 25. 251

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Bei der Beurteilung der Leistungen des Deutschen Wohnungsausschusses seit 1916 bleibt beachtenswert, daß dieser von Beginn an eine serni-staatliche Präsenz, zumindest aber ein Interesse von Seiten des Reichs, der Einzelstaaten, der Städte und Gemeindeverbände für sich einzunehmen verstand. So erstaunt es auch nicht, daß der Deutsche Verein für Wohnungsreform und die Zentralstelle für Volkswohlfahrt, deren Ziehkind der Deutsche Wohnungsausschuß war, eine nicht unbedeutende Rolle vor allem bei der Vermittlung zukünftiger Wohnungspolitik zukam. 255

cc) Die Kritik an den "Kriegerheimstätten"

Die Vorstöße und massive Propaganda des BDB, ein Reichsgesetz zur Förderung von Hunderttausenden "Heimstätten" für Kriegsteilnehmer zu schaffen, wurde von den verschiedenen Wohnungs- und Siedlungsreformvereinigungen bzw. denen ihn nahestehenden Persönlichkeiten ambivalent beurteilt. Auffällig war, daß zahlreiche Stellungnahmen zu den "Kriegerheimstätten" diese in erster Linie als "Invaliden- oder Kriegsbeschädigtenheimstätten" auffaßten und ausschließlich als solche einer rechtlichen Regelung unterziehen wollten. Eine zweite, wichtige Tendenz der Auseinandersetzung mit der "Propagandakonkurrenz" des BDB war der Einwand, ein solch umfangreiches Programm nicht allein auf heimkehrende Kriegsteilnehmer und ihre Familienangehörigen beschränken zu können. Den "Kriegerheimstätten" brachten die verschiedenen Zeitschriften der Wohnungs- und Siedlungsreform in regelmäßigen Abständen zum Teil ausführliches Interesse entgegen, ohne in der Regel Vertreter des BDB selbst oder des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" zu Wort kommen zu lassen. Die erste Erwähnung von "Krieger-Heimstätten" erfolgte, wie angedeutet, nicht in ihrer Funktion als Belohnungs- und Befriedungskomponente im System deutseh-nationalen Gemeinschaftssinns, sondern als Kriegsinvalidenansiedlung.256 Die unterschiedliche Definition der "Kriegerheimstätten" wurde einerseits zum Ausdruck verschiedener Stand- und Ansatzpunkte bei der Lösung der Wohnungsfrage. Was sie einte war eine sämtliche Reformbewegungen ergreifenden Akzeptanz der Parole vom Wohnen eines "freien Volkes auf freiem Grund". Aber in der Vermittlung und Ausbreitung der jeweils spezifischen Wirkungsmacht kam andererseits zum Ausdruck, daß auch der gegenwärtige und zukünftige Einfluß der einzelnen Organisationen auf administrative und gesetzgebende Instanzen wesentlicher Bestandteil der Auseinandersetzung war. Die Reibung mit den Ideen des BDB war vor allem für weite Teile der Wohnungsreform ein wichtiges Feld, ihren Einfluß zu verstärken. 255 Die Zeitschriftfür Wohnungswesen wurde 1918 offizielles Mitteilungsblatt für die Veröffentlichungen des im Mai 1918 eingesetzten preußischen Staatskommissars für das Wohnungswesen. 256 Vgl. Zeitschrift für Wohnungswesen, 13. Jahrgang, 1914/15, S. 166 f.; Gartenstadt. Mitteilungen der deutschen Gartenstadtgesellschaft, Oktober 1915, S. 186-190.

I. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Die "Kriegerheimstätte" war in der Vorstellung der deutschen Wohnungsreform, im Sommer 1915 in einem zweiteiligem Artikel in der Zeitschriftfür Wohnungsreform von H. Albrecht unterstrichen, im Kern die Ansiedlung von Kriegsinvaliden. Albrecht bekannte sich zu der verbreiteten Ansicht, daß man diejenigen, die "übermenschliche Opfer" gebracht hätten, nicht mit einem "kärglichen Almosen" abspeisen dürfe. Die ländliche Siedlung, die wegen ihrer Rolle bei der Nahrungsgüterproduktion eine im Krieg wichtige Bedeutung habe, habe auch für die "Bevölkerungshygiene und -gesundheit" eine herausgehobene Relevanz. Diese Ansiedlung sei, so Albrecht mit Blick auf die Kriegsbeschädigten, "hygienisch und sozial (die) rechte Umgebung . . . in der sie unter Gesunden aufgehen können, ohne diese zu gefährden, in der sie den Willen zu frohem Schaffen (fanden) und in dieser Schaffenskraft und Lebensfroheit aus gesellschaftslästigen Rentenempfängern zu gemeinschaftswürdigen Staatsbürgern werden würden."257

Nachdem im weiteren auf die bestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen und ersten Erfolge, aber auch die Schwierigkeiten der "inneren Kolonisation" eingegangen wurde, lag der Schwerpunkt des zweiten Teils des Artikels auf der Auseinandersetzung mit den teilweise gegenläufigen Bestrebungen bei der Umsetzung der Ansiedlung. Diese Interessenverschiedenheit in der Durchführung sei, wie Albrecht meinte, besonders darauf zurückzuführen, daß "ohne Fühlung mit einander vorgegangen" würde. Den eigenen Vorstellungen wurden die Ansichten des BDB, der Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation und der Deutschen Gartenstadtgesellschaft gegenübergestellt. Wahrend die Ansichten der letzten beiden Organisationen, u. a. der Ausbau des bestehender Wohnungsfürsorgefonds des Reiches und der Vorschlag nach einer Kapitalisierung von Invalidenrenten zur Finanzierung der Siedlungstätigkeit, mit den Ideen des Deutschen Vereins für Wohnungsreform korrespondierten, wurde den Plänen des BDB eine Abfuhr erteilt. Aus "Opportunitätsgründen" setzte man mit seinen seit Jahren vorgetragenen Forderungen nach "Volksheimstätten" nun "ausschließlich" auf aus dem Krieg heimkehrende Soldaten bzw. Kriegshinterbliebene. Der "Kreis der Berechtigten" einer solchen Reform ginge in die Millionen, so Albrecht Auch die vorgeschlagene Finanzierung, die dem Reich die Hauptlast aufbürdete, sei völlig inakzeptabel. Die "Auswertung" der Grundsätze für ein Reichsgesetz zur Schaffung von Kriegerheimstätten endete mit der vernichtenden Bemerkung: "Es bedarf wohl keines Eingehens auf weitere Einzelheiten, um selbst bei solchen, die dem Siedlungsgedanken an sich wohlwollend gegenüberstehen, berechtigte Zweifel an der praktischen Durchführbarkeit so weitgehender Forderungen aufkommen zu lassen."258 257 Albrecht, H., Ansiedlung von Kriegsinvaliden, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, 13. Jahrgang 1914115, S. 245-251 (Erster Teil), hier S. 246. 258 Ebenda, S. 261-266 (Zweiter Teil), hier S. 261-265. Ygl. Keup, Dr., Entwicklungslinien in der Frage der Invalidenansiedlung, in: Archiv für Innere Kolonisation, 1916, S. 119 141 ; Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft (Hrsg.), Unseren Kriegsinvaliden Heim und Werkstatt in Gartensiedlungen. Denkschrift über den Dienst des Vaterlandes an den Kriegsinvaliden und den Hinterbliebenen der gefallenen Krieger, Leipzig 1915, S. 6 - 14. In der Schrift 11 Koinzer

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li. Diskurs und Politik im Krieg

Der ersten Absage Albrechts folgte eine weitere, wenn nicht endgültige Demontage der "Kriegerheimstätten", so doch eine Bewertung, die zur Grundlage zukünftiger Einstufung dieser durch weite Teile der Wohnungs- und Siedlungsreform werden sollte. Mangoldts Stellungnahme Die Bewegung für Kriegerheimstätten vom Oktober 1915 hinterfragte zahlreiche Punkte des BDB-Programms. Über "die sachliche Berechtigung und Notwendigkeit" der Ziele des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" bestünden jedoch, wie Mangoldt ausführte, keinerlei Meinungsverschiedenheiten. Einer Bewegung, die den würdigen "Kriegerdank" mit dem Ende "der ungeheuren Heimatlosigkeit weiter Massen unseres Volkes in Stadt und Land" verbinden würde, gebühre sogar Anerkennung. Die "schlimmsten Wunden unseres sozialen Körpers", so der Geschäftsführer des Deutschen Vereins für Wohnungsreform weiter, würden durch ein solches Streben "dauernd geschlossen" werden können. Doch nachdem die Grundgedanken der "Kriegerheimstätten" als nicht realisierbar verworfen wurden, erfolgte eine schrittweise Auseinandersetzung mit den Inhalten des Programms. In sieben Punkten versuchte von Mangoldt, die Insuffizienz der vom "Hauptausschuß für Kriegerheimstätten" vorgelegten Grundzüge darzustellen. Seine Kritik reichte von der "völligen Unmöglichkeit", den Gedanken der Kriegsheimkehreransiedlung als "Anspruch" und über ein "Reichsgesetz" zu begriinden, bis hin zur unzureichenden Erarbeitung von Vorschlägen, wie das Programm finanziell, verwaltungs- und verkehrstechnisch ausgestaltet werden soll. Dem mit der Vermeidung von Spekulation angelegte Ausschluß privater Bauund Siedlungstätigkeit wurde ebenso eine Absage erteilt wie der einseitigen Ausrichtung auf die reichsstaatliche Zuständigkeit des gesamten Siedlungswerkes. Wie in der Einschätzung Albrechts, stand zum Schluß dieser Auseinandersetzung eine eindeutig ablehnende Zusammenfassung: "Das sachliche Programm des Ausschusses ist vollständig ungenügend und zum Teil direkt unbrauchbar. Auf dieser Grundlage läßt sich das gesteckte große Ziel jedenfalls nicht erreichen."259

Die Kritik, die sich in vielen Punkten mit der anderer Organisationen, von Interessenvereinigungen und Ministerien im Reich und den Bundesstaaten deckte, war verheerend und prophezeite den Mißerfolg, konnte aber der Massenwirksamkeit der "Kriegerheimstätten" und der euphorischen Beschwörungen über die Wirkung des Krieges auf die Wohnungs- und Siedlungsreform keinen Abbruch tun. Selbst Mangoldts kritischer Stellungnahme folgte eine mit Verve vorgetragene Huldigung der Kriegszeit, die für die Reformbewegungen von außerordentlicher Wichtigkeit findet sich auf den Seiten 76 f. ein Artikel des Architekten Bruno Taut. Krieger-Ehrung ist ein prosaisch vorgetragenes Manifest für die Verantwortung der deutschen Architekten bei der Errichtung von Kriegsdenkmalen. Die bestehenden haben gezeigt, so Taut, daß sie als "mehr oder weniger stimmungsvolle Erinnerungsstätten die Krieger nie zu ehren vermögen. Die Konsequenz daraus könne nur sein, um die großen Erlebnisse" des Krieges "in spätere Generationen" zu verpflanzen, daß "Eigenheime .. . in enge(r) Verbindung mit Gärten" den Invaliden geschaffen werden müßten. 259 Mangoldt, Kar! von, Die Bewegung der Kriegerheimstätten, in: Zeitschrift für Wohnungsreform, 14. Jahrgang 1915/16, S. 17-22, ZitatS. 21 f.

I. Die deutsche Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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sei. In ihrer begeistert vorgetragenen Art und im Wortlaut glich sie der Propaganda der Bodenreformer. "Mit aller Kraft" müsse die durch den "großen Krieg geschaffene große Situation" ausgenutzt werden, um zu einem "großen Vorstoß in der Wohnungs- und Ansiedlungsreform" zu kommen. Positiv könne man dabei von der "Kriegerheimstättenbewegung" lernen, daß man "großzügig mit großen Mitteln" losgehen müsse, und daß zum Erreichen des Ziels, die "Entfesselung einer wirklich großen, allgemeinen Bewegung" nötig sei. Den Erfolg einer solchen Bewegung, die alle Bestrebungen der deutschen Wohnungs- und Siedlungsreform vereine, sah Mangoldt durch den Krieg greifbar nahe. Denn "die durch den Krieg geschaffenen Situation und die Verbindung der Wohnungs- und Ansiedlungsreform mit dem Gedanken eines wirklichen, dauerhaften Dankes an die Verteidiger des Vaterlandes (hat) der Forderung einer solchen Reform jetzt einen ganz besonderen Nachdruck und ganz besondere Aussichten verliehen." 260 Doch nicht nur ablehnende Kritik schlug den Ideen des BOB von Seiten der Wohnungsreform entgegen. Im Westfälische Wohnungsblatt brachte im Sommer 1915 der Geschäftsführer des Westfälischen Vereins zur Förderung des Kleinwohnungswesens Vormbrock seine Anerkennung für das Tun Damaschkes zum Ausdruck. Die unterschiedlichen Bestrebungen bei der Invaliden- und allgemeinen Kriegsheimkehreransiedlung könnten und sollten vereint werden. Der BOB habe sich mit der Gründung des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" eine "schöne, aber auch schwierige Aufgabe" gestellt. Diese neue Organisation, so wünschte Vormbrock, werde "nicht nur Propaganda-, sondern vor allem Arbeitsausschuß" sein müssen, um ihre Ziele zum Erfolg zu führen? 61 260 Ebenda, S. 22 Die Bedenken gegenüber den "Kriegerheimstätten" bzw. einzelnen Punkten des Programms wurden auch in den folgenden Jahren von Seiten der Wohnungsreform nicht abgelegt. Vgl. Nußbaum, H., Ein Wort zu den Kriegerheimsiedelungen, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, 15. Jahrgang 1916/17, S. 17 f.; Althofj; H., Kriegerheimstätten, in: Westfälisches Wohnungsblatt, 1917, S. 81-90. Wie gespalten die Wohnungs- und Siedlungsreform bei der Beurteilung der "Kriegerheimstätten" war, zeigte das Beispiel des Vorsitzenden der Landesversicherungsanstalt Westfalen Althoff. Er brachte an selber Stelle auch Sympathien für die Ideen Damaschkes zum Ausdruck, schlug aber beim Kreis der Anspruchsberechtigten engere Grenzen als die vom BOB bestimmten vor. Vgl. ebenda, S. 84. 261 Westfälisches Wohnungsblatt, 1915, S. 46-48; Vgl. auch Vonnbrock, H., Wohnungsund Ansiedlungsfürsorge für Krieger, Kriegsinvalide und Kriegshinterbliebene, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, 14. Jahrgang, 1915/16, S. 1-7; Leitsätze zur Wohnungs- und Ansiedlungsfürsorge für Krieger, Kriegsbeschädigte und Kriegerhinterbliebenen, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, 14. Jahrgang, 1915/16, S. 80 f.; Berliner Vereinigung zur Förderung der Kriegsbeschädigten-Ansiedlung (Hrsg.), Beiträge zur Ansiedlung von Kriegsbeschädigten, Berlin 1916. Weitere zustimmende Stellungnahmen zur Initiative des BOB von Seiten der Wohnungs- und Siedlungsreform: Kriegerheimstätten - eine Lebensfrage unseres deutschen Volkes!, in: Archiv für innere Kolonisation, 1916, S. 40-43; Bonne, G., Baut Heimstätten für unsere Helden! Ein Beitrag zur sozial-hygienischen Bedeutung der Arbeiter-Baugenossenschaften, in: Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 24. Jg., 1914/15, Nr. 31, Sp. 713-718. Die Zeitschriftfür Wohnungsrefonn räumteErman im November 1915 die Erläuterung des Gesetzentwurfes des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" ein. Vgl. ebenda, 14. Jahrgang, 1915/16, S. 41-44. Gleiches gilt für das Westfälische Wohnungsblatt,

II*

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li. Diskurs und Politik im Krieg

Kritik und Sympathiebekundungen brachten letztlich eine Gemeinsamkeit bei der Beurteilung der Leistungen des BDB zum Ausdruck. Der Verweis auf die Undurchführbarkeit der "Kriegerheimstätten"-Bestrebungen nach den Vorstellungen des BDB und die eigenen Vorschläge, die vor allem die städtische Wohnungsreform, also vorerst die hygienische und soziale Aufwertung des Wohnungsbestandes und in Zukunft eine gemeinnützig unterstützte Kleinwohnungs- und -hausbautätigkeit in den Mittelpunkt stellten, konnte nicht über die zahlreichen Gemeinsamkeiten hinweg täuschen. Die Frage der Ansiedlung, gleich welcher Bevölkerungsgruppe, um bzw. außerhalb von Großstädten und die Impulse, die von den "Kriegerheimstätten" hierfür ausgingen, waren auch in der Wohnungs- und Siedlungseeform und Teilen der reichs- und bundesstaatlicher Administration begrüßt und unterstützt worden. Die positiven Einschätzungen der Konzepte des BDB brachten zum einen die Kontinuität in den Vorstellung der Wohnungs- und Siedlungsreform über den Krieg hinaus zum Ausdruck. Zum anderen spiegelte sich darin die sammelsurische Wirkungsmacht der Ideen vom "eigenem Heim auf eigener Scholle" wider. Ihre Erscheinungsform war vielgestaltig, ob als "Kriegerheimstätte", kriegsbedingte "Invalidensiedlung", "Arbeiteransiedlung" oder "Volksheimstätte". Sie war die erwünscht-unterstützte Wohnform und die Weiterführung und Ausgestaltung der "inneren Kolonisation" Deutschlands?62

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform, ihre Propaganda und die Herausforderungen des "Reconstruction after the war" The Nation's Thanks to its Fighting Forces, eine in Eichenlaub gefaßte Urkunde, war ein im Oktober 1917 von den Abgeordneten beider Häuser des britischen Parlaments veröffentlichter "Dankesakt" an die Armee, die Kriegs- und Handelsmarine, die Angehörigen der Truppen aus den Dominions und die Gefallenen des Krieges. Geehrt wurden all jene, die durch "Mut und Ausdauer" und mit "loyaler Bereitschaft", die "Freiheit der Welt" sicherten bzw. nicht ruhen wollten, bis diese 1918, S. 34-36. An der Wohnungsreformkundgebung des Deutschen Wohnungsausschusses im Oktober 1917 nahm auch Pohlmann als Vertreter des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" teil und bekam die Möglichkeit, in einer Erklärung auch in diesem Forum die Forderungen des BDB vorzutragen. Vgl. Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Die Wohnungsreform als Volkswille, S. 31 f. Vgl. auch die wohlwollende Dokumentation über die "Kriegerheimstätten" durch den Bundes deutscher Mietervereine e.V. in: Hernnann, J., Geschichte derdeutschen Mieterbewegung, Dresden 1925, S. 71,74 - 78. 262 Über die "praktische Durchführung" der genannten Wohnformen wurde regelmäßig berichtet. Vgl. Westfälisches Wohnungsblatt, 1915, S. 201 f., 267-269; 1916, S. 36 f., 55-57, 85-87, 147-149, 225 f. , 251 f., 295- 298; 1917, S. 184 f. , 185-187, 249; Zeitschrift für Wohnungswesen, 14. Jahrgang 1915116, S. 169, 231-233; 15. Jahrgang 1916117, S. 169 f. , 217-220. Die Ansiedlung von Arbeitern im Rahmen der inneren Kolonisation in Deutschland, Sonderbeilage zum Reichsarbeitsblatt Nr. 3, März 1916, Beiträge zur Statistik der Arbeitslöhne, der Stellenvermittlung und der Arbeiteransiedlung.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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unter "Leiden und Härten ohne Gleichen in der Geschichte des Krieges" wieder hergestellt sei. Der Resolution folgten, symbolisch gekrönt von der wehrfähigen Britannia in der Bildmitte, Auszüge aus den Reden der jeweiligen Sprecher von Unter- und Oberhaus?63 Von den Lobpreisungen der einzelnen Teilstreitkräfte, der in ihnen dienenden Offiziere, Soldaten und den "Frauen in den medizinischen und anderen Hilfsdiensten" durch den Premierminister Lloyd George, den Führer des House of Lords, Curzon, und zwölf weiteren Vertretern beider Kammern strahlte besonders eine zukunftsweisend in die "neue Welt" der Nachkriegszeit. Lord Curzon wählte Worte an "all who have served", welche die "Helden" des Krieges zu Konstrukteuren und Erbauern dieser "neuen Welt" machten. 264 Sie würden, quasi als durch ihre Leistungen im Krieg Erwählte, in dieser Position eine andere Gesellschaft, ein neues, besseres, glücklicheres Land errichten. "Helden" mit "Architekten" oder "Baumeistern" zu verbinden, suggerierte in der vordergrundig klar an Motivation und der Aufrechterhaltung der Kriegsbegeisterung interessierten Rede Curzons, daß für "Helden" die "neue Welt" sichtbar zu erschaffen sei. Als eines der sichtbarsten Zeichen dieser neuen Gesellschaft, für die zu kämpfen nicht nur gelobt, sondern auch belohnt werden sollte, waren die im Herbst 1917 bereits in Planung stehenden neuen Häuser und Wohnungen, die späteren "homes for heroes" in ihrer polemisch-fatalen Umschreibung. Der Aufbau der "neuen Welt", eines "neuen Britanniens" mit seinen neuen, heidengemäßen Häusern, Wohnungen und Siedlungen bedurfte aber gleichzeitig der Unterstützung durch eine "neue" Politik, durch politische Perspektiven für eine Gesellschaft, in die zuriick-, ja heimzukehren von Wert war. Kurz nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes im November 1918 folgte im nationalen Parlamentswahlkampf das Signal an alle "Helden", daß Regierung und Parlament in den zurliekliegenden Jahren umfangreiche Vorbereitungen zur Lösung der Proble263 PRO, WO 32/11489: The Nation's Thanks to its Fighting Forces: " ... for their unfailing courage and endurance in defending the right, amid suffering and hardship unparalleled in the history of war, and for their loyal readiness to continue the work to which they have set their hands until the liberty of the world is secure." Es handelte sich dabei um einen Dank, dessen Verbreitung an der Front und in Großbritannien nicht "zu teuer" werden sollte. Ursprünglich war eine Auflage von 500.000 Exemplaren vorgesehen, "to be allocated between the Navy, the Anny, the Merchant Service and the Munitions Workers". Im Schreiben des National War Aims Committees an das War Office wurde im Dezember 1917 darauf hingewiesen, daß die Dankesblätter "sehr teuer" seien und nicht mehr als unbedingt nötig gedruckt werden sollten. Wenn, das versicherte man dem War Office, mehr benötigt würden, sei man selbstverständlich in der Lage, noch "einige Tausend" zu drucken. Ebenda, Schreiben des National War Aims Committees an den Earl of Onslow, War Office, vom 12. Dezember 1917. Doch bereits Anfang November hatte das zuständige Stationary Office dem War Office gemeldet, daß eine Beschränkung auf 200.000 Exemplare beschlossen wurde, von denen 20.000 dem War Office bereits überstellt waren. Vgl. ebenda, Schreiben des Stationary Office an das War Office vom 7. November 1917. 264 Ebenda, The Nation's Thanks to its Fighting Forces: "Our heroes have become the architects of a new world."

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II. Diskurs und Politik im Krieg

me der Nachkriegszeit getroffen hätten. Lloyd Georges Rede in der mittelenglischen Stadt Wolverhampton war einerseits Ausdruck dieses veränderten politischgesellschaftlichen Standpunktes, bisher marginalisierte Politikfelder, wie eben die Behandlung der Wohnungsfrage, stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Andererseits war der Satz: "To make Britain a fit country for heroes to live in"265 , Versprechen und Hoffnung zugleich, ein sozialeres und gerechteres Großbritannien zu schaffen. Der britische Premierminister war vor dem Krieg mehrfach als Wohnungs- und Bodenreformer öffentlich aufgetreten, hatte dazu publiziert und war nicht nur in Großbritannien rezipiert worden. Seine Person verkörperte Politiker und Reformer in einem und schien damit, Garant einer sach- und fachgerechten Problemlösung in der Wohnungsfrage zu sein. Die Wohnungsfrage war nur ein Problem, das die Koalitionsregierungen der Kriegs- und Nachkriegszeit zu lösen angetreten waren. Ein Land sollte entstehen, daß ein würdiges, "geeignetes" Zuhause für die "Helden" des Krieges werden sollte. Die politische Elite Großbritanniens, d. h. ein Teil dieser, hatte erste administrative Anstrengungen unternommen, ein Land zu "konstruieren", zu "rekonstruieren", das auf zahlreichen gesellschaftlichen Gebieten Veränderungen und Neuerungen erfahren sollte. Die Wohnungsfrage war aber eines der dringendsten Probleme dieses Rekonstruktionsprozesses. Den Wiederaufbau des britischen Wohnungswesens, mit starken Impulsen eines Aus-, Um- und Neubaus eröffnete Lloyd George u. a. in Wolverhampton. "Zehntausende von jungen Männern", die ausgezogen und "Entbehrung, Qual und Tod" ausgesetzt waren, würden mit dem Problem desolater Wohnungsbedingungen konfrontiert. Für sich und den Staat zog Lloyd George deshalb den Schluß: "[T]he country realises in a way it never did before how much it own to the citizens who dwell in its humblest homes, and how much the honour of the country depends upon them. Had it not been for the noble patriotic impulse which sent millians of them thronging to the flag, what would have happened? The British Empire, ... had it not been for these millians of men who came from humble homes to lay their Jives on the altar of their country, the British Empire might have been swept away, and at this moment we might have been cowering - cowering at the feet of the most arrogant masters that ever bullied the world. This knowledge of a common sacrifice, of a common brotherhood of suffering and effort, has sunk into the minds of the people of this country, and it is with that knowledge that we are approaching the next great enterprise that is in front of us. We all feel that these heroic men made a new world possible, and they are entitled to a full share of its gratitude." 266

Das Wissen um die "gemeinsamen Opfer" und die "Bruderschaft", welche die Kriegsjahre hat Großbritannien durchstehen lassen, begründe die "Teilhabe an der neuen Welt" auch und besonders für diejenigen, die bisher in "demütigenden Behausungen" lebten, sich aber nicht scheuten, ihr Leben für ihr Land zu opfern. Wie 265 Lloyd Georges Rede in Wolverhampton am 24. November 1918, in: Guedalla, Philip (Ed.), Slings and arrows, London u. a. 1929, S. 190. 266 Ebenda, S. 188; vgl. auch Gilbert, Bentley B., British social policy 1914- 1939, London 1970; S. 90; Swenarton, S. 79.

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eine "gigantische Leuchtkugel" habe der Krieg all diese "dunklen Stellen" erleuchtet, die es nun abzuschaffen gelte. Jene Probleme, vor dem Krieg nicht wahrgenommen wie Lloyd George meinte, wolle und werde man nun einer Lösung zuführen. Der Krieg habe durch den hunderttausendfachen Verlust von Leben und die Beschädigung von ebenso vielen Körpern gezeigt, was "Verschwendung von Menschenmaterial" bedeute. Aber Millionen von Menschenleben in Großbritannien seien auch "verschwendet" worden durch die schlechten sozialen Bedingungen im Land. 267 Als Wahlkampfredner kam Lloyd George nicht umhin, auch den Weg zu beschreiben, auf dem diese Probleme zu lösen seien. Die Wohnungsbedingungen nahmen dabei eine zentrale Stellung ein. Die Wohnumwelt zahlreicher Kriegsteilnehmer, die groß- und innerstädtischen Slums, charakterisierte er mit Blick auf die notwendige Wiederbelebung einer "Imperial race" als "not fit homes for the men who have won this war or for their children". Kein "herumflicken" sei angesichts der Größe der Aufgabe angebracht. Sie werde als "great national charge and duty" begriffen. All diese Einsichten ließen für die Wohnungsfrage, die zukünftige Wohnungspolitik und den -bau nur eine Konsequenz zu: "It is too much to leave it merely to municipalities. Some of them are crippled from the restricted income placed at their disposal. Some are crippled from the fact that they have eroshing burdens of another, character, and some are good and some are not good. Therefore the housing of the people rnust be anational concem."268

Der "nationalen Angelegenheit" Wohnungsfrage verlieh schließlich im Frühjahr 1919 König George V. Nachdruck, als er die besondere Bedeutung des vom "peoples housing" bereits wieder auf das "working-class housing" geschrumpfte Problem beschwor. Seine Lösung sei die Grundlage allen sozialen Fortschritts. Als erster Schritt müßten die "unhealthy, ugly, overcrowded houses in the mean street" beseitigt werden. Um aber eine "healthy race" aufzuziehen, bedürfe es "healthy homes", durch die Alkoholismus, Kriminalität und soziale Unruhe gebannt werden könnten. George V. faßte damit zusammen, welchen Stellenwert das Wohnen in der britischen Gesellschaft und Politik bekommen zu haben schien, welche Zielrichtungen die Lösung der Wohnungsfrage allgemein verfolgte, und wer dafür zuständig zu sein hatte. "Unruhe in Zufriedenheit" mittels neuer Wohnungen zu kehren, sei die Aufgabe des "most potent agent in that conversion". 269 Dieser Akteur war der britische Staat. Wie er sich unter Zusammenführung verschiedener Interessen im Krieg auf diese Aufgabe vorbereitete und dabei frühzeitig von der Vertretern der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform unterstützt wurde, ist Gegenstand dieses Kapitels. 267 Vgl. Guedalla, S. 190 f. Die "appalling waste of human material in the country" bestand für Lloyd George vorrangig im Verlust von einer Million Männem, die "fit" für den Militärdienst hätten sein können, dies aber durch schlechte Ernährung und Wohnbedingungen nicht seien. 268 Ebenda, S. 192. 269 Zitiert nach: Bumett, S. 219.

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a) David Lloyd George und die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform Was 1914 unter dem Titel Der Kampf um den englischen Boden erschien, versuchte jenes Engagement des 1863 in Manchester geborenen und in Wales aufgewachsenen David Lloyd George als Programm zu umreißen, das in den Jahren des Kriegs und kurz danach zum Ideal einer durchsetzungsfähigen boden-, wohnungsund siedlungsreformerischen Idee zu werden schien. Doch war Zuriickhaltung angesagt. Die draufgängerische Überschrift wurde von den Herausgebern der deutschen Übersetzung gewählt, die eine Sammlung von Reden Lloyd Georges in den Sozialen Zeitfragen und im Jahrbuch der Bodenreform veröffentlichten?70 Was die deutschen Bodenreformer als positives Beispiel von den britischen Inseln zur Unterstützung ihres "Kampfes" anführten, bedeutete in der politischen Semantik Lloyd Georges, ein an Wahlen, Wahlerstimmen und Macht orientiertes Gemisch aus persönlicher Erfahrung und parteipolitischem Taktieren. Die Landreform wurde vor dem Krieg als Wahlkampfthema gewählt, um bei den für 1915 geplanten Unterhauswahlen die Liberalen und Lloyd George zum Erfolg zu führen. Das damit verbundene Programm einer Besteuerung von Grund und Boden zur Förderung einer breiten Landverteilung einerseits und der Beschränkung der Macht der Landbesitzer andererseits, war ein Strang tradierter liberaler Politik seit dem Ende des 19. Jahrhunderts?71 Andere sozio-ökonomische Probleme, wie niedrige Löhne in der Landwirtschaft und Industrie, Arbeitslosigkeit und Bildung, gehörten ebenso zu den vor allem vom radikalen Flügel der Liberalen wiederholt angemahnten Politikfeldem, die untrennbar mit der Neubewertung ökonomischer Entwicklungen einhergingen.Z72 Vorläufiger Höhepunkt dieser Politik war 1909/10 das "People's Budget", als Lloyd George, seit 1908 Schatzkanzler einer liberalen Regierung, nicht ohne Blick auf damit verbundene steigende Wahlchancen bei den nächsten Unterhauswahlen, Mehrausgaben für soziale Aufgaben (u. a. Renten) zuUngunsten der Militärausgaben vorlegte. Letztere stiegen mit Rücksicht auf den einsetzenden europäischen Rüstungswettlauf zwar auch, aber die zur Finanzierung geplanten Steuererhöhungen fielen stärker für die Sozialpolitik ins Gewicht. 273 270 Lloyd George, David, Der Kampf um den englischen Boden, in: Soziale Zeitfragen, Heft 54/55, hrsg. von AdolfDamaschke, Berlin 1914; Vgl. auch Bodenreform 1914, S. 72 74, Jahrbuch der Bodenreform 1914, S. 81 - 102. 271 Vgl. Packer; Ian, Lloyd George and the land campaign 1912-14, in: Loades, Judith (Ed.), The life and time of David Lloyd George, Bangor 1991, S. 143 - 152, hier S. 144 f. 272 Vgl. Lloyd George, David, Bessere Zeiten, Jena 1911; Emy, H. V., The land campaign, in: Taylor, A.J.P. (Ed.), Lloyd George. Twelve Essays, London 1971, S. 35-68. 273 Vgl. Peden, G. C., British economic and social policy, Oxford 2 1991, S. 23-26; Poweil, David, The Edwardian Crisis, London 1996; S. 39-67. Das Oberhaus blockierte den Haushalt, der zur Finanzierung die Besteuerung von Kapitaleinkommen aus den Verkauf von Grundbesitz, höhere "Death rates" und eine hohe Abgabe auf Einkommen über f3.000 vorsah. Das von den Konservativen dominierte Oberhaus lehnte den Haushalt ab, was

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Die als "Demokratisierung" (Michael Maurer) beschriebene Vorkriegsepoche, an deren Durchsetzung Lloyd Georges als Schatzkanzler herausragenden Anteil hatte, bedeutete den Beginn des britischen Wohlfahrtsstaates. Renten-, Krankenund Arbeitslosenversicherungssysteme wurden institutionalisiert ( 1908 I 09 bzw. 1911). Die Aufnahme einer, die Wohnverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten endgültig verbessemden Wohnungspolitik in den Kanon der Sozialpolitik schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. In seinen Memoiren hatte Lloyd George für die Jahre 1910/ 11 die Möglichkeit einer britischen, nationalen Politik als Programm beschrieben, die u. a. alle "sozialen Übel" beseitigen und eine Lösung der Wohnungsprobleme hätte einleiten können. 274 Seine "Land Campaign" zwischen 1912 und 1914 spielte eine nicht unbedeutende Rolle bei der Errichtung des sozialreformerischen Images Lloyd Georges und beim weiteren Ausbau des wohlfahrtsstaatlichen Systems. Sie zählte zu seinen größten öffentlichen Projekten, groß in der Konzeption, aber "dürftig" im Ergebnis, zumindest dem sichtbaren?75 Im Mai 1912 setzte Lloyd George eine unter Leitung des Soziologen und Philanthropen Benjamin Seebohm Rowntree stehende Kommission ein, die, bezahlt von reichen Freunden (u. a. William Lever und Seeborn Rowntree selbst), eine Untersuchung durchführte, in deren Ergebnis die Thesen Lloyd Georges von einer notwendigen Umverteilung von Grund und Boden zur Bekämpfung von Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot Unterstützung finden sollten. Das von Seebohm Rowntree und May Kendall gelieferte Material, welches das bestehende System des "Landmonopolismus" neben den niedrigen Löhnen ursächlich für Armut, Wohnungsnot und Abwanderung vom Land verantwortlich machte27 6 , war eine wichtige Grundlage der Wahlkampf- und Propagandareden Lloyd Georges. Um die Propagandamaschinerie am Laufen zu halten, gründete die liberale Partei zudem das Central Land and Housing Council mit zahlreichen lokale Niederlassungen. zu einer Verfassungskrise führte. In deren Folge wurden einerseits Neuwahlen ausgeschrieben. Das Wahlergebnis im Dezember 1910 fiel für die Liberalen, entgegen den Erwartungen negativ aus. Sie mußten eine Koalition mit Labour und den Irischen Nationalisten eingehen, um an der Regierung zu bleiben. 1911 wurde ein Parliament Act verabschiedet, der dem Oberhaus untersagte, Haushaltsgesetze des Unterhauses abzulehnen. 274 Vgl. Turner; John, British Politics and the Great War, New Haven I London 1992, S. 49. 275 Gilbert, Bentley B., David Lloyd George, London 1992, S. 55. 276 Vgl. Rowntree, B. Seebohm I Kendall, May, How the labourer Jives, London et. al 1913. Im Vorwort wurde betont, daß der Hintergrund einer solchen Studie die Einsicht sei, "that the British public is beginning to realize that the welfare of the village labourer is essential to the welfare of the nation as a whole." Insgesamt wurden 42 ländliche Haushalte vorwiegend in Essex, Oxfordshire, Berkshire und Yorkshire untersucht. Erhebungen zum Einkommen, zur Miete bzw. Pacht und Ernährung, aber nicht zum Zustand des Wohnens wurden gemacht. Lediglich im "Ausblick" auf einer der letzten Seiten der Studie, finden sich Bemerkungen zur Qualität des Wohnens in den Landarbeiterhäusern. Wahrend die Ausstattung der Häuser eher nebensächlich beurteilt wurde, sah man das Problem vordergründig im Mangel an Häusern selbst. Im Ergebnis waren die Häuser überfüllt, und ihr Fehlen war Anlaß zur Landflucht. Ein interviewter Landarbeiter wurde mit den Worten zitiert, daß man in die Häuser hinein passe "as you will one day (fit) into a coffin". Ebenda, S. 328 - 331.

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Etwa 150 freiwillige und 80 fest angestellte Mitarbeiter produzierten bis Mai 1914 ca. 1,5 Millionen Flugblätter und waren für deren Verteilung zuständig. Darüber hinaus unterstützten radikal-liberale Blätter wie The Nation und der in ihr publizierende Soziologieprofessor L.T. Hobhouse sowie der Journalist und Ökonom J.A. Hobson die Kampagne.Z77 Innerhalb des Parlaments war eine recht starke, fraktionsübergreifende positive Stimmung für die Landreform allgemein und die Pläne Lloyd Georges im besonderen zu verzeichnen. Die beiden Labour-Abgeordneten MacDonald und Snowden bezeichneten die "Landreform" als Grundlage der Sozialreform in Großbritannien schlechthin. 278 Aber Lloyd George war der ehrgeiziger Urheber und Kristallisationspunkt der "Land Campaign". Gepaart mit seiner rednerischen Begabung sollte es letztlich möglich werden, das vordergründig auf die Probleme der ländlichen Regionen gerichtete Programm und seine Versprechungen, "into a gospel for the towns as well" zu verwandeln.Z79 Die "Landreform"-Reden, die sich sowohl der ländlichen als auch der städtischen "Bodenfrage" widmeten und in Deutschland in den Sozialen Zeitfragen veröffentlicht wurden, hielt Lloyd George im Herbst und Winter 1913/14. Das Hauptproblem des ländlichen Bodenproblems sah Lloyd George in der Verteilung des Bodens. Wenige besäßen viel und bestimmten die Bodenpreise. Dieser Umstand beförderte den Wegzug vom Land hin zu den Städten und eine desanströse Vernachlässigung der Landwirtschaft. Sie bezeichnete Lloyd George als "größte und geachtetste Industrie" Großbritanniens, in der es für dessen Arbeiterschaft die "unwürdigsten Lebensbedingungen" gäbe. Diese Zustände zu beenden, setzte er auf die staatliche Kontrolle von Grund und Boden und die Erhöhung der Löhne für Landarbeiter. Jene sollten im Gefolge dieser Maßnahmen, "ein wohnliches, bequemes Heim" sich zu leisten in der Lage sein, wo "Ruhe und Behaglichkeit nach geVgl. Packer, S. 150; Gilbert, David Lloyd George, S. 58-63. Vgl. Emy, S. 51. Kritik kam hingegen von unionistischer Seite. Der Abgeordnete G. E. Raine attackierte Lloyd Georges ,.Land Campaign" als ein Programm, das auf Lügen über das eigentliche Landproblem beruhe. Die Erhebungen, die als Grundlage des Vorstoßes dienten, wurden geheim geplant, seien in ihrer Art von unbegreiflicher ,.Partisanenmanier" und dienten gar nicht der Politikvorbereitung. ,.Facts have never troubled him (Lloyd George, T. K.) in any of his crusades." Das Bild, das so entstehe, beschreibe die Landbesitzer einseitig als "Monster" und die Landarbeiter als "arme, nieder gehaltene Kreaturen". Raines Urteil fiel dahingehend aus, daß Lloyd Georges Kampagne keine zur Landreform sei, sondern nur ein Feldzug gegen den Landbesitz. Dessen Engagement im Wohnungswesen habe Lloyd George völlig negiert. Schuld an den gestiegenen Kosten für das Wohnen seien nicht, wie Lloyd Gearges Kampagne herausstellte, die hohen Bodenpreise, sondern die Kosten für das Bauen selbst. Ablehnend wurden auch Lloyd Georges Beziehungen zu den Mietervereinigungen gesehen, die seine Politik übermäßig und einseitig beeinflussen würden. Die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Vermieter und Verpächter berücksichtige er hingegen nicht. Vgl. Raine, G. E., Lloyd George and the Land, London 1914, besonders S. 13-35, 134-148, 156-169. 279 Hazlehurst, Cameron, Po1iticians at war, London 1971, S. 105. Vgl. auch Packer, S. 148; Gilbert, David Lloyd George, S. 63 f.; Clarke, Peter, Hope and glory, Harmondsworth 1996; s. 40 - 76. 277

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taner Arbeit" gefunden werden könne. Sich selbst und den Staat nahm Lloyd George in die Verantwortung indem er versprach, daß zur Bewältigung der Aufgaben auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Verwaltung Maßnahmen getroffen würden, sowie mit staatlicher finanzieller Unterstützung zu rechnen sei. 280 Diesen in Bedford gemachten Äußerungen folgten wenige Tage später in Swindon erste Vorschläge, wie die ländliche Wohnungsnot zu beseitigen sei. Es fehlten 120.000 Wohnhäuser in den ländlichen Regionen Englands und Wales', wie Lloyd George konstatierte. Deren Vorhandensein würde eine gesicherte Existenz der dortigen Landbevölkerung ermöglichen. Ihr Nichtvorhandensein aber befördere den Wegzug. Die Lösung, die er anbot, war u. a. die fehlenden Häuser über billige Staatskredite zu finanzieren. Seine Regierung habe bereits Maßnahmen ergriffen, so Lloyd George, daß Land zu angemessenen Preisen erworben werden könne, um Häuser darauf zu bauen, die jedes einen Garten zum Gemüseanbau hätten. Er schloß seine Rede mit der Ankündigung, daß die Regierung "ein großes, ein gigantisches Unternehmen" plante, und dies auch durchzuführen gewillt sei. Was den deutschen Bodenreformern und den Lesern der Sozialen Zeitfragen wie Verkündigungen aus grenzüberschreitender Gemeinsamkeit erschienen sein mag, beinhaltete für Großbritannien die Verheißung zukünftiger Größe im Schein "neuer Morgenröte": "Wir werden nicht nur unser weites Land mit einer gesunden, blühenden und glücklichen Bauernbevölkerung füllen; wir werden auch unsere Städte von den Schrecken der Arbeitslosigkeit, der Hungerlöhne und der Slums befreien. Dann endlich werden wir ein Mutterland haben, in dem eine fröhliche Jugend lebt, ein Mutterland, auf das die Glieder unseres großen Reiches in allen Teilen der Welt stolz sein können." 281

Unter der Überschrift Die städtische Bodenfrage wurden den Lesern der Sozialen Zeitfragen die Äußerungen Lloyd Georges hinsichtlich seiner Haltung zur Wohnungsfrage in den britischen Städten nähergebracht Die Lösung der Probleme im städtischen Wohnungs- und Siedlungswesen hinge, so Lloyd George seine oben dargestellte Meinung wiederholend, entscheidend von dem Problem der Verteilung des Landes ab. Die beiden Reden, gehalten Ende Oktober 1913 in London (Holloway) und Anfang November in Middlesbrough, stellten den Politiker in erster Linie als einen Mann dar, der gewillt war, eine Reform des Wohnungs- und Siedlungswesensdurch die Umverteilung von Land und das Engagement des Staates in Lloyd George, Der Kampf um den englischen Boden, S. 13, 24 f. und 26 f. Ebenda, S. 51. Im Gegensatz zur Bedford-Rede bot Lloyd George in Swindon tatsächlich erste politische Schritte zur Lösung der Landfrage an. Neben der Durchführung eines Siedlungsprogramms sollte das Landwirtschaftsministerium durch ein Ministry of Lands and Forestry ersetzt werden, das alle Befugnisse für Landbesteuerung, -erwerb und -eigentum sowie für die Entwicklung ländlicher Industrien übertragen bekommen sollte. Sogenannte Land Commissioners sollten außerdem zukünftig Löhne, Mieten und Pachten in der Landwirtschaft und den ländlichen Industrien kontrollieren, versprach Lloyd George. Vgl. Emy, S. 58. Zur Idealisierung des Landlebens vgl. u. a. Schmied, Doris, The countryside, in: Diller, HansJürgenu. a. (Hrsg.), Englishness, Heidelberg 1992, S. 71-82. 280 281

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diesem Bereich durchzusetzen. Lloyd George wurde zitiert als eine Persönlichkeit, die "soziale Gerechtigkeit für jeden" zu erzwingen vorgab. Zu seinen Aufgaben zählte er, "dafür zu sorgen, daß der Klasse, der ich entstamme" soziale Gerechtigkeit widerfahre. Mit Blick auf seine Kindheit in ärmlichen Verhältnissen unterstrich Lloyd George seinen Willen zu politischer Macht unter Aufrechterhaltung und Steigerung des persönlich-moralischen Ansehens, indem er erklärte: "Es sind genug Leute vorhanden, die für diejenigen sorgen, die auf der Sonnenseite des Lebens wandeln. Ich bin dafür da, nach denen zu sehen, die im Dunkeln sitzen." 282

In seiner Glasgower Rede vom Februar 1914 wurde die "städtische Wohnungsfrage" in Schottland thematisiert. Lloyd George gestand ein, daß das Wohnungselend dort in einigen Städten "noch größer" sei, als in England und Wales. Gerade in Glasgow und Edinburgh müßte der "Wohnungsmisere ein Ende" bereitet werden. Die "physische und moralische Gesundheit" werde durch sie in den Arbeiterviertel untergraben. Unter den Bedingungen der innerstädtischen Slums, so Lloyd George, stiegen die Sterbeziffern. Vor allem die Kinder seien von den schlechten Wohnbedingungen betroffen. Gerade sie brauchten, in der Verwendung einer grenz- und zeitüberschreitenden Formel, "Sonne, Luft und Raum, wenn sie gedeihen sollen". 283 The Urban Lilnd Problem, bereits Ende 1913 in Großbritannien veröffentlicht, war massiv von Angriffen gegen die Landlords, die Vermieter bzw. Verpächter von Haus- und Grundeigentum getragen. Die "wunden Stellen", welche die "Klauen" der Landlords mit ihren Vermietungs- und Verpachtungsmethoden reißen würden, "eiterten" in den Städten noch stärker als auf dem Lande, wie Lloyd George meinte. In jeder Straße des Landes und in "Millionen von Behausungen", sei der "Schatten" des Landmonopolismus zu sehen. Sowohl in den Städten als auch auf dem Lande war die Situation schmerzlich und schändlich. Indem sich Lloyd George in seinen Attacken aus der Position des Politikers erhob, untermauerte er seine Entschlossenheit, das Wohnungselend in Großbritannien abzubauen. Als Politiker, Reformer und sittlich-moralischer Analytiker zugleich markierte er die "unwürdigen" Eckpunkte des britischen Wohnungswesens: "1 am not talking the language of politicians, ... I am talking the language of medical officers of health, who .. . have called attention to name a district in most of our towns where the dwellings are unfit formen, women, and children to live and breathe in. They are a scandal and a disgrace to a civilised country. Some of the houses are structurally unfit, but even houses which are fit are so overcrowded that for those conditions they become unfit. " 284

Lloyd George, Der Kampf um den englischen Boden, S. 63 Lloyd George, Die Bodenreformvorschläge der englischen Regierung, S. 90. V gl. auch Lloyd George, David, Die Bodenreformvorschläge der englischen Regierung. Rede, gehalten am 4. Februar 1914 in Glasgow, in: Jahrbuch der Bodenreform 1914, S. 81-102. 284 Lloyd George, David, Speeches. The urban land problem: housing wages, London 1913, S. 3 f. 282 283

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Diese Bedingungen abzuschaffen, sei die Regierung angetreten. Im Wahlkampf lohnte es, diese Positionen zu wiederholen, und einen Maßnahmeplan zur Bekämpfung der schlechten Wohnungsbedingungen vorzustellen. Seebohm Rowntree und sein Stab waren hierfür bereits an der Arbeit. Der Plan sah vor, so versprach Lloyd George, eine nationale Erhebung zu den Wohnbedingungen durch die Zentralregierung in London durchzuführen. Dabei sollte jede "inadequacy, every defect, every insufficiency in housing accomrnodation, everything which Ieads to overcrowding and all its evil" zur Kenntnis genbmmen werden. Alle Slums, alle Wohnungen in denen unhygienische Zustände herrschten, Licht, Luft und Raum fehlten, sollten verzeichnet werden. Diese Erhebung sei schließlich die Grundlage dafür, "Operations against slums and overcrowded houses" zu führen. Unter der Annahme, daß menschliches Elend vermeidbar sei, würden vor allem bessere Wohnverhältnisse auf dem Land der Landflucht vorbeugen und in den Städten neue, beständigere Arbeitsplätze schaffen.285 Inhaltlich waren die Reden Lloyd Georges von der Verknüpfung aus persönlichmoralischem Willen, Armut und schlechte Wohnungsverhältnisse zu beseitigen, und der politischen Verantwortung für die unteren Schichten der britischen Bevölkerung getragen. Sie stellten aber auch liberale Partei- und Wahlpropaganda dar, welche die persönliche und sittliche Einstellung des Reformers und Politikers Lloyd George zu nutzen verstand. In seiner Regierungs- und Parteiorientierung garantierte die Persönlichkeit Lloyd George, sich der Reform des Wohnungs- und Siedlungswesens angenommen zu haben. Als Schatzkanzler und später als Premierminister beschrieb er damit sowohl eine wichtige Person als auch zugleich den Ort der Reform des Wohnungs-, Siedlungs- und Bodensystems des "alten" Britanniens. Die Debatten um die Finanzierung des Kriegsschiffbaus, vor allem mit Winston Churchill, dem First Lord of Admiralty zwischen 1911 und 1915, um den Jahreswechsel 1913 I 14 unterbrachen Lloyd Georges Anstrengungen um die "Landreform" bzw. bedeuteten deren Aufschub.Z86 Diese als "verhängnisvoll" (Gi1bert) 285 Ebenda, S. 13 f. Vgl. auch Lloyd George, David, Speeches. The urban land problem: leaseholds-housing, London 1913. Parallel zur Veröffentlichung der Reden wurden die ersten Ergebnisse der Umfrage Seebohm Rowntrees publik gemacht. W. H. Smith, größter Buchund Zeitungshändler des Landes, schätzte ein, daß in der Folge der Bedford-Rede allein in seinen Filialen 15.000 Exemplare davon in wenigen Tagen verkauft worden waren. Vgl. Gilbert, David Lloyd George, S. 63. Der erste Band des Land Enquiry Committee's Report, der sich mit der ländlichen Situation befaßte erschien noch 1913, der zweite Band zur städtischen Boden- und Wohnungsreform 1914. Neben den aus den Reden Lloyd Georges bekannten Zahlen zum Wohnungsmangel in den ländlichen Regionen Englands und Wales', schätzte der zweite Teil zur städtischen Wohnungsnot ein: "a shortage in housing accommodation for the working classes, not confined to any particular class of house, exists in a !arge proportion probably at least on-half- of English and Welsh towns and urban districts." Zitiert nach: British Library of Political and Economic Science (BLPES), London School of Economics and Political Seiences (LSE), Archiv, Passfield 13, H. M. Schreiben des Office of Works an das Reconstruction Committee vom 11. Juli 1916, A fol. 71 - 74. 286 Vgl. Gilbert, David Lloyd George, S. 66-79.

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eingeschätzte Unterbrechung spiegelte sich in einer ungenügend ausgearbeiteten Haushaltsvorlage durch Schatzkanzler Lloyd George im Mai 1914 wider, die einer ausreichenden und begründeten finanziellen Basis für die Reform entbehrte. Zwar bildeten die Land- und Steuerreform die beiden Säulen des neuen Haushalts, doch fehlten zu deren Durchsetzung nötige Steuer- und Veranlagungsgesetze für Individuen, Körperschaften und Gemeinden, die erst noch ausgearbeitet werden mußten. Kern dieser Verordnungen sollte die Neubewertung der Besteuerung von Grundstücken sein, sprich eine Erhöhung der Steuer auf ungenutztes Land. 287 Überdies litt die Öffentlichkeitswirksamkeit der "Landkampagne" unter den Unstimmigkeiten und der Nichtdemonstration des Durchsetzungswillens Lloyd Georges. Wahrend in den ländlichen Regionen die Initiative Anerkennung und positive Resonanz fand, ließ ihre Wirkung in den Städten zu wünschen übrig. Die erhoffte Verbindung von Landreform und der Verbesserung des städtischen Wohnungswesens war doch eher schwach in den Reden und Programmen zum Ausdruck gebracht worden. Seebohm Rowntree und das Central Land and Housing Committee waren, wie Öffentlichkeit und Parlament, verwirrt von der Unmöglichkeit des von Lloyd George vorgelegten Haushaltes und der damit verbundenen Finanzierung und Durchführung einer Land- und Wohnungsreform. Einflußreiche Kreise der eigenen Partei und Premierminister Asquith unterstützten Lloyd Georges Haushaltsvorlage nicht. Wichtige Teile der im Juni 1914 vorgelegten Finance Bill wurden daraufhin gestrichen, die Steuern nicht erhöht, sondern wahltaktisch gesenkt. Die Verabschiedung eines neuen Steuergesetzes wurde aufgeschoben. Lloyd George machte daraufhin einen letzten Vorstoß bezüglich der Landreform im Kabinett und arbeitete, gemeinsam mit seinem Vertrauten und späteren Wiederaufbauminister Christopher Addison, eine Vorlage für das neue Steuergesetz aus. 288 Dann kam der Krieg. Er konnte Lloyd Georges Haushaltsdebakel vergessen machen und bewahrte ihn vor dem politischen Absturz. Der "reputation for magic", die Lloyd George nachgesagt worden war, wurde vorerst zerstört. Doch spätestens mit seinen Leistungen im Ministry of Munitions und mit seinem Aufstieg zum Premierminister schien, nicht ganz so strahlend, der "Zauberer" und seine sozialen Reformprogramme zurück zu kommen. Daß der Krieg, und nicht eine schlechte Politik Lloyd Georges, die Land- und mit ihr die Wohnungsreform verhinderten, würde sich wie ein unerfülltes Versprechen über Jahre halten können. Daraus erwuchs Erwartung und Verpflichtung zugleich.289 Wahrend vor der Einführung einer Mietkontrolle im November 1915 die Probleme steigender Mieten und der Exmittierungen zu wohnungspolitischen Debatten führten, bestimmten spätestens ab dem Frühjahr 1917 die Vorbereitung auf die Nachkriegszeit die Anfragen im britischen Unterhaus, die meist von Labour-Abgeordneten vorgebracht wurden. Die Regierung Lloyd George war, erinnerte man an 287 288 289

Vgl. Emy, S. 62 f.; Gilbert, David Lloyd George, S. 83-85. Vgl. Gilbert, David Lloyd George, S. 85 f., 89 - 91 ; Emy, S. 65. V gl. Gilbert, David Lloyd George, S. 92.

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die politischen Ziele und zahlreichen Stellungnahmen aus der Vorkriegszeit, in besonderer Verantwortung, die erwartete Wohnungsknappheit nach dem Krieg einerseits als wichtige Aufgabe anzugehen. Andererseits stand nicht nur eine "Notfallpolitik" zur Diskussion, sondern die Verbesserung der Wohnungsbedingungen weiter Teile der Bevölkerung. Auf die Anfrage des Abgeordneten Peto im März 1917, welche Maßnahmen die Regierung hinsichtlich der "provision of better housing for the working classes, both in town and country, as the most pressing of post-war problem" einzuleiten gedenke, antwortete der Präsident des Local Government Boards, William Hayes Fisher, für den Premierminister. Hayes Fisher, dessen Amt für die Fragen des Wohnungswesen zuständig war, versicherte, daß die Wohnungsfrage tatsächlich das "most pressing problem" sei, mit dem sich seine Behörde nach dem Krieg zu befassen habe. Was die Position des Premierministers diesbezüglich beträfe, so gehöre dieser "Angelegenheit" dessen "ernste Aufmerksamkeit".Z90 Der "Angelegenheit" Wohnungsfrage nach dem Krieg, das konnte Lloyd George dem Parlament und der Öffentlichkeit bestätigen, widmeten sich verschiedene Ausschüsse des eigens für die Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Nachkriegszeit eingerichteten Reconstruction Comrnittees, dem späteren Ministry of Reconstruction. Dieses legte im Friihjahr 1917 ein erstes Ergebnis seiner Arbeit, die Wohnungsprobleme nach dem Ende des Krieges einschätzend, vor. Im Memorandum schlug der Ausschuß dem Kriegskabinett vor, an alle lokalen Verwaltungen, die local authorities, einen Fragebogen zur Ermittlung des gegenwärtigen und zukünftigen Wohnungsbedarf zu verschicken. In dessen Folge könne das Ausmaß des Wohnungsproblems bestimmt werden. Die Resultate ermöglichten dann, weitere Maßnahmen "on housing after the war" einzuleiten. Ende Juli 1917 bekräftigte das Kriegskabinett seine Absicht, die Vorschläge des Reconstruction Comrnittees zu unterstützten. Bis zum Oktober des seihen Jahres sollten die lokalen Verwaltungen ihren "Wohnungsbedarf' gemeldet haben. Die Regierung bestätigte dariiber hinaus, daß den örtlichen Behörden bis dahin eine "Versicherung" gegeben werden müßte, daß man anerkenne "that it will be necessary to afford substantial financial assistance from public funds to those Local Authorities who are prepared to carry through, without delay at the conclusion of the war, a programme of housing for the work.ing classes approved by the Local Govemment Board."291 290 PRO, ZHC 2/601: Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 92, 13. vol. of session 1917- 18, col. 207, Anfrage vom 27. März 1917. Eine weitere Anfrage zum gleichen Thema, diesmal mit dem Schwerpunkt des Wohnungswesens in den industriellen Zentren des Landes, richtete der Abgeordnete Finney am 25. Mai 1917 an die Regierung. Finney forderte die Regierung auf, " .. .to formulate a national and compulsory scheme for the erection of suitable and healthy dwellings in the great industrial areas .. .". Hayes Fisher beteuerte, daß sich die Regierung des Problems bereits angenommen habe. Vgl. ZHC 2 I 602: Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 93, 4. vol. of session 1917, col. 2651 f., Anfragevom 25. Mai 1917. 291 PRO, CAB 23 I 3: War Cabinet Papers, Minutes of a Meetings of the War Cabinet, 24. Juli 1917, S. 129.

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Nach dieser Beschlußfassung im Kabinett war es der Regierung aber nur bedingt möglich, dem Parlament erste konkrete Schritte vorzustellen. Die Anfrage des Abgeordneten Ruteher vom Juli 1917, welche Positionen die Regierung zur Lösung der Wohnungsfrage nach dem Krieg beziehe, beantwortete Hayes Fisher indem er auf die oben dargestellten Maßnahmen verwies. Er machte deutlich, daß diese Anstalten, vor allem die "finanzielle Unterstützung" des Wohnungsbaus der lokalen Verwaltungen durch öffentliche Fonds, nur eine Übergangsregelung sein könne. Nur während "a period after the war", so Hayes Fisher die gegenwärtige und nachhaltig starke Position innerhalb der Regierung benennend, werde man den Bau von "a number of houses for the working classes" fördern.292 Auch die Anfragen, wieviele Wohnungen für die "arbeitenden Klassen" nach dem Krieg benötigt würden, um eine Wohnungsnot zu verhindern, konnte die Regierung bis zum Herbst 1917 nicht befriedigend beantworten. Mehrere Abgeordnete drängten die Regierung zu solchen Stellungnahmen, um deren Glaubwürdigkeit in der Wohnungsfrage zu hinterfragen. Hayes Fisher, an den solche Fragen aus dem Parlament wie immer bis dahin weitergegeben wurden, mußte meist passen. Bis zum Sommer 1917 verwies er stets darauf, daß er die lokalen Verwaltungen angehalten habe bzw. anhalten werde, die Daten über den Wohnungsbedarf zu erheben. 293 Im Herbst 1917, als die Ergebnisse der Urufrage vorliegen sollten, mußte die Regierung eingestehen, daß das Interesse der Lokalbehörden nur gering war, sich dem Problem des Wohnungsbaus nach dem Krieg anzunehmen. Von über 1.800 Lokalverwaltungen in England und Wales hätten, so Hayes Fisher Ende November 1917 im Unterhaus über den Stand der Erhebung, nur 340 Wohnungsbauprojekte in Vorbereitung. Weitere 500 hätten ihre Bereitschaft erklärt, Häuser und Wohnungen in eigener Regie zu bauen, wenn dafür finanzielle Unterstützung der Londoner Regierung bereitgestellt würde. 294 Bei Anfragen nach der Höhe der finanziellen Unterstützung, welche die Regierung den Lokalverwaltungen zur Verfügung zu stellen in der Lage sein würde, konnte diese ebenfalls keine befriedigende Antwort geben. Auf eine diesbezügliche Frage den Abgeordneten Byrne entgegnete ein Vertreter des Schatzamtes, daß "no estimate has been or, in the nature of circumstances, can be formed at this date of the requirements for housing in the United Kingdomafter the War".Z95

Die Wohnungsproblematik der Nachkriegszeit in Schottland fand traditionell eine gesonderte Bewertung. Daß sie aber ebenfalls in die Politik der Regierung 292 PRO, ZHC 2/605: Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 96, 7. vol. of session 1917, col. 1899, Antwort vom 31. Juli 1917. 293 Vgl. PRO, ZHC 2/604: Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 95, 6. vol. of session 1917, col. 548, Anfrage vom 28. Juni 1917; col. 1277, Anfrage vom 5. Juli 1917. 294 PRO, ZHC 2/608: Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 99, 10. vol. of session 1917, col. 1842 f., Anfrage vom 27. November 1917. 295 PRO, ZHC 2/ 606: Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 97, 12. vol. of session 1917, col. 557, Anfrage vom 9. August 1917.

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eingebunden sei, bestätigte ein Vertreter des schottischen Local Govemment Boards im August 1917 im Unterhaus. Seine Behörde habe ebenfalls einen Fragebogen an alle schottischen Lokalverwaltung verschickt, mittels dem der Wohnungsbedarf in Schottland ermittelt werden sollte. Bis Mitte Oktober 1917 würden die Rückläufe erwartet. Deren Auswertung versetze das LGB in den "Besitz aller Fakten" über die Ausmaße des Wohnungsbedarfs. 296 Auf den ersten Blick waren das keine großen Erfolge für eine Regierung, deren Führung vor dem Krieg mit der Ankündung an die Öffentlichkeit getreten war, die Wohnungsfrage in Stadt und Land sozial gerecht zu lösen. Nun verwies man entweder auf eingeleitete Maßnahmen, deren Ergebnisse nicht vollständig bzw. noch nicht vorlägen oder erlaubte sich, unter den angespannten Bedingungen des gegenwärtigen Krieges, keine genaueren Auskünfte geben zu können. Im Vergleich zu den Stellungnahmen Lloyd Georges in der Jahren unmittelbar vor dem Kriegsausbruch schienen die wenigen, ins Parlament und die Öffentlichkeit getragenen Ergebnisse, einen Bruch mit seinen vertretenen und erwarteten politischen Zielen zu bedeuten. Nur auf die allgemeinen Kriegsanforderungen und die Bindung der Regierung an deren Bewältigung, konnte die Rückstellung der Wohnungspolitik nicht zurückgeführt werden. 297 Im Gegenteil, die Wohnungsfrage in den industriellen Zentren und den landwirtschaftlichen, Nahrungsgüter produzierenden Regionen hatte sich durch Zu- bzw. Abwanderung weiter verschärft. Eine verstärkte politische Anstrengung war demnach nicht nur die Einlösung gegebener Versprechen und erinnerter Erwartungen aus der Vorkriegszeit, sondern eine Herausforderung, sich mit neuen, tiefen Verwerfungen im System des Wohnungswesens Großbritanniens auseinanderzusetzen. Ein Politikstil in "Abhängigkeit von Augenblickseinflüssen", der Lloyd George unterstellt wurde, und die "Unwilligkeit" Hayes Fishers, vom traditionellen Pfad liberal-wirtschaftlicher Grundsätze auch bei der Lösung der Wohnungsfrage nicht abweichen zu wollen, können nur einseitige und oberflächliche Erklärungen bieten. Die Persönlichkeit des Premierministers verband sicherlich zahlreiche Facetten von Erfahrungsverarbeitung des "unten" und "oben", die seiner Politik eine Art klassenübergreifenden Charakter gegeben hatten. Es führte hier aber zu weit, sich intensiv biographisch zu vertiefen. A.J.P. Taylor zeichnete in seiner 1965 erschie296

Ebenda, col. 499, Stellungnahme des Solicitor General for Scotland vom 8. August

1917. 297 Nach der Übernahme der Dienstgeschäfte im Dezember 1916 sah sich die Regierung Lloyd George neuen militärischen und wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber, deren Lösung eine Rückstellung innenpolitischer Reformwerke zur Folge zu haben schien. Im Dezember 1916 fiel Bukarest, die militärische Initiative der Mittelmächte an der Ostfront schien erfolgreich zu sein. Im Februar 1917 begann Deutschland den uneingeschränkten V-BootKrieg und bedrohte damit das stark von Lebensmittelimporten abhängige Großbritannien auf eine bisher nicht gekannte Weise. Im Land drohten Streiks und Arbeitskräftemangel die Rüstungsproduktion empfindlich zu hemmen. Die Irlandfrage band weitere Kräfte. Zur "britischen Krise" im Frühjahr/ Sommer 1917 vgl. u. a. French, David, The strategy of the Lloyd George coalition 1916-1918, Oxford 1995, S. 67 - 93. 12 Koinzer

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nenen English History ein Bild Lloyd Georges, das die vermeintliche "Lücke" in der Kontinuität Reformer und Politiker bzw. dessen Unentschlossenheit zu erklären versuchte. Obwohl Lloyd Georges Handeln und Führen oft von "großem moralischem Mut" bestimmt gewesen sei, so Taylor, habe er aber "gezittert" bevor er handelte. 298 Doch war ein persönliches und vor allem nach außen gerichtetes Engagement Lloyd Georges spätestens mit dem Einsetzen des zweiten Reconstruction Committees unter Addison im Februar 1917 nicht mehr notwendig. Die Regierung unter seiner Führung hatte sich ein Instrument geschaffen, welches die Probleme des Wiederaufbaus sowie der wirtschaftlichen und sozialen Nachkriegsentwicklung zu lösen angegangen war. Ohne "zittern" (Paul Barton Johnson), mit einem immensen Arbeitsaufwand und einer geringen öffentlichen Anteilnahme, aber mit einer Art von perzipierter Gewißheit, Politik für das Nachkriegsgroßbritannien zu entwerfen, begann das Komitee, das im Juli des selben Jahres zu einem Ministerium erhoben wurde, seine Arbeit. 299 Durch die Arbeit dieser Institutionen, die im folgenden Kapitel Gegenstand der Betrachtung sein werden, konnte Lloyd George sich aus den Vorarbeiten zu einer neuen, weiterentwickelten Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform weitestgehend zuriickziehen. Mit dem liberalen Christopher Addison hatte Lloyd George seinem politischen und persönlichen Freund die Leitung anvertraut. Sowohl Komitee bzw. Ministerium als auch Addison selbst wurden damit zu Trägem und wichtigen Institutionen der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform und -politik, die vorgaben, an die Traditionen und Versprechen der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Hinter den Kulissen blieb Lloyd George aber aktiv. Als gelernter Rechtsanwalt, das bescheinigte zumindest A.J.P. Taylor Lloyd George, sei es seine Gabe, die Dinge von dort aus zu verfolgen und zu beeinflussen. Gute Beziehungen zur Presse und deren umfangreiche Instrumentalisierung, traditionelle Verbindungen zu verschiedenen sozial- und wohnungsreformerischen Organisationen und ein persönlicher Stab von Referenten, den sogenannten "Garden Suburb", von denen einzelne im Reconstruction Committee bzw. Ministry "postiert" wurden, zeugten von einer ständigen, imaginären oder tatsächlichen Präsenz Lloyd Georges. 300 298 Taylor; A. J. P., English History 1914-1945, Harrnondsworth 1973, S. 109. Die "Abhängigkeit von Augenblickseinflüssen" konstatierte Herzfeld in Lloyd Georges Kurzbiographie, in: Her;feld, Hans (Hrsg.), Lexikon Geschichte in Gestalten, Bd. II, München 1989, S. 58. Vgl. auch Schlange-Schöningen, Hans, Führer und Vcilker, Berlin 1931, S. 49-99. Für Christopher Addison war Hayes Fisher, dem er anfanglieh unerwarteten Enthusiasmus bei der Arbeit zugestanden hatte, ein ,,reaktionärer Tory-Minister", dessen Behörde sich nicht ausreichend auf die Aufgaben im Wohnungswesen der Nachkriegszeit vorbereitet habe. Vgl. Addison, Christopher, Four and a half years, 2 vol., London 1934, S. 494 und 586 f., siehe Kapitel II. 2. c) und 2. d). 299 Johnson, Paul Barton, Land fit for heroes. The planning of the British Reconstruction 1916- 1919, Chicago/London 1968, S. 36 und 55. 300 Vgl. Taylor; A. J. P, Lloyd George, in: Ders., Essays in English History, Harrnondsworth 1976, S. 254-282, hier S. 255, 261 und 273; Gilbert, David Lloyd George,

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Die Leistungen Lloyd Georges bei der Reform des britischen Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenwesens wie für die gesamte Politik während des Ersten Weltkriegs bleiben nachhaltig haften. Zeitgenossen, wohlgesinnte zumindest, und Historiker schätzten und schätzen ihn als den "erfolgreichsten Staatsmann des gesamten Krieges" und "großen Gauner des politischen Lebens Großbritanniens"?01 Sein Ehrgeiz und Engagement schien grenzenlos. Als Minister of Munitions, zuständig für die Kriegs- und Rüstungsproduktion in den Jahren 1915 I 16, klagte er einerseits über Fabrikbesitzer und Unternehmer, welche die Kriegsgesetze "überforderten" und damit schädliche Arbeiterproteste heraufbeschworen. Andererseits litt er an der "Freiwilligkeit" des gesamten Systems der Kriegswirtschaft Die "undisziplinierte Nation" Großbritannien sei, wie Lloyd George im Herbst 1915 schrieb, dem "bestdiszipliniertesten Land der Welt" entgegengetreten, und einige Politiker bezeichneten diesen Nachteil als "wirklichen Vorteil". Diese "Undiszip1iniertheit" hemmte den wirtschaftlichen und sozialen Erfolg im Krieg und war eine schlechte Voraussetzung für die gewünschte Entwicklung der Nachkriegszeit. Seiner Einstellung vom Vorteil einer klassenübergreifenden Ordnung Ausdruck gebend, war Lloyd George von sich und Großbritannien überzeugt, daß mit einer disziplinierten Nation er "almost have doubled the output in a very short time." 302 Es war das Ideal von der "disziplinierten Nation", die in der Lage sein würde, organisiert und besonnen alle Probleme anzugehen. Persönliche Integrität und politischer Instinkt vereinten sich in seiner Person zum Prototyp eines Menschen, der S. 63; Scally, Robert J., The origins of the Lloyd George coalition, Princeton 1975; Raine, S. 134-148. Der "Garden Suburb", im Januar 1917 etabliert, war, wie The Nation im Februar 1917 urteilte, "a little body of illuminati, whose residence is the Prime Minister's garden, and their business to cultivate the Prime Minister's mind". The Nation vom 24. Februar 1917, zitiert nach: Turner; John, Lloyd George's Secretariat, Oxford 1980, S. 1. Hier versammelte Lloyd George eine Mannschaft von ihn "Erleuchtenden", welche die Fragen der "Sphinx" von No. 10, Downing Street zu beantworten angetreten waren. Als administrative Nachrichtenabteilung verfaßten deren Mitarbeiter Berichte zu verschiedensten Themen und zeichneten verantwortlich für die Kontakte zwischen dem Büro des Premierministers und den Ministerien. Diese Einrichtung stärkte einerseits die Position des Premiers innerhalb der Regierung, andererseits war sie Ort des allgemeinen "Politikmachens", und schließlich hatten dessen Mitarbeiter nicht unwesentlichen Anteil an der Formulierung liberaler Sozialpolitik, die unter der Bezeichnung "social-imperialism" bekannt wurde. Zwei der wichtigsten "Blumen" im Garten waren William George Stewart Adams und Philip Henry Kerr, die als Mitarbeiter im Reconstruction Committee bzw. Ministry u. a. an der Erarbeitung der Nachkriegswohnungspolitik Anteil nahmen. In der Verbindung aus Oxford-Professor der Wirtschafts- und politischen Wissenschaften (Adams) und Journalist/Publizist (Kerr) mit Erfahrungen in verschiedenen Ministerien waren beide geradezu ideal, in den koordinierenden und gleichzeitig kreierenden Wiederaufbaubehörden beschäftigt zu sein. Vgl. Turner; S. 1- 23. 301 Sutherland, William (Ed. and Introduction), Nineteen Sixteen - Nineteen Twenty, London 1920, S. XII; Taylor, A. J. P., Lloyd George. Rise and Fall, S. 254. 302 Imperial War Museum (IWM), London, Document Department, Papers of R. D. Blumfeld, ohne Bl.-Nr.: Schreiben Lloyd Georges an Blumfeld vom 25. Oktober 1915. R. D. Blumfeld war von 1904 bis 1932 Herausgeber des Daily Express und Vorsitzender der Verlagsgruppe London Express Newspaper Company. 12*

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die "disziplinierte Nation" mit Disziplin zu führen vorgab. Unter Vernachlässigung seiner Schwächen wurde er damit ein Teil des symbolträchtigen "neuen Britannien" selbst, auch ohne ständig daran zu arbeiten. Zur rechten Zeit war Lloyd George aber auch wieder zuriick in den öffentlichen Arenen, um für "seine" Wohnungspolitik die (Wahlkampf)Trommel zu riihren. Die "Heldenrede" von Wolverhampton im November 1918 wurde zum Griindungsakt der "disziplinierten Nation". Aus dem Munde Lloyd Georges kam die Rede einem Versprechen gleich. Mit "Weisheit" und "Mut" werde gemeinsam ein neues Land, eben eine "disziplinierte Nation" erwachsen, von Einheit sowie sozialem und wirtschaftlichen Aufschwung geprägt: " ... If we act wisely and courageously, the whole nation will join in the prosperity. A prosperity of which only one class partakes is no prosperity at all. Every attempt to keep the sun shining on one class has ended by excluding it from every class. The war has been won by the unity of the classes and by the sacrifice of every rank and every condition of life. Patriotism is the common inheritance and virtue of all. Let us in the coming weeks see that Britain has not exhausted its patriotism, and then we shall see that the deep affection for the Old Country will weil up from the deeps of our nature so as to fructify and enrich the land with the Iove of her children." 303

Ohne Zweifel spielte Lloyd George mit dem Kalkül eines Wahlkämpfers, als er in Wolverhampton und anderen Städten sein Bild vom "neuen" Großbritannien malte. Er lebte, wie Taylor meinte, nur für die Politik. 304 Dem militärischen Triumph sollte sich ein politischer, sozialer, zivil-integrativer Triumph bei der Rückkehr von den Fronten und aus der Kriegsproduktion anschließen. Nur so konnte ein Abgleiten der Frontkämpfer in die im Krieg gegriindeten parteiähnlichen Interessengemeinschaften bzw. hin zu Labour verhindert werden. Lloyd George verstand die Heimkehr- und Eingliederungsklaviatur zu spielen. Auch die heimkehrenden Frontsoldaten wollten, obwohl oft mit dem drohenden Revolutionsgespenst in Zusammenhang gebracht, schnell ins zivile Leben zuriickkehren. 305 Das Wohnen war ein fundamentaler Bestandteil diese Lebens, dessen Sicherung und vor allem Verbesserung die letzte Kriegskoalition mit Lloyd George an der Spitze versprochen hatte.

303 Lloyd Georges Rede in Wolverhampton am 24. November 1918, in: Guedalla, Philip (Ed.), S. 203. 304 Vgl. Taylor, A. J. P., Lloyd George. Rise and Fall, S. 256. 305 Vgl. Ward, Stephen R., The British Veteran's Ticket of 1918, in: The Journal of British Studies, Vol. VIII, No. 1, November 1968, S. 155-169, hier S. 169. Die 1917/18 gegründeten britischen Kriegsteilnehmerorganisationen werden in dem Aufsatz kurz dargestellt. Daß die Kriegsheimkehrer sich als Bedrohung des Status Quo gebärdeten bzw. als bedrohlich eingeschätzt wurden zeigt Ward, Stephen R., Intelligence surveillance of British ex-service men, in The Historical Journal, Vol. XVI, No. 1 (1973), S. 179-188. Vgl. auch Kapitel IV. 2. c).

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b) Wohnungsreformer in den Regierungen Asquith und Lloyd George Mitte Dezember 1915 diskutierte das Kriegskabinett ein Memorandum des Präsidenten des Board of Trade, Walter Runciman, in dem dieser die Wiederaufbauprobleme auflistete, mit denen die einzelnen Ministerien zukünftig befaßt sein würden. Im Zusammenhang mit der Frage, welche Aufgaben sich hinsichtlich eines weiteren Vorgehens im Wohnungswesen stellen würden, wurde zwar die Notwendigkeit einer interministeriellen Zusammenarbeit betont. Doch verwies Runeiman vorerst die Zuständigkeiten in die traditionell damit befaßten Behörden. Eine nach dem Krieg zu erwartende Auswanderung, die im Kontext der Wohnungsfrage entlastend wirken würde, war Aufgabe des Colonial Office in Abstimmung mit dem Landwirtschaftsministerium. Letzteres habe dariiber hinaus die organisatorische Verantwortung für die bereits geplante Ansiedlung von Kriegsheimkehrern in ländlichen Regionen und den dafür notwendigen Landerwerb. Das Local Government Board sei schließlich in Abstimmung mit den lokalen Verwaltungen der Regionen für die allgemeinen, nicht näher bestimmten Belange des "ländlichen Wohnens" zuständig. 306 Das Landwirtschaftsministerium (Board of Agriculture and Fishery) war zusammen mit dem LGB seit dem Frühjahr 1915 mit einem Programm zur Ansiedlung von heimkehrenden, vor allem invaliden Kriegsteilnehmern auf dem Lande befaßt. Dabei stand besonders die Verbindung von Beschäftigung und Siedlungstätigkeit im Interesse des Ministeriums. Zum einen sollte der Arbeitskräftebedarf in der Landwirtschaft aufgestockt werden. Zum anderen versprach die Ansiedlung in ländlichen Regionen eine erleichterte Integration in die Zivilgesellschaft und die Eröffnung neuer Lebens- und Beschäftigungsverhältnisse nicht nur, aber besonders für Kriegsbeschädigte. Das Landleben als Heilsbringer galt auch in Großbritannien einiges. Die Kriegswunden zu heilen und eine "strong and healthy race" zu erzie306 PRO, CAB 37 I 139, ohne Bl.-Nr.: Reconstruction problems after the war, Memorandum des Präsidenten des Board of Trade, Walter Runciman, vom 15. Dezember 1915. In den Briefwechseln, die Sidney Webb mit verschiedenen Ministerien, die mit den Nachkriegsproblemen betraut waren, führte, findet sich ein Memorandum des Colonial Office vom Juni 1916, das sich mit der Auswanderung in die Dominions befaßte. Danach würden u. a. in Kanada und Australien Anstrengungen unternommen, um die Ansiedlung ihrer Kriegsheimkehrer möglich zu machen. Land werde für diesen Zweck bereitgestellt bzw. reserviert. Es sei geplant, sogenannte Training farms einzurichten. Das Thema hätte in Australien breite Aufmerksamkeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Regierung hervorgerufen. Solche Pläne könnten, wenn notwendiges Kapital günstig zu leihen sei, auch auf britische Soldaten erweitert werden. BLPES, Passfield 13, A fol. 55-58: Memorandum des Colonial Office in Schreiben an das Reconstruction Committee vom Juni 1916. In einem Brief des Reconstruction Committees an das Landwirtschaftsministerium wurde daraufhin deutlich gemacht, daß nicht Auswanderung sondern "re-settlement" innerhalb Großbritanniens anzustreben sei: "How far the United Kingdom will lose population in this way will depend presumably to some extent on the degree of success attending schemes adopted for expansion and re-settlement at home." Ebenda, Schreiben vom 11. August 1916, A fol. 102.

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hen, sollte vor allem dort möglich sein. Das Landwirtschaftsministerium sah deshalb seine Aufgaben zur Erfüllung dieses Ziels in der "Ermutigung" eines großen Teils der Bevölkerung, sich auf dem Land niederzulassen.307 Im Juni 1915 machte das Landwirtschaftsministerium seine Positionen dahingehend deutlich, daß dieses Programm nur ein Teil der die Regierung beschäftigenden Fragen der Nachkriegsentwicklung sein würde, und ein Ausschuß zu dessen Regelung eingesetzt werden müßte. Das Ministerium schätze im einzelnen ein, daß eine "sehr beträchtliche Nachfrage" nach Kleinlandbesitz unter den zuriickkehrenden und kriegsbeschädigten Soldaten vorherrschend sei. Viele kämen vom Land, waren Landarbeiter, die dorthin zuriick wollten oder seien "anderweitig mit dem Land" verbunden. Sie würden, so die Einschätzung des Ministeriums, eigenen Landbesitz einfordern, um eine "mehr unabhängige Position in der Zukunft" einnehmen zu können. Doch würden all jene, "Tausende" an der Zahl, nicht zu den alten Bedingungen, vor allem den alten Löhnen eines Landarbeiter zuriickkehren wollen. Diese werden, damit schloß die Einschätzung, "prefer to emigrate, unless more congenial occupation can be found for them in their own country". 308 Möglichkeiten zur Auswanderung waren, wie The Standard am 10. Juni 1915 meldete, ausreichend vorhanden. Australiens Premierminister Fisher habe bereits zugesagt, daß sein Land Schritte einleiten werde, um die Zuwanderung "wünschenswerter Immigranten" nach dem Krieg sicherzustellen. Der australische Außenminister Mahon glaubte zudem, daß "many soldiers, after the war, will have become so used to out-door-existence that they will not be willing to retum to a sedentary life. . ."309 Die Vorstellungen, daß die Kriegsteilnehmer, beschädigt oder nicht, nicht mehr in ein "sitzendes", im weitesten Sinne enges, städtische Leben 307 Vgl. Leneman, Leah, Fit for Heroes?, Aberdeen 1989, S. 20. Im September 1917legte das Army Demobilisation Committee im Ministry of Reconstruction einen Entwurf vor, der die Ideen des Landwirtschaftsministeriums aufgriff und sich zu Eigen machte. Ländliche Siedlungen für Kriegsbeschädigte sollten danach entstehen, um die "Gesundheit von Geist und Körper" wiederherzustellen, um "a small self-supplying village community" zu begründen. PRO, RECO 1 I 837, ohne Bl.-Nr.: Army Demobilisation Committee, Draft Scheme: Viilage settlement for disabled service men, September 1917. Vgl. auch die ersten Überlegungen zur Ansiedlung von Kriegsbeschädigten auf dem Land, in: BLPES, Archiv, Nachlaß Violet Markharn (MARKHAMI 1 I 11), ohne Bl.-Nr.: Report of the Committee appointed by the President of the Local Government Board upon the Provision of Employment for Sailors and Soldiers disabled in the War vom 16. Februar 1915. Markharn war Mitglied des National Relief Fund und des Sub-Committees on Housing of Officers' Widows. 308 PRO, MAF 48125, part 1, ohne Bl.-Nr.: Position of agricultural employment for disabled soldiers, rninute vom 3. Juni 1915. Die Zahl der Kriegsbeschädigten wurde im Februar 1915 auf 2,977 Millionen geschätzt. Pläne für deren Ansiedlung auf dem Land seien deshalb empfehlenswert, wie der vom LGB eingesetzte Murray-Ausschuß konstatierte. Vgl. ebenda, ohne Bl.-Nr.: Report of the Committee appointed by the President of the Local Government Board upon the Provision of employment for sailors and soldiers disabled in the war vom 16. Februar 1915 309 The Standard vom 10. Juni 1915.

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zurückkehren wollten und im Krieg das Leben in der Natur schätzen gelernt hätten, prägte hier das Denken. Im Juli 1915 setzen Landwirtschaftsministerium und LGB schließlich einen behördeninternen Ausschuß ein, der unter der Leitung des liberalen Bildungs- und Landwirtschaftsspezialisten Henry Hobhouse die Fragen der ländlichen Ansiedlung und Beschäftigung von Kriegsheimkehrern bearbeiten sollte. Im September wurde der erste Zwischenbericht vorgelegt. Dieser schätze für die Kriegsbeschädigten, unter der Bedingung vorbereitender Trainings, unverbindlich und allgemein ein: "It is probable that many disabled men, including some with no previous agricultural experience, will desire the opportunity of settling on the land as occupiers of holdings of their own. We consider that such a desire should be encouraged by the State." 310

Den 400seitigen Abschlußbericht legte der Ausschuß im Februar 1916 vor. In seinen Anmerkungen zu diesem Bericht zog der Landwirtschaftsminister Earl of Seiborne in Betracht, daß nicht der Zentralstaat, sondern vor allem die lokalen Behörden für den Landerwerb und dessen Aufteilung zuständig zu sein hätten. Eine Ausdehnung der Verantwortlichkeiten der Regierung sollte über eine mögliche Förderung von Ansiedlungen für Kriegsbeschädigte nicht hinausgehen. Der Small Holdings Act von 1908 statte die regionalen Behörden mit Befugnissen aus, die nach Ansicht Seibornes dem Umfang der anstehenden Aufgabe gerecht würden. Wahrend beschädigte Kriegsheimkehrer dabei schneller und in jeder Weise Unterstützung erfahren sollten, war die mögliche Förderung der "able-bodied men" eine Aufgabe, welche erst in Zukunft angegangen werden könne. Den komplexen Charakter solcher Maßnahmen schätze Seiborne am Ende seiner Stellungnahme ein: "In my judgement the establishment of ex-service men on the land should be made part and parcel of a national scheme of reclamation, the work to be done by the State, if necessary, and the property handed over when developed to the County Councils ... By this means the agricultural wealth of the country could be materially increased, and to a much greater extent than would be possible by the creation of small holdings on land aiready under culti vation. " 311

310 PRO, MAF 48/25, part 2, ohne Bl.-Nr.: Interim Report des Komitees vom 4. September 1915. Ab Januar 1916 hatte Sir Harry Verney den Vorsitz des Ausschusses inne. 311 PRO, MAF 28/25, part 3, ohne Bl.-Nr.: Final Report ofthe Comrnittee, minutes to the Final Report vom 17. Februar 1916. Wie die BOB-Zeitung Deutsche Warte unter Berufung auf einen Bericht aus The Timesam 20. Februar 1916 meldete, sollten mit einer finanziellen Unterstützung von f. 2 Millionen zwischen vier und fünftausend Kriegsbeschädigte und ihre Familien auf dem Land angesiedelt werden. Vgl. Deutschen Warte vom 20. Februar 1916; Westfalisches Wohnungsblatt 1916, S. 49 f.; Keup, S. 136-139. Der Small Holdings Act wurde 1916 novelliert und ermächtige als Small Holdings Colonies Act die lokalen Verwaltungen, Land zur Errichtung von "experimental small holding colonies" zu erwerben. Vgl. Lenemen, S. 20. Damit knüpfte das Landwirtschaftsministerium an Bestrebungen aus der Vorkriegszeit an, nach denen 10.000 Häuser (cottages) zu "experimentellen" Zwecken gebaut werden sollten. Vgl. Emy, S. 52.

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Siedlungstechnische und landwirtschaftlich relevante Aufgabenstellungen der britischen Nachkriegsentwicklung waren also im Winter 1915 I 16 ins Problemlösungsbewußtsein der Regierung vorgedrungen. Ein spezifisches Programm zur Lösung der sich im Krieg weiter verkomplizierenden Wohnungsfrage hatte man hingegen nach der Einführung des Mietkontrollgesetzes vom November 1915 als nicht notwendig erachtet. Im Memorandum zu den Reconstruction problems after the war, das der Präsident des Board of Trade, Walter Runciman, im Dezember 1915 vorlegte, fand die Wohnungsfrage keine Erwähnung, während andere Bereiche wie Gesundheit und Bildung durchaus diskutiert wurden. 312 Diese Beschränkung war aber nur für kurze Zeit aufrecht zu erhalten. Die Vorbereitung auf die Nachkriegszeit nahm einen komplexen Charakter an, so daß eine regierungsinterne Institution, die alle Aufgabenstellungen des "Wiederaufbaus" erfassen, koordinieren und gegebenenfalls neu verteilen sollte, geschaffen wurde. Am 24. März 1916 fand die erste Sitzung des Reconstruction Committees statt, das auch der Wohnungsfrage erst zurückhaltende, später umfangreiche Aufmerksamkeit entgegenbringen sollte. Neben dem Premierminister Asquith waren die Konservativen Andrew Bonar Law und Austen Chamberlain, als Colonial Secretary bzw. Secretary for India sowie Arthur Henderson (Labour), Präsident des Board of Education, der Konservative Lord Selborne, Präsident des Board of Agriculture, der liberale Walter Runciman, Präsident des Board of Trade und die Liberalen Lord Crewe und Edwin Montagu anwesend. 313 Sekretär des Ausschusses wurde der Privatsekretär Asqiuths Vaughan Nash, der mit Henry Aldridge von Großbritanniens größter Wohnungsreformvereinigung, dem National Housing and Town Planning Council, Beziehungen unterhielt. Im Frühjahr 1916 wurde zunächst auf die Vorbereitungen für ein gesondertes Wohnungsbauprogramm und die Mitarbeit von Mitgliedern der Wohnungsreform verzichtet, obwohl bereits das erste Reconstruction Committee erkannt hatte, daß Wohnungsbau und Wiederaufbau nicht mehr voneinander zu trennen waren. 314 Ende Juli 1916 wurden vom Reconstruction Committee erste Vorstöße unternommen, mit den zuständigen Ministerien, für England und Wales dem LGB, für Schottland dem Scottish Office, über die Lösung der Wohnungsfrage als Teil des 312 Ygl. PRO, CAB 37 I 139, ohne Bl.-Nr.: Reconstruction problems after the war, Memorandum by the President of the Board of Trade, Walter Runciman, vom 15. Dezember 1915. Ein nationales Wohnungsbauprogramm ins Leben zu rufen, lag zu diesem Zeitpunkt nicht im Interesse der Regierung. Soweit es ihn gab, orientierte sich der staatliche Wohnungsbau an den Anforderungen der Unterbringung von Arbeitskräften der Rüstungsindustrie und unterstand damit dem Ministry of Munitions. In der History of the Ministry of Munitions 1920- 24 war diese Einstellung folgendermaßen charakterisiert worden: "It primary interest in housing was to secure and increase output, . . . the permanent interests both of the State which provided the house and the workrnan who lived in it were subordinated to the needs of the moment." Zitiert nach: Englander, Landlord and tenant, S. 194; vgl. auch Marwick, The Deluge, S. 135. 313 Ygl. Johnson, S. 10 f. 314 Ygl. ebenda, S. 18-23.

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Wiederaufbaus in Kontakt zu treten. In einem Schreiben des Reconstruction Committees an das LGB und das Scottish Office wurde festgestellt, daß "offenbar wenig Zweifel" an der Tatsache bestehe, daß "house building has failed to keep pace with the needs of the population during the war and for sorne time before it." 315

Doch ohne eine empirische Erhebung sei es nicht möglich, so das Schreiben weiter, den Umfang des Problems wirklich zu ermitteln. Eine Untersuchung, welche die Ursachen ergrunden sollte, die zu dieser Entwicklung geführt hatten, sei vom Premierminister eingeleitet worden. Die Erhebung sollte feststellen, wie groß der Wohnungsmangel am Ende des Krieges sein würde, wie er sich verteilt und welche ökonomischen Entwicklungen den Wohnungsmangel vor dem Krieg verursacht hatten. Besonders der Wohnungsbau durch private Unternehmungen war ins Blickfeld geruckt und wurde kritisch hinterfragt. Was, so das Schreiben, sollte unternommen werden, wenn entweder die Privatwirtschaft nicht den notwendigen Bedarf decken könnte, bzw. welche Schritte von staatlichen Stellen überhaupt eingeleitet werden könnten. Gegenstand der letzten Frage war dabei im wesentlichen, ob die Untersuchung die Ursachen für das Nachlassen der privaten Bautätigkeit vor dem Krieg ergrunden könnte, um eine solche Entwicklung nach dem Krieg durch staatliche Anreize zu verhindern. 316 In Erwiderung des Schreibens, schätze der Secretary for Scotland im August 1916 bezüglich der Befähigung der privaten Bauwirtschaft vor und während des Krieges ein, daß "[p]rivate enterprise had undoubtedly failed to rneet the dernand for housing before the war. For the rnornent, private enterprise is under an even rnore serious handicap, and, with one or two srnall local exceptions, is practically dead. " 317

Die Folge einer derartigen Bestandsaufnahme war, daß die private Bauwirtschaft auch nach dem Krieg schwer in der Lage sein würde, den erwarteten Wohnungsmangel durch eine angemessene Bautätigkeit allein beheben zu können. Im November 1916 lagen die Ergebnisse der bisherigen Anstrengungen des Reconstruction Comrnittees in der Wohnungsfrage vor. Unter dem Titel The Housing Question wurde die gegenwärtige Lage auf dem Wohnungsmarkt für England und Wales sowie für Schottland eingeschätzt. Danach fehlten in England und Wales wenigstens 150.000 Häuser bzw. Wohnungen, ein Fehlbedarf, der für Ende 1917 auf rund 200.000 prognostiziert wurde. In Schottland war der Wohnungsmangel noch stärker ausgeprägt. Hier fehlten über 120.000 Wohnungen und wenn, so der Bericht, bestehende, "menschenunwürdige" Wohnungen beseitigt würden, sei ein 315 PRO, RECO 1 I 463, ohne BI.-Nr.: Schreiben des Reconstruction Cornmittees an das LGB und das Scottish Office vorn 31. Juli 1916. 316 Ebenda. 317 Ebenda, Bl.-Nr.: Memorandum on Reconstruction Cornmittee's Ietter to Secretary for Scotland vorn 22. August 1916.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Fehlbetrag von über 235.000 zu konstatieren. Der privaten Bauwirtschaft wurde angesichts des Umfangs des Defizits abgesprochen, ausreichend Häuser und Wohnungen nach dem Krieg bauen zu können. Die lokalen Verwaltungen sollten sich deshalb dem Wohnungsbau annehmen. Dessen Kosten beliefen sich auf fl2 Millionen bzw. f-7 ,2 Millionen (Schottland), bei einem geschätzten Betrag von durchschnittlich f:300 pro Haus/Wohnung (England und Wales). Wenn man das jährliche Bevölkerungswachstum addierte, erhöhten sich die Beträge um jährlich f-4,2 (England und Wales) bzw. rü,3 Millionen (Schottland). Trotz dieses enormen Umfangs des Wohnungsproblems, schloß der Bericht mit ähnlicher Gelassenheit, mit der in den Unterhausdebatten 1915 I 16 Anfragen zur Situation im Wohnungswesen abgewehrt wurden: "So far as the Loca1 Government Board are concerned, no legislation is necessary for the above scheme. Any powers required by the Treasury would presumably be obtained in one oftheir own Bills."318

Die Resultate und deren Analyse bedeuteten für die Regierung Asquith im Winter 1915/16 kaum eine Beunruhigung. Aber die Einschätzung zeigte, daß einerseits die Wohnungsfrage ein Ausmaß angenommen hatte, das nicht mehr zu übersehen war. Andererseits erstellte man eine erste Kostenrechnung über staatliche Zuwendungen, falls der private Wohnungsbau, und das wurde als wahrscheinlich angenommen, den Wohnungsbedarf nach dem Krieg nicht zu decken in der Lage war. Die Bestandsaufnahme über den Wohnungsbedarf und seine Kosten war eine kleines, aber wichtiges Ergebnisse, das durch Asquiths Wiederaufbaukommission vorgelegt wurde. Die britische Regierung hatte sich selbst mit dem Umfang des Wohnungsproblems konfrontiert und staatliches Problemlösungspotential in Aussicht gestellt. Mit dem Sturz der Regierung Asquith im Dezember 1916 beendete auch das Reconstruction Committee seine Arbeit. In der Konstruktion als loser Zusammenschluß verschiedener Ministerien, war es eine zurückhaltende und wenig anstößige Institution, der eine weitere, "a brilliant group of amateur reformers" folgen sollte? 19 Das neue Reconstruction Committee, das im Februar 1917 gegründet wurde, verzichtete nicht auf die traditionell geprägte und von Lloyd George präferierte Einbeziehung von politisch-sozialen Bestrebungen in vorhandene politisch-institutionalisierte Strukturen. Was in der Vergangenheit oft "in staunenswerter Weise"320 funktioniert hatte, sollte sich auch bei der Vorbereitung auf die Nachkriegszeit be318 Ebenda, ohne Bl.-Nr.: Reconstruction Committee, The Housing Question, 30. November 1916. 319 Vgl. Johnson, S. 31 f. Grieves sprach vom "Asquth'schen Model" des "wait and see". Vgl. Grieves, Keith, Businessmen in wartime government. Lloyd George's 'man for the job' approach 1915 - 1918, in: Loades, Judith (Ed.), The life and time of David Lloyd George, Bangor 1991, S. 87-99, hier S. 93. 320 Maurer, Michael, Kleine Geschichte Englands, Stuttgart 1997, S. 390.

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währen. Lloyd George setzte, wie bei der Vorstellung seines Kabinetts, auf den "Glanz" von Fachleuten321 und in der Frage der Reform des Wohnungs- und Siedlungswesens auf die Unterstützung von Sozial- und Wohnungsreforrnem. Er, der sich mit dem "Garden Suburb" selbst einen persönlichen Beraterstab von Fachleuten geschaffen hatte, bevorzugte im Gegensatz zu Asquith ministeriumsübergreifende Strukturen und scheute sich nicht, eine neue Behörde, ein Ministerium für Wiederaufbau zu schaffen. Die Rekrutierung von radikal-liberalen und sozialistischen Positionen, z. B. in den Personen Sidney und Beatrice Webb, erweiterte die politische Basis der Wiederaufbauinstitutionen. Die Regierung sicherte sich damit die Unterstützung von Seiten der Labour Party, die zur Zurückhaltung angehalten werden konnte, da ihre Standpunkte zur Wohnungs- Siedlungs- und Bodenpolitik Berücksichtigung fanden. 322 Dem zweiten Reconstruction Committee gehörten u. a. an: die bereits erwähnte Sozialreformerin Beatrice und ihre Mann Sidney Webb, die Frauenrechtlerin Marion Phillips, der bereits in der Landreforminitiative Lloyd Georges aktive Soziologe und Philanthrop Benjamin Seebohm Rowntree, Thomas Jones, Mitglied der Fabian Society und ein an der Erarbeitung der Armen- und Gesundheitsgesetzgebung beteiligter Politiker, W.G.S. Adams und Philip Kerr, beide Lloyd Georges Privatsekretäre aus dem "Garden Suburb", Asquiths Privatsekretär Edwin Montagu, John L. Harnmond, Publizist und gemeinsam mit seiner Frau Barbara Bradby Autor sozialpolitisch-historischer Schriften sowie der konservative Richter und Abgeordnete Leslie Scott. Lord Salisbury, Sohn des ehemaligen Premier- und Außenministers, trat ebenfalls dem Komitee bei. Dem Arzt, liberalem Parlamentsmitglied und Lloyd George-Vertrautem Christoper Addison wurde die Leitung übertragen. Im Juli 1917 erhielt die Behörde den Status eines Ministeriums, Addison wurde Minister. 323 Einen Monat nach der Einsetzung des neuen Komitees wurde dieses in verschiedene Abteilungen, sogenannte panels, unterteilt. Bis Ende 1917 gab es insgesamt 92 Kommissionen und Unterkommissionen. 324 Zu den wichtigsten Gremien, deren 321 Zur Einbeziehung von Fachleuten u. a. in die Arbeit des Ministry of Munitions und ins Kabinett vgl. Grieves, S. 87 -99; Marwick, Arthur, A history of the modern British isles 1914-1999, Oxford 2000, S. 42 f. 322 Vgl. hierzu auch das folgende Kapitel zur Haltung der Zeitschrift The New Statesman und die Positionen der Labour Party bzw. der ihr nahestehenden Labour Housing Association. 323 Vgl. Johnson, S. 36; Gilbert, British social policy, S. 141. Im Zusammenhang mit verschiedenen Berichten und Erhebungen im Auftrag des Wiederaufbaukomitees bzw. -ministeriums waren noch weitere Sozialreformer und Politiker einbezogen. Diese werden im Kontext ihrer Arbeiten erwähnt. 324 Eine Kommission innerhalb des Housing Panels war das Women's Housing Sub-Committee. Der erste 1918, vorgelegte Zwischenbericht beschrieb die beiden Aufgaben dieses Unterkomitees. Erstens sollten die vom Ministry of Munitions für die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie errichteten Häuser auf ihre ,,Zweckmäßigkeit für Hausfrauen" untersucht werden. Daran schloß sich zweitens die Begutachtung und Beurteilung von Wohnungs-

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Aufgaben zu den "dringend zu lösenden" zählten, gehörten u. a. jene, die sich mit dem Erwerb und der Besteuerung des Bodens auseinanderzusetzen hatten. Ihrem Problembereich waren, gemeinsam mit der allgemeinen Frage, wie und in welchem Umfang bestehende Kräfte, Gesetze und Ressourcen für den Wiederaufbau nach dem Krieg gebündelt werden könnten, zahlreiche andere Aufgabenfelder zugeordnet, die folgende Bereiche einschlossen: Die Ansiedlung von Kriegsheimkehrern in ländlichen Regionen, Forstwirtschaft, städtische Mietfragen und die Wohnungsfrage allgemein mit den ihr angeschlossenen gesetzlichen Bestimmungen zur Beschaffung von Baumaterialien, Demobilmachung, Energieversorgung, allgemeine Handelsfragen sowie das Gesundheits-, Armen- und Bildungswesen?25 In einem Gemisch aus geschäftiger Hektik und kritischer Einschätzung zog Sidney Webb zwei Monate nach Gründung des zweiten Reconstruction Comrnittees ein erstes Resümee seiner Tätigkeit. "[T]here is no plan ready on any urgent problem", schätzte er zurückhaltend enttäuscht und nachdrücklich mahnend in einem Memorandum ein. 326 Da die einzelnen Unterkommissionen nicht wüßten, wieviel Zeit ihnen zur Lösung der anstehenden Probleme zur Verfügung stehe, müßte man genau zwischen wichtigen und unwichtigen Aufgaben unterscheiden. Er teilte die Problembereiche in zwei Kategorien ein. Unter Kategorie A, den "absolutely essential and most urgent problems", fanden sich neben Regelungen zur Vorbereitung der Demobilmachung und zur Wiederherstellung von gewerkschaftsrechtlichen Verhältnissen in der Industrie, Maßnahmen zur Verhütung der Arbeitslosigkeit und zur Kontrolle von Lebens- und anderen Verbrauchsmitteln sowie Maßnahmen, die eine Wohnungsnot nach dem Krieg verhindem sollten. Es sei "zwingend notwendig", so Webb, daß die Regierung in der letzten Frage politisch aktiv werde, bevor der Krieg zu Ende sei. Gleichzeitig führte Webb aus, daß mit dieser Frage bereits innerhalb des Reconstruction Comrnittees zwei Spezialisten in der Wohnungsfrage, Lord Salisbury und Seebohm Rowntree, betraut waren. Während Salisbury dem Organising Comrnittee of a National Conference on Housing after the bauplänenhinsichtlich dieser Zweckmäßigkeit an. PRO, RECO 11624, ohne Bl.-Nr.: Women's Housing Subcommittee of the Advisory Council, first Interim Report, Chairman [sie] Lady Emmott. Zur Arbeit der Kommission schätzte Barbara McFarlane ein: "Through the work of the Women's Housing Sub-Committee, working-class women had stated their needs and made many vital criticisms about a traditional woman's role in working-class housing conditions. Their requirement for change, however, showed a desire to fit the house better to the traditional roles of housewife and mother rather than in questioning the potentially oppressive nature of this role." McFarlane, Barbara, Hornes fit for Heroines, in: Matrix (Ed.), Making space, London 1984, S. 26 - 36, hier S. 36. Vgl. auch Reiss, Richard, The Horne I want, London 1918, S. 144- 149; Swenarton, Hornes fit for heroes, S. 91 f. 325 PRO, CAB 24/36, ohne Bl.-Nr.: Memorandum by Addison, Minister of Reconstruction, 20. Dezember 1917. 326 BLPES, Passfield 13, A fols 220-226: Memorandum on urgent and less urgent reconstruction problems, post - 26 April 1917, hier fol. 220. Sidney Webb (1859 - 1947) war gemeinsam mit seiner Frau Beatrice Webb (1858 - 1943) in einem weiten sozialreformerischpolitischen Feld sowohl inner-, als auch außerhalb lokaler und nationaler Behörden tätig. Beide gehörten der Fabian Society an und gründeten die Zeitschrift The New Statesman.

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war im Housing Panel vorstand, arbeitete Rowntree an einem Memorandum, das die Wohnungsfrage nach dem Krieg zum Gegenstand hatte. 327 Benjamin Seebohm Rowntree (1871-1954) widmete sich seit Jahren der Wohnungsfrage und nahm sich im Reconstruction Committee dem erwarteten Wohnungsproblem nach dem Krieg an. Für die Arbeit an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlich-propagandistischer Er- und Vermittlungstätigkeit und politischer Entscheidungshilfe brachte Rowntree, neben seinen Beziehungen zu Lloyd George, zwei wichtige Voraussetzungen mit. Zum einen hatte er sich vor den Arbeiten für Lloyd Georges Land Campaign durch sozialwissenschaftliche Studien z. B. über die Armut in York (1897/98, veröffentlicht 1901/02) einen Namen gemacht. 328 Zum anderen verfügte er als Fabrikantensohn und Industrieller (H. I. Rowntree & Co., Kakao und Schokoladen) über den notwendigen finanziellen Hintergrund sowohl für die Forschungstätigkeit als auch sein sozialpolitisches Engagement. 329 Mit diesen Voraussetzungen war er prädestiniert für die Tätigkeit im Reconstruction Committee bzw. Ministry und im Ministry of Munitions, wo er von 1915 bis 1917 als Industrial Welfare Director für die sozialen Verhältnisse in den Werken der Rüstungsindustrie zuständig zeichnete. Seebohm Rowntrees analytische Erfahrungen im Wohnungswesen spiegelten sich vor allem in einer im November 1913 an der Universität von Manchester gehaltenen Vorlesung über den Zustand und die Perspektiven zukünftigen Wohnens in Großbritannien wider. Der Titel der Vorlesung war Programm: How far it is possible to provide satisfactory houses for the working classes, at rent which they can afford to pay. 330 Die Beschreibung des Ist-Zustandes im Arbeiterwohnungswesen nahm sich teilweise dramatisch aus. Zwei bis drei Millionen Menschen lebten in Elendsvierteln. Die Wohnungen dort entbehrten jeglichen Anforderungen an ein 327 Ebenda, fol. 222. Unter die Kategorie B, "important problems, but as to which it is less urgent for the Govemment to give a decision", fielen laut Webbs Einschätzung Entscheidungen über die Zukunft des Ministry of Munitions, Fragen der Landwirtschaft, der Eisenbahnen, der Straßen, des Bergbaus, der öffentlichen Gesundheits- und Armenfürsorge und des Bildungswesens. Vgl. auch Gilbert, British social policy, S. 141 f. 328 Rowntree, B. Seebohm, Poverty. A study of town life, London 2 1902. Im Vergleich zu seiner Studie über die Landarbeiter, sind hier ausführliche Einschätzungen zur Wohnungssituation der Untersuchten zu finden. Vgl. auch Briggs, Asa, Social thought and social action, London 1961, S. 137 f. 329 Rowntree hatte Lloyd Georges Land Campaign finanziell unterstützt. U .a. wandte er in diesem Zusammenhang f: 800 für die Ausbildung der Mitarbeiter des Centrat Land and Housing Council auf. Vgl. Emy, S. 59. Rowntrees Vater Joseph, der sich selbst bereits auf dem Gebiet der betrieblichen Sozialreform einen Namen gemacht hatte, hatte zudem mit dem Bau des Modelldorfes New Earswick seit 1904, das nicht ausschließlich für die Angestellten seiner Fabriken reserviert war, praktizierte Wohnungsreform vorgelebt. Vgl. Fitzgerald, Robert, Rowntree and the marketing revolution 1862-1969, Cambridge 1994, S. 217-276, besonders S. 227. 330 Rowntree, B. Seebohm, How far it is possible to provide satisfactory houses for the working classes, at rent which they can afford to pay, in: Ders. /Pigou, A.C., Lectures on Housing. The Warburton Lectures for 1914, Manchester 1914, S. 3- 31.

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menschenwürdiges Leben: "light, space, ventilation, warmth, dryness, and water supply". Diese Zustände beschrieben, so fuhr Rowntree fort, nur die unerträglichsten Bedingungen, unter denen Menschen in Großbritannien wohnen müßten. Das Problem der Überfüllung von Wohnräumen verschärfte die Situation. Zwischen 65 und 80% aller Wohnungen bzw. Häuser der Arbeiterschaft seien davon betroffen. Die Häuser stünden überdies zu eng beieinander, und selbst jene Arbeiter (zehn bis 20%), die sich größere Unterkünfte mit drei bis fünf Schlafzimmern leisten könnten, wohnten in den nicht nur von Rowntree kritisch betrachteten Reihenhäusern. Obwohl sie in solchen schlechten Wohnungsbedingungen leben müßten, zahlten viele Arbeiterfamilien derartige Mieten, die nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Einkommen stünden. Ein Sechstel, in London sogar bis ein Viertel des wöchentlichen Hauptfarnilieneinkommens, müsse für die Miete aufgewendet werden?31 Zur Lösung des Problems schlug Rowntree vor, Wohnmöglichkeiten außerhalb der Städte zu erschließen. Würden diese mit billigen und schnellen Verkehrsverbindungen erreicht werden, so erweiterten sich die Beschäftigungsmöglichkeiten.332 Nach dieser konjunktivistischen Konstruktion folgten Lösungsvorschläge, wie das Wohnen billiger gemacht werden könnte. Rowntree bot durchweg "billige" Lösungen an und setzte auf die Einbeziehung gemeinnütziger Bauvereinigungen: Billiges Bauland und billige Kredite vom Staat, dazu billigere Hauskonstruktionen, die von sogenannten, gemeinnützigen Public Utility oder Tenant Co-partnership Societies ausgeführt werden könnten. 333 Würde nach einem solchen Plan verfahren, so Rowntree, ergäben sich Perspektiven, welche die Wohnungsfrage in ihrer Gesamtheit einer Lösung zuführen würden: "We can cheapen land by means of transit, rating reforrn, and improved methods of acquisition. We can cheapen money by obtaining more of it from the Public Loan Comrnissioners, and we can lessen the rates by placing a proportion of them upon the site instead of the building. If these things were done, the better-elass working man would take a really pleasant house outside the town. His forrner house would be left vacant, and there would tend tobe a slight slump in house property, which would make the old-fashioned, though sanitary house, appear less desirable; its price would drop, and then it could be let to the working man who hitherto could not afford a sanitary house at all. " 334

Doch müßten gleichzeitig, das war der zweite Strang auf dem Weg hin zur Lösung der Wohnungsfrage, die Löhne der Arbeiter erhöht werden, um die oben beschriebene Entwicklung zu flankieren und dauerhaft zu sichern. Nur die Verbindung von billigem Wohnen und höheren Einkommen gewährleistete eine Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen der Arbeiterschaft in Großbritannien. Erste politische Schritte dorthin, so Rowntree abschließend, bestünden in der 331 332 333 334

Vgl. ebenda, S. 3-8. Vgl. ebenda, S. 22. Vgl. ebenda, S. 24 f. Ebenda, S. 28.

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systematischen Durchführung einer landesweiten Erhebung über den Wohnungsbedarf bei gleichzeitiger Begründung einer Mindestlohnpolitik, die der abhängigen Lohnarbeit den prekären Charakter nehmen würde. Neben dem Ausbau des bereits erwähnten Nahverkehrs, müsse die Stadtplanung für alle Städte verpflichtend werden. Einzuführende Bauvorschriften sollten die Abstände zwischen den Wohnbauten auf ein Mindestmaß regeln. Die lokalen Behörden sollten in ihrem Streben, bessere Wohnungsbedingungen für ihre Einwohner zu schaffen, vom Zentralstaat unterstützt werden. Der Landerwerb für die Neubautätigkeiten gehörte ebenso erleichtert, wie die finanzielle Förderung der gemeinnützig zu errichtenden Wohnungen und Häuser.335 Seebohm Rowntree, eingebunden in die Strukturen der Politikvorbereitung unter Lloyd George und im Reconstruction Committee bzw. Ministry, wollte seine Reformpläne weiter ausbauen und zu einer staatlichen "Reformpolitik" führen. Seine Vorschläge waren ohne großartigen nationalistischen Pathos vorgetragen und orientierten sich während des Krieges vordergründig an der Lösung des sozialen Problems Wohnen. Die Kriegszeit bestärkte ihn, Idee und Handeln zu verbinden, um aus den Vorschlägen zu einer Wohnungsreform letztlich eine umfassende Wohnungspolitik werden zu lassen. In seiner Denkschrift für das Reconstruction Committee hatte Rowntree, gestützt auf die Ergebnisse seiner eigenen Forschungstätigkeit und die Ergebnisse der Wiederaufbaukommission unter Asquith, erste Eckpunkte einer zukünftigen Wohnungspolitik vorgestellt. Seine Analyse, im Mai 1917 vorgelegt, kam zu dem Schluß, daß die bisherigen Schätzungen über den Wohnungsbedarf nach dem Krieg zu niedrig seien. Gleichzeitig gingen seine Vorstellungen vom zukünftigen Wohnungswesen über den tradierten Aspekt von Wohnungspolitik als "public health" hinaus. Wohnungspolitik verstand Seebohm Rowntree vielmehr als "social service", und als solcher sollte er in Zukunft auch begriffen werden. Entgegen den bisherigen Schätzungen über den Wohnungsbedarf waren nach Rowntrees Meinung 300.000 Häuser bzw. Wohnungen allein im ersten Jahr nach dem Krieg nötig, um eine ausgedehnte Wohnungsnot zu verhindern. Um dieser Aufgabenstellung gerecht zu werden empfahl er u. a., daß zeitlich begrenzte, staatliche Bauzuschüsse an die Träger des Wohnungsbaus, die lokalen Verwaltungen, gezahlt werden sollten. Zudem sollte unter Einbeziehung von Architekten ein Gremium geschaffen werden, das ökonomische Methoden des Bauens erörterte. 336 Zu den wichtigsten Aufgaben des Housing Panels im Reconstruction Ministry und den ihm assoziierten Kommissionen, in denen Seebohm Rowntree u. a. wirkte, Vgl. ebenda, S. 29-31. Vgl. Briggs, Social thought, S. 137 -139; Swenarton, S. 69. Die Kosten für den Bau von 300.000 Häusern schätzte Rowntree, in Anlehnung an die Erkenntnisse des erste Reconstruction Committees auch auf f. 90 Millionen. Da die Kosten um 40% im Vergleich zur Vorkriegszeit gestiegen waren, sollte der Staat zum Ausgleich der Steigerung wenigstens f. 26 Millionen übernehmen. Vgl. Johnson, S. 64. 335

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gehörte die Vorbereitung eines "nationalen Kongresses", der sich mit der Frage des Wohnungsmangels nach den Krieg befassen sollte. Dieses interkommissionarische Forum sollte in erster Linie alle Faktoren der zukünftigen Wohnungspolitik evaluieren, eine Analyse des Ist-Standes vorlegen und Empfehlungen geben, wie dem erwarteten Wohnungsmangel entgegengewirkt werden könnte. Im Juli 1917 wurde der erste Bericht vorgelegt, der von einem sogenannten Organising Committee erarbeitet wurde. In Mittelpunkt standen Ausführungen über die Art und den Umfang des Wohnungsmangels und die Träger des zukünftigen Wohnungsbaus in Großbritannien. Im Ergebnis der Untersuchung wurde festgestellt, daß die Anstrengungen im Wohnungsbau verstärkt werden müßten, um eine zukünftige Wohnungsnot zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß in der Vergangenheit 98% des Wohnungsbaus von privaten Unternehmungen abgedeckt wurde, empfahl der Report "gefühlsmäßig" die Beibehaltung der Vorrangstellung der Privatwirtschaft. Der Staat sollte lediglich diese Wohnungsbautätigkeit "ermutigen" bzw. "ergänzen": "The feeling of the Conference is strongly in favour of the continuance and encouragement of private enterprise as distinguished from State or Municipal schemes for the supply of houses and is unanimously of opinion that in this way the need and wishes of the people will be better and more effectually met."337

Ende August 1917 trat das Housing Panel zu seiner vorerst letzten Sitzung zusammen. Einen Monat später stellte es seinen Abschlußbericht vor. Hierin versammelten sich alle bis dahin gemachten Einschätzungen zum Wohnungswesen in Großbritannien. Die gemachten Lösungsvorschläge orientierten sich sowohl an denen Rowntrees, als auch an jenen des Organising Committees. Am Beginn der abschließenden Empfehlungen fand sich die Feststellung, daß sich bereits vor dem Krieg eine "ernsthafte und weitverbreitete" Wohnungsknappheit ausgebreitet hatte, die durch den Rückgang der Wohnungsproduktion im Krieg weiter zugenommen habe. Damit konstatierte die Mitglieder des Housing Panels einen Wohnungsmangel, der seine Ursachen in der Vorkriegszeit hatte. Der Ausfall der Wohnungsproduktion im Krieg hätte die Auswirkungen dieses Mangel nur verschärft. Entgegen den Äußerungen über eine zeitlich befristete staatliche Unterstützung des Wohnungsbaus waren diese Schlußfolgerungen ein Plädoyer für ein dauerhaftes Engagement des Staates im Wohnungswesen. Nicht allein die finanzielle Unterstützung der privaten Bautätigkeit stand damit zur Debatte, sondern ein eigenständiger, marktferner und staatlicher Wohnungsbau in der Nachkriegszeit. 338

337 PRO, RECO 1/488, ohne Bl.-Nr.: Report of the Organising Committee of the National Conference on Housing afterthe war, Juli 1917, S. 12. 338 PRO, RECO 1/469, ohne Bl.-Nr.: Memorandum on housing by the Housing Panel, Final Draft of summary and conclusion September 1917. Eine zweite Kommission unter Leitung Carmichaels war im Herbst 1917 mit Fragen der Bereitstellung von Baumaterialien und Arbeitskräften befaßt. Vgl. Briggs, Social thought, S. 140 f.; Gilbert, British Social Policy, S. 141 f.

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Allein um die "Wohnungsbedingungen der Vorkriegszeit" wiederherzustellen, also jene, die kritisch und als unbefriedigend eingeschätzt wurden, müßten, so die Empfehlung des Abschlußberichtes, bis zum Ende des folgenden Jahres 250.000 Häuser bzw. Wohnungen gebaut werden. Besonders in den ländlichen Regionen sei der Wohnungsbedarf akut und verlangte einen zusätzlichen Aufwand, so daß insgesamt mindestens 300.000 Häuser errichtet werden müßten. In jedem Jahr, in dem zukünftig versäumt werde, Wohnungen zu bauen, erhöhe sich das Defizit um weitere 75.000. 339 Vor allem aus drei Gründen müßten die fehlenden Wohnungen im "ersten Jahr des Friedens" schnellstens errichtet werden. Erstens sollten Wohnungen gebaut werden, um den Rent and Mortgage (War Restriction) Act wieder außer Kraft setzen zu können, um so den Wohnungsmarkt anzukurbeln. Der Abbau des Mietkontrolle sei zwar angestrengt, doch solange keine neuen Wohnungen erbaut würden, verursachte der Wohnungsmangel ein abermaliges Ansteigen der Mieten, was zu "ernsthafter Unzufriedenheit" führen würde. Zweitens versorgte das Bauprogramm während der Demobilmachung die Kriegsheimkehrer mit Arbeit in der Bauwirtschaft Drittens müßten umgehend Häuser gebaut werden, um eine große Zahl von Landarbeitern permanent auf dem Land anzusiedeln, und um die Kriegsheimkehrer aus den ländlichen Regionen zu ermutigen, in die Landwirtschaft zurückzukehren. 340 Ein ehrgeiziger Plan, der vom Housing Panel im Ministry of Reconstruction um Lord Salisbury, Jones, Kerr und Seebohm Rowntree vorgelegt wurde. Bevor der Krieg zu Ende ging, müßten, um eine Wohnungsnot zu verhindern, die Demobilmachung vorbereitet, genügend Bauland erworben und die ersten Häuser errichtet sein. Da die Finanzierung dieser Aufgabe allein von der privaten Bauwirtschaft nicht geleistet werden könnte, müßte die öffentliche Hand einen bedeutenden Anteil übernehmen. "[T]he State must provide the capital and the State must bear the abnormal loss", lautete die Formel. Gleichzeitig machte man aber deutlich, daß nicht zwangsläufig der Zentralstaat Träger des Wohnungsbaus sein müsse. Die Lokalverwaltungen sollten in erster Linie damit betraut werden, Häuser und Wohnungen zu bauen, zu besitzen und zu verwalten. Mit zwei zusätzlichen Empfehlungen schoß der Bericht. Insgesamt sollten 20 sogenannte Housing Commissioners in allen Teilen Großbritanniens eingesetzt werden, um die Wohnungsbedingungen zu überwachen, und Empfehlungen zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Wohnungswesens zu geben. Der von Seebohm Rowntree unterstützten Wohnungsbautätigkeit der gemeinnützigen Public Utility Societies (PUS) sollte ,jede Ermutigung" gegeben werden. 341 339 Vgl. PRO, RECO 1 I 469, ohne 81.-Nr.: Memorandum on housing by the Housing Panel; Orbach, S. 44. 340 PRO, RECO 1 I 469, ohne 81.-Nr.: Memorandum on housing by the Housing Panel. 341 Ebenda. Vgl. auch PRO, RECO 1 I 574, ohne 81.-Nr.: Answers to questions put by Dr. Addison to the Housing Panel, Draft Ietter from the Office of Works to the Secretary of the Reconstruction Committee, 28. August 1917, S. 9: "The State will provide the whole cost of the building, and will own the houses until the end of the transitional period, at which date 13 Koinzer

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Bis auf Leslie Scott hatten alle Mitglieder des Housing Panels den Bericht unterschrieben. In einem Minderheitenbericht schätzte er ein, daß die Zahlen über den Wohnungsbedarf zu niedrig seien. Allein in den ländlichen Regionen müßten 200.000 Häuser gebaut werden, um Kriegsheimkehrer für die Ansiedlung auf dem Land gewinnen zu können. Geschieht dies nicht, würden diejenigen die vom Lande kamen, dort keine Zukunft sehen und auswandern. 342 Die Empfehlungen waren eindeutig. Die Wohnungsfrage wurde als ein Problem benannt, und Staat und Regierung wurde angetragen, sie endgültig zu lösen. Die vorgelegten Pläne waren mehr als nur die Novellierung bestehender wohnungspolitischer Ansätze. Im Kern trugen sie die Verpflichtung für den Staat, als Akteur auf dem Wohnungsmarkt, mit den Lokalverwaltungen als bestmöglichen Agenten, aktiv zu werden. Diese Engagement sollte vom Grundsatz getragen sein, daß dort, wo die private Bauwirtschaft versagte, die Lokalverwaltungen verpflichtend einzugreifen hätten. Das staatliche Eingreifen sollte zeitlich begrenzt sein bzw. auf die Einrichtung von möglichst wirkungsvollen und objektnahen Überwachungsinstitutionen, den Housing Commissioners beschränkt werden. Ihre Funktion sollte zukünftig sein, in Anlehnung an philanthropische Erfahrungen der Vorkriegszeit, die Nachteile und Deformationen des privatwirtschaftlich organisierten Wohnungswesens einzudämmen bzw. zu verhindern.

they will be transferred to the local authority at a valuation ... During the transitional period the local authorities will manage the houses as agents of the State, to whom the rents will be paid over. At the end of the period, the ownership of the houses will pass to the local authority, the full transfer price remaining as a loan from the State, to be paid off on the usual terrns prescribed for such loans." 342 Ebenda, ohne Bl.-Nr.: Memorandum on housing, reservation by Leslie Scott. Scott verlangte die Einsetzung einer Kommission, die ermitteln sollte, wieviele Kriegsheimkehrer sich für eine Ansiedlung auf dem Land interessierten, und wieviele Häuser hierzu gebaut werden müßten. Für die Ansiedlung von Kriegsheimkehrern auf dem Land machte er sich auch im Comrnittee on the Ernployrnent of Sailors and Soldiers on the Land stark. Wiederum eine Minderheitenposition einnehmend, veröffentlichte er 1917 mit zwei Mitstreitern seine Positionen als Minority Report. Im Vorwort wurde darauf verwiesen, daß allgemein eine Staatsintervention zur .,Wiederherstellung des ländlichen Lebens" notwendig sei. Der Krieg habe das Interesse an einer Stärkung der Landwirtschaft als ökonomischen Faktor beschleunigt. .,[T]here are few people now who have not been taught by events that agriculture must be revivified in the national interest." Der Report stellte die notwendigen Schritte in drei Abschnitten dar: Erstens müßte sich das neue agrarische System durch ein Preisniveau auszeichnen, daß Landwirtschaft zu betreiben lohnte. Zweitens müßten die Löhne der Landarbeiter, ihre Wohnungssituation und die allgemeinen Lebensbedingungen verbessert werden. Drittens würde nur eine Reform des Landbesitzes die gegenwärtigen Probleme lösen können . .,The object is not to make farrning more prosperous not land more valuable, but to build up an agricultural system that will ensure more food and more rnen." Strutt, Edward/ Scott, Leslie/ Roberts, G. H., British Agriculture. The Nation's opportunity. Being a minority report of the Departrnental Committee on the Employment of Sailors and Soldiers on the Land, London 1917, Vorwort von A. D. Hall, S. V-VII. Vgl. auch Briggs, Social thought, S. 140 f.; Gilbert, British Social Policy, S. 141 f.

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Obwohl das Housing Panel die Defekte des Wohnungsmarktes nachhaltig benannte, beschränkten sich die Lösungsvorschläge auf zeitlich begrenzte Abweichungen vom traditionellen Pfad. Sie implizierten lediglich die staatlich subventionierte und gesetzlich normierte Flankierungen des bestehenden und gewollten Systems. Neu war aber die Festschreibung der staatlichen "Pflicht zur Intervention" überall dort, wo Deformationen des Wohnungssystems (slums, ungesunde Wohnverhältnisse, Wohnungsüberfüllung etc.) sichtbar wurden. Eingriff und Nichtduldung anstelle von laissez faire war das, was die Mitglieder des Housing Panels stellvertretend für die Regierung all jenen schuldig sein wollten, die den Krieg gewinnen sollten. Der Wohnungsbau in staatlicher Regie gehörte hier in begrenzter Form ebenso dazu, wie der staatliche und kommunale Landerwerb, um neue Häuser, Wohnungen und Siedlungen errichten zu können. Auf diese Empfehlungen gründeten sich die nächsten Schritte der mit dem Wohnungswesen befaßten Abteilungen im Ministry of Reconstruction und anderer Ministerien, um das Wohnen nach dem Krieg einerseits in die "Vorkriegsnormalität" zurückzuführen. Anderseits waren sie die Grundlage für eine neue Wohnungspolitik, die ihre ideellen Wurzeln in der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform der Vorkriegszeit hatte, soziale und wirtschaftliche Veränderungen der Kriegszeit einbezog und deren Bewältigung, nicht mehr ausschließlich dem Markt und der Fürsorge zu überlassen waren. 343 Nachdem der Bericht im Herbst 1917 Minister Addison vorgelegt wurde, fand er im Mai des Folgejahres als Memorandum by the Advisory Housing Panel on the Emergency Problem Eingang ins Unterhaus. Der Charakter der 15seitige Denkschrift orientierte sich strickt an einer Empfehlung, die das Team um Rowntree, Salisbury und Kerr der Politik zu geben angetreten waren: "Our task is to consider the difficulties which will confront us at the end of the war, and to propose the remedies which appear best suited to the emergency, but which may not necessarily be part of an ultimate permanent measure of reform. "344 Es waren ausdrücklich "Notstandsmaßnahmen", die man empfahl, aber von einer derartigen Qualität, daß sie als Reform des bisherigen Systems bezeichnet werden konnten. Nur im Detail veränderte man die Einschätzungen im Vergleich zum Sommer I Herbst 1917. Lediglich die Kosten für die unmittelbar nach Kriegsende 343 Asa Briggs schätzte ein, daß mit der Vorlage des Berichts des Housing Panels der Staat, nachdem er mit der Einführung der Mietkontrolle 1915 bereits in den Mietwohnungsmarkt eingegriffen hatte, nun auf dem Wohnungsneubaumarkt als Akteur und nicht nur Kontrolleur auftrat. "[W]ith the minimum of controversy" deutete Briggs auf eine postulierte zeitgenössische Einmütigkeit hin, dies zu tun und zu unterstützen. Briggs Schlußfolgerung: "Once in the market, it was difficult to leave it again, although its activities there could be guided and redirected by divergent political philosophies." Briggs, Social thought, S. 140 f. 344 PRO, RECO 1/268, ohne 81.-Nr.: Ministry ofReconstruction, Housing in England and Wales, Memorandum by Housing Panel on the Emergency Problem, 1918, hier S. 3. Unterzeichnet wurde der Bericht von Lord Salisbury, John W. Hills, Thomas Jones, B. S. Rowntree, Leslie Scott und Beatrice Webb.

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zu bauenden 300.000 Wohnungen schätze man nun um 50% höher ein als noch vor dem Krieg. Je nach Größe und Lage der neuen Häuser wurden f:280 bis ±:440 pro Wohneinheit veranschlagt. Als Bauträger sollten private Unternehmungen, PUS, die Lokalverwaltungen und der Staat auftreten. Das zentralstaatliche Engagement sollte sich jedoch auf die administrative und finanzielle Unterstützung der Bautätigkeit der lokalen Behörden beschränken. Der Staat sollte Architekten einstellen und damit erste Schritte hin zu einem qualitativ höherwertigen Bauen tun. Beschwörend fügte man die dringliche Aufforderung hinzu: "lt is of the utmost importance that all preparations should be made to start building at the earliest possible moment after the peace is declared, in order for the settlement of soldiers on the land and to absorb the labour freed by demobilisation and the cessation of the manufacture of munitions. Every endeavour should, therefore, be made to complete the preliminary work such as the choice and acquisition of sites, the lay out of the land, the plans of the houses and the specification of materials." 345

Die Betonung der "Dringlichkeit" täuschte nicht über den postulierten, allgemeinen Charakter einer zukünftigen Wohnungspolitik hinweg. Intervention so lange wie nötig, aber nur soviel wie nötig, war die Grundlage, welche die Wohnungspolitik der Nachkriegszeit bestimmen sollte. Vor allem kontrollierter sollte sich das Wohnungswesen der Zukunft entwickeln. Gesetzliche Regelwerke sollten garantieren, daß negative Erscheinungen wie Slums und Wohnungsüberfüllung der Vergangenheit angehörten. Staatliche Unterstützungen bei der Finanzierung, aber auch bei der Baukonzeption (Design, Hochbau- und Siedlungsvorschriften) wurden als wichtige Säulen einer neuen, den veränderten Bedingungen angepaßten Wohnungspolitik herausgestellt. Was nötig und nicht nötig sein würde, sollte dabei an den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen abgelesen werden können. In den Jahren 1917 und 1918 waren es die Wohnungs- und Sozia1reformer, die definierten, was getan werden müßte, um das traditionelle Problem Wohnungsfrage zu lösen bzw. durch ihre Vorschläge bestimmten, daß ein wichtiger Schritt hin zur Lösung der Wohnungsfrage getan werden sollte. Wie es Johnson formulierte, wurde "the voice of unofficial campaigners" zu einer "Stimme" innerhalb der Regierung. 346 Parallel zu den Arbeiten des Housing Panels liefen unterschiedlich intensive Anstrengungen des LGB und des Ministry of Agriculture and Fishery, den zukünftigen Wohnungsbedarf zu ermitteln bzw. den öffentlichen Landerwerb für den Bau neuer Häuser und Siedlungen voranzutreiben. Von Frühjahr bis Herbst 1917 betrieben das LGB, das Landwirtschaftsministerium und ein im Wiederaufbauministerium gegründeter Ausschuß zur Beurteilung der Gesetze und Praktiken der Baulandbewertung und seines Erwerbs zahlreiche Bemühungen, weitere Voraussetzungen für ein wie auch immer geartetes Wohnungsbauprogramm zu schaffen.

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Ebenda, S. 11. Johnson, S. 66. Vgl. auch Swenarton, S. 88- 111.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Im Juli 1917 wurde der Bericht des "Committee dealing with the law and practice relating to acquisition and valuation of land for public purposes" vorgelegt. Danach schätze diese verheißungsvoll ein, daß "!arge schemes for providing Housing accommodation will have to be undertaken by certain Public Departments and Local Authorities"?47

"Wünschenswert" sei es, daß der Landerwerb für öffentliche Wohnungsbauvorhaben verstärkt in Angriff genommen werden würde. Es folgte eine Aufzählung und Einschätzung bestehender Gesetze, die ohne eine diese revidierende Schlußfolgerung endete. Es sollte lediglich beriicksichtigt werden, daß, wenn die öffentliche Hand zu bauen beabsichtigte, "unkompliziert" und auf dem Weg der Entschädigung vorgegangen werden sollte. 348 Das LGB empfing in dieser Zeit u. a. Abordnungen verschiedener Interessengruppen, um deren Position zur Wohnungsfrage nach dem Krieg zu evaluieren. Im Friihjahr 1917 sprachen sowohl das National Housing and Town Planning Council, die Garden Cities and Town Planning Association und das Workmen's National Housing Council als auch eine Vertretung privater Bauunternehmungen vor. Im Ergebnis kam das LGB zu dem Schluß, daß die private Bautätigkeit ohne staatliche Hilfe nicht in der Lage sein würde, den anstehenden Wohnungsbedarf zu decken. Das LGB sah sich danach in Übereinstimmung mit den Einschätzungen des Housing Panels. Die Lokalverwaltungen sollten in der Folge dieser Beurteilung angehalten werden, den Wohnungsbedarf in ihren Kommunen und Gemeinden zu ermitteln, um dann als neue Wohnungsbauträger die Lücke zu füllen. Nach einer Unterhausdebatte zur Wohnungsfrage im Juli 1917 wurde der Präsident des LGB autorisiert, ein Rundschreiben an alle Lokalverwaltungen zu versenden, um deren Wohnungsbedarf festzustellen. Gleichzeitig sollte das Schreiben über die geplante finanzielle und logistische Unterstützung jener Lokalverwaltungen informieren, die sich anschickten, Wohnungsbauprogramme unmittelbar nach Kriegsende durchzuführen.349 Am 27. Juli 1917 wurde das Rundschreiben verschickt. Der Rücklauf war verhalten. Die Lokalverwaltungen zeigten, wie bereits erwähnt, kaum Interesse, mit umfangreichen Wohnungsbauprogrammen ihren Haushalt zusätzlich zu belasten. Die Zusagen über eine finanzielle Unterstützung durch die Zentralregierung waren 347 PRO, LCO 3/24, ohne Bl.-Nr.: Ministry of Reconstruction, First Report of the Committee dealing with the law and practice relating to acquisition and valuation of land for public purposes, Ju1y 1917, S. 5. 348 Ebenda, S. 9. Der im Herbst des folgenden Jahres vorgelegte zweite Bericht empfahl schließlich, die bestehende Lands Clauses Acts zu ersetzten, da sie den Bedingungen gegenwärtigen Landerwerbs durch staatliche Institutionen nicht mehr entsprächen. Vgl. PRO, LCO 3/25, ohne Bl.-Nr.: Ministry of Reconstruction, Second Report of the Committee dealing with the law and practice relating to acquisition and valuation of land for public purposes, November 1918, S. 7. 349 Vgl. Swenarton, S. 70 f. Zur Tatigkeit der genannten Organisationen im Krieg siehe Kapitel II. 2. c).

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Il. Diskurs und Politik im Krieg

ihnen zu wage. Bis Ende September 1917 waren zwar zahlreiche Lokalverwaltungen bereit, eigene Wohnungsbauvorhaben anzugehen, aber insgesamt 120 gaben an, keinen Wohnungsbedarf zu haben bzw. waren nicht bereit, Wohnungen zu bauen. 350 Die Beschäftigung mit der Wohnungsfrage im und nach dem Krieg wurde durch das LGB und die anderen zuständigen Ministerien nicht unwesentlich von der Vorstellung getrieben, daß die Wohnungspolitik eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Verhinderung sozialer Unruhen spielte. Das war der Regierung spätestens seit den Ereignissen von 1915 in Glasgow bewußt. Eine im Juni 1917 eingesetzte Kommission, die sich mit den Ursachen des "industrial unrest" befassen sollte, maß der Wohnungsfrage als einer Ursache um sich greifender Unruhen in den industriellen Regionen des Landes einige Bedeutung bei. Die Maistreiks in der metallverarbeitenden Industrie 1917 drohten die Rüstungsproduktion zu schwächen. Die Zahl der durch Streiks verlorengegangenen Arbeitstage hatte sich im Vergleich zu 1915 und 1916 mehr als verdoppelt. 351 Kriegsmüdigkeit innerhalb der Arbeiterschaft drohte um sich zu greifen. Die Einschätzung der Kommission, daß die Wohnungsfrage an dieser Unzufriedenheit Anteil hatte, äußerte sich in der Feststellung, daß die Wohnungsbedingungen in einigen Regionen "akut" seien. Angemessene Unterkunftsmöglichkeiten würden aus diesem Grunde vielerorts gefordert. Der Regierung wurde empfohlen: "[A]nnouncements should be made of policy as regards housing". 352 Das LGB wies im November 1917 nochmals auf den Zusanunenhang von Wohnungsfrage und Unzufriedenheit unter der Arbeiterschaft hin. "Verhängnisvolle Folgen" hätte es, wenn sich die Regierung von den gemachten Versprechen über die finanzielle Unterstützung im Wohnungsbau zurückziehen würde. Solche Ankündigungen, so Hayes Fisher, würden die bereits bestehende Unzufriedenheit in 350 PRO, RECO 1/471, ohne BI.-Nr.: Draft Ietter from the LGB to the Treasury vom 29. Oktober 1917. Was die finanzielle und vor allem experimentelle Dimension des Wohnungsbaus durch die Lokalverwaltungen betraf, brachte die Notiz einer Besprechung im Landwirtschaftsministerium über die Lage der Verwaltungen folgendes auf den Punkt. Im Zusammenhang mit Vorstößen, die Ansiedlung von Kriegsheimkehrern durch sie voranzutreiben, wurde bemerkt: "They (local authorities, hier speziell die county councils, T. K.) are popular elected bodies .... Their work is voluntary, . . . they are responsible to the ratepayers for the economic success of any land settlement. It is not denied that the Colonies for soldiers is still in its experimental stage. Would it be wise to take powers to compel a public authority to undertake the initiation and administration of a Scheme of Land Settlement until it has been conclusively proved that the experimental Colonies have borne fruitful results?" PRO, MAF 48/27, ohne BI.-Nr.: Small Holdingsand Allotments Act 1908, suggested amendments, Minutes on Draft clauses for a Small Holdingsand Allotments Act, Januar- März 1917. 351 Vgl. Thorpe, Andrew, Britain in the era of the two World Wars 1914-45, London/ New York 1994, S. 100. 352 Summary of the Reports of the Commission of Enquiry into Industrial Unrest, Juli 1917, Dokument 4.19, in: Butler, Lawrence/Jones, Rarriet (Ed.), Britain in the twentieth Century, Vol. I, Oxford 1994, S. 109 f. Vgl. Swenarton, S. 71; Wilding, The Housing and Town Planning Act 1919, in: Journal of Social Policy, Vol. 2, 1973, S. 317 - 334, hier S. 321 f.; Reiss, S. 144-149.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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den industriellen Regionen noch erhöhen. Schlechte Wohnverhältnisse waren "zugegebenermaßen" eine Ursache dieser Verdrossenheit. 353 Die Interventionen des Staates in den Wohnungsmarkt im Krieg blieben verhalten und beschränkten sich auf das an den Kriegsanforderungen orientiert Notwendige. Doch gerade an den Standorten der Rüstungsproduktion, in den Städten mit Werft- und Maschienbauindustrie und der Kohleminen von Wales und Nordengland verkamen die Wohnverhältnisse zusehends. Die Mieten stiegen weiter, da Wohnungskündigungen und Neuvermietung zu einem höheren Zins nicht ausgeschlossen und bei dem Mangel an ausreichenden Wohnungen an der Tagesordnung waren. Neue Wohnungen wurden nur begrenzt unter der Regie des Ministry of Munitions gebaut, private fast gar nicht mehr. Die Bilder vom Wohnen der "Helden des Krieges", die an der Front und in der Rüstungsproduktion "kämpften", unterschieden sich nicht von dem Wohnen großer Teile der Arbeiter in der Vorkriegszeit. Die Beschreibung der Wohnverhältnisse in britischen Industriestädten des Jahres 1917 glich jenen, die im 19. Jahrhundert schlicht als "grausam" (Gauldie) bezeichnet wurden. Ein zeitgenössischer Bericht über den Zustand britischer Städte und Dörfer war gekennzeichnet von der Abwesenheit jeglicher Symbole eines "neuen Britanniens", von der Ernüchterung über Versprechen aus der Vorkriegszeit und der verhaltenen Arbeit der Regierung in Vorbereitung auf die Nachkriegszeit: "[T]he workers feel deeply discontented with their housing accornmodation and with their unwholesome and unattractive environment generally. The towns and villages are ugly and overcrowded; houses are scarce and rents are increasing, and the surroundings are insanitary and depressing. The scenery is disfigured by unsightly refuse tips, the atmosphere polluted by coal dust and smoke and the rivers spoilt by liquid refuse from works and factories. Facilities for education and recreation are inadequate and opportunities for the wise use of Ieisure are few. " 354

Konfrontiert mit der Gefahr einer umfassenden Nachkriegswohnungsnot und der Drohung, durch die Rüstungsproduktion einschränkende Streiks, Rückschläge bei der Führung des Krieges erleiden zu müssen, waren die zuständigen Gremien im Ministry of Reconstruction und den anderen Ministerien gezwungen, ihre Anstrengungen um das Wohnen nach dem Krieg zu verstärken. Die uneingelösten sozialen Zusagen und politischen Zukunftsprogramme mußten nach dreijähriger Kriegsanstrengung nicht zuletzt, um zum Durchhalten zu motivieren, eingelöst werden. Eine Regierung, die sich mit Wohnungs- und Sozialreformern schmückte, in der Formulierung ihrer Politik aber nur zögerlich war, nahm Schaden an ihrem Ansehen und verringerte die (Wieder)Wahlchancen. Eine Gemengelage aus sozialen und ökonomischen Erfordernissen sowie politisch implizierten Visionen war entstanden, die strukturelle Veränderungen im 353

Schreiben Hayes Fisher an J. T. Davis vom November 1917, zitiert nach: Swenarton,

s. 72f.

354 Report of the Commission of Inquiry into Industrial Unrest, No. 7, 1917, Division in Wales and Monmouthshire, zitiert nach: Marwick, The Deluge, S. 220; vgl. auch Reiss, S. 5 f.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

Systems des Wohnungswesens forderte. Doch waren solche politisch nur beschränkt bzw. vorübergehend gewünscht. "Business as usual", politische Rhetorik und die Propaganda von einer gemeinsamen Zukunft in einer "großen Nation" sowie vom "Dank des Vaterlandes" für die Leistungen im Krieg kennzeichneten die Unentschlossenheit und gleichzeitige Vielschichtigkeit der staatlicher Wohnungspolitik. Außer einer analytischen Bearbeitung der Wohnungsfrage, die, was die qualitative Ebene betraf, kaum überraschend zu ähnlichen Ergebnissen führte, wie sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts wiederholt vorgelegt worden waren, war nicht viel "Neues" geleistet worden, "War Restriction" eben.

c) Die Wohnungsfrage in der Beurteilung der organisierten Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform, der liberal-radikalen Presse und der Labour Party Die propagandistische Tätigkeit von Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformern während des Krieges war, im Vergleich zu der ihrer deutschen Kollegen, durch ihre wirkungsmächtig erscheinende Einbindung in staatliche Strukturen bestimmt. Keine umfangreichen Medienkampagnen, keine hunderttausendfach verteilten Pamphlete, die Forderungen nach der Verbesserung des Wohnens nach dem Krieg enthielten, kennzeichneten ihre "Kriegsarbeit". Dagegen entsandten sie Abordnungen und unterhielten formelle und noch mehr informelle Kontakte zu zahlreichen Ministerien, besonders zum Board of Agriculture and Fishery und Ministry of Reconstruction. In diesem Kapitel werden am Beispiel des National Housing and Town Planning Council und der Garden Cities and Town Planning Association deren Positionen und Forderungen dargestellt und, im Gegensatz zur Tätigkeit Rowntrees und der Webbs, ihr Einfluß auf die Politik "von außerhalb" untersucht. Ergänzend werden die Standpunkte zur Wohnungsfrage von Seiten der Bodenreformbewegung, der radikal-liberalen und sozialistischen Presse, The Nation und The New Statesman, sowie der Labour Party und der Labour Housing Association beschrieben. 355 aa) National Housing and Town Planning Council Über 500 Seiten stark war das 1923 veröffentlichte Handbuch zum nationalen Wohnungswesen Großbritanniens. Verfaßt und herausgegeben wurde der Guide to National Housing Policy and Administration, wie das Werk im Untertitel hieß, von 355 Vgl. Johnson, S. 232-245. Es gab zahlreiche weitere, oft nur lokal organisierte wohnungsreformerische Vereinigungen, die während des Krieges den Schwerpunkt ihre Arbeit im wesentlichen auf die Agitation für eine staatliche Mietkontrolle legten. Zu den Aktivitäten diverser Organisationen in einem Zentrum der Mieterbewegung, dem schottischen Glasgow, vgl. Englander, Landlord and tenant, S. 193 - 297.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Henry R. Aldridge, dem Generalsekretär des National Housing and Town Planning Council (NHTPC). Das Buch war Zustandsanalyse, Rechenschaftsbericht des Councils und Programm zugleich. Obwohl, so Aldridge einleitend, das NHTPC in der Vorkriegszeit wichtige Grundlagen für eine nationale Wohnungspolitik gelegt sah, und die Öffentlichkeit mit dem "Elend der Slums" vertraut gemacht worden sei, markierte der Krieg eine Steigerung des Stellenwertes von Wohnen und Wohnungspolitik in der britischen Gesellschaft. Mit dem Krieg verbanden sich für die Wohnungsreformer allgemein, und für die des NHTPC im besonderen, Hoffnungen auf den "großen Wandel des nationalen Wesens und Geistes", wie er laut Aldridge in den Jahren der "nationalen Belastungen", zu Tage getreten sei. "The terrible wreckage of individual happiness and the quenching of the possibilities of buoyant young life form an inevitable concomitant of war, and it seems almost immoral to welcome any kind of offset of the tragedy of war. But it is assuredly not wrong to welcome the sterner temper of national responsibility engendered by the war and to trace to this sense of responsibility the evolution of a policy which, if administered in a spirit of high endeavour and steadfast, will inevitably result in sweeping Great Britain clear of bad housing conditions in a relatively short period of years."356

Es war die Hoffnung, daß aus dem Krieg das "ernste Wesen einer nationalen Verantwortung" erwachsen sei, das zu einer Wohnungspolitik führen würde, die, wenn nur mit "Anstrengungen und Standhaftigkeit" betrieben, in der Beseitigung aller ungesunden und menschenverachtenden Behausungen enden würde. Das NHTPC hatte dazu im Krieg seinen Beitrag geleistet. Im Friihjahr 1915 meldete das Journal of the Royal Institute of British Architects, daß sich das NHTPC auf einer Konferenz für die finanzielle Unterstützung von Wohnungsbaumaßnahmen durch den Staat aussprach. Das Council, 1900 gegriindete und zur größten Wohnungsreformvereinigung Großbritannien aufgestiegen, ging vom Risiko eines Wohnungsmangels nach dem Krieg aus, das verhindert werden könne, wenn in Ergänzung der zu fördernden Wohnungsbautätigkeit der lokalen Verwaltungen auch private Bauträger und die PUS, "under well-defined conditions", staatliche, nicht näher erläuterte Hilfe bekämen?57 Ein Jahr später wurde das NHTPC konkreter und verkündete den Beginn seiner Wohnungskampagne. Vom 11. bis 14. April 1916 fand in London eine Konferenz 356 Aldridge, The National Housing Manual, S. 143. Eng mit der Lösung der Wohnungsfrage verband das NHTPC die Stadtplanung. Vgl. neben den Kapiteln im National Housing Manual auch Aldridge, Henry R., The case oftown planning, London 1915. 357 The Journal of the Royal Institute of British Architects, Vol. 22, 1915, S. 308. Mitglieder des NHTPC, dessen Hauptaufgabe neben der wohnungsreformerischen Propaganda, die Ausführung von städtischen Wohnungsbauvorhaben war, waren Angehörige lokaler Verwaltungen, Architekten, Bauinspektoren und Beschäftigte sowie Unternehmer der Bauwirtschaft Stephan Prager, der 1920 eine Dissertation zur britischen Wohnungspolitik verfaßte, schätzte zur Bedeutung des NHTPC ein, daß dieses die Bildung von gemeinnützigen Baugesellschaften fördern und ihnen weitreichende materielle und ideelle Hilfestellung gewähren würde. Prager; Stephan, Behebung der Wohnungsnot in England, Berlin 1920, 9 f.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

mit 400 Teilnehmern, unter ihnen Seebohm Rowntree, statt, die unter der "Schirmherrschaft" des Councils stand, "to consider Horne Problems after the War, more especially those problems relating to housing and agriculture, and the possibilities of averting unemployment in the building trade"? 58

Die Vorschläge, die im Ergebnis der Zusammenkunft vorgelegt wurden, verbanden im Kern die Rückkehr der Kriegsheimkehrer mit dem Problem einer prognostizierten Wohnungsnot nach dem Krieg. Das NHTPC ging dabei von der Pflicht des Staates und der Lokalverwaltungen aus, sich diesem Problem zu stellen. Bebauungs- und Siedlungspläne müßten in staatlicher Regie erstellt und durchgeführt und, wie bereits ein Jahr zuvor gefordert, finanziert werden: "That the country has the duty to perform and the debt to pay to those who have, in a fine spirit of patriotism, respond to her call, is beyond question. But if this duty is to perform, and it this debt to be paid, wise foresight must be shown and plans and schemes must be carefully prepared many months in advance of the close of the war. " 359

Wer dem "Ruf des Vaterlandes" gefolgt sei, so die Argumentation des NHTPC, müsse bei seiner Rückkehr darauf vertrauen können, daß in "weißer Voraussicht", in Verantwortung des Staates, der Bau von neuen Wohnungen und Häuser begonnen würde. In Einlösung der "Schulden" des Staates bei seinen Soldaten müßten diese Wohnungen für die Kriegsanstrengungen dann vergeben werden. 360 Neben den Forderungen nach der Vorbereitung von weitreichenden Siedlungsplänen und deren finanzieller Absicherung, setzte das NHTPC, wie das Journal of the Royalinstitute of British Architects berichtete, auf die moralisch-sittliche und militärisch-demographische Notwendigkeit solcher Maßnahmen. Bessere Wohnungsbedingungen seien wichtige Grundlagen für eine "bessere Staatsbürgerschaft" der Bevölkerung und schafften eine "größere Produktivität" in Industrie und Landwirtschaft. Die Beseitigung der schlechten Wohn- und Lebensbedingungen bzw. die Hebung ihres Standards versichere die zeitgenössisch einleuchtende, kriegswichtige Bedeutung von beidem. Deshalb diskutierte der Kongreß weitere damit in Zusammenhang stehende Probleme, wie die Möglichkeiten der Schaffung von "Homesteads" mit Garten, die Rolle der Lokalverwaltungen und das Potential der Stadtplanung. 361

358 Greater London Record Office (London Metropolitan Archives), (GLRO), HSG/ GEN /1/11, ohne Bl.-Nr.: National Housing and Town Planning Council - General Papers 1914-1938, Preliminary Programme of a National Congress, April, 1916. Vgl. auch The Housing Journal, Organ ofthe Labour Housing Association, No. 105, Mai 1916, S. 5-8; Wilding, The Housing and Town Planning Act, S. 318. 359 GLRO, HSG/GEN /1/11, ohne Bl.-Nr.: Preliminary Programme of aNational Congress, S. 4. 360 Ebenda. 361 The Journal of the Royal Institute of British Architects, Vol. 23, 1916, S. 155 f.

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Die Mitglieder des Kongresses verfaßten eine Resolution, die von einer Abordnung dem Präsidenten des LGB, Walter Long, im Anschluß an die Tagung übergeben wurde. Die Denkschrift enthielt eine umfassende Sammlung von Vorschlägen zu Maßnahmen, welche die Regierung bezüglich der Reform des Wohnungswesens einzuleiten aufgefordert wurde, ohne daß neue Gesetze notwendig würden. An vorclerster Stelle stand die Forderung, daß die zentrale Ermittlung des Wohnungsbedarfs in allen Gemeinden über eine Befragung der Lokalverwaltungen durchgeführt werden sollte. Gleichzeitig sollte damit begonnen werde, Pläne für die zu erstellenden Häuser und Wohnungen hinsichtlich ihrer Form und Grundrisse vorzubereiten, sowie öffentliches Bauland zu erschließen. 362 Neue Gesetze forderte das Memorandum hingegen in Bezug auf die Begründung einer durchgreifenden nationalen Wohnungs- und Stadtplanungspolitik, nach der "houses unfit for human habitation" in Städten und auf dem Land beseitigt werden könnten. Die Lokalverwaltungen sollten zukünftig die Pflicht haben, Häuser und Wohnungen überall dort zu bauen, wo Wohnungen fehlten, bzw. wo die "labouring classes" nicht in der Lage waren, "ökonomische" Mieten für "richtige" Wohnungen zu zahlen. Abschließend forderte man die Schaffung einer eigenständigen Abteilung im LGB, die mit allen Fragen des Wohnungswesens und der Stadtplanung in England, Wales und Schottland betraut werden sollte. Ihm sollte ein Beratergremium angeschlossen sein, das sich in regelmäßigen Abständen treffen sollte, "to consider and submit suggestions to the govemment in regard to administration and legislation". Das NHTPC setzte dabei auf die imaginäre Kraft der Kriegsheimkehrer und den ihnen gebührenden Dank in Form von besseren Wohnungen. 363 Die Erwiderung des Präsidenten des LGB, Long, auf die Entschließung klang, befreit von ihrer politischen Rhetorik, wie eine hoheitliche Unterstützungserklärung, schien Programm und Propaganda zugleich zu sein: "[T)he duty of the nation to provide that soldiers, when they come to settle down, whether it be the town or in the country, shall with the least possible delay have provide for them decent home accommodation. It would indeed be a crime - a black crime - if, reading as we do the wonderful accounts of the sufferings which our heroes have to undergo in the trenches . .. we sat still and did nothing by way of preparation to ensure that when these men come home they shall be provided for with as little delay as possible. To Iet them 362 Denkschrift des Kongresses vom April1916, übergeben dem Präsidenten des LGB, in: GLRO, HSGIGEN 11/11, ohne Bl.-Nr.: Housing and Town Planning after the war, Memorandum relative to the Housing Preparedness Campaign of the National Housing and Town Planning Council, London 1917, S. 9. Bereits in der Vorkriegszeit wurde das NHTPC mit Resolutionen beim LGB vorstellig. Vgl. BLPES, Archiv, REES-JEFFREYSI17119, National Housing and Town Planning Scheme, ohne Bl.-Nr.: Reports des National Housing and Town Planning Councils i.e. Report of Deputation to the President of the LGB with reference to the Administration ofthe Housing Act (No. 2) 1914, Deputation vom 21. August 1914. 363 Denkschrift des Kongresses vom Aprill916, übergeben dem Präsidenten des LGB, in: GLRO, HSG I GEN I 1 I 11, ohne Bl.-Nr.: Housing and Town Planning after the war, Memorandum relative to the Housing Preparedness Campaign of the National Housing and Town Planning Council, London 1917, S. 9.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

come home from water-logged trenches to something little better than a pigsty would be criminal on the part of ourselves and would be a negation of all we have said during this war, that we can never repay theseman for what they have done for us." 364

Die vom LGB zum Ausdruck gebrachte Zustimmung zur Analyse des Kongresses und seinen Forderungen gründete sich einerseits auf die gestiegene staatliche Sensibilisierung bezüglich der Fragen des Wohnungswesens seit den Mietstreiks in Glasgow und anderswo. Andererseits konnte das LGB 1916 auf eigene Anstrengungen im Wohnungswesen zurückblicken bzw. auf die Arbeit des ersten Reconstruction Committees verweisen. Schließlich deute die zustimmende Stellungnahme gegenüber den Wohnungsreformern an, daß vor allem für die Kriegsheimkehrer "besseres Wohnen" durchzusetzen als Pflicht des Staates, wenn auch nur als vorübergehende, verstanden wurde. Diese internen, für die Spezialisten der Wohnungsreform abgegebenen Stellungnahmen waren ihrem Charakter nach Aussagen darüber, daß die Wohnungsfrage bereits dort Eingang gefunden hatte, wo ihre Lösung möglich war, in die nationale Politik. Es war das versöhnende und weitläufig angenommene Bild von einer Regierung, die sich kümmerte, nach Lösungen suchte und Politik machte. Verstärkt wurde dieses Image durch die Stellungnahmen weiterer Mitglieder der Regierung zur Resolution vom April1916. Dabei rief die Verspätung der Erklärungen bei den Wohnungsreformern des NHTPC kein Mißtrauen am Willen der Regierung hervor. Im Mai 1917, das Amt des Präsidenten des LGB hatte nach Long und Lord Rhondda nun Hayes Fisher inne, veröffentlichte das NHTPC weitere unterstützende Bemerkungen aus dem LGB. Die Erklärung, von Hayes Fisher und zahlreichen Mitarbeitern des LGB unterzeichnet, bekräftigte die Zusicherung Longs, daß "housing is the most important question this Department has to deal with. It is the question that comes first and foremost. " 365

Doch war die Stellungnahme des LGB im Frühjahr 1917 im Ganzen zurückhaltender. Hayes Fisher erkannte das Problem zwar an, machte aber den Kriegsteilnehmern gegenüber, keine "Versprechungen". Er "sympathisiere" lediglich mit den Vorschlägen des NHTPC. Um Zuversicht und guten Willen zum Ausdruck zu bringen, unterstrich er aber seine Aussagen, indem er erklärte: "at the bottom of all these questions (health, infant mortality, etc.) was really the question of housing. lt is my opinion, far and away the most important national question of the time. I shall be only too pleased if I am able to help in any practical solution of this great national problem." 366

Für die Wohnungsreformer des NHTPC waren diese Aussagen überzeugende Zeichen dafür, daß rechtzeitig vor Ende des Krieges Maßnahmen ergriffen würden, Zitiert nach: Aldridge, The National Housing Manual, S. 146. Vgl. Merrett, S. 32 f. Zitiert nach: Housing and Town Planning after the war, Memorandum, in: GLRO, HSG/GEN/1 I 11, S. 10. 366 Zitiert nach: ebenda. Vgl. Wilding, The Housing and Town Planning Act, S. 318-320. 364 365

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die einerseits der drohenden Wohnungsnot entgegenwirkten, und anderseits die Wohnungsfrage auf der Agenda wichtiger, zu lösender Fragen mit plaziert zu haben. Im Ergebnis der Appelle die in den folgenden Wochen Regierung und Parlament erreichten, rechnete sich das Council die vom LBG initiierte Befragung der Lokalverwaltungen vom Sommer 1917 als Erfolg an. Damit habe die Regierung endgültig den "ersten Schritt" in der Nachkriegswohnungspolitik getan?67 Die Forderungen des NHTPC zur Reform des Wohnungswesens waren eindeutig. Noch während des Krieges sollten wohnungspolitische Maßnahmen ergriffen werden, um eine Wohnungsnot nach dem Krieg zu verhindern, und mittelfristig die Wohnungsfrage endgültig zu lösen. Die f 20 Millionen, die für die ersten Maßnahmen 1916 gefordert wurden, waren bestimmt, um u. a. Wohnungsbaupläne mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Baugewerbe für Kriegsheimkehrer zu koppeln. 368 Eine weit größere Summe war aber notwendig, um die "Schande" der schlechten Wohnungsbedingungen vom Körper der "nationalen Ehre" zu beseitigen. Die Kriegsanstrengung, d. h. ihr materieller Gegenwert, war das wohl herausragendste Beispiel, um diese große Aufgabe zu verdeutlichen. Die Ausgaben für vier Wochen Kriegführung, Aldridge nannte die Summe von f 140 Millionen, reichten aus, um die "elenden" Wohnungsbedingungen Großbritanniens vollständig zu beseitigen. Eine Gesellschaft, die es sich leisten könne, so Aldridge 1917 in seinem Aufsatz Housing after the war, Unmengen für die verschiedensten "Vergnügungen" auszugeben, sollte in der Lage sein, allen Mitgliedern der Gesellschaft, auch den ärmsten, ein "gutes Heim" zu sichern. 369 Im Frühjahr 1918 und 1919 fanden weitere Konferenzen des NHTPC statt, die sich der Wohnungsfrage nach dem Krieg widmeten. Neben den jährlichen Tagungen trat man mit kleineren Flugschriften und Resolution zum "first and foremost problem" Wohnungsfrage an die Regierung heran. Doch über das Niveau der informellen Kontakte zur Regierung, dem Ministry of Reconstruction und LGB kam man nicht hinaus. 370 Die Wirkungsmacht des Krieges, zu dessen "positiven" Aspekten gehören sollte, die Wohnungsreform voranzutreiben, schien für den NHTPC von begrenzter Reichweite zu sein. Es erwuchs daraus keine institutionelle Einbindung in die politischen Strukturen. Diese waren besetzt mit den Spezialisten und Vertrauten des Premierministers und seiner Kabinettskollegen zu denen Aldridge "lediglich" freundschaftliche Beziehungen pflegte. Die Ideen und Agitation des NHTPC wirkte aber über den institutionellen Rahmen der außerstaatlichen Vereinigung in die inneren Strukturen des politischen Systems hinein. Die Grenze zwischen beiden Systemen wurde nicht zuletzt durch Abordnungen 367 Vgl. Housing and Town Planning after the war, Memorandum, in: GLRO, HSGI GEN I 11!1, S. 11. 368 Vgl. The Journal ofthe Royal Institute ofBritish Architects, Vol. 23, 1916, S. 213 f. 369 Aldridge, Housing after the War, S. 248. 370 V gl. GLRO, HSG I GEN I I I II , National Housing and Town Planning Council - General Papers 1914 - 1938; vgl. Merrett, S. 33 f.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

und Resolutionen oft genug überschritten und verwischte teilweise. Die Arbeit des NHTPC war nicht unwesentlich Politikvorbereitung, auch wenn, dessen herausragendste Persönlichkeit, Henry Aldridge, nicht zum Housing Panel des Ministry of Reconstruction gehörte.

bb) Garden Cities and Town Planning Association Der Krieg schien die Tätigkeit der britischen Gartenstadtbewegung, wie die ihrer Pendants in anderen europäischen Ländern, vorerst stocken zu lassen. An den Aus-, gar Neubau von Gartenstädten war in den Jahren zwischen 1914 und 1918 kaum zu denken. Doch der Krieg, so Dennis Hardy über die Bewegung und ihre Entwicklung in diesen Jahren, "did not see the demise of this infant body." 371 Die Vorbereitung auf die Nachkriegszeit und die Wiederbelebung bzw. der weitere Ausbau der Bewegung standen im Mittelpunkt der "Kriegsarbeit" der Garden Cities and Town Planning Association (GCTPA). Am Ende dieser Periode der Reformarbeit stand 1918 die Schrift des Gartellstadtreformers Richard Reiss The home I want. Deren Einband zeigt einen Soldaten, der mit ausgestrecktem Arm auf ein kleines, von einem Garten umgebenes Haus im Grünen zeigt. Die Intension der Schrift war deutlich: Häuser im Grünen, auf dem Land, in Gartenstädten bzw. am Stadtrand für diejenigen, die ihrer Heimat treu gedient hatten. Das Buch war Propagandaschrift und öffentlich-administrative Handlungsanleitung zugleich, Rück- und Ausblick auf das britische Wohnungswesen, wie es den Reformern in Vergangenheit und Gegenwart erschien, und wie es zukünftig sein sollte. Der "Soldat Reiss", er war Angehöriger des Royal North Lancashire Regiment und Chairman of the Executive of the Garden Cities and Town Planning Association, in der Einleitung selbst: "I hope that this little book rnay be found useful to the rnany social reformers who are anxious to see a better world brought into existence, but who are often uncertain what exactly to do in order to help."372

Die Prämissen der Gartenstadtbewegung im Krieg waren Mut zu machen und weiterzuarbeiten für eine "bessere Welt". Die Verwirklichung des Ziels, die Errichtung von Hunderttausenden dieser "homes I want", erschien im Ergebnis des Krieges und der Reformarbeit, so suggerierte Reiss, quasi als "natürlich". Eine wichtige Station bei der Vorbereitung auf die "bessere Welt" nach dem Krieg war eine im November 1915 initiierte Tagung, welche die Gartenstadtbewegung und zahlreiche Gesellschaften der gemeinnützig-sozialen Bauwirtschaft zu371 Hardy, Dennis, The Garden City carnpaign. An overview, in: Ward, Stephen V. (Ed.), The Garden City. Past, present and future, London et al. 1992, S. 187-209, hier S. 197. Vgl. auch Wagner, Martin, Englische Gartenstädte, in: Wohnungswirtschaft, 17 /1925, S. 136139 und 18/1925, S. 145-147. 372 Reiss, S. VII.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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sammenführte. Die GCTPA lud zu einer nationalen Konferenz der "housing societies and societies of public utility" nach London ein, die sich vorwiegend zu Fragen der Stadtplanung nach dem Krieg austauschen sollte. Insgesamt 61 Wohnungsbaugesellschaften aus ganz Großbritannien nahmen an der Zusammenkunft teil. Diskutiert wurde u. a., welche Stellung gemeinnützige Bau- und Wohnungsunternehmungen zukünftig in der nationalen Wohnungswirtschaft einzunehmen in der Lage seien. Die Fragen reichten von der Ausgestaltung der finanziellen Handlungsspielräume, über die Zusammenarbeit zwischen Bauunternehmen und städtischen Verwaltungen bis hin zu möglichen Gesetzesänderungen, die den Lokalverwaltungen ermöglichen sollten, in gemeinnützige Bau- und Wohnungsunternehmen investieren zu können. Bevor das Kriegende abzusehen sei, müßten solche Themen und die damit verbundenen Probleme bearbeitet und geklärt sein. Am Ende der Tagung stand die Bildung eines gemeinsamen Rates aus GCTPA und Bauund Wohnungsunternehmungen, der diese Fragen weiter beraten sollte. 373 Im folgenden Friihjahr, im März 1916, wurde eine der sich durch den Krieg veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und die Ideen der Gartenstadtbewegung versucht zusammenzubringen. Auf ihrer jährlichen Tagung diskutierte die GCTPA die Problematik der Ansiedlung von aus der Armee entlassenen Soldaten und Marineangehörigen auf dem Land, in der die Vereinigung ein hervorragendes Mittel der Integration und Seßhaftmachung der ehemaligen Kriegsteilnehmer sah. Dem hierfür politisch-administrativ zuständigen Ministry of Agriculture and Fishery bot man für die Vorbereitung und Durchführung einer solchen Maßnahme umfassende Unterstützung an. 374 Die Propagandatätigkeit der Gartenstadtbewegung während des Kriegs beschränkte sich damit auf zwei Richtungen. Einerseits zielte sie auf die Unterstützung und mögliche Einbindung in bestehende Strukturen der politischen Entscheidungsfindung. Dabei versuchte man, die eigene Ideologie und die Herausforderungen des Krieges und der Zeit danach, wie z. B. Vorschläge zur Ansiedlung von Kriegsheimkehrern, miteinander zu verbinden. Andererseits, und dieser Arbeit widmete man in weit stärkerem Maße seine Kräfte, wirkte die GCTPA in Fortsetzung der Tätigkeit der Vorkriegszeit auf die möglichst breite Vermittlung ihrer Ideen und ihres Programms. Die Intention war vordergrundig die Rekrutierung von neuen Interessenten und Verbündete vor allem aus zentralstaatlichen und lokalen Administrationen, denen Einfluß auf die Entscheidungen der Wohnungs- und Siedlungspolitik unterstellt wurde. Über die "Hintertür vor Ort" wollten die GCTPA an den nationalen Entscheidungen im Wohnungs- und Siedlungswesen beteiligt werden. Hierfür lud man zu jährlichen "Summer Meetings" in eine der britischen Gartenstädte ein. Im Sommer 1917 diskutierten die Fachleute der GCTPA erstmals die Aufgaben des Wiederaufbaus nach dem Krieg im Hampstead Garden Suburb im 373 374

Vgl. The Journal of the Royal Institute ofBritish Architects, Vol. 23, 1916, S. 55. V gl. eben da, S. 173 f.

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li. Diskurs und Politik im Krieg

Norden Londons?75 In verschiedenen Sektionen diskutierte man die Fragen des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Wiederauf- und Umbaus Großbritanniens. Die Vorträge stellten in der Mehrzahl die religiösen Grundlagen des Wiederaufbaus in den Mittelpunkt und trugen Titel wie The religious foundation of social reconstruction, Religion in education und The place of beauty in religion. 376 Nur ein Vortrag behandelte explizit das Wohnungswesen und dazu noch das ländliche. Dafür fanden sich unter dem Problemkreis des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus Beiträge von Sidney Webb, Industrial reconstruction, über die Rolle der Frau in der Industrie und Landwirtschaft sowie, wie es sich für eine Tagung der GCTPA gehörte, zur Vergangenheit und Zukunft der Gartenstädte. Webbs Teilnahme und Vortragstätigkeit war ein Zeichen für die Institutionen übergreifende Wirkung der Ideologie der Gartenstadtbewegung. Indem die Ideen der GCTPA mit denen des Wiederaufbaus in Verbindung gebracht werden konnten, stiegen die Chancen der Einflußnahme auf die Politikvorbereitung im Umfeld der Regierung. Der soziale Wiederaufbau und seine religiöse Begrundung waren, betrachtet man die Gesamtheit der Beiträge, der Leitgedanke der Zusammenkunft. Der Pfarrer J.H.B. Masterman beriihrte in The religious foundation of social reconstruction nahezu alle Problemkreise eines Wiederaufbaus, der die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes zum Ziel hatte. So wie die Nation ihre "Pflicht zur Kriegführung" erfüllt habe, müsse sie auch ihre "Pflicht zum Frieden" annehmen. Wenn sie mit Hilfe des christlichen Glaubens agiere, werde sie zu den Grundsätzen ihres Wiederaufbaus finden, die auf ultimative Lösungen und nicht auf schnellen Erfolg gerichtet sein sollten. Auf drei Themen bezog sich Mastermans "Erlösungspredigt". Er brandmarkte neben den niedrigen Löhnen und den "ungerechten und riicksichtslosen Zuständen" in den Fabriken, die schlechten Wohnbedingungen als "unwirtschaftlich" und "unmoralisch". Die Wohnverhältnisse nahmen in seiner Argumentation eine besondere, hervorgehoben Position ein. Ihnen sollte zukünftig der "first task" gewidmet sein, um für die Masse der Bevölkerung ein perspektivisches "home life" zu gewährleisten. Hierfür notwendige staatliche Behörden sollten als "Notmaßnahmen" geschaffen werden. Denn, daran ließ der Gartenstadtreformer Masterman keinen Zweifel, unmenschliche Wohnbedingungen sollten der Vergangenheit angehören:

375 Vgl. Problems of Reconstruction. Lectures and addresses delivered at the Summer Meeting at the Hampstead Garden Suburb, August 1917 with an lntroduction by The Marquess ofCrewe, London 1918. Zum Hampstead Garden Suburb vgl. u. a. Slack, Kathleen M., Henrietta's Dream. A chronicle of the Hampstead Garden Suburb, London 1982. 376 Vgl. Problems of Reconstruction. Lectures and addresses. Besonders der Jetztgenannte Titel verdeutlichte die starke Bindung der Gartenstadtbewegung an eine weitere, ihre Arbeit stark beeinflussende Bewegung, die Arts- and Crafts-Movement, die sich auch in anderen Vorträgen widerspiegelte. Zur Wirkung von Arts and Crafts vgl. u. a. Kirsch, Hans-Christian, William Morris. Ein Mann gegen die Zeit. Dichter, Buchkünstler, Designer, Sozialreformer, Köln 1996, S. 252 - 273.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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"I would not allow any Iandlord to derive rent from any house or tenement in which water was not laid on and a water-eloset provided.... It is no answer to say that some people will turn a palace into a pigsty. Thank God, some people will turn a pigsty into a palace, but that does not justify us in providing pigsties formen and women to live in." 377

Masterman warnte vor einem "unangenehmen Erwachen", wenn die Lösung der Wohnungsfrage nicht im Zuge des Wiederaufbaus der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Krieg in Angriff genommen würde. "Social Reconstruction", vor allem die Beseitigung ungesunder, menschenunwürdiger Wohnbedingungen, sei kein "Traum", sondern die Grundlage eines besseren, "fröhlichen Englands": "Some of us hope that the social reconstruction that is bound to follow this war will involve a gradual decentralisation, a reversal of the process by which the strength of the country-side has been sucked into the whirlpool of our great cities. London with half its present population would be a healthier and happier place, and a hundred little garden cities could be peopled by the men and women from the flats of Victoria Street and the tenements of Southwalk and Stepney. Impracticable dreams? Not at the least, if we recognised that a 'merrie England' was worth some effort to achieve.'.J78

Reiss' The Horne I wantavancierte schließlich zum Höhepunkt der Kriegspropagandaarbeit der GCTPA. Er beschrieb die Kriegsheimkehrer als ein kollektives Subjekt, das, man erinnere sich an die Gestaltung des Buchumschlages, ein Gewehr geschultert, nach "erstklassigen" Häusern und Wohnungen verlangte. Nichts konnte besser die Forderungen nach der Neugestaltung des britischen Wohnungswesen unterstützen, als das Image des siegreichen Frontsoldaten, der nach Kriegsende als "Belohnung" ein "Haus im Griinen" begehrte. Millionen Frontkämpfer würden zu Millionen Verfechtern der Gartenstadtidee. Ausgestattet mit staatlichen, billigen Krediten und günstigem Bauland von den Lokalverwaltungen, würden sie durch gemeinnützige Baugesellschaften unterstützt, ihr eigenes "neues" Britannien bauen und ihr Verlangen nach einem besseren Wohnen stillen. Um seinen Lesern eine Vorstellung davon zu geben, was Großbritannien nach Ende des Krieges erwartete, stellte Reiss eingangs die Frage: "What will the men who come back say, now the war is over, if those who stayed behind have not even done their best to secure cornfortable homes for them in the country for which they fought. " 379

Er antwortete selbst und steigerte die Antwort zu einer Verpflichtung, die in zahlreichen Stellungnahmen während des Krieges gemachten Beteuerung von Seiten der Regierung einzulösen. Im Fall der "Nichteinlösung", prophezeite Reiss, sei der Bestand der britischen Gesellschaft gefährdet. Er warnte vor den Gefahren des "industrial unrest" und beschwor die Kraft sozialpolitischer Maßnahmen, diesen 377 Mastemum, J. H. B., The religious foundation of social reconstruction, in: Problems of Reconstruction. Lectures and addresses, S. 17-32, hier S. 21. 378 Ebenda, S. 22. Vgl. auch Reason, Will, Hornesand Housing, London 1918. 379 Reiss, S. 3.

14 Koinzer

II. Diskurs und Politik im Krieg

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"Unruhen" entgegen steuern zu können. Gesunde, menschenwürdige Wohnbedingungen gehörten dazu: "It has been bitter reproach to us that thousands of the rnen who have gone out to fight for 'Horne and Country' have had no home worthy of the name and but little for which to thank their country. The least that their fellow-citizens can do is to provide thern with a real home on their retum. " 380

Neben der Darstellung von Maßnahmen zur Beseitigung des Wohnungsmangels und der Formulierung von Forderungen nach staatlicher Intervention, die über das Mietkontrollgesetz hinausgehen sollte, wurde der Ermittlung des Wohnungsbedarfs, als Grundlage aller nachfolgenden Bewertungen der Wohnungsfrage, große Bedeutung beigemessen. Dabei lehnte sich die Strategie der Gartellstadtreformer an nahezu alle Reformbewegungen an, die über die Erhebung von Daten, von "wissenschaftlichen Faktenmaterial", dem behandelten Problembereich Nachdruck und Legitimität zu verleihen versuchten. Das Ergebnis war, vergleicht man die Befunde mit denen anderer Reformer in und außerhalb der Reconstruction Committees, daß in England und Wales bis Kriegsende ein Wohnungsbedarf von ca. 300.000 bestünde. In Schottland müßten darüber hinaus mindesten 230.000 Wohnungen gebaut werden, "to make housing conditions reasonably satisfactory". 381 Reiss machte keine Hehl daraus, daß diese Zahlen sich auf Erhebungen des LGB bzw. der Royal Commission on Housing in Scotland von 1917 bezogen, und unterstrich damit, daß sich die Forderungen der GCTPA auf Beurteilungen stützten, die von der Regierung bereits anerkannt wurden. Doch um deren Handeln anzustoßen bzw. weiter voranzutreiben setzte die Gartenstadtreformer auf die Kraft von Werken wie The Horne I want. Darin versammelten sich umfassende Vorschläge zur vollständigen Neugestaltung des britischen Wohnungswesens. Die GCTPA setzte auf die "Durchplanung" des gesamten Systems. Forderungen nach neuen bzw. überarbeiteten Wohnungs- und Raumordnungsgesetzen, staatlichen Finanzhilfen und einem herausgehobenen Engagement der Lokalverwaltungen als neuem, starkem Akteur beim Wohnungsbau bildeten die Schwerpunkte ihres Programms. Fazit und Motto zugleich: "We rnust not rest until all the people of Great Britain are living in houses which are fit for human habitation. " 382

Die Lokalverwaltungen wurden von der Gartenstadtbewegung, und nicht nur von ihr, als die wichtigsten Institutionen des "neuen" Systems des Wohnungswesens gesehen. Traditionell hatten die lokalen Verwaltungen Wohnungsbauinitiativen als Aufgabe ihrer sozialpolitisch-administrativen Verantwortung eher ablehnend gegenübergestanden. Ausnahmen, wie das London County Council, das sich seit den 380 381 382

Ebenda, S. 7. Ebenda, S. 11. Ebenda, S. 110 f.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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1890er Jahren im "council housing", dem kommunalen, sozialen Wohnungsbau engagierte, bestätigten die Regel. 383 Reiss mahnte, "no time to waste" und rief dazu auf, überall lokale Gremien einzuberufen, die sich der Wohnungsfrage annehmen und Druck auf die Lokalverwaltungen ausüben sollten, damit diese Wohnungsbauprogramme initiierten. Als Beispiel führte er die nordenglische Stadt Chesterfield an. Dort hatte sich ein achtköpfiges Komitee gebildet, das zu einem großen Kongreß eingeladen hatte. An der Zusammenkunft nahmen u. a. Vertreter und Vertreterinnen von Gewerkschaften (63), Friendly Societies (48), Religionsgemeinschaften (37) und Frauenorganisationen (25), insgesamt 237 Delegierte teil. 384 Solche Initiativen und der Ausbau des "council housing" von traditionell im Wohnungswesen engagierter Kommunen und Gemeindeverwaltungen waren Ansätze, die weitergeführt werden müßten, wie Reiss und die Gartenstadtbewegung betonten. Sie sollten Zeugnis legen von der Machbarkeil des Wohnungsbaus in öffentlicher Regie und von der Stärke dieser Strukturen bei der Lösung der Wohnungsfrage. Der Krieg hatte den Enthusiasmus des "council housing" im einzelnen zwar unterbrochen. Doch veränderte er auch das "soziale Leben" und die "geistigen Einstellungen", die bewirkten, daß sich zukünftig mehr Lokalverwaltungen, mehr gemeinnützige Bauund Wohnungsgesellschaften, mehr Menschen insgesamt im Wohnungswesen engagierten. Die "neue" Welt beschwörend schloß Reiss sein Manifest, Programm und Handbuch: "It is within our power to create a new world, if we but have the faith to realise it, and the courage to take the necessary steps to bring it into existence." 385

cc) Land Reform Movement

Im Gegensatz zur Propagandatätigkeit der deutschen Bodenreformer, konnten und wollten die britischen Bodenreformer die "reformerische Kraft" des Krieges für ihre Sache nicht nutzen. Ihre Verbandszeitung Land Values behandelte die Wohnungsfrage im Krieg und eine boden- und wohnungsreformerische Offensive für die Nachkriegszeit sehr zuriickhaltend. Eine ausgedehnte Kampagne oder ein intensives Petitionswesen während des Krieges wie bei anderen Reformvereinigungen, war nicht zu verzeichnen. In Land Values wurden die boden-, wohnungsVgl. Beattie, Susan, A Revolution in Housing, London 1980; Merrett, S. 26 f. Vgl. Reiss, S. 140-142. 385 Ebenda, S. 143. Am Ende wurde, wie es sich für eine Handbuch gehörte, das sich als Hilfestellung für lokale und staatliche Behörden verstand, ein Anhang von bisherigen "nützlichen" und erfolgreichen Maßnahmen, mit Literaturhinweisen und Adressen von gemeinnützigen Bau- und Wohnungsunternehmungen veröffentlicht. Ein weiteres Werk, daß gleich ganze "neue Städte" zu bauen forderte, wurde von C. B. Purdon und F. J. Osborn vorgelegt, die als "New Townsmen" firmierten. Vgl. New Townsmen, New Towns after the war. An Argument for Garden Cities, London 1918. Vgl. auch Ward, Stephen V., Planning and Urban Change, London 1994, S. 52 f. 383 384

14*

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II. Diskurs und Politik im Krieg

und siedlungsreformerischen Anstrengungen der Regierung zwar verfolgt. Mit eigenen Stellungnahmen und Forderungen oder gar Gesetzesinitiativen griff die Bodenreformbewegung jedoch nicht ein. 386 Ein Thema, das von der Zeitschrift ausgedehnt und kritisch begleitet wurde, trat aber aus der allgemeinen Berichterstattung zwischen 1914 und 1918 hervor. Die Ansiedlungsmaßnahmen der Regierung für ehemalige Kriegsteilnehmer auf dem Land wurden bereits im August 1915 reflektiert. Land Values berichtete regelmäßig über die der Öffentlichkeit vorgestellten Ergebnisse der Kommission von LGB und Landwirtschaftsministerium unter der Leitung von Henry Hobhouse, die angetreten war, "to consider and report what steps can be taken to promote the settlernent or employrnent on the land in England and Wales of sailors and soldiers, whether disabled or otherwise, on discharge frorn the Navy or Arrny". 387

Neben der Ansiedlung von Kriegsheimkehrern in Großbritannien thematisierte Land Values auch die Emigration der Ex-Service Men nach Übersee. Die staatlichen Maßnahmen, die ab dem Frühjahr 1917 im Kolonialministerium angedacht wurden, fanden in der Zeitschrift der Bodenreformer Verbreitung und Anerkennung. Man dokumentierte die Einsetzung eines beratendes Gremium, "to consider and report on the measures to be taken for settling within the Empire ex-soldiers who may desire to emigrate after the war". Unter der Führung von Lord Tennyson sollte die Kommission der Regierung Vorschläge unterbreiten, welche Schritte hinsichtlich einer nach dem Krieg zu erwartenden Auswanderung eingeleitet werden sollten.388 Eigene Anstrengungen, mittels Petitionen oder Abordnungen die Arbeit der beiden Kommissionen zu beeinflussen, ihnen gar beratend zur Seite zu stehen, wurden in den Meldungen nicht erwähnt. Begründet werden konnte eine solche Zurückhaltung im Vergleich zu den Lobbyaktivitäten des NHTPC und der GCTPA mit dem Vertrauen in ein ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein des britischen Staates und seiner Behörden. Die britischen Bodenreformer und Land Values verstanden sich als "Begleiter und Dokumentare" des Prozesse, denn als aktiver Teil der Interessenvermittlung und -durchsetzung. Ausdruck dieses Verhaltens im Krieg war die Berichterstattung über zwei mit dem Wohnungswesen im Zusarnrnenhang stehende Ereignisse in Großbritannien und Deutschland. 386 Das Journal of the Movement of the Taxation of Land Values, wie die Zeitschrift im Untertitel hieß, erschien seit den 1890er Jahren. Sie firmierte bis Juni 1902 unter dem Titel The Single Tax, bis Mai 1919 als Land Values und danach als Land and Liberty. Zu den Ursprüngen der Bewegung in Großbritannien vgl. Kapitel li. 1. a). 387 Land Values, Journal of the Movernent of the Taxation of Land Values, August 1915, p. 86. Im März 1916 wurde eine Zusammenfassung des ersten Zwischenberichts der Kornrnission abgedruckt, dem im August 1916 die Veröffentlichung des zweiten Teils folgte. 388 Land Values, Journal of the Movernent of the Taxation of Land Values, März 1917, p. 53.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Neben der Meldung über die Mietstreiks in Glasgow im Herbst 1915, in der u. a. die Forderungen der Mietstreikenden dokumentiert wurden 389, fand sich ein Beitrag, der im Titel staatliche "Dankesschuld" und Wohnungsfrage thematisierte. Doch nicht die Situation in Großbritannien, die Bodenreform und Lösung der Wohnungsfrage auf dem Wege massenhafter Ansiedlung in ländlichen Regionen war Gegenstand des Artikels, sondern die deutsche. Land Values' propagandistisch-publizistische Zurückhaltung wurde wieder deutlich, als sie einen Artikel der Westminster Gazette vom 5. Juli 1915 nachdruckte, der über die deutschen "Kriegerheimstätten" berichtete. Nicht die eigene Berichterstattung, sondern die anderer, untermauerte ihren Ruf und den der Bodenreformer insgesamt, als passive Begleiter zu agieren. Aber indem sie derartige Artikel einer breiteren Öffentlichkeit vorstellten, trugen sie, wenn auch einmalig und weitestgehend unreflektiert, zur Debatte um die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform bei. Die Westminster Gazette thematisierte die "Dankesschuld" des deutschen Staates, der nach dem Krieg "Heimstätten" für Kriegsteilnehmer schaffen wollte. Der Artikel, überschrieben mit The Soldiers Reward. A German View of Public Duty after the War, setzte sich wiederum mit einem Bericht der Münchener Neuesten Nachrichten auseinander, der über die Gründung des "Hauptausschusses für Kriegerheimstätten" berichtete. Dessen Forderungen nach Bereitstellung von billigem Bauland und finanziellen Mitteln zum Erwerb von hunderttansenden Einfamilienhäusern, wurden unter der Prämisse der Revolutionsprävention von der Münchner Zeitung gedeutet. Dieser Deutung schlossen sich die Westminster Gazette und mit ihr die britischen Bodenreformer an und verkündeten, daß solche Ideen jedoch an der Haltung der "Prussian Junkers" scheitern würden. Mit Genugtuung endete der Artikel deshalb mit der Einschätzung: "It may be on these Iines . . . that the social revolution will come in Germany after the war."390

Die Forderung nach Schaffung von Tausenden neuer Häuser und Wohnungen nach dem Krieg überließen die Bodenreformer der Gartenstadtbewegung und dem National Housing and Town Planning Council. Eine Reform des ländlichen und städtischen Bodenrechts hatte sich schon Lloyd George auf die Fahnen geschrieben. So blieb kein Raum für eine nachhaltige, propagandistische Betätigung der britischen Bodenreform im Krieg.

389 Vgl. ebenda, November 1915, pp. 184-186. Nach Land Values war auf den Transparenten, welche die Mietsteikenden bei einer Demonstration mit sich führten, zu lesen: "Our husbands, sons and brothers are fighting the Prussians of Germany. We are fighting the Prussians of Partick (Stadtteil von Glasgow, T. K.). Only alternative, municipal housing; Government must protect our homes from Germans and Landlords, or the people will protect themselves. While my father is a prisoner in Germany the Iandlord is attacking our home." 390 Ebenda, August 1917, p. 97.

214

II. Diskurs und Politik im Krieg

dd) Die Wohnungsfrage und die Kritik staatlicher Politik in The Nation und The New Statesman391 Einerseits waren sie weitläufig Lloyd Georges Sprachrohre in Sachen "Reformpolitik", andererseits verstanden sich die Wochenzeitschriften The Nation und The New Staresman als dessen sozialreformerisches Gewissen und "linke" Ergänzung. Beide schwankten inhaltlich und analytisch zwischen radikal-liberalen und sozialistischen Positionen. Vor allem The New Statesman, 1913 von Sidney und Beatrice Webb gegründet, kam die Funktion der kritisch-distanzierten Beurteilung der Regierungspolitik, der breiten Vermittlung des Fabian Socialism und gleichzeitig der Brücke zwischen linker Sozialreform und liberaler Politik zu. Dies galt auch für die Fragen der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform. Wie die Tatigkeit der Webbs in den staatlichen Kommissionen, verkörperte The New Statesman ein weltanschauliches Bindeglied zwischen liberalen und sozialistischen Anschauungen und wurde zum publizierten Ausdruck der Inkorporation sozialistischer Ideologie in die Strukturen der Politikvorbereitung in den Jahren des Krieges. Vor dem Krieg war The Nation in Lloyd Georges Kampagne der Landreform eingebunden. Die Zeitschrift begleitete die Initiative mit Artikeln über die schlechten Wohnverhältnisse auf dem Land und berichtete regelmäßig über das "Reformprogramm" und die öffentlichen Auftritte Lloyd Georges. 392 Mit dem Kriegsbeginn traten zur Beschäftigung mit dem ländlichen Wohnungs- und Siedlungswesens auch Fragen, die sich mit der den Auswirkungen des Krieges auf die Wohnungsfrage allgemein beschäftigten. Neben der Einführung der Mietkontrolle im Herbst 1915, wurden wiederholt die Probleme des "Wiederaufbaus" des Wohnungswesens thematisiert und mit ihnen die Lage der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten. Über die Mietstreiks in Schottland und der Entscheidung der Regierung, ein Mietkontrollgesetz einzuführen, berichtete auch The New Staresman, indem u. a. die Ergebnisse der Kommission, welche die Ursachen der Unruhen in Glasgow untersucht hatte, veröffentlicht wurden. Wie The Nation betonte die Zeitschrift, daß vor allem jene, die nicht von den steigenden Löhnen in der Rüstungsindustrie profitierten, von Mieterhöhungen betroffen seien. Durch die Zuwanderung in die Industrieregionen sei bis Ende 1915 ein Wohnungsmangel entstanden, der für viele Glasgower Mieterhöhungen gebracht hätte. 393 Bei den sich anschließenden Debatten nahm die Neuorientierung des Wohnens nach dem Krieg eine herausgehobene Stellung ein. Vor allem die Stärkung des Wohnens auf dem Land, in Verbindung mit einem Ausbau der landwirtschaftlichen 391 Im Februar 1931 wurden beide Zeitschriften vereint und erschienen weiter unter dem Titel The New Statesman and The Nation. 392 Vgl. The Nation vom 11. Oktober 1913, 6. Dezember 1913, 24. Januar 1914,7. Februar 1914. 393 Vgl. ebenda vom 20. November 1915; The New Statesman. A weekly review of politics and Iiterature vom 18. Dezember 1915; The Nation vom 8. April 1916 und vom 29. September 19 17; The New Statesman vom 7. September 1918.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

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Produktion, war, so die Argumente beider Zeitschriften, von größtem nationalen Interesse. Der Krieg habe gezeigt, daß eine ausreichende Lebensmittelversorgung der Bevölkerung nur durch eine in Großbritannien tätige Landwirtschaft sichergestellt werden könne. Dieser Erkenntnis folgend, müßten Bemühungen zur Ansiedlung von Kriegsheimkehrern auf dem Land schnellstens vorangetrieben werden. Doch tendierten die Veteranen "notoriously to the towns, and too often they absorb him only to destroy him." Um dieser Neigung und der darauffolgenden "Zerstörung" entgegenzuwirken, müßte das Landleben sozial attraktiver, "more clubbable" gemacht werden. Was von der Besiedlung des Landes im Rahmen des Wiederaufbaus bei gleichzeitiger Re-Integration der Kriegsheimkehrer nach dem Krieg abhing, beschrieb The Nation schlußfolgernd nachdriicklich: "Our social and economic future for years to come will depend on whether we attempt to solve it by makeshifts and the conventional type of unemployment schemes, or whether we can evolve a !arge policy which will turn to the best energies and capacities of the disbanded men whom our industries cannot at once absorb. The arguments for the development of agriculture and the expansion of our home food supply are so powerful that they must Iead ... to some big effort to provide for a !arge proportion of these men upon the land. The problern of our food supply and the problern of the disbanded soldier must be thought out together and solved together.... Rome settled her veteran legionaries as colonists on conquered soil. Let us rather scheme to provide for ours as colonist in our own half-farmed and half-peopled counties.'.394

Die Forderung "Zuriick aufs Land" verband sich mit der Beschwörung einer "historischen Erfahrung der Kriegsheimkehr", deren Schlußfolgerung war, daß nach diesem Krieg niemand mehr mit der Hilfe von Wohltätigkeitsorganisationen abgespeist werden könne. Dieser Krieg habe ein "Erwachen" bewirkt, das über "weise und kühne" Pläne zur Transformation der ländlichen Gesellschaft nachzudenken in die Lage versetze, um "man-power" und "food-power" zusammen zu steigern. Viele von denjenigen, die sich als "fine soldiers as any in the world" bewiesen hätten, stünden solchen Ideen aufgeschlossen gegenüber, weil sie im Krieg "new tastes" erlernt hätten. 395 Zu den ca. 300.000 Landarbeitern, die 1916 in der Armee dienten, kämen weitere 300.000, die "Geschmack" am Leben "in open air" an der Front gefunden hätten. Diese Bestrebungen sollten durch eine neue Politik der Landverteilung und Minimallöhne gefördert werden, um die Ansiedlung voran zu bringen. Die Chancen eines solchen apostrophierten Wandels galt es zu ergreifen, denn wenn man sie nicht ergreifen würde, so The Nation, sei der Bestand Großbritanniens (hier Englands) in Frage gestellt, und "not a dozen battles of the Somme will save it." 396 The New Statesman bezifferte die Zahl der in Großbritannien benötigten städtischen und ländlichen Behausungen auf eine Million "new cottages and town tene394 395 396

The Nation vom 13. November 1915; vgl. auch ebenda vom 10. März 1917. Ebenda vom 8. Juli 1916. Ebenda vom 22. Juli 1916.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

ments". Die Zeitschrift begründete diese Forderung mit der Feststellung, daß es im Wohnungswesen nicht um einige "freiwillige soziale Verbesserung" ginge, sondern um "a vital necessity for 'Man-Power', the indispensable basis of any decent family Iife, a sine qua non of any effective educational system, actually a condition of getting back labour to the land". 397

Fünf bis sechs Millionen Menschen lebten in schlechten, ungesunden und überfüllten Wohnungen, und die Kosten für eine Woche Kriegführung, f: 50 Millionen, würden genügen, um innerhalb von fünf Jahren ausreichend Wohnungen zu erstellen. "The nation must now do it", forderte The New Staresman und befand, daß sämtliche Lokalverwaltungen unverzüglich Bauland auswählen und Siedlungspläne aufstellen sollten. 398 Dabei ging es The New Staresman nicht schlechthin um das Problem "Housing", was in staatlicher Regie durch die lokalen Behörden vor Ort zu lösen anstand. Es war "Horning", das "Wiederfinden einer Heimat", das zum Ziel der Politik nach dem Krieg erhoben werden sollte. Die Rückbindung an und ein Gefühl für die "Heimat" wurde stilisiert als jene Kraft, die zahlreiche soziale Problem zu lösen imstande sei. Die Aufgabe der Politik sei es daher, diesen Prozeß zu fördern: "Not housing merely, but homing, which regards the future as weil as the present, and the farnily rather than the individual as the social unit, must be the object of the statesman now." 399

Der Wohnungsbau und die Wohnverhältnisse der Vergangenheit und Gegenwart seien weder kinder- noch familiengerecht "Kinder", so die Zeitschrift, seien die "Crux der Wohnungsfrage". Zukünftig müßten deshalb Häuser und Wohnungen gebaut werden, denen nicht nur der "männliche Blick" anhaftete, sondern wo die Mütter des zukunftsfähigen Nachwuchses als die "original inventor" derartiger "Hornes" verstanden würden. Sie seien es, welche die Chance eröffneten, die im ganzen Land zu bauenden neuen Häuser, in wohnliche Behausungen, zu wahren "Hornes" zu erheben. Denn, so The New Statesman, "[i]f anything has a woman's point of view it is this housing question, which is the materiallevel of the higher question of home-making." 400

"Man-Power" und die Sicherstellung der landwirtschaftlichen Produktion im Krieg waren die Argumentationsstränge, die The Nation und The New Staresman für eine aktive staatliche Wohnungs- und Siedlungspolitik unter Einbeziehung The New Statesman vom 12. Mai 1917. Ebenda. Die Zahlen über den Wohnungsbedarf bezogen sich auf das gesamte Königreich, schlossen demnach Irland ein. Die Gesamtsumme, die zum Bau von einer Millionen Wohnungen veranschlagt wurde, lag bei insgesamt :E250 Millionen, von denen f200 "be merely a profitable investment of capital", wie die Zeitschrift meinte. 399 The New Statesman vom 14. April1917. 400 Ebenda. 397 398

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

217

weiblicher "Erfindungskraft" anführten. Militärisch-demographische und bäuerlich-romantisierende Dimensionen der Wohnungsfrage verbanden sich mit der Forderung nach einem umfassenden staatlichen Engagement in diesen Politikfeldem. Doch spätestens ab dem Frühjahr 1918 gesellte sich die Kritik der staatlichen Wohnungs- und Siedlungspolitik hinzu. In beiden Zeitschriften wurde das Mißverhältnis von staatlichem Aktionismus in den Ministerien, vor allem im Ministry of Reconstruction, und den fehlenden, "sichtbaren" Zeichen in Form eines neues Wohnungsgesetz oder der Bereitstellung von Krediten und Bauland beklagt. Am Beispiel der "Housing Crisis", so The Nation im Mai 1918, würde deutlich, daß die Politik der Regierung von einer "Atmosphäre der Vorsicht, Verspätung und Bedenken" geprägt sei. Aber die Kriegsteilnehmer und -heirnkehrer, fuhr die Zeitschrift fort, "will no Ionger accept the view that their life is shut up within the factory system, and when men insist on leisure, they will insist on surroundings that will give play and scope to their interests and tastes. The town and the village will reflect a new spirit. "401

Um diesen "neuen Geist" aufzufangen, um ihn in einem "neuen System" aufgehen zu lassen, müßten Staat und Regierung energischer an die Vorbereitung des Wiederaufbaus herangehen. Nach den Einschätzungen von The Nation und The New Statesman war die Regierung kaum vorbereitet, die anstehenden Probleme zu lösen. Die Erstellung eines von der Regierung versprochenen "Peace Books", welches als Programm alle den Wiederaufbau betreffenden Probleme und Maßnahmen zusammenfassen sollte, sei in weite Feme gerückt.402 Die Aufgaben des Wiederaufbaus seien zwar erkannt, aber es würden nur wenig Ergebnisse von bereits eingeleiteten Maßnahmen an die Öffentlichkeit dringen. Die Vermutung, daß die Regierung diese Fragen nicht in den Griff zu bekommen scheint, machte sich breit.403 Derartige Einschätzungen hatten einen Doppelcharakter. Einerseits verstärkten sie den öffentlichen Druck auf die zuständigen Ministerien. Andererseits waren sie Rückendeckung für alle jene in diesen Ministerien, die an der Vorbereitung einer neuen Wohnungspolitik für die Nachkriegszeit arbeiteten. Der Einfluß von The Nation und The New Statesman und ihrer Herausgeber in der Funktion als Mitgestalter einer neuen Politik und gleichzeitig der kritischen Begutachtung dieser Politik (Sidney und Beatrice Webb), machte sie zu wichtigen Institutionen, um die Wohnungsreform innerhalb und außerhalb der Regierungspolitik zu stärken und durch401 The Nation vom 4. Mai 1918. Als Beispiel dafür, daß sich der "neue Geist" bereits verbreitet hätte, führte The Nation die Arbeit des Bradford City Councils an, "which aim at creating a ring of garden cities on the crest of hills that surrounds the town." Ebenda. Vgl. auch die Sammlung von "Addresses" u. a. an das Bradford City Council 1917 I 18 von E. J. Smith, Mitglied der National Birth Rate Commission und Vorsitzender des Bradford Insurance Committee, in denen er pathetisch die Lösung der Wohnungsfrage beschwor und für die Kriegsheimkehrer als den ersten Mietern der neu zubauenden Wohnungen eintrat. Vgl. Smith, E. J., Housing: The present opportunity, London 1918. 402 Vgl. The New Statesman vom 4. August 1917. 403 Vgl. The Nation vom 5. Oktober 1918.

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Il. Diskurs und Politik im Krieg

zusetzen. Die wiederholte Instrumentalisierung des Krieges hatte dabei die Funktion, die Unterstützung anderer, politischer und gesellschaftlicher Milieus einzufangen, um die Regierungspolitik zu unterstützen. Der Krieg und seine Herausforderungen und die öffentlichkeitswirksame Aufbereitung waren auch hier die Vehikel, die im Rahmen einer breit angelegten Sozialreform, der Wohnungsreform zum Durchbruch verhelfen sollten.

ee) Labour und die Wohnungsfrage

Die Bestrebungen und Forderung der Labour Party und der Labour Housing Association bei der Lösung der Wohnungsfrage unterschieden sich kaum von den eben dargestellten Positionen. Die Labour Party stand den Ideen der Gartenstadtbewegung aufgeschlossen gegenüber, setzte auf die "Kraft neuer Städte im Grünen", beklagte die schlechten Wohnverhältnisse in den Städten und zog ihre Haltung zur Wohnungsfrage allgemein oft aus sozialreformerisch-philanthropischen Quellen.404 Die Inkorporation von Sidney und Beatrice Webb, beide seit Ende 1914 Labour-Mitglieder, sicherte außerdem ihre Vertretung in der Regierung Lloyd George an nicht unbedeutenden Stellen im System der Bewältigung von sozialen und wohnungspolitischen Fragen. 405 Im letzten Kriegsjahr fand sich in zwei programmatischen Dokumenten zur Politik der Labour Party für die Nachkriegszeit die Wohnungsfrage als nationale Aufgabenstellung wieder. Das Wahlmanifest der Partei vom Herbst 1918 faßte ihre Haltung mit der pauschalen Forderung nach dem Bau von einer Millionen neuer Häuser zusammen. Labour 's call to the people forderte unter der Überschrift "A million good homes" eine substanzielle und dauerhafte Verbesserung der Wohnverhältnisse. Der Staat müsse den Bau dieser neuen Häuser finanzieren, und zu "fairen Mieten" sollten die Neubauten vermietet werden. Mit der Verbesserung des Wohnungswesens ging für Labour die Einführung eines umfassenden, öffentlichen Gesundheitssystems und die Förderung der öffentlichen Bildung einher.406 In der Veröffentlichung einer Parteikonferenz vom Juni 1918, Labour and the social order, fand sich noch die allgemeine, lapidare Bemerkung, daß die lokalen Verwaltungen, die Städte und Regionalbehörden Anstrengungen unternehmen sollten, um ihre "enterprises in housing and town planning" auszudehnen. 407

Vgl. Teichmann, S. 37 f. Dennoch fand sich die Partei und ihr linker Flügel im Verbund mit der Independent Labour Party in lokalen "Kämpfen" zur Wohnungsfrage verwickelt. Bei dem Mietstreiks konnte bspw. auf ihre organisatorischen und propagandistischen Strukturen zurückgegriffen werden. Vgl. Englander, Landlord and tenant, S. 212-220. 406 Labour Party, Labour's Call to the Peop1e, 1918, Dokument 4.33, in: Butler, S. 124 126. Vgl. auch Glynn, Sean/ Oxborrow, John, Interwar Britain, London 1976, S. 217. 407 Zitiert nach: Teichmann, S. 66. 404 405

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

219

Lebhafter beschäftigte sich die Labour Housing Association mit der Wohnungsfrage im und nach dem Krieg. In den Jahren zwischen 1914 und 1918 berichtete The Housing Journal, das Organ der Labour Housing Association, regelmäßig über staatliche und parlamentarische Initiativen zur Wohnungsgesetzgebung, über eigene jährliche Konferenzen, welche die Wohnungsfrage behandelten, über schlechte Wohnverhältnisse in den Städten und eigene Abordnungen, die bei lokalen Verwaltungen vorstellig wurden. 408 Ihre Tatkraft im Krieg demonstrierte die Labour Housing Association u. a. indem sie am vom NHTPC im April 1916 organisierten Kongreß zu den Nachkriegsproblemen teilnahm und die Debatten des Kongresses, aber vor allem die eigenen, dort eingereichten Resolutionen dokumentierte. Danach verstand die Labour Housing Association ihr Engagement vorrangig in der Verbindung aus einer öffentlichen Förderung der Wohnungsbautätigkeit und der Bekämpfung der erwarteten Arbeitslosigkeit nach dem Krieg. Die Forderungen des Kongresses, nach denen ±:20 Millionen für den Wohnungsbaus durch den Staat bereitgestellt werden sollten, fanden ebenso die Unterstützung der Association wie die Forderung nach der umgehenden Ausarbeitung von Plänen, die den Wohnungs- und Städtebau mit dem Problem der Arbeitslosigkeit verbänden.409 Von den über zehn von der Labour Housing Association veröffentlichten Entschließungen, die auf dem Kongreß ihre Unterstützung fanden, war eine in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Die Resolution relating to the housing of the poor wurde vom Sekretär der NHTPC, Henry Aldridge, und von Benjamin Seebohm Rowntree eingebracht. Sie beinhaltete, daß der Kongreß "all parties in the State" aufforderte, Maßnahmen zu ergreifen, "to secure that every family shall be housed under proper conditions, and in order to secure this end, which is of vital and national irnportance, urges that legislation should be introduced".4JO

Die in zwei Abschnitte gegliederte Forderung verlangte erstens die Zahlung von Löhnen, die "decent housing accommodation" für alle Arbeiter sicherstellten. Zweitens sollten dort, wo die Erhöhung der Löhne nur schrittweise vorgenommen werden könne, die Lokalverwaltungen in die Pflicht genommen werden, "anständige" Wohnungen bereitzustellen.411 Indem sich die Labour Housing Association auf die Grundlage einer Entschließung stellte, die von "offiziellen" Vertretern aus der die Regierung beratenden Gremien entworfen wurde, wurde deutlich, aus welcher Gemengelage sich Wohnungsreform und -politik in Großbritannien zusammensetzten: Offizielle Politik, Wob408 Vgl. The Housing Journal, Organ of the Labour Housing Association, Nr. 97-114, 1914-1918. 409 Vgl. The Housing Journal, Nr. 106, Mai 1916, S. 5 - 8. 410 Ebenda, S. 8. 4 11 Ebenda.

220

II. Diskurs und Politik im Krieg

nungs- und Sozialreformer und Arbeiterbewegung. Sie verfolgten, mit unterschiedlichen Intensionen und Anstrengungen, ein gemeinsames Ziel. Das Engagement zur Lösung der Wohnungsfrage war ein probates Mittel, um sich auf die politischen und öffentlichen Bühnen zu begeben, um sich zu präsentieren, Öffentlichkeit und Einfluß zu erreichen. Was für die Regierung Inkorporation bedeutete, um ein System aufzubauen, das "Unruhen" mit dem Pflaster Wohnungspolitik zu vermeiden suchte und sich im Wahlkampf positiv ausnehmen sollte, nutzen die verschiedenen Initiativen der Reform- und Arbeiterbewegung, um ihre Vorstellungen von der Lösung der Wohnungsfrage an entscheidender Stelle vorzubringen. Dieses Geflecht verschaffte allen Beteiligten direkt oder indirekt Zugang zu staatlichen Entscheidungsebenen. Eine solche Konstellation ermöglichte den Diskurs von Gleichen, die auf einer Ebene an den Problemlösungen im Wohnungswesen tätig waren. Sie bedeutete die Vorstellung, daß die Wohnungsfrage von den Institutionen bearbeitet würde, die Politikvorbereitung und -ausführung vereinte, dem Staat und der Regierung. Prophetisches und zugleich tragisches Sinnbild dieser Einheit war Christopher Addison, der als Leiter des Wiederaufbaus ab 1917 und erster Gesundheitsminister bis 1921 das Wohnen nach dem Krieg in den Mittelpunkt seines politischen und persönlichen Schaffens stellte.

d) Christopher Addison - Ein Minister als Streiter für die Wohnungsreform zwischen sozialem Anspruch und ministeriellen Sachzwängen Christoper Addisons Scheitern war nicht im Ministeramt angelegt. Sein Scheitern war einerseits Ausdruck relativer Pfadabhängigkeit politischer Verhältnisse in Großbritannien. Andererseits zeugte es vom Willen eines politisch-verantwortlichen Akteurs, diese Verhältnisse ändern zu wollen, der aber unter den Bedingungen der Realpolitik "über Bord geworfen" (Taylor) wurde. Addison schrieb 1921 zu den Geiinden seines Rückzuges als Wohnungspolitiker aus der Regierung Lloyd George: "My Ietter to the Prime Minister makes it clear that I recognise as accurately as he does the need for the most frugal expenditure in housing, like everything eise. But I know of ex-service men and their farnilies huddled into wretched tenements or crowding up the homes of their friends, and I could not face these men and tel! them that we had honestly tried to redeem our solernn pledge if I had been a party to making the precipitate abandonment of our housing efforts as the first effort to assuage the cry of anti-wasters."412

412 Bodleian Library Oxford, Department of Western Manuscripts (BLO), MS Addison, Dep. c. 156, Bl.-Nr. 332-334, hier BI. 334: Notiz zu Addisons Rücktritt als "Minister without Portfolio" im Sommer 1921.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

221

In der Einschätzung zu den Gründen seines Rücktritts klang neben Enttäuschung über die Ergebnisse seines politischen Handeins auch die Haltung eines Mannes an, der sich denen verpflichtet sah, die den Kriegserfolg in erster Linie ermöglicht hatten, den Kriegsteilnehmern und ihren Familien. Nach dem Krieg sollte ihnen verwehrt werden, das zu erlangen, was in den Jahren zwischen 1914 und 1918 wenn nicht versprochen worden war, so doch wiederholt in die Agenden politischer Entscheidungen Eingang gefunden hatte: ein besseres, menschenwürdiges Wohnen nach dem Krieg. Christopher Addison (1869-1951), unter Lloyd George Minister of Munitions, später Minister of Reconstruction und letzter Präsident des LGB, ab 1919 erster Minister des neu geschaffenen Gesundheitsministeriums und damit für das Wohnungswesen zuständig, wollte und konnte nicht mehr Teil ("party") eines Versprechen brechenden Establishments sein, das sich nach überwundener Revolutionsangst und angesichts einer wirtschaftlichen Rezession von politischen Zielen verabschiedete. Für ihn bedeutete die Abkehr des Staates von der unter seiner Regie bereitgestellten finanziellen Unterstützung für den Wohnungsbau, eine "voreilige Aufgabe" gestellter politischer und vor allem sozialer und gesamtgesellschaftlicher, national herausragender Ziele. Den "anti-wasters" in Parlament und Regierung, die anstrebten, die Staatsausgaben zu verringern und damit das Addison'sche Wohnungsbauprogramm zu kippen, mußte er sich schließlich geschlagen geben. Was sich in rhetorisch geschickter und einprägsamer Weise in einer persönlichen, nicht offiziellen Mitteilung fand, zeugte auch vom Unmut über den Verlust des ministeriellen Amtes und dem sich anbahnenden Ende einer von gegenseitiger Loyalität geprägten Beziehung zu Lloyd George. 413 Die folgenden Ausführungen dokumentieren einige persönliche Positionen des Mannes, der zwischen 1917 und 1921 die Wohnungspolitik in Großbritannien maßgeblich prägte. Dabei handelt es sich vorwiegend um resümierende Stellungnahmen zu den Jahren 1915 bis 1918, die Addison in seinem Tagebuch festhielt bzw. die von ihm nach seiner Amtszeit als erster Gesundheitsminister abgefaßt wurden. 4 14 Die Lösung der Wohnungsfrage und das damit verbundene Wohnungsbauprogramm nach dem Krieg waren Addisons "main initiative and social priority". 415 413 Lloyd George hingegen entließ Addison "ohne Warnung" und entschuldigte sich vor dem Unterhaus, daß er auf Grund seiner "loyalty to an old friend" den "inkompetenten" Addison zu lange im Amt hielt. Taylor, Lloyd George. Rise and Fall, S. 259; vgl. auch Marwick, A history of the modern British isles, S. 87 f. Äddison brach 1922 mit den Liberalen, trat der Labour Party bei, die er den sozialen Problernen Großbritanniens stärker verpflichtet sah und nahm das Amt des Landwirtschaftsminister in der zweiten MacDonald-Regierung an, von dem er wegen finanzieller Ressortkürzungen 1931 zuriicktrat. Von 1945 bis 1951 war er Labour Leader im House of Lords. 414 Zum Wirken von Addison 1918 und als Gesundheitsminister ab 1919 vgl. Kapitel III. 2. b). 415 Morgan, Kenneth and Jane, Portrait of a progressive. The political career of Christopher, Viscount Addison, Oxford 1980, S. 113.

222

II. Diskurs und Politik im Krieg

Bereits die Mietstreiks im Herbst 1915 in Glasgow forderten sein Engagement heraus. Als Parliamentary under-secretary des Ministry of Munitions an der Seite Lloyd Georges appellierte Addison an die dortigen Vermieter, die Mieten während des Krieges nicht weiter zu erhöhen. Er hatte den Zusammenhang zwischen sozialem Frieden, der nicht unerheblich vom, wenn auch nur vorübergehenden Stillstand marktgesteuerter Mieten abhing, und der Gefährdung der Rüstungsproduktion erkannt. Ein Mietstop bedeutete zum einen die Dämpfung der "Unruhe" stiftenden, sozialen Probleme an der "Heimatfront". Zum anderen gingen für Addison Gesundheit und Wohnverhältnisse als Grundlage zur Sicherstellung der industriellen, kriegswichtigen Produktion Hand in Hand. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür waren "gesunde Arbeiter", die in angemessenen Wohnverhältnissen lebten. 416 Dem Bestandsschutz des Wohnens im Krieg sollten wenige Monate später erste Anstrengungen zur Vorbereitung auf das Wohnen nach dem Krieg folgen, denen Addison zukünftig einen Großteil seiner politischen Tätigkeit widmen sollte. Das erste Reconstruction Committee hatte seine Arbeit gerade aufgenommen, da war Addison in dessen Aktivitäten zur Ermittlung des Wohnungsbedarfs nach dem Krieg einbezogen. In einem Memorandum, das nach dem Briefwechsel mit dem Reconstruction Comrnittee im Juli 1916 verfaßt wurde, konstatierte Addison einen gegenwärtigen Mangel von 120.000 Wohnung in England und Wales. Die sich auf eine vom LGB im Februar 1914 durchgeführte Erhebung stützenden Zahlen resultierten aus dem Wohnungsbedarf, der in nahezu allen der mehr als 1.800 Local Authorities festzustellen war. Um den "present need with present-standards" gerecht zu werden, müßte sogar von 150.000 fehlenden Wohnungen ausgegangen werden.417 In einem folgenden Schriftwechsel zwischen Addison und dem Reconstruction Committee wurde für Schottland zudem ein Bedarf von insgesamt mehr als 113.000 Wohnungen anerkannt. 418 Das Wohnen nach dem Krieg war seitdem einer der Schwerpunkte seiner ministeriellen Arbeit. Als Minister für den Wiederaufbau, ab dem Sommer 1917, wurde Addison, mit der Verantwortung für die koordinierenden und vorbereitenden Maßnahmen zur Lösung der Wohnungsfrage nach dem Krieg, zum Kristallisationspunkt für sämtliche Fragen des gegenwärtigen und zukünftigen Wohnungswesens. Er war damit Inbegriff eines britischen Wohnungsreformers, einer Persönlichkeit, die wie Lloyd George vor ihm in den Fragen der Land- und Sozialreform, zum gemeinsamen Ort von Reform und staatlicher Politik wurde. Seine ministerielle Tätigkeit war auch ein Zeichen nach außen, ein Signal der 416 Christopher Addison, Memorandum on Reconstruction Finance vom 10. Februar 1917, Dokument 4.24, in: Butler, S. 114 f. Vgl. Orbach, S. 22 f.; Swenarton, Hornes fit for heroes, s. 67-70. 417 BLO, MS Addison, Dep. c. 120, Bl.-Nr. 30-46, hier S. 4: Memorandum on the Ietter from the Reconstruction Committee of 31st July 1916 vom 23. August 1916. 418 Vgl. ebenda, Bl.-Nr. 48 - 56: Schreiben des Reconstruction Committees an Addison zur Wohnungsfrage nach dem Krieg in Schottland vom 22. September 1916.

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

223

Tat und der Verantwortung, daß sich die Regierung den Problemen des Wohnungs- und Siedlungswesens angenommen hatte. Addisons interne und öffentliche Stellungnahmen bekamen den Charakter der zyklischen Wiederkehr von imaginierter und tatsächlicher staatlicher Pflichterfüllung bei der Verbesserung der allgemeinen Wohnverhältnisse. Als federführender Minister für die Vorbereitung des wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbaus Großbritannien nach dem Krieg und durch die koordinierende Funktion seines Ministeriums setzte Addison auf die Zusammenarbeit mit anderen ausführenden Behörden. Diese sollte über die beratende Funktion hinausgehen, welche die Wiederaufbaukomitees vorwiegend inne hatten. Addison verstand das Ministry of Reconstruction als Impulsgeber, als Ort, an dem die Politik zahlreicher Ministerien für die Nachkriegszeit vorbereitet werden sollte. In den Fragen des Wohnungs- und Siedlungswesens waren die Kooperationspartner das Board of Agriculture and Fishery unter Rowland Edmund Prothero und das Local Government Board unter William Hayes Fisher. Über eines der ersten konsultierenden Treffen mit beiden Ministern zu Problemen des ländlichen Wohnungswesens, konstatierte Addison am 20. September 1917 in seinem Tagebuch euphorisch das Engagement Protheros und Hayes Fishers: "Hayes Fisher and Prothero came to have a talk on housing need in country districts. Prothero proposes to set up an organisation to foster a Land Development Scheme in suitable areas and to ascertain the needs for cottages. This marks a real advance. What pleased me most was the enthusiasm of Hayes Fisher."419

Addisons eigenes Engagement schien sich demnach, mit dem Streben der für die beiden wichtigsten Projekte zur Lösung der Wohnungsfrage zuständigen Minister zu decken. Diese Zusammenarbeit versprach, einerseits ein ländliches Siedlungswerk auf den Weg zu bringen, und andererseits das städtische Wohnungswesen über das LGB nachhaltig zu beeinflussen. Erheblich gebremst wurde Addisons Zuversicht durch den ersten Austausch mit beiden Ministerien über das im Herbst 1917 vorgelegte Memorandum des Housing Panels, den Salisbury Report, der einen wichtigen Ausgangspunkt für die Formulierung der Nachkriegswohnungspolitik der britischen Regierung bedeutete. Über das Treffen mit Hayes Fisher, Prothero u. a. im November 1917 notierte Addison enttäuscht, daß das LGB bisher keinerlei Anstrengungen unternommen hätte, den "Kopf in den Sand steckte" und lediglich den Fragebogen, den es im Juli zur Ermittlung des Wohnungsbedarfs an die Lokalverwaltungen verschickt hatte, durch die nichtssagende Formel "substantial financial assistance", die für den lokalen Wohnungsbau gewährt werden würde, ergänzen wolle. Addison schlußfolgerte, daß diese Art der Ankündigung, keinerlei Maßnahmen der lokalen Behörden im Wohnungsbau bewirken würde. Für ihn bedeuteten alle bisherigen Anstrengungen des LGB in dieser Richtung insgesamt ein großes "Nichts":

419

Addison, Four and a half years, S. 430.

224

II. Diskurs und Politik im Krieg

"[N]othing has resulted from the circular and won't, because nobody knows what they are required to do, what powers they will have or what obligations it will involve. 'Substantial financial assistance' may mean little or nothing."420

Die zurückhaltende Position Hayes Fishers ließ Addison nicht gelten. Er gestand dem Präsidenten des LGB zwar zu, daß in seiner herkömmlichen Struktur das Ministerium keine Aufgaben lösen könnte, die sechzig Mal größer seien als die bisherigen. Alle Lokalverwaltungen hatten zusammen nie mehr als für den Bau von 5.000 Wohnungen jährlich verantwortlich gezeichnet. Nun sollten sie innerhalb eines Jahres 300.000 Wohnungen unter Anleitung des LGB bauen. Diese Tatsache erforderte den Ausbau der Behörde und sei selbstverständlich nicht mit "three man and a boy" möglich, wie Addison polemisch bemerkte. Immerhin, so notierte er in seinem Tagebuch, habe Hayes Fisher seine Sichtweise anerkannt, daß die "nation must accept responsibility" für den Wohnungsbau nach dem Krieg. 421 Für Addison lag die Verantwortung bei der Lösung der Wohnungsfrage in erster Linie beim Staat, also bei den lokalen und zentralen öffentlichen Verwaltungen. Indem er die Nation beschwor, erweiterte er den Kreis der Verantwortlichkeit auf die gesamte Gesellschaft, auf Staat und Bevölkerung. Als Teil dieser Gemeinschaft wollte er mittels seines Amtes, seine Pflicht bei der Lösung der Wohnungsfrage erfüllen. Seine Leistung in diesem alle einschließenden Problemlösungsprozeß, sollte aber keine beliebige sein. Addison sah sich als wichtiger, wenn nicht sogar wichtigster Teil dieser Problemlösung. Formal-administrativ nahm er diese Position unangefochten ab 1919 als Gesundheitsminister mit der Zuständigkeit für das Wohnungswesen ein. Ideell-moralisch wähnte er sie, bereits als Minister of Reconstruction und besonders seit Ende 1917 innezuhaben. Zum Ausdruck brachte er diese Haltung mit seinem zunehmenden Ungehaltensein ob der "Untätigkeit" der zuständigen Behörden, namentlich des LGB unter Hayes Fisher. Mitte März 1918 notierte er in seinem Tagebuch, daß die Regierung bei der Lösung der Wohnungsfrage keinen Schritt vorangekommen sei. Nach einer Beratung des Kriegskabinetts zur Wohnungsfrage stellte Addison fest:

Ebenda , S. 449. Addison, Four and a half years, S. 449. Zur Wohnungsbautätigkeit der Lokalverwaltungen vgl. PRO, RECO I I 574, ohne Bl.-Nr.: Note on the difficulty of using county councils for emergency housing vom 21. August 1917, S. 2. "The County Councils have since 1909 extensive concurrent power in connection with health and housing matters; experience has shown that while some few of them have done exceeding good work and have both encouraged and put pressure upon the minor local authorities to carry out housing work, that in the case of a great number of the County Councils little or no use has been made of the powers given to them." Seit 1909 ermöglichte der erste Housing and Town Planning Act die Lokalverwaltungen Maßnahmen zu selbständigen Wohnungsbaumaßnahmen, wie die Erweiterung ihrer Gemeindegrenzen zur Eröffnung von Bauland und die Aufnahme von Krediten. Vgl. Clarke, S. 33 - 35. Zur Tätigkeit des LGB vgl. Comelißen, Christoph, Das "innere Kabinett", Husum 1996. 420

421

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

225

"The position on housing is most unsatisfactory. So far as can be made out the L.G.B. has not done a thing since November, when those of us concemed had our meeting and when Hayes Fisher promised tobe more active."422

Addison hatte im Kriegskabinett ein Memorandum zu den Aufgaben des "Wiederaufbaus im Wohnungswesen" vorgelegt und festgestellt, daß "sofortige" und "befriedigende" Schritte unternommen werden müßten, um Wohnungen zu bauen. In zahlreichen Regionen herrschte ein ernsthafter Mangel an Wohnungen und auf dem Land würden, um die landwirtschaftliche Produktion aufrechtzuerhalten, "zusätzliche" Wohnungen benötigt, ebenso zur Sicherung der Industrieproduktion in den Städten. Schließlich bedeutete der Wohnungsmangel, eine ernsthafte Ursache für "Unruhe" und die "Abwesenheit jeglicher Maßnahmen", die zu "gewaltigen Gefahren" werden könnten. 423 Addison legte dem Kabinett seine Begründungen vor, welche die "dringende Notwendigkeit" nach dem sofortigen Beginn eines großen Wohnungsbauprogramms unterstützen sollten. In England und Wales fehlten 300.000 bis 400.000 Wohnungen, in Schottland 100.000. Innerstädtische Slums und überbelegte Wohnungen existierten im zahlreichen Städten des Landes. Sie beförderten die Ausbreitung von Krankheiten und hätten generell negative "Effekte" auf den Lebensstandard. Nicht zuletzt hätten die schlechten Wohnverhältnisse einen wichtigen Einfluß auf die "Unruhe" in den Industriebezirken. Addison ließ Beispiele aus Schottland folgen, wo in sieben von acht untersuchten Regionen, schlechte Wohnverhältnisse als ein Grund der Unzufriedenheit ermittelt worden waren. 424 Addison betonte, mit Vertretern aller politischen Richtungen gemeinsam den schlechten Wohnverhältnisse auf dem Land und in den Städten den Kampf angesagt zu haben. Aber ausgerechnet der an zentraler Stelle zuständige Minister, Hayes Fisher, versagte seine Unterstützung. Wahrend Lloyd George mit den "gigantischen Schwierigkeiten des Krieges" beschäftigt sei, "kämpften" Addison und andere im Kriegskabinett für ein umfassendes Wohnungsbauprogramm nach dem Krieg: Addison, Four and a half years, S. 493 f. PRO, RECO 1 I 494, ohne Bl.-Nr.: Memorandum to the War Cabinet by the Minister of Reconstruction on housing, März 1918, S. 3 f. 424 PRO, RECO 1/497, ohne Bl.-Nr.: Notes on the urgent need for the commencement of a !arge housing programme immediately after the war, circulate by C. Addison vom 11. März 1918. Vgl. auch PRO, CAB 24/42, ohne Bl.-Nr.: Reconstruction Finance. Memorandum by the Minister of Reconstruction, 10. Februar 1918. Bereits hier machte Addison deutlich, daß ein groß angelegtes Wohnungsbauprograrnm, neben einem ländlichen Ansiedlungsprogramm für Kriegsheimkehrer, zu den "urgent matters to be taken in band" zählte. In Erwiderung betonte der für die Ausführung öffentlicher Baumaßnahmen zuständige First Conunissioner of Works, Alfred Mond, daß, bevor die finanziellen Grundlagen derartiger Programme nicht geklärt seien, keine "Erwartungen" über die Verbesserung der sozialen Bedingungen aufgebaut werden sollten. Ihre Nichterfüllung sei, "extremely dangerous and playing into the hands of violent extremists who wish to destroy our existing social structure". Vgl. PRO, CAB 24/42, ohne Bl.-Nr.: Memorandum by the First Conunissioner of Works, 20. Februar 1918. 422

423

15 Koinzer

226

li. Diskurs und Politik im Krieg

"[I]t is funny that, here am I, a life-long Radical, fighting side by side with a long-life Tory (Salisbury) and finding our best backer in a Conservative Ieader (Bonar Law) against a reactionary Tory Minister and Department (Hayes Fisher and the L.G.B.)."425

Addison sah sich mit seinen, von ihm selbst in diesen Stand erhobenen "Verbündeten", für die Verbesserung der Wohnverhältnisse eintreten, die darüber hinaus, wie er meinte, "jedermann zugestehen" müßten. Daß die Wohnungsfrage unmittelbar nach dem Krieg "akut" und eine "Quelle ernsthafter Unzufriedenheit" sein würde, war laut Addison eine Tatsache, die alle außer dem LGB anerkennen würden. 426 Es war vor allem das vom LGB an die Lokalverwaltungen verschickte Rundschreiben zur Ermittlung des Wohnungsbedarfs, das Addisons Kritik hervorrief. Wie beim Treffen mit Hayes Fisher und Prothero im November des Vorjahres, empörte er sich darüber, daß keine nennenswerten Resultate aus dieser Initiative zu verzeichnen seien. Ein weiteres Zirkular sollte vom LGB in Umlauf gesetzt werden, worüber das Kabinett im März 1918 zu befinden hatte. Nach Addisons Einschätzung ließ auch dessen Entwurf zahlreiche Fragen offen. Vor allem, daß darin die Lokalverwaltungen den notwendigen, öffentlichen Wohnungsbau nicht als Pflicht auferlegt bekämen, sei unbedacht. Die so an die von Addison präferierten Träger des zukünftigen Wohnungsbaus versandten Handlungsanleitungen, "leaves matters to the goodwill of the existing Authorities. There was no imposition of a duty, either on the Local Authorities or on the State... The L.G.B. does not propose to appoint anybody to help the Local Authorities in the preparatory work..." 427

In Addisons Einschätzung tat das LGB nichts, was die erwartete Wohnungsnot nach dem Krieg vermeiden half oder gar als Ansatz zur Lösung der Wohnungsfrage in Betracht kam. Im November 1918 schätzte er ein, daß das LGB unter Hayes Fishers Leitung in Fragen des Wohnungswesens versagt hätte. Zusammen mit einem Mitarbeiter diskutierte der Minister für Wiederaufbau die Pläne der verschiedenen Ministerien, wie sie den Problemen der Nachkriegszeit begegnen wollten. Für das LGB stellte er fest: "Our interview with the L.G.B. people on Housing and its relation to employment and on the state of forwardness of their schemes (or rather their appalling backwardness, for they have done nothing) was the most shocking revelation of incompetence that I have ever experienced.. . . There was not a single thing prepared. " 428

Hayes Fisher trat im November 1918 zurück, und nachdem Auckland Geddes die Behörde bis zum Jahresende führte, übernahm Addison das Amt des Präsidenten des LGB im Januar 1919 bis zu dessen Auflösung im selben Jahr. Ernüchtert Addison, Four and a half years, S. 494. Ebenda. Die Beschwörung des "industrial unrest" geschah vor dem Hintergrund eines im Frühjahr 1918 drohenden Generalstreiks. Vgl. Swenarton, S. 73 f. 427 Addison, Four and a half years, S. 494 f. Vgl. Wilding, The Housing and Town Planning Act, S. 327 - 329; Johnson, S. 107 - 117. 428 Addison, Four and a halfyears, S. 586. Vgl. auch Swenarton, S. 73-76. 425

426

2. Die britische Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform

227

über den Stand der Vorbereitungen zu einem umfassenden Wohnungsbauprogramm durch das LGB stellte Addison fest, "that the whole thing must begun as from the grass. " 429 Diese Einschätzung brachte überdies zum Ausdruck, wie wenig Addisons als Wiederaufbauminister bewirkt hatte, wie wenig die Vorschläge und Studien in dem für das öffentliche Wohnungsbauprogramm zentral zuständige Ministerium Beachtung fanden bzw. dessen Widerstand hervorriefen. Eine Enttäuschung, die, läßt man das Addison innewohnende politische Machtstreben unberücksichtigt, erklärbar macht, warum Addison sich ab 1919 für die Wohnungspolitik noch stärker engagierte und durch sie "unterging". Die Betonung des moralisch-sittlichen Hintergrunds der Wohnungsfrage war eine wichtige Säule von Addisons politisch-administrativem und persönlichem Engagement. Als Arzt, er war vor der Aufnahme seiner politischen Laufbahn Anatomieprofessor am University College in Sheffield und Professor am Royal College of Surgeons in London, betrachtete er die Wohnverhältnisse vor allem von einem gesundheitlich-hygienisch dominierten Standpunkt. Dieser wurde, durch den Krieg und eine imaginierte Dankesschuld gegenüber den Kriegsheimkehrern moralisch stark aufgeladen, zu einer persönlichen "Handlungsanweisung". In seiner Schrift The Betrayal of the Slum faßte er 1922 zusammen, welche Herausforderung das Wohnen nach dem Krieg für den Reformer und Politiker Addison bedeutete. Das Werk verstand sich als Analyse und Programm, welche Erscheinungsweisen, Ursachen und gesellschaftlichen Kosten dem Wohnen in städtischen Elendsvierteln innewohnten. Getragen von der Enttäuschung über den Abbruch seines Wohnungsbauprogramms, sein Scheitern als Gesundheitsminister430 und von der Erfahrung städtischer Elendsviertel, wurde die Schrift zu einem Manifest, das seine moralischen und reformerischen Standpunkte zur Wohnungsfrage im und nach dem Krieg beinhaltete. Addison betrachtete die Zurückhaltung des Staates bei der Lösung der Wohnungsfrage nach dem Krieg als einen "Verrat" an den Menschen in den Armenvierteln. Das im Krieg beschworene "Gemeinschaftsgefühl", nur gemeinsam, als "Volk", zahlreiche soziale und wirtschaftliche Probleme lösen zu können, bildete das Fundament, auf dem auch die Wohnungsfrage hätte gelöst werden können. Aber nach dem Krieg, so Addisons resignierte Feststellung, wurde diese Grundlage wieder zerstört: "From rich homes and from poor, from mansions and from tenements people carne and freely offered their labour or their Jives. In that time of trial it was seen more clearly than ever before how dependent we are upon one another, how, in its turn, this dass or that comes to fill a vital part in the defence or maintenance of our organised nationallife."431

Im Krieg habe sich gezeigt, welches gefahrliehe Potential dem ungesunden Wohnen in den städtischen Elendsquartieren für die "ökonomische Effizienz" des 429 430 431

15*

Addison, Four and a half years, S. 587. Vgl. auch Johnson, S. 175-180. Vgl. Kapitel III. 2. a) und III. 2. b). Addison, Christopher, The Betrayal ofthe Slum, London 1922, S. 9.

228

II. Diskurs und Politik im Krieg

Landes innewohnte. In "ergreifender Schärfe" hatten Politik und Gesellschaft all jene sozialen Verhältnisse wahrgenommen, die darüber hinaus den Status Quo in Frage stellen konnten. Vor diesem Hintergrund sei die Schlußfolgerung, die schlechten, ungesunden Lebens- und Wohnverhältnisse ein für alle Mal beseitigen zu können, ins Bewußtsein breiter Bevölkerungsschichten und auch der Politik gerückt. Die "Nation" sei es den Millionen, die im Krieg ihr Leben für den Sieg bereit waren zu geben, und den Millionen, die durch ihre Arbeit in den Rüstungsfabriken diesen Sieg mit getragen hatten, schuldig, bessere, "Siegern" gebührende Lebensbedingungen zu ermöglichen. Addison beschwor das "Kriegserlebnis" als einigendes, klassen-, schichten- und milieuübergreifendes Ereignis, das selbst dem Letzten die Augen über die menschen- und einer siegreichen Nation unwürdigen Wohn- und Lebensbedingungen geöffnet hätten. Der Krieg habe jedoch nicht nur das Bewußtsein in dieser Richtung geschärft, sondern wurde zum Ausgangspunkt dafür, daß alle Mitglieder der Gesellschaft zum Handeln schreiten würden, um gegenwärtig und zukünftig Schaden von dieser abzuwehren: "At that time men of all sections, realising these conditions, declared that they would engage themselves not only to secure emancipation from the burdens and perils of war, but to unite in a sustained endeavour to improve the conditions of life of those millions of our fellow-countrymen who inhabit dilapidated cottages or wretched tenements in mean streets, and who are destined to struggle continually against conditions which produce gravely disabling effects and constitute altogether a menacing weakness to our whole society. " 432

Diese nachgereichten Einschätzungen zur britischen Wohnungsfrage, zur Rolle des Krieges bei der Sichtbarmachung der schlechten Wohnbedingungen von Hunderttausenden, ja Millionen von Menschen in den Städten und auf dem Land, waren Ausdruck von Addisons politischen und persönlichen Überzeugungen. Dem "neuen" Britannien des Premierministers Lloyd George sollte das "neue" Wohnen nach dem Krieg hinzugefügt werden. Addison sah sich in der Verantwortung, das "neue" Großbritannien in hunderttausenden neuer Häuser und Wohnungen behaust zu wissen. Daran hielt er auch nachträglich fest. Neu sollte auch die Art und Weise des Wohnens nach dem Krieg sein. Es sollten keine weiteren, engen Wohnquartiere in den Innenstädten entstehen, sondern zukünftig sollte in Siedlungen an den Stadträndern gewohnt werden oder, in Verbindung mit landwirtschaftlichen und agrarromantischen Ideen, gleich auf dem Land selbst. Addison hatte sich im Krieg auch den Plänen zur ländlichen Ansiedlung und der damit verbundenen Wiederbelebung der einheimischen Landwirtschaft angenommen. In Abstimmung mit dem Board of Agriculture wurden unter Addisons Leitung Konzepte ausgearbeitet, die in ein groß angelegtes Siedlungsprojekt münden sollten.4 33 Wie bei den Fragen der städtischen Wohnungsreform waren die Siedlungspläne, für die sich Addison stark 432 Ebenda, S. 9 f. Vgl. auch Addison, Christopher, Healthy Houses make healthy people, in: The Future. Government Statements of National Needs and National Policy, September 1919, s. 6. 433 Vgl. Kapitel III. 2. c).

3. Von der Reform zur politischen Institutionalisierung

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machte, getragen von der "Dankesschuld" an die Kriegsheimkehrer und all jene, die den Kriegserfolg sichergestellt hatten. Organisatorisch und finanziell sollten der Staat und vor allem die Lokalverwaltungen für diese Großprogramme im Nachkriegsgroßbritannien verantwortlich zeichnen. Sie sollten mit einer Aufgabe betraut werden, der sie sich zu stellen bisher nicht in der Lage sahen bzw. der sie sich nicht stellen wollten. Addison war gewillt, eine weitere Aufgabe in den Kanon der britischen Sozialpolitik aufzunehmen: staatlich subventionierter und organisierter Wohnungs- und Siedlungsbau.434

3. Von der Reform und Propaganda zur politischen Institutionalisierung - Gemeinsamkeiten und Unterschiede Im Ersten Weltkrieg bekam die Wohnungsfrage in Deutschland und Großbritannien erneut einen Sinngehalt, den sie seit ihrer "Sozialhygienisierung" Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr gehabt hatte. Der Kriegsbeginn bedeutete zwar in beiden Ländern sowohl für die Reform als auch für politische Entwicklungslinien eine Unterbrechung der Anstrengungen um ihre Lösung. Die Institutionen der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform stoppten ihre Agitation und Propaganda im Sommer 1914 und reihten sich in den jeweils nationalen Kampf ein, in dem die Wohnungsfrage im Kanon vielfaltigster sozialer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen zur Erringung des Kriegserfolges eine randständige Rolle spielte. Doch seit dem Frühjahr 1915 wurde die Wohnungsfrage durch ihre "Visualisierung" im und durch den Krieg wirkungsmächtig. Der Krieg und das beschworene "Kriegserlebnis" wurden zu Begründungen für die umfassende Neugestaltung des jeweils nationalen Wohnungswesens stilisiert. Mit der Propaganda der deutschen Bodenreformer, welche die Lösung der Wohnungsfrage als "Dank des Vaterlandes" zu einer "Pflicht des Vaterlandes" aufbauen wollten, entstand in Deutschland eine Bewegung, die sich die "Heilung der Wunden" durch die Schaffung von hunderttausenden "Kriegerheimstätten" versprach. Diese implizierten die Vorstellung, daß der "Krieger" nach seiner "Heimkehr" für die Entbehrungen, für den Verlust an Körper und Geist, aber nie an Willen, mit einem eigenem "Heim" als einem Stück "wirklicher Heimat" belohnt würde. Ein symbolträchtiges und schwülstige Bild wurde konstruiert: Der "Krieger" und die "Heimstätte" vereinigten sich, auf "vaterländischem, freiem Boden", zu einem der "Heimat" und dem "Boden" ewig verbundenem, sichtbarem, da gebautem Zeichen "vaterländischer Liebe" . Aus dem Akt der "Dankbarkeit", der Belohnung durch das eigene "Heim", erwüchse eine ewige Zuneigung zum "Vaterland", zum Staat. Hunderttausende, Millionen derar434 Vgl. Wendt, Bemd-Jürgen, War Socialism, in: Ders., Beiträge zur englischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Rheinfelden/Berlin 1994, S. 3 - 27, hier S. 25 f.

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II. Diskurs und Politik im Krieg

tig Behauste und Behüt(t)ete verschmolzen zu dem großartigen Ganzen, dem "Volk", das im Krieg und für alle Zeiten in der Lage sein würde, jedem "Feind" zu widerstehen. Die "Kriegerheimstätten" fanden eine weitläufige und massenweise Unterstützung durch den Umstand, daß sie komplex und simpel zugleich die Lösung nicht nur der Wohnungsfrage, sondern der sozialen Fragen überhaupt versprachen. Für die "Nation", die sich im pathetisch prophezeiten Zustand des "ständigen Krieges" befand, versprachen die "Kriegerheimstätten" die Festungen der "wehrhaften Nation" zu sein. In diesen "Bastionen" würde eine vielköpfige, wehrfähige "Rasse" gedeihen, eine, die sich, da über Acker- und Gartenbauland verfügend, selbst und die ihren zu versorgen in der Lage war. Der Krieg legitimierte die Verwendung der Sprache des Krieges. Die Forderungen nach der Lösung der Wohnungsfrage radikalisierten sich semantisch, waren nationalistisch, mystisch-religiös und "Einheit" und "Gemeinschaft" verheißend aufgeladen. Das traf nicht nur für die Propaganda der "Kriegerheimstätten" zu. Die kritische Beurteilung der bodenreformerischen Agitation durch den deutschen Staat, die Regierungen des Reiches und der Bundesstaaten und Teile der Wohnungsreform nahm der Begrundung eigener Anstrengungen die Schärfe nicht. Die deutschen Wohnungsreformer instrumentalisierten das "Kriegserlebnis" nicht weniger dramatisch, um ihre Vorstellung zur Lösung der Wohnungsfrage zu verbreiten, und den Einfluß auf politische Entscheidungsebenen auszudehnen. Auch sie sahen im Krieg gewissermaßen das Erweckungsereignis, um nachhaltig die Wohnungsreform und damit eine Gesellschaftsreform voran zubringen. Man stellte aber die Durchführbarkeit des "Kriegerheimstättenprogramms" in Frage und brachte zum Ausdruck, daß die massive Propaganda der Bodenreformer, Erwartungen aufbauen würde, die nicht erfüllbar wären. Dieser Argumentation schloß sich die Reichsleitung an, die nach dem Willen der Bodenreformer als Initiator und Organisator des "Kriegerheimstättenbaus" agieren sollte. In einem ausführlichen Schriftwechsel mit der deutschen Militärführung, die sich zur Ausnutzung der kriegsmotivierenden Momente der "Kriegerheimstätten" positiv äußerte, machte man deutlich, daß die Verantwortung des Zentralstaates im Wohnungswesen nicht ausgedehnt werden würde bzw. nur für eine "Übergangszeit", bis sich die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt "normalisieren" würden. Das Festhalten an bundesstaatliehen und kommunalen Kompetenzen im Wohnungswesen wurde durch den Übergangscharakter eingeleiteter Wohnungsnotstandsmaßnahmen und Ansiedlungsvorbereitungen unterstrichen, in deren Konsequenz die Wohnungsfrage als Problem erkannt, eine Verantwortung für deren Lösung aber nur zögerlich angenommen bzw. aufgeschoben wurde. Vom Grundsatz der Befristung staatlicher Intervention im Wohnungswesen war auch die Haltung der britische Regierung geprägt ("war restriction" und "reconstruction"). Mietstreiks in den Städten mit kriegswichtiger und Rüstungsproduktion sowie die schlechten Wohnverhältnisse in ländlichen Regionen bedeuteten eine

3. Von der Reform zur politischen Institutionalisierung

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Bedrohung der wirtschaftlichen Basis. Doch waren Wohnungs- und Sozialreformer frühzeitig an der Formulierung staatlichen Handeins beteiligt. Führende Mitglieder der Kriegskabinette, namentlich David Lloyd George und Christopher Addison, beschrieben durch ihr bereits vor dem Krieg zur Schau getragenes Engagement in den Fragen der Wohnungs- und Bodenreform, wichtige Grundlagen für eine Verbindung von Reform und Politik. In die Arbeit der Reconstruction Committees wurden zudem Wohnungs- und Sozialreformer inkorporiert, die an der Formulierung einer zeitlich beschränkten, aber umfassenden staatlichen Wohnungspolitik mitarbeiteten. Durch die Persönlichkeiten Lloyd George und Addison und die frühzeitige Einbindung der Reformer in staatliche Strukturen wurde die Regierung damit zum Ort der Reform. Wahrend in Deutschland von außen wohnungsreformerische Forderungen an die Politik heran getragen wurden, kamen in Großbritannien diese Forderungen hauptsächlich von innen. Eine von außen agierende, öffentlichkeitswirksam auftretende Reformbewegung mit wirkungsmächtigen Wohnungsreformvorschlägen hatte deshalb in Großbritannien im Krieg keine Basis. Obwohl die Empfehlungen zur Lösung der Wohnungsfrage bzw. zur "Vermeidung der Wohnungsnot" aus dem Inneren der Londoner Regierung kamen, hatte die britische, zentrale Wohnungspolitik im Krieg, wie in Deutschland ab 1917, den Charakter einer Symbolpolitik. Das, was im Krieg getan wurde, waren Zeichen der Anteilnahme an den Problemen des Wohnungsmarktes, die man in der Nachkriegszeit "in Angriff' nehmen wollte. Politisches, staatliches Handeln wurde deshalb als vorübergehendes, aber von der Öffentlichkeit erwartetes Wirken verstanden und artikuliert. Die sozialen Komponenten waren rhetorisch geeignet, Wahlchancen zu erhöhen oder Machtverhältnisse zu sichern bzw. an ihnen, wie im Fall Addison, zu scheitern. Nichtsdestotrotz wurden über die Bestandsschutzmaßnahmen im Wohnungswesen, Pläne für den staatlich unterstützten Nachkriegswohnungsbau in beiden Ländern erarbeitet. Mit dem Bild von den Millionen heimkehrenden "Kriegern" und "Helden", die ein "neues", besseres Wohnen und Leben, nach "Leid" und "Entbehrung" erwarteten, wurde in Deutschland und Großbritannien argumentiert. Unterschiedlich waren nur die Orte, an denen dieser Argumentation breiter Ausdruck gegeben wurde. Wurden in Deutschland vor allem in der Propaganda der "Kriegerheimstätten" und den wenigen Debatten im ohnehin einflußarmen deutschen Reichstag die perspektivische Notwendigkeit des massenhaften Wohnungsbaus artikuliert, fand die Konstruktion von der "besseren Zukunft" in Großbritannien innerhalb der Regierung und im Unterhaus statt, das seine Kontrolle der Regierung in der Wohnungspolitik intensiv wahrnahm. Identisch waren hingegen die Argumente, mit denen in beiden Ländern die Akteure, ob innerhalb oder außerhalb staatlicher Entscheidungsebenen tätig, auftraten. "Gutes Wohnen", vor allem im Krieg, wurde als Voraussetzung für die Herstellung einer wehrhaften Bevölkerung gesehen. Diese, idealer Weise aufgezogen im eigenen "Haus im Grünen", aufgewachsen mit einer Bindung an den "vaterländischen Boden" und fern der "schädlichen" Einflüsse der "verdammungswürdi-

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II. Diskurs und Politik im Krieg

gen" Großstädte, würde, infiziert von der "Heiligkeit nationaler Begeisterung", jedwede Herausforderung annehmen. War ein derartiges "Volk" bis 1914 nur ein Wunschbild der Protagonisten der deutschen und britischen Wohnungs- und Siedlungsreform und völkischen Bewegungen, so sollte es durch die "Erfahrung" des Krieges zur klassen-, geschlechter- und religionsvereinenden Realität werden. Eine milieu- und nationenübergreifende Flachbauideologie war die Voraussetzung, staatliche, administrative und finanzielle Unterstützung das Mittel hierzu. Dieses Ideal gewann im Krieg, durch den Krieg und sein Instrumentalisierung an Wirkungsmacht Staatlich geförderter Wohnungsbau wurde zum Zeichen nationaler Solidarität, der Zusammengehörigkeit demonstrierte und "unbesiegbar" machen würde. Nicht erst der "Sieg des Großen Krieges" sollte die Initialzündung derartiger Programme sein. Doch würde sie um so unvermeidlicher, je "erfolgreicher" die jeweils nationalen Armeen kämpften. Die "Kriegerheimstätten" (Deutschland) und "fit homes for the men who have won this war" (Großbritannien) wurden zu Versprechen, ohne ausgesprochen worden zu sein. Sie implizierten "Dank" und "Verpflichtung", probates Mittel gegen die gefürchtete "Unruhe", Revitalisierung des Landlebens und "Gesundung" der Städte. Wie sich auf die Herausforderungen im Wohnungswesen im Ietzen Kriegsjahr vorbereitet wurde, mit welchen politischen Lösungsstrategien und Ergebnissen der Wohnungsbau nach dem Krieg vorangetrieben wurde und welchen Einfluß die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform bekam, ist Gegenstand des nächsten Kapitels.

111. Wohnen nach dem Krieg Das letzte Kriegsjahr war das erste Jahr der Nachkriegswohnungspolitik. In Deutschland und Großbritannien wurden politische Lösungsstrategien auf den Weg gebracht, um einer drohenden Wohnungsnot nach dem Krieg entgegenzuwirken•. und den Wohnungs- und Siedlungsbau von Seiten des Staates zu unterstützen. Wohnungsgesetze wurden vorbereitet und verabschiedet, Kommissionen legten umfassende Berichte über den Wohnungsbedarf und die Maßnahmen zu dessen Behebung vor. Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformer wurden nun auch in Deutschland beratend zur Formulierung der Wohnungspolitik einbezogen. Das Kriegsende und die wirtschaftlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit mit ihren Auswirkungen auf das Wohnungs- und Siedlungswesen prägten die jeweils nationale Wohnungspolitik In welcher Weise die Reform in die Formulierung dieser inkorporiert wurde bzw. blieb, wie und mit welchen Ergebnissen sie umgesetzt wurde, und wer die Träger des Wohnungs- und Siedlungsbaus der Nachkriegszeit waren, steht im Mittelpunkt dieses Kapitels.

1. Deutschland a) Das preußische Wohnungsgesetz von 1918 und die reichs- und bundesstaatliehen Maßnahmen zur Förderung des Wohnungs- und Siedlungswesens nach dem Krieg Ein Symbol staatlichen Entscheidungswillens war 1918 notwendig geworden, um einerseits die kriegsmotivierende Wohnungsfürsorgerhetorik zu verbreiten, andererseits weil die Tausenden fehlenden Wohnungen in zahlreichen Städten eine (staatsbe)drohende Gestalt angenommen hatte und schließlich um die Agitationsund Propagandaarbeit der Reformorganisationen zu kanalisieren. Die während des Krieges erlassenen Mietkontrollverordnungen und die Zahlung von Mietunterstützung an die "Kriegerfrauen" waren wohnungspolitische Maßnahmen am ohnehin immer knapper gewordenen und oft qualitativ minderwertigen Wohnungsbestand. Weiterreichende Maßnahmen hin zu einer staatlich unterstützen Finanzierung des Wohnungs- und Siedlungsneubau, in der Stadtplanung und im Städtebau allgemein sowie die Schaffung zentralstaatlicher Institutionen, die solche Aktivitäten bündelten und organisierten, standen auf der Tagesordnung politischer Entscheidungen seit 1916. Der Verabschiedung des preußischen Wohnungsgesetzes gingen einer-

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III. Wohnen nach dem Krieg

seits reichs- und bundesstaatliche wohnungs- und siedlungspolitische Maßnahmen voraus, auf die im folgenden kurz eingegangen werden soll. Andererseits wurde die Einführung des preußischen Wohnungsgesetzes nach zwanzig Jahre dauernden Vorarbeiten zum Symbol einer vom Staat anerkannten, weitreichen9en Verantwortung im Wohnungswesen. Die Darstellung seiner Genese und zeitgenössischen Wertung schließt sich an. Das Reich und einige Bundesstaaten hatte mit der sich durchsetzenden Anerkennung einer drohender Wohnungsnot nach dem Krieg seit 1916, ohne "sichtbaren" Druck der Reformorganisationen bzw. in Abgrenzung zu ihnen, selbständige Initiativen im Wohnungs- und Siedlungswesen eingeleitet, die über einen bloßen Wohnungsbestandsschutz hinausgingen. 1 Eine der wichtigsten Maßnahmen auf Reichsebene, den Wohnungs- und Siedlungsbau nach dem Krieg über die Selbsthilfe zu fördern, war die Einbringung und Verabschiedung des sogenannten Kapitalabfindungsgesetzes. Nach dem Vorbild der Kapitalisierung von Kriegs- und Hinterbliebenenrenten wurden in dem im Juli 1916 verabschiedeten Gesetz, rentenberechtigten Kriegsteilnehmern und ihren Angehörigen die Möglichkeit eröffnet, die vom Reich ausgezahlten Pensionen für Zwecke des Grundstückerwerbs und Wohnungsbaus zu verwenden. Anstelle der monatlich gezahlten Kriegsversorgung sollten einmalig Kapitalabfindungen zur Verfügung gestellt werden. "[Z]um Erwerb oder zur privatwirtschaftliehen Stärkung" konnten Anspruchsberechtigte laut § I Grundbesitz erwerben bzw. waren in der Lage, die Kapitalabfindung in Anspruch zu nehmen, wenn sie "zum Erwerb eigenen Grundbesitzes einem gemeinnützigen Bauoder Siedlungsunternehmen beitreten" wollten? Die Bodenreformer empfahlen sich einer solchen Politik und dokumentierten in bekannter Manier ausführlich die Reichstagsdebatten zum Gesetz und stellten die parteiübergreifende Zustimmung, mit Ausnahme der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, wohlwollend fest. Die Bodenrefonn kommentierte die Debatten im Frühjahr 1916: "Diese Verhandlungen bedeuten einen großen Schritt vorwärts und bestärken uns in der Hoffnung, daß der Gedanke der Kriegerheimstättenbewegung in der deutschen Volksvertretung volles Verständnis und frohe Zustimmung finden wird."3

Vgl. u. a. Stellungnahmen der Bundesstaaten zu den "Kriegerheimstätten" des BDB. BarchB, R 3901 I 10983, BI. 213 f. : Gesetz über Kapitalabfindung (Kapitalabfindungsgesetz) vom 3. Juli 1916. Je nach Lebensalter des Versorgungsberechtigten sah das Gesetz vor, eine Abfindungssumme als Vielfaches der Versorgungszahlungen bereitzustellen. In ihrem Handbuch der Kriegsfürsorge im Deutschen Reich verdeutlichten E. Friedeburg und S. Wronsky die Kapitalabfindung an einer Beispielrechnung. "Will in Preußen ein Kriegsbeschädigter von 28 Jahren, welcher seine Kriegszulage mit 3.015 M kapitalisiert hat, sich ein kleines Anwesen als Rentengut für 9.000 M kaufen, so hat er etwa 3.000 M anzuzahlen und 6.000 M als Rentenbankrente eintragen zu lassen; diese hat er mit 4 Prozent zu verzinsen und 1/ 2 Prozent zu tilgen, also jährlich270M zu zahlen". Nach 56 Jahren wäre die Rente dann vollständig abgelöst. Vgl. ebenda, S. 187. Vgl. auch Roßmann, Erich, Ratgeber für Kriegsbeschädigte, Berlin 1919, S. 63-67; Westfälisches Wohnungsblatt 1916, S. 87. I

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1. Deutschland

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Vorausgegangen waren Überlegungen des preußischen Innenministeriums und des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Kriegsinvalide zu einer Art Re-Integration und-habilitationauf dem Land anzusiedeln. Mittels der Kapitalisierung wollten die Ministerien verhindern, daß zu jenem Zeitpunkt direkte finanzielle Mittel für den Wohnungs- und Siedlungsbau von Seiten des Reiches oder Preußens zur Verfügung gestellt werden mußten. 4 Flankiert von regionalen "Ansiedlungsgesetzen", die vorwiegend auf Kriegsbeschädigte zugeschnitten wurden5, bedeutete das Kapitalabfindungsgesetz einen ersten Schritt hin zu einer staatlich gesteuerten, in der Ausführung und Finanzierung jedoch staatsfernen, aufwendungsneutralen Wohnungs- und Siedlungsbauförderung. Der Anklang blieb verhalten. Ein Jahr nach der Verabschiedung des Gesetzes waren, wie eine "angesehene Wochenschrift" (Bodenreform 1917, S. 337) berichtete, ganze 750 Anträge auf Kapitalabfindung bei den zuständigen Behörden eingegangen. Die Bodenreformer, die das Gesetz als wichtige Grundlage ihrer Bestrebungen sahen, wollten hingegen den Beweis antreten, daß die Kapitalabfindung ein Erfolg sei, der bereits sichtbar war bzw. nur noch kurze Zeit auf sich warten lassen würde. Damaschke wandte sich Ende April 1917 an das Versorgungs- und Justizamt des preußischen Kriegsministeriums und erhielt im darauffolgenden Mai von Generalmajor Freiherr von Langermann Antwort. Langermann konstatierte in seinem Antwortschreiben eine "in dauernde(r) Zunahme begriffene ( ... ) Zahl der eingehenden Anträge". Bei Kriegsbeschädigten und Kriegerwitwen fände das Gesetz "großen Anklang". Fast 4.000 zustimmende Bescheide seien allein im Bereich 3 Bodenreform 1916, S. 277. Der Abgeordnete Henke von der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft kritisierte das "an die Scholle ... fesseln", welches das Gesetz beabsichtige. Das Gesetz bzw. sein Entwurf, der im April 1916 im Reichstag diskutiert wurde, sei eine "Parodie auf das, was in diesen Tagen überall geredet und geschrieben worden ist". Es zeige nur, daß "Millionen von Leuten draußen, die ihr Vaterland verteidigen sollen", in dem vorliegenden Gesetz eines erkannten: "[D]ie Konstatierung der Tatsache, daß sie nichts vom Vaterland ihr eigen nennen." Zitiert nach Bodenreform 1916, S. 277. 4 GstaB, HA l Rep. 87 B, Nr. 9478, Bl.l: Abschrift eines Schreibens des Ministerium des Ionern an das Landwirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1915 betr. Kapitalabfindung für Kriegsinvalide. Preußen erließ zur Förderung der "inneren Kolonisation" am 5. Mai 1916, also zwei Monate vor der Verabschiedung eines reichseinheitlichen Kapitalabfindungsgesetzes, das Gesetz zur Förderung der Ansiedlung. Es sah die Gewährung von staatlichen Zwischenkrediten bei der Errichtung von sogenannten Rentengütern für Kriegsinvalide in Höhe von 100 Millionen Mark vor. Vgl. GstaB, HA I Rep. 87 B, Nr. 9659, BI. 75-97: Bericht der 11. Kommission für die Vorbereitung des Gesetzentwurfs zur Förderung der Ansiedlung, auf Beschluß des preußische Abgeordnetenhauses vom 18. Januar 1916. 5 Flankierende Gesetze waren u. a. das bayerische Gesetz über die Ansiedlung von Kriegsbeschädigten in der Landwirtschaft vom 15. Juli 1916 (Vgl. BarchB, R 3901 I 10983, BI. 212-243: Landesstelle im Königlich Bayerischen Staatsministerium des Innern, Grundlagen und Befehle für die Ansiedlung von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen in Bayern, Stand Frühjahr 1917), das preußische Gesetz vom 8. Mai 1916 und das sächsische Gesetz über die Ansiedlung von Kriegsteilnehmern vom 5. Mai 1916 (Vgl. BarchB, R 3901 I 10983, BI. 160- 166: Schreiben des Staatssekretärs des Ionern an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen vom 10. März 1917).

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111. Wohnen nach dem Krieg

des preußischen Kriegsministerium erlassen worden, und deren Zahl wüchse täglich. Der General erklärte auch, wozu die Kapitalabfindung in erster Linie Verwendung finden würde: "Auf die Art der Verwendung ... ist der Krieg naturgemäß nicht ohne Einfluß geblieben. So ist infolge der zur Zeit bestehenden Bauschwierigkeiten die Neuansiedlung in den Hintergrund getreten. Dagegen wird die Abfindung stark in Anspruch genommen zur wirtschaftlichen Stärkung von Grundbesitz, insbesondere durch Hypothekenabstoßung und, vor allem im Westen Deutschlands, zum Erwerb von kleinen Hausgrundstücken." 6

Das Reich schien sich seiner steigenden Verantwortung im Wohnungs- und Siedlungswesen bewußt, blieb aber zurückhaltend, beließ wesentliche Zuständigkeiten bei den Bundesstaaten. Diese hatten, folgte man der Argumentation der Reichsregierung, die Probleme im Blick und bemühten sich, mit eigener Gesetzgebungstätigkeit den zukünftigen Wohnungs- und Siedlungsbau zu regulieren. Bis Kriegsende blieb diese Einstellung bestehen. 7 Die Bundesstaaten wiederum, vor allem Preußen, versuchten anfangs zurückhaltend ihre zunehmende Verantwortung im Wohnungs- und Siedlungswesen wahrzunehmen. Daß die Beschränkung der seit Jahrzehnten bestehenden Wohnungsfürsorge des Staates auf seine Beamten und Angestellten auf Dauer nicht aufrecht zu halten sei, setzte sich im preußischen Staatsministerium seit Ende 1916 mehr und mehr durch. In einem von BethmannHollweg, Breitenbach, Sydow, Stein und Helfferich unterzeichneten Schreiben an Wilhelm II. wurde im November 1916 betont, daß " .. . die Beschränkung auf Staatsbeamte wird jetzt fallen müssen. Die schweren Verluste des Krieges zwingen den Staat, auch für das Gebiet der Wohnungsfürsorge mit seinem Kredit in erweitertem Umfange einzutreten und allen gemeinnützigen Bauvereinigungen, ohne Rücksicht auf ihre Zusammensetzung, die Heranziehung von Mitteln zur Anlegung in zweitstelligen Hypotheken zu erleichtern. Dies soll dadurch erreicht werden, daß der Staat für von anderer Seite gegebene zweitstellige Tilgungshypotheken die Bürgschaft übernimmt. Auf diese Weise wird die Anlage zu zweiter Stelle zu einer mündelsicheren und für alle Geldgeber möglichen, die in der Anlegung ihrer verfügbaren Mittel an die BestimJllungen der Mündelsicherheit gebunden sind." 8 Zitiert in: Bodenreform 1917, S. 337 f. Ausnahmen waren neben dem Kapitalabfindungsgesetz das zweite Treffen der vor dem Krieg vom Reich bestellten Immobiliarkredit-Kommission am 18. und 19. November 1915, auf dem über Maßnahmen zur Beschaffung des Immobiliarkredits insbesondere für den Kleinwohnungsbau nach dem Krieg beraten wurde. Vgl. GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5814, BI. 4-86: Stenographischer Bericht der Zweiten Sitzung der Immobiliarkredit-Kommission, 18./19. November 1915. Nach einer Entschließung des Reichstags setzte der Reichskanzler im Februar 1913 die Kommission ein. Sie widmete sich dem Problem, daß seit 1912 kaum noch zweitstellige Hypotheken zu bekommen waren, was die Baufinanzierung erheblich erschwerte. Ebenfalls gehörte zu ihren Aufgaben Untersuchungen, welche die Umstände der Verteuerung von städtischen Bauland und dem dortigen Bauer erklären sollten. Vgl. Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, s. 3396. s GstaB, HA I Rep. 89, Nr. 28558, BI. 96 f.: Schreiben des Staatsministeriums an Wilhelm II. vom 30. November 1916. 6

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Eine Bürgschaftssicherung in Höhe von zehn Millionen Mark, verwaltet von der Preußische Zentral-Genossenschaftskasse, sollte Bürgschaften in einem Gesamtumfang von 100 Millionen Mark gestatten. Diesen Betrag sah das preußische Staatsministerium im wesentlichen vor, um ihn gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften zur Verfügung zu stellen. 9 Im Herbst 1917 wandte sich der Minister für öffentliche Arbeiten an den Reichskanzler, um diesem die schwierige Lage im Wohnungs- und Siedlungswesens vorzurechnen. Vor dem Krieg, so der Minister, seien etwa 240.000 Wohnungen jährlich gebaut worden. Bauträger waren zu 95% private Bauvereinigungen, zwischen 3% und 5% der Wohnungen seien von gewinnlos arbeitenden bzw. gemeinnützigen Baubetrieben errichtet worden. Die durchschnittlichen Neubaukosten beliefen sich bis 1914 auf rund 5.000 Mark pro Wohneinheit, was einen Gesamtbedarf an Baukapital von 1,2 Milliarden Mark im Jahr bedeutete. Auf die erwerbsmäßige Bautätigkeit entfielen hiervon 1,15 Milliarden Mark, während der Rest sich auf die gemeinnützige verteilte. Um die Bautätigkeit nach dem Krieg auf ein annäherndes Niveau zu bringen und gleichzeitig, den Rückstand aus der Kriegszeit ausgleichen zu können, müßte der Staat Geld für den Wohnungsbau bereitstellen. Allein für Preußen schätze der Minister für öffentliche Arbeiten diesen Betrag auf 70 Millionen Mark im Jahr. Doch sei eine solche Summe "unwahrscheinlich". Der Minister betonte, daß noch anderweitig eine öffentliche Förderung der Bautätigkeit zur ,,Sicherstellung der notwendigen Kleinwohnungen" erfolgen müsse. Hierzu empfahl er die Heranziehung der Industrie und Arbeitgeber für den Wohnungsbau sowie die Gründung von Bausparkassen. 10 Um das Reich weitestgehend "schad- und sorgenfrei" im Wohnungs- und Siedlungswesen zu halten, bestätigte sich die Reichsleitung und diese dem Kaiser wiederholt, daß die Bundesstaaten ausreichende Maßnahmen getroffen hätten und treffen würden, um den Anforderungen des Wohnens nach dem Krieg begegnen zu können. Im März 1917 informierte das preußische Staatsministerium den Kaiser über die bundesstaatlich eingeleiteten Wohnungs- und Siedlungspolitiken. 11 Eine im Januar 1918 erfolgte Zusammenstellung von Maßnahmen der Bundesregierungen, "um nach dem Kriege die Beschaffung von Kapitalien für den Kleinwohnungsbaus zu erleichtern", sollte Zuversicht verbreiten. Das Schreiben der Reichsleitung, dem die Auflistung im Frühsommer 1918 beigelegt wurde, versprach den Bundesstaaten zudem ein über die bisherigen Maßnahmen des Reiches hinausgehendes finanzielles Engagement für die Zukunft. 12 Vgl. ebenda. Ebenda, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 10-13: Abschrift eines Schreibens des Ministers für öffentliche Arbeiten an den Reichskanzler vorn 15. Oktober 1917. II BarchB, R 3901 I 10983: BI. 160-166: Schreiben des Staatssekretärs des Innern an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen vorn 10. März 1917. 12 GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 100/101: Maßnahmen der Bundesregierungen, um nach dem Kriege die Beschaffung von Kapitalien für den Kleinwohnungsbaus zu erleichtern, 9

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III. Wohnen nach dem Krieg

In Bayern stellte danach die staatliche Landeskulturrentenanstalt den Gemeinden zum Wohnungsbau und zur landwirtschaftlichen Siedlungstätigkeit finanzielle Mittel in Höhe von jährlich 75.000 Mark für zweitstellige Hypotheken zur Verfügung. Zudem war ein vom Königreich einmalig gewährter Kredit in Höhe von zwei Millionen Mark vorgesehen, mit dem die Gründung von Bauvereinigungen für den Kleinwohnungsbau unter staatlicher Beteiligung gefördert werden sollte. Eine Bayerische Landessiedlung GmbH mit einem Stammkapital von 3,5 Millionen Mark war gegründet worden, welche die Siedlungstätigkeit im Bayern zentralisieren und organisieren sollte. 13 Im Königreich Sachsen war per Gesetz über die Landeskulturrentenbank vom 30. Juni 1914 die Bank ermächtigt, bis zu einem von den Innen- und Finanzministerien festgelegten jährlichen Höchstbetrag, 1917 waren es 7 Millionen Mark, Darlehen zum Bau von Kleinwohnungen für "minderbemittelte Klassen gegen Einräumung nachstelliger Hypotheken bereitzustellen". Der sächsische Staat war zudem mit zwei Millionen Mark an der Landessiedlungsgesellschaft beteiligt, welche die gleichen Aufgaben wie die in Bayern hatte. In den einzelnen Haushaltsjahren waren jeweils zwei Millionen Mark für die Wohnungsfürsorge der staatlichen Beamten und Arbeiter vorgesehen, die jedoch im Krieg auf eine Million herabgesetzt wurde. 14 Andere Bundesstaaten wie Württemberg, Baden, Anhalt, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Coburg-Gotha und Sachsen-Meinigen erwägten ebenfalls die Gründung von Landesfürsorgeanstalten für das Wohnungs- und Siedlungswesen sowie Wohnungsbau- und Kleinsiedlungsgesellschaften, hatten solche Einrichtungen bereits gegründet, planen sich an ihnen zu beteiligen bzw. wollten diesen finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Hessen, Baden, Württemberg, Bremen und Anhalt planten außerdem Baubürgschaften zu übernehmen bzw. hatten die Bereitstellung von zweitstelligen Hypotheken über staatseigene Banken sichergestellt. 15 Für Preußen wurden vor allem die Regelungen des im März 1918 verabschiedeten Wohnungsgesetzes herausgestellt, wonach 20 Millionen Mark für den WohnungsJanuar 1918. Desgl. BarchB, R 3901 I 11018, BI. 52a. Zum Inhalt des Schreibens der Reichsleitung vom Juni 1918 siehe die Ausführungen im weiteren Verlauf dieses Kapitels. Vgl. BarchB, R 3901 I 11018, BI. 52: Entwurf des Schreibens des Reichskanzlers an sämtliche Bundesregierungen vom 11. Juni 1918. 13 Vgl. GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 1001101 : Maßnahmen der Bundesregierungen, um nach dem Kriege die Beschaffung von Kapitalien für den Kleinwohnungsbaus zu erleichtem, Januar 1918. 14 Ebenda. Im Haushaltsplan der sächsischen StaatsforstveiWaltung war für Beamten- und ArbeiteiWohnhäuser ein zusätzlicher Betrag in Höhe von 100.000 Mark eingesetzt worden. Vgl. auch Preller, S. 70. 15 Vgl. GstaB, HA I Rep. 84a, Nr. 5815, BI. 1001101 : Maßnahmen der Bundesregierungen, um nach dem Kriege die Beschaffung von Kapitalien für den Kleinwohnungsbaus zu erleichtem, Januar 1918.

1. Deutschland

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und Siedlungsbau bereitgestellt werden sollten. Dieser Betrag war, ähnlich der Bestrebungen anderer Bundesstaaten, für die Beteiligung des preußischen Staates an der Gründung von Wohnungsbaugesellschaften vorgesehen, um "auf diese Weise das Entstehen kapitalkräftiger gemeinnütziger Bauvereinigungen" zu fördern. 16 Weitere, ergänzende Maßnahmen waren eingeleitet worden. Die preußische Regierung arbeitete an dem seit Ende 1916 angekündigten Bürgschaftssicherungsgesetz, das mögliche Bürgschaft nun in einer Gesamthöhe von 150 Millionen Mark gestatten sollte. Es trat im April 1918 in Kraft. Auch an einem Gesetzentwurf zur Förderung sogenannter Stadtschaften mit einem Gesamtbetrag von 10 Millionen Mark würde gearbeitet. Die Gelder sollten u. a. zur Gründung von lokalen Pfandbriefanstalten Verwendung finden, die durch den Zusammenschluß von Grundstückseigentümern gebildet werden sollten. Darüber hinaus beabsichtigte der preußische Staat, wie in der Zusammenstellung betont wurde, Bauland zur Wohnungsfürsorge vorerst nur für minderbemittelte Staatsbedienstete aus dem Besitz des Domänen- und Forstfiskuses bereitzustellen. Weitere finanzielle Mittel würden für die Wohnungsfürsorge "minderbemittelter Staatsbeamter" zur Verfügung gestellt. 17 Schließlich wurde Wilhelm li. am 24. März 1918 vom Staatsministerium der Abschluß des zwanzig Jahre währenden Prozesses zur Einfiihrung eines preußischen Wohnungsgesetzes gemeldet. Beide Kammern, das Abgeordnetenhaus am 24. Januar und das Herrenhaus am 9. März 1918, hatten der letzten Fassung des Gesetzes zugestimmt. Diese Fassung, so das Staatsministerium, enthielt in ,,keinem Punkte eine wesentliche Umgestaltung der Grundzüge des Regierungsentwurfs, sondern weist nur in Einzelheiten Abänderungen und Ergänzungen dieses Entwurfes auf, die zum Teil als willkommene Verbesserung zu betrachten sind und in ihrer Gesamtheit zu Bedenken keinen Anlaß geben. Hiennit ist erfreulicherweise dieses Gesetzeswerk, das seit einer Reihe von Jahren Eurer Majestät Regierung, den Landtag und die Öffentlichkeit lebhaft beschäftigt hat, so rechtzeitig zum Abschluß gebracht, daß das Gesetz alsbald bei den zur Bekämpfung der Wohnungsnot und der Mißstände im Wohnungswesen erforderlichen Maßregeln wird nutzbar gemacht werden können." 18

Die Regierung des größten Bundesstaates hatte ein Gesetz vorgelegt, das als End- und zugleich wichtiger Ausgangspunkt der bisherigen deutschen Wohnungspolitik zu bewerten war. Die weitestgehende staatliche Abstinenz im Wohnungswesen schien durch das Gesetzeswerk einerseits aufgehoben worden zu sein, und bisherige, raumordnensehe Gesetze wurden einer BündeJung und Novellierung unterzogen. Andererseits bedeute es einen symbolischen Neubeginn, sollte vom politischen Willen zeugen, die im Frühjahr 1918 nicht mehr zu leugnenden Wohnungsprobleme in zahlreichen Städten und Regionen als staatliche Verantwortung wahrzunehmen und lösen zu wollen. Ebenda. Ebenda. Vgl. auch Preller, S. 68 f. 18 GstaB, HA I Rep. 89, BI. 100: Schreiben des Staatsministeriums an Wilhelm II. vom 24. März 1918. 16

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III. Wohnen nach dem Krieg

Es war, wie im Schreiben vom März 1918 angedeutet, ein langer Weg, den die Regierungen des flächen- und bevölkerungsstärksten deutschen Bundesstaates seit Ende des 19. Jahrhunderts zurückgelegt hatten. Der "lange Marsch durch die Institutionen" (Niethammer) hatte nach dem Enteignungsgesetz vom Juni 1874 und dem Fluchtliniengesetz vom Juli 1875 seinen ersten Höhepunkt 1891, als die preußische Ministerialbürokratie mit der Verabschiedung von Landgemeindeordnung und Rentengutgesetz politische Eingriffe in das Wohnungswesen vornahm. Bis zur Verabschiedung des Wohnungsgesetzes im März 1918 zählte Otto Stölzel, Geheimer Regierungsrat und vortragender Rat im preußischen Innenministerium, insgesamt 17 Gesetze, Verordnungen und Ministerialerlasse, darunter Enteignungs-, Ansiedlungs- und "Verunstaltungsgesetze", welche als Wohnungsgesetzgebung des preußischen Staates zu werten waren. 19 Dorothea Berger-Thimme unterteilte die "Entstehungsgeschichte" des Gesetzes in drei Phasen: Die erste umfaßte den Zeitraum der Jahre unmittelbar vor der Veröffentlichung des ersten Entwurfs zwischen 1897 und 1904. Eine zweite Etappe reichte von der Veröffentlichung des zweiten Entwurfs 1913 bis zu dessen zweiter Lesung im Abgeordnetenhaus im Juni 1915. Als dritte Phase kennzeichnete Berger-Thimme den Zeitraum von der Neuvorlage des Entwurfs im Herbst 1916 bis zur Verabschiedung des Wohnungsgesetzes im März 1918.20 Der 1904 vorgelegte Entwurf versammelten bereits wesentliche raumordnensehe und wohnungsaufsehensehe Bestimmungen, die sich im endgültigen Gesetz von 1918 wiederfinden sollten, wie die Neuregelung des Fluchtliniengesetzes und die Einführung von Institutionen der baupolizeichiich und hygienisch begründeten Wohnungsaufsicht Doch schlug dem Entwurf vor allem von Seiten der Gemeinden und der Haus- und Grundbesitzern heftige Kritik entgegen, die sich gegen eine stärkere polizeiliche, d. h. staatliche Einmischung im Wohnungswesen richtete. Allgemein wurde dem Gesetzentwurf eine "Kommune- und Hausbesitzerfeindlichkeit" zugeschrieben. Wohnungsreformer begrüßten zwar die Initiative der preußischen Regierung, aber der Entwurf zielte ihrer Meinung nach kaum auf die Verbesserung der Wohnverhältnisse. Letztendlich wurde dieser erste Entwurf dem Landtag zur Beratung gar nicht vorgelegt, sondern in eine Kommission verwiesen. Diese legte Anfang 1913 eine überarbeitete Fassung vor. 21 Der neue, zweite Gesetzentwurf nahm diese Kritik nicht auf und setzte auf die Zusammenführung der Interessen der Gemeinden, der Haus- und Grundbesitzer und des Staates. Baupolizeiliche Einschränkungen der Geländeauflassung sollten in Abstimmung mit den Gemeindebehörden erfolgen. Auf die Mindestanforderungen für die Ausstattung und Größe der Wohnungen, welche die Haus- und Grundbesitzer als undurchführbar kritisierten, wurde gänzlich verzichtet. Die Wohnungs19 Vgl. Stölzel, Otto, Die Wohnungsgesetzgebung für Preußen. Das Wohnungsgesetz mit Ausführungsbestimmungen und ergänzenden Gesetzen, Berlin 1918. 20 Vgl. Berger-Thimme, S. 220. 21 Vgl. ebenda, S. 222-233.

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refonner nahmen aber den neuen Entwurf trotz seiner "noch größeren Unzulänglichkeiten" (Berger-Thimme) resigniert hin, um dessen Vorlage zur Beratung im Parlament nicht zu gefährden. 22 Die Zeitschrift für Wohnungswesen kommentierte die erste Lesung des Entwurfs im preußischen Abgeordnetenhaus im Januar 1914 zurückhaltend. Neben den wie bei der ersten Lesung von Gesetzen üblichen Äußerungen der "allgemeinen Stimmung der Parteien", käme in diesem Fall hinzu, daß die Parteien "sich auf Einzelheiten nach keiner Richtung festlegen wollten". Als Ergebnis der ersten Stimmungsmessung im Abgeordnetenhaus hielt die Zeitschrift trotzdem fest, "daß sich die Parteien einer wohnungsgesetzlichen Regelung an sich freundlich gegenüber gestellt und auch den vorliegenden Gesetzentwurf im Prinzip gebilligt haben".Z3

Im Juli 1914 wurde der überarbeitete Entwurf im Reichstag vorgelegt, doch der Kriegsausbruch verzögerte seine zweite Beratung, die im Juni 1915 stattfinden sollte. Bis 1918 verblieb der Gesetzentwurf in der Kommission?4 Das politische Taktieren zwischen der preußischer Staatsregierung, den Gemeinden, den Haus- und Grundbesitzern und dem Parlament im Schlepptau der ersten drei bestimmte die Initiative zur Schaffung eines Wohnungsgesetzes. Die Stoßrichtungen waren vor allem die Aufrechterhaltung tradierter ökonomischer und rechtlicher Zustände im Wohnungswesen, keine bzw. nur schwache Einschränkung kommunaler und privatwirtschaftlicher Rechte im Wohnungs- und Städtebau und die Fernhaltung von "zu viel" reichsstaatlicher Einflußnahme. Hierbei überschnitten sich die Interessen von Gemeinden, Bauwirtschaft und Bundesstaat. Bei Anerkennung all der Schein- und Phrasenhaftigkeit sowie Interesselosigkeit, die Wohnungsfrage ernsthaft, auf der Grundlage wohnungsreformerischer Planungen anzugehen, bleibt auch bei der Langwierigkeit des Institutionalisierungsprozesses bemerkenswert, daß der Staat den Problemlösungsdruck anerkannte, ihn aber vorerst an die zuständigen Stellen, an die Gemeinden und die private Bauwirtschaft weiterzugeben drängte. Die Beweggrunde waren der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen und politischen Status Quo geschuldet. Doch war die Wohnungsfrage 1914 nicht mehr nur irgendein Problem, sondern sie war von "größter Bedeutung" für die "körperliche und ... sittliche Gesundheit" besonders des "heranwachsenden Geschlechts", wie Sydow schon im Januar 1914 meinte. Das war politische Rhetorik am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Es war aber auch die Ankündigung erweiterter, bundesstaatVgl. ebenda, S. 233-235. ZeitschriftfürWohnungswesen 1913114,5.145. 24 Vgl. Berger-Thimme, S. 236-242. Das Verschwinden des Wohnungsgesetzentwurfs in der "Versenkung" beklagte das Westfälisches Wohnungsblatt. Die Zeitschrift konstatierte aber das Interesse an dem Gesetz bei allen politischen Parteien und versprach sich durch den Krieg, der die Verzögerung bei der Verabschiedung bewirkt hätte, "mancherlei neue Lehren und Erfahrungen", die nun eingearbeitet werden könnten. Westfälisches Wohnungsblatt, 1915, S. 121 f. 22 23

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lieber Verantwortung im Wohnungswesen, die von hygienischen, gesundheitlichen und demographischen Prämissen bestimmt wurde, die in den Jahren des Krieges weiter an Bedeutung gewannen. Sydows Ausführungen vor dem preußischen Abgeordnetenhaus waren eine komplexe Steilvorlage für Reform und Politik: "Wie soll ein gesunder Nachwuchs sich entwickeln, wenn die Menschen leben, zusammengepfercht in engen Räumen, mit wenig Licht und ohne Sonne. Wie soll sich ein Familienleben entwickeln, wenn die Menschen so zusammengedrängt leben, daß die Erwachsenen lieber ins Wirtshaus gehen; und ohne ein gesundes Familienleben würde eine der ersten Grundlagen des Staatswohls fallen. Vergessen Sie auch nicht, daß die Schaffung gesunder Wohnungsverhältnisse auf dem Lande und in kleineren Ortschaften dazu beiträgt, die seßhafte Bevölkerung zu vermehren und damit die Zahl der Menschen zu erhöhen, die auch in einem persönlichen Interesse an die Gemeinde geknüpft sind. Die Wohnungsfrage ist eine Kulturfrage ersten Ranges. " 25

Am 1. Dezember 1916 gelangte der Entwurf des preußischen Wohnungsgesetzes zur abermaligen Veröffentlichung. Einzige Veränderung war die Zusage über die Bereitstellung von 20 Millionen Mark zur Förderung von gemeinnützigen Bauvereinigungen. Die Soziale Praxis meldete, daß die Vorlage des Gesetzentwurfs im preußischen Abgeordnetenhaus im April 1917 fast einstimmig angenommen worden war und gab der Hoffnung Ausdruck, nun einen "Schritt vorwärts in der Wohnungsfrage" getan zu haben. 26 Doch kurz darauf trat bei den Wohnungsreformern erneut Ernüchterung ein. Von "Verschleppung" und "zerschlagenen Hoffnungen" war in der Sozialen Praxis die Rede. Der Entwurf war im Mai 1917 an die zweite preußische Kammer weitergegeben worden. Dort hätten die Vertreter der Städte, die in der Erweiterung der "Polizeibefugnisse" eine Beschränkung ihrer Selbstverwaltung sahen, einen "starker Widerstand" ausgeübt. Insgesamt waren 28 Änderungsanträge formuliert worden, die es wegen ihrer "weitgreifenden Bedeutung" unmöglich erscheinen ließen, sie in kurzer Zeit zu bearbeiten, so daß das Wohnungsgesetz einer schnellen Verabschiedung nicht unterzogen werden könne. 27 Die abschließende Fassung des preußischen Wohnungsgesetzes trat schließlich am 1. April 1918 in Kraft. In zwei Abschnitten regelte das Gesetz die Straßen- und Bauverhältnisse sowie die Wohnungsbenutzung und -aufsieht. Außerdem stellte es, wie bereits erwähnt, erstmals finanzielle Mittel für den Wohnungsbau nicht nur für Staatsbedienstete in Aussicht. Sich auf diese drei Pfeiler stützend, ergänzt durch ein Bürgschaftssicherungsgesetz und ältere Ansiedlungsgesetze, war das preußische Wohnungsgesetz erlassen worden, um folgende "Mißstände" des Wohnungswesens, wie sie Stölzel in seinem Kommentar zusammenfaßte, zu beheben. Erstens sollte das Bevölkerungswachstum in den "industriell besonders entwickelten Landesteilen" gefördert werden. Zweitens sollten die Lebens- und Wohnbedingungen Zitiert nach: Zeitschrift für Wohnungswesen 1913/14, S. 146. Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 26. Jg., 1916/17, Sp. 641 - 644. 27 Ebenda, Sp. 688. Vgl. auch Berger-Thimme, S. 248 f. Zum zeitlichen Ablauf der Beratungen im preußischen Abgeordnetenhaus vgl. Stölzel, S. VII f. 25

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"vornehmlich der Arbeiterkreise" verbessert werden. Deren Wohnverhältnisse waren "aufs äußerste beschränkt", getrennte Haushaltungen fehlten, so daß die "Forderungen des Familienlebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit" in Frage gestellt waren. Drittens sollte die Untervermietung in den ohnehin unzureichenden Wohnungen eingedämmt und überwacht werden, die "meist dichtgedrängt in licht- und luftarmen Häusern mit vier und mehr Stockwerken, mit Hintergebäuden und Seitenflügeln" vorzufinden war. Viertens sollten die hohen Boden- und Häuserpreise und fünftens der allgemeine Mangel an kleinen Wohnungen bekämpft werden?8 Neben den bereits genannten Bestimmungen und finanziellen Aufwendungen regelte das Wohnungsgesetz das Fluchtliniengesetz von 1875 neu und bestimmte Rahmenvorschriften für lokale Bauordnungen, die baupolizeiliche Maßnahmen im Städtebau verankerten. Es bestimmte Planungs- und Enteignungsrechte der Gemeinden und legte das zukünftige Bauen unter Berücksichtigung des Flachbaus und der Anlage von innerstädtischen Grünflächen fest. Des weiteren wurde den Gemeinden die polizeiliche Aufsicht über den Wohnungsbestand unterstellt. Gemeinden ab 10.000 Einwohnern wurden verpflichtet sogenannte Polizeiverordnungen bzw. Wohnungsverordnungen zu erlassen, welche die Benutzung der Wohnungen regeln sollten. Kleineren Gemeinden war die Einführung solcher Bestimmungen freigestellt. Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern mußten zudem Wohnungsämter einrichten, welche die Wohnungsordnungen durchsetzen und bei der "Beaufsichtigung und Verbesserung des Wohnungswesens" unterstützend eingreifen sollten?9 Die zeitgenössische Bedeutung des Wohnungsgesetzes wertete Stölzel im Vergleich zur Kritik Niethammers, der von einem "hektischen Ausgreifen des Maßnahmestaats" und einer "Ausgeburt der königlich-preußischen Gesetzesmaschinerie" spriche0 , zurückhaltender. Stölzel, als Beamter und juristischer Kommentator des Gesetzestextes Preußen loyal ergeben, verschwieg nicht die Lücken des neuen Gesetzes. Die finanzielle Unterstützung, die der preußische Staat für das Wohnungswesen zur Verfügung zu stellen gewillt war, sei zwar klein. Auch erfüllte das Wohnungsgesetz "sachlich und sprachlich nicht alle Wünsche". Es fehlten Paragraphen, welche imstande waren, "die gegenwärtig zur Abwehr einer Kleinwohnungsnot dringend erforderlichen Baustoffe, Arbeitskräfte und Baugelder" zu besorgen. Doch, so beendet Stölzel seine Einführung zur preußischen Wohnungsgesetzgebung, "bringt es eine Reihe von Besserungen, von denen zu erwarten ist, daß sie bei dem Wiederaufleben des Bau- und Wohnungsmarktes nach hoffentlich baldiger siegreicher Beendigung des Kriegs von Segen sein werden. " 31 Stölzel, S. VIII f. Stölzel, S. IX f. ; vgl. Niethammer, Ein langer Marsch durch die Institutionen, S. 363 f.; Berger-Thimme, S. 220-252; Kreinz, Susanne, Wohnungsversorgung als kommunale Aufgabe. Zur gesamtgesellschaftlichen Einbindung der Wohnungspolitik Frankforts in den 20er Jahren, Frankfurt a.M. 1991, S. 56-59. 30 Niethammer, Ein langer Marsch durch die Institutionen, S. 363. 28

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Eine Zuversicht, die politisch Verantwortlichen wie auch Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformern bis zum Ende des Kriegs nicht abhanden gekommen war. Letztere beurteilten das Wohnungsgesetz, wie die Äußerungen in der Zeitschrift für Wohnungswesen, dem Westfälischen Wohnungsblatt und der Sozialen Praxis zeigten, kritisch und zurückhaltend, begrüßten es aber als ein Ergebnis ihrer jahrzehntelangen Agitations- und Reformarbeit Den Bodenreformern war das eine Gesetz jedoch nicht ausreichend. Es war einerseits kein Reichsgesetz und andererseits kein Siedlungs- bzw. "Heimstättengesetz", welches ein neues, gemeinschaftliches und "natürliches" Wohnen in den Städten und auf dem Land begründete. Nur das im Wohnungsgesetz integrierte Enteignungsrecht hielt man im April 1918 für dessen "bedeutsamste(n) Fortschritt". 32 Die Agitation Damaschkes und seiner Bodenreformer war vorerst verpufft, was bei der negativen Reaktion der Reichsregierung auf die "Kriegerheimstätten" nicht verwunderte. Das preußische Wohnungs- sowie das Bürgschaftssicherungsgesetz hatten ihr Programm im Kanon wohnungspolitisch zu lösender Aufgaben vorerst nach hinten treten lassen. Trotz der Kritik an einer disziplinatorischen Ausrichtung bisheriger wohnungsgesetzlicher Maßnahmen 33 bleibt der Umstand anzuerkennen, daß bei all der Stückhaftigkeit der Staat sich letztlich durchsetze, Rahmen vorgab und die Ideen der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform Einzug in die Politik hielten. Letztere forderten die staatliche Verantwortung in der Wohnungspolitik, da die Wohnungsfrage ein die Wirksamkeit kommunaler und regionaler Zuständigkeiten übersteigendes Problem sei. Die Entwicklungen im Krieg hatten die Reformer in ihrer Auffassung weiter bestärkt. Das Wohnungsgesetz war Ausdruck bundesstaatlicher Verantwortung. Aber auch der Zentralstaat erkannte seine Verantwortung an, wie das Schreiben des Reichskanzlers an sämtliche Bundesstaaten vom Juni 1918 zeigte. Ihm war im März des Jahres ein Rundschreiben des Reichskanzlers vorausgegangen, in dem das Reich seine Beteiligung an der während der "Übergangszeit nach dem Kriege durchzuführenden Wohnungsfürsorge" angekündigt hatte. Darin schloß sich die Reichsleitung der "verbreiteten" Ansicht an, daß nach dem Krieg "Mißstände im Kleinwohnungswesen" zu erwarten seien. Den Regierungen der Bundesstaaten wurde eine Reihe von Maßnahmen zu deren Bekämpfung vorgeschlagen. Als erstes sollten leerstehende Läden, Lager, "unter Umständen" auch Dach- und Kellerwohnungen als Unterkunftsmöglichkeiten in Anspruch genommen, Großwohnungen geteilt und "Hilfsbauten als die geeignetste Abwehrmaßnahme für den ersten Notstand" errichtet werden. Hierfür sollten vorwiegend Grundstücke in der Nähe von Großstädten bzw. an Bahnhöfen in Anspruch genommen werden, wobei auf nicht baureifem Gelände, Gärten und Stallungen angelegt werden könnten. Es sei 31 32 33

Stölzel, S. XII. Bodenreform 1918, S. 107; vgl. Jahrbuch der Bodenreform 1918, S. 113 - 128. Vgl. Niethammer; Ein langer Marsch durch die Institutionen.

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möglich, solche Baracken sofort nach dem Kriege dort in Angriff zu nehmen, wo eine Wohnungsnot erwartet würde. 34 Die Reaktion der Bundesstaaten auf die eher hilflosen Vorschläge war zurückhaltend. Die überwiegende Zahl, soweit sie die drohende Wohnungsnot anerkannte, lehnte den Vorschlag, Baracken und Behelfsbauten zu errichten, ab. Während die preußischen Ministerien für Landwirtschaft und öffentliche Arbeiten die Errichtung von Holzbaracken für durchführbar hielten und Bauholz hierfür zur Verfügung stellen wollten, bevorzugten es die Königreiche Bayern und Sachsen sowie die Großherzogtümer Baden, Hessen und Oldenburg Maßnahmen einzuleiten, die eine Ankurbelung der zivilen Bauwirtschaft zum Ziel hatten. Der Bau von provisorischen "Hilfsbaracken" aus Holz, so diese Bundesstaaten, sei im Moment ebenso teuer und perspektivisch teurer wie die Errichtung fester Dauerbauten, die vielmehr gefördert werden sollten. Der "Notbehelf' verursache hohe Kosten und habe nur eine begrenzte Lebensdauer und sei, wie man in Bayern meinte, nur zur Abwendung von Obdachlosigkeit in Betracht zu ziehen. Aus München kamen auch berechtigte Zweifel über Anstrengungen, die neben den Barackenbauten die Siedlungstätigkeit der Großstadtbevölkerung betrafen. Nicht jede Familie, schon gar nicht jede obdachlose Familie oder Frau, "eigne" sich, wenn auch nur vorübergehend, zur Ansiedlung auf dem Land. Die "freiwillige Mitarbeit der anzusiedelnden Großstadtbevölkerung" sei Voraussetzung, ansonsten würde die gesamte Angelegenheit eine "höchst unwirtschaftliche Ausgabe". Aber, so teilte man der Reichsleitung mit, "[e]in Mißerfolg auf diesem Gebiete würde zu den schwersten Rückschlägen in der Wohnungsreform und zu berechtigten Erbitterungen der zurückkehrenden Krieger und ihrer kaum notdürftig unterzubringenden Familien führen. Es wäre auch bedauerlich, wenn in den betreffenden Bevölkerungskreisen Unsicherheit, ja Beunruhigung dadurch entstehen würde, daß einerseits für Wohnbaracken von Reichsseite eingetreten wird, während andererseits die Förderung des dauerhaften Wohnhausbaus in Stadt und Land mit Nachdruck in Aussicht gestellt wird. Wohnbaracken dürften nur für den äußersten Fall größter Wohnungsnot in Aussicht zu nehmen sein .... Jedenfalls könnten unnütze Geldopfer weit eher dadurch die Anlage einer von der Bevölkerung nicht gewünschten Barackensiedlung entstehen, als die durch die von den Sachverständigen aus dem ganzen Reich einstimmig anerkannte Verpflichtung des Reiches, zum verlorenen Mehraufwand bei neu zu errichtenden Dauerbauten möglichst vorbehaltlos beizutragen. ,.Js 34 BarchB, R 3901/11018, BI. 1- 3: Schreiben des Reichskanzlers an sämtliche Bundesregierungen vom 18. März 1918. 35 Ebenda, BI. 13 I 14: Schreiben des Königlichen Bayerischen Staatsministeriums des Königlichen Hauses und des Äußeren an das Reichswirtschaftsamt vom 28. September 1918. Vgl. weiter zur Haltung der Bundesstaaten ebenda: BI. 9: Schreiben des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten an den Reichskanzler vom 5. April 1918 betr. die Barackensiedlungen; BI. 10: Schreiben des Ministers für öffentliche Arbeiten an sämtliche königlichen Regierungen vom 9. März 1918; BI. 15: Schreiben des Königlich-Sächsischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten an das Reichswirtschaftsamt vom 8. August 1918; BI. 17118: Schreiben des Großherzoglich Badischen Ministeriums des Innem an das Ministerium des Großen Hauses, der Justiz und des Auswärtigen vom 24. April 1918;

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Im Juni 1918 wurde das Angebot der Reichsregierung konkreter und die Meinungen der Bundesstaaten fanden Eingang in die eigenen wohnungspolitischen Maßnahmen. In seinem jetzigen Rundschreiben verwies der Reichskanzler einleitend auf "die drohenden Gefahren im städtischen Wohnungswesen während der Übergangszeit nach dem Kriege", wie er dies bereits im Vorjahr und im März kund getan hatte. Vor allem der "Baukostenüberteuerung" zukünftiger Wohnungsbauvorhaben müßte nun, obwohl die Bundesstaaten bereits Maßnahmen zur Finanzierung ergriffen hatten, zusätzliche Aufmerksamkeit geschenkt werden. "Um hier wirksam einzugreifen", fuhr Reichskanzler Hertling fort, würde es des "Zusammenwirkens" von Reich, Bundesstaaten und Gemeinden bedürfen. Hertling versicherte weiter: "Die Reichsleitung ist willens, den Gerneinden und Einzelstaaten bei der Lösung dieser Aufgabe nicht nur organisatorische Beihilfen zuteil werden zu lassen, sondern auch finanzielle Unterstützung. Diese finanzielle Hilfeleistung des Reichs muß jedoch an eine bestimmte Bedingung geknüpft werden, nämlich die, daß die Bundesstaaten und Gerneinden ihrerseits je mindestens die gleichen Opfer bringen." 36 Der Reichskanzler ließ einerseits keinen Zweifel daran, daß die Gemeinden und Bundesstaaten für die Fragen des Wohnungswesens zuständig seien. Andererseits betonte Hertling die Einzigartigkeit der Unterstützung durch das Reich und den Unterstützungscharakter einer derartigen Maßnahme für die Bauwirtschaft Nur "mit Rücksicht auf den Krieg" erklärte sich das Reich "ausnahmsweise" bereit, an der "Hilfeleistung" teilzunehmen. Deshalb sollten Bundesstaaten und Gemeinden 2/ 3 der notwendigen Bauzuschüsse von geschätzt 600 bis 900 Millionen Mark, d. h. für 400.000 bis 450.000 zu bauende Kleinwohnungen einen Zuschuß von 1.500 bis 2.000 Mark/Wohnung, tragen. Das Reich würde, auf Grund der "Leistungsschwäche" der Gemeinden und Bundesstaaten davon 200 bis 300 Millionen Mark zur BI. 20: Schreiben des Kriegsministeriums an den Reichskanzler vorn 25. Mai 1918 betr. Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungsnot; BI. 23: Schreiben des Großherzoglich Hessischen Staatsministeriums an den Reichskanzler vorn 18. September 1918; BI. 26: Schreiben des Großherzoglich Oldenburgischen Ministerium des Innem an den Reichskanzler vorn 13. September 1918; BI. 27: Schreiben des Herzoglich Braunschweig-Lüneburgischen Staatsministeriums an den Reichskanzler vorn 9. August 1918; BI. 34: Schreiben des Herzoglich Sächsischen Staatsministeriurn, Gotha an den Reichskanzler vorn 6. Juni 1918. Nur in Anhalt fand die Errichtung der Baracken Anklang. Das dortige Staatsministerium befürwortete den Bau von Wohnbaracken mit einer Standzeit von zehn Jahren. Vgl. BI. 35/36: Schreiben das Herzoglich Anhattinischen Staatsministeriums an den Reichskanzler vorn 12. August 1918. In Mecklenburg-Schwerin waren bereits Dachgeschosse, Seiten- und Hinterhäuser, die bisher nicht zu Wohnzwecken genutzt wurden, freigegeben worden. In der Stadt Schwerin wurden diese durch die Hausbesitzer mit Mitteln der Stadt hergerichtet. Vgl. BI. 24: Schreiben des Großherzoglich Mecklenburgischen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an den Reichskanzler vorn 9. September 1918 36 Ebenda, BI. 52: Entwurf des Schreibens des Reichskanzlers an sämtliche Bundesregierungen vorn 11. Juni 1918. Im Juli 1918 folgte dem Schreiben eine Erinnerung, da bis dahin keine Erwiderung aus den Bundesstaaten beim Reichskanzler eingegangen war. Vgl. Bundesarchiv Berlin, R 3901111017, BI. 25: Schreiben des Reichskanzlers an "die beteiligten Landesregierungen" vorn 24. Juli 1918

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Verfügung stellen. Zwei Varianten der Bezuschussung könnten dabei herangezogen werden. Zum einen sei die Gewährung von billigen Krediten möglich. Die Möglichkeit von nicht rückzahlbaren, zinslosen Bauzuschüsse wurden zum anderen vorgeschlagen. In beiden Fällen sollten die "Hilfeleistungen" jedoch auf den Bau von Wohnungen beschränkt bleiben, die außer einer Küche nicht mehr als drei Wohn- oder Schlafzimmer hatten. Des Weiteren sollten für Wohnungen, die mit öffentlicher Unterstützung entstehen würden, Höchstmieten festgelegt oder die Verpflichtung zur "Einmietung kinderreicher Familien" bestimmt werden. Als Träger dieses Wohnungsbaus sah das Reich vorrangig die Kommunen und Gemeindeverbände, die "in den Stadtbauämtern und ... Landratsämtern und den entsprechenden Verwaltungsbehörden geeignete Stellen (haben), welche die geforderten Voraussetzungen prüfen und feststellen können. ,m

Wieder wardie Reaktion auf die zur Deckung des "verlorenen Bauaufwandes" von der Reichsleitung vorgeschlagenen Maßnahmen in den Bundesstaaten verhalten. Allgemein wurde die Wichtigkeit von Anstalten zur Behebung einer drohenden Wohnungsnot zwar anerkannt. Doch meldete man, wie bspw. aus Bayern verlautete, "in Einzelheiten in mehrfacher Hinsicht ernste Bedenken" an? 8 Vor allem die Verteilung der finanziellen Lasten beanstandete das bayerischen Ministerium des lnnern. Das Reich sollte anstelle von 1/ 3 der insgesamt einer Milliarde Mark, die Hälfte des geschätzten Gesamtaufwandes, und ginge es nach dem "Gebot der Billigkeit" gar 3/ 5 tragen? 9 Das sächsische Innenministerium schloß sich dieser Einschätzung an, betonte aber, daß nur das Reich und die Gemeinden, nicht aber die Bundesstaaten, sich die Kosten zu teilen hätten. Letztere sollten, wenn nötig und von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden, mit den Gemeinden als den zuständigen "Behebern" der Wohnungsnot über eine mögliche Teilung der Lasten verhandeln. 40 Einig waren sich hingegen die Bundesstaaten mit dem Reich, daß die Zuständigkeiten im Wohnungswesen weiterhin bei den Bundesstaaten und den Gemeinden im besonderen verbleiben sollten. Die finanzielle Hilfe des Reiches sollte nicht für die Behebung der Wohnungsnot im "landläufigen Sinn", sondern nur zur "Behebung der besonderen Kriegsnot" erfolgen. Diese bestünde im wesentlichen in der Verteuerung des Wohnungsbaus, für den eine Reichsunterstützung willkommen sei. Für eine Förderung des Wohnungswesens generell, so das bayerische Innenmi37 BarchB, R 3901111018, BI. 52: Entwurf des Schreibens des Reichskanzlers an sämtliche Bundesregierungen vom 11. Juni 1918. 38 Ebenda, BI. 59: Abschrift des Schreibens des bayerischen Staatsministerium des Innem an das bayerische Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußeren, betr. die Dekkung des sog. verlorenen Bauaufwandes (Baukostenüberteuerung) vom 7. September 1918. 39 Vgl. ebenda. 40 Vgl. ebenda, BI. 61: Schreiben des sächsischen Ministeriums des Innem an das sächsische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zur Erwiderung auf das Schreiben des Reichswirtschaftsamtes vom 29. August 1918.

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nisterium selbstbewußt, hätten die Bundesstaaten "bisher keine finanzielle Hilfe des Reiches verlangt und verlangen auch keine."41 Um diese Position zu stärken und um weitere, zu klärende "Einzelheiten" aufzulisten, verfaßte das bayerische Innenministerium eigenen "Leitsätzen", die es im Anschluß an sein Schreiben den anderen beteiligten bayerischen Ministerien und der Reichsleitung unterbreitete. Hierzu gehörten auch, und diese Meinung vertrat auch der Innenminister in Dresden, daß eine ausschließliche Förderung, die auf "Kleinwohnungen" beschränkt sei, fallen gelassen werden müßte. Sowohl kinderreiche Familien würden dann von größeren, neu zubauenden Wohnungen profitieren wie auch der Mittelstand, der gleichfalls unter der Wohnungsnot leiden würde. 42 "Hilfeleistung" und "Übergangszeit" waren die beiden leitenden Begriffe, wenn die Absichten der wohnungspolitischen Reichsstaatlichkeit im Sommer und Herbst 1918 artikuliert wurden. Die Bundesstaaten und Gemeinden wollten und sollten ihre wohnungspolitischen Zuständigkeiten nicht abgeben, erwarteten aber die Hilfe des Reichs. Es war zum Gutteil kriegswichtige Motivationsrhetorik, aber auch ein Zeichen von Verantwortung, die sozial und ökonomisch veränderten Bedingungen anzuerkennen und sozialstaatlich einzugreifen, um, wenn die Umstände es erlaubten, auf den traditionellen Pfad wohnungswirtschaftlichen Wirkens zuriickkehren zu können. Eingeführte gesundheitlich-hygienische Grundsätze sollten zwar beibehalten werden. Aber die Grundlagen für eine umfassende Wohnungspolitik als Teil der Sozialpolitik waren diese Maßnahmen ebenso wenig wie die Mieterschutzgesetze. Die rechtlichen und finanziellen Maßnahmen der Bundesstaaten und des Reiches wurden von weiteren Maßnahmen begleitet, wie sie die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform wiederholt gefordert hatte. Dazu gehörten der Aufbau von beratenden Kommissionen und einer zentralen Stelle, die für die Koordination sämtlicher Maßnahmen im Wohnungs- und Siedlungswesen verantwortlich zeichnen sollte. Diese begleiteten den wohnungspolitischen Prozeß und werden im folgenden dargestellt. 41 Ebenda, BI. 59: Schreiben des bayerischen Staatsministerium des Innern an das bayerische Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußeren vom 7. September 1918. 42 Vgl. ebenda, BI. 98: Leitsätze für die Regelung der Frage der Deckung des verlorenen Bauaufwandes; vgl. auch ebenda, BI. 61 : Schreiben des sächsischen Ministeriums des Innern an das sächsische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten vom 29. August 1918; BI. 62: Schreiben des Königlich Württembergischen Ministeriums des Innern an das Königliche Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zur Weiterleitung an den Reichskanzler vom 23. September 1918 betr. Rundschreiben vom 11. Juni 1918; BI. 65: Schreiben des Großherzoglich Badischen Ministerium des Innern, Karlsruhe an das Reichswirtschaftsamt vom 21. August 1918 betr. Rundschreien vom 11. Juni 1918. U.a. wurden in Preußen Anstrengungen zur Gründung einer sogenannten Wohnungsfürsorgegesellschaft eingeleitet, zu der sich im Juni 1918 Vertreter der zuständigen Ministerien und des Staats- und Reichskommissars für das Wohnungswesen trafen. Zur Durchführung von Maßnahmen gegen die Wohnungsnot sollten sich die Gemeinden in "Wohnungsfürsorgeverbänden" zusammenschließen. V gl. GstaB, Rep. 151 I C, Nr. 12339, BI. 345-351: Niederschrift über eine Besprechung betr. Gründung einer zentralen Wohnungsfürsorgegesellschaft am 22. Juni 1918.

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b) Der Beirat für Städtebau und städtisches Wohn- und Siedlungswesen

Einer der ersten beratenden Ausschüsse, der sich an zentraler Stelle mit der Wohnungsfrage, dem Städtebau und Siedlungswesen befassen sollte, wurde mit dem Beirat für Städtebau und städtisches Wohn- und Siedlungswesen im Herbst 1917 in Preußen ins Leben gerufen. Ausgehend von einer Initiative des Ministerium der öffentlichen Arbeiten und des Innenministeriums war im Oktober 1917 an sämtliche Regierungspräsidenten ein Schreiben ergangen, das die "drohende Wohnungsnot" zum Gegenstand hatte. Die Minister Breitenbach und Drews machten auf die Probleme eines bevorstehenden Wohnungsmangels aufmerksam und appellierten an die Gemeinden, "Abwehrmaßnahmen" einzuleiten. Richtlinien, die von Seiten der preußischen Staatsregierung aufgestellt werden würden, könnten nur in allgemeiner Form gefaßt werden und würden sich im wesentlichen auf folgende Gesichtspunkte beschränken. Zuvorderst sollten die Gemeinden feststellen, mit welchem "Raumbedürfnis" bei ihnen nach dem Krieg zu rechnen sei, um die "aus dem Felde Heimkehrenden" aufnehmen zu können. Die Gemeinden wurden aufgefordert, u. a. Statistiken über leerstehende Wohnungen, die Anzahl der sich im Feld befindlichen Haushaltsvorstände, über die Aufrechterhaltung von Haushalten von Kriegsteilnehmern während des Krieges und die Anzahl der Kriegstrauungen aufzustellen. Ohne empirische Erhebung stand für die preußische Regierung nur der Sachverhalt fest, daß die "vorhandenen Leerwohnungen" den Bedarf an Wohnungen nicht decken könnten. Deshalb wurden sechs Maßnahmenkomplexe aufgelistet, deren Anwendung den Gemeinden nach Ermittlung des Wohnungsbedarfs vorerst Abhilfe versprach. Neben der Zerlegung größerer Wohnungen in kleinere und der voriibergehenden Nutzung von "sonst unzulässigen" Dach- und Kellerwohnungen wurde die Einrichtung von öffentlichen Gebäuden und Schulen zur Aufnahme von Familien, die von Turnhallen und Lagerräumen für Ledige, und das Aufstellen von Baracken empfohlen. Zudem sollten die Gemeinden so schnell wie möglich umfassende Vorsorge für notwendige Baustoffe tragen, gleichzeitig Bebauungspläne erstellen und nicht zuletzt Wohnungsnachweise mit einem Anund Abmeldezwang einführen. Abschließend stellten die Minister in ihrer Verfügung fest: "Es darf erwartet werden, daß die Gemeinden sich dieser Aufgabe mit besonderem Eifer und besonderer Gewissenhaftigkeit unterziehen werden, da es sich neben dem allgemeinen und sozialen vornehmlich auch um ein kommunales Interesse handelt. " 4 3

43 LarchB, Rep. 48-05/3, Gemeindeverwaltung Weißensee, Nr. 54, ohne Bl.-Nr.: Schreiben des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten und des preußischen Ministers des Innem an sämtliche Regierungspräsidenten vom 6. Oktober 1917; vgl. Reichsarbeitsblatt, Fünfzehnter Jahrgang 1917, S. 994 f.; Bessel, Richard, Germany after the war, Oxford 1993, S. 172 f.

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Dieses "kommunale Interesse" zu unterstützen, und neben den Notmaßnahmen erste theoretisch-planensehe Aufgaben zur Förderung des Wohnungsbaus unmittelbar nach dem Krieg einzuleiten, wurde wenige Tage später im Sitzungssaal des Potsdamer Hauptbahnhofes der Beirat für Städtebau und städtisches Wohn- und Siedlungswesen gegründet. Anwesend waren neben den Vertretern der beiden federführenden Ministerien der öffentlichen Arbeiten und des Innern, Abordnungen des Ministeriums für Handel und Gewerbe, des Finanz-, Landwirtschafts- und Kriegsministeriums auch zwei Repräsentanten des Reichsinnenministeriums. Zu diesen 20 Ministerialen waren mehr als 30 Deputierte von zahlreichen Städte- und Gemeindeverbänden, des preußischen Städtetages, von Bau- und Siedlungsgesellschaften, Architektenvereinigungen und verschiedenen Wohnungs- und Siedlungsreformvereinen anwesend. Letztere waren Althoff vom Westfälischen Verein für Kleinwohnungswesen aus Münster, Behrendt vom Deutschen Verein Arbeiterheim in Bethel, vom Groß-Berliner Verein für Kleinwohnungswesen Dernburg, der Statistiker und Autor wohnungs- und sozialreformerischer Schriften Eberstadt aus Berlin, aus Düsseldorf vom Rheinischen Verein für Kleinwohnungswesen Baltzer und vom Deutschen Verein für Wohnungsreform von Mangoldt. Vom Bund Deutscher Bodenreformer war kein Vertreter anwesend.44 Dieser Beirat sollte als beratendes Gremium den zuständigen Ministerien, und über sie den Gemeinden, zum einen in Fragen der Bebauungspläne und der Bauordnungen "Anregungen" geben und "Verbesserungen" vorschlagen. Zum anderen sollte er zu den geplanten wohnungspolitischen Maßnahmen der preußischen Regierung Stellung nehmen und "den für richtig erkannten Gedanken durch praktische Mitarbeit zur Durchführung .. . verhelfen". 45 Zu diesem, die wohnungspolitische Bedeutung, den Wirkungsradius und -grad des Beirates einschränkenden Zweck wurden zwei Ausschüsse ins Leben gerufen, die einerseits für die Bebauungs- und Bauordnungsgestaltung und andererseits für den Kleinwohnungsbau zuständig zeichnen sollten. Dem ersten Ausschuß gehörten 15 Mitglieder an, unter ihnen der Danziger Oberbürgermeister Scholz als Vorsitzender, Stadtbaurat a.D. Beuster, die Bauräte Goecke und Hoffmann aus Berlin sowie Schilling aus Trier, Oberbaurat Stübben und Mangoldt. Dem mit insgesamt zehn Mitgliedern kleineren zweiten Ausschuß gehörten unter dem Vorsitz des Kasseler Oberbürgermeisters Koch, u. a. Staatssekretär a.D. Dernburg, Kommerzienrat Haberland, der Baurat der Fa. Krupp Schmohl und von den Deutschen Gewerkvereinen Hartmann an. Baurat Fischer vom Ministerium für öffentliche Arbeiten sollte an den Beratungen beider Ausschüsse teilnehmen. 46

44 Vgl. LarchB, Rep. 48-05/3, Gemeindeverwaltung Weißensee, Nr. 54, ohne Bl.-Nr.: Beirat für Städtebau und städtisches Wohn- und Siedlungswesen, gedrucktes Gründungsprotokoll vorn 16. Oktober 1917. 45 Ebenda. 46 Vgl. LarchB, Rep. 48-05/3, Gemeindeverwaltung Weißensee, Nr. 54, ohne Bl.-Nr.: Bekanntmachung des Ministers der öffentlichen Arbeiten vorn 15. November 1917.

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Wie vom Vorsitzenden der Griindungsversammlung, dem späteren Staats- und Reichskommissar für das Wohnungswesen Freiherr von Coels festgestellt, waren vor allem die Ergebnisse der Arbeit des ersten Ausschusses für die betreffenden preußischen Ministerien und Gemeinden von Bedeutung. Von Coels hob drei Schwerpunkt dieser Tatigkeit hervor. Die Kommission sollte erstens alle Erfahrungen bei der Erstellung von Bebauungsplänen und Bauordnungen zusammenfassen und bearbeiten. Sie sollte dafür Sorge tragen, daß diese Ergebnisse "in die Praxis" übertragen würden. Zweitens hatte das Gremium "auf Wunsch der Beteiligten oder von Behörden", Bebauungspläne und Bauordnungen zu begutachten, Rat zu erteilen und Sachverständige zu benennen, die solche Pläne und Ordnungen auszuarbeiten in der Lage sein würden. Drittens war der Ausschuß angehalten, auf die Schaffung "örtlicher oder provinzieller Beratungsstellen" hinzuwirken. 47 Konkret sollten beide Ausschüsse als Stab von Fachleuten beratend-praktisch und vermittelnd tätig sein. Spezialisten, zuvorderst solche, die der preußischen Staatsregierung nahestanden und seit Jahren informelle Kontakte mit ihr pflegten bzw. sich aus ihr rekrutierten, wurden mit diesem Beirat auch offiziell an der Politikvorbereitung auf unterster Ebene beteiligt. Der Beirat war aber lediglich ein Angebot, eine Koordinierungs- und Beratungsstelle, die freiwillig, nicht bindend und im "kommunalen Interesse" von den Gemeinden kontaktiert werden konnte. Doch bedeutete die Inkorporation und Partizipation von Wohnungs- und Siedlungsreformern an der Arbeit preußischer Ministeriale eine Aufwertung informeller Kontakte. Die Berufung in den Beirat war das Anerkennen der reformerischen Bestrebungen von Seiten des preußischen Staates. Die personelle und öffentliche Anwesenheit der Reformer verlieh der Wohnungsfrage und ihren Lösungsansätzen Nachdruck. Der Reform des Wohnungs- und Siedlungswesens war von Seiten des Staates jetzt nicht mehr nur rhetorisch, sondern unter Einbeziehung von Fachleuten perspektivisch Bedeutung zugemessen worden, die im Ergebnis aber sehr beschränkt blieb. Daß die Arbeit des Beirates für Städtebau und städtisches Siedlungswesen 1917 I 18 mit wenigen Ergebnissen in die Tatigkeit des preußischen Staatskommissars für das Wohnungswesen mündete, hatte vor allem mit Zuständigkeitsproblemen im Wohnungswesen zu tun. Bundesstaaten und Gemeinden hatten, dieser Umstand kann nicht oft genug betont werden, ein nur geringes Interesse daran, Befugnisse auf diesem Gebiet an das Reich abzugeben. So war der Beirat einerseits ein bundesstaatliches Zeichen an das Reich, an einer Problemlösung im Wohnungsund Siedlungswesen tätig zu sein. Andererseits wurde er von den Gemeinden wiederum als Einmischung und Bevormundung verstanden und geschnitten. Die Arbeit des Beirats wurde in solchen Konstellationen zerrieben. Einer bundesstaatlichen, gar zentralstaatlichen Konzentration von wohnungspolitischen Zuständigkeiten, einer "Gleichmacherei", standen vor allem die Vertreter 47 Ebenda, ohne Bl.-Nr.: Beirat für Städtebau und städtisches Wohn- und Siedlungswesen, gedrucktes Gründungsprotokoll vom 16. Oktober 1917.

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des Preußischen Städtetages aus Essen und Königsberg ablehnend gegenüber. Auf ihr Drängen war es zurückzuführen, daß eine der wichtigsten Aufgaben des Beirats die Schaffung ausschließlich regionaler Arbeitsstellen sein sollte, wie auf der Gründungsversammlung betont wurde. Denn was bei einer "intensive(n) Einzelarbeit im Berliner Ausschuß" herauskommen würde, deutete der Vertreter des Preußischen Städtetages Schmidt aus Essen zu wissen an. Das Protokoll der Gründungsversammlung hielt fest: "Der Siegeszug, den die Berliner Mietskaserne sehr zum Schaden unseres Bau- und Wohnungswesens durch das ganz Land genommen habe, könne hierfür als warnendes Beispiel dienen."48 Dennoch war die Zusammenfassung und zentrale Koordinierung sämtlicher wohnungsreformerischen Bestrebungen eine der Voraussetzungen, welche die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform zur Lösung der Wohnungsfrage und einer nachhaltigen Politik anführten. Der Beirat war ein erster, zwar wirkungsarmer aber symbolischer Schritt dorthin. Die Einberufung des preußischen Staatskommissars und späteren Reichskommissars für das Wohnungswesen, der die Aufgaben des Beirats übernahm, trug dieser Forderung im Frühjahr 1918 weiter Rechnung.

c) Der Staats- und Reichskommissar für das Wohnungswesen

Die Einsetzung des preußischen Staatskommissars für das Wohnungswesen im Mai 1918 bedeute einen weiteren, wichtigen Schritt hin zur Anerkennung der Bekämpfung der Wohnungsnot als Staatsaufgabe. Wie der preußische Minister der Öffentlichen Arbeiten Breitenbach forderte, sollte eine "neue Behörde", eine "Zentralbehörde" entstehen. Sie sollte sämtliche Aufgaben des Wohnungswesens an sich ziehen, diese vereinen und in der Konsequenz ein für die "Übergangszeit" nach dem Krieg erst preußisches, später ein Reichswohnungsministerium werden. Einerseits versprach eine solche Zentralisation, daß die 1918 auf sechs preußische Ministerien (Ministerium der öffentlichen Arbeiten, des Innem, für Handel und Gewerbe, für Finanzen, für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und Kriegsministerium) verteilten Zuständigkeiten im Wohnungswesen an einer Stelle zusammengefaßt werden konnten. Andererseits verwies der Minister der öffentlichen Arbeiten auf den symbolischen Effekt, da im Winter 1917/18 eine bedenkliche Wohnungsknappheit in weiten Teilen Preußens und des Deutschen Reiches anerkannt werden mußte.49 Breitenbach machte sich dabei die Argumentation zu eigen, die von Seiten der Wohnungs-, Siedlungs- und vor allem Bodenreform seit 1915 angewendet worden war, um die Dringlichkeit staatlichen Handels zu begründen. Die "Erfahrung 1871" bemühte der Minister ebenso, wie die Gefahren des "wachsenden Machtbe48

Ebenda.

49

Vgl. Kuhn, S. 42 f.

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gehrens einer sozialdemokratischen Partei" und die positiven Rückwirkungen auf die "innere Lage". Andere Ministerien, so das lnnenressort, standen der beabsichtigten Neugründung ablehnend gegenüber und forderten, daß vielmehr eine Abteilung des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten die Zuständigkeiten für Preußen übernehmen sollte. Die schon von Beginn an geplante Personalunion eines preußischen Staatskommissars und eines Reichskommissars würde, wie Innenminister Drews meinte, Kompetenzüberschneidungen mit sich bringen. 5° Doch Breitenbach setzte sich durch, konkretisierte im April seine Pläne noch einmal und am 17. Mai 1918 wurde auf "Grund der Allerhöchsten Ermächtigung" bestimmt, daß die von den folgende Ministerien wahrgenommenen Aufgaben im Wohnungswesen zukünftig in den "Geschäftsbereich des Präsidenten des Staatsministeriums übergehen und in dessen ständiger Vertretung vom Staatskommissar für das Wohnungswesen bearbeitet werden". 5 1 Der Staatskommissar vereinte die bisher vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten wahrgenommenen Angelegen der Baupolizei, des Städtebaus, insbesondere der Bauordnungs- und Fluchtlinienangelegenheiten, der Grundstücksumlegung und der Maßnahmen gegen das "Verunstalten von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden". Das Innenministerium übertrug die Aufgaben der Kommunalaufsicht, soweit sie das Wohnungswesen betrafen, die "bevölkerungspolitischen Maßnahmen" auf dem Gebiet der Wohnungshygiene, die Angelegenheiten der Baugenossenschaften, der Mieteinigungsämter und der Wohnungsaufsicht sowie sämtliche "sozialpolitischen Maßnahmen auf dem Gebiete des Wohnungswesens". Die Angelegenheiten des städtischen Grundkredits sowie die Aufsicht über das nicht ländliche Siedlungswesen gingen vom Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten über. Letzteres behielt sich vor, bei diesen Fragen an der Bearbeitung beteiligt zu sein. Auch das Siedlungswesen auf dem Land blieb in dessen Zuständigkeit, wenn "ganz oder überwiegend ländliche Interessen" berührt würden. Das Finanzministerium übergab lediglich seine Zuständigkeiten bezüglich der Unterstützung der durch das preußische Wohnungsgesetz vom März 1918 geregelten Gründung und Kontrolle von Siedlungsgesellschaften, behielt sich aber "die Federführung unter Beteiligung des Staatskommissars" vor. Die Zuständigkeiten des Kriegsministeriums im Wohnungswesen blieben zunächst unberührt und sollten in der Zukunft auf die Freigabe überschüssiger Baumaterialien und die Bereitstellung von nicht mehr benötigtem Militärgelände zur Ansiedlung beschränkt werden. 52

50 Vgl. ebenda, S. 44 - 47. Kuhn meint, daß der Rheinische Verein für Kleinwohnungswesen mit seiner Forderung nach der Ernennung eines Staatskommissars für das Wohnungswesen vom Januar 1918 die Initiative innerhalb der preußischen Staatsregierung ausgelöst hatte. 51 BarchB, R 3901 I 11026, Bl.-Nr. 79: Abschrift des Erlasses des Staatsministeriums zur Einrichtung des Staatskommissars für das Wohnungswesen vom 17. Mai 1918. 52 Ebenda. Die Wohnungsfürsorge des Reiches lag bis zu diesem Zeitpunkt beim Reichsinnenministerium, das vor allem den Wohnungsbau für Staatsbeschäftigte regelte. Mit der

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Der Unterstaatssekretär im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Freiherr Coels van der Briigghen, wurde erster Kommissar. Mitte Juli 1918 übernahm dieser auch die Zuständigkeiten als Reichskommissar. Wie der Reichskanzler am 27. Juli 1918 den Bundesstaaten mitteilte, habe das Reich, unter Beriicksichtigung der Tatsache, daß die Bundesstaaten und die Gemeinden für die Fragen des Wohnungswesens zuständig blieben, verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um den Bundesstaaten während des Krieges und während der "Übergangszeit" nach dem Krieg eine "zweckmäßige Durchführung der Wohnungsfürsorge zu erleichtern". Hierfür hatte er einen "besonderen Reichskommissar für die Übergangswirtschaft im Wohnungswesen" bestellt, dem, um die Interessen der nichtpreußischen Regierungen sicherzustellen, Vertreter der Landesregierungen von Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Braunschweig, Harnburg und Elsaß-Lothringen in einem Ausschuß beigeordnet würden. Ergänzt würde diese Kommission durch Bevollmächtigte des Reichswirtschafts-, -innen- und -Schatzamtes. 53 In Ergänzung zum Angebot an die Bundesstaaten und Gemeinden zur Übernahme von 1/ 3 des sogenannten "verlorenen Bauaufwandes", kündigte die Reichsleitung an, daß sie neben der Bestellung des Reichskommissars folgendes, in dessen Verantwortung stehendes erwägen würde. Erstens sollten die bei der Heeresverwaltung frei werdende Baustoffe ohne teuren Zwischenhandel dem Kleinwohnungsbau zugeführt werden. Zweitens würde angestrengt und in den Aufgabenbereich des Reichskommissars verweisen, daß zur Baustofferzeugung eine planmäßige Zuweisung von Kohle an die Baustoffindustrie erfolgen würde. Der Reichskanzler bekräftigte zudem abermals, daß zur Behebung der Wohnungsnot und zur Wiederbelebung der Bautätigkeit finanzielle Hilfen gewährt werden würden. 54 Damit wurden einerseits all jene Zuständigkeiten aufgelistet, die das Reich für sich abzudecken im Wohnungswesen verantwortlich sein wollte. Andererseits wurde den Bundesstaaten eine Zentralbehörde oktroyiert, die sowohl organisatorisch als auch perspektivisch, finanziell in den Belange der Bundesstaaten einzugreifen gewillt war. Coels selbst zeichnete ein Bild seiner zukünftigen Allmächtigkeit, die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformer frohlocken ließ, daß mit seiner Einsetzung ein wichtiger Schritt hin zur Lösung der Wohnungsfrage getan sei. Ende Mai 1918 umriß er seine Tatigkeit in einem Schreiben an das Reichswirtschaftsamt wie folgt:

Erweiterung der Geschäftstätigkeit auf das Reich, übernahm der Staats- und Reichskommissar für das Wohnungswesen auch hier Zuständigkeiten. 53 BarchB, R 3901111026, BI. 107: Schreiben des Reichskanzlers an sämtliche Bundesregierungen, den Staatskommissar für das Wohnungswesen und den Statthalter in ElsaßLothringen vorn 23. Juli 1918. Vgl. auch Preller, S. 69 f. 54 V gl. BarchB, R 3901/11026, BI. 107: Schreiben des Reichskanzlers an sämtliche Bundesregierungen, den Staatskommissar für das Wohnungswesen und den Statthalter in ElsaßLothringen vorn 23. Juli 1918.

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"Um seine Aufgaben (die des Staats- und Reichskommissars, T.K.) zu lösen, muß er für alle Maßnahmen zuständig sein, welche der Bekämpfung des Wohnungsmangels dienlich sind. Es genügt nicht, ihm die Verfügung über die vom Reiche zur Förderung der Übergangswirtschaft auf dem Gebiete des Wohnungswesens etwa zu gewährenden Geldmittel sowie die Verwendung der beim Friedensschluß vorhandenen Baustoffe zu übertragen, sondern sein Einfluß muß sich auch auf die anderen Erfordernisse zur Belebung der Bautätigkeit erstrecken...."55

Diese und die von den bisher zuständigen Ministerien übertragen Aufgaben sollten durch zusätzliche Verantwortlichkeiten erweitert werden, die u. a. "die Rückführung der zu entlassenden Kriegsteilnehmer auf das Land", die Beschränkung der Zuwanderung in die Städte, das Heranziehen der Arbeitgeber für den Wohnungsbau und die "Bearbeitung der Fragen der Kriegerheimstätten" einschlossen. Letzteres war zu hören neu, und zeugte von einem, wenigstens zur Schau getragenem Anspruch, sämtliche Aufgaben im Wohnungswesen mit dem neu gegründeten Kommissariat in Angriff zu nehmen. Um diesen Gesamtanspruch zu unterstreichen, legte Coels dem eben zitierten Schreiben an das Reichswirtschaftsamt die Abschrift des Ludendorff'schen Schreibens vom März 1918 bei. In diesem wurde der "Hauptmangel der staatlichen Wohnungsfürsorge" in der "mangelnden Zentralisation" ausgemachte und gefordert, die "Vielköpfigkeit der zuständigen Behörden" und die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Reich und Bundesstaaten zu beenden. 56 Für die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform war die Einrichtung des Kommissariats ein großer Erfolg. Damit wurde eine wesentliche Forderung der Reformer erfüllt: Die Zentralisierung aller Bestrebungen im Wohnungs- und Siedlungswesen als wichtige Voraussetzung zur Lösung der Wohnungsfrage. Die Soziale Praxis begrüßte die Berufung des Staats- und Reichskommissars ausdrücklich und erklärte, daß damit der "oft geäußerte Wunsch vieler am Wohnungswesen beteiligten Kreise" erfüllt worden sei. Das Staatskommissariat werde, so der Schöneberger Oberbürgermeister Dominicus darin, die erforderlichen Reformmaßnahmen im Wohnungswesen beschleunigen. Darüber hinaus sei nun der Öffentlichkeit klar, so Domenicus, an wen sie sich bei den "zu erwartenden Schwierigkeiten in der Wohnungsfrage als verantwortlichen Staatsverwaltungsbeamten zu halten" hatte. 57 55 BarchB, R 3901/11026, BI. 77a- c: Schreiben des Unterstaatssekretär im Ministerium der öffentlichen Arbeiten Coels an den Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes vom 23. Mai 1918 betr. die Bestellung eines Reichskommissars für das Wohnungsfürsorge. 56 Ebenda, BI. 77c: Abschrift des Schreibens Ludendorffs an das Ministerium der öffentlichen Arbeiten vom 18. März 1918. 57 Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 27. Jg., 1917/18, Sp. 542 f. und 545547. Daß von der Möglichkeit des Kommissariats als "Eingabeempfangsstelle" für das Wohnungswesen Gebrauch gemacht würde, bestätigte die Soziale Praxis, indem sie "Eingaben" abdruckte. Vgl. u. a. eine Eingabe der Ortsgruppe Breslau der Gesellschaft für Soziale Reform vom Dezember 1918, in: Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 28. Jg., 1918/ 19, Sp. 190. Der Zeitschriftfür Wohnungswesen wurde durch das neue Amt sogar eine weitergehende Ehre zuteil. Sie avancierte im Herbst 1918 zum "Amtlichen Organ für die Veröffent-

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Die zahlreichen Erlasse und Verordnungen des Staats- und Reichskommissars, der konzeptionell das gesamte Spektrum des Wohnungs- und Siedlungswesens abzudecken versuchte, waren bei ihrer Umsetzung von anderen Institutionen, wie dem preußischen Finanzministerium, dem Kriegsministerium und nicht zuletzt vom Bundesrat abhängig. Letzterer war vor allem bei der Bereitstellung von finanziellen Mitteln zur Wiederbelebung der zivilen Bautätigkeit entscheidend. Nach den Erlassen zum Wohnungsbestandsschutz und zur Mietkontrolle war die Ankurbelung der Wohnungsbauwirtschaft das Tätigkeitsfeld des Staats- und Reichskommissars für des Wohnungswesen. Im wesentlichen wurde dem neuen Amt im Herbst 1918 die Verteilung der aus Reichsmitteln gewährten Baukostenzuschüsse, im Sommer noch mit 200 bis 300 Millionen Mark veranschlagt, in Höhe von 500 Millionen Mark zuteil. Am 31. Oktober 1918 beschloß der Bundesrat, einen Teil der Reichstagsresolution vom Mai 1918 aufgreifend, die erste Rate in Höhe von 100 Millionen Mark bereitzustellen. Am Tag danach unterrichtete der Staatskommissar Coels sämtliche preußischen Provinzialverwaltungen und verkündete die Bereitstellung der Baudarlehen, sobald der Reichstag zugestimmt hatte. 58 Doch wurde der Aktionismus des Staats- und Reichskommissars, gestärkt durch die positiven Signale von Bundesrat und Reichstag, und durch Berge an Papier öffentlich eindrucksvoll dokumentiert, durch zwei Erscheinungen des Kriegsendes gebremst, auf die zu reagieren die neu geschaffene Behörde nur bedingt vorbereitet war. Zum einen hemmte die eingeschränkte Leistungskraft der Bauwirtschaft eine lichungen des Staatskommissars für das Wohnungswesen". Indessem "amtlichen Teil" wurden sämtliche Erlasse des Kommissariats veröffentlicht. Für die Gemeinden bedeutete die Einrichtung eines solchen Amtes zwar eine zentrale Ansprechstelle, die ihre Maßnahmen im kommunalen Wohnungswesen organisatorisch und finanziell unterstützen konnte. Ob die Gemeinden aber den Staats- und Reichskommissariat in ihre eigenen Wohnungsbau- und Siedlungsplanungen, soweit solche verfolgt wurden, eingreifen lassen wollten, ist bei den auf weitestgehende Unabhängigkeit bedachten Gemeinden und den in den Kommunalparlamenten oft starken Hausbesitzerfraktionen anzuzweifeln. Zur regionalen und kommunalen Organisation, zur Präsenz vor Ort also, und um beide Tendenzen einander anzunähern, wurden Bezirks- und Stadtkommissare für das Wohnungswesen berufen. In Preußen war dabei das Amt des Bezirkskommissars häufig den Regierungspräsidenten direkt übertragen worden. Beide, Bezirks- und Stadtkommissare, waren dem Staats- und Reichskommissariat unterstellt und hatten die Weiterleitung und Sicherstellung seiner Erlasse und hoheitliche Aufgaben zum Ziel. Vgl. Kuhn, S. 48 f. 58 Vgl. BarchB, R 3901 I 11019, BI. 25: Schreiben des Staatskommissars für das Wohnungswesen an die Herren Oberpräsidenten vom l. November 1918. Unmittelbar an die Drucklegung des Erlasses vom l. November 1918 schloß sich die Veröffentlichung der Bestimmungen an, nach denen Gemeinden Darlehen beantragen konnten. Zwei dazugehörige Fragebögen, sollten einerseits die Anträge auf die sogenannten Überteuerungszuschüsse prüfen und andererseits ermitteln, welche Gemeinden bereits Behelfsbauten und Notwohnungen errichteten. Damit sollten die Daten der Reichswohnungszählung vom Mai 1918 ergänzt werden, da diese einen unvollständigen Wohnungsbedarf ermittelt hatte, weil sie nicht in allen deutschen Gemeinden stattfand, und um sich einen detaillierteren Überblick über das Ausmaß der Wohnungsnot zu verschaffen. Vgl. ebenda, BI. 108: Erlaß des preußischen Staatskommissars für das Wohnungswesen vom l. November 1918, betr. die Gewährung von Bauzuschüssen aus öffentlichen Mitteln nebst Anhang.

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zügige Umsetzung kommunaler Wohnungsbauprojekte. Auf einer Besprechung mit Vertretern der Bauwirtschaft und Ministerialen von Reichs- und preußischen Ministerien im November 1918 wurde konstatiert, daß zur Wiederbelebung der Sauwirtschaft, Maßnahmen zur Baustoff- und Arbeitsbeschaffung für die Bauwirtschaft und zur Bereitstellung finanzieller Mittel eingeleitet werden müßten. Die Abordnung des Deutschen Arbeitgeber- und Wirtschaftsbundes machte dabei deutlich, daß bei der Bereitstellung von Baudarlehen, die Privatwirtschaft nicht benachteiligt werden dürfe. Gemeinden, aber auch zuständige Staatsministerien, sollten zudem angehalten werden, für eine "schleunige Beschäftigung des Baugewerbes" zu sorgen. Doch neben diesen lobbyistisch-vorbeugenden Stellungnahmen, die im übrigen staatliche Zwangsmaßnahmen und öffentliche Bewirtschaftungen strikt ablehnten, wurde der Zustand der Baugrundstoffe produzierenden Wirtschaft beklagt. Außer an Baueisen herrschte ein ausgesprochener Mangel. Bauholz sei "weder in genügender Menge noch zu angemessenem Preis erhältlich". Der Vorrat an Mauersteine wurde als "sehr gering" eingestuft, und vor Juli des kommenden Jahres würden sie nicht in ausreichender Zahl auf den Markt gebracht werden können. Die schwierige Versorgung der Zement- und Ziegelindustrie mit Kohle verschärfe die Situation zusehends. 59 Erst der Absatzeinbruch zu Kriegsbeginn und später die fast vollständige Beschränkung der Produktion zur Verwendung für Heereszwecke und kriegswichtige Anlagen führte allein in der Ziegelindustrie zur Schließung von 17.300 der insgesamt 18.000 Ziegeleien in Deutschland. Bei den Arbeitskräften sah die Situation nicht besser aus. Über 100.000 der 1,76 Millionen Bauarbeiter, die 1914 beschäftigt waren, waren gefallen oder kriegsbeschädigt und fielen für eine weitere Anstellung in der Baubranche aus, unter ihnen allein 60.000 Maurer. Andere wanderten während des Krieges in Beschäftigungen mit besseren Verdienstmöglichkeiten oder mit dauernden Arbeitsverhältnissen ab. Dazu kam der Ausfall von 50.000 bis 60.000 potentiellen Lehrlingen die zwischen 1914 und 1918 nicht in den Bauberufen ausgebildet wurden.60 Zum anderen war die Demobilmachung der deutschen Truppen und deren Wirkung auf das Wohnungswesen ein Problem von herausragender Bedeutung, dem sich der Staats- und Reichskommissar ausgesetzt sah. Ihre wohnungspolitische Planung wurde aber durch die "Abruptheit der Niederlage" (Bessel) und die Revolution in den Hintergrund gedrängt. Perspektivische Planungen im Wohnungswesen spielten im Herbst/Winter 1918/19 angesichts der politischen Entwicklung in Deutschland nur eine nebensächliche Rolle. 61 Coels versuchte dennoch 59 Ebenda, BI. 236-238: Protokoll einer Besprechung beim Staats- und Reichskommissar für das Wohnungswesen vom 20. November 1918. 60 Vgl. Hirtsiefer; S. 56-59. Bis 1920 stieg die Zahl der Beschäftigten in der Bauwirtschaft auf 1 Millionen und blieb damit deutlich unter dem Vorkriegsstand. 61 Vgl. u. a Bessel, Germany after the war, S. 166-194; Ders., Die Krise der Weimarer Republik als Erblast des verlorenen Krieges, in: Bajohr, Frank; Johe, Wemer; Lohalm, Uwe (Hrsg.), Zivilisation und Barbarei, Harnburg 1991, S. 98-114; Ders., State and society in Germany in the aftermath of the First World War, in: Lee, W. R.; Rosenhaft, E. (Ed.), State,

17 Koinzer

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Anfang November, die Gemeinden auf die Herausforderungen der Demobilmachung vorzubereiten, indem er den Ablauf dieser prognostizierte und Vorbereitungen zur vorläufigen Behausung der zurückkehrenden Soldaten anmahnte. Die Demobilmachung werde, so Coels, nicht schrittweise und allmählich von statten gehen, sondern "die überwiegende Mehrzahl (wird) ziemlich gleichzeitig aus dem Heeresdienst ausscheide(n) und sich daher in vielen Orten, namentlich in den großen Verkehrs- und Industriezentren, stark ansammeln. Den Gemeindebehörden erwächst dadurch die nicht ernst genug zu nehmende Pflicht, Vorkehrungen zu treffen, daß die zurückkehrenden Krieger in einer Weise unterkommen können, die Männem gegenüber, die für das Vaterland gekämpft haben und gelitten haben, würdig und angemessen ist."62

Sicher war sich Coels darüber, daß der überwiegende Teil der Soldaten in ihre alten Verhältnisse zurückkehren würde. Für den verbleibenden Teil aber müßten die Gemeinden Unterkunft bereitstellen und für die "Übergangszeit helfend" eintreten. Über Wohnungsnachweise sollten möblierte Zimmer vermittelt und Schlafstellen bereitgestellt werden. Der Bevölkerung sei überdies nahezulegen, verfügbare Räumlichkeiten abzugeben. Dies habe alles unter dem Hinweis zu geschehen, daß die Unterbringung der Demobilisierten nur für eine kurze Zeit sei, Entgelte gezahlt und notfalls die Gemeinden "aus Mitteln der Kriegswohlfahrtspflege" die Kosten übernehmen würden. Dort wo keine Wohnungsnachweise bestünden, sollten die Gemeindebehörden angehalten sein, selbst Maßnahmen zu treffen, wie die Zurverfügungstellung von Sälen, Räumen in öffentlichen Gebäuden, Gaststätten, Fabriken und Geschäftshäusern zur gemeinsamen Beherbergung. Dabei könnten mögliche Zwangsmaßnahmen nach der Bekanntmachung über Maßnahmen gegen den Wohnungsmangel vom 23. September 1918 ergriffen werden. Daß solche Maßnahmen den Gemeinden zuzumuten seien, bekräftigte Coels abschließend mit der Bemerkung, daß "eine größere Stadt im Westen" auf diesem Wege bereits 10.000 Unterkunftsmöglichkeiten für zu entlassende Heeresangehörige bereitgestellt habe. 63 Diese eher hilflose Geschäftigkeit unterstrich den vorrangig symbolischen Charakter der Arbeit des Staats- und Reichskommissars für das Wohnungswesen. Sie offenbarte, daß die Reichsregierung, unter zurückhaltender Anerkennung der Zuständigkeiten von Bundesstaaten und Gemeinden, zu spät in die Belange des Wohsocial policy and social change in Germany 1880- 1994, Oxford 1997, S. 203 - 230; Feldman, Gerald D., Economic and social prob1ems of German demobilization 1918 - 19, in: Journal of Modem History, Vol47, 1975, S. 1-47; Aldcroft, Derek H., From Versailles to the WallStreet 1919-1929, London 1977; Schulz, Gerhard, S. 123-157; Mai, S. 140-169; Herifeld, Der Erste Weltkrieg, S. 348-353; Fischer, S. 548-559; Weh/er, Das deutsche Kaiserreich, S. 212-226. 62 BarchB, R 3901/11019: BI. 77: Schreiben das Staatskommissars für das Wohnungswesen an sämtliche Regierungspräsidenten und den Oberpräsidenten von Charlottenburg und die übrigen Oberpräsidenten am 7. November 1918. 63 Vgl. ebenda.

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nungswesen eingegriffen hatte. 64 Die Gründe hierfür lagen auf beiden Seiten und waren Versäumnisse in der spätestens Ende 1918 notwendigen und von der Reform oft geforderten zentralstaatlichen Verantwortung im Wohnungswesen. Diese sollte zukünftig derart ausgestaltet werden, daß das Reich eine Rahmengesetzgebung initiierte, die von den Bundesstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip übernommen werden sollte. Der Einrichtung des Kommissariats wohnte dieser prophetische Wille der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformer inne, solche Zentraleinrichtungen zur Lösung der Wohnungsfrage als grundsätzlich einstuften. Das Engagement des Staats- und Reichskommissar nahm bei den Reformern Anleihen und unterstützte deren jahrzehntelanges Streben. So sprach sich der Kommissar im Winter 1918/1919 wiederholt für einen Nachkriegswohnungsbau aus, der den "Flachbau" präferierte.65 Doch mehr als die zeitlich begrenzte Verwaltung des Wohnungsmangels, in die ein gestalterisches Eingreifen praktisch nicht möglich war, und die Produktion von viel Papier, blieb kaum etwas von der Arbeit des Staats- und Reichskommissars, was die Lösung der Wohnungsfrage hatte voran bringen können. Als "Instrument zur Krisenbewältigung" (Kuhn) hatte das Staats- und Reichskommissariat in den Monaten nach seiner Einsetzung den Anspruch, reformerische und organisatorische Allmacht zu beweisen, die den Reformern so hoffnungsvoll erschien. Doch diese ungestüme Geschäftigkeit und ihre von Beginn an auf eine "Übergangszeit" nach dem Krieg beschränkte Tätigkeit, verdeutlichten den provisorisch-halbherzigen Charakter des Amtes. Zu spät und in den Kompetenzstreitigkeiten zwischen Reich, Bundesstaaten und Gemeinden vernachlässigt, war die eigentliche Aufgabe, die Lösung der Wohnungsfrage, zu einer überhasteten Bekämpfung einer als rein kriegsbedingt gekennzeichneten Wohnungsnot verkommen. Doch für die Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformer war dieses späte Engagement besser als die Enthaltsamkeit vorangegangener Jahrzehnte. Eine der letzten Amtshandlungen im Krieg war die Ausarbeitung der "Allerhöchsten Botschaft über die Wohnungsfrage", die Wilhelm II. im Oktober 1918 verlauten Jassen sollte. Der Kaiser war dazu nicht in der Lage und Hindenburg 64 Peter-Christian Witt geht sogar soweit zu sagen, daß .,in geradezu frivolem Zynismus" von den Länderbürokratien gehandelt wurde. Sie behaupteten, daß ein Wohnungsmangel in vielen Regionen wegen der sich abzeichnenden deutschen Niederlage und der damit verbundenen Verminderung der Ansprüche der Arbeiterschaft nicht auftreten, und ein staatliches Handel sich daher erübrigen würde. Vgl. Witt, Peter-Christian, Inflation, Wohnungszwangswirtschaft und Hauszinssteuer, in: Niethammer, Lutz (Hrsg.), Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S. 385-407, hier S. 391 f. 65 Vgl. BarchB, R 39011110120, Bl. 90/91: Schreiben das Staatskommissars für das Wohnungswesen an sämtliche Regierungspräsidenten am 24. Januar 1919. Danach sollten zunächst .,auch in den Städten bezw. deren Umgebung möglichst nur Siedlungen im Flachbau ausgeführt werden. . . . Es wird den Bezirkswohnungskommissaren nachdrücklich nahe gelegt, dahin zu wirken, daß sie in den Städten oder in deren Umgebung zur Errichtung kommenden Wohnhäuser möglichst als Flachbausiedlung zur Ausführung kommen." Vgl. auch BarchB, R 39011110120, Bl. 90/91: Schreiben des Staatskommissars für das Wohnungswesen an sämtliche Regierungspräsidenten vom 24. Januar 1919. 17*

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übernahm, in einem Versuch letztmaliger Instrumentalisierung der Wohnungsfrage für die Kriegsmotivation, diese Tätigkeit. 66 Der Versuch scheiterte. Die im Sommer 1919 gegründete Republik übernahm die Last der ungelösten Wohnungsfrage, die sie nach Demobilmachung und Inflation in einen Bauboom aufzulösen versuchte, der ihren Ruf als "bauende Republik" begründete. 67

d) Kontinuität und Neubeginn Wohnungs· und Siedlungsbau nach dem Krieg

Neben den "Notstandsmaßnahmen", die für die Entwicklung der Wohnungsund Siedlungspolitik der unmittelbaren Nachkriegszeit kennzeichnend waren, war deren institutionelle und personelle Beständigkeit, wie in den meisten Verwaltungsapparaten des Reiches, der Bundesstaaten und Gemeinden68, von Bedeutung. Die Inkorporation der Wohnungs-, Siedlungs- und nun auch der Bodenreformer setzte sich fort und gipfelte in der Verwaltung des Mangels bei gleichzeitiger Formulierung neuer gesetzlicher Rahmen, die zur Grundlage des Wohnungsneubaus wurden. "Es wäre ein Jammer", so die Soziale Praxis im Oktober 1918, "wenn die Not dieses Krieges, in dem man einmal von 'Kriegerheimstätten' gesprochen hat, uns Kellerwohnungen bringen würde." 69

Die Erklärung der Münchner Ortsgruppe der Gesellschaft für Soziale Reform brachte zum Ausdruck, was die Mehrzahl der Reformer und mit ihnen eine Anzahl von staatlichen und gemeindlichen Entscheidungsträgem im Herbst/Winter 66 Vgl. GstaB, Rep. 89, Nr. 28558, BI. 108: Schreiben des Staatskommissars für das Wohnungswesen an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts vom 29. September 1918 und BI. 109: Schreiben des Staatssekretärs des Reichswirtschaftsamtes an den Chef des Geheimen Zivilkabinettsam 8. Oktober 1918. Coels wurde Ende 1918, offiziell zum 1. Januar 1919, vom späteren Staatssekretär des preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt Regierungsrat Scheidt auf eigenen Wunsch aus gesundheitlichen Gründen abgelöst. Scheidt hatte das Kommissariat bis zu dessen Auflösung inne. Die Zuständigkeiten des preußischen Staatskommissars gingen im Mai 1919 auf das neugegründete Ministerium für Volkswohlfabrt, Abteilung Wohnungsund Siedlungswesen über. Am 1. September 1919 wurde es gänzlich aufgelöst. Das Amt des Reichskommissars bestand formal noch bis zum Frühjahr 1920 weiter. Seine Zuständigkeiten wurden dem ebenfalls neu entstandenen Reichsarbeitsministerium übertragen. Dessen Vorläufer, das Reichsarbeitsamt, übernahm schon Ende 1918 erste Arbeitsfelder im Wohnungsund Siedlungswesen des Reiches (Abteilung III) unter der Leitung Scheidts. Vgl. BarchB, R 3901 I 11026, BI. 179: Auflösung des preußischen Staatskommissars, September 1919; ebenda, BI. 196: Überleitung der Geschäfte des Reichskommissars auf das Reichsarbeitsministerium, April 1920; Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesensvon 1914 bis 1921, S. 3394; Hirtsiefer; S. 102-104; Kuhn, S. 48. 67 Großhans, Hartmut, Die Erhaltung, Erneuerung und Entwicklung der Siedlungen der 20er Jahre, , in: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hrsg.), Siedlungen der 20er Jahre, Bonn 1987, S. 19-38, hier S. 20. 68 Vgl. u. a. Schutz, Gerhard, S. 156 f. 69 Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfabrt, 28. Jg., 1918/19, Sp. 71.

I. Deutschland

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1918/19 dachten. Auch wenn Reichsleitung und Reichstag und mit ihnen Bundesstaaten und Gemeinden sich vordergrundig auf die Fortsetzung der Wohnungszwangswirtschaft beschränkten, würden sie die einzige "taktische Maßregel" gegen die Wohnungsnot annehmen und Wohnungen bauen. Denn nur "Bauen", so die Gesellschaft für Soziale Reform, sei geeignet, "ein grenzenloses Unglück" zu verhindern, und um Wohnungen und Arbeit zu schaffen. Dabei dürften finanzielle Rücksichten keine Bedeutung, "wenigstens ... keine maßgebende Bedeutung mehr haben."70 Die von der ehemaligen Reichsleitung zugesagten Baukostenzuschüsse in Höhe von 100 Millionen Mark wurden von den Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten, Ebert und Haase, wie das Reichsarbeitsministerium Ende November 1918 mitteilte, genehmigt und würden ausgezahlt werden können. 71 Einen Monat später wurden der Rat gebeten, weitere 200 Millionen Mark zur Verfügung zu stellen. Das Reichsschatzamt hatte bereits sein Einverständnis erklärt, wie das Reichsarbeitsamt versicherte. Diese Erhöhung sei notwendig, da die inzwischen angemeldeten Anträge auf Gewährung von Baukostenzuschüssen "schon jetzt einen Umfang angenommen (haben), der erkennen läßt, daß die bereitgestellten 100 Millionen Mark den Bedarf des laufenden Rechnungsjahres auch nicht annähernd decken werden". 72

Das mit der Wahrnehmung reichsstaatlicher, wohnungspolitischer Maßnahmen betraute, neu gegriindete Reichsarbeitsministerium verkündete zudem nach einem Treffen mit Vertretern verschiedener Reform- und Gewerkschaftsvereinigungen im November 1918 eine Art sozialpolitisches Programm. Darin kündigte das Ministerium, vertreten durch Staatssekretär Bauer, an, neben der Einführung von Arbeitsnachweisen und einer Erwerbslosenfürsorge, die Familienhilfe, die Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung und die Unfallversicherung auszubauen, den Arbeitsschutz und das Koalitionsrecht zu stärken und das Problem der Wohnungsnot anzugehen. Bauer berief sich bei letzterem auf die bereits bekannten Sachverhalte, wie die Ernennung des Reichskommissars, der sich den Problemen angenommen habe, und die Bereitstellung von Reichsmitteln zur "Teilnahme des Reichs an der Deckung der derzeitigen Baustoffverteuerung". Neu und entgegen bisherigen Verlautbarungen von Seiten der Reichsregierung war die Ankündigung, daß neben dem Entwurf eines Erbbaugesetzes auch "Regelungen des Heimstättenrechts" geplant seien. Der Entwurf eines solchen Gesetze würde im Reichsjustizministerium ausgearbeitet und den gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung vorgelegt. 73 Ebenda. BarchB, R 3901111019, BI. 79: Schreiben des Staatssekretärs des Reichsarbeitsamtes an sämtliche Bundesregierungen vom 26. November 1918. 72 BarchB, R 3901/11017, BI. 203/204: Schreiben des Staatssekretärs im Reichsarbeitsamt an die Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten Ebert und Haase vom 28. Dezember 1918. 73 Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 28. Jg., 1918/19, Sp. 99 - 102. Die Zeitschrift berichtete, daß das Treffen auf Anregung der Gesellschaft für Soziale Reform stattgefunden hatte. Teilnehmer waren neben den Ministerialen nicht näher genannte Vertreter der 10 71

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III. Wohnen nach dem Krieg

Die letztgenannten Maßnahmen zurückstellend, machte der Staats- und Reichskommissar ftir das Wohnungswesen bis zur Übergabe seiner Amtsgeschäfte dort weiter, wo er im Frühjahr 1918 begann: Die Verwaltung des Mangels an Wohnungen und Material. Einerseits sollten Wohnungsbestand und -mieten kontrolliert, andererseits die Wohnungsbauproduktion angeregt werden. Mit dem Erlassen von Mietkontrollverordnungen und Verordnungen zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot war das Tatigkeitsfeld des Kommissariats schnell umrissen. Mehr als nur ein Laborieren am Wohnungsbestand lag nicht in seiner Kraft in einer Zeit, als die Wohnungs- und Siedlungsreform die Ergebnisse jahrelanger Versäumnisse im Wohnungswesen offenlegte, analytisch zusammenfaßte und "Notstands- und Übergangsmaßnahmen" nicht nur theoretisch sondern auch praktisch zu unterstützen versuchte. Der Deutsche Verein für Wohnungsreform hatte 1918 Ein Programm für die Übergangswirtschaft im Wohnungswesen vorgelegt, das sich vorwiegend mit den ökonomischen und technischen Voraussetzung einer Wiederbelebung der zivilen und besonders der Wohnungsbauwirtschaft befaßte. Die Aufsätze des in einem Band zusammengefaßten Programms behandelten Themen wie die Maßnahmen zur "Feststellung des tatsächlichen Wohnungsbedarfs" (Kuczynski), die Einrichtung von Notwohnungen (Strobel), die Boden-, Geld-, Baustoff- und Arbeitskräftebeschaffung (Mangoldt, Mewes, Löhner, G. Albrecht) sowie Vorschläge zur Verbilligung von Wohnungsbauten und deren technische Umsetzung (M. Wagner, Paulsen). Der Geschäftsführer des Deutschen Wohnungsausschusses Mangoldt schloß den Sammelband mit einigen Bemerkungen über "ergänzende Maßregeln" bei der Reorganisation der öffentlichen Verwaltungen auf dem Gebiet des Wohnungswesens und deren Ausbau durch die Gründung von gemeinnützigen Bodenund Siedlungsgesellschaften. Neben allgemeinen Vorbereitungen der zukünftigen Bautätigkeit formulierte Mangoldt, "Maßregeln" zur Benutzung der vorhandenen Wohnungen, dem Ausbau der Wohnungsaufsicht sowie einer "Schutzgesetzgebung" betreffs der Miets- und Hypothekengläubiger und Hausbesitzer. Bis auf Mewes' Vorschlag zur Geldbeschaffung über eine Anleihe hatten die Wohnungsreformer um den Deutschen Verein für Wohnungsreform damit einen Großteil all jener Maßnahmen beschrieben, die in den zurückliegenden Jahren ausgearbeitet, eingefordert und mit dem Kriegsende dringlicher als zuvor geworden waren, und denen die zukünftige Reichs- und bundesstaatliche Wohnungs(not)politik der nächsten Jahren folgen sollte. 74

Gewerkschaften, der Arbeitsgemeinschaften der kaufmännischen und technischen Angestelltenverbände, des Ständigen Ausschusses für Arbeiterinneninteressen, des Gewerkvereins der Heimarbeiterinnen und der Gesellschaft für Soziale Reform. 74 Deutscher Verein für Wohnungsreform (Hrsg.), Ein Programm für die Übergangswirtschaft im Wohnungswesen, Berlin 1918. Der Düsseldorfer Landrat Mewes schlug vor, von der nächsten oder den beiden nächsten Kriegsanleihen einen Betrag von einer Milliarde Mark für die Gewährung von Darlehen für den Wohnungsneubau zu bestimmen. Vgl. ebenda, S. 46. Vgl. auch Gut, Albert, Handbuch der praktischen Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege, Berlin 1919

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Parallel dazu veröffentlichte der Tübinger Wohnungsreformer, Professor für Volkswirtschaftslehre und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bundes Heimatschutz Carl Johannes Fuchs ein Almanach, dessen Autorenverzeichnis sich wie ein Who's who? der deutschen Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform las. Das Werk gliederte sich in einen theoretischen und einen praktischen Teil und verstand sich wie sein Pendant, als "Programm und Nachschlagebuch für staatliche und kommunale Behörden, Bau- und Siedlungsgesellschaften und -genossenschaften, Wohnungsvereine und die ganze Wohnungsreformbewegung".75

Fuchs stellte mit seinem Werk jedoch zwei Dinge heraus, die im "Programm" des Deutschen Vereins für Wohnungsreform unberücksichtigt blieben. Einerseits gingen die Themen seines Buches über die not- und übergangswirtschaftlichen Maßnahmen hinaus und scheuten sich nicht, die perspektivischen Ideen und Programme verschiedener Reformbestrebungen zu versammeln. Andererseits machte Fuchs damit klar, daß die Ansätze der Reformvereinigungen zwar unterschiedlich sein können, im Ergebnis aber auf ein Ziel hinausliefen: Die Lösung der Wohnungsfrage. Die über 30 Aufsätze, in zwei Abschnitte mit jeweils drei Kapiteln unterteilt76, waren damit nicht nur ein Ideenreservoir für die Politik der Übergangswirtschaft, sondern sie vereinten auch den zeitgenössischen Stand wohnungs-, siedlungs- und bodenreformerischen Wissens. Zudem waren sie eine Bestandsaufnahme der geleisteten Reformarbeit und bildeten eine Ergänzung der Wohnungs(not)politik und die Grundlage der dieser nachfolgenden Politik, bei deren Formulierung die Reformer an der Seite neu geschaffener Ministerien und Behörden im Reich, den Bundesstaaten und Gemeinden häufig mitwirken sollten.77

75 Fuchs, Carl Johannes (Hrsg.), Die Wohnungs- und Siedlungsfrage nach dem Kriege, Stuttgart 1918, Vorwort, S. VII. 76 Die Aufsätze des historischen Teils unterteilten sich in die Analyse der Wohnungsproduktion vor dem Krieg, u. a. zum Wohnungsmarkt (Feig), zur Stadterweiterung (Muesmann), zu Bauordnungen (Keller) und Wohnungsaufsicht (Gretzschel), der künstlerisch-technischen Grundlagen, u. a. Heimatschutz (Lindner) und Wohnungshygiene (Flügge) und der Träger des Kleinwohnungsbaus, u. a. Privatwirtschaft (Rusch), Arbeitgeber (Schmohl), gemeinnütziger (H. Albrecht) und öffentlicher Wohnungsbau (Rusch). Ihm folgte ein perspektivischer Teil, der als "Aufgabe der Zukunft" die Reform des Kleinwohnungswesens darstellte. Die drei Kapitel hatten die Dezentralisierung des Wohnungs- und Siedlungswesens, u. a. Gartenstadt (Kampffmeyer), "innere Kolonisation" (Keup) und "Kriegerheimstätten" (Damaschke), die Reform der städtischen Mietshäuser, u. a. Sanierung (M. Wagner) und schließlich die Geldbeschaffung, u. a. Kapitalbeschaffung (Mangoldt) zum Gegenstand. 77 Auch Damaschkes "Kriegerheimstätten" fanden ihren Platz unter den "Aufgaben der Zukunft" im Wohnungs- und Siedlungswesen. Diese im Verlauf des Jahres 1918 als unzeitgemäße Forderung herausgestellte Maßnahme, ein "Volk von Heimstättenbesitzem" initiieren zu können, fand ihre praktische Anerkennung mit der Einberufung des Ständigen Beirats für Heimstättenwesen unter Damaschkes Leitung im Reichsarbeitsministerium, dessen Entstehung und Genese im Kapitel III. 1. e) behandelt wird.

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III. Wohnen nach dem Krieg

Mit der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 hatte das Reich einerseits das Aufstellen von gesetzlichen Rahmen für das Ansiedlungs-, Heimstätten- und Wohnungswesen als Staatsaufgabe anerkannt (Artikel 10, Absatz 4). Andererseits definierte die Verfassung mit dem Artikel 155 das Grundrecht, ,jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, einen ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichem."78

Diese Grundsätze galt es in den Folgejahren einzulösen. Auf Reichsebene waren die Ausschüsse und Unterausschüsse des unmittelbar nach dem Krieg gegründeten und die Zuständigkeiten des Wohnungs- und Siedlungswesens zusammenführenden Reichsarbeitsministeriums Belege für die gestiegene Verantwortung des Staates und die Inkorporation der Reformer. 79 Auch die integrierende Tätigkeit des Wohnungsausschusses des Reichstages setzte Zeichen reichsweiter Initiativen im Wohnungs- und Siedlungswesen. 80 Aber die herausragende Rolle erst in der Wohnungsmangelverwaltung, später im Wohnungsbau spielten die Gemeinden. Sie griffen, wie von der Reform gefordert und in zahlreichen Kommunen bereits im Kaiserreich praktiziert81 , nach dem Ersten Weltkrieg stärker in die lokale Wohnungswirtschaft ein. Sie nahmen Erfahrungen der Vorkriegs- und Kriegszeit auf, führten diese fort und bauten sie aus. So wurden die Gemeinden zu wichtigen Akteuren im Wohnungsbau und in der Stadtsanierung insgesamt. Als unterste Ebene des Staatsapparates kamen ihnen die Funktionen zu, die Zentral- und Bundesstaaten überregional zu erfüllen hatten. In den Jahren nach 1918 schärften sie ihr staatstragendes Profil, indem sie den Staat im Kleinen organisierten, verstärkt für die Entwicklung der sozialen und ökonomischen Infrastruktur zuständig zeichneten, kommunale Kreditinstitute auf- bzw. ausbauten und damit eine größere Rolle bei der "Neutralisierung sozialer Konflikte" einnahmen. Perspektivisch waren die gemeindliche Wohnungspolitik und ein öffentlich getragener Wohnungsbau Aus78 Verfassung des Deutschen Reiches (Weimarer Verfassung) vom 11. August 1919, in: Hi1debrand, Horst (Hrsg.), Die deutschen Verfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts, Paderbom 1977, S. 69-115, hier S. 71 und 107. 79 Vgl. Wlz, Otto, Die Aufgaben des Reichsarbeitsministeriums auf dem Gebiete des Wohnungs- und Sied1ungswesens, in: Reichsarbeitsblatt II, 1928, Nichtamtlicher Teil, S. II 224 f. Vgl. Schutz, Günther, Bürgerliche Sozialreformer in der Weimarer Republik, in: Bruch, Rüdiger vom (Hrsg.), Weder Kommunismus noch Kapitalismus, München 1985, S. 181218; Kapitel 111. 1. e). 80 Vgl. BarchB, R 3901 I 11326 und 11327: Akten betreffend den 13. Ausschuß des Reichstags (Wohnungsausschuß); R 3901 I 11019: BI. 14: Eingabe des deutschen Wohnungsausschusses an den Bundesrat vom 19. Oktober 1918 betr. die Ausgestaltung der geplanten Baukostenzuschüsse. SI Vgl. u. a. Saldem, Adelheid von, Kommunalpolitik und Arbeiterwohnungsbau im deutschen Kaiserreich, in: Niethammer, Lutz (Hrsg.), Wohnen im Wandel, S. 344-362; Gagelmann, Karola, Die Rolle von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung bei der Gesundheits- und Wohnungspolitik in Magdeburg zwischen 1890 und 1914, Diss. PH Magdeburg, 1991, vor allem S. 97 -144; Enke, Erich, Private, genossenschaftliche und städtische Wohnungspolitik in Essen, Stuttgart 1912, S. 126-221.

1. Deutschland

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druck staatlicher, sozialer Verantwortung, die zur Befriedung der Gemeinde und des Staates beitrugen. 82 Wer in den Gemeinden die lokale Wohnungs- und Siedlungspolitik voran gebracht hatte und voran bringen sollte, erläuterte der sozialdemokratische Wohnungsreformer Viktor Noack. Nach einer Besichtigungsreise, die er im Frühjahr 1921 durchgeführt hatte, ließ er sich sowohl über das "ländliche Wohnungselend" als auch über die Wohnverhältnisse in Berlin aus. Nach seiner 8-tägigen Reise in und um Berlin legte Noack, wie er selbst einschätzte, eine "Aneinanderreihung erschütternder Tatsachen" vor und konstatierte eine deutschlandweite Wohnungsnot. Um den Gemeinden bei der Bewältigung dieser Not, Rat, Anleitung und Ermunterung zu geben, verwies Noack, wie es der Untertitel seiner Schrift andeutete, auf "Finanzierungsversuche und -möglichkeiten", wie sie in verschiedenen deutschen Kommunen und Landgemeinden Anwendung fanden. Im Kern waren es durchweg Verdienste von Lokalpolitikern, welche die Ideale der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform in ihren Gemeinden haben Politik werden lassen und der Wohnungsnot den Kampf ansagten hatten. Städtische "Bodenpolitik", "Heimstättenbau", "Selbsthilfe" und die Besteuerung des bebauten Grundbesitzes im Zusammen- und Wechselspiel mit der Rahmengesetzgebung des Reichs und den "reaktionären" Versuchen, einem "Volkswohnungsrecht" entgegenzuwirken, kennzeichnete er als den Nachkriegsalltag der Wohnungs- und Siedlungspolitik. Einen nachhaltigen Erfolg zeitigten solche Maßnahmen aber nur, wenn es gelingen würde, im Sinne der Bodenreformer ein "öffentliches Monopols am Grund und Boden" durchzusetzen.83

82 Leaman, Jeremy, Handlungsspielräume der Gemeinden in der Zwischenkriegszeit, in: Kopetzki, Christian u. a. (Hrsg.), Stadterneuerung in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Kassel 1987, S. 132-136; vgl. auch Rosenhaft, Eve, The historical development of German social policy, in: Clasen, Jochen/Freeman, Richard (Ed.), Social policy in Germany, New York et al. 1994, S. 21-41, besonders S. 33 f. 83 Noack, Victor, Der Weg aus der Wohnungsnot, Berlin 1925, S. 22 - 33. Noack beschrieb als Voraussetzung für den Erfolg seiner Forderungen ein Bündnis aus Sozialdemokratie und BDB. Über die ländlichen Verhältnisse bemerkte Noack, daß die dort herrschenden menschenunwürdigen Wohnverhältnisse die Abwanderung zur Folge und den Nachzug polnischer Landarbeiter hätten. Er zitiert schlußfolgernd die Bemerkungen zum "ernährungspolitischen Problem" aus der Erklärung des brandenburgischen Landesarbeitsamtes vom Januar 1921, wonach sich die deutsche Landwirtschaft in "vollständiger Abhängigkeit von Polen" befinden würde, wodurch die "Volksernährung aufs schwerste" gefährdet werden könne. Die Lösung: "Vermehrung der deutschen ländlichen Arbeiterschaft", der man nur "Heim und Scholle" geben bräuchte, dann würde sie schon "wurzeln". Ebenda, S. 4 - 7. Vgl. auch Noack, Victor, Wohnungsmangel in Stadt und Land, in: Jahrbuch der Bodenreform 1921, S. 129141; BarchB, R 3901 I 1769, BI. 9-13: Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses der Kornmission für die Demobilmachung der Arbeiterschaft am 17. Oktober 1918. Hier wurde im Gegensatz zur Meinung Noacks festgestellt, daß der Arbeitskräftebedarf der deutschen Landwirtschaft "wohl nicht so groß, wie allgemein erwartet" sein würde. Vgl. auch Schwan, Bruno, Die Wohnungsnot und das Wohnungselend in Deutschland, Schriften des Deutschen Vereins für Wohnreform e. V., Heft 7, Ber1in 1929, S. 49-111.

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III. Wohnen nach dem Krieg

Die Gemeinden stützten ihre Wohnungs- und Siedlungspolitik häufig auf die von Noack hervorgehobenen Leistungen von Ortsvereinen der Reformbewegungen und Einzelpersönlichkeiten. Zahlreiche Reformer waren Landräte, Bürgermeister, städtische Angestellte und Bauräte, die in ihren Gemeinden das umzusetzen versuchten, was sie in den zurückliegenden Jahren selbst und in ihren Netzwerken aus Spezialistentum und politischem Lobbyismus ausgearbeitet und verbreitet hatten. Eine nicht einfache Aufgabe, die sie da übernommen hatten, denn sie mußten häufig gegen die von den Haus- und Grundstückseigentümern dominierten Gemeindeparlamente ankämpfen. Diese blockierten in der Phase der Wohnungs(not)politik oft die Durchsetzung zwangswirtschaftlicher Maßnahmen im Wohnungswesen, da sie eigene Interessen berührt sahen. Für die weitere "Wohnungszwangsbewirtschaftung" und eine öffentliche Neubauförderung, die tradierte privatwirtschaftliehe Maßstäbe einschränkte, waren das keine günstigen Voraussetzungen.84 Auch wenn Noack einzelne Kommunen wie Frankfurt/Oder herausstellte, die den Weg der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform erfolgreich beschritten85 , war das Kennzeichen der Jahre nach 1918 ein ausgedehnter und umfassender Mangel an Wohnungen in Deutschland. So beschränkte sich die "Reform" des Wohnungswesens in vielen Gemeinden in erster Linie auf die Installation von Behörden, die als zentrale Anlaufstellen Wohnungen verwalteten und nachrangig den Bau neuer initiierten. Die erste Funktion erfüllten dabei die kommunalen Wohnungsämter. Ihre personelle Erweiterung drückte die gestiegene Nachfrage nach Wohnungen und gleichzeitig die Verantwortung der Gemeinden, dieses Problem wenigstens zu verwalten, aus. In Berlin bspw. wurde, nachdem das Wohnungsamt im April 1918 mit 20 Beschäftigten wieder gegründet wurde, zwischen April 1919 und April 1920 das Personal von 88 Mitarbeiter auf 463 erhöht. Bis zum Septem-

84 Vgl. LarchB, B Rep. 212 Bd. 2, Bezirksamt Steglitz, Nr. 3691, ohne Bl.-Nr.: Schreiben des Arbeiter- und Soldatenrates Steglitz an den Staatskommissar für das Wohnungswesen vom 27. Januar 1919. Darin wurde darauf hingewiesen, daß der§ 6 der Wohnungsmangelverordnung, der die Kündigung eines Mietvertrages von der Genehmigung des Mieteinigungsamtes abhängig machte, vom Gemeindevorstand, der sich zum größten Teil aus Hausbesitzern zusammensetzte, nicht genehmigt würde. Vgl. Haberland, Georg, Wie kommen wir aus der Wohnungsnot heraus? Berlin 1919, S. 12 f.; Weich/ein, Siegfried, Sozialmilieus und politische Kultur in der Weimarer Republik, Göttingen 1996, S. 244 f. ; Kerner; S. 145- 253; Führer; S. 306-334; Lehnert, Detlef, Organisierter Hausbesitz und kommunale Politik in Wien und Berlin 1890-1933, in: Geschichte und Gesellschaft, 20, 1994, S. 29-56, hier S. 35-37; Ruck, Michael, Der Wohnungsbau - Schnittpunkt von Sozial- und Wirtschaftspolitik, in: Abelshauser, Werner, Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat, Stuttgart 1987, S. 91-124, besonders S. 92 f. 85 Der Magistratsreferent für das Bau- und Wohnungswesen, Stadtrat Möllenhoff, war Vorstandsmitglied des BOB. Die Stadt hatte eine Wohnungsfürsorge GmbH gegründet, in einer städtischen Baustoff GmbH die Produktion und Vergabe von Baumaterialien angeregt und zentralisiert, die Baustoffe in der Nachkriegszeit an Bauwillige auf Kredit vergab. Darüber hinaus betrieb die Stadt eine umfassende Bodenerwerbspolitik und erhob eine eigene, städtische Hauszinssteuer, deren Erträge dem Wohnungsbau zugeführt wurden. Vgl. Noack, Der Weg aus der Wohnungsnot, S. 29 f.

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ber des Jahres waren es bereits 660 Angestellte. 86 Die Hauptaufgabe der Wohnungsämter bestand in der Erfassung aller leerstehenden Wohnungen bzw. aller Bauten, die zu Wohnzwecken umgewandelt werden konnten, wie Fabrik-, Lager-, Büroräume, Turnhallen und Hotels. Eine entscheidende und "oft bedenkliche" Maßnahme war die in ihrem Ertrag beschränkte "Zivil- oder Zwangseinquartierung". So gewonnene "Teilwohnungen" versuchte man von der Hauptwohnung abzutrennen, was oft nur notdürftig gelang. Mehrere Haushaltungen waren danach gezwungen, Küche, Abort und Flur gemeinsam zu nutzen, was "selbstredend häufig zu den unerquicklichsten Folgen" führte, wie der Direktor des Rheinischen Vereins für Kleinwohnungswesen Kruschwitz rückblickend meinte. 87 Der Wohnungsmangel zog eine reichs- und bundesstaatliche Gesetzes- und Erlaßflut nach sich, die sich in der Verabschiedung zahlreicher Mieterschutzverordnungen, des Reichswohnungsmangelgesetzes vom 11 . Mai 1920 und des Reichsmietengesetzes vom 24. Mai 1922 niederschlug. Im wesentlichen handelte es sich hierbei um Novellierungen bzw. Ergänzungen zu den bereits seit September 1918 in Kraft gesetzten Maßnahmen gegen den WohnungsmangeL 88 Die Gemeinden erließen danach lokale Ordnungen, die den reichsstaatlichen Bestimmungen Rechnung trugen. So gingen bspw. einer im März 1921 erlassenen Gemeindeordnung der Stadt Bonn zur "Verminderung der Wohnungsnot, zur Wiederbelebung des Baugewerbes und zur Befreiung von der Zwangseinrnietung" zwei Reichs- (Bekanntmachung und Gesetz über den Wohnungsmangel vom 23. September 1918 bzw. 11. Mai 1920) und vier lokale Erlasse voraus. Letzte waren vom 9. Januar und 12. Dezember 1919 sowie vom 21. Juli und 28. September 1920.89 Die Vielzahl der Verordnungen, mit denen die Gemeinden ihrer Staatsvertretungspflicht im Wohnungswesen nachzukommen versuchten, war einerseits Ausdruck einer Mangelverwaltung im Ergebnis angestauter Problemlagen. Andererseits versuchten sie sich Räume der Neugestaltung zu schaffen, um den Wohnungsneubau zu gestalten bzw. eine Rückkehr zur "Normalität der Vorkriegszeit" einzuleiten. 86 Statistisches Amt der Stadt Berlin, Verwaltungsberichtsstelle (Bearb.), Erster Verwaltungsbericht der neuen Stadtgemeinde Berlin für die Zeit vom 1. Oktober 1920 bis 31. März 1924, Berlin 1926, S. 6.77-6.79. Nach der Bildung der Gemeinde Groß-Berlin im Friihjahr 1920 wurden den in den neuen Bezirksämtern zuständigen Stellen für das Wohnungswesen, den Bezirkswohnungsämtem, zahlreiche Funktionen übertragen. Die Zahl der Beschäftigten beim Zentralwohnungsamt ging daraufhin in den folgenden Jahren zurück Am 1. April 1924 waren noch 68 Personen dort beschäftigt. Vgl. auch Kaeber, S. 467; Hirtsiefer, S. 102-106; Landmann u a, Kommunale Wohnungs- und Siedlungsämter, Stuttgart 1919. 87 Kruschwitz, S. 26-28. Über den Umfang der Zivil- und Zwangseinquartierungen in verschiedenen deutschen Städten vgl. Rudloff, Wilfried, Die Wohlfahrtsstadt Kommunale Ernährungs-, Fürsorge- und Wohnungspolitik am Beispiel Münchens 1910-1933, Teilband 1, Göttingen 1998, S. 413-416; Führer, S. 319-324; Lehnert, Detlef, Kommunale Politik, Parteiensystem und Interessenkonflikte in Berlin und Wien 1919-1932, Berlin 1991, S. 214 f.; Kreinz, S. 83-89. 88 Vgl. Kerner, S. 145-330; Kruschwitz, S. 23. 89 Vgl. Jahrbuch der Bodenreform 1921, S. 178-183; vgl. auch Hirtsiefer, S. 109-124.

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III. Wohnen nach dem Krieg

Welchem Druck sich dabei die Gemeinden und ihre Wohnungsämter in den Jahren nach dem Krieg ausgesetzt sahen zeigen beispielhaft Zahlen aus Berlin, München, Leipzig und Dresden. In der im Frühjahr 1920 gebildeten Stadtgemeinde Groß-Berlin waren am 1. April 1921 insgesamt 127.946 Wohnungssuchende gemeldet. Drei Jahre danach im März 1924 waren es 223.130. Die Gesamtzahl der vergebenen Wohnungen belief sich 1921 auf 33.998 Wohnungen. In den Jahren 1922 und 1924 wurden über die Berliner Wohnungsämter 38.752 bzw. 33.969 Wohnungen zugeteilt. 90 Die Zahl der beim Münchner Wohnungsamt gemeldeten Wohnungssuchenden stieg zwischen 1920 und 1923 von 17.255 auf 27.454.91 Die Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921 zitierte zur Beschreibung der Wohnungssituation in Leipzig und zum Aufgabenumfang des dortigen Wohnungsamtes dessen Rechenschaftslegung: "Angang September 1921 zur Unterbringung vorgemerkt: 1. Wohnungssuchende mit eigner Wohnung: 1.577, hiervon: überfüllt 1.212, ungesund 375. 2. Wohnungssuchende ohne eigene Wohnung: 2.675, hiervon Jungverheiratete a) mit Kindem 242, b) ohne Kinder 746, andere 1.687. Weitere 7.126 Gesuche wurden abgelehnt, und zwar 1.176 von Altverheirateten, weil sie nach Feststellung des Wohnungsamtes erträglich untergebracht waren, ferner 5.950 Gesuche von Jungverheirateten, die erst nach dem 1. Januar 1920 geheiratet haben. Leerstehende Wohnungen sind seit 1919 so gut wie gar nicht vorhanden gewesen.'m

Nicht nur in welchem Maß die Zahl der Wohnungssuchenden stieg sondern auch in welchem Tempo verdeutlichen die Zahlen aus Dresden. Die folgende Übersicht zeigt den Anstieg der Zahl der Wohnungssuchenden innerhalb nur eines Jahres um das 3 1/ 2 fache. Zwar stieg auch die Anzahl der als frei gemeldeten Wohnungen im gleichen Verhältnis. Doch blieb das Verhältnis Wohnungssuchende I vermietbare Wohnung mit 10: 1 nahezu gleich und unverändert hoch.

90 Statistisches Amt der Stadt Berlin, Verwaltungsberichtsstelle (Bearb.), Erster Verwaltungsbericht, S. 6.80. Im Mai 1918 wurde der Wohnungsbedarf für Groß-Berlin auf ca. 50.000 Wohnungen geschätzt. Auf einer Zusammenkunft von Vertretern kommunaler Verwaltungen (u. a. Berlins Oberbürgermeister Wermuth, Schönebergs Oberbürgermeister Dorninicus, Lichtenbergs Stadtbaurat Uhlig und Charlottenburgs Wohnungsinspektor Gaumitz) wurde eingeschätzt, daß zum "laufenden Bedarf an Wohnungen durch Eheschließungen" noch ein "einmaliger Bedarf durch Kriegsheimkehrer" zu erwarten sei. Ca. 20.000 Wohnungssuchende zählte man zu den "schwersten Notfällen", die unmittelbar nach dem Krieg mit einer Wohnung zu versorgen seien. In der Stadt Berlin wurde von rund 10.000 Fällen ausgegangen. LarchB, Rep. 48-05/3, Gemeindeverwaltung Weißensee, Nr. 54, ohne Bl.-Nr.: Protokoll einer Zusammenkunft von Vertretern kommunaler Verwaltungen Groß-Berlins vom 7. Mai 1918. 91 Vgl. Rudloff, S. 404; Bericht über die Tätigkeit des Münchner Wohnungsamtes vom 1. April1918 bis 1. Aprill919, München 1919; Bericht über die Maßnahmen der Stadtgemeinde München zur Bekämpfung der Wohnungsnot und der Tätigkeit des Münchner Wohnungsamtes vom 1. April 1919 bis 1. April 1920, München 1920, S. 6 f. ; desgl. vom 1. April 1920 bis 1. April1921, München 1922, S. 8 f. 92 Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3386.

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Tabelle 5

Zahl der Wohnungssuchenden und der angemeldeten Wohnungen in Dresden zwischen Juli 1920 und August 192193 bis zum 1. Juli 1920

VVohnungssuchende 5.542

Angemeldete VVohnungen 533

9.897

552

1. Januar 1921

12.457

1.231

1. Aprill921

14.896

1.945

1. Juli 1921

17.790

1.974

29. August 1921

18.799

1.915

1. Oktober 1920

Die Hauptursachen für die Zunahme der Wohnungssuchenden waren die Hallshaltsgründungen von Neuvermählten bzw. im Krieg getrauter Eheleute, die erst nach 1918 eine eigene Wohnung beanspruchten, und die Zuzüge in die Städte. Die Zahl der Eheschließungen lag in Deutschland zwischen 1900 und 1913 zwischen 450.000 und 510.000 jährlich. Von 1914 bis 1918 wurden insgesamt 1,66 Millionen Ehen geschlossen, was unter Berücksichtigung des Wegfalls der Eheschließungen in den nach dem Krieg abzutretenden Gebieten zwar nur ca. 300.000 neue Ehen jährlich bedeutete und Ehescheidungen bzw. Verwitwungen vernachlässigte. Doch unmittelbar nach dem Krieg schnellte die Zahl der Eheschließungen bis 1923 auf 3,65 Millionen hinauf.94 93 Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des VVohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3387; BarchB, R 3901/10791, BI. 121a: Denkschrift über das sächsische Landeswohnungsamt und seine Geschäftsbereiche, Berichte usw. des Landtags, Nr. 127 vom 5. Februar 1921; BI. 123a: Manuskript mit Beiträgen und Ergänzungen zur Denkschrift. 94 Vgl. Nadel, S. 33 f.; Hirtsiefer, S. 87 f., Albrecht, Gerhard u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch des VVohnungswesen, Jena 1930, S. 112 f.; Wolf!, Hellmuth, VVohnungsbedarf und VVohnungsangebot in Deutschland, in: Zimmermann, Beiträge zur städtischen VVohn- und Siedelwirtschaft, S. 87 -158; Meerwarth, Rudolf, Die Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland während der Kriegs- und Nachkriegszeit, in: Meerwarth, Rudo1f u. a., Die Entwicklung des Krieges auf die Bevölkerungsbewegung, Einkommen und Lebenshaltung in Deutschland, Stuttgart u. a. 1932, S. 1-97, hier S. 27; Kämper, Otto, VVohnungswirtschaft und Grundkredit, Berlin 1938, S. 115; Hartmann, Kristiana, Siedlungen der zwanziger Jahre, Berlin 1985, Vorwort; Schulz, Günther, Kontinuitäten und Brüche in der VVohnungspolitik von der VVeimarer Republik bis zur Bundesrepublik, in: Teuteberg, Hans Jürgen (Hrsg.), Stadtwachstum, Industrialisierung, Sozialer VVandel, Berlin 1986, S. 140; Borchardt, Kurt, VVachstums- und VVechsellagen 1914-1970, in: Aubin, Hermann I Zorn, VVolfgang (Hrsg.), Handbuch der Deutschen VVirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1976, S. 685-740, hier S. 703 f. Gefördert durch die Wahrungsstabi1ität und den Dawes-Plan, benannt nach dem amerikanischen Vizepräsidenten Charles Gates Dawes, in dem die Reparationszahlungen Deutschlands geregelt und ein Darlehen in Höhe von 800 Millionen Goldmark für die Rückkehr zur Goldwährung gewährt wurde, begann eine zweite VViederaufbauphase. Berücksich-

270

III. Wohnen nach dem Krieg

Die Flüchtlinge und Rückwanderer aus den abzutretenden Gebieten erhöhten die Wohnungsnachfrage weiter. Einer Schätzungen des Roten Kreuzes zufolge waren Anfang Dezember 1920 110.000 Personen aus Elsaß-Lothringen, 3.000 aus dem Saargebiet, 325 aus dem besetzten Rheingebiet, 500.000 aus den Ostgebieten sowie 200.000 Auslandsdeutsche, zusammen 813.325 Personen, nach Deutschland zugewandert. Etwa 20.000 Wohnungen, so die geschätzte Anzahl im Jahr 1921, mußten außerdem den Besatzungstruppen zur Verfügung gestellt werden. 95 Eheschließungen, Zuwanderung und der Stau aus der Kriegszeit, als Kriegsgetraute und diejenigen, die wegen der Einberufung der Ehemänner und Söhne ihren Haushalt verkleinert hatten, nun aber mit ihren Haushaltsneu- und -wiedergründungen auf den Mietwohnungsmarkt drängten, führten zusammen genommen im neuen Reichsgebiet zu einem Wohnungsbedarf in den ersten Nachkriegsjahren zwischen 800.000 und einer Million. 96 tigte man alle Eheschließungen von 1914 bis 1924, dem Jahr des Beginns einer relativen Stabilisierung der Wirtschaft und des allmählichen Beginns des Massenwohnungsbaus, so wurden insgesamt 5,645 Millionen Ehen in Deutschland geschlossen. Vgl. auch Nadel, Kurt, Die deutsche Wohnungspolitik der letzten Jahre und die Bekämpfung des Wohnungsmangels, Schriften des Deutschen Vereins für Wohnungsreform e. V., Heft 2, Berlin 1927, S. 34. Die Zahl der Eheschließungen galt am "brauchbarsten", den Wohnungsbedarf zu messen. Die Summe der Eingetragenen in den Wohnungsämtern des Reiches kam nicht in allen Gemeinden der Anzahl der "wirklich" Wohnungssuchenden gleich. Nadel stützte seine Berechnung des Wohnungsbedarfs durch Eheschließungen auf die Zahl der durchschnittlichen Haushaltszunahme von etwa 430 Haushaltungen auf 1.000 Eheschließungen zwischen 1901 und 1910. 95 Vgl. Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3381. 96 Vgl. Nadel, S. 35; Hartmann, Vorwort. Die zeitgenössischen Schätzungen über den Wohnungsbedarf in den ersten Nachkriegsjahren schwankten zwischen 160.000 und drei Millionen fehlender Wohnungen. Albrecht u. a. benannten im Handwörterbuch des Wohnungswesens die Quellen beider Pole. Die ausgesprochen niedrige Zahl stammte von Paul Adam, Wohnungsnot? Keinesfalls!, Leipzig 1926, die hohe von Bahr, Die wirkliche Größe des deutschen Wohnungselends, in: Berliner Tageblatt, 1928, Nr. 578. Die Schätzung von 800.000 bis eine Million ist am wahrscheinlichsten. Durch den Zustrom der deutschen Flüchtlinge erhöhte sich die Zahl der Haushaltungen bis 1925 um 20% gegenüber dem Jahr 1910. Zwar lag das Bevölkerungswachstum bei nur 8%, was u. a. aus der Abnahme der Kinderzahl resultierte und zur Verkleinerung der Haushalte führte, die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt aber nicht dämpfte. Vgl. Schutz, Günther, Kontinuitäten und Brüche, S. 140. Waren es 1871 noch 4,7 Personen pro Haushaltung, sank die Zahl 1925 auf 4,05 und 1927 auf 3,5. Auf je 1.000 Einwohner kamen zwischen 1920 und 1929 21,1 Geburten im Jahresdurchschnitt. Bei 12,9 Gestorbenen je 1.000 Einwohnern im Jahresdurchschnitt ergab sich ein Überschuß von 8,2 im durchschnittlichen Verlauf dieser 9 Jahre. Vor dem Ersten Weltkrieg, zwischen 1890 und 1913, kamen auf 33,8 Geburten 20,0 Gestorbene, wodurch sich ein durchschnittlicher Überschuß von 13,8 ergab. Diese Rate stellte die Spitze der Geburtenüberschüsse seit 1850 dar. Nach dem Ersten Weltkrieg war diese Zahl dauerhaft gesunken. Vgl. auch Petzina, Dietmar, Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, Wiesbaden 1977, S. 177 f. Als weitere Gründe des Wohnungsmangels wurden in der Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921 (S. 3381) die "erhöhten Wohnungsansprüche" und die Tendenz zu größeren Wohnungen genannt. Vgl. hierzu BarchB, R 3901 I 11405, BI. 24: Schreiben des städtischen Wohnungsamtes Gelsenkirchen an die Vereinigung deutscher Wohnungsämter Berlin vom 15. Oktober 1921. Hierin wurde festgestellt,

1. Deutschland

271

Doch nicht nur die Quantität des Wohnungsmangels sondern auch seine Qualität übten Druck auf die zuständigen Stellen vor allen in den Gemeinden aus. Beispielhaft war, für alle jene, welche die Erinnerung trübte oder denen, die Forderungen der Reformer für Panikmache hielten, die Veröffentlichung über die Verhältnisse von 534 stadthannoverschen kinderreichen Kriegerfamilien von Mathilde Thiele und Wilhelm Schickenberg aus dem Jahre 1920, die auch den Wohnverhältnissen breite Beachtung zuteil werden ließ. Zwei Prüfsteine für die Nachhaltig- und "Wahrhaftigkeit" einer postulierten staatlicher Verantwortung im Wohnungswesen trafen dabei zusammen: Kriegsheimkehrer und ihre kinderreichen Familien. Eine Schwester des Fürsorgeamtes, die für die Studie Wohnungsbesichtigungen anstellte, faßte zusammen: "Unter etwa 40 Wohnungen habe ich 4, höchstens 6 einwandfreie gefunden. Die meisten waren feucht, hatten mindestens ein dunkles Zimmer, zerrissene Tapeten fand ich viel vor und überall dieselben Klagen: Der Hauswirt läßt nichts machen, niemand nimmt uns auf mit den vielen Kindern, wo sollen wir hin .•m

Die Zwangsmaßnahmen gegen den Wohnungsmangel und seine Verwaltung waren aber nicht geeignet, die Nachkriegswohnungsnot "erfolgreich" zu bekämpfen. Nur die Vermehrung des Wohnungsangebotes durch eine umfangreiche Neubautätigkeit, in welcher Form auch immer, versprach Abhilfe. Einige Gemeinden hatten vor und im Krieg wohnungs- und siedlungsbauvorbereitende Maßnahmen eingeleitet, mit denen sie auf die sich zuspitzenden Verhältnisse im Wohnungswesen reagieren wollten. Mit der von Noack geforderten städtischen "Bodenpolitik", die eine wichtige Grundlage des billigen bzw. öffentlichen Wohnungsbaus war, hatten sich verschiedene Gemeinden schon längerfristig befaßt. Die Stadt Ulm hatte bereits 1912 80% des städtischen Grund und Bodens in Besitz, Frankfurt a. M. bei Kriegsende 61,5%, Leipzig 50% und Spandau 46,1 %. Die Zahl der Gemeinden, die vor dem Krieg Wohnungen zumeist für Bedienstete ihrer Verwaltungen erstellt hatten, war aber mit ganzen 16 nicht besonders hoch. 98 Nach den Vorschlägen zur daß" .. . auch hier beobachtet werden (könne), dass während des Krieges gewisse Kreise ihren Anspruch auf Wohnraum - ohne wirkliches Bedürfnis - vergrösserten, nur weil sie sich wirtschaftlich gestärkt hatten. Aber diese Fälle sind doch vergleichsweise gering an Zahl gegen die Fälle, in denen ein Bedürfnis zur Vergrösserung der Wohnraumzahl tatsächlich vorlag." 97 Thiele, Mathilde/ Schickenberg, Wilhelm, Die Verhältnisse von 534 stadthannoverschen kinderreichen Kriegerfamilien, Hannover 1920, S. 29. Der Bericht verhehlte nicht, daß "(s)olche Familien ... sich auch in Hannover durchaus wohl in den ungesunden Wohnungen (fühlen) und setzen allen Versuchen, ihnen helle, freundliche Räume in den Außenbezirken zu vermitteln, einen hartnäckigen passiven Widerstand entgegen. Die Frauen wollen einfach nicht hinaus aus dem Häusermeer, in dem sie sich eingelebt hatten. Markthalle, Klatsch und Tratsch waren ihnen so zum Lebensbedürfnis geworden, daß sie ihre Ohren allen wohlgemeinten Vorschlägen verschlossen. Immerhin blieb die Zahl derer, die sich nach gesunden Wohnverhältnissen sehnten, erfreulich groß." Ebenda, S. 33 f. Vgl. auch die ähnlich gelagerte Studie zu Düsseldorf von Baum, Marie, Wohnweise kinderreicher Familien in Düsseldorf Stadt und Land, Berlin 1917, besonders S. 9 - 35. Vgl. zur Qualität des Wohnungsmangels in Berlin u. a. Böß, Gustav, Die Not in Berlin, Berlin 1923, S. 14 f.

272

Ill. Wohnen nach dem Krieg

kommunalen Wohnungspolitik, die Wilhelm GraBhoff 1918 vorgelegt hatte, sollten die Gemeinden mindestens 50% des Bodens erwerben, um mittels Krediten eigener Kreditanstalten und Grundstücksfonds den Wohnungsbau entscheidend auszudehnen. Denn nur durch das Engagement des Staates, in Vertretung durch die Gemeinden, könne, so GraBhoff über die zukünftige Wohnungspolitik Berlins, der Teil der Bevölkerung, der in den "Hinterhaus- und Hofwohnungen der Mietskasernen" wohne, in Kleinhäusern in und um die Stadt angesiedelt werden. Noch im Überschwang kriegerischer Begeisterung, entwarf er die deutsche Gemeinde der Zukunft (Berlin), indem er frohlockte: "Wenn das ganze Gebiet anstatt mit Kiefern, mit Kleinsiedlungen besetzt wäre, würden Staat und Volk größeren Nutzen davon haben. Der Staat, weil er hier statt märkischer Kiefern märkische Grenadiere ernten könnte; der dort angesetzte Volksteil dagegen würde durch seinen Fleiß aus der märkischen Sandbüchse einen Garten machen und Gemüse, Obst und Kleinvieh ziehen können . .. " 99

Doch zwischen 1919 und 1922/23 war ein Großteil der Neubauten Notwohnungen, deren Bau aber, wie Kruschwitz meinte, "meist mit gutem Erfolg durchgeführt" wurde. 100 Die Bedeutung der Gemeinden bei diesen Maßnahmen stieg ständig. Hatte 1919 und 1920 noch das Reich die "unbedingte Führung" bei der Gewährung und Vergabe öffentlicher Wohnungsbaumittel inne, zog es sich von der direkten allgemeinen Finanzierung 1921 zurück und überließ den Ländern und Gemeinden die Verantwortung für die Verwendung der Mittel aus der Zwecksteuer des Wohnungsnotgesetzes vom 12. Februar 1921. Zwischen dem Kriegsende und Dezember 1920 hatte das Reich 1,63 Milliarden Mark für die Unterstützung des allgemeinen Wohnungsbaus ausgegeben. Noch einmal 1,53 Milliarden Mark steuerten Bundesstaaten und Gemeinden bei. Für die Errichtung von Bergmannswohnungen wurden zusätzlich 1,1 Milliarden Mark ausgegeben, so daß insgesamt in den beiden Jahren unmittelbar nach dem Krieg 4,26 Milliarden Mark für den Wohnungsbau ausgegeben wurden. 101 98 Vgl. Graßhoff, Wilhelm H. C., Kommunale Wohnungspolitik, Berlin 1918, S. 7-10. Zum Vergleich: In Berlin war 1907 ca. 10%, 1919 ca. 27%, 1929 ca. 36% des Bodens in städtischem Besitz, aber nur ein kleiner Teil davon war Bauland. Schutz, Günther, Von der Mietskaserne zum Neuen Bauen, in: Alter, Peter (Hrsg.), Im Banne der Metropolen, Göttingen/Zürich 1993, S. 43-86, hier S. 63 f. 99 Ebenda, S. 37. Derjenige Teil der Berliner Bevölkerung, der "infolge der Gewöhnung in der Mietskaserne bleiben will", wie jene, die in "besser situierten" Gegenden, in mittleren und großen Wohnungen lebten, sollten in den "modernen Vierteln" der Großstadt wohnen bleiben. Vgl. auch Heyer, Georg, Soziale Wohnungsreform, Berlin 1918. too Kruschwitz, S. 29. 101 BarchB, R 3901 I 11022, BI. 233c: Zusammenstellung über die Unterstützung der Bautätigkeit durch öffentliche Mittel und die Zahl der hiermit in Angriff genommenen Wohnungen (Schätzungen) Dezember 1920. Aus welchen Einzelfonds, Baukostenzuschüssen und Gesetzen sich die Gesamtsumme zusammensetzte vgl. Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3406-3417. Über die finanziellen Mittel der einzelnen Bundesstaaten finden sich Zusammenstellungen unter BarchB, R 41 1716, BI. 136 f. Witt gibt den Aufwand an öffentlichen Mittel für 1919 in den

1. Deutschland

273

Über die Zahl der in diesem Zeitraum und mit diesen Mitteln gebauten Wohnungen liegen nur Schätzungen vor. Die Geschäftsstelle für Soziale Siedlungsreform in Berlin-Friedenau hatte, um einer "Reichsboden- und -wohnungsgesetzgebung" auf den Weg zu verhelfen, und die Arbeit des Reichsarbeitsministerium zu unterstützen, im Oktober 1919 an alle Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern Fragebögen verschickt. In diesen sollten die Gemeinden u. a. ihren Wohnungsbedarf und ihre eingeleiteten bzw. einzuleitenden Wohnungsbaumaßnahmen zusammenstellen. Nur etwa die Hälfte der Gemeinden hatte bis zum Februar 1920 geantwortet. Von den Siedlungsreformern wurde eingeschätzt, daß nur etwa 100 Gemeinden "brauchbare Angaben" zur Bautätigkeit im ersten Jahr nach dem Krieg machen konnten. In diesen Orten waren 1919 gerade einmal 6.835 Wohnungen entstanden.I02 Das Reichsarbeitsministerium gab im Dezember 1920 bekannt, daß bis zum Jahresende 1920 insgesamt 97.780 Wohnungen (Neubauten, Behelfs- und Notwohnungen) im gesamten Reich errichtet seien. 103 Keine drei Monate später verlauteten neue Zahlen aus dem Ministerium. Die Schätzungen fielen diesmal viel optimistischer aus. Bis September 1920 waren danach 150.000 Wohnungen fertiggestellt worden, bis zum Jahresende rechnete man mit weiteren 15.000. In den folgenden drei Monaten bis zum März 1921 erhöhte sich diese Zahl auf insgesamt ca. 210.000 Wohnungsbauten, die begonnen bzw. fertiggestellt worden waren. Davon waren ca. 60.000 als Behelfs- oder Notwohnungen errichtet worden. 104 Nach einer Zusammenstellung des Reichsarbeitsministerium vom Sommer 1921 stellte sich der Umfang der Wohnungsbaumaßnahmen zunehmend positiv dar:

Preisen von 1913 mit ca. 284 Millionen Mark an. Für die Jahre 1920 bis 1923 lag dieser bei 1,3 Milliarden Mark. Witt, S. 403. Vgl. auch Saldem , Kommunaler Handlungsspielraum während der Zeit der Weimarer Republik, in: Kopetzki u. a., S. 242 f. 102 Adolph, Robert (Bearb.), Die nachrevolutionäre Entwicklung des Wohnungswesens, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 114. Band, 1920, S. 431-444, besonders 434 f. In einem Drittel der Gemeinden, die auf die Umfrage geantwortet hatten, war "keinerlei Bautätigkeit entfaltet" worden. Die Mehrzahl der Gemeinden bestätigte, für die kommenden Jahre Wohnungsbauvorhaben geplant zu haben. Insgesamt wurden 576 Fragebögen verschickt von denen 307 bis zum 1. Februar 1920 beantwortet eingegangen waren. 103 Vgl. BarchB, R 3901 I 11022, Bl. 233c: Zusammenstellung über die Unterstützung der Bautätigkeit durch öffentliche Mittel und die Zahl der hiermit in Angriff genommenen Wohnungen (Schätzungen), Dezember 1920. 104 Vgl. BarchB, R 3901 I 11023, BI. 39a: Vorläufige Angaben über die Zahl der seit Kriegsende im Reich erstellten Wohnungen zur Mitteilung an die Presse vom 11. März 1921. Nach Ortsgrößen verteilt, entstanden in Orten mit über 100.000 Einwohnern 35% der "neuen" Wohnungen, in Orten mit 20 bis 100.000 Einwohnern 19%, in denen mit 2 bis 20.000 Einwohnern 28% und in Orten mit unter 2.000 Einwohnern 18%. 18 Koinzer

274

III. Wohnen nach dem Krieg Tabelle 6

Übersicht über die seit Kriegsende bis zum 30. Juni 1921 im Deutschen Reich begonnenen Wohnungen vom 25. August 1921 105

l. Allgemeiner Wohnungsbau a) Dauerwohnungen b) Not- und Behelfswohnungen Zusammen

1919-1920

1921-30. Juni 1921

162.297 63.784 226.081

57.100

2. Bergmannswohnungen a) aus Reichsmitteln b) aus Werksmitteln (einschließlich Oberschlesien) Zusammen

6.571 18.238

13.873

Allgemeiner Wohnungsbau und Bergmannswohnungen gesamt

244.319

70.973

1919-30. Juni 1921 gesamt

11.667

315.292

Der im Vergleich zur Wohnungsproduktion der Vorkriegszeit geringe und durch die enorme Steigerung der Baukosten 106 gehemmte Wohnungsbau erschien in der nichtdeutseben Öffentlichkeit jedoch von beträchtlicher Größe zu sein. Mit der Bitte um Argumentationshilfe wandte sich das deutsche Auswärtige Amt im März 1921 an das Reichsarbeitsministerium, um auf einen Artikel der Londoner Times zu reagieren. Diese hatte, gestützt auf die Aussagen britischer Kaufleute, die u. a. die Leipziger Messe bereisten, berichtet, daß die Bautätigkeit in Deutschland "lebhafter als in England" sei. Das Auswärtige Amt wollte "diesen Behauptungen" in der britischen Presse, die bemüht sei, "im Zusammenhang mit der Reparationsfrage ... die deutschen Verhältnisse als besonders günstig hinzustellen", entgegentreten. 107 Das Reichsarbeitsministerium stellte in den folgenden Monat die gewünschten Daten zum Zustand des deutschen Wohnungsbaus zusammen. Nach einer Darstellung der Wohnungsbauzahlen für Deutschland und England erwiderte das Reichsarbeitsministerium im April 1921 behutsam, daß es "immerhin nicht ausgeschlossen" sei, daß die Anzahl der in Deutschland begonnenen Wohnbauten größer sei als in Großbritannien. 108 105 BarchB, R 3901 I 11329, BI. 26c: Zusammenstellung der bis 30. Juni 1921 fertiggestellten bzw. im Bau befindlichen Wohnungen. 106 Vgl. u. a. Adolph, R., S. 435. Adolph gibt für 1919 die Steigerung der Baukosten um 20-30% in einem wenige Monate umfassenden Zeitraum zwischen Antrag und Genehmigung eines Bauprojektes an. 107 BarchB, R 3901 I 11023, BI. BI. 45: Schreiben des Auswärtigen Amtes an das Reichsarbeitsministerium vom 26. März 1921. 108 Ebenda, BI. 45c: Schreiben des Reichsarbeitsministeriums an das Auswärtige Amt vom 29. April 1921.

1. Deutschland

275

Deshalb sei es nicht ratsam, der "günstigen Beurteilung der deutschen Verhältnisse" mit Zahlen in die britischen Presse entgegenzutreten. Vielmehr sollte auf den Umstand aufmerksam gemacht werden, daß ein großes Mißverhältnis zwischen Wohnungsbedarf und -angebot bestünde. Außerdem könnte darauf hingewiesen werden, daß zahlreiche der seit Kriegsende errichteten Wohnungen nur Notund Behelfswohnungen seien, und 1921 die Bautätigkeit auf finanzielle Hindernisse stoßen würde. 109 Es waren die "außenpolitischen Gründe", die das Reichsarbeitsministerium veranlaßte, die Schätzungen zu den deutschen Wohnungsbauzahlen auch in den folgenden Jahren "vertraulich" zu behandeln. Im Februar 1923 schätzte man die Zahl der durch sämtliche Maßnahmen erstellten Wohnungen zum Jahresende 1922 auf 550.000. 110 Der in Vorbereitung einer Besichtigungsreise zweier britischer, konservativer Unterhausabgeordenter im Sommer 1922 zusammengestellte Bericht über die Verhältnisse im deutschen Wohnungswesen verwies, neben den "in begrenztem Maße" zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln von Reich und Bundesstaaten, vor allem auf die steigenden Baukosten und die sich verschlechtemde wirtschaftliche Lage in Deutschland. Während 1920 für den Bau einer Kleinwohnung noch 40 bis 50.000 Mark aufgebracht werden mußten, waren es 1922 bereits 500.000 Mark. Zudem ließ der "weitere Niedergang der deutschen Wirtschaft .. . auch auf dem Gebiete des Wohnungswesens mit einer nahe bevorstehenden Katastrophe rechnen", die eine gänzliche Einstellung der Wohnungsbautätigkeit befürchten lasse. 111 Die Wohnungsbautätigkeit wurde durch die steigende Inflation stark beeinflußt.112 Die "güterwirtschaftlichen Probleme" (Witt) bei der Wohnungsproduktion fanden ihren Ausschlag in der zunehmenden Verteuerung der Baustoffe und Löhne in der Bauwirtschaft Die niedrigen Mieten infolge der Mieterschutzpolitik, in den Jahren von 1920 bis 1925 lagen sie zwischen 3,4% (1923) und 51,8% (1925) des Emährungsindexes, machten zudem Investitionen im Wohnungsbau unattraktiv und führten zu einem weiteren Rückgang der privaten Bautätigkeit. Der Preisindex für Wohngebäude bezogen auf 1913 (100%) stieg auf 375% (1919), 1.075 % 109 Ebenda. Vgl. auch R 3101110123, BI. 44145: Abschrift eines Schreibens des Deutschen Konsulats in Glasgow an das Auswärtige Amt vom 21. August 1924. Vgl. zur Situation des deutschen Wohnungsmarktes 1919 bis 1924 u. a. Führer, S. 319-327. 110 BarchB, R 411716, BI. 477 I 478: Internes Schreiben im Reichsarbeitsministerium an des Referat Strübing vom 27. Februar 1923. 111 BarchB, R 3901 I 10563, ohne BI.-Nr.: Antwortschreiben des Reichsarbeitsministerium auf das Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 22. August 1922 bezüglich des Fragebogens zu den Wohnverhältnissen in Deutschland in Vorbereitung einer Besichtigungsreise britischer Abgeordneter. 112 Vgl. u. a. Witt, S. 390 - 396; Geyer, Martin H., Wohnungsnot und Wohnungszwangswirtschaft in München 1917 bis 1924, in: Feldman, Gerald D. u. a. (Hrsg.), Die Anpassung an die Inflation, Berlin u. a. 1986, S. 127 -162; Lehnert, Kommunale Politik, S. S. 207 -211; Munting, Roger I Holderness, B. A., Crisis, recovery and war, New York u. a. 1991, S. 125 f. 18*

276

III. Wohnen nach dem Krieg

(1920) und 1.808% (1921), bis seine Ermittlung wegen der sprunghaften Geldentwertung ausgesetzt wurdeY 3 In den Jahren 1923 und 1924 fielen die Wohnungsbauzahlen wieder und errichten gerade einmal die Hälfte des Vorkriegsstandards und lagen bei 118.333 bzw. 106.502 Wohnungen. Auch die Wohnungsbauzahlen der Vmjahre mußten nach unten korrigiert werden, da oft nur der "Rohzugang" an Wohnungen und Wohngebäuden erlaßt wurde. Durch den Abriß von unbewohnbaren Wohnungen und die Aufhebung von Not- und Behelfswohnungen in den Folgejahren stellte sich die Situation des Wohnungsbaus in den Jahren zwischen 1919 und 1924 wie folgt dar: Tabelle 7

Bau von Wohngebäuden und Wohnungen im Deutschen Reich von 1919-1924114

Wohngebäude

Wohnungen

In Prozent der Wohnungsproduktion der Vorkriegszeit (230.000 = 100%) nach Hirtsiefer

Rohzugang Reinzugang Rohzugang Reinzugang 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1919-1924

21.465 43.411 66.786 74.693 54.824 54.377

19.046 40.444 62.199 69.259 51.009 49.413

60.861 108.307 141.498 154.970 125.940 115.376

56.714 103.092 134.223 146.615 118.333 106.502

315.556

291.370

706.952

665.479

25 % 45% 57 % 64 % 51% 46%

113 Vgl. Hiertsiefer, S. 64-84; Kornemann, Rolf, Gesetze, Gesetze . . . , in: Kähler, Geschichte des Wohnens, Bd. 4, S. 707 f. und 721; Schulz, Günther, Kontinuitäten und Brüche in der Wohnungspolitik, S. 148; Galander, W., Trostlose Lage auf dem deutschen Baumarkt, in: Die innere Kolonisation im Freistaate Anhalt, hrsg. vom Landessiedlungsamt, Band 1, Jg. 1920, Heft 1, Dessau 1920, S. 25-27. 114 BarchB, R 3901 I 11025, BI. 617: Schreiben des Präsidenten des Statistischen Reichsamts an den Reichsarbeitsminister am 11. Juni 1926; Hirtsiefer, S. 83; vgl. auch Nadel, S. 35. Nadel gibt die Zahl der zwischen 1919 und 1924 erstellten Wohnungen mit 865.000 an. Witt, S. 400; Kornemann, S. 741. Verteilt auf die Bundesstaaten wurden in Preußen, gefolgt von Bayern, Sachsen, Baden, Thüringen, Hessen und Harnburg die meisten Wohnungen in diesen Jahren erstellt. Den stärksten Anstieg der Bautätigkeit zwischen 1919 und 1922 hatten dabei Sachsen, Baden und Hamburg, die, setzte man ihre Bautätigkeit 1919 = 100% im Jahre 1922 624, 402 bzw. 572% aufweisen konnten. In Preußen und Bayern war die Bauleistung in diesem Zeitraum nur auf 282 bzw. 173% gestiegen. Vgl. BarchB, R 3901 I 11398, BI. 45 I 3: Reinzugang an Wohnungen im deutschen Reich in den Jahren 1919 bis 1922. Vgl. auch Preller, S. 286.

1. Deutschland

277

Erst nach der Wahrungsstabilisierung im Winter 1923 I 24 und mit dem tatsächlichen lokrafttreten der Hauszinssteuer, die ab dem Frühjahr 1924 dem Wohnungsbaumarkt umfangreiche finanzielle Mittel zur Verfügung stellte 115 , war ein Aufschwung des Wohnungsbaus zu verzeichnen. Die Wohnungsbauzahlen stiegen bis 1929 I 30 kontinuierlich an und überstiegen die Wohnungsbauleistungen der Vorkriegszeit um ein wesentliches. Mit einem Reinzugang von 288.650 Wohnungen 1927, 309.762 (1928), 317.628 (1929) und 310.971 (1930) wurde in diesen Jahren der höchste Zuwachs an neu und umgebauten Wohnungen verzeichnet. In den letzten beiden Jahren der Weimarer Republik gingen die Wohnungsbauzahlen auf 233.648 (1931) und schließlich 141.265 (1932) zurück und waren so niedrig wie in den Zeiten der Inflation. Insgesamt wurden in den Jahren nach dem Krieg bis einschließlich 1932 2,464 Millionen Wohnungen neu gebaut, 371.000 wurden umgebaut und 2,835 Millionen wurden saniert. Unter Berücksichtigung eines Wohnungsabgangs durch Abriß, Umbau etc. in Höhe von 184.000 bedeutete das einen Reinzugang von mehr als 2,65 Millionen Wohnungen. Neun Millionen Menschen, 14% der deutschen Bevölkerung wohnten 1930 in Wohnungen, die nach dem Krieg entstanden waren. 116 Die öffentliche Hand finanzierte einen nicht unbedeutenden Teil des Wohnungsbaus der Jahre von 1924 bis 1932. Durchschnittlich 49,5%, rund 9,172 Milliarden Mark aller Bruttoinvestitionen im Wohnungsbau wurden aus der Hauszinssteuer und sonstigen Mitteln des Reiches, der Bundesstaaten und Gemeinden aufgebracht. 117 Die Gemeinden verfügten damit über umfangreiche finanzielle Mittel für den Wohnungsbau, die unter privaten, gemeinnützigen und städtischen Bauunternehmungen mit Auflagen über die Ausgestaltung von Wohnungen und Siedlungsanlagen verteilt bzw. für eigene Siedlungsprojekte aufgewendet wurden.U 8 115 In den Jahre 1924 bis 1932 war diese im Februar 1921 eingeführte, aber wegen der Inflation wirkungslose Zwecksteuer auf bebauten Grundbesitz mit durchschnittlich 10% an allen öffentlichen Einnahmen beteiligt. Sie fiel je zur Hälfte Ländern und Gemeinden zu und wurde zu ca. 43% zweckgebunden für die Finanzierung des Wohnungsbaus verwendet. In Form verbilligter Hypothekendarlehen, als "direkte Zinssubventionierung und Garantierung von Fremdkapital" und in Form von Steuer- und Gebührenverzichten bzw. -erleichterungen wurden die Mittel vergeben. Empfänger waren private Bauherren, gemeinnützige Baugenossenschaften und Gemeinden. Die Hauszinssteuer war nur eine Form der finanziellen Unterstützungen von Seiten der öffentlichen Hand. Ergänzt wurde sie durch das allgemeine Steueraufkommen und Anleihen. Vgl. Witt, vor allem S. 404-406; vgl. auch Kruschwitz, S. 34 f. 116 Vgl. Witt, S. 400; Preller; S. 485. Preller spricht von 2,888 Millionen Neubauten und einer Gesamtinvestition von 17,5 Milliarden Mark zwischen 1924 und 1932 im Wohnungswesen. Vgl. auch Saldem , Häuserleben, S. 119-192, besonders S. 121 f.; Schu/z, Günther, Kontinuitäten und Brüche; S. 150-173; Schubert, Dirk, Stadterneuerung in London und Hamburg, BraunschweigtWiesbaden 1997, S. 300-321. 117 Vgl. Witt, S. 405; Fey, Walter, Leistungen und Aufgaben im Deutschen Wohnungs- und Siedlungswesen, Berlin 1936, S. 12 f.; Häring, Dieter, Zur Geschichte und Wirkung staatlicher Intervention im Wohnungssektor, Harnburg 1974, S. 233; Blumenroth, S. 309-320. 118 V gl. Saldem, Kommunaler Handlungsspielraum in der Wohnungspolitik während der Zeit der Weimarer Republik, in: Kopetzki u. a., S. 243 f. ; James, Harold, Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924- 1936, Darmstadt 1988, S. 95- 116.

278

111. Wohnen nach dem Krieg

Bei den Bauträgem nahmen die gemeinnützigen, genossenschaftlichen Bauvereinigungen eine wichtige Stellung ein. Für Berlin hat Theodor Torinus 1930 die Bautätigkeit nach Bauträgem für die Zeit von 1919 bis 1928 zusammengestellt. Danach ergab sich folgendes Bild: Tabelle 8

Verteilung der Bautätigkeit in Dertin nach Bauträgern 1919-1928 119 Gemeinnützige Unternehmungen und Baugenossenschaften

Private Bauunternehmer

Einzelpersonen

1919-1923

6.430

252

1.842

1924

5.516

4.022

512

1925

5.508

3.099

700

1926

9.803

5.461

895

1927

10.850

5.197

628

1928

14.918

8.584

868

Gesamt

53.025

26.615

5.445

119 Torinus, Theodor, Die deutsche Wohnungspolitik der Nachkriegszeit und ihre Auswirkungen auf das Wohnungswesen in Berlin, Diss. Universität Leipzig, 1930, S. 83. Dabei handelte es sich um Wohnungen, die im Bauplan des Berliner Siedlungsamtes für die Jahre 1919 bis 1922 aufgeführt waren und bis zum Jahre 1923 fertiggestellt wurden, und Bauten, für die in den Geschäftsjahren 1924 bis 1928 Hauszinssteuerhypotheken bewilligt wurden. Abweichende Zahlen finden sich bei Albrecht u. a., Handwörterbuch des Wohnungswesen, S. 272 und Schallenberg, Dr.-Ing., Der Berliner Wohnungsbau seit dem Krieg, in: Groß-Berliner Verein für Kleinwohnungswesen (Hrsg.), Wohnungspolitik von gestern und morgen, Berlin 1931, S. 9-26, hier S. 19 f. Schallenberg war Direktor der Wohnungsfürsorgegesellschaft der Stadt Berlin und bezifferte den Berliner Wohnungsbau unter Verwendung öffentlicher Mittel von 1918 bis 1923 auf insgesamt 32.000 Wohnungen (u. a. Holzhäuser, Umbauten, Teilung von großen Wohnungen, Dachgeschoßausbau, Umbau von Büro- u. Geschäftsräumen). Ebenda S. 10. Auch die jährlichen Wohungsbauzahlen liegen für Berlin höher, 1924 (10.050), 1925 (9.307), 1926 (16.159), 1927 (26.745), 1928 (24.806), 1929 (24.505) und 1930 (23.428), wobei die gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen den größten Teil der Bauten ausführten. Zur Tätigkeit der Baugenossenschaften in der Weimarer Republik vgl. u. a. Novy, Klaus, Genossenschafts-Bewegung, Berlin 1983, S. 80-100; Adam, Thomas, Genossenschaftliches Wohnen in Sachsen, Leipzig 1996, S. 21- 32; Ders., 125 Jahre Wohnreform in Sachsen, Leipzig 1999, S. 41-48, 59-68,98-102, 136-141, 153 f.; Jenkis, Helmut W., Ursprung und Entwicklung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, Harnburg 1973; Amdt, Michael/ Rogal, Holger, Berliner Wohnungsbaugenossenschaften, Berlin 1987, S. 24- 66; Großhans, S. 22. Zum betrieblichen Wohnungsbau vgl. Zollitsch, Wolfgang, Arbeiter zwischen Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus, Göttingen 1990, S. 124129; Ribbe, Wolfgang I Schäche, Wolfgang, Die Siemensstadt, Berlin 1985, S. 193 - 205.

1. Deutschland

279

Im Jahr 1928 wurden 47,8% aller Wohnungen in deutschen Groß- und Mittelstädten von gemeinnützigen Baugenossenschaften errichtet, weitere 9,4% von öffentlichen Körperschaften und Behörden, der Rest von privaten Bauherren.120 Die architektonischen Ergebnisse der "bauende Republik" zwischen 1919 und 1932 waren Vielfältigster Art. Die bemerkenswertesten waren die Siedlungen der Modeme, wie sie in Berlin, Frankfurt a. M., Dessau, Karlsruhe, Magdeburg, Stuttgart und anderswo entstanden. Flachbau- und mehrstöckiger Siedlungsbau, großstädtische, zentrumsnahe Bebauung und vorstädtische Siedlung, Flachdach und Satteldach, "Neues Bauen" und traditionelle Form, materialsparende und platzsparende Experimente und am Ende das Bauen für das "Existenzminimum", der Wohnungsbau der Weimarer Republik war vielgestaltig. 121 12o Vgl. Albrecht u. a., Handwörterbuch des Wohnungswesens, S. 273. Im Schnitt der Jahre 1919 bis 1928 hatte die gemeinnützige Bautätigkeit einen Anteil von 40% (Reich) und von 43% (Preußen). Kastorff-Viehmann, Renate u .a., Planung für die Industriestadt. Dortmund in den 1920er Jahren, in: Die alte Stadt, 1 I 1994, S. 70-82. 121 Vgl. Fischer-Dieskau, Joachim, Einführung in die Wohnungs- und Siedlungspolitik, Berlin/Leipzig 1938, S. 21 f.; Wolf. Paul, Wohnung und Siedlung, Berlin 1926, S. 120-125; Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen e. V. (Hrsg.), Bericht über die Versuchssiedlung in Dessau, Sonderheft Nr. 7, 1929; SchultzeNaumburg, Paul, Der Bau des Wohnhauses, München 1924; Taut, Bruno, Bauen. Der neue Wohnbau, Leipzig/Berlin 1927; Wagner, Martin, Gross-Siedlungen, in: Wohnungswirtschaft, 1111411926, S. 81-114; Reichsverband der Wohnungsfürsorge-Gesellschaften e.V. (Hrsg.), Heimstätten in Preußen, Berlin 1931 ; Behne, Adolf, Neues Wohnen- Neues Bauen, Leipzig 1927; Dexel, Grete und Walter, Wohnhaus von heute, Leipzig 1928; Gut, Albert (Hrsg.), Der Wohnungsbau in Deutschland nach dem Weltkriege, München 1928; Johannes, Heinz, Neues Bauen in Berlin, Berlin 1931; Müller-Wulckow, Walter, Wohnbauten und Siedlungen, Königstein/Köln 1928; Kähler, Gert, Wohnung und Stadt. Hamburg, Frankfurt, Wien, Braunschweig/Wiesbaden 1975, S. 96-144, 221-274; Ders., Nicht nur Neues Bauen, in: Ders., Geschichte des Wohnens, S. 303-452; Huse, Norbert, Neues Bauen 19181933, München 1975, S. 64-126; Ders. (Hrsg.), Vier Siedlungen der Weimarer Republik, Berlin 1984; Freisitzer, Kurt/ Glück, Harry, Sozialer Wohnungsbau, Wien u. a. 1979, S. 3036; Balachow, Oleg, Funktionelle, konstruktive und technologische Lösungen im Massenwohnungsbau der 20er Jahre, Diss. Weimar, 1983; Ungers, Liselotte, Die Suche nach der neuen Wohnforrn, Stuttgart 1983; Uhlig, Günther, Sozialräumliche Konzeption der Frankfurter Siedlungen, in: Dezernat für Kultur und Freizeit, Amt für Wissenschaft und Kunst der Stadt Frankfurt a.M. (Hrsg.), Ernst May und das Neues Frankfurt 1925-1930, Berlin 1986, S. 93 -103; Miller Lane, Barbara, Architecture and politics in Gerrnany 1918-1945, Cambridge/Mass. 1968; Hipp, Herrnann, Wohnstadt Hamburg. Mietshäuser zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise, Harnburg 1982; Wiedenhoef, Ronald W., Berlin's Housing Revolution, Ann Harbour 1985; Schumacher, Angela, Otto Haesler und der Wohnungsbau in der Weimarer Republik, Marburg 1982; Schaal, Rolf u. a. (Hrsg.), Baukonstruktionen der Modeme aus heutiger Sicht. Band 4: Siedlungen, Basel u. a. I 990; Beer, Ingeborg, Architektur für den Alltag, Berlin 1994, S. 66-87, 88-95; Weiss, Ursula, Über die realen Grundlagen der Wohnungspolitik in der Weimarer Republik, in: Stiftung Bauhaus Dessau; RWTH Aachen (Hrsg.), Zukunft aus Amerika, Dessau 1995, S. 208-219; Schutz, Günther, Von der Mietskaserne zum Neuen Bauen, S. 61-74; Selbach, Sabine, Kleinwohnungsbau und Siedlungsplanung 1914- 1930, Diss. RWTH Aachen, 1987; Engelmann, Christine/ Schädlich, Christian, Die Bauhausbauten in Dessau, Berlin 1991; Herlyn, Ulfert u. a. (Hrsg.), Neubausiedlungen der 20er und der 60er Jahre, New York/Frankfurt a. M. 1987; Prigge, Walter/

280

III. Wohnen nach dem Krieg

In welchem Verhältnis Hoch- und Flachbau standen, also in welchem Umfang "Eigenheime" nach dem Krieg errichtet wurden, zeigt eine Zusammenstellung des Groß-Berliner Vereins für Kleinwohnungswesen über die Neubautätigkeit in Berlin zwischen 1914 und 1930. Tabelle 9

Anteil des Hoch- bzw. Flachbaus am Wohnungsneubau in Berlin 1924-1930122 Jahr

Hochbau in %

Flachbau in %

1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930

77,7 72,7 82,6 91,7 92,3 91,3 95,2

22,3 27,3 17,4 8,3 7,7 8,7 4,8

Gesamt

86,2

13,8

Reich, Länder und Gemeinden sowie die zahlreichen neu begründeten gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsbaugenossenschaften als republikanische Bauherren, die oft unter Beteiligung bzw. auf Anregung der Gemeinden entstanden sind, hatten daran einen entscheidenden Anteil. Indem die Wohnungsfrage als Politik- und Problemlösungsfeld anerkannt wurde, Reformen in dieses politische Feld ideell und personell Einzug hielten, und finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wurden, war die staatliche Verantwortung für das Wohnen Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.), Das Neue Frankfurt, Frankfurt a. M. 1988; Schildt, Axell Sywottek, Arnold (Hrsg.), Massenwohnung und Eigenheim, New York/Frankfurt a. M. 1988; Neitzke, Martin, Gustav Wolf, Diss. RWfH Aachen, 1987; Benz-Rababah, Eva, Leben und Werk des Städtebauers Paul Wolf (1879-1957), Diss. Hannover, 1993; Saldem, Adelheid von, Der Zug der Zeit, in: Auffarth, Sid/ Saldern, Adelheid von (Hrsg.), Altes und neues Wohnen, Seelze-Verlber 1992, S. 112-123; Ringler; Hara1d, Die Karlsruher Akteure des Projektes Darnmerstock, in: Franzen, Brigitte (Red.), Neues Bauen der 20er Jahre, Karlsruhe 1997, S. 49-68; Jacob, Brigitte, Wohnungsnot und Wohnungsreform 1899-1933, in: Arge Jubiläum 1999 (Hrsg.), Wohnen in Berlin, Berlin 1999, S. 184-193, besonders S. 188-193; Bätzner; Nike, Der Siedlungsbau der 20er Jahre, in: Scheer u. a., S. 149-160; Peterek, Michael, Wohnung, Siedlung, Stadt, Berlin 2000, S. 123-200; Prinz, Regina, Neues Bauen und Politik, in: Antz, Christian u .a (Hrsg.), Neues Bauen- Neues Leben, München/Berlin 2000, S. 57 - 75, besonders S. 61 - 64; Peters, Eckard W., Der neue Geist des Städtebaus - Eine Stadt blüht auf, in: Antz u. a., S. 213- 224. 122 Schallenberg, S. 22; vgl. auch Torinus, S. 85; Hoffmann, Franz, Siedeln und Bauen rings um Berlin, Berlin 2 1932.

1. Deutschland

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nach dem Krieg keine leere Formel geblieben. Sozialdemokratische und liberale Kräfte im Verbund mit eher konservativen Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformern hatten in den überregionalen und lokalen Verwaltungen diese Intervention wesentlich befördert. 123 Die Lösung der Wohnungsfrage blieb aber eine Herausforderungen vor allem für die Großstädte, da viele Wohnungen immer noch von einer Art waren, "wie sie einem Menschen mit den heutigen sozialen und kulturellen Ansprüchen nicht zugemutet" werden dürfe, wie der Berliner Oberbürgermeister Gustav Böß 1928 meinte. 124 Die gebauten und politischen Ergebnisse bei der Bearbeitung der Wohnungsfrage zwischen 1919 und 1932 waren beachtlich. Wohnungspolitik, vor allem Wohnungsbaupolitik war in den Kanon der sozialpolitischen Felder aufgenommen worden, wo sie eine nachrangige Stellung einnahm. Neue Wohnungen waren entstanden, bessere Wohnverhältnisse für untere und mittlere Bevölkerungsschichten auch. Ein Wohnungsbedarf, der sich an der Bedürfnisgerechtigkeit orientierte, blieb aber als system- und generationenübergreifende Langzeithypothek bestehen. Doch was war aus den Beteuerungen der Kriegszeit geworden, die einer reinigenden, erneuernden, Wehrkraft, Bevölkerungswachstum und Gesundheit versprechenden Wirkung und herrlichen Verheißung folgend, das "eigene Heim auf eigener Scholle" propagierten? Waren die Bodenreformer und ihre "Kriegerheimstätten" politisch und wirtschaftlich gescheitert? Hatte "Krieger" und "Helden" in einem geschlagenen Deutschland keine Anerkennung, keine Belohnung mehr zu erwarten? Hatten Damaschke und die Bodenreform wohnungs- und siedlungsreformerische Akzente gesetzt, die sich in der Nachkriegszeit entwickeln konnten? Die Beantwortung dieser Fragen schließt sich im folgenden Kapitel an.

Vgl. Saldem, Häuserleben, S. 132 f. Böß, Gustav, Die sozialen Aufgaben der Komrnunalpolitik, Berlin 1928, S. 12 f. Vgl. auch BarchB, R 3901 I 1243, BI. 270-271: Der Reichsarbeitsrninister, betr. Bedarf an Wohnungen und seine Deckung vom 28. Mai 1927. Danach fehlten in Deutschland am 1. Januar 1927 rund 950.000 Wohnungen, wovon 600.000 als "dringendster Bedarf' angesehen wurde, was 5% aller Haushalte entsprach. Das Ministerium schätzte ein: "Nur wenn es möglich ist, ab 1930 den jährlichen Zugang an Wohnungen im Durchschnitt auf 250.000 zu erhöhen, wird am 1. Januar 1940 einigermaßen der Friedensstand ... erreicht sein", als die "Zahl der Wohnungen ungefähr der Zahl der Haushaltungen" entsprochen hatte. Vgl. auch Albrecht u. a., Handwörterbuch des Wohnungswesens, Reichswohnungszählung 1927, S. 606 - 617. Danach wurden u. a. 300.000 Wohnungen als "abbruchreif' eingeschätzt. Ebenda, S. 616. Vgl. Durst, Kar!, Wohnungsnot und Wohnungsbau in kleinen Gemeinden, München 1927, S. 52 f.; Schwan, Bruno, Die Wohnungsverhältnisse der Berliner Altstadt, Berlin 1932; Torinus, S. 122-129. Nach Schätzungen des Deutschen Vereins für Wohnungsreform betrug der Wohnungsbedarf in Deutschland Anfang 1933 1,118 Millionen. Vgl. Deutscher Verein für Wohnungsreform (Hrsg.), Wohnungsbau in Reich und Ländern 1933 - 1937, Berlin 1939, S. 20; Saldem, Häuserleben, S. 127 f. 123

124

282

III. Wohnen nach dem Krieg

e) Doch noch "Kriegerheimstätten"?Ländliche Ansiedlung und die Institutionalisierung des "Heimstättengedankens" nach dem Krieg Als im Oktober 1918 Max von Baden Reichskanzler wurde, frohlockte die Bodenreform, daß dieser die Bedeutung sozialer Fragen "im ganzen, und die eines deutschen Heimstättenrechts im besonderen, in seiner grundlegenden Bedeutung" erkannt habe. "Fiebernd" werden nun dahingehend Taten erwartet, zu denen die bisherigen Kriegskabinette nicht in der Lage gewesen seien. "Unter diesem Reichskanzler", so die abschließende Bemerkung der Bodenreform, "muß die Entscheidung fallen". 125 Aber auch in der Regierungszeit des letzten Kanzlers der reichsdeutschen Monarchie, der Mitglied des BDB war, fanden die "Kriegerheimstätten" nicht zur gewünschten Gesetzeskraft. "Zu spät!" war das "Schicksalswort", mit welchem die Bodenreformer ihr Wirken im kaiserlichen Deutschland zu charakterisieren versuchten.126 Im November 1918 richtete deshalb der BDB eine Eingabe an den Rat der Volksbeauftragten, worin dieser aufgefordert wurde, die am 14. November mit Gesetzeskraft erlassenen Bestimmungen zum Wohnungs- und Siedlungswesen um die von den Bodenreformer gewollten zu ergänzen. Diese hatten u. a. die Enteignung von Grund und Boden zum Zwecke des Wohnungs- und Siedlungsbau sowie die Verankerung eines gesetzlichen Vorkaufsrechtes an bebautem und unbebautem Boden durch die Gemeinden zum Inhalt. 127 Daß ihre Idee "zündete", belegte die Bodenreform ohne Berührungsängste vor "revolutionären Umtrieben", mit einer Aufzählung der Arbeiter- und Soldatenräte, die der vorgeschlagenen "Notverordnung in der Heimstättenfrage" zustimmten. Über einhundert Räte hätten sich "auf den Boden dieser Eingabe gestellt" und ihre Zahl werde täglich mehr, versicherte man Ende November dem Reichsarbeitsministerium.128 Noch im selben Monat versuchte der BDB seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, indem er einem weiteren Schreiben an das Reichsarbeitsministerium eine Abschrift der Depesche des Zentralsoldatenrates der achten Armee an den Rat der Volksbeauftragten beilegte. In dieser wurde die Regierung aufgefordert, den Vorschlägen der Bodenreformer beizutreten, damit die Kriegsheimkehrer "Grund und Boden zur Gründung von Heimstätten" finden könnten. 129 Beim Reichsarbeitsministerium gingen in den folgenden Wochen und Monaten zahlBodenreform 1918, S. 315 f.; vgl. auch S. 362. Ebenda, S. 362. 121 Ebenda, S. 346-348. 128 Ebenda, S. 362 f.; vgl. auch S. 377 -379; ebenda 1919, S. 2 f.; BarchB, R 3901 I 11104, BI. 2: Schreiben des Hauptausschusses für Kriegerheimstätten an das Reichsarbeitsministerium vom 26. November 1918. 129 BarchB, R 3901 I 11104, BI. 5: Abschrift eines Schreibens an den Rat der Volksbeauftragten. Vgl. auch Bodenreform 1918, S. 363. 125

126

1. Deutschland

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reiche solcher Schreiben ein, in denen Arbeiter- und Soldatenräte sowie Ortsverbände von Kriegsteilnehmerorganisationen Maßnahmen zur Förderung des Siedlungshaus für Kriegsheimkehrer forderten. In erster Linie verlangten diese, daß für Kriegsbeschädigte Siedlungsland, notfalls im Zuge einer Enteignung, zur Verfügung gestellt werden sollte. In einer Resolution des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen, Ortsgruppe Groß-Berlin, an den Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten Ebert, verlangte man dazu u. a. die Vergesellschaftung geeigneten Großgrundbesitzes zur "Ansiedlung von Kriegsbeschädigten in Siedlungsgenossenschaften." 130 Im Frühjahr 1919 mischte sich das Reichswehrministerium in die Debatte zur Schaffung gesetzlicher und ökonomischer Grundlagen der "Kriegerheimstätten" ein, nachdem es zu "wilden" Siedlungsaktivitäten von Soldatenräten und einzelnen demobilisierten Einheiten gekommen war. In Franken hatte sich, wie die Soziale Praxis im April 1919 berichtete, ein "militärsozialistisches Siedlungsunternehmen" gegründet. Hier hatte, so die Zeitschrift, die "mehr mit dem Herz als mit dem Kopf getriebenen Werbung für Kriegerheimstätten" dahingehend Ergebnisse gezeigt, daß der Soldatenrat des dritten bayerischen Armeekorps' einen "Siedlungsplan großen Stils entworfen" hatte. Dieser sollte von den Kriegsheimkehrern ausgeführt werden und diente neben der Schaffung von Wohnraum der Abmilderung von Arbeitslosigkeit. 131 Ein aus Magdeburg stammender Hauptmann Schmude propagierte zur gleichen Zeit die Gründung von "Siedlungs- und Arbeitsgemeinschaften (S.A.G.) zur Ansiedlung Erwerbsloser der Provinz Sachsen". Der Zweck solcher Gemeinschaften sollte einerseits sein, wie das Flugblatt zu ihrer Gründung verlauten ließ, "die Not des Landes durch Mehrung der Gütererzeugung, durch die Weckung der Arbeitslust und Schaffenskraft zu beheben". 132

130 BarchB, R 3901 I 11104, BI. 25: Schreiben und Resolution des Reichsbundes, Ortsgruppe Groß-Berlin, vom 30. November 1918. Vgl. auch ebenda, BI. 30: Schreiben des Arbeiter- und Soldatenrates Kassel an den Rat der Volksbeauftragten vom 9. Dezember 1918; BI. 32: Schreiben des Bundes Deutscher Kriegsbeschädigter der Priegnitz und Altmark an den Reichskanzler vom 3. Dezember 1918. BarchB, R 3901 I 10984, BI. 7-9: Drucksache des Kyffhäuser-Bundes vom September 1918; BI. 15116: Abschrift eines Forderungskataloges des Verbandes wirtschaftlicher Vereinigungen Kriegsbeschädigter für das Deutsche Reich in Essen vom 16. November 1918; Vgl. Sohnrey, H., Zur Ansiedlung unserer Kriegsbeschädigten, in: Wölbling, Paul I Gutkind, Erich (Hrsg.), Die Kriegsbeschädigten-Ansiedlung, Berlin 1918, S. 21-25; Mielke, Robert, Genossenschaftliche und Einzelwirtschaft in der ländlichen Kriegsbeschädigten-Siedlung, in: Ebenda, S. 37-43. 131 Soziale Praxis und Archiv ftir Volkswohlfahrt, 28. Jg., Oktober 1918 bis September 1919, Sp. 464: Ein militärsozialistisches Siedlungsunternehmen in Franken (April1919). Die Zeitschrift meldete, daß "angeblich" die Münchner Regierung das in der Nähe von Nürnberg geplante Werk mit 100 Millionen Mark kreditierte, und 200 Kriegsheimkehrer schon bauen würden. Als Gelände seien Exerzierplätze, Bauerngüter und drei Jagdschlösser freigemacht worden. Baumaterialien würden durch Beschlagnahme bereitgestellt. Insgesamt sollten 2.400 Siedlungsstellen geschaffen werden.

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III. Wohnen nach dem Krieg

Andererseits wollte Schmude die "Ansiedlung weiter Kreise tatkräftig . . . fördern". In einem 13 Punkte umfassenden Programm betonte er dabei, daß vordergründig "erwerbslose ehemalige Frontsoldaten" aufgenommen würden. Wie der Vorwärts später berichtete, war Schmude im Mai 1919 mit 60 Erwerbslosen von Magdeburg aus in das Braunkohlen- und Kalirevier Helmstedt-Völpke "gezogen", um sein Siedlungswerk zu beginnen. 133 Die Berliner Morgenpost schloß sich dem Hohelied auf Schmude an, der ",in die Kohle' ging ... , um durch eigene Arbeit die Heimstätten zu schaffen, die ein verarmtes Deutschland seinen Kriegern und Arbeitern nicht schenken kann". 134 132 BarchB, R 3901 I 11143, BI. 4: Flugblatt des Deutschen Arbeiterbundes zur Förderung von Siedlungs- und Arbeitsgemeinschaften nach Volpke-Beispiel vorn Juli 1919. 133 Vorwärts vorn 30. Juli 1920. t34 Berliner Morgenpost vorn 21. April 1920. Schmudes Wirken beschäftigte ab dem Sommer 1919 auch die Reichsleitung und die zuständigen preußischen Ministerien. Aus dem Reichsarbeitsministerium verlautete im August 1919, daß man sich mit den Zielen Schmudes einverstanden erkläre und lud ihn zu einem Gespräch zur Klärung von Fragen, wie die Zuweisung von Land zum Bau von Häusern und zur Nutzung von Ackerland für die Selbstversorgung nach Berlin. An dieser Besprechung sollten neben dem Reichswirtschaftsministeriurn, das Preußische Wohlfahrtsministeriurn, Graf Neidhart von Gneisenau, Besitzer eines Gutes, der von einer Enteignung zu Siedlungszwecken betroffen würde, die Landessiedlungsgesellschaft "Sachsenland" u. a. teilnehmen. Vgl. BarchB, R 3901111143, BI. 9 I 10: Schreiben des Referenten für ländliches Siedlungswesen an Schrnude vorn 1. August 1919. Am 6. August fand das Treffen statt. Schrnude berichtete über die Tätigkeit der "Arbeitsgemeinschaft", der ca. 800 Berg- und Landarbeiter aus der Region angehören würden. Geplant sei der Bau von 1.000 Heimstätten im gesamten Helrnstedter Kohlerevier, für den ein Zuschuß von 15 Millionen Mark erforderlich sei. Ca. 250 Anwärter auf eine Heimstätte hätten sich bereits gemeldet. Die Anwesenden verständigten sich auf die Auszahlung von Baukostenüberteuerungszuschüssen und die juristische und organisatorische Unterstützung von Seiten der "Sachsenland". Nur die Beschaffung von Bauland sei ein Problem. Der Staatssekretär des Reichsarbeitsministeriums Ponfick abschließend: "Die Hauptsache bleibe: Sofort etwas zu tun, Positives zur Beruhigung der Bergarbeiterschaft zu leisten!" Ebenda, BI. 12: Niederschrift über die arn 6. August 1919 im Reichsarbeitsministerium stattgehabte Sitzung. Vgl. auch Schmude, Detlef, Das Gebot der Stunde. Über die Arbeit zur Siedlung, Berlin 1920. In Hannover und Schleswig-Holstein hatte die preußische Staatsregierung im Einvernehmen mit der Reichsleitung zahlreiche Kriegsheimkehrer im Frühjahr 1920 zur Ansiedlung gebracht, um Moore, Ödland und das Lockstedler Lager urbar zu machen. Dieses Gelände wurde nach Maßgabe des Reichssiedlungsgesetzes von 1919 zur Besiedelung ausgegeben. Die Kosten der Siedlung hatte Preußen zu tragen. Die Kultivierung und Besiedlung wurde 1923 beendet; 198 Rentengüter preußischen Rechts waren gegründet worden. Vgl. BarchB, R 411736, BI. 93 - 95: Urbarrnachung des Lockstedler Lagers und von Moor- und Oedlandflächen in Hannover und Schleswig-Holstein, o. J. Vgl. auch BarchB, R 3901 I 11331, ohne Bl.-Nr.: Soldatensiedlungen, 1920-23; Vgl. Kriegerheim. Nachrichtenblatt des Kriegerheimstättenvereins für das Herzogturn Oldenburg, Nr. 10, Oktober 1919, S. 2: Die Tat des Hauptmanns Schrnude. In der Zeitschrift für Wohnungswesen wurde die Selbsthilfe der Kriegsheimkehrer begrüßt: "Unsere Krieger werden gern die Gelegenheit wahrnehmen, was sie im Kriege gelernt haben, zum Wiederaufbau zu verwenden." Neumann, E., Die Mitarbeit des Kriegersam Bau seiner Heimstätte, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, 17. Jahrgang 1919, S. 34-26, hier S. 35; BarchB, R 3901 I 11143, BI. 158-175: Bericht der Geschäftsführung der Heimstättengesellschaft Neu-Deutschland mbH. zu Volpke über die Tätigkeit von der Gründung arn

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Eine erste kommissarische Besprechung der zuständigen Reichs- und preußischen Staatsministerien zur Frage der "Kriegerheimstätten" fand im Februar 1919 statt. Im April bestätigte das Reichswehrministerium, vor allem mit Blick auf die Kriegsheimkehrer einerseits und die Reichswehrangehörigen anderseits, daß ein entsprechendes Gesetz geschaffen werden müsse. Das Reichswehrministerium betonte, daß "allseitig Übereinstimmung" dariiber bestehen würde, kein besonderes "Kriegerheimstättengesetz" zu schaffen, sondern nur ein "allgemeines Heimstättenrecht". Dennoch schien es "dringend geboten", wie das Ministerium bemerkte, "den in Aussicht genommenen Gesetzentwurf mit tunliebster Beschleunigung vorzulegen, schon um der weiteren Verbreitung unerfüllbarer Hoffnungen unter Kriegsteilnehmern entgegenzutreten." 135

Reichswehrminister Noske legte im September 1919 einen 31seitigen "Plan zur Einlösung des der Reichswehr gegebenen Siedlungsversprechens" vor. Nach dem "Vorbild Schmudes", wurde im Kern die Verbindung von "Arbeit und Siedlung" zur Lösung der Wohnungsfrage als gangbarer Weg für Kriegsheimkehrer und Reichswehrangehörige aufgezeigt. 136 Auf diese den Reichsministerien und preußischen Staatsministerien unterbreiteten Vorschläge versicherte das preußischen Finanzrninisterium, daß alle die Sache beruhrenden Fragen "fast durchweg" bereits Gegenstand "sehr eingehender Erörterungen" zwischen dem Reichsarbeitsministerium und anderen preußischen Ministerien seien. Ein eigenständiges Vorgehen des Reichswehrministeriums wäre daher der "Durchführung des Siedelungsverfahrens nicht förderlich". 137 Dennoch kam dem Reichswehrministerium ein wichtige Rolle zu. Auf den seit dem Friihjahr 1919 stattfindenden interministeriellen Treffen wurde u. a. beraten, wie militärfiskalische Grundstücke für Siedlungszwecke verwendet, und in welchem Umfang Baumaterialien aus den unter staatlicher Verwaltung stehenden Beständen genutzt werden könnten. Ende September 1919 traf sich der Reichswehrminister mit Vertretern des Reichsfinanz-, Reichsarbeitsrninisteriums, des preußischen Landwirtschaftsministeriums und des Volkswohlfahrtsministeriums, um über die Fürsorge von zu entlassenden Reichswehrangehörigen vor allem hinsichtlich einer Förderung der Ansiedlung zu beraten. Wahrend des Gesprächs wurden Pläne 27. Januar 1920 bis zum 15. Juli 1920. Umfassende Stellungnahmen und Schriftwechsel zu Schmude, in: GstaB, Rep. 87 B, Nr. 9408: Schmude'sche Siedlungs- und Arbeitsgemeinschaft in Völpke, Aug. 1919-1925. Nicht nur unter den Kriegsheimkehrern war in dieser Zeit eine (Neu)Siedlungstätigkeit zu verzeichnen. Vgl. Wömer-Heil, Ortrud, Von der Utopie zur Sozialreform, Darmstadt/Marburg 1996; Lange, Silvia, Protestantische Frauen auf dem Weg in den Nationalsozialismus, Stuttgart I Weimar 1998. 135 BarchB, R 3901/11104, BI. 38 a: Schreiben des Reichswehrministeriums an den Reichsjustizminister und Reichsarbeitsminister vom 19. April 1919. 136 GstaB, Rep. 151 I C, Nr. 11729, ohne 81.-Nr.: Schreiben des Reichswehrministers an sämtliche Reichsministerien, den Präsidenten des Staatsministeriums und an die preußischen Ministerien vom 6. September 1919. 137 Ebenda, ohne 81.-Nr.: Schreiben des Preußischen Finanzministers an den Reichswehrminister vom 30. September 1919.

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vorgelegt, nach denen die Gründung einer Gesellschaft zur Förderung der "Soldatensiedlung im gruppenweisen Selbstbau mit sparsamer Bauweise" empfohlen wurde. Im Detail sahen die verschiedenen Pläne die Schaffung einer bürokratischen Zentralstelle vor, die zwar zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Rücksicht auf "Etat- und Besoldungsfragen" nicht eingerichtet werden könne. Perspektivisch sollten an dieser Gesellschaft das Reich, der preußische Staat, die Provinzen, Gemeinden und die Industrie beteiligt sein. Zudem war die Gewährung von Reichskrediten für die Siedlungszwecke vorgesehen, sowie die Bereitstellung von Land, Baustoffen und Gerät zu besonderen Bedingungen durch das Reichsschatzamt Letztlich wurde die Einbringung eines Gesetzes beraten, das die Gemeinden verpflichten sollte, Land an Siedlungswillige zu vergeben. 138 Es war geplant, etwa 30.000 bis 40.000 Familien von Kriegsheimkehrern "zur Ansiedlung zu bringen", wofür ein Betrag von 500 Millionen Mark als staatliche Förderung notwendig würde. Damit sollten nach dem Willen des Reichswehrministeriums in ganz Deutschland "Wohn- und Wirtschaftsheimstätten im Selbstbau nach dem Vorbild von Schmude" entstehen. Da das preußische Landwirtschaftsministerium erklärt hatte, eine Million Familien "wieder auf das Land (zu) verpflanz(en)", war man sich der Unterstützung durch andere reichs-und preußische Ministerien gewiß. Doch nicht allein ehemalige und verbleibende Reichswehrangehörige sollten in den Genuß dieses Siedlungswerkes kommen, sondern "auch deren Arbeitskameraden", um eine Bevorzugung nicht eintreten zu lassen. Verheißungsvoll und drohend zugleich schloß das Reichswehrministerium seine Vorlage: "Gelingt es uns jetzt nicht, durch Ansiedlung oder die sichere Aussicht darauf das deutsche Volk an seine Heimat zu fesseln, so müssen wir mit einer sehr starken Auswanderung gerade der tüchtigen Leute rechnen. Und dadurch (gehen) der deutschen Volkswirtschaft weit grössere Werte verloren, als jetzt zur Sesshaftrnachung des Volkes leihweise angefordert werden. Dabei darf die politische Gefahr, die mit der Nichterfüllung des der Reichswehr gegebenen Versprechens liegt, nicht ausser acht gelassen werden." 139

138

1919.

GstaB, Rep. 87 B, Nr. 9474, BI. 41 I 42: Protokoll der Sitzung vorn 25. September

139 Ebenda, BI. 43-45: Entwurf eines Schreibens des Reichswehrministers an den Reichsfinanzminister und preußischen Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten vorn 27. September 1919. Mit dem der Reichswehr gegebenen "Versprechen" meinte das Reichswehrministerium wohl die Zusage Hindenburgs vorn Herbst 1918, daß die deutsche Regierung an umfangreichen Siedlungsplänen für Kriegsheimkehrer arbeiten würde. Siehe Kapitel II. Seit November 1918 bereiteten sich z. B. die preußischen Ministerien für Finanzen, des Innern und der Landwirtschaft, Domänen und Forsten auf die Bereitstellung von Siedlungs- und Bauland in und um Berlin vor. Insgesamt waren bis Jahresende 1918 mehr als 800 ha "Rohbauland" von Seiten des preußischen Staates in Aussicht gestellt, das an gemeinnützige Siedlungsgesellschaften zu Preisen von durchschnittlich 1,62 Mlrn2 veräußert werden sollte. Wenn dies nötig würde, so das Finanzministeriurn, könne noch weiteres Land zur Verfügung gestellt werden. Zudem wurde erwartet, daß die Groß-Berliner Gerneinden ebenfalls Land zur Verfügung stellen würden. GstaB, Rep. 77 Titel 733, Nr. 3, Vol. 1, BI. 238 - 242: Schreiben des preußischen Finanzministers an das preußische Ministerium des Innern vorn 31. Dezember 1918. Vgl. BarchB, R 3901 I 11128, BI. 1-3: Protokoll einer Besprechung von Bau-

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Diesen Prozeß aus Neokolonisation und Verteidigung gegen den "inneren Feind" wollten die Bodenreformer um Damaschke mit- und ausgestalten. Ihre langjährige Agitation und Propaganda hatte, trotz der zögernden Haltung der bisherigen Reichsregierungen und der Kritik aus den Reihen der Wohnungs- und Sozialreform, angesichts von Revolutionsbändigung und Demobilisierungssteuerung zu fruchten begonnen. An den Mitgliedern und Freunden des BDB war es nun, die Bodenreform als "großes Prinzip .. . gegenüber dem Kommunismus aufzurichten" und die "persönliche Freiheit", in den "klar und stark" gezogenen Grenzen zwischen "Sozialismus und Individualismus" zu bewahren. 140 Abwehren und Bewahren, die beiden Strategien der Bodenreform aus der Vergangenheit vereinten sich hier mit vormals bekämpften liberalen Grundsätzen, um die Gegner der "Volksgesamtheit" zu schlagen. Würde diese Zeit der Abwehr "kommunistischer Gefahren" gebannt sein, werde es wieder an das Ringen um die politische Entscheidung zugunsten bodenreformerischer Grundsätze gehen können. Damaschke hatte bereits im November 1918 den Weg vorgegeben, der in den Jahren nach dem Krieg das Wirken des BDB bestimmen sollte: "Die Entscheidung wird fallen müssen in der kommenden verfassunggebenden Nationalversammlung. Da diese Wahlen nach dem Verhältniswahlrecht stattfinden sollen, müssen wir sehr ernst erwägen, ob wir nicht unmittelbar als Bodenreformer in diesen Kampf eintreten und so unseren Grundsätzen Anerkennung und Geltung erzwingen. . .. Mehr denn je gilt es jetzt, unermüdlich aufzuklären und zu werben, namentlich auch in Frauenkreisen, die ja auch berufen sein werden, ihre Stimme in die Waagschale zu werfen.... Jetzt gilt es, zu zeigen, was Bodenreformer im Dienst unseres gerade jetzt heiß geliebten Volkes vermögen... " 141

Ein Jahr später schien die "kommunistische Gefahr" gebannt. Im Januar 1920 konnte wieder an die Durchsetzung der Bodenreform herangetreten werden. Aus den "Kriegern" als bevorzugte Klientel propagandistischen Handels war das rat Beuster, stellvertretender Geschäftsführer des Wohnungsverbandes von Groß-Berlin, Dipl.-Ing. Leyser, Geschäftsführer des Groß-Berliner Vereins für Kleinwohnungswesen, Regierungsbaumeister Ahrens, Prof. Oppenheimer vom 20. November 1918. Neben der Aktivierung staatlicher und kommunaler Ländereien wurden auch mit dem privaten Grundbesitz Gespräche geführt, um Bauland für den Wohnungs- und Siedlungsbau zu akquirieren. Im Sommer 1919 trafen sich zahlreiche Mitglieder des Schutzverbandes Deutscher Grundbesitz e. V., um über einen Vorschlag des Reichswehrministeriums zu debattieren. Das Ministerium hatte den Verband gebeten, Land für den Bau von ländlichen und städtischen Siedlungen für zu entlassende Reichswehrangehörige zu niedrigen Preisen bereitzustellen, "um eine rentable Ansiedlung im Flachbau zu ermöglichen". BarchB, R 41/1290, BI. 4: Schreiben des Reichswehrministers an den Schutzverband für Deutschen Grundbesitz vom 21. August 1919. Am 25. August 1919 besprach der Schutzverband das Thema, in dessen Folge zahlreiche Angebote von Terraingesellschaften beim Ministerium eingingen. Die Mitglieder des Schutzverbandes sprachen sich dafür aus, Land zum Preis von 2 MI m2 im Berliner Umland zu verkaufen. Vgl. ebenda, BI. 6-8: Protokoll der Sitzung der dem Verband angeschlossenen Terraingesellschaften vom 25. August 1919. Vgl. auch Der Tag vom 26. März 1920. 140 Bodenreform 1918, S. 345. 141 Ebenda, S. 346.

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"Volk" geworden, wie es sich bereits im Laufe des Jahres 1918 angedeutet hatte. Beispielhaft agierte dabei der Württembergische Landesverein für Kriegerheimstätten e.V. aus Stuttgart. Er änderte im Herbst 1919, als äußeres Zeichen "innerlicher Einstellung auf die neue Lage", Namen und Satzung und begab sich auf die Suche nach "neuen Wegen zu den alten Zielen". Anstelle der Schaffung von "Kriegerheimstätten" setzte man sich nun die Versorgung der gesamten württembergischen Bevölkerung mit spekulationsfreien "Heimstätten" zum Ziel. Die "minderbemittelte" Bevölkerung, Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigte sowie kinderreiche Familien sollten besondere Berücksichtigung erfahren. Anknüpfend an die "unkriegerische" Bodenreformarbeit, aber nicht ohne kriegerischen Pathos, teilte man mit: "Die Heimstättensache ist ein starker Zweig am Baum der Bodenreform geworden. Untrennbar soll fortan beiden zugleich unsre Fürsorge und Pflege gelten. Und indem sich so an den Abschluß der ersten Entwicklung in ununterbrochener Folge der Anfang neuen Wachstums reiht, vereinigen wir die Hände unsrer alten und neuen Freunde und führen sie geschlossen zum Streit um die gemeinsame große Sache: Ein Heer, ein Kampfruf, ein Sieg!"l42

Trotz der verpflichtend-beschwörenden Verfassungsformel vom August 1919, nach der Kriegsheimkehrer bei einem zu schaffenden "Heimstättenrecht" besonders berücksichtigt werden sollten 143 , schloß das Reich ein spezifisches "Kriegerheimstättenrecht" weiter aus und rannte damit offenen Türen ein. 144 Die Nationalversanunlung hatte zudem im August 1919 die Verordnung zur Beschaffung von landwirtschaftlichen Siedlungsland vom Januar des Jahres zu einem Reichssiedlungsgesetz aufgewertet. Dieses, vorrangig an der Stärkung der Landwirtschaft orientierte Gesetz verpflichtete die Bundesstaaten, gemeinnützige Siedlungsunternehmen "zur Schaffung neuer Ansiedlungen sowie zur Hebung bestehender Kleinbetriebe" zu gründen. Hierzu sollten die Bundesstaaten Land aus Staatsdomänen und Moor- und Ödland zur Verfügung stellen, das einmal urbar gemacht, besiedelt werden könnte. 145 142 Monatliche Mitteilungen des Württembergischen Landesvereins für Kriegerheimstätten e. V. in Stuttgart, Nr. 12, Januar 1920, S. 1-11, hier S. 11. 143 Vgl. BarchB, R 39011 11048, BI. 2: Schreiben des Reichsarbeitsminister an die Verbände der Baugenossenschaften vom 30. Juni 1919; BI. 6: Schreiben des Staatskommissars für das Wohnungswesen vom 5. Juni 1919: "Bei der Vermietung von Wohnungen und der Vergebung von Kleinsiedelungen ist es erwünscht, in erster Linie der Kriegsteilnehmer und von diesen wieder vorzugsweise der Kriegsbeschädigten sowie der Kriegerwitwen zu gedenken.... Demgemäß ersuche ich, in geeigneter Weise darauf hinzuwirken, daß namentlich die gemeinnützigen Bauvereinigungen, Stiftungen und Gemeinden in dieser Weise verfahren. Gleichzeitig spreche ich den Wunsch aus, daß die Gemeinden den Kriegsbeschädigten und Kriegerwitwen beim Erwerb von Heimstätten möglichst entgegenkommen und ihnen hierbei Erleichterung gewähren.. ." Vgl. auch Artikel 155 der Verfassung des Deutschen Reiches (Weimarer Verfassung) vom 11. August 1919, in: Hildebrand, S. 107. 144 Vgl. BarchB, R 3901 I 11104, BI. 40: Schreiben des Staatskommissars für das Wohnungswesen an das Reichsarbeitsministerium vom 2. Mai 1919.

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Obwohl ein "langsames Vorwärtsschreiten" von Neuansiedlungen wegen der hohen Baukosten, zu geringem Eigenkapital der Siedlungsgesellschaften und des ungenügenden "Verständnisses und Wohlwollens", der mit der Durchführung beauftragten Landesbehörden konstatiert wurde, verzeichnete das Gesetz bereits unmittelbar nach seiner Verabschiedung erste Erfolge. In den Jahren 1919 und 1920 wurden bspw. in Preußen 5.902 neue Ansiedlungen mit einer Gesamtfläche von 30.027 ha vollzogen. 146 Im Frühjahr 1920 folgte dem Siedlungsgesetz das Reichsheimstättengesetz, das den letzten Bestrebungen zur Schaffung eines "Kriegerheimstättengesetzes" ein Ende bereitete. Seit Jahresbeginn 1919 wurde im Reichsjustizministerium an Vorlagen für ein solches Gesetz gearbeitet. Auf einer interministeriellen Besprechung im Februar 1919, betonte das Justizrninisterium, daß man, obwohl von verschiedenen Seiten die Verabschiedung eines solchen Gesetzes seit 20 Jahren verfolgt werde, davon bisher Abstand genommen hätte. Zur Begründung wurde angeführt, daß man nicht in die Entwicklung der jeweiligen Gesetzgebung der Bundesstaaten "über die Verhältnisse des landwirtschaftlichen Grundbesitzes" eingreifen wollte. Doch habe im Krieg, namentlich durch das Wirken der Bodenreformer, in weiten Kreisen der Öffentlichkeit und unter hohen Militärs der Gedanke, den heimkehrenden Kriegsteilnehmern "Kriegerheimstätten" zu schaffen, "lebhaften Anklang gefunden". An diesen "Hoffnungen", die in der Bevölkerung hervorgerufen wurden, könne die Regierung nun "nicht achtlos vorübergehen". 147 Aber die verhaltene Ablehnung, welche die vorherigen Reichsregierungen gegen die Bestrebungen der Bodenreformer hatten, waren nicht verschwunden. Die an die Errichtung von "Kriegerheimstätten" geknüpften Erwartungen, die der BDB in der Vergangenheit aufgebaut hatte, seien "nicht erfüllbar", wie der Reichs- und Staatskommissar für das Wohnungswesen meinte. Er ging davon aus, das die bundesstaatliehen Gesetzgebungen ausreichend seien, hielt es aber für politische geboten, daß die Reichsregierung sich mit einer solchen Gesetzesinitiative befaßte. Seine Schlußfolgerung und Empfehlung, eine Mischung aus soziologischer Erwar145 Reichssiedlungsgesetz vom II. August 1919, in: Jahrbuch der Bodenreform 1919, S. 37 ff. und 141-147; vgl. auch Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921, S. 3419-3423; Boyens, Bd. I, S. 139-158. 146 BarchB, R 3901/11331, BI. 69: Reichssiedlungsgesetz, Reichstagsaufzeichungen, Juli 1921 - Mai 1930. Die Siedlungen verteilen sich auf "Gartenstellen" (2.974, bis 50 Ar), "Arbeiterstellen" ( 1.395, 50 Ar bis 2 ha), "kleinbäuerliche Stellen" (370, 15 bis 50 ha) und "Siedlungsstellen" über 50 ha (89). Zusätzlich wurden bestehende Siedlungsstellen erweitert. So waren im Wege der Anliegersiedlung 38.772 ländliche Stellen um 39.909 ha vergrößert worden (18.049, bis 50 Ar; 16.159,50 Ar bis 2 ha; 5.309, 2 bis 15 ha; 58, 15 bis 50 ha; 7, über 50 ha). Die berufliche Beschäftigung der Siedler: Landwirte (Gutsbesitzer, Bauern, Kleinbauern), Arbeiter in der Landwirtschaft und Industrie, Gewerbetreibende, Handwerker, Beamte, Angestellte, Rentner, ehemalige Heeresangehörige (Offiziere, Unteroffiziere, Kriegsbeschädigte). Vgl. auch Boyens, Bd. I, S. 190- 220; Bessel, Germany after the war, S. 195 - 219. 147 BarchB, R 3901/11104, BI. 48-53: Aufzeichnung über die am 4. Februar 1919 im Reichsjustizministerium stattgehabte Besprechung.

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tungsanalyse und politischer Gestaltungsverpflichtung, hielt das Protokoll wie folgt fest: "Es lebe im Volke die Erwartung, daß von Reichs wegen etwas zur Regelung der Heimstättenfrage geschehe. Darauf müsse Rücksicht genommen werden. Er schlage einen Gesetzentwurf vor, in dem lediglich der Begriff der Heimstätte festzulegen und der den Bundesregierungen zu unterbreiten sei. Ein solches Vorgehen genüge, um nach außen kund zu tun, daß die Reichsregierung der Heimstättenfrage Bedeutung beimesse." 148

In den folgenden Monaten trug man im Reichsarbeitsministerium die Stellungnahmen anderer Reichsministerien, der Bundesstaaten und des Reichstages, der Gemeinden sowie der Vereinigungen der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreform und des Verbandes für Deutschen Grundbesitz zusammen, um im Ergebnis das Reichsheimstättengesetz auszuarbeiten, das am 10. Mai 1920 in der Nationalversammlung beschlossen wurde. 149 Das Gesetz war im wesentlichen eine Mischung aus den beiden im Friihjahr I Sommer 1918 vom "Hauptausschuß für Kriegerheimstätten" und vom Verband für Deutschen Grundbesitz vorgelegten Gesetzentwürfen über "Heimstätten" bzw. "Kriegerheimstätten". Nach § 1 des Reichsheimstättengesetzes konnten das Reich, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände Grundstücke, "die aus einem Einfamilienhause mit Nutzgarten bestehen (Wohnheimstätte), oder landwirtschaftliche oder gärtnerische Anwesen, zu deren Bewirtschaftung eine Familie unter regelmäßigen Verhältnissen keiner ständigen fremden Arbeitskraft bedarf (Wirtschaftsheimstätte), als Heimstätte zu Eigentum ausgeben". 150

Kriegsteilnehmer, Kriegsbeschädigte und -hinterbliebene sowie kinderreiche Familien sollten bei der Vergabe von Heimstätten "vorzugsweise" beriicksichtigt werden(§ 2). Das Gesetz kam damit sowohl dem integrierenden Charakter der bodenreformerischen "Volksheimstätten" entgegen, wie sie bis 1914 und seit dem Friihjahr 1918 wieder artikuliert wurden, als auch den Vorstellungen der Grundbesitzer. Das beide Verbände trennende Hauptproblem, welche Eigentumsform letztlich die "Heimstätten" haben sollte, klärte auch des Gesetz nicht. Mit der Festschreibung eines Veräußerungsrechts der "Heimstätte" durch den "HeimstättenEbenda, Bl. 51 f. Vgl. ebenda, BI. 184: Bemerkungen zum Entwurf eines Reichsheimstättengesetzes vom Dezember 1919; R 3901/11105, Bl. 213-238: Zusammenstellung über Heimstättenbestrebungen und Heimstättengesetz des Reichsarbeitsministerium vom 12. April 1920; Bodenreform 1919, S. 225 f., 247 f., 306; Kampffmeyer, Hans, Wohnungsnot und Heimstättengesetz, Karlsruhe 1919; Krüger, Hans/Wenzel, Fritz, Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920 nebst den preußischen und anderen landesrechtliehen Ausführungsbestimmungen, Berlin 1930, S. 17 -35; Albrecht u. a., Handwörterbuch des Wohnungswesen, S. 357 f.; Kornemann, S. 621; Schneider, S. 154 f.; Saldem, Häuserleben, S. 143. Das Gesetz wurde am 25. November 1937, mit Wirkung vom 1. Januar 1938 geändert und durch das Ausführungsgesetz vom 19. Juli 1940 ergänzt. Vgl. Liertz, Max, Volksheimstätten II, Düsseldorf 1947, S.48-55, 74-93. 1so Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920, zitiert nach: Jahrbuch der Bodenreform 1920, S. 112 - 119, hier S. 112. 148

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nehmer" widersprach das Gesetz den Vorstellungen der Bodenreformer, die lediglich eine Rückgabe an die ausgebende Stelle vorsahen. Dem Ausgeber wurde im Gesetz lediglich ein Vorkaufsrecht zugesprochen, das somit eher dem von den Grundbesitzern stets geforderten "Eigentum bürgerlichen Rechts" entsprach (§ 11). Auch war eine Beleihung der "Heimstätte", wenn auch mit Zustimmung der ausgebenden Stelle, möglich und entsprach nicht den Vorstellungen der Bodenreformer, wonach "Heimstätter" vor "unnötigen" Schulden geschützt bleiben sollten (§ 17). Doch eine durch Schulden verursachte "Zwangsvollstreckung in eine Heimstätte" schloߧ 20 wiederum aus. 151 Schließlich versagte der Gesetzgeber, neben einheitlichen Kreditregelungen durch das Reich, die Einrichtung einer Zentralstelle, wie sie noch im Frühjahr 1919 innerhalb der Reichsregierung diskutiert wurde, welche die Belange des "Heimstättenwesens" koordinieren und lenken sollte. Erstes wurden wegen der allgemeinen Finanzlage des Reichs von Seiten der Reichsregierung bereits im Dezember 1919 abgelehnt. Bei der Einrichtung eines zentralen "Heimstättenamtes" wiederum, schloß sich die Reichsleitung der Einschätzung des Generalsekretärs des Deutschen Vereins für Wohnungsreform Mango1dt an, der nicht das Reich in den Vordergrund der öffentlichen Wohnungs- und Siedlungsbestrebungen gestellt sehen wollte, sondern die Einzelstaaten und Gemeinden. Paragraph 33 bestimmte lediglich, daß die obersten Landesbehörden zur Regelung ausgewählter Teile des neuen Gesetzes eine "andere Behörde als die Gerichte" beauftragen könnten. 152 Die Bodenreformer hatten ihren 1915 geborenen Plan eines groß angelegten, die Wohnungs- und Lebensbedingungen in Deutschland grundlegend verändernden Siedlungsprogramms für die "Helden" des Krieges aufgeben, um zu einem ähnlichen Programm, das breitete Bevölkerungsschichten begünstigen sollte, zurückzukehren. Die Verabschiedung des neuen Gesetzes konnten sie sich als Erfolg anrechnen, obwohl sie das Gesetz lediglich als einen wichtigen Ansatz der "Bodenbesitzreform" betrachteten. Darüber hinaus gab es eine ganze Reihe von "Ansätzen", die u. a. auf die Anregungen der Bodenreformer zurückgingen: Die Artikel 10 und 155 der Weimarer Verfassung, der größte "äußere Ausdruck des Erfolges Adolf Damaschkes" (Dreier), die Erbbaurechtsverordnung (1919), das Reichssiedlungsgesetz (1919), die Kleingarten- und Kleinpachtverordnung ( 1919) und schließlich das Reichsheimstättengesetz. 153 Bodenreformer Hermann Bousset, der 1920 eine biographische Lobpreisung auf Damaschke veröffentlichte, meinte zu Ebenda,S.113-116. Vgl. BarchB, R 3901/II104, BI. 184: Bemerkungen zum Entwurf eines Reichsheimstättengesetzes vom Dezember 1919; R 3901/1II05, BI. 213-238: Zusammenstellung über Heimstättenbestrebungen und Heimstättengesetz des Reichsarbeitsministerium vom 12. April 1920, hier BI. 223 f.; Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920, zitiert nach: Jahrbuch der Bodenreform 1920, S. II8. 153 Dreier; S. 59 f.; vgl. auch Preller, S. 235 f.; Schneider; S. 151-153; Berger-Thimme, S. 112. Der BDB sammelte allein 900.000 Unterschriften für die Aufnahme des Art. 155 in die Reichsverfassung. 151

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wissen, warum die alten Regierungen und auch die neue nur zögerlich die Forderungen und Reformvorschläge des BDB umzusetzen gewillt waren: "Eine unheimliche Macht geht von einer Gruppe Besitzender, Bodenbesitzender aus, die Macht, die im Schutzverband für Grundbesitz zusammengeschlossen ist. Die Terraingesellschaften, die Bodenhändler und Banken, die hinter ihnen stehen, vergewaltigen den Willen eines Volkes." 154

Damaschke gab sich mit dem "äußeren Ausdruck" nicht zufrieden und versuchte, der "Vergewaltigung des Volkswillens" weiter entgegen zu wirken. Die Leitung eines nicht geschaffenen zentralen "Heimstättenamtes" blieb ihm für diesen Kampf zwar versagt. Doch im Juni 1920 wurde er zum Vorsitzenden des neu berufenen Ständigen Beirats für Heimstättenwesen, einem Unterausschuß des Ausschusses für Siedlungswesen im Reichsausschuß der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge des Reichsarbeitsministeriums berufen. Unmittelbar nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes trafen sich Vertreter des BDB und des Reichsarbeitsministeriums, um über die Einsetzung eines solchen beratenden Gremiums zu debattieren, das die Weiterentwicklung der gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen des "Heimstättenwesens" begleiten sollte. Von Seiten des Ministeriums hieß es, dabei "werde vor allen Dingen Wert gelegt auf engste Verbindung mit an der Verwirklichung des Heimstättengedankens interessierten Kreisen, sowie mit den Fachleuten, welche sich bisher auf dem Gebiete des Heimstättenwesens einen Namen gemacht hätten. Der Schwerpunkt werde auf dem Gebiet der städtischen und halbstädtischen Siedlung liegen, da für die ländliche Siedlung ein besonderer Ausschuß bereits bestehe und eine Organisation in den Ländern hierfür zum größten Teil bereits ausgebaut sei." 155

Der Ausschuß sollte sich im wesentlichen auf drei Fragen konzentrieren. Erstens sollten alle allgemeinen, als notwendig erachteten Maßnahmen zur Durchführung des Heimstättengesetzes erfaßt werden. Zweites war der Ausschuß angehalten, an der Erarbeitung formeller Ausführungsbestimmungen mitzuwirken, und sollte drittens für die Erarbeitung eines "Musterheimstättenvertrages" verantwortlich zeichnen. Das Reichsarbeitsministerium betonte, daß die Verantwortung für die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes zwar bei den Ländern läge, aber "zur praktischen Durchführung wichtige Richtlinien" von Seiten des Reichs gegeben werden sollten, die im Beirat zu erarbeiten seien. Die zur "praktischen Durchführung" zu erörternden Fragen umfaßten Vorschläge zur Verbilligung des Baus und dessen Finanzierung sowie die Prüfung der noch zu eröffnenden Kreditquellen und die allgemeine Kapitalbeschaffung. Die Bedingung, unter der Damaschke den Vorsitz, neben der Erstattung seiner Reisekosten, anzunehmen bereit war, war die Berufung 154 Bousset, Herrnann, Adolf Damaschke und sein Lebenswerk, Berlin 1920, S. 55; vgl. auch Liertz, Max, Volksheimstätten und die Bekämpfung des Bodenpreiswuchers, Düsseldorf 1946, s. 17-20. 155 BarchB, R 3901 I 11109, BI. 8: Vermerk über die vertrauliche Besprechung wegen der Einrichtung eines ständigen Ausschusses für das Heimstättenwesen vom 16. Juni 1920 im Reichsarbeitsministerium. Vgl. auch Berger-Thimme, S. 107 f.

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von Fachleuten und von Vertretern der Gewerkschaften in den Ausschuß. Die Liste, der zur Berufung in den Beirat vorgesehenen Personen und Institutionen, setzte sich u. a. aus namhaften Vertretern des BDB, ehemaligen und amtierenden Oberbürgermeistern sowie aus Vertretern von Gewerkschaften und Beamtenvereinigungen zusammen. Die erste Sitzung fand arn 5. Juli 1920 statt. 156 Der allgemeine Charakter des Beirates als Anhang des Ausschusses für Siedlungswesen war Programm. Nur symbolisch war damit der Einfluß der Bodenreformer auf die Politik gestiegen. Der eigentliche Sinn des Beirates bestand in der Bindung der Gewerkschaften und der Bearbeitung und Weitergabe von eigenen Eingaben und Forderungen bzw. der von zahlreichen Siedlungsvereinigungen. Ein interner Vermerk im Reichsarbeitsministerium anläßlich der Beschwerde des Schutzverbandes für deutschen Grundbesitzes über seine Nichtbeteiligung im Ausschuß legte die vorrangige Funktion des Ständigen Beirats für Heimstättenwesen offen. Das Ministerium teilte dem Schutzverband im November 1920 mit: "Bei der Einberufung des Ständigen Beirats für Heimstättenwesen sei es dem Ministerium vor allem darauf angekommen, das in mancher Beziehung nicht recht erwünschte Vorgehen der Gewerkschaften in Bodenrechtsangelegenheiten in die richtigen Bahnen zu lenken." 157

Neben der Aufgabe, die Gewerkschaften in die "richtigen Bahnen" zu lenken, war der Beirat eine wichtige Anlaufstelle und "Kummerkasten" für die Schwierigkeiten und Fragen von örtlichen Gewerkschafts-, Beamten-, Mieter- und Kriegsteilnehmerverbänden, von Wohnungs- und Siedlungsunternehmen und -genossenschaften in sämtlichen Angelegenheiten des Heimstätten-, Siedlungs- und Wohnungswesens. Zahlreiche Schreiben brachten überdies ihre Unterstützung für die Forderungen und Vorschläge des Ständigen Beirates zum Ausdruck, der vor allem zur finanziellen Förderung des Wohnungs- und Siedlungsbaus die Einführung von 156 Vgl. BarchB, R 3901 I 11109, BI. 8. Neben Darnaschke, Lobahn und Erman sollten u. a. Oberbürgermeister von Wagner, Stuttgart, Oberbürgermeister Belian, Eilenburg, der Direktor der Gartenlehranstalt Dahlern Echtermeyer sowie der Allgerneine Deutsche Gewerkschaftsbund, der Verband Deutscher Gewerkvereine (Hirsch-Dunkersche Gewerkschaften), die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände, der Gewerkschaftsbund der Angestellten und der Deutscher Beamtenbund ständig bei den Beratungen anwesend sein. Vgl. Harteck, s. 337-339. 157 Ebenda, BI. 7Ih: Vermerk im Reichsarbeitsrninisteriurn, Regierungsrat Glass, vorn 16. November 1920 über die Beteiligung des Schutzverbandes für deutschen Grundbesitzes im Beirat für Heirnstättenwesen. Der Schutzverband erklärte sich laut dieser Mitteilung damit einverstanden, nicht im Beirat zu sitzen, da sämtliche den Beirat betreffenden oder von ihm veranlaßten Angelegenheiten in einem anderem Ausschuß, dem für das städtische Wohnungswesen, behandelt würden, in welchem der Schutzverband Mitglied werden wollte. Der Leiter dieses Ausschusses, Stein, hatte jedoch Bedenken gegen die Entsendung von Vertretern des Schutzverbandes, da der Vorwurf im Raum stehen könnte, daß das Reichsarbeitsministerium den Schutzverband besonders berücksichtigen würde. Grundsätzlich seinen in seinem Ausschuß "Vertreter von Organisationen nicht berufen" worden, was aber nicht ausschloß, daß von Fall zu Fall einzelne Vereinigungen und Persönlichkeiten als Sachverständige an den Sitzungen teilnehmen würden. BarchB, R 3901 I 11110, BI. 7lb: Vermerk vorn 3. Januar 1921.

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"Heimstättendarlehenskassenscheinen" verlangte und ein Gesetz über den erleichterten Erwerb von Bauland vorschlug. 158 Der Ausschuß verfügte über keine eigenen Finanzmittel, die ihm ermöglicht hätten, über das Reichsheimstättengesetz und die Ausführungsbestimmungen der Länder sowie das Heimstättenwesen insgesamt zu informieren und zu publizieren. Diese Beschränkung hinderte den Beirat vor allem daran, gegen die Vorbehalte, die Gesetz und Ausführungsbestimmungen namentlich bei den preußischen Gemeinden hervorriefen, vorzugehen. Diese sahen in dem Gesetz eine "Einschränkung der Selbstverwaltung", wie auf der Sitzung des Beirates im April 1926 festgestellt wurde. Die Entschließung, die in dieser Frage verabschiedet wurde, brachte die Machtlosigkeit des Ständigen Beirats für das Heimstättenwesen zum Ausdruck. Darin drückte man sein "Bedauern" darüber aus, daß auf dem "Gebiete der Reichsheimstätten bisher nur wenig geschehen ist". Der Ausschuß empfahl den Regierungspräsidenten, daß diese auf die nachgeordneten Landräte, Bürgermeister und Gemeindevorsteher Einfluß nehmen sollten und diese "dringend auf die Notwendigkeit der Durchführung des Reichsheimstättengesetzes hinweisen und ihnen dabei nahe (legten), daß es sich im Interesse der Selbstverwaltung nur zu begrüßen wäre, wenn die Gemeinden von sich aus die notwendigen Maßnahmen durchführten, so daß die Regierungspräsidenten nicht gezwungen würden, ihrerseits von den rechten des Preußischen Ausführungsgesetzes Gebrauch zu machen". 159

Die verheißungsvollen "Darlehenskassenscheine", mit denen in großem Umfang finanzielle Mittel zum Bau von Eigenheimen und zur Errichtung von Reichsheimstätten bereitgestellt werden sollten, fielen der Inflation zum Opfer. Danach wurde u. a. mit der Hauszinssteuer andere Finanzquellen für den Wohnungs- und Siedlungsbau erschlossen. Die Bedeutung des Beirates war nie groß und nahm in den Folgejahre weiter ab. Auch die Vorlage eines Bodenreformgesetzes im Frühjahr 1926 blieb eine Episode. 160 Ein weiterer Entwurf zur Novellierung des Reichsheimstättengesetzes auf Anregung des Beirates, der im Mai 1929 als Antrag der demokratischen Fraktion in den Reichstag eingebracht wurde, wurde abgelehnt. Die Zeitschrift Wohnungswirtschaft kommentierte resigniert: "Damit ist die Lösung eine der wichtigsten Fragen unseres Volkes wiederum hinausgezögert." 161 Formell bestand der Ständige Beirat bis zum Frühjahr 1934, hatte seine Tätigkeit aber schon um 1930 eingestellt. Andere Ausschüsse und Abteilungen des Reichs158 Vgl. BarchB, R 3901 I 11109-11112: Ständiger Beirat für Heimstättenwesen, Mai 1920 bis April 1935; R 411841-847: Entwicklung eines Bodenreformgesetzes, Eingaben, Stellungnahmen, Vorschläge zu Gesetzentwürfen, 1924-30; R 390 I I 11117- 11149: Heimstättenwesen in den einzelnen Ländern, 1920-32. 159 BarchB, R 411842, BI. 91-102: Protokoll der Sitzung des Ständigen Beirats vom 28. April 1926, hier BI. 95. 160 Vgl. Broniatowska, S. 152. 161 Albrecht, 0., Reichsheimstättengesetz und Wohnheimstättengesetz, in: Wohnungswirtschaft, 101 II I 1929, S. 151 - 157, hier Vorwort der Redaktion.

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arbeitsministeriums sowie die entsprechenden Behörden der Bundesstaaten und Gemeinden hatten seine Funktionen und Aufgabengebiete im Wohnungs- und Siedlungswesen übernommen. Damaschke und den Bodenreformer blieb aber der "äußere Ausdruck des Erfolgs", durch formelle und informelle Teilnahme weitere Gesetze und Verordnungen zu fördern. 162 Den öffentlichen Druck, diese Gesetze auf den Werg zu bringen, förderte Damaschke und der BDB nicht nur durch die Tätigkeit im Beirat, sondern auch durch die Organisation und Durchführungen von öffentlichkeitswirksamen Manifestationen. Zu der z. B. am 18. Oktober 1925 nach Berlin einberufenen "Massen-ProtestKundgebung gegen die unzulässige Boden-, Siedlungs- und Wohnungspolitik von Reich, Ländern, Gemeinden" waren mehr als 5.000 Menschen erschienen. Der BDB, gestärkt durch eine seit Jahren anhaltend hohe Mitgliederzahl 163, hatte gemeinsam mit Beamten- und Gewerkschaftsbünden, dem Bund Deutscher Mietervereine, dem Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen u. a. zu dieser Veranstaltung aufgerufen, die vom sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Silberschmidt geleitet wurde, und auf der neben Damaschke auch der spätere Stadtbaurat von Berlin Martin Wagner sprach. Wie der sozialdemokratische Pressedienst berichtete, wurde eine Entschließung verabschiedet, die einstimmig angenommen wurde. Darin forderten die Teilnehmer allumfassend und breiteste Interessen berücksichtigend: "Alle öffentlichen Mittel, die nicht für andere unaufschiebbare Aufgaben erforderlich sind, vor allem aber der volle Ertrag der Hauszinssteuer, sind für ein verstärktes Wohnungsbauprogramm einzusetzen. Bevorzugung des Kleinhauses bei öffentlich-rechtlicher Bodeneigentumsbindung in Erbbau- oder Reichsheimstättenrecht, Ausbau des Mieterschutzes, Reform des Hypothekenrechts, Erhaltung erträglicher Miete, . . . Bekämpfung des Baustoffwuchers, Beschaffung billigen Baugeldes für die Träger des gemeinnützigen Wohnungsbaues."164

162 Zu diesen Gesetzen und Verordnungen gehörten die Beamtensiedlungsordnung (1924), das Beamtenheimstättengesetz (1927) und das Gesetz über die Aufschließung von Wohnsiedlungsgebieten (1933). Der Versuch, im Reichsheimstättengesetz den Gemeinden Rechte und Möglichkeiten zu geben, notwendiges Bauland für Siedlungen im Zuge von Enteignungen zu verankern, scheiterte 1926 und 1929. Vgl. Dreier, S. 59 f. Zur Auflösung des Beirats vgl. BarchB, R 3901/11112, BI. 16: Vermerk des Reichsarbeitsminister vom Februar 1934 betr. die Auflösung des Ständigen Beirats. Zu den Wirkungen der Inflation vgl. die Beiträge in Büsch, Otto/Wölk, Wolfgang (Bearb.), Historische Prozesse der deutschen Inflation 19141924, Berlin 1978; Freese, S. 379 f. 163 In den letzten beiden Kriegsjahren stieg die Mitgliederzahl sprunghaft an, erreichte 1920 mit 65.930 ihren Höhepunkt und lag Mitte der 1920er Jahre bei ca. 25.000. Vgl. Broniatowska, S. 31; Berger-Thimme, S. 86 f., 315. Vgl. auch die monatlichen Angaben über die Beitritte zum BDB unmittelbar nach dem Krieg, in: Bodenreform 1919, S. 114. Danach waren im Januar 1919 1.800, im Februar 2.300 und im März 3.600 Einzelbeitritte vermeldet worden. 164 BarchB, R 41/841 , BI. 75: Aufruf zur Massen-Protest-Kundgebung; BI. 78: Sozialdemokratischer Pressedienst vom 20. Oktober 1925 zur Kundgebung.

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111. Wohnen nach dem Krieg

Aber die Bemühungen der Bodenreformer um die Schaffung eines neuen Deutschland von hunderttausenden Eigenheimbesitzern blieb beschränkt. Von den "Kriegerheimstätten" hatte sich der BDB bereits im Verlauf des Jahres 1918 getrennt. Seit 1919 tauchte der Begriff "Kriegerheimstätte" in den Publikationen der Bodenreformer immer weniger auf, bis 1921 war er nahezu vollständig verschwunden, und die Realisierung der zivilen "Reichsheimstätten" war unbefriedigend. Der Ständige Beirat für das Heimstättenwesen schätzte in einer ersten Bewertung des Erfolgs im Frühjahr 1926 ein, daß erst wenige der neu errichteten Wohnungen und Häuser solche im Sinne des Reichsheimstättengesetzes waren. In Preußen wurden bisher 1.567, in Bayern 450, in Sachsen 2.522, in Baden 82, Württemberg 1.012, Thüringen 245, Oldenburg 130, Anhalt 14, Mecklenburg-Schwerin 23 und in den restlichen Ländern keine "Reichsheimstätten" errichtet. Zwischen Mai 1920, dem Zeitpunkt der Einführung des Gesetzes und April 1926, als diese Zahlen im Beirat diskutiert wurden, waren ganze 6.045 "Reichsheimstätten" entstanden; zählte man die "noch schwebenden Anträge" hinzu, waren es 7.993. 165 Auch die ländliche Siedlung und eine damit verbundene Rückwanderung aufs Land zeigte nicht die Resultate, wie sie in der Propaganda der Bodenreform und den Verfechtern der "inneren Kolonisation" gewollt wurde. Wahrend der Ständige Beirat für das Heimstättenwesen die, in seinem Titel genannte, besondere Form von Eigenheimbesitz beratend begleiten sollte, widmete sich der ihn tragende Ausschuß dem Siedlungswesen allgemein. Im wesentlichen beschränkte dieser seine Tätigkeit auf die Förderung der ländlichen Siedlung, um in erster Linie die landwirtschaftliche Produktion zu stützen. Doch war der Siedlungsausschuß auch um eine, auf die Sicherung des Wohnens in ländlichen und halbländlichen Siedlungen gerichtete Integration, vor allem von Kriegsbeschädigten, bemüht. Oft überschnitten sich die Tätigkeitsfelder von Siedlungsausschuß und Beirat. Eine klare Trennung zwischen "ländlicher Siedlung" und "Heimstättenwesen" war kaum möglich. Zudem war der politisch-gestalterische Einfluß des Ausschusses für Siedlungswesen beschränkt. Er verfügte über begrenzte eigene Kompetenzen, erfüllte vorwiegend eine beratende Funktion und war eine Anlaufstelle für Eingaben, Beschwerden und Darlehensgesuche. 166 In der Abteilung IV des Reichsarbeitsministeriums, 165 BarchB, R 41/842, BI.: 91-102: Protokoll der Sitzung des Ständigen Beirats vom 28. April 1926, hier BI. 96. Im Juni 1926 waren 6.354 Reichsheimstätten fertiggestellt worden. Vgl. ebenda, BI. 118: Schreiben des Reichsarbeitsministeriums an das sächsische Justiz-, Arbeits- und Wohlfahrtsministerium vom 16. Juni 1926. 166 Vgl. BarchB, R 390118937: Ausschuß für Siedlungswesen, Februar 1920 bis Oktober 1922. Mitglieder des Ausschusses für das Siedlungswesen waren u. a. Vertreter zahlreicher lokaler und regionaler Hauptfürsorgestellen der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, die Verbände der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen (Reichsbund, Internationaler Bund, Zentralverband, Kyffhäuserbund) und Einzelpersönlichkeiten von verschiedenen preußischen Wohnungsfürsorgegesellschaften. BarchB, R 3901/8937, ohne Bl.-Nr.: Schreiben des Reichsarbeitsministeriums an die Mitglieder des vom Reichsausschusses der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen gebildeten Unterausschusses ftir Siedlungswesen vom 3. November 1921.

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die für das Wohnungs- und Siedlungswesen auf Reichsebene zuständig zeichnete, wurde die Wohnungsbau- und Siedlungspolitik gemacht, die zuoberst Reichsbeamte und -bedienstete sowie Anspruchsberechtigte der Reichswohnungsfürsorge (Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene, Reichswehrangehörige) begünstigte. Als sich nach der Inflation der finanzielle Gestaltungsspielraum für ein vom Reich unterstütztes Siedlungswesen erweitert hatte, konnte das Reichsarbeitsministerium hier Erfolge verzeichnen. Von 1926 bis Anfang 1929 wurden für die landwirtschaftlich orientierte Siedlung insgesamt 139,76 Millionen Mark als Kredite durch die Renten-Kreditanstalt als Treuhänderio des Reiches bereitgestellt. Davon wurden mehr als 125 Millionen Mark für den Ankauf von 499.781 Morgen Siedlungsland u. a. in Brandenburg, Niederschlesien, Oberschlesien, Ostpreußen, Pommern, Schleswig-Holstein, Bayern und Sachsen ausgegeben. 167 Auf diesen Flächen sollten nach Schätzungen des Reichsarbeitsministeriums von 1928 jährlich etwa 4.000 "Neusiedlungen bäuerlicher Art" entstehen. Man rechnete mit ca. 70.000 Menschen, die "eigenes Land zur Besiedlung erhalten" sollten. Zum einen wollte man Landarbeiter von der Landflucht zurückhalten. Zum anderen sollten Bauern- und Landarbeiterfamilien neu in ländlichen Gebie167 Vgl. BarchB, R 3901111262, BI. 131: Tätigkeitsbericht des Abt. IV für das I. Kalendervierteljahr 1929. (Die Abteilung IV wurde bis 1923 als Abteilung V geführt.) In Ostpreußen wurden mit dem Ankauf von 148.201 Morgen Land die größten landwirtschaftlichen Siedlungsflächen erworben, womit die spezifische "Ostpreußenhilfe" des preußischen Staates maßgeblich unterstützt wurde. Vgl. BarchB, R 3101 I 10102, ohne Bl.-Nr.: Sonderdruck aus den Vierteljahresheften zur Statistik des Deutschen Reiches, 36. Jahrgang 1927, Heft IV: Reichssiedlungstätigkeit 1919 bis 1925. Zwischen 1919 und 1925 waren insgesamt 16.812 Neusiedlerstellen mit einer Gesamtfläche von 146.704 ha gegründet worden. Vgl. auch Hertz-Eichenrode, Dieter, Politik und Landwirtschaft in Ostpreußen 1919-1930, KölniOpladen 1969, S. 306-328. In den östlichen Provinzen, namentlich in Oberschlesien, war die Unterstützung der Siedlungsbestrebungen neben der Erfordernis der Ansiedlung von Flüchtlingen aus den abgetretenen Gebieten auch mit der Abwehr von "polnischen und bolschewistischen Tendenzen" begründet worden. So plante der BDB, Landesverband Oberschlesien, eine als "Heimstättenkurs" betitelte Mitgliederschulung im Januar 1922 und forderte vom Reichsarbeitsministerium einen finanziellen Zuschuß. Die Begründung: "Vom Reich und von Preussen sind der oberschlesischen Bevölkerung Siedlungsversprechen gemacht worden, denen bisher nur geringe Taten gefolgt sind. Es besteht nun die große Gefahr, dass unsere Mitglieder an den gegebenen Versprechen irre werden und sich den hierorts bestehenden bolschewistischen Tendenzen immer zugänglicher zeigen. Von dieser Kenntnis geleitet, hat die polnische Agitation im deutschbleibenden Teile Oberschlesiens wieder eingesetzt, um weite Landesteile zum Abfall reif zu machen." BarchB, R 3901111108, BI. 34a: Schreiben des BDB, Landesverband Oberschlesien an das Reichsarbeitsministerium vom 27. Dezember 1921. Das Reichsfinanzministerium sah Maßnahmen, wie die Gewährung von Zuschüssen für den Wohnungs- und Siedlungsbau mit der Begründung der "Stärkung des Deutschtums" kritisch, da dieser der "interalliierte(n) Garantiekommission der Entente willkommenen Anlass geben (würden), zu behaupten, dass die Angaben des Deutschen Reiches über seine Zahlungsunfähigkeit der Wahrheit nicht entsprächen". BarchB, R 3901 I 11135, BI. 20: Schreiben des Reichsfinanzministers an den Preußischen Minister für Volkswohlfahrt vom 21. Mai 1921 betr. des Schreibens vom 8. März 1921 über die Gewährung eines Zuschusses für das Bauvorhaben der Kleinsiedlungsgesellschaft Memel-Stadt.

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III. Wohnen nach dem Krieg

ten, "namentlich des Ostens, angesetzt werden". Gleichzeitig erwog man eine "Umsiedlung" von städtischen Arbeitern an andere industrielle und Bergbaustandorte. Doch unterschätzte das Reichsarbeitsministerium nicht, welche Probleme auf zukünftige Siedler zukommen würden, besonders wenn es sich dabei um Kriegsbeschädigte und "unerfahrene Siedlungswillige" handelte. Deren Situation wurde kritisch beurteilt: "Die Überführung dieser Siedler in den landwirtschaftlichen Beruf erfordert in besonderem Maße eine Wirtschaftsberatung in den ersten Jahren nach der Ansetzung und eine besonders sorgfältige Auswahl der Siedlerstellen, um die Anfangsschwierigkeiten jedes Siedlers so gering als möglich zu gestalten." 168 Problembewußtsein oder frommer Wunsch? Die steigende Arbeitslosigkeit ließ ab 1926 in der Reichsleitung, und nicht nur dort, die Hoffnung wachsen, daß ein Großteil der Fürsorge des Staates durch die Förderung der ländlichen Siedlung über "Selbsthilfe" mit "Selbstversorgung" abgedeckt werden könnte. Hatten nach dem Krieg die als Adressaten solcher Programmen gesehenen Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, einerseits aus geringer staatlicher, finanzieller Unterstützung und andererseits wegen des Umstandes, in den Städten leicht Arbeit zu finden 169, wenige Interesse an solchen Programmen, standen die Zeichen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auf verstärkter, ländlicher Ansiedlung. Diese war zwar nie aus dem Horizont staatlichen Handeins verschwunden, nur waren Landerwerb und Kreditbeschaffung lediglich eine Voraussetzung, die Re-Agrarisierung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung zu unterstützen. Es war ein Notprogramm, wie die weitere Entwicklung zeigte. Das letzte Aufbäumen des republikanischen, ländlichen bzw. halbländlichen Siedeins war das "Siedeln in der Not" von Erwerbslosen in den wirtschaftskrisengeschüttelten Jahren 1931 bis 1933. 170

168 BarchB, R 41 I 737, BI. 38-71: Geschäftsbericht über die Tätigkeit der Abteilung IV b im Jahre 1928, Berlin, den 20. Dezember 1928, hier BI. 39 f. und 70; vgl. auch Boyens, Bd. I, S. 238-250. Zur wirtschaftlichen Situation in der Landwirtschaft der Weimarer Republik vgl. exemplarisch Theine, Burkhard, Westfälische Landwirtschaft in der Weimarer Republik, Paderborn 1991, besonders S. 109-120. 169 Vgl. Reulecke, Jürgen, Phasen und Auswirkungen der Inflation 1914 bis 1923 am Beispiel derBarmer Wirtschaft, in: Büsch /Wölk, S. 175-187, hier S. 185 f. Auch in der Folgezeit waren die niedrige Löhne in der Landwirtschaft kaum Anreiz, sich der Neoargrarromatik anzuschließen. Zwischen 1925 und 1928 war das Durchschnittseinkommen in der Landwirtschaft nur halb so hoch wie das aller deutschen Erwerbstätigen, gegenüber 2/ 3 in den Jahren 1910bis 1913. Vgl. Borchardt, S. 689 f. 170 Vgl. Harlander, Tilman u. a., Siedeln in der Not, Harnburg 1988, besonders S. 35 f., S. 68 -161; Hafner, Thomas, Heimstätten, in: Kähler, Gert (Hrsg.), Geschichte des Wohnens. Band 4, S. 559-597, hier S. 564; Internationale Kongresse für neues Bauen und städtisches Hochbauamt Frankfurt am Main (Hrsg.), Die Wohnung für das Existenzminimum, Frankfurt a. M. 1930; Boyens, Bd. 2, S. 1-158; Bundesministeriumfür Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Das Haus mit Garten, Harnburg 1973, S. 12 f.

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Trotz aller finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten und, oder gerade wegen der ideologischen Dauerkonzeptionen "eigene Scholle", gab es in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg Menschen, welche die beschränkten Möglichkeiten zur Förderung vor allem der ländlichen und halbländlichen Siedlung in Anspruch nahmen. Nach einer Zusammenstellung über die bearbeiteten und erledigten Kapitalabfindungsanträge für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene waren zwischen 1919 und Mitte 1921 insgesamt 12.814 Anträge gestellt worden, 847 von Kriegswitwen. Mehr als 8.000 Anträge wurden erledigt, welche die Kapitalisierung der Kriegsbeschädigtenanspruche zum Zweck des Erwerbs eines Hauses, einer Siedlungsstelle bzw. der Erweiterung eines ländlichen Betriebes zum Gegenstand hatten. 171 In Sachsen waren zwischen November 1916, nach der Einführung der Kapitalabfindung, und März 1922 allein 2.161 Anträge bewilligt worden, von denen in 1.151 Fällen der Erwerb einer "Wohnheimstätte" und in 133 Fällen der Erwerb einer "Wirtschaftsheimstätte" finanziert werden sollte. Die Verwendung der Mittel zur wirtschaftlichen Stärkung des eigenen Grundbesitzes war in 877 Fällen vorgesehen.172 Die Zahl der Siedlungen, die in Deutschland nach dem Krieg tatsächlich entstanden oder erweitert wurden, konnte das Reichsarbeitsministerium im Februar 1923 nicht bekannt geben. Lediglich für Preußen wurde für die Jahre 1919 bis 1921 berichtet, daß neue Ansiedlungen mit einer Gesamtfläche von 44.130 ha begrundet worden seien. Dariiber hinaus waren 55.045 ländliche Siedlungsstellen und landwirtschaftliche Betriebe um 53.850 ha vergrößert worden. 173 Ludwig Preller schätzte 1949 ein, daß zwischen 1919 und 1923 ca. 13.000 Siedlerstellen und "einige 100.000 Anliegerstellen" geschaffen wurden. Nach der Inflation erholte sich die Zahl der Neusiedler langsam. 1925 waren es 1.900 Siedler, die auf dem Land "seßhaft" gemacht werden konnten. Im Zuge der Förderinitiative des Reiches und der Darlehen der Rentenkreditanstalt wurden in den Folgejahren 1.906 (1926), 3.372 (1927), 4.253 (1928) und 4.406 (1929) Neusiedlerstellen gegrundet. 174 171 BarchB, R 3901/8937, ohne Bl.-Nr.: Zusammenstellung der von den Hauptversorgungsämtern im Jahre 1919 (11.-IV. Quartal), 1920 (l.-IV. Quartal), 1921 (1.-II. Quartal) bearbeiteten u. erledigten Kapitalabfindungsanträge. 172 Ebenda, ohne Bl.-Nr.: Schreiben des Sächsischen Landesamtes für Kriegerfürsorge an das Reichsarbeitsministerium vom 12. April 1922. In 288 Fällen wurde die Kapitalabfindung auf eigenen Wunsch aus "wichtigen Gründen zurückgezahlt oder wegen Vereitelung ihres Zweckes zurückgefordert". Insgesamt wurden somit nur 1.873 Kapitalabfindungen ausgezahlt. Nur 67 Anträge waren von Kriegerwitwen. Von diesen wurden 30 bewilligt, vier abgelehnt, 23 zurückgezogen, bei zehn Anträgen lief das Verfahren noch. Von den 30 bewilligten Anträgen waren "7 Fälle wegen Verkauf des Grundstückes oder sonstige Vereitelung des Zweckes der Kapitalabfindung und in 2 Fällen wegen Wiederverheiratung zurückgefordert und in 4 Fällen aus wichtigen persönlichen Gründen freiwillig zurückgezahlt worden". m BarchB, R 411716, BI. 477 f.: Internes Schreiben im Reichsarbeitsministerium an das Referat Strübing vom 27. Februar 1923. 174 Preller, S. 387 (An anderer Stelle spricht Preller von nur 12.000 Siedlungsstellen, vgl. ebenda, S. 288); vgl. auch Hertz-Eichendorf, S. 328. Boyens, Bd. II, S. 278, gibt die Gesamt-

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III. Wohnen nach dem Krieg

Bei den so insgesamt geförderten 25 bis 30.000 Neusiedlerstellen konnte nur von einer kleinen Rekolonisation und einer verkappten Wiederbelebung des Landlebens gesprochen werden. Das Ergebnis entsprach zwar den Vorgaben des Reichsarbeitsministeriums von 1928, aber eine umfassende Zurück-aufs-Land-Kampagne war es nicht. Für die ostdeutschen Landesteile, namentlich Ostpreußen, waren die siedlungspolitischen Aktivitäten in erster Linie ein "Reflex auf die Krisenzeichen in der ostdeutschen Landwirtschaft" (Hertz-Eichenrode). Die im Rahmen der Dritten Notverordnung 1931 bis 1933 geschaffenen Stadtrandsiedlungen für Erwerbslose erhöhten die Zahl der Siedlungsstellen um weitere rund 30.000. 175 Wie groß schließlich der Anteil der "Reichsheimstätten" am gesamten Wohnungsbau bis zum Ende der Weimarer Republik gewesen ist, läßt sich nur schwer ermitteln. Die Zahlen des Ständigen Beirats von 1926 belegten bereits ein zurückhaltendes Interesse an Wohneigentum in der Rechtsform der "Reichsheimstätte". Trotzdem hatten zahlreiche gemeinnützige Bau- und Siedlungsunternehmen Einzelhäuser im Sinne des Reichsheimstättengesetzes errichtet. Nach einer Zusammenstellung des preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt aus dem Jahre 1931 wurden von den, vom preußischen Staat begründeten, regional arbeitenden Unternehmen zur "Förderung und Beschaffung gesunder und zweckmäßig eingerichteter Kleinwohnungen", sogenannte Wohnungsfürsorgegesellschaften, rund 15,5% der von ihnen gebauten Einfamilienhäuser als "Reichsheimstätten" errichtet:

zahl der "Neubauern" in den "Ostgebieten" zwischen 1923 und 1933 mit rund 40.000 an. Allein für Ostpreußen, der Schwerpunktregion der Siedlungspolitik, gibt Hertz-Eichendorf die Zahl der 1929-1933 geschaffenen Neusiedlungen mit 8.150 an. Vgl. auch die Reaktion auf einen Artikel von Marion Gräfin Dönhoff in Die Zeit, Nr. 48/1951 ("Die Bodenreform muß reformiert werden"), in: Zeitschrift für das gesamte Siedlungswesen, 1. Jg., Heft 3, 1952, S. 90- 92 ("Die Irrtümer der Gräfin Dönhoff oder schlagt die Siedlung wo ihr sie trefft?"). Dönhoffbeziffert in dem Zeitartikel die Zahl der zwischen 1919 und 1941 geschaffenen neuen Siedlungsstellen mit rd. 78.000; einschließlich einer Fläche von 300.000 ha Anliegerland waren rd. I ,3 Millionen Hektar Land in diesem Zeitraum besiedelt worden. Die Zeitschrift für das gesamte Siedlungswesen weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß das "Liefersoll nach dem Reichssiedlungsgesetz rd. 2,15 Millionen Hektar betrug... , um die 'Vertriebenen' des ersten Weltkrieges, um die aus dem Felde heimkehrenden Bauernsöhne und Landarbeiter 'einzugliedern'." Vgl. auch Boyens, Bd. I, S. 241 ; Bd. II, S. 258 -279. 175 Vgl. Harlander u. a., S. 17 - 82; Hafner; S. 565; Hertz-Eichenrode, S. 315; Stadtplanungsamt Magdeburg (Hrsg.), Gartenstadt- und Erwerbslosensiedlungen aus der Zeit der Weimarer Republik in Magdeburg, Magdeburg 1995, S. 22 - 119.

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1. Deutschland Tabelle 10

Übersicht über die unter Mitwirkung der Wohnungsfürsorgegesellschaften errichteten Einfamilienhäuser in Deutschland (1931) 176 Zahl der Einfamilienhäuser im Zeitraum Ostpreußische Heimstätte Brandenburgische Heimstätte Pommersehe Heimstätte Heimstätte Grenzmark Schlesische Heimstätte Oberschlesische Wohnungsfürsorgegesellschaft Mitteldeutsche Heimstätte Heimstätte Schleswig-Holstein Niedersächsische Heimstätte Westfälische Heimstätte Hessische Heimstätte Nassauische Heimstätte Rheinische Wohnungsfürsorgegesellschaft gesamt

davon Reichsheimstätten

1928-1930: 1924-1930: 1920-1930: 1924-1930: 1928-1930: 1923-1930:

4.541 2.230 3.102 2.337 1.526 4.812

1.651 946 525 439 622 938

1921-1930: 1921-1930: 1924-1930: 1918 - 1930: 1921-1930: 1922-1930: 1928-1930:

6.413 8.378 8.561 4.436 2.651 1.176 3.818

691 455 540 435 364 158 617

53.981

8.381

Bis 1929 waren in ganz Deutschland 18.630 "Reichsheimstätten" entstanden. Rund die Hälfte aller Eigenheime in dieser Rechtsform wurden in Preußen gebaut (8.953), gefolgt von Sachsen (5.092), Württemberg (1.531), Bayern (1.160), Anhalt (866) und Braunschweig (672). Bis 1936 waren etwa nochmals so viele gebaut worden. Die Schätzung über die Gesamtzahl der bis 1945 errichteten "Reichsheimstätten" beläuft sich auf rund 80.000. 177 Die geringe Resonanz an dieser Rechtsform des Wohnens begründete Hans-Günther Pergande 1973 mit einer Ablehnung der starken "Bindung gegen die Mobilisierung des Eigentums", einer damit verbundenen Bevormundung des Heimstättennehmers und der Verwehrung des Ver176 GstaB, Rep. 191, Nr. 53, BI. 13/14: Übersicht über die unter Mitwirkung der Wohnungsfürsorgegesellschaften errichteten Einfamilienhäuser (1931); vgl. auch Blumenroth, Ulrich, 100 Jahre deutsche Wohnungspolitik, in: Deutsche Bau- und Bodenbank Aktengesellschaft (Hrsg.), 1923-1973. 50 Jahre im Dienste der Bau- und Wohnungswirtschaft, BonnBad Godesberg 1973, S. 211-411, hier S. 286 f.; Schneider, S. 159-161. 177 Vgl. Krüger I Wenzel, Reichsheimstättengesetz, S. 38; Lütge, Friedrich, Wohnungswirtschaft, Stuttgart 1949, S. 160. Lütge betont die "gewisse Bedeutung", die die Heimstätte für die Beamtenschaft hatte. Ein maßgeblich vom Bodenreformer Johannes Lubahn initiiertes Reichsgesetz vom 30. Juni 1927 regelte die Möglichkeit der Abtretung von Beamtenbezügen zum Heimstättenbau. Etwa 12.000 Heimstätten gingen daraus insgesamt hervor. Vgl. auch Saldern, Häuserleben, S. 143.

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III. Wohnen nach dem Krieg

kaufseriöses bei der Wiederveräußerung. Als Hinderungsgründe für einen umfassenden Erfolg des Reichsheimstättengedankens waren das genau die Grundsätze, welche die Bodenreformer stark gemacht hatten, um den Grund und Boden sowie die darauf errichteten Häusern einer spekulativen Verwertung zu entziehen. Heimstätten seien deshalb nur dort entstanden, so die Einschätzung Pergandes, "wo dies von der öffentlichen Hand erzwungen wurde". 178 Sowohl traditionelle als auch die Architekten der Modeme bedienten sich in ihren Siedlungsprojekten der "Organisationsform Heimstätte" (Hafner), wie Walter Gropius in Dessau-Törten und Ernst May in Frankfurt-Praunheim. 179 Aus den "Kriegerheimstätten" waren "Reichsheimstätten" und eine gehemmte Neuauflage bzw. Fortsetzung der tradierten "inneren Kolonisation" geworden. Aber konnten die Kriegsheirnkehrer, Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen ihre bevorzugte Stellung, die ihnen per Gesetz und Verfassung bei der Vergabe von Eigenheimen bzw. neuen Wohnungen zugestanden wurde, wahrnehmen? Hatten die "Helden des Krieges" letztlich in "ihre" eigenen Häuser einziehen können? Wenn die deutsche Regierung, was Stephen R. Ward auch für die Mehrheit der europäischen Nachkriegsregierungen einschätzte, nicht in der Lage war, eine ausreichende Verantwortung für die Veteranen des Krieges, welche die Wohnungsfürsorge einschloß, zu übemehmen 180, wer konnte und wollte die "Wohnungsbauversprechen" der Kriegsjahre einfordern und durchsetzen? Die Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebene waren neben den Reichsbediensteten seit dem Krieg Anspruchsberechtigte von Mitteln aus der Reichswohnungsfürsorge. Zentral- wie bundesstaatliche Wohnungs(bau)fürsorge drückte sich in der Regel über die Beteiligung an gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften aus, welche mit öffentlichen Zuschüssen Wohnungen und Siedlungshäuser für die Anspruchsberechtigten dieser "Fürsorge" errichteten. Die aus der Propaganda und den Versprechen der Kriegszeit abgeleitete Verantwortung für ein 178 Pergande I Pergande, S. 75 -78; Hafner; S. 565. Vgl. BLHA, Pr. Br. Rep. 2A Regierung Potsdam I S Nr. 854, ohne BI.-Nr.: Aufstellung des Regierungspräsidenten in Potsdam an den Preußischen Minister für Volkswohlfahrt vom 4. November 1931: Nachweis der auf Grund des Reichsheimstättengesetzes vom I 0. Mai 1920 errichteten Reichsheimstätten; desgleichen ohne BI.-Nr.: vom 20. Oktober 1932 und 6. Oktober 1933. Danach hatten die Wohnungsfürsorgegesellschaften und die Kommunen den größten Anteil an der Ausgabe von "Reichsheimstätten" in Preußen, 1931= 826 und 1932 = 924. 179 Vgl. Hafner; S. 564; Koinzer; Thomas, Der Blick zurück, in: Dessauer Kalender 1999, S. 81-89, besonders S. 86. Zu den baulichen Ergebnissen der deutschen Siedlungstätigkeit in den Jahren bis 1922 vgl. Deutscher Bund Heimatschutz, Deutsches Archiv für Städtebau, Siedlungswesen und Wohnwesen, Vereinigung für deutsche Siedlung und Wanderung (Hrsg.), Siedlungswerk, 3 Bände, München 1918- 1922, besonders Bd. I; Gropius, Walter, Bauhausbauten Dessau, BerliniMainz 1974. 180 Vgl. Ward, Stephen R., Introduction, in: Ders. (Ed.), The War Generation, Port WashingtoniLondon 1975, S. 3 - 9, hier S 7. Vgl. auch Frie, Ewald, Wohlfahrtsstaat und Provinz. Fürsorgepolitik des Provinzialverbandes Westfalen und des Landes Sachsen 18801930, Paderborn 1993, S. 128-159; Ders., Vorbild oder Spiegelbild?, in: Michalka, Der Erste Weltkrieg, S. 563- 580; Whalen, Robert Weldon, Bitter wounds, Ithaca I London 1984, S. 16 f.

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besseres Wohnen von sämtlichen Kriegsteilnehmern und ihren Angehörigen bedurfte aber einer weitreichenderen bzw. spezifischen Organisation dieser Forderungen. Die Spezifik der "Kriegerfürsorge" übernahmen auch und gerade im Wohnungs- und Siedlungsbau die Kriegsteilnehmerorganisationen. Besonders der im Frühjahr 1917 in Berlin gegründete, SPD-nahe Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten, der spätere Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen übernahm diese Verantwortung. Er schuf in den Jahren nach dem Krieg zahlreiche Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaften bzw. -unternehmen und trug damit einen wesentlichen Anteil dessen, was das Wohnen nach dem Krieg für die Kriegsheimkehrer ausmachen sollte. 181 Doch lag der Schwerpunkt seiner Arbeit auch auf der Interessengruppe, die von Seiten des Reiches über die Kapitalabfindung und den Reichswohnungsfürsorgefonds begünstigt wurde, die Kriegsbeschädigten. In seiner Argumentation auf alle Kriegsteilnehmer gerichtet, bediente der Reichsbund vordergründig diese Klientel und verstärkte somit den in den Jahren der "Kriegerheimstätten" von den Bodenreformern abgelehnten Sonderstatus, diese nur für Kriegsbeschädigte zu schaffen. Gleichzeitig betonte der Bund damit sein zentrales Engagement für die Kriegsbeschädigten, wie es seit seiner Gründung bestand. Erich Kuttner, Mitbegründer des Reichsbundes, beschriebanläßlich des 15. Jahrestages seine diesbezüglichen Intensionen: "[D]ie Dankbarkeilsstimmung gegen die Kriegsopfer ist im Verfliegen. Sobald sich die finanzielle Last der Renten in ihrer nackten Größe zeigt, wird auch der Rest der Dankesstimmung verschwinden. Man wird zwar moralisch unsere Ansprüche gutheißen, aber niemand wird selber die Lasten tragen wollen. Nur eins bleibt den Kriegsbeschädigten übrig: Selbsthilfe durch das Mittel des Zusarnmenschlusses." 182

Vom Reichsarbeitsministerium wurde das Engagement des Reichsbundes im Wohnungs- und Siedlungswesen nach dem Krieg begrüßt. Zwar ging man hier vom Grundsatz aus, daß die Ansiedlung von Kriegsbeschädigten nur als eine Teilfrage der Siedlungspolitik gesehen werden könne. Auch hatte man sich gegen die "Ansiedlung ausschließlich Kriegsbeschädigter" in der Vergagenheit wiederholt ausgesprochen. Doch sollten derartige, ohnehin nur wenige "reine Kriegsbeschädigtensiedlungen" geschaffen werden, würden ihnen trotzdem Mittel der Reichswohnungsfürsorge gewährt werden können. Im Anhang des ministeriellen Schreibens an 181 Vgl. u. a. Diehl, Jarnes M., The Organization of German veterans 11917-1919, in: Archiv für Sozialgeschichte 1111971, S. 141-184; Ders., Veterans' politics under three flags, in: Ward, The War Generation, S. 135-186. 182 Kuttner. Erich, Wie der Reichsbund entstand, in: Reichsbund. Organ des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen, 15. Jg., Nr. 9/10 vom 20. Mai 1932, S. 94-96, hier S. 94; vgl. auch Sozialverband Reichsbund e. V., Bonn, Archiv, ohne Signatur: Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten, Vorläufige Satzung vom 23. Mai 1917, Berlin 1917; Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten (Hrsg.), Dank oder Recht? Ein Wort an die Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten, Berlin 1917. Zur "Kriegsopferversorgung" allgemein vgl. Geyer, Michael, Ein Vorbote des Wohlfahrtsstaates, in: Geschichte und Gesellschaft, 9, 1983, S. 230-277.

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III. Wohnen nach dem Krieg

die Hauptfürsorgestellen für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene vom Oktober 1920 hatte man eine Aufstellung der über eine Umfrage ermittelten Siedlungsbestrebungen angefügt, die Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene berücksichtigen würden. Eine Vielzahl der aufgelisteten Vereinigungen waren Reichsbundsiedlungsgenossenschaften.183 Mit ihrer Tätigkeit bei der Durchsetzung einer "gesunden Wohnungs- und Bodenreform" würden sie, wie in einem Schreiben des Reichsbundes an das Reichsarbeitsministerium vom Juli 1921 festgestellt wurde, ein "wirksames Gegenmittel" gegen das Wohnungselend sein. Wie aus einem Pamphlet der Bodenreformer abgeschrieben, folgte die Begründung für dieses Wirken: "Wohl nirgends ist die Sehnsucht nach einer Heimstätte grösser als unter den Kriegsopfern. Gerade diejenigen, die in jahrelanger Verteidigung des Vaterlandes die freie Natur schätzen und lieben gelernt haben, empfinden es jetzt ganz besonders schmerzhaft, mit ihren meist zahlreichen Familie(n) in engen und unzureichenden Wohnungen hausen zu müssen. Besonders diejenigen Kriegsbeschädigten, die aus dem Felde neben ihren schweren Verletzungen meist noch ansteckende Krankheiten (Tuberculose etc.) behaftet zurückkehrten, müssen zusehen, wie auch ihre Familien in den feuchten Iuft- und lichtlosen Räumen ein Opfer dieser Krankheiten werden." 184

Die 1919 im Reichsbund geschaffene Abteilung Siedlungswesen (Abteilung VI) befaßte sich mit der "Begutachtung sämtlicher Siedlungsfragen und einlaufenden Anträgen", erteilte allgemeine Informationen zu Siedlungsfragen, gab "aufklärende Schriften zum Siedlungswesen" heraus und organisierte den Kontakt mit den zuständigen Behörden sowie Siedlungs- und Wohnungsbaugenossenschaften. 185 183 BarchB, R 3901 I 11107, BI. 6a: Schreiben des Reichsarbeitsministeriums an die Hauptfürsorgesielien für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene vom 18. Oktober 1920. Vgl. auch BarchB, R 390118937, ohne 81.-Nr.: Niederschrift der 1. Sitzung des Unterausschusses für Siedlungswesen vom 3. März 1921. Hier wurde bemerkt, daß man spezifische, nur für Kriegsbeschädigte bestimmte Siedlungen kritisch betrachtete, und es "zweckmässiger ist, Kriegsverletzte und Unverletzte zu mischen, weil dann besser einer dem anderen helfen kann." 184 BarchB, R 3901 I 11111, BI. 40: Schreiben des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen an das Reichsarbeitsministerium vom 7 Juli 1921. Im Weiteren forderte der Reichsbund die Beteiligung an den Beratungen des Ständigen Beirates für Heimstättenwesen. 185 Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen (Hrsg.), Bericht des Bundesvorstandes mit Protokoll der Verhandlungen des 2. Reichsbundtages Würzburg abgehalten vom 11. bis 15. Mai 1920, Berlin 1920, S. 67 f. Vgl. zur Beratungstätigkeit des Bundes auch Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen (Hrsg.), Kriegsopfer und Siedlung, Berlin 1925; BarchB, R 3901 I 10984, BI. 55: Schreiben des Reichsbundes an das Reichsarbeitsministerium vom 5. Mai 1920 betr. der Vorstellung eins Siedlungsplanes in der Umgebung Berlins; Ebenda, BI. 56-57: Schreiben der Märkischen Scholle, Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft im Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen, eGmbH, Berlin-Neukölln an das Reichsarbeitsministerium vom 5. Mai 1920 betr. einer Einladung zum "Heimstättenabend" auf dem die Märkische Scholle das Projekt: "Gartenbau-Siedlung im Urstomtale bei Brück i. M. etwa 70 km von Berlin" zum Zweck der Ansiedlung von Kriegsteilnehmern vorstellte. Vgl. auch BarchB, R 3901111131, BI. 74a: Flugblatt und Einladung zu

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Im Programm des Bundes vom Januar 1921 hatte man schließlich Grundsätze eines zukünftigen eigenen und zu fördernden Wohnungs- und Siedlungswesens für Kriegsbeschädigte aufgestellt, die sich stark an den Forderungen der Bodenreformer aus der Kriegszeit orientierten. 186 Bis zum Sommer 1921 hatten lokale Gliederungen des Reichsbundes in ganz Deutschland insgesamt 60 "Reichsbundsiedlungsgenossenschaften" gegriindet 187 , von denen während der Inflation einige ihre Tätigkeit wieder einstellen mußten. Die Aktivitäten der verbliebenen Gesellschaften des Reichsbundes wurde im September 1924 durch die neu gebildete Gemeinnützige Reichsbundkriegersiedlung GmbH gebündelt, welche die Wohnungs- und Siedlungsbautätigkeit des Reichsbundes in den Folgejahren organisierte. Ihr Erfolg war bescheiden. Sie gab bis 1932 insgesamt 2,24 Millionen Mark für den Bau eigener Wohnungen und Siedlungshäuser aus und stellte weitere 3,45 Millionen Mark für Bauzwischenkredite und erste und zweite Hypotheken für Mitglieder des Reichsbundes zur Verfügung.188 Bis 1925/26 waren damit in eigener Regie in Weiden i. d. Oberpfalz 36 Wohnungen bzw. Einfami1ienreihenhäuser, in Mittweida 9, in Koblenz 22, in Saalfeld 23 und in Emden 34 errichtet worden. 189 Zwischen 1926 und dem Jahresende einem Lichtbildervortrag des Reichsbundes und der Märkischen Scholle vorn 7. September 1922: Siedlungs- und Gartenland für Kriegsteilnehmer. 186 Vgl. Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen (Hrsg.), Programm des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen, Berlin 1921, S. 14 f. 187 Vgl. BarchB, R 3901111111, BI. 40a: Verzeichnis der Reichsbundsiedlungsgenossenschaften, Anhang zum Schreiben des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen an das Reichsarbeitsministerium vorn 7 Juli 1921. Zu deren Struktur vgl. u. a. BarchB, R 3901/11426, Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaften des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen eGrnbH in Parchirn, Oktober 1921-Januar 1922. In dieser Akte wurde der Schriftwechsel zwischen Siedlungsgesellschaft und Reichsarbeitsministerium zusammengestellt. Vgl. auch Friedeburg/Wronsky, S. 185-187. 188 Reichsbund, 15. Jg., Nr. 9/10 vorn 20. Mai 1932, S. 98. Vgl. auch Büttner, Die Förderung des Wohnungsbaus für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene durch das Reich, in: Reichsarbeitsblatt II, 1927, Nichtamtlicher Teil, S. II /386- 389. Büttner vermerkte, daß durch die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten (Kapitalabfindung, Darlehensgewährung, Gewährung von Zinsnachlässen, Gewährung von Zinszuschüssen, Reichsbürgschaften, Sonderausschuß der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen für Siedlungsfragen), die zwischen 1917 und 1924 mit den Mitteln für alle Staatsbedienstete verwaltet wurden, nicht festgestellt werden konnte, wieviel dieser Mittel den Kriegsbeschädigten und -witwen zugekommen war. In den Jahren 1925- 1927 wurden 6,17 Millionen Mark für diesen Personenkreis zum Zweck des Wohnungsbaus bereitgestellt, wovon 1926 ca. 1.200 Wohnungen gebaut wurden. Für 1927 wurde mit 1.100 Wohnungen gerechnet. Ein unerheblicher Betrag angesichts der "großen Zahl der wohnungslosen Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen". Vgl. Förster, Die Zahl der versorgungsberechtigten Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen Deutschlands im Mai 1932, in: Reichsarbeitsblatt II, 1932, Nichtamtlicher Teil, S. II 287 - 291. 189 Vgl. Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen (Hrsg.), Wie Kriegsbeschädigte abgefunden sind und wie sie wohnen, Berlin 1927, s. 82 - 86. 20 Koinzer

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III. Wohnen nach dem Krieg

1930 entstanden weitere 779 Wohnungen in Berlin-Friedrichsfelde, Berlin-Neukölln, Berlin-Lankwitz, Jena, Nordhausen, Stettin und Finsterwalde. Dariiber hinaus wurden 1.092 Wohnungen und Eigenheime durch die Hergabe von Zwischenkrediten und Hypotheken finanziert. Bis 1932 stieg die Gesamtzahl der vom Reichsbund direkt oder indirekt errichteten "Kriegerheime" auf über 2.1 00. 190 Die Gründe für den geringen Erfolg waren mehrschichtig. Unmittelbar nach dem Krieg hatte die Reichsleitung zwar Fördermittel zur Siedlungstätigkeit durch Darlehensgewährung bereitstellen können. Aber die von den Wohnungs- und Siedlungsbaugesellschaften des Reichsbundes und nicht nur von diesen nachgefragten und eingeforderten Zuschüsse zu den Siedlungs- und Baukosten, etwa aus einem Beihilfefonds, konnten nicht gewährt werden. 191 Die pekuniär Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit des Reiches, seine Wohnungsfürsorgeverpflichtung für Kriegsbeschädigte wahrzunehmen, nahm in den Jahren 1922 bis 1924 zu. Der Reichsbund zügelte inflationsbedingt seine Wohnungs- und Siedlungsbautätigkeit Andere Baugesellschaften, die in dieser Zeit für Kriegsbeschädigte Wohnungen errichten wollten, mußten ebenfalls mit der zurückhaltenden, nicht nur auf der finanziellen Unfähigkeit des Reichs gegründeten Reaktion auf ihrer Förderanträge rechnen. Das Antwortschreiben das Reichsarbeitsministeriums auf den Darlehensantrag des Bundes erblindeter Krieger, der in einer Baugenossenschaft in Brandenburg/Havel 20 "Kriegsblindeneigenheime und Wohnheimstätten" errichten wollte, fiel im September 1924 kurz und knapp aus: "Es sind zurzeit lediglich Mittel zur Fortführung der Wohnungsfürsorge für die Beamten, Angestellten und Arbeiter in Betrieben des Reichs verfügbar. Ich bin daher zu meinem Bedauern nicht in der Lage, dem Darlehensantrag näherzutreten." 192

190 BarchB, R 3901 I 11130, BI. 3: Geschäftsbericht der Reichsbundkriegersiedlung GmbH für das Geschäftsjahr 1930, Berlin 1931. Auch der Kyffhäuserbund hatte eigene Siedlungsbestrebungen. Vgl. BarchB, R 3901 I 11048, BI. 51: Schreiben des Kyffhäuser-Bundes an den Reichskanzler vom 13. September 1920: "Die deutschen Landes-Kriegerverhände sehen in der praktischen Durchführung des Siedlungswerkes die vornehmste volkswirtschaftliche Aufgabe zum Wiederaufbau deutschen Wirtschaftslebens. Die Landes-Kriegerverhände sind bereit, an diesem Werke tatkräftigst rnitzuarbeiten. . . Der Kyffhäuser-Bund der deutschen Landes-Kriegerverhände erblickt in der Siedlungsfrage einen wesentlichen Teil seiner Kriegsbeschädigten-, Kriegshinterbliebenen- und Kriegsteilnehmerfürsorge. Er ist bereit, alle Siedlungsbestrebungen innerhalb und ausserhalb seiner Vereinigung tatkräftig zu unterstützen." Zur Geschichte des Kyffhäuserbundes als Gegengewicht zum Reichsbund vgl. BarchB, R 1501/13085, Reichs-Krieger-Dank, Juni 1917- Mai 1918. Vgl. auch BarchB, R 3901 I 8944, Verband gemeinnütziger Kriegersiedlungen Leipzig, 1918 -1925; BarchB, R 3901/11119, BI. 13: Baugenossenschaft der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen Braunschweig eGmbH (Hrsg.), Geschäftsbericht des 5. Geschäftsjahres vom 1. Januar 1930 bis 31. Dezember 1930, Braunschweig 18. Mai 1931. 191 Vgl. u. a. BarchB, R 3901111107, BI. 6a: Schreiben des Reichsarbeitsministeriums an die Hauptfürsorgestellen für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene vom 18. Oktober 1920; R 3901 I 1119-11141, Heimstättenwesen 1920- 1935 192 BarchB, R 3901 I 11318, BI. 17: Schreiben des Reichsarbeitsministeriums an den Ausschuß des Bundes erblindeter Krieger vom 9. September 1924.

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Neben dem Geldmangel, hohen Baustoffpreisen und Arbeitslöhnen sprach man sich innerhalb der Reichsleitung zudem gegen die zahlreichen Neugründung von eigenständigen Kriegerheimstättengenossenschaften aus. Im Ausschuß für Siedlungswesen schätzte der Vertreter des Reichsarbeitsministeriums, Freudenfeld, im März 1921 ein, daß wegen des allgemeinen Mangels, die Wirksamkeit der staatlichen Wohnungsfürsorgegesellschaften als zu gering eingeschätzt würde und dazu führe, daß eigenständige Siedlungs- und Baugenossenschaften gegründet würden. Diese entstünden oft in ,,recht überflüssiger Weise und in unnötiger Konkurrenz zu bereits bestehenden Vereinigungen". Das Fehlen von ausreichendem Eigenkapital und die unzureichenden Erfahrungen dieser Gesellschaften hätten vielfach zu ihrer Auflösung geführt, was Enttäuschungen hervorgerufen hatte. Außerdem seien hinter zahlreichen Neugründungen, betrügerische Absichten bzw. "private Spekulationsabsichten" von Grundeigentümern oder Architekten, die sich Bauaufträge sichern wollten, verborgen. 193 Nach der Währungsstabilisierung beteiligte sich die Gemeinnützige Reichsbundkriegersiedlung GmbH am Wohnungs- und Siedlungsbau mit den oben dargestellten Ergebnissen. Trotz der geringen Bautätigkeit stellte die Wohnungsbau- und Siedlungstätigkeit des Reichsbundes letztlich jene dar, die der Propaganda der Bodenreform und in den politischen "Versprechungen" den "Kriegerheimstätten" am nächsten kam. Die auf Selbsthilfe gegründete Tätigkeit des Reichsbundes sicherte einerseits wenigstens einem Teil der Kriegsteilnehmer, einigen Kriegsbeschädigten, ein gutes Wohnen. Diese hatten aber auch bei anderen gemeinnützigen Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaften und auf dem wiederbelebten privaten Wohnungsmarkt bei Bedarf Wohnungen finden können. Andererseits machte die Arbeit des Reichsbundes deutlich, wie wenig von der Propaganda des "Dankes" und der "Pflicht" übriggeblieben war, als die "Krieger" und "Helden" als geschlagene "Krieger" und "Helden" von der Front zurückgekehrt waren. Diese Erinnerung an den Krieg war zwischen Neurosen und Revanche untergegangen, wie ein Wohnungsbau für Kriegsheimkehrer durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Nachkriegszeit nicht möglich war.194 Danach organisierten einige das selbst, was ihnen, als sie das "Vaterland schützten", versprochen wurde, ein besseres Wohnen nach dem Krieg. Für die Wohnungspolitik der Nachkriegszeit waren die Kriegsheimkehrer, ob körperlich beschädigt oder nicht, eine ganz normale Versorgungsklasse, ohne herausragende Privilegien. Die "Kriegerheimstätten" waren für sie eine unerfüllte Erwartung und verblaBte Floskel zugleich.

193 BarchB, R 3901/8937, ohne 81.-Nr.: Niederschrift der 1. Sitzung des Ausschusses für Siedlungswesen vom 3. März 1921. 194 Vgl. Ulrich, Bernd/ Ziemann, Benjamin (Hrsg.), Krieg im Frieden, Frankfurt a. M. 1997, Einleitung; Silverman, Dan P., A Pledge unredeemed, in: Central European History, 3. Jg., 1970, H. 1/2, S. 112 - 139.

20*

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2. Großbritannien a) Von Kommissionen und Berichten zu den Wohnungsgesetzen von 1919

Die Kommissionsberichte waren einerseits umfassende Bestandsaufnahmen bzw. Prognosen der Wohnungssituation in Großbritannien vor, während und nach dem Krieg. Andererseits bildeten sie die Arbeitsgrundlagen und waren erste Schritte hin zur Novellierung der bestehenden Wohnungsgesetzgebung bzw. für die völlige Neufassung eines Wohnungsgesetzes, das die veränderten sozialen und ökonomischen Bedingungen anerkannte. Die Gutachten ergänzten die Ergebnisse der Untersuchungstätigkeit des Ministry of Reconstruction und erweiterten diese unter Beriicksichtigung regionaler Besonderheiten und der technisch-organisatorischen Ausführung, wie z. B. des Baus und der Architektur neuer Wohnhäuser. Sie waren das Fundament, auf dem die Regierung in London ihre Nachkriegswohnungspolitik organisierte und die Wohnungsgesetze von 1919, die sogenannten Addison Acts, formulierte. aa) Der Bericht der Royal Commission on Housing in Scotland

Schottland galt spätestens seit den Mietstreiks in Glasgow und unter Beriicksichtigung der Bedeutung seiner industriellen Regionen, vor allem bezüglich des Schiffsbaus, besondere Aufmerksamkeit, wenn es um die Wirkung der Wohnungsfrage auf die Stabilität der "Heimatfront" ging. Kurz vor dem Jahreswechsel 1917 I 18 legte die Royal Cornmission on Housing in Scotland ihren Abschlußbericht vor, der die Wohnungsbedingungen in Schottland zusammenfaßte und Empfehlungen zu deren Verbesserung gab. Einberufen bereits vor den Krieg (1912), sah die Kommission ihre Aufgabe nach dem Vorbild der Kommission von 1884/ 85 in der Bestandsaufnahme der Wohnbedingungen der Arbeiterschaft in den städtischen und ländlichen Regionen Schottlands. Mitglieder des Komitees waren schottische Parlamentsabgeordnete und lokale und regionale Verwaltungsbeamte wie Henry Ballantyne (Vorsitz), Lord Lovat, George Barbour, James Barr, Charles Carlow, Joseph Duncan, David Gilmour, John Henderson und George Kerr. Nach über fünfjähriger Tätigkeit sah sich das Gremium in der Lage, befördert durch ein Klima staatlicher Initiativen im Wohnungswesen (u. a. Housing Panels der Wiederautbaukomitees), einen detaillierten Bericht vorzulegen, der in zwölf Abschnitten quasi ein Gesamtbild des Wohnungswesens in Schottland ergab. So wurden der Zustand des regionalen Wohnungsmarktes und die Wohnungsbaufinanzierung beschrieben, und die Miethöhen im Vergleich zu den Einkommen analysiert. Dariiber hinaus legte die Kommission mit dem Bericht einen Maßnahmenkatalog vor, der die als unhaltbar bezeichneten Zustände im Wohnungswesen der schottischen "working classes" zu verbessern versprach. Die Kommission erarbeitete auf der einen Seite Vorschläge zur Reduzierung der Baukosten für Wohn-

2. Großbritannien

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häuser und unterbreitete verschiedenste Haus- und Wohnungsgrundrisse für den zukünftigen Wohnungsbau. Auf der anderen Seite gab sie neben allgemeinen Empfehlungen zur Stadtplanung, Anregungen wie mit innerstädtischen Elendsgebieten verfahren werden sollte und inwiefern gemeinnützige Bauunternehmungen, sogenannte Public Utility Societies, in den Prozeß zukünftigen Wohnungsbaus einbezogen werden könnten. Mit 120.000 fehlenden Wohnhäusern konstatierte die Kommission den Mangel und betonte, daß aber mindestens 230.000 neue Wohnungen benötigt würden, um die Situation befriedigend zu gestalten. 195 Schlechte Wohnverhältnisse allgemein und überfüllte Wohnungen im besonderen waren zwar, wenn auch auf einem niedrigeren Standard, in Schottland stärker ausgeprägt als in England oder Wales. In einer Zusammenfassung des Berichts der Royal Commission, die 1918 veröffentlicht wurde, schrieb der Vizepräsident des schottischen Local Government Boards, Sir George M'Crae, mit Rückgriff auf frühere Äußerungen zum gleichen Problem, daß insbesondere die schottischen Wohnungsbedingungen "a standing disgrace to the nation" seien. 196 Aber die Kommission hatte das Wohnungswesen des gesamten Landes in den Blick genommen. Eine verkürzte Fassung des Reports versah sie kurzerhand mit einer anderen Überschrift, die Empfehlungen für die Verbesserung der Wohnverhältnisse der Arbeiterklasse in England und Wales zum Gegenstand hatte. Der sich anschließende Wortlaut war nahezu identisch. 197 Vor allem wegen seinen Bestandsanalysen und den sich anschließenden Vorschlägen zur Beseitigung der dargestellten Mißstände in den industriellen, städtischen Zentren und auf dem Land bedeutete der Bericht über Schottland einen wichtigen Schritt hin zur Formierung und Formulierung einer neuen staatlichen Wohnungspolitik. Er war eine zusätzliche, Politik vorbereitende Analyse der Wohnungsfrage in einer ohnehin als problematisch eingestuften Region, die für die kriegswichtige industrielle wie auch die landwirtschaftliche Produktion von Bedeutung im Krieg war. Mit Nachdruck hob der Bericht hervor, daß die Wohnungsbedingungen der Arbeiterschaft "entsetzlich" und die gesundheitlichen und moralischen Schäden katastrophal seien, was zur Verbitterung der Arbeiterschaft führen würde. Der Umfang des Problems sei zudem von solch einem Ausmaß, daß nur durch staatliches Handeln eine Lösung herbeigeführt werden könne. 198 Im Minority Report der Kommission wurden diese, durch den Krieg zugespitzten Bedingungen, kurz und knapp auf dem Punkt gebracht: 195 PRO, RECO l/473, ohne Bl.-Nr.: Summary of recommendations of the Royal Commission on Housing in Scotland, November 1917. Vgl. auch Aldridge, National Housing Manual, S. ll f.; Clarke, S. 375-391. 196 Stalker, Archibald (Ed.}, Summary of the Report by the Royal Commission on Housing in Scotland, London 1918, Vorwort von George M'Crae; vgl. auch Mowat, Charles Loch, Britain between the wars, London 1955, S. 510. 197 Vgl. PRO, RECOl/473, ohne Bl.-Nr.: Summary of recommendations applicable to English and Welsh conditions. 198 Vgl. Damer; S. 102.

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III. Wohnen nach dem Krieg

"[T]he housing of the industrial workers can no Ionger be regarded as a problern merely for the localities; it is essentially a question of national interest and must be dealt with from the national standpoint". 199

Das staatliche Engagement sah die Mehrheit der Kommission aber gerade in der Neudefinition der Rolle der Lokalverwaltungen. Ihnen sollte die Funktion von ausführenden Organen einer nationalen Wohnungspolitik zukommen, während die zentrale Leitung und Koordination einer neuen staatlichen Institution mit enger Bindung an das Finanzministerium übertragen werden sollte. 200 In zwei Schritten sollten ein staatlich finanziertes und koordiniertes Wohnungsbauprogramm vorbereitet werden. Erstens empfahl der Bericht, daß das Local Government Board eine Erhebung des tatsächlichen Wohnungsbedarfs vornehmen sollte. Im zweiten Schritt sollte das für die Finanzierung öffentlicher Bauvorhaben zuständige Public Works Loan Board Mittel "for all purposes of the Housing Acts" bereitstellen, einschließlich der Unterstützung von Public Utility Societies, öffentlichen und privaten Bauunternehmungen?01 Neben der Neubautätigkeit durch die Lokalverwaltungen, wie sie der Bericht der Kommission empfahl, sollten Verordnungen erlassen werden, die Wohnungsüberfüllungen kontrollieren halfen und Raummengenstandards für zu bauende Wohnungen festlegten. Danach sollte ein einzelnes Zimmer in einem neu zubauenden Haus eine optimale Raumausdehnung von 1.620 cubic feet haben, zwei zusammenhängende Zimmer 2.430 und eine Dreizimmerwohnung 3.150. Als zulässige Minimalstandards wurden je Zimmer 630 cubic feet in Zweizimmerwohnungen bzw. 500 in Dreizimmerwohnungen bestimmt.202 Mit Blick auf die Situation in Schottland, so resümierte der Kommentar zum Bericht der Kommission, sollte der Staat, d. h. die Zentralregierung in London bzw. das schottische LGB, "explicitly accept direct responsibility for the housing of the working classes in Scotland". Der Staat sollte sicherstellen, daß die Lokalverwaltungen die Pflicht annehmen sollten, um ausreichend Wohnungen und Häuser zu bauen. Gleichzeitig wurde dem Staat neben seiner Kontroll-, auch eine Unterstützungspflicht auferlegt. Der zeitliche und organisatorische Ablauf des Bauprogramms wurde auf sieben Jahre geschätzt, in denen der Staat den Wohnungsbau der Lokalverwaltungen zu subventionieren habe. Um den Gemeinden Planungssicherheit zu geben und ihr finanzielle Risiko zu vermindern, sollte nach dieser Zeit, der Verlust aus den lokalen Bauvorhaben vom Staat getragen werden. "To enable L.A.'s (local authorities, T.K.) to undertake this work, the State should for seven years after the war make up by way of subsidy the difference between the rentals received and outgoings. At the end of seven years the Govemment should value the houses erected, and should then pay the L.A.'s the whole capitalloss."203 199 200

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202

Zitiert nach: Melling, Introduction, in: Ders., Housing, social policy and the state, S. 23. Vgl. ebenda, S. 24; Melling, Clydeside housing, S. 157. Vgl. Stalker, S. 1. Vgl. ebenda, S. 3. Einfoot =30,48 cm, ein cubic foot =0,028 m3 .

2. Großbritannien

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Auch George M'Crae beschwor in seinem im Dezember 1917 verfaßten Vorwort zum Bericht der Royal Commission die Allianz von lokaler und zentralstaatlicher Verantwortung im Wohnungsbau. Während die Lokalverwaltungen in einem "neuen Geist", mit "kühneren Blicken" in die Zukunft schauten und auf den Gebieten der Gesundheitsfürsorge und des Wohnens Verantwortung übernehmen würden, sei der Zentralstaat angetreten, die "Gefahr unerträglicher finanzieller Lasten" zu vertreiben: "The State has come to the rescue of the Local Authority." Pathetisch knüpfte M'Crae damit an seine Vorkriegsforderungen nach der staatlichen Unterstützung für den Wohnungsbau an, um die "erwartungsvollen" Lokalverwaltungen endlich in die Lage zu versetzen, den "schlimmen Skandal" elenden Wohnens zu beseitigen: "The interest displayed by the Local Authorities is a pledge that they realise to the full the great opportunity afford thern of helping to create a better Scotland, a Scotland worthier of our race. " 204

Die Royal Comrnission bestätigte schließlich, daß sich das Verlangen und die Nachfrage nach besserem Wohnen und menschenwürdigen Wohnungen bereits vor den Krieg Bahn gebrochen hatte. Sie knüpfte damit an wohnungs- und sozialreformerische Bestrebungen an und führte die Kritik über die unzureichenden rechtlichen und politischen Regelungen im Wohnungswesen weiter. Aber erst mit dem Krieg seien die Forderungen unüberhörbar geworden und weit verbreitet. Nach drei Jahren des Krieges, so urteilte das Gremium, "the demand for better housing ... is too insistent to be safely disregarded any longer." 205 Es wurde unterstrichen, daß jetzt und vor allem nach dem Krieg ein politisches "Ignorieren der Wohnungsfrage" nicht mehr möglich war. Die bestehenden Probleme des Wohnungswesen, von den schlechten, unhygienischen Wohnbedingungen bis hin zu den tradierten Mieter-Vermieter-Beziehungen, hatten sich im Krieg verschärft und waren unübersehbar geworden. Weder politisch, noch gesellschaftlich sei die Wohnungsfrage nun zu verdrängen und hatte ein den Status Quo in Frage stellendes Potential entwickelt, das durch staatliche Intervention beseitigt werden sollte. Es waren politisch und wirtschaftlich neue "Lösungsformeln", die der Bericht aufstellt hatte, und die nach den Jahren des Krieges eine breite Anhängerschaft gefunden hatten. Das Primat des privaten Wohnungsmarktes wollte man, wenn auch zeitlich begrenzt, aufheben, und es durch mehr Staat flankieren. M'Crae kommentierte die Ergebnisse des Berichts dahingehend kurz und drastisch, daß zuviel freie Wirtschaft im Wohnungswesen nicht nur ein "Fehler", sondern ein "Verbrechen" sei. Er sah einen "neuen Geist", der neue Vorstellungen von Gesellschaft und Ökonomie nach dem Krieg mit sich bringen würde:

203

Stalker, S. 10.

204

Ebenda, Vorwort.

2os Zitiert nach: Melling, Clydeside housing, S. 151 f.

III. Wohnen nach dem Krieg

312

"When the camival of blood isover we shall be 'up against' new problems which will not be solved by the old formulre. We shall, indeed, be creating a new world on the wreckage of many cherished opinions and economic beliefs." 206

Neue Ideen und Herangehensweisen, eine neue Politik im Wohnungswesen insgesamt forderte der Vizepräsident des schottischen LGB, um ein "neues Wohnen" nach dem Krieg zu begründen. Denn nur dadurch würde das "Himmelslicht" scheinen und jedes Haus, jede Wohnung würde den Namen "Heim" verdienen. 207 Als "soul-stirring manifesto" und "terrible and tragic story of present-day housing in Scotland" (M'Crae) war der Bericht der Royal Commission ein zwar langwieriger, aber einprägsamer, nachhaltig wichtiger Beitrag zur Korrektur staatlicher Zurückhaltung im Wohnungswesen. Er zeigte Alternativen und neue Herausforderungen eines weitestgehend privatwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarktes auf, der nach dem Krieg einer vermeintlichen Neudefinition harrte. Die Kommission demonstrierte den Umfang und mögliche Lösungsansätze, wie und in welchem Ausmaß der Staat und die Gemeinden einerseits am Wandel im Wohnungswesen zu beteiligen seien. Andererseits positionierte sie sich mit ihrem Bericht eindeutig dahingehend, daß die endgültige Lösung der Wohnungsfrage nur mit einem umfangreichen, staatlichem Engagement möglich sein würde.

bb) Der Tudor Walters Report

Für die Fragen des guten Wohnstandards nach dem Krieg waren die Empfehlungen des sogenannten Tudor Walters Reports von besonderer Bedeutung. Wo die Royal Commission on Housing in Scotland vorwiegend Vorschläge zur materiellen und organisatorischen Gestaltung des britischen Nachkriegswohnungswesens machte, widmete der Bericht John Tudor Walters der inneren und äußeren Gestaltung der zu bauenden neuen Wohnungen seine Aufmerksamkeit. Über die vorgeschlagenen Haus- und Wohnungsgrundrisse der Royal Commission hinausgehend, bestimmte der Bericht, wie die Häuser und Wohnungen, die unter einem zukünftigen Wohnungsgesetz gebaut werden sollten, in ihrer Form und wohntechnischen Ausstattung auszusehen hatten. Gemeinsam mit dem Bericht der Royal Commission on Housing in Scotland stellte Tudor Walters Report die wohl wichtigste, designerische und architektonische Grundlage dessen dar, was mit dem Wohnungsgesetz von 1919 zur Ausführung kommen sollte: Neue Häuser und Wohnungen eines neuen Britanniens nach dem Krieg. Die Kommission und der Bericht erhielten ihren Namen nach ihrem Leiter, dem Direktor des Hampstead Garden Suburb und liberalen Unterhausabgeordneten John Tudor Walters. Weitere Mitglieder des Ausschusses waren u. a. E. Leonard, Wohnungsinspektor des LGB, die Architekten Aston Webb, Raymond Unwin und 206 207

Stalker, Vorwort. Ebenda.

2. Großbritannien

313

Frank Baines sowie J. Walker Smith, Direktor der Wohnungs- und Stadtplanung beim schottischen LGB. Im Juli 1917 wurde die Kommission vom Londoner LGB einberufen, um "Wohnungsbaukonstruktionen für die arbeitenden Klassen" auszuarbeiten.208 Ihr im November 1918 veröffentlichter Bericht hatte vier Schwerpunkte. Im ersten wurden allgemeine Empfehlungen über das zukünftige Wohnungswesen und dessen Verwaltung und Steuerung gegeben. Der zweite befaßte sich mit der Planung und dem Neubau von Häusern und Wohnungen und enthielt Vorschläge zum Prozeß der Ausgestaltung von Wohnsiedlungen und ihrer Entwicklung. Der dritte Schwerpunkt des Berichts lag auf der Beurteilung der Baukosten, der Verfügbarkeit von Baumaterialien und der Einführung von neuen Baustoffen und -methoden im Prozeß des Neubaus. Der vierte und wichtigste Aspekt des Berichts urnfaßte Empfehlungen zur "inneren" Gestalt der neuen Häuser und Wohnungen. Die "cardinal principles" (Stevenson) guten, menschenwürdigen Wohnungsbaus wurden hier definiert. Grundsätzlich sollte gelten: "[A] sunny aspect for the living rooms and for as many bedrooms as possible".209 Konkret sollten die zukünftigen Häuser und Wohnungen in der Regel mit drei Schlafzimmern und Küche ausgestattet sein. Jede Wohnung sollte zudem sanitären Grundsätzen entsprechen und über eine Toilette und ein Bad verfügen. Die Festlegung von Mindestbauabständen zwischen den Häusern, welche die Anlage von Gärten gestatteten, verstand sich von selbst. Die Orientierung am Vorbild der Garden Suburbs war unverkennbar, viel Licht und Luft ein Muß? 10 Die Kommission gab außerdem zu Protokoll, daß zusätzliche neue organisatorische und bürokratische Strukturen für diese Aufgaben benötigt würden. Das LGB sollte zum einen den Lokalverwaltungen zusätzliche Rechte und Pflichten hinsichtlich des Wohnungsbaus übertragen. Zum anderen forderte man die Einrichtung eines Housing Departments, das ein System regionaler Wohnungskommissare aufbauen sollte, um die Arbeit der Kommunen und Gemeinden zu koordinieren und zu stimulieren. In den Tatigkeitsbereich dieses Amtes sollte auch die notwendige Förderung der Produktion von Baumaterialien fallen. Die Kommission stellte abschließend fest, daß insgesamt 500.000 neue Häuser und Wohnungen in Großbritannien neu gebaut werden müßten, allein 300.000 im ersten Jahr nach Kriegsende, womit man sich den Forderungen des Reconstruction committees anschloß.211 208 Vgl. Swenarton, S. 88-93; Bumett, S. 222-226, hier S. 223 f. Baines schied einen Monat bevor der Bericht vorgelegt wurde aus. 209 Zitiert nach: Stevenson, John, British Society 1914 - 45, Harmondsworth 1984, S. 207. 210 Vgl. Swenarton, S. 93-108; Bumett, S. 222 - 226; Prager; S. 17 - 40; Holmans, S. 71 f. und 296 f.; Harloe, People's homes, S. 108 f.; Orbach, S. 66; Date, Jennifer, Class structure, social policy and state structure, in: Melling, Housing, social policy and the state, S. 194223, hier S. 211; Teichmann, S. 75-79. 211 Vgl. RECO 1/521, ohne Bl.-Nr.: Minute to the War Cabinet by the Minister of Reconstruction on housing for the working classes after the war vom 1. August 1918; RECO 1/ 584, ohne Bl.-Nr.: Notes on the urgent need for the commencement of a !arge housing programrne immediately after the war, 8. März 1918; Swenarton, S. 94 f. ; Orbach, S. 66.

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III. Wohnen nach dem Krieg

Wie Patrick Nuttgens einschätzte, war der Bericht der Tudor Walters Kommission die "erste umfassende Abhandlung", die sich mit den politischen, technischen und praktischen Problemen des Baus von "kleinen Häusern" auseinandersetzte. Sein Einfluß auf die Wohnungsdebatten in den Jahren 1918/19 und die Formulierung des neuen Wohnungsgesetzes war "virtually unquestionable." 212

cc) Die Wohnungsgesetze von 1919

"Unvorsichtig gefaßt" war die kurze und in zeitlichem Abstand vorgenommene deutsche Einschätzung über den Housing and Town Planning Act, den sogenannten Addison Act von 1919.213 Doch im Winter 1918/19 und Frlihjahr 1919 war dieses Gesetz Ausdruck dringender Realpolitik. Was in Ministerien, Behörden und Kornrnissionen in den zurliekliegenden drei Jahren ausgearbeitet worden war, sollte nun dazu dienen einerseits die Wohnungsfrage nach dem Krieg zu lösen und andererseits gesellschaftliche Stabilisierungsmasse zu sein. König George V. beschrieb in seiner Rede arn 11. April1919 die Komplexität der britischen Wohnungsfrage beispielhaft, indem er betonte, daß das Wohnungsproblern zwar nicht neu, aber in den zurliekliegenden Jahren des Krieges so dringlich geworden sei, daß es nun eine "nationale Gefahr" darstellte, wenn es nicht umgehend und massiv bekämpft würde. Eine halbe Million "working class houses" würden benötigt. Damit schloß sich George V. den verbreiteten Schätzungen an und ergänzte, daß nicht bloß Behausungen zu errichten sein würden, sondern "hornes". Denn nur hier fänden die "arbeitenden Klassen", und nicht nur die, welche vom Wohnungsmangel betroffen waren, "cornfort, leisure, brightness, and peace". Anknüpfend an die Erträge der Kornmissionen betonte der König, daß keine Kosten gescheut werden dürften, und der Wohnungsbau rasch und in planefisch großzügiger Weise voranzukommen habe. Als wäre die umfassende Lösung der Wohnungsfrage eines der wichtigsten Politikfelder der britischen Politik seit je gewesen, schloß George V. mit dem Ausblick auf die "heilsame Wirkung" einer solchen Politik: "While the housing of the working classes has always been a question of the greatest social importance, never has it been so important as now. It is not too much to say that an adequate solution of the housing question is the foundation of all social progress. Health and housing are indissolubly connected. If this country is to be the country which we desire to see it become, a great offensive must be taken against disease and crime, and the first point at which point the attack must be delivered is the unhealthy, ugly, overcrowded house in the mean street, which we all of us know too weil. . . If 'unrest' is to be converted into contentment, the provision of good houses may prove one of the most potent agents in that conversion."2 14 212 Nuttgens, Patrick, The home front. Housing the people 1850-1990, London 1989, S. 51. Vgl. auch Reiss, S. 144-149. 213 Heye, F., Das neue England, Jena 1936, S. 119. 214 Zitiert nach: Aldridge, The National Housing Manual, S. 154 f.; vgl. auch Bumett, S. 219.

2. Großbritannien

315

Christopher Addison, er hatte im Januar 1919 das LGB übernommen, zeichnete nun offiziell für weite Bereiche des Wohnungs- und Siedlungswesens zuständig und begann diese Zuständigkeiten in das Gesundheitsministerium überzuleiten, das im Juli des Jahres gegriindet wurde. Der Addison Act, sollte die Grundlage einer neuen Politik werden, die umfassender und durchgreifender als bisher das Wohnungswesen als einen wichtigen Politikbereich begriff und eine tiefgreifende, staatliche Verantwortung dafür begrunden sollte. Katalysiert wurde die letzte Stufe des wohnungsreformerischen Institutionalisierungsprozesses aus der Kriegszeit durch die Demobilmachung der Truppen und die "revolutionären Erscheinungen", die als imaginäre und tatsächliche Drohungen über den politisch Verantwortlichen schwebten. 215 Vor allem letzteres war ein wichtiges Thema, das im Zusammenhang mit dem neuen Wohnungsgesetz im britischen Kabinett diskutiert wurde. Eine neue Wohnungspolitik, verbunden mit der Aussicht auf staatlich-geförderten Wohnungsbau, sollte als ein Bollwerk gegen die "bolschewistische Bedrohung" Zeichen setzten und zur "Versicherung gegen die Revolution" werden. 216 Die "Ausbreitung des Bolschewismus" in Großbritannien wurde im Januar 1919 innerhalb der Regierung diskutiert. 217 Im März debattierte das Kabinett in diesem Zusammenhang ausführlich die Fragen des Wohnungs- und Siedlungswesens. Dabei betonte Premierminister Lloyd George, "that Great Britain would hold out- only if the people were given a sense of confidence only if they were made to believe things were being done for them. We had promised them reforms, time and time again, but little had been done. We must give the conviction this time that we meant it, and we must give that conviction quickly. We could not afford to 215 Neben der Revolution in Deutschland erregten die Streiks in Glasgow, London und Liverpool, bei denen es zum Einsatz von Militär gekommen war, besondere Aufmerksamkeit. Zum Streik in Glasgow vgl. Ga/lacher, William, Revolt on the Clyde, London 1936, besonders S. 217 - 247. Zum Anstieg der Mitgliederzahlen der Gewerkschaften zwischen 1913 (4 Millionen) und 1919 (8 Millionen) sowie die "Bedrohung" durch die Streiks der sogenannten "Triple Alliance" (Bergarbeiter, Eisenbahner und Transportarbeiter) vgl. u. a. Merrett, S. 32 f. ; Holmans, S. 298 f.; Johnson, S. 348 f. In der Unterhausdebatte am 13. Februar 1918 wurde vom Abgeordneten Adamson die Meinung geäußert, daß in Deutschland keine Revolution stattfinden würde, aber die Gefahr einer solchen in Großbritannien groß sei und deshalb die Einführung von Gesetzen, die sich mit sozialen Problemen befaßten, u. a. dem Wohnen, zügig voranschreiten müsse. Vgl. PRO, ZHC 2/612: Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 103, I. vol. of session 1918, col. 148. 21 6 So der Parliamentary Secretary to the LGB, W. Astor, am 8. April 1919. Zitiert nach: Swenarton, S. 79. 217 Vgl. PRO, CAB 23/9, BI. 18-19: Minutesofa Meeting of the war cabinet held in 10, Downing Street, on Wednesday, January 22, 1919. Alfred Milner, War Secretary, bezog in einer Rede zu den Problemen der Demobilmachung und über Tendenzen innerhalb der Armee im Januar 1919 klar Stellung: "Voting on the broadest democratic basis the country has just put trust in the Govemment to carry out its progranune of Peace and Reconstruction. We should be false to that trust if we allowed agitation to undermine the discipline of the Army and to plunge the country into a state of disorder which would make Peace precarious and Reconstruction impossible." PRO, Milner Papers, 30/30/8, S. 5.

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III. Wohnen nach dem Krieg

wait until the prices went down. lf nothing were done, the people themselves would break down prices. The same general consideration applied to the question of housing." 218

Die Logik war einfach: Hält die Regierung ihre Quasi-Versprechen in Sachen Wohnungspolitik, würden "the people" keine Anstalten machen, "ihren Preis" in Form von radikalen Veränderungen des Status Quo durchzusetzen versuchen. Was bedeuteten die enormen Kosten von geschätzt 70 oder 100 Millionen Pfund für einen staatlich subventionierten Wohnungsbau in den kommenden Jahren, wenn dadurch die "Stabilität des Staates" gewahrt bliebe, meinte Lloyd George. Mit Blick auf die Verhältnisse in Deutschland, wo die Regierung "zu schwach sei, ihre gegebenen Versprechen" einzulösen, und deshalb die Spartakisten Zulauf erhielten, hielt das Protokoll seine Meinung zuversichtlich fest: "[W]e should gain a great deal more than we should lose.. . So long as we could persuade the people that we were prepared to help them and to meet them in their aspirations, he believed that the sane and steady Ieaders amongst the workers would have an easy victory over the Bolsheviks among them."219

Im selben Monat wurde das Gesetz im Unterhaus erstmals eingebracht. Hier wie in der Öffentlichkeit fand es Anerkennung und "enthusiastischen Anklang" (Wilding). Die 1imes veröffentlichte des Gesetzestext in voller Länge, und ihr Herausgeber kommentierte ihn mit den Worten: "[T]he most important bill in the government's prograrnrne of social reconstruction". 220 Nach der dritten Lesungen stimmte das Unterhausam 27. Mai für das Gesetz. Im Oberhaus optierte lediglich der frühere Präsident des LGB Hayes Fisher, jetzt Lord Downham, gegen das Gesetz. Am 31. Juli trat es schließlich in Kraft. 221 Die wohl wichtigste Bestimmung des neuen Gesetzes war die Verpflichtung der Lokalverwaltungen, den Wohnungsbedarf der "arbeiten Klassen" in ihrer Zuständigkeit innerhalb von drei Monaten festzustellen, und dem LGB bzw. dem es ablösenden Gesundheitsministerium eine Aufstellung über die geschätzten Kosten für Landerwerb, Geländeerschließung und Wohnungsneubau vorzulegen. Dazu gehörten Aussagen über die Zahl und die Ausstattung der zu bauender Wohnhäuser, die Größe des hierfür nötigen Baugeländes, die Bebauungsdichte und die Zeit, in der jeder dieser Schritte ausgeführt sein würde. Nahm eine Lokalverwaltung ihre dahingehende Pflicht nicht wahr, war das Gesundheitsministerium ermächtigt, diese Pflichten auf die übergeordnete Regionalbehörde, die County Council (GrafPRO, CAB 23/9, BI. 95: Minutesofa Meeting of the war cabinet vom 3. März 1919. Ebenda. Trotz der großen finanziellen Belastungen betrachtete auch der Schatzkanzler Austen Chamberlain die Lösung der Wohnungsfrage unter diesen Gesichtspunkten als unumgänglich: " .[H]e regarded the housing scheme as something to which we were pledged, and which ought tobe tackled at once. .. [H]ousing (is) the frrst problerntobe faced." Vgl. Swenarton, S. 78 f., 81-87; Schubert, S. 260 f. 220 Zitiert nach: Wilding, S. 330; vgl. auch Johnson, S. 411 - 423. 221 Vgl. Wilding, S. 330-332; Clarke, S. 333 f.; Prager; S. 48-58; Bumett, S. 226; Teichmann, S. 79 - 81. 21s

219

2. Großbritannien

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schaftsräte) zu übertragen. Diese sollten dann auf Kosten der Lokalverwaltungen deren Aufgaben im Wohnungswesen erfüllen. Für den Ausnahmefall, daß die Behörden vor Ort, also die Lokal- wie Regionalämter im Sinne des Gesetzes untätig blieben, konnte das Gesundheitsministerium eingreifen. Weitere Artikel enthielten vorwiegend Bestimmungen fakultativen Charakters, welche die Gemeinden zur Beseitigung des Wohnungsmangels anhalten sollten, wie die Beschlagnahmung von Baracken und Hotels, der Erwerb leerstehender Gebäude und die Beseitigung innerstädtischer Elendsgebiete (Slum Clearance), bzw. sie betonten die stadtbürgerliche Verantwortung für das Wohnungswesen und waren Empfehlungen zur Stadtplanung. Gemeinnützigen Baugesellschaften, den Public Utility Societies, räumte das Gesetz zudem ein, Anleihen vom Staat aufnehmen zu können, um Wohnungen preisgünstig zu erstellen. 222 Im Ergebnis war ein entscheidender Teil des neuen Gesetzes, die Art und Weise der Finanzierung des Wohnungsbaus, nicht nach den Vorstellungen der beiden bisher mit den Vorbereitungen betrauten und entgegengesetzt argumentierenden Akteure Hayes Fishers und Addison. Hayes Fisher versuchte die finanzielle Belastung für den Staat so gering wie möglich zu halten und die Verantwortung hierfür in erster Linie den Lokalverwaltungen zu überlassen. Das Schatzamt in London sollte über einen Zeitraum von sieben Jahren 75% der jährlichen Mehrbelastungen der Gemeinden übernehmen, die Kredite für den Wohnungsbau aufnehmen wollten. Blieb nach dieser Zeit der 25 %ige Anteil der Gemeinden als Schuld bestehen, so sollte das Schatzamt diese Schuld bis zur sogenannten "Penny rate" übernehmen können. 223 Diese "Penny rate", von Addison letztlich präferiert und im Gesetz von 1919 schließlich verankert, begrundete die wirtschaftliche Teilnahme der Gemeinden am Wohnungsbau. Deren wohnungswirtschaftliches Defizit beschränkte das Gesetz auf einenjährlichen Beitrag in der Höhe einer Gemeindesteuer von "1 Penny auf das Pfund steuerbaren Ertrages (etwa 0,4% )". Alexander Block, der die Entwicklungen des englischen Wohnungswesens für die Leser der deutschen Zeitschrift Gartenstadt 1927 aufbereitete, führte an einem Beispiel aus, was die "Penny rate" für die einzelne britische Gemeinde bedeutete. Wenn eine Gemeinde, deren jährlicher "steuerbarer Reinertrag" auf umgerechnet eine Million Mark taxiert wurde, war diese verpflichtet, jährlich für 4.000 Mark Wohnungsbaumaßnahmen zu leisten. Lagen die Kosten für das lokale Wohnungsbauprogramm dariiber, wurde der "Restverlust" vom Schatzamt gedeckt. 224 222 Vgl. Clarke, S. 337- 362; Wilding, S. 331 f.; Bowley, M., S. 15 - 23; Bumett, S. 226 231; Kunze, S. 25 - 29. Die erste Bestimmung des Gesetzes von 1919 war eine Modifikation des Abschnittes III des Housing of the Working Classes Act von 1890, die den Gerneinden statt freiwillig nun verpflichtend aufgetragen wurde. 223 Vgl. PRO, CAB 24/42, ohne Bl.-Nr.: Memorandum des Ministers of Reconstruction vorn 10. Februar 1918; vgl. Wilding, S. 324 f. ; Bowley, M., S. 25 f. 224 Block, Alexander, Neue Wendung in der englischen Wohnungspolitik, in: Gartenstadt 1 I 1927, Beilage, S. 1- 7, hier S. 1 f.; vgl. auch Enskat u. a., Wörterbuch der Wohnungs- und Siedlungswirtschaft, Stuttgart/Berlin 1938, S. 73; Johnson, S. 326. Letztlich setzen sich die Vorstellungen Auckland Geddes' durch, der im November und Dezember 1918 die Leitung

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III. Wohnen nach dem Krieg

Zum Jahresende 1919 wurde der Addison Act durch den Housing (Additional Powers) Act ergänzt. Er sollte die private Bautätigkeit, die mit dem ersten Gesetz von den Gemeinden eingeschränkt werden konnte, durch die Zahlung eines Bauzuschusses pro neu zu bauendem Wohnhaus unterstützten. Voraussetzung war, daß diese neuen Wohnungen einem Maß und einer Ausstattung entsprachen, wie sie von den Kommissionen der vorangegangenen Jahre gefordert und von den Lokalverwaltungen eingehalten wurden. 225 Parallel zum neuenGesetz wurde im Juni 1919 das Advisory Council on Housing noch im LGB berufen. Die Funktion dieser zentralen Behörde bestand in der Beratung und Unterstützung des staatlichen Wohnungsbauprogramms. In zahlreichen Unterkomitees stand das Council bei der Bearbeitung organisatorischer, finanzieller und technischer Fragen dem Ministerium beratend zur Seite. Dazu gehörten Probleme der Standardisierung von Baumaterial und des Einsatzes neuer Methoden im Wohnungsbau ebenso wie die Überarbeitung von Bauherren- und Baunehmerverträgen und die Einhaltung der Finanzierungsrahmen. In bewährter Weise war das Gremium ein Zusammenschluß aus Fachleuten und wohnungs- und siedlungsreformerischen Akteuren der Kriegs- und Vorkriegszeit. Leiter war John Tudor Walters, der gleichzeitig dem Komitee zur Baukonstruktion vorstand. Weitere Mitglieder waren Henry Aldridge, Vorsitzender des National Housing and Town Planning Councils, der ehemalige Oberbürgermeister von Birrningham Neville Chamberlain, der Architekt W. Dunn, Henry Hobhouse, der sich bereits durch seine Arbeit in Ausschüssen zum Wohnungs- und Bildungswesen sowie zu Fragen der Landwirtschaft eine Namen gemacht hatte, Richard Reiss von der Garden Cities and Town Planning Association, mehrere Vertreter der Bauwirtschaft und Vertreterinnen des Women's Housing Sub-Committees im Ministry of Reconstruction, wie Lady Emmott, E. Barton und S. Furniss.Z26 des LGB inne hatte. Die Lokalverwaltungen waren für den Wohnungsbau verantwortlich. Das Schatzamt zahlte finanzielle Beihilfen im Rahmen der "Penny rate". Seine Vorschläge zum Eingriff des LGB bzw. Gesundheitsministeriums in die Gemeindeangelegenheiten waren denen Addisons ähnlich, fanden aber wegen ihrer moderaten Art die Zustimmung des Kabinetts und wurden im Gesetz verankert. Vgl. Clarke, S. 338-340; Wilding, S. 327- 329; Swenarton, S. 79- 81. Für die Bereitstellung von Wohnraum für Arbeitslose oder Empfänger öffentlicher Hilfe durch die Lokalverwaltungen waren ebenfalls Kreditbeihilfen vorgesehen. Vgl. Clarke, S. 339. 225 PRO, CAB 27 I 66, BI. 57-90: Zwischenbericht des Housing Policy Comrnittee (Vorsitz: Addison) vom 19. November 1919. Die Empfehlung zur Beteiligung der Privatbauwirtschaft sah einen Zuschuß von fl50 pro Wohnhaus für maximal 100.000 Häuser bis Ende 1920 vor. Vgl. auch CAB 23/18, ohne BI.-Nr.: Zusammenfassung der Kabinettssitzung vom 20. November 1919. Vgl. auch Bowley, M., S. 21 f.; Swenarton, S. 123 f. 226 Vgl. Clarke, S. 336 f. Im Februar 1919 wurde unter der Leitung von James Carmichael ein vorläufiges Housing Department eingerichtet. Dieses gab u. a. bis 1921 ein alle 14 Tage erscheinendes Magazin, Housing, heraus, das über die Arbeit des Gremiums und den Fortgang des Wohnungsbauprogramms informierte. Vgl. Morgan, Portrait of a progressive, S. 106 f. BLO, Department of Western Manuscripts, MS Addison, Dep. c. 146, BI. 98-99: Minute of the Advisory Comrnittee on Housing Propaganda, 27. Juni 1919. Vgl. auch PRO,

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Ende des Jahres 1919 standen den Lokalverwaltungen und der privaten Bauwirtschaft, die sich während des Krieges dahingehend geäußert hatte, wenig Interesse am Bau von "working class houses" zu haben 227 , gesetzliche Grundlagen und finanzielle staatliche Hilfe zur Verfügung, um am Prozeß des Aufbaus eines "neuen" Britanniens teilhaben zu können. Die Anzahl der zu bauenden Wohnungen und der Zeitraum, in dem sie entstehen sollten, war vorgegeben. Zentrale und lokale Behörden zur Organisation und Durchführung des Wohnungsbaus für die "Helden" des Krieges waren entstanden bzw. im Entstehen. Doch die Rhetorik und der Zeitrahmen des Programms zur Neu- und Besserbehausung hunderttausender, ja von Millionen Briten machten deutlich, daß so bald wie möglich, zum "business as usual" zurückzukehren war. Es bestand kein Zweifel daran, daß es sich um einen Prozeß der Re- und nicht Neukonstruktion handeln sollte, auch wenn einzelne politisch Verantwortliche radikalere Töne angestimmt hatten. Es war ein Prozeß, der schneller sein Ende fand, als von den Hauptakteuren des "neuen Wohnens" nach dem Krieg geplant. Die Gesetze von 1919 machten deutlich, daß sich, wenn die "Nachkriegskrise" im Wohnungsbau vorüber sein würde, die Lokalverwaltungen auf städtebauliche Belange zurückziehen, Elendsquartiere sanieren und der privaten Bauwirtschaft das Feld wieder vollständig überlassen sollten. Die Betriebsamkeit in der staatlichen Planung von Wohnhäusern und Wohnsiedlungen in den ersten Jahre nach dem Krieg, die im folgenden Kapitel behandelt wird, täuschte ein "warm up" für eine zu erneuernde Gesellschaft vor, die im Krieg siegreich und von den Wirren einer Revolution verschont, die Früchte ihres Besonnenseins in Form von Wohnungen einfordern hätte können. Für eine kurze Zeit hätte der Staat in die Verantwortung genommen werden können. Der Zeitpunkt war günstig, um den Staat auf eine postuliere Verantwortung verpflichten zu können. Sichtbar wurde diese Verantwortung 1919 durch die Addison Acts. Sie waren noch von "Kriegs- und Siegesstimmung angehaucht" und zeugten von "Opferwilligkeit", wie Block einschätzte. 228 Wohnungen und Häuser fehlten bisher indes, obwohl 300.000 im ersten Jahr nach dem Krieg hätten gebaut werden sollen, um den dringendsten Bedarf zu decken. Neben den fehlen-

HLG 29/116, ohne Bl.-Nr.: Memorandum by Addison, Februar 1919; PRO, RECO 1/879, ohne Bl.-Nr.: Housing in England and Wales, ed. by the Ministry of Reconstruction, Reconstruction problems No. 2, 1918; PRO, RECO 1 I 584, ohne Bl.-Nr.: Priority of housing among afterthe war, memorandum by Reiss, 1918. 227 Im Dezember 19161ieß die private Bauwirtschaft beim LGB durchblicken, daß sie nur mit staatlicher Unterstützung kleine Wohnhäuser bauen würde. Vgl. Merret, S. 33. Hayes Fisherberichteteam 2. Mai 1918 dem Unterhaus u. a. über ein Treffen mit Vertretern der privaten Bauwirtschaft, daß "1 have received no encouragement whatever from them to suppose that the private builder is going to build any dwellings for the working classes after the War unless they obtain that substantial financial assistance which the Govemment has now promised the local authorities." PRO, ZHC 2/614: Parliamentary Debates. Official Report, 3. vol. of session 1918, col. 1733. Vgl. auch Berry, Fred, The great British failure, London 1974, S. 19; Bowley, M., S. 15. 228 Block, S. l.

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III. Wohnen nach dem Krieg

den Wohnungen fehlte auch der "Druck der Revolution", der die Abwesenheit des ersten nicht nur ökonomisch und "schicksalhaft" nicht unwesentlich begründete. 229

b) "Hornes for Heroes" und die Rückkehr zum "Business as usual"Wohnungspolitik und Wohnungsbau nach dem Krieg Im Februar 1919 startete das LGB einen endgültigen Versuch, den Wohnungsbedarf in Großbritannien durch empirisch-begründete Befunde zu stützen, indem es ein weiteres Rundschreiben an die Lokalverwaltungen verschickte. Die geschätzten Zahlen über den Wohnungsbedarf, die von den verschiedenen Kommissionen in die Öffentlichkeit getragen und von Regierung und König kolportiert wurden, sollten endlich ihre Bestätigung finden. Bereits im November 1918 war das Rundschreiben vom März 1918 an die insgesamt 1.806 Konununal- und Gemeindeverwaltungen in England und Wales erneuert worden. Bis Ende Dezember hatten 1.102 Lokalverwaltungen geantwortet. Von diesen meldeten 1.047 einen Wohnungsbedarf an. Fast 800 Regionalbehörden waren danach vorbereitet, "ohne irgendwelche Zugeständnisse" bauen zu können. Nur 89 erklärten sich bereit, ausschließlich unter den Bedingungen der "Penny rate" zu bauen. Weitere 71 wollten "zu anderen Bedingungen" bauen. Von allen Lokalverwaltungen, die einen eigenen Wohnungsbau angekündigt hatten, konnten aber nur 687 die Zahl der Wohnungen angeben, die sie tatsächlich zu bauen vorhatten, nämlich 159.179.Z30 Die Zahlen wurden regelmäßig aktualisiert, so daß die meisten Lokalverwaltungen bis Mitte 1919 ihren Wohnungs- und damit Finanzbedarf beim LGB "angemeldet" hatten. Bis Jahresende belief sich in England, Wales und Schottland der so ermittelte Wohnungsbedarf auf etwa 185.000 Wohnungen. Im April 1919 lagen 1.021 Wohnungsbaupläne beim LGB zur Begutachtung und Genehmigung vor, wie sie das Rundschreiben des LGB vom Februar 1919 erneut gefordert hatte. Dem LGB, später dem Gesundheitsministerium, oblag die zentrale Aufsicht und Kontrolle über die Wohnungsbaupläne der Lokalverwaltungen. Hier mußten, wollten die Gemeinden in den Genuß der staatlichen Finanzhilfen konunen, die Pläne über die Wohnungsbauprojekte vorgelegt werden. Sie wurden geprüft und geneh229 Vgl. Graves, Robert/ Hodge, Alan, The long week-end, London 1940, S. 19- 35; Bowley, M., S. 16 f.; Orbach, S. 83-88; Schubert, S. 260 f. 230 PRO, CAB 33/19, part 6, Bl.-Nr. 118-122: Government housing scheme, Memorandum von Rhys Williams, Dezember 1918, hier BI. 118. In Schottland hatten bis Ende November 1918 von 311 Lokalverwaltungen 177 auf das Rundschreiben reagiert, von denen über die Hälfte (93) keinen Wohnungsbedarf anmeldeten. Nur 84 würden unter den Bedingungen der finanziellen Unterstützung, die ihnen im März von der Regierung zugesagt wurde bzw. nach der "Penny-Rate"-Regelung oder mittels eigener Finanzierung bauen und zwar insgesamt 25.328 Wohnungen. Vgl. ebenda, BI. 120 f. Frühere Zahlen vgl. PRO, RECO 1 I 528, ohne Bl.-Nr.: Government housing scheme, Stand 24. Oktober 1918.

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migt bzw. im Fall ihrer Mangelhaftigkeit zur Überarbeitung an die Lokalverwaltungen zurück verwiesen. Von den mehr als eintausend Plänen, die bis April eingingen, waren aber nur 224 von 693 Geländeerschließungen, 53 von 182 Siedlungsanlageplänen und 49 von 146 Wohnhausbauplänen bisher genehmigt worden. Die Gesamtzahl der auf der Grundlage dieser Pläne zu bauenden Wohnungen belief sich auf lediglich 2.133. Pläne mit einem Umfang von weiteren ca. 7.000 Wohnungen waren noch in der Prüfung durch das LGB. 231 Vier Monate später, im August 1919, vermerkte das Protokoll einer Kabinettssitzung, daß Lloyd George die Wohnungsfrage zwar als ein Problem betrachtete, das "bad feelings" im Land hervorriefe, daß neue Wohnhäuser aber noch nicht in Sicht seien. Dieses Problem, so der Premierminister, würde die "lower-middle classes with the working-classes" im allgemeinen Unmut der Zeit zusammenschließen. Jetzt wo das Wohnungsgesetz verabschiedet war, sollte das "Volk" auch sehen, daß Häuser gebaut werden: "So far the people had seen nothing done. They saw Housing Bills, but every Govemrnent had Housing Bills. What they wanted was to see the houses actually built."232

Was das "Volk" sehen sollte, war nicht nur die halbjährliche Verlängerung des Rent and Mortgage (War Restriction) Acts233 , sondern die Ergebnisse der durchaus neuartigen und vielversprechenden Planungen eines nationalen Wohnungsbauprogramms. In Vorbereitung der ersten Lesung des Wohnungsgesetzes wurden vom LGB die Kosten und der Ablaufplan des Wohnungsbauprogramms für die Jahre bis 1922 zusammengestellt. Zwischen 1919 und 1922 sollten Wohnungen und Wohnhäusern entstehen, die sich in ihrer Ausstattung an den Forderungen der Kommissionen von 1917 I 18 orientierten und geschätzt zwischen f 500 und f 700 kosten sollten.

231 PRO, CAB 33/20, part 7, Bl.-Nr. 274 f.: Statement of national housing vorn 5. April 1919, vgl. auch ebenda, BI. 254-359: Standing Council of the Demobilisation Cornrnittee, Minute of a rneeting, 4. April1919, vor allem BI. 271 - 273; Johnson, S. 341 f. 232 PRO, CAB 23/15, BI. 152 f.: Draft Minutes of a rneeting of the War Cabinet, 5. August 1919. 233 Das Mietkontrollgesetz von 1915 wurde 1918, 1920, 1923, 1931 und 1937 verlängert. Vgl. May, Dr., Wohnungszwangswirtschaft in außerdeutschen Ländern, in: Reichsarbeitsblatt II, 1928, Nichtamtlicher Teil, S. li 336-338, 362-365, hier S. 362 - 365; Holmans, S. 54 56, 388 f.

2 1 Koinzer

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III. Wohnen nach dem Krieg Tabelle 11

Kostenschätzung des LGB für das Wohnungsbauprogramm 1919-1922 (England und Wales)234 Anzahl der zu bauenden WohnungeniHäuser

Jahr

Kapitaldienst für Wohnungen I Häuser in einem Wert von ±:500 pro Jahr (in Millionen f)

1919-20

±:600 pro Jahr (in Millionen f)

±:700 pro Jahr (in Millionen f)

100.000

50

60

70

1920-21

200.000

100

120

140

1921-22

200.000

100

120

140

Gesamt

500.000

250

300

350

Die Local Authorities und die Public Utility Societies sollten ermuntert werden, wenn immer möglich, sich Kredite am freien Kapitalmarkt besorgen. Vom Schatzamt sollten bei der hier vorgelegten Planung lediglich Kredite über die Public Works Loan Commissioners an Gemeinden vergeben werden mit einem "steuerbaren Wert" von unter ±:200.000. Danach konnten die Local Authorities "grob geschätzt" mit folgenden finanziellen Unterstützungen rechnen: Tabelle 12

Schätzungen des LGB für die vom Staat den Lokalverwaltungen und PUS zur Verfügung zu stellenden finanziellen Beträge (England und Wales, Angaben in Klammern für PUS)235

Jahr

Anzahl der zu bauenden WohnungeniHäuser

Kapitaldienst für Wohnungen I Häuser in einem Wert von ±:500 pro Jahr (in Millionen f)

±:600 pro Jahr (in Millionen f)

±:700 pro Jahr (in Millionen f)

1919-20

100.000

25 (3,75)

30 (4,5)

35 ( 5,25)

1920- 21

200.000

50 (7,5)

60 (9)

70 (10,5)

1921-22

200.000

50 (7,5)

60 (9)

70 (10,5)

Gesamt

500.000

125 (18,75)

150 (22,5)

175 (26,25)

234 PRO, HLG 291117, ohne Bl.-Nr.: Notes for First Reading, Housing Bill, März 1919. Vgl. auch Swenarton, S. 82. 235 PRO, HLG 291117, ohne Bl.-Nr.: Notes for First Reading, Housing Bill, März 1919. Zur Mitgliederstärke und Tätigkeit der PUS vgl. u. a. Prager, S. 9 f.

2. Großbritannien

323

Ende des Jahres 1919 wurde ein erster Zwischenbericht des Housing Policy Committees des Gesundheitsministeriums (Vorsitz: Addison) vorgelegt. Danach würden für die von 1919 bis 1922 insgesamt 535.000 neu zu bauenden Wohnungen in England, Wales und Schottland zusammen ;[429,75 Millionen benötigt. Die Kosten für ein Haus I eine Wohnungen, die dieser Schätzung zu Grunde lagen, berücksichtigten die gestiegenen Baupreise und wurden auf f:800 I Haus in England und f:850 I Haus in Schottland beziffert.236 In der Öffentlichkeit waren nach der Euphorie um das neue Wohnungsgesetz und die Bereitschaft des Staates, finanzielle Unterstützung für den Wohnungsbau zu gewähren, die "housing delays" das bestimmende Thema. Zum einen hatte der erste Teil des Addison Acts die in den Rundschreiben an die Lokalverwaltungen gemachten Zusagen über die Finanzierung des Wohnungsbaus gesetzlich verankert. Zum anderen hatten die Gemeinden zur Erarbeitung der Wohnungsbaupläne ausreichend Zeit zur Verfügung gehabt. Aber in einem großen Umfang gebaut wurde nicht. The New Statesman faßte im August 1919 die öffentliche Aufmerksamkeit, welche die Wohnungsfrage nach den Krieg hatte, mit den Worten zusammen, daß "the struggle for houses" ein normaler Bestandteil des sozialen Lebens in Großbritannien geworden sei. In den Zeitungen lese man ständig vom Ausmaß der Wohnungsnot, von überbelegten Wohnungen und menschenunwürdigen Wohnverhältnissen, aber neue Wohnungen fehlten. 237 Nach der Volkszählung von 1921 lebten in England und Wales 14% der Bevölkerung "under conditions of more than two persons per room", in Schottland waren es 43,3 %. 238 Die Zahl der Wohnungen, die in England und Wales gebaut werden müßten, um den "unbefriedigenden Bedarf' zu decken, wurde 1919 auf 500.000 geschätzt. Marian Bowley bezifferte den Wohnungsbedarf im Januar 1919 einschließlich dem Schottlands auf 610.000; nach dem Zensus von 1921 war er schon auf 805.000 angestiegen. Zwischen 1911 und 1921 waren 1,093 Millionen "zusätzliche" Familien erlaßt worden, während in den zehn Jahren davor nur 994.000 verzeichnet wurden. Die Zahl der Eheschließungen pro Jahr stieg in England und

236 PRO, CAB 27/66, ohne 81.-Nr.: Interim report of the Hosing Policy Committee vom 19. November 1919; vgl. auchJohnson, S. 310. 237 Vgl. The New Statesman vom 30. August 1919, S. 534. Vgl. zur zeitgenössischen Einschätzung der Wohnverhältnisse u. a. lrby, G. N., Housing of the Working Classes, Portharnet 1918. lrby war Mitglied des Joint Committee for the County of Anglesey (Nord Wales), das einen Bericht über die städtischen und ländlichen Wohnverhältnisse in dieser Region vorgelegt hatte. Danach waren von mehr als 8.000 Häusern und Wohnungen in der Region 1.678 "totally unfit or requiring considerable alteration or additions", was über 20% des gesamten Wohnungsbestandes ausmachte. Davon waren 891 "totally unfit for human habitation". Zusammen mit den Städten der Verwaltungsregionen waren nach dem Bericht insgesamt 1.187 Wohnungen abrißreif, und 814 würden zusätzlich gebraucht, so daß "a cry of 2000 cottages for Anglesey will not represent an extravagant dernand". Ebenda, S. 12 und 19. 238 Vgl. Abrams, Mark, The Conditions of the British People 1911-1945, London 1945, s. 45.

21*

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III. Wohnen nach dem Krieg

Wales nach dem Krieg auf 369.411 (1919) und 379.982 (1920) stark an, während sie vor und im Krieg bei durchschnittlich ca. 250.000 lag. Die Binnenwanderung hin zu den wirtschaftlich stärkeren Regionen im Südosten Englands und den Midlands erhöhte den Bedarf an Wohnungen zusätzlich. 239 Vor diesem Hintergrund rief das unbefriedigende Tempo, mit dem neue Wohnungen errichtet wurden, Kritik hervor. Nur etwa 6.000 bis 7.000 Wohnungen seien bisher zu bauen begonnen worden, wie The New Statesman im Sommer 1919 berichtete. Bis zum März 1920 sollten es, ginge es nach Addison, 100.000 sein. Die Gründe für die "Verzögerungen" lagen, so die Zeitschrift, nicht in der Arbeit des Gesundheitsministeriums. Es war bemüht, sowohl eine ausreichend hohe Zahl an Neubauwohnungen zu fördern, als auch im Prozeß der Genehmigung auf deren Qualität und Ausstattung zu achten. Zum einen seien viele der vorgelegten Pläne für das, was gebaut werden sollte, zu teuer im Vergleich zu den Kosten konventioneller Wohnungsbauvorhaben. Zum anderen erinnerten einige der vorgelegten Wohnungsbaupläne an "Vorschläge für eine vollständig schlampige Bauweise". Aber auch die Arbeit der Lokalverwaltungen sei nicht vordergründig an der schleppenden Wohnungsproduktion schuld. Viele von ihnen hatten gute und adäquate Planungen vorgelegt. Doch zahlreiche andere hatten "wenig oder gar nichts" getan. Die Tätigkeit des London County Councils, das umfangreiche Wohnungsbauplanungen vorgelegt und in der Vergangenheit damit bereits Erfahrungen gesammelt hatte, war "bedauernswürdig", wie die Zeitschrift einschätzte. Viele ländliche Lokalverwaltungen waren zudem aus "Nachlässigkeit" und "Inkompetenz" mit ihrer Planung hinterher. Auch die Euphorie über die Arbeit der gemeinnützigen Public Utility Societies sei verfrüht gewesen. Lediglich 60 Pläne mit 4.300 Wohnungen lägen von ihnen bisher vor. 240 Aber als wichtigsten und entscheidendsten Grund für das zögernde Fortschreiten des Wohnungsbaus machte The New Statesman nicht die Vorlage und Genehmigung von Bauplänen sondern die ungenügende Ausführung des Wohnungsbaus verantwortlich. Diese hatte ihre Ursache im eklatanten Mangel an Baustoffen und Bauarbe!tern. Es gäbe praktisch keine Baufach- und Bauhilfsarbeiter mehr auf dem Arbeitsmarkt, viele seien im Krieg gefallen, neu wurden zu wenig ausgebildet. Ein be239 Vgl. Bowley, M., S. 10-12 und 269; PRO, CAB 271201 , ohne Bl.-Nr.: The Housing situation, Memorandum des Gesundheitsministers vom 25. Januar 1924; Adridge, National Housing Manual, S. 208; Bowley, A. L. I Hogg, Macgaret H., Has poverty diminished?, London 1925, S. 68-88, 116- 143. Bowley und Hogg untersuchten in dieser Studien die Wohnungsüberfüllung in Northampton, Warrington, Reading und Bolton. Richardson, Harry W. I Aldcroft, Derek, H., Building in the British economy between the wars, London 1968, S. 7983, 85-88. Die beiden Autoren geben den Wohnungsbedarf in England, Wales und Schottland 1921 sogar mit 855.000 an. Ebenda, S. 167; Holmans, S. 54 f. und 61-65; Mowat, S. 227 f.; Medlicott, W. N., Contemporary England 1914-1964, London 1967, S. 81 f. 240 The New Statesman vom 30. August 1919, S. 535. Vgl. auch Johnson, S. 341-343. Zwischen 1909 und 1918 hatte die 100 als Bauvereinigungen organisierten PUS, die z. T. nur von kurzer Lebensdauer waren, etwa 8.000 Kleinwohnungen errichtet. 1919 entstanden 50 neue PUS. Vgl. Prager; S. 9.

2. Großbritannien

325

deutender Teil von ihnen sei zudem eingebunden in "luxury work", wie den Bau von "Musikpavillons, Kinos und Restaurants". 241 In der Bauwirtschaft war die Zahl der Facharbeiter in sämtlichen Gewerken auf 55%, die der angelernten Arbeitskräfte auf 66% des Vorkriegsstandes gesunken. Durch die Demobilmachung stieg die Beschäftigtenzahl zwar annähernd auf den Vorkriegsstandard an. Aber ausgebildete Fachkräfte waren nach wie vor rar. Waren im Juli 1914 noch 78.417 Maurer versichert beschäftigt, waren es im Juli 1919 noch 42.275 und ein Jahr später 64.632. In den anderen Gewerken sah die Situation nicht besser aus. 242 Hinzu kam, daß nur ein geringer Teil der Beschäftigten der Baugewerbe in den Wohnungsbau involviert war. Im Mai 1920 war z. B. nur jeder Zehnte Maurer bei den Wohnungsbauprogrammen der Lokalverwaltungen beschäftigt. Mark Swenarton brachte diesen Umstand auf die kurze Formel: "[L]abour disappeared from housing". 243 Für das landesweite Wohnungsbauprogramm seien zudem, wie das Standing Council of the Demobilisation Comrnittee im April 1919 einschätzte, 800 Millionen Ziegelsteine nötig.Z44 Im Februar des Jahres lag die Schätzung des Baumaterialbedarfs noch über der gezügelten Kalkulation vom Frühjahr. In einem Memorandum für das Komitee wurde betont, daß zwei Milliarden Ziegelsteine unmittelbar gebraucht würden sowie 250.000 Türen und 300.000 Fenster.245 Insgesamt sechs Milliarden Ziegelsteinen seien notwendig, um das Wohnungsbauprogramm allein der Lokalverwaltungen durchführen zu können.Z46 Ende 1919 faßte Addison in einer Denkschrift den Verlauf des bisherigen Wohnungsbauprogramms zusammen. Bis zum 31. Oktober, so sah es das Wohnungsgesetz vor, sollten sämtliche Lokalverwaltungen ihren Wohnungsbedarf ermittelt haben und zu dessen Abbau Wohnungsbaupläne beim Gesundheitsministerium zur Genehmigung eingereicht haben. Aber Addisons Einschätzung war ernüchternd und begann deprimiert: "The present position of the National Housing Scheme is far from satisfactory. The rate of progress is disappointingly slow and difficulties and obstructions have been encountered at every step."247 The New Statesman vom 30. August 1919, S. 535 f. Vgl. Richardsonl Aldcroft, S. 123-125. Sonderprograrnme, wie die Ausbildung von 50.000 Kriegsheimkehrem, ausgearbeitet vom Gesundheits- und Arbeitsministerium, wurden auf einer freiwilligen Basis von der Bauwirtschaft ab dem Frühjahr 1921 mit geringem Erfolg durchgeführt. Vgl. ebenda. Vgl. PRO CAB 23/22, Bl. 191-203: Conclusions of a meeting held at 10 Downing Street, Housing Committee, 21. September 1920. 243 Swenarton, S. 122. Vgl. auch Merret, S. 37; Johnson, S. 321. 244 PRO, CAB 33/20, BI. 254 - 359: Minute of a Meeting, Stauding Council of the Demobilisation Committee vom 4. April1919, hier BI. 273. 245 PRO, CAB 33/19, part 14, BI. 376-383: Minute of a Meeting, Standing Council of the Demobilisation Committee, 6. Februar 1919, Memorandum von M. Boyd, hier BI. 382 f. 246 Vgl. Johnson, S. 343 f. 247 PRO, CAB 24/94, BI. 15 - 26: Memorandum by Addison vom 27. Oktober 1919, hier BI. 15. 241

242

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III. Wohnen nach dem Krieg

Der Minister forderte "drastische Maßnahmen", um das Wohnungsbauprogramm voranzubringen. Genügend Bauland stand zur Verfügung, um mehr als 400.000 Häuser zu bauen. Aber Pläne für den eigentlichen Bau der Häuser und Wohnungen lagen nur 41.023 vor, von denen bis Ende Oktober 27.486 genehmigt worden waren. Die Public Utility Societies hatten Pläne für 4.667 Häuser bzw. Wohnungen vorgelegt, von denen 849 zum Bau frei gegeben wurden. Die Gründe für den schleppenden Fortgang der Arbeiten sah Addison in der "schwerfälligen" Verfahrensweise und den "dilettantischen" Methoden der Lokalverwaltungen, in der "Unlust" der Bauunternehmer, in den hohen Baumaterialpreisen, der schlechten Situation auf dem Arbeitsmarkt und im Transportwesen. Was Addison als "unmißverständliches Handeln" verstand, machte er deutlich, indem er der Denkschrift einen Gesetzentwurf beilegte, der den direkten Wohnungsbau durch den Staat unter Leitung des Gesundheitsministeriums vorsah.248 Teilweise unterstützt, vor allem aber kritisch und zum Schluß vernichtend begleitet wurde Addisons Politik von Zeitschriften wie The New Statesman, The Nation und von der 1883 gegründeten Fabian Society. 249 Letzte war seit dem Krieg durch ihre Mitglieder Sidney und Beatrice Webb aktiv an der Gestaltung des staatlichen Wohnungsbauprogramms beteiligt gewesen. Die Kritik 1920 umfaßte die bekannten Punkte: "Nachlässigkeit" der Lokalverwaltungen und des Gesundheitsministeriums, Material- und Arbeitskräftemangel, Zurückhaltung der Bauunternehmen und finanzielle Schwierigkeiten. 250 The New Statesman hatte im Sommer 1919 bereits ausgesprochen, was Addison über den Erfolg des Wohnungsbauprogramms im Herbst hatte eingestehen müssen. Nicht der "Papierkrieg" des Gesundheitsministeriums, mit dem die "schlampig" arbeitenden Lokalverwaltungen zu mehr Engagement angehalten werden sollten, war ursächlich für die Verzögerungen, sondern die Kostenexplosion bei Baumaterialien, Löhnen und Transport. 251 Die Kosten für Baumaterialien waren nach der schnellen Abschaffung des Kriegssystems der Preiskontrolle und Zuteilung im Dezember 1918 in die Höhe geschnellt. Innerhalb weniger Monate hatten sich die Preise verschiedener Baumaterialien verdoppelt. Im Jahr 1920 waren die Durchschnittspreise für alle Baumaterialien dreimal höher als vor dem Krieg. Schwierigkeiten mit der Verteilung und steigende Transportkosten beförderten den Preisanstieg. Der allgemeine Preisindex stieg von 192 (1918) auf 206 (1919) und 1920

248 Ebenda, BI. 15 f. und 23. Vgl. auch PRO, RECO 1/873, ohne Bl.-Nr.: Pamphlets on reconstruction problems, Housing, 1919; Merret, S. 37 f. Zur Rolle der gemeinnützigen Housing Societies in der Zwischenkriegszeit vgl. Best, Richard, Housing associations 18901990, in: Lowe/Hughes, S. 142-158. Ihre Gesamtleistung im Wohnungsbau gibt Best für die Jahre 1919 bis 1939 mit 24.000. Vgl. ebenda, S. 147 f. 249 Zur Rolle der Fabian Society in der britischen Gesellschaft vgl. u. a. Teichmann, s. 53-62. 250 Lloyd, C. M., Housing, Fabian Tracts No. 193, London 1920, S. 6 f. 251 The New Statesman vom 15. November 1919, S. 181.

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schließlich auf 265. 252 Die Beobachter vom The New Statesman empfahlen, zur Eindämmung dieser hemmenden Entwicklungen entweder ein vom National Housing and Town Planning Council vorgeschlagenes, an den Wohnungsbau angepaßtes, "wissenschaftliches Kostensystem" einzuführen. Im Krieg hatte ein solches System die Kosten in der Rüstungsproduktion in Grenzen gehalten. Nun sollten die Kosten für den Bau eines Hauses plus ein festgelegter Extraprofit für die Bauherren bestimmt werden, um den weiteren Anstieg der Preise und Löhne zu verhindern. Der andere Weg lag, wie die Zeitschrift meinte, in der Erhöhung der allgemeinen Steuern, was aber den Protest der Steuerzahler hervorrufen würde. 253 Wenige Monate später, war aus dem teils gutwilligen, teils radikalen Beratschlagen, wie der Bau von einer halben Million neuer Häuser finanziert werden könnte, eine vernichtende Bestandsaufnahme geworden. "Housing Fiasco" titelte The New Statesman zur Beschreibung und Einschätzung dessen, was das Wohnungsbauprogramm der Regierung bis zum Frühjahr 1920 hervorgebracht hatte. Weder die Finanzierung, noch die Organisation und Durchführung des Programms seien befriedigend. The New Statesman forderte eine direkte, steuerfinanzierte Förderung des Wohnungsbaus. Was der Staat im Krieg zu leisten vermochte hatte, sollte er auch nach dem Krieg tun, denn "it is no more unreasonable for 'the State' to pay for houses for 'demobilised heroes' than it was for it to pay for tunics and rifles for the same heroes a couple of years ago"?54 Die Arbeit der zuständigen Stellen in London und im Land, besonders aber des Gesundheitsministeriums sei eine "erbärmliche Enttäuschung", AddiSon solle zurücktreten. Sein Ministerium überziehe die Lokalverwaltungen mit unnötiger Bürokratie, die den Wohnungsbaubestrebungen wenig förderlich seien. Die Zeitschrift meldete, daß der Wohnungskommissar für Nordengland deswegen zurückgetreten sei. Im Verlauf des Jahres 1919 hatten einige Mitarbeiter das Gesundheitsministerium aus diesen und ähnlichen Gründen verlassen, z. B. Richard Reiss. Durch die Mitwirkung von Wohnungsreformern am Programm der Regierung waren gerade sie es, die Hoffnungen an der Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit des Nachkriegswohnungsbaus hatten wachsen lassen. Der abschließende Ratschlag des New Statesman an die Regierung kam einer Drohung gleich: "Our advice .. . to the Govemment is that, if it really wants to give us houses (or even if it only wants to remain in power), it should have a new financial policy, a new labour policy, and a new Minister of Health."255 The Nation legte nach. Die von der Regierung im Frühjahr 1920 aufgelegten Housing Bonds zur Finanzierung des Wohnungsbauprogramms und zur Eindämmung der Staatsverschuldung seien nichts weiter als eine verachtenswerte, "ver252 253 254 255

Vgl. RichardsonlAldcroft, S. 136 f.; Johnson, S. 485. The New Statesman vom 15. November 1919, S. 181 f. Ebenda vom 8. Mai 1920, S. 121. The New Statesman vom 8. Mai 1920, S. 121. Vgl. auch Johnson, S. 494 f.

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III. Wohnen nach dem Krieg

zweifelte Bitte um Geld"?56 Der Deutsche Stephan Prager, der in seiner 1920 erschienen Dissertation die Wohnungsfrage in England betrachtete, beschrieb diesen, auf das National Housing and Town Planning Council zurückgehenden Vorschlag wie folgt: "War Savings Committees oder besondere Ausschüsse in ähnlicher Weise, wie dies bei Kriegsanleihen geschah, (sollen) durch Stimmungsmache wirken. Anstatt Tanks, die in die einzelnen Städte geschickt wurden, um zur Zeichnung von Kriegsanleihen anzuregen, sollen Modellhäuser aus Latten mit Leinwandbespannung gelegentlich besonderer 'housing weeks' aufgestellt werden. In diesen Häusern, die mit arbeitssparendem Hausgerät, Modellöfen, Kaminrosten usw. ausgestattet sind, sollten Zeichnungen zur Anleihe entgegengenommen und auf diese Weise 'das Geld des Volkes für die Häuser des Volkes' gewonnen werden."257

Im Februar 1920 war die Ausgabe der "kommunalen Wohnungsbauschuldverschreibungen" (Prager) im Nennwert von f5, flO, f20, f50 und flOO oder auch darüber angelaufen. Der Besitz von Schuldverschreibungen bis zu einem Wert von flOO war steuerfrei. In lokalen Ämtern und auf Plakaten wurde für den Kauf der Bonds geworben, so daß bis 1921 Anleihen im Wert von f20 Millionen ausgegeben werden konnten. 258 The Nation legte Andrew Bonar Law, dem Führer der Konservativen und Mitglied der Koalitionsregierung, die Begründung für dieses Vorgehen mit den Worten in den Mund: "Buy these Bonds, or face the chance of Bolshevik Revolution"?59 Das "Gespenst des Kommunismus" wurde wieder beschworen. Diesmal nicht um die Zustimmung des Parlaments zu einer umfassenden neuen Politik und zur Lösung der Wohnungsfrage einzuholen, sondern um die britische Öffentlichkeit freiwillig und marktwirtschaftlich konform in die Finanzierung des Staatsversprechens Wohnungsbaus einzubeziehen. Weniger als ein Jahr nach der Verabschiedung der neuen Wohnungsgesetze begann die Demontage eines wichtigen Teils des Programms, mit dem Lloyd George und seine Regierung, Großbritannien "a fit country for heroes to life in" machen wollten. Der Regierung war das Wohnungsbauprogramm zu kostspielig geworden. Schatzkanzler Austen Chamberlain hatte im Frühjahr 1919 vor einer möglichen Steuererhöhung zur Finanzierung des Wohnungsbaus gewarnt, diese aber zu jenem Zeitpunkt für das "befriedende" Wohnungsbauprogramm akzeptiert. 260 Im Sommer 1920 standen die Haushaltskonsolidierung und keine neuen Steuern, zumindest nicht zur Finanzierung eines schlecht organisierten, öffentlichen Wohnungsbauprogramms, angesichts der postulierten "Rückkehr zur Normalität" auf der Agenda des politischen Tagesgeschäftes. "[I]nflation and price maintenance held dangerous priority", wie Johnson konsta256 257 258 259 260

The Nation vom 8. Mai 1920, S. 162. Prager, S. 96. Ebenda; Aldridge, National Housing Manual, S. 186. The Nation vom 8. Mai 1920, S. 162. Vgl. Johnson, S. 345 f.; Swenarton, S. 131 f.

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tierte?61 Die Wohnungsfrage als Politikfeld schrumpfte ab dem Sommer 1920 auf eine "normale" Größe. Sie war wieder ein, wenn nun auch nicht mehr wegzudenkendes Politikfeld unter vielen. Die nachfolgenden Wohnungsgesetze der neuen Regierungen, 1923 und 1924, setzten veränderte Akzente. Von der Lösung der Wohnungsfrage als "Pflicht" aus den "ertragenen Leiden und Entbehrungen" des Krieges heraus, waren sie nicht mehr geprägt. Trotz der Probleme mit der Finanzierung, dem Baumaterial und den Arbeitskräften wurden 1919 und 1920 Wohnungen und Häuser gebaut, wenn auch wenige, wie häufig und richtig beklagt wurde. Im April 1919 lag dem Starrding Council of the Demobilisation Committee eine Liste von Lokalverwaltungen vor, die nicht nur Wohnungsbaupläne eingereicht, sondern auch mit dem Bau begonnen hatten bzw. vom LGB "fully authorised" waren, mit den Arbeiten unverzüglich zu beginnen. Doch von den durch die Gemeinden veranlaßten Bauvorhaben, welche der Genehmigung des LGB bedurften, waren nur in elf Gemeinden (u. a. Durham, Manchester, Nottingham und Sutton) Wohnungsbauvorhaben gestartet worden. Die restlichen Genehmigungen (390), für die "work in progress" nach London gemeldet wurde, befaßten sich mit dem Bau von Straßen, Krankenhäusern, Schulen und Wasserversorgungen. 262 Ganze 30.000 Wohnungen hatten Lokalverwaltungen, PUS und wenige private Bauunternehmungen bis zum Frühjahr 1920 begonnen zu bauen. Im März 1920 waren gerade einmal 1.250 Häuser fertiggestellt. Ein Jahr später, im März 1921, lag ihre Zahl bei 25.000. Die Kosten für ein Haus, 1918 auf durchschnittlich f600 geschätzt, beliefen sich Ende 1920 auf das doppelte?63 Drei Jahre nach Kriegsende, im Oktober 1921, waren gerade einmal 68.550 Häuser fertiggestellt 264 Doch nicht der vordergründig kritisierte geringe Ertrag im Wohnungsbaus, sondern seine hohen Kosten führten zur ersten Zäsur in der Wohnungspolitik der Nachkriegszeit, die auch das Ende der "kriegsmotivierten" Politik markierte. Der wirtschaftliche Aufschwung der Jahre 1919 und 1920 ging im Winter 1920/21 zu Ende, die öffentlichen Ausgaben wurden drastisch zusammengestrichen bei gleichzeitigem Anstieg der allgemeinen Steuern.Z65 Die staatliche Förderung des Wohnungsbaus war in diesen Prozeß einbezogen. Nicht mehr für den Bau einer halben Millionen Wohnungen wurden nun Zuschüsse gezahlt, sondern nur noch für insgesamt 176.000 Wohnungen. Im Finanzausschuß des Kabinetts wurde im Juni 1921 von Lloyd George und Chamberlain angeregt, die finanzielle Unterstützung für 261 Johnson, S. 486; vgl. auch Holmans, S. 298 f.; Daunton, M. J, How to pay for the war, in: The English Historical Review, vol. CXI, No. 443, 1996, S. 882-919. 262 PRO, CAB 33/20, BI. 274 - 290: Memorandum by Armstrang to the Meeting of the Standing Council ofthe Demobilisation Committee, 5. April1919. 263 Vgl. The New Statesman vom 8. Mai 1920; Abrams, Philip, The failure of social reform 1918-1920, in: Past and Present, No. 24, April 1963, S. 43-64, hier S. 43 f.; Swenarton, S. 122. 264 Vgl. Aldridge, National Housing Manual, S. 165 und 185. 265 Vgl. Taylor; English History, S. 194 f.; Merret, S. 38 f.

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den Wohnungsbau sofort zu stoppen. Nur für jene Wohnungsbaumaßnahmen, die bereits ausgeführt bzw. für die, deren Verträge unter Dach und Fach waren, eben 176.000, sollten die Zuschüsse ausgezahlt werden.Z66 Addison, von Lloyd George im Frühjahr 1921 als Gesundheitsminister entlassen267, mußte sich nicht nur der Kritik der "anti-wasters" erwehren, die ihn und seine Wohnungsgesetze für die hohen Kosten im Wohnungsbau verantwortlich machten. Auch von links kam die Kritik, die zu seinem Sturz beitrug. Von dieser Seite wurde an Addison beklagt, daß er eben nicht konsequent einen "waste of money" für den Wohnungsbau betrieb. Diese "Nachlässigkeiten" des Addison'schen Programms und Ministeriums resultierten aus dem verspäteten Aufbau des Gesundheitsministeriums und der damit verbundenen, ungenügenden Ausarbeitung eines fundierten Wohnungsbauprogramms, das die Versprechen aus der Vor- und Kriegszeit aufgriff und die Versprechenden in der Unteilbarkeit von Reform und Politik aufgehen ließ. Addisons Ansehen als Sozial- und Wohnungsreformer, und mit ihm auch das von Lloyd George, war 1921 zerstört. Gleichzeitig war das wichtigste "Nachkriegsversprechen" der Regierung Lloyd George hinfällig geworden. Das "ambitionierteste Programm" (Gilbert), um ein "neues" Großbritannien aus der Taufe zu heben und die Entbehrungen des Ersten Weltkriegs vergessen zu machen, war gescheitert. 268 Der staatlich geförderte Wohnungsbau ging trotzdem weiter. Von den 176.000 Wohnungen, für die nach den Addison Acts finanzielle Beihilfen durch des Gesundheitsministerium gewährt werden durften, waren wie erwähnt 68.550 bis Oktober 1921 fertiggestellt und weitere 68.730 im Bau befindlich. Wahrend der Geltungsdauer der Wohnungsgesetze von 1919 wurden nach deren Richtlinien 213.821 Wohnungen gebaut. Davon bauten 1.272 Lokalverwaltungen mit 179.090 Wohnungen in 5.000 Gemeinden mit Abstand die meisten, gefolgt von privaten Bauunternehmungen (39.186), welche die "lump sum", den Zuschuß pro fertig gestelltem Haus einstrichen, und den PUS (4.545). Insgesamt waren in England, Wales und Schottland, unter Berücksichtigung der 53.800 Wohnungen, die von privaten Bauunternehmungen ohne Beihilfen errichtet wurden, bis März 1923 mehr als 252.000 Wohnungen gebaut worden. 269 Finanziert wurden diese Leistungen 266 Vgl. PRO, CAB 23/26, BI. 113-125: Conclusions of a meeting held at 10 Downing Street, 11. Juli 1921 ; BarchB, R 3101 I 8172, BI. 223: Weltwirtschaftliche Nachrichten aus dem Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel, Nr. 347 vom 19. April 1922; Swenarton, S. 133 f. 267 Vgl. PRO, CAB 24/126, ohne Bl.-Nr.: Housing Policy, Memorandum by Addison, 4. Juli 1921. Nachfolger Addisons wurde der liberale Alfred M. Mond, der das Amt bis 1922 innehatte. 268 Giben, British Social Policy, S. 161. Vgl. auch Bowley, M. S. 33-35; Morgan, Kenneth 0 ., Consensus and Disunity, Oxford 1979, S. 90 f.; Dies., Portrait of a progressive, S. 113 f.; Orbach, S. 126-138. 269 Vgl. Bowley, M., S. 23 f. ; Aldridge, National Housing Manual, S. 165; Cole, G. D. H. and M. l., The condition of Britain, London 1937, S. 145; Kemp, Peter, From solution to problem?, in: Lowe; Hughes, S. 44 - 61 , hier S. 48 f. In dieser Gesamtsumme waren 15.000

2. Großbritannien

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aus den f:20 Millionen, die durch die Ausgabe von Housing Bonds eingenommen wurden, weiteren f85 Millionen, welche die Gemeinden aus dem Local Loan Stock als Darlehen gewährt bekamen, durch von den Gemeinden aufgenommene Hypotheken und f74 Millionen, die vom Londoner Public Work Loan Board zur Verfügung gestellt wurden. 270 Im Juli 1923 wurde von der im Frühjahr 1922 ins Amt gewählten konservativen Regierung ein neues Wohnungsgesetz erlassen, der Chamberlain Act, benannt nach dem neuen Gesundheitsminister Neville Chamberlain. Während nach dem ersten Teil des Addison Acts die Lokalverwaltungen den Wohnungsbau als Pflicht und "a sort of social service" (M. Bowley) begreifen sollten und begriffen hatten, wurden sie mit dem neuen Gesetz auf eine Art "Notdienst" zurückgeworfen. Danach durften sie nur selbst Wohnungen bauen, wenn sie das Gesundheitsministerium, wie im Gesetz formuliert, davon überzeugen konnten, "that it would better if they did so, than if they left it to private enterprise". 271 Das Gesetz war bis 1929 in Kraft und bezuschußte den Bau von Wohnhäusern vor allem in privater, aber auch in kommunaler Regie mit je f6, ab 1927 mit f4 pro Jahr über 20 Jahre, wenn gewisse Standards in Bezug auf die Größe der Wohnungen und deren Ausstattung eingehalten wurden.Z72 Ein Schwerpunkt des Gesetzes war die Förderung des Eigenheimbaus. In diesem Sinne konnten die Städte und Gemeinden auch Bauwilligen individuell Kredite gewähren. Insgesamt wurden nach den Bestimmungen des Chamberlain Acts 438.047 Wohnungen gebaut, davon aber nur 75.309 von den Lokalverwaltungen. Im Gegensatz zu den hohen Kosten der "Addisonhäuser" wurden nur durchschnittlich f400 bis f450 für den Bau eines Hauses nach dem Chamberlain Act aufgewendet. 273 Die erste Labourregierung, Januar bis November 1924, verabschiedete im August 1924 ebenfalls ein Wohnungsgesetz bestehend aus zwei Teilen (Housing Financial Provisions Bill, Building Material Charges and Supply Bill), den Wheatley Act, benannt nach John Wheatley, der Neville Chamberlain als Gesundheitsminister für diese Zeit abgelöst hatte. Im Gegensatz zur Neufassung des Wohnungsgesetzes ein Jahr zuvor, blieb der Chamberlain Actin Kraft. Das neue Gesetz ermöglichte den durch das 1923er Gesetz in ihrer Bautätigkeit eingeschränkten Lokalverwaltungen, sich wieder stärker im Wohnungsbau zu engagieren. Der öffentliche

Wohnungen der Lokalverwaltungen unberücksichtigt geblieben, da sie nicht bis März 1923 fertiggestellt wurden, aber sich im Bau befanden. Vgl. PRO, HLG 48/688, ohne 81.-Nr.: Memorandum des Gesundheitsministeriums zum Stand des Wohnungsbaus vom März 1922; CAB 24/138, ohne 81.-Nr.: Memorandum des Gesundheitsministers Alfred M. Mond vom 10. August 1922; Bowley, M., S. 23; Orbach, S. 139; Holmans, S. 67. 21o Vgl. Aldridge, National Housing Manual, S. 186. 271 Zitiert nach: Bowley, M., S. 37. 272 Die Wohnungen hatten eine Grundfläche von 51 bis 88m2 • Vgl. Block, S. 1. 273 Vgl. Bowley, M., S. 36 f.; Gilbert, British social policy, S. 198; May, T., S. 359; Schubert, S. 262; Teichmann, S. 82 f.

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III. Wohnen nach dem Krieg

Wohnungsbau kehrte als "social service" und Aufgabe der Kommune und Gemeinden dauerhaft zurück. Das Wohnungsgesetz der Labour Regierung nahm im wesentlichen die Bestimmungen des Chamberlain Acts auf und modifizierte sie in dem Sinne, daß neu zu bauende Häuser zukünftig subventioniert werden, wenn sie nach ihrer Errichtung nicht verkauft, sondern vermietet werden. Beide Wohnungsgesetze ergänzten einander. Der Chamberlain Act bezuschußte den Wohnungsbau der privaten Wirtschaft und die Eigentumsbildung. Der Wheatley Act stellte den "sozialen" Wohnungsbau der Gemeinden mit finanziellen Zuschüssen von Seiten des Staates sicher. Die Höhe der Zuschüsse belief sich auf 1:9 bis f:IO pro Jahr über 40 Jahre. Wie seine Vorgänger, und für eine Labour Regierung eine besondere Verpflichtung, verband das neue Gesetz den Wohnungsbau mit der Förderung der Wohnungswirtschaft, vor allem der Lage der dort Beschäftigten. Die Gewerkschaften garantierten "certain relaxations" bei der Berufsausbildung in den Baugewerken bei gleichzeitiger Zusicherung der staatlichen Unterstützung eines jährlich festgelegten Baus von Wohnungen. 274 Unter den drei Gesetzen waren bis Oktober 1926 in England und Wales insgesamt 466.871 Wohnungen (Chamberlain und Wheatley Act zusammen: 253.639) errichtet worden, zuzüglich weiterer 208.571, die ohne staatliche Zuschüsse gebaut wurden. Die Baukosten für eine nach dem Wheatley Act gebautes Haus beliefen sich auf durchschnittlich ca. 1:440, bei einer Ausstattung mit zwei bis drei Schlafzimmern, Wohnküche, Badezimmer und Spülküche. Hatten die Häuser ein weiteres Zimmer, den parlour, den Salon oder die "gute Stube", stiegen die Kosten auf ca. 1:500. 275 Bis zum Jahresende 1926 belief sich die Zahl der in England und Wales insgesamt gebauten Wohnungen auf 753.400, wovon eine Großzahl, wie die deutsche Wohnungswirtschaft berichtete, 1925 und 1926 errichtet wurde. Bei der Intensität, welche die Bauwirtschaft in diesen Jahren in Großbritannien angenommen hatte, könne bald von der "Beendigung der Wohnungsnot" gesprochen werden, so die Zeitschrift. Der durchschnittliche Jahresbedarf von 100.000 Wohnungen, der zwar als "etwas niedrig" eingestuft würde, sei zwischen April 1924 und März 1926 um 110.000 Wohnungen überboten worden. Im Rechnungsjahr 1926 I 27 waren noch einmal 217.000 neue Wohnungen vorwiegend in Einfamilienhäusern hinzugekommen. 276 274 Vgl. Bowley, M., S. 40 f.; Krüger, Hans, Die Förderung des Wohnungsbaus in Großbritannien, in: Reichsarbeitsblatt I, 1924, Nichtamtlicher Teil, S. 513- 515; Orbach, S. 140; Gilbert, British Social Policy, S. 201 f.; Morgan, K., Consensus and Disunity, S. 222; Teichmann, s. 84-88. 275 Baum, Marie, Die Lösung des Wohnungsproblems in England, in: Reichsarbeitsblatt II, 1927, Nichtamtlicher Teil, S. II/ 135-138 und 111157- 160, hier S. 136. Baum rechnete für das deutsche Publikum zum Vergleich die Preise der Häuser in Reichsmark um, wonach der erste Typ 8.860 Mark und der zweite I 0.400 Mark kostete. Vgl. auch PRO, ZHC 2 I 696, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 187, 9. vol. of session 1924-25, col. 650 f. : Antwort Chamberlains auf eine Anfrage nach der Zahl der bisher gebauten Wohnungen vom 30. Juli 1925.

2. Großbritannien

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Allein nach den Bestimmungen des Wheatley Acts wurden bis 1933 insgesamt 500.800 neue Wohnungen gebaut, wovon bis auf 15.000 alle von den Local Authorities errichtet worden waren. 277 Zwischen dem Kriegsende 1918 und September 1934 wurden insgesamt 2,207 Millionen neue Wohnungen in England, Wales und Schottland gebaut; eine Summe, die ca. 28% des Wohnungsbestandes von 1921 entsprach. Nach Angaben von M. Bowley betrug die Zahl der noch fehlenden Wohnungen zu diesem Zeitpunkt nur etwa 127.000, die durch den privaten Bauboom von Mitte der 1930 bis 1939 beseitigt wurde. Staat und Lokalverwaltungen hatten sich aus dem "aktiven" Wohnungsbau weitestgehend zurückgezogen, beschränkten ihre Teilnahme am Prozeß zur Verbesserung der Wohnungsbedingungen auf "Slum Clearance" und die in diesem Zuge neu zu schaffenden Wohnungen, wofür das zweite Wohnungsgesetz einer Labour Regierung, der Greenwood Act von 1930 exemplarisch stand. 278 Mark Abrams schätzte ein, daß bis 1939 das Problem der Wohnungsüberfüllung mit Ausnahme von einigen Teilen Londons und Schottlands "fast gelöst" worden sei. Die drei- bis vierjährige Fortsetzung des Baubooms von 1936 bis 1939 hätte diese Zustände auch beseitigt. Aber die "Slums" blieben "weitestgehend unberührt". Etwa noch vier Millionen Familien lebten in Häusern, die mindestens 80 Jahre alt waren. Viele von ihnen genügten nicht den sanitären Standards der Zeit, und trotz Umbau und Modernisierung waren sie "primitiv und Annehmlichkeiten selten". 279 Obwohl die Wohnungsfrage qualitative nicht als "gelöst" angesehen werden konnte, gab es nach Angaben von Charles Mowat 1939 einen Überschuß von 90.000 "billigen Häusern" und weiteren 585.000 Häusern in verschiedenen Größen und Preisklassen. 280 Daß letztlich aus der Wohnungspolitik und dem Wohnungsbau der britischen Zwischenkriegszeit eine quantitative Erfolgsgeschichte wurde, war auch und besonders den Anstrengungen und der Bautätigkeit der Lokalverwaltungen zu verdanken. Auch wenn ihre Tätigkeit Kritik hervorgerufen hatte, und ihre teilweise fiskalisch begründete, bange Zurückhaltung zu Verzögerungen im Bauen selbst 276 Wohnungswirtschaft, 21 I 1927, S. 185. Vgl. auch ebenda, 1/2/1927, S. 15; Block, S. 2 f.; Schmidt, Friedrich, Wohnungsbau im Ausland, in: Reichsarbeitsblatt II, 1928, Nichtamtlicher Teil, S. II 72 - 77, 97-100, 121-124, 157 - 160; hier S. 73 f. 277 Vgl. May, T., S. 359. Gilbert spricht von 520.298 Wohnungen, Schubert von 504.518, die nach dem Wheatley Act errichtet wurden. Vgl. Gilbert, British Social Policy, S. 200; Schubert, S. 262. 278 Vgl. Bowley, M., S. 48 f. und S. 135 -179; Hopkins, Eric, The rise and decline of the English working classes 1819 - 1990, London 1991, S. 21-25; Bedarda, Fran~ois, A social history of England 1851-1990, London/New York 1990, S. 233 f.; Teichmann, S. 89-92; Becker, Arthur Peter, Housing in England and Wales during the business depression of the 1930s, in: The Economic History Review, 2nct series, Vol. III, No. 3, London 1951, S. 321341; Merret, S. 49-51. 279 Abrams, S. 53 f.; Holmans, S. 73, schätzte ein, daß 1939 durch diese Art der Wohnungen ein Bedarf von einer halben Million bestand. 280 Vgl. Mowat, S. 506-512, hier S. 509. Vgl. auch All London Tenant's Def ence League, London's 'Hornes for Heroes', London 1932; Berry, S. 7 f.; Gilbert, British Social Policy, S. 201 f. ; May, T., S. 359 f.; Teichmann, S. 93-107; Schubert, S. 264 f.

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III. Wohnen nach dem Krieg

führte, hatten sie einen wichtigen Anteil am Wohnungsbau nach dem Ersten Weltkrieg. In einer Zusammenstellung die M. I. und G. D. H. Cole, letzter war Vorsitzenden der Fabian Society, 1937 veröffentlichten, wird deutlich, daß ohne die Bautätigkeit des Lokalverwaltungen die Bilanz des Wohnungsbaus der Nachkriegszeit negativer ausgefallen wäre, als sie in den Anfangsjahren ohnehin war. Tabelle 13

Wohnungsbau der verschiedenen Bauherren in England und Wales 1920-1925 (in Tausend)281 Jahr

Lokalverwaltungen

Subventionierte private Unternehmungen

Unsubventionierte private Unternehmungen ohne mehrgeschossige Wohnhäuser)

1920 1921 1922 1923 1924 1925

0,6 16,8 86,6 67,1 19,6 23,9

0,1 13,3 21,6 11,1 4,5 48,8

33*

15,8 69,4 71,1

(* geschätzt für 1920 bis 1923)

Mehr als 2 / 3 des 1921 bis 1923 ausgeführten Wohnungsbaus ging auf die Gemeinden zurück, die damit ihren Haushalte stark belasteten. Im Jahr 1921 wurden 22% der gesamten Ausgaben der Lokalverwaltungen für ihren Wohnungsbau aufgewendet, 1923 waren es noch 9,2%, 1926 wieder 14,8%?82 Die Bautätigkeit der Lokalverwaltungen und ihre Konjunkturen spiegelten die Entwicklungen und Schwierigkeiten des Wohnungsbaus nach dem Krieg wider. Der Bau der Siedlung in Becontree durch das London County Council (LCC) war exemplarisch. Im Jahr 1919 wurde vom LCC ein Fünfjahresprogramm zum Bau von 29.000 Wohnungen, allein 10.000 bis 1922, für 145.000 Menschen in "vorstädtischen" Gebieten beschlossen. Im östlich von London gelegenen Becontree an der Grenze zur Grafschaft Essex sollte ein beträchtlicher Teil dieser Wohnungen entstehen. Im Mai 1921 war noch kein einziges Haus fertiggestellt, im Dezember ganze 56. Bis zum Jahresende 1922 waren 2.250 Häuser gebaut, bis Dezember 1926 8.282 und Ende 1928 schließlich 13.147. 283 Cole, G. D. H. and M. 1., S. 145. Vgl. Holmans, S. 80. 283 Vgl. Olechnowicz, Andrej, Warking-Class Housing in England between the Wars, Oxford 1997, S. 23-30. Vgl. auch Young, Ken/Garside, Patricia L., Metropolitan London, London 1982, S. 140-172; Swenarton, S. 163-178; Teichmann, S. 132-159; Baum, S. 158; Daunton, M. J., Vorstadt, Gesellschaft und der Staat: London in den zwanziger Jahren, in: Alter (Hrsg.), Im Banne der Metropolen, Göttingen/Zürich 1993, S. 87-119. Die Zahl der 2st

282

2. Großbritannien

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Die Ergebnisse der Bautätigkeit des LCC wurden im Vergleich mit der eigenen Politik in Deutschland sprunghaft-interessiert verfolgt. Im Reichsarbeitsblatt veröffentlichte 1928 Friedrich Schmidt, Ministerialrat im Reichsarbeitsministerium, die Beobachtungen, die er auf einer Studienreise nach London gesammelt hatte. Er bemerkte, daß trotz großer Leistungen der Gemeinden im Wohnungsbau, noch eine ganze Reihe von Aufgaben bewältigt werden müsse. Diese Meinung vertrat er besonders mit Blick auf den Sanierungsbedarf in den Großstädten. Auch die Ausführung des von Schmidt begrußten Flachbaus bei den Neubauten sei "schlecht", aber immer noch besser als der Bau von Mietskasernen. Mit der folgenden Übersicht listete er für die deutsche Leserschaft auf, wie und in welchem Ausmaß um London herum eine Vielzahl von "Gartenstädten" entstanden, darunter auch Becontree als größte: Tabelle 14

Londoner Gartenvorstädte seit 1920284 Gartenvorstadt Norbury OldOak Roehampton White Hart Lane Becontree Hellingharn Downharn Watling Castlenau Worrnholt St. Helier Gesamt

Baujahr 1920 1920 1920 1920 1920 1920 1924 1926 1926 1926 ab 1927/28

Anzahl der geplanten Wohnungen

Bis 1928 fertiggestellte Wohnungen

218 736 1.212 1.237 26.000 2.124 5.932 3.980 643 771 10.000

218 736 1.212 1.165 12.130 2.096 3.225 1.373 101 353

52.853

22.609

Bewerber um eine Wohnung in dieser Siedlung war von Beginn an hoch. Bis 1920 waren 20.000 Interessenten registriert, mehr als 10.000 Bewerbungen um eine Wohnung lagen vor. Bis 1933 waren insgesamt 200.000 schriftlich und mündliche Bewerbungen beim LCC für die Siedlung eingegangen. Vgl. Olechnowicz, S. 38. 284 Schmidt, Friedrich, Wohnungsbau in England. Ergebnisse einer Studienreise, in: Reichsarbeitsblatt II, 1928, Nichtamtlicher Teil, S. II 439 - 442, 457-460, hier S. 439 f. Vgl. auch Schubert, S. 298; Mowat, S. 230. Vgl. für Birmingham und Warwickshire Baum, Die Lösung des Wohnungsproblems in England, S. 159 und Briggs, History of Birmingham, S. 228. In Birmingham waren zwischen 1919 und Juni 1926 insgesamt 11.246 "gemeindeeigene Häuser in Wohndörfem" (Baum) errichtet worden. Weitere 5.000 Wohnungen wurden durch private Bauunternehmungen gebaut. Bis 1939 entstanden mehr als 50.000 Wohnungen für ca. 200.000 Menschen, die von der Birminghamer Lokalverwaltung, 54.500 von privaten Bauuntemehmungen, gebaut wurden. Für Manchester vgl. Dale, S. 207-210. Für Glasgow vgl. BarchB, R 3101 I 10123, BI. 44/45: Abschrift eines Schreibens des Deutschen Konsulats in Glasgow an das Auswärtige Amt vom 21. August 1924.

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Neben der negativen, zeitgenössischen Kritik an den Ergebnissen des Wohnungsbauprozesses und seinen Agenten, fanden Wohnungsreformer auch versöhnliche Worte, um einzuschätzen, was unmittelbar nach dem Krieg vom Staat und den Gemeinden geleistet wurde. Dabei ging es nicht zuletzt auch um die Einschätzung dessen, was sie selbst in den Ministerien und Behörden bei der Unterstützung der Politik seit dem Krieg geleistet hatten. Solche Beurteilungen waren nicht allein Selbstbeweihräuscherung. Vielmehr war es ein Ausdruck von Wohlwollen, das von Seiten der Wohnungs- und Siedlungsreform der Politik der Nachkriegsregierungen entgegengebracht wurde, unabhängig davon, daß sich das "Versprechen" von 1918/19 zur Schaffung von "Hornes for Heroes" verflüchtigt hatte. Neben der entgegengebrachten Jovialität, wollten sie den politischen und ökonomischen Prozeß des öffentlichen Wohnungsbaus auch begleiten und anleiten, was Henry R. Aldridge vom National Housing and Town Planning Council mit seinem 1923 vorgelegten, 500seitigen The National Housing Manual unterstrich? 85 Aldridge schätzte in seinem "Führer durch die nationale Wohnungspolitik und ihre Verwaltung" ein, daß der öffentliche Wohnungsbau bisher erfolgreich für jene betrieben wurde, denen der Staat Aufmerksamkeit versprochen hatte. Die neuen Wohnungen, die von den Lokalverwaltungen gebaut wurden, seien zum Großteil an die Familien der Kriegsteilnehmer und an kinderreiche Farnilien vermietet. Ihr Standard sei hoch und gut, 90% verfügten über drei bis vier Schlafzimmer, 40% hätten zudem einen parlour, Bad und Küche waren obligatorisch. Die Wohnungsvergabeordnungen der Lokalverwaltungen sahen vor, daß wohnungslose Kriegsheimkehrer, Angehörige von gefallenen Kriegsteilnehmern und kinderreiche Familien bevorzugt werden sollten. 286 Doch reichte der Umfang des Bauens bei weitem nicht aus, wie Aldridge bemerkte. Mit seiner Forderungen, in einem 20-Jahresprogramm 3,335 Millionen Wohnungen in England und Wales und weitere 611.000 in Schottland zu bauen, nahm er die Ergebnisse von Wohnungspolitik und Wohnungsbauboom der kommenden 15 Jahren vorweg.287 Bis März 1939 wurden 3,997 Millionen Wohnungen allein in England und Wales gebaut, 1,111 Millionen davon in der Regie der Lokalverwaltungen. 288 Der britische Wohnungsmarkt war 1939 längst zur Normalität zu285 Das LGB hatte die Ergebnisse der Kommissionstätigkeit von 1917 I 18 in einem 1919 veröffentlichten eigenen Handbuch für die Lokalverwaltungen zusammengestellt. Das griff Aldridge auf und führte es weiter. Vgl. Nuttgens, S. 52 f. 286 Vgl. Aldridge, National Housing Manual, S. 165 f.; Simon, E. D. /lnman, J., The rebuilding of Manchester, London 1935, besonders S. 89-105. Auch das Wohnungskomitee des Consultive Comrnittee of Women's Organisation, ein Zusammenschluß von 63 verschiedenen Frauenvereinigungen, betonte in einer Stellungnahme zum Ausmaß des Wohnungsproblems 1923 verhalten zufrieden, daß in den zurückliegenden Jahren viel getan wurde, "to ease the shortage . .. of house for the small wage eamer". The Consultive Committee of Women 's Organisation (Ed.), The Housing Problem, London April 1923, S. 34; BLO, Department of Western Manuscripts, MS Addison, Dep. c. 149, BI. 156 -170: Monthly Report by the National Housing and Town Planning Council, 23. Februar 1923. 287 Vgl. Aldridge, National Housing Manual, S. 209.

2. Großbritannien

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rückgekehrt Der Bauboom, gestützt auf niedrige Hypothekenzinsen, hatte der Wohnungsfrage seine Schärfe genommen und Tausende von Reihenhausvororten hervorgebracht. Seit Beginn der 1930er Jahre war es eine staatsferne Lösung, die aber die Sanierung der innerstädtischen Elendsquartiere außer Acht ließ. Diese Herausforderung blieb für den Staat und die Gemeinden bestehen.

c) Ländliche Ansiedlung von Kriegsheimkehrern und die Auswanderung nach dem Krieg

Den "Helden des Krieges" waren 1918 "Hornes for heroes" versprochen worden. Wohnungen und Häuser sollten mit staatlicher Unterstützung entstehen, die fern der innerstädtischen Slums die Grundlage eines "neuen" Lebens, eines "neuen" Wohnens nach dem Krieg sein sollten. Das politische Versprechen des Neuen war wesentlich davon geprägt, auf die stilisierte Drohung, den Status Quo in Frage zu stellen, reagieren zu können. Die Urheber dieser Drohung wurden unter den Kriegsheimkehrern ausgemacht. Zwar waren alle Briten, Männer und Frauen, "Helden" im Sinne der Politik, die ihnen das "neue Britannien" versprochen hatte. Aber den "Helden von der Front" kam eine besondere Stellung im Wieder- und Neuaufbau des Landes zu. Propagandistisch im Krieg vorbereitet, waren neben der Bevorzugung bei Wohnungsbau und -vergabe, die massenweise Ansiedlung von Kriegsheimkehrern auf dem Lande und Programme zu deren Auswanderung Schwerpunkte. Diese Pläne verfolgten das Ziel, jene Kriegsteilnehmer, die entweder aus der Landwirtschaft kamen oder nicht wieder in die großstädtischen "Schweineställe" zurückkehren wollten und sollten, eine Zukunft "im Grünen" zu eröffnen und ihre tatsächliche und erwartete Drohung, in Siedlungstätigkeit zu kanalisieren. Die Meldungen von der Front über die Moral innerhalb der britischen Truppen ließen Schlußfolgerungen zu, die sowohl Vertrauen in die Politik der Regierung erkennen lassen konnten, als auch die Infragestellung der bestehenden politischen Verhältnisse zum Gegenstand hatten. Der Postzensur der 3. Armee kam der Optimismus und das Vertrauen der Soldaten im Januar 1917 noch auf beinahe unerwartete Art entgegen: " .. .a man who is a cold, wet, dog-tired, lice-bitten, rnud-clad object of rnisery cannot be expected to find that 'all is for the best in the best of all possible worlds.' The wonder is that so rnany of thern do. " 289 288 Vgl. Bowley, M., S. 271; BLO, Departrnent of Western Manuscripts, MS Addison, Dep. c. 149, BI. 370: Anzahl der seit Waffenstillstand bis 1935 gebauten Wohnungen in England und Wales. 289 IWM, Docurnent Departrnent, 84/46/1, Hardie paper, ohne Bl.-Nr.: Draft Report on Moral, etc., 3. Arrny, Jan. 1917, S. 2. Vgl. auch Englander, David, Discipline and rnorale in the British arrny, in: Horne, John (Ed.), State, society and rnobilization in Europe during the First World War, Carnbridge 1997, S. 125-143, hier S. 131-136.

22 Koinzer

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Viele, aber nicht alle glaubten an die Notwendigkeit des Kampfes für die "beste aller möglichen Welten", jenes vorweggenommene "neue Britannien". Selbst wenn sich diese Gesinnung innerhalb weiter Teile der Armee gehalten haben sollte, waren es doch die Berichte über den steigenden Unmut, wie der folgende von 1918, die in London Anlaß zu "beschwichtigendem" Handeln gaben. Die Zensurbehörde zitierte: "1 want to get back to civil life to earn big money for you, not to fight for those B... s (Buggers or Bastards, T.K.) in Parliament, who are a Iot of swindlers... When we come home, we will have all that Iot shifted."290

Die "Schwindler" und "Scheißkerle" waren an einer "Veränderung", wie sie sich der Zitierte vorstellte, nicht interessiert. Wenn sie das Vokabular ertragen haben sollten, so doch nicht den Vorwurf, bezüglich ihrer Wohnungs- und Siedlungspolitik für Kriegsheimkehrer zu lügen. Seit dem Friihjahr 1915 arbeitete das Landwirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit dem LGB und den Wiederaufbaukomitees bzw. -ministerium an einem Plan zur Ansiedlung von Kriegsheimkehrern auf dem Land. Doch mit dem Kriegsende war nicht nur die Zeit gekommen, die Ergebnisse dieser Arbeit in Augenschein und Nutzung zu nehmen. Das Entstehen verschiedener Kriegsheimkehrerorganisationen wurde als zusätzliche "Drohung" gesehen, die den im Krieg erworbenen "Anspriichen" Nachdruck verliehen hatte. "Gedroht" wurde mit der Griindung von und Unruhestiftung durch Kriegsheimkehrervereinigungen, die von den alten Mustern der Regimentsorganisation oder "Alten Kameraden"-Vereinigungen abwichen und nicht allein auf die fürsorgliche Tätigkeit der Soldiers and Sailors Farnilies Associations und Soldiers and Sailors Help Society beschränkt bleiben wollten. Mehr als zehn Organisationen, die sich während des Krieges gegriindet hatten, befaßten sich mit Fragen von demobilisierten Soldaten aller Ränge. Bis zum Friihjahr 1918 hatten sich drei große Vereinigungen gebildet. Anfang 1917 schlossen sich zahlreiche Londoner Kriegsheimkehrer mit Unterstützung der beiden Parlamentsabgeordneten James M. Hogge und William Pringle, die Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender wurden, zur National Perleration of Discharged and Demobilised Sailors and Soldiers zusammen. Ihre Griindung war eine Reaktion auf ein im März 1917 verabschiedetes Gesetz, wonach u. a. entlassene Kriegsteilnehmer auf ihre Wehrtauglichkeit und abermalige Einberufung "gepriift" werden sollten. Der Zweck der Verbindung war vordergrundig auf die angemessenen Regelungen der Pensionshöhen und -zahlungen gerichtet. Die Federation hatte Niederlassungen in ganz Großbritannien, doch in London war sie besonders stark. Ebenfalls 1917 formierte sich die National Association of Discharged Sailors and Soldiers, welcher der Labour MP Philip Snowden vorstand. Sie agierte vor allem in den Midlands und Nordengland. Im seihen Jahr griindete sich The Comrades of 290 IWM, Document Department, 84/46/1, Rardie papers, ohne Bl.-Nr.: Report on postal censorship, ltalian Expeditionary Force, Februar bis Juli 1918, S. 28. Vgl. auch Ward, Stephen R., Intelligence surveillance of British ex-service men, S. 179-182.

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the Great War. Nach den Aussagen der "großen Drei" hatten sie zusammen mehr als eine Millionen Mitglieder?91 Im Sommer 1918 folgte die Gründung einer vierten großen Organisation, der Silver Badge Party, benannte nach dem silbernen Abzeichen, das Veteranen zum Zeichen ihres geleisteten Militärdienstes an der Kleidung trugen.Z92 Unabhängig von den Bestrebungen, die verschiedenen Organisationen zu einer zentralen, einheitlichen Kriegsteilnehmervereinigung zusammenzuschließen, orientierten sich vor allem Federation, Association und Silver Badge auf die Durchsetzung ihrer Ziele, indem sie ganz unrevolutionär Kandidaten zur Wahl des Unterhauses im Dezember 1918 aufstellten. Sie versprachen sich Erfolg durch die Stimmen der Kriegsteilnehmer, da sie ausschließlich ihre Interessen verfolgten. Wie die regierenden Parteien, setzen sie auf die "land fit for heroes to life in"Kampagne nur mit dem Vorzeichen, daß die traditionellen Parteien bisher ihrer Meinung nach wenig für die Kriegsteilnehmer getan hätten. Aber der erhoffte Erfolg blieb aus. Die Unterstützung der sich im Winter 1918/19 noch im Dienst befindlichen Soldaten blieb durch deren geringe Wahlbeteiligung aus?93 Das Thema Wohnen nach dem Krieg war für die Kriegsteilnehmerorganisationen von marginalem Interesse. Die Zeitschrift The Ex-Service Man veröffentlichte Ende Oktober 1918 auf ihrer Titelseite eine Karikatur auf der vier Männer, je einer von der Federation, der Association, den Comrades und von Silver Badge ins Büro von John Bull, dem englischen Otto-Normal-Verbraucher getreten waren, um ihm, ihre Forderungen für die Nachkriegsgesellschaft zu präsentieren. In den Händen halten sie Resolutionen, die ein staatliches Engagement u. a. bezüglich der Beschäftigung von Kriegsheimkehrem, der Bereitstellung von Arm- und Beinprothesen und bei der allgemeinen Beschädigtenfürsorge forderten. Eine Entschließung, die "Hornes for Heroes" verlangte, war nicht dabei.Z94 Doch bekam die Wohnungsfrage für Kriegsheimkehrer von Seiten der Regierung Aufmerksamkeit geschenkt. Das Directorate of lntelligence im Horne Office, 291 Liddeli Hart Centre for Military Archives, King's College London (LHC), Hamilton Papers, 32/4/ 1 I 3, ohne Bl.-Nr.: Jellicors, H., A history of the Ex-service Officer's and men's problem, o. J.; 1996 KA/FPT 42/6: Jellicorse, H., The Ex-Service Officers and Men and the Organisation looking after their we1fare, o. J., S. 3-6 und 8. Jellicorse war Major, late The Royal Sussex Regiment, und vermutlich Assistent von General Sir Ian Hamilton ( 1855- 1947), der in die Gründung der zentralen Kriegsteilnehmerorganisation The British Legion maßgeblich involviert war. Hamilton war bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs Command of Centra1 Forces (UK Defence), im März 1915 übernahm der das Kommando in Gallipoli (Griechenland), 1918 - 20 war er Lieutenant of Tower of London. Vgl. auch Ward, Stephen R., Great Britain: Land fit for heroes lost, in: Ward, Stephen R. (Ed.), The War Generation, S. 10-37, hier S. 12-16. 292 Vgl. Ward, Stephen R., The British Veterans' Ticket of 1918, S. 156-161. 293 Vgl. ebenda, S. 164-169; Wa rd, Stephen R., Great Britain: Land fit for heroes lost, s. 21 f. 294 The Ex-Service Man vom 23. Oktober 1918. Zur .,Kriegsopferversorgung" allgemein vgl. Geyer, Michael, Ein Vorbote des Wohlfahrtsstaates.

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das der Überwachung der Kriegsteilnehmerorganisation einiges Interesse entgegen brachte295 , veröffentlichte im September 1919 einen diesbezüglichen Bericht. Der Report on Revolutionary Organisations in the United Kingdom befaßte sich u. a. mit dem Wohnungsproblem und des dazugehörigen "feeling among discharged soldiers". Anknüpfend an die Berichte aus der Kriegszeit, wonach die Wohnungsfrage eine Ursache für die "Unruhe" in den Städten gewesen sei, würde die "Unzufriedenheit" jetzt durch "Wucherei" und Schwierigkeiten beim Mieten von Wohnungen angesichts des bevorstehenden Winters hervorgerufen. In London erwartete man den massenweisen Einzug von Abgeordneten der Labour Party in die städtischen Parlamente. Der Federation, so der Berichte, würde "einem Gerücht zufolge", Geld zufließen, das zur Gründung von lokalen Klubs vorgesehen sei. Die Folgen solcher Zuwendungen seien verheerend: "As the active members of the Ex-Soldiers Federation are prone to fall into the hands of extremists, it would be weil that any gift of money should not be in form of capital, but in monthly or periodical grants to meet expenditure: otherwise the capital may be used for revolutionary purposes... " 296

Die Beschreibung der schleppenden Fortschritte im Wohnungsbau, über das Versagen der Lokalverwaltungen dabei und über Wohnungskündigungen von Kriegs295 Vgl. Ward, Stephen R., lntelligence surveillance of British ex-service men, S. 179188; Ders., Great Britain: Land fit for heroes lost, S. 20. 296 PRO, CAB 24/89, ohne Bl.-Nr.: Directorate of Intelligence, Report on Revolutionary Organisations in the United Kingdom, 25. September 1919. Das im Geriicht angesprochene Geld stammte wohl aus den Überschüssen der Frontkantinen, das später zur Griindung der British Legion verwendet wurde. Die Gesamtsumme dieser Einnahmen belief sich auf f:7 Millionen, über deren Verwendung schon im Oktober 1918 gemeinsame Beratungen des Board of Admiralty, Army Council und Air Council stattfanden. Vorgeschlagen wurde, das Geld zur Griindung einer Dachorganisation der Kriegsteilnehmerorganisationen, der Empire Service League, aus der die British Legion hervorging, zu verwenden. Die Gespräche mit den verschiedenen Organisationen unter Leitung von General Sir Horace Smith-Dorrien gestalteten sich im Sommer und Herbst 1918 schwierig. Einerseits wurde der Verlust der Eigenständigkeil befürchtet. Andererseits wurde von den beteiligten Kriegsteilnehmerorganisationen der Einfluß der Politik, des Ministry of Pension und des Ministry of Labour als zu stark und negativ angesehen. Major Jellicors, der anwesend war, dazu: "Personally I think that they were quite right." Das Ergebnis dieser Verhandlungen war jedoch, daß die drei wichtigsten Kriegsteilnehmerorganisationen sich zu einem Zusammenschlusses bereit fanden. Im Mai 1921 wurde schließlich die British Legion gegriindet, deren Ziel Jellicors wie folgt beschrieb: "To bring about the unity of all who served in the Navy, Army and Air Force and the Auxiliary Forces. To perpetuate the memory of those who had died in the service of their country. To educate public opinion to the view that the maintenance of the disabled, and the welfare of the ex-service men, warnen and dependants is a national duty, and that it shall be democratic and non- sectarian and not affiliated or connected, directly or indirectly, with any political party or political organisation." Es existierten 1921 über 4.000 Filialen mit ca. 500.000 Mitgliedern. LHC, Hamilton Papers, 32/4/1/3, ohne Bl.-Nr.: Jellicors, H., A history of the Exservice Officers and Mens problem, o. J.; 1996 KA/FPT 42/6: Jellicorse, H., The Ex-Service Officers and Men and the Organisation looking after their welfare, o. J., S. 12 f. und 16 f. Vgl. auch Ward, Stephen R., Great Britain: Land fit for heroes lost, S. 28. Ward gibt die Zahl der Mitglieder der British Legion 1921 lediglich mit 18.106 an.

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beschädigten beförderten die "revolutionären Absichten". Durch den Bau von "Kinos anstelle von Wohnhäusern", so der Bericht, könnte die Unzufriedenheit, die durch die Wohnungsknappheit hervorgerufen würden, nicht als "übertrieben" eingestuft werden. 297 Im selben Monat fragte The Ex-Service Man, ob Großbritannien "ready for demobilisation" sei. Das Ansiedlungsprogramm auf dem Land war jedenfalls nicht das, was in politischer und organisatorischer Art und Weise in diesem Herbst als "vorbereitet" eingestuft werden konnte. Die Zeitschrift berichtete, daß das Landwirtschaftsministerium erst ganze 300 Kriegsheimkehrer angesiedelt hätte, wo doch nach Schätzungen aus dem seihen Ministerium etwa 750.000 den Wunsch nach einem Stück Land zur Ansiedlung geäußert hätten. 298 Eine Kritik dieser Position, welche die Ambivalenz des Themas deutlich werden ließ, wurde in der selben Ausgabe der Zeitschrift veröffentlicht. Eine der "Illusionen der Zivilisten" sei, daß die Kriegsheimkehrer eine Ansiedlung auf dem Land wünschten. Der Autor, Edgar Wallace, bestätigte die Annahme, daß einige die Absicht hätten, sich auf dem Land niederzulassen, andere hingegen, und er meinte damit die Mehrheit, hätten diese nicht. In der Umkehrung der romantischen Beschreibung vom "Leben unter freiem Himmel" an der Front lokalisierte er die Urheber dieser Pläne und ihre Vorstellungen: "The deluded people in this country, assisted by a misguided press, are under the impression that after a man has been living for three years in a stink.ing trench or a fuggy dugout, s1eeping in his boots for a weeks on end, wet through night after night, that he acquires a passion for the open air Iife." 299

Die "irregeführten Menschen", mit denen Wallace Wohnungs- und Siedlungsreformer wie Politiker meinte, sahen sich aber durch alljene bestätigt, die in Erwiderung auf Wallaces Artikel schrieben, daß "hunderte" von Kriegsheimkehrern mit der Ansiedlung große "Hoffnungen" verbinden würden. Sowieso sei die "Sehnsucht" nach Land die "angeborene Kultur" einer "großen Mehrheit" der Briten, wie eine Leserbriefschreiberin Ende September 1918 ausführte. 300 Die Regierung war schon während des Krieges angetreten, diese "Kultur" Großbritanniens zu fördern. Ende 1917 plante sie, auf einer Million Morgen Land (ca. 400.000 ha) 40 bis 50 Tausend Menschen auf "small holdings" von je 20 bis 25 Morgen Größe anzusiedeln. Die Last der Finanzierung dieses Programms "should be exercised upon the Treasury to resume making advances of funds to County Councils for the purchase of land for small holdings". 301

297 PRO, CAB 24/89, ohne BI.-Nr.: Directorate of Intelligence, Report on Revolutionary Organisations in the United Kingdom , 25 September 1919 298 Vgl. Easton, Herbert E., Wanted- ALand Policy. Are we ready for demobilisation?, in: The Ex -Service Man vom 11. September 1918, S. 6. 299 Wallace, Edgar, My Advice to the Men, in: Ebenda, S. 3 f. 300 Ebenda vom 25. September 1918, S. 29.

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III. Wohnen nach dem Krieg

Im März 1918 war vom Wiederaufbauminister Addison eine Kommission einberufen worden, die ein ländliches Siedlungsprogramm für Kriegsheimkehrer evaluieren sollte. Ende des Jahres lag der Bericht des Advisory Council on the Employment on the Land of Returned Sailors and Soldiers vor. Auf dessen Grundlage machten Addison und das Landwirtschaftsministerium ihre Positionen und Ansprüche hinsichtlich der Durchführung eines solchen Programms im Rahmen der Demobilmachung bekannt. Von insgesamt f20 Millionen sollten fl5 Millionen an die ländlichen Lokalverwaltungen zum Erwerb von Siedlungsland weitergeleitet werden, während die verbleibenden f5 Millionen vom Landwirtschaftsministerium u. a. zur Ausbildung der Neusiedler aufgewendet werden sollten. 302 Die Einbeziehung der bzw. Konzentration auf die Kriegsheimkehrer war einerseits die Fortsetzung der durch den Krieg unterbrochenen Bodenreform, andererseits eine Intensivierung dieser Politik, die neuen Schwung durch den ihr nun anhängenden Nimbus des "Versprochen worden Seins" erhielt. Die Zeit für das Experiment zur gewünschten und postulierten Wiederbelebung des landwirtschaftlichen Lebens durch Reformer, Politiker und beide in einem war mit dem Kriegsende gekommen. Was The Ex-Service Man in den drei Jahren seines Bestehens begleitete, ließ sich als ein groß angelegtes Ansiedlungsprogramm mit Zehntausenden neuer Siedlungsstellen für Kriegsheimkehrer in ganz Großbritannien an. Im Frühjahr 1919 waren Landwirtschaftsministerium und LGB mit dem Programm beschäftigt und arbeiteten an einem Gesetzentwurf, der den Erwerb von Land und dessen finanzielle Förderung regeln sollte. Die Ansiedlung von Kriegsheimkehrern auf dem Land überschnitt sich dabei häufig mit den allgemeinen Wohnungsbauplänen der Regierung, bzw. war oft nicht von ihnen zu trennen. Das Zauberwort hieß "small holdings". Der Kleinlandbesitz, in der Regel unter 50 Morgen (20 ha), sollte gestärkt und ausgebaut werden. In England und Wales bestanden nach Angaben aus dem Landwirtschaftsministerium im Frühjahr 1919 insgesamt 275.334 solcher Ansiedlungen mit einer Gesamtfläche von 4,1 Millionen Morgen Land. Sie machten etwa 15% des gesamten kultivierten Landes aus. 303 Doch für einen weiteren Ausbau des Kleinlandbesitzes durch die Ansiedlung von Kriegsheimkehrern ergab sich neben den hohen finanziellen Aufwendungen vor allem das Problem von ausreichend Grund und Boden, der bereitgestellt werden müßte, wie in einem Schreiben an das Landwirtschaftsministerium vom 301 Vgl. BLO, Department of Western Manuscripts, MS Addison, Dep. c. 119, BI. 106111: Land Settlement, Minutes of a conference held at the Board of Agriculture to consider the question of landsettlementvom 17. November 1917, hier BI. 108 und 111. 302 Vgl. Ebenda, Report of the Advisory Council on the Employment on the Land of Returned Sailors and Soldiers, Dezember 1918, BI. 254-273 und BI. 110-216: Present position of agricultural questions arising on demobilisation, 20. Dezember 1918. Mitglieder der Kommission waren die bereits in anderen beratenden Gremien tätigen V. Nash und H. Hobhouse. 303 PRO, MAF 48/35, BI. 259: Abschrift eines Schreibens von F. L. C. Fluod (Landwirtschaftsministerium) an MajorE. C. Garnsey vom 7. April 1919.

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November 1918 geäußert wurde. Walter H. Long, ehemaliger Präsident des LGB, bemerkte, daß einerseits einige der Bewerber unter den Kriegsheimkehrern nie Landwirtschaft betrieben hätten, und andererseits nicht genügend Land zur Verfügung stehen würde, um alle Bewerber zu berücksichtigen. 304 Landwirtschaftsminister Prothero veranschlagte wenig beeindruckt von diesen Einwänden die bereits erwähnte Summe von ±:20 Millionen im ersten Jahr, die notwendig sei, um Land zur Ansiedlung zu erwerben, das landwirtschaftliche "Training" der Bewerber zu finanzieren und die Neuansiedlungen mit Wohnhäusern und landwirtschaftlichem Gerät auszustatten. 305 Daß Land und Geld zur Verfügung gestellt würden, hatte das Landwirtschaftsministerium unter den Kriegsteilnehmern verbreiten lassen. In einem Bericht an das Standing Council of the Demobilisation Committee wurde erklärt, daß zwei Millionen Flugblätter des Landwirtschaftsministeriums verteilt worden seien, die versprachen, "that land will be available for any men who wish to settle on the land". 306 Auch darüber, wer von den Kriegsheimkehrern Interesse an einer Siedlungsstelle haben könnte, vergewisserte man sich im Landwirtschaftsministerium. Der Bericht, den Oberst Bourne im Oktober 1918 dem Ministerium vorlegte, teilte die Interessenten grob in zwei Gruppen. Zu Gruppe A zählten all jene, die keine Erfahrungen in der Landwirtschaft und im Gartenbau hatten. Hier waren erstens nicht verwundete Männer angesprochen, die ein "Leben unter freiem Himmel" und eine zukünftige, "nicht sitzenden Tätigkeit" anstrebten. Zweitens sollten verwundete Kriegsheimkehrer berücksichtigt werden, die aus "medizinischen Gründen" nicht ihre frühere berufliche Tätigkeit in Büros, Fabriken oder im Handel ausüben konnten. In Gruppe B waren diejenigen angesprochen, die vom Land kamen und landwirtschaftliche und gartenbauensehe Erfahrungen hatten. Söhne kleiner Landwirte, die nun selbständig ihr eigenes Land bewirtschaften wollten, zählten hier ebenso hinein, wie Landarbeiter, verwundete und nicht verwundete Kriegsteilnehmer, die zum Zwecke der eigenen Versorgung etwas Land bewirtschaften oder Tiere halten wollten. Vor allem aus diesem Personenkreis erwartete man die Mehrheit der Antragsteller auf eine Siedlungsstelle. 307 Prothero hatte in seinem eigenen Memorandum zur Ansiedlung von Kriegsheimkehrern auf dem Land im November 1918 bekannt gegeben, daß erste Ländereien erworben worden waren und bereitstünden, für dieses Programm erschlossen zu werden. Das Landwirtschaftsministerium sei dabei, fast 6.000 Morgen u. a. in Yorkshire und Lincolnshire anzukaufen. Um die Siedlung für Kriegsheimkehrer 304 PRO, MAF 48/35 A, part 1, ohne Bl.-Nr.: Abschrift eines Schreibens von Walter H. Long an Prothero vom 27. November 1918. 305 Vgl. ebenda, ohne Bl.-Nr.: Land settlement for Ex-Service men. Emergency suggestion. Draft Resolutionon Land Settlement von R. E. Prothero vom 21. November 1918. 306 PRO, CAB 33/19: BI. 249-250: Memorandum by Sir Rhys Williams on Land Settlement, 18. Januar 1919. 307 PRO, MAF 48/35 A, part 1, ohne Bl.-Nr.: Zusammenfassung des Berichts von Oberst Boume, 6. Oktober 1918.

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III. Wohnen nach dem Krieg

nutzbar zu machen, sei auf diesem Land, so Prothero, der Bau von Wohnhäusern und landwirtschaftlichen Nutzgebäuden nötig. Weiterhin müßten umgehend Baumaterialien zur Verfügung gestellt werden, um diese Häuser in Selbsthilfe zu errichten sowie Kurse, in denen Siedlungswillige in landwirtschaftliches Wirtschaften unterwiesen würden. "Priority 1" habe das Ansiedlungsprogramm, so der Minister am 5. November 1918, um rechtzeitig zur Demobilmachung ausgeführt werden zu können.308 Zwei Monate danach, im Januar 1919, war keine von den geforderten Maßnahmen in einem befriedigenden Stadium. Kein Siedlungsprojekt war bisher angelaufen. Ausbildungskurse für demobilisierte Soldaten waren, soweit das Standing Council of the Demobilisation Committee feststellte, "in operation". 309 Im März 1919 diskutierte das Kabinett den Gesetzentwurf zur ländlichen Ansiedlung und zum Landerwerb. Die Debatten waren von Zurliekhaltung auf der einen Seite und Eile auf der anderen gekennzeichnet. Zum einen wurde betont, daß die Zeit für ein ausgedehntes ländliches Siedlungsprogramm "sehr unglücklich" sei. Die Kosten des Landerwerbs waren hoch und die Preise für landwirtschaftliche Produkte am fallen. Zum anderen sah man sich aber bezüglich der Kriegsteilnehmer in der Pflicht, die Ansiedlung zu fördern, wie Schatzkanzler Austen Chamberlain meinte: "[W]e were pledged to do this". 310 Im Kabinett wurde diese Ansicht geteilt. Meinungsverschiedenheiten bestanden nur in der Ausdehnung des Ansiedlungsprogramms auch auf andere Bevölkerungsgruppen. Lloyd George und Addison meinten gemäß ihren Positionen aus der Vorkriegszeit, alle sollten an einem solchen Programm partizipieren können. Chamberlain, Bonar Law und Prothero betonten, daß dies wegen der hohen Kosten nicht möglich sei. 311 Daß die Nachfrage nach Kleinlandbesitz unter den Kriegsteilnehmern ambivalent war, mußte der Landwirtschaftsminister im Anschluß an diese Kabinettssitzung eingestehen. Auf die Frage Hayes Fishers, ob die Schätzungen über siedlungswillige Kriegsheimkehrer mit Zahlen unterlegt werden könnten, erklärte Prothero, daß er zur Klärung dieser Frage einen Beauftragten nach Frankreich geschickt hätte. Dieser habe die Vorschläge der Regierung in einem Armeekorps vorgestellt. Die befragten Soldaten zeigten danach wenig Interesse an einem Landbesitz von bis zu 20 Morgen. Aber 75% sprachen sich für einen Landbesitz von einem halben oder einem Morgen aus. Sie meinten, daß ein Kleinlandbesitz eine "zweifelhafte Methode" sei, um den Lebensunterhalt zu unterstützen. Die zeitgenössisch-bildliehe Erklärung folgte: "They regarded it as a very good crutch, but a very bad leg." 3 12 PRO, NATS 1/323, ohne Bl.-Nr.: Memorandum by Prothero, 5. November 1918. PRO, CAB 33/19, BI. 249-250: Memorandum by Sir Rhys Williams on Land Settlement, 18. Januar 1919. 310 PRO, CAB 23 /9, BI. 95: Minutes ofa Meeting of the War Cabinet, 3. März 1919. 311 Vgl. ebenda. Vgl. auch Johnson, S. 347 f. 312 PRO, CAB 23/9, BI. 96 - 98: Minutesofa Meeting ofthe War Cabinet, 3. März 1919, BI. 98. Vgl. auch PRO HLG 46/90, ohne Bl.-Nr.: Draft circular to the County Councils and 30S 309

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Die Einschätzung, daß Kleinlandbesitz eine "gute Krücke", aber ein "schlechtes Bein" sei, träfe aber, so der Landwirtschaftsrninister, in Schottland nicht zu. Hier herrschte eine sehr starke Nachfrage nach Land. Wenn nicht mit einem Gesetz diesen Bedürfnis Rechnung getragen würde, so Prothero abschließend, sei auch auf dem Land die Ausbreitung von "Unruhen" zu erwarten. Das Protokoll hielt seine Meinung wie folgt fest: "He had had a great many threats, particularly with regard to the west coast of Scotland, that if land were not provided for soldiers when they retumed they would seize it forcibly. The introduction of this Bill would be the best possible way of preventing the present unrest in the industrial world from spreading to the agricultural world."313

Schottland gab den Ausschlag. Das Kabinett debattierte den Land Settlement (Facilities) Act und den Land Settlement (Scotland) Act weiter, die beide eine Erweiterung bzw. Neufassung bestehender Gesetze aus der Vorkriegs- und Kriegszeit (1908, 19ll, 1916118) waren, nun aber ausdrücklich die Neuansiedlung und ihre staatliche Unterstützung betonten. Ende März 1919 entschied das Kabinett, daß nach den Paragraphen der neuen Gesetzes die Lokalverwaltungen (County Councils) Land zur Ansiedlung ausgeben, von ihnen Wohnhäuser nach den Vorgaben des Wohnungsgesetzes errichtet und Kriegsheimkehrer bei der Vergabe von beiden bevorzugt werden sollten. 314 Der Ablehnung des vordergründig landwirtschaftlich orientierten Siedlungsprogramms der Regierung meinte man, mit der Zurverfügungstellung von sogenannten "cottage holdings" begegnen zu können. Die Verfechter einer umfassenden Siedlungs- und Landverteilungspolitik innerhalb der Regierung glaubten, mit dieser Erweiterung ihre Position festigen zu können. An der Größe und nationalen Bedeutung des Programms sollten keine Zweifel aufkommen, da man sich damit einer komplexen Problemlösung verschrieben hatte. Die Einlösung gegebener Versprechen aus der Kriegs- und Vorkriegszeit bezüglich der Landreforrn, die Lösung der Wohnungsfrage und die Reaktivierung von Land- und landwirtschaftlichem Leben sowie die Eindämmung von "Unruhen" und das Versprechen, eine Gesellschaft zu errichten, in der die Leistung der Kriegsteilnehmer gewürdigt würde, waren die Aufgaben, die man mit der Ansiedlung von Kriegsheimkehrern handhabbar machen wollte. Daß man auf dem richtigen Weg sei, bescheinigten sich Lloyd the Councils of the County Boroughs in England and Wales by the Board of Agriculture and Fisheries, Februar 1919. Hier wurden die Ergebnisse der Frontbefragung wie folgt zusammengefaßt: "The information obtained indicates that while a considerable number of men with previous agricultural experience desire to obtain small holdings of sufficient size to provide them with a livelihood there are a much !arger number of men who would prefer to depend mainly on employment for wages but who are anxious to obtain an untied cottage tagether with a small area of land of from 2 to 5 acres, which could be used partly for cultivation and partly for keeping a cow or some pigs and poultry." 313 Ebenda, S. 98. 314 Ebenda, BI. 119- 122: Minutesofa Meeting of the War Cabinet, 21. März 1919, hier BI. 12 f. Vgl. auch Johnson, S. 350; Leneman, S. 5 - 19.

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III. Wohnen nach dem Krieg

George, Addison und Prothero selbst. Der Entwurf eines Rundschreibens an die regionalen Verwaltungen vom Februar 1919, der die Notwendigkeit einer massenweise Ansiedlung auf dem Land begründen sollte, zeichnete ein Bild notwendiger Intervention aus der Verpflichtung und politischen Verantwortung heraus, der sich Zeitgenossen nur schwer entziehen konnten: "The provision of cottage holdings will be the best method of meeting the needs of men who prior to joining the Forces were employed in the !arge towns but who desire to settle on the land. A considerable number of such men have acquired a taste for an open air life, many of them were brought up in the country and some of them have gained experience from the cultivation of allotments in the urban areas. It is obviously desirable from the national point of view that such men should be encouraged to settle on the land. .. " 315

Im Unterhaus wurde diese Stimmung unterstützt. Im August 1919 trat der Land Settlement (Facilities) Act und im Dezember des selben Jahres der Land Settlement (Scotland) Actin Kraft. 316 Es war vor allem der Abgeordnete Hogge, Vorsitzender der National Federation of Discharged and Demobilised Sailors and Soldiers, der mit seinen Anfragen und Redebeiträgen die Debatten über die Ansiedlung und das Wohnen von Kriegsheimkehrern bestimmte. Hogge konfrontierte das Parlament wiederholt mit Briefen, die ihm von aktiven und ehemaligen Soldaten und ihren Familien zugesandt wurden und deren Wohnungs- und Lebensbedingungen beschrieben. Hogge zitierte rege aus den Briefen und zementierte so die politische und praktische Handlungsnotwendigkeit für die Kriegsheimkehrer und ihre "100.000 ... farnilies without real and decent housing accommodation". 317 In seinen Reden forderte er neben Sofortmaßnahmen des LGB und der Lokalverwaltungen, wie die Teilung von großen Wohnungen zur Deckung des Wohnungsbedarfs der Kriegsheimkehrer in London, auch die Einsetzung einer zentralen Stelle, welche die ländliche Ansiedlung überwachen sollte.318 Wiederholt fragte Hogge die Regierung, wie viele Kriegsheimkehrer sich um ein "small holding" nach den bestehenden und neuen Gesetzen beworben hatten bzw. bereits ein Stück Siedlungsland ihr Eigen nennen konnten. Im Juni 1919 bekam er auf die Frage, wieviele Bewerber es in Schottland geben würde, die Antwort, daß im schottischen Board of Agriculture bis Ende Mai 1.296 Bewerbungen eingegangen seien. Ob und um wieviele Kriegsteilnehmer es sich dabei handelte, konnte nicht gesagt werden, da die Bewerber ausschließlich als "Zivilisten" vor315 PRO, HLG 46/90, ohne Bl.-Nr.: Draft circular to the County Councils and the Councils of the County Boroughs in England and Wales by the Board of Agriculture and Fisheries, Februar 1919. 316 Vgl. Leneman, S. 22 f. 317 PRO, ZHC 2/626, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 117, 6. vol. of session 1919, 30. Juni 1919, col. 697 f. 318 PRO, ZHC 2/625, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 116, 5. vol. of session 1919, 28. Mai 1919, col. 1268 f.; ZHC 2/626, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 117, 6. vol. ofsession 1919,30. Juni 1919, col. 679.

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stellig wurden. 319 Im November desselben Jahres verlangte Hogge vom zuständigen Minister für Schottland, Munro, zu wissen, ob dieser ihm den Namen und die Adresse eines einzigen Kriegsheimkehrers nennen könnte, der vom schottischen Landwirtschaftsministerium Siedlungsland erhalten hätte. Dessen Antwort fiel kurz und präzise aus: "Samual Gibson, holding No. 20, Castle Huntly Estate, Longforgan, 50 acres, 40s. rent per acre". Der Aufforderung, weitere Namen zu nennen, kam er nicht nach. Er habe die Frage beantwortet und einen benannt, aber einhundert weitere Bewerber würden noch im laufenden Monat angesiedelt werden können. 320 Der Erfolg der ländlichen Ansiedlung von Kriegsheimkehrern in Schottland war dürftig. Im November 1920 wurde dem Cabinet Committee on Land Settlement der Abschlußbericht über die Ansiedlung von Kriegsheimkehrern vorgelegt. Insgesamt hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt 1.284 ehemalige Soldaten um Land in Schottland beworben, das ihnen nach dem neuen Gesetz zur Verfügung gestellt werden sollte. Finanzielle Mittel in Höhe von über f2,4 Millionen waren dafür bereitgestellt worden. Der Bericht schätzte ein, daß die Gesamtzahl der Kriegsheimkehrer, die sich um Land bemühen würden, bei 7.220 liegen würde, von denen 1.000 bestehende Besitzungen lediglich vergrößern wollten. Außerdem wurde geschätzt, daß etwa 500 Antragsteller Kriegsbeschädigte seien?21 Bis zum Sommer 1921 waren 719 Kriegsheimkehrer in Schottland Neusiedler auf "small holdings", wovon 58 ihren Landbesitz lediglich erweitert hatten, wie Schottlandminister Munro dem Unterhaus mitzuteilen wußte.322 Auch in den Jahren danach konnten ein Großteil der Bewerber nicht befriedigt werden. Zwischen 1919 und März 1925 wurden insgesamt 2.050 neue "small holdings" errichtet. Fast 7.000 Anträge blieben bis zu diesem Zeitpunkt unberücksichtigt. 323 Für England und Wales hingegen ließ es sich die Regierung nicht nehmen, das Ansiedlungsprogramm als einen Erfolg darzustellen. Anfang März 1920 präsentierte das Landwirtschaftsministerium dem Unterhaus die bisherigen Ergebnisse der ländlichen Ansiedlung. Von etwa 31.000 Kriegsheimkehrern lägen Bewerbungen für "small holdings" vor, weitere 11.000 von "Zivilisten". Von den Kriegsheimkehrern wurden bereits 18.000 als "geeignet" vom Landwirtschaftsministerium eingestuft. Im Bewußtsein, keine schlechten Ergebnisse mit diesen Zahlen vor319 PRO, ZHC 2/626, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 117, 6. vol. of session 1919, 24. Juni 1919, col. 15. 320 PRO, ZHC 2/630, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 121, 10. vol. of session 1919, 18. November 1919, col. 798. 321 PRO, CAB 27/104, BI. 2-8: Final Report on the Land Settlement of ex-service men in Scotland, 25. November 1920, hier BI. 2 f. Der Bericht schätzte ebenfalls ein, daß sich zusätzlich 3.000 "Zivile", um ein "small holding" und 3.500 um eine Vergrößerung ihres bestehenden Besitzes bewerben würden. Vgl. auch Leneman, S. 25-27. 322 PRO, ZHC 2/655, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 146, 9. vol. of session 1921,9. August 1921, col. 212. 323 V gl. Leneman, S. 37 f.

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III. Wohnen nach dem Krieg

gelegt zu haben, folgte die Bekanntgabe, daß 4.334 Kriegsheimkehrer auf Farmen und "small holdings" bisher angesiedelt werden konnten.324 In regelmäßigen Abständen wurde das Unterhaus über den Fortgang der Ansiedlung unterrichtet. Ende März 1920 waren fast 5.000 Kriegsheimkehrer in Siedlungsprogrammen der ländlichen Lokalverwaltungen bzw. auf Farmen des Landwirtschaftsministeriums angesiedelt. 325 Bis zum Mai 1920 waren die Bewerberzahlen auf über 37.000 gestiegen, von denen mehr als die Hälfte nach Meinung des Landwirtschaftsministeriums als befähigt galt, ein "small holding" zu übernehmen. Von den 7.413 Personen, die bisher angesiedelt wurden, waren 6.178 Kriegsheimkehrer.326 Im selben Monat erklärte der Vertreter des Landwirtschaftsministeriums, Boscawen, vor dem Parlament die Politik der Regierung in Bezug auf die Ansiedlung. Es seinen zahlreiche Bewerber unter den Kriegsheimkehrem, die bereit und willens waren, am Ansiedlungsprogramm teilzunehmen. Deshalb würde die Regierung nicht aufhören, Land zu erwerben, das sie für die Ansiedlung bereitstellen würde, bis "we have carried out our promise to every one of those approved ex-service men".327 Die Zahl der Bewerber und die Zahl derer, die bereits Land erhalten hatten und angesiedelt wurden, stieg stetig und begründete die Ausgabenpolitik der Regierung. Monatlich gingen jetzt 1.500 neue Anträge ein; 80% der Antragsteller wurden als für die Ansiedlung befähigt eingestuft. Die Kosten würden, blieb das Tempo bestehen, auf jährlich f:12 Millionen steigen, wie im Juni 1920 von Seiten der Regierung eingeschätzt wurde. 14.000 Menschen wurden seit 1919 auf den Land angesiedelt, bzw. es wurde Land für ihre Ansiedlung erworben; weitere 8.500 warteten auf eine Zuteilung. Solch ein Erfolg war zu viel und zu teuer. Die ländlichen Lokalverwaltungen sollten zukünftig angehalten werden, keine neuen "small holdings" für zivile Bewerber zur Verfügung zu stellen. Ebenso sollte Anwärtern, die "overseas" gedient hatten, Vorrang vor jenen gegeben werden, die während des Krieges in Großbritannien stationiert waren. Wenn "ökonomisch möglich", sollten die verbliebenen 8.500 Bewerber für eine Ansiedlung noch berücksichtigt werden. 328 Vom Ende des Programms zu sprechen wagte man noch nicht, aber die Limitierung im Sommer 1920 deutete es bereits an.

324 PRO, ZHC 2/635, Par1iamentary Debates. Officia1 Report, Vol. 126, 2. vol. of session 1920, 9. März 1920, col. 1136. 325 PRO, ZHC 2/636, Par1iamentary Debates. Officia1 Report, Vol. 127, 3. vol. of session 1920, 25. März 1920, col. 583. 326 PRO, ZHC 2/638, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 129, 5. vol. of session 1920, 10. Mai 1920, col. 56 f. 327 PRO, ZHC 2/637, Parliamentary Debates. Officia1 Report, Vol. 128, 4. vol. of session 1920, 4. Mai 1920, col. 2025 f. 328 PRO, CAB 23/21, BI. 265-291 : Conclusion of a meeting of the Cabinet, 24. Juni 1920, hier BI. 272 f.

2. Großbritannien

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Vorerst gingen die Erfolgsmeldungen aber weiter. Boscawen präsentierte in unregelmäßigen, aber kurzen Abständen die Ansiedlungsstatistiken. Im Juli 1920 waren 6.642 Kriegsheimkehrer, im Oktober 8.314, im November 9.042 und im Dezember 9.408 angesiedelt worden. Die durchschnittliche Größe der "small holdings" war mit 15 Morgen größer, als das nach der Stichprobe in Frankreich zu erwarten gewesen war? 29 Trotz der hohen Kosten, die Ausgaben allein für etwa 220.000 von 260.000 bis Herbst 1920 angekaufte Morgen Land beliefen sich auf ±:9,3 Millionen 330, wurde das Programm 1921 weitergeführt. Die Zahl der Bewerber, über 43.000 zum Jahresende 1920, begründete vorerst mühelos die Fortsetzung der ,,Zurück-aufs-Land"-Maßnahmen. Bis August 1921 waren insgesamt 11.827 Menschen, von denen 10.525 Kriegsheimkehrer waren, in England und Wales angesiedelt worden. Doch die Zahl der Bewerber war nun nach unten korrigiert worden, nicht zuletzt um den Erfüllungsdruck zu senken. Nur noch knapp 15.000 Bewerber auf ein "small holding" waren im Sommer 1921 registriert. Auch waren die Zahlen der an der landwirtschaftlichen Ausbildung Teilnehmenden und der danach tatsächlich in der Landwirtschaft Beschäftigten ernüchternd. Von den knapp 5.000 Männern, Frauen waren selten, welche die Kurse des Landwirtschaftsministeriums durchlaufen hatten, fanden 1.777 in der Landwirtschaft Arbeit bzw. betrieben eine selbständige Wirtschaft. 331 Im Sommer 1921 verloren gegebene Ehrenwörter ihren Wert bzw. diejenigen, die sie zu Kriegsende abgeben hatten, wähnten sich in der Position, ihre Versprechen erfüllt zu haben. Lloyd George hatte im Dezember 1918 erklärte, daß er die ländlichen Ansiedlung für ein "glückliches Streben" halte, das sowohl von den Kriegsheimkehrern als auch dem Staat geteilt würde. Wie es sich für eine Wahlkampfrede gehörte, versprach der Premierminister dafür viel öffentliches Geld zur Verfügung zu stellen. 332 Zwei Jahre danach waren von den versprochenen ±:20 Millionen 80% ausgegeben. Die Formel "Jeder, der dazu in der Lage ist" war auf unter 20.000 Neuansiedlungen in England, Wales und Schottland beschränkt worden. Vor dem Unterhaus präsentierte Lloyd George das Ansiedlungsprogramm trotzdem als einen Erfolg. Über 10.000 Kriegsheimkehrer waren in zwei Jahren angesiedelt worden, 8.000 weitere warteten und folgten, sobald die Schwierigkeiten beim Lan329 Vgl. ZHC 2/640, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 131, 7. vol. of session 1920, 1. Juli 1920, col. 693; ZHC 2/642, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 133, 9. vol. of session 1920, 21. Oktober 1920, col. 1106 f. ; ZHC 2/643, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 134, 10. vol. of session 1920, 15. November 1920, col. 1527 f.; ZHC 2/ 644, Parliarnentary Debates. Official Report, Vol. 135, 11. vol. of session 1920, 2. Dezember 1920, col. 1743. 330 PRO, ZHC 2/642, Parliarnentary Debates. Official Report, Vol. 133, 9. vol. of session 1920, 21. Oktober 1920, col. 1106 f. 331 PRO, ZHC 2/655, Parliarnentary Debates. Official Report, Vol. 136, 12. vol. of session 1921, 10. August 1921, col. 427. Zwischenzeitlich wurden die Zahlen der angesiedelten Kriegsheimkehrer höher angegeben. 332 PRO, CAB 27 I 104, BI. 11 - 26a: Interim Report on the Land Settlement of ex-service men in England and Wales, 1. Oktober 1920, hier BI. 12.

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derwerb, bei der Ausbildung und der Bereitstellung von Wohn- und Nutzgebäuden beseitigt sein würden. Diese Zahlen bewiesen, so Lloyd George, welchen Stellenwert die Regierung der ländlichen Ansiedlung beimessen würde, und daß sie ihr Versprechen von 1918 gehalten hätte. Nach seinen Angaben wurden seit Kriegsende mit Unterstützung des Staates mehr Menschen auf dem Lande angesiedelt als in den 30 Jahren davor? 33 Doch sowohl die Angriffe der "anti-wasters" im Parlament als auch die ökonomische Lage in der Landwirtschaft setzten dem Ehrgeiz des Ansiedlungsprogramms Grenzen. Mit Fragen, wie hoch der jährliche Verlust des Staates für das "nationale Experiment" ländliche Siedlung sei, geriet 1922 nach dem Wohnungsbauprogramm auch das Ansiedlungsprogramm unter noch stärkeren Druck. Die durchschnittlichen Aufwendungen von ±:824 je Siedler waren erheblich mehr, als für ein "Experiment" zur Vermeidung von "Unruhen" in den ländlichen Regionen ausgegeben werden wollte. 334 Der anhaltende Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte und die schlechte Ernte, bedingt durch die Trockenheit des Jahres 1921, traf zudem viele "Neusiedler" empfindlich. Ihre schlechte wirtschaftliche Lage beförderte die steigende Zurliekhaltung bei der Fortsetzung der staatlich geförderten, ländlichen Ansiedlung. 335 Die abschließende Einschätzung des Landwirtschaftsministeriums 1923 über den Erfolg der Ansiedlung von Kriegsheimkehrern blieb verhalten, aber zuversichtlich. Seit dem Waffenstillstand waren 18.960 Kriegsheimkehrer angesiedelt worden. Über 6.000 von ihnen wurde ein Wohnhaus bzw. eine Wohnung von den Lokalverwaltungen oder dem Landwirtschaftsministerium zur Verfügung gestellt. Nur etwa 6,5 % der Neusiedler (1.226) hatten ihr "small holding" wieder verlassen, unberiicksichtigt derer, die verstarben oder aus nicht näher benannten "persönlichen Griinden" die Ansiedlung aufgegeben hatten. Zum Vergleich wurden die Zahlen von 1908 bis 1914 herangezogen. In diesem Zeitraum waren auf Betreiben der County Councils etwa 14.000 Neusiedler mit einem "small holding" ausgestattet worden, von denen in dieser Zeit 4% ihre Besitzung wieder verlassen hatten? 36 Die Neusiedler hätten einen Gutteil ihrer eigenen Ersparnisse, die sie in ihre "small holdings" investierten, verloren. Die infolge dieser "schwachen Position" durchgesetzte Erniedrigung der Pachtzahlungen würde, wie im Bericht einge333 PRO, ZHC 2/643, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 134, 10. vol. of session 1920, 8. November 1920, col. 839 - 841, hier 840 f. Vgl. auch CAB 27/104, BI. 11- 26a: Interim Report on the Land Settlement of ex-service men in England and Wales, l. Oktober 1920, hier BI. 10-15. 334 PRO, ZHC 2/659, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 150, l. vol. ofsession 1922, 22. Februar 1922, col. 1921 f. 335 Vgl. PRO, ZHC 2/665, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 156, 7. vol. of session 1922, 17. Juli 1922, col. 1714 f. 336 V gl. PRO, MAF 48/58, ohne Bl.-Nr.: Ministry of Agriculture and Fisheries, Report on the Present Position and Future Prospects of Ex-Service Men settled on the Land in England and Wales, London 1923.

2. Großbritannien

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schätzt, von den Siedlern aber begrüßt und sei die Grundlage, für den weiteren "Erfolg ihrer Unternehmung". Es wurde betont, daß sich die Einstellung vieler Neusiedler dahingehend geändert hätte, daß sie den Staat und die Lokalbehörden nicht mehr als "Pflegeeltern" ansehen würden, wie sie es noch taten als sie "fresh from the Forces" kamen. Sie seien nun der Überzeugung, daß nicht die Regierung im Notfall einspringen würde, sondern daß allein ihr Tun über Erfolg und Mißerfolg der Siedlungstätigkeit entschied: "Witb tbe hard times this attitude has to a very 1arge extent disappeared. The men have come to realise tbat their success or failure depended primarily on themselves... ". 337

Während The Ex-Service Man 1919 noch die ländliche Ansiedlung intensiv verfolgte und dafür warb, war spätestens ab 1920 ein zweites Programm für Kriegsheimkehrer von Interesse, das Ansiedlung und ein "neues Britannien" fern des alten Großbritanniens versprach, die "assisted emigration". Im April 1919 karikierte die Zeitschrift "Nobby's awakening", indem sie den Erkenntnisprozeß eines Kriegsheimkehrers vom nichtstuerischen "Bessere-Leute-Dasein" hin zum stolzen Besitzer eines "small holdings" nachzeichnete. 338 Kurze Zeit später zeigte ihr Titelbild eine Alternative: Ein Mann, am Revers ein Silver Badge, das ihn als Kriegsteilnehmer ausweist, schaut, mit einem Bündel in der Hand, auf auslaufende Schiffe, während hinter ihm die Fabrikschonsteine einer Stadt düster qualmen. 339 Bereits im Krieg waren die Vorbereitung für ein "befördertes" Auswanderungsprogramm für demobilisierte Kriegsteilnehmer in die Dominions angelaufen. Diese Strategie verfolgte u. a., wenn in Großbritannien selbst der staatliche Wohnungsbau und die ländliche Ansiedlung die Wohnungsfrage nicht ausreichend zu lösen vermochten, durch Auswanderung einen Gutteil der Kriegsheimkehrer mit der Perspektive einer "neuen Heimat" zu "befriedigen". Als "vertraulichen Bericht" führte das Reconstruction Committee die Bemerkungen von J. L. Hammond, der im Februar 1917 eine Vortragsreise durch Frankreich gemacht hatte. Neben seinen Lesungen hatte der Autor des Viilage Labourers Gelegenheit, mit Soldaten und Offiziellen der Young Men's Christian Association (YMCA), die für verschiedene soziale Aktivitäten an der Front und in der Etappe verantwortlich zeichnete, über ihre Einstellungen und Erwartungen zu reden. Einer . der Mitarbeiter des YMCA äußerte danach, daß die heimkehrenden Kriegsteilnehmer ein "gutes Leben" erwarteten, und wenn sie sich dieses zu Hause nicht erfüllen könnten, würden sie "woandershin" gehen. Durch den Kontakt mit Soldaten aus den Kolonien und Dominions sei das Verlangen nach Auswanderung gewachsen: Ebenda. Vgl. The Ex-Service Man vom 3. April 1919, S. 235. Vgl. auch ebenda vom 27. Februar, 6., 13., 10., 27. März, 3., 10., 17., 24. April 1919, 8. Mai, 14. Juni, 12., 19. Juli, 16. August, 6. September 1919. 339 Ebenda vom 1. Mai 1920. 337 338

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III. Wohnen nach dem Krieg

"[T]here were thousands of keen and vigorous man who were thinking of emigration, not because they wanted to leave England, but because they despaired of getting what they wanted at home. " 340

Innerhalb der Regierung waren verschiedene Ministerien mit strategischen Vorbereitungen der Auswanderung von Kriegsteilnehmern nach dem Krieg betraut. Im Reconstruction Committee bzw. Ministry liefen die Fäden zusammen. Vaughan Nash, Sekretär des ersten Reconstruction Committees, thematisierte die Auswanderung erstmals im Sommer 1916, als er an zahlreiche Ministerien ein Rundschreiben verschickte und um entsprechende Stellungnahmen bat. Darin wurde der Meinung Nachdruck verliehen, daß nach dem Krieg mit der Auswanderung von Kriegsheimkehrern zu rechnen sei. Auch wenn vordergründig von Seiten des Staates versucht werden sollte, eine wie auch immer geartete "Wiederansiedlung" in Großbritannien zu ermöglichen, würde eine Auswanderung stattfinden. Diese müßte aber gesteuert werden, so Nash abschließend, um sicherzustellen, "that this has to take place within the Empire". 341 Eine Auswanderung war deshalb nach Kanada, Südafrika, Australien und Neuseeland bzw. in die afrikanischen Kolonien vorgesehen. Doch wurde der Plan im folgenden Jahr nicht weiter verfolgt. Mit den Vorbereitungen zur Unterstützung der ländlichen Ansiedlung in England und Schottland seit 1917 hatte die Regierung die Freipassagen für Kriegsheimkehrer nach Übersee als Strategie zu den Akten gelegt. 342 Erst im Verlauf des Jahres 1918 fand das Programm äußerst verhalten Eingang in die parlamentarischen Debatten und die Diskussionen des Kriegskabinetts. Im Frühjahr 1918 waren Flugblätter in Umlauf gebracht worden, auf denen zu lesen war, daß die Regierung die Auswanderung von Kriegsteilnehmern aus England, Wales und Schottland mit bis zu f500 pro Person fördern würde. Doch die Antwort auf die Anfrage im Unterhaus, ob dies stimmte, fiel negativ aus. Die Regierung hatte mit dem Merkblatt, welches vom Royal Colonial Institute, das sich seit 1915 für eine solches Projekt stark machte, nichts zu tun, wie das Colonial Office mitteilte. Eine finanzielle Unterstützung würde in einem zukünftigen, bereits in Arbeit befindlichen Gesetz geregelt. 343 Ende November 1918 legte das Arbeitsministerium erste Richtlinien vor, wie die Bewerber um eine Schiffspassage nach Übersee zu behandeln und zu unterstüt340 PRO, RECO 1/685, ohne Bl.-Nr.: Confidential paper, report on a visit to France. Vgl. auch PRO, RECO 1/837, ohne Bl.-Nr.: Report by Mr. J. L. Harnmondon his visit to the camps and YMCA at home. 341 PRO, RECO 11697, ohne Bl.-Nr.: Schreiben Vaughan Nashs an das Board of Agriculture and Fishery, Board of Trade, Colonial Office, Horne Office, LGB, Scottish Office, War Office vom 11. August 1916. 342 Vgl. Fedorowich, Kent, The assisted emigration of British ex-servicemen to the dominions, 1914-1922, in: Constantine, Stephen (Ed.), Emigrants and Empire. British Settlement in the Dominions between the Wars, Manchester 1990, S. 45-71, hier S. 51 f. 343 PRO, ZHC 2/613, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 104, 2. vol. of session 1918, 18. März 1918, col. 653 f.

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zen seien. Das Papier, das wenige Tage danach vom Kriegskabinett beraten wurde, machte deutlich, daß die britische Regierung die Auswanderung nur als eine Ausnahme und auf eine kurze Zeit nach dem Krieg zu befristende Maßnahme akzeptieren würde. Die Kriegsheimkehrer sollten "as a matter of patriotism" im Mutterland bleiben und die Stellen der Gefallenen einnehmen. Wenn einer von ihnen doch in die Dominions gehen wollte, "no cheap or special facilities should be given to him". 344 Aber unter Berücksichtigung der "Erwartungen an der Front", daß der Staat eine seit Anfang des 19. Jahrhunderts gängige Ansiedlung von Kriegsteilnehmern in den Kolonien förderte 345 , legte die Regierung schließlich ein Programm zur Inanspruchnahme von Freipassagen für die "Helden des Krieges" auf. Im Januar 1919 wurde das staatliche Overseas Settlement Committee gegründet, welches das ursprünglich für ein Jahr angelegte Programm plante und koordinierte. Hier konnten sich Kriegsheimkehrer über Auswanderungsziele, die Bedingungen des Programms und zukünftige Beschäftigungsmöglichkeiten informieren. 346 Obwohl der offizielle Start der 1. Januar 1920 sein sollte, wanderten bereits ab April 1919 die ersten Kriegsheimkehrer und ihre Familien "assisted" vor allem nach Kanada und Australien aus. Freie Schiffspassagen wurden an Kriegsheimkehrer, ehemalige weibliche Armeeangehörige, Kriegswitwen und -waisen vergeben. Die Einsprüche des Schatzkanzlers über die hohen Kosten, es wurde von einer Belastung für den Staat in Höhe von f6 Millionen gesprochen, blieben angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit seit Ende 1920 und der Aussicht, dieser durch Auswanderung entfliehen zu können, nahezu folgenlos. Das Programm wurde um ein weiteres Jahr bis zur Einführung des Empire Settlement Act 1922 verlängert. 347 Bis Ende Januar 1921 wurden auf der Grundlage des Overseas Settlement scheme insgesamt 42.580 "free passage voucher" ausgestellt, davon 16.776 nach Kanada, 12.912 nach Australien, 7.889 nach Neuseeland, 3.277 nach Südafrika, 43 344 PRO, RECO 1 I 854, ohne Bl.-Nr.: Note by the Minister of Labour, G. H. Roberts, 29. November 1918. PRO, CAB 27 I 41, BI. 27-28: Minute of a meeting of the War Cabinet, Dezember 1918. Vgl. Fedorowich, The assisted emigration of British ex-servicemen to the dominions, 1914-1922, S. 46; Roe, Michael, Australia, Britain, and Migration, 1915- 1940, Cambridge 1995, S. 11 f. 345 Vgl. Fedorowich, The assisted emigration of British ex-servicemen to the dominions, S. 47. 346 Vgl. ebenda, S. 57. 347 Vgl. ebenda, S. 45 und 56 f. Nach dem Empire Settlement Act vom 31. Mai 1922 sollten in den folgenden zehn Jahren f:30 Millionen zum Zweck der Auswanderung bereitgestellt werden, unter der Voraussetzung, daß jeweils die Hälfte von den Regierungen der Dominions oder von örtlichen bzw. privaten Organisationen in England, Wales und Schottland übernommen würde. Im Mai 1932 wurde der Bericht des Committee on Empire Migration vorgelegt, wonach bis zum 31. März 1931 ca. f6 Millionen der zur Verfügung stehenden Mittel ausgegeben wurden. Damit waren etwa 400.000 Menschen aus England, Wales und Schottland in den Dominions angesiedelt worden. Vgl. Henoch, Hubert, Die geringen Erfolge der britischen Auswanderpolitik, in: Reichsarbeitsblatt II, 1932, Nichtamtlicher Teil, S. II 342 -343.

23 Koinzer

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III. Wohnen nach dem Krieg

nach Neufundland, 376 nach Rhodesien, 526 nach Kenia und 781 "to other parts of the Empire". Die Mehrzahl der Auswanderer, so die Mitteilung an das Unterhaus im Februar 1921, hatte ihre Reise bereits angetreten, nur im Fall Neuseeland gäbe es "Transportproblem". 348 Die Zahl der Bewerber wurde einen Monat später mit 75.522 Personen angegeben, von denen 25.491 mit ihren Familien, zusammen 45.587 Menschen, bereits im Besitz der Schiffspassage bzw. auf dem Weg nach Übersee waren.349 Im November 1921 lag allein die Zahl der Kriegsheimkehrer, die sich um eine freie Passage beworben hatten, bei 35.000. Zusammen mit ihren Angehörigen war die Zahl der Auswanderer damit auf 60.000 gestiegen. Mit 25.000 bzw. 20.000 Auswandern waren Kanada und Australien die Länder, für welche die meisten Freipassagen ausgestellt wurden, gefolgt von Neuseeland (10.000) und Südafrika (5.000). Die durchschnittlichen Kosten einer Überfahrt beliefen sich auf ±:26. 350 Insgesamt nutzen mehr als 86.000 Menschen das Programm, von denen in Australien 37.576 (43,7%), in Kanada 26.905 (31 ,3%), in Neuseeland 13.349 (15,5%) und in Südafrika 6.064 (7%) angesiedelt wurden. Die Reaktion der Dominions und Kolonien auf das Programm der Londoner Regierung fiel unterschiedlich aus, waren sie doch teilweise mit eigenen Programmen zur Ansiedlung ihrer Kriegsheimkehrer ausreichend beschäftigt. So zeigte sich die südafrikanische Verwaltung eher unwillig, und Kanada verlangte ein Guthaben von ±:200, das jeder Zuwanderer bei der Abreise aus Großbritannien nachweisen mußte. 351 War das Programm eine Erfolg oder ein Fehlschlag? Kent Fedorowich schätzte ein, daß die "Architekten" der Freipassagen es als einen "gewaltigen Erfolg" angesehen hatten, Zehntausende in wenigen Jahren mit staatlicher Hilfe die Auswanderung in eine "neue Heimat" ermöglicht zu haben. Mehr als 86.000 Menschen, 12% sämtlicher Auswanderer, waren für ±:2,4 Millionen zwischen April 1919 und März 1923 "verschifft" worden. Nicht alle Bewerber hatten berücksichtigt werden können. Die ungenügende Zahl an Schiffen in den ersten 18 Monaten des Programms und die Nachkriegsdepression der Jahre 1920 bis 1922 in Großbritannien und den 348 PRO, ZHC 2 I 647, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 138, I. vol. of session 1921, 28. Februar 1921, col. 1436. Vgl. auch Ward, Stephen R., Great Britain: Land fit for heroes lost, S. 22. 349 PRO, ZHC 2 I 648, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 139, 2. vol. of session 1921, 21. März 1921, col. 2248. 350 PRO, ZHC 21656, Parliamentary Debates. Official Report, Vol. 147, 10. vol. ofsession 1921, 2. November 1921, col. 1771 f. Vgl. auch BarchB, R 1501 I 1634, BI. 129 - 132: Abschrift eines Schreibens des Deutschen Konsulates in Glasgow an des Auswärtige Amt vom 29. Mai 1923 betr. die englische Auswanderungspolitik. Zur deutschen Auswanderung nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Rößler; Horst, Massenexodus, in: Bade, Klaus J. (Hrsg.), Deutsche im Ausland- Fremde in Deutschland, München 1992, S. 148-157, besonders S. 149; Voigt, Johannes H., Deutsche in Australien und Neuseeland, in: Ebenda, S. 215-230, besonders s. 227. 351 Fedorowich, The assisted emigration of British ex-servicemen to the dominions, S. 57-64. Die verbliebenen 2,5% Auswanderer siedelten u. a. in Kenia und Tansania.

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Dominions hemmten den Willen und die Möglichkeiten einer weitergehenden Unterstützung der Auswanderer auf der einen oder anderen Seite. Es waren die "neomerkantilen Gründe", so Fedorowich, die hinter dem Programm standen. Die Aussicht auf ein "neues" Leben, Arbeit und nicht zuletzt Wohnen, durch die Auswanderung nicht nur rhetorisch sondern auch physisch fern des "alten" Britanniens, entpuppte sich vor allem als Versuch der britischen Regierung, die kolonialen Beziehungen zu stabilisieren. Die landwirtschaftliche Siedlung in den Dominions und die Schaffung einer "imperialen Freibauernschaft" (yeomanry) würden, so hoffte man, die Verteidigung des Weltreiches fördern und den Absatzmarkt für britische Güter sichern. 352 Die ländliche Ansiedlung in Großbritannien sowie in den Dominions und Kolonien war ein Teil der Politik, die den Kriegsheimkehrern und ihren Angehörigen ein "neues" Wohnen in einer "neue" Gesellschaft offerierte. Sie war als fester Bestandteil zur Begründung einer "neuen und dynamischen Nachkriegsgesellschaft" nicht nur in England, Schottland und Wales sondern im gesamten Empire geplant.353 Die gesellschaftliche "Dynamik", der sich die Kriegsheimkehrer ausgesetzt sahen, ließ wenig Spielraum, die Versprechen der Kriegs- und Nachkriegszeit einzufordern. Die Rückkehr zur "Normalität der Vorkriegszeit" hatte nun auch jene eingeholt, die den politischen Versprechen und Programmen bei der Errichtung des "neuen Britanniens" Bedeutung beimaßen. Wohnungsbau-, Ansiedlungs- und Auswanderungsprogramme waren begonnen worden und an der ökonomischen Last, welche die britische Politik und Gesellschaft nach den kurzen Jahren der Nachkriegszeit nicht bereit war aufzubringen, gescheitert. Die postulierte "revolutionäre Bedrohung" durch die Kriegsheimkehrer war spätestens mit dem kontrollierten Zusammenschluß der Kriegsteilnehmerorganisationen zur British Legion 1921 verflogen. Ihre Tätigkeit war vor allem von der Einforderung staatlicher, finanzieller Folgeleistungen für den Kriegsdienst geprägt, durch die Errichtung von lokalen Klubs und die Unterstützung von Kriegsheimkehrer bei der Stellensuche. 354 Die Probleme, denen sich die Kriegsheimkehrer im Nachkriegsbritannien ausgesetzt sahen, waren vielfältig. The Ex-Service Man karikierte diese einprägsam. Ein Kriegsheimkehrer mit Stock, den Hut hat er "wie ein Bettler" neben sich liegen, mit der Hand faßt er sich nachdenklich, verzweifelt schon an die Stirn, steht auf dem englischen "Heimatboden". Umgeben sieht er sich von seinen Problemen im "Land for Heroes". Eingezäunt vom Stacheldraht der neuen Fronten zu Hause, wie "hohe Preise", "Arbeitslosigkeit" und "Wohnungsfrage", sucht er nach einer Lösung für diese Probleme. Der Zeichner fand sie. Sein Ratschlag als Bildunterschrift war simpel und komplex: "Gesucht- Ein Panzer!". 355 Die Verheißung "The Land 352 353 354 355

23*

Ebenda, S. 66. Fedorowich, Kent, Unfit for heroes, Manchester 1995, S. l. Zur Tatigkeit der British Legion vgl. LHC, Hami1ton Papers, 29 I 2 und 29 I 4. The Ex-Service Man vom 21. Februar 1920, S. 9.

356

III. Wohnen nach dem Krieg

for Heroes", in der Zeichnung auf eine Tafel geschrieben und in den Boden des westlichsten Zipfels Englands gerammt, war ein Jahr nach dem gegebenen Versprechen verflogen. "The Land for Heroes" hatte, abgesehen von der Nichtgewährleistung ausreichender Beschäftigungsmöglichkeiten für die "Helden des Krieges", in dem politisch zugesichertem Zeitraum keine "Hornes for Heroes" geschaffen, noch schuf es solche in den Folgejahren. Die Kriegsheimkehrer waren 1920 I 21 wieder Teil der "normalen" Bevölkerung, und "heldenhaft" war schließlich die gesamte Nation, die den Krieg gewonnen hatte. Für General lan Hamilton, der maßgeblich an der Griindung der British Legion mitwirkte, waren die "Hornes for Heroes" nichts weiter als eine "fatale Phrase". Wahrend einer Rede zur Einweihung eines Klubs der Legion in London im Friihjahr 1924 "erlaubte" er sich deshalb, das "melancholische Wort" von der Auswanderung im Munde zu führen. Ihn selbst lasse London nicht los, er sei zu alt und die Stadt halte ihn wie ein "Tintenfisch eine Strandschnecke". Aber den "jung vermählten Paaren" riet er, dorthin zu gehen, wo die "gesündesten Kinder" mit den "rosigsten Wangen" aufwüchsen, im Süden von Neuseeland und an der Pazifikküste von Kanada. Ohne nationalen, die Gemeinschaft und das Vaterland beschwörenden Pathos beendete Rarnilton seine Rede mit der Betonung des individuellen Glücks: "Those are the places ... to make for because perfect energy and perfect health are worth a great deal more than rubies." 356

Rarnilton sprach als ehemaliger Soldat zu ehemaligen Soldaten. Die Hervorhebung individueller Orientierungen bei der Lebensplanung rekurriert nicht mehr auf eine verantwortliche Gemeinschaft, die der Krieg "zusammengeschweißt" zu haben schien und die sich, den gesellschaftlichen Problemen bewußt geworden war. Die metapherhaften "Rubine" erwartete der einzelne fünf Jahre nach dem Krieg nicht mehr von einer "normalisierten" Gesellschaft, sondern, wenn er sie erreichen wollte, mußte er sie sich (wieder) selbst erkämpfen. Die Empfehlungen, was anstelle der Edelsteine erstrebenswerter sei, war ebenso eindeutig: Konnte der Einzelne sein "persönliches Glück" nicht in England, Wales oder Schottland finden, so sollte er dorthin gehen, wo er dies statt dessen vermag. Auf staatliche Unterstützung konnte und sollte er dabei nicht vertrauen. Daß die britischen Kriegsheimkehrer als Kriegsheimkehrer erwartet hatten, mit "neuen Häusern" nach dem Krieg "belohnt" zu werden, verneinte Stephen R. Ward, als er das Nachkriegsgroßbritannien als "Land fit for heroes lost" beschrieb.357 Die Kriegsheimkehrer waren diejenigen, welche die "Rückkehr zur Normalität" im Krieg eingefordert hatten. Die Politiker, getrieben von einer Mischung aus sozialer Verantwortung und "bolschewistischer Bedrohung", gaben ih356 LHC, Rarnilton Papers, 39/12/98, ohne Bl.-Nr.: Hamiliton speech at the opening of the British Legion Club, 29. März 1924. 357 Vgl. Ward, Stephen R., Great Britain: Land fit for heroes lost, S. 35.

3. Wohnungs- und Siedlungspolitik nach dem Krieg

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nen die Vision, in eine "bessere Normalität" zurückkehren zu können. An die Versprechen geglaubt zu haben oder nicht, waren die Kriegsheimkehrer seit 1919 zurück in der "Normalität", deren Besserung ihnen selbst überlassen wurde. Denen, die hofften, daß der Krieg sie durch ihren Dienst für "King and Country" "erhoben" hatte, war der Spruch, den The Ex-Service Man auf der ersten Seite trug, ein schwachen Trost und eine "normale Erklärung": "When troubles rise and the War is nigh, God and the Soldier is the cry. When war is o'er and the troubles righted, God is forgotten and the soldier slighted. Traditiona1.'.358

Das "Ignorieren" der Kriegsheimkehrer war Ausdruck der Rückkehr zur "Normalität" einer Gesellschaft, die keiner "Helden" mehr bedurfte. Diese hatten ihren Teil getan, waren Teil eines ,,heldenhaften" Ganzen im Krieg und nach dem Krieg wieder Teil des "normalen" Ganzen. "Traditional."

3. Wohnungs- und Siedlungspolitik, Wohnungsbau und ländliche Ansiedlung nach dem Krieg Gemeinsamkeiten und Unterschiede "Übergangszeit" und "Wiederaufbau" waren die Leitbegriffe staatlichen Handeins in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland und Großbritannien. Zur schnellen Wiederherstellung des Vorkriegsstandards im Wohnungswesen plante der Staat in beiden Ländern Eingriffe in den Markt im Krieg, und setzte sie nach dem Krieg mit der Absicht durch, sobald es die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse erlaubten, sich wieder zurückziehen zu können. Diese Annahme war ein Trugschluß. Das ohnehin schon beschädigte Bild vom funktionierenden Wohnungsmarkt in der Zeit vor dem Krieg war durch den fast vollständigen Ausfall des Wohnungsbaus während des Krieges in einer Weise in Mittleidenschaft gezogen worden, daß der Staat sich als Restaurateur und Neuschöpfer betätigen mußte. An einen schnellen Rückzug war angesichts Hunderttausender fehlender Wohnungen und innerstädtischer Elendsquartiere nicht zu denken. Mit der Verabschiedung von Wohnungsgesetzen 1918 und 1919 nahmen in Deutschland die Bundesstaaten, hier besonders Preußen, und in Großbritannien die Zentralregierung in London zögerlich und unvollständig die Herausforderung an, um der marktwirtschaftlichen, obskur gewordenen, aber nie abgelehnten Lösung der Wohnungsfrage eine staatliche Flankierung zu geben. Vorbereitet und ausgiebig begleitet wurde diese durch das Wirken der Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformer innerhalb und außerhalb staatlicher Entscheidungsebenen, in Kommissionen und Ausschüssen, mit vielhundertseitigen Berichten, mit Reden und Massenveranstaltungen. 358

The Ex -Service Man stellte nach llO Wochen im Dezember 1920 sein Erscheinen ein.

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III. Wohnen nach dem Krieg

Dem Staat blieb in beiden Ländern eine dauerhafte Übernahme wohnungswirtschaftlicher Verantwortung aus verschiedenen Gründen nicht erspart. In Großbritannien war diese Verantwortung einerseits aus der sozialen Verpflichtung sozialdemokratischer und liberaler Politiker gegenüber der Arbeiterklasse, den unteren Mittelschichten und jenen erwachsen, die in den Städten und auf dem Land in Wohnungen lebten, die "unfit for human habitation" waren. Andererseits war es eine parteiübergreifende Verantwortung für die Bewahrung des Status Quo, die auch die Konservativen zur Intervention in den Wohnungsmarkt bewegte, um die Wohnungsfrage als Quelle ,,revolutionärer Unruhen" auszuschalten. Als diese Angst verflogen war, waren sie die ersten, welche die staatlichen Maßnahmen im Wohnungswesen aussetzten und den Staat der "Verschwendung" bezichtigten. In Deutschland war das revolutionsbeeinflussende Potential der Wohnungsfrage zwar politisch vielstimmig beschworen worden, doch die Revolution zu verhindern, vermochten auch die wohnungspolitischen Versprechen der kaiserlichen und vor allem der preußischen Regierung in den letzten Kriegswochen nicht. Vielmehr beschränkte sich hier die Wohnungspolitik bis zur Inflation auf die Verwaltung des Mangels und Wohnungsnotbaumaßnahmen, die aber bis 1923 zur Schaffung von wesentlich mehr Wohnungen führten als im gleichen Zeitraum in Großbritannien im "nationalen Wohnungsbauprogramm" entstanden waren. Beide "Programme" wurden durch umfangreiche finanzielle Mittel des Staates unterstützt, begründeten den sozialen Wohnungsbau und mündeten in einen Wohnungsbauboom, der Millionen neue Wohnungen hervorbrachte. Wichtige Träger des Wohnungsbaus waren in beiden Ländern die Gemeinden. Sie hatten, gestützt auf staatliche Rahmengesetze und finanzielle Hilfen, vor allem in den Jahren bis 1923/24 den größten Anteil am Wohnungsbau, bis sie ihn sich mit der langsam wiederbelebten, privaten Bauwirtschaft teilten. Entscheidender Unterschied war dabei, daß in Großbritannien die Gemeinden selbst als Bauträger auftraten, während in Deutschland der soziale Wohnungsbau besonders durch gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften bzw. -genossenschaften mit staatlicher oder kommunaler Beteiligung zur Ausführung kam. In beiden Fällen waren damit aber Akteure auf dem Wohnungsmarkt tätig, wie es sie in diesem Ausmaß bisher nicht gegeben hatte. Die britischen Gemeinden schufen sich mit dem "council housing" einen am "sozialen Service" für ihre Bürger orientierten Handlungsraum, und damit eine wichtige Grundlage, um den Staat im kleinen zu organisieren und den Einfluß des "großen Staates" so gering wie möglich zu halten. Aus Mangel an Alternativen mußten sie eigene Strukturen im Wohnungsbau errichten, da anders als in Deutschland, die gemeinnützig orientierte bzw. auf Selbsthilfe gegründete Bauwirtschaft weniger stark ausgeprägt war. Ihre Leistungsfähigkeit demonstrierten die Gemeinden mit über einer Million Wohnungen, die sie bis Anfang der 1930er Jahre gebaut hatten. In Deutschland vertrauten die Gemeinden wesentlich auf die Tradition der Selbsthilfe. Tausende gemeinnützige Wohnungsbauunternehmungen und Bauge-

3. Wohnungs- und Siedlungspolitik nach dem Krieg

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nossensehaften organisierten mit regional unterschiedlich starker Ausprägung den Bau von Hunderttausenden Wohnungen. Ihre Leistungskraft, seit dem 19. Jahrhundert von zahlreichen Reformern hervorgehoben, brachte ein besseres und oft "neues" Wohnen nach dem Krieg hervor. Die ländliche Ansiedlung war eine in beiden Ländern parallel zum Wohnungsbau in den Städten verfolgte Strategie, die Lösung der Wohnungsfrage mit der Wiederbelebung des Landlebens und der Stärkung der landwirtschaftlichen Produktion zu verbinden. Die bevorzugte Klientel staatlicher Programme waren dabei die Kriegsheimkehrer, denen so ihr "Haus im Grünen" geschaffen werden sollte, das aus "vaterländischem Dank" oder in Abwehr "revolutionärer Umtriebe" von verschiedenen Seiten apostrophiert worden war. Aber weder die propagandistisch, noch die politisch vorbereiteten Programme führten zu den gewünschten Ergebnissen. In Deutschland war keine aus dem Krieg vereint hervorgegangene Gemeinschaft entstanden, die sich in Hunderttausenden "Kriegerheimstätten" auf die "zukünftigen Schlachten" vorzubereiten hatte. Die Wiederentdeckung ländlicher Romantik, ob nun in den kriegerischen "Heimstätten" oder in sonst einer "Bodenbindung", wurde auch in Großbritannien hervorgehoben. Das Ideal des "yeoman", des Freibauern, blitzte in den Argumenten der Ansiedlungsprogramme auf; eine "gesunde Rasse", die das Weltreich erhalten und die Wirtschaft stärken würde. Die Kriegsteilnehmer als spezifische Versorgungsklasse staatlicher Wohnungspolitik waren in beiden Ländern mit dem Ende des Krieges in die zivile Gruppe der mit Wohnungen zu Versorgenden aufgegangen. Die Wohnungsvergaberichtlinien der britischen Gemeinden berücksichtigten sie zwar ebenso359 , wie sich deutsche Kriegsheimkehrer ihr besseres Wohnen nach dem Krieg in Wohnungsgenossenschaften verwirklichten. Aber aus "Dank für die Verteidigung der Heimat" wurden ihnen diese Häuser und Wohnungen nicht zur Verfügung gestellt. Die einen waren als geschlagene "Krieger" zwar in das selbe Land, aber einen anderen Staat zurückgekehrt, und sollten sich dort schnell "zivilisieren". Die anderen waren als "Helden" in ein "Land voller Helden" zurückgekehrt, wo sie kaum eine Besserstellung zu erwarten hatten. Die Versprechen der Kriegszeit waren letztlich doch nur Motivationspropaganda für den Krieg gewesen und wurden von den Kriegsheimkehrern als "Schwulst gleisnerischer Redensarten" wahrgenommen. 360

359 Vgl. BLO, Department of Western Manuscripts, MS Addison, Dep. c. 149, BI. 156170: Monthly Report by the National Housing and Town Planning Council, 23. Februar 1923. Danach gingen 90% der bis dahin neu gebauten Wohnungen an Familien von Kriegsheimkehrern. 360 Zitiert nach einem Leserbrief aus dem Lenneper Kreisblatt vom 27. Februar 1919, der mit "Mehrere heimgekehrte Feldgraue" unterschrieben war, in: BarchB, R 1501/1483, BI. 109: Schreiben des Bezirksfeldwebels beim Bezirkskommando Lennep an Scheidemann vom 10. März 1919. Vgl. auch BarchB, R 3901/11320, BI. 121: Abschrift einer Petition des Reichsbundes, Ortsgruppe Sinn (Dillkreis), vom 5. Februar 1927; BI. 125: Abschrift der Resolution des Reichsbundes, Kreisleitung Lippstadt, vom 30. Januar 1927. Vgl. auch Kap. III. 2. c).

IV. Zusammenfassung Der Erste Weltkrieg beeinflußte die Wohnungsfrage und Wohnungspolitik in Deutschland und Großbritannien in einer Weise, die erstens die Fortsetzung tradierter, wohnungsreformerischer Ansätze war, zweitens das Wohnbedürfnis und -erlebnis zum gesellschaftserhaltenden Phänomen erhob und drittens eine neue Qualität hervorbrachte, den massenhaften, sozialen Wohnungsbau. Nahezu jeder im und unmittelbar nach dem Krieg formulierte Reformgedanke reichte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Der "Zielkonflikt" (Teuteberg) deutscher Reformer, die Lösung der Wohnungsfrage in ihrer gebauten Form im Ein- oder Mehrfamilienhaus zu finden, hatte sich bis weit über den Ersten Weltkrieg hinaus nicht entscheiden lassen. Der Krieg und die Propaganda vor allem der deutschen Bodenreformer hatten diesen Konflikt noch verschärft. Sie fügten dem Wunschbild vom "Haus im Grünen" eine radikale, kriegerische, im "großen Volkerringen" Gemeinschaft erhaltende Bedeutung hinzu wie sie 50 Jahre zuvor den einzelnen, den "Familienvater" darauf verpflichten wollte, "für Ordnung und Recht, gegen Diebstahl und Vergewaltigung" einzustehen. 1 Der Erste Weltkrieg war einerseits der Testfall dafür, ob ein mit dem "Boden verwurzeltes Volk" bessere und siegreichere Armeen hervorbringen würde als eines, das in "Mietskasernen", in engen, ungesunden Hinterhofwohnungen aufgewachsen war. Andererseits wurde das Kriegserlebnis zur Verpflichtung stilisiert, unabhängig davon, ob dies der Fall war, für die Zukunft vorzubeugen und das "Eigenheim" zur Grundlage für die Aufzucht eines "wehrfähigen" und "staatsbürgerlichen" Ganzen zu machen. Die Bildersprache der staatserhaltenden Wohnungsreform des 19. Jahrhunderts ging nahezu ungebrochen in die Sinnstiftung für den Kriegserfolg 1914118 über. Die erzieherische Zuneigung der Reform richtete sich auf Teile der "unterbürgerlichen" Schichten, die auch in Großbritannien innerstädtische Quartiere und Landarbeiterhäuser bewohnten, in denen oft sämtliche hygienischen Standards fehlten und die einen Instandhaltungsbedarf aufwiesen, der nur ihren Abriß als Lösung zuließ. Das in Großbritannien traditionell stark ausgeprägte "eigene Haus" zur Miete stand hier im Mittelpunkt der Debatten. Eng aneinander gebaut in der Stadt oder halb verfallen auf dem Land, waren derartige Behausungen Synonyme 1 Vgl. Teuteberg, Hans Jürgen, Eigenheim oder Mietskaserne, in: Heineberg, Heinz (Hrsg.), Innerstädtische Differenzierungsprozesse im 19. und 20. Jahrhundert, Köln/Wien 1987.

IV. Zusammenfassung

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für das "Wohnen im Elend". Die Berichte vom "cruel habitation" (Gauldie) erzählten keine Geschichten aus feuchten, Iuft- und lichtlosen Mansarden- oder Kellerwohnungen im dritten Hinterhaus wie in deutschen Großstädten. Aber die transportierten Bilder waren gleichen Inhalts. Es wurden Zustände geschildert, die "erschüttern", die zeigen sollten, wie Menschen leben mußten, die doch eigentlich Teil der Gesellschaft, des Volkes, der Nation waren. Diese Bilder hielten frühzeitig Einzug in die britische Politik, jedoch brachten sie Wohnungsgesetze hervor, deren Effekt dürftig und beschränkt blieb. Erst das Kriegsereignis "erleuchtete" die gesamte britische Nation, zeigte allen, welche Übel in der Mitte der Gesellschaft, in den Städten und auf dem Land es zu beseitigen galt, um gerüstet zu sein für den Sieg. Denen, die diesen Sieg ermöglichten, sollte gleichzeitig eine Zukunft eröffnet werden mit menschenwürdigen, habitablen Wohnverhältnissen. Dahinter steckte ein Sammelsurium aus politischer Rhetorik, Wahlkampf- und Motivationspropaganda, Angst vor "revolutionären Unruhen" im Zuge der Demobilmachung und dem Vordringen der wohnungs- und bodenreformerischer Ideen in die Politik, das ein gewachsenes Maß an wohnungspolitischer Verantwortung hervorgebracht hatte. Die beiden Liberalen David Lloyd George als Schatzkanzler und Premierminister und Christopher Addison als Minister für den Wiederaufbau und erster Gesundheitsminister markierten den gemeinsamen Ort von Wohnungsreform und -politik. Bei ihnen liefen die für den Kriegserfolg notwendigen "Übergangsmaßnahmen" im Wohnungswesen, die Mietkontrolle und der Wohnungsbau für die Beschäftigten der Rüstungsindustrie zusammen. Dabei wurden, als der Ausfall der privaten Bautätigkeit im Krieg dem qualitativen Wohnungsmangel der Vorkriegszeit, einen quantitativen in der Nachkriegszeit hinzuzufügen drohte, wichtige Grundlagen für die Wohnungspolitik nach dem Krieg gelegt. Fachleute und Reformer wurden in Kommissionen berufen, die Berichte und Empfehlungen unterbreiteten, auf deren Grundlage die "neue" Wohnungspolitik des "neuen" Großbritanniens entstehen sollte. In Deutschland war diese Art staatlicher Verantwortung für das Wohnungswesen spät erwachsen. Die föderalen Strukturen des Deutschen Reiches gestatteten den Bundesstaaten und den stark an Autonomie orientierten Gemeinden, wohnungspolitische Maßnahmen in eigener Regie durchzuführen. Polizei- und Raumordnungsgesetze, Beteiligungen an gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften, die auch die Wohnungsfürsorge für die Beschäftigten der Gemeinden und des Staates beinhalteten, waren im wesentlichen die Kennzeichen dieser Politik. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs weitete sich diese "Fürsorge" aus. Der Staat, Zentral- sowie Bundesstaaten, aber auch zahlreiche Gemeinden, verstärkten ihre Eingriffe in den Wohnungsmarkt nicht zuletzt als Reaktion auf und in Abwehr der Reform von außen, vor allem der Agitation der Bodenreformer. Mietunterstützung, Mietkontrolle und Kündigungsschutz sollten für "Ruhe und Ordnung" sorgen. Unter der Vorgabe, erst mit kriegsnotwendigen, später mit "Übergangs- und Notmaßnahmen" und dann nach einiger Zeit wieder zum Standard der Vorkriegszeit zurückzukehren, etablierte sich der Staat immer stärker im Wohnungswesen. Dem

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IV. Zusammenfassung

quantitativen Wohnungsmangel war ein qualitativer spätestens zu Kriegsende beigetreten. Als äußeres Zeichen staatlicher Verantwortung für die "Übergangszeit" wurde eine zentrale Maßnahmenkoordinierungsstelle (Staats- und Reichskommissar) mit Beratungsgremium als wohnungspolitisches Aufbäumen staatserhaltender Macht eingerichtet. Diese Behörde verwaltete jedoch lediglich den WohnungsmangeL Die Wohnungsgesetze von 1918 und 1919 reihten sich in diese staatliche Maßnahmeeuphorie ein. In Deutschland wurde in Preußen im März 1918 ein Wohnungsgesetz verabschiedete, das nach 20jähriger Debatte für den bevölkerungsund flächengrößten Teil des Deutschen Reiches staatliche Interventionen bei der Baugestaltung und finanzielle Hilfe zusagte. Das Reich hielt seine Teilnahme an diesem Prozeß auf zusätzliche finanzielle Unterstützung beschränkt. Nach Kriegsende war der für den Wohnungsmangel Abhilfe versprechende Wohnungsbau durch enorme Preissteigerungen behindert. "Notwohnungen", wohnungspolitische "Zwangsmaßnahmen" und bundesstaatliche und Reichsgesetze prägten die nun republikanische "Übergangszeit". In Großbritannien sicherten die Wohnungsgesetze von 1919 umfangreiche finanzielle Mittel für den Wohnungsbau, der in den und vor allem von den Gemeinden durchgeführt werden sollte. Von den Gemeinden einzureichende Bau- und Siedlungspläne wurden zentral und "fachmännisch" begutachtet, und es wurden Zuschüsse gewährt. Aber trotz der zentral geplanten und initiierten Politik blieben die Ergebnisse des Wohnungsbaus einerseits hinter den eigenen Erwartungen zurück, und andererseits lagen sie unter denen des im Krieg geschlagenen Deutschlands. Starke Preissteigerungen, nicht zuletzt durch die Subventionen, verteuerten den Wohnungsbau. Der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegszeit zog zusätzlich finanzielle Ressourcen und Arbeitskräfte ab, die damit für das "nationale Wohnungsbauprograrnm" nicht zur Verfügung standen. Der verantwortliche Minister, Christopher Addison, der den staatlich geförderten Wohnungsbau als Kern der "reconstruction after the war" verstanden hatte, trat zurück. Die "Übergangszeiten" waren weder in Großbritannien durch den Sturz Addisons 1921 noch durch die die Bauwirtschaft stark einschränkende Inflation 1922/ 23 in Deutschland beendet. Die Zahl der Wohnungssuchenden nahm in beiden Ländern nicht ab; sie hatte sich sogar noch erhöht. Die britischen Wohnungsgesetze von 1923 und 1924, das erste subventionierte die private Wohnungsbauwirtschaft und schloß die Gemeinden weitestgehend aus, das zweite nahm die Lokalverwaltungen für den Wohnungsbau wieder in die Pflicht, und die in deren Folge entstandenen Millionen von Wohnungen waren Zeichen staatlicher Verantwortung in diesem Politikfeld. Aus der Unterstützung für eine "Übergangszeit" war ein staatliches Dauerengagement mit unterschiedlicher Intensität geworden. In Deutschland eröffnete die Währungsstabilisierung und mit ihr das Greifen der Hauszinssteuer als wichtiger, staatlicher Finanzquelle einen Wohnungsbauboom, der erst 1930 I 31 in der Wirtschaftskrise gestoppt wurde. Erst jetzt fielen die Wohnungsbauzahlen unter das Niveau der Vorkriegszeit zurück.

IV. Zusammenfassung

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Mit den britischen Lokalverwaltungen ist ein wichtiger Träger des Nachkriegswohnungsbaus bereits angesprochen worden. Auch in Deutschland waren es die Gemeinden, die entweder selbst, aber vor allem durch ihre Beteiligung an gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften zu entscheidenden Stützen des Wohnungs- und Siedlungsbaus wurden. Sie waren nun starke Akteure auf dem Wohnungsmarkt. Hunderttausende Wohnungen entstanden im Auftrag der Gemeinden und durch gemeinnützige Bauunternehmungen und ergänzten die Bautätigkeit der Privatwirtschaft um ein Wesentliches. Unmittelbar nach dem Krieg waren sie jene Bauherren, die das fast vollständige Fehlen der privaten Bautätigkeit auszugleichen versuchten. Danach standen sie an der Spitze neuer Wohnungsund Siedlungsbaustrukturen, die zum Symbol für den neuen, sozialen Wohnungsbau wurden. In beiden Ländern hatten Wohnungs-, Siedlungs- und Bodenreformer diesen Weg im und nach dem Krieg begleitet. Sie brachten sich in die Vorbereitungsebenen politischer Entscheidungen ein, agitierten innerhalb und außerhalb politischer Strukturen, schafften Öffentlichkeit, übten Kritik und wurden selbst Teil politischer Entscheidungsfindung. Im Ersten Weltkrieg wurden deutsche und britische Reformer dabei unterschiedlich stark wahrgenommen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Politik. Während sie in Großbritannien als Experten in "think tanks" inkorporiert wurden, orientierten sie in Deutschland ihr Wirken auf informelle Kontakte zur Reichsleitung bzw. den Regierungen der Bundesstaaten und zu den Gemeinden und eine z. T. massenwirksame Propaganda. Diese staatstragende, mit kriegsmotivierenden Attitüden versehene Sinnstiftungstätigkeit sollte Öffentlichkeit und Zutritt zu den politischen Entscheidungsträgern verschaffen. Eine Vorgehensweise, die für die britischen Reformbewegungen durch ihre Einbindung in politische Strukturen weniger stark ausgeprägt war. Sie waren bereits "drin", verliehen aber mit Abordnungen und Konferenzen ihren Forderungen wiederholt Nachdruck. Die Beschwörungen, im Ergebnis des Krieges die Wohnungsfrage komplex und endgültig lösen zu können, war in beiden Ländern nur indirekt Teil der Massenmotivation für den Kriegserfolg bzw. Machterhalt Das propagandistische Engagement von Seiten der deutschen Bodenreform wurde bei jenen kritisch und ablehnend beobachtet, die für die Lösung der Wohnungsfrage in die Pflicht genommen werden sollten, den Bundesstaaten und dem Reich. Für sie, und mit ihnen für viele Gemeinden war die Wohnungsfrage im Krieg zur Beruhigung der "Heimatfront" und für die Nachkriegsplanung zur Korrektur von voriibergehenden wohnungswirtschaftlichen und -rechtlichen Verwerfungen von Interesse. Lediglich die deutsche militärische Führung versuchte die Wohnungsfrage u. a. im Zusammenhang mit den "Kriegerheimstätten" zu instrumentalisieren, um mit ihrem Versprechen, den Krieg "geordnet" beenden zu können. Sie benutzten Damaschke und die Bodenreformer, die sich benutzen Jassen wollten, weil sie sich mit ihren Reformvorschlägen damit an einflußreicher Stelle wiederfanden. Indem sie den Krieg und das "Kriegserlebnis" mit der Lösung der Wohnungsfrage in Verbindung bringen konn-

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IV. Zusammenfassung

ten, wähnten sie sich bei den obersten "Kriegern" an der richtigen Stelle, um ihre Ideen durchsetzen zu können. Als das kaiserliche Deutschland "fiel", versuchten die Bodenreformer mit ihren Vorstellungen von einer sämtliche soziale Fragen beantwortenden Bodenbindung in die republikanische politische Führung vorzudringen. Die "Kriegerheimstätten", hervorgegangen aus den "Volksheimstätten" der Vorkriegszeit, ab 1920 mutiert zu "Reichsheimstätten", versprachen nicht nur die Lösung der Wohnungsfrage, sondern sollten auch zu Geburtsstätten eines einigen, nun zivilen und verbürgerlichten Deutschland werden. Die Undurchführbarkeit dieser Art Reform, die auf einer marktwirtschaftliehen Regeln widersprechenden Wertzuwachssteuer für Grund und Boden beruhte, ließ die "Heimstättenbewegung" aber ein Randdasein führen. Äußere Zeichen bodenreformerischer Ideen waren im "neuen Deutschland" zwar durch ihre Verankerung in der Verfassung von 1919 und in der Verabschiedung verschiedener Siedlungs- und Bauverordnungen gesetzt worden. Als Vorsitzender eines Unterausschusses für das ländliche Ansiedlungswesen wurde Damaschke sogar ein politischer Beraterstatus zuteil, der ihm jedoch lediglich die Wächterrolle über die wohnungs- und siedlungspolitischen Interessen der Gewerkschaftsbewegung einbrachte. In Großbritannien waren es die Wahlkampfversprechen vom Herbst 1918, die den Kriegserfolg "veredeln" sollten, bzw. um denen, die ihn errungen hatten, eine Perspektive zu geben. An dieser Perspektive, der Zukunft in hundertlausenden neuer Häusern in den Städten und auf dem Land war im Krieg in reformerischen, regierungsinternen Zirkeln gearbeitet worden. Es war eine Erwartungs-Erwartung von Seiten der Regierung und des Parlamentes, die den Staat als obersten Reformer in Aktion treten ließ. Kabinett und Parlament erwarteten, daß die Kriegsteilnehmer von ihnen erwarten würden, sich um ihre Wohnbedürfnisse nach dem Krieg zu kümmern. Würde diese Zuversicht, die durch die Vorkriegsreden Lloyd Georges und mittels Kommissionen und Berichten ausgiebig genährt worden war, nicht erfüllt, erwartete den Staat sein Ende. Als sich diese Befürchtungen nicht erfüllten, erlahmte das Interesse des Staates, sich zu engagieren. Unter Beriicksichtigung einer sich nur schwer wieder "normalisierenden" Wohnungswirtschaft wurde das staatliche Engagement dennoch fortgesetzt, unabhängig davon ob Konservative oder Labour die Regierungen der 1920er Jahre führten. Die ländliche Ansiedlung, in Deutschland als auch in Großbritannien als probates Mittel einerseits zur Eindämmung der Landflucht und Wiederbelebung des Landlebens, andererseits zur Lösung von Wohnungsfrage propagiert, war nach dem Ersten Weltkrieg nicht von dem Erfolg gekrönt, den ihr Reformer und Politiker wünschten. Politisch aufgelegte Programme sollten vorrangig Kriegsheimkehrern zu Gute kommen, die sich angeblich an das "Leben unter freiem Himmel" während des Krieg gewöhnt hätten und den "verderbten Großstädten" den Rücken kehren wollten. Die Kriegsheimkehrer waren eine neue, massenhafte "Versorgungsklasse", denen die "Kriegerheimstätten" und "Hornes for heroes", die in ländlichen Regionen bzw. außerhalb der Innenstädte entstehen sollten, zu Gute kommen sollten. Der Krieg hatte in einer bisher nicht bekannten Weise diese neue

IV. Zusammenfassung

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Klasse hervorgebracht. Neben dem kriegsbedingten Ausfall der Wohnungsproduktion war sie das Ergebnis, was ausschließlich auf dem Krieg beruhte. Er hatte diese neue Klientel erschaffen, die als Nutznießer einer "neuen" Wohnungs- und Ansiedlungspolitik versorgt werden sollte. Doch organisierte diese Klientel sich nicht in der Art, daß sie die Wohnungsfrage vorrangig zur Drohung gegen den Staat anwendete. Die Propaganda und die Versprechen der Kriegszeit bedeuteten für sie nach dem Krieg keine Bevorzugung. Eine Einsicht, die sich bei den Kriegsheimkehrern in Deutschland und Großbritannien unpathetischer durchsetzte als bei den Reformern und Politikern. Ein Mehr an staatlicher Intervention im Wohnungswesen wäre auch ohne die Herausforderungen des Ersten Weltkriegs notwendig geworden, da der Markt den schlechten Wohnungsbestand für "minderbemittelte" Bevölkerungsschichten nicht beseitigen konnte. Zum einen verzögerte der Krieg diese Intervention. Zum anderen beförderte er sie in dem Maße, daß im Krieg der Staat seine Kontroll-, Regelund Wirtschaftskraft im Wohnungswesen bewiesen hatte. Im und durch den Krieg wurde somit eine jeweils nationale Erwartung und Verpflichtung hinzugefügt, Wohnungen zu bauen, um den Status Quo zu erhalten. Letztes war in Großbritannien gelungen, nicht weil massenweise Wohnungen in kurzer Zeit gebaut wurden, sondern weil die Tätigkeit der Regierung, geführt von Konservativen, Liberalen oder Sozialdemokraten, eine milieu- und klassenübergreifende Zuversicht, "overconfidence" (Johnson) erzeugen konnte. In Deutschland war dies nicht der Fall. Doch auch und gerade der Systemwechsel entließ Staat und Regierungen nicht aus der Verantwortung bei die Lösung der Wohnungsfrage. Das Vordringen reformerischer Ansätze erzeugte vor allem in den regionalen und lokalen Parlamenten ein noch stärkeres Problembewußtsein von konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Kräften, welche die Wohnungspolitik als wichtiges Politikfeld begriffen. Sie vereinte nicht mehr die "volkserhaltende" Grundstimmung der Kriegszeit, sondern im Nachkriegsdeutschland war die Wohnungspolitik Aktions- und Demonstrationsfeld besonders gemeindlicher Leistungsfähigkeit. Das Wohnen nach dem Krieg war in Deutschland und Großbritannien ein Ergebnis der polymorphen Auseinandersetzung von Ererbten, Kontinuität, Erwartung und Neugestaltung, an deren Konstruktion der Staat im und nach dem Krieg großen Anteil nahm. Der oft betonte, aber genauso oft revidierte vorübergehende Charakter dieser Anteilnahme unterstrich die neue Qualität, welche die Wohnungsfrage in beiden Ländern bekommen hatte. Staat und Gemeinden waren als starke Akteure auf eine Art in den marktwirtschaftlich organisierten Wohnungsbau vorgestoßen, die ihrer Präsenz eine sozialpolitische Dimensionen verlieh, die das Wohnen zu einem sozialpolitischen Tätigkeitsfeld erhob, was mit den anderen Feldern der Sozialpolitik gleich gestellt zu sein schien. Doch wurde Wohnen nicht als Lebensrisiko verstanden, das zu versichern erforderlich war. Die Wohnungspolitik wurde nach dem Krieg zwar ein wirkungsmächtiger Teil der Sozialpolitik, aber keine gleichwertige Säule der jeweils nationalen, wohlfahrtsstaatliehen Systeme.

V. Quellen und Literatur 1. Archive Deutschland Bundesarchiv Berlin: Deutsche Arbeitsfront, Arbeitswissenschaftliches Institut, NS 5 I Vl/213- 263, 178, 183, 5002,5177,5230,5232,5258,5267,5292 Reichsarbeitsrninisterium, R 3901163, 549, 746, 965, 1238, 1240, 1243, 1769, 3444, 6848, 7266 - 7267, 7294 - 7295, 8937 - 8938, 8944, 8987, 9053, 9114, 9137, 9745, 9916, 10373, 10390, 10563, 10576-10592, 10592-10598, 10744, 10802, 10805-10807, 10809, 10816, 10818-10820, 10822-10824, 10843-10844, 10870, 10872, 10879, 10963, 10983-10984, 11001-11002, 11009, 11011, 11017-11027, 11037-11039, 11048, 11104-11113,11117-11126,11127-11141, 11143-lll44, 11146-11149,11159,11161, 11234-11236, 11238, 11247-11248, 11258, 11261, 11262, 11266, 11269, 11287, 11290, 11292, 11291, 112301, 11314-11315, 11316-11318, 11320-11322, 11326-11327, 11330- 11331, 11328-11329, 11331, 11398, 11404-11406, 11415, 11417, 1142611427, 11429-11430,33233 R 411700, 716-728,734-739, 771, 779, 829, 837-843, 847-848, 850, 874, 876,991, 1004, 1409 Reichserziehungsrninisterium, Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, R 4901 I 550-554 Reichsinnenrninisterium, R 150111483, 1568, 1634, 1867, 12093, 12215-12260, 1239812401, 12421, 12421, 12424, 12475, 12478-12481, 12557, 13066, 13085-13087, 13090, 25389,25475 Reichstag, R 101130654-30663, 30665,30669 Reichswirtschaftsrninisterium, R 3101 I 8168, 8172, 10101-10102, 10114, 10120, 10121, 10124, 10166 Bundesarchiv Koblenz: Nachlaß Damaschke Nr. 806 fol. 1 Nachlaß Hugenberg, Nr. 11, fol. 1 - 353 Nachlaß Erich Koch-Weser Geheimes Staatsarchiv -Preußischer Kulturbesitz Berlin: Preußisches Ministerium des Innem, Rep. 76 VIII B, 2088 - 2090 Preußisches Ministerium des lnnem, Rep. 77,73313 Geheimes Zivilkabinett, Rep. 89, 28558

1. Archive

367

Preußisches Finanzministerium, Rep. 151 I C, 11729, 12204, 12229, 12338-123340, 12413, 12421 Preußisches Ministerium für Volkswohlfahrt, Rep. 191, 50, 53, 61, 150 Preußisches Justizministerium, Rep. 84a, 1763-1766, 5813-5815, 5833-5834, 58775878,9183-9184 Preußisches Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Rep. 87 B, 9344/1, 9373,9395-9396,9397-9398,9404,9408,9417,9474, 9476-9478, 9659 Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam: Provinz Brandenburg Rep. 2 A Regierung Potsdam I P Nr. 743, 744, 748, 978 Provinz Brandenburg Rep. 2 A Regierung Potsdam I S Nr. 557, 572, 573, 817, 825, 854 Provinz Brandenburg Rep. 2 A Regierung Potsdam I SW Nr. 767 Provinz Brandenburg Rep. 3 B Regierung Frankfurt (Oder) I S Nr. 76 Landesarchiv Berlin: Bezirksamt Pankow von Berlin, Rep. 255 Nr. 524 Bezirksamt Steglitz von Berlin, B Rep. 212 Nr. 3689-3691 Gemeindeverwaltung Weißensee, Rep. 48-05 I 3, Nr. 54 Militärbüro, Rep. 01-04 Nr. 3983 Sozialverband Reichsbund e.V., Bonn, Archiv: Diverse Drucksachen Verhandlungen des Reichstags, 13. Legislaturperiode, 2. Session 1914118, Stenographische Berichte

Großbritannien Pub1ic Record Office, London: Cabinet Office CAB 2311-9, 11-15, 17, 18, 21, 22, 26, 37-40 CAB 24136,42, 89, 92, 126, 138, 139 CAB 27 I 41, 49, 56, 63, 66, 89, 104,201, 208, 220, 496, 565 CAB 33/1-3,7-16,18-23,26 CAB 371139 CAB 42113 Local Government Board, Ministry of Hea1th, Housing files HLG 29 I 115-130 HLG31/l-4 HLG 46124, 90, 95, 96, 100- 102, 106 - 118, 122, 126 HLG4713 - 5, 14 - 19,160-163

368

V. Quellen und Literatur

HLG 48/10-14, 20, 21, 27, 28, 30, 33, 688-692, 695,697, 698, 704, 707, 711, 712, 718, 719 HLG 49/1-6,8-11, 15, 16, 137,643,644,883,884,888,889, 1371, 1484, 1485, 1488 HLG 52/706,750-753,760, 822 HLG 54/13 HLG 57 I 23, 24 HLG 101/2, 12-16, 18, 19, 21, 23,29-32,257,258,260,307,322,336,586,587 HLG 110/22 Mi1ner Papers PRO 30/30/8 Ministry of Agriculture and Fisheries MAF 48/25/1-3,26-42,45-50,58 Ministry of Pensions and Ministry of Pensions and Nationa1 Insurance PIN 15/415,419,453,749,750, 1100, 1498, 1499, 1937,3630,3650,3711 Ministry of Reconstruction LC03/l-6, 13-26,28-45 RECO 1 I 154, 168, 181, 256, 259, 264, 268, 463-477, 479, 481-483, 487, 488, 490-492, 494,497,503,509-511,513-517,521,525-528,530,531-533,535,545, 550,551, 556,557,565,569,572,574,584,588,589,592,593,598,614,620,624,626,631,634, 635, 685, 697, 701 -704, 708, 759, 760, 765, 779, 832-837, 838, 847-856, 873, 874, 879 Ministry of National Service NATS 1/323 WarOffice wo 32/114, 117, 4222-4226, 5048, 5140-5143, 5452, 5564, 5614, 5917, 6602, 6603, 9286,9348,9553,9698, 11242, 11341, 11342, 11488 Greater London Record Office (London Metropolitan Archives), London: Agenda Papers, Housing Committee, 1914- 1923, LCC/MIN /7244 London County Council, Minutes of Proceedings, 1914- 1925, 18.6 LCC National Housing and Town Planning Council- General Papers 1914-1938, HSG/GEN/ 1111 British Library of Political and Economic Science, London School of Economics and Political Sciences, Archiv: Passfield 13, Reconstruction papers 1916-1918 Rees-Jeffreys papers Imperial War Museum, London, Document Department: R.D. Blumfeld Papers S. M. Hardie Papers

2. Zeitungen, Zeitschriften, Amts- und Mitteilungsblätter

369

Liddeli Hart Centre for Military Archives, King's College London: Hamilton Papers Royal Institute of British Architects, London: National Housing and Town Planning Council, collection of memoranda Bodleian Library, Department of Western Manuscripts, Oxford: Addison Papers Parliamentary Debates, 1914/15 - 1924/25

2. Zeitungen, Zeitschriften, Amts- und Mitteilungsblätter Deutschland Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung, hrsg. von Heinrich Braun, 4 (1916) Archiv für Innere Kolonisation, 1914-1918 Berliner Morgenpost vom 21. Aprill920 Berliner Tageblatt vom 20. Oktober 1915,29. Juni 1916, 12. Aprill918 Bodenreform, Deutsche Volksstimme - Frei Land, 1913 - 1923 Deutsche Industriebeamten Zeitung vom 23. November 1917 Deutsche Landwirtschaftliche Presse vom 28. August 1915 Deutschen Warte vom 20. Februar 1916 Die innere Kolonisation im Freistaate Anhalt, hrsg. vom Landessiedlungsamt, Band 1, Jg. 1920, Heft 1-5, Dessau 1920 Düsseldorfer Nachrichten vom 12. Dezember 1919 Frankfurter Zeitung vom 31. Dezember 1915, l. Dezember 1915 Gartenstadt. Mitteilungen der deutschen Gartenstadtgesellschaft, 1914- 1916 Heimatdank. Nachrichten über die soziale Kriegsteilnehmerfürsorge im Königreich Sachsen. Anzeiger der Stiftung "Heimatdank"., Nr. 12, 1. Jg. vom 15. Dezember 1915 Jahrbuch der Bodenreform, 1913- 1923 Kölnische Volkszeitung vom 23. Juni 1917 Kriegerheim. Nachrichtenblatt des Kriegerheimstättenvereins für das Herzogtum Oldenburg. Ratgeber für Krieger und ihre Angehörigen, Juli 1918 bis März 1920 Liller Kriegszeitung. Eine Auslese aus Nummer 1-40, hrsg. von Hauptmann d.L. Hoecker und Rittmeister a.D. Frh. von Ompteda, Berlin u. a. 1915 Monatliche Mitteilungen des Württembergischen Landesvereins für Kriegerheimstätten e.V., 1916 - 1920 24 Koinzer

V. Quellen und Literatur

370 Reichsarbeitsblatt, 1914-1932

Reichsbund. Organ des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen, 15. Jg., Nr. 9/10 vom 20. Mai 1932 (Reprint aus Anlaß des 70jährigen Besteheusam 23. Mai 1987) Rheinische Zeitung vom 2. Januar 1926 Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, 1914-1919 Soziale Zeitfragen. Beiträge zu den Kämpfen der Gegenwart, hrsg. von A. Damaschke, 1915-1921 Der Tag. Grundbesitz und Realkredit vom 30. November 1916,5. Juli 1917, 26. März 1920 Der Türmer, Kriegsausgabe, hrsg. von J. E. Freiherr von Grotthuß, 18. Jg., Bd. 1, Oktober 1915-März 1916, Stuttgart 1916 Vorwärts vom 8. Dezember 1914, Vorwärts vom 30. Juli 1920, Westfälische Wohnungsblatt, 1914- 1918 Wohnungswirtschaft, 1925- 1932 Zeitschrift für das gesamte Siedlungswesen, 1. Jg., Heft 3, 1952 Zeitschrift für Wohnungswesen, 1913- 1920

Großbritannien The Ex-Service Man, 1918 - 1920 Forward vom 27. November 1915 The Future, Government Statements of National Needs and National Policy, September 1919 Garden Cities and Town Planning, 1912-1921 The Housing Journal, Organ ofthe Labour Housing Association, 1914-1920 The Journal of the Royal Institute ofBritish Architects, 1914-1925 Land Values, Journal of the Movement of the Taxation of Land Values, 1913- 1923 The Nation, 1913-1923 The New Statesman, A weekly review of politics and literature, 1913- 1923 The Standard vom 10. Juni 1915

3. Gedruckte Quellen, Quelleneditionen, Literatur bis 1939 Addison, Christopher, Hea1thy Houses make healthy people, in: The Future. Government Sta-

tements of National Needs and National Policy, o. 0. September 1919 - The Betrayal of the S1um, London 1922 - Four and a halfyears. A personal diary fromJune 1914 to January 1919,2 vol., London 1934

3. Gedruckte Quellen, Quelleneditionen, Literatur bis 1939

371

Adolph, Roben (Bearb.), Die nachrevolutionäre Entwicklung des Wohnungswesens. Eine Umfrage, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 114. Band, 1920, S. 431444 Albrecht, Gerhard, Die Vorbereitung der Neubautätigkeit für die Zeit der Übergangswirtschaft, in: Mango1dt, Kar1 von u. a., Wohnungsfrage und Übergangswirtschaft, Schriften des Deutschen Wohnungsausschusses Heft 3, Berlin 1917, S. 48-79 - I Gut, Albrecht I Lübbert, Wilhe1m I Weber, Emi1 I \-\0/z, Otto I Schwan, Bruno (Hrsg.), Handwörterbuch des Wohnungswesen, Jena 1930 Albrecht, H., Ansiedlung von Kriegsinvaliden, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, 13. Jahrgang 1914115, S. 245-251 und S. 261-266

- Städtisches Wohnungs- und Sied1ungswesen, hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt zur Konferenz "Die Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft", Berlin 1915 Albrecht, 0., Reichsheimstättengesetz und Wohnheimstättengesetz, in: Wohnungswirtschaft, 1011111929, s. 151-157 Aldridge, Henry R., The case of town planning. A practical manual for the use of councillors, officers and others engaged in the preparation of town planning schemes, London 1915

- Housing after the War, in: Dawson, William Harbutt (Ed.), After-War Problems, London 1917, s. 233-250 - The National Housing Manual- A Guide to National Housing Policy and Administration, London 1923 All London Tenant's Def ence League, London's 'Hornes for Heroes', London 1932 Althoff, Hugo, Kriegerheimstätten, in: Westfälisches Wohnungsblatt, 1917, S. 81-90 Atkinson, J.W.C., The housing problem. With special reference to Mr. E.J. Smith's Bradford Scheme, London 1918 Barrzes, Harry, Housing. The Facts and the Future, London 1923 Bauenneister, Friedrich, Die Wohnweise in Groß Berlin, Groß Berliner Verein für Kleinwohnungswesen, Schriften, Heft IV, Handbuch Groß Berliner Wohnungspolitik, hrsg. von E. Leyser, I. Teil, Berlin 1918 Baum, Marie, Wohnweise kinderreicher Farnilien in Düsseldorf-Stadt und Land. Eine statistische Studie, Berlin 1917

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Bericht über die Maßnahmen der Stadtgemeinde München zur Bekämpfung der Wohnungsnot und der Tätigkeit des Münchner Wohnungsamtes vom I. April1919 bis I. April1920, München 1920 Bericht über die Maßnahmen der Stadtgemeinde München zur Bekämpfung der Wohnungsnot und der Tätigkeit des Münchner Wohnungsamtes vom 1. April1920 bis I. April1921, München 1922 24*

372

V. Quellen und Literatur

Bericht über die Tätigkeit des Münchner Wohnungsamtes vom 1. April 1918 bis 1. April 1919, München 1919 Berlepsch- Valendas, Die Gartenstadtbewegung in England, ihre Entwickelung und ihr jetziger Stand, MüncheniBerlin 1912 Berliner Vereinigung zur Förderung der Kriegsbeschiidigten-Ansiedlung (Hrsg.), Beiträge zur Ansiedlung von Kriegsbeschädigten, Berlin 1916 Beuster, Fritz, Städtische Siedlungspolitik nach dem Krieg. Ein Programm organisatorischer, finanzieller und gesetzgebenscher Maßnahmen in Reich, Staat und Kommune, Berlin 1915 Birmingham and District Property Owners' Association (Ed.), The Housing Question. No Fads but Good and Cheap Houses, Birmingham 1918 Block, Alexander, Neue Wendung in der englischen Wohnungspolitik, in: Gartenstadt 1 I 1927, Beilage, S. 1-7 Böß, Gustav, Die sozialen Aufgaben der Kommunalpolitik, Berlin 1928 Bonne, G., Baut Heimstätten für unsere Helden! Ein Beitrag zur sozial-hygienischen Bedeutung der Arbeiter-Baugenossenschaften, in: Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt, XXIV, Nr. 31, Sp. 713 - 718 - Heimstätten für unsere Helden, 1915, in: Frank, Hartmull Schubert, Dirk (Hrsg.), Lesebuch zur Wohnungsfrage, Köln 1983, S. 191-198

Bousset, Hermann, Adolf Damaschke und sein Lebenswerk, Berlin 1920 Bowley, A.L. I Bumett-Hurst, A.R., Livelihood and poverty. A study in the economic conditions of working class household in Northampton, Warrington, Stanley and Reading, London 1915 - I Hogg, Margaret H., Has poverty diminished? A sequel to 'Livelihood and poverty', London 1925 Broniatowska, Ruchla, Die Bodenreformbewegung in Theorie und Praxis. Dargelegt an Hand der bodenreformerischen Steuerpolitik, Diss. Universität Leipzig, 1931 Büttner, Die Förderung des Wohnungsbaus für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene durch das Reich, in: Reichsarbeitsblatt II, 1927, Nichtamtlicher Teil, S. III386 - 389 Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschiidigten (Hrsg.), Dank oder Recht? Ein Wort an die Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten, Berlin 1917 Butler; Lawrence!Jones, Harriet (Ed.), Britain in the twentieth Century. A documentary reader, Vol. I, Oxford 1994 Cheverton- Brown, Martin, 1918. Housing problem. Municipal housing: What it means, Birmingham 1918 Clarke, John J., The Housing Problem. Its history, growth, legislation and procedure, London 1920 Cole, G.D.H. and M.l., The condition of Britain, London 1937 Consultive Committee of Womens Organisation, The (Ed.), The Housing Problem. Astatement of the present position, London April 1923 Damaschke, Adolf, Aufgaben der Gemeindepolitik, Jena 1904

3. Gedruckte Quellen, Quelleneditionen, Literatur bis 1939

373

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- (Ed.), After-War Problems, London 1917 Deist, Wilhelm (Bearb.), Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914-1918, Erster Teil, Düsseldorf 1970

Denkschrift über Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens von 1914 bis 1921. Abgeschlossen im Dezember 1921, in: Verhandlungen des Reichstags, I. Wahlperiode 1920, Band 371, Anlagen zu den stenographischen Berichten, Nr. 3472, s. 3374-3430 Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft (Hrsg.), Unseren Kriegsinvaliden Heim und Werkstatt in Gartensiedlungen. Denkschrift über den Dienst des Vaterlandes an den Kriegsinvaliden und den Hinterbliebenen der gefallenen Krieger, Leipzig 1915 Deutscher Bund Heimatschutz, Deutsches Archiv für Städtebau, Siedlungswesen und Wohnwesen, Vereinigung für deutsche Siedlung und Wanderung (Hrsg.), Siedlungswerk, 3 Bände, München 1918-1922 Deutscher Verein für Wohnungsreform (Hrsg.), Ein Progranun für die Übergangswirtschaft im Wohnungswesen, Berlin 1918

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374

V. Quellen und Literatur

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- Die Wohnungsfrage nach dem Krieg, in: Deutscher Wohnungsausschuß (Hrsg.), Die Wohnungsreform als Volkswille. Bericht über die Wohnungsreformkundgebung des Deutschen Wohnungsausschussesam 30. Oktober 1917 in Berlin, Schriften Heft4, Berlin 1918, S. 3-17

3. Gedruckte Quellen, Quelleneditionen, Literatur bis 1939

375

- (Hrsg.), Die Wohnungs- und Siedlungsfrage nach dem Kriege. Ein Programm des Kleinwohnungs- und Siedlungswesens, Stuttgart 1918 Führende Stimmen zur Kriegerheirnstättenbewegung, Soziale Zeitfragen. Beiträge zu den Kämpfen der Gegenwart, Heft 69, hrsg. von Adolf Darnaschke, Berlin 1918 Galander; W., Trostlose Lage auf dem deutschen Baumarkt, in: Die innere Kolonisation im Freistaate Anhalt, hrsg. vorn Landessiedlungsarnt, Band 1, Jg. 1920, Heft I, Dessau 1920, S. 25-27 Gallacher, Williarn, Revolt on the Clyde. An Autobiography, London 1936 Gesellschaftfür Heimkultur (Hrsg.), Heimkultur- Deutsche Kultur. Heimstätten für Krieger, Offiziere und Mannschaften, Wiesbaden 1917 Glässig (Hrsg.), Bericht des Ersten deutschen Kongresses über Bevölkerungsfragen zu Darrnstadt arn 7., 8. und 9. November 1916, Darmstadt 1917 Graßhoff, Wilhelrn H. C., Kommunale Wohnungspolitik. Zukünftige Aufgaben der Gerneinden zur Ergänzung der staatlichen Wohnungsfürsorge, Berlin I 918 Guedalla, Philip (Ed.), Slings and arrows. Sayings chosen frorn the Speeches ofThe Rt. Hon. David Lloyd George, London u. a. 1929 Gut, Albert, Handbuch der praktischen Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege. Unter besonderer Berücksichtigung des preußischen Wohnungsgesetzes, Berlin 1919

- (Hrsg.), Der Wohnungsbau in Deutschland nach dem Weltkriege, München 1928 Haberland, Georg, Wie kommen wir aus der Wohnungsnot heraus? Ein dringender Appell an die Reichs- und Staatsregierung, Berlin 1919 Harteck, Max, Darnaschke und die Bodenreform. Aus dem Leben eines Volksrnannes, Berlin 1929 Hartley, Jarnes I Winstanley, Albert, The housing problern: Its modern aspects, and practical solution, London 1919 Heister, Herrnann, Die Stellung der Kirche zur Kriegerheirnstättenbewegung. Vortrag gehalten auf der Diözesansynode zu Konstanz arn 19. Juni 1918, Berlin 1918 Henoch, Hubert, Die geringen Erfolge der britischen Auswanderpolitik, in: Reichsarbeitsblatt li, 1932, Nichtamtlicher Teil, S. li 342-343 Herrmann, J., Geschichte der deutschen Mieterbewegung, Dresden 1925 Heye, F., Das neue England. Volkswohlfahrt und Volkswirtschaft im Umbau, Jena 1936 Heyer, Georg, Soziale Wohnungsreform. Allgemein-wirtschaftliche Vorschläge zu einer durchgreifenden Änderung der gesamten Boden-, Bau-, Haus- und Wohnungswirtschaft, Berlin 1918 Hildebrand, Horst (Hrsg.), Die deutschen Verfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts, Faderborn 1977 Hirsch, Paul, Die Kriegsfürsorge der deutschen Gemeinden, in: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung, hrsg. von Heinrich Braun, 4 (1916), S. 261-348 Hirtsiefer, Heinrich, Die Wohnungswirtschaft in Preußen, Eberswalde 1929

376

V. Quellen und Literatur

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- Die Wohnweise der Kriegerfrauen in Groß-Berlin, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, 16. Jg, 1917/18,S.97-99 Kunze, Walther, Die gesetzlichen Grundlagen zur Behebung der Wohnungsnot in England, ihre praktische Lösung durch den Londoner Grafschaftsrat sowie im Vergleich zu den deutschen Verhältnissen, Tilsit 1926 Kuttner, Erich, Wie der Reichsbund entstand, in: Reichsbund. Organ des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen, 15. Jg., Nr. 9 I 10 vom 20. Mai 1932, S. 94-96

3. Gedruckte Quellen, Quelleneditionen, Literatur bis 1939

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V. Quellen und Literatur

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3. Gedruckte Quellen, Quelleneditionen, Literatur bis 1939

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V. Quellen und Literatur

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4. Literatur ab 1940

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4. Literatur ab 1940 Abelshauser, Wemer, Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat. Zum Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Industriegesellschaft, Stuttgart 1987 Abrams, Mark, The Conditions of the British People 1911 - 1945. A study prepared for the Fabian Society, London 1945 (deutsch: Krefeld 1946) Abrams, Philip, The failure of social reform 1918 - 1920, in: Past and Present, No. 24, April 1963, S. 43-64 Adam, Thomas, Genossenschaftliches Wohnen in Sachsen. Von den Anfängen bis 1933, Leipzig 1996

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V. Quellen und Literatur

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V. Quellen und Literatur

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V. Quellen und Literatur

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4. Literatur ab 1940

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V. Quellen und Literatur

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4. Literatur ab 1940

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V. Quellen und Literatur

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4. Literatur ab 1940

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26 Koinzer

Personenverzeichnis

Adams, W. G. S. 178 (FN 300), 187 Addison, Christopher 19, 174, 178, 187, 195, 220 ff., 231, 308, 315, 317, 319, 323 f., 325 ff., 330 f., 342, 344, 346, 361 f. Adickes, Franz 146 (FN 223) A1brecht, G. 157,262 A1brecht, H. 148 ff., 153, 161 f., 263 (FN 76) Aldridge, Henry A. 30, 55 f., 184, 201, 205 f., 219,318, 336 Althoff, Hugo 163 (FN 260), 250 Anderson, W. C. 56 f. Arendt, Otto 122 Asquith, Herben 19, 53, 59, 174, 181, 184, 186 f., 191 Baden, Max von 282 Baines, Frank 313 Ballantyne, Henry 308 Baltzer 250 Barbour, George 308 Barnes 57, 62 Barnes, Henry 32 Barr, James 308 Barton, E. 318 Bartschat 122 Baudissin, Friedrich H. C. A. von 111 Bauer, Gustav 118, 261 Baum, Marie 332 (FN 275) Bebe!, August 13 (FN 4) Behrendt, Fritz 250 Behrens, Franz 118 Bese1er, Hans von 111 Bethmann-Hollweg, Theobald von 126, 236 Beuster, Fritz 155 (FN 243), 157 (FN 246), 250, 286 (FN 139) Bismarck, Otto von 72 (FN 11 ), 90, 97 Block, Alexander 317 Blume, Wilhelm von 74 f.

Blumfeld, R. D. 179 (FN 302) Bodelschwingh, Friedrich von 86 f. Boscawen, Artbur 348 f. Böß, Gustav 281 Boume, R. 343 Bousset, Hermann 291 Bow1ey, Marian 323, 331, 333 Bradby, Barbara 187 Bredt, J. 95 (FN 80) Breitenbach, Pau1 von 236, 249, 252 f. Bumm, Ernst 84 f. Byme 176 Car1ow, Char1es 308 Carmichael, James 192 (FN 338), 318 (FN 226) Chamberlain, Austen 184, 316 (FN 219), 328,344 Chamberlain, Neville 318, 331 f. Churchill, Winston 173 Clarke, John J. 30 Coels van der Brügghen, Freiherr 251, 254 f., 257 f., 260 (FN 66) Cohn, Oskar 123 Co1e, G. D. H. 334 Cole, M. I. 334 Crewe, Marquess of 184, 208 (FN 375) Curzon, Lord 165 Damaschke, Ado1f 19, 69 ff., 75 ff., 80 f., 83, 85, 89 ff., 94 f., 100, 107, 109 ff., 122, 125 ff., 131 f., 138, 163, 263 (FN 76), 363 f. Dawes, C. G. D. 269 (FN 94) Dawson, Habutt William 29 Delbrück, Clemens von 120 Demburg, Hermann 250 Dietz (Darmstadt) 153 Dix, Otto 87 Dollan 61

Personenverzeichnis Dorninicus, A. 255, 268 (FN 90) Dönhoff, Marion Gräfin 299 (FN 174) Drews, von 249, 253 Duncan, Joseph 308 Dunn, W. 318 Eberstadt, Rudo1f 250 Ebert, Friedrich 261, 283 Emmott, Lady 187 (FN 324), 318 Engels, Friedrich 13 (FN 4), 95 Erman, Heinrich 74 f., 82, 84, 107 Falkenhausen, Freiherr von 138 Falkenhayn, Erich von 111 Fendrich, Anton 108 f. Finney 175 (FN 290) Fischer250 Fisher, Andrew 182 Flügge, C. 85 f., 263 (FN 76) Flürscheim, Michael 70 (FN 7) Freese, Heinrich 72 (FN II) Fresenius, Pfarrer 85 Freudenfeld 307 Freytag (München) 88 Fuchs, Carl J. 146 (FN 223), 153 ff., 158 f., 263 Furniss, S. 318 Geddes, Auckland 317 (FN 224) George V. 167, 314 George, Henry 70 (FN 7) Giesberts, Johann 118 Gilmour, David 308 Gneisenau, Neidhart von 284 (FN 134) Goecke, Theodor 146 (FN 223), 250 Göhre, Pau1122 ff., 158 f. Graßhoff, Wilhelm 272 Greenwood, A. 333 Gretzschel 147 f., 263 (FN 76) Grober, Max von 85 Haase, Hugo 261 Haberland, Georg 80, 95 (FN 80), 250 Haenich, Konrad 139 Harnilton, Ian 339 (FN 291), 340 (FN 296), 356 Hamrnond, John L. 15, 187, 351 Hartmann 250

403

Hayes Fisher, William 175 ff., 198 f., 204, 223 ff., 316 f., 319 (FN 227), 344 Heisler, Hermann 79 Helfferich, Kar! 126, 127 (FN 179), 236 Henderson, Artbur 184 Henderson, John 308 Henrich (Hessen) 137 Hertling, Graf Georg von 116, 129 ff. Hertzka, Theodor 70 (FN 7) Hili, John W. 195 (FN 344) Hindenburg, Paul von 68 f., 107 ff., 111, 127 (FN 180) Hirsch, P. 158 Hirtsiefer, Heinrich 27 ff. Hobhouse, Henry 183, 212, 318, 342 (FN 302) Hobhouse, L. T. 170 Hobson, J. A. 170 Hoch 118 Hoffmann, A. 95 (FN 80) Hoffmann, Ludwig 250 Hogge, James M. 338, 346 f. Hood 59,61 Irby, G. N. 323 (FN 237) Jaeger, Eugen 121 ff. Jagow, Traugott von 35, 37 Jakobi74 Jellicorse, H. 339 (FN 291), 340 (FN 296) Jones, Thomas 187, 193, 195 (FN 343) Kaeber, Ernst 38 Kaufmann, Franz 139 Kendall, May 169 Kerr, George 308 Kerr, Philip H. 178 (FN 300), 187, 193, 195 Kleye 133 Koch (Kassel) 250 Wilhelm, Kronprinz 126 f. Kruschwitz, Hans 41, 267, 272 Kuczynski, Robert Rene 52, 155 f., 262 Kuttner, Erich 303 Langermann, Freiherr von 235 Law, Andrew Bonar 184, 226,328, 344 Leonard, E. 312 Lerch, Heinrich 89

404

Personenverzeichnis

Lever, William 169 Lewald, von 125 f. Liebknecht, Kar! 95 Lloyd George, David 19, 60 (FN 130), 165 ff., 168 ff., 187, 189, 191, 213 f., 218, 220 ff., 225,228,231, 315 f., 321,328 f., 330, 344, 346, 349 f., 361, 364 Loebell, Friedrich Wilhelm von 143 Löhner, Otto 262 Long, Walter H. 203 f., 343 Lovat, Lord 308 Lubahn, Johannes 77 (FN 23) Ludendorff, Erich von 109 ff., 129 f. Luppe, H. 98 MacDonald, (James) Ramsay 170 Mackensen, August von 111 Mahon 182 Mangoldt, Karl von 146 (FN 223), 153 ff., 162 f., 262, 250, 262, 263 (FN 76), 291 Marx (Darmstadt) 80 Masterman, J. H. B. 208 f. McKinnon Wood 57, 62 (FN 142) M'Crae, George 309, 311 f. Mewes 262,262 (FN 74) Michaelis, Georg 126 Milner, Alfred 315 (FN 217) Montagu, Edwin 184, 187 Mumm, Reinhard 122, 125 f., 158 f. Munro, Thomas 347 Nash, Vaughan 184, 342 (FN 302), 352 Naumann, Friedrich 80 (FN 32) Nimmerfall 136 Noack, Victor 265 f. 265 (FN 83), 271 Noske, Gustav 285 Oppenheimer, Franz 70 (FN 7) Osborn, F. J. 211 (FN 385) Otten, Karl 102 (FN 104) Paulsen, Friedrich 262 Peto 175 Phillips, Marion 187 Pohlmann, A. 75 (FN 20), 77, 107, 132, 163 (FN 261) Prager, Stephan 201 (FN 357), 328 Pringle, William 338

Prothero, Rowland Edmund 223, 226, 343 ff. Proudhorn, Pierre 95 Purdon, C. B. 211 (FN 385) Quidde, Ludwig 136 Raine, G. E. 170 (278) Rauch 79 Reid 59,61 Rein, Wilhelm 109 (FN 130) Reiss, Richard 206, 209 ff., 318 Rhondda, Lord 204 Ricken, Hermann 86 (FN 56) Rohne, H. 82, 103 Rosenbaum 80, 95 (FN 80) Rowntree, Seebohm Benjamin 169, 173 f., 187 ff., 195 (FN 344), 200,202, 219 Runciman, Walter 58, 181, 184 Salisbury, Lord 187 f., 193, 195, 195 (FN 344), 223, 226 Scheer, Reinhard 111 Scheidt, Adolf von ll1 (FN 137), 131, 131 (FN 186), 260 (FN 66) Schickenberg, Wilhelm 271 Schilling, Balduin 250 Schjerning, von 109 ff. Schleehauf, von 120 (FN 158) Schmidt, Friedrich 335 Schmittmann, B. 146 Schmohl, Eugen 250, 263 (FN 76) Schmude, Detlef 283 f., 284 (FN 134) Schoeneich-Carolath 122 Scholz (Danzig) 250 Scott, Leslie 187, 194, 194 (FN 342), 195 (FN 344) Se1borne, Earl of 183 f. Silberschmidt, W. 158, 295 Smith, E. J. 217 (FN 401) Smith, J. Walker 313 Smith, W. H. 173 (FN 285) Snowden, Philip 170, 338 Spee, Graf 95 (FN 80) Stein, Hans K. von 131,236,293 FN (157) Steiniger (Berlin) 138 f ., 139 (FN 205) Stölzel, Otto 240, 242 f. Stübben, Hermann 146 (FN 223), 250 Sydow, Reinhold von 236,241

Personenverzeichnis Taut, Bruno 261 f. (FN 258) Tennyson, Lord 212 Thie1e, Mathilde 271 Thomsen, Admiral von 83 Tirpitz, Alfred von 111 Torinus, Theodor 278 Tudor Walters, John 312 ff., 318 Uhlig, Ewald 79 Unwin, Raymond 312 Vormbrock, H. 163 Waentig (Dresden) 135 f. Wagner, Martin 97, 157 (FN 246), 262, 263 (FN 76), 295 Wallace, Edgar 341 Webb, Aston 312

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Webb, Beatrice 187, 188 (FN 326), 195 (FN 344), 200, 214, 217 f., 326 Webb, Sidney 181 (FN 306), 187 f., 181 (FN 306), 188 (FN 306), 189 (FN 327), 200, 208, 214, 217 f., 326 Wermuth, Adolf 268 (FN 90) Westarp, Graf von 120 Wheatley, John 331 f. Wilbrand, Robert 96 Wilhelm li., Deutscher Kaiser 68 (FN 3), 112, 127 ff., 148, 236 f., 239, 259 Wrisberg, Generalmajor von 51 (FN 101) Wuermeling 158 Yoe, Alfred 58, 62 Zorn, Philipp 94

Ortsverzeichnis Aachen 26 Altona 26, 28 Augsburg 26

Glasgow 30 f., 57 ff., 172, 198, 204, 213 f., 222, 308, 315 (FN 215) Gretna 65

Barmen 26, 41 Bedford 171, 173 (FN 285) Berlin (Groß-Berlin) 25 f., 29, 34 ff., 39, 41 f., 38 ff., 44 f., 46, 52, 65, 92, 113, 132, 138 ff., 149, 151 f., 158, 250, 252, 265 f., 268, 271, 272 f., 278 f., 280, 283, 295,303,306 Bielefeld 86 Birmingharn 30 ff., 60, 335 (FN 284) Bonn 26,267 Bradford 217 (FN 401) Brandenburg/H. 26, 46, 306 Braunschweig 28 (FN 28), 133 f. Bremen 26 Breslau 25, 83 (FN 40) Brigthon 32 Buer 26

Halle/S. 26 Harnborn 26 Harnburg 25 f., 28 Hildesheim 26

Cardiff32 Chesterfield 211 Danzig 43 Darmstadt 85, 94 Dessau 279, 302 Dresden 135,248, 268 f. Düsseldorf 26, 28, 38 ff. Durharn 329 Edinburgh 30, 172 Emden 305 Erfurt 26 Essen 26, 28, 252 Finsterwalde 306 Frankfurt a. M. 26, 43, 271, 279, 302 Frankfurt/0. 266

Jena 306 Karlsruhe 26, 279 Kassel 26, 50 Kiel26 f. Koblenz 49 f., 305 Königsberg 26 f., 252 Krefeld 26 Landsberg 88 Leeds 32 Leipzig 28, 268, 271 Linden 26 Liverpool30, 32, 315 (FN 215) London (Greater London) 30 ff., 65, 171, 190, 201, 207 f., 209 f., 227, 308, 310, 315 (FN 215), 317, 324, 327, 329, 334 ., 338,340,356,357 Lübeck 26 Ludwigshafen 26 Magdeburg 26 f., 49, 279, 283 f. Mainz26 Manchester 32, 168, 189, 329 Middlesbrough 171 Mittweida 305 Mühlheim a. d. R. 26 München 88, 136, 245, 268 Münster49

Ortsverzeichnis Nordhausen 306 Nottingham 329 Nümberg 136, 283 (FN 131) Oschersleben 79 (FN 28) Pforzheim 80 Rathenow46 Reddinghausen 26 Regensburg 126 Remscheid 26 Saalfeld 305 Schwerin 245 (FN 35) Sheffield 32, 227

Southampton 32 Stettin 26, 49, 306 Straßburg 43 Stuttgart 91, 279, 288 Sutton 329 Swindon 171 Ulm 271 Weiden i. d. Obpf. 305 Weymouth 60 Wolverhampton 166, 180 Zschomewitz 65 Zwickau 90 (FN 69)

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