Wiener Ausgabe sämtlicher Werke: Band 10 Der jüngste Tag / Ein Dorf ohne Männer 9783110271454, 9783110271348

Der vorliegende Band vereint zwei späte Stücke Horváths, das Schauspiel Der jüngste Tag und das Lustspiel Ein Dorf ohne

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German Pages 595 Year 2011

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Table of contents :
Der jüngste Tag
Vorwort
Lesetext
Vorarbeit: Das jüngste Gericht
Konzeption 1: Freigesprochen
Konzeption 2: Der jüngste Tag – Ferdinand
Konzeption 3: Der jüngste Tag – Staatsanwalt
Konzeption 4: Der jüngste Tag – Schauspiel in sieben Bildern
Der jüngste Tag. Schauspiel in sieben Bildern (Endfassung, emendiert)
Kommentar
Chronologisches Verzeichnis
Simulationsgrafiken
Ein Dorf ohne Männer
Vorwort
Lesetext
Konzeption 1: Das Dorf ohne Männer – Rostó/Brünette
Konzeption 2: Ein Dorf ohne Männer – Bader/Rote
Konzeption 3: Ein Dorf ohne Männer – Lustspiel in sieben Bildern
Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern (Endfassung, emendiert)
Kommentar
Chronologisches Verzeichnis
Anhang
Editionsprinzipien
Siglen und Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Inhalt (detailliert)
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Wiener Ausgabe sämtlicher Werke: Band 10 Der jüngste Tag / Ein Dorf ohne Männer
 9783110271454, 9783110271348

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Ödön von Horváth Wiener Ausgabe

I

Ödön von Horváth

Wiener Ausgabe sämtlicher Werke Historisch-kritische Edition Am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek herausgegeben von Klaus Kastberger

Band 10

De Gruyter II

Ödön von Horváth

Der jüngste Tag Ein Dorf ohne Männer Herausgegeben von Nicole Streitler und Martin Vejvar

De Gruyter III

Die Forschungsarbeiten an der Wiener Ausgabe werden unterstützt vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF; P 23563-G20) und von der Kulturabteilung der Stadt Wien. Dank an die Österreichische Nationalbibliothek (Wien) und die Wienbibliothek im Rathaus für die Überlassung von Reprorechten an den Faksimiles.

ISBN 978-3-11-027134-8 e-ISBN 978-3-11-027145-4 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG ÜGedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

IV

Inhalt Der jüngste Tag Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Lesetext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorarbeit: Das jüngste Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption 1: Freigesprochen . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption 2: Der jüngste Tag – Ferdinand . . . . . . . . . . Konzeption 3: Der jüngste Tag – Staatsanwalt . . . . . . . . Konzeption 4: Der jüngste Tag – Schauspiel in sieben Bildern Der jüngste Tag. Schauspiel in sieben Bildern (Endfassung, emendiert) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

Chronologisches Verzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Simulationsgrafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ein Dorf ohne Männer Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Lesetext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Konzeption 1: Das Dorf ohne Männer – Rostó/Brünette . . . . . Konzeption 2: Ein Dorf ohne Männer – Bader/Rote . . . . . . . . Konzeption 3: Ein Dorf ohne Männer – Lustspiel in sieben Bildern Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern (Endfassung, emendiert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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277 311 429

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Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Chronologisches Verzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V

Inhalt

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 Editionsprinzipien . . . Siglen und Abkürzungen Literaturverzeichnis . . Inhalt (detailliert) . . .

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Ödön von Horváth

Der jüngste Tag Herausgegeben von Nicole Streitler

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Vorwort

Vorwort Der jüngste Tag. Schauspiel Uraufführung: 11. Dezember 1937 am Deutschen Theater in Mährisch-Ostrau (Regie: Paul Marx). Dauer der Schreibarbeiten: vermutlich Mitte 1936 bis spätestens April 1937. Umfang des genetischen Materials: 73 Blatt an Entwürfen und Textstufen, unterteilt in eine Vorarbeit und vier Konzeptionen. Erstdruck: Der jüngste Tag. Stammbuch. Hollywood u.a.: Georg Marton Verlag 1937.

Datierung und Druck In einem Brief vom 26. November 1936 schreibt Ödön von Horváth an seine Eltern: „Zur Zeit arbeite ich an einer neuen Sache, mit der ich hoffe, noch vor Weihnachten fertig zu werden.“1 Mit großer Wahrscheinlichkeit ist damit das Stück Der jüngste Tag gemeint, an dem Horváth etwa von Mitte 1936 bis Frühjahr 1937, spätestens jedoch bis April 1937 gearbeitet haben dürfte. Am 4. Mai 1937 meldet die Wiener Zeitung Das Echo: „Oedön von Horvath hat soeben ein neues Bühnenwerk vollendet, ein Schauspiel, das den Titel ‚Der jüngste Tag’ führt […].“2 Im Frühjahr oder Sommer 1937 wurde von dem Schauspiel vom Georg Marton Verlag (Hollywood/London/ Wien/Budapest) ein Stammbuch angefertigt, das mit Copyright 1937 erschien. Dieses lag wohl bereits der Uraufführung des Stückes am 11. Dezember 1937 in Mährisch-Ostrau zugrunde. Erst im Jahr 1955 erschien die erste Buchausgabe des Stückes, die von Artur Müller und Hellmut Schlien im Lechte Verlag (Emsdetten/Westfalen) herausgegeben wurde. In einem Brief an Thomas von Sessler vom 6. Januar 1956 schreibt Lajos von Horváth, der Bruder Ödöns: Ich gebe gern mein Einverständnis dazu, dass Sie die Prosawerke meines Bruders anbieten, nur habe ich ziemliche Bedenken wegen der Bearbeitung. Ich weiss halt garnicht, ob sie im Sinn meines Bruders vorgenommen wird. Ich weiss, dass es sehr lästig ist, wenn ein dritter, wenn plötzlich ein Verwandter auftritt und mittun will, aber ich habe meine Gründe. Als ich z.B. den ‚Jüngsten Tag‘ in der Reihe ‚Dramen der Zeit‘ durchgelesen habe, kam mir die ganze Geschichte sofort fremd vor. Ich betone nach wie vor, dass ich über die Herausgabe sehr froh bin und Ihnen für Ihre Bemühungen danke, aber hier fand ich auf fast jeder zweiten Seite einen sinnstörenden Fehler, eine auf unhorvathisch umgearbeitete Wendung. Auf der Innenseite des rückwärtigen Deckblattes habe ich die Seiten angeführt, auf denen die Fehler vorkommen. Dies müsste man,

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Zitiert nach dem Original im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖLA 27/B 4). Anonym: Neuestes Horváth-Stück in Zürich. In: Das Echo, 4. 5. 1937, S. 5.

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Vorwort

sollte das Buch an eine Bühne geschickt werden, wenigstens zum Teil berücksichtigen. Z.B. auf Seite 32 fehlt ein ganzer Satz, wodurch der folgende sinnlos wird. Manche Sachen entbehren nicht einer gewissen Komik, wie z.B. Seite 77. Richtig heisst es: ‚ … das Grab ist abphotographiert worden für die Illustrierte Volksstimme von allen Windrichtungen!‘ Der Lechte hat daraus gemacht: ‚ … das Grab ist abphotographiert worden für die Illustrierte, Volksstimme von allen Windrichtungen!‘ Ich sende Ihnen mit gleicher Post ein korrigiertes Exemplar als Drucksache. Aus diesen Gründen also habe ich Bedenken, Sie werden das sicherlich verstehen. Und in Zukunft, wenn Ihnen wieder eine Drucklegung gelingt, übernehme ich gern und selbstverständlich kostenlos das Lektorat.3

Traugott Krischke hat in der Folge, wahrscheinlich auf Lajos’ Bitte, ein Stammbuch des Sessler Verlags mit der Erstausgabe des Lechte Verlags und einer dritten Fassung (möglicherweise dem Stammbuch des Marton Verlags) verglichen und kam dabei auf „33 Fehler“, die sich in der Lechte-Ausgabe finden, wovon „22“ bereits in dem „Exemplar des Sessler-Verlages“ vorhanden seien.4 Nicht zuletzt aus den von Lajos von Horváth und von Krischke genannten Gründen, die einer genaueren Überprüfung standhalten, konnte die Erstausgabe nicht als Textgrundlage für die hier erstellte Endfassung verwendet werden. Stattdessen wurde dieser das Stammbuch von 1937 zugrunde gelegt, das einer Fassung letzter Hand, die nicht überliefert ist, wohl am nächsten kommt. Das Stammbuch aus dem Jahr 1937 lag wohl auch der Neuausgabe des Stückes 1988 in der Kommentierten Werkausgabe zugrunde. Traugott Krischke vermerkt dort im Nachwort: „Als Druckvorlage diente ein maschinenschriftlich vervielfältigtes, mit ‚ST‘, also Stammexemplar, bezeichnetes Textbuch des Marton Verlages.“5 In einem Quellennachweis weist er darauf hin, dass sich dieses Stammbuch im Horváth-Archiv Wien befindet, womit wohl das damalige Verlagsarchiv des Thomas Sessler Verlags gemeint war.6 Dieses Exemplar des Stammbuchs liegt heute jedoch weder in den Beständen, die durch das Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek vom Sessler Verlag übernommen wurden, noch im Sessler Verlag selbst vor. Stattdessen wurde ein allerdings nicht datiertes Stammbuch des Marton Verlags in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig (Sign. 1965 B 3219) ausfindig gemacht. Es dürfte sich dabei um ein Exemplar der ersten Drucklegung des Stammbuchs von 1937 handeln, ist jedoch nicht datiert. Die hier gebotene Endfassung des Stückes unterscheidet sich in einigen, nicht unwesentlichen Punkten von den Endfassungen, die die bisherigen Werkausgaben (Gesammelte Werke und Kommentierte Werkausgabe) bieten, obwohl diese auf derselben Textgrundlage basieren.7 So wurde in den bisherigen Werkausgaben die Orthografie und Grammatik Horváths auch dort „normiert“, wo es sich offensichtlich um aus stilistischen Gründen gesetzte Abweichungen vom sprachlichen Standard handelt, die das Stammbuch noch erhalten hat. Ein Blick auf das genetische Material zeigt, dass solche Abweichungen von Horváth bewusst verwendet werden, weshalb in

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Zitiert nach dem Original im Nachlass „Ödön von Horváth Theaterdokumentation“ im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, ÖLA 28/B 2, Bl. 25 und 25v. Vgl. den Brief von Traugott Krischke an Lajos von Horváth vom 9. Mai 1956, zitiert nach dem Original im Nachlass Krischke, ÖLA 84/97, Schachtel 28. KW 10, S. 426. Ebd., S. 452. Vgl. KW 10, S. 426 und GW I, S. 10*.

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Vorwort

den meisten Fällen der Wortlaut des Stammbuchs belassen wurde.8 Die hier erstellte Endfassung auf der Grundlage des Stammbuchs liefert also einen in vielen Punkten gegenüber den bisherigen Ausgaben revidierten Text.

Das genetische Konvolut und seine Chronologie Das genetische Konvolut zum Stück Der jüngste Tag im Nachlass Ödön von Horváths am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖLA) umfasst gerade einmal 73 Blatt, was im Vergleich zu den Nachlasskonvoluten anderer Stücke Horváths sehr wenig ist. Der Entstehungsprozess des Stückes lässt sich aufgrund dieses sehr spärlich überlieferten genetischen Materials nur bruchstückhaft nachvollziehen. Die frühesten Notizen zu dem Stück finden sich im Notizbuch Nr. 4 (ÖLA 3/W 370 – o. BS), das Horváth wahrscheinlich von Mitte 1935 bis Mitte 1936 verwendet hat. Dort trägt er eine Reihe von Strukturplänen und Notizen (ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 47v, Bl. 67, Bl. 67v, 68, 69, 78, 78v, 79–82) zu einem Stück mit dem Titel Das jüngste Gericht ein, das als Vorarbeit zum späteren Stück mit dem Titel Der jüngste Tag betrachtet werden kann. Zum genetischen Konvolut des Werkprojekts Der jüngste Tag gehören auch ein paar Entwürfe auf losen Blättern (ÖLA 3/W 76 – BS 10 a, Bl. 1, 2 und 3), die wahrscheinlich auf Mitte 1936 zu datieren sind und auf denen sich Horváth fünf Strukturpläne unter dem Titel Freigesprochen notiert. Diese Entwürfe weisen schon deutlich in Richtung des späteren Schauspiels Der jüngste Tag. Darüber hinaus findet sich im genetischen Material zum Jüngsten Tag noch eine nicht allzu große Zahl an handschriftlichen und maschinenschriftlichen Textstufen (ÖLA 3/W 77 – BS 10 b bis ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5]), die wahrscheinlich zwischen Juli und Dezember 1936 entstanden sind. Sie enthalten allesamt ausgearbeitete Textstufen zum 6. und vor allem zum 7. Bild des Stückes. Zu den restlichen fünf Bildern sind keine Textstufen überliefert. Die Endfassung des Stückes ist nicht in Form eines Typoskripts überliefert, sondern nur in Form des bereits erwähnten Stammbuchs des Georg Marton Verlags von 1937. Horváths Arbeit am Stück Der jüngste Tag lässt sich in eine Vorarbeit und vier Konzeptionen gliedern: Vorarbeit 1: Das jüngste Gericht Konzeption 1: Freigesprochen Konzeption 2: Der jüngste Tag – Ferdinand Konzeption 3: Der jüngste Tag – Staatsanwalt Konzeption 4: Der jüngste Tag – Schauspiel in sieben Bildern

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Vgl. zu einzelnen Fällen den Kommentar zu K4/TS5 im Chronologischen Verzeichnis in diesem Band, S. 248f.

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Vorwort

Vorarbeit 1: Das jüngste Gericht Im Notizbuch Nr. 4 (ÖLA 3/W 370 – o. BS) finden sich Entwürfe zu einem Stück mit dem Titel Das jüngste Gericht, das eine Vorarbeit zum Schauspiel Der jüngste Tag darstellt. Das Stück Das jüngste Gericht trägt in den frühesten Entwürfen deutliche Züge eines volksstückartigen bürgerlichen „Schauspiels“ – so auch die von Horváth gewählte Gattungsbezeichnung. Die Idee einer Wiederkehr der Toten, wie Horváth sie im späteren Drama Der jüngste Tag umsetzt, wird dabei in zwei Entwürfen zu diesem Werkprojekt bereits entwickelt. In VA/E1 nennt Horváth den Werktitel Das jüngste Gericht und bezeichnet das Stück als „Schauspiel“. In VA/E2 werden die Schauplätze „Ein Zinshaus“, „Ein Dorf“, „Eine Fabrik“, „Ein Gut“ und „Ein Wirtshaus“ erwähnt. Außerdem tauchen hier in einer Figurenliste zum 1. Bild „Beim Hausmeister“ „Die Toten: die Hausfrau, der Vater, Onkel Theo“ auf. In dem Entwurf VA/E15, der einen Strukturplan in drei Bildern zum I. Akt enthält, findet sich zum 2. Bild „Friedhof“ die Notiz: „Eine Gruppe Toten stehen nebeneinander – ein Licht fällt von oben herab – Stimme eines Engels, der die Toten ruft. ‚Stehet auf! Es ist der Tag gekommen, wo gerichtet wird!‘“ Das Stück nimmt in diesen späteren Entwürfen, die sich im Notizbuch etwa zwanzig Blatt weiter hinten befinden, allerdings eine andere Richtung. In VA/E6 notiert Horváth erstmals den Titel „Das jüngste Gericht“ mit dem Zusatz „Schauspiel in drei Akten“. Zugleich entwickelt sich seine Vorstellung von dem zu schreibenden Stück weg vom bürgerlichen Schauspiel hin zu einer Art mythischem Drama, in dem keine mit Namen ausgezeichneten Figuren mehr agieren, sondern schlicht „Mann und Frau“ (VA/E7). Außerdem wird das Geschehen nun in einer „Ruinenstadt“ (VA/E9) situiert, in der offensichtlich nachkriegsähnliche Zustände herrschen. In VA/E11 findet sich allerdings eine Figurenliste mit den Figuren „Der Vater, ein Richter“, „Die Mutter“, „Der Sohn“, „Die Tochter“, „Die Frau des Sohnes“, „Der Onkel“, „Der Grossvater“ und „Die Grossmutter“, die noch einmal in Richtung eines bürgerlichen Schauspiels weist. Dem widersprechen jedoch die darauf folgenden Entwürfe VA/E12, E15–E17, E19 und E21. In den letzten Entwürfen, die zur Vorarbeit zählen, erwägt Horváth, das Stück mit dem Titel Das jüngste Gericht einer noch zu schreibenden Komödie des Menschen (VA/E22–E25; vgl. auch S. 40–45 in diesem Band) als letzten Teil einzugliedern, womit er neuerlich die Tendenz zu einem überzeitlichen, mythischen Drama unterstreicht, von dem sich das spätere Stück Der jüngste Tag in seiner volksstückartigen Anlage dann doch deutlich unterscheiden wird.

Konzeption 1: Freigesprochen In weiterer Folge entwirft Horváth unter dem Titel Freigesprochen eine Reihe von Strukturplänen, also Entwürfe zum Aufbau des Stückes. Diese Entwürfe stellen die Konzeption 1 zum Stück Der jüngste Tag dar, weil sie schon deutlich in Richtung des späteren Schauspiels gehen. Bereits in diesen Strukturplänen wird die spätere Gliederung des Stückes in sieben Bildern erkennbar. Außerdem weisen einige der dabei von Horváth verwendeten Bildtitel schon auf das Stück Der jüngste Tag voraus, etwa „Bahnstation“, „An dem Tatort“, „Wirtshaus“ und „Bahndamm“ (K1/E3–E5). In den Bildtiteln „Die Hochzeit“ bzw. „Die Brautnacht“ (ebd.) ist bereits das spätere 4. Bild der Endfassung angelegt, in dem Hudetz und Anna unter dem Viadukt eine Art ‚Ver-

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Vorwort

lobung‘ (vgl. K4/TS5/SB Georg Marton, S. 59f.) feiern, in deren Verlauf der Stationsvorstand die Wirtstochter tötet. Wann genau Horváth den Titel Freigesprochen, der sich auf zwei Konzeptblättern findet, durch den Titel Der jüngste Tag ersetzt, lässt sich aufgrund des nur spärlich überlieferten genetischen Materials nicht mit Sicherheit sagen. Auf BS 10 a, Bl. 2, das den elaboriertesten Strukturplan (K1/E5) enthält, wird, wie in den Entwürfen zum Stück Das jüngste Gericht, die Idee einer Wiederkehr der Toten erwähnt. In einer Notiz vermerkt Horváth folgende Replik der Toten: „Wir werden dann als Zeugen vernommen, und wenn Du jetzt im Zuchthaus sitzt, dann werden wir günstig aussagen – Oh, wir kennen alles, alles – – uns kann man nicht täuschen.“ Zum 7. Bild „Bahndamm“ notiert er: „Die Toten kommen und erzählen ihm vom Jenseits. Und erzählen: wir waren dabei, im Gerichtssaal, im […] Wirtshaus, in der Brautnacht, usw. – – Sie lachen mit ihm und scherzen mit ihm: ‚Du wirst das Zuchthaus nicht überleben. Auf Wiedersehn im Jenseits!’ – Er wird verhaftet. Er ruft: ‚Auf Wiedersehn!‘“ Damit nimmt Horváth bereits das 7. Bild des späteren Stückes Der jüngste Tag vorweg, in dem die Toten Streckengeher und Pokorny (der Lokomotivführer des Unglückszugs) sowie die tote Anna auftauchen, Hudetz vom Jenseits erzählen und ihm ins Gewissen reden (vgl. K4/TS5/SB Georg Marton, S. 64–69), sodass er sich schließlich der „irdischen Gerechtigkeit“ (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 64) stellt.

Konzeption 2: Der jüngste Tag – Ferdinand Neben den als Konzeption 1 gewerteten frühen Strukturplänen findet sich im Nachlass eine Reihe von Manuskripten und Typoskripten, die – mit Ausnahme von einem, das eine Fassung des 6. Bildes enthält – allesamt Textstufen zum 7. und letzten Bild des Stückes beinhalten. In den Textstufen zum 7. Bild von Konzeption 2 plant Horváth zunächst ein langes Gespräch zwischen Ferdinand, dem Verlobten der Wirtstochter Anna, und Hudetz, dem Stationsvorstand. Ferdinand sollte dabei Hudetz so lange im Wirtshaus zurückhalten, bis der Gendarm auftaucht und ihn festnimmt. Aufgrund der Bedeutung, die in den Textstufen dieser Konzeption der Figur Ferdinand zukommt, wurde sie nach dieser Figur benannt. Horváth arbeitet zunächst ein Typoskript aus (K2/TS1/A1 und K2/TS1/A2), das er bis zum Ende des 7. Bildes führt. Dann entwirft er eine Reihe von handschriftlichen Ergänzungen und Korrekturen zu dieser maschinenschriftlichen Fassung des 7. Bildes. Er setzt dabei an unterschiedlichen Stellen des Bildes an und entwirft kleinere Korrekturen, die die Aufeinanderfolge einzelner Textblöcke variieren und in denen Horváth an einzelnen Formulierungen arbeitet (K2/TS1/A3–A9). Im Zentrum dieser Reformulierungsbemühungen steht die Selbstanklage Ferdinands, die in K2/TS1/A2 noch folgendermaßen lautet: „Immer hab ich das arme Annerl mit meiner sinnlosen Eifersucht verfolgt und habs nicht haben wollen, dass sie schöner wird, damit sie keinem anderen gefällt, und drum hab ichs ihr auch verboten, dass sie sich eine Creme kauft, obwohl sie mir eingecremt besser gefallen hat -- ein Lügner bin ich, lieber Herr, ein grosser Lügner! Wer weiss, wenn ich ihr die Creme gelassen hätt, dann wärs garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben, es hätt keine Zugkatastrophe gegeben, sie hätt auch nicht falsch geschworen und tät vielleicht heut

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Vorwort

noch leben --“ (BS 10 d [2], Bl. 6). In K2/TS1/A4/BS 10 c [1], Bl. 2 feilt Horváth an dieser Passage und ersetzt u.a. „sinnlosen“ durch „blinden“, was bis K2/TS1/A12 (BS 10 c [2], Bl. 1) erhalten bleibt, wo die Passage schließlich folgendermaßen lautet: „Immer hab ich das arme Annerl mit meiner blinden Eifersucht verfolgt und habs ihr verboten, dass sie sich eine Creme kauft, obwohl sie mir eingecremt besser gefallen hat – ein Lügner bin ich, Herr, ein grosser Lügner! Und die Lüge ist der Urgrund aller Sünden –“ (BS 10 d [1], Bl. 1 und BS 10 c [2], Bl. 1). Die zweite Passage, die Horváth mehrfachen Verschiebungen und Überarbeitungen unterzieht, ist die Passage über das Viadukt. In K2/TS1/A2 fragt Ferdinand: „Wo kommst denn her?“, worauf Hudetz antwortet: „Vom Viadukt.“ Darauf folgt die oben erwähnte Selbstanklage Ferdinands, die von einer Passage fortgesetzt wird, in der Ferdinand und Hudetz die Schuldfrage verhandeln, welcher wiederum eine Szene folgt, in der Ferdinand neuerlich vom Viadukt spricht und dabei folgende Replik äußert: „Wissens, was ich an Ihrer Stell tät? Ich ging zum Viadukt zurück und springet direkt hinunter.“ (BS 10 d [2], Bl. 6) Vor allem an der letzten Replik feilt Horváth mehrfach, so in K2/TS1/A3 und in K2/TS1/A8, wo er die Passage in der Korrekturschicht von der Höflichkeitsform in die 2. Person Singular setzt: „Weisst, was ich an Deiner Stell auf einem Viadukt tät? Ich springet runter – direkt hinunter!“ (BS 10 c [1], Bl. 4) Diese Variante geht in den letzten Ansatz dieser Textstufe K2/TS1/A12 ein, wo die Stelle folgendermaßen lautet: „Weisst, was ich an Deiner Stell tät? Ich ging auf den Viadukt und springet runter – direkt hinunter!“ (BS 10 c [2], Bl. 5) Das Ende des 7. Bildes wird schon in K2/TS1/A2 von einer Szene gebildet, in der der Gendarm, Frau Leimgruber, der Wirt und der Waldarbeiter auftreten und Hudetz verhaften. Diese Szene bleibt im Verlauf der Arbeit am 7. Bild von Konzeption 2 in dieser Form erhalten, nur dass in K2/TS1/A12 der Figur Ferdinand eine weitere Replik in der Verhaftungsszene zukommt, welche jedoch schon in K2/TS1/A5/BS 10 c [1], Bl. 3 vorgebildet ist. Die Verhaftungsszene geht in die Endfassung (K4/TS5) ein, allerdings sind es dort die Figuren Gendarm, Wirt, Ferdinand und Alfons, die den flüchtigen Hudetz gefangen nehmen. Außerdem treten im 7. Bild von Konzeption 4 die Toten Streckengeher, Pokorny und Anna auf, die Hudetz ins Gewissen reden, sodass er sich letztlich der „irdischen Gerechtigkeit“ (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 64) stellt.

Konzeption 3: Der jüngste Tag – Staatsanwalt Die neue Zusammensetzung des 7. Bildes von Konzeption 2 wird in Konzeption 3 weiterentwickelt. Das 7. Bild beginnt hier damit, dass der Gendarm, der Wirt und Ferdinand auftreten – alle drei sind bewaffnet – und nach Hudetz suchen. Hier werden einige Passagen von Konzeption 2 wiederaufgenommen, etwa Ferdinands Klage über Anna und seine Selbstvorwürfe: „Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften – ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter –“ (K3/TS1/A1/BS 10 b, Bl. 1). In K3/TS1/A1 und A2 finden sich überdies bereits die Figuren Streckengeher und Pokorny, die sich mit Hudetz unterhalten und ihm vom Jenseits erzählen, sowie ein Staatsanwalt, der in K3/TS1/A3 als „Staatsanwalt von drüben“ (BS 10 d [4], Bl. 6) bezeichnet wird. Er verhört Anna und Hudetz und sucht nach dem Schuldigen am Zugunglück. In K3/TS1/A3 nimmt Horváth wesentliche Passagen von K3/TS1/A1 und K3/TS1/A2 wieder auf. In den Ansätzen A4 bis A6 überarbeitet er die Begegnung zwischen

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Vorwort

Hudetz und dem Streckengeher. In K3/TS1/A7 führt er das 7. Bild bis zu der Szene aus, in der Ferdinand, der Wirt und der Gendarm wiederauftauchen und Hudetz festnehmen. Dem gehen Szenen zwischen Hudetz, dem Streckengeher und Pokorny voraus, dann zwischen Hudetz, dem Staatsanwalt und Anna, die im Wesentlichen schon in K3/TS1/A1 und K3/TS1/A2 vorgebildet sind.

Konzeption 4: Der jüngste Tag – Schauspiel in sieben Bildern Ein wesentlicher Teil der in Konzeption 3 ausgearbeiteten Passagen geht in Konzeption 4 ein. Allerdings fällt hier die Figur des „Staatsanwalts von drüben“ weg, was eine wesentliche konzeptionelle Änderung darstellt. Anstelle des Dialogs zwischen Anna, Hudetz und dem Staatsanwalt findet sich in dieser Konzeption im 7. Bild nur ein Gespräch zwischen Hudetz und den Toten Streckengeher, Pokorny und Anna, das zwischen den einleitenden Teil, in dem der Wirt, der Gendarm und Ferdinand auftauchen und Hudetz suchen, und den abschließenden Teil, in dem diese drei gemeinsam mit Alfons Hudetz verhaften, geschoben wird. Zu Konzeption 4 ist auch ein Typoskript überliefert, das eine Szene des 6. Bildes enthält, in dem Hudetz zu seiner Frau und ihrem Bruder Alfons, bei dem sie jetzt wohnt, kommt und um einen anderen Anzug bittet (K4/TS1/BS 10 d [5], Bl. 1–4). Diese Textstufe geht praktisch unverändert in die Endfassung ein. Die von Hudetz geäußerte Replik: „Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen -- wisst Ihr, an so ein Signal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamter gewesen ist -- (er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven Pokorny? Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna -- (er lächelt) Jaja, die Anna! Heut stand sie droben auf dem Viadukt und rief mir zu: ‚Komm nicht herauf, es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin!‘ -- --“ (Bl. 4) geht auf Textstufen von Konzeption 2 zurück (vgl. etwa K2/TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 4), wo er ähnliche Worte gegenüber Ferdinand äußert. Außerdem sind aus Konzeption 4 insgesamt drei Textstufen überliefert, in denen Horváth Dialoge zum 7. Bild ausarbeitet. In einer in zwei Ansätzen ausgearbeiteten Textstufe (TS3/A1 und A2) wird die Szene zwischen Alfons, dem Gendarmen, dem Wirt und Ferdinand von einer Passage abgelöst, in der Pokorny und der Streckengeher auftauchen, wobei im Unterschied zu den Textstufen von Konzeption 3 Hudetz erst später zu diesen beiden Figuren dazustößt (vgl. auch K4/TS2). In den beiden Ansätzen einer weiteren Textstufe (K4/TS4/A1 und A2) arbeitet Horváth, wieder zum 7. Bild, eine Szene zwischen Anna, Pokorny, dem Streckengeher und Hudetz aus, wobei der zweite Ansatz großteils in die Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 67) eingeht. Die Endfassung des Stückes Der jüngste Tag wurde wahrscheinlich Ende 1936 fertig. Üblicherweise fertigte Horváth von der Endfassung ein Typoskript an, das er dem Verlag, der den Erstdruck durchführte, zur Verfügung stellte. Dies dürfte auch beim Stück Der jüngste Tag der Fall gewesen sein. Leider ist dieses Typoskript nicht überliefert. Der Erstdruck des Stückes erfolgte durch den Georg Marton Verlag (Hollywood/London/Wien/Budapest), der im Frühjahr oder Sommer des Jahres 1937 ein Stammbuch anfertigte. Dieses diente hier als Textgrundlage für die Erstellung der linearisierten (K4/TS5) und der emendierten Endfassung.

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Vorwort

Uraufführung und Rezeption (Überblick) Am 4. Mai 1937 meldet die Wiener Zeitung Das Echo nicht nur die Fertigstellung des Stückes Der jüngste Tag,9 sondern auch, dass dieses vom Direktor des Züricher Schauspielhauses Ferdinand Rieser „zur Uraufführung“ „erworben wurde“ und „im Laufe der nächsten Saison“ gespielt werden solle.10 Zu dieser Uraufführung in Zürich kam es jedoch nicht. Stattdessen wurde das Stück am 11. Dezember 1937 am Deutschen Theater in Mährisch-Ostrau uraufgeführt, also noch im Jahr der Fertigstellung. Regie führte Paul Marx, der unter anderem Arthur Schnitzlers Reigen an den Hamburger Kammerspielen inszeniert hatte.11 In einer Besprechung dieser Uraufführung schrieb der Theaterkritiker der Ostrauer Zeitung am 13. Dezember 1937: Die Tragödie des simplen Stationsvorstands Thomas Hudetz mögen Sie aus den tristen Familienverhältnissen dieses primitiven Menschen und seiner beschränkten Umwelt deuten; sie ist weiters eine Folge seiner unglücklichen Ehe, die die Zeichen eines großen Altersunterschieds, die Zeichen von Gleichgültigkeit und anhebender Erkaltung in sich birgt und eben einmal zum Ausbruch kommen mußte. Soziologisch betrachtet ist Hudetz das Opfer eines Rationalisierungssystems, das den Menschen ganz und gar verbraucht, ihm keine Erholung und freie Zeit gönnt, woraus sich dann eine seelische und physische Erschöpfung ergibt, die in diesem Fall zur Vernachlässigung der Dienstpflicht führt und eine furchtbare Eisenbahnkatastrophe heraufbeschwört. Inwiefern die Gastwirtstochter Anna, die für den einsamen Hudetz Zuneigung empfindet, an der Katastrophe mitschuldig ist und durch ihre impulsive Liebesbezeugung die in der Luft liegende Spannung zum Entladen bringt, ist grausame Parallelität subjektiver und objektiver Tragik. Diese Erklärung aus der derzeitigen Gesellschaftsordnung ist real, eindeutig – aber es bleibt noch ein Rest da, und der ist undeutbar, der kann nur mitempfunden, mitgefühlt werden. Diesen Abgrund der Tragik restlos deuten zu wollen, hieße eine wahrhaft große Dichtung entschleiern, sie des poetischen Zaubers berauben wollen.12

Der Theaterkritiker der Ostrauer Zeitung erfasst damit bereits wesentliche Elemente des Stückes, die auch in der nachfolgenden Rezeption immer wieder hervorgehoben wurden, so etwa die Problematik der Ehe mit großem Altersunterschied13, die wirtschaftliche Krisensituation, die den sozialen Hintergrund des Stückes bildet, und die Schuldfrage.14 Auch die Frage der „subjektive[n] und objektive[n] Tragik“, die das Stück enthält, spricht der Kritiker an, schließt jedoch mit den kryptischen Worten, dass es sich um eine „wahrhaft große Dichtung“ handle, deren Geheimnis nicht bis ins Letzte ergründet werden könne. Die spätere Rezeption des Stückes bestätigt dieses Urteil. Dieter Hildebrandt etwa bezeichnet das Schauspiel Der jüngste Tag als Horváths „ehrgeizige[n] Versuch eines klassischen Trauerspiels“, als das „dramaturgi9 10 11

12

13

14

Vgl. Anm. 2. Vgl. ebd. Vgl. Hans Roloefs: Man weiß eigentlich wenig von einander. Arthur Schnitzler und die Niederlande. Amsterdam/Atlanta, GA: Rodopi 1989 (= Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Bd. 84), S. 200f. ing. f. o.: Deutsches Theater, Mähr.-Ostrau. Der jüngste Tag. Schauspiel in 7 Bildern von Ödön Horváth. In: Ostrauer Zeitung, 13.12.1937. Vgl. zu Paaren mit großem Altersunterschied bei Horváth: Johanna Bossinade: Inzestuöse Paare in Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald. In: Ödön von Horváth: Unendliche Dummheit – dumme Unendlichkeit. Hg. v. Klaus Kastberger. Wien: Zsolnay 2001 (= Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs, Bd. 8), S. 74–86. Vgl. das Nachwort in: Ödön von Horváth: Der jüngste Tag. Hg. von Nicole Streitler. Stuttgart: Reclam 2009 (= UB 18667), S. 133–150.

10

Vorwort

sche Unternehmen, eine schuldlose Schuld vorzuführen, Verstrickung herzustellen, mit einem Wort: tragische Dialektik auf die Bühne zu bringen.“15 In der Ankündigung des Stückes in der Wiener Zeitung Das Echo heißt es in einer wohl vom Autor gelieferten Formulierung: „Das Stück behandelt das Problem des jüngsten Gerichts in der heutigen Zeit und zeigt das unschuldige Schuldigwerden eines Menschen.“16 Zweifellos sucht Horváth in den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes nach einer neuen Ausdrucksform. Diese kündigt sich bereits in der düsteren „Komödie“ Eine Unbekannte aus der Seine (1933) an und findet ihren vorläufigen Höhepunkt in dem „Schauspiel“ Don Juan kommt aus dem Krieg17 (1936), in dem der Autor die persönliche Tragik seines Helden eng mit der historischen Katastrophe des Krieges verwebt. Sie spiegelt sich überdies wider in einer Notiz mit dem Titel „Die Komödie des Menschen“, die wahrscheinlich auf das Jahr 1937 zu datieren ist und in der er seine Stücke der Jahre 1932–36 verwirft. Unter den verworfenen Werken findet sich auch der Titel „Das jüngste Gericht“, womit jedoch in diesem Fall nicht die Vorarbeit zum Stück Der jüngste Tag gemeint sein dürfte, sondern das definitive Stück, das zu diesem Zeitpunkt schon fertig war und von Horváth – wie übrigens auch andere Werke dieser Liste – unter einem falschen Titel angeführt wird.18 Er fasst in der Notiz den Entschluss, „[s]eine Stücke“ „fortan“ unter dem Titel Komödie des Menschen zu schreiben, und zwar „eingedenk der Tatsache, dass im ganzen genommen das menschliche Leben immer ein Trauerspiel, nur im einzelnen eine Komödie ist“19 – eine Aussage, die als unmittelbarer Reflex auf die jüngsten zeitgeschichtlichen Ereignisse zu lesen ist.20 In einem Brief an seinen Freund, den Schriftsteller Franz Theodor Csokor, vom 14. Dezember 1937 schreibt er vom „Wahn“ und von der „Blödheit“ der Zeit, gegen die Csokor „mit dem menschlichen Mut, der seelischen Sauberkeit“ anschreibe.21 Horváth formuliert damit zweifellos auch Maximen für die eigene literarische Arbeit in diesen Jahren. In einer monografischen Arbeit hat sich Meinrad Vögele mit dem Stück Der jüngste Tag auseinandergesetzt.22 Auch er widmet sich dem „Tragikbegriff bei Horváth“ und der Frage, ob Der jüngste Tag eine „Tragödie im klassischen Sinne“ sei. Darüber hinaus nimmt er auch eine chronologische Reihung des genetischen Materials vor, die aber durch die in diesem Band vorgenommene Anordnung über weite Strecken widerlegt wird.23

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16 17

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Dieter Hildebrandt: Ödön von Horváth mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1975 (= rm 231), S. 100. Anm. 2. Vgl. Ödön von Horváth: Don Juan kommt aus dem Krieg. Hg. von Nicole Streitler unter Mitarbeit von Julia Hamminger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2010 (= WA 9). Vgl. S. 482f. in diesem Band. Ebd. Vgl. auch das Vorwort in Ödön von Horváth: Figaro läßt sich scheiden. Hg. von Nicole Streitler unter Mitarbeit von Andreas Ehrenreich und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2011 (= WA 8), S. 18. Brief von Ödön von Horváth an Franz Theodor Csokor, zit. nach dem Original in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus, I.N. 186.098. Meinrad Vögele: Oedön von Horváth: „Der jüngste Tag“. Bern/Frankfurt/New York: Peter Lang 1983. (= Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 664) Vgl. das Chronologische Verzeichnis in diesem Band, S. 221–252.

11

Vorwort

Als zentral für das Stück Der jüngste Tag wird in der kritischen und literaturwissenschaftlichen Rezeption die Schuldproblematik angesehen. Diese inhaltliche Schwerpunktsetzung hatte eine ambivalente Rezeption des Stückes zur Folge, in der es entweder als „Volksstück mit sozialer Thematik“ oder als „Exilwerk mit religiöser bzw. metaphysischer Tendenz“24 gelesen wurde. Vögele spricht auch vom „Läuterungsdrama“25, Stefan Heil von der „Synthese aus Volksstück, christlichem Wandlungsdrama und Kriminalstück“26, womit zweifellos zentrale gattungspoetologische Merkmale benannt sind. Der jüngste Tag ist vielleicht das am stärksten von der Schuld-Problematik geprägte Stück Horváths. Dem Autor geht es dabei jedoch nicht „um eine Schuldzuweisung im juridischen Sinne“, sondern „um den Verweis auf Schuldzusammenhänge, die jenseits juridischer Beweisbarkeit liegen“27. Horváths Stück ist in diesem Sinne Ausdruck eines „metaphysischen Schuldbegriff[s]“28 und zeigt auf, wie Schuld weitere Schuld gebiert. Bemerkenswert erscheint im Zusammenhang mit der Schuld-Problematik auch die Tatsache, dass Der jüngste Tag das erste Horváth-Stück war, das nach dem Zweiten Weltkrieg inszeniert wurde, und zwar sowohl in der Bundesrepublik Deutschland, wo es 1947 in München, als auch in Österreich, wo es bereits 1945 im Theater in der Josefstadt in Wien aufgeführt wurde. Allerdings, dies zeigt Kurt Bartsch auf, wurde das Stück in Wien in einer Weise rezipiert, die Assoziationen mit der historischen Schuld, die Österreich auf sich geladen hatte, nicht gerade nahelegte: In Horváths Schauspiel Der jüngste Tag ist der Blick auf das Kollektiv, auf die fatalen Auswirkungen von Vorurteil und Denunziation zwar da, aber die Josefstädter Inszenierung streicht das nicht hervor, aktualisiert es insbesondere nicht als Erinnerung an jüngste historische Erfahrungen und läßt es als allgemeinmenschliche Schwäche, nicht […] als Volkscharakter interpretierbar erscheinen.29

Bartsch vermutet den Grund für diese Art der Rezeption in der seit der Moskauer Deklaration von 1943 in Österreich vorherrschenden Opferthese, durch die die Frage nach einer etwaigen kollektiven Schuld erst gar nicht gestellt wurde. Stattdessen wurde von allen gesellschaftlichen Gruppierungen die „Notwendigkeit“ oder „Möglichkeit eines moralischen, politischen und kulturellen Neuanfangs“ befürwortet, 24

25 26

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Johanna Bossinade: Vom Kleinbürger zum Menschen. Die späten Dramen Ödön von Horváths. Bonn: Bouvier 1988 (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 364), S. 85. Vögele 1983 (Anm. 22), S. 155. Stefan Heil: Die Rede von Gott im Werk Ödön von Horváths. Eine erfahrungstheologische und pragmatische Autobiographie- und Literaturinterpretation – mit einer religionsdidaktischen Reflexion. Ostfildern: Schwabenverlag 1999 (= Glaubenskommunikation Reihe Zeitzeichen, Bd. 6), S. 211. Kurt Bartsch: Ödön von Horváth. Stuttgart/Weimar: Metzler 2000 (= Sammlung Metzler, 326), S. 143. Klaus Kastberger: Österreichische Endspiele: Die Toten kehren zurück. In: Hans Petschar (Hg.): Alpha & Omega. Geschichten vom Ende und Anfang der Welt. Wien: Springer 2000, S. 87–106, hier: S. 95. Kurt Bartsch: Volks- und österreichfeindlich. Zu den Horváth-Aufführungen in Österreich zwischen 1945 und den frühen sechziger Jahren. In: Helmut Koopmann/Manfred Misch (Hg.): Grenzgänge. Studien zur Literatur der Moderne. Festschrift für Hans-Jörg Knobloch. Paderborn: Mentis Verlag 2002, S. 251–272, hier: S. 261.

12

Vorwort

wobei dieser Neuanfang gerade im Kulturbereich durch zahlreiche Kontinuitäten geprägt war.30 Die Kritiken zu der Aufführung waren großteils positiv. Bartsch führt dies auf das „nach dem NS-Desaster nicht unverständliche Bedürfnis nach Rückzug aus dem politischen Erfahrungs- und Aktionsbereich auf das Individuum“31 zurück, den das Stück erlaube, wenn man den Akzent auf das durchaus individuelle Versagen des Stationsvorstands Hudetz lege: Die Schuld, so wie sie in Horváths Schauspiel thematisiert ist, scheint widersprüchliche, aber der Wirkung nicht abträgliche Auffassungen zugelassen zu haben, ontologisiert als eine Art Existential, als schicksalhaft wie in der ‚antiken Tragödie‘, an die sich denn auch ein Kritiker, wenngleich durchaus mit Differenzbewußtsein, erinnert fühlt, oder – und das in den meisten Reaktionen – als Erbschuld, die der einzelne durch seine individuelle, religiöse Entscheidung, durch Übernahme von persönlicher Verantwortung für sein Tun wie Unterlassen überwinden kann.32

Nicht zuletzt wurde das Stück auch und vor allem als Ausdruck der religiösen Wende des Autors gelesen und konnte deshalb im Kontext der katholisch-restaurativen Tendenzen des neuen Österreich durchaus reüssieren. Dass es damit einer spezifischen Ideologie dienstbar gemacht wurde, lag zwar gewiss nicht in der Intention des Autors, wohl aber in der seiner Interpreten.

30 31 32

Ebd., S. 255. Ebd., S. 261. Ebd., S. 262.

13

Vorwort

14

Lesetext

15

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Vorarbeit: Das jüngste Gericht

17

Notiz, Schauplatzverzeichnis, Bildtitel, Figurenliste

18

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 47v

Notiz, Schauplatzverzeichnis, Bildtitel, Figurenliste

19

VA/E1–E4

Lesetext

Werkverzeichnis

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 67

20

Werkverzeichnis

VA/E5

21

Lesetext

Werktitel, Replik

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 67v

22

Werktitel, Replik

VA/E6–E8

23

Lesetext

Szenenanweisung, Strukturplan, Figurenliste

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 68

24

Szenenanweisung, Strukturplan, Figurenliste

VA/E9–E11

25

Lesetext

Dialogskizze zum 1. Bild „Die Ruinenstadt“

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 69

26

Dialogskizze zum 1. Bild „Die Ruinenstadt“

VA/E12

27

Lesetext

Werkverzeichnis, Werktitel

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 78

28

Werkverzeichnis, Werktitel

VA/E13–E14

29

Lesetext

Strukturplan in drei Bildern zum I. Akt

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 78v

30

Strukturplan in drei Bildern zum I. Akt

VA/E15

31

Lesetext

Dialogskizze, Bildtitel

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 79

32

Dialogskizze, Bildtitel

VA/E16–E17

33

Lesetext

Strukturplan, Dialogskizze

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 80

34

Strukturplan, Dialogskizze

VA/E18–E19

35

Lesetext

Dialogskizze (Fortsetzung), Szenenanweisung

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 81

36

Dialogskizze (Fortsetzung), Szenenanweisung

VA/E19–E20

37

Lesetext

Figurenkonstellation zum 1. Bild des I. Aktes

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 82

38

Figurenkonstellation zum 1. Bild des I. Aktes

VA/E21

39

Lesetext

Werkplan, Notizen

ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 3

40

Werkplan, Notizen

VA/E22–E23

41

Lesetext

Werkplan

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 99

42

Werkplan

VA/E24

43

Lesetext

Werkplan

ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 99v

44

Werkplan

VA/E25

45

Lesetext

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Konzeption 1: Freigesprochen

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Strukturpläne in sieben Bildern

ÖLA 3/W 76 – BS 10 a, Bl. 1

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Strukturpläne in sieben Bildern

K1/E1–E2

49

Lesetext

Strukturpläne in sieben Bildern

ÖLA 3/W 76 – BS 10 a, Bl. 3

50

Strukturpläne in sieben Bildern

K1/E3–E4

51

Lesetext

Strukturplan in sieben Bildern

ÖLA 3/W 76 – BS 10 a, Bl. 2

52

Strukturplan in sieben Bildern

K1/E5

53

Lesetext

54

Konzeption 2: Der jüngste Tag – Ferdinand

55

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A1 (Grundschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

10

15

20

25

얍 vom Tisch wirft, das klirrend BzerbrichtN) (Stille) H UDETZ (unheimlich ruhig) Sie haben ein Glas zerbrochen -F ERDINAND (glotzt ihn an, immer gehässiger) Das geht Dich nichts an -H UDETZ BMöglich.N (Stille) F ERDINAND (leise) Du BVerbrecher, -- DuN, Du sitzt da an meinem BTisch?N (er schnellt plötzlich empor, reisst sein Messer heraus und brüllt) Geh her und ich stich Dich B nieder, ichN schneid Dich auf, ich tritt Dich in BFetzen!N (Stille) H UDETZ (ruhig, wie vorhin) Tu das Messer BwegN -F ERDINAND Das tät Dir so passen, Bwas?N H UDETZ (herrscht ihn an) Tus Bweg!N (Stille) F ERDINAND (starrt ihn perplex an) Wo kommst denn Bher?N H UDETZ Vom BViaduktN. F ERDINAND Vom BViadukt?N H UDETZ Was starrens mich denn so Ban?N Ich bin doch noch lang nicht tot -- (er lächelt) F ERDINAND Das kann ein jeder sagen -- (er schluchzt) Ach, BAnnerl!N Liebes, armes Annerl -- (er lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen und weint lautlos; zu H UDETZ ) Du weisst es ja Bgarnicht, wasN Du mir angetan hast, Schuft elender -- ich bin ja ein weicher Mensch und könnt keiner Fliege was antun, BkeinerN Fliege -ich könnt ja nicht einmal Dich -- (er lässt das Messer fallen und vergräbt seinen Kopf in seinen Händen) 얍 H UDETZ (sieht sich um) Wo sind denn die BAnderen?N B F ERDINAND N Was weiss Bich!N Da denkst an nichts, schaust BDichN um und bist allein -sie lassen Dich BsitzenN, diese BVerbrecher --N H UDETZ (wie BzuvorN) Ist denn niemand Bda?N 2 6 8 8 10 10 12 13 14 16 17 18 19 20 22 23 26 27 27 27 28 28 29 29

B

zerbr[c]|i|cht

B

korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: Verbrecher,--Du korrigiert aus: Tisch ? korrigiert aus: nieder,ich korrigiert aus: Fetzen !

zerbrichtN ] Möglich.N ] BVerbrecher, -- DuN ] BTisch?N ] Bnieder, ichN ] BFetzen!N ] BwegN ] Bwas?N ] Bweg!N ] Bher?N ] BViaduktN ] BViadukt?N ] Ban?N ] BAnnerl!N ] Bgarnicht, wasN ] BkeinerN ] BAnderen?N ] BF ERDINAND N ] Bich!N ] BDichN ] BsitzenN ] BVerbrecher --N ] BzuvorN ] Bda?N ]

[wg] |weg| korrigiert aus: was ? korrigiert aus: weg ! korrigiert aus: her ?

[{G}] |V|iadukt korrigiert aus: Viadukt ? korrigiert aus: an ? korrigiert aus: Annerl ! korrigiert aus: garnicht,was kei[j]|n|er korrigiert aus: Anderen ? F ERD [D ]|I |NAND korrigiert aus: ich ! D[o]|i|ch s[o]|i|tzen korrigiert aus: Verbrecher .zu[b]|v|or korrigiert aus: da [Y]|?|

56

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 1

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 2

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

B

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N B

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N

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20

Lesetext

F ERDINAND Niemand, nur ich -- (er seufzt) Und was bin ich? Ein Hund. Ein miserabler Charakter -H UDETZ (lächelt) Das wird schon nicht so schlimm sein -F ERDINAND Doch-doch -- ein ganz ein elender Mensch! Immer hab ich das arme Annerl mit meiner sinnlosen Eifersucht verfolgt und habs nicht haben wollen, dass sie schöner wird, damit sie keinem anderen gefällt, und drum hab ichs ihr auch verboten, dass sie sich eine Creme kauft, obwohl sie mir eingecremt besser gefallen hat -- ein Lügner bin ich, lieber Herr, ein grosser Lügner! Wer weiss, wenn ich ihr die Creme gelassen hätt, dann wärs garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben , es hätt keine Zugkatastrophe gegeben, sie hätt auch nicht falsch geschworen und tät vielleicht heut noch leben -H UDETZ Vielleicht. F ERDINAND Und wer ist schuld? Ich. H UDETZ Aber! F ERDINAND No ja, direkt bin ich allerdings nicht schuld, aber indirekt -- (er wird wieder müde und stiert ihn an) Wissens, was ich an Ihrer Stell tät? Ich ging zum Viadukt zurück und springet direkt hinunter. H UDETZ (erhebt sich unangenehm berührt) F ERDINAND (mit geschlossenen Augen) Pfeilgerade. Direkt von oben, dort wos am tiefsten ist. 얍 (Stille) H UDETZ ( schenkt sich in Gedanken versunken Wein ein und trinkt) Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen – wissens, an so ein Signal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamte gewesen ist -- (er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven Pokorny? Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna -- (er lächelt) Jaja, die Anna! Heut B

5

K2/TS1/A1 (Grundschicht)

N

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-- (erN] binN ] Bich?N ] BF ERDINAND N ] BMensch!N ] BdassN ] BmirN ] BLügner!N ] BaufN ] BgebenN ] BkeineN ] Bschuld?N ] BAber!N ] BF ERDINAND N ] BNoN ] Btät?N ] BViaduktN ] BDirektN ] BtiefstenN ] BschenktN ] BPokorny?N ] BredenN ] BvonN ] BAnna!N ] B B

N

N

B

korrigiert aus: --(er

b[o]|i|n korrigiert aus: ich ? korrigiert aus: DF ERDI [ B ] N AND korrigiert aus: Mensch !

||

[f]|d|ass [n]|m|ir korrigiert aus: Lügner !

au[d]|f| gebe[m]|n| ke[o]|i|ne korrigiert aus: schuld ? korrigiert aus: Aber !

[G] |F |ERDI [B ]|N |AND [B]|N|o korrigiert aus: tät ? korrigiert aus: Viaduk Direkt[o] [t][ief]|tie|fsten schen[l]|k|t korrigiert aus: [§]|P|okorny ? [e]|r|eden [b]|v|on korrigiert aus: Anna !

57

N

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A1 (Grundschicht)

stand sie droben auf dem Viadukt und rief mir zu: „ Komm nicht herauf, es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin! “ (zu F ERDINAND ) Hörens mich? F ERDINAND (ist eingeschlafen ) H UDETZ (lächelt) Träume süss -- (er blickt empor) Herr Pokorny! Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur anderen? F ERDINAND (erwacht wieder, reibt sich die Augen und fixiert H UDETZ ) Ach, Du bist noch immer da? H UDETZ (sieht sich um) Ich suche den Herrn Inspektor. Ich dacht, ich würd ihn hier finden -F ERDINAND Warum? (Stille) H UDETZ (langsam , jedoch sicher) Ich will mich stellen. F ERDINAND (perplex) Stellen? H UDETZ (nickt ja) Von allein. Sie sollen mich nur verhaften. (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn geistlos an und grinst dann) Ah, der Herr 얍 kriechen zu Kreuz? H UDETZ Ja! (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn noch immer an) Jetzt gibts aber dann keinen Freispruch mehr -H UDETZ (lächelt leise) Ich hab ja auch ein Signal verpasst -F ERDINAND (wie zuvor) Jetzt kommt dann der Kopf drann, ein Kopf -H UDETZ (wie zuvor) Möglich. F ERDINAND (grinst) Schad wärs ja nicht um Dich -H UDETZ (wie zuvor) Das weiss ich nicht. F ERDINAND (fährt ihn an) Aber ich! (Stille ) B

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Lesetext

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B

[k]|K|omm

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korrigiert aus: bin ! korrigiert aus: mich ?

KommN ] bin!N ] Bmich?N ] B(ist eingeschlafenN ] BPokorny!N ] Bjetzt?N ] Banderen?N ] Bda?N ] BsichN ] BWarum?N ] B(langsamN ] BjedochN ] BStellen?N ] BH UDETZ N ] BderN ] BKreuz?N ] BJa!N ] BFreispruchN ] Bverpasst --N ] BMöglich.N ] BF ERDINAND N ] BDasN ] Bich!N ] B(StilleN ]

[69]|(i|st eingesch[ö]|l|afen korrigiert aus: Pokorny korrigiert aus: jetzt ? korrigiert aus: anderem ? korrigiert aus: da ? korrigiert aus: aich korrigiert aus: Warum ? [)]|(|langsam jedoc[j]|h| korrigiert aus: Ste[ö]|l|len ? [{G}] |H|udetz [f]|d|er korrigiert aus: Kreuz ? korrigiert aus: JA½ korrigiert aus: Freisüruch korrigiert aus: verpasst-. korrigiert aus: Möglich . [G]|F|erdinand korrigiert aus: nDas korrigiert aus: ich ! [)]|(|Stille

58

N

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A1 (Grundschicht)

H UDETZ Es dreht sich nicht darum, ob es schad um einen wär oder nicht -- wer könnte denn das auch schon beurteilen? F ERDINAND Wir werden Dich schon kriegen -- bei Wasser und Brot. H UDETZ Nur zu. Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt - oder freispricht - (er lächelt) (Nun kommen sie wieder zurück; der W IRT , der G ENDARM , F RAU L EIMGRUBER , ihre V ERWANDTE , der L EHRER , A LFONS , L ENI und der W ALDARBEITER ; sie treten links ein und erblicken Hudetz nicht sogleich) F RAU L EIMGRUBER Ich habs ja gleich gewusst, dass der Spaziergang keinen Sinn hat bei der stockdunklen Nacht! G ENDARM Die Hauptsach ist, dass ich schon telefoniert hab -- jetzt ist bereits alles umzingelt, der kann uns nichtmehr durch die Maschen! W IRT Wenn er noch lebt, der Hund! 얍 H UDETZ (erhebt sich mit einem lauten Ruck) A LLE ( erblicken ihn erst jetzt, schrecken zusammen und starren ihn entgeistert an) A LFONS Thomas! (Stille) H UDETZ (geht langsam auf den G ENDARMEN zu) Herr Inspektor, ich melde mich zur Stelle . G ENDARM Im Namen des Gesetzes! H UDETZ (zu A LFONS ) Ich habs mir überlegt -- ( er nickt ihm lächelnd zu) A LFONS (fixiert ihn und lächelt leise) W IRT (mit der Hand am Herz) Fesselt ihn, fesselt ihn! H UDETZ (lächelt) Nicht nötig -W ALDARBEITER (zu H UDETZ ) Frech auch noch?! Wart, Dir hau ich eine hin -(er will auf ihn los) A LFONS Halt! Tuts mir den Gefallen und lasst ihm seinen Frieden! B

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beurteilen?N ] verurteiltN ] Bzurück;N ] BG ENDARM ,N ] BL EIMGRUBER N ] BL EHRER N ] BA LFONS N ] BW ALDARBEITER N ] BNacht!N ] Bist, dassN ] BMaschen!N ] BHund!N ] Berblicken ihnN ] Bjetzt, schreckenN ] BThomas!N ] BichN ] BStelleN ] BGesetzes!N ] BH UDETZ N ] Ber nicktN ] BW IRT N ] Bihn!N ] Bnoch?!N ] BDirN ] BHalt!N ] BFrieden!N ]

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Lesetext

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korrigiert aus: beurteilen ?

B

[c]|v|erurteilt zurück[L]|;| korrigiert aus: G ENDARM , L[e]|E |IMGRUBER L E [{o}] |H |RER A[;]|L |FONS [Q]|W |ALDARBEITER korrigiert aus: Nacht [Y]|!| korrigiert aus: ist,dass korrigiert aus: Maschen ! korrigiert aus: Hund ! korrigiert aus: erblickenihn korrigiert aus: jetzt,[a]|s|chrecken korrigiert aus: Thomas ! i[x]|c|h Ste[ö]|l|le korrigiert aus: Gesetzes ! H UDET [z]|Z | korrigiert aus: [er n]ickt [“]|W|IRT korrigiert aus: ihn ! korrigiert aus: noch ?! [ich] |Dir| korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: [G]|F|rieden !

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 5

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

H UDETZ (zu A LFONS ) Danke. (Stille) G ENDARM (zu H UDETZ ) Kommens jetzt -H UDETZ (horcht plötzlich auf) Still! (er lauscht) Waren das jetzt nicht nen? A LFONS Es war nur der Wind -H UDETZ (nickt A LFONS lächelnd zu) Das glaubst Du ja selber nicht -- -B

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K2/TS1/A1 (Grundschicht)

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(V o r h a n g) 10

ENDE

4 4 4 4–5 7

Still!N ] WarenN ] BN] BPosaunen?N ] Bnicht -- --N ] B B

korrigiert aus: Still ! korrigiert aus: bWaren gestrichen: Posa[i] u nen korrigiert aus: Posaunen ? korrigiert aus: nicht -- -.-

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BN B

Posau-

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A2 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

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얍 vom Tisch wirft, das klirrend zerbricht) (Stille) H UDETZ (unheimlich ruhig) Sie haben ein Glas zerbrochen -F ERDINAND (glotzt ihn an, immer gehässiger) Das geht Dich nichts an -H UDETZ BMöglich.N (Stille) F ERDINAND (leise) Du BVerbrecher, -- DuN, Du sitzt da an meinem BTisch?N (er schnellt plötzlich empor, reisst sein Messer heraus und brüllt) Geh her und ich stich Dich B nieder, ichN schneid Dich auf, ich tritt Dich in BFetzen!N (Stille) H UDETZ (ruhig, wie vorhin) Tu das Messer weg -F ERDINAND Das tät Dir so passen, Bwas?N H UDETZ (herrscht ihn an) Tus Bweg!N (Stille) F ERDINAND (starrt ihn perplex an) Wo kommst denn Bher?N H UDETZ Vom Viadukt. F ERDINAND Vom BViadukt?N H UDETZ Was starrens mich denn so Ban?N Ich bin doch noch lang nicht tot -- (er lächelt) F ERDINAND Das kann ein jeder sagen -- (er schluchzt) Ach, BAnnerl!N Liebes, armes Annerl -- (er lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen und weint lautlos; zu H UDETZ ) Du weisst es ja Bgarnicht, wasN Du mir angetan hast, Schuft elender -- ich bin ja ein weicher Mensch und könnt keiner Fliege was antun, keiner Fliege -- ich könnt ja nicht einmal Dich -- (er lässt das Messer fallen und vergräbt seinen Kopf in seinen Händen) 얍 H UDETZ (sieht sich um) Wo sind denn die BAnderen?N F ERDINAND Was weiss Bich!N Da denkst an nichts, schaust Dich um und bist allein -sie lassen Dich sitzen, diese BVerbrecher --N H UDETZ (wie zuvor) Ist denn niemand Bda?N F ERDINAND Niemand, nur ich B-- (erN seufzt) Und was bin Bich?N Ein Hund. Ein miserabler Charakter --

6 8 8 10 10 13 14 16 18 19 21 23 27 28 29 30 31 31

Möglich.N ] Verbrecher, -- DuN ] BTisch?N ] Bnieder, ichN ] BFetzen!N ] Bwas?N ] Bweg!N ] Bher?N ] BViadukt?N ] Ban?N ] BAnnerl!N ] Bgarnicht, wasN ] BAnderen?N ] Bich!N ] BVerbrecher --N ] Bda?N ] B-- (erN] Bich?N ] B B

korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: Verbrecher,--Du korrigiert aus: Tisch ? korrigiert aus: nieder,ich korrigiert aus: Fetzen ! korrigiert aus: was ? korrigiert aus: weg ! korrigiert aus: her ? korrigiert aus: Viadukt ? korrigiert aus: an ? korrigiert aus: Annerl ! korrigiert aus: garnicht,was korrigiert aus: Anderen ? korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: Verbrecher .korrigiert aus: da ? korrigiert aus: --(er korrigiert aus: ich ?

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 1

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 6

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

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H UDETZ (lächelt) Das wird schon nicht so schlimm sein -F ERDINAND Doch-doch -- Immer hab ich das arme Annerl mit meiner sinnlosen Eifersucht verfolgt und habs nicht haben wollen, dass sie schöner wird, damit sie keinem anderen gefällt, und drum hab ichs ihr auch verboten, dass sie sich eine Creme kauft, obwohl sie mir eingecremt besser gefallen hat -- ein Lügner bin ich, lieber Herr, ein grosser Lügner! Wer weiss, wenn ich ihr die Creme gelassen hätt, dann wärs garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben, es hätt keine Zugkatastrophe gegeben, sie hätt auch nicht falsch geschworen und tät vielleicht heut noch leben -H UDETZ Vielleicht. F ERDINAND Und wer ist schuld? Ich. H UDETZ Aber! F ERDINAND No ja, direkt bin ich allerdings nicht schuld, aber indirekt -- (er wird wieder müde und stiert ihn an) Wissens, was ich an Ihrer Stell tät? Ich ging zum Viadukt zurück und springet direkt hinunter. H UDETZ (erhebt sich unangenehm berührt) F ERDINAND (mit geschlossenen Augen) Pfeilgerade. Direkt von oben, dort wos am tiefsten ist. 얍 (Stille) H UDETZ (schenkt sich in Gedanken versunken Wein ein und trinkt) Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen wissens, an so ein Signal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamte gewesen ist -- (er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven Pokorny? Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna -- (er lächelt) Jaja, die Anna! Heut stand sie droben auf dem Viadukt und rief mir zu: „Komm nicht herauf, es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin! “ (zu F ERDINAND ) Hörens mich? F ERDINAND (ist eingeschlafen) H UDETZ (lächelt) Träume süss -- (er blickt empor) Herr Pokorny! Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur anderen? F ERDINAND (erwacht wieder, reibt sich die Augen und fixiert H UDETZ ) Ach, Du bist noch immer da? H UDETZ (sieht sich um) Ich suche den Herrn Inspektor. Ich dacht, ich würd ihn hier finden -B

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K2/TS1/A2 (Korrekturschicht)

2 2 6 11 12 14 25 26 28 28 30 31 31 33

F ERDINAND N ] ] BLügner!N ] Bschuld?N ] BAber!N ] Btät?N ] BPokorny?N ] BAnna!N ] Bbin!N ] Bmich?N ] BPokorny!N ] Bjetzt?N ] Banderen?N ] Bda?N ] B

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korrigiert aus: DF ERDINAND

[ein ganz ein elender Mensch !] korrigiert aus: Lügner ! korrigiert aus: schuld ? korrigiert aus: Aber ! korrigiert aus: tät ? korrigiert aus: Pokorny ? korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: bin ! korrigiert aus: mich ? korrigiert aus: Pokorny ! korrigiert aus: jetzt ? korrigiert aus: anderem ? korrigiert aus: da ?

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

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1 4 8 9 11 13 15 18 21 25 29 30 31 32 34 34

Warum?N ] Stellen?N ] BKreuz?N ] BJa!N ] BFreispruchN ] Bverpasst --N ] BMöglich.N ] Bich!N ] Bbeurteilen?N ] BG ENDARM ,N ] BNacht!N ] Bist, dassN ] BMaschen!N ] BHund!N ] Berblicken ihnN ] Bjetzt, schreckenN ] B B

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 4

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Lesetext

F ERDINAND Warum? (Stille) H UDETZ (langsam, jedoch sicher) Ich will mich stellen. F ERDINAND (perplex) Stellen? H UDETZ (nickt ja) Von allein. Sie sollen mich nur verhaften. (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn geistlos an und grinst dann) Ah, der Herr 얍 kriechen zu Kreuz? H UDETZ Ja! (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn noch immer an) Jetzt gibts aber dann keinen Freispruch mehr -H UDETZ (lächelt leise) Ich hab ja auch ein Signal verpasst -F ERDINAND (wie zuvor) Jetzt kommt dann der Kopf drann, ein Kopf -H UDETZ (wie zuvor) Möglich. F ERDINAND (grinst) Schad wärs ja nicht um Dich -H UDETZ (wie zuvor) Das weiss ich nicht. F ERDINAND (fährt ihn an) Aber ich! (Stille) H UDETZ Es dreht sich nicht darum, ob es schad um einen wär oder nicht -- wer könnte denn das auch schon beurteilen? F ERDINAND Wir werden Dich schon kriegen -- bei Wasser und Brot. H UDETZ Nur zu. Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt - oder freispricht - (er lächelt) (Nun kommen sie wieder zurück; der W IRT , der G ENDARM , F RAU L EIMGRUBER, ihre V ERWANDTE , der L EHRER, A LFONS , L ENI und der W ALDARBEITER ; sie treten links ein und erblicken Hudetz nicht sogleich) F RAU L EIMGRUBER Ich habs ja gleich gewusst, dass der Spaziergang keinen Sinn hat bei der stockdunklen Nacht! G ENDARM Die Hauptsach ist, dass ich schon telefoniert hab -- jetzt ist bereits alles umzingelt, der kann uns nichtmehr durch die Maschen! W IRT Wenn er noch lebt, der Hund! 얍 H UDETZ (erhebt sich mit einem lauten Ruck) A LLE ( erblicken ihn erst jetzt, schrecken zusammen und starren ihn entgeistert an) B

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K2/TS1/A2 (Korrekturschicht)

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korrigiert aus: Warum ? korrigiert aus: Stellen ? korrigiert aus: Kreuz ? korrigiert aus: JA½ korrigiert aus: Freisüruch korrigiert aus: verpasst-. korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: beurteilen ? korrigiert aus: G ENDARM , korrigiert aus: Nacht ! korrigiert aus: ist,dass korrigiert aus: Maschen ! korrigiert aus: Hund ! korrigiert aus: erblickenihn korrigiert aus: jetzt,schrecken

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 7

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

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Lesetext

A LFONS Thomas! (Stille) H UDETZ (geht langsam auf den G ENDARMEN zu) Herr Inspektor, ich melde mich zur Stelle. G ENDARM Im Namen des Gesetzes! H UDETZ (zu A LFONS ) Ich habs mir überlegt -- ( er nickt ihm lächelnd zu) A LFONS (fixiert ihn und lächelt leise) W IRT (mit der Hand am Herz) Fesselt ihn, fesselt ihn! H UDETZ (lächelt) Nicht nötig -W ALDARBEITER (zu H UDETZ ) Frech auch noch?! Wart, Dir hau ich eine hin -- (er will auf ihn los) A LFONS Halt! Tuts mir den Gefallen und lasst ihm seinen Frieden! H UDETZ (zu A LFONS ) Danke. (Stille) G ENDARM (zu H UDETZ ) Kommens jetzt -H UDETZ (horcht plötzlich auf) Still! (er lauscht) Waren das jetzt nicht Posaunen? A LFONS Es war nur der Wind -H UDETZ (nickt A LFONS lächelnd zu) Das glaubst Du ja selber nicht -- -B

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K2/TS1/A2 (Korrekturschicht)

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1 5 6 8 10 12 12 16 16 18 18

Thomas!N ] Gesetzes!N ] Ber nicktN ] Bihn!N ] Bnoch?!N ] BHalt!N ] BFrieden!N ] BStill!N ] BN] BPosaunen?N ] Bnicht -- --N ] B B

korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: Gesetzes ! korrigiert aus: [er n]ickt korrigiert aus: ihn ! korrigiert aus: noch ?! korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: Frieden ! korrigiert aus: Still ! [Posaunen] korrigiert aus: Posaunen ? korrigiert aus: nicht -- -.-

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Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A3 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

얍 vom Tisch wirft, das klirrend zerbricht) (Stille) H UDETZ (unheimlich ruhig) Sie haben ein Glas zerbrochen -5 F ERDINAND (glotzt ihn an, immer gehässiger) Das geht Dich nichts an -H UDETZ BMöglich.N (Stille) F ERDINAND (leise) Du BVerbrecher, -- DuN, Du sitzt da an meinem BTisch!N (er schnellt plötzlich empor, reisst sein Messer heraus und brüllt) Geh her und ich stich Dich B 10 nieder, ichN schneid Dich auf, ich tritt Dich in BFetzen!N (Stille) H UDETZ (ruhig, wie vorhin) Tu das Messer weg -F ERDINAND Das tät Dir so passen, Bwas?N 얍BN 15 H UDETZ (herrscht ihn an) Tus weg! (Stille) F ERD (schluchzt plötzlich) Ach, Annerl! Liebes armes Annerl – – .... (er lässt Messer fallen … usw.) B N 얍(er lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen und weint lautlos; zu H UDETZ ) Du weisst es ja Bgarnicht, wasN Du mir angetan hast, Schuft elender -- ich 20 bin ja ein weicher Mensch und könnt keiner Fliege was antun, keiner Fliege -- ich könnt ja nicht einmal Dich -- (er lässt das Messer fallen und vergräbt seinen Kopf in seinen Händen) 얍 H UDETZ (sieht sich um) Wo sind denn die BAnderen?N F ERDINAND Was weiss Bich!N Da denkst an nichts, schaust Dich um und bist allein -25 sie lassen Dich sitzen, diese BVerbrecher --N H UDETZ (wie zuvor) Ist denn niemand Bda?N F ERDINAND Niemand, nur ich B-- (erN seufzt) Und was bin Bich?N Ein Hund. 얍 B N – – – Ein miserabler Charakter. H UDETZ (fast barsch) Hörens auf! 30 F ERD B(schreit ihn an) Ein ganz ein elender Mensch!N – – – ein Lügner bin ich, ein grosser Lügner! (er schenkt sich betrunken BWein ein undN leert das Glas verzweifelt auf einen Zug)

6 8 8 10 10 13 14 18 19 23 24 25 26 27 27 27 30 31

Möglich.N ] Verbrecher, -- DuN ] BTisch!N ] Bnieder, ichN ] BFetzen!N ] Bwas?N ] BN] BN] Bgarnicht, wasN ] BAnderen?N ] Bich!N ] BVerbrecher --N ] Bda?N ] B-- (erN] Bich?N ] BN] B(schreit f Mensch!N ] BWein f undN ] B B

korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: Verbrecher,--Du korrigiert aus: Tisch ! korrigiert aus: nieder,ich korrigiert aus: Fetzen ! korrigiert aus: was ? gestrichen: – 80 – gestrichen: – 81 – korrigiert aus: garnicht,was korrigiert aus: Anderen ? korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: Verbrecher .korrigiert aus: da ? korrigiert aus: --(er korrigiert aus: ich ? gestrichen: F ERD

[Doch-doch] |(schreit f Mensch!| [ein u] |Wein f und|

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 1

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 1

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 1

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 6

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 1

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A3 (Korrekturschicht)

Lesetext

H UDETZ (lächelt grimmig) Zum Wohlsein! F ERD Danke. Lieber Herr, wer weiss, wenn ich dem armen Annerl ihre Creme gelassen hätt – – 얍, dann wärs garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben, es hätt keine Zugkatastrophe gegeben, sie hätt auch nicht falsch geschworen und 얍 – vielleicht täts heut noch leben – H UDETZ Vielleicht. F ERD Und wer ist schuld? Ich. H UDETZ Aber! F ERD (schreit ihn an) Wer denn sonst?! wer denn sonst, ha?! (Stille) (schenkt sich Wein ein und H UDETZ (lächelt) Vielleicht der grosse Unbekannte – trinkt) F ERD (betrachtet ihn; plötzlich) Wo kommens denn her? H UDETZ Vom Viadukt. F ERD Vom Viadukt? H UDETZ Ja. (Stille) F ERD Wissens, was ich auf einem Viadukt tät? Ich springet runter – direkt hinunter! 얍 H UDETZ (erhebt sich unangenehm berührt) F ERDINAND (mit geschlossenen Augen) Pfeilgerade. Direkt von oben, dort wos am tiefsten ist. 얍 (Stille) H UDETZ (schenkt sich in Gedanken versunken Wein ein und trinkt) Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen wissens, an so ein Signal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamte gewesen ist -- (er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven Pokorny? Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna -- (er lächelt) Jaja, die Anna! Heut stand sie droben auf dem Viadukt und rief mir zu: „Komm nicht herauf, es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin! “ (zu F ERDINAND ) Hörens mich? F ERDINAND (ist eingeschlafen) B

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Zum Wohlsein!N ] ihreN ] BN] BN] BN] BF ERD f ha?!N ] Bsonst?!N ] BH UDETZ f Unbekannte –N ] BN] BN] BN] Bauf f tät?N ] Bhinunter!N ] BN] BPokorny?N ] BAnna!N ] Bbin!N ] Bmich?N ] B B

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[Das wird schon nicht so schlimm sein –] [|Prost!|] |Zum Wohlsein!| [d] |ihre| gestrichen: (usw.) [us] [(er schenkt sich Wein ein und trinkt)] \F ERD f ha?!/ sonst[,]|?!| \H UDETZ f Unbekannte –/ gestrichen: \F ERD / gestrichen: H UDETZ [–] [tät?] |auf f tät?| [hinunter!] [|von oben, dort wos am|] |hinunter!| gestrichen: (–S. 81–) korrigiert aus: Pokorny ? korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: bin ! korrigiert aus: mich ?

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 6

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A3 (Korrekturschicht)

H UDETZ (lächelt) Träume süss -- (er blickt empor) Herr Pokorny! Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur anderen? F ERDINAND (erwacht wieder, reibt sich die Augen und fixiert H UDETZ ) Ach, Du bist noch immer da? H UDETZ (sieht sich um) Ich suche den Herrn Inspektor. Ich dacht, ich würd ihn hier finden -F ERDINAND Warum? (Stille) H UDETZ (langsam, jedoch sicher) Ich will mich stellen. F ERDINAND (perplex) Stellen? H UDETZ (nickt ja) Von allein. Sie sollen mich nur verhaften. (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn geistlos an und grinst dann) Ah, der Herr 얍 kriechen zu Kreuz? H UDETZ Ja! (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn noch immer an) Jetzt gibts aber dann keinen Freispruch mehr -H UDETZ (lächelt leise) Ich hab ja auch ein Signal verpasst -F ERDINAND (wie zuvor) Jetzt kommt dann der Kopf drann, ein Kopf -H UDETZ (wie zuvor) Möglich. F ERDINAND (grinst) Schad wärs ja nicht um Dich -H UDETZ (wie zuvor) Das weiss ich nicht. F ERDINAND (fährt ihn an) Aber ich! (Stille) H UDETZ Es dreht sich nicht darum, ob es schad um einen wär oder nicht -- wer könnte denn das auch schon beurteilen? F ERDINAND Wir werden Dich schon kriegen -- bei Wasser und Brot. H UDETZ Nur zu. Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt - oder freispricht - (er lächelt) (Nun kommen sie wieder zurück; der W IRT , der G ENDARM , F RAU L EIMGRUBER, ihre V ERWANDTE , der L EHRER, A LFONS , L ENI und der W ALDARBEITER ; sie treten links ein und erblicken Hudetz nicht sogleich) F RAU L EIMGRUBER Ich habs ja gleich gewusst, dass der Spaziergang keinen Sinn hat bei der stockdunklen Nacht! B

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Pokorny!N ] jetzt?N ] Banderen?N ] Bda?N ] BWarum?N ] BStellen?N ] BKreuz?N ] BJa!N ] BFreispruchN ] Bverpasst --N ] BMöglich.N ] Bich!N ] Bbeurteilen?N ] BG ENDARM ,N ] BNacht!N ] B B

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Lesetext

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korrigiert aus: Pokorny ! korrigiert aus: jetzt ? korrigiert aus: anderem ? korrigiert aus: da ? korrigiert aus: Warum ? korrigiert aus: Stellen ? korrigiert aus: Kreuz ? korrigiert aus: JA½ korrigiert aus: Freisüruch korrigiert aus: verpasst-. korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: beurteilen ? korrigiert aus: G ENDARM , korrigiert aus: Nacht !

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A3 (Korrekturschicht)

G ENDARM Die Hauptsach ist, dass ich schon telefoniert hab -- jetzt ist bereits alles umzingelt, der kann uns nichtmehr durch die Maschen! W IRT Wenn er noch lebt, der Hund! 얍 H UDETZ (erhebt sich mit einem lauten Ruck) A LLE ( erblicken ihn erst jetzt, schrecken zusammen und starren ihn entgeistert an) A LFONS Thomas! (Stille) H UDETZ (geht langsam auf den G ENDARMEN zu) Herr Inspektor, ich melde mich zur Stelle. G ENDARM Im Namen des Gesetzes! H UDETZ (zu A LFONS ) Ich habs mir überlegt -- ( er nickt ihm lächelnd zu) A LFONS (fixiert ihn und lächelt leise) W IRT (mit der Hand am Herz) Fesselt ihn, fesselt ihn! H UDETZ (lächelt) Nicht nötig -W ALDARBEITER (zu H UDETZ ) Frech auch noch?! Wart, Dir hau ich eine hin -- (er will auf ihn los) A LFONS Halt! Tuts mir den Gefallen und lasst ihm seinen Frieden! H UDETZ (zu A LFONS ) Danke. (Stille) G ENDARM (zu H UDETZ ) Kommens jetzt -H UDETZ (horcht plötzlich auf) Still! (er lauscht) Waren das jetzt nicht Posaunen? A LFONS Es war nur der Wind -H UDETZ (nickt A LFONS lächelnd zu) Das glaubst Du ja selber nicht -- -B

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ist, dassN ] Maschen!N ] BHund!N ] Berblicken ihnN ] Bjetzt, schreckenN ] BThomas!N ] BGesetzes!N ] Ber nicktN ] Bihn!N ] Bnoch?!N ] BHalt!N ] BFrieden!N ] BStill!N ] BN] BPosaunen?N ] Bnicht -- --N ] B B

korrigiert aus: ist,dass korrigiert aus: Maschen ! korrigiert aus: Hund ! korrigiert aus: erblickenihn korrigiert aus: jetzt,schrecken korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: Gesetzes ! korrigiert aus: [er n]ickt korrigiert aus: ihn ! korrigiert aus: noch ?! korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: Frieden ! korrigiert aus: Still ! [Posaunen] korrigiert aus: Posaunen ? korrigiert aus: nicht -- -.-

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ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 7

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A4 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

얍 vom Tisch wirft, das klirrend zerbricht) (Stille) H UDETZ (unheimlich ruhig) Sie haben ein Glas zerbrochen -5 F ERDINAND (glotzt ihn an, immer gehässiger) Das geht Dich nichts an -H UDETZ BMöglich.N (Stille) F ERDINAND (leise) Du BVerbrecher, -- DuN, Du sitzt da an meinem BTisch!N (er schnellt plötzlich empor, reisst sein Messer heraus und brüllt) Geh her und ich stich Dich B 10 nieder, ichN schneid Dich auf, ich tritt Dich in BFetzen!N (Stille) H UDETZ (ruhig, wie vorhin) Tu das Messer weg -F ERDINAND Das tät Dir so passen, Bwas?N 얍 B N H UDETZ (herrscht ihn an) Tus weg! 15 (Stille) F ERD (schluchzt plötzlich) Ach, Annerl! Liebes armes Annerl – – .... (er lässt Messer fallen … usw.) B N 얍(er lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen und weint lautlos; zu H UDETZ ) Du weisst es ja Bgarnicht, wasN Du mir angetan hast, Schuft elender -- ich bin ja ein weicher Mensch und könnt keiner Fliege was antun, keiner Fliege -- ich 20 könnt ja nicht einmal Dich -- (er lässt das Messer fallen und vergräbt seinen Kopf in seinen Händen) 얍 H UDETZ (sieht sich um) Wo sind denn die BAnderen?N F ERDINAND Was weiss Bich!N Da denkst an nichts, schaust Dich um und bist allein -sie lassen Dich sitzen, diese BVerbrecher --N 25 H UDETZ (wie zuvor) Ist denn niemand Bda?N F ERDINAND Niemand, nur ich B-- (erN seufzt) Und was bin Bich?N Ein Hund. 얍 B N – – – Ein miserabler Charakter. 얍BN H UDETZ (fast barsch) Hörens auf! 30 F ERDINAND (schreit ihn an) Ein ganz ein BschlechterN Mensch! Immer hab ich das arme Annerl mit meiner blinden Eifersucht verfolgt und habs nicht haben wollen, dass sie schöner Bwird –N B(er stockt plötzlich und hält die Hand vor die Augen)N 6 8 8 10 10 13 14 17 18 22 23 24 25 26 26 26 28 30 32 32

Möglich.N ] Verbrecher, -- DuN ] BTisch!N ] Bnieder, ichN ] BFetzen!N ] Bwas?N ] BN] BN] Bgarnicht, wasN ] BAnderen?N ] Bich!N ] BVerbrecher --N ] Bda?N ] B-- (erN] Bich?N ] BN] BN] BschlechterN ] Bwird –N ] B(er f Augen)N ] B B

korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: Verbrecher,--Du korrigiert aus: Tisch ! korrigiert aus: nieder,ich korrigiert aus: Fetzen ! korrigiert aus: was ? gestrichen: – 80 – gestrichen: – 81 – korrigiert aus: garnicht,was korrigiert aus: Anderen ? korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: Verbrecher .korrigiert aus: da ? korrigiert aus: --(er korrigiert aus: ich ? gestrichen: F ERD gestrichen: – 81 –

[elender] |schlechter| wird[!] |–| [(er schluchzt wieder)] |(er f Augen)|

69

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 1

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 1

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 1

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 6

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 1 ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 2

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A4 (Korrekturschicht)

H UDETZ (horcht auf) Schöner? (Stille) F ERDINAND (zerknirscht) Immer \Textabbruch\

70

Lesetext

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

5

10

15

20

25

30

35

K2/TS1/A5 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 (Stille) H UDETZ (schenkt sich in Gedanken versunken Wein ein und trinkt) Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen wissens, an so ein Signal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamte gewesen ist -- (er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven BPokorny?N Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna -- (er lächelt) Jaja, die BAnna!N Heut stand sie droben auf dem Viadukt und rief mir zu: „Komm nicht herauf, 얍 B N B N es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin! Bleib leben, bleib leben –“ F ERDINAND (BmurmeltN sehr müde) BLeben? Warum?N H UDETZ (lächelt) Ja, Bdas wird wohl seine Gründe haben,N Bdenn allesN hat seine Gründe – (er blickt empor) Herr Pokorny! Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur anderen? (Stille) F ERDINAND (ist eingeschlafen und schnarcht) H UDETZ (lächelt) Träume süss – 얍 F ERDINAND (erwacht wieder, reibt sich die Augen und fixiert H UDETZ ) Ach, Du bist noch immer Bda?N H UDETZ (sieht sich um) Ich suche den Herrn Inspektor. Ich dacht, ich würd ihn hier finden -F ERDINAND BWarum?N (Stille) H UDETZ (langsam, jedoch sicher) Ich will mich stellen. F ERDINAND (perplex) BStellen?N H UDETZ (nickt ja) Von allein. Sie sollen mich nur verhaften. (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn geistlos an und grinst dann) Ah, der Herr 얍 kriechen zu B Kreuz?N H UDETZ BJa!N (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn noch immer an) Jetzt gibts aber dann keinen BFreispruchN mehr -H UDETZ (lächelt leise) Ich hab ja auch ein Signal Bverpasst --N F ERDINAND (wie zuvor) Jetzt kommt dann der Kopf drann, ein Kopf -7 8 9 9 11 11 12 12 19 22 25 29 30 32 34

Pokorny?N ] Anna!N ] BN] BN] BmurmeltN ] BLeben? Warum?N ] Bdas f haben,N ] Bdenn allesN ] Bda?N ] BWarum?N ] BStellen?N ] BKreuz?N ] BJa!N ] BFreispruchN ] Bverpasst --N ] B B

korrigiert aus: Pokorny ? korrigiert aus: Anna ! gestrichen: – 82 – gestrichen: H UDETZ – „

\murmelt/ [Warum?] |Leben? Warum?| [warum] [|waru|] |das f haben,| [wie] |denn| alles [– alles] korrigiert aus: da ? korrigiert aus: Warum ? korrigiert aus: Stellen ? korrigiert aus: Kreuz ? korrigiert aus: JA½ korrigiert aus: Freisüruch korrigiert aus: verpasst-.

71

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 3

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 3

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 3

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A5 (Korrekturschicht)

Lesetext

H UDETZ (wie zuvor) Möglich. F ERDINAND (grinst) Schad wärs ja nicht um Dich -H UDETZ (wie zuvor) Das weiss ich nicht. F ERDINAND (fährt ihn an) Aber ich! 5 (Stille) H UDETZ Es dreht sich nicht darum, ob es schad um einen wär oder nicht -- wer könnte denn das auch schon beurteilen? F ERDINAND Wir werden Dich schon kriegen -- bei Wasser und Brot. H UDETZ Nur zu. Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt - oder frei10 spricht - (er lächelt) (Nun kommen sie wieder zurück; der W IRT , der G ENDARM , F RAU L EIMGRUBER, ihre V ERWANDTE , der L EHRER, A LFONS , L ENI und der W ALDARBEITER ; sie treten links ein und erblicken Hudetz nicht sogleich) F RAU L EIMGRUBER Ich habs ja gleich gewusst, dass der Spaziergang keinen Sinn hat 15 bei der stockdunklen Nacht! G ENDARM Die Hauptsach ist, dass ich schon telefoniert hab -- jetzt ist bereits alles umzingelt, der kann uns nichtmehr durch die Maschen! W IRT Wenn er noch lebt, der Hund! 얍 H UDETZ (erhebt sich mit einem lauten Ruck) 20 A LLE ( erblicken ihn erst jetzt, schrecken zusammen und starren ihn entgeistert an) A LFONS Thomas! (Stille) H UDETZ (geht langsam auf den G ENDARMEN zu) Herr Inspektor, ich melde mich zur Stelle. 25 G ENDARM Im Namen des Gesetzes! H UDETZ (zu A LFONS ) Ich habs mir überlegt -- ( er nickt ihm lächelnd zu) A LFONS (fixiert ihn und lächelt leise) 얍 W IRT (mit der Hand am Herz) Du traust Dich her, Du? 30 F ERDINAND (ist aufgewacht und plärrt plötzlich) Fesselt ihn, fesselt ihn! 얍 H UDETZ (lächelt) Nicht nötig -W ALDARBEITER (zu H UDETZ ) Frech auch noch?! Wart, Dir hau ich eine hin -- (er will auf ihn los) A LFONS Halt! Tuts mir den Gefallen und lasst ihm seinen Frieden! B

N

B

N

B

N

B

B

N

N

B

N

B

B

B

N

B

N

N

B

N

N

B

N

B

N

B N

B

B

1 4 7 11 15 16 17 18 20 20 21 25 26 28 32 34 34

N

Möglich.N ] ich!N ] Bbeurteilen?N ] BG ENDARM ,N ] BNacht!N ] Bist, dassN ] BMaschen!N ] BHund!N ] Berblicken ihnN ] Bjetzt, schreckenN ] BThomas!N ] BGesetzes!N ] Ber nicktN ] BN] Bnoch?!N ] BHalt!N ] BFrieden!N ] B B

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 7

N

B

korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: beurteilen ? korrigiert aus: G ENDARM , korrigiert aus: Nacht ! korrigiert aus: ist,dass korrigiert aus: Maschen ! korrigiert aus: Hund ! korrigiert aus: erblickenihn korrigiert aus: jetzt,schrecken korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: Gesetzes ! korrigiert aus: [er n]ickt gestrichen: – 84 – korrigiert aus: noch ?! korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: Frieden !

72

N

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 3

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 7

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

Lesetext

H UDETZ (zu A LFONS ) Danke. (Stille) G ENDARM (zu H UDETZ ) Kommens jetzt -H UDETZ (horcht plötzlich auf) Still! (er lauscht) Waren das jetzt nicht Posaunen? A LFONS Es war nur der Wind -H UDETZ (nickt A LFONS lächelnd zu) Das glaubst Du ja selber nicht -- -B

5

K2/TS1/A5 (Korrekturschicht)

N

BNB

B

(V o r h a n g) ENDE

10

4 4 4 6

Still!N ] ] BPosaunen?N ] Bnicht -- --N ] B

BN

korrigiert aus: Still ! [Posaunen] korrigiert aus: Posaunen ? korrigiert aus: nicht -- -.-

73

N

N

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A6 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 H UDETZ (sieht sich um) Wo sind denn die BAnderen?N F ERDINAND Was weiss Bich!N Da denkst an nichts, schaust Dich um und bist allein -sie lassen Dich sitzen, diese BVerbrecher --N H UDETZ (wie zuvor) Ist denn niemand Bda?N 5 F ERDINAND Niemand, nur ich B-- (erN seufzt) Und was bin Bich?N Ein Hund. 얍 B N – – – Ein miserabler Charakter. H UDETZ (fast barsch) Hörens auf! F ERD B(schreit ihn an) Ein ganz ein elender Mensch!N – – – ein Lügner bin ich, ein grosser Lügner! (er schenkt sich betrunken BWein ein undN leert das Glas verzwei10 felt auf einen Zug) H UDETZ (lächelt grimmig) BZum Wohlsein!N F ERD Danke. Lieber Herr, wer weiss, wenn ich dem armen Annerl ihre Creme gelassen hätt – – B N 얍, dann wärs garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben, es hätt keine Zugkatastrophe gegeben, sie hätt auch nicht falsch ge15 schworen und 얍 – vielleicht täts heut noch leben – B N 얍BN H UDETZ Aha, leben – F ERD Sicher. H UDETZ Vielleicht. 20 F ERD Und wer ist schuld, dass sie nimmer lebt? Ich. H UDETZ Aber! F ERD (herrscht ihn an) Wer denn Bsonst?!N Wer denn sonst, ha?! (Stille) H UDETZ Ich. 25

\Abbruch der Bearbeitung\

1 2 3 4 5 5 5 8 9 11 13 15 16 22

Anderen?N ] ich!N ] BVerbrecher --N ] Bda?N ] B-- (erN] Bich?N ] BN] B(schreit f Mensch!N ] BWein f undN ] BZum Wohlsein!N ] BN] BN] BN] Bsonst?!N ] B B

korrigiert aus: Anderen ? korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: Verbrecher .korrigiert aus: da ? korrigiert aus: --(er korrigiert aus: ich ? gestrichen: F ERD

[Doch-doch] |(schreit f Mensch!| [ein u] |Wein f und| [Das wird schon nicht so schlimm sein –] [|Prost!|] |Zum Wohlsein!| gestrichen: (usw.) [us] gestrichen: – 81 – sonst[!]|?|!

74

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 6

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 1

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 6 ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 1 ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A8 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍BN H UDETZ (geht wieder an den BTisch, setztN Bsich, nimmtN die Flasche in die BHandN) Darf ich? F ERDINAND BSauf.N BSaufstN eh nimmer Blang –N 5 H UDETZ B(giesstN sich Bein, hebtN das Glas und lächelt) Prost! F ERDINAND BGeh drauf.N H UDETZ Danke. (er BleertN das Glas auf einen Zug) F ERDINAND Schmeckts? H UDETZ Ja. 10 (Stille) F ERDINAND B(grinst)N Jetzt schwimmst uns nimmer davon. H UDETZ Hoffentlich. B (Die Kirchturmuhr schlägt)N B H UDETZ N (sieht auf seine Uhr) 15 F ERDINAND Wie spät Bhaben wirs dennN schon? H UDETZ BDie Bahnuhr geht vor.N (Stille) F ERDINAND Wo kommst denn BjetztN her? H UDETZ Vom Viadukt. 20 F ERDINAND B(starrt ihn an)N Viadukt? H UDETZ Ja. B (Stille)N F ERD BWeisstN, was ich an BDeinerN Stell auf einem Viadukt tät? Ich springet runter – direkt hinunter! 25 H UDETZ (erhebt sich unangenehm berührt) F ERD (mit geschlossenen Augen) Pfeilgerade. Direkt dort, wos am tiefsten ist – B H UDETZ Das wollt ich ja auch.

1 2 2 2 4 4 4 5 5 6 7 11 13 14 15 16 18 20 22 23 23 27

] Tisch, setztN] Bsich, nimmtN] BHandN ] BSauf.N ] BSaufstN ] Blang –N ] B(giesstN ] Bein, hebtN ] BGeh drauf.N ] BleertN ] B(grinst)N ] B(Die f schlägt)N ] BH UDETZ N ] Bhaben f dennN ] BDie f vor.N ] BjetztN ] B(starrt f an)N ] B(Stille)N ] BWeisstN ] BDeinerN ] BH UDETZ f also.N ] BN B

gestrichen: – 82 – Tisch\,/ [und] setzt sich[)][|, giesst sich|] |, nimmt| [Hand] |Hand| [Sauf nur.] [|Nur zu.|] |Sauf.| [Sau] |Saufst| lang[!] |–| [{Danke – }(er] \(/giesst ein [und] |, hebt| [Erstick] |Geh drauf.| [trinkt] |leert| [J] |(grinst)| [(Stille] |(Die f schlägt)| [F ERDI ] |H UDETZ | [ists denn] |haben f denn| [Nach der Bahnuhr] |Die f vor.| \jetzt/ \(starrt f an)/ \(Stille)/ [\(gähnt)/ Wissens] |Weisst| [Ihrer] |Deiner| \H UDETZ f also./

75

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

F ERD Na also. (Stille)

K2/TS1/A8 (Korrekturschicht)

N

B N

\Abbruch der Bearbeitung\

3

BN

]

gestrichen: – 82 –

76

Lesetext

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A9 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍BN H UDETZ – Alle reden nur von dem armen Frl. Anna – (er Blächelt undN blickt empor) Herr Pokorny! Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur andern? F ERDINAND (ist wieder müd Bgeworden; murmelt) Glückliche Reise – Ich tät runter5 springen –N Brunter, runter – –N B (Stille)N H UDETZ B(trinkt und sieht sich um) „Zur Erinnerung an die ehrengeachtete Jungfrau, Gastwirtstochter dahier –“ (er lächelt)N Jaja, die Anna – – Heut stand sie droben auf dem Viadukt ..... B„BleibN leben! Bleib leben!“ 10 F ERD (ist Beingeschlafen)N B H UDETZ (lächelt)N BHalte still, Du Wandersmann – – was ich am jüngsten Tag über Dich für ein Urteil sprich – – Hüte Dich. Hüte Dich.N (Jetzt weht draussen der Wind und es BklingtN, wie Posaunen in der Ferne) H UDETZ B(horcht auf und es wird ihm bange)N 15 F ERD B(erwacht; er blickt sich um sich)N Was war denn das? BHab ich jetzt geträumt B N oder hab ichs wirklich gehört –N (er reibt sich die Augen) B N B N B N

20

H UDETZ (fast lauernd) Was? F ERD (sieht sich um) Posaunen – – (Stille) H UDETZ Nein. Es war nur der Wind. F ERDINAND Dann ists schon wieder gut. (Stille) H UDETZ (sieht sich um) Wann kommt er denn, der Gendarm? F ERD Er kommt. Dort liegen seine Handschuhe, die lasst er nicht zurück. H UDETZ Hoffentlich. Hoffentlich wirds nicht zu spät und ich überlegs mir wieder – BN

25

B

1 2 4–5

N

] lächelt undN ] Bgeworden f runterspringen –N ] BN B

5 6 7–8 9 10 11 11–12

B

runter, runter – –N ] (Stille)N ] B(trinkt f lächelt)N ] B„BleibN ] Beingeschlafen)N ] BH UDETZ (lächelt)N] BHalte f Dich.N]

13 14 15

B

15 15 17 18 19 21 27

B

B

klingtN ] (horcht f bange)N ] B(erwacht f sich)N ] B

Hab f gehört –N ] ] BN] BN] BN] BN] BWarumN ] BN

gestrichen: – 82 – \lächelt und/ geworden[)] [|; murmelt) Glückliche Reise – (er schläft ein) (Stille)|] |– Ich tät runterspringen [,] |–|| [runter,] runter, [–] |runter – –| \(Stille)/ (trinkt[)] [|{wieder)}|] |und f lächelt)| korrigiert aus: Bleib eingeschlafen \)/ [[und schnarcht)]] \H UDETZ (lächelt) [Träume süss – – { }]/ \[H UDETZ ] Halte still, Du Wandersmann – – [Nimm Dich in acht] [[und hüte Dich, was ich am jüngsten Tag über Dich für ein Urteil sprich]] |was ich am jüngsten Tag über Dich für ein Urteil sprich – – Hüte Dich. Hüte Dich.|/ [ist] |klingt| [({er}] |(horcht [bange] |auf und es wird ihm bange)|| (erwacht \;/ [–] er blickt sich um [und reibt sich die Augen)] |sich)| xHab f gehört – [?] [H UDETZ Was?] [F ERD ] [Hab f gehört –]f x [Das waren doch jetzt] [Warum] |Er kommt.|

77

ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 5

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A9 (Korrekturschicht)

F ERD Was? (Stille) B N

\Abbruch der Bearbeitung\

3

BN

]

gestrichen: – S. 82 –

78

Lesetext

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A10 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

10

15

얍 vom Tisch wirft, das klirrend zerbricht) (Stille) H UDETZ (unheimlich ruhig) Sie haben ein Glas zerbrochen -F ERDINAND (glotzt ihn an, immer gehässiger) Das geht Dich nichts an -H UDETZ BMöglich.N (Stille) F ERDINAND (leise) Du BVerbrecher -- DuN, Du sitzt da an meinem BTisch?N (er schnellt plötzlich empor, reisst sein Messer heraus und brüllt) Geh her und ich stich Dich B nieder, ichN schneid Dich auf, ich tritt Dich in BFetzen!N (Stille) H UDETZ (ruhig, wie vorhin) Tu das Messer weg -F ERDINAND Das tät Dir so passen, Bwas?N H UDETZ (herrscht ihn an) Tus Bweg!N (Stille)

ÖLA 3/W 80 – BS 10 d [1], Bl. 1

B N

F ERDINAND (schluchzt plötzlich ) Ach, Annerl! Liebes, armes Annerl -- (er lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen und weint lautlos; zu H UDETZ ) Du weisst es ja garnicht, was Du mir angetan hast, Schuft elender -- ich bin ja ein wei20 cher Mensch und könnt keiner Fliege was antun, keiner Fliege -- ich könnt ja nicht einmal Dich -- (er lässt das Messer fallen und vergräbt seinen Kopf in seinen Händen) 얍 (Stille) H UDETZ (sieht sich um) Wo sind denn die Anderen? 25 F ERDINAND Was weiss ich! Da denkst an nichts, schaust Dich um und bist allein -(er seufzt) Und was bin ich? Ein miserabler Charakter -H UDETZ (lächelt) Das wird schon nicht so schlimm sein -BN B

B

B

N

B

N

N

N

B

B

B

N

N

B

6 8 8 10 10 13 14 16

B

Möglich.N ] Verbrecher -- DuN ] BTisch?N ] Bnieder, ichN ] BFetzen!N ] Bwas?N ] Bweg!N ] BN]

17 17 17 19 23 24 25 26

BN

26 26

B

B

] (schluchzt plötzlichN ] BAnnerl!N ] Bgarnicht, wasN ] B(Stille)N ] BAnderen?N ] Bich!N ] B(erN ] B

ich?N ] ]

BN

N

N

BN

korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: Verbrecher[,]--Du korrigiert aus: Tisch ? korrigiert aus: nieder,ich korrigiert aus: Fetzen ! korrigiert aus: was ? korrigiert aus: weg !

[F ERDINAND (starrt ihn perplex an) Wo kommst denn her ? H UDETZ Vom Viadukt. F ERDINAND Vom Viadukt ? H UDETZ Was starrens mich denn so an ? Ich bin doch noch lang nicht tot -(er lächelt)] [Das kann ein jeder sagen --] [(er] \(/schluchzt \plötzlich/ korrigiert aus: Annerl ! korrigiert aus: garnicht,was \(Stille)/ korrigiert aus: Anderen ? korrigiert aus: ich ! [[sie lassen Dich sitzen, diese Verbrecher .- \(Stille)/] |(Stille)| H UDETZ (wie zuvor) Ist denn niemand da ? F ERDINAND Niemand[, nur ich] --(er] |(er| korrigiert aus: ich ? [Hund. Ein]

79

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [1], Bl. 2

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

10

N

B

N

B

B

B

20

N

N

B

25

N

B

B

N

B

30

N

N

B

15

Lesetext

F ERDINAND Doch-doch -- ein ganz ein elender Mensch! Immer hab ich das arme Annerl mit meiner sinnlosen Eifersucht verfolgt und habs nicht haben wollen, dass sie schöner wird, damit sie keinem anderen gefällt, und drum hab ichs ihr auch verboten, dass sie sich eine Creme kauft, obwohl sie mir eingecremt besser gefallen hat -- ein Lügner bin ich, lieber Herr, ein grosser Lügner! Wer weiss, wenn ich ihr die Creme gelassen hätt, dann wärs garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben, es hätt keine Zugkatastrophe gegeben, sie hätt auch nicht falsch geschworen und tät vielleicht heut noch leben -H UDETZ Vielleicht. F ERDINAND Und wer ist schuld? Ich. H UDETZ Aber! F ERDINAND No ja, direkt bin ich allerdings nicht schuld, aber indirekt -- (er wird wieder müde und stiert ihn an) Wissens, was ich an Ihrer Stell tät? Ich ging zum Viadukt zurück und springet direkt hinunter. H UDETZ (erhebt sich unangenehm berührt) F ERDINAND (mit geschlossenen Augen) Pfeilgerade. Direkt von oben, dort wos am tiefsten ist. 얍 (Stille) H UDETZ (schenkt sich in Gedanken versunken Wein ein und trinkt) Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen wissens, an so ein Signal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamte gewesen ist -- (er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven Pokorny? Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna -- (er lächelt) Jaja, die Anna! Heut stand sie droben auf dem Viadukt, wie ich runter wollte – und sie rief mir zu: „Komm nicht herauf, es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin!“ F ERDINAND (ist eingeschlafen) H UDETZ (lächelt) Träume süss -- (er blickt empor) Herr Pokorny! Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur anderen? F ERDINAND (erwacht wieder, reibt sich die Augen und fixiert H UDETZ ) Hoppla! Wen sehen denn meine entzündeten Augen? H UDETZ (sieht sich um) Ich suche den Herrn Inspektor. Ich dacht, ich würd ihn hier finden -B

5

K2/TS1/A10 (Korrekturschicht)

B

N

B

B

N

N

N BN BN

N

B

N

B

1 1 5 10 11 13 24 25 26 26 27 27 27 30 30 31–32 33

N

F ERDINAND N ] Mensch!N ] BLügner!N ] Bschuld?N ] BAber!N ] Btät?N ] BPokorny?N ] BAnna!N ] BViadukt, f wollte –N ] BsieN ] Bbin!“N ] BN] BN] Bjetzt?N ] Banderen?N ] BHoppla! f Augen?N ] BsichN ] B B

korrigiert aus: DF ERDINAND korrigiert aus: Mensch ! korrigiert aus: Lügner ! korrigiert aus: schuld ? korrigiert aus: Aber ! korrigiert aus: tät ? korrigiert aus: Pokorny ? korrigiert aus: Anna !

Viadukt\, wie ich runter [wollte,] |wollte –|/ \sie/ korrigiert aus: bin ! [[“] \Bleib [am] leben und denk an mich –“/] [(zu F ERDINAND ) [Hörens mich ?] |Haben Sies gehört?|] korrigiert aus: jetzt ? korrigiert aus: andere[m]|n| ? [Ach, Du bist noch immer da ?] |Hoppla! f Augen?| [a]|s|ich

80

ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [1], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A10 (Korrekturschicht)

F ERDINAND Warum? (Stille) H UDETZ (langsam, jedoch sicher) Ich will mich stellen. F ERDINAND (perplex) Stellen? H UDETZ (nickt ja) Von allein. Er soll mich nur verhaften. (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn geistlos an und grinst dann) Ah, der Herr 얍 kriechen zu Kreuz? H UDETZ Ja – (er trinkt) (Stille) F ERDINAND Trinkst Dir Mut an? H UDETZ Nein. (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn noch immer an) Jetzt gibts nämlich dann keinen Freispruch mehr -H UDETZ (lächelt leise) Ich hab ja auch ein Signal verpasst -F ERDINAND (wie zuvor) Jetzt kommt dann der Kopf drann, ein Kopf -H UDETZ (wie zuvor) Möglich. F ERDINAND (grinst) Schad wärs ja nicht um Dich -H UDETZ (wie zuvor) Das weiss ich nicht. F ERDINAND (fährt ihn an) Aber ich! (Stille) H UDETZ Es dreht sich nicht darum, ob es schad um einen wär oder nicht -- wer könnt denn das auch schon beurteilen? F ERDINAND Wir werden Dich schon kriegen -- bei Wasser und Brot. H UDETZ Nur zu. Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt - oder freispricht - (er lächelt) Jaja: „bleib leben, bleib leben“ – (Nun kommen sie wieder zurück; der W IRT , der G ENDARM , F RAU L EIMGRUBER, ihre V ERWANDTE , der L EHRER, A LFONS , L ENI und der W ALDARBEITER ; sie treten links ein und erblicken Hudetz nicht sogleich) F RAU L EIMGRUBER Ich habs ja gleich gewusst, dass unser Spaziergang keinen Sinn hat bei dieser stockdunklen Nacht! B

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Warum?N ] Stellen?N ] BEr sollN ] BN] BKreuz?N ] BJaN ] BJa f trinkt)N ] BF ERDINAND f (Stille)N ] BnämlichN ] BFreispruchN ] Bverpasst --N ] BMöglich.N ] Bich!N ] BkönntN ] Bbeurteilen?N ] B(er lächelt)N ] BJaja f leben“ –N ] BG ENDARM ,N ] BunserN ] BdieserN ] BNacht!N ] B B

B

N

korrigiert aus: Warum ? korrigiert aus: Stellen ?

[Sie] |Er| soll[en] [\(er trinkt)/] korrigiert aus: Kreuz ? korrigiert aus: JA Ja[½]|–| \(er trinkt)/ \F ERDINAND f (Stille)/ [aber] |nämlich| Freis[ü]|p|ruch korrigiert aus: verpasst-. korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: ich ! könnt[e] korrigiert aus: beurteilen ? [(]|(|er lächelt[)]|)| \Jaja: „bleib leben, [bl] |bleib| leben“ –/ korrigiert aus: G ENDARM , [der] |unser| [der] |dieser| korrigiert aus: Nacht !

81

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ÖLA 3/W 80 – BS 10 d [1], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A10 (Korrekturschicht)

G ENDARM Die Hauptsach ist, dass ich schon telefoniert hab -- jetzt ist bereits alles umzingelt, der kann uns nichtmehr durch die Maschen! W IRT Wenn er noch lebt, der Hund! 얍 H UDETZ (erhebt sich mit einem lauten Ruck) A LLE ( erblicken ihn erst jetzt, schrecken zusammen und starren ihn entgeistert an) A LFONS Thomas! (Stille) H UDETZ (geht langsam auf den G ENDARMEN zu) Herr Inspektor, ich melde mich zur Stelle. G ENDARM Im Namen des Gesetzes! H UDETZ (zu A LFONS ) Ich habs mir überlegt -- ( er nickt ihm lächelnd zu) A LFONS (fixiert ihn und lächelt leise) W IRT (mit der Hand am Herz) Du traust Dich her, Du? F ERDINAND Fesselt ihn, fesselt ihn! H UDETZ (lächelt) Nicht nötig -W ALDARBEITER (zu H UDETZ ) Frech auch noch?! Wart, Dir hau ich eine hin -- (er will auf ihn los) A LFONS Halt! Tuts mir den Gefallen und lasst ihm seinen Frieden! H UDETZ (zu A LFONS ) Danke. (Stille) G ENDARM (zu H UDETZ ) Kommens jetzt -(Draussen weht wieder der Wind, wie Posaunen in der Ferne) H UDETZ (horcht auf) Still! (er lauscht) Waren das jetzt nicht Posaunen? A LFONS Es war nur der Wind -H UDETZ (nickt A LFONS lächelnd zu) Das glaubst Du ja selber nicht -- -B

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(V o r h a n g) ENDE

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ist, dassN ] Maschen!N ] BHund!N ] Berblicken ihnN ] Bjetzt, schreckenN ] BThomas!N ] BGesetzes!N ] Ber nicktN ] BDu f Du?N ] BF ERDINAND f ihn!N ] Bihn!N ] Bnoch?!N ] BHalt!N ] BFrieden!N ] B(Draussen f Ferne)N BN] BStill!N ] BN] BPosaunen?N ] Bnicht -- --N ] B B

korrigiert aus: ist,dass korrigiert aus: Maschen ! korrigiert aus: Hund ! korrigiert aus: erblickenihn korrigiert aus: jetzt,schrecken korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: Gesetzes ! korrigiert aus: [er n]ickt

[Fesselt ihn, fesselt ihn !] |Du f Du?| \F ERDINAND / [Fesselt ihn, fesselt ihn!] korrigiert aus: ihn ! korrigiert aus: noch ?! korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: Frieden ! \(Draussen f Ferne)/ [plötzlich] korrigiert aus: Still ! [Posaunen] korrigiert aus: Posaunen ? korrigiert aus: nicht -- -.-

82

N

N

ÖLA 3/W 80 – BS 10 d [1], Bl. 5

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A12 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

10

15

얍 vom Tisch wirft, das klirrend zerbricht) (Stille) H UDETZ (unheimlich ruhig) Sie haben ein Glas zerbrochen -F ERDINAND (glotzt ihn an, immer gehässiger) Das geht Dich nichts an -H UDETZ BMöglich.N (Stille) F ERDINAND (leise) Du BVerbrecher -- DuN, Du sitzt da an meinem BTisch?N (er schnellt plötzlich empor, reisst sein Messer heraus und brüllt) Geh her und ich stich Dich B nieder, ichN schneid Dich auf, ich tritt Dich in BFetzen!N (Stille) H UDETZ (ruhig, wie vorhin) Tu das Messer weg -F ERDINAND BTätN Dir so passen, Bwas?N H UDETZ (herrscht ihn an) Tus Bweg!N (Stille)

ÖLA 3/W 80 – BS 10 d [1], Bl. 1

B N

F ERDINAND (schluchzt plötzlich) Oh Du mein Annerl! Liebes, armes Annerl -(er lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen und weint lautlos; zu H UDETZ ) Du weisst es ja garnicht, was Du mir angetan hast, Schuft miserabler -- ich bin ja ein weicher Mensch und könnt keiner Fliege was antun, keiner Fliege -- ich könnt ja nicht einmal Dich -- (er lässt das Messer fallen und vergräbt betrunken-zerknirscht seinen Kopf in seinen Händen) Immer hab ich das arme 얍 Annerl mit meiner blinden Eifersucht verfolgt und habs ihr verboten, dass sie sich eine Creme kauft, obwohl sie mir eingecremt besser gefallen hat – ein Lügner bin ich, Herr, ein grosser Lügner! Und die Lüge ist der Urgrund aller Sünden – H UDETZ (lächelt unheimlich) Gewiss. F ERDINAND Wer weiss, wenn ich ihr eine Creme gelassen hätt, dann wärs vielleicht garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben – H UDETZ (horcht auf) F ERDINAND Vielleicht täts heut noch leben – BN B

N B

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Möglich.N ] Verbrecher -- DuN ] BTisch?N ] Bnieder, ichN ] BFetzen!N ] BTätN ] Bwas?N ] Bweg!N ] BN]

17 17 17 19 19 21–22 22 26 27

BN

B

] (schluchzt f meinN ] BAnnerl!N ] Bgarnicht, wasN ] BmiserablerN ] Bbetrunken-zerknirschtN ] BImmer f armeN ] BH UDETZ N ] BeineN ] B

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korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: Verbrecher[,]--Du korrigiert aus: Tisch ? korrigiert aus: nieder,ich korrigiert aus: Fetzen !

[Das] [tä]|Tä|t korrigiert aus: was ? korrigiert aus: weg ! [F ERDINAND (starrt ihn perplex an) Wo kommst denn her ? H UDETZ Vom Viadukt. F ERDINAND Vom Viadukt ? H UDETZ Was starrens mich denn so an ? Ich bin doch noch lang nicht tot -- (er lächelt)] [Das kann ein jeder sagen --] [(er] \(/schluchzt \plötzlich/) [Ach,] |Oh Du mein| korrigiert aus: Annerl ! korrigiert aus: garnicht,was [elender] |miserabler| \betrunken-zerknirscht/ \Immer f arme/ [Hudetz] |H UDETZ | [die] |eine|

83

ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 1

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

Lesetext

H UDETZ (fällt ihm barsch ins Wort) Hörens auf! F ERDINAND (schenkt sich ein Glas Wein ein und leert es auf einen Zug) H UDETZ (sieht sich um) Ist denn niemand da? F ERDINAND (trist) Nur ich – (er seufzt) Und was bin ich? Schuld bin ich, schuld – H UDETZ (fällt ihm wieder ins Wort) Ist denn alles schon heim? F ERDINAND Da denkst an nichts, schaust Dich um und bist allein – (Stille) H UDETZ (überlegt kurz und will dann langsam nach links ab) F ERDINAND (plötzlich scharf) Halt! H UDETZ (hält) F ERDINAND (lauernd) Wohin? H UDETZ (lächelt wieder unheimlich) Ich suche jemand – F ERDINAND (erhebt sich drohend, nähert sich ihm und hält dicht bei ihm) Du hast hier nichtsmehr zu suchen – dass 얍 Du mir dableibst, verstanden? Du bleibst, bis er Dich holt – H UDETZ (wie zuvor) Der Teufel? F ERDINAND Der auch. Aber zuerst der Gendarm – H UDETZ (wie zuvor) Den such ich ja grad – F ERDINAND (versteht ihn nicht; automatisch) Das kann ein jeder sagen. Du bleibst, bis er kommt, sonst gibts noch ein Unglück – (Stille) H UDETZ (wie zuvor) Dass er nur kommt, dieser Gendarm – F ERDINAND (grimmig) Verlass Dich drauf! Dort liegen seine Handschuhe, die lasst er nicht schwimmen – (er grinst) und Du, Du schwimmst uns jetzt auch nimmer davon – B

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K2/TS1/A12 (Korrekturschicht)

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ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 2

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얍BN H UDETZ Hoffentlich (er tritt wieder an den Tisch, setzt sich und nimmt die Flasche in die Hand) Darf ich? F ERDINAND BNur los!N Saufst eh nimmer lang – jetzt heissts dann bald Habedieehre – 30 (er macht die Geste des Aufhängens) H UDETZ (schenkt sich ein, hebt das Glas und Blächelt leise)N Prost Anna – F ERDINAND Geh drauf. (er setzt sich ebenfalls wieder) H UDETZ (leert das Glas auf einen Zug und schenkt sich wieder eines ein) F ERDINAND (beobachtet ihn grimmig-höhnisch) Schmeckts? 35 H UDETZ Ja. (Jetzt schlägt wieder die Kirchturmuhr)

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B

(trist)N ] Schuld f schuld –N ] BN] B(lauernd)N ] B(lächelt f unheimlich)N ] Bsuchen –N ] Bbleibst f kommt,N ]

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gibts f Unglück –N ] ] BN] BNur los!N ] Blächelt leise)N ] BN

[(trinkt] \(/trist\)/ [weiter)] [Ich bin] [s]|S|chuld [–] |bin ich, schuld –| [({blickt um sich})] [(drohend-]\(/lauernd) [I] |(lächelt f unheimlich)| suchen [,] |–| bleibst\,/ [und [{trau dich}] Schluss! { }] [|bis er|] [|bis er wieder zurückkommt, dieser Gendarm –|] |bis er kommt,| [zerreiss ich Dich –] |gibts f Unglück –| [sicher] [F ERDINAND (grinst) Jetzt schwimmst uns nimmer davon –] [Sauf.] |Nur los!| lächelt[)] [Pros] |leise)|

84

ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A12 (Korrekturschicht)

Lesetext

F ERDINAND (horcht auf) H UDETZ (sieht auf seine Uhr) Die Bahnuhr geht vor. (Stille) BN

B N

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얍 H UDETZ B(in Gedanken versunken)N Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen – wissens, an so ein BBahnsignalN, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamte gewesen ist – (er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven Pokorny? Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna – (er lächelt und blickt empor) Herr Pokorny? Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur anderen? 얍 (Stille) F ERDINAND (ist wieder schläfrig geworden) Weisst, was ich an Deiner Stell tät? Ich B ging aufN den Viadukt und springet runter – direkt hinunter! H UDETZ (ist unangenehm berührt) F ERDINAND (mit geschlossenen Augen) Pfeilgerade. BDortN, wos am tiefsten ist – H UDETZ (plötzlich gewollt sachlich) Das wollt ich ja auch. F ERDINAND B(wird immer schläfriger)N Brav, sehr brav – B H UDETZ Ich komm nämlich grad vom Viadukt – F ERDINAND Na also. (er schläft ein)N (Stille) H UDETZ (fährt sich mit der Hand über die Augen) BAnnaN, Anna – – heut stand sie Bdort, woN ich runter BwolltN B N B– ich hör sie noch, hör sie noch:N „Komm 1 4

BN BN

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B

] ]

(in f versunken)N ]

BahnsignalN ] ging aufN ] BDortN ] B(wird f schläfriger)N ] B

H UDETZ f ein)N ] AnnaN ] Bdort f woN ] BwolltN ] BN] B– ich f noch:N ] B

[Wie spät haben[s] wirs denn schon?] [F ERDINAND Wo kommens denn jetzt [her] |eigentlich her?| H UDETZ Vom Viadukt. F ERDINAND (starrt ihn an) Viadukt? H UDETZ Ja. (Stille) 얍 F ERDINAND Weisst, was ich an Deiner Stell auf einem Viadukt tät? Ich springet runter – direkt hinunter! H UDETZ (erhebt sich unangenehm berührt) F ERDINAND (mit geschlossenen Augen) Pfeilgerade. Direkt dort, wos am tiefsten ist – H UDETZ (plötzlich gewollt sachlich) Das wollt ich ja auch. F ERDINAND Na also. (er wird wieder [müde] |schläfrig)| (Stille)] [(setzt sich [wieder] |wieder langsam[)]| [|;|] |(|ganz] \(/in Gedanken versunken) [Signal] |Bahnsignal| ging[et] [zu] |auf| [Direkt] [dort] |[d]|D|ort| [(er döst] [|(er schläft ein)|] |(wird f schläfriger)| \H UDETZ f ein)/ [Jaja, die] Anna [droben auf dem] |dort, wo| [Viadukt, wie] woll[te]|t| [{da}] [und sie rief mir zu] |– ich hör sie noch, [ich] hör sie noch:|

85

ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 4

ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 5

ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A12 (Korrekturschicht)

nicht herauf, weil es furchtbar ist, wo ich leben“ – B

N

BN

Lesetext

drunten bin! Bleib leben, bleib

얍B N (Jetzt weht draussen der Wind und es klingt, wie Posaunen in der Ferne) 5 H UDETZ (horcht auf und es wird ihm bange) F ERDINAND (erwacht und blickt um sich) Was war denn das? B N Hab ich jetzt geträumt oder hab ichs wirklich gehört – (er reibt sich die Augen) H UDETZ (fast lauernd) Was? F ERDINAND (blickt wieder um sich) Posaunen. 10 (Stille) H UDETZ Nein. Es war nur der Wind – (er lächelt) F ERDINAND (ohne sich etwas zu denken) Dann ists schon wieder gut. (Stille) H UDETZ Wann kommt er denn, der Herr Inspektor? 15 F ERDINAND Er kommt. 얍 H UDETZ Hoffentlich wirds nicht zu spät und ich überlegs mir nicht wieder – F ERDINAND Was? (Stille) H UDETZ (langsam, jedoch sicher) Ich will mich stellen. 20 F ERDINAND (perplex) Stellen? H UDETZ Drum bin ich ja her. Verhaftet mich nur – (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn geistlos an und grinst dann) Ah, der Herr kriechen zu Kreuz? H UDETZ Ja. (er trinkt) 25 (Stille) F ERDINAND (grinst) Trinkst Dir Mut an? H UDETZ Ja. (Stille) F ERDINAND (glotzt ihn noch immer an) Jetzt gibts dann nämlich keinen Freispruch 30 mehr – H UDETZ (lächelt leise) Ich hab ja auch das Signal verpasst – F ERDINAND (wie zuvor) Jetzt kommt dann der Kopf drann, ein Kopf – B N 얍 1 1 3

6 33

weil f ist, ] ] BN] B

N

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] ]

\weil/ es [ist] furchtbar[,]|ist,| [hier] [F ERDINAND (ist eingeschlafen[)] |und schnarcht)| H UDETZ (lächelt) Träume süss – (er fährt sich mit der Hand über die Augen) Jaja, die Anna – – heut stand sie droben auf dem Viadukt, wie ich runter wollte – und sie rief mir zu: „Komm nicht herauf, es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin! Bleib leben, bleib leben[“] –] [(er reibt sich die Augen)] [kriechen zu Kreuz ? H UDETZ JA[½]|–| \(er trinkt)/ (Stille) \F ERDINAND Trinkst Dir Mut an? H UDETZ Nein. (Stille)/ F ERDINAND (glotzt ihn noch immer an) Jetzt gibts [aber] |nämlich| dann keinen Freis[ü]|p|ruch mehr -H UDETZ (lächelt leise) Ich hab ja auch ein

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ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 6

ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 7

ÖLA 3/W 80 – BS 10 d [1], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A12 (Korrekturschicht)

H UDETZ (wie zuvor) Möglich. F ERDINAND (grinst) Schad wärs ja nicht um Dich -H UDETZ (wie zuvor) Das weiss ich nicht. F ERDINAND (fährt ihn an) Aber ich! (Stille) H UDETZ Es dreht sich nicht darum, ob es schad um einen wär oder nicht -- wer könnt denn das auch schon beurteilen? F ERDINAND Wir werden Dich schon kriegen -- bei Wasser und Brot. H UDETZ Nur zu. Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt - oder freispricht - (er lächelt) Jaja: „Bleib leben, bleib leben“ – – (Nun kommen sie wieder zurück; der W IRT , der G ENDARM , F RAU L EIMGRUBER, ihre V ERWANDTE , der L EHRER, A LFONS , L ENI und der W ALDARBEITER ; sie treten links ein und erblicken Hudetz nicht sogleich) F RAU L EIMGRUBER Ich habs ja gleich gewusst, dass unser Spaziergang keinen Sinn hat bei dieser stockdunklen Nacht! G ENDARM Die Hauptsach ist, dass ich schon telefoniert hab -- jetzt ist bereits alles umzingelt, der kann uns nichtmehr durch die Maschen! W IRT Wenn er noch lebt, der Hund! 얍 H UDETZ (erhebt sich mit einem lauten Ruck) A LLE ( erblicken ihn erst jetzt, schrecken zusammen und starren ihn entgeistert an) A LFONS Thomas! (Stille) H UDETZ (geht langsam auf den G ENDARMEN zu) Herr Inspektor, ich melde mich zur Stelle. G ENDARM Im Namen des Gesetzes! H UDETZ (zu A LFONS ) Ich habs mir überlegt -- ( er nickt ihm lächelnd zu) A LFONS (fixiert ihn und lächelt leise) W IRT (mit der Hand am Herz) Du traust Dich her, Du?! F ERDINAND (schreit plötzlich) Fesselt ihn, fesselt ihn! B

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Lesetext

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Möglich.N ] ich!N ] BkönntN ] Bbeurteilen?N ] B(er lächelt)N ] BJaja f leben“ – –N ] BG ENDARM ,N ] BunserN ] BdieserN ] BNacht!N ] Bist, dassN ] BMaschen!N ] BHund!N ] Berblicken ihnN ] Bjetzt, schreckenN ] BThomas!N ] BGesetzes!N ] Ber nicktN ] BDu f Du?!N ] BF ERDINAND f ihn!N ] B B

Signal verpasst -. F ERDINAND (wie zuvor) Jetzt [kommt dann der Kopf drann, ein Kopf --] |werden wir dann – (er macht die Geste des Aufhängens)|] korrigiert aus: Möglich . korrigiert aus: ich ! könnt[e] korrigiert aus: beurteilen ? [(]|(|er lächelt[)]|)| [\Jaja: „bleib leben, [bl] |bleib| leben“ –/] |Jaja f leben“ – –| korrigiert aus: G ENDARM , [der] |unser| [der] |dieser| korrigiert aus: Nacht ! korrigiert aus: ist,dass korrigiert aus: Maschen ! korrigiert aus: Hund ! korrigiert aus: erblickenihn korrigiert aus: jetzt,schrecken korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: Gesetzes ! korrigiert aus: [er n]ickt [Fesselt ihn, fesselt ihn !] [|Du traust Dich her, Du?|] |Du f Du?!| [\F ERDINAND / [Fesselt ihn, fesselt ihn !]] |FERDINAND f ihn!|

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ÖLA 3/W 80 – BS 10 d [1], Bl. 5

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K2/TS1/A12 (Korrekturschicht)

H UDETZ (lächelt) Nicht nötig -W ALDARBEITER (zu H UDETZ ) Frech auch noch?! Wart, Dir hau ich eine hin -- (er will auf ihn los) A LFONS Halt! Tuts mir den Gefallen und lasst ihm seinen Frieden! H UDETZ (zu A LFONS ) Danke. (Stille) G ENDARM (zu H UDETZ ) Kommens jetzt -(Jetzt weht draussen wieder der Wind, wie zuvor) H UDETZ (horcht auf) Still! (er lauscht) Waren das jetzt nicht Posaunen? A LFONS Es war nur der Wind -H UDETZ (nickt A LFONS lächelnd zu) Das glaubst Du ja selber nicht -- -B

B

5

B

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N

B

N

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Lesetext

B

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BN B

B

(V o r h a n g) ENDE

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2 4 4 8 9 9 9 9 11

noch?!N ] Halt!N ] BFrieden!N ] B(Jetzt f zuvor)N ] B B

] Still!N ] BN] BPosaunen?N ] Bnicht -- --N ] BN B

korrigiert aus: noch ?! korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: Frieden !

\(Jetzt weht draussen wieder der Wind[)] |, wie zuvor)|/ [plötzlich] korrigiert aus: Still ! [Posaunen] korrigiert aus: Posaunen ? korrigiert aus: nicht -- -.-

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Konzeption 3: Der jüngste Tag – Staatsanwalt

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Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

5

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K3/TS1/A1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Siebentes Bild. B Auf dem Bahndamm – dort wo seinerzeit der Eilzug 405 mit dem Güterzug BzusammengestossenN ist. Es ist tiefe Nacht und das Signal steht auf grün: BfreieN Fahrt.N D ER G ENDARM BkommtN BBajonett auf N mit dem W IRT und F ERDINAND , die beide ebenfalls Bmit ihren JagdgewehrenN bewaffnet sind. W IRT (plötzlich) Wer da? G ENDARM BNichts.N BDasN ist oft nur die Nacht, die man Bhört.N B BDerN entkommt uns nicht. BGarantiert!N BDie ganze Umgebung ist alarmiert, alles ist umzingelt.N N F ERDINAND (schluchzt plötzlich, rührselig) Oh mein Annerl, liebes armes Annerl – wo bist wohl jetzt? G ENDARM Im Paradies. F ERDINAND Was hat man davon – (er holt eine Flasche hervor und sauft) W IRT Sauf nicht Bso vielN. F ERDINAND Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften – ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter – W IRT Ermanne Dich! F ERDINAND (herrscht den Wirt an) Ich ermanne mich nicht! Meiner Seel, ich bin imstand und schneid mir jetzt selber den Kopf ab, damit Ihr endlich in mein Herz hineinschaun könnt – Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus! (er Btrinkt wieder)N (Stille) B W IRT N Gehn wir jetzt weiter, Herr BKommissar.N G ENDARM Ich bin bereit. W IRT (kurz, scharf zu Ferdinand) Komm! F ERDINAND Ich Bkomm schon, ich komm – –N Ach, Annerl – – (er folgt dem Wirt und Gendarm ab) 얍 H UDETZ (tritt hervor und schaut den Dreien nach) B„Ach Annerl“ – (er lächeltN und blickt empor) BMit dem Anzug komm ich weit. Ein neuer Anzug, ein neues Le2–3 2–3 3 4 4 5 7 7 7 7–8 7 8 8 13 21 23 23 26 28

B

[Beim Viadukt.] | Auf f Fahrt.|

B

gemeint ist: zusammengestoßen

Auf f Fahrt.N ] zusammengestossenN ] BfreieN ] BkommtN ] BBajonett aufN ] Bmit f JagdgewehrenN ] BNichts.N ] BDasN ] Bhört.N ] BDer f umzingelt.N ] BDerN ] BGarantiert!N ] BDie f umzingelt.N ] so vielN ] trinkt wieder)N ] BW IRT N ] BKommissar.N ] Bkomm f komm – –N ] B„Ach f lächeltN ] B B

29–91,1 BMit f Leben – –N ]

[frei] |freie| [und] |kommt| [{mit}] |Bajonett auf| \mit f Jagdgewehren/ [Es ist] [n]|N|ichts. [Es] |Das| hört[,]|.| [–] [F ERDINAND ] |Der f umzingelt.| [Er] |Der| \Garantiert!/ \Die ganze Umgebung ist alarmiert[.]|,|/ [Es ist alles umstellt.] |alles ist umzingelt.| so\ /viel [leert die Fl] |trinkt wieder)| [G ENDA ] |W IRT | Kommissar\./ [–] komm[,] [ich]|schon, ich komm – –| [Tröste Dich, Ferdinand, Zicklein, Rinder – und Schweine] [|tröste Dich|] [|Ihr wollt mich erwischen, aber es wird bald überflüssig sein.|] |„Ach[,] Annerl“ – (er lächelt| \Mit f Leben – –/

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ÖLA 3/W 77 – BS 10 b, Bl. 1

ÖLA 3/W 77 – BS 10 b, Bl. 2

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A1 (Korrekturschicht)

Lesetext

ben – – Wo liegt denn nur das Paradies? Ihr wollt mich erwischen, aber es wird bald überflüssig sein – (er blickt sich um) Hier hats begonnen, hier soll es enden. Hier ist der Eilzug 405 verunglückt – hier wird sich der Eilzug rächen. Ich war immer ein pflichtgetreuer Beamter. Der Eilzug fährt um 2143 hier vorbei – in einer halben Stund. Es ist ein anderer Eilzug und doch ist es derselbe – es geht alles weiter, immer weiter – – Dann soll mich der Eilzug holen – ich werd mich auf die Schienen legen, nein, im letzten Moment hinüberrollen – es hat mich immer schon so angezogen, hinüberzulaufen im letzten Moment – jedesmal, wenn einer vorbei ist – – (er sieht sich um) Ja, hier hats begonnen, hier soll es enden. (er zuckt zusammen) Wer hat da was gesagt? Was war das? Da hat doch wer gelacht – – D ER S TRECKENGEHER (erscheint oben auf dem Bahndamm mit einer Lampe auf der Brust, man kann sein Gesicht nicht ausnehmen; er hält und betrachtet Hudetz) H UDETZ (erblickt ihn, schreckt zusammen und starrt ihn an) S TRECKENGEHER Guten Abend, Herr Vorstand! H UDETZ (schweigt) S TRECKENGEHER Sie haben einen anderen Anzug an, – aber erkennen tut man Sie gleich – Keine Angst! Ich verrat Sie nicht, ich nicht – Ich heisse nämlich Anton Kreitmayer und ich seh nach, ob auf der Strecke alles in Ordnung ist, nichts {geleist}, damit nichts passiert – H UDETZ Anton Kreitmayer? P OKORNY Glaub Ihnen nicht, denn es gibt keine Strafe im Jenseits – – wir spielen Tarock. A NNAS S TIMME Glaub Ihnen nicht! H UDETZ Schweig! Dir glaub ich schon garnichts! N

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\Textverlust\

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얍 H UDETZ Ja. P OKORNY Wo willst denn hin? H UDETZ Nach Argentinien. P OKORNY No das ist ein schönes Land und es soll Lebensmöglichkeiten geben. Aber fahr nicht hin, Du kommst nicht hin. Die Kontrolle ist sehr streng, trotz des neuen Anzuges. B N H UDETZ Ich komm schon durch. P OKORNY Lächerlich! Und dort? In ewiger Angst wirst Du leben – H UDETZ Ich hab keine Angst!

Es f weiter – –N ] wennN ] B(schweigt)N ] B– aber f gleich –N ]

5–6 9 16 17–18

B

17 18

B

18 19 19 19 32

B

B

SieN ] ]

BN

nämlichN ] KreitmayerN ] BN] BichN ] BN] B

\Es f weiter – –/ [{}] |wenn| [{} Gu] |(schweigt)| (1) (aber ich hab Sie gleich erkannt) (2) – aber f gleich – [s]|S|ie [H UDETZ Wer sind Sie? S TRECKENGEHER ] \nämlich/ [Leitner] |Kreitmayer| [bin Streckengeher.] [I]|i|ch [Bl]

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ÖLA 3/W 77 – BS 10 b, Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A1 (Korrekturschicht)

Lesetext

P OKORNY Sei gscheit, Du! Ich meine Dein Bestes! Ich, siehst Du, ich bin Dir sogar dankbar, dass Du das Signal nicht rechtzeitig gestellt hast – H UDETZ Ich hab es rechtzeitig gestellt! Ich war immer ein pflichtgetreuer Beamter! P OKORNY Mich kannst Du nicht belügen! Mich nicht! Du weisst es genau, dass Du es nicht rechtzeitig gestellt hast – – ich weiss es auch! Aber ich konnte nicht aussagen vor der irdischen Gerechtigkeit – – ich kam hinüber, ich hatte viele Sünden, aber es geht mir gut, sehr gut – – Komm, Hudetz! Das Beste ist, Du wirfst Dich vor den Eilzug 405. Es ist ein anderer Zug, aber immer derselbe. Er kommt um 2143. H UDETZ Er hat meistens Verspätung. P OKORNY Stimmt. Weil er auf den Anschluss warten muss. Komm mit, sei nicht fad – H UDETZ Wie ist es denn drüben? P OKORNY Bei uns? Fein, sehr fein! Wir spielen Tarock und rauchen – und es ist ein Friede, ein grosser Friede – – Du wirst bald vergessen und hast keine Angst – – H UDETZ Hm. Schön. Gut. Wann kommt der Zug? P OKORNY In 10 Minuten. B

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얍 ich überhaupt lebe?! S TAATS Das steht nicht zur Debatte. Sie werden sich BehsowiesoN bald vor den Eilzug 405 werfen, drum sind wir ja da. Und was Ihre Frau betrifft, so beruht das alles auf einer Lüge – Sie haben sie nie geliebt – H UDETZ Das stimmt. Aber ich war ihr treu. S TAATS Aus Schwäche. H UDETZ Ja. S TAATS Aus Schwäche, und Sie haben gelogen. Schwäche und Lüge, das sind die Ursachen. H UDETZ Kann ich dafür? S TAATS Ja. (Stille) H UDETZ Das ist nicht wahr! Das ist eine Gemeinheit, BmirN das einreden zu wollen! Ich war schwach aus Mitleid – B N S TAATS Es gibt kein Mitleid aus Schwäche! Es gibt nur Lüge aus Schwäche! H UDETZ Ich hab aber nicht gelogen! Wofür soll ich zur Rechenschaft gezogen worden?! Für etwas, wofür ich nichts kann! S TAATS Lüge! H UDETZ Bin ich der erste Lügner?? S TAATS Nein! Das geht zurück, das geht zurück! S TAATS Abwarten! Wofür Du etwas kannst, das wird anderswo entschieden. Wir protokollieren nicht so weit – die Hauptsach ist: dass Du das Vertrauen hast, dass das Urteil gerecht ist – dass das Urteil immer gerecht ist – immer – – immer gerecht sein wird – – H UDETZ Ich werds ja bald sehen – B(er grinst)N 1–2 14 16 19 30 31 42

Ich f hast –N ] Du f Angst – –N ] B10 Minuten.N ] BehsowiesoN ] BmirN ] BN] B(er grinst)N ] B B

[Dein Bes] [|Denk daran an den Spruch „Halte still, Du Wanders|] |Ich f hast – | [wir] [|es|] |Du f Angst – –| [einer halben Stunde] |10 Minuten.| \ehsowieso/ [jem] |mir| [und habe] [(zu Anna)] |(er grinst)|

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ÖLA 3/W 77 – BS 10 b, Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

B

K3/TS1/A1 (Korrekturschicht)

(in der Ferne Zuggeräusch) P OKORNY Der Zug! Der Eilzug! N

\Textverlust\

1

B

(in f Zuggeräusch)N

[P OKORNY Der Zug ist gleich da –] |(in f Zuggeräusch)|

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Lesetext

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A2 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

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얍 S TAATS Mir scheint, jetzt schweifen wir ab. A NNA Oh nein, Herr Staatsanwalt! Klagen Sie mich nur an – S TAATS Es ist nicht meine Aufgabe, anzuklagen, das sollten Sie schon wissen. Meine Aufgabe ist BnurN Bzu Bhelfen, dieN Wahrheit zu finden.N Ein jeder Mensch hat eine gewisse Freiheit, sein Leben einzurichten. Dies ist ihm gegeben, dies ist sein freier Wille – H UDETZ Ich hab keinen freien Willen gehabt! S TAATS Bitte, keine Gemeinplätze! Die Gerechtigkeit, der ich diene, hat Ihnen einen freien Willen gegeben, um zu prüfen – H UDETZ Was soll denn geprüft werden?! S TAATS Ob Sie sich gebessert haben. H UDETZ Gebessert? (Stille) A NNA Erinnerst Du Dich, dass ich Dich gefragt habe, ob Du mich wiedererkennst? B Und Du hast mich wiedererkannt –N H UDETZ Das weiss ich nicht. A NNA Aber ich. Denn Du hast mich genau so umarmt, wie damals. H UDETZ Wie wann? A NNA Wie damals, da wir fortgingen. Der Himmel war grau und es stand ein Gewitter droben, wie ein strenger Engel. Und wir hörten beide eine Stimme, beide Worte, aber wir verstanden sie nicht – wir wagten es nicht, sie zu verstehen. Es waren schwere Zeiten. Im Schweisse unseres Angesichts bearbeiteten wir die Erde – H UDETZ Du warst schuld! A NNA Ja, ich. H UDETZ Wer hat zu mir gesagt: „Nimm!“ Wer hat zu mir gesagt: „Esse davon!“ A NNA Ich. H UDETZ Und was hab ich getan?! Ich, ich war doch viel unschuldiger! A NNA Drum hast Du mich ja auch erschlagen. Oh, wie oft hast Du mich schon erschlagen Bund wie oft wirst Du mich noch erschlagenN – es tut mir garnichtmehr weh, ich hab mich daran gewöhnt – B H UDETZ Tuts Dir wohl?N A NNA Oh, nein. 얍 S TAATS (zu Hudetz) Ich versteh Sie nicht, wie Sie so fragen können, Herr BVorstandN „Tuts Dir wohl?“ – also das ist schon Lästerung! H UDETZ Fragen Sie sie, ob sie es nicht wollte, dass ich sie erschlag?! A NNA Ja, ich wollte es. H UDETZ Na also! (Stille)

5 5 5 16 31 33 35

nurN ] zu f finden.N ] Bhelfen, dieN ] BUnd f wiedererkannt –N ] Bund f erschlagenN ] BH UDETZ f wohl?N ] BVorstandN ] B B

[si] |nur| [ein Protokoll aufzunehmen.] |zu f finden.| helfen [–]|, die| [Wer] |Und f wiedererkannt – | \und f erschlagen/ [(Stille)] |H UDETZ f wohl?| Vorstand[.]

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ÖLA 3/W 77 – BS 10 b, Bl. 5

ÖLA 3/W 77 – BS 10 b, Bl. 6

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A2 (Korrekturschicht)

A NNA Es war ein Zwang in mir, Herr Staatsanwalt. „Er muss es tun, er muss es tun“, hörte ich in mir – alles in mir sagte es „Er muss es tun.“ Meine Augen erflehten es, mein Herz erhoffte es, meine Seele befürchtete, er würd es nicht tun – H UDETZ Und ich bin schuld. S TAATS (zu Hudetz) Auf alle Fälle haben Sie eine Schuld auf sich geladen. Und diese Schuld blieb ungesühnt. Sie mussten also eine grössere Schuld auf sich laden, um bestraft werden zu können. H UDETZ Was war denn meine „Schuld“? S TAATS Sie haben das Signal – H UDETZ (unterbr. ihn schreiend) Daran war sie schuld, sie und nur sie! S TAATS (zu Anna) Ist das wahr? A NNA Nein. Denn er hat das Signal übersehen, weil ich ihm einen Kuss gegeben hab und ich hätt ihm nie einen gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätte, die er nicht liebte – H UDETZ Unsinn! S TAATS Herr Vorstand! Liebten Sie Ihre Frau? H UDETZ Lieben? Ja und nein. S TAATS Also nein. H UDETZ Ich hatte Mitleid mit ihr. S TAATS Warum? H UDETZ Weil ich sie nicht liebte. S TAATS Aha! H UDETZ Ich weiss, es war ein Mitleid aus Schwäche. S TAATS Es gibt kein Mitleid aus Schwäche. Das ist eine Lüge! H UDETZ Kann ich dafür, dass ich schwach bin? S TAATS Nein! Aber dass Sie aus Schwäche lügen, dafür können Sie! 얍 Die Lüge, das wars! H UDETZ Ja, ich hab gelogen. S TAATS Na sehn Sie! H UDETZ Aber was kann ich für diese Lüge?! Hab ich das Lügen erfunden?! (Stille) A NNA (Motiv: „Erkennst Du mich wieder?“) B

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A NNA Was willst Du tun?! 2 10 13 24 24 37 37 39

hörte f mirN ] sieN ] BgehabtN ] BkeinN ] BDas f Lüge!N ] BH UDETZ f das?N ] BN] BN] B B

[sagte] [|sa|] |hörte f mir| [S]|s|ie [geha] |gehabt| [{}] |kein| [Es gibt nur] [|Das ist e|] |Das f Lüge!| [P OKORNY Jetzt ko] |H UDETZ f das?| [Waren das nicht Posaunen?] [H UDETZ Nein, das klang wie Posaunen –]

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N

N

(Posaunen in der Ferne) H UDETZ (schrickt zusammen und lauscht) S TAATS (erhebt sich und zieht sich die Glacéhandschuhe an) H UDETZ Was war das? P OKORNY Das war der Zug. Er kommt. Also jetzt wirf Dich dahin –

B N

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Lesetext

ÖLA 3/W 77 – BS 10 b, Bl. 7

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

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Lesetext

P OKORNY Mischen Sie sich da nicht hinein! H UDETZ Ich geh zu meinem Freund Pokorny. Tarock spielen – A NNA Tarock? H UDETZ Ja. Es ist Winter drüben, aber im Ofen brennt das Feuer und wärmt – A NNA Oh, das ist kein Feuer, das wärmt! Glaub ihm nicht! (usw) Es ist furchtbar, wo ich bin!! Er will Dich nur holen, um sich zu rächen! P OKORNY Der Zug! Der Zug! Komm! A NNA Bleibe! Bleib leben, bleib leben! Bei unserer Liebe! – (sie schreit plötzlich) (schreit) Herr Kommissar! Herr Kommissar! B

B

K3/TS1/A2 (Korrekturschicht)

B N

K OMMISSAR (kommt) Ja. (Verhaftung) A NNA (gibt ihm einen Kuss) G ENDARM , W IRT, F ERDINAND (sehen die Toten nicht) 15

\Abbruch der Bearbeitung\

1 6 6 8 9 9 10

P OKORNY N ] bin!!N ] Bholen,N ] BA NNA f plötzlich)N ] BN] BN] BN] B B

[H]|P OKORNY | bin[?]|!!| [holen,] |holen,| \A NNA f plötzlich)/ gestrichen: A NNA [B] |(schreit)| [(Der Zug fährt vorbei – alle verschwinden: nur [Anna blei] |Hudetz bleibt)|]

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Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A3 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 SIEBENTES BILD

Auf dem Bahndamm, wo seinerzeit der Eilzug vierhundertfünf mit einem Güterzug zusammengestossen ist. Es ist tiefe Nacht und das Signal steht grün auf freier Fahrt. Von rechts kommt der G ENDARM mit aufgepflanztem Bajonett, gefolgt von W IRT und F ERDINAND , die sich mit ihren Jagdgewehren bewaffnet haben. Sie gehen nach links. B

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 1

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W IRT (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis) Dort ist doch einer – Hallo! Wer da?! (Stille) G ENDARM Nichts. Das ist oft nur die Nacht, die man hört. W IRT (grimmig) Der wird uns noch entkommen -G ENDARM Der entkommt uns nicht, garantiert! Die ganze Umgebung ist allarmiert , alles ist umzingelt. F ERDINAND (schluchzt plötzlich auf; rührselig) Oh mein Annerl, liebes armes Annerl -- wo bist wohl jetzt? G ENDARM Im Paradies. F ERDINAND Was hat man davon -- (er holt eine Flasche hervor und sauft) W IRT (unterdrückt) Sauf nicht soviel. F ERDINAND Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften -- ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter -W IRT Ermanne Dich! F ERDINAND (herrscht den W IRT an) Ich ermanne mich nicht! Meiner Seel, ich bin imstand und schneid mir jetzt selber den 얍 Kopf ab, damit Ihr endlich in mein Herz hineinschaun könnt -- Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus! (er trinkt wieder) (Stille) W IRT (leise und traurig) Gehen wir weiter, Herr Kommissar. G ENDARM Ich bin bereit. (scharf zu F ERDINAND ) Kommens! F ERDINAND Ich komm schon, ich komm schon -- -- Ach Annerl – (er folgt dem W IRT und G ENDARM ab) (Das Signal läutet und wechselt auf rot) H UDETZ (tritt aus der Finsternis vor und sieht den D REIEN nach; er lächelt) „Ach, -- (er blickt forschend empor) Wo liegt denn nur das Paradies? Annerl“ B

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4 5 5 5 5 6–7 9 14 30 32 35–36

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36 36

BN

BN BN

zusammengestossenN ] Von f kommtN ] BderN ] BN] BN] BSie f links.N ] BDort f einer –N ] BallarmiertN ] BN] BAchN ] B„Ach, Annerl“N ] B

BN

] ]

gemeint ist: zusammengestoßen \Von [links] |rechts| kommt/ korrigiert aus: Der [kommt] [dem] \Sie f links./ [Ist dort jemand? --] |Dort f einer –| gemeint ist: alarmiert [jetzt] Ach[,] (1) „Ach (2) „Ach, Annerl“ gestrichen: nach; [er hat den grauen Anzug an und lächelt leise)]

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 2

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A3 (Korrekturschicht)

(er blickt wieder den D REIEN nach; fast grimmig) Ich werd Euch entkommen -garantiert! (Ein S TRECKENGEHER erscheint auf dem Bahndamm; er trägt eine Lampe auf der Brust und man kann sein Gesicht nicht erkennen) S TRECKENGEHER (hält und der Lichtstrahl seiner Lampe fällt auf H UDETZ ) H UDETZ ( erschrickt und starrt ihn an) S TRECKENGEHER (er hat eine sanfte Stimme) Guten Abend, Herr Vorstand. H UDETZ (schweigt und starrt ihn an) S TRECKENGEHER Sie haben einen anderen Anzug an, aber erkennen tut man sie gleich -- Halt! Bleibens nur da, ich verrat Sie nicht, darüber bin ich hinaus -H UDETZ Darüber hinaus? S TRECKENGEHER Ich seh nur nach, ob alles in Ordnung ist auf der Strecke, damit nichts passiert -- aber es passiert trotzdem im-얍mer wieder etwas. Wir sind Leidensgenossen, Herr Vorstand -- (er lacht leise) H UDETZ Wer sind Sie? S TRECKENGEHER Vierundsechzig Jahr geh ich jetzt immer dieselbe Strecke -- ich hab nämlich einmal einen Unfall verschuldet, weil ich betrunken war und ich war betrunken, weil ich einen Kummer gehabt hab und ich dachte, was kannst Du für Deinen Kummer? Und jetzt geh ich immer dieselbe Strecke und kontrollier, seit vierundsechzig Jahr -H UDETZ Vierundsechzig? S TRECKENGEHER Ja, das war noch lang vor Ihrer Zeit und ich bin auch schon recht müd -- mir scheint, ich werd nichtmehr lang kontrollieren müssen, seit einiger Zeit wirds mir immer klarer, kommts mir immer mehr so vor, als hätt ich damals für meinen Kummer was können -- hm. Hoffentlich seh ichs bald ein -H UDETZ Versteh kein Wort -- Woher kennen wir uns? S TRECKENGEHER Ich hab damals vom Viadukt zugschaut, wie Sie das Mädel erschlagen haben -H UDETZ Ruhe! S TRECKENGEHER Ich wollt ja das Mädel beschützen, aber ich durft meine Strecke nicht verlassen -- -- Sagens, Herr Vorstand, habens schon mit dem Pokorny gesprochen? H UDETZ Mit welchem Pokorny? S TRECKENGEHER Na mit dem Lokomotivführer Pokorny, er hat mir gestern erzählt, dass er Sie sprechen wird -H UDETZ Ich kenn keinen Pokorny! B

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Lesetext

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B B

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nach;N ] erschricktN ]

korrigiert aus: nach)x; (1) zuckt (2) schrickt zusammen, (3) erschrickt

darüber f hinausN ]

[ich hab Wichtigeres zu tun] |darüber f hinaus| [(höhnisch) Wichtigeres?] |Darüber hinaus?| [\Glaubens mir nur!/] \nur/ korrigiert aus: di eselbe gestrichen: Sie

Darüber hinaus?N ] ] BnurN ] BdieselbeN ] B N] BN

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A3 (Korrekturschicht)

Lesetext

S TRECKENGEHER Geh denkens doch nach! Ich mein doch den Pokorny, der hier tötlich verunglückt ist, wie der Eilzug 405 zusammengestossen 얍 ist -- Na was glotzens mich denn so an? Meinens man kann mit einem Toten nicht reden? Man kann schon, aber nur wenn der Tote möcht -- -- Gelt, da wird Ihnen ganz anders -H UDETZ (bange) Wer sind Sie? Wer spricht da mit mir -- ich seh nur die Lampe, tuns die Lampe weg, damit ich Ihr Gsicht seh! S TRECKENGEHER Ich hab kein Gsicht -P OKORNY (kommt, er raucht eine Virginia) Guten abend, Herr Vorstand! Servus, Herr Vorstand! S TRECKENGEHER Ah der Pokorny! Servus, Pokorny! Ich hab Dich dem Herrn schon avisiert -- er hat einen neuen Anzug. P OKORNY Weiss ich, weiss ich! Er steht ihm gut -- (er lacht) Das ist lieb von Dir -H UDETZ Was wollt Ihr von mir? P OKORNY Nichts Böses, hab keine Angst, obwohl Du schuld dran bist, dass ich futsch bin, obwo \Textabbruch\ H UDETZ Das ist nicht wahr! P OKORNY Das ist mir jetzt auch wurscht! B

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 4

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(Stille) P OKORNY (zu H UDETZ ) Hör her: ich habs erfahren, dass Du Dich vor den Zug werfen willst -H UDETZ Woher weisst Du das? P OKORNY Ich war zuvor in der Droguerie , wie Du den Anzug nicht genommen hast -- Ihr habt mich alle nicht gesehen, obwohl ich mitten unter Euch gestanden bin -und da hab ichs gehört, was Du denkst: dass Du Dich der irdischen Gerechtigkeit entziehen willst -- und ich kann Dir nur sagen: das ist sehr richtig von Dir! Es ist richtig von Dir, dass Dir das alles wurscht ist, was hättest Du auch 얍 schon im Leben ? Nur eine ewige Angst, dass Du erwischt wirst! Und möchst Dich einsperren lassen? Nein! Zwanzig Jahr oder lebenslänglich? Du bist doch nicht verrückt! H UDETZ Alles, was Du da sagst, das sind meine Gedanken, – aber die gehn noch etwas weiter! P OKORNY Sehr richtig! Siehst, und deshalb bin ich auch hier -- Du wirst Dich vor den Zug werfen, aber oft überlegt man sich das im letzten Moment! Es ist dann so N

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405N ] zusammengestossenN ] BzusammengestossenN ] BIhrN ] Ber f Virginia)N ]

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wurscht!N ] ]

BN

(Stille)N ] (zu H UDETZ )N ] BN] BZugN ] BDroguerieN ] BLebenN ] BGedanken f weiter!N ] B

\405/ [entgleist] |zusammengestossen| gemeint ist: zusammengestoßen korrigiert aus: ihr (1) mit einer Virginia im Mund) (2) er f Virginia) wurscht\!/ [-- gelt?] gestrichen: S TRECKENGEHER [(lacht) Und ob!] |(etwas gesungen) er| [H UDETZ Was wollt Ihr von mir?] |(Stille)| \(zu H UDETZ )/ [jetzt] [Eil][z]|Z|ug gemeint ist: Drogerie korrigiert aus: L eben Gedanken [--]|, – aber die gehn noch etwas weiter!|

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 5

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A3 (Korrekturschicht)

eine Feigheit dabei -- und damit Du die nicht hast, bin ich da. Ich will Dir nämlich sagen, wie schön es bei uns ist -H UDETZ Sag mal: wie ist es eigentlich drüben. P OKORNY Sehr, sehr schön. Friedlich, sehr friedlich. Weisst, wie in einem stillen ländlichen Wirtshaus, wenns anfängt zu dämmern -- und draussen ist Winter, und nur die Uhr tickt -- ewig, ewig -- und Du liest die Zeitung und trinkst Dein Bier und musst nie zahlen -- und oft spielen wir auch Tarock und ein jeder gewinnt -H UDETZ (lächelt) Fein! -- -- Das ist nett von Dir, dass Du mir das sagst, wo Du doch auch bös auf mich sein könntest -P OKORNY Aber! Ich bin froh, dass ich nimmer leb! Schau, meine Frau und meine drei Töchter -- die trauern noch, laufen noch in Schwarz herum, aber sie denken kaum mehr an mich, sie lachen, wenn einer einen Witz macht, haben ihre Pension -- -wer redet noch von dem braven Pokorny, obwohl er doch immer ein pflichtgetreuer Beamte war -H UDETZ (lächelt) Du auch? P OKORNY Ja. Wir sind Leidensgenossen -(das Signal läutet wieder und wechselt auf grün) S TRECKENGEHER Jetzt kommt bald der Zug. H UDETZ Er hat meistens Verspätung. P OKORNY Stimmt. Weil er auf den Anschluss warten muss -S TRECKENGEHER Ich muss jetzt weiter. Servus, Pokorny! 얍 P OKORNY Servus! S TRECKEN Wiedersehen, Herr Vorstand! (ab) H UDETZ Wiedersehen! (Stille) H UDETZ Ich danke Dir, Pokorny. Jetzt ist es bald so weit. Noch seh ich die Sterne -P OKORNY Ich seh sie auch. Nur grösser. Ich seh noch weit mehr, wie Du -H UDETZ Es ist sehr schön von Dir, was Du zu mir sagst. Ich geh jetzt direkt erleichtert -- ich hab jetzt garkeine Angst mehr -- -- Und die meinen, ich werd ihnen nicht entkommen, die wollen mich einsperren -- Nein, Gott weiss, dass ich kein solcher Verbrecher bin -P OKORNY (sieht sich unruhig um; unterdrückt) Hörmal, apropos Gott: es wird jetzt mit Dir noch ein Protokoll aufgenommen werden, aber Du bleib dabei, fest, dass Du Schluss machst -H UDETZ Was für ein Protokoll? B

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H UDETZ f drüben.N ]

(1) H UDETZ Wie ist es denn drüben? (2) \H UDETZ f drüben./

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Schön, f friedlich.N ]

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B

stillenN ] wenns f dämmernN ]

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[Still[.] [U]|u|nd] |Schön, sehr schön.| [f]|F|riedlich[.]|,| \sehr friedlich./ [schönen] |stillen| wenn\s/ [die Dämmerung beginnt] [|sie|] |anfängt zu dämmern| korrigiert aus: Winter , korrigiert aus: macht , \Servus, Pokorny!/ \(ab)/ korrigiert aus: um); unterdrkt)

B

Winter,N ] macht,N ] BServus, Pokorny!N ] B(ab)N ] Bum; unterdrückt)N ] B

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Lesetext

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 6

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A3 (Korrekturschicht)

Lesetext

P OKORNY Das ist immer so, wenn einer freiwillig Schluss macht -- ist nur eine Formalität -- -- Pst! Sie sind schon da! (Der S TAATSANWALT VON DRUEBEN und ein K OMMISSAR VON DRUEBEN erscheinen auf dem Bahndamm; der S TAATSANWALT hat schwarze Glacehandschuhe an) 5 S TAATS Das Signal steht auf Halt . Aber es lässt sich beweisen, dass es erst hinterher auf Halt gestellt worden ist. K OMMISSAR Die, die es uns beweisen können, haben wir alle einvernommen. Sie beschwören es. S TAATS Zu dumm! Ein undefinierbares Gefühl sagt mir, dass dieser Hudetz nicht 10 so schuldig ist, wie es scheint -- kurz und gut: das Protokoll! (Ein kleiner Tisch wird sichtbar im matten Schein) S TAATS (setzt sich an den Tisch, zieht sich seine schwarzen Glacehandschuhe aus und blättert im Protokoll) 얍 H UDETZ ( sehr bange zu Pokorny) Was soll das? 15 P OKORNY (leise zu H UDETZ ) Ist alles nur Formalität -A NNA (kommt langsam von rechts) H UDETZ (entsetzt) Anna! A NNA (sieht ihn gross an) S TAATS (blättert im Protokoll, liest) Anna Leitner, Gastwirtstochter dahier -20 A NNA ( tonlos, ohne den Blick von Hudetz zu wenden) Ja. S TAATS Treten Sie vor. A NNA (tritt vor, sieht aber immer noch Hudetz an) S TAATS Es ist hier noch ein Punkt, der der Klärung bedarf, nämlich der Klärung Euerseits, -- Warum tat er das an Ihnen? Ist es richtig, dass Sie gedroht haben, es 25 in die Welt laut loszuschreien, dass Sie einen Meineid geschworen haben und dass er das Signal nicht gestellt hat rechtzeitig? A NNA (senkt das Haupt) Ja. S TAATS Und deshalb hat er sie umgebracht? A NNA (hebt langsam den Kopf und sieht den Staats. an) Nein. 30 S TAATS Sondern? A NNA (blickt wieder langsam zu Hudetz) Erinnerst Du Dich, dass ich Dir gesagt B

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BN

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B

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B

1 3 4 5 5 9 9 14 14 18 19 20 22 24 27 29 31

P OKORNY N ] ] BS TAATSANWALT N ] BSignalN ] BHaltN]

korrigiert aus: P OKO NY korrigiert aus: DR §BEN korrigiert aus: S TAA SANWAL t korrigiert aus: S gnal (1) Halt (2) freier Fahrt

] ] BH UDETZ f das?N ] BsehrN] Ban)N ] BProtokoll,N ] Btonlos f wenden)N ] Bvor f an)N ] BN] B(senkt f Haupt)N ] B(hebt f an)N ] BA NNA f alles.N ]

[Trotzdem!] [es] \H UDETZ f das?/ \sehr/ an\)/ [und lächelt traurig)] korrigiert aus: Protokoll tonlos[)]|,| \ohne f wenden)/ vor[)]|,| \sieht f an)/ [es]|es| \(senkt f Haupt)/ [\(erhebt das Haupt/] [|(er|] |(hebt f an)| \A NNA f alles./

B

BDRUEBEN N

BN BN

101

ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 7

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A3 (Korrekturschicht)

habe, ich weiss, wie Du aussiehst – erinnerst Du Dich, dass ich Dich gefragt habe: „Erkennst Du mich wieder?“ H UDETZ (nickt: ja) A NNA (lächelt) Du hast mich auch wiedererkannt – erinnerst Du Dich? Du hast mich gefragt: warum bist Du so zu mir? Und ich hab gesagt: weil ich so bin. Du hast mich gefragt: warum liebst Du mich? und ich hab gesagt: weil ich muss. Du hast mich gefragt: was liebst Du denn an mir? Und ich hab gesagt: alles. H UDETZ Ich hätt wohl einen neuen Anzug leihen können, aber ich hab es nicht getan. Ich bin unschuldig. Ich geh gleich hinüber – der liebe Gott wird mich schon verstehn. B

N

B

B

5

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B B

10

Lesetext

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B

B

N

N

N

\Abbruch der Bearbeitung\

1 1 4 4–7 7 8–10 8 8

weiss f aussiehstN ] DichN ] Bmich f wiedererkanntN ] Berinnerst f alles.N ] BUndN ] BH UDETZ f verstehn.N ] BH UDETZ N ] Bhätt wohlN ] B B

[kenne Dich.] |weiss, wie Du aussiehst| [Dich] |Dich| [gesagt: ja,] |mich f wiedererkannt| [H U ] |erinnerst f alles.| [u]|Und| \H UDETZ f verstehn./ eingefügt: H UDETZ [hab seh]|hätt wohl|

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N

N

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A4 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 SIEBENTES BILD

Auf dem Bahndamm, wo seinerzeit der Eilzug vierhundertfünf mit einem Güterzug zusammengestossen ist. Es ist tiefe Nacht und das Signal steht grün auf freier Fahrt. Von rechts kommt der G ENDARM mit aufgepflanztem Bajonett, gefolgt von W IRT und F ERDINAND , die sich mit ihren Jagdgewehren bewaffnet haben. Sie gehen nach links. B

5

ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 1

N

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N B

N

B N

B N

B

N

W IRT (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis) Dort ist doch einer – Hallo! Wer da?! (Stille) G ENDARM Nichts. Das ist oft nur die Nacht, die man hört. W IRT (grimmig) Der wird uns noch entkommen -G ENDARM Der entkommt uns nicht, garantiert! Die ganze Umgebung ist allarmiert , alles ist umzingelt. F ERDINAND (schluchzt plötzlich auf; rührselig) Oh mein Annerl, liebes armes Annerl -- wo bist wohl jetzt? G ENDARM Im Paradies. F ERDINAND Was hat man davon -- (er holt eine Flasche hervor und sauft) W IRT (unterdrückt) Sauf nicht soviel. F ERDINAND Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften -- ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter -W IRT Ermanne Dich! F ERDINAND (herrscht den W IRT an) Ich ermanne mich nicht! Meiner Seel, ich bin imstand und schneid mir jetzt selber den 얍 Kopf ab, damit Ihr endlich in mein Herz hineinschaun könnt -- Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus! (er trinkt wieder) (Stille) F ERDINAND (leise und traurig) Gehen wir weiter, Herr Kommissar. G ENDARM Ich bin bereit. (scharf zu F ERDINAND ) Kommens! F ERDINAND Ich komm schon, ich komm schon -- -- Ach Annerl -- (er folgt dem W IRT und G ENDARM ab) (Das Signal läutet und wechselt auf rot) H UDETZ (tritt aus der Finsternis vor und sieht den D REIEN nach; er lächelt) „Ach Annerl“ -- (er blickt forschend empor) Wo liegt denn nur das Paradies? (Ein S TRECKENGEHER erscheint auf dem Bahndamm; er trägt eine Lampe auf der Brust und man kann sein Gesicht nicht erkennen) B

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N

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4 5 5 5 5 6–7 9 14

zusammengestossenN ] Von f kommtN ] BderN ] B N] B N] BSie f links.N ] BDort f einer –N ] BallarmiertN ] B B

gemeint ist: zusammengestoßen \Von [links] |rechts| kommt/ korrigiert aus: Der [kommt] [dem] \Sie f links./ [Ist dort jemand? --] |Dort f einer – | gemeint ist: alarmiert

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ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 1

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

5

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K3/TS1/A4 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 H UDETZ B(schaut auf seine Uhr)N Noch eine halbe Stund, dann werd ichs wissen. Ja, hier ist er verunglückt, der Eilzug vierhundertfünf -- und jetzt wart ich auf ihn, B auf den Eilzug vierhundertfünf.N BEs ist derselbe und dochN ein anderer -- -- BJa,N B N es war immer schon so ein Zwang in mir, Bwenn ein Zug an mir vorbei ist, dass ich nicht in die Lokomotiv hineinlief – ich hab mich direkt halten müssen, aber jetzt halt ich mich nichtmehr – (er grinst und schaut wieder den Dreien nach)N -- Ich B werdN BEuchN entkommen, auch wenn BIhrN alles alarmiert habt, auch wenn alles umzingelt ist -- garantiert. -- (er sieht sich um) Ja, hier hats begonnen, hier soll es enden -- (er erblickt den S TRECKENGEHER, der stehen geblieben war, und erschrickt sehr) S TRECKENGEHER (richtet den Lichtstrahl seiner Lampe auf H UDETZ ; er hat eine sanfte Stimme) Guten abend, Herr Vorstand! B H UDETZ (starrt ihn entgeistert an)N \Abbruch der Bearbeitung\

1

3 3 3 3 4–6 7 7 7 13

(schaut f Uhr)N ]

[(sieht wieder den D REIEN nach) Ich werd Euch entkommen, garantiert -- (er grinst und] \(/schaut f Uhr) Bauf f vierhundertfünf.N ] \auf f vierhundertfünf./ BEs f dochN ] [e]|E|s ist [derselbe und doch] BJa,N ] \Ja,/ B N] [ich werd im letzten Moment hinüber --] Bwenn f nach)N ] [dass ich mich oft halten musste] |wenn f nach)| BwerdN ] werd[\et/] BEuchN ] [Euch] BIhrN ] eingefügt: Ihr BH UDETZ f an)N ] \H UDETZ f an)/ B

104

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 5

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A5 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 SIEBENTES BILD

Auf dem Bahndamm, wo seinerzeit der Eilzug vierhundertfünf mit einem Güterzug zusammengestossen ist. Es ist tiefe Nacht und das Signal steht grün auf freier Fahrt. Von rechts kommt der G ENDARM mit aufgepflanztem Bajonett, gefolgt von W IRT und F ERDINAND , die sich mit ihren Jagdgewehren bewaffnet haben. Sie gehen nach links. B

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 1

N

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W IRT (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis) Dort ist doch einer – Hallo! Wer da?! (Stille) G ENDARM Nichts. Das ist oft nur die Nacht, die man hört. W IRT (grimmig) Der wird uns noch entkommen -G ENDARM Der entkommt uns nicht, garantiert! Die ganze Umgebung ist allarmiert, alles ist umzingelt. F ERDINAND (schluchzt plötzlich auf; rührselig) Oh mein Annerl, liebes armes Annerl -- wo bist wohl jetzt? G ENDARM Im Paradies. F ERDINAND Was hat man davon -- (er holt eine Flasche hervor und sauft) W IRT (unterdrückt) Sauf nicht soviel. F ERDINAND Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften -- ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter -W IRT Ermanne Dich! F ERDINAND (herrscht den W IRT an) Ich ermanne mich nicht! Meiner Seel, ich bin imstand und schneid mir jetzt selber den 얍 Kopf ab, damit Ihr endlich in mein Herz hineinschaun könnt -- Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus! (er trinkt wieder) (Stille) F ERDINAND (leise und traurig) Gehen wir weiter, Herr Kommissar. G ENDARM Ich bin bereit. (scharf zu F ERDINAND ) Kommens! F ERDINAND Ich komm schon, ich komm schon -- -- Ach Annerl -- (er folgt dem W IRT und G ENDARM ab) (Das Signal läutet und wechselt auf rot) H UDETZ (tritt aus der Finsternis vor und sieht den D REIEN nach; er lächelt) „Ach Annerl“ -- (er blickt forschend empor) Wo liegt denn nur das Paradies? (Ein S TRECKENGEHER erscheint auf dem Bahndamm; er trägt eine Lampe auf der Brust und man kann sein Gesicht nicht erkennen) 얍 H UDETZ (schaut auf seine Uhr) Noch eine halbe Stund, dann werd ichs wissen. (er schaut wieder den D REIEN nach) Auch wenn Ihr alles alarmiert habt, auch wenn B

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BN B

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4 5 5 5 5 6–7 9 39 39

zusammengestossenN ] Von f kommtN ] BderN ] BN] BN] BSie f links.N ] BDort f einer –N ] BN] B(erN ] B B

gemeint ist: zusammengestoßen \Von [links] |rechts| kommt/ korrigiert aus: Der [kommt] [dem] \Sie f links./ [Ist dort jemand? --] |Dort f einer – | [Hier f anderer --]f x [(er grinst und] |(er|

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N

ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 1

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 9

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A5 (Korrekturschicht)

Lesetext

alles umzingelt ist -- von Euch lass ich mich nicht fangen, garantiert -- (er grinst und sieht sich um) Hier ist er verunglückt, der Eilzug vierhundertfünf -- und jetzt wart ich auf ihn, auf den Eilzug vierhundertfünf. Es ist derselbe und doch ein anderer -- Ja, hier hats begonnen, hier soll es enden -- (er erblickt den S TRECKENGEHER, der stehen geblieben war, und erschrickt sehr) S TRECKENGEHER (richtet den Lichtstrahl seiner Lampe auf H UDETZ ; er hat eine sanfte Stimme) Guten abend, Herr Vorstand! H UDETZ (starrt ihn entgeistert an) S TRECKENGEHER Ich schau nur nach, ob alles in Ordnung ist auf der Strecke, damit nichts passiert, obwohl immer wieder was passiert -- Halt! Bleibens nur da, ich verrat Sie nicht, darüber bin ich hinaus -H UDETZ (verwirrt) Darüber hinaus? S TRECKENGEHER (lacht leise) Wir sind Leidensgenossen, Herr Vorstand. Ich hab nämlich mal eine Zugskatastrophe verschuldt, weil ich betrunken gewesen bin , weil ich einen Kummer gehabt hab und ich hab gedacht, was kannst Du für Deinen Kummer? Heut denk ich nichtsmehr, weils mir immer klarer wird – ich geh immer dieselbe Strecke und kontrollier und kontrollier, seit vierundsechzig Jahr -H UDETZ Vierundsechzig? S TRECKENGEHER Ja, das war noch lang vor Ihrer Zeit, Herr Vorstand. Damals war die Frau noch garnicht geboren, deren Tochter Sie neulich beim Viadukt – ich stand nämlich droben auf dem Viadukt und hab zugeschaut – H UDETZ (schreit) Aufhören, aufhören! S TRECKENGEHER Nanana, regens Ihnen nur nicht so auf! Sagens, Herr Vorstand, B

N

B

BB

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N

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5

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B

N N

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B

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N B

B

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B

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\Abbruch der Bearbeitung\

1 2 2–4 2 5 10

B

\grinst/

B

grinstN ] undN ] BHier f anderer --N ] BHierN ] BgebliebenN ] Bobwohl f wasN ]

eingefügt: und

10 14 16 16 21–24 21–22 23

B

passiertN ] gewesen binN ] Bnichtsmehr f wird –N ] BichN ] BSie f Vorstand,N ] Bbeim f zugeschaut –N ] B(schreit f aufhören!N ]

Hier f anderer -[Ja,] [h]|H|ier korrigiert aus: gleblieben [aber es] |obwohl f was| passiert [halt trotzdem immer wieder was] korrigiert aus: pawssiert [war] |gewesen bin| nichtsmehr\, weils f wird –/ [und] |ich| \Sie f Vorstand,/ [erschlagen] |beim f zugeschaut –| [Ruhe!] |(schreit) Aufhören[!]|, aufhören!||

B

x

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Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A6 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 SIEBENTES BILD

Auf dem Bahndamm, wo seinerzeit der Eilzug vierhundertfünf mit einem Güterzug zusammengestossen ist. Es ist tiefe Nacht und das Signal steht grün auf freier Fahrt. Von rechts kommt der G ENDARM mit aufgepflanztem Bajonett, gefolgt von W IRT und F ERDINAND , die sich mit ihren Jagdgewehren bewaffnet haben. Sie gehen nach links. B

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 1

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W IRT (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis) Dort ist doch einer – Hallo! Wer da?! (Stille) G ENDARM Nichts. Das ist oft nur die Nacht, die man hört. W IRT (grimmig) Der wird uns noch entkommen -G ENDARM Der entkommt uns nicht, garantiert! Die ganze Umgebung ist allarmiert, alles ist umzingelt. F ERDINAND (schluchzt plötzlich auf; rührselig) Oh mein Annerl, liebes armes Annerl -- wo bist wohl jetzt? G ENDARM Im Paradies. F ERDINAND Was hat man davon -- (er holt eine Flasche hervor und sauft) W IRT (unterdrückt) Sauf nicht soviel. F ERDINAND Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften -- ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter -W IRT Ermanne Dich! F ERDINAND (herrscht den W IRT an) Ich ermanne mich nicht! Meiner Seel, ich bin imstand und schneid mir jetzt selber den 얍 Kopf ab, damit Ihr endlich in mein Herz hineinschaun könnt -- Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus! (er trinkt wieder) (Stille) F ERDINAND (leise und traurig) Gehen wir weiter, Herr Kommissar. G ENDARM Ich bin bereit. (scharf zu F ERDINAND ) Kommens! F ERDINAND Ich komm schon, ich komm schon -- -- Ach Annerl -- (er folgt dem W IRT und G ENDARM ab) (Das Signal läutet und wechselt auf rot) H UDETZ (tritt aus der Finsternis vor und sieht den D REIEN nach; er lächelt) „Ach Annerl“ -- (er blickt forschend empor) Wo liegt denn nur das Paradies? (Ein S TRECKENGEHER erscheint auf dem Bahndamm; er trägt eine Lampe auf der Brust und man kann sein Gesicht nicht erkennen) B

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zusammengestossenN ] Von f kommtN ] BderN ] BN] BN] BSie f links.N ] BDort f einer –N ] B B

gemeint ist: zusammengestoßen \Von [links] |rechts| kommt/ korrigiert aus: Der [kommt] [dem] \Sie f links./ [Ist dort jemand? --] |Dort f einer – |

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ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 1

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A6 (Korrekturschicht)

Lesetext

H UDETZ (schaut auf seine Uhr) Noch eine halbe Stund, dann werd ichs wissen -Ja, hier hats begonnen, hier soll es enden -- (er erblickt den S TRECKENGEHER, der stehen geblieben war, und erschrickt sehr) S TRECKENGEHER (richtet den Lichtstrahl seiner Lampe auf H UDETZ ; er hat eine sanfte Stimme) Guten abend, Herr Vorstand! H UDETZ (starrt ihn entgeistert an) S TRECKENGEHER Ich schau nur nach, ob alles in Ordnung ist auf der Strecke, damit nichts passiert, obwohl immer wieder was passiert -- Halt! Bleibens nur da, ich verrat Sie nicht, darüber bin ich hinaus -H UDETZ (verwirrt) Darüber hinaus? S TRECKENGEHER (lacht leise) Wir sind Leidensgenossen, Herr Vorstand. Ich hab nämlich mal eine Zugskatastrophe verschuldet, weil ich betrunken gewesen bin, weil ich einen Kummer gehabt hab und ich hab gedacht, was kannst Du für Deinen Kummer? Heut denk ich nichtsmehr, weils mir immer klarer wird -- ich geh nur immer dieselbe Strecke und kontrollier und kontrollier, seit vierundsechzig Jahr -H UDETZ Vierundsechzig? S TRECKENGEHER Ja, das war noch lang vor Ihrer Zeit, Herr Vorstand. Damals war die Frau noch garnicht geboren, deren Toch-얍ter Sie neulich beim Viadukt -- ich stand nämlich droben auf dem Viadukt und hab zugeschaut -H UDETZ (fällt ihm schreiend ins Wort und hält sich die Ohren zu) Aufhören, aufhören! BN

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B

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N BN

B N

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B

(Stille) S TRECKENGEHER Herr Vorstand, habens schon mit dem Pokorny gesprochen? H UDETZ (tonlos) Mit was für einem Pokorny? S TRE Na mit dem Lokomotivführer Pokorny, der hats mir grad gestern gesagt, dass er Sie sprechen möcht -H UDETZ (plötzlich unwillig) Ich kenn keinen Pokorny! S TRE Aber Herr Vorstand, so denkens doch nach! Ich meine doch jenen Pokorny, der hier tötlich verunglückt ist, wie der Eilzug vierhundertfünf zusammengestossen ist -- Was glotzens mich denn so an? Meinens, man könnt mit einem Toten nicht reden? Man kann schon, aber nur wenn der Tote möcht -- -- Gelt, da wirds Ihnen ganz anders -H UDETZ (sehr bange) Wer spricht da mit mir? Tuns die Lampe weg, damit ich das Gesicht seh! N

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2 21 21 23 25 26 27 30 31 31–32

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]

Ja,N ] und f zu)N ] BN] BN] BS TRECKENGEHER N ] B(tonlos)N ] Bgesagt,N ] BS TRE N ] BtötlichN ] BzusammengestossenN ] B B

[(er sieht wieder den D REIEN nach) Auch wenn Ihr alles alarmiert habt, auch wenn alles umzingelt ist -- von Euch lass ich mich nicht fangen, garantiert -- (er grinst und sieht sich um) Hier ist er verunglückt, der Eilzug vierhundertfünf -und jetzt wart ich auf ihn, auf den Eilzug vierhundertfünf. Ja,] \Ja,/ \und f zu)/ gestrichen: ) [S TRECKENGEHER ]f x x S TRECKENGEHER \(tonlos)/ korrigiert aus: gekorrigiert aus: Stre gemeint ist: tödlich gemeint ist: zusammengestoßen

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ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 10

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A6 (Korrekturschicht)

S TRE Ich hab kein Gesicht. P OKORNY (kommt; er raucht eine Virginia und scheint guter Laune zu sein) Servus, Herr Vorstand! S TR Ah, der Pokorny! Meine Hochachtung, Herr Lokomotivführer! Ich hab Dich dem Herrn Vorstand bereits avisiert -- (er lacht leise, fast boshaft) P OKORNY Das ist lieb von Dir. S TR Schauns nur, was er für eine Angst vor Ihnen hat -P OKORNY (schäckernd, jedoch nicht ohne Hinterlist) Er hat ja auch allen Grund, denn er ist ja schuld, dass ich nichtmehr bin – H UDETZ (fällt ihm ins Wort) Das ist nicht wahr! \Abbruch der Bearbeitung\ B

5

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Lesetext

N

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B

Meine Hochachtung,N ]

(1) Servus, (2) Meine Hochachtung,

8–10 8

B

P OKORNY f wahr!N ] nicht f Hinterlist)N ]

\P OKORNY f wahr!/ [mit leiser] |nicht f Hinterlist)|

B

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Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A7 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 SIEBENTES BILD

Auf dem Bahndamm, wo seinerzeit der Eilzug vierhundertfünf mit einem Güterzug zusammengestossen ist. Es ist tiefe Nacht und das Signal steht grün auf freier Fahrt. Von rechts kommt der G ENDARM mit aufgepflanztem Bajonett, gefolgt von W IRT und F ERDINAND , die sich mit ihren Jagdgewehren bewaffnet haben. Sie gehen nach links. B

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ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 1

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W IRT (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis) Dort ist doch einer – Hallo! Wer da?! (Stille) G ENDARM Nichts. Das ist oft nur die Nacht, die man hört. W IRT (grimmig) Der wird uns noch entkommen -G ENDARM Der entkommt uns nicht, garantiert! Die ganze Umgebung ist allarmiert , alles ist umzingelt. F ERDINAND (schluchzt plötzlich auf; rührselig) Oh mein Annerl, liebes armes Annerl -- wo bist wohl jetzt? G ENDARM Im Paradies. F ERDINAND Was hat man davon -- (er holt eine Flasche hervor und sauft) W IRT (unterdrückt) Sauf nicht soviel. F ERDINAND Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften -- ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter -W IRT Ermanne Dich! F ERDINAND (herrscht den W IRT an) Ich ermanne mich nicht! Meiner Seel, ich bin imstand und schneid mir jetzt selber den 얍 Kopf ab, damit Ihr endlich in mein Herz hineinschaun könnt -- Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus! (er trinkt wieder) (Stille) F ERDINAND (leise und traurig) Gehen wir weiter, Herr Kommissar. G ENDARM Ich bin bereit. (scharf zu F ERDINAND ) Kommens! F ERDINAND Ich komm schon, ich komm schon -- -- Ach Annerl -- (er folgt dem W IRT und G ENDARM ab) (Das Signal läutet und wechselt auf rot) H UDETZ (tritt aus der Finsternis vor und sieht den D REIEN nach; er lächelt) „Ach Annerl“ -- (er blickt forschend empor) Wo liegt denn nur das Paradies? (Ein S TRECKENGEHER erscheint auf dem Bahndamm; er trägt eine Lampe auf der Brust und man kann sein Gesicht nicht erkennen) B

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4 5 5 5 5 6–7 9 14

zusammengestossenN ] Von f kommtN ] BderN ] BN] BN] BSie f links.N ] BDort f einer –N ] BallarmiertN ] B B

gemeint ist: zusammengestoßen

\Von [links] |rechts| kommt/ korrigiert aus: Der

[kommt] [dem] \Sie f links./ [Ist dort jemand? --] |Dort f einer –| gemeint ist: alarmiert

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N

ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 1

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A7 (Korrekturschicht)

Lesetext

H UDETZ (schaut auf seine Uhr) Noch eine halbe Stund, dann werd ichs wissen -Ja, hier hats begonnen, hier soll es enden -- (er erblickt den S TRECKENGEHER, der stehen geblieben war, und erschrickt sehr) S TRECKENGEHER (richtet den Lichtstrahl seiner Lampe auf H UDETZ ; er hat eine sanfte Stimme) Guten abend, Herr Vorstand! H UDETZ (starrt ihn entgeistert an) S TRECKENGEHER Ich schau nur nach, ob alles in Ordnung ist auf der Strecke, damit nichts passiert, obwohl immer wieder was passiert -- Halt! Bleibens nur da, ich verrat Sie nicht, darüber bin ich hinaus -H UDETZ (verwirrt) Darüber hinaus? S TRECKENGEHER (lacht leise) Wir sind Leidensgenossen, Herr Vorstand. Ich hab nämlich mal eine Zugskatastrophe verschuldet, weil ich betrunken gewesen bin, weil ich einen Kummer gehabt hab und ich hab gedacht, was kannst Du für Deinen Kummer? Heut denk ich nichtsmehr, weils mir immer klarer wird -- ich geh nur immer dieselbe Strecke und kontrollier und kontrollier, seit vierundsechzig Jahr -H UDETZ Vierundsechzig? S TRECKENGEHER Ja, das war noch lang vor Ihrer Zeit, Herr Vorstand. Damals war die Frau noch garnicht geboren, deren Toch-얍ter Sie neulich beim Viadukt -- ich stand nämlich droben auf dem Viadukt und hab zugeschaut -H UDETZ (fällt ihm schreiend ins Wort und hält sich die Ohren zu) Aufhören, aufhören! (Stille) S TRECKENGEHER Herr Vorstand, habens schon mit dem Pokorny gesprochen? H UDETZ (tonlos) Mit was für einem Pokorny? S TRECKENGEHER Na mit dem Lokomotivführer Pokorny, der hats mir grad gesagt, dass er Sie sprechen möcht -H UDETZ (plötzlich unwillig) Ich kenn keinen Pokorny! S TRECKENGEHER Aber Herr Vorstand, so denkens doch nach! Ich meine doch jenen Pokorny, der hier tötlich verunglückt ist, wie damals der Eilzug vierhundertfünf zusammengestossen ist -- Was glotzens mich denn so an? Meinens, man könnt mit einem Toten nicht reden? Man kann schon, aber nur wenn der Tote möcht -(er lächelt) Gelt, da wirds Ihnen ganz anders -H UDETZ (bange) Wer spricht da mit mir? (er schreit ihn an) Tuns die Lampe weg, damit ich das Gesicht seh! S TRECKENGEHER (seelenruhig) Ich hab kein Gesicht. P OKORNY (kommt; er raucht eine Virginia und scheint guter Laune zu sein) Servus, Herr Vorstand! S TRECKENGEHER Ah, der Pokorny! Meine Hochachtung, Herr Lokomotivführer! Ich hab Dich dem Herrn Vorstand bereits avisiert -- (er lacht leise, fast boshaft) P OKORNY Das ist lieb von Dir. BN

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B N BN

1

2 28 29 40 40

BN

]

Ja,N ] tötlichN ] BzusammengestossenN ] BN] BN] B B

[(er sieht wieder den D REIEN nach) Auch wenn Ihr alles alarmiert habt, auch wenn alles umzingelt ist -- von Euch lass ich mich nicht fangen, garantiert -- (er grinst und sieht sich um) Hier ist er verunglückt, der Eilzug vierhundertfünf -und jetzt wart ich auf ihn, auf den Eilzug vierhundertfünf. Ja,] \Ja,/ gemeint ist: tödlich gemeint ist: zusammengestoßen gestrichen: S TRECKENGEHER [Schau nur, was er für eine Angst [vor Dir] hat --]f x

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ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 2

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K3/TS1/A7 (Korrekturschicht)

Lesetext

P OKORNY (heiter, jedoch nicht ohne Hinterlist) Schau nur, was er für eine Angst hat -- Er hat ja auch allen Grund, denn wer ist denn schuld, dass ich nichtmehr bin -얍 H UDETZ (fällt ihm ins Wort) Das ist nicht wahr! P OKORNY Das ist mir jetzt auch wurscht! S TRECKENGEHER (lacht gezwungen) Und ob! (Stille) P OKORNY (zu H UDETZ ) Hör her: ich war zuvor in der Droguerie , wie Du den Anzug nicht genommen hast -- Ihr habt mich natürlich nicht gesehen, aber ich habs gehört, was Du gedacht hast -- dass Du Dich nämlich der irdischen Gerechtigkeit entziehen willst. Du willst Dich von Deinem Eilzug überfahren lassen, was? H UDETZ (leise) Ja. P OKORNY Recht hast! Was hättest auch von Deinem Leben? Lebenslänglich -- im besten Fall! (Stille) H UDETZ Was Du sagst, das sind auch meine Gedanken -- aber ich geh noch etwas weiter darüber hinaus. P OKORNY (perplex) Darüber hinaus? H UDETZ Ja. Ich bin nämlich unschuldig -- und wenn ich vor ein Gericht gestellt werden soll, dann möcht ich aber gleich vor die höchste Instanz. Wenn es einen lieben Gott gibt, der wird mich schon verstehen -P OKORNY (grinst) Sicher. B

N

5

B

N

B

N

B

N

B

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B

ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 3

N

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B N

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(Jetzt läutet wieder das Signal und wechselt auf grün) S TRECKENGEHER Jetzt kommt bald der Zug. H UDETZ Er hat meistens Verspätung. P OKORNY Stimmt. Weil er auf den Anschluss warten muss -얍 S TRECKENGEHER Ich muss wieder weiter. Servus, Pokorny! P OKORNY Servus! S TRECKENGEHER Wiedersehen, Herr Vorstand! (ab) H UDETZ Wiedersehen. (Stille) H UDETZ Sag mal: wie ist es denn eigentlich drüben? P OKORNY Friedlich, sehr friedlich. Weisst, wie in einem stillen, ländlichen Wirtshaus, wenns anfängt zu dämmern -- draussen liegt Schnee und die Uhr tickt -ewig, ewig. Du liest Deine Zeitung und trinkst Dein Bier und musst nie zahlen -H UDETZ (lächelt) Wirklich? P OKORNY Wir spielen auch oft Tarock und ein jeder gewinnt. Ich bin direkt froh, dass ich nimmer leb! Schau, ich hab eine Frau und drei Töchter, sie laufen noch in B

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B

N

Schau f hat --N ] jaN ] BwerN ] BdennN ] BDroguerieN ] BP OKORNY N ] BN]

1–2 2 2 2 8 22 23

B

28 39

B

B

B

wiederN ] nimmerN ]

N

Schau f hat -[ja] |ja| [er] |wer| [ja] |denn| gemeint ist: Drogerie [{ }] |P|okorny [(Stille) H UDETZ Sag mal] [jetzt] |wieder| [nichtmehr] |nimmer| x

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ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

5

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45

K3/TS1/A7 (Korrekturschicht)

Lesetext

Schwarz herum, aber sie lachen schon über jeden Witz und haben ihre Pension --- wer redet noch von dem braven Pokorny, obwohl er doch immer ein pflichtgetreuer Beamte war -H UDETZ (lächelt) Du auch? P OKORNY Ja. Wir sind Leidensgenossen -(Jetzt weht der Wind und es klingt wie Posaunen in weiter Ferne) H UDETZ (horcht auf und es wird ihm bange) (Der S TAATSANWALT VON DRUEBEN und ein K OMMISSAR VON DRUEBEN erscheinen auf dem Bahndamm und betrachten das Signal) S TAATSANWALT Das Signal steht auf freier Fahrt und es lässt sich beweisen, dass es erst hinterher auf Halt gestellt worden ist. 얍 K OMMISSAR Der Pokorny hats auch beschworen. H UDETZ (wirft einen überrascht-ängstlichen Blick auf P OKORNY ) S TAATSANWALT Zu dumm! Ein undefinierbares Gefühl sagt mir, dass dieser Hudetz nicht so schuldig ist, wie es scheint -- kurz und gut: das Protokoll! (er setzt sich an einen kleinen Tisch, der in einem matten Lichtschein sichtbar wird, zieht sich seine schwarzen Glacehandschuhe aus und blättert im Protokoll, das auf dem Tische liegt) H UDETZ (bange zu P OKORNY ) Was soll das? P OKORNY (leise) Ist alles nur Formalität -A NNA (kommt langsam von rechts) H UDETZ (entsetzt) Anna! A NNA (sieht ihn gross an) S TAATSANWALT (liest im Protokoll) Anna Leitner, Gastwirtstochter dahier -A NNA (ohne den Blick von H UDETZ zu wenden, tonlos) Ja. S TAATSANWALT Treten Sie vor. A NNA (tritt vor und sieht immer noch H UDETZ an) S TAATSANWALT Da sich der Herr Vorstand der irdischen Gerechtigkeit entziehen will, müssen wir Sie leider noch einmal bemühen -- ist es wahr, dass Sie beim Viadukt gedroht haben, es in die Welt hinauszuschreien, dass er das Signal nicht rechtzeitig gestellt hat? A NNA (senkt das Haupt) Ja. S TAATSANWALT Und drum also hat er Sie erschlagen? A NNA (hebt langsam das Haupt und sieht den Staatsanwalt an) Nein. S TAATSANWALT Sondern? A NNA Herr Staatsanwalt, klagen Sie mich nur an -얍 S TAATSANWALT (fällt ihr ins Wort) Ich bin nicht hier, um anzuklagen, das sollten Sie eigentlich schon wissen. Ich bin nur hier, um zu protokollieren, was einer mit seinem freiem Willen -H UDETZ (unterbricht ihn) Ich hab keinen freien Willen gehabt, ich nicht! S TAATSANWALT Bitte, keine Gemeinplätze! Die Gerechtigkeit, der ich diene, hat auch Ihnen gnädigst einen freien Willen gegeben, um zu prüfen -H UDETZ (unterbricht ihn wieder) Was soll denn geprüft werden?! S TAATSANWALT Ob Sie sich gebessert haben. H UDETZ Gebessert? (Stille) S TAATSANWALT Sie haben ein Signal -H UDETZ (unterbricht ihn wieder schreiend) Daran war sie schuld, sie und nur sie!

113

ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 5

ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 6

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

5

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K3/TS1/A7 (Korrekturschicht)

Lesetext

S TAATSANWALT (lächelt leise; zu A NNA ) Ist das wahr? A NNA (als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen) Er hat das Signal vergessen, weil ich ihm einen Kuss gegeben hab, aber ich hätt ihm nie einen Kuss gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätte, die er nie geliebt -H UDETZ (unterbricht sie) Was soll das? A NNA (sieht H UDETZ gross an) Ich kann nichtmehr lügen. S TAATSANWALT Herr Vorstand! Liebten Sie Ihre Gattin? H UDETZ (nach kleiner Pause) Ich hatte Mitleid mit ihr -S TAATSANWALT Aha! H UDETZ Ich weiss, es war eine Schwäche -S TAATSANWALT (fällt ihm ins Wort) Es gibt kein Mitleid aus Schwäche! 얍 H UDETZ Kann ich dafür, dass ich schwach bin?! S TAATSANWALT Nein! Aber dass sie aus Schwäche lügen, dafür können Sie! H UDETZ Hab denn ich das Lügen erfunden?! Als würd das nicht jeder tun! S TAATSANWALT Das geht Sie nichts an -- (er blättert wieder im Protokoll) (zu Anna) (Stille) A NNA (sieht H UDETZ gross an) Erinnerst Du Dich, dass ich Dich beim Viadukt gefragt habe: „Erkennst Du mich wieder?“ H UDETZ (leise) Ja. A NNA Du hast mich wiedererkannt. H UDETZ (unsicher) Das weiss ich nicht. A NNA Aber ich. Denn Du hast mich genau so umarmt, wie damals. H UDETZ Wie wann? A NNA Wie damals, da wir fortgingen. Der Himmel war wie ein strenger Engel, wir hörten die Worte und hatten Angst, sie zu verstehen -- oh, so Angst -- -- Es waren schwere Zeiten, erinnerst Du Dich? Im Schweisse unseres Angesichts -H UDETZ (unterbricht sie) Du warst schuld! Wer hat denn zu mir gesagt: „Nimm! Nimm!“ A NNA Ich. H UDETZ Und was hab ich getan?! A NNA (lächelt) Oh, wie oft hast Du mich schon erschlagen und wie oft wirst Du mich noch erschlagen -- es tut mir schon garnichtmehr weh -H UDETZ Tuts Dir wohl? A NNA (schrickt zusammen und starrt ihn entsetzt an) 얍 S TAATSANWALT Ich versteh Sie nicht, wie Sie so fragen können, Herr Vorstand! „Tuts Dir wohl?“ -- also das ist schon Lästerung! A NNA (zu H UDETZ , langsam und leise) Du hast mich gefragt, was liebst Du denn an mir? Und ich hab gesagt: alles. (Nun nähert sich der Eilzug vierhundertfünf) A LLE (horchen auf) P OKORNY (zu H UDETZ ) Jetzt kommt Dein Zug -B

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B

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ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 7

N

N

N

N

Was f das?N ] ] BdasN ] BN] Btun!N ] B(zu Anna)N ] Bschuld! WerN ] BNimm!“N ] B

BN

[Das ist nicht wahr!] |Was f das?| [Lügen Sie nicht!] \das/ [ein] [lügen!] |tun!| korrigiert aus: \(zu Anna/ korrigiert aus: schuld!Wer [Esse davon!“] |Nimm!“|

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ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 8

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

5

10

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K3/TS1/A7 (Korrekturschicht)

Lesetext

S TAATSANWALT (erhebt sich und zieht sich seine schwarzen Glacehandschuhe an) H UDETZ (wendet sich langsam dem Bahndamm zu) A NNA (schreit ihn plötzlich entsetzt an) Nein! Was willst Du tun?! P OKORNY (zu A NNA ) Mischen Sie sich da nicht hinein! H UDETZ (zu A NNA ) Ich triff meinen Kollegen Pokorny. P OKORNY Wir spielen Tarock. A NNA Tarock? H UDETZ Ja. Draussen liegt Schnee, aber drinnen im Ofen brennt das Feuer und wärmt -A NNA (unterbricht ihn) Das ist kein Feuer, das wärmt! Glaub ihm nicht, Deinem Kollegen! Er will Dich nur holen, um sich zu rächen, weil er nichtmehr lebt! P OKORNY (zu A NNA ) Ruhe! A NNA (zu H UDETZ ) Ich bin nicht ruhig, ich liebe Dich doch! Oh glaub es mir, es ist furchtbar, wo wir hier sind! Bleib, bleib leben, Du! P OKORNY (zu H UDETZ ) Hör nicht auf sie! Komm, der Zug kommt! A NNA (klammert sich plötzlich an H UDETZ ) Bleib leben, Du! Bei unserer Liebe! 얍 (Nun fährt der Eilzug vorbei und es wird ganz finster) A NNA Herr Kommissar! Herr Kommissar! (Der Zug ist vorbei, die Nacht wird wieder heller. Neben dem Bahndamm steht H UDETZ , links im Vordergrunde der G ENDARM , der W IRT und F ERDINAND ; alle A NDEREN sind unsichtbar) /Abbruch der Bearbeitung/

115

ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 9

116

Konzeption 4: Der jüngste Tag – Schauspiel in sieben Bildern

117

Fragmentarische Fassung des 6. Bildes

K4/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

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40

얍 A LFONS Wo kommst Du her? H UDETZ Vom Viadukt. F RAU H UDETZ (leise) Jesus Maria! (Stille) H UDETZ Ja, ein Viadukt ist nämlich sehr hoch, und es ist mir eingefallen, ist denn das bisserl Leben die grosse Hetz wert? Lieber ein Ende mit Schrecken -A LFONS Es gibt kein Ende. H UDETZ Hör auf damit! Hin ist hin! F RAU H UDETZ Richtig. H UDETZ (grinst F RAU H UDETZ an) Was, wir verstehen uns? (Stille) H UDETZ (wie zuvor) Freuts Dich, dass ich noch leb? A LFONS Es gibt nur Einen, der richten darf -H UDETZ (unterbricht ihn) Verschon mich damit! Schau 얍 mich nicht so intelligent an, B ich hab das alles genau durchdacht!N A LFONS Nur zu. H UDETZ (fixiert A LFONS ) Nur zu. Ich hab mich bis heut im Wald versteckt und bin jetzt heimlich her -- (er grinst) Fürchtet Euch nicht! Es hat mich keiner gesehen --- zwar ist alles umzingelt, mit Militär und Gendarmerie, aber ich komm durch. Ich trete die Strafe nicht an, ich berufe, denn ich kann nichts dafür. A LFONS Meinst Du? H UDETZ Ich bin unschuldig. F RAU H UDETZ (lacht hysterisch) Die Frau Leimgruber, die Frau Leimgruber! H UDETZ Lach nicht! F RAU H UDETZ Aber das ist ja auch zu komisch -- (sie setzt sich an den kleinen Tisch, beugt sich über die Tischplatte und weint) H UDETZ (zu A LFONS ) Was hat sie denn? (Stille) A LFONS Was willst Du von uns? H UDETZ Ich werd verfolgt. Ich brauch einen Anzug. B N Einen anderen Anzug -- ich muss nämlich BweiterN und das geht nicht in der Uniform. (Stille) H UDETZ Also: bekomm ich den Anzug oder nicht? F RAU H UDETZ (fährt ihn an) Was ziehst Du uns da hinein zu Dir?! Das wär ja Vorschubleistung! Lass mei-얍nen Bruder aus dem Spiel, Du hast mich genug gequält! Lass uns unseren Frieden! H UDETZ (grinst wieder) Habt Ihr Frieden? (Stille) A LFONS Wir trachten nach Frieden. Und trachten guten Willens zu sein. H UDETZ Du vielleicht schon -A LFONS (herrscht ihn an) Hör auf mit diesem Ton! Geh lieber in Dich! (Stille)

ich f durchdacht!N ]

16

B

31 32

BN B

] weiterN ]

[wir]|ich| hab[en] [uns] [|mir|] das alles genau [überlegt!] |durchdacht!| [Zivil.] [durch] |weiter|

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ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 1

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 2

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 6. Bildes

5

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K4/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

H UDETZ (grinst wieder) Wohin soll ich gehen? In mich hinein? Was tät ich denn da finden? A LFONS Schau nach. 얍 H UDETZ (horcht auf und grinst nichtmehr) (Stille) H UDETZ (langsam) Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen -- wisst Ihr, an so ein Signal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamter gewesen ist -(er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven Pokorny? Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna -(er lächelt) Jaja, die Anna! Heut stand sie droben auf dem Viadukt und rief mir zu: „Komm nicht herauf, es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin!“ -- -- (er blickt A LFONS und F RAU H UDETZ an) Hört Ihr mich eigentlich? A LFONS Ja. (Stille) F RAU H UDETZ (weint plötzlich) Thomas, Thomas! H UDETZ (zu A LFONS ; ernst, ohne jeden Spott) Was hat sie denn? A LFONS Thomas. Ich wollt es eigentlich nicht glauben -H UDETZ Was? Achso! -- Ja, da hilft Dir nichts, Du musst es glauben. Ich hab mich mit der \Textverlust\

119

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K4/TS2 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

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얍 A LFONS (\Textverlust durch Blatteinriss\ Brechts, erblickt die Drei und hält)N D IE D REI (erbl\Textverlust durch Blatteinriss\{icken i}hn und starren ihn entgeistert an) B A LFONS Guten Abend.N (Stille) W IRT (findet als Erster seine Sprache wieder) Du, Du traust Dich mir vor meine Augen – A LFONS (fällt ihm ins Wort) Ja. (zum Gendarmen) Herr Inspektor, ich suche Sie. G ENDARM Wo ist Ihr Schwager? A LFONS (lächelt) Ach, Ihr wisst es bereits – G ENDARM (perplex) Was denn? B F ERDINAND N Wie der lächelt – (er starrt Alfons gehässig an) W IRT \Abbruch der Bearbeitung\

(S. 77) A LFONS Wirds Euch jetzt klar, warum er den anderen Anzug nicht nahm

15

A LFONS Nein. Ich hol ihn auch. Er soll sich der irdischen Gerechtigkeit nicht entziehn –

2 4 12

rechts, f hält)N ] A LFONS f Abend.N ] BF ERDINAND N ] B B

rechts[)] [|und|] |, erblickt die Drei und hält[;]|)| [er hat]| [(Stille)] |A LFONS f Abend.| [W IRT ] |F ERDINAND |

120

ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 1

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K4/TS3/A1 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

10

15

얍 F ERDINAND B N Der hat kein Interesse, merk Dir das! W IRT Wo steckt er denn, der Herr Schwager?! Wo ist er denn hin, unser geliebter Herr Vorstand?! A LFONS BWie er mich vorhin verlassen hat, bin ich ihm gleich Bnach,N aber dann hab ich ihnN Baus den Augen verloren – Er ging den Weg zum Viadukt. W IRT Zum Viadukt? (er fasst sich ans Herz) A LFONS Ja. Gott steh ihm bei. (Stille) A LFONS Wirds Euch jetzt klar, warum er den anderen Anzug nicht nahm? G ENDARM Warum? A LFONS Ein Viadukt ist zumeist sehr hoch – (er lächelt seltsam) (Stille) G ENDARM Ach! Sie meinen, dass er hinunterspringet? F ERD Hinunter? A LFONS Ich fürchte, dass er sich selbst richtet – W IRT Sich selbst richtet?! Also \Textabbruch\ …

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 6

B N

20

F ERD Eingsperrt ghört … G ENDARM Ein {korrektes} Gerichtsverfahren. W IRT Den hol ich mir jetzt! Zum Viadukt – (rasch ab nach links) F ERD Ich hol ihn auch – los, Herr Inspektor! (zu A LFONS ) Und Du geh schlafen! (ab) A LFONS Nein. Ich hol ihn auch. Er soll sich der irdischen Gerechtigkeit nicht entziehen. G ENDARM Bravo! (ab mit A LFONS nach links) B

25 B

N

N

N

얍BN

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 7

B N

P OKORNY (ein seliger Lokomotivführer, tritt aus der Finsternis vor und blickt A LFONS nach; er raucht eine Virginia; er grinst) Idiot , mit Deiner irdischen Gerechtigkeit -(Das Signal läutet und wechselt auf rot)

BN

BN

30

B

N

B N B

(Ein Streckengeher kommt) 2 5–6 5 6–26 19 23 26 27 28 29 30 32 33

BN

] Wie f ihnN ] Bnach,N ] Baus f links)N ] BN] B(zu f ab)N ] BG ENDARM N ] BN] BN] BN] BN] BN] BN]

34–122,23

B

B

(Ein f Still!N ]

[(höhnisch) „In seinem Interesse“?!] [Ich hab ihn vorhin verfolgt] |Wie f ihn| nach\,/ [--] \aus f links)/ Eintragung fremder Hand: Eingsperrt ghört [(ab nach] |(zu f ab)| [W IRT ] |G ENDARM | gestrichen: G ENDARM Bravo! (ab mit A LFONS nach links) [(Das Signal läutet und wechselt auf rot)] gestrichen: den [Du] \läutet f rot)/ [(er blickt aufs Signal) Jetzt stehts auf Halt. \Gehts in Ordnung, jetzt [stehts] |ist es richtig gestellt!|] \([S]|E|in f Still!/

121

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

B

K4/TS3/A1 (Korrekturschicht)

Lesetext

P OKORNY Servus, Kreitmayer! S TRECK Meine Hochachtung, Herr Lokomotivführer. P OKORNY Na, wo steckt er denn? S TRECK Beim Viadukt. P OKORNY Ist er schon hinunter? S TRECK Nein. Mir scheint, er hat Angst – P OKORNY Angst? Zu dumm! Man muss halt doch noch mit ihm reden – S TRECK Tuns das nicht! P OKORNY Und ob ichs tu! Und wenns mich 1000 Jahr kostet – das ist es mir wert. Hast Du nicht auch dran glauben müssen?! Warst Du nicht auch in dem Zug?! Ich im Eilzug, Du im anderen?! Erinnerst Dich nicht, wie wir erwacht sind und es war immer Nacht – keine Sonne, keine Sonne! S TR Ja, das ist schon richtig. P OK Na also! Hoffentlich werdens ihn nicht erwischen. Hoffentlich werden sie ihn nicht erwischen! S TRECK Still! (er lauscht) Ich hör ihn – P OKORNY (lauscht auch) Er kommt. S TRECK Er denkt: ich werf mich lieber vor den Zug, als wie dass ich vom Viadukt hinunter – P OKORNY Er denkt, ich werf mich lieber vor den Zug, hier , hier. Hier hats begonnen, hier solls enden – S TRECK „Enden“? (er lacht grimmig) P OK Still! N

B

N

B

5

N

B

B

10

N B

N

N

B B

N

B

N

B

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B

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B

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B

N B

N

N

B

B

B

N N

N

N

N

\Abbruch der Bearbeitung\

P OKORNY f Lokomotivführer.N ] Na, f denn?N ] BBeimN ] BAngst? f dumm!N ] BManN ] BTunsN ] BHast f erwischen.N ] BIch f anderen?!N ] Bimmer NachtN ] Berwischen.N ] BStill!N ] BhörN ] BEr f werfN ]

1–2 3 4 7 7 8 10–14 11 12 14 16 16 18

B

18 18 20 21

B

B

michN ] vom ViaduktN ] BEr f hierN ] BsollsN ] B

\POKORNY f Lokomotivführer./ [Servus] |[|Na,|] |Na,| f denn?| [Er steht] |Beim| [a][|A|uf dem] [|Beim|] \Angst? f dumm!/ [Ich] |Man| Tu\ns/ \Hast f erwischen./ \Ich f anderen?!/ [ewi] |immer Nacht| korrigiert aus: erwischen [Ich] |Still!| hör[,] Er \denkt: ich/ [denkt sich, er wirft sich lieber] w[irft]|erf| korrigiert aus: sich [vom Viadukt] |vom Viadukt| [Und lieber will vor den Zug] |Er f hier| korrigiert aus: soll

122

N

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K4/TS3/A2 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

10

15

얍 F ERDINAND B N Der hat kein Interesse, merk Dir das! W IRT Wo steckt er denn, der Herr Schwager?! Wo ist er denn hin, unser geliebter Herr Vorstand?! A LFONS BWie er mich vorhin verlassen hat, bin ich ihm gleich Bnach,N aber dann hab ich ihnN Baus den Augen verloren – Er ging den Weg zum Viadukt. W IRT Zum Viadukt? (er fasst sich ans Herz) A LFONS Ja. Gott steh ihm bei. (Stille) A LFONS Wirds Euch jetzt klar, warum er den anderen Anzug nicht nahm? G ENDARM Warum? A LFONS Ein Viadukt ist zumeist sehr hoch – (er lächelt seltsam) (Stille) G ENDARM Ach! Sie meinen, dass er hinunterspringet? F ERD Hinunter? A LFONS Ich fürchte, dass er sich selbst richtet – W IRT Sich selbst richtet?! Also \Textabbruch\ …

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 6

B N

20

F ERD Eingsperrt ghört … G ENDARM Ein {korrektes} Gerichtsverfahren. W IRT Den hol ich mir jetzt! Zum Viadukt – (rasch ab nach links) F ERD Ich hol ihn auch – los, Herr Inspektor! (zu A LFONS ) Und Du geh schlafen! (ab) A LFONS Nein. Ich hol ihn auch. Er soll sich der irdischen Gerechtigkeit nicht entziehen. G ENDARM Bravo! (ab mit A LFONS nach links) B

25 B

N

N

N

얍B N P OKORNY (ein seliger Lokomotivführer, tritt aus der Finsternis vor und blickt und raucht eine Virginia; er blickt A LFONS nach und grinst) Idiot, mit Deiner irdi30 schen Gerechtigkeit -(Das Signal läutet und wechselt auf rot) (Ein S TRECKENGEHER erscheint auf dem Bahndamm; er trägt eine Lampe auf der Brust und man kann sein Gesicht nicht erkennen) P OKORNY (leise) Servus, Kreitmayer! 35 S TRECKENGEHER (hält; er hat eine sanfte Stimme) Meine Hochachtung, Herr Lokomotivführer! P OKORNY Na, wo steckt er denn? S TRECK Beim Viadukt. P OKORNY Ist er schon hinunter? 40 S TRECK Nein. Mir scheint, er hat Angst --

2 5–6 5 6–26 19 23 26 27

] Wie f ihnN ] Bnach,N ] Baus f links)N ] BN] B(zu f ab)N ] BG ENDARM N ] BN] BN B

[(höhnisch) „In seinem Interesse“?!] [Ich hab ihn vorhin verfolgt] |Wie f ihn| nach\,/ [--] \aus f links)/ Eintragung fremder Hand: Eingsperrt ghört [(ab nach] |(zu f ab)| [W IRT ] |G ENDARM | gestrichen: G ENDARM Bravo! (ab mit A LFONS nach links)

123

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 8

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

10 B

B

N

B

N

B

N

B

N

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BN

N B

N

B

N

B

B

N

B

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Lesetext

P OKORNY Angst? Man muss halt doch noch mit ihm reden -S TRECK Tuns das nicht! P OKORNY Und ob ichs tu! Und wenns mich tausend Jahr kostet -- das ist es mir wert! Hast Du denn nicht auch dran glauben müssen?! Warst Du denn nicht auch in dem Zug? Erinner Dich nur, wie wir erwacht sind und es war immer Nacht -- keine Sonne, keine Sonne! S TRECK Ja, das ist schon richtig -P OK Na also! Hoffentlich werdens ihn nicht verhaften, bevor er noch dazu kommt -S TRECK ( unterbr ihn) Still! (er lauscht) P OKORNY (lauscht auch) Er kommt. S TRECK Ich hör ihn -(Stille) S TRECK ( lauscht ) Er denkt: ich werf mich lieber vor den Zug, ein Viadukt ist zwar hoch, doch vielleicht ist man doch nicht gleich hin – P OK Er denkt, ich werd mich dort „richten“ , wo ich das Signal übersehn hab – S TRECK Ja, hier soll begonnen, hier solls enden. B

5

K4/TS3/A2 (Korrekturschicht)

B

B

N

N

N

\Abbruch der Bearbeitung\

1 1 5 9 9 11 11 13 13 13–16 13 14 15 16

B

[Zu dumm!] |Angst?|

B

korrigiert aus: haöt korrigiert aus: Erinners gemeint ist: unterbricht

Angst?N ] haltN ] BErinnerN ] BunterbrN ] BN] BS TRECK N ] BIch f ihn --N ] BS TRECK N ] BlauschtN ] BEr f enden.N ] BzwarN ] Bhoch, dochN ] B„richten“N ] BsollN ]

[Ich hör ihn --]f x \S TRECK / xIch f ihn -korrigiert aus: S TRE ck [L]|l|auscht \Er f enden./ [doch zu] |zwar| hoch\,/ [und] |doch| [vor den Zug] |„richten“| gemeint ist: hats (vgl. K4/TS3/A1)

124

N

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K4/TS4/A1 (Grundschicht)

Lesetext

\Textverlust\

얍 A NNA (sieht H UDETZ gross an) Du hast ein Signal -- \Abbruch der Bearbeitung\

125

ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 11

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes

K4/TS4/A2 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

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10

얍 A NNA (sieht H UDETZ gross an) Herr Vorstand haben ein Signal -P OKORNY (unterbricht sie) Daran waren Sie schuld, Fräulein, Sie und nur Sie! S TRECKENGEHER Ist das auch wahr? A NNA (als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen) Er hat das Signal vergessen, weil ich ihm einen Kuss gegeben hab, aber ich hätt ihm nie einen Kuss gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätte, die er nie geliebt -P OKORNY (unterbricht sie wieder) Was soll das? A NNA (sieht H UDETZ gross an) Ich kann nichtmehr lügen. S TRECKENGEHER Herr Vorstand! BSie waren verheiratet?N B N

P OKORNY (zum S TRECKENGEHER ) Das geht Dich nichts an! B N

H UDETZ Hab denn ich das Lügen erfunden?! Als hätt ich (Stille) B

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B

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\Abbruch der Bearbeitung\

Sie f verheiratet?N ]

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BN

]

] Als f ichN ] B(Stille)N ] B

[Liebten Sie Ihre Gattin?] |Sie f verheiratet?| [A NNA [Nein.] Er hatte nur Mitleid mit ihr -S TRECKENGEHER Aha!] [(Stille)] [Als würd das nicht] [|Ich hab {lu}|] |Als f ich| \(Stille)/

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ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 12

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)



Lesetext

DER JÜNGSTE TAG

Stammbuch Georg Marton Verlag [1937], Deutsche Nationalbibliothek Leipzig, Sign. 1965 B 3219 (Exil), S. I

Schauspiel in sieben Bildern von Ödön von Horváth B

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PERSONEN: T HOMAS H UDETZ , Stationsvorstand F RAU H UDETZ A LFONS , ihr Bruder, Drogeriebesitzer D ER W IRT ZUM WILDEN M ANN A NNA , seine Tochter F ERDINAND , deren Bräutigam, ein Fleischhauer von auswärts L ENI , Kellnerin beim wilden Mann F RAU L EIMGRUBER E IN W ALDARBEITER E IN V ERTRETER E IN G ENDARM K OHUT , ein Heizer E IN S TAATSANWALT E IN K OMMISSAR E IN K RIMINALER E IN S TRECKENGEHER P OKORNY, ein seliger Lokomotivführer E IN G AST E IN K IND B

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SB Georg Marton, S. III

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얍 SCHAUPLATZ:

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Erstes Bild: Zweites Bild: Drittes Bild: Viertes Bild: Fünftes Bild: Sechstes Bild: Siebentes Bild:

SB Georg Marton, S. V

Kleine Bahnstation. Auf dem Bahndamm, wo zwei Züge zusammengestossen sind. Im Gasthaus zum wilden Mann. Beim Viadukt. Im Gasthaus zum wilden Mann. In der Drogerie. Auf dem Bahndamm, wo einst die beiden Züge zusammengestossen sind. B

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4 17 34 39 39–40

Ödön f HorváthN ] W ALDARBEITER N ] BzusammengestossenN ] BBahndamm,N ] BzusammengestossenN ] B B

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korrigiert aus: Odon von Horvath korrigiert aus: F ELDARBEITER gemeint ist: zusammengestoßen korrigiert aus: Bahndamm gemeint ist: zusammengestoßen

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Endfassung

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K4/TS5 (Grundschicht)

Lesetext

ZEIT:

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In unseren Tagen. Zwischen dem zweiten und dritten Bild liegen vier Monate. 5

REGIEBEMERKUNG: Pause nach dem fünften Bild. 10



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Erstes Bild.

SB Georg Marton, S. 1

Wir befinden uns vor einem Bahnhofsgebäude und sehen von links nach rechts: eine Türe, die nach dem ersten Stock führt, einen Fahrkartenschalter und abermals eine Türe mit Milchglasscheiben und der Überschrift „Stationsvorstand“. Daneben einige Signalhebel, Läutwerk und dergleichen. An der Wand kleben Fahrpläne und Reisereklame. Zwei Bänke. Rechts verläuft aus dem Hintergrunde nach vorne die Bahnsteigschranke, aber die Schienen sieht man nicht -- man hört also nur die Ankunft, Abfahrt und Durchfahrt der Züge. Hier hält kein Express, ja nicht einmal der Eilzug, denn der Ort, zu dem dieser Bahnhof gehört, ist nur ein etwas grösseres Dorf. Es ist eine kleine Station, aber an einer grossen Linie. Auf den Bänken warten zwei Reisende: Die Bäckermeistersgattin Frau Leimgruber und ein Waldarbeiter mit einem leeren Rucksack und einer Baumsäge. Das Läutwerk läutet, dann wirds wieder still. Jetzt kommt ein dritter Reisender von links mit Hand- und Aktentasche, ein Vertreter aus der Stadt. Er hält und blickt auf die Bahnhofsuhr: Es ist neun Uhr abends, eine warme Frühlingsnacht. V ERTRETER (tritt an den Fahrkartenschalter und klopft, aber es rührt sich nichts; er klopft abermals, und zwar energisch) W ALDARBEITER Da könnens lang klopfen, der macht erst knapp vor Abfahrt auf. V ERTRETER (blickt wieder auf die Uhr) Hat denn der Zug Verspätung? F RAU L EIMGRUBER (lacht hellauf; zum Waldarbeiter) Was sagens zu dieser Frage? W ALDARBEITER (grinst) Der Herr kommt vom Mond -- (zum Vertreter) Natürlich haben wir Verspätung, dreiviertel Stund! V ERTRETER Dreiviertel Stund? Elende Schlamperei -- (er zündet sich wütend eine Zigarre an) F RAU L EIMGRUBER Es ist eben alles desorganisiert -W ALDARBEITER (fällt ihr belehrend ins Wort) Es kommt eben alles daher, weil immer nur abgebaut und abgebaut wird -- die werden noch so lang rationalisieren, bis überhaupt nix mehr fahren wird! 얍 V ERTRETER (bläst den Rauch von sich) „Rationalisierung“ -- ein übles Kapitel. B

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ZEIT:N ] Verspätung?N ] BFrage?N ] BStund!N ] BStund?N ] B B

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korrigiert aus: Zeit: korrigiert aus: Verspätung ? korrigiert aus: Frage ? korrigiert aus: Stund ! korrigiert aus: Stund ?

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SB Georg Marton, S. 2

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

Lesetext

W ALDARBEITER Die schicken ja jeden zum Teufel, das beste Menschenmaterial! F RAU L EIMGRUBER (wird plötzlich geschwätzig; zum Vertreter) Zum Beispiel hier auf unserem Bahnhof: was meinens, wieviel Personal wir da haben? Einen, einen einzigen Mann haben wir da! V ERTRETER (perplex) Wieso dies? Nur einen einzigen Beamten? F RAU L EIMGRUBER Zum Glück ist unser Herr Vorstand ein wirklich tüchtiger Mann, ein gebildeter, höflicher, emsiger Charakter, ein selten strammer Mensch! Der scheut keine Arbeit, er tragt die Koffer, vernagelt die Kisten, stellt die Weichen, steht am Schalter, telegraphiert und telephoniert -- alles in einer Person! Und miserabel bezahlt ist er auch. W ALDARBEITER Wer? F RAU L EIMGRUBER Na der Vorstand! W ALDARBEITER Miserabel nennen Sie das? Ich nenn das eine königliche Gage -denkens doch nur an seine freie Dienstwohnung da droben! (er deutet auf den ersten Stock) Der hat ja sogar einen Salon und wenn er aufsteht hört er die Vöglein zwitschern und sieht weit ins Land -- (er grinst) (Jetzt läutet das Läutwerk und der Stationsvorstand Thomas Hudetz tritt rasch aus seiner Türe; er bedient den Signalhebel und schon rast ein Schnellzug vorbei; er salutiert dem Zug und wieder ab) F RAU L EIMGRUBER Das war der Express. Der hält nicht bei uns. V ERTRETER Kann ich ihm nachfühlen. Wieviel Einwohner hat denn das Nest? W ALDARBEITER Zweitausenddreihundertvierundsechzig. (Stille) F RAU L EIMGRUBER (betrachtet den Vertreter; plötzlich) Hats Ihnen bei uns nicht gefallen? 얍 V ERTRETER Ich bin ein reisender Kaufmann, liebe Frau, und das Schicksal hat mich weit in der Welt herumgetrieben, aber eine solche fulminante Interesselosigkeit, wie hier bei Euch, das hab ich noch nirgends erlebt! Ihr seid mir schöne Ausnahmen! F RAU L EIMGRUBER Was habens denn zu verkaufen? V ERTRETER Kosmetische Artikel. W ALDARBEITER Ha? V ERTRETER Schönheitsmittel. B

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Menschenmaterial!N ] da!N ] Bdies?N ] BMensch!N ] BPerson!N ] BWer?N ] BVorstand!N ] Bdas?N ] Bdroben!N ] BNest?N ] BZweitausenddreihundertvierundsechzig.N ] BHatsN ] Bgefallen?N ] Berlebt!N ] BAusnahmen!N ] Bverkaufen?N ] BHa?N ] B B

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korrigiert aus: Menschenmaterial ! korrigiert aus: da ! korrigiert aus: dies ? korrigiert aus: Mensch ! korrigiert aus: Person ! korrigiert aus: Wer ? korrigiert aus: Vorstand ! korrigiert aus: das ? korrigiert aus: droben ! korrigiert aus: Nest ? korrigiert aus: Zweitausenddreihundertvierundsechzig, korrigiert aus: hats korrigiert aus: gefallen ? korrigiert aus: erlebt ! korrigiert aus: Ausnahmen ! korrigiert aus: verkaufen ? korrigiert aus: Ha ?

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SB Georg Marton, S. 3

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

W ALDARBEITER Schönheit? (er grinst) Wir sind uns schön genug -V ERTRETER Die Hauptsach ist, dass man sich selber gefällt -- (er wendet sich wieder an Frau Leimgruber) Eine einzige Kundschaft hat sich meiner erbarmt -- (er lächelt geschmerzt) F RAU L EIMGRUBER (sehr neugierig) Wer? V ERTRETER Das Fräulein Kellnerin beim wilden Mann. W ALDARBEITER (überrascht) Die Leni? Also das gibts nicht! V ERTRETER (perplex) Warum soll es das nicht geben? W ALDARBEITER Weil die nicht so blöd ist, dass sie sich so einen Schönheitsschmarrn einreden lasst. V ERTRETER (braust auf) Erlauben Sie mal! Im zwanzigsten Jahrhundert -F RAU L EIMGRUBER (unterbricht ihn; zum Waldarbeiter) Aber der Herr wirds doch wissen, wem er was verkauft hat! V ERTRETER (empört) So eine kleine, schlanke wars -- noch ein halbes Kind! F RAU L EIMGRUBER (zum Waldarbeiter) Ach, der meint die Anna! W ALDARBEITER Drum. F RAU L EIMGRUBER (zum Vertreter; geschwätzig) Das ist nicht die Kellnerin, das ist die Tochter vom Wirt, die 얍 Anna! Sie ist mit einem Fleischhauer verlobt, aber der ist von auswärts und kommt nur einmal in der Woch. V ERTRETER Von mir aus! W ALDARBEITER Ich sag nur, die hats faustdick hinter den Ohren. F RAU L EIMGRUBER (überrascht) Wer? W ALDARBEITER Na die Anna. (höhnisch) Dem Herrn sein halbes Kind! F RAU L EIMGRUBER Aber wie könnens denn sowas sagen! Die Anna ist doch die personifizierte Unschuld in persona! W ALDARBEITER Unschuldig ist sie vielleicht schon, aber trotzdem hat sies hinter den Ohren. F RAU L EIMGRUBER (zum Vertreter) So wird man unschuldig verleumdet. V ERTRETER (halb zu sich) Der Einbruch der Plebejer. Der Untergang des Abendlandes -(Jetzt tritt aus der Türe links die Gattin des Stationsvorstandes, Frau Hudetz, mit ihrem Bruder Alfons, dem Drogisten) B

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Schönheit?N ] genug --N ] BWer?N ] BLeni?N ] Bnicht!N ] Bgeben?N ] Bmal!N ] Bhat!N ] Bwars -- nochN ] BKind!N ] BAnna!N ] BAnna!N ] BWoch.N ] Baus!N ] BWer?N ] BKind!N ] Bsagen!N ] Bpersona!N ] B B

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korrigiert aus: Schönheit ? korrigiert aus: genug-korrigiert aus: Wer ? korrigiert aus: Leni ? korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: geben ? korrigiert aus: mal ! korrigiert aus: hat ! korrigiert aus: wars ---noch korrigiert aus: Kind ! korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: Woch, korrigiert aus: aus ! korrigiert aus: Wer ? korrigiert aus: Kind ! korrigiert aus: sagen ! korrigiert aus: persona !

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SB Georg Marton, S. 4

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

F RAU L EIMGRUBER (grüsst) Guten Abend, Frau Vorstand! F RAU H UDETZ Guten Abend, Frau Leimgruber -- (sie unterhält sich leise mit Alfons) F RAU L EIMGRUBER (versucht zu horchen, kann aber nichts verstehen, wendet sich dann an den Vertreter, der neben ihr Platz genommen hat, und deutet versteckt auf Frau Hudetz; unterdrückt) Das ist die Gattin des Vorstands. V ERTRETER (desinteressiert) Interessant. F RAU L EIMGRUBER Und der Mann ist ihr Bruder -V ERTRETER (sieht garnicht hin) Aha. F RAU L EIMGRUBER (gehässig) Brüderlein und Schwesterlein, die passen prima zusammen -얍 (Nun läutet das Läutwerk wieder und Hudetz tritt rasch aus seiner Türe; wieder bedient er den Signalhebel und schon rast ein Zug vorbei; er salutiert und will ab, erblickt jedoch überrascht seine Frau und Alfons; die beiden Männer fixieren sich etwas, dann grüsst A LFONS , H UDETZ dankt und ab durch seine Türe) F RAU H UDETZ (leise zu A LFONS ) Er spricht seit Tagen kein Wort mehr zu mir. A LFONS Nur Mut Schwester. F RAU H UDETZ Wirst sehen, ich werd noch verrückt. A LFONS Du bist nur überreizt durch Eueren ewigen Streit. F RAU H UDETZ Aber die Stimme, die ich höre -A LFONS (fällt ihr ins Wort) Wir hatten in unserer Familie keinen einzigen Fall von Geisteskrankheit. Deine Erregungszustände sind nur nervöser Natur und sonst nichts, das wird dir jeder Arzt bestätigen. Euere Ehe ist leider ein gordischer Knoten und es gibt nur eine Lösung -F RAU H UDETZ (unterbricht ihn) Hör auf damit! Daran darf ich garnicht denken, dass er mit einer anderen Frau -- ich habs ihm ja gesagt, noch bevor wir heirateten: überlege dir gut, hab ich gesagt, ich bin um dreizehn Jahre älter, wie du, und er hat gesagt, er hätt sich nichts zu überlegen -A LFONS (fällt ihr ins Wort) Und das war gelogen. F RAU H UDETZ Damals noch nicht. (Stille) A LFONS Zwischen Euch zwei hats doch nie gestimmt -F RAU H UDETZ Aber ich lass mich nicht scheiden, hörst du, ich tät über Nacht ganz weiss werden, ganz weiss -A LFONS Nicht so laut! (Er wirft einen misstrauischen Blick auf Frau Leimgruber und redet dann leise auf Frau Hudetz ein) F RAU L EIMGRUBER (leise zum Vertreter, der sich in seine Notizbücher vertieft hat, rechnet und kaum hinhört) 얍 Das ist Dir eine Kanallie , diese verhasste Person -wie die den armen Vorstand quält, diesen kreuzbraven, beliebten Menschen -- na das ist eine Affenschand! V ERTRETER Soso. B

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Vorstand!N ] Bruder --N ] Bhatten inN ] Bdamit!N ] Bgesagt, ichN ] Blaut!N ] BKanallieN ] BAffenschand!N ] B B

SB Georg Marton, S. 5

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korrigiert aus: Vorstand ! korrigiert aus: Bruder korrigiert aus: hattennin korrigiert aus: damit ! korrigiert aus: gesagt,ich korrigiert aus: laut ! gemeint ist: Canaille korrigiert aus: Affenschand !

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SB Georg Marton, S. 6

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

F RAU L EIMGRUBER Immer sekkiert sie den Mann mit ihrer blinden Eifersucht und derweil hat sie doch gar keinen Grund -- er traut sich schon kaum mehr ins Wirtshaus, weil sie ihm nachschleicht, und wenn ihn die Kellnerin anschaut, hat er die Höll zuhaus -V ERTRETER Soso. F RAU L EIMGRUBER Im Fasching hat sie da droben mal so geplärrt und geschrieen, dass mans bis in den Ort hinein gehört hat, die hysterische Nocken -- derweil hat er sie garnicht angerührt und sie hat immer gebrüllt: „Er bringt mich um, er bringt mich um! “ Meiner Seel, der gehört der Hintern verhaut, dass es nur so staubt! V ERTRETER (horcht plötzlich auf) Was für ein Hintern? F RAU L EIMGRUBER (gekränkt) Geh Sie hören mir ja gar nicht zu und ich erzähl Ihnen da Intimitäten! V ERTRETER Pardon! (Stille) A LFONS (leise zu Frau Hudetz) Wie wärs denn, wenn Du mal fortfahren würdest -ich seh dort ein Plakat; man kann jetzt relativ billig ans Meer. F RAU H UDETZ (verbittert) Mit was denn? A LFONS Ich könnt Dir was leihen, ich hab mir etwas erspart. F RAU H UDETZ (lächelt) Nein, Du bist doch der Beste und das Liebste. Wenn die Leut nur mal wüssten, wie gut Du bist -A LFONS Ich bin kein Heiliger. Aber die lieben Leut, das ist ein Fall für sich -얍 F RAU H UDETZ Ich kann sie nicht ausstehen. A LFONS Das finde ich nur begreiflich. F RAU H UDETZ Von mir aus könnten alle draufgehen -A LFONS (lächelt) Das ging wieder zu weit. F RAU H UDETZ (lächelt lieb) Alle, alle, -- lebwohl, lieber Bruder! A LFONS Überlegs dir: Du kannst ans Meer, wenn Du nur willst -F RAU H UDETZ (plötzlich ernst und hart) Nein, ich bleibe. Pa, Alfons! (ab durch die Türe links) V ERTRETER (erblickt erst jetzt Alfons und starrt ihn an) A LFONS (sieht Frau Hudetz nach und murmelt dann vor sich hin) Leb wohl -- (ab nach links, in Gedanken versunken) V ERTRETER (schaut ihm nach und wendet sich dann wieder an Frau Leimgruber) War das jetzt nicht der Drogeriebesitzer? F RAU L EIMGRUBER Derselbe. V ERTRETER Ein unangenehmer Mensch. Wie der mich heut behandelt hat -F RAU L EIMGRUBER Wie? V ERTRETER (zuckt die Schultern) Das lässt sich nicht so definieren. B

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Grund --N ] um!N ] Bstaubt!N ] BHintern?N ] BIntimitäten!N ] BPardon!N ] Bdenn?N ] BBruder!N ] BAlfons!N ] Bversunken)N ] BDrogeriebesitzer?N ] BWie?N ] B B

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korrigiert aus: Grund korrigiert aus: um ! korrigiert aus: staubt ! korrigiert aus: Hintern ? korrigiert aus: Intimitäten ! korrigiert aus: Pardon ! korrigiert aus: denn ? korrigiert aus: Bruder ! korrigiert aus: Alfons ! korrigiert aus: versunken ) korrigiert aus: Drogeriebesitzer ? korrigiert aus: Wie ?

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SB Georg Marton, S. 7

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

(Stille) F RAU L EIMGRUBER Ja, der ist auch sehr verhasst, dieser Drogist -V ERTRETER Mit Recht! F RAU L EIMGRUBER Der und seine Schwester, denen geht man aus dem Weg. Immer schneidens so stolze, gekränkte Gesichter, dass man sich direkt schuldig vorkommt, als hätt man ihnen was getan -- aber man ist doch nicht verantwortlich dafür, dass er sein vieles Geld in der Inflation verloren hat und dass sie 얍 den Herrn Vorstand in eine unselige Ehe gepresst hat -- dreizehn Jahr ist sie älter, wie er -V ERTRETER (fällt ihr ins Wort) Dreizehn Jahr? F RAU L EIMGRUBER Verführt hat sie diesen strammen, gebildeten Menschen, noch als ganz jungen Burschen! Ein Schandweib! V ERTRETER Jaja, die Herren Weiber, die bringen dich auf die Welt und dich auch wieder um. (Nun kommt Ferdinand, ein Fleischhauer von auswärts, mit seiner Braut, der Wirtstochter Anna, rasch von links; beide sind etwas atemlos, denn sie sind fast gelaufen) F ERDINAND (hastig zum Waldarbeiter, der seit einiger Zeit bereits apathisch ein grosses Stück Brot verzehrt und an nichts denkt) Ist der Zug schon fort?! W ALDARBEITER Ah! A NNA (zu Ferdinand) Siehst Du, ich habe Dir gleich gesagt, der hat doch immer Verspätung! F ERDINAND Aber auf eine Verspätung soll man sich nicht verlassen. A NNA (hält die Hand auf ihr Herz) Gott, bin ich jetzt gelaufen! F ERDINAND (besorgt) Tuts Dir weh, Dein Herzerl? A NNA Nein, es klopft nur so rasch -F ERDINAND (hält seine Hand auf ihr Herz und lauscht) A NNA Hörst es? F ERDINAND Ja. F RAU L EIMGRUBER (leise zum Vertreter) Dort steht die Anna. V ERTRETER Was für eine Anna? F RAU L EIMGRUBER Na Ihr bewusstes halbes Kind -얍 V ERTRETER (erkennt Anna) Ach, die Wirtstochter! Meine einzige Kundschaft -(er grüsst Anna und murmelt dabei) Mein schönes Fräulein, darf ichs wagen -A NNA (dankt schüchtern) F ERDINAND (zu Anna; misstrauisch) Wer ist denn das? A NNA Sag ich nicht. B

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SB Georg Marton, S. 8

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Recht!N ] Jahr?N ] BSchandweib!N ] BdichN ] Bfort?!N ] BAh!N ] BVerspätung!N ] Bgelaufen!N ] BHerzerl?N ] Bes?N ] BAnna?N ] BWirtstochter!N ] BFräulein,N ] BAnna;N ] Bdas?N ] B B

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korrigiert aus: Recht ! korrigiert aus: Jahr ? korrigiert aus: Schandweib !

[{}] |d|ich korrigiert aus: fort ? ! korrigiert aus: Ah ! korrigiert aus: Verspätung ! korrigiert aus: gelaufen ! korrigiert aus: Herzerl ? korrigiert aus: es ? korrigiert aus: Anna ? korrigiert aus: Wirtstochter ! korrigiert aus: Fräulein , korrigiert aus: Anna korrigiert aus: das ?

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SB Georg Marton, S. 9

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

F ERDINAND Warum nicht? A NNA Weil Du dann wieder schimpfen wirst. F ERDINAND Ich schimpfe nie. A NNA Oho! F ERDINAND (fixiert den Vertreter) V ERTRETER (wird es ungemütlich; leise zu Frau Leimgruber) Wer ist denn der Kerl, dass er so glotzt? F RAU L EIMGRUBER Das ist der Anna ihr auswärtiger Bräutigam. Ein gewisser Ferdinand Bichler, ein Fleischhauer. V ERTRETER (fühlt sich immer ungemütlicher) Ach, ein Herr Fleischhauer -F RAU L EIMGRUBER Ein Mordstrumm Mannsbild, aber ein sanfter Charakter. (nun öffnet Hudetz den Fahrkartenschalter) V ERTRETER (atmet auf) Endlich! (er tritt an den Schalter und löst sich seine Karte) F ERDINAND (zu A NNA ) Wer ist das? Sags mir auf der Stell oder ich brich ihm das Genick. A NNA (lächelt) Also gut: Das ist der Reisende, dem ich heut Vormittag die Creme abgekauft hab. F ERDINAND (beruhigt) Also. Aber Du brauchst doch keine Creme und kein Puder und kein nichts -A NNA (unterbricht ihn) Fangst schon wieder an? (Stille) 얍 F ERDINAND (etwas kleinlaut) Annerl. Ich mein ja nur, so zart wie Dein rosiges Gesichterl , kann nichts Künstliches auf der Welt sein -A NNA Erinnerst Dich an den letzten Film? Gott, hat mir die Frau gefallen! F ERDINAND Mir garnicht. A NNA Sag das nur nicht laut! Sonst blamierst Dich noch tödlich! (Stille) F ERDINAND (traurig) Ach, Anna! (er legt seine Hand um ihre Schultern und blickt empor) Weisst wenn ich unsere Sterndeln seh, dann möcht ich immer bei Dir sein. A NNA (blickt auch empor) Du siehst mich doch bald. F ERDINAND (nickt traurig) In einer Woch. Und morgen beginnt wieder der Alltag, ich muss schon um viere aus den Federn -A NNA Hast was zum schlachten? F ERDINAND Nur zwei Kälber -B

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nicht?N ] Oho!N ] Bglotzt?N ] BMordstrummN ] BEndlich!N ] Bdas?N ] Ban?N ] BGesichterlN ] BFilm?N ] Bgefallen!N ] Blaut!N ] Btödlich!N ] BAnna!N ] Bschlachten?N ] B B

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korrigiert aus: nicht ? korrigiert aus: Oho ! korrigiert aus: glotzt ? korrigiert aus: Mordstrum korrigiert aus: Endlich ! korrigiert aus: das ? korrigiert aus: an ? korrigiert aus: Gesichters korrigiert aus: Film ? korrigiert aus: gefallen ! korrigiert aus: laut ! korrigiert aus: tödlich ! korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: schlachten ?

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SB Georg Marton, S. 10

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

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(Das Läutwerk läutet; Hudetz tritt rasch aus seiner Türe und öffnet die Bahnsteigschranke; der Waldarbeiter, Frau Leimgruber und der Vertreter begeben sich auf den Bahnsteig; Hudetz durchlöchert die Karten) V ERTRETER (zu Hudetz) Ist das bei Euch die Regel? Dreiviertel Stund Verspätung! H UDETZ (zuckt die Schultern und lächelt) V ERTRETER Desorganisation -F RAU L EIMGRUBER (zum Vertreter) Aber der Herr Vorstand ist doch unschuldig! H UDETZ (lächelt Frau Leimgruber an und hebt höflich die Hand an die Kappe) (Der Personenzug fährt ein und hält) F ERDINAND (zu A NNA ) Vergiss mich nicht! (er umarmt sie und ab auf den Bahnsteig) 얍 A NNA (tritt langsam an die Schranke) H UDETZ (gibt das Abfahrtssignal) (Der Zug fährt ab, das Läutwerk läutet) A NNA (winkt langsam dem Zug nach) H UDETZ (schliesst die Bahnsteigschranke) A NNA (betrachtet ihn; plötzlich) Ist niemand gekommen? H UDETZ Nein. (er bedient ein Signal und will wieder ab durch seine Türe) A NNA Herr Vorstand. Warum beehren Sie uns eigentlich nicht mehr? Mein Vater meint schon, Sie hätten anderswo einen Stammtisch -H UDETZ Ich komm zu nichts mehr, Fräulein Anna. Ich hab halt immer Dienst. A NNA Dann ists ja gut. Ich dachte schon, Sie kämen nicht mehr zu uns wegen mir. H UDETZ (ehrlich überrascht) Warum wegen Ihnen? A NNA Ich dacht, wegen Ihrer Frau -H UDETZ Was hat meine Frau mit Ihnen zu tun? A NNA Sie mag mich nicht. H UDETZ Geh bildens Ihnen doch nichts ein! (er stockt plötzlich und starrt auf den ersten Stock hinauf) (Stille) A NNA (ironisch) Was ist denn dort droben? H UDETZ Nichts. A NNA Habens Angst, dass Sie Ihre Frau mit einem jungen Mädel sieht? Dürfens mit mir nicht sprechen? H UDETZ Sie müssens ja wissen. A NNA Wenn Sie jetzt mit mir sprechen, kriegens morgen wieder einen Krach, was? B

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1–2 4 4 7 8 10 17 19 24 26 28 31 34 36

Bahnsteigschranke;N ] Regel?N ] BVerspätung!N ] Bunschuldig!N ] BKappe)N ] Bnicht!N ] Bgekommen?N ] Bmehr?N ] BIhnen?N ] Btun?N ] Bein!N ] Bdroben?N ] Bsprechen?N ] Bwas?N ] B B

korrigiert aus: Bahnsteigschranke ; korrigiert aus: Regel ? korrigiert aus: Verspätung ! korrigiert aus: unschuldig ! korrigiert aus: Kappe ) korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: gekommen ? korrigiert aus: mehr ? korrigiert aus: Ihnen ? korrigiert aus: tun ? korrigiert aus: ein ! korrigiert aus: droben ? korrigiert aus: sprechen ? korrigiert aus: was ?

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SB Georg Marton, S. 11

Endfassung

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K4/TS5 (Grundschicht)

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얍 H UDETZ Wer sagt Bdas?N A NNA Alle Leut. (Stille) H UDETZ (fixiert sie) Ihr sollt endlich mal meine Frau in Ruh lassen, Bverstanden?N Ihr alle und Sie, Fräulein Anna, erst recht, Sie sind überhaupt noch viel zu jung dazu, um da mitreden zu können -A NNA (spöttisch) Meinen BSie?N H UDETZ Sie werden erst noch manches lernen müssen, bis Sie anfangen werden, zu begreifen -A NNA (wie zuvor) Geh unterrichtens mich ein bisserl, Herr Lehrer -H UDETZ Sie werden schon von allein lernen, dass man niemand kränken darf, um nicht bestraft zu werden. A NNA Jetzt redens gar, wie der Herr Pfarrer -- (sie lacht) H UDETZ Lachens nur, wir sprechen uns noch -- (er will ab) A NNA Alle Leut lachen über Sie, Herr Vorstand, Sie fragen sich, was treibt er denn eigentlich, dieser fesche Mensch -- immer steckt er in seinem Bahnhof, Tag und Nacht -H UDETZ (grimmig) Die Leut scheinen sich ja recht viel mit mir zu beschäftigen. A NNA Ja. Sie sagen, der Vorstand ist überhaupt kein Mann. (Stille) H UDETZ Wer sagt Bdas?N A NNA Die ganze Welt. Nur ich nehm Sie manchmal in Schutz -- (sie lächelt boshaft, küsst ihn plötzlich und deutet nach dem ersten Stock) Jetzt hat sies gesehen, dass ich Sie geküsst Bhab, wasN? (sie lacht) Jetzt gibts aber dann Bwas?N Jetzt setzt es was ab, wie? -- (sie macht die Geste des Verprügelns) 얍 H UDETZ (starrt sie an) Wenn Sie jetzt nicht augenblicklich verschwinden, dann könnens was erleben -A NNA Wollens mich Bumbringen?N H UDETZ Lassens diese blöden BIdeen!N Weg von Bda!N (er ergreift ihren Arm) A NNA BAu!N Lassens mich, Sie BGrobian!N (sie reisst sich los und reibt ihren Arm) Verstehens denn keinen BWitz?!N H UDETZ (grob) BNein!N (Jetzt fährt ein Eilzug Bvorbei)N H UDETZ Himmel tu Dich Bauf!N (Er reisst einen Signalhebel herum, das Läutwerk läutet, er fasst sich ans Herz) 1 4 7 21 24 24 28 29 29 30 30 31 32 33 34

das?N ] verstanden?N ] BSie?N ] Bdas?N ] Bhab, wasN ] Bwas?N ] Bumbringen?N ] BIdeen!N ] Bda!N ] BAu!N ] BGrobian!N ] BWitz?!N ] BNein!N ] Bvorbei)N ] Bauf!N ] B B

korrigiert aus: das ? korrigiert aus: verstanden ? korrigiert aus: Sie ? korrigiert aus: das ? korrigiert aus: hab,was korrigiert aus: was ? korrigiert aus: umbringen ? korrigiert aus: Ideen ! korrigiert aus: da ! korrigiert aus: Au ! korrigiert aus: Grobian ! korrigiert aus: Witz ? ! korrigiert aus: Nein ! korrigiert aus: vorbei ) korrigiert aus: auf !

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SB Georg Marton, S. 12

SB Georg Marton, S. 13

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

A NNA (bange) Was ist denn passiert? H UDETZ (starrt vor sich hin; tonlos) Eilzug vierhundertfünf und ich vergess das Signal -- (er fährt sie an) Da habens Ihren Witz! Ich war immer ein pflichtgetreuer Beamter! A NNA Es wird schon nicht gleich was passieren -H UDETZ Halt den Mund! (ab durch die Türe) B

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Zweites Bild.

SB Georg Marton, S. 14

Der Eilzug vierhundertfünf, dem kein Signal gegeben wurde, ist unweit des kleinen Bahnhofes mit einem Güterzug zusammengestossen . Wir befinden uns an der Unglückstätte. Wirre Trümmer auf dem Bahndamm im Hintergrunde. Die Verletzten und die Toten wurden bereits abtransportiert. Pioniere sind mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Rechts im Vordergrunde steht ein kleiner schwarzer Tisch mit einer Lampe. Der Staatsanwalt mit Gefolge ist bereits längst zugegen, zur Zeit besichtigt er das Signal auf dem Bahndamm. Es leuchtet rot. Von der ganzen Umgebung sind Schaulustige eingetroffen, unter ihnen der Wirt vom wilden Mann, seine Tochter Anna und seine Kellnerin Leni. Im Vordergrund links hält ein Gendarm mit aufgepflanztem Bajonett die Neugierigen in Schach. Der Morgen graut, er wird ein fahler Tag. Alles fröstelt. B

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G ENDARM Zurück, Leut, zurück! Könnts Euch denn garnicht satt sehen an einer Katastrophe? W IRT Sowas sieht man nicht alle Tag -L ENI (zum Gendarm) Ist er eigentlich entgleist? G ENDARM Nein, er ist zusammengestossen . Der Eilzug mit einem Güterzug -- vor fünfeinhalb Stunden. L ENI Schrecklich! Als wär die Erde explodiert -- (sie schmiegt sich unerklärlich an den Wirt) Ich werd noch davon träumen -W IRT (drückt Leni unwillkürlich an sich) Also das ist Gottes Hand. Auf und nieder. (Nun taucht der Heizer des Unglückszuges auf; er trägt einen Verband um den Kopf) B

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passiert?N ] Witz!N ] BBeamter!N ] BMund!N ] BzusammengestossenN ] BdemN ] BSchach.N ] Bzurück!N ] Ban einerN ] BKatastrophe?N ] Bentgleist?N ] BzusammengestossenN ] BSchrecklich!N ] Bwär dieN ] BKopf)N ] B B

korrigiert aus: passiert ? korrigiert aus: Witz ! korrigiert aus: Beamter ! korrigiert aus: Mund ! gemeint ist: zusammengestoßen korrigiert aus: dem. korrigiert aus: Schach . korrigiert aus: zurück ! korrigiert aus: an einer korrigiert aus: Katastrophe ? korrigiert aus: entgleist ? gemeint ist: zusammengestoßen korrigiert aus: Schrecklich ! korrigiert aus: wär die korrigiert aus: Kopf.

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Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

L ENI (zum Wirt) Schauens, ein Verletzter! H EIZER (nickt Leni leutselig zu) Jaja, um ein Haar wäre ganz Habedieehre gewesen! Ich denk mir nichts, auf einmal gibts einen infernalischen Ruck und Krach, ich flieg in die Luft, wie ein Aeroplan, und dann wirds mir schwarz vor den Augen -und wie ich aufwach, lieg ich auf einer Wiese im Heu und hab mir nichts gebrochen. Bloss der Schädel brummt mir, wie ein Rad -얍 W IRT Da habens aber schon einen ganz besonderen Schutzengel gehabt. H EIZER Möglich ist alles. Wissens, ich steh auf der Lokomotiv -L ENI (unterbricht ihn) Sind der Herr der Lokomotivführer? H EIZER Nein, ich bin nicht der Pokorny, der arme. Ich heisse Kohut. G ENDARM (zu Leni) Er war nur der Heizer. W IRT Aha! H EIZER Ein Heizer ist auch sehr wichtig, meine Herrschaften! Ein Heizer ist oft wichtiger, wie ein Lokomotivführer! L ENI (zum Heizer) Ist es wahr, dass es über hundert Tote gegeben hat? H EIZER Ich weiss nur von siebzehn. G ENDARM (zum Heizer) Achtzehn, hab ich gehört. W IRT Das genügt auch. H EIZER Es soll ein Signal überfahren worden sein oder vielmehr: besagtes Signal soll garnicht gegeben worden sein oder vielmehr: es soll erst hinterher gegeben worden sein -- mit anderen Worten: zu spät! Der Staatsanwalt ist schon seit drei Stunden da, er schaut sichs grad an, das Signal. Zum hundertstenmal . W IRT Und wer ist schuld? G ENDARM Das wird sich schon noch herauskristallisieren. H EIZER Ich sag: der Stationsvorstand. W IRT Unser Hudetz?! H EIZER Ich weiss nicht, wie er sich schreibt. Ich weiss nur, der selige Pokorny war ein äusserst pflichtgetreuer Lokomotivführer -- Augen hat der gehabt, wie ein Luchs! 얍 W IRT Also das müsst schon mit dem Teufel zugegangen sein, wenn unser Hudetz was verbrochen hätt! Ich sag: ausgeschlossen! H EIZER Die Sonne bringt es an den Tag. Wenn Euer Hudetz das Signal nicht rechtzeitig gestellt hat -- unter drei Jahren kommt er nicht davon. G ENDARM Und die Stellung verliert er auch. H EIZER Ohne Pensionsanspruch. G ENDARM Das ist nur natürlich. H EIZER Einen Zeugen müsst er halt haben, einen Zeugen, der es beschwört, dass er das Signal rechtzeitig gestellt hat -B

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HabedieehreN ] infernalischenN ] Balles.N ] BLokomotivführer?N ] BAha!N ] BLokomotivführer!N ] Bhat?N ] Bspät!N ] BZum hundertstenmalN ] BLokomotivführer -- AugenN ] Bausgeschlossen!N ] Bhat --N ] B

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SB Georg Marton, S. 15

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korrigiert aus: H abedieehre infer[m]|n|alischen korrigiert aus: alles, korrigiert aus: Lokomotivführer ? korrigiert aus: Aha ! korrigiert aus: Lokomotivführer ! korrigiert aus: hat ? korrigiert aus: spät ! korrigiert aus: Zum hundertstenmal korrigiert aus: Lokomotivführer --Augen korrigiert aus: ausgeschlossen ! korrigiert aus: hat--

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SB Georg Marton, S. 16

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

G ENDARM Dann wär er gerettet. Aber er war halt allein, mutterseelenallein. H EIZER Dann ist das eine persönliche Tragik. A NNA (leise zum Wirt) Vater, ich muss Dir was sagen -W IRT Was gibts? A NNA Etwas wichtiges. Der Vorstand war nämlich nicht allein, wie das passiert ist -W IRT Was?! Was phantasierst denn da herum? A NNA Der Herr Vorstand hätt schon einen Zeugen -W IRT Wen? So red doch schon! A NNA Ich. Ich war am Bahnhof, wie das passiert ist -W IRT Du?! Am Bahnhof?! A NNA Nicht so laut! Ich hab doch den Ferdinand zur Bahn gebracht und dann hab ich mit dem Herrn Vorstand ein paar Wörterl geredet, nur paar Wörterl -W IRT Na und -- und? A NNA (sehr leise) Und -- (sie spricht unhörbar mit ihm) 얍 L ENI (zum Heizer) Befinden sich jetzt noch Tote unter den Trümmern? H EIZER Wo denkens denn hin, Fräulein? L ENI Und auch keine Verletzten mehr? H EIZER Aber - aber! Wenns da noch Verletzte gäb, die täten schön schreien, da tätens Ihnen beide Ohren zuhalten, Fräulein! G ENDARM Das glaub ich! (er lacht) (jetzt erscheint der Staatsanwalt mit einem Kommissar; übernächtig und fröstelnd; in einiger Entfernung folgt Hudetz, begleitet von einem Polizisten mit aufgepflanztem Bajonett) G ENDARM Der Staatsanwalt! Zurück, Leut, zurück! (er drängt den Wirt, Anna, Leni und alle Schaulustigen nach links ab; nur der Heizer bleibt zurück) S TAATSANWALT (leise zum Kommissar, damit ihn Hudetz nicht hört) Das Signal geht leider in Ordnung, es steht auf Halt. Es lässt sich nur nicht beweisen, ob es bereits vorher oder erst hinterher auf Halt gestellt worden ist. K OMMISSAR Die, die es uns hätten beweisen können, sind leider nicht mehr vernehmbar. S TAATSANWALT Zu dumm! Ein undefinierbares Gefühl sagt mir, dass dieser Hudetz nicht unschuldig ist. Er macht zwar einen gefassten Eindruck -- (er lächelt) B

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gibts?N ] da herum?N ] Bschon!N ] BDu?!N ] BBahnhof?!N ] Blaut!N ] Bund -- und?N ] BTrümmern?N ] BFräulein?N ] Bmehr?N ] BFräulein!N ] Bich!N ] BKommissar;N ] BHudetz,N ] Bbegleitet vonN ] BaufgepflanztemN ] BStaatsanwalt!N ] Bzurück!N ] Bdumm!N ] B B

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korrigiert aus: gibts ? korrigiert aus: daherum ? korrigiert aus: schon ! korrigiert aus: Du ?! korrigiert aus: Bahnhof ?! korrigiert aus: laut ! korrigiert aus: und - und ? korrigiert aus: Trümmern ? korrigiert aus: Fräulein ? korrigiert aus: mehr ? korrigiert aus: Fräulein ! korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: Kommissar. korrigiert aus: Hudetz. korrigiert aus: begleitet von korrigiert aus: aufgepflantem korrigiert aus: Staatsanwalt ! korrigiert aus: zurück ! korrigiert aus: dumm !

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SB Georg Marton, S. 17

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

K OMMISSAR (grinst) Für meinen Geschmack ist er auch ein bißchen zu sehr gefasst. S TAATSANWALT (seufzt) Nun, versuchen wirs zum zehntenmal -- (er setzt sich an den kleinen, schwarzen Tisch und blättert in den Protokollen) K RIMINALER (kommt rasch von rechts und grüsst den Staatsanwalt) Herr Staatsanwalt ich komme drüben vom Bahnhof und hab die Frau Hudetz verhört. Ich werd das undefinierbare Gefühl nicht los, dass uns die Frau etwas zu sagen hätt -얍 S TAATSANWALT „Undefinierbares Gefühl“, das hör ich gern! Man bittet um schärfere Präzision. K RIMINALER Verzeihung, aber ich pflege mich manchmal auf meinen Instinkt zu verlassen und ich friss einen Besen, wenn die Frau Hudetz nicht etwas verschweigt. S TAATSANWALT Woraus schliessen Sie auf diesen Schluss? K RIMINALER Es scheint sie etwas zu belasten, sie macht einen ganz verheulten Eindruck. S TAATSANWALT Bringen Sie die Frau her! K RIMINALER Sofort! (rasch ab nach rechts) S TAATSANWALT (ruft) Herr Kohut! Herr Josef Kohut! H EIZER (tritt vor) Hier! S TAATSANWALT (sehr leise, damit ihn Hudetz nur ja nicht hört) Sie bleiben also dabei, dass Sie das Signal nicht gesehen haben? Reden Sie leise! H EIZER Ich hab überhaupt nichts gesehen, Herr Staatsanwalt, ich bin ja grad mit dem Rücken zur Fahrtrichtung gestanden und hab Kohlen geschaufelt, da kam der Ruck -S TAATSANWALT (unterbricht ihn ungeduldig) Von dem Ruck haben Sie uns schon erzählt! H EIZER Und ausser dem Ruck hab ich nichts zu erzählen, ich kanns nur immer wieder beschwören, dass der selige Pokorny noch nie ein Signal überfahren hat, nicht beim dichtesten Nebel! S TAATSANWALT Stimmt! Seine Qualifikation ist erstklassig. H EIZER Das war überhaupt ein erstklassiger, seelenguter Mensch, Herr Staatsanwalt, aber jetzt hinterlasst er drei unversorgte Kinder -- (er blickt empor) Armer Pokorny! Jetzt stehst vor deinem obersten Richter! S TAATSANWALT Zur Sache. 얍 H EIZER Alsdann, wie jener Ruck sich abgespielt hat, da hat der Pokorny grad von einer Gehaltsaufbesserung gesprochen -B

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bi[s]|ß|chen

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korrigiert aus: Schluss ? korrigiert aus: her ! korrigiert aus: Sofort ! korrigiert aus: Kohut ! korrigiert aus: Kohut ! korrigiert aus: Hier ! korrigiert aus: haben ? korrigiert aus: leise ! korrigiert aus: erzählt ! korrigiert aus: Nebel ! korrigiert aus: Stimmt !

bißchenN ] Schluss?N ] Bher!N ] BSofort!N ] BKohut!N ] BKohut!N ] BHier!N ] Bhaben?N ] Bleise!N ] Berzählt!N ] BNebel!N ] BStimmt!N ] BhinterlasstN ] BRichter!N ] BSache.N ] Beiner GehaltsaufbesserungN ]

hin[-]|ter|lasst korrigiert aus: Richter ! korrigiert aus: Sache . korrigiert aus: einer Gehaltsaufbesserung

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SB Georg Marton, S. 19

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

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S TAATSANWALT (unterbricht ihn) Das gehört nicht hier her. Ich danke, Herr Kohut! H EIZER (verbeugt sich) Bitte - bitte! (ab) S TAATSANWALT (ruft) Herr Thomas Hudetz! H UDETZ (tritt vor) S TAATSANWALT Sie bleiben also dabei, dass Sie das Signal rechtzeitig auf Halt gestellt haben? H UDETZ (gefasst, jedoch innerlich unsicher) Herr Staatsanwalt, ich kann mir garnicht vorstellen, ich war doch immer ein pflichtgetreuer Beamter -S TAATSANWALT (unterbricht ihn) Das habens uns jetzt schon hundertmal erzählt -H UDETZ Es ist auch alles. (Stille) S TAATSANWALT (fixiert ihn; leise, jedoch eindringlich) Ich werd das undefinierbare Gefühl nicht los -H UDETZ (unterbricht ihn) Ich hab nichts zu verheimlichen! (Stille) S TAATSANWALT (droht ihm mit dem Zeigefinger) Herr Hudetz, ein Zusammenstoss ist kein Witz -H UDETZ (zuckt zusammen und horcht auf) S TAATSANWALT (schreit ihn plötzlich an) Bilden Sie sichs nur nicht ein, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommt! Auch wenn Sie das seltene Glück haben, dass der Lokomotivführer und der Zugführer tot sind, so ist doch immer noch einer da, der wie durch ein Wunder am Leben blieb! Der Heizer Josef Kohut! Und dieser Heizer hat uns bereits äusserst instruktive Tatsachen mitgeteilt, Tatsachen, die Ihnen garantiert keine reine Freude bereiten werden! 얍 H UDETZ (unsicher) Ich kann nur sagen, ich hab noch nie ein Signal versäumt -- (er lächelt) (Stille) S TAATSANWALT (höflich väterlich) Gehen Sie in sich, Thomas Hudetz. Denken Sie an die achtzehn armen Toten, an die grosse Schar beklagenswerter Verletzter, die jetzt in den Krankenhäusern leiden. Wollen Sie das alles ungesühnt mit sich herumtragen, ein langes Leben lang? Sie sind doch ein anständiger Mensch, Herr Hudetz. Erleichterns doch gefälligst Ihr Gewissen -(Stille) H UDETZ Ich bin nicht schuld. S TAATSANWALT (ironisch) Sondern? H UDETZ Ich nicht. S TAATSANWALT (wie zuvor) Vielleicht der grosse Unbekannte? B

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Kohut!N ] bitte!N ] BHudetz!N ] Bhaben?N ] B(unterbrichtN ] Bverheimlichen!N ] Bkommt!N ] Bblieb!N ] BKohut!N ] Blang?N ] BSondern?N ] BUnbekannte?N ] B B

korrigiert aus: Kohut ! korrigiert aus: bitte ! korrigiert aus: Hudetz ! korrigiert aus: haben ? korrigiert aus: ( unterbricht korrigiert aus: verheimlichen ! korrigiert aus: kommt ! korrigiert aus: blieb ! korrigiert aus: Kohut ! korrigiert aus: lang ? korrigiert aus: Sondern ? korrigiert aus: Unbekannte ?

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SB Georg Marton, S. 20

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

H UDETZ Vielleicht -(jetzt kommen der Gendarm, der Wirt und Anna von links) K OMMISSAR (zum Gendarmen) Was gibts? S TAATSANWALT (lauscht) G ENDARM Herr Kommissar, da hat sich der Gastwirt vom wilden Mann gemeldet, er behauptet, seine Tochter hätt etwas Wichtiges auszusagen -S TAATSANWALT (fällt ihm ins Wort) Na und? Warum meldet sie das erst jetzt? W IRT Herr Staatsanwalt, meine Tochter ist noch ein halbes Kind und sie hat sich halt nicht gleich getraut, aber sie hat sich zuvor mir anvertraut und ich hab gesagt, das musst Du sofort mitteilen, denn das ist sozusagen lebenswichtig für den braven Herrn Hudetz -S TAATSANWALT Abwarten! W IRT Ich hab ihr gesagt, es dreht sich um einen Menschen, Du hättest ja keine ruhige Minute mehr und ich auch nicht, wenn man unserem 얍 Herrn Vorstand was antun würde. Herr Staatsanwalt, sie hat es genau gesehen, dass er das Signal rechtzeitig auf Halt gestellt hat! S TAATSANWALT Rechtzeitig? (er fixiert Anna) Treten Sie näher, Fräulein! Keine Angst, wir beissen nicht -A NNA (tritt näher) S TAATSANWALT Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, dass Sie alles, was Sie hier aussagen, vor Gericht wiederholen werden müssen, und zwar unter Eid. Sie wissen was das bedeutet? A NNA Ja. H UDETZ (starrt Anna entgeistert an) S TAATSANWALT (lehnt sich zurück) Nun erzählen Sie uns, was Sie wissen. A NNA Er hat das Signal rechtzeitig -S TAATSANWALT (unterbricht sie) Der Reihe nach, der Reihe nach, immer schön der Reihe nach! Los! (Stille) A NNA (als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen) Ich habe gestern abend meinen Bräutigam zum letzten Zug gebracht und der hat eine starke Verspätung gehabt, und dann, wie der Zug weg war, dann hab ich dem Zug noch nachgewunken, und dann hab ich mit dem Herrn Vorstand ein paar Worte gesprochen, ich hab ihn gefragt, warum er nicht mehr zu uns kommt, er geht nämlich nirgends mehr hin -S TAATSANWALT Was kümmert Sie das? B

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Vielleicht --N ] gibts?N ] Bund?N ] Bjetzt?N ] Bgetraut, aberN ] BAbwarten!N ] Bhat!N ] BRechtzeitig?N ] BFräulein!N ] Bbedeutet?N ] Ban)N ] Bnach!N ] BLos!N ] Bdas?N ] B B

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korrigiert aus: Vielleicht korrigiert aus: gibts ? korrigiert aus: und ? korrigiert aus: jetzt ? korrigiert aus: getraut,aber korrigiert aus: Abwarten ! korrigiert aus: hat ! korrigiert aus: Rechtzeitig ? korrigiert aus: Fräulein ! korrigiert aus: bedeutet ? korrigiert aus: an ) korrigiert aus: nach ! korrigiert aus: Los ! korrigiert aus: das ?

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(sieN ] Frau?N ] Bist?N ] Bbekannt!N ] BHörN ] BHudetz!N ] Brabiat!N ] BNacht!N ] BFalsch!N ] Bauf!N ] Bwissens!N ] Bgarnichts!N ] Burteilen!N ] Bschuld!N ] BJahr!N ] Bwarum?N ] BRolle!N ] Bmir!N ] BRuhe!N ] BFrau!N ] Bpsychatriert -- --N ] BpsychatriertN ] Bnarrisch!N ] BFräulein!N ] B B

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A NNA Ich bin doch eine Gastwirtstochter und kümmere mich um das Geschäft -(sie lächelt) W IRT (zum Staatsanwalt) Entschuldigen, dass ich eingreif, aber der Vorstand geht nirgends mehr hin, weil ihn seine Frau nicht lasst. S TAATSANWALT (horcht auf) Seine Frau? 얍 W IRT Herr Staatsanwalt, wissen Sie, was ein böses Weib ist? S TAATSANWALT (seufzt) Ja, das ist mir bekannt! H UDETZ Meine Frau ist nicht bös. W IRT Hör auf, Hudetz! (zum Staatsanwalt) Immer nimmt er sie in Schutz, da wird man schon direkt rabiat! (zu Hudetz) Sie sekkiert Dich Tag und Nacht! H UDETZ Falsch! W IRT Hör auf! Alle wissens! H UDETZ Garnichts wisst Ihr, garnichts! Es hat alles seine Gründe und ihr könnt nicht urteilen! Ich benehm mich ja auch nicht richtig zu ihr -W IRT Herr Staatsanwalt, er traut sich schon kaum mehr über die Gasse, immer meint er, er ist an allem schuld! Weil sie es ihm einredet, Tag und Nacht, Jahr für Jahr! Und warum? Nur weil die Beziehungen erkaltet sind, was kein Wunder wär bei dem Altersunterschied -H UDETZ (schreit den Wirt an) Das spielt keine Rolle! W IRT (zu Hudetz) Du schrei doch nicht mit mir! S TAATSANWALT Ruhe! -- Herr Hudetz, es spricht ja sehr für Ihre Wahrheitsliebe, dass Sie für Ihre Gemahlin so tapfer eintreten und die Anklagebehörde nimmt dies auch mit Befriedigung zur Kenntnis, doch dürfte es wohl wenig Sinn haben, wenn man sich selber etwas vormacht -H UDETZ (fällt ihm ins Wort) Ich mach mir garnichts vor. S TAATSANWALT Lassen wir das jetzt mit der Frau! Sie werden ja so wie so psychatriert -- -W IRT Narrisch hat sie ihn schon gemacht, narrisch! S TAATSANWALT Ruhe! (zu Anna) Fahren Sie fort, Fräulein! B

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K4/TS5 (Grundschicht)

korrigiert aus: ( Sie korrigiert aus: Frau ? korrigiert aus: ist ? korrigiert aus: bekannt ! korrigiert aus: H ör korrigiert aus: Hudetz ! korrigiert aus: rabiat ! korrigiert aus: Nacht ! korrigiert aus: Falsch ! korrigiert aus: auf ! korrigiert aus: wissens ! korrigiert aus: garnichts ! korrigiert aus: urteilen ! korrigiert aus: schuld ! korrigiert aus: Jahr ! korrigiert aus: warum ? korrigiert aus: Rolle ! korrigiert aus: mir ! korrigiert aus: Ruhe ! korrigiert aus: Frau ! korrigiert aus: psychatriert - -gemeint ist: psychiatriert korrigiert aus: narrisch ! korrigiert aus: Fräulein !

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SB Georg Marton, S. 22

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

A NNA Ich bin gleich am End. Ich hab es gehört, wie das Läutwerk geläutet hat, dann hat der Herr 얍 Vorstand das Signal gerichtet, und dann erst ist der Eilzug vorbeigefahren -S TAATSANWALT Dann erst? A NNA Ja. (Jetzt erscheint rechts Frau Hudetz mit dem Kriminaler; sie halten und hören zu von niemand beachtet) S TAATSANWALT (eindringlich) Also: zuerst das Läutwerk? A NNA Dann das Signal. S TAATSANWALT Und dann erst der Zug? A NNA Ja. Und dann -- (sie stockt) S TAATSANWALT Na? A NNA Und dann hats in der Ferne ein Donnern gegeben, ein Krachen und Donnern und ein Geschrei -- so ein furchtbares Geschrei, oh, ich höre noch immer -(sie hält sich die Ohren zu) S TAATSANWALT Herr Hudetz. Warum haben Sie uns eigentlich diese Ihre Entlastungszeugin verschwiegen? H UDETZ (weiss keine Antwort) F RAU H UDETZ (betrachtet Hudetz schadenfroh) S TAATSANWALT (zu Hudetz) Na? H UDETZ (zuckt die Schultern) S TAATSANWALT Komisch. A NNA Herr Staatsanwalt er wusst es ja garnicht, dass ich alles gesehen hab -F RAU H UDETZ (scharf) Alles gesehen?! A LLE (zucken zusammen und starren Frau Hudetz an) K RIMINALER (zum Staatsanwalt) Frau Hudetz. S TAATSANWALT Ach! 얍 F RAU H UDETZ (fixiert gehässig Anna) K RIMINALER (leise zum Staatsanwalt) Es ist nichts aus ihr herauszubekommen. Sie behauptet nichts gesehen zu haben. Sie hätt bereits geschlafen -- (er spricht unhörbar weiter) F RAU H UDETZ (zu Anna) Ärgern hast Du mich wollen, ärgern? W IRT (zu Frau Hudetz) Was wollens denn von meiner Tochter? F RAU H UDETZ (zu Hudetz; sie deutet auf Anna) Ist das Deine Entlastungszeugin? Man gratuliert, man gratuliert -- (sie grinst) W IRT Gebens Ruh, Frau Hudetz! B

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erst?N ] Ja.N ] BLäutwerk?N ] BZug?N ] BNa?N ] Bverschwiegen?N ] BNa?N ] Bgesehen?!N ] BAch!N ] B(erN ] Bweiter)N ] Bärgern?N ] BTochter?N ] BEntlastungszeugin?N ] BHudetz!N ] B B

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SB Georg Marton, S. 23

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korrigiert aus: erst ? korrigiert aus: Ja korrigiert aus: Läutwerk ? korrigiert aus: Zug ? korrigiert aus: Na ? korrigiert aus: verschwiegen ? korrigiert aus: Na ? korrigiert aus: gesehen ?! korrigiert aus: Ach ! korrigiert aus: ( er korrigiert aus: weiter ) korrigiert aus: ärgern ? korrigiert aus: Tochter ? korrigiert aus: Entlastungszeugin ? korrigiert aus: Hudetz !

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SB Georg Marton, S. 24

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

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F RAU H UDETZ Ich hab nicht zu Ihnen gesprochen. W IRT Also nur nicht so von oben herab! F RAU H UDETZ Sie haben mir keine Lehren zu geben. Unterrichtens lieber Ihr Fräulein Tochter , dass sie nachts nicht mit fremden Männern streunt! W IRT Was hör ich?! Meine Tochter soll streunen?! Frau Hudetz spielen Sie nicht mit mir -S TAATSANWALT Frau Josefine Hudetz! Treten Sie näher! F RAU H UDETZ (tritt näher) S TAATSANWALT Sie haben uns also nichts zu sagen? F RAU H UDETZ (blickt spöttisch auf Hudetz und Anna; nach einer Pause) Nein. S TAATSANWALT Nichts gehört, nichts gesehen -- Ich danke! Wir benötigen Sie nicht mehr. Gehen Sie -- (er blättert im Protokoll) F RAU H UDETZ (will ab) W IRT (zu Frau Hudetz) Avanti - avanti! F RAU H UDETZ (hält ruckartig und starrt den Wirt hasserfüllt und wütend an) 얍 W IRT (ironisch) Wir benötigen Sie nicht mehr. Marsch-marsch! F RAU H UDETZ (brüllt plötzlich los) Ich geh nicht! Ich geh nicht! Ich lass mir das von Euch nicht mehr bieten! Ihr meint, Ihr könnt mit mir machen, was Ihr wollt, mit mir und mit meinem armen Bruder! Nein, ich werd nicht mehr kuschen, ich red, was ich mag, ich red was ich mag! W IRT Halts Maul! F RAU H UDETZ Ich lass mir von Ihnen nicht das Maul verbieten, verbietens es lieber Ihrer sauberen Tochter, damit sie keinen Meineid schwört! Jawohl, jetzt sag ich aus, ich! Herr Staatsanwalt, ich stand gestern abend am Fenster im ersten Stock und hab alles gesehen und alles gehört, alles, alles, alles! Ich habe deutlich gesehen, wie dieses Stück meinem Mann einen Kuss gegeben hat -- ich habs gesehen! W IRT Einen Kuss? Mich trifft der Schlag! A NNA (bricht plötzlich los) Lüge, Lüge, Lüge! B

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herab!N ] Fräulein TochterN ] Bstreunt!N ] Bich?!N ] Bstreunen?!N ] Bnäher!N ] Bsagen?N ] Bdanke!N ] BAvanti - avanti!N ] BMarsch-marsch!N ] Bnicht!N ] Bbieten!N ] BBruder!N ] Bwas ichN ] Bmag!N ] BMaul!N ] Bschwört!N ] Bich!N ] Balles!N ] Bgesehen!N ] BKuss?N ] BSchlag!N ] BLüge!N ] B B

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korrigiert aus: herab ! korrigiert aus: Fräulein Tochter korrigiert aus: streunt ! korrigiert aus: ich ?! korrigiert aus: streunen ?! korrigiert aus: näher ! korrigiert aus: sagen ? korrigiert aus: danke ! korrigiert aus: Avanti - avanti ! korrigiert aus: Marsch-marsch ! korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: bieten ! korrigiert aus: Bruder ! korrigiert aus: was ich korrigiert aus: mag ! korrigiert aus: Maul ! korrigiert aus: schwört ! korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: alles ! korrigiert aus: gesehen ! korrigiert aus: Kuss ? korrigiert aus: Schlag ! korrigiert aus: Lüge !

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SB Georg Marton, S. 25

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

Lesetext

F RAU H UDETZ Ich sage die Wahrheit und werd alles beschwören! Sie hat ihm einen Kuss gegeben, nur um mich zu ärgern, aber es gibt einen Gott der Rache und drum hat er das Signal versäumt -- ich kanns beschwören, beschwören, beschwören! A NNA (schreit sie ausser sich an) Schwörens nur Ihren Meineid, schwörens ihn nur! Sie sind ja ein ganz schlechter Mensch! Nur weil Sie zu alt für Ihren Mann sind, reitens ihn da hinein, Sie könnten ihn ja direkt umbringen, nur weil er Sie nicht mehr anrührt! Sie sind ja berüchtigt, Sie, und ich hab ihm keinen Kuss gegeben, so wahr mir Gott helfe! Ich bin doch glücklich verlobt, aber mich wollens auch noch unglücklich machen -- (sie weint plötzlich heftig und birgt den Kopf an ihres Vaters Brust) W IRT (streichelt sie) S TAATSANWALT (zu Frau Hudetz) Sie sind sich wohl im klaren 얍 darüber, Frau Hudetz, dass Sie durch Ihre Aussage Ihren Gatten schwerstens belasten? W IRT (empört zu Frau Hudetz) Schämen Sie sich, wo er Sie grad in Schutz genommen hat! A NNA (schluchzend zu Frau Hudetz) Immer nimmt er sie in Schutz , immer! F RAU H UDETZ In Schutz? (sie grinst höhnisch ) Thomas, Du hast mich beschützt? H UDETZ Ja. W IRT (zu Hudetz) Verdient sie es? H UDETZ Nein. W IRT Na also! H UDETZ Herr Staatsanwalt, alles, was meine Frau gegen mich vorbringt, ist Lüge. Weder hat mich das Fräulein Anna geküsst, noch hab ich das Signal versäumt. Meine Frau ist nicht ganz normal. F RAU H UDETZ Ich nicht normal?! Das tät Dir so passen! H UDETZ (zum Staatsanwalt) Sie hört oft Stimmen, wenn sie allein ist -- sie hat es mir selber erzählt! Und auch ihrem Bruder! F RAU H UDETZ Mich kriegst Du nicht los, mich nicht -H UDETZ Jetzt schon -- Wenn die eigene Frau den eigenen Mann derart belastet -F RAU H UDETZ (unterbricht ihn) „Mann“! Ich höre immer „Mann“ -- (sie lacht hysterisch) Du willst einer sein?! Du bist doch kein Mann! B

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beschwören!N ] nur!N ] BMensch!N ] Banrührt!N ] Bhelfe!N ] Bbelasten?N ] Bhat!N ] Bin SchutzN ] Bimmer!N ] BhöhnischN ] Bbeschützt?N ] Bes?N ] Balso!N ] Bnormal?!N ] Bpassen!N ] Berzählt!N ] BBruder!N ] Bschon --N ] B„Mann“ --N ] Bsein?!N ] BMann!N ] B B

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korrigiert aus: beschwören ! korrigiert aus: nur ! korrigiert aus: Mensch ! korrigiert aus: anrührt ! korrigiert aus: helfe ! korrigiert aus: belasten ? korrigiert aus: hat ! korrigiert aus: in Schutz korrigiert aus: immer ! korrigiert aus: hönisch korrigiert aus: beschützt ? korrigiert aus: es ? korrigiert aus: also ! korrigiert aus: normal ?! korrigiert aus: passen ! korrigiert aus: erzählt ! korrigiert aus: Bruder ! korrigiert aus: schon korrigiert aus: „Mann“-korrigiert aus: sein ?! korrigiert aus: Mann !

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SB Georg Marton, S. 26

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

H UDETZ (schreit sie an) Schluss damit! Schluss! S TAATSANWALT (erhebt sich) Schluss mit dem Krakehl ! Es steht hier nicht zur Debatte ob Sie ein Mann sind oder nicht, es dreht sich hier um ein Eisenbahnunglück, bitt ich mir aus! Und es steht Aussage gegen Aussage. So leid es mir tut, Herr Hudetz, muss ich Sie auf Grund der belastenden Aussage Ihrer Gattin in Haft nehmen. 얍 W IRT In Haft? S TAATSANWALT (packt die Protokolle zusammen) Die Sonne dürfte es dann wohl an den Tag bringen, bei der Verhandlung -- wenn mal ein kleiner Meineid auf dem Spiele steht -- (er wirft einen Blick auf Frau Hudetz) F RAU H UDETZ (unheimlich ruhig) Sie können mich ruhig anschaun, Herr Staatsanwalt, ich hab die Sonne sehr gern. B

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SB Georg Marton, S. 27

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(V O R H A N G) 얍

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Drittes Bild. N

SB Georg Marton, S. 28

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Vier Monate sind vergangen. Im Wirtshaus zum wilden Mann, und zwar in der Gaststube. Im Hintergrund die Schänke und zwei Fenster, links die Eingangstüre, rechts eine Türe zum Saal. An der Wand ein Bild des wilden Mannes mit Bart und Fell und Keule. Die Kellnerin Leni steht auf einer Leiter und bringt oberhalb der Saaltüre ein Schild mit der Inschrift „Willkommen“ an. Überhaupt ist der ganze Raum mit Lampions und Tannengrün herausgeputzt. Zur Zeit ist nur ein Gast vorhanden, ein Lastkraftwagenchauffeur, der hastig sein Menü vertilgt. Es ist Herbst geworden, aber draussen scheint die Sonne.

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G AST (plötzlich) Wo bleibt mein Bier? L ENI (rührt sich nicht von der Leiter) Sofort! (Stille) G AST (dumpf und drohend) Wollens mir jetzt endlich das Bier bringen oder nicht? L ENI (wie zuvor) Moment! G AST (schlägt auf den Tisch und brüllt) Jetzt wirds mir aber zu dumm! Jetzt bin ich schon bei der Mehlspeis und hab noch immer kein Bier! Ich verdurst ja schon, B

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damit!N ] Schluss!N ] BKrakehl!N ] BKrakehlN ] Baus!N ] BHaft?N ] BD r i t t e s N ] BBier?N ] BSofort!N ] Bnicht?N ] BMoment!N ] Bdumm!N ] BBier!N ] B B

korrigiert aus: damit ! korrigiert aus: Schluss ! korrigiert aus: Krakehl ! gemeint ist: Krakeel korrigiert aus: aus ! korrigiert aus: Haft ? korrigiert aus: Z w e i t e s korrigiert aus: Bier ? korrigiert aus: Sofort ! korrigiert aus: nicht ? korrigiert aus: Moment ! korrigiert aus: dumm ! korrigiert aus: Bier !

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K4/TS5 (Grundschicht)

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meiner Seel! Was schmückens da herum?! Wo steckt denn der Wirt, Malefizelement?! W IRT (ist bereits von links eingetreten) Da bin ich. Entschuldigens vielmals, nichts für ungut -- ( er herrscht Leni an) Auf der Stell bringst dem Herrn sein Bier, was fällt Dir denn ein, Saustall sowas! L ENI (kleinlaut) Aber das Schild -W IRT (fällt ihr ins Wort) Ein Gast kommt vor einem Schild! G AST Bitt ich mir aus! L ENI (steigt gekränkt von der Leiter herab und schenkt an der Schänke das Bier ein) 얍 W IRT (zum Gast) Entschuldigens tausendmal, aber heut gehts bei uns etwas drunter und drüber, wir feiern nämlich heut ein Fest -G AST (deutet auf das Schild) Wen erwartens denn da? Den Kaiser von China? W IRT (lächelt) Nein, nur einen braven Mitbürger von uns. Erinnerns Ihnen an das grosse Eisenbahnunglück vor vier Monaten? G AST Keine Ahnung. Ich bin Chauffeur. W IRT Aber damals ist unser Stationsvorstand in einen falschen Verdacht gekommen und man tat ihm bitter Unrecht -- vier Monate ist er in Untersuchungshaft gesessen, aber gestern nachmittag habens ihn glänzend rehabilitiert -- freigesprochen ist er worden! G AST Soso. Wundert mich, dass einer freigesprochen wird. W IRT Jaja, es ist erhebend zu sehen, wie die Wahrheit durchdringt und die Gerechtigkeit siegt. G AST Wo bleibt mein Bier? L ENI (bringt es ihm) Da. G AST Ich zahl auch gleich -- (er trinkt das Bier auf einen Zug) L ENI Ein Menü, ein Bier, vier Brot -- zwei zwanzig. G AST Preiswert seid Ihr ja grad nicht -- (er wirft das Geld auf den Tisch) L ENI Danke! W IRT Habe die Ehre! Beehrens uns wieder! G AST Werd mich hüten! (ab nach links) W IRT (sieht ihm nach; melancholisch) Traurige Leut gibts auf der Welt -- (er wendet sich Leni zu, die wieder auf der Leiter steht, und versucht ihr nicht ganz unabsichtlich unter die Röcke zu schauen) -- Leut, die gar nichts mehr rührt, 얍 radikal nichts -- -- es rührt sie nicht, ob einer verurteilt wird oder freigesprochen, schuldig oder unschuldig -- sie denken nur an ihr Bier -B

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SB Georg Marton, S. 29

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Seel!N ] Malefizelement?!N ] Ber herrschtN ] Bsowas!N ] BSchild!N ] Baus!N ] Bda?N ] BChina?N ] BMonaten?N ] Bworden!N ] BBier?N ] BBrot -- zweiN ] BDanke!N ] BEhre!N ] Bwieder!N ] Bhüten!N ] B B

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korrigiert aus: Seel ! korrigiert aus: Malefizelement ?! korrigiert aus: er herrscht korrigiert aus: sowas ! korrigiert aus: Schild ! korrigiert aus: aus ! korrigiert aus: da ? korrigiert aus: China ? korrigiert aus: Monaten ? korrigiert aus: worden ! korrigiert aus: Bier ? korrigiert aus: Brot --- zwei korrigiert aus: Danke ! korrigiert aus: Ehre ! korrigiert aus: wieder ! korrigiert aus: hüten !

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SB Georg Marton, S. 30

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

L ENI Es denkt halt jeder an etwas anderes. W IRT Stimmt. L ENI (hat das Schild befestigt) So. Das hält ewig -- (sie steigt von der Leiter herab) Was glaubens, was wird jetzt die Frau Hudetz machen? W IRT Die? Hier wird sie sich ja nimmer blicken lassen dürfen -- ich glaub, die tätens direkt lynchen, wie die Neger in Amerika. L ENI Tja, man darf Gott nicht ungestraft herausfordern. W IRT Gesehen hat sies, wie die Anna ihn geküsst hat, gesehen! Und sie möchte auch gesehen haben, dass er das Signal verpasst hat -- und derweil! Der Stempel der Lüge stand ihr auf der Stirn, nicht einmal der Staatsanwalt hat ihr ein Sterbenswörtel geglaubt, obwohl sie alles beschworen hat! Die soll nur froh sein, wenns ihr kein Meineidsverfahren hinaufhauen -- Ich sag: Mit der Frau Hudetz ists vorbei! Die gibts nicht mehr, das war einmal! Jetzt wirds dann noch geschieden, von Tisch und Bett -- Schluss, aus, Amen! (Stille) L ENI Ob er wohl nochmal heiraten wird, der Herr Vorstand? W IRT Vielleicht hat er noch nicht genug. Tät er Dir gefallen, der Hudetz? L ENI Er hat schon etwas Bestimmtes -- (sie lächelt) W IRT (horcht auf) Woher weisst Du denn das? L ENI Nur so. (Stille) W IRT (macht einen Witz) Möglich! Vielleicht wird er Dich an den Traualtar führen -- (er grinst) 얍 L ENI (sieht ihn traurig an) Ich bin doch ein armes Mädel, Herr Wirt -(Stille) W IRT (bereut seinen Witz, nähert sich ihr langsam, umfasst sanft ihre Taille und singt leise, um sie aufzuheitern, doch Leni bleibt unbeweglich ernst) Weiberl, Weiberl, sei doch nicht so hart Schau die kleinen Mädchen sind so zart Kennst du nicht den Spruch den alten Lasst die Herzen nicht erkalten Weiberl, Weiberl, sei doch nicht so hart -F ERDINAND (kommt rasch von links) W IRT (lässt Leni los, freudig überrascht) Hoppla, der Herr Schwiegersohn in spe! Servus Ferdinand! B

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machen?N ] Die?N ] Bgesehen!N ] Bhaben, dassN ] Bderweil!N ] Bvorbei!N ] Beinmal!N ] BAmen!N ] BVorstand?N ] BHudetz?N ] Bdas?N ] BMöglich!N ] Ber DichN ] Bspe!N ] BFerdinand!N ] B B

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korrigiert aus: machen ? korrigiert aus: Die ? korrigiert aus: gesehen ! korrigiert aus: haben,dass korrigiert aus: derweil ! korrigiert aus: vorbei ! korrigiert aus: einmal ! korrigiert aus: Amen ! korrigiert aus: Vorstand ? korrigiert aus: Hudetz ? korrigiert aus: das ? korrigiert aus: Möglich ! korrigiert aus: er Dich korrigiert aus: spe ! korrigiert aus: Ferdinand !

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SB Georg Marton, S. 31

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

F ERDINAND Servus, Vater! Wunder Dich nicht, dass ich da bin, ich bin im letzten Moment auf einem Motorrad hinten herüber -W IRT Hast soviel Arbeit? F ERDINAND Und grad heut! Heut wars schon besonders delikat, dass ich mich ausserordentlich freigemacht hab, wegen dem Viehmarkt -W IRT (überrascht) Ihr habts heut Viehmarkt? F ERDINAND Natürlich! W IRT Seit wann denn heut? Am Mittwoch? F ERDINAND (wegwerfend) Eine neue Verordnung -- (begeistert) Ochsen hats da gegeben, Ochsen, wie die Elefanten -- aber ich hab mich für keinen interessiert! Einen solchen Ochsen gibts noch nicht, der mir wichtiger wär, wie die Anna! Wo steckt sie denn? L ENI Sie zieht sich nur um. W IRT (zu Leni) Ruf sie! Schnell! L ENI (rasch ab nach rechts) 얍 W IRT Ich muss Dir sagen, Ferdinand, ich freu mich, dass Du meine Anna nimmst, Du wirst mein Haus schon richtig führen. Sechsundachtzig Jahr im Besitz der Familie -- das möcht man behalten, auch wenn man nimmer lebt -A NNA (kommt von rechts in einem weissen Kleid) F ERDINAND Anna! (er umarmt und küsst sie) A NNA Das freut mich -F ERDINAND Bist ja eine berühmte Persönlichkeit geworden, seit wir uns vorige Woche gesehen haben -- Kronzeugin in einem Sensationsprozess! Da schau her, wie man Dich tituliert -- (er zieht eine Zeitung aus seiner Tasche und zeigt ihr eine Artikelüberschrift) „Die bildhübsche Wirtstochter“ -- mit ganz dicken Buchstaben! W IRT Stolz kann sie sein! F ERDINAND Und ich auch! A NNA (lächelt sonderbar) Der Ruhm verblasst rasch -W IRT Wie gewählt sie spricht, wie fein sie sich ausdrückt -- meine Tochter! F ERDINAND Meiner Seel, ich hab schon direkt das Gefühl, als wär meine Braut eine Filmdiva! Geh lass Dich anschaun, Kronzeugin, ob Du Dich verändert hast -(er betrachtet sie von oben bis unten) B

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Vater!N ] Arbeit?N ] Bheut!N ] BViehmarkt?N ] BNatürlich!N ] Bheut?N ] BMittwoch?N ] BAnna!N ] Bdenn?N ] Bsie!N ] BSchnell!N ] BKleid)N ] Bhaben -- KronzeuginN ] BSensationsprozess!N ] BBuchstaben!N ] Bsein!N ] Bauch!N ] BTochter!N ] BGefühl, alsN ] B B

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korrigiert aus: Vater ! korrigiert aus: Arbeit ? korrigiert aus: heut ! korrigiert aus: Viehmarkt ? korrigiert aus: Natürlich ! korrigiert aus: heut ? korrigiert aus: Mittwoch ? korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: denn ? korrigiert aus: sie ! korrigiert aus: Schnell ! korrigiert aus: Kleid ) korrigiert aus: haben .---Kronzeugin korrigiert aus: Sensationsprozess ! korrigiert aus: Buchstaben ! korrigiert aus: sein ! korrigiert aus: auch ! korrigiert aus: Tochter ! korrigiert aus: Gefühl,als

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SB Georg Marton, S. 32

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K4/TS5 (Grundschicht)

A NNA (lächelt wieder sonderbar) Kaum. (In der Ferne ertönt Marschmusik, die sich nähert) A LLE (horchen auf) F ERDINAND Musik? W IRT Sie kommen, sie kommen -- (er sieht aufgeregt auf seine Uhr) Stimmt! Gleich wird er da sein, der Hudetz -- unser Hudetz! Sie holen ihn von der Bahn ab, der ganze Ort! A NNA (wird blass und fasst sich ans Herz) 얍 F ERDINAND Was hast denn, Annerl? Wieder das Herzerl? A NNA (sehr leise) Ja. W IRT (zu Ferdinand) Dieser ganze Prozess war halt doch eine zu gewaltige Aufregerei. F ERDINAND (streichelt Annas Hand; zärtlich ) Aber jetzt ists vorbei -- was, Annerl? A NNA (lächelt verloren) Ja, jetzt ists vorbei -W IRT (reicht Anna ein Glas) Trink einen Wermuth , das ist und bleibt die beste Medizin! F ERDINAND Mir auch -- (er nimmt sich auch ein Glas; zu Anna) Sollst leben, Anna! A NNA (tonlos) Sollst leben, Ferdinand! (die Beiden leeren ihre Gläser und nun ertönen Marschmusik und Hochrufe ganz in der Nähe) L ENI (stürzt aufgeregt von rechts herein, auch sie hat sich umgezogen) Er kommt, er kommt, er kommt! (Sie rast ans Fenster, winkt hinaus und ruft „Hoch!“: auch der Wirt und Ferdinand tun dergleichen) (Die Sonne verschwindet -- es dämmert rasch) A NNA (starrt vor sich hin; plötzlich schenkt sie sich rasch noch ein Glas Wermuth ein; tonlos) Noch -- (sie leert hastig das Glas) (Nun tritt der Zug durch die Türe links ein: der halbe Ort ist dabei, natürlich auch Frau Leimgruber, der Waldarbeiter und der Gendarm in Gala mit weissen Handschuhen) H UDETZ (taucht auf, lächelt wächsern und nickt allseits Dank; er ist durch die Haft etwas gelb geworden) A LLE Hoch! Hoch! Hoch! W IRT (hält eine Ansprache) Thomas Hudetz! Lieber, guter Freund! Verehrter Herr Stationsvorstand! Wir alle, die Du hier zu Deinem Empfange versammelt siehst, B

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(lächeltN ] Musik?N ] BStimmt!N ] BHudetz!N ] BOrt!N ] BHerzerl?N ] BHand; zärtlichN ] BAnnerl?N ] BWermuthN ] BMedizin!N ] BAnna!N ] BFerdinand!N ] Bkommt!N ] BWermuthN ] B(NunN ] BFreund!N ] BStationsvorstand!N ] B B

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korrigiert aus: lächelt korrigiert aus: Musik ? korrigiert aus: Stimmt ! korrigiert aus: Hudetz ! korrigiert aus: Ort ! korrigiert aus: Herzerl ? korrigiert aus: Hand;zärtlich korrigiert aus: Annerl ? gemeint ist: Wermut korrigiert aus: Medizin ! korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: Ferdinand ! korrigiert aus: kommt ! gemeint ist: Wermut korrigiert aus: Nun korrigiert aus: Freund ! korrigiert aus: Stationsvorstand !

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SB Georg Marton, S. 33

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

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waren von Deiner absoluten Unschuld immer schon eisern überzeugt -- und es gereicht mir persönlich zu einer ganz besonderen Ehre und Freude, dass das Schicksal gerade 얍 mein Kind ausersehen hat, um Deine Unschuld zu beweisen! R UFE Hoch Anna! Hoch! W IRT Es gibt noch einen Gott im Himmel, der über uns wacht, damit die Wahrheit durchdringt und die Gerechtigkeit siegt! Sei gegrüsst, Du Unschuldiger, der Du unschuldig eingekerkert so viel Leid hast durchmachen müssen! Thomas Hudetz, unser allseits geliebter Stationsvorstand -- der pflichtgetreue Beamte, er lebe hoch, hoch, hoch! (er geht auf Hudetz zu und schüttelt ihm die Hände) A LLE Hoch! Hoch! Hoch! (Musiktusch) E IN K IND (tritt mit einem Blumenstrauss vor Hudetz, macht einen Knicks und sagt auf) Hoch klingt das Lied vom braven Mann Wie Orgelton und Glockenklang Wer solcher Tat sich rühmen kann Den lohnt kein Geld, den preist Gesang Gottlob, dass ich singen und preisen kann Zu singen und preisen den braven Mann! (es macht abermals einen Knix und überreicht Hudetz den Blumenstrauss) A LLE (applaudieren) H UDETZ ( tätschelt des Kindes Wangen und entdeckt plötzlich Anna; er stockt, fixiert sie, geht langsam auf sie zu und reicht ihr die Hand) Grüss Gott, Fräulein Anna! A NNA Grüss Gott, Herr Vorstand -H UDETZ Wie gehts? A NNA Danke, gut -- (sie lächelt) A LLE (glotzen Hudetz und Anna an und warten neugierig auf weitere Worte) H UDETZ (wird etwas verlegen, wendet sich dann mit plötzlichem Entschluss ruckartig an die Anwesenden, deutet auf Anna und ruft) Mein rettender En-얍gel! -- er lebe hoch, hoch, hoch! (er überreicht ihr seinen Blumenstrauss) A LLE (ausser sich vor Begeisterung) Hoch, Hoch, Hoch! (Im Saal wird nun das Licht abgedreht und eine Schrammelmusik spielt einen Walzer) B

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1 3 4 4 6 7 8 9 13 16 20 23 24 26 29 29 32

von DeinerN ] beweisen!N ] BAnna!N ] BHoch!N ] Bsiegt!N ] Bmüssen!N ] BHudetz, unserN ] B(erN ] BHudetz, machtN ] BGlockenklangN ] BMann!N ] BtätscheltN ] BAnna!N ] Bgehts?N ] BmitN ] BplötzlichemN ] BHoch f Hoch!N ] B B

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SB Georg Marton, S. 34

N B

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korrigiert aus: von Deiner korrigiert aus: beweisen ! korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: Hoch ! korrigiert aus: siegt ! korrigiert aus: müssen ! korrigiert aus: Hudetz,unser korrigiert aus: ( er korrigiert aus: Hudetz,macht korrigiert aus: Glockenschlag (vgl. Horváth 2009, S. 124) korrigiert aus: Mann ! korrigiert aus: täschelt korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: gehts ?

\mit/ korrigiert aus: plötzlich. korrigiert aus: Hoch,Hoch,Hoch !

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SB Georg Marton, S. 35

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

W IRT (steigt auf einen Stuhl) Meine Herrschaften! Darf ich Euch jetzt auffordern, Euch in den Saal zu bemühen -- ich denk, wir haben alle schon einen Bärenhunger und Durst! Und ausserdem wirds hier finster! (Gelächter und „ Bravo“-Rufe ) F ERDINAND (reicht Anna seinen Arm) Darf man bitten -A LLE (ausser Leni, in festlicher Laune rechts ab) L ENI (schenkt an der Schänke viele Krügel Bier ein und summt die Walzermelodie, die aus dem Saal heraustönt, mit ) A LFONS (kommt von links) L ENI (erblickt ihn, erschrickt und starrt ihn entsetzt an) A LFONS Guten Abend, Leni! Was schaust mich denn so an? L ENI Sie trauen sich her? Jetzt? A LFONS (lächelt) Warum nicht? L ENI Na, wo doch Ihre Schwester, die Frau Hudetz -A LFONS (unterbricht sie) Ich habe keine Schwester mehr. L ENI Das glaubt Ihnen keiner! Man wird Sie an die Luft setzen -- passens auf! A LFONS (setzt sich) L ENI (ängstlich) So gehens doch, sonst werdens noch verprügelt, die trinken ja drinnen und schlagen Sie blutig! A LFONS (lächelt) Nur zu – 얍 L ENI (verärgert) Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen! (rasch ab nach rechts mit vielen Krügeln Bier) (Im Saal singt nun eine Sängerin „Der Lenz ist da“ von Hildach) A LFONS (lauscht dem Gesang, erhebt sich, geht langsam auf den Saal zu, hält jedoch wieder und zögert) (Die Sängerin hat nun ausgesungen, starker Applaus, „ Hoch!“- und „Bravo!“Rufe im Saal) A LFONS (schrickt auf das begeisterte Geheul hin zusammen, setzt rasch seinen Hut auf und ab nach links) (Stille) (Anna kommt schnell und heimlich mit Hudetz von rechts; sie reden unterdrückt) A NNA (sieht sich ängstlich-forschend um) Hier sieht uns niemand. H UDETZ Was wollens denn eigentlich von mir? A NNA Ich muss Ihnen etwas sagen. H UDETZ Und drinnen im Saal könnens das nicht? B

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Durst!N ] finster!N ] BBravo“-RufeN ] Bheraustönt, mitN ] Bher?N ] BJetzt?N ] Bnicht?N ] Bkeiner!N ] Bauf!N ] Bblutig!N ] Bhelfen!N ] BHoch!“ f -RufeN ] B(AnnaN ] Bmir?N ] Bnicht?N ] B B

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Lesetext

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korrigiert aus: Durst ! korrigiert aus: finster ! korrigiert aus: Bravo“ - Rufe korrigiert aus: heraustönt,mit korrigiert aus: her ? korrigiert aus: Jetzt ? korrigiert aus: nicht ? korrigiert aus: keiner ! korrigiert aus: auf ! korrigiert aus: blutig ! korrigiert aus: helfen ! korrigiert aus: Hoch!“ - und „Bravo!“ - Rufe korrigiert aus: Anna korrigiert aus: mir ? korrigiert aus: nicht ?

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SB Georg Marton, S. 36

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

A NNA Nein, dort sind nämlich aller Augen auf uns gerichtet -- Herr Vorstand, ich muss Sie morgen sprechen, unter vier Augen, ich hätt Ihnen nämlich etwas zu erzählen -H UDETZ Was wollens mir denn erzählen? A NNA (lächelt) Oh, soviel! (Stille) H UDETZ Es ist besser für uns beide, wenn wir uns aus dem Wege gehen. A NNA Ich geh schon, ich geh schon -- ich geh ja noch zugrund -- (sie lächelt) H UDETZ Still! (er sieht sich forschend um) (Stille) H UDETZ Jetzt müssen wir wieder hinein. Was wird sich denn Ihr Bräutigam denken, wenn er uns hier sehen tät. Er tät doch denken, wir hätten was miteinander und das hätt mir grad noch gefehlt. 얍 A NNA Herr Vorstand, habens ein Erbarmen mit mir -- hörens mich morgen an, bitte -H UDETZ Sie tun ja direkt, als hing Ihr Leben dran, dass wir uns treffen. A NNA Vielleicht -- (sie lächelt) (Stille) H UDETZ Also schön, dann morgen. Wo? A NNA Beim Viadukt. H UDETZ Oben oder unten? A NNA Unten. H UDETZ Und wann? A NNA Abends. Um neun Uhr. H UDETZ Um neun? Mitten in der Nacht? A NNA (lächelt) Es soll uns doch niemand sehen. Wenigstens kein Mensch -H UDETZ (zuckt die Schultern) Meinetwegen! A NNA (hält ihm die Hand hin) Abgemacht? H UDETZ (schlägt ein) Abgemacht. A NNA (lächelt) Fein! (rasch ab nach rechts) (im Saal gibts nun wieder Walzermusik) A LFONS (tritt links wieder ein, erblickt Hudetz und fasst sich ans Herz) H UDETZ (fixiert ihn; leise) Bist Du das, Alfons? A LFONS Ja. (Pause) H UDETZ (grinst) Guten Abend, Schwager -B

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erzählen?N ] soviel!N ] Btät.N ] BIhrN ] BWo?N ] Bunten?N ] Bwann?N ] Bneun?N ] BNacht?N ] BMeinetwegen!N ] BAbgemacht?N ] BFein!N ] Bein, erblicktN ] B(fixiertN ] BAlfons?N ] B B

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korrigiert aus: erzählen ? korrigiert aus: soviel ! korrigiert aus: tät; korrigiert aus: ihr korrigiert aus: Wo ? korrigiert aus: unten ? korrigiert aus: wann ? korrigiert aus: neun ? korrigiert aus: Nacht ? korrigiert aus: Meinetwegen ! korrigiert aus: Abgemacht ? korrigiert aus: Fein ! korrigiert aus: ein, erblickt korrigiert aus: fixiert korrigiert aus: Alfons ?

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SB Georg Marton, S. 37

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

A LFONS Guten Abend Thomas, Du musst das „Schwager “ nicht so spöttisch betonen -- ein Weib, das sich derart benimmt, wie meine Schwester, das existiert für mich nicht mehr. 얍 H UDETZ Lassen wir das. Es ist alles vorbei. A LFONS Nicht für mich. H UDETZ ( horcht auf ) (Pause) A LFONS Zuvor war ich schon einmal hier, aber da wurde mir prophezeit, man würd mich blutig schlagen -- (er grinst und wird plötzlich wieder ernst) Jetzt schreckt mich nichts mehr. Ich hab alles abgewogen: es bleibt mir nur ein Weg: in aller Öffentlichkeit zu dokumentieren, dass ich von meiner Schwester abgerückt bin. Es ist aus zwischen ihr und mir -- aus! Ich kann mich ja überhaupt nicht mehr halten! Ich grüss und keiner dankt, boykottiert bin ich zwar schon immer worden, aber jetzt will man mich ganz zugrunde richten -- Thomas, wir zwei hatten doch nie Differenzen. Hilf mir, bitte -(Jetzt kommen aus dem Saal der Wirt, Frau Leimgruber, Ferdinand, Anna und der Waldarbeiter) W IRT (dreht das Licht an und erblickt Hudetz) Da bist Du ja, wir suchen Dich schon -- (er stockt, denn nun erblickt er auch Alfons) -- Hoppla! Was seh ich?! Du traust dich her, Du?! Also das ist ja eine bodenlose Impertinenz! Raus! F RAU L EIMGRUBER Raus! Raus damit! A LFONS Nein! Ich hab Euch etwas zu sagen -W IRT (unterbricht ihn grob) Uns hast Du nichts zu sagen! Raus auf der Stell, sonst garantier ich für nichts! W ALDARBEITER (nähert sich Alfons) Quacksalber, meineidiger -- (er will handgreiflich werden) H UDETZ Halt! Er hats mir grad erklärt, dass er keine Schwester mehr hat -F ERDINAND Er lügt! H UDETZ (scharf) Er lügt nicht! B

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das „SchwagerN ] dasN ] BSchwester, dasN ] Bhorcht aufN ] Bschlagen --N ] BWeg: inN ] Baus!N ] Bhalten!N ] Bworden, aberN ] BHoppla!N ] Bich?!N ] BDu?!N ] BImpertinenz!N ] BRaus!N ] Bdamit!N ] BNein!N ] Bnichts!N ] Bmeineidiger --N ] BHalt!N ] Blügt!N ] Bnicht!N ] B B

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korrigiert aus: das„Schwager korrigiert aus: dass korrigiert aus: Schwester,das korrigiert aus: horcht auf korrigiert aus: schlagen-korrigiert aus: Weg:in korrigiert aus: aus ! korrigiert aus: halten ! korrigiert aus: worden, aber korrigiert aus: Hoppla ! korrigiert aus: ich ?! korrigiert aus: Du ?! korrigiert aus: Impertinenz ! korrigiert aus: Raus ! korrigiert aus: damit ! korrigiert aus: Nein ! korrigiert aus: nichts ! korrigiert aus: meineidiger-korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: lügt ! korrigiert aus: nicht !

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SB Georg Marton, S. 38

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

Lesetext

얍 W IRT (perplex zu Hudetz) Dass grad Du das sagst -H UDETZ Ja. Tuts mir den Gefallen und lasst ihm seinen Frieden -- (ab nach rechts)

SB Georg Marton, S. 39

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(V O R H A N G) 얍

Viertes Bild.

SB Georg Marton, S. 40

10

Schluchtartige Gegend. Die Pfeiler des Viadukts ragen in den Himmel. Es ist eine einsame Nacht. Der Mond scheint, es wurde Herbst und alles liegt still, wie die ewige Ruh. Nur der Gendarm befindet sich auf seinem Dienstgang. 15

G ENDARM (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis) Ist dort jemand? -- Hallo! Wer da? H UDETZ (tritt vor) Guten Abend, Herr Inspektor -G ENDARM (beruhigt) Ach, der Herr Vorstand! Was treiben Sie hier beim Viadukt? H UDETZ Ich geh nur ein bisserl spazieren! G ENDARM Mitten in der Nacht? H UDETZ Ich hab nichts gegen die Nacht -- (er lächelt) G ENDARM Passens nur auf, heut treibt sich allerhand lichtscheues Gesindel in der Gegend herum, grad hab ich die offizielle Nachricht bekommen, mir scheint, Zigeuner -H UDETZ (fällt ihm ins Wort) Ich fürcht mich nicht. G ENDARM (lächelt) Jaja, ein reines Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen -- Einen wie langen Erholungsurlaub habens denn bekommen, Herr Vorstand? H UDETZ Acht Tage. G ENDARM Nur? Na da dürfens aber nicht viel solche Feste mitmachen, wie gestern abend -- lang hats gedauert, meiner Seel! Bis sechse in der Früh! H UDETZ Lustig wars. G ENDARM Und Räusch hats gegeben, schon direkt lebensgefährliche Räusch! Wie lang habens denn heut geschlafen? H UDETZ Überhaupt nicht. Ich schlaf neuerdings nicht gut. 얍 G ENDARM Kenn ich, kenn ich! Ich hab auch darunter zu leiden. Da liegt man in der Finsternis und es fällt einem alles ein -- alles, was man hätt besser machen können -B

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jemand?N ] Hallo!N ] Bda?N ] BVorstand!N ] BViadukt?N ] Bspazieren!N ] BNacht?N ] BErholungsurlaubN ] BVorstand?N ] BNur?N ] BSeel!N ] BRäusch!N ] Bgeschlafen?N ] Bich!N ] B B

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korrigiert aus: jemand ? korrigiert aus: Hallo ! korrigiert aus: da ? korrigiert aus: Vorstand ! korrigiert aus: Viadukt ? korrigiert aus: spazieren ! korrigiert aus: Nacht ?

Erh[a]|o|lungsurlaub korrigiert aus: Vorstand ? korrigiert aus: Nur ? korrigiert aus: Seel ! korrigiert aus: Räusch ! korrigiert aus: geschlafen ? korrigiert aus: ich !

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SB Georg Marton, S. 41

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

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H UDETZ Das auch. G ENDARM Also auf Wiedersehen, Herr Vorstand! Und nochmals: recht gute Erholung! (er salutiert und ab) H UDETZ Auf Wiedersehen, Herr Inspektor -- (er schaut ihm nach und zündet sich dann eine Zigarette an; oben auf dem Viadukt läutet nun ein Signal, ähnlich dem Läutwerk im Bahnhof; er horcht auf und blickt empor) A NNA (kommt, erblickt ihn und schrickt etwas zusammen) H UDETZ Sind Sie jetzt erschrocken? A NNA (lächelt) Sie standen so plötzlich vor mir -(im fernen Ort schlägt die Kirchturmuhr) H UDETZ (zählt die Schläge leise mit) -- neun. Ich bin schon seit dreiviertel da -(er grinst) Damen lässt man nicht warten. (Stille) A NNA (sieht sich forschend um) Ich bin heimlich fort, denn es soll niemand wissen, dass wir uns hier treffen. H UDETZ Ganz meine Meinung. A NNA Die Leut würden nur reden und sie hätten doch gar keinen Grund, nicht? H UDETZ Ich wüsst keinen. (jetzt fährt hoch droben ein Zug über den Viadukt) A NNA (blickt empor) Ein Personenzug -H UDETZ (blickt auch empor) Nein, das ist der Express. A NNA Ich dachte, weil er so langsam fährt -얍 H UDETZ Das täuscht. A NNA Trotzdem. (Stille) H UDETZ Was haben Sie mir also zu erzählen? A NNA Viel. Sehr viel. H UDETZ Also los! Erstens, zweitens, drittens. (Stille) A NNA Herr Vorstand, habens denn keine innere Stimme mehr? H UDETZ (starrt sie an) A NNA Was würden Sie denn sagen, wenn ichs jetzt hinausschreien würde, dass ich gelogen hab, dass ich falsch geschworen hab, dass Sie das Signal -H UDETZ (herrscht sie an) Ruhe! (er sieht sich um) (Stille) A NNA (leise, fast lauernd) Was würdens denn tun, Herr Vorstand? B

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auch.N ] Erholung!N ] B(erN ] Ban; obenN ] BläutetN ] Bempor)N ] Berschrocken?N ] Bgrinst) DamenN ] Bnicht?N ] Berzählen?N ] Blos!N ] Bmehr?N ] BRuhe!N ] BVorstand?N ] B B

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korrigiert aus: auch . korrigiert aus: Erholung ! korrigiert aus: er korrigiert aus: an;oben korrigiert aus: läutete korrigiert aus: empor. korrigiert aus: erschrocken ? korrigiert aus: grinst) Damen korrigiert aus: nicht ? korrigiert aus: erzählen ? korrigiert aus: los ! korrigiert aus: mehr ? korrigiert aus: Ruhe ! korrigiert aus: Vorstand ?

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SB Georg Marton, S. 42

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

H UDETZ Dann, hm. Das weiss ich heut noch nicht. A NNA Das ist nicht wahr. H UDETZ Sie müssens ja wissen. A NNA Oh, ich hör alles. (Stille) H UDETZ Umbringen würd ich Sie nicht. A NNA (lächelt) Schad. H UDETZ (horcht auf) (Stille) A NNA (sehr einfach) Ich möcht nicht mehr leben, Herr Vorstand! H UDETZ Es war Ihre Pflicht und Schuldigkeit, so zu schwören, wie Sie geschworen haben. 얍 A NNA (fährt ihn an) Sie irren sich, wenn Sie meinen, dass nur ich schuld bin, oh darauf lass ich mich nicht ein, ich nicht! H UDETZ Wer wär denn sonst noch schuld, ausser Ihnen? A NNA Nein, nein, nicht nur ich! H UDETZ (ironisch, wie ein Staatsanwalt) Sondern? Vielleicht gar der grosse Unbekannte? A NNA Vielleicht. (Oben auf dem Viadukt läutet wieder das Signal) H UDETZ (blickt empor) A NNA (bange) Was war das? H UDETZ Ein Signal! A NNA (hält sich plötzlich die Ohren zu; leise) Ich hör noch immer das Geschrei -- -ich darf nicht allein sein, Herr Vorstand, dann kommen die Toten, sie sind bös auf mich und wollen mich holen -(Stille) H UDETZ Hörens her: ich war jetzt vier Monat allein, in Einzelhaft, nur mit mir selbst persönlich, und da hatt ich reichlich Gelegenheit, mich mit meiner inneren Stimme zu unterhalten, zu jeder Stund. Wir haben viel miteinander dischkuriert, Fräulein Anna -- und das Resultat? „Du bist ein pflichtgetreuer Beamter“, hat die innere Stimme zu mir gesagt, „Du hast noch nie ein Signal verpasst, Du bist unschuldig, lieber Thomas“ -A NNA (unterbricht ihn) Unschuldig? B

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hm.N ] wahr.N ] Bich schuldN ] Bnicht!N ] BIhnen?N ] Bich!N ] BSondern?N ] BUnbekannte?N ] BVielleicht.N ] Bdas?N ] BSignal!N ] BResultat?N ] Bnoch nie N ] Bunschuldig, lieberN ] BUnschuldig?N ] B B

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korrigiert aus: Hm. korrigiert aus: wahr, korrigiert aus: ich schuld korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: Ihnen ? korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: Sondern ? korrigiert aus: Unbekannte ? korrigiert aus: Vielleicht . korrigiert aus: das ? korrigiert aus: Signal ! korrigiert aus: Resultat ? korrigiert aus: noch nie korrigiert aus: unschuldig,lieber korrigiert aus: Unschuldig ?

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SB Georg Marton, S. 43

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K4/TS5 (Grundschicht)

H UDETZ Ganz und gar! A NNA (fährt ihn an) Machen Sie sichs nur nicht gar zu bequem! H UDETZ (schreit sie an) Ich mach mir nichts bequem! Meine einzige Schuld war, dass ich Sie damals nicht gleich verjagt hab, dass ich so höflich mit Ihnen war, dass ich Ihnen nicht gleich eine hingehaut hab, verstanden? (Stille) 얍 A NNA (lächelt) Hinhauen hätten Sie mir eine sollen? H UDETZ Ja. (Stille) A NNA Schad, dass Sies nicht getan haben -H UDETZ Das tut mir selber leid. A NNA Hauens mir jetzt eine hin. Vielleicht wirds dann besser. H UDETZ (schreit sie wieder an) Machens da keine blöden Witz, ja?! A NNA Das ist kein Witz. Damals, das war einer, wie ich Ihnen den Kuss -H UDETZ (unterbricht sie) Redens nicht immer darüber! A NNA (lächelt) Ich hab sonst nichts zu reden -H UDETZ Dann schweigens gefälligst! Sonst passiert noch ein Unglück! (Stille) A NNA Wie meinen Sie das, Herr Vorstand? H UDETZ Was? A NNA Das Unglück. Wird es kommen? (Stille) H UDETZ (fixiert sie) Ich bin freigesprochen, Fräulein Anna -- glänzend frei! A NNA Dann werdens vielleicht noch etwas Grösseres anstellen müssen, damit Sie bestraft werden können -- (Sie lächelt leise) (Stille) H UDETZ (fährt sie an) Schauens mich nicht so an! A NNA (lächelt) Habens Angst? Vor mir? H UDETZ (starrt sie an) Jetzt sind Sie ganz weiss -A NNA Das ist nur der Mond, Herr Vorstand – 얍 H UDETZ (wie zuvor) Als hättens keinen Tropfen Blut mehr -- keinen Tropfen -A NNA Oh, ich hab noch genug! (sie lacht) B

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gar!N ] bequem!N ] BeineN ] Bverstanden?N ] Bsollen?N ] Bja?!N ] Bich IhnenN ] Bdarüber!N ] Bgefälligst!N ] BUnglück!N ] BVorstand?N ] BWas?N ] Bkommen?N ] Bfrei!N ] Bnoch etwasN ] Ban!N ] BAngst?N ] Bmir?N ] Bgenug!N ] B B

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SB Georg Marton, S. 44

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korrigiert aus: gar ! korrigiert aus: bequem ! eingefügt: eine korrigiert aus: verstanden ? korrigiert aus: sollen ? korrigiert aus: ja ?! korrigiert aus: ich Ihnen korrigiert aus: darüber ! korrigiert aus: gefälligst ! korrigiert aus: Unglück ! korrigiert aus: Vorstand ? korrigiert aus: Was ? korrigiert aus: kommen ? korrigiert aus: frei ! korrigiert aus: noch etwas korrigiert aus: an ! korrigiert aus: Angst ? korrigiert aus: mir ? korrigiert aus: genug !

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SB Georg Marton, S. 45

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

H UDETZ (herrscht sie an) Hörens auf! (Stille) H UDETZ Ich geh jetzt. A NNA Wohin? H UDETZ Schlafen. A NNA Können Sie schlafen? H UDETZ Ja. (er will ab) A NNA Halt! Herr Vorstand, mein Leben ist plötzlich anders geworden -- ich hab mir nichts dabei gedacht, aber jetzt ist alles anders und wenn die Nacht kommt, dann hab ich die Sterne vergessen. Unser Haus, Herr Vorstand, ist kleiner geworden. Und der Ferdinand, den seh ich jetzt auch mit ganz anderen Augen -- alle sind mir so fremd geworden, mein Vater, die Leni und alle, alle -- nur Sie nicht, Herr Vorstand. Wie Sie gestern gekommen sind, da hab ichs schon gewusst, wie Sie aussehen, Ihre Nase, Ihre Augen, Ihr Kinn, Ihre Ohren -- als hätt ich mich an Sie erinnert, dabei haben wir uns doch nie beachtet -- aber jetzt kenn ich Sie genau. Gehts Ihnen auch so mit mir? H UDETZ (wendet sich ihr nicht zu; nach einer kleinen Pause) Ja. A NNA (lächelt leise) Fein! (Stille) A NNA Herr Vorstand. Wenn ich mal sterben werd, dann werd ich auch noch zu Ihnen gehören -- wir werden uns immer wieder sehen -H UDETZ (geht langsam auf sie zu, hebt langsam ihr Kinn hoch und sieht ihr in die Augen; als würd er sie leise rufen) Anna. Anna -얍 A NNA (sehr leise) Erkennst mich wieder? H UDETZ Ja -- (er küsst sie und sie umarmt ihn) B

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SB Georg Marton, S. 46

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Fünftes Bild. Drei Tage später, wieder im Gasthaus zum wilden Mann. Das „Willkommen“, die Lampions und das Tannengrün sind verschwunden. Draussen regnets. Leni beugt sich über einen Tisch und liest die Zeitung. Hudetz tritt links ein. B

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L ENI Grüss Gott, Herr Vorstand! H UDETZ Ein Viertel Roten -- (er setzt sich) L ENI (perplex) Seit wann trinken Sie einen Roten? B

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SB Georg Marton, S. 47

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auf!N ] Wohin?N ] Bschlafen?N ] BHalt!N ] BFein!N ] Bwieder?N ] Bverschwunden. DraussenN ] BVorstand!N ] BRoten?N ] B B

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korrigiert aus: auf ! korrigiert aus: Wohin ? korrigiert aus: schlafen ? korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: Fein ! korrigiert aus: wieder ? korrigiert aus: verschwunden.Draussen korrigiert aus: Vorstand ! korrigiert aus: Roten ?

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Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

H UDETZ Seit heut. L ENI Komisch. (Sie schenkt ein) (Stille) H UDETZ Gibts was Neues? L ENI (bringt ihm den Wein) Immer noch nichts. Man tappt noch im Dunkeln, -H UDETZ Hm. (er trinkt) L ENI Heut Nacht werdens drei Tag, dass sie verschwunden ist, unsere Anna -- verschwunden, als hätt sie die Erde verschluckt. Ich hab sie noch als Letzte gesehen, -- sie hat gesagt, sie geht jetzt schlafen, sie wäre so sehr müd vom Fest, aber ihr Bett war am Morgen unberührt, total unberührt -H UDETZ Hm. L ENI Heut hat der Vater eine Belohnung ausgesetzt für eine zweckdienliche Nachricht -- sie haben sich gestern lang über die Höhe beraten, er und der Herr Ferdinand. Hoffentlich ist sie nicht verschleppt worden, von Mädchenhändlern oder so -H UDETZ Das sind Märchen. L ENI Herr Vorstand, ich wills ja nicht laut sagen, aber ich glaub sie lebt nicht mehr -- (sie 얍 stockt und betrachtet plötzlich interessiert seine Wange) Was habens denn da? H UDETZ Wo? L ENI (neckisch) Wer hat Sie denn da gekratzt? H UDETZ Niemand. Ich hab mich nur verletzt. An einem rostigen Nagel -- (er grinst) L ENI (droht ihm neckisch) Nanana! Gedanken sind zollfrei -- (sie reinigt die Gläser) Übrigens: wissens es schon, wer seit gestern abend wieder im Land ist? Ihre Frau. H UDETZ (perplex) Wer? L ENI Ihre Frau, mit der Sie in Scheidung leben -H UDETZ (fällt ihr ins Wort) Ah, die! L ENI Sie wohnt bei ihrem Bruder, in der Drogerie -- derweil hats doch dieser Drogist öffentlich dokumentiert, dass er keine Schwester mehr hat und Sie haben ihn sogar beschützt! Was sagens jetzt? H UDETZ (grinst grimmig) Ich werd bald garnichts mehr sagen! L ENI Und wissens, was die Leut sagen? Die findens absolut in Ordnung und keiner kritisiert. Jaja, seits die arme Anna nicht mehr gibt, ist der Drogist direkt zum lieben Gott avanciert -- auf einmal redet nur alles voll Hochachtung von ihm. So wetterwendisch sind die Leut! H UDETZ Ich pfeif auf die Leut. B

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Neues?N ] Dunkeln, --N ] Bda?N ] BWo?N ] Bgekratzt?N ] BNanana!N ] BzollfreiN ] Bist?N ] BWer?N ] Bdie!N ] Bbeschützt!N ] Bsagen!N ] Bsagen?N ] Bseits dieN ] Bgibt, istN ] BLeut!N ] BLeut.N ] B B

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korrigiert aus: Neues ? korrigiert aus: Dunkeln, korrigiert aus: da ? korrigiert aus: Wo ? korrigiert aus: gekratzt ? korrigiert aus: Nanana ! korrigiert aus: zoll--frei korrigiert aus: ist ? korrigiert aus: Wer ? korrigiert aus: die ! korrigiert aus: beschützt ! korrigiert aus: sagen ! korrigiert aus: sagen ? korrigiert aus: seits -die korrigiert aus: gibt,ist korrigiert aus: Leut ! korrigiert aus: Leut .

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SB Georg Marton, S. 48

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

(die Kirchenuhr schlägt) H UDETZ (zählt tonlos mit) - sechs. L ENI Schon wieder sechs. Die Stunden gehen -H UDETZ Ja. (er trinkt; dann gewollt desinteressiert , wie so nebenbei) Warum glaubens denn, dass das Fräulein Anna nicht mehr lebt? L ENI (sieht sich vorsichtig um und beugt sich ganz in seine Nähe; leise) Ich schwörs Ihnen zu, sie hat sich was angetan -얍 H UDETZ (starrt sie an) L ENI (fixiert ihn) Könnens das nicht begreifen, Herr Vorstand? H UDETZ (momentan verwirrt) Ich? Wieso? Was wollens damit sagen? L ENI (wie zuvor) Habens noch nichts gehört? H UDETZ Was? Was hab denn ich damit zu tun? So redens doch! L ENI Sie werden mir bös sein -H UDETZ Ich bin nicht bös. Los! L ENI (sieht sich wieder vorsichtig um; noch leiser, wie zuvor) Seit die arme Anna verschwunden ist, glauben ihr die Leut nicht mehr -- sie sagen sogar, Herr Vorstand wären sicher nicht so sehr traurig, wenn das Fräulein Anna nicht mehr reden könnt -H UDETZ (starrt sie an) L ENI Sie sagen, die Anna hat den Tod gesucht, weil sie keine Ruh mehr gefunden hat vor ihrer inneren Stimme. H UDETZ (wie zuvor) Innere Stimme? L ENI Die Leut glauben, dass unsere Anna falsch geschworen hat, einen Meineid, weil -- (sie stockt) H UDETZ (lauernd) Weil? L ENI Weil Sie, Herr Vorstand, das Signal nicht rechtzeitig gestellt haben sollen -(Stille) H UDETZ (lacht und wird plötzlich wieder ernst) (Stille) L ENI Was werdens jetzt tun, Herr Vorstand? H UDETZ Ich hab das Signal rechtzeitig gestellt. Ich war immer ein pflichtgetreuer Beamter -- (er trinkt) ENDARM (kommt von links; er ist sehr ernst) G 얍 L ENI Grüss Gott, Herr Inspektor! B

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SB Georg Marton, S. 49

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Lesetext

mit) - sechs.N ] desinteressiertN ] Blebt?N ] BVorstand?N ] BIch?N ] BWieso?N ] Bsagen?N ] Bgehört?N ] BWas?N ] Btun?N ] Bdoch!N ] BLos!N ] BStimme?N ] BWeil?N ] BVorstand?N ] BBeamter -- (erN ] BInspektor!N ] B B

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korrigiert aus: mit)-sechs. korrigiert aus: desinterssiert korrigiert aus: lebt ? korrigiert aus: Vorstand ? korrigiert aus: Ich ? korrigiert aus: Wieso ? korrigiert aus: sagen ? korrigiert aus: gehört ? korrigiert aus: Was ? korrigiert aus: tun ? korrigiert aus: doch ! korrigiert aus: Los ! korrigiert aus: Stimme ? korrigiert aus: Weil ? korrigiert aus: Vorstand ? korrigiert aus: Beamter--(er korrigiert aus: Inspektor !

162

SB Georg Marton, S. 50

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

G ENDARM Ist der Herr zuhaus? L ENI Ja. G ENDARM Ich muss ihn sprechen, sofort. L ENI (entsetzt) Um Gottes Willen, was ist denn passiert? G ENDARM Wir haben die Anna gefunden. Sie ist tot. L ENI Jesus Maria! (sie bekreuzigt sich) Sie hat sich also doch was angetan. G ENDARM Nein, sie hat sich nichts angetan. Sie ist ermordet worden. L ENI Ermordet -- -G ENDARM Wir verfolgen schon eine bestimmte Spur. Sie ist beim Viadukt gefunden worden, unten, und wir hatten Nachricht, dass sich lichtscheues Gesindel herumtreibt, Zigeuner -- (zu Hudetz) Mir scheint, ich habs auch Ihnen erzählt, Herr Vorstand -H UDETZ Stimmt. G ENDARM Das war in derselben Nacht, wo wir uns beim Viadukt getroffen haben, unten -H UDETZ Stimmt. G ENDARM Sagens, Herr Vorstand: haben Sie damals nicht irgendwas Verdächtiges bemerkt? H UDETZ Nein. G ENDARM Hm. (er sieht Hudetz gross an) Gottes Mühlen mahlen langsam -H UDETZ Ich hab keine Zigeuner gesehen . G ENDARM Sie wurde auch von keinem Zigeuner ermordet -- Wiedersehen , Herr Vorstand! 얍 H UDETZ Wiedersehen. G ENDARM (ab nach rechts) (Stille) L ENI (starrt ihn an) Sie waren damals beim Viadukt? H UDETZ Ja. (er erhebt sich) L ENI Sie gehen schon? H UDETZ Zahlen. L ENI (schreit ihn plötzlich an) Herr Vorstand! Was haben Sie beim Viadukt getan?! H UDETZ Ich? (er lächelt) Ich hab mich mit dem Fräulein Anna verlobt -- (er salutiert und rasch ab nach links) B

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zuhaus?N ] passiert?N ] BMaria! (sieN ] Bbemerkt?N ] BZigeuner gesehenN ] Bwurde auchN ] BWiedersehenN ] BVorstand!N ] BViadukt?N ] BJa.N ] Bschon?N ] BVorstand!N ] Bgetan?!N ] BIch?N ] B B

korrigiert aus: zuhaus ? korrigiert aus: passiert ? korrigiert aus: Maria ! (sie korrigiert aus: bemerkt ? korrigiert aus: Zigeuner gesehen korrigiert aus: wurdeauch korrigiert aus: -Wiedersehen korrigiert aus: Vorstand ! korrigiert aus: Viadukt ? korrigiert aus: Ja korrigiert aus: schon ? korrigiert aus: Vorstand ! korrigiert aus: getan ?! korrigiert aus: Ich ?

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SB Georg Marton, S. 51

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

Lesetext

(V O R H A N G) 얍

Sechstes Bild.

SB Georg Marton, S. 52

5

Drei Tage später, in der Drogerie. Im Hintergrund das Pult, im Vordergrund links ein kleiner Tisch und zwei Stühle. Rechts die Eingangstüre und ein Teil der Auslage von innen, links führt eine Tapetentüre in die Privatwohnung. Es ist spät am Nachmittag, kurz vor Ladenschluss. B

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F RAU L EIMGRUBER Es kann Ihnen wirklich leid tun, dass Sie nicht bei dem Begräbnis waren von dem armen Kind, es war wirklich grossartig! Von weit und breit waren die Leut da, noch mehr, wie damals bei der Eisenbahnkatastrophe, sogar Zeitungsleut, und das Grab ist abphotographiert worden für die Illustrierte Volksstimme von allen Windrichtungen! Und Blumen hats gegeben -- eine wahre Pracht! Sie haben wirklich was versäumt, ich kanns zwar lebhaft nachfühlen, dass Sie dem letzten Gang unseres armen Annerl nicht beiwohnen wollten, wo doch Ihr ehemaliger Schwager -- versteh - versteh! Taktgefühl, Taktgefühl! Herr was treibens denn da?! Nein, das Paket ist mir viel zu gross, machens mir lieber zwei. A LFONS Wie Sie wünschen -F RAU L EIMGRUBER Ich bitte darum, wissens, der Vater, der ärmste, schmerzgebeugte, war sehr gefasst, aber der Bräutigam, der Ferdinand, also der war ganz zusammengebrochen, ein einziges Trumm von einer Ruine -- Die Tränen sind ihm so heruntergelaufen, es war zum Herzerbarmen! Jaja, man sollte gar nicht meinen, wieviel zartes Gefühl in so einem rauhen Lackl von einem Fleischhauer stecken kann, und umgekehrt! Ich sags ja: grad in dem wildesten Mann pocht oft nur ein Kinderherz -- Armes Annerl! Jetzt bist eingraben und liegst allein, jetzt deckt dich niemand mehr zu, wenns regnet. Da schauns, das sind ihre Sterbebildchen, zur Erinnerung an den Todestag -- da ich schenk Ihnen eins, ich hab eh eine ganze Mass -- -- (sie legt eins auf das Pult) A LFONS (sieht nicht hin) Danke, Frau Leimgruber. (Stille) 얍 F RAU L EIMGRUBER Und wie gehts der verehrten Frau Schwester? Das werte Befinden? A LFONS (lächelt) Es geht so -B

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später, inN ] grossartig!N ] BWindrichtungen!N ] BPracht!N ] BAnnerl nichtN ] Bversteh!N ] BTaktgefühl!N ] Bda?!N ] BHerzerbarmen!N ] Bumgekehrt!N ] BKinderherz --N ] BAnnerl!N ] BSchwester?N ] BBefinden?N ] B B

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korrigiert aus: später,in korrigiert aus: grossartig ! korrigiert aus: Windrichtungen ! korrigiert aus: Pracht ! korrigiert aus: Annerl nicht korrigiert aus: versteh ! korrigiert aus: Taktgefühl ! korrigiert aus: da ?! korrigiert aus: Herzerbarmen ! korrigiert aus: umgekehrt ! korrigiert aus: Kinderherzkorrigiert aus: Annerl ! korrigiert aus: Schwester ? korrigiert aus: Befinden ?

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SB Georg Marton, S. 53

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

F RAU L EIMGRUBER Natürlich-natürlich! Sie hat ja auch viel Aufregerei hinter sich, aber ich an ihrer Stell wär froh, dass er nicht mich umgebracht hat -- wär ja auch möglich gewesen! Ich hab mir heut während der ganzen Trauerzeremonie gedacht: es muss doch eine gewaltige Genugtuung für Sie sein, dass dieser saubere Vorstand verfolgt wird, dieser Hudetz, dieser Schwerverbrecher -- hoffentlich erwischens ihn bald! Wissens, ich freu mich aufrichtig, dass das Eis um Sie gebrochen ist, alles spricht voller Ehrerbietung von Ihnen und Ihrer unglücklichen Frau Schwester, als tät sogar ein jeder ein bisserl Reue verspüren -A LFONS Reue hat noch keiner bereut. Aber ich möcht jetzt nur eines konstatieren: Genugtuung empfind ich nicht. Mir wärs lieber, diese schreckliche Tat wär niemals verbrochen worden. F RAU L EIMGRUBER Geh-geh-geh! Also das ist schon wieder zu edel! Passens nur auf, dass Sie am End nicht zu grossartig werden, denn dann werdens wieder antipathisch! A LFONS Ich sag nur meine innerste Überzeugung. F RAU L EIMGRUBER Die Wahrheit liegt wo anders. A LFONS Meine Schwester ist angespuckt worden, weil sie die Wahrheit gesagt hat. F RAU L EIMGRUBER Das war eben ein Irrtum, ein krasser! Aber in dieser Thomas Hudetz-Affäre, da gibts keine Irrtümer, das sag ich Ihnen, ich, Leopoldine Leimgruber! Dieser Hudetz hat unser armes Annerl verführt einen Meineid zu schwören, es war sein verbrecherischer Einfluss und sonst nichts, aber wie sie dann zusammengebrochen ist unter ihrer schweren Schuld und hat reuig alles bekennen wollen, da hat er sie eben einfach umgebracht -- und auch nicht sie hat ihm einen Kuss gegeben, seinerzeit am Bahnhof, sondern er hat ihr, und auch keinen Kuss, sondern vergewaltigen hat er sie wollen, in seinem Dienstzimmer, dabei ist sie auf den Signalhebel gefallen -얍 A LFONS (unterbricht sie empört) Woher wollens denn das wissen? Waren Sie dabei? F RAU L EIMGRUBER Erlaubens mal! A LFONS Ich vertrags nicht! Ich sag sogar: solang es nicht sonnenklar bewiesen ist, dass er der Mörder ist, solang er es nicht selber gesteht, freiwillig gesteht, solang glaub ich überhaupt an keine Schuld! F RAU L EIMGRUBER Mir scheint, Sie glauben an überhaupt nichts mehr?! An keinen Herrgott im Himmel und an garnichts! B

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Natürlich-natürlich!N ] gewesen!N ] Bbald!N ] BGeh-geh-geh!N ] Bedel!N ] Bantipathisch!N ] Bkrasser!N ] BIrrtümer, dasN ] Bumgebracht --N ] Bdabei?N ] Bmal!N ] Bnicht!N ] Bgesteht, freiwilligN ] BSchuld!N ] Bmehr?!N ] Bgarnichts!N ] B B

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korrigiert aus: Natürlich-natürlich ! korrigiert aus: gewesen ! korrigiert aus: bald ! korrigiert aus: Geh-geh-geh ! korrigiert aus: edel ! korrigiert aus: antipathisch ! korrigiert aus: krasser ! korrigiert aus: Irrtümer,das korrigiert aus: umgebracht-korrigiert aus: dabei ? korrigiert aus: mal ! korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: gesteht,freiwillig korrigiert aus: Schuld ! korrigiert aus: mehr ?! korrigiert aus: garnichts !

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SB Georg Marton, S. 54

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

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A LFONS Von Ihnen werd ichs mir sagen lassen, wo der liebe Gott wohnt, was? Der Hudetz ist noch lang nicht der Schlechteste, merkens Ihnen das, Frau Leimgruber! F RAU L EIMGRUBER (sehr spitz) Ah, hier wird man mit Mördern verglichen? A LFONS Erinnerns Ihnen nur, wie er mich in Schutz genommen hat, als ihr mich verprügeln wolltet! F RAU L EIMGRUBER (gehässig) Vielleicht wärs besser gewesen, wenn er Sie nicht beschützt hätt! Meiner Seel, mit Ihnen kann man wirklich nicht anständig verkehren -- es geht und geht nicht! (sie reisst ihm ihre beiden Pakete aus der Hand und rasch ab nach rechts) A LFONS (allein; er lächelt still und hält sich die Hand vor die Augen) (die Kirchturmuhr schlägt siebenmal) A LFONS (sieht auf seine Taschenuhr) Schluss. Wieder ein Tag -- (langsam ab durch die Eingangstüre; man hört, wie er draussen den eisernen Rollladen der Auslage herunterzieht) F RAU H UDETZ (kommt durch die Tapetentüre mit dem Abendessen auf einem Tablett; sie deckt den kleinen Tisch) A LFONS (erscheint wieder in der Eingangstüre und schliesst sie von innen ab; dann setzt er sich an den kleinen Tisch und isst) 얍 F RAU H UDETZ (hat sich auch bereits gesetzt und zu essen begonnen; plötzlich ) Du hast Dich wieder mit der Kundschaft unterhalten, über ihn? A LFONS Ja. F RAU H UDETZ Ich habs bis in die Küche gehört, zwar nicht alles, aber Du hast ihn wieder in Schutz genommen? A LFONS Ja. (Stille) F RAU H UDETZ Sag: könnten wir eigentlich nicht drüben im Zimmer essen? Hier riechts immer so nach Chemikalien. A LFONS Dann müssten wir das Zimmer heizen. F RAU H UDETZ (lächelt etwas spitz) Ich habe nie gewusst, dass Du ein geiziger Mensch bist -A LFONS Wenn ich nicht geizig wäre, könntest Du nicht ans Meer fahren. (Stille) F RAU H UDETZ Dann essen wir ab morgen in der Küche. A LFONS Ich hab zwar noch nie in der Küche gegessen, aber bitte! (Stille) F RAU H UDETZ Schmeckts? B

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was?N ] Leimgruber!N ] Bverglichen?N ] Bverprügeln wolltet!N ] Bnicht!N ] BTablett; sieN ] Bbegonnen; plötzlichN ] Bihn?N ] Bgenommen?N ] Bessen?N ] Bwäre, könntestN ] Bbitte!N ] BSchmeckts?N ] B B

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korrigiert aus: was ? korrigiert aus: Leimgruber ! korrigiert aus: verglichen ? korrigiert aus: verprügelt wolltet ! korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: Tablett;sie korrigiert aus: begonnen;plötzlich korrigiert aus: ihn ? korrigiert aus: genommen ? korrigiert aus: essen ? korrigiert aus: wäre,könntest korrigiert aus: bitte ! korrigiert aus: Schmeckts ?

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SB Georg Marton, S. 55

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

A LFONS Ja. (Stille) F RAU H UDETZ Was willst Du morgen essen? A LFONS Was Du mir kochst. F RAU H UDETZ (hört plötzlich auf zu essen und legt Messer und Gabel neben ihren Teller) Manchmal frag ich mich für welche Verbrechen wir büssen müssen -A LFONS Für unsere eigenen. F RAU H UDETZ Nein, ich hab keine -A LFONS Doch. F RAU H UDETZ Ich bin mir keines Verbrechens bewusst. 얍 A LFONS Das hat nichts zu sagen. Du wirst es halt vergessen haben -F RAU H UDETZ (spitz) Meinst Du? A LFONS Es ist meine innerste Überzeugung. F RAU H UDETZ Die Wahrheit liegt wo anders. A LFONS Du sprichst wie die Frau Leimgruber -F RAU H UDETZ (sehr spitz) Ah, hier wird man mit Verleumderinnen verglichen -A LFONS (lächelt) Die Leimgruber, die Leimgruber! F RAU H UDETZ (fixiert ihn kalt, zuckt dann die Schultern) Ich bin unschuldig. A LFONS Unschuldig?! (er lacht) F RAU H UDETZ (herrscht ihn an) Lach nicht! Sag mir ein Verbrechen, ein einziges meiner Verbrechen! A LFONS (erhebt sich und geht auf und ab) Ich erinnere mich, wie Du mir gesagt hast, der Thomas will nichts mehr von mir, aber dann soll er auch keine andere anschauen, keine! Dazu hast Du kein Recht gehabt, das war ein Verbrechen! F RAU H UDETZ (höhnisch) Für dieses Verbrechen übernehm ich die Verantwortung! A LFONS Dann schrei nicht, wenn Du bestraft wirst! Klag nicht an, dass Du verfolgt wirst! Du warst um dreizehn Jahr älter, Du musstest es wissen und fühlen -- aber Du hast seine Liebe erpressen wollen, jawohl, erpressen! F RAU H UDETZ Bell nur. Was weisst Du von uns Frauen! Dich mag ja keine -A LFONS (fixiert sie) Hast Du gesagt: „ich hass ihn, jawohl ich hasse ihn und ich könnt ihn, wenn er neben mir liegt in der Nacht, erschlagen“ -- (er fährt sie an) Hast Du das gesagt? Ja oder nein?! F RAU H UDETZ (unheimlich ruhig) Ja. Aber ich hab ihn doch nicht erschlagen -- (sie grinst) 얍 A LFONS Vielleicht. (Stille) B

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essen?N ] Du?N ] BLeimgruber!N ] BUnschuldig?!N ] BVerbrechen!N ] Bkeine!N ] BVerbrechen!N ] BVerantwortung!N ] Bwirst!N ] Bjawohl, erpressen!N ] BFrauen!N ] Berschlagen“ --N ] Bgesagt?N ] B

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korrigiert aus: essen ? korrigiert aus: Du ? korrigiert aus: Leimgruber ! korrigiert aus: Unschuldig ?! korrigiert aus: Verbrechen ! korrigiert aus: keine ! korrigiert aus: Verbrechen ! korrigiert aus: Verantwortung ! korrigiert aus: wirst ! korrigiert aus: jawohl; erpressen/! korrigiert aus: Frauen ! korrigiert aus: erschlagen“-korrigiert aus: gesagt ?

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SB Georg Marton, S. 57

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

F RAU H UDETZ Du tust ja direkt, als hätt ich das Signal verpasst, als wären durch mich achtzehn Personen umgekommen -A LFONS (fällt ihr ins Wort) Das hängt alles zusammen. F RAU H UDETZ (schreit ihn plötzlich an) Hab denn vielleicht auch ich das Mädel, die Anna?! (es klopft an der Eingangstüre) D IE Z WEI (zucken zusammen und lauschen) F RAU H UDETZ (bange) Wer klopft da? (Es klopft abermals) A LFONS (wendet sich der Eingangstüre zu) Werden sehen -F RAU H UDETZ Gib acht, Alfons! A LFONS (öffnet die Eingangstüre und schreckt etwas zurück; unterdrückt) Du bists? H UDETZ (tritt ein in zerknüllter Uniform, ohne Kappe) F RAU H UDETZ (schreit unterdrückt auf) Thomas! A LFONS (schliesst rasch die Eingangstüre) H UDETZ (beachtet die beiden nicht, geht langsam an den kleinen Tisch, betrachtet die Reste, nimmt langsam eine Semmel und isst apathisch) D IE Z WEI (starren ihn an) H UDETZ (hört auf zu essen, blickt die Beiden an und lächelt) Wie gehts Euch? F RAU H UDETZ Thomas hast Du den Verstand verloren?! H UDETZ (herrscht sie an) Ruhe! Schrei nicht! (er sieht sich misstrauisch um) A LFONS Du wirst verfolgt? H UDETZ (grinst) Natürlich. (Stille) 얍 A LFONS Was willst Du von uns? H UDETZ Ich hab mich bis heut im Wald versteckt und bin jetzt heimlich her -(er grinst) Fürchtet Euch nicht! Es hat mich keiner gesehen -- (er wird wieder ernst: sachlich ) Ich brauch einen Anzug. Zivil. Ich muss nämlich fort und das geht nicht in Uniform. (Stille) H UDETZ Also: bekomm ich den Anzug oder nicht? B

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umgekommen --N ] Anna?!N ] BderN ] Bda?N ] Bsehen --N ] BAlfons!N ] Bbists?N ] BThomas!N ] Bund isstN ] BEuch?N ] Bverloren?!N ] BRuhe!N ] Bnicht!N ] Bverfolgt?N ] Buns?N ] Bnicht!N ] Bernst: sachlichN ] Bnicht?N ] B B

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korrigiert aus: umgekommen --korrigiert aus: Anna ?! korrigiert aus: die korrigiert aus: da ? korrigiert aus: sehen-korrigiert aus: Alfons ! korrigiert aus: bists ? korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: und isst korrigiert aus: Euch ? korrigiert aus: verloren ?! korrigiert aus: Ruhe ! korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: verfolgt ? korrigiert aus: uns ? korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: ernst:sachlich korrigiert aus: nicht ?

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SB Georg Marton, S. 58

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K4/TS5 (Grundschicht)

F RAU H UDETZ (fährt ihn an) Was ziehst Du uns da hinein zu Dir?! Das wär ja Vorschubleistung! Lass meinen Bruder aus dem Spiel, Du hast mich genug gequält! Lass uns unseren Frieden! H UDETZ (grinst wieder) Habt ihr Frieden? (Stille) A LFONS Wir trachten nach Frieden. Und trachten guten Willens zu sein. H UDETZ Du vielleicht schon -A LFONS (herrscht ihn an) Hör auf mit diesem Ton! Geh lieber in Dich! (Stille) H UDETZ (grinst) Wohin soll ich gehen? In mich hinein? Was tät ich denn da finden? A LFONS Schau nach. H UDETZ (horcht auf und grinst nicht mehr) (Stille) H UDETZ Es ist alles umzingelt mit Gendarmerie und Militär. Aber ich komm durch. Ich trete die Strafe nicht an. Ich berufe, denn ich kann nichts dafür. A LFONS Meinst Du? H UDETZ Ich bin unschuldig. F RAU H UDETZ (lacht histerisch ) Die Frau Leimgruber, die Frau Leimgruber! 얍 H UDETZ Lach nicht! F RAU H UDETZ Aber das ist ja auch zu komisch -- (sie setzt sich an den kleinen Tisch, beugt sich über die Tischplatte und weint) H UDETZ (zu Alfons) Was hat sie denn? (Stille) A LFONS Thomas -- Ich wollt es eigentlich nicht glauben -H UDETZ Was? -- Ach so! -- Ja, da hilft Dir nichts, Du musst es glauben. Ich hab mich mit der Anna „ verlobt“. F RAU H UDETZ (entsetzt) Verlobt?! H UDETZ (nickt ja) Beim Viadukt. Hm -- (er lächelt) Ich hab sie gepackt und geschüttelt, aber sie war nicht mehr da -- ich hab noch nach ihr gerufen, aber sie gab keinen Laut mehr von sich. Dann bin ich nach Haus und hab mich niedergelegt -Ich hab plötzlich wieder schlafen können, seit vier Monaten, wie ein pflichtgetreuer Beamter -- (er lächelt) Na. (er denkt nach und fasst sich langsam an den Kopf) Ja, und dann hätt ich Euch noch was zu fragen: ich weiss, dass ich sie umB

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Dir?!N ] Frieden!N ] BFrieden?N ] BDich!N ] Bgehen?N ] Bfinden?N ] BDu?N ] BhisterischN ] BLeimgruber!N ] Bnicht!N ] Bdenn?N ] BWas?N ] Bso!N ] Bverlobt“.N ] BVerlobt?!N ] Bniedergelegt --N ] B B

korrigiert aus: Dir ?! korrigiert aus: Frieden ! korrigiert aus: Frieden ? korrigiert aus: Dich ! korrigiert aus: gehen ? korrigiert aus: finden ? korrigiert aus: Du ? gemeint ist: hysterisch korrigiert aus: Leimgruber korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: denn ? korrigiert aus: Was ? korrigiert aus: so ! korrigiert aus: Verlobt“ korrigiert aus: Verlobt ?! korrigiert aus: niedergelegt-

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SB Georg Marton, S. 59

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

gebracht hab, aber ich weiss nicht, wie, -- wie? (er blickt auf Alfons und Frau Hudetz) Wie hab ich sie denn nur? D IE Z WEI (starren ihn entgeistert an) H UDETZ Habt ihrs denn nicht in der Zeitung gelesen? A LFONS Nein, wir wollen nichts darüber lesen. H UDETZ Wenn ich das nur wüsst -A LFONS Was wär dann? H UDETZ Dann -- ja, dann würd ich mich kennen, besser kennen -(Stille) H UDETZ (zu Frau Hudetz) Weisst Du, dass ich Dich immer verteidigt hab? F RAU H UDETZ Ja. Aber dafür hast Du auch immer an eine Andere gedacht, wenn Du bei mir warst -얍 H UDETZ (nickt ihr lächelnd zu) An meine Verlobte -F RAU H UDETZ Ach Thomas! Reden wir nicht mehr darüber, ich bin so müd! H UDETZ Ich auch. Aber ich muss noch weit weg -A LFONS (zu Frau Hudetz) Bring ihm meinen grauen Anzug. So geh schon! F RAU H UDETZ (zu Alfons) Er bringt Dich noch ins Unglück! A LFONS Geh! F RAU H UDETZ (ab durch die Tapetentüre) (Stille) H UDETZ Jemand hat mir mal gesagt: „Sie wurden freigesprochen, mein Herr, und Sie werden noch etwas Grosses verbrechen müssen, um bestraft werden zu können“ -- (er hält die Hand vor die Augen) Wer hat denn das nur gesagt -- wer? A LFONS Wars nicht die Anna? H UDETZ (zuckt zusammen und starrt Alfons erstaunt an) Ja. Woher weisst Du denn das? A LFONS (lächelt) Ich war nicht dabei -(Stille) H UDETZ (fixiert Alfons) Nicht dabei? Ich auch nicht -- (er lächelt und entdeckt auf dem Pult das Sterbebildchen) Was ist denn das? (er liest) „Zur frommen Erinnerung an die ehrengeachtete Jungfrau Anna Lechner Gastwirtstochter dahier“ -(zu Alfons) Wars ein schönes Begräbnis? A LFONS Ja. B

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Lesetext

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wie?N ] nur?N ] Bgelesen?N ] Bdann?N ] Bhab?N ] Bmüd!N ] Bschon!N ] BUnglück!N ] BGeh!N ] Bwer?N ] BAnna?N ] Bdas?N ] Bdabei?N ] Bdas?N ] BBegräbnis?N ] BJa.N ] B B

N

korrigiert aus: wie ? korrigiert aus: nur ? korrigiert aus: gelesen ? korrigiert aus: dann ? korrigiert aus: hab ? korrigiert aus: müd ! korrigiert aus: schon ! korrigiert aus: Unglück ! korrigiert aus: Geh ! korrigiert aus: wer ? korrigiert aus: Anna ? korrigiert aus: das ? korrigiert aus: dabei ? korrigiert aus: das ? korrigiert aus: Begräbnis ? korrigiert aus: Ja,

170

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SB Georg Marton, S. 60

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

H UDETZ (lächelt leise glücklich und betrachtet noch weiter das Sterbebildchen; wird ernst und liest, als würd er es nur sich vorlesen) „Halte still, Du Wandersmann Und sieh Dir meine Wunden an Die Stunden gehn Die Wunden stehn Nimm Dich in Acht und hüte Dich 얍 Was ich am jüngsten Tag für Dich Für ein Urteil sprich“ -- -F RAU H UDETZ (kommt mit dem grauen Anzug und legt ihn auf einen Stuhl) F RAU H UDETZ (zu Hudetz, der nachdenkt) Geh jetzt, Thomas -H UDETZ (wie zu sich selbst) Ja -- (er wendet sich der Eingangstüre zu) F RAU H UDETZ Und der Anzug? H UDETZ (blickt auf den Anzug und sieht dann die Zwei gross an; er lächelt) Danke, nein -- (ab durch die Eingangstüre) B

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SB Georg Marton, S. 61

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(V O R H A N G) 20



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Siebentes Bild. Auf dem Bahndamm wo seinerzeit der Eilzug vierhundertfünf mit einem Güterzug zusammengestossen ist. Es ist tiefe Nacht und das Signal steht grün auf freie Fahrt. Von rechts kommt der Gendarm mit aufgepflanztem Bajonett, gefolgt vom Wirt und von Ferdinand, die sich mit ihren Jagdgewehren bewaffnet haben. Sie gehen nach links. B

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W IRT (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis) Dort ist doch einer -- Hallo! Wer da?! (Stille) G ENDARM Nichts. Das ist oft nur die Nacht, die man hört. W IRT (grimmig) Der wird uns noch entkommen -G ENDARM Das wird er nicht, garantiert! Die ganze Umgebung ist alarmiert, alles ist umzingelt. F ERDINAND (schluchzt plötzlich rührselig) Oh mein Annerl, liebes armes Annerl -wo bist wohl jetzt? G ENDARM Im Paradies. F ERDINAND Was hat man davon -- (er holt eine Flasche hervor und sauft) B

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2 13 15 25 30 31 35 35–36 38

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SB Georg Marton, S. 62

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vorlesen)N ] Anzug?N ] BneinN ] BzusammengestossenN ] BHallo!N ] Bda?!N ] Bgarantiert!N ] Balles istN ] Bjetzt?N ] B B

korrigiert aus: vorlesen. korrigiert aus: Anzug ? korrigiert aus: Nein gemeint ist: zusammengestoßen korrigiert aus: Hallo ! korrigiert aus: da ?! korrigiert aus: garantiert ! korrigiert aus: alles ist korrigiert aus: jetzt ?

171

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Endfassung

5

K4/TS5 (Grundschicht)

W IRT (unterdrückt) Sauf nicht so viel. F ERDINAND Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften -Ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter -W IRT Ermann Dich! F ERDINAND (herrscht den Wirt an) Ich ermann mich nicht: Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus! (Er trinkt wieder) A LFONS (kommt von rechts, erblickt die Drei und hält) D IE D REI (erblicken ihn und starren ihn entgeistert an) 얍 A LFONS Guten Abend. (Stille) W IRT (findet als Erster seine Sprache wieder) Du, Du traust Dich mir vor meine Augen -A LFONS (fällt ihm ins Wort) Ja. (zum Gendarmen) Herr Inspektor, ich suche Sie. G ENDARM Wo steckt Ihr Schwager? A LFONS (lächelt etwas unsicher) Ach, Ihr wisst es bereits -G ENDARM (perplex) Was denn? W IRT Wie der lächelt -- (er starrt Alfons gehässig an) A LFONS Ja, mein Schwager Thomas Hudetz ist heut Abend bei mir erschienen -F ERDINAND (fällt ihm ins Wort) Erschienen?! A LFONS Unerwartet. W IRT (höhnisch) Unerwartet! A LFONS Ja. (zum Gendarmen) Er kam zu mir und verlangte einen anderen Anzug -G ENDARM (fällt ihm scharf ins Wort) Und Sie? Sie haben ihm einen anderen Anzug gegeben, was? A LFONS (nach einer kleinen Pause) Er hat es sich selbst wieder überlegt -- (er lächelt) Ja, er verzichtete. Und ich Herr Inspektor, hab es mir auch überlegt, ob man es melden soll, dass er zu mir um Hilfe gekommen ist, aber ich glaube man muss es melden -- auch in seinem Interesse. F ERDINAND Der hat kein Interesse, merk Dir das! W IRT Wo steckt er denn, der Herr Schwager?! Wo ist er denn hin, unser geliebter Herr Vorstand?! A LFONS Wie er mich vorhin verlassen hat, bin ich ihm gleich nach -- aber dann hab ich ihn aus den Augen verloren -- -- Er ging den Weg zum Viadukt. 얍 W IRT Zum Viadukt? (er fasst sich ans Herz) B

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Dich!N ] an) IchN ] BSchwager?N ] Bdenn?N ] BErschienen?!N ] BUnerwartet.N ] BUnerwartet!N ] BSie?N ] Bwas?N ] BHerrN ] Bdas!N ] BSchwager?N ] BVorstand?!N ] BViadukt?N ] B B

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SB Georg Marton, S. 63

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Lesetext

N

korrigiert aus: Dich ! korrigiert aus: an) Ich korrigiert aus: Schwager ? korrigiert aus: denn ? korrigiert aus: Erschienen ?! korrigiert aus: Unerwartet korrigiert aus: Unerwartet ! korrigiert aus: Sie ? korrigiert aus: was ?

[{ }] |Herr| korrigiert aus: das ! korrigiert aus: Schwager ? korrigiert aus: Vorstand ?! korrigiert aus: Viadukt ?

172

SB Georg Marton, S. 64

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

Lesetext

A LFONS Ja. Gott steh ihm bei. (Stille) A LFONS Wirds Euch jetzt klar, warum er den anderen Anzug nicht nahm? G ENDARM Warum? A LFONS Ein Viadukt ist zumeist sehr hoch -- (er lächelt seltsam) (Stille) G ENDARM Ach, Sie meinen, dass er hinunterspringt? F ERDINAND Hinunter? A LFONS Ich fürchte, dass er sich selbst richtet -W IRT Sich selbst richtet?! Also das gibts nicht! Das lass ich nicht zu! Das wär ja zu einfach! Was bild sich denn der ein?! Mein Kind erschlagen, mein einziges Kind, und dann einfach sich selbst -- ?! Ah, das wär zu bequem! F ERDINAND Eingesperrt gehört er und geköpft! Kopf ab, Kopf ab! G ENDARM Ein korrektes Gerichtsverfahren -W IRT (fällt ihm ins Wort) Den hol ich mir jetzt! Zum Viadukt! (rasch ab nach links) F ERDINAND Ich hol ihn auch -- los, Herr Inspektor! (zu Alfons) Und Du geh schlafen! (rasch ab nach links) A LFONS Nein. Ich hol ihn auch. Er soll sich der irdischen Gerechtigkeit nicht entziehen. G ENDARM Bravo! (ab mit Alfons nach links) P OKORNY (ein seliger Lokomotivführer, tritt aus der Finsternis vor und raucht eine Virginia; er blickt Alfons nach und grinst) Idiot, mit Deiner irdischen Gerechtigkeit -(Das Signal läutet und wechselt auf rot) (Ein Streckengeher erscheint auf dem Bahndamm; er trägt eine Lampe auf der Brust und man kann sein Gesicht nicht erkennen) 얍 P OKORNY (leise) Servus, Kreitmayer! S TRECKENGEHER (hält; er hat eine sanfte Stimme) Meine Hochachtung, Herr Lokomotivführer! P OKORNY Wo steckt er denn? S TRECKENGEHER Beim Viadukt. B

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nahm?N ] Warum?N ] Bhinunterspringt?N ] BHinunter?N ] Brichtet?!N ] BbildN ] Bein?!N ] Bselbst --N ] Bbequem!N ] Bgeköpft!N ] Bab f ab!N ] Bjetzt!N ] BViadukt!N ] BInspektor!N ] BUndN ] BnichtN ] BBravo!N ] BBahndamm; erN ] BGesichtN ] BKreitmayer!N ] BLokomotivführer!N ] Bdenn?N ] B B

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korrigiert aus: nahm ? korrigiert aus: Warum ? korrigiert aus: hinunterspringt ? korrigiert aus: Hinunter ? korrigiert aus: richtet ?! gemeint ist: bildt korrigiert aus: ein ?! korrigiert aus: selbst--korrigiert aus: bequem ! korrigiert aus: geköpft ! korrigiert aus: ab,Kopf ab ! korrigiert aus: jetzt ! korrigiert aus: Viadukt korrigiert aus: Inspektor ! korrigiert aus: und korrigiert aus: nit (vgl. K4/TS2/A1/BS 10 d [5], Bl. 6) korrigiert aus: Bravo korrigiert aus: Bahndamm;er korrigiert aus: -Gesicht korrigiert aus: Kreitmayer ! korrigiert aus: Lokomotivführer ! korrigiert aus: denn ?

173

SB Georg Marton, S. 65

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

P OKORNY Ist er schon hinunter? S TRECKENGEHER Nein. Mir scheint, er hat Angst -P OKORNY Angst? Man müsst halt doch noch mit ihm reden -S TRECKENGEHER (ängstlich) Tuns das nicht! P OKORNY Und ob ichs tu! Und wenns mich tausend Jahre kostet -- das ist es mir wert! Hast denn Du nicht auch dran glauben müssen?! Warst denn Du nicht auch im Zug?! Erinnere Dich nur, wie wir erwacht sind und es blieb immer Nacht! S TRECKENGEHER Das schon. P OKORNY Na also! Hoffentlich werdens ihn nicht verhaften, bevor er noch dazu kommt -S TRECKENGEHER (unterbricht ihn) Still! (er lauscht) P OKORNY (lauscht auch) Ich hör ihn -S TRECKENGEHER Er kommt. (Stille) P OKORNY Er denkt, ein Viadukt ist zwar sehr hoch, aber vielleicht ist man doch nicht gleich hin -S TRECKENGEHER Er denkt: ich werf mich lieber vor den Zug -P OKORNY (grinst) Sicher ist sicher. H UDETZ (kommt langsam von links) S TRECKENGEHER (richtet den Lichtstrahl seiner Lampe auf Hudetz) H UDETZ (erschrickt sehr und hält) S TRECKENGEHER Guten Abend, Herr Vorstand! 얍 H UDETZ (starrt ihn entgeistert an) S TRECKENGEHER Ich seh nur nach, ob alles in Ordnung ist auf der Strecke -H UDETZ (erblickt Pokorny und will rasch ab) P OKORNY Halt! H UDETZ (hält) S TRECKENGEHER Aber Herr Vorstand, der Herr Pokorny möcht doch nur reden mit Ihnen -P OKORNY (verbeugt sich leicht) Lokomotivführer Pokorny. S TRECKENGEHER Bleibens nur da, wir verraten Sie nicht. H UDETZ (bange) Wer spricht da mit mir? P OKORNY Ich führte den Eilzug vierhundertfünf, der damals hier zusammengestossen ist -- Was glotzens mich denn so an? Meinens, man könnt mit einem Toten nicht reden? Man kann schon, aber nur wenn der Tote möcht -- (er lacht kurz) B

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hinunter?N ] Angst?N ] Breden --N ] Bnicht!N ] Bmüssen?!N ] BZug?!N ] BNacht!N ] Balso!N ] BVorstand!N ] BHalt!N ] Bmir?N ] BzusammengestossenN ] Ban?N ] B B

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Lesetext

B

korrigiert aus: hinunter ? korrigiert aus: Angst ? korrigiert aus: reden-korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: müssen ?! korrigiert aus: Zug ?! korrigiert aus: Nacht ! korrigiert aus: also ! korrigiert aus: Vorstand ! korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: mir ? gemeint ist: zusammengestoßen korrigiert aus: an ?

174

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SB Georg Marton, S. 66

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

S TRECKENGEHER (lächelt) Gelt da wirds Ihnen ganz anders -H UDETZ (schreit plötzlich den Streckengeher an) Tuns die Lampe weg, damit ich das Gesicht seh! S TRECKENGEHER (seelenruhig) Ich hab kein Gesicht. (Jetzt weht der Wind und es klingt wie Posaunen in weiter Ferne) H UDETZ (horcht auf) P OKORNY (zum Streckengeher; heiter jedoch nicht ohne Hinterlist) Schau nur die Angst -- er hätt zwar auch allen Grund dazu, denn wer ist denn schuld, dass ich nimmer bin -H UDETZ (fällt ihm ins Wort) Ich nicht! (Stille) P OKORNY ( nähert sich Hudetz) Also, Du willst Dich der irdischen Gerechtigkeit entziehen -- Recht hast! Was hättest auch von Deinem Leben? Lebenslänglich im besten Fall! (Stille) 얍 H UDETZ Was Du sagst, das sind auch meine Gedanken -- aber ich geh noch etwas weiter darüber hinaus. P OKORNY (perplex) Darüber hinaus? H UDETZ Ja. Ich bin nämlich eigentlich unschuldig -- und wenn ich vor Gericht gestellt werden soll, dann möcht ich aber gleich vor die höchste Instanz. Wenn es einen lieben Gott gibt, der wird mich schon verstehen -P OKORNY (grinst) Sicher. (Jetzt weht wieder der Wind wie zuvor) H UDETZ (horcht unangenehm berührt wieder auf) A NNA (kommt langsam von rechts und hält) H UDETZ (erblickt sie; entsetzt) Anna! (Stille) A NNA (sieht Hudetz gross an) Herr Vorstand haben ein Signal -P OKORNY (unterbricht sie) Daran waren Sie schuld, Fräulein, Sie und nur Sie! S TRECKENGEHER Ist das auch wahr? A NNA (als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen) Er hat das Signal vergessen, weil ich ihm einen Kuss gegeben hab, aber ich hätt ihm nie einen Kuss gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätte , die er nie geliebt -P OKORNY (unterbricht sie wieder) Was soll das? A NNA (sieht Hudetz gross an) Ich kann nicht mehr lügen -H UDETZ (herrscht sie plötzlich an) Hab denn ich das Lügen erfunden? (Stille) B

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seh!N ] nicht!N ] BnähertN ] Bhast!N ] BLeben?N ] Bhinaus?N ] BAnna!N ] BSie!N ] Bwahr?N ] BhätteN ] Bdas?N ] Berfunden?N ] B B

korrigiert aus: seh ! korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: Nähert korrigiert aus: hast ! korrigiert aus: Leben ? korrigiert aus: hinaus ? korrigiert aus: Anna ! korrigiert aus: Sie ! korrigiert aus: wahr ? korrigiert aus: -hätte korrigiert aus: das ? korrigiert aus: erfunden ?

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SB Georg Marton, S. 67

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

A NNA (lässt Hudetz nicht aus den Augen) Erinnerst Du Dich, dass ich Dich beim Viadukt gefragt hab: „Erkennst mich wieder? “ H UDETZ (leise) Ja. 얍 A NNA Du hast mich wieder erkannt. H UDETZ (unsicher) Das weiss ich nicht. A NNA Aber ich. Denn Du hast mich genau so umarmt, wie damals. H UDETZ Wie wann? A NNA Wie damals, da wir fortgingen. Der Himmel war wie ein strenger Engel, wir hörten die Worte und hatten Angst, sie zu verstehen -- oh, so Angst -- -- es waren schwere Zeiten, erinnerst Du Dich? Im Schweisse unseres Angesichts -H UDETZ ( unterbricht sie) Du warst schuld! Wer hat denn zu mir gesagt: „Nimm! Nimm!“ A NNA Ich. H UDETZ Und was hab ich getan? A NNA (lächelt) Oh, wie oft hast Du mich schon erschlagen und wie oft wirst Du mich noch erschlagen -- es tut mir schon garnicht mehr weh -H UDETZ Tuts Dir wohl? A NNA (schrickt zusammen und starrt ihn entsetzt an) (jetzt läutet wieder das Signal und wechselt auf grün) S TRECKENGEHER Jetzt kommt bald der Zug. P OKORNY Er hat meistens Verspätung. S TRECKENGEHER Stimmt, weil er auf den Anschluss warten muss -H UDETZ (wendet sich plötzlich an Pokorny; leise) Sag mal, wie ist es denn eigentlich drüben? P OKORNY Bei uns? Friedlich, sehr friedlich! Weisst, wie in einem stillen ländlichen Wirtshaus, wenns anfängt zu dämmern -- draussen liegt Schnee und Du hörst nur die Uhr -- ewig, ewig -- liest Deine Zeitung und trinkst Dein Bier und musst nie zahlen -H UDETZ (lächelt) Wirklich? 얍 P OKORNY Wir spielen auch oft Tarock und ein jeder gewinnt -- oder verliert, je nachdem, was einer lieber tut. Man ist direkt froh, dass man nimmer lebt! (Nun nähert sich der Eilzug vierhundertfünf) A LLE (horchen auf) P OKORNY (leise zu Hudetz; damit es Anna nicht hört) Jetzt kommt Dein Zug -H UDETZ (wendet sich langsam dem Bahndamm zu) B

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wieder?N ] wann?N ] BDich?N ] BunterbrichtN ] Bgetan?N ] Bwohl?N ] Bmal,N ] Bdrüben?N ] BWeisst, wieN ] Bdämmern --N ] Bewig, ewigN ] BliestN ] BWirklich?N ] Blebt!N ] B B

SB Georg Marton, S. 68

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korrigiert aus: wieder ? korrigiert aus: wann ? korrigiert aus: Dich ? korrigiert aus: Unterbricht korrigiert aus: getan ? korrigiert aus: wohl ? korrigiert aus: mal; korrigiert aus: drüben ? korrigiert aus: Weisst,wie korrigiert aus: dämmern-korrigiert aus: ewig,ewig korrigiert aus: liesst korrigiert aus: Wirklich ? korrigiert aus: lebt !

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SB Georg Marton, S. 69

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

A NNA (schreit ihn plötzlich entsetzt an) Nein! Was willst Du tun?! P OKORNY (zu Anna) Mischen Sie sich da nicht hinein! H UDETZ (zu Anna) Ich triff meinen Kollegen Pokorny. P OKORNY Wir spielen Tarock. A NNA Tarock? H UDETZ Ja. Draussen liegt Schnee, aber drinnen im Ofen brennt das Feuer und wärmt -A NNA (unterbricht ihn) Das ist kein Feuer, das wärmt! Glaub nicht Deinem Kollegen! Er will Dich ja nur holen um sich zu rächen, weil er nicht mehr lebt! P OKORNY (zu Anna) Ruhe! A NNA (zu Hudetz) Ich bin nicht ruhig! Oh glaub es mir, es ist furchtbar, wo wir hier sind! Bleib, bleib leben, Du! P OKORNY (zu Hudetz) Hör nicht auf sie! Der Zug kommt! A NNA (klammert sich plötzlich an Hudetz) Bleib leben, Du! Bleib leben! (sie schreit) Herr Inspektor! Herr Inspektor! (Nun fährt der Eilzug vierhundertfünf donnernd und pfeiffend vorbei -- es wird ganz finster. Als es wieder heller wird, steht Hudetz neben dem Bahndamm und links im Vordergrunde der Gendarm, der Wirt, Ferdinand und Alfons. Alle Anderen sind unsichtbar) 얍 A LFONS Thomas! H UDETZ (geht langsam auf den Gendarmen zu) Herr Inspektor , ich melde mich zur Stelle. G ENDARM Im Namen des Gesetzes! H UDETZ (zu Alfons) Ich habs mir nämlich überlegt -- (er nickt ihm lächelnd zu) W IRT (mit der Hand am Herz) Endlich! Jetzt kommt dann der Kopf dran, der Kopf -H UDETZ Möglich. Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt -- oder freispricht -- (er lächelt) F ERDINAND (schreit plötzlich) Fesselt ihn, fesselt ihn! H UDETZ Nicht nötig. F ERDINAND Frech auch noch?! Wart, Dir hau ich eine hin -- (er will auf ihn los) A LFONS Halt! Tuts mir den Gefallen und lasst ihm seinen Frieden! B

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tun?!N ] hinein!N ] Ber nichtN ] Blebt!N ] BRuhe!N ] Bsind!N ] BDu!N ] BDu!N ] Bleben!N ] BInspektor!N ] BAlfons.N ] BThomas!N ] BGendarmenN ] BInspektorN ] BGesetzes!N ] BEndlich!N ] BKopf --N ] Bihn!N ] Bnoch?!N ] B(erN ] BTutsN ]

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Frieden!N ]

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korrigiert aus: tun ?! korrigiert aus: hinein ! korrigiert aus: er nicht korrigiert aus: lebt ! korrigiert aus: Ruhe ! korrigiert aus: sind ! korrigiert aus: Du ! korrigiert aus: Du ! korrigiert aus: leben ! korrigiert aus: Inspektor ! korrigiert aus: Alfons, korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: Gendarm

[{ }] |Inspektor| korrigiert aus: Gesetzes ! korrigiert aus: Endlich ! korrigiert aus: Kopf-korrigiert aus: ihn ! korrigiert aus: noch ?! korrigiert aus: er korrigiert aus: Tust (vgl. K2/TS1/A1/BS 10 d [2], Bl. 5 und K4/TS5/SB Georg Marton, S. 39, in diesem Band S. 156) korrigiert aus: Frieden !

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SB Georg Marton, S. 70

Endfassung

K4/TS5 (Grundschicht)

H UDETZ (zu Alfons) Danke. G ENDARM (zu Hudetz) Kommens jetzt -(jetzt weht wieder der Wind wie zuvor) H UDETZ (horcht auf) Still! (er lauscht) Waren das jetzt nicht Posaunen? A LFONS Es war nur der Wind. H UDETZ (nickt Alfons lächelnd zu) Das glaubst Du ja selber nicht -B

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E N D E.

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B B

Still!N ] Posaunen?N ]

korrigiert aus: Still korrigiert aus: Posaunen ?

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Lesetext

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Der jüngste Tag. Schauspiel in sieben Bildern Endfassung, emendiert

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Der jüngste Tag

Endfassung, emendiert

Lesetext

DER JÜNGSTE TAG Schauspiel in sieben Bildern von Ödön von Horváth

5

PERSONEN: 10

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T HOMAS H UDETZ , Stationsvorstand F RAU H UDETZ A LFONS , ihr Bruder, Drogeriebesitzer D ER W IRT ZUM WILDEN M ANN A NNA , seine Tochter F ERDINAND , deren Bräutigam, ein Fleischhauer von auswärts L ENI , Kellnerin beim wilden Mann F RAU L EIMGRUBER E IN W ALDARBEITER E IN V ERTRETER E IN G ENDARM K OHUT , ein Heizer E IN S TAATSANWALT E IN K OMMISSAR E IN K RIMINALER E IN S TRECKENGEHER P OKORNY, ein seliger Lokomotivführer E IN G AST E IN K IND

30

SCHAUPLATZ: 35

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Erstes Bild: Zweites Bild: Drittes Bild: Viertes Bild: Fünftes Bild: Sechstes Bild: Siebentes Bild:

Kleine Bahnstation. Auf dem Bahndamm, wo zwei Züge zusammengestoßen sind. Im Gasthaus zum wilden Mann. Beim Viadukt. Im Gasthaus zum wilden Mann. In der Drogerie. Auf dem Bahndamm, wo einst die beiden Züge zusammengestoßen sind.

45

ZEIT: In unseren Tagen. Zwischen dem zweiten und dritten Bild liegen vier Monate.

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Der jüngste Tag

Endfassung, emendiert

Lesetext

REGIEBEMERKUNG: 5

Pause nach dem fünften Bild.

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Erstes Bild.

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Wir befinden uns vor einem Bahnhofsgebäude und sehen von links nach rechts: eine Türe, die nach dem ersten Stock führt, einen Fahrkartenschalter und abermals eine Türe mit Milchglasscheiben und der Überschrift „Stationsvorstand“. Daneben einige Signalhebel, Läutwerk und dergleichen. An der Wand kleben Fahrpläne und Reisereklame. Zwei Bänke. Rechts verläuft aus dem Hintergrunde nach vorne die Bahnsteigschranke, aber die Schienen sieht man nicht – Man hört also nur die Ankunft, Abfahrt und Durchfahrt der Züge. Hier hält kein Expreß, ja nicht einmal der Eilzug, denn der Ort, zu dem dieser Bahnhof gehört, ist nur ein etwas größeres Dorf. Es ist eine kleine Station, aber an einer großen Linie. Auf den Bänken warten zwei Reisende: Die Bäckermeistersgattin F RAU L EIMGRUBER und ein W ALDARBEITER mit einem leeren Rucksack und einer Baumsäge. Das Läutwerk läutet, dann wirds wieder still. Jetzt kommt ein dritter Reisender von links mit Hand- und Aktentasche, ein V ERTRETER aus der Stadt. Er hält und blickt auf die Bahnhofsuhr: Es ist neun Uhr abends, eine warme Frühlingsnacht. V ERTRETER (tritt an den Fahrkartenschalter und klopft, aber es rührt sich nichts; er klopft abermals, und zwar energisch.) W ALDARBEITER Da könnens lang klopfen, der macht erst knapp vor Abfahrt auf. V ERTRETER (blickt wieder auf die Uhr.) Hat denn der Zug Verspätung? F RAU L EIMGRUBER (lacht hellauf; zum W ALDARBEITER ) Was sagens zu dieser Frage? W ALDARBEITER (grinst.) Der Herr kommt vom Mond – (zum V ERTRETER ) Natürlich haben wir Verspätung, dreiviertel Stund! V ERTRETER Dreiviertel Stund? Elende Schlamperei – (Er zündet sich wütend eine Zigarre an.) F RAU L EIMGRUBER Es ist eben alles desorganisiert – W ALDARBEITER (fällt ihr belehrend ins Wort.) Es kommt eben alles daher, weil immer nur abgebaut und abgebaut wird – Die werden noch so lang rationalisieren, bis überhaupt nix mehr fahren wird! V ERTRETER (bläst den Rauch von sich.) „Rationalisierung“ – ein übles Kapitel. W ALDARBEITER Die schicken ja jeden zum Teufel, das beste Menschenmaterial! F RAU L EIMGRUBER (wird plötzlich geschwätzig; zum V ERTRETER ) Zum Beispiel hier auf unserem Bahnhof: Was meinens, wieviel Personal wir da haben? Einen, einen einzigen Mann haben wir da! V ERTRETER (perplex) Wieso dies? Nur einen einzigen Beamten?

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Der jüngste Tag

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F RAU L EIMGRUBER Zum Glück ist unser Herr Vorstand ein wirklich tüchtiger Mann, ein gebildeter, höflicher, emsiger Charakter, ein selten strammer Mensch! Der scheut keine Arbeit, er tragt die Koffer, vernagelt die Kisten, stellt die Weichen, steht am Schalter, telegraphiert und telephoniert – alles in einer Person! Und miserabel bezahlt ist er auch. W ALDARBEITER Wer? F RAU L EIMGRUBER Na der Vorstand! W ALDARBEITER Miserabel nennen Sie das? Ich nenn das eine königliche Gage – Denkens doch nur an seine freie Dienstwohnung da droben! (Er deutet auf den ersten Stock.) Der hat ja sogar einen Salon, und wenn er aufsteht, hört er die Vöglein zwitschern und sieht weit ins Land – (Er grinst.) (Jetzt läutet das Läutwerk, und der Stationsvorstand T HOMAS H UDETZ tritt rasch aus seiner Türe; er bedient den Signalhebel, und schon rast ein Schnellzug vorbei; er salutiert dem Zug und wieder ab.) F RAU L EIMGRUBER Das war der Expreß. Der hält nicht bei uns. V ERTRETER Kann ich ihm nachfühlen. Wieviel Einwohner hat denn das Nest? W ALDARBEITER Zweitausenddreihundertvierundsechzig. (Stille) F RAU L EIMGRUBER (betrachtet den V ERTRETER ; plötzlich) Hats Ihnen bei uns nicht gefallen? V ERTRETER Ich bin ein reisender Kaufmann, liebe Frau, und das Schicksal hat mich weit in der Welt herumgetrieben, aber eine solche fulminante Interesselosigkeit wie hier bei euch, das hab ich noch nirgends erlebt! Ihr seid mir schöne Ausnahmen! F RAU L EIMGRUBER Was habens denn zu verkaufen? V ERTRETER Kosmetische Artikel. W ALDARBEITER Ha? V ERTRETER Schönheitsmittel. W ALDARBEITER Schönheit? (Er grinst.) Wir sind uns schön genug – V ERTRETER Die Hauptsach ist, daß man sich selber gefällt – (Er wendet sich wieder an F RAU L EIMGRUBER .) Eine einzige Kundschaft hat sich meiner erbarmt – (Er lächelt geschmerzt.) F RAU L EIMGRUBER (sehr neugierig) Wer? V ERTRETER Das Fräulein Kellnerin beim wilden Mann. W ALDARBEITER (überrascht) Die Leni? Also das gibts nicht! V ERTRETER (perplex) Warum soll es das nicht geben? W ALDARBEITER Weil die nicht so blöd ist, daß sie sich so einen Schönheitsschmarrn einreden laßt. V ERTRETER (braust auf.) Erlauben Sie mal! Im zwanzigsten Jahrhundert – F RAU L EIMGRUBER (unterbricht ihn; zum W ALDARBEITER ) Aber der Herr wirds doch wissen, wem er was verkauft hat! V ERTRETER (empört) So eine kleine, schlanke wars – noch ein halbes Kind! F RAU L EIMGRUBER (zum W ALDARBEITER ) Ach, der meint die Anna! W ALDARBEITER Drum. F RAU L EIMGRUBER (zum V ERTRETER ; geschwätzig) Das ist nicht die Kellnerin, das ist die Tochter vom Wirt, die Anna! Sie ist mit einem Fleischhauer verlobt, aber der ist von auswärts und kommt nur einmal in der Woch. V ERTRETER Von mir aus!

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W ALDARBEITER Ich sag nur, die hats faustdick hinter den Ohren. F RAU L EIMGRUBER (überrascht) Wer? W ALDARBEITER Na die Anna. (höhnisch) Dem Herrn sein halbes Kind! F RAU L EIMGRUBER Aber wie könnens denn so was sagen! Die Anna ist doch die personifizierte Unschuld in persona! W ALDARBEITER Unschuldig ist sie vielleicht schon, aber trotzdem hat sies hinter den Ohren. F RAU L EIMGRUBER (zum V ERTRETER ) So wird man unschuldig verleumdet. V ERTRETER (halb zu sich) Der Einbruch der Plebejer. Der Untergang des Abendlandes – (Jetzt tritt aus der Türe links die Gattin des Stationsvorstandes, F RAU H UDETZ , mit ihrem Bruder A LFONS , dem Drogisten.) F RAU L EIMGRUBER (grüßt.) Guten Abend, Frau Vorstand! F RAU H UDETZ Guten Abend, Frau Leimgruber – (Sie unterhält sich leise mit A LFONS .) F RAU L EIMGRUBER (versucht zu horchen, kann aber nichts verstehen, wendet sich dann an den V ERTRETER , der neben ihr Platz genommen hat, und deutet versteckt auf F RAU H UDETZ ; unterdrückt) Das ist die Gattin des Vorstands. V ERTRETER (desinteressiert) Interessant. F RAU L EIMGRUBER Und der Mann ist ihr Bruder – V ERTRETER (sieht gar nicht hin.) Aha. F RAU L EIMGRUBER (gehässig) Brüderlein und Schwesterlein, die passen prima zusammen – (Nun läutet das Läutwerk wieder, und H UDETZ tritt rasch aus seiner Türe; wieder bedient er den Signalhebel, und schon rast ein Zug vorbei; er salutiert und will ab, erblickt jedoch überrascht seine F RAU und A LFONS ; die beiden Männer fixieren sich etwas, dann grüßt A LFONS , H UDETZ dankt und ab durch seine Türe.) F RAU H UDETZ (leise zu A LFONS ) Er spricht seit Tagen kein Wort mehr zu mir. A LFONS Nur Mut, Schwester. F RAU H UDETZ Wirst sehen, ich werd noch verrückt. A LFONS Du bist nur überreizt durch eueren ewigen Streit. F RAU H UDETZ Aber die Stimme, die ich höre – A LFONS (fällt ihr ins Wort.) Wir hatten in unserer Familie keinen einzigen Fall von Geisteskrankheit. Deine Erregungszustände sind nur nervöser Natur und sonst nichts, das wird dir jeder Arzt bestätigen. Euere Ehe ist leider ein gordischer Knoten, und es gibt nur eine Lösung – F RAU H UDETZ (unterbricht ihn.) Hör auf damit! Daran darf ich gar nicht denken, daß er mit einer anderen Frau – Ich habs ihm ja gesagt, noch bevor wir heirateten: Überlege dir gut, hab ich gesagt, ich bin um dreizehn Jahre älter wie du, und er hat gesagt, er hätt sich nichts zu überlegen – A LFONS (fällt ihr ins Wort.) Und das war gelogen. F RAU H UDETZ Damals noch nicht. (Stille) A LFONS Zwischen euch zwei hats doch nie gestimmt – F RAU H UDETZ Aber ich laß mich nicht scheiden, hörst du, ich tät über Nacht ganz weiß werden, ganz weiß – A LFONS Nicht so laut! (Er wirft einen mißtrauischen Blick auf F RAU L EIMGRUBER und redet dann leise auf F RAU H UDETZ ein.)

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F RAU L EIMGRUBER (leise zum V ERTRETER , der sich in seine Notizbücher vertieft hat, rechnet und kaum hinhört) Das ist dir eine Kanallie, diese verhaßte Person – Wie die den armen Vorstand quält, diesen kreuzbraven, beliebten Menschen – Na das ist eine Affenschand! V ERTRETER Soso. F RAU L EIMGRUBER Immer sekkiert sie den Mann mit ihrer blinden Eifersucht, und derweil hat sie doch gar keinen Grund – Er traut sich schon kaum mehr ins Wirtshaus, weil sie ihm nachschleicht, und wenn ihn die Kellnerin anschaut, hat er die Höll zu Haus – V ERTRETER Soso. F RAU L EIMGRUBER Im Fasching hat sie da droben mal so geplärrt und geschrieen, daß mans bis in den Ort hinein gehört hat, die hysterische Nocken – Derweil hat er sie gar nicht angerührt, und sie hat immer gebrüllt: „Er bringt mich um, er bringt mich um!“ Meiner Seel, der gehört der Hintern verhaut, daß es nur so staubt! V ERTRETER (horcht plötzlich auf.) Was für ein Hintern? F RAU L EIMGRUBER (gekränkt) Geh Sie hören mir ja gar nicht zu, und ich erzähl Ihnen da Intimitäten! V ERTRETER Pardon! (Stille) A LFONS (leise zu F RAU H UDETZ ) Wie wärs denn, wenn du mal fortfahren würdest – Ich seh dort ein Plakat; man kann jetzt relativ billig ans Meer. F RAU H UDETZ (verbittert) Mit was denn? A LFONS Ich könnt dir was leihen, ich hab mir etwas erspart. F RAU H UDETZ (lächelt.) Nein, du bist doch der Beste und das Liebste. Wenn die Leut nur mal wüßten, wie gut du bist – A LFONS Ich bin kein Heiliger. Aber die lieben Leut, das ist ein Fall für sich – F RAU H UDETZ Ich kann sie nicht ausstehen. A LFONS Das finde ich nur begreiflich. F RAU H UDETZ Von mir aus könnten alle draufgehen – A LFONS (lächelt.) Das ging wieder zu weit. F RAU H UDETZ (lächelt lieb.) Alle, alle, – leb wohl, lieber Bruder! A LFONS Überlegs dir: Du kannst ans Meer, wenn du nur willst – F RAU H UDETZ (plötzlich ernst und hart) Nein, ich bleibe. Pa, Alfons! (ab durch die Türe links) V ERTRETER (erblickt erst jetzt A LFONS und starrt ihn an.) A LFONS (sieht F RAU H UDETZ nach und murmelt dann vor sich hin.) Leb wohl – (ab nach links, in Gedanken versunken) V ERTRETER (schaut ihm nach und wendet sich dann wieder an F RAU L EIMGRUBER.) War das jetzt nicht der Drogeriebesitzer? F RAU L EIMGRUBER Derselbe. V ERTRETER Ein unangenehmer Mensch. Wie der mich heut behandelt hat – F RAU L EIMGRUBER Wie? V ERTRETER (zuckt die Schultern.) Das läßt sich nicht so definieren. (Stille) F RAU L EIMGRUBER Ja, der ist auch sehr verhaßt, dieser Drogist – V ERTRETER Mit Recht! F RAU L EIMGRUBER Der und seine Schwester, denen geht man aus dem Weg. Immer schneidens so stolze, gekränkte Gesichter, daß man sich direkt schuldig vor-

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kommt, als hätt man ihnen was getan – Aber man ist doch nicht verantwortlich dafür, daß er sein vieles Geld in der Inflation verloren hat, und daß sie den Herrn Vorstand in eine unselige Ehe gepreßt hat – Dreizehn Jahr ist sie älter wie er – V ERTRETER (fällt ihr ins Wort.) Dreizehn Jahr? F RAU L EIMGRUBER Verführt hat sie diesen strammen, gebildeten Menschen, noch als ganz jungen Burschen! Ein Schandweib! V ERTRETER Jaja, die Herren Weiber, die bringen dich auf die Welt und dich auch wieder um. (Nun kommt F ERDINAND , ein Fleischhauer von auswärts, mit seiner Braut, der Wirtstochter A NNA , rasch von links; beide sind etwas atemlos, denn sie sind fast gelaufen.) F ERDINAND (hastig zum W ALDARBEITER, der seit einiger Zeit bereits apathisch ein großes Stück Brot verzehrt und an nichts denkt) Ist der Zug schon fort?! W ALDARBEITER Ah! A NNA (zu F ERDINAND ) Siehst du, ich habe dir gleich gesagt, der hat doch immer Verspätung! F ERDINAND Aber auf eine Verspätung soll man sich nicht verlassen. A NNA (hält die Hand auf ihr Herz.) Gott, bin ich jetzt gelaufen! F ERDINAND (besorgt) Tuts dir weh, dein Herzerl? A NNA Nein, es klopft nur so rasch – F ERDINAND (hält seine Hand auf ihr Herz und lauscht.) A NNA Hörst es? F ERDINAND Ja. F RAU L EIMGRUBER (leise zum V ERTRETER ) Dort steht die Anna. V ERTRETER Was für eine Anna? F RAU L EIMGRUBER Na Ihr bewußtes halbes Kind – V ERTRETER (erkennt A NNA .) Ach, die Wirtstochter! Meine einzige Kundschaft – (Er grüßt A NNA und murmelt dabei.) Mein schönes Fräulein, darf ichs wagen – A NNA (dankt schüchtern.) F ERDINAND (zu A NNA ; mißtrauisch) Wer ist denn das? A NNA Sag ich nicht. F ERDINAND Warum nicht? A NNA Weil du dann wieder schimpfen wirst. F ERDINAND Ich schimpfe nie. A NNA Oho! F ERDINAND (fixiert den V ERTRETER.) V ERTRETER (wird es ungemütlich; leise zu F RAU L EIMGRUBER ) Wer ist denn der Kerl, daß er so glotzt? F RAU L EIMGRUBER Das ist der Anna ihr auswärtiger Bräutigam. Ein gewisser Ferdinand Bichler, ein Fleischhauer. V ERTRETER (fühlt sich immer ungemütlicher.) Ach, ein Herr Fleischhauer – F RAU L EIMGRUBER Ein Mordstrumm Mannsbild, aber ein sanfter Charakter. (Nun öffnet H UDETZ den Fahrkartenschalter.) V ERTRETER (atmet auf.) Endlich! (Er tritt an den Schalter und löst sich seine Karte.) F ERDINAND (zu A NNA ) Wer ist das? Sags mir auf der Stell, oder ich brich ihm das Genick. A NNA (lächelt.) Also gut: Das ist der Reisende, dem ich heut vormittag die Creme abgekauft hab.

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F ERDINAND (beruhigt) Also. Aber du brauchst doch keine Creme und kein Puder und kein Nichts – A NNA (unterbricht ihn.) Fangst schon wieder an? (Stille) F ERDINAND (etwas kleinlaut) Annerl. Ich mein ja nur, so zart wie dein rosiges Gesichterl kann nichts Künstliches auf der Welt sein – A NNA Erinnerst dich an den letzten Film? Gott, hat mir die Frau gefallen! F ERDINAND Mir gar nicht. A NNA Sag das nur nicht laut! Sonst blamierst dich noch tödlich! (Stille) F ERDINAND (traurig) Ach, Anna! (Er legt seine Hand um ihre Schultern und blickt empor.) Weißt, wenn ich unsere Sterndeln seh, dann möcht ich immer bei dir sein. A NNA (blickt auch empor.) Du siehst mich doch bald. F ERDINAND (nickt traurig.) In einer Woch. Und morgen beginnt wieder der Alltag, ich muß schon um viere aus den Federn – A NNA Hast was zum Schlachten? F ERDINAND Nur zwei Kälber – (Das Läutwerk läutet; H UDETZ tritt rasch aus seiner Türe und öffnet die Bahnsteigschranke; der W ALDARBEITER, F RAU L EIMGRUBER und der V ERTRETER begeben sich auf den Bahnsteig; H UDETZ durchlöchert die Karten.) V ERTRETER (zu H UDETZ ) Ist das bei euch die Regel? Dreiviertel Stund Verspätung! H UDETZ (zuckt die Schultern und lächelt.) V ERTRETER Desorganisation – F RAU L EIMGRUBER (zum V ERTRETER ) Aber der Herr Vorstand ist doch unschuldig! H UDETZ (lächelt F RAU L EIMGRUBER an und hebt höflich die Hand an die Kappe.) (Der Personenzug fährt ein und hält.) F ERDINAND (zu A NNA ) Vergiß mich nicht! (Er umarmt sie und ab auf den Bahnsteig.) A NNA (tritt langsam an die Schranke.) H UDETZ (gibt das Abfahrtssignal.) (Der Zug fährt ab, das Läutwerk läutet.) A NNA (winkt langsam dem Zug nach.) H UDETZ (schließt die Bahnsteigschranke.) A NNA (betrachtet ihn; plötzlich) Ist niemand gekommen? H UDETZ Nein. (Er bedient ein Signal und will wieder ab durch seine Türe.) A NNA Herr Vorstand. Warum beehren Sie uns eigentlich nicht mehr? Mein Vater meint schon, Sie hätten anderswo einen Stammtisch – H UDETZ Ich komm zu nichts mehr, Fräulein Anna. Ich hab halt immer Dienst. A NNA Dann ists ja gut. Ich dachte schon, Sie kämen nicht mehr zu uns wegen mir. H UDETZ (ehrlich überrascht) Warum wegen Ihnen? A NNA Ich dacht, wegen Ihrer Frau – H UDETZ Was hat meine Frau mit Ihnen zu tun? A NNA Sie mag mich nicht. H UDETZ Geh bildens Ihnen doch nichts ein! (Er stockt plötzlich und starrt auf den ersten Stock hinauf.) (Stille) A NNA (ironisch) Was ist denn dort droben?

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H UDETZ Nichts. A NNA Habens Angst, daß Sie Ihre Frau mit einem jungen Mädel sieht? Dürfens mit mir nicht sprechen? H UDETZ Sie müssens ja wissen. A NNA Wenn Sie jetzt mit mir sprechen, kriegens morgen wieder einen Krach, was? H UDETZ Wer sagt das? A NNA Alle Leut. (Stille) H UDETZ (fixiert sie.) Ihr sollt endlich mal meine Frau in Ruh lassen, verstanden? Ihr alle und Sie, Fräulein Anna, erst recht. Sie sind überhaupt noch viel zu jung dazu, um da mitreden zu können – A NNA (spöttisch) Meinen Sie? H UDETZ Sie werden erst noch manches lernen müssen, bis Sie anfangen werden, zu begreifen – A NNA (wie zuvor) Geh unterrichtens mich ein bisserl, Herr Lehrer – H UDETZ Sie werden schon von allein lernen, daß man niemand kränken darf, um nicht bestraft zu werden. A NNA Jetzt redens gar wie der Herr Pfarrer – (Sie lacht.) H UDETZ Lachens nur, wir sprechen uns noch – (Er will ab.) A NNA Alle Leut lachen über Sie, Herr Vorstand, Sie fragen sich, was treibt er denn eigentlich, dieser fesche Mensch – Immer steckt er in seinem Bahnhof, Tag und Nacht – H UDETZ (grimmig) Die Leut scheinen sich ja recht viel mit mir zu beschäftigen. A NNA Ja. Sie sagen, der Vorstand ist überhaupt kein Mann. (Stille) H UDETZ Wer sagt das? A NNA Die ganze Welt. Nur ich nehm Sie manchmal in Schutz – (Sie lächelt boshaft, küßt ihn plötzlich und deutet nach dem ersten Stock.) Jetzt hat sies gesehen, daß ich Sie geküßt hab, was? (Sie lacht.) Jetzt gibts aber dann was? Jetzt setzt es was ab, wie? – (Sie macht die Geste des Verprügelns.) H UDETZ (starrt sie an.) Wenn Sie jetzt nicht augenblicklich verschwinden, dann könnens was erleben – A NNA Wollens mich umbringen? H UDETZ Lassens diese blöden Ideen! Weg von da! (Er ergreift ihren Arm.) A NNA Au! Lassens mich, Sie Grobian! (Sie reißt sich los und reibt ihren Arm.) Verstehens denn keinen Witz?! H UDETZ (grob) Nein! (Jetzt fährt ein Eilzug vorbei.) H UDETZ Himmel tu dich auf! (Er reißt einen Signalhebel herum, das Läutwerk läutet, er faßt sich ans Herz.) A NNA (bange) Was ist denn passiert? H UDETZ (starrt vor sich hin; tonlos) Eilzug vierhundertfünf und ich vergeß das Signal – (Er fährt sie an.) Da habens Ihren Witz! Ich war immer ein pflichtgetreuer Beamter! A NNA Es wird schon nicht gleich was passieren – H UDETZ Halt den Mund! (ab durch die Türe) (V O R H A N G)

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Der Eilzug vierhundertfünf, dem kein Signal gegeben wurde, ist unweit des kleinen Bahnhofes mit einem Güterzug zusammengestoßen. Wir befinden uns an der Unglücksstätte. Wirre Trümmer auf dem Bahndamm im Hintergrund. Die Verletzten und die Toten wurden bereits abtransportiert. Pioniere sind mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Rechts im Vordergrund steht ein kleiner schwarzer Tisch mit einer Lampe. Der S TAATSANWALT mit Gefolge ist bereits längst zugegen, zur Zeit besichtigt er das Signal auf dem Bahndamm. Es leuchtet rot. Von der ganzen Umgebung sind Schaulustige eingetroffen, unter ihnen der W IRT vom wilden Mann, seine Tochter A NNA und seine Kellnerin L ENI . Im Vordergrund links hält ein G ENDARM mit aufgepflanztem Bajonett die Neugierigen in Schach. Der Morgen graut, er wird ein fahler Tag. Alles fröstelt. G ENDARM Zurück, Leut, zurück! Könnts euch denn gar nicht satt sehen an einer Katastrophe? W IRT So was sieht man nicht alle Tag – L ENI (zum G ENDARM ) Ist er eigentlich entgleist? G ENDARM Nein, er ist zusammengestoßen. Der Eilzug mit einem Güterzug – vor fünfeinhalb Stunden. L ENI Schrecklich! Als wär die Erde explodiert – (Sie schmiegt sich unerklärlich an den W IRT .) Ich werd noch davon träumen – W IRT (drückt L ENI unwillkürlich an sich.) Also das ist Gottes Hand. Auf und nieder. (Nun taucht der H EIZER des Unglückszuges auf; er trägt einen Verband um den Kopf.) L ENI (zum W IRT ) Schauens, ein Verletzter! H EIZER (nickt L ENI leutselig zu.) Jaja, um ein Haar wäre ganz Habe-die-Ehre gewesen. Ich denk mir nichts, auf einmal gibts einen infernalischen Ruck und Krach, ich flieg in die Luft wie ein Aeroplan, und dann wirds mir schwarz vor den Augen – und wie ich aufwach, lieg ich auf einer Wiese im Heu und hab mir nichts gebrochen. Bloß der Schädel brummt mir wie ein Rad – W IRT Da habens aber schon einen ganz besonderen Schutzengel gehabt. H EIZER Möglich ist alles. Wissens, ich steh auf der Lokomotiv – L ENI (unterbricht ihn.) Sind der Herr der Lokomotivführer? H EIZER Nein, ich bin nicht der Pokorny, der arme. Ich heiße Kohut. G ENDARM (zu L ENI ) Er war nur der Heizer. W IRT Aha! H EIZER Ein Heizer ist auch sehr wichtig, meine Herrschaften! Ein Heizer ist oft wichtiger wie ein Lokomotivführer! L ENI (zum H EIZER ) Ist es wahr, daß es über hundert Tote gegeben hat? H EIZER Ich weiß nur von siebzehn. G ENDARM (zum H EIZER ) Achtzehn, hab ich gehört. W IRT Das genügt auch. H EIZER Es soll ein Signal überfahren worden sein, oder vielmehr: Besagtes Signal soll gar nicht gegeben worden sein, oder vielmehr: Es soll erst hinterher gegeben worden sein – mit anderen Worten: zu spät! Der Staatsanwalt ist schon seit drei Stunden da, er schaut sichs grad an, das Signal. Zum hundertsten Mal. W IRT Und wer ist schuld?

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G ENDARM Das wird sich schon noch herauskristallisieren. H EIZER Ich sag: der Stationsvorstand. W IRT Unser Hudetz?! H EIZER Ich weiß nicht, wie er sich schreibt. Ich weiß nur, der selige Pokorny war ein äußerst pflichtgetreuer Lokomotivführer – Augen hat der gehabt wie ein Luchs! W IRT Also das müßt schon mit dem Teufel zugegangen sein, wenn unser Hudetz was verbrochen hätt! Ich sag: ausgeschlossen! H EIZER Die Sonne bringt es an den Tag. Wenn euer Hudetz das Signal nicht rechtzeitig gestellt hat – unter drei Jahren kommt er nicht davon. G ENDARM Und die Stellung verliert er auch. H EIZER Ohne Pensionsanspruch. G ENDARM Das ist nur natürlich. H EIZER Einen Zeugen müßt er halt haben, einen Zeugen, der es beschwört, daß er das Signal rechtzeitig gestellt hat – G ENDARM Dann wär er gerettet. Aber er war halt allein, mutterseelenallein. H EIZER Dann ist das eine persönliche Tragik. A NNA (leise zum W IRT ) Vater, ich muß dir was sagen – W IRT Was gibts? A NNA Etwas Wichtiges. Der Vorstand war nämlich nicht allein, wie das passiert ist – W IRT Was?! Was phantasierst denn da herum? A NNA Der Herr Vorstand hätt schon einen Zeugen – W IRT Wen? So red doch schon! A NNA Ich. Ich war am Bahnhof, wie das passiert ist – W IRT Du?! Am Bahnhof?! A NNA Nicht so laut! Ich hab doch den Ferdinand zur Bahn gebracht, und dann hab ich mit dem Herrn Vorstand ein paar Wörterl geredet, nur paar Wörterl – W IRT Na und – und? A NNA (sehr leise) Und – (Sie spricht unhörbar mit ihm.) L ENI (zum H EIZER ) Befinden sich jetzt noch Tote unter den Trümmern? H EIZER Wo denkens denn hin, Fräulein? L ENI Und auch keine Verletzten mehr? H EIZER Aber-aber! Wenns da noch Verletzte gäb, die täten schön schreien, da tätens Ihnen beide Ohren zuhalten, Fräulein! G ENDARM Das glaub ich! (Er lacht.) (Jetzt erscheint der S TAATSANWALT mit einem K OMMISSAR. Übernächtig und fröstelnd; in einiger Entfernung folgt H UDETZ , begleitet von einem P OLIZISTEN mit aufgepflanztem Bajonett.) G ENDARM Der Staatsanwalt! Zurück, Leut, zurück! (Er drängt den W IRT , A NNA , L ENI und alle Schaulustigen nach links ab; nur der H EIZER bleibt zurück.) S TAATSANWALT (leise zum K OMMISSAR, damit ihn H UDETZ nicht hört) Das Signal geht leider in Ordnung, es steht auf Halt. Es läßt sich nur nicht beweisen, ob es bereits vorher oder erst hinterher auf Halt gestellt worden ist. K OMMISSAR Die, die es uns hätten beweisen können, sind leider nicht mehr vernehmbar. S TAATSANWALT Zu dumm! Ein undefinierbares Gefühl sagt mir, daß dieser Hudetz nicht unschuldig ist. Er macht zwar einen gefaßten Eindruck – (Er lächelt.)

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K OMMISSAR (grinst.) Für meinen Geschmack ist er auch ein bißchen zu sehr gefaßt. S TAATSANWALT (seufzt.) Nun, versuchen wirs zum zehnten Mal – (Er setzt sich an den kleinen schwarzen Tisch und blättert in den Protokollen.) K RIMINALER (kommt rasch von rechts und grüßt den S TAATSANWALT .) Herr Staatsanwalt, ich komme drüben vom Bahnhof und hab die Frau Hudetz verhört. Ich werd das undefinierbare Gefühl nicht los, daß uns die Frau etwas zu sagen hätt – S TAATSANWALT „Undefinierbares Gefühl“, das hör ich gern! Man bittet um schärfere Präzision. K RIMINALER Verzeihung, aber ich pflege mich manchmal auf meinen Instinkt zu verlassen, und ich friß einen Besen, wenn die Frau Hudetz nicht etwas verschweigt. S TAATSANWALT Woraus schließen Sie auf diesen Schluß? K RIMINALER Es scheint sie etwas zu belasten, sie macht einen ganz verheulten Eindruck. S TAATSANWALT Bringen Sie die Frau her! K RIMINALER Sofort! (rasch ab nach rechts) S TAATSANWALT (ruft.) Herr Kohut! Herr Josef Kohut! H EIZER (tritt vor.) Hier! S TAATSANWALT (sehr leise, damit ihn H UDETZ nur ja nicht hört) Sie bleiben also dabei, daß Sie das Signal nicht gesehen haben? Reden Sie leise! H EIZER Ich hab überhaupt nichts gesehen, Herr Staatsanwalt, ich bin ja grad mit dem Rücken zur Fahrtrichtung gestanden und hab Kohlen geschaufelt, da kam der Ruck – S TAATSANWALT (unterbricht ihn ungeduldig.) Von dem Ruck haben Sie uns schon erzählt! H EIZER Und außer dem Ruck hab ich nichts zu erzählen, ich kanns nur immer wieder beschwören, daß der selige Pokorny noch nie ein Signal überfahren hat, nicht beim dichtesten Nebel! S TAATSANWALT Stimmt! Seine Qualifikation ist erstklassig. H EIZER Das war überhaupt ein erstklassiger, seelenguter Mensch, Herr Staatsanwalt, aber jetzt hinterlaßt er drei unversorgte Kinder – (Er blickt empor.) Armer Pokorny! Jetzt stehst vor deinem obersten Richter! S TAATSANWALT Zur Sache. H EIZER Alsdann, wie jener Ruck sich abgespielt hat, da hat der Pokorny grad von einer Gehaltsaufbesserung gesprochen – S TAATSANWALT (unterbricht ihn.) Das gehört nicht hierher. Ich danke, Herr Kohut! H EIZER (verbeugt sich.) Bitte-bitte! (ab) S TAATSANWALT (ruft.) Herr Thomas Hudetz! H UDETZ (tritt vor.) S TAATSANWALT Sie bleiben also dabei, daß Sie das Signal rechtzeitig auf Halt gestellt haben? H UDETZ (gefaßt, jedoch innerlich unsicher) Herr Staatsanwalt, ich kann mir gar nicht vorstellen, ich war doch immer ein pflichtgetreuer Beamter – S TAATSANWALT (unterbricht ihn.) Das habens uns jetzt schon hundertmal erzählt – H UDETZ Es ist auch alles. (Stille)

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S TAATSANWALT (fixiert ihn; leise, jedoch eindringlich) Ich werd das undefinierbare Gefühl nicht los – H UDETZ (unterbricht ihn.) Ich hab nichts zu verheimlichen! (Stille) S TAATSANWALT (droht ihm mit dem Zeigefinger.) Herr Hudetz, ein Zusammenstoß ist kein Witz – H UDETZ (zuckt zusammen und horcht auf.) S TAATSANWALT (schreit ihn plötzlich an.) Bilden Sie sichs nur nicht ein, daß die Wahrheit nicht ans Licht kommt! Auch wenn Sie das seltene Glück haben, daß der Lokomotivführer und der Zugführer tot sind, so ist doch immer noch einer da, der wie durch ein Wunder am Leben blieb! Der Heizer Josef Kohut! Und dieser Heizer hat uns bereits äußerst instruktive Tatsachen mitgeteilt, Tatsachen, die Ihnen garantiert keine reine Freude bereiten werden! H UDETZ (unsicher) Ich kann nur sagen, ich hab noch nie ein Signal versäumt – (Er lächelt.) (Stille) S TAATSANWALT (höflich väterlich) Gehen Sie in sich, Thomas Hudetz. Denken Sie an die achtzehn armen Toten, an die große Schar beklagenswerter Verletzter, die jetzt in den Krankenhäusern leiden. Wollen Sie das alles ungesühnt mit sich herumtragen, ein langes Leben lang? Sie sind doch ein anständiger Mensch, Herr Hudetz. Erleichterns doch gefälligst Ihr Gewissen – (Stille) H UDETZ Ich bin nicht schuld. S TAATSANWALT (ironisch) Sondern? H UDETZ Ich nicht. S TAATSANWALT (wie zuvor) Vielleicht der große Unbekannte? H UDETZ Vielleicht – (Jetzt kommen der G ENDARM , der W IRT und A NNA von links.) K OMMISSAR (zum G ENDARMEN ) Was gibts? S TAATSANWALT (lauscht.) G ENDARM Herr Kommissar, da hat sich der Gastwirt vom wilden Mann gemeldet, er behauptet, seine Tochter hätt etwas Wichtiges auszusagen – S TAATSANWALT (fällt ihm ins Wort.) Na und? Warum meldet sie das erst jetzt? W IRT Herr Staatsanwalt, meine Tochter ist noch ein halbes Kind, und sie hat sich halt nicht gleich getraut, aber sie hat sich zuvor mir anvertraut, und ich hab gesagt, das mußt du sofort mitteilen, denn das ist sozusagen lebenswichtig für den braven Herrn Hudetz – S TAATSANWALT Abwarten! W IRT Ich hab ihr gesagt, es dreht sich um einen Menschen, du hättest ja keine ruhige Minute mehr, und ich auch nicht, wenn man unserem Herrn Vorstand was antun würde. Herr Staatsanwalt, sie hat es genau gesehen, daß er das Signal rechtzeitig auf Halt gestellt hat! S TAATSANWALT Rechtzeitig? (Er fixiert A NNA .) Treten Sie näher, Fräulein! Keine Angst, wir beißen nicht – A NNA (tritt näher.) S TAATSANWALT Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, daß Sie alles, was Sie hier aussagen, vor Gericht wiederholen werden müssen, und zwar unter Eid. Sie wissen, was das bedeutet?

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A NNA Ja. H UDETZ (starrt A NNA entgeistert an.) S TAATSANWALT (lehnt sich zurück.) Nun erzählen Sie uns, was Sie wissen. A NNA Er hat das Signal rechtzeitig – S TAATSANWALT (unterbricht sie.) Der Reihe nach, der Reihe nach, immer schön der Reihe nach! Los! (Stille) A NNA (als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen) Ich habe gestern abend meinen Bräutigam zum letzten Zug gebracht, und der hat eine starke Verspätung gehabt, und dann, wie der Zug weg war, dann hab ich dem Zug noch nachgewunken, und dann hab ich mit dem Herrn Vorstand ein paar Worte gesprochen, ich hab ihn gefragt, warum er nicht mehr zu uns kommt, er geht nämlich nirgends mehr hin – S TAATSANWALT Was kümmert Sie das? A NNA Ich bin doch eine Gastwirtstochter und kümmere mich um das Geschäft – (Sie lächelt.) W IRT (zum S TAATSANWALT ) Entschuldigen, daß ich eingreif, aber der Vorstand geht nirgends mehr hin, weil ihn seine Frau nicht laßt. S TAATSANWALT (horcht auf.) Seine Frau? W IRT Herr Staatsanwalt, wissen Sie, was ein böses Weib ist? S TAATSANWALT (seufzt.) Ja, das ist mir bekannt! H UDETZ Meine Frau ist nicht bös. W IRT Hör auf, Hudetz! (zum S TAATSANWALT ) Immer nimmt er sie in Schutz, da wird man schon direkt rabiat! (zu H UDETZ ) Sie sekkiert dich Tag und Nacht! H UDETZ Falsch! W IRT Hör auf! Alle wissens! H UDETZ Gar nichts wißt ihr, gar nichts! Es hat alles seine Gründe, und ihr könnt nicht urteilen! Ich benehm mich ja auch nicht richtig zu ihr – W IRT Herr Staatsanwalt, er traut sich schon kaum mehr über die Gasse, immer meint er, er ist an allem schuld! Weil sie es ihm einredet, Tag und Nacht, Jahr für Jahr! Und warum? Nur weil die Beziehungen erkaltet sind, was kein Wunder wär bei dem Altersunterschied – H UDETZ (schreit den W IRT an.) Das spielt keine Rolle! W IRT (zu H UDETZ ) Du schrei doch nicht mit mir! S TAATSANWALT Ruhe! – Herr Hudetz, es spricht ja sehr für Ihre Wahrheitsliebe, daß Sie für Ihre Gemahlin so tapfer eintreten, und die Anklagebehörde nimmt dies auch mit Befriedigung zur Kenntnis, doch dürfte es wohl wenig Sinn haben, wenn man sich selber etwas vormacht – H UDETZ (fällt ihm ins Wort.) Ich mach mir gar nichts vor. S TAATSANWALT Lassen wir das jetzt mit der Frau! Sie werden ja sowieso psychatriert – – W IRT Narrisch hat sie ihn schon gemacht, narrisch! S TAATSANWALT Ruhe! (zu A NNA ) Fahren Sie fort, Fräulein! A NNA Ich bin gleich am End. Ich hab es gehört, wie das Läutwerk geläutet hat, dann hat der Herr Vorstand das Signal gerichtet, und dann erst ist der Eilzug vorbeigefahren – S TAATSANWALT Dann erst? A NNA Ja.

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(Jetzt erscheint rechts F RAU H UDETZ mit dem K RIMINALER ; sie halten und hören zu, von niemand beachtet.) S TAATSANWALT (eindringlich) Also: zuerst das Läutwerk? A NNA Dann das Signal. S TAATSANWALT Und dann erst der Zug? A NNA Ja. Und dann – (Sie stockt.) S TAATSANWALT Na? A NNA Und dann hats in der Ferne ein Donnern gegeben, ein Krachen und Donnern und ein Geschrei – so ein furchtbares Geschrei, oh, ich höre noch immer – (Sie hält sich die Ohren zu.) S TAATSANWALT Herr Hudetz. Warum haben Sie uns eigentlich diese Ihre Entlastungszeugin verschwiegen? H UDETZ (weiß keine Antwort.) F RAU H UDETZ (betrachtet H UDETZ schadenfroh.) S TAATSANWALT (zu H UDETZ ) Na? H UDETZ (zuckt die Schultern.) S TAATSANWALT Komisch. A NNA Herr Staatsanwalt, er wußt es ja gar nicht, daß ich alles gesehen hab – F RAU H UDETZ (scharf) Alles gesehen?! A LLE (zucken zusammen und starren F RAU H UDETZ an.) K RIMINALER (zum S TAATSANWALT ) Frau Hudetz. S TAATSANWALT Ach! F RAU H UDETZ (fixiert gehässig A NNA .) K RIMINALER (leise zum S TAATSANWALT ) Es ist nichts aus ihr herauszubekommen. Sie behauptet, nichts gesehen zu haben. Sie hätt bereits geschlafen – (Er spricht unhörbar weiter.) F RAU H UDETZ (zu A NNA ) Ärgern hast du mich wollen, ärgern! W IRT (zu F RAU H UDETZ ) Was wollens denn von meiner Tochter? F RAU H UDETZ (zu H UDETZ ; sie deutet auf A NNA .) Ist das deine Entlastungszeugin? Man gratuliert, man gratuliert – (Sie grinst.) W IRT Gebens Ruh, Frau Hudetz! F RAU H UDETZ Ich hab nicht zu Ihnen gesprochen. W IRT Also nur nicht so von oben herab! F RAU H UDETZ Sie haben mir keine Lehren zu geben. Unterrichtens lieber Ihr Fräulein Tochter, daß sie nachts nicht mit fremden Männern streunt! W IRT Was hör ich?! Meine Tochter soll streunen?! Frau Hudetz, spielen Sie nicht mit mir – S TAATSANWALT Frau Josefine Hudetz! Treten Sie näher! F RAU H UDETZ (tritt näher.) S TAATSANWALT Sie haben uns also nichts zu sagen? F RAU H UDETZ (blickt spöttisch auf H UDETZ und A NNA ; nach einer Pause) Nein. S TAATSANWALT Nichts gehört, nichts gesehen – Ich danke! Wir benötigen Sie nicht mehr. Gehen Sie – (Er blättert im Protokoll.) F RAU H UDETZ (will ab.) W IRT (zu F RAU H UDETZ ) Avanti-avanti! F RAU H UDETZ (hält ruckartig und starrt den W IRT haßerfüllt und wütend an.) W IRT (ironisch) Wir benötigen Sie nicht mehr. Marsch-marsch! F RAU H UDETZ (brüllt plötzlich los.) Ich geh nicht! Ich geh nicht! Ich laß mir das von

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euch nicht mehr bieten! Ihr meint, ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt, mit mir und mit meinem armen Bruder! Nein, ich werd nicht mehr kuschen, ich red, was ich mag, ich red, was ich mag! W IRT Halts Maul! F RAU H UDETZ Ich laß mir von Ihnen nicht das Maul verbieten, verbietens es lieber Ihrer sauberen Tochter, damit sie keinen Meineid schwört! Jawohl, jetzt sag ich aus, ich! Herr Staatsanwalt, ich stand gestern abend am Fenster im ersten Stock und hab alles gesehen und alles gehört, alles, alles, alles! Ich habe deutlich gesehen, wie dieses Stück meinem Mann einen Kuß gegeben hat – Ich habs gesehen! W IRT Einen Kuß? Mich trifft der Schlag! A NNA (bricht plötzlich los.) Lüge, Lüge, Lüge! F RAU H UDETZ Ich sage die Wahrheit und werd alles beschwören! Sie hat ihm einen Kuß gegeben, nur um mich zu ärgern, aber es gibt einen Gott der Rache, und drum hat er das Signal versäumt – Ich kanns beschwören, beschwören, beschwören! A NNA (schreit sie außer sich an.) Schwörens nur Ihren Meineid, schwörens ihn nur! Sie sind ja ein ganz schlechter Mensch! Nur weil Sie zu alt für Ihren Mann sind, reitens ihn da hinein, Sie könnten ihn ja direkt umbringen, nur weil er Sie nicht mehr anrührt. Sie sind ja berüchtigt, Sie, und ich hab ihm keinen Kuß gegeben, so wahr mir Gott helfe! Ich bin doch glücklich verlobt, aber mich wollens auch noch unglücklich machen – (Sie weint plötzlich heftig und birgt den Kopf an ihres Vaters Brust.) W IRT (streichelt sie.) S TAATSANWALT (zu F RAU H UDETZ ) Sie sind sich wohl im klaren darüber, Frau Hudetz, daß Sie durch Ihre Aussage Ihren Gatten schwerstens belasten? W IRT (empört zu F RAU H UDETZ ) Schämen Sie sich, wo er Sie grad in Schutz genommen hat! A NNA (schluchzend zu F RAU H UDETZ ) Immer nimmt er sie in Schutz, immer! F RAU H UDETZ In Schutz? (Sie grinst höhnisch.) Thomas, du hast mich beschützt? H UDETZ Ja. W IRT (zu H UDETZ ) Verdient sie es? H UDETZ Nein. W IRT Na also! H UDETZ Herr Staatsanwalt, alles, was meine Frau gegen mich vorbringt, ist Lüge. Weder hat mich das Fräulein Anna geküßt, noch hab ich das Signal versäumt. Meine Frau ist nicht ganz normal. F RAU H UDETZ Ich nicht normal?! Das tät dir so passen! H UDETZ (zum S TAATSANWALT ) Sie hört oft Stimmen, wenn sie allein ist – Sie hat es mir selber erzählt! Und auch ihrem Bruder! F RAU H UDETZ Mich kriegst du nicht los, mich nicht – H UDETZ Jetzt schon – wenn die eigene Frau den eigenen Mann derart belastet – F RAU H UDETZ (unterbricht ihn.) „Mann!“ Ich höre immer „Mann“ – (Sie lacht hysterisch.) Du willst einer sein?! Du bist doch kein Mann! H UDETZ (schreit sie an.) Schluß damit! Schluß! S TAATSANWALT (erhebt sich.) Schluß mit dem Krakeel! Es steht hier nicht zur Debatte, ob Sie ein Mann sind oder nicht, es dreht sich hier um ein Eisenbahnunglück, bitt ich mir aus! Und es steht Aussage gegen Aussage. So leid es mir tut, Herr Hudetz, muß ich Sie auf Grund der belastenden Aussage Ihrer Gattin in Haft nehmen.

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W IRT In Haft? S TAATSANWALT (packt die Protokolle zusammen.) Die Sonne dürfte es dann wohl an den Tag bringen, bei der Verhandlung – wenn mal ein kleiner Meineid auf dem Spiele steht – (Er wirft einen Blick auf F RAU H UDETZ .) F RAU H UDETZ (unheimlich ruhig) Sie können mich ruhig anschaun, Herr Staatsanwalt, ich hab die Sonne sehr gern. (V O R H A N G)

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Vier Monate sind vergangen. Im Wirtshaus zum wilden Mann, und zwar in der Gaststube. Im Hintergrund die Schänke und zwei Fenster, links die Eingangstüre, rechts eine Türe zum Saal. An der Wand ein Bild des wilden Mannes mit Bart und Fell und Keule. Die Kellnerin L ENI steht auf einer Leiter und bringt oberhalb der Saaltüre ein Schild mit der Inschrift „Willkommen“ an. Überhaupt ist der ganze Raum mit Lampions und Tannengrün herausgeputzt. Zur Zeit ist nur ein G AST vorhanden, ein Lastkraftwagenchauffeur, der hastig sein Menü vertilgt. Es ist Herbst geworden, aber draußen scheint die Sonne. G AST (plötzlich) Wo bleibt mein Bier? L ENI (rührt sich nicht von der Leiter.) Sofort! (Stille) G AST (dumpf und drohend) Wollens mir jetzt endlich das Bier bringen oder nicht? L ENI (wie zuvor) Moment! G AST (schlägt auf den Tisch und brüllt.) Jetzt wirds mir aber zu dumm! Jetzt bin ich schon bei der Mehlspeis und hab noch immer kein Bier! Ich verdurst ja schon, meiner Seel! Was schmückens da herum?! Wo steckt denn der Wirt, Malefizelement?! W IRT (ist bereits von links eingetreten.) Da bin ich. Entschuldigens vielmals, nichts für ungut – (Er herrscht L ENI an.) Auf der Stell bringst dem Herrn sein Bier, was fällt dir denn ein, Saustall so was! L ENI (kleinlaut) Aber das Schild – W IRT (fällt ihr ins Wort.) Ein Gast kommt vor einem Schild! G AST Bitt ich mir aus! L ENI (steigt gekränkt von der Leiter herab und schenkt an der Schänke das Bier ein.) W IRT (zum G AST ) Entschuldigens tausendmal, aber heut gehts bei uns etwas drunter und drüber, wir feiern nämlich heut ein Fest – G AST (deutet auf das Schild.) Wen erwartens denn da? Den Kaiser von China? W IRT (lächelt.) Nein, nur einen braven Mitbürger von uns. Erinnerns Ihnen an das große Eisenbahnunglück vor vier Monaten? G AST Keine Ahnung. Ich bin Chauffeur. W IRT Aber damals ist unser Stationsvorstand in einen falschen Verdacht gekommen, und man tat ihm bitter unrecht – Vier Monate ist er in Untersuchungshaft gesessen, aber gestern nachmittag habens ihn glänzend rehabilitiert – Freigesprochen ist er worden!

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G AST Soso. Wundert mich, daß einer freigesprochen wird. W IRT Jaja, es ist erhebend zu sehen, wie die Wahrheit durchdringt und die Gerechtigkeit siegt. G AST Wo bleibt mein Bier? L ENI (bringt es ihm.) Da. G AST Ich zahl auch gleich – (Er trinkt das Bier auf einen Zug.) L ENI Ein Menü, ein Bier, vier Brot – zwei zwanzig. G AST Preiswert seid ihr ja grad nicht – (Er wirft das Geld auf den Tisch.) L ENI Danke! W IRT Habe die Ehre! Beehrens uns wieder! G AST Werd mich hüten! (ab nach links) W IRT (sieht ihm nach; melancholisch) Traurige Leut gibts auf der Welt – (Er wendet sich L ENI zu, die wieder auf der Leiter steht, und versucht, ihr nicht ganz unabsichtlich unter die Röcke zu schauen.) – Leut, die gar nichts mehr rührt, radikal nichts – – Es rührt sie nicht, ob einer verurteilt wird oder freigesprochen, schuldig oder unschuldig – Sie denken nur an ihr Bier – L ENI Es denkt halt jeder an etwas anderes. W IRT Stimmt. L ENI (hat das Schild befestigt.) So. Das hält ewig – (Sie steigt von der Leiter herab.) Was glaubens, was wird jetzt die Frau Hudetz machen? W IRT Die? Hier wird sie sich ja nimmer blicken lassen dürfen – Ich glaub, die tätens direkt lynchen wie die Neger in Amerika. L ENI Tja, man darf Gott nicht ungestraft herausfordern. W IRT Gesehen hat sies, wie die Anna ihn geküßt hat, gesehen! Und sie möchte auch gesehen haben, daß er das Signal verpaßt hat – und derweil! Der Stempel der Lüge stand ihr auf der Stirn, nicht einmal der Staatsanwalt hat ihr ein Sterbenswörtel geglaubt, obwohl sie alles beschworen hat! Die soll nur froh sein, wenns ihr kein Meineidsverfahren hinaufhauen – Ich sag: Mit der Frau Hudetz ists vorbei! Die gibts nicht mehr, das war einmal! Jetzt wirds dann noch geschieden, von Tisch und Bett – Schluß, aus, Amen! (Stille) L ENI Ob er wohl noch mal heiraten wird, der Herr Vorstand? W IRT Vielleicht hat er noch nicht genug. Tät er dir gefallen, der Hudetz? L ENI Er hat schon etwas Bestimmtes – (Sie lächelt.) W IRT (horcht auf.) Woher weißt du denn das? L ENI Nur so. (Stille) W IRT (macht einen Witz.) Möglich! Vielleicht wird er dich an den Traualtar führen – (Er grinst.) L ENI (sieht ihn traurig an.) Ich bin doch ein armes Mädel, Herr Wirt – (Stille) W IRT (bereut seinen Witz, nähert sich ihr langsam, umfaßt sanft ihre Taille und singt leise, um sie aufzuheitern, doch L ENI bleibt unbeweglich ernst.) Weiberl, Weiberl, sei doch nicht so hart Schau die kleinen Mädchen sind so zart Kennst du nicht den Spruch den alten Laßt die Herzen nicht erkalten Weiberl, Weiberl, sei doch nicht so hart –

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F ERDINAND (kommt rasch von links.) W IRT (läßt L ENI los, freudig überrascht) Hoppla, der Herr Schwiegersohn in spe! Servus, Ferdinand! F ERDINAND Servus, Vater! Wunder dich nicht, daß ich da bin, ich bin im letzten Moment auf einem Motorrad hinten herüber – W IRT Hast soviel Arbeit? F ERDINAND Und grad heut! Heut wars schon besonders delikat, daß ich mich außerordentlich freigemacht hab, wegen dem Viehmarkt – W IRT (überrascht) Ihr habts heut Viehmarkt? F ERDINAND Natürlich! W IRT Seit wann denn heut? Am Mittwoch? F ERDINAND (wegwerfend) Eine neue Verordnung – (begeistert) Ochsen hats da gegeben, Ochsen wie die Elefanten – aber ich hab mich für keinen interessiert! Einen solchen Ochsen gibts noch nicht, der mir wichtiger wär wie die Anna! Wo steckt sie denn? L ENI Sie zieht sich nur um. W IRT (zu L ENI ) Ruf sie! Schnell! L ENI (rasch ab nach rechts) W IRT Ich muß dir sagen, Ferdinand, ich freu mich, daß du meine Anna nimmst, du wirst mein Haus schon richtig führen. Sechsundachtzig Jahr im Besitz der Familie – das möcht man behalten, auch wenn man nimmer lebt – A NNA (kommt von rechts in einem weißen Kleid.) F ERDINAND Anna! (Er umarmt und küßt sie.) A NNA Das freut mich – F ERDINAND Bist ja eine berühmte Persönlichkeit geworden, seit wir uns vorige Woche gesehen haben – Kronzeugin in einem Sensationsprozeß! Da schau her, wie man dich tituliert – (Er zieht eine Zeitung aus seiner Tasche und zeigt ihr eine Artikelüberschrift.) „Die bildhübsche Wirtstochter“ – mit ganz dicken Buchstaben! W IRT Stolz kann sie sein! F ERDINAND Und ich auch! A NNA (lächelt sonderbar.) Der Ruhm verblaßt rasch – W IRT Wie gewählt sie spricht, wie fein sie sich ausdrückt – meine Tochter! F ERDINAND Meiner Seel, ich hab schon direkt das Gefühl, als wär meine Braut eine Filmdiva! Geh, laß dich anschaun, Kronzeugin, ob du dich verändert hast – (Er betrachtet sie von oben bis unten.) A NNA (lächelt wieder sonderbar.) Kaum. (In der Ferne ertönt Marschmusik, die sich nähert.) A LLE (horchen auf.) F ERDINAND Musik? W IRT Sie kommen, sie kommen – (Er sieht aufgeregt auf seine Uhr.) Stimmt! Gleich wird er da sein, der Hudetz – unser Hudetz! Sie holen ihn von der Bahn ab, der ganze Ort! A NNA (wird blaß und faßt sich ans Herz.) F ERDINAND Was hast denn, Annerl? Wieder das Herzerl? A NNA (sehr leise) Ja. W IRT (zu F ERDINAND ) Dieser ganze Prozeß war halt doch eine zu gewaltige Aufregerei. F ERDINAND (streichelt A NNAS Hand; zärtlich) Aber jetzt ists vorbei – was, Annerl?

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A NNA (lächelt verloren.) Ja, jetzt ists vorbei – W IRT (reicht A NNA ein Glas.) Trink einen Wermut, das ist und bleibt die beste Medizin! F ERDINAND Mir auch – (Er nimmt sich auch ein Glas; zu A NNA ) Sollst leben, Anna! A NNA (tonlos) Sollst leben, Ferdinand! (Die beiden leeren ihre Gläser, und nun ertönen Marschmusik und Hochrufe ganz in der Nähe.) L ENI (stürzt aufgeregt von rechts herein, auch sie hat sich umgezogen.) Er kommt, er kommt, er kommt! (Sie rast ans Fenster, winkt hinaus und ruft „Hoch!“: auch der W IRT und F ERDINAND tun dergleichen.) (Die Sonne verschwindet – Es dämmert rasch.) A NNA (starrt vor sich hin; plötzlich schenkt sie sich rasch noch ein Glas Wermut ein; tonlos) Noch – (Sie leert hastig das Glas.) (Nun tritt der Zug durch die Türe links ein: der halbe Ort ist dabei, natürlich auch F RAU L EIMGRUBER , der W ALDARBEITER und der G ENDARM in Gala mit weißen Handschuhen.) H UDETZ (taucht auf, lächelt wächsern und nickt allseits Dank; er ist durch die Haft etwas gelb geworden.) A LLE Hoch! Hoch! Hoch! W IRT (hält eine Ansprache.) Thomas Hudetz! Lieber, guter Freund! Verehrter Herr Stationsvorstand! Wir alle, die du hier zu deinem Empfange versammelt siehst, waren von deiner absoluten Unschuld immer schon eisern überzeugt – und es gereicht mir persönlich zu einer ganz besonderen Ehre und Freude, daß das Schicksal gerade mein Kind ausersehen hat, um deine Unschuld zu beweisen! R UFE Hoch Anna! Hoch! W IRT Es gibt noch einen Gott im Himmel, der über uns wacht, damit die Wahrheit durchdringt und die Gerechtigkeit siegt! Sei gegrüßt, du Unschuldiger, der du unschuldig eingekerkert so viel Leid hast durchmachen müssen! Thomas Hudetz, unser allseits geliebter Stationsvorstand – der pflichtgetreue Beamte, er lebe hoch, hoch, hoch! (Er geht auf H UDETZ zu und schüttelt ihm die Hände.) A LLE Hoch! Hoch! Hoch! (Musiktusch) E IN K IND (tritt mit einem Blumenstrauß vor H UDETZ , macht einen Knicks und sagt auf.) Hoch klingt das Lied vom braven Mann Wie Orgelton und Glockenklang Wer solcher Tat sich rühmen kann Den lohnt kein Geld, den preist Gesang Gottlob, daß ich singen und preisen kann Zu singen und preisen den braven Mann! (Es macht abermals einen Knicks und überreicht H UDETZ den Blumenstrauß.) A LLE (applaudieren.) H UDETZ (tätschelt des K INDES Wangen und entdeckt plötzlich A NNA ; er stockt, fixiert sie, geht langsam auf sie zu und reicht ihr die Hand.) Grüß Gott, Fräulein Anna! A NNA Grüß Gott, Herr Vorstand! – H UDETZ Wie gehts? A NNA Danke, gut – (Sie lächelt.) A LLE (glotzen H UDETZ und A NNA an und warten neugierig auf weitere Worte.)

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H UDETZ (wird etwas verlegen, wendet sich dann mit plötzlichem Entschluß ruckartig an die Anwesenden, deutet auf A NNA und ruft.) Mein rettender Engel! – Er lebe hoch, hoch, hoch! (Er überreicht ihr seinen Blumenstrauß.) A LLE (außer sich vor Begeisterung) Hoch, Hoch, Hoch! (Im Saal wird nun das Licht abgedreht, und eine Schrammelmusik spielt einen Walzer.) W IRT (steigt auf einen Stuhl.) Meine Herrschaften! Darf ich euch jetzt auffordern, euch in den Saal zu bemühen – Ich denk, wir haben alle schon einen Bärenhunger und Durst! Und außerdem wirds hier finster! (Gelächter und „Bravo“-Rufe) F ERDINAND (reicht A NNA seinen Arm.) Darf man bitten – A LLE (außer L ENI in festlicher Laune rechts ab) L ENI (schenkt an der Schänke viele Krügel Bier ein und summt die Walzermelodie, die aus dem Saal heraustönt, mit.) A LFONS (kommt von links.) L ENI (erblickt ihn, erschrickt und starrt ihn entsetzt an.) A LFONS Guten Abend, Leni! Was schaust mich denn so an? L ENI Sie trauen sich her? Jetzt? A LFONS (lächelt.) Warum nicht? L ENI Na, wo doch Ihre Schwester, die Frau Hudetz – A LFONS (unterbricht sie.) Ich habe keine Schwester mehr. L ENI Das glaubt Ihnen keiner! Man wird Sie an die Luft setzen – Passens auf! A LFONS (setzt sich.) L ENI (ängstlich) So gehens doch, sonst werdens noch verprügelt, die trinken ja drinnen und schlagen Sie blutig! A LFONS (lächelt.) Nur zu – L ENI (verärgert) Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen! (rasch ab nach rechts mit vielen Krügeln Bier) (Im Saal singt nun eine Sängerin „Der Lenz ist da“ von Hildach.) A LFONS (lauscht dem Gesang, erhebt sich, geht langsam auf den Saal zu, hält jedoch wieder und zögert.) (Die Sängerin hat nun ausgesungen, starker Applaus, „Hoch!“- und „Bravo!“-Rufe im Saal.) A LFONS (schrickt auf das begeisterte Geheul hin zusammen, setzt rasch seinen Hut auf und ab nach links.) (Stille) (A NNA kommt schnell und heimlich mit H UDETZ von rechts; sie reden unterdrückt.) A NNA (sieht sich ängstlich-forschend um.) Hier sieht uns niemand. H UDETZ Was wollens denn eigentlich von mir? A NNA Ich muß Ihnen etwas sagen. H UDETZ Und drinnen im Saal könnens das nicht? A NNA Nein, dort sind nämlich aller Augen auf uns gerichtet – Herr Vorstand, ich muß Sie morgen sprechen, unter vier Augen, ich hätt Ihnen nämlich etwas zu erzählen – H UDETZ Was wollens mir denn erzählen? A NNA (lächelt.) Oh, soviel! (Stille) H UDETZ Es ist besser für uns beide, wenn wir uns aus dem Wege gehen. A NNA Ich geh schon, ich geh schon – Ich geh ja noch zugrund – (Sie lächelt.) H UDETZ Still! (Er sieht sich forschend um.)

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(Stille) H UDETZ Jetzt müssen wir wieder hinein. Was wird sich denn Ihr Bräutigam denken, wenn er uns hier sehen tät. Er tät doch denken, wir hätten was miteinander, und das hätt mir grad noch gefehlt. A NNA Herr Vorstand, habens ein Erbarmen mit mir – Hörens mich morgen an, bitte – H UDETZ Sie tun ja direkt, als hing Ihr Leben dran, daß wir uns treffen. A NNA Vielleicht – (Sie lächelt.) (Stille) H UDETZ Also schön, dann morgen. Wo? A NNA Beim Viadukt. H UDETZ Oben oder unten? A NNA Unten. H UDETZ Und wann? A NNA Abends. Um neun Uhr. H UDETZ Um neun? Mitten in der Nacht? A NNA (lächelt.) Es soll uns doch niemand sehen. Wenigstens kein Mensch – H UDETZ (zuckt die Schultern.) Meinetwegen! A NNA (hält ihm die Hand hin.) Abgemacht? H UDETZ (schlägt ein.) Abgemacht. A NNA (lächelt.) Fein! (rasch ab nach rechts) (Im Saal gibts nun wieder Walzermusik.) A LFONS (tritt links wieder ein, erblickt H UDETZ und faßt sich ans Herz.) H UDETZ (fixiert ihn; leise) Bist du das, Alfons? A LFONS Ja. (Pause) H UDETZ (grinst.) Guten Abend, Schwager – A LFONS Guten Abend, Thomas, du mußt das „Schwager“ nicht so spöttisch betonen – Ein Weib, das sich derart benimmt wie meine Schwester, das existiert für mich nicht mehr. H UDETZ Lassen wir das. Es ist alles vorbei. A LFONS Nicht für mich. H UDETZ (horcht auf.) (Pause) A LFONS Zuvor war ich schon einmal hier, aber da wurde mir prophezeit, man würd mich blutig schlagen – (Er grinst und wird plötzlich wieder ernst.) Jetzt schreckt mich nichts mehr. Ich hab alles abgewogen: Es bleibt mir nur ein Weg: in aller Öffentlichkeit zu dokumentieren, daß ich von meiner Schwester abgerückt bin. Es ist aus zwischen ihr und mir – aus! Ich kann mich ja überhaupt nicht mehr halten! Ich grüß und keiner dankt, boykottiert bin ich zwar schon immer worden, aber jetzt will man mich ganz zugrunde richten – Thomas, wir zwei hatten doch nie Differenzen. Hilf mir, bitte – (Jetzt kommen aus dem Saal der W IRT , F RAU L EIMGRUBER, F ERDINAND , A NNA und der W ALDARBEITER.) W IRT (dreht das Licht an und erblickt H UDETZ .) Da bist du ja, wir suchen dich schon – (Er stockt, denn nun erblickt er auch A LFONS .) – Hoppla! Was seh ich?! Du traust dich her, du?! Also das ist ja eine bodenlose Impertinenz! Raus! F RAU L EIMGRUBER Raus! Raus damit! A LFONS Nein! Ich hab euch etwas zu sagen –

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W IRT (unterbricht ihn grob.) Uns hast du nichts zu sagen! Raus auf der Stell, sonst garantier ich für nichts! W ALDARBEITER (nähert sich A LFONS .) Quacksalber, meineidiger – (Er will handgreiflich werden.) H UDETZ Halt! Er hats mir grad erklärt, daß er keine Schwester mehr hat – F ERDINAND Er lügt! H UDETZ (scharf) Er lügt nicht! W IRT (perplex zu H UDETZ ) Daß grad du das sagst – H UDETZ Ja. Tuts mir den Gefallen und laßt ihm seinen Frieden – (ab nach rechts)

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(V O R H A N G)

Vi e r t e s B i l d . 15

Schluchtartige Gegend. Die Pfeiler des Viadukts ragen in den Himmel. Es ist eine einsame Nacht. Der Mond scheint, es wurde Herbst, und alles liegt still wie die ewige Ruh. Nur der G ENDARM befindet sich auf seinem Dienstgang. 20

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G ENDARM (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis.) Ist dort jemand? – Hallo! Wer da? H UDETZ (tritt vor.) Guten Abend, Herr Inspektor – G ENDARM (beruhigt) Ach, der Herr Vorstand! Was treiben Sie hier beim Viadukt? H UDETZ Ich geh nur ein bisserl spazieren! G ENDARM Mitten in der Nacht? H UDETZ Ich hab nichts gegen die Nacht – (Er lächelt.) G ENDARM Passens nur auf, heut treibt sich allerhand lichtscheues Gesindel in der Gegend herum, grad hab ich die offizielle Nachricht bekommen, mir scheint, Zigeuner – H UDETZ (fällt ihm ins Wort.) Ich fürcht mich nicht. G ENDARM (lächelt.) Jaja, ein reines Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen – Einen wie langen Erholungsurlaub habens denn bekommen, Herr Vorstand? H UDETZ Acht Tage. G ENDARM Nur? Na da dürfens aber nicht viel solche Feste mitmachen wie gestern abend – Lang hats gedauert, meiner Seel! Bis sechse in der Früh! H UDETZ Lustig wars. G ENDARM Und Räusch hats gegeben, schon direkt lebensgefährliche Räusch! Wie lang habens denn heut geschlafen? H UDETZ Überhaupt nicht. Ich schlaf neuerdings nicht gut. G ENDARM Kenn ich, kenn ich! Ich hab auch darunter zu leiden. Da liegt man in der Finsternis, und es fällt einem alles ein – alles, was man hätt besser machen können – H UDETZ Das auch. G ENDARM Also auf Wiedersehen, Herr Vorstand! Und nochmals: recht gute Erholung! (Er salutiert und ab.) H UDETZ Auf Wiedersehen, Herr Inspektor – (Er schaut ihm nach und zündet sich dann eine Zigarette an; oben auf dem Viadukt läutet jetzt ein Signal, ähnlich dem Läutwerk im Bahnhof; er horcht auf und blickt empor.)

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A NNA (kommt, erblickt ihn und schrickt etwas zusammen.) H UDETZ Sind Sie jetzt erschrocken? A NNA (lächelt.) Sie standen so plötzlich vor mir – (Im fernen Ort schlägt die Kirchturmuhr.) H UDETZ (zählt die Schläge leise mit.) – neun. Ich bin schon seit dreiviertel da – (Er grinst.) Damen läßt man nicht warten. (Stille) A NNA (sieht sich forschend um.) Ich bin heimlich fort, denn es soll niemand wissen, daß wir uns hier treffen. H UDETZ Ganz meine Meinung. A NNA Die Leut würden nur reden, und sie hätten doch gar keinen Grund, nicht? H UDETZ Ich wüßt keinen. (Jetzt fährt hoch droben ein Zug über den Viadukt.) A NNA (blickt empor.) Ein Personenzug – H UDETZ (blickt auch empor.) Nein, das ist der Expreß. A NNA Ich dachte, weil er so langsam fährt – H UDETZ Das täuscht. A NNA Trotzdem. (Stille) H UDETZ Was haben Sie mir also zu erzählen? A NNA Viel. Sehr viel. H UDETZ Also los! Erstens, zweitens, drittens. (Stille) A NNA Herr Vorstand, habens denn keine innere Stimme mehr? H UDETZ (starrt sie an.) A NNA Was würden Sie denn sagen, wenn ichs jetzt hinausschreien würde, daß ich gelogen hab, daß ich falsch geschworen hab, daß Sie das Signal – H UDETZ (herrscht sie an.) Ruhe! (Er sieht sich um.) (Stille) A NNA (leise, fast lauernd) Was würdens denn tun, Herr Vorstand? H UDETZ Dann, hm. Das weiß ich heut noch nicht. A NNA Das ist nicht wahr. H UDETZ Sie müssens ja wissen. A NNA Oh, ich hör alles. (Stille) H UDETZ Umbringen würd ich Sie nicht. A NNA (lächelt.) Schad. H UDETZ (horcht auf.) (Stille) A NNA (sehr einfach) Ich möcht nicht mehr leben, Herr Vorstand! H UDETZ Es war Ihre Pflicht und Schuldigkeit, so zu schwören, wie Sie geschworen haben. A NNA (fährt ihn an.) Sie irren sich, wenn Sie meinen, daß nur ich schuld bin, oh darauf laß ich mich nicht ein, ich nicht! H UDETZ Wer wär denn sonst noch schuld, außer Ihnen? A NNA Nein, nein, nicht nur ich! H UDETZ (ironisch, wie ein Staatsanwalt) Sondern? Vielleicht gar der große Unbekannte?

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A NNA Vielleicht. (Oben auf dem Viadukt läutet wieder das Signal.) H UDETZ (blickt empor.) A NNA (bange) Was war das? H UDETZ Ein Signal! A NNA (hält sich plötzlich die Ohren zu; leise) Ich hör noch immer das Geschrei – – Ich darf nicht allein sein, Herr Vorstand, dann kommen die Toten, sie sind bös auf mich und wollen mich holen – (Stille) H UDETZ Hörens her: Ich war jetzt vier Monat allein, in Einzelhaft, nur mit mir selbst persönlich, und da hatt ich reichlich Gelegenheit, mich mit meiner inneren Stimme zu unterhalten, zu jeder Stund. Wir haben viel miteinander dischkuriert, Fräulein Anna – und das Resultat? „Du bist ein pflichtgetreuer Beamter“, hat die innere Stimme zu mir gesagt, „du hast noch nie ein Signal verpaßt, du bist unschuldig, lieber Thomas“ – A NNA (unterbricht ihn.) Unschuldig? H UDETZ Ganz und gar! A NNA (fährt ihn an.) Machen Sie sichs nur nicht gar zu bequem! H UDETZ (schreit sie an.) Ich mach mir nichts bequem! Meine einzige Schuld war, daß ich Sie damals nicht gleich verjagt hab, daß ich so höflich mit Ihnen war, daß ich Ihnen nicht gleich eine hingehaut hab, verstanden? (Stille) A NNA (lächelt.) Hinhauen hätten Sie mir eine sollen? H UDETZ Ja. (Stille) A NNA Schad, daß Sies nicht getan haben – H UDETZ Das tut mir selber leid. A NNA Hauens mir jetzt eine hin. Vielleicht wirds dann besser. H UDETZ (schreit sie wieder an.) Machens da keine blöden Witz, ja?! A NNA Das ist kein Witz. Damals, das war einer, wie ich Ihnen den Kuß – H UDETZ (unterbricht sie.) Redens nicht immer darüber! A NNA (lächelt.) Ich hab sonst nichts zu reden – H UDETZ Dann schweigens gefälligst! Sonst passiert noch ein Unglück! (Stille) A NNA Wie meinen Sie das, Herr Vorstand? H UDETZ Was? A NNA Das Unglück. Wird es kommen? (Stille) H UDETZ (fixiert sie.) Ich bin freigesprochen, Fräulein Anna – glänzend frei! A NNA Dann werdens vielleicht noch etwas Größeres anstellen müssen, damit Sie bestraft werden können – (Sie lächelt leise.) (Stille) H UDETZ (fährt sie an.) Schauens mich nicht so an! A NNA (lächelt.) Habens Angst? Vor mir? H UDETZ (starrt sie an.) Jetzt sind Sie ganz weiß – A NNA Das ist nur der Mond, Herr Vorstand – H UDETZ (wie zuvor) Als hättens keinen Tropfen Blut mehr – keinen Tropfen – A NNA Oh, ich hab noch genug! (Sie lacht.)

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H UDETZ (herrscht sie an.) Hörens auf! (Stille) H UDETZ Ich geh jetzt. A NNA Wohin? H UDETZ Schlafen. A NNA Können Sie schlafen? H UDETZ Ja. (Er will ab.) A NNA Halt! Herr Vorstand, mein Leben ist plötzlich anders geworden – Ich hab mir nichts dabei gedacht, aber jetzt ist alles anders, und wenn die Nacht kommt, dann hab ich die Sterne vergessen. Unser Haus, Herr Vorstand, ist kleiner geworden. Und der Ferdinand, den seh ich jetzt auch mit ganz anderen Augen – Alle sind mir so fremd geworden, mein Vater, die Leni, und alle, alle – nur Sie nicht, Herr Vorstand. Wie Sie gestern gekommen sind, da hab ichs schon gewußt, wie Sie aussehen, Ihre Nase, Ihre Augen, Ihr Kinn, Ihre Ohren – als hätt ich mich an Sie erinnert, dabei haben wir uns doch nie beachtet – aber jetzt kenn ich Sie genau. Gehts Ihnen auch so mit mir? H UDETZ (wendet sich ihr nicht zu; nach einer kleinen Pause) Ja. A NNA (lächelt leise.) Fein! (Stille) A NNA Herr Vorstand. Wenn ich mal sterben werd, dann werd ich auch noch zu Ihnen gehören – Wir werden uns immer wieder sehen – H UDETZ (geht langsam auf sie zu, hebt langsam ihr Kinn hoch und sieht ihr in die Augen; als würd er sie leise rufen) Anna. Anna – A NNA (sehr leise) Erkennst mich wieder? H UDETZ Ja – (Er küßt sie, und sie umarmt ihn.) (V O R H A N G)

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Fünftes Bild. Drei Tage später, wieder im Gasthaus zum wilden Mann. Das „Willkommen“, die Lampions und das Tannengrün sind verschwunden. Draußen regnets. L ENI beugt sich über einen Tisch und liest die Zeitung. H UDETZ tritt links ein.

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L ENI Grüß Gott, Herr Vorstand! H UDETZ Ein Viertel Roten – (Er setzt sich.) L ENI (perplex) Seit wann trinken Sie einen Roten? H UDETZ Seit heut. L ENI Komisch. (Sie schenkt ein.) (Stille) H UDETZ Gibts was Neues? L ENI (bringt ihm den Wein.) Immer noch nichts. Man tappt noch im Dunkeln. – H UDETZ Hm. (Er trinkt.) L ENI Heut nacht werdens drei Tag, daß sie verschwunden ist, unsere Anna – verschwunden, als hätt sie die Erde verschluckt. Ich hab sie noch als letzte gesehen – Sie hat gesagt, sie geht jetzt schlafen, sie wäre so sehr müd vom Fest, aber ihr Bett war am Morgen unberührt, total unberührt –

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H UDETZ Hm. L ENI Heut hat der Vater eine Belohnung ausgesetzt für eine zweckdienliche Nachricht – Sie haben sich gestern lang über die Höhe beraten, er und der Herr Ferdinand. Hoffentlich ist sie nicht verschleppt worden, von Mädchenhändlern oder so – H UDETZ Das sind Märchen. L ENI Herr Vorstand, ich wills ja nicht laut sagen, aber ich glaub, sie lebt nicht mehr – (Sie stockt und betrachtet plötzlich interessiert seine Wange.) Was habens denn da? H UDETZ Wo? L ENI (neckisch) Wer hat Sie denn da gekratzt? H UDETZ Niemand. Ich hab mich nur verletzt. An einem rostigen Nagel – (Er grinst.) L ENI (droht ihm neckisch.) Nanana! Gedanken sind zollfrei – (Sie reinigt die Gläser.) Übrigens: Wissens es schon, wer seit gestern abend wieder im Land ist? Ihre Frau. H UDETZ (perplex) Wer? L ENI Ihre Frau, mit der Sie in Scheidung leben – H UDETZ (fällt ihr ins Wort.) Ah, die! L ENI Sie wohnt bei ihrem Bruder, in der Drogerie – Derweil hats doch dieser Drogist öffentlich dokumentiert, daß er keine Schwester mehr hat, und Sie haben ihn sogar beschützt! Was sagens jetzt? H UDETZ (grinst grimmig.) Ich werd bald gar nichts mehr sagen! L ENI Und wissens, was die Leut sagen? Die findens absolut in Ordnung, und keiner kritisiert. Jaja, seits die arme Anna nicht mehr gibt, ist der Drogist direkt zum lieben Gott avanciert – Auf einmal redet nur alles voll Hochachtung von ihm. So wetterwendisch sind die Leut! H UDETZ Ich pfeif auf die Leut. (Die Kirchenuhr schlägt.) H UDETZ (zählt tonlos mit.) – sechs. L ENI Schon wieder sechs. Die Stunden gehen – H UDETZ Ja. (Er trinkt; dann gewollt desinteressiert, wie so nebenbei) Warum glaubens denn, daß das Fräulein Anna nicht mehr lebt? L ENI (sieht sich vorsichtig um und beugt sich ganz in seine Nähe; leise) Ich schwörs Ihnen zu, sie hat sich was angetan – H UDETZ (starrt sie an.) L ENI (fixiert ihn.) Könnens das nicht begreifen, Herr Vorstand? H UDETZ (momentan verwirrt) Ich? Wieso? Was wollens damit sagen? L ENI (wie zuvor) Habens noch nichts gehört? H UDETZ Was? Was hab denn ich damit zu tun? So redens doch! L ENI Sie werden mir bös sein – H UDETZ Ich bin nicht bös. Los! L ENI (sieht sich wieder vorsichtig um; noch leiser, wie zuvor) Seit die arme Anna verschwunden ist, glauben ihr die Leut nicht mehr – Sie sagen sogar, Herr Vorstand wären sicher nicht so sehr traurig, wenn das Fräulein Anna nicht mehr reden könnt – H UDETZ (starrt sie an.) L ENI Sie sagen, die Anna hat den Tod gesucht, weil sie keine Ruh mehr gefunden hat vor ihrer inneren Stimme.

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H UDETZ (wie zuvor) Innere Stimme? L ENI Die Leut glauben, daß unsere Anna falsch geschworen hat, einen Meineid, weil – (Sie stockt.) H UDETZ (lauernd) Weil? L ENI Weil Sie, Herr Vorstand, das Signal nicht rechtzeitig gestellt haben sollen – (Stille) H UDETZ (lacht und wird plötzlich wieder ernst.) (Stille) L ENI Was werdens jetzt tun, Herr Vorstand? H UDETZ Ich hab das Signal rechtzeitig gestellt. Ich war immer ein pflichtgetreuer Beamter – (Er trinkt.) G ENDARM (kommt von links; er ist sehr ernst.) L ENI Grüß Gott, Herr Inspektor! G ENDARM Ist der Herr zu Haus? L ENI Ja. G ENDARM Ich muß ihn sprechen, sofort. L ENI (entsetzt) Um Gottes willen, was ist denn passiert? G ENDARM Wir haben die Anna gefunden. Sie ist tot. L ENI Jesus Maria! (Sie bekreuzigt sich.) Sie hat sich also doch was angetan. G ENDARM Nein, sie hat sich nichts angetan. Sie ist ermordet worden. L ENI Ermordet – – G ENDARM Wir verfolgen schon eine bestimmte Spur. Sie ist beim Viadukt gefunden worden, unten, und wir hatten Nachricht, daß sich lichtscheues Gesindel herumtreibt, Zigeuner – (zu H UDETZ ) Mir scheint, ich habs auch Ihnen erzählt, Herr Vorstand – H UDETZ Stimmt. G ENDARM Das war in derselben Nacht, wo wir uns beim Viadukt getroffen haben, unten – H UDETZ Stimmt. G ENDARM Sagens, Herr Vorstand: Haben Sie damals nicht irgendwas Verdächtiges bemerkt? H UDETZ Nein. G ENDARM Hm. (Er sieht H UDETZ groß an.) Gottes Mühlen mahlen langsam – H UDETZ Ich hab keine Zigeuner gesehen. G ENDARM Sie wurde auch von keinem Zigeuner ermordet – Wiedersehen, Herr Vorstand! H UDETZ Wiedersehen. G ENDARM (ab nach rechts) (Stille) L ENI (starrt ihn an.) Sie waren damals beim Viadukt? H UDETZ Ja. (Er erhebt sich.) L ENI Sie gehen schon? H UDETZ Zahlen. L ENI (schreit ihn plötzlich an.) Herr Vorstand! Was haben Sie beim Viadukt getan?! H UDETZ Ich? (Er lächelt.) Ich hab mich mit dem Fräulein Anna verlobt – (Er salutiert und rasch ab nach links.) (V O R H A N G)

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Sechstes Bild. 5

Drei Tage später, in der Drogerie. Im Hintergrund das Pult, im Vordergrund links ein kleiner Tisch und zwei Stühle. Rechts die Eingangstüre und ein Teil der Auslage von innen, links führt eine Tapetentüre in die Privatwohnung. Es ist spät am Nachmittag, kurz vor Ladenschluß.

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F RAU L EIMGRUBER Es kann Ihnen wirklich leid tun, daß Sie nicht bei dem Begräbnis waren von dem armen Kind, es war wirklich großartig! Von weit und breit waren die Leut da, noch mehr wie damals bei der Eisenbahnkatastrophe, sogar Zeitungsleut, und das Grab ist abphotographiert worden für die Illustrierte Volksstimme von allen Windrichtungen! Und Blumen hats gegeben – eine wahre Pracht! Sie haben wirklich was versäumt, ich kanns zwar lebhaft nachfühlen, daß Sie dem letzten Gang unseres armen Annerl nicht beiwohnen wollten, wo doch Ihr ehemaliger Schwager – versteh-versteh! Taktgefühl, Taktgefühl! Herr, was treibens denn da?! Nein, das Paket ist mir viel zu groß, machens mir lieber zwei. A LFONS Wie Sie wünschen – F RAU L EIMGRUBER Ich bitte darum, wissens, der Vater, der ärmste, schmerzgebeugte, war sehr gefaßt, aber der Bräutigam, der Ferdinand, also der war ganz zusammengebrochen, ein einziges Trumm von einer Ruine – Die Tränen sind ihm so heruntergelaufen, es war zum Herzerbarmen! Jaja, man sollte gar nicht meinen, wieviel zartes Gefühl in so einem rauhen Lackl von einem Fleischhauer stecken kann, und umgekehrt! Ich sags ja: Grad in dem wildesten Mann pocht oft nur ein Kinderherz – armes Annerl! Jetzt bist eingraben und liegst allein, jetzt deckt dich niemand mehr zu, wenns regnet. Da schauns, das sind ihre Sterbebildchen, zur Erinnerung an den Todestag – Da, ich schenk Ihnen eins, ich hab eh eine ganze Mass – – (Sie legt eins auf das Pult.) A LFONS (sieht nicht hin.) Danke, Frau Leimgruber. (Stille) F RAU L EIMGRUBER Und wie gehts der verehrten Frau Schwester? Das werte Befinden? A LFONS (lächelt.) Es geht so – F RAU L EIMGRUBER Natürlich-natürlich! Sie hat ja auch viel Aufregerei hinter sich, aber ich an ihrer Stell wär froh, daß er nicht mich umgebracht hat – Wär ja auch möglich gewesen! Ich hab mir heut während der ganzen Trauerzeremonie gedacht: Es muß doch eine gewaltige Genugtuung für Sie sein, daß dieser saubere Vorstand verfolgt wird, dieser Hudetz, dieser Schwerverbrecher – Hoffentlich erwischens ihn bald! Wissens, ich freu mich aufrichtig, daß das Eis um Sie gebrochen ist, alles spricht voller Ehrerbietung von Ihnen und Ihrer unglücklichen Frau Schwester, als tät sogar ein jeder ein bisserl Reue verspüren – A LFONS Reue hat noch keiner bereut. Aber ich möcht jetzt nur eines konstatieren: Genugtuung empfind ich nicht. Mir wärs lieber, diese schreckliche Tat wär niemals verbrochen worden. F RAU L EIMGRUBER Geh-geh-geh! Also das ist schon wieder zu edel! Passens nur auf, daß Sie am End nicht zu großartig werden, denn dann werdens wieder antipathisch!

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A LFONS Ich sag nur meine innerste Überzeugung. F RAU L EIMGRUBER Die Wahrheit liegt woanders. A LFONS Meine Schwester ist angespuckt worden, weil sie die Wahrheit gesagt hat. F RAU L EIMGRUBER Das war eben ein Irrtum, ein krasser! Aber in dieser Thomas Hudetz-Affäre, da gibts keine Irrtümer, das sag ich Ihnen, ich, Leopoldine Leimgruber! Dieser Hudetz hat unser armes Annerl verführt, einen Meineid zu schwören, es war sein verbrecherischer Einfluß und sonst nichts, aber wie sie dann zusammengebrochen ist unter ihrer schweren Schuld und hat reuig alles bekennen wollen, da hat er sie eben einfach umgebracht – und auch nicht sie hat ihm einen Kuß gegeben, seinerzeit am Bahnhof, sondern er hat ihr, und auch keinen Kuß, sondern vergewaltigen hat er sie wollen, in seinem Dienstzimmer, dabei ist sie auf den Signalhebel gefallen – A LFONS (unterbricht sie empört.) Woher wollens denn das wissen? Waren Sie dabei? F RAU L EIMGRUBER Erlaubens mal! A LFONS Ich vertrags nicht! Ich sag sogar: Solang es nicht sonnenklar bewiesen ist, daß er der Mörder ist, solang er es nicht selber gesteht, freiwillig gesteht, solang glaub ich überhaupt an keine Schuld! F RAU L EIMGRUBER Mir scheint, Sie glauben an überhaupt nichts mehr?! An keinen Herrgott im Himmel und an gar nichts! A LFONS Von Ihnen werd ichs mir sagen lassen, wo der liebe Gott wohnt, was? Der Hudetz ist noch lang nicht der Schlechteste, merkens Ihnen das, Frau Leimgruber! F RAU L EIMGRUBER (sehr spitz) Ah, hier wird man mit Mördern verglichen? A LFONS Erinnerns Ihnen nur, wie er mich in Schutz genommen hat, als ihr mich verprügeln wolltet! F RAU L EIMGRUBER (gehässig) Vielleicht wärs besser gewesen, wenn er Sie nicht beschützt hätt! Meiner Seel, mit Ihnen kann man wirklich nicht anständig verkehren – Es geht und geht nicht! (Sie reißt ihm ihre beiden Pakete aus der Hand und rasch ab nach rechts.) A LFONS (allein; er lächelt still und hält sich die Hand vor die Augen.) (Die Kirchturmuhr schlägt siebenmal.) A LFONS (sieht auf seine Taschenuhr.) Schluß. Wieder ein Tag – (langsam ab durch die Eingangstüre; man hört, wie er draußen den eisernen Rolladen der Auslage herunterzieht.) F RAU H UDETZ (kommt durch die Tapetentüre mit dem Abendessen auf einem Tablett; sie deckt den kleinen Tisch.) A LFONS (erscheint wieder in der Eingangstüre und schließt sie von innen ab; dann setzt er sich an den kleinen Tisch und ißt.) F RAU H UDETZ (hat sich auch bereits gesetzt und zu essen begonnen; plötzlich) Du hast dich wieder mit der Kundschaft unterhalten, über ihn? A LFONS Ja. F RAU H UDETZ Ich habs bis in die Küche gehört, zwar nicht alles, aber du hast ihn wieder in Schutz genommen? A LFONS Ja. (Stille) F RAU H UDETZ Sag: Könnten wir eigentlich nicht drüben im Zimmer essen? Hier riechts immer so nach Chemikalien. A LFONS Dann müßten wir das Zimmer heizen.

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F RAU H UDETZ (lächelt etwas spitz.) Ich habe nie gewußt, daß du ein geiziger Mensch bist – A LFONS Wenn ich nicht geizig wäre, könntest du nicht ans Meer fahren. (Stille) F RAU H UDETZ Dann essen wir ab morgen in der Küche. A LFONS Ich hab zwar noch nie in der Küche gegessen, aber bitte! (Stille) F RAU H UDETZ Schmeckts? A LFONS Ja. (Stille) F RAU H UDETZ Was willst du morgen essen? A LFONS Was du mir kochst. F RAU H UDETZ (hört plötzlich auf zu essen und legt Messer und Gabel neben ihren Teller.) Manchmal frag ich mich, für welche Verbrechen wir büßen müssen – A LFONS Für unsere eigenen. F RAU H UDETZ Nein, ich hab keine – A LFONS Doch. F RAU H UDETZ Ich bin mir keines Verbrechens bewußt. A LFONS Das hat nichts zu sagen. Du wirst es halt vergessen haben – F RAU H UDETZ (spitz) Meinst du? A LFONS Es ist meine innerste Überzeugung. F RAU H UDETZ Die Wahrheit liegt woanders. A LFONS Du sprichst wie die Frau Leimgruber – F RAU H UDETZ (sehr spitz) Ah, hier wird man mit Verleumderinnen verglichen – A LFONS (lächelt.) Die Leimgruber, die Leimgruber! F RAU H UDETZ (fixiert ihn kalt, zuckt dann die Schultern.) Ich bin unschuldig. A LFONS Unschuldig?! (Er lacht.) F RAU H UDETZ (herrscht ihn an.) Lach nicht! Sag mir ein Verbrechen, ein einziges meiner Verbrechen! A LFONS (erhebt sich und geht auf und ab.) Ich erinnere mich, wie du mir gesagt hast, der Thomas will nichts mehr von mir, aber dann soll er auch keine andere anschauen, keine! Dazu hast du kein Recht gehabt, das war ein Verbrechen! F RAU H UDETZ (höhnisch) Für dieses Verbrechen übernehm ich die Verantwortung! A LFONS Dann schrei nicht, wenn du bestraft wirst! Klag nicht an, daß du verfolgt wirst! Du warst um dreizehn Jahr älter, du mußtest es wissen und fühlen – aber du hast seine Liebe erpressen wollen, jawohl; erpressen! F RAU H UDETZ Bell nur. Was weißt du von uns Frauen! Dich mag ja keine – A LFONS (fixiert sie.) Hast du gesagt: „Ich haß ihn, jawohl ich hasse ihn, und ich könnt ihn, wenn er neben mir liegt in der Nacht, erschlagen“ – (Er fährt sie an.) Hast du das gesagt? Ja oder nein?! F RAU H UDETZ (unheimlich ruhig) Ja. Aber ich hab ihn doch nicht erschlagen – (Sie grinst.) A LFONS Vielleicht. (Stille) F RAU H UDETZ Du tust ja direkt, als hätt ich das Signal verpaßt, als wären durch mich achtzehn Personen umgekommen – A LFONS (fällt ihr ins Wort.) Das hängt alles zusammen.

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F RAU H UDETZ (schreit ihn plötzlich an.) Hab denn vielleicht auch ich das Mädel, die Anna?! (Es klopft an der Eingangstüre.) D IE ZWEI (zucken zusammen und lauschen.) F RAU H UDETZ (bange) Wer klopft da? (Es klopft abermals.) A LFONS (wendet sich der Eingangstüre zu.) Werden sehen – F RAU H UDETZ Gib acht, Alfons! A LFONS (öffnet die Eingangstüre und schreckt etwas zurück; unterdrückt) Du bists? H UDETZ (tritt ein in zerknüllter Uniform, ohne Kappe.) F RAU H UDETZ (schreit unterdrückt auf.) Thomas! A LFONS (schließt rasch die Eingangstüre.) H UDETZ (beachtet die beiden nicht, geht langsam an den kleinen Tisch, betrachtet die Reste, nimmt langsam eine Semmel und ißt apathisch.) D IE ZWEI (starren ihn an.) H UDETZ (hört auf zu essen, blickt die beiden an und lächelt.) Wie gehts euch? F RAU H UDETZ Thomas, hast du den Verstand verloren?! H UDETZ (herrscht sie an.) Ruhe! Schrei nicht! (Er sieht sich mißtrauisch um.) A LFONS Du wirst verfolgt? H UDETZ (grinst.) Natürlich. (Stille) A LFONS Was willst du von uns? H UDETZ Ich hab mich bis heut im Wald versteckt und bin jetzt heimlich her – (Er grinst.) Fürchtet euch nicht! Es hat mich keiner gesehen – (Er wird wieder ernst: sachlich.) Ich brauch einen Anzug. Zivil. Ich muß nämlich fort, und das geht nicht in Uniform. (Stille) H UDETZ Also: bekomm ich den Anzug oder nicht? F RAU H UDETZ (fährt ihn an.) Was ziehst du uns da hinein zu dir?! Das wär ja Vorschubleistung. Laß meinen Bruder aus dem Spiel, du hast mich genug gequält! Laß uns unseren Frieden! H UDETZ (grinst wieder.) Habt ihr Frieden? (Stille) A LFONS Wir trachten nach Frieden. Und trachten guten Willens zu sein. H UDETZ Du vielleicht schon – A LFONS (herrscht ihn an.) Hör auf mit diesem Ton! Geh lieber in dich! (Stille) H UDETZ (grinst.) Wohin soll ich gehen? In mich hinein? Was tät ich denn da finden? A LFONS Schau nach. H UDETZ (horcht auf und grinst nicht mehr.) (Stille) H UDETZ Es ist alles umzingelt mit Gendarmerie und Militär. Aber ich komm durch. Ich trete die Strafe nicht an. Ich berufe, denn ich kann nichts dafür. A LFONS Meinst du? H UDETZ Ich bin unschuldig. F RAU H UDETZ (lacht hysterisch.) Die Frau Leimgruber, die Frau Leimgruber!

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H UDETZ Lach nicht! F RAU H UDETZ Aber das ist ja auch zu komisch – (Sie setzt sich an den kleinen Tisch, beugt sich über die Tischplatte und weint.) H UDETZ (zu A LFONS ) Was hat sie denn? (Stille) A LFONS Thomas – ich wollt es eigentlich nicht glauben – H UDETZ Was? Ach so! – Ja, da hilft dir nichts, du mußt es glauben. Ich hab mich mit der Anna „verlobt“. F RAU H UDETZ (entsetzt) Verlobt?! H UDETZ (nickt ja.) Beim Viadukt. Hm – (Er lächelt.) Ich hab sie gepackt und geschüttelt, aber sie war nicht mehr da – Ich hab noch nach ihr gerufen, aber sie gab keinen Laut mehr von sich. Dann bin ich nach Haus und hab mich niedergelegt – Ich hab plötzlich wieder schlafen können, seit vier Monaten, wie ein pflichtgetreuer Beamter – (Er lächelt.) Na. (Er denkt nach und faßt sich langsam an den Kopf.) Ja und dann hätt ich euch noch was zu fragen: Ich weiß, daß ich sie umgebracht hab, aber ich weiß nicht, wie, – wie? (Er blickt auf A LFONS und F RAU H UDETZ .) Wie hab ich sie denn nur? D IE ZWEI (starren ihn entgeistert an.) H UDETZ Habt ihrs denn nicht in der Zeitung gelesen? A LFONS Nein, wir wollen nichts darüber lesen. H UDETZ Wenn ich das nur wüßt – A LFONS Was wär dann? H UDETZ Dann – ja, dann würd ich mich kennen, besser kennen – (Stille) H UDETZ (zu F RAU H UDETZ ) Weißt du, daß ich dich immer verteidigt hab? F RAU H UDETZ Ja. Aber dafür hast du auch immer an eine andere gedacht, wenn du bei mir warst – H UDETZ (nickt ihr lächelnd zu.) An meine Verlobte – F RAU H UDETZ Ach Thomas! Reden wir nicht mehr darüber, ich bin so müd! H UDETZ Ich auch. Aber ich muß noch weit weg – A LFONS (zu F RAU H UDETZ ) Bring ihm meinen grauen Anzug. So geh schon! F RAU H UDETZ (zu A LFONS ) Er bringt dich noch ins Unglück! A LFONS Geh! F RAU H UDETZ (ab durch die Tapetentüre) (Stille) H UDETZ Jemand hat mir mal gesagt: „Sie wurden freigesprochen, mein Herr, und Sie werden noch etwas Großes verbrechen müssen, um bestraft werden zu können“ – (Er hält die Hand vor die Augen.) Wer hat denn das nur gesagt – wer? A LFONS Wars nicht die Anna? H UDETZ (zuckt zusammen und starrt A LFONS erstaunt an.) Ja. Woher weißt du denn das? A LFONS (lächelt.) Ich war nicht dabei – (Stille) H UDETZ (fixiert A LFONS .) Nicht dabei? Ich auch nicht – (Er lächelt und entdeckt auf dem Pult das Sterbebildchen.) Was ist denn das? (Er liest.) „Zur frommen Erinnerung an die ehrengeachtete Jungfrau Anna Lechner, Gastwirtstochter dahier“ – (zu A LFONS ) Wars ein schönes Begräbnis? A LFONS Ja.

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H UDETZ (lächelt leise und glücklich und betrachtet noch weiter das Sterbebildchen; wird ernst und liest, als würd er es nur sich vorlesen.) Halte still, du Wandersmann Und sieh dir meine Wunden an Die Stunden gehen Die Wunden stehn Nimm dich in acht und hüte dich Was ich am jüngsten Tag für dich Für ein Urteil sprich – – F RAU H UDETZ (kommt mit dem grauen Anzug und legt ihn auf einen Stuhl; zu H UDETZ , der nachdenkt) Geh jetzt, Thomas – H UDETZ (wie zu sich selbst) Ja – (Er wendet sich der Eingangstüre zu.) F RAU H UDETZ Und der Anzug? H UDETZ (blickt auf den Anzug und sieht dann die zwei groß an; er lächelt.) Danke, nein – (ab durch die Eingangstüre) (V O R H A N G)

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Siebentes Bild. Auf dem Bahndamm, wo seinerzeit der Eilzug vierhundertfünf mit einem Güterzug zusammengestoßen ist. Es ist tiefe Nacht, und das Signal steht grün, auf freie Fahrt. Von rechts kommt der G ENDARM mit aufgepflanztem Bajonett, gefolgt vom W IRT und von F ERDINAND , die sich mit ihren Jagdgewehren bewaffnet haben. Sie gehen nach links. W IRT (hält plötzlich und lauscht in die Finsternis.) Dort ist doch einer – Hallo! Wer da?! (Stille) G ENDARM Nichts. Das ist oft nur die Nacht, die man hört. W IRT (grimmig) Der wird uns noch entkommen – G ENDARM Das wird er nicht, garantiert! Die ganze Umgebung ist alarmiert, alles ist umzingelt. F ERDINAND (schluchzt plötzlich rührselig.) Oh mein Annerl, liebes armes Annerl – wo bist wohl jetzt? G ENDARM Im Paradies. F ERDINAND Was hat man davon – (Er holt eine Flasche hervor und sauft.) W IRT (unterdrückt) Sauf nicht soviel. F ERDINAND Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften – Ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter – W IRT Ermann dich! F ERDINAND (herrscht den W IRT an.) Ich ermann mich nicht: Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam, und sie war meine große Liebe, bitt ich mir aus! (Er trinkt wieder.) A LFONS (kommt von rechts, erblickt die drei und hält.)

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D IE DREI (erblicken ihn und starren ihn entgeistert an.) A LFONS Guten Abend. (Stille) W IRT (findet als erster seine Sprache wieder.) Du, du traust dich mir vor meine Augen – A LFONS (fällt ihm ins Wort.) Ja. (zum G ENDARMEN ) Herr Inspektor, ich suche Sie. G ENDARM Wo steckt Ihr Schwager? A LFONS (lächelt etwas unsicher.) Ach, ihr wißt es bereits – G ENDARM (perplex) Was denn? W IRT Wie der lächelt – (Er starrt A LFONS gehässig an.) A LFONS Ja, mein Schwager Thomas Hudetz ist heut abend bei mir erschienen – F ERDINAND (fällt ihm ins Wort.) Erschienen?! A LFONS Unerwartet. W IRT (höhnisch) Unerwartet! A LFONS Ja. (zum G ENDARMEN ) Er kam zu mir und verlangte einen anderen Anzug – G ENDARM (fällt ihm scharf ins Wort.) Und Sie? Sie haben ihm einen anderen Anzug gegeben, was? A LFONS (nach einer kleinen Pause) Er hat es sich selbst wieder überlegt – (Er lächelt.) Ja, er verzichtete. Und ich, Herr Inspektor, hab es mir auch überlegt, ob man es melden soll, daß er zu mir um Hilfe gekommen ist, aber ich glaube, man muß es melden – auch in seinem Interesse. F ERDINAND Der hat kein Interesse, merk dir das! W IRT Wo steckt er denn, der Herr Schwager?! Wo ist er denn hin, unser geliebter Herr Vorstand?! A LFONS Wie er mich vorhin verlassen hat, bin ich ihm gleich nach – aber dann hab ich ihn aus den Augen verloren – – Er ging den Weg zum Viadukt. W IRT Zum Viadukt? (Er faßt sich ans Herz.) A LFONS Ja. Gott steh ihm bei. (Stille) A LFONS Wirds euch jetzt klar, warum er den anderen Anzug nicht nahm? G ENDARM Warum? A LFONS Ein Viadukt ist zumeist sehr hoch – (Er lächelt seltsam.) (Stille) G ENDARM Ach, Sie meinen, daß er hinunterspringt? F ERDINAND Hinunter? A LFONS Ich fürchte, daß er sich selbst richtet – W IRT Sich selbst richtet?! Also das gibts nicht! Das laß ich nicht zu! Das wär ja zu einfach! Was bildt sich denn der ein?! Mein Kind erschlagen, mein einziges Kind, und dann einfach sich selbst – ?! Ah, das wär zu bequem! F ERDINAND Eingesperrt gehört er und geköpft! Kopf ab, Kopf ab! G ENDARM Ein korrektes Gerichtsverfahren – W IRT (fällt ihm ins Wort.) Den hol ich mir jetzt! Zum Viadukt! (rasch ab nach links) F ERDINAND Ich hol ihn auch – los, Herr Inspektor! (zu A LFONS ) Und du geh schlafen! (rasch ab nach links) A LFONS Nein. Ich hol ihn auch. Er soll sich der irdischen Gerechtigkeit nicht entziehen. G ENDARM Bravo! (ab mit A LFONS nach links)

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P OKORNY (ein seliger Lokomotivführer, tritt aus der Finsternis vor und raucht eine Virginia; er blickt A LFONS nach und grinst.) Idiot, mit deiner irdischen Gerechtigkeit – (Das Signal läutet und wechselt auf rot. Ein S TRECKENGEHER erscheint auf dem Bahndamm; er trägt eine Lampe auf der Brust, und man kann sein Gesicht nicht erkennen.) P OKORNY (leise) Servus, Kreitmayer! S TRECKENGEHER (hält; er hat eine sanfte Stimme.) Meine Hochachtung, Herr Lokomotivführer! P OKORNY Wo steckt er denn? S TRECKENGEHER Beim Viadukt. P OKORNY Ist er schon hinunter? S TRECKENGEHER Nein. Mir scheint, er hat Angst – P OKORNY Angst? Man müßt halt doch noch mit ihm reden – S TRECKENGEHER (ängstlich) Tuns das nicht! P OKORNY Und ob ichs tu! Und wenns mich tausend Jahre kostet – das ist es mir wert! Hast denn du nicht auch dran glauben müssen?! Warst denn du nicht auch im Zug?! Erinnere dich nur, wie wir erwacht sind, und es blieb immer Nacht! S TRECKENGEHER Das schon. P OKORNY Na also! Hoffentlich werdens ihn nicht verhaften, bevor er noch dazu kommt – S TRECKENGEHER (unterbricht ihn.) Still! (Er lauscht.) P OKORNY (lauscht auch.) Ich hör ihn – S TRECKENGEHER Er kommt. (Stille) P OKORNY Er denkt, ein Viadukt ist zwar sehr hoch, aber vielleicht ist man doch nicht gleich hin – S TRECKENGEHER Er denkt: Ich werf mich lieber vor den Zug – P OKORNY (grinst.) Sicher ist sicher. H UDETZ (kommt langsam von links.) S TRECKENGEHER (richtet den Lichtstrahl seiner Lampe auf H UDETZ .) H UDETZ (erschrickt sehr und hält.) S TRECKENGEHER Guten Abend, Herr Vorstand! H UDETZ (starrt ihn entgeistert an.) S TRECKENGEHER Ich seh nur nach, ob alles in Ordnung ist auf der Strecke – H UDETZ (erblickt P OKORNY und will rasch ab.) P OKORNY Halt! H UDETZ (hält.) S TRECKENGEHER Aber Herr Vorstand, der Herr Pokorny möcht doch nur reden mit Ihnen – P OKORNY (verbeugt sich leicht.) Lokomotivführer Pokorny. S TRECKENGEHER Bleibens nur da, wir verraten Sie nicht. H UDETZ (bange) Wer spricht da mit mir? P OKORNY Ich führte den Eilzug vierhundertfünf, der damals hier zusammengestoßen ist – Was glotzens mich denn so an? Meinens, man könnt mit einem Toten nicht reden? Man kann schon, aber nur wenn der Tote möcht – (Er lacht kurz.) S TRECKENGEHER (lächelt.) Gelt, da wirds Ihnen ganz anders – H UDETZ (schreit plötzlich den S TRECKENGEHER an.) Tuns die Lampe weg, damit ich das Gesicht seh!

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S TRECKENGEHER (seelenruhig) Ich hab kein Gesicht. (Jetzt weht der Wind, und es klingt wie Posaunen in weiter Ferne.) H UDETZ (horcht auf.) P OKORNY (zum S TRECKENGEHER ; heiter, jedoch nicht ohne Hinterlist) Schau nur die Angst – Er hätt zwar auch allen Grund dazu, denn wer ist denn schuld, daß ich nimmer bin – H UDETZ (fällt ihm ins Wort.) Ich nicht! (Stille) P OKORNY (nähert sich H UDETZ .) Also, du willst dich der irdischen Gerechtigkeit entziehen – Recht hast! Was hättest auch von deinem Leben? Lebenslänglich im besten Fall! (Stille) H UDETZ Was du sagst, das sind auch meine Gedanken – aber ich geh noch etwas weiter darüber hinaus. P OKORNY (perplex) Darüber hinaus? H UDETZ Ja. Ich bin nämlich eigentlich unschuldig – und wenn ich vor Gericht gestellt werden soll, dann möcht ich aber gleich vor die höchste Instanz. Wenn es einen lieben Gott gibt, der wird mich schon verstehen – P OKORNY (grinst.) Sicher. (Jetzt weht wieder der Wind wie zuvor.) H UDETZ (horcht unangenehm berührt wieder auf.) A NNA (kommt langsam von rechts und hält.) H UDETZ (erblickt sie; entsetzt) Anna! (Stille) A NNA (sieht H UDETZ groß an.) Herr Vorstand haben ein Signal – P OKORNY (unterbricht sie.) Daran waren Sie schuld, Fräulein, Sie und nur Sie! S TRECKENGEHER Ist das auch wahr? A NNA (als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen) Er hat das Signal vergessen, weil ich ihm einen Kuß gegeben hab, aber ich hätt ihm nie einen Kuß gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätte, die er nie geliebt – P OKORNY (unterbricht sie wieder.) Was soll das? A NNA (sieht H UDETZ groß an.) Ich kann nicht mehr lügen – H UDETZ (herrscht sie plötzlich an.) Hab denn ich das Lügen erfunden? (Stille) A NNA (läßt H UDETZ nicht aus den Augen.) Erinnerst du dich, daß ich dich beim Viadukt gefragt hab: „Erkennst mich wieder?“ H UDETZ (leise) Ja. A NNA Du hast mich wiedererkannt. H UDETZ (unsicher) Das weiß ich nicht. A NNA Aber ich. Denn du hast mich genauso umarmt wie damals. H UDETZ Wie wann? A NNA Wie damals, da wir fortgingen. Der Himmel war wie ein strenger Engel, wir hörten die Worte und hatten Angst, sie zu verstehen – oh, so Angst – – Es waren schwere Zeiten, erinnerst du dich? Im Schweiße unseres Angesichts – H UDETZ (unterbricht sie.) Du warst schuld! Wer hat denn zu mir gesagt: „Nimm! Nimm!“ A NNA Ich. H UDETZ Und was hab ich getan?

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A NNA (lächelt.) Oh, wie oft hast du mich schon erschlagen, und wie oft wirst du mich noch erschlagen – Es tut mir schon gar nicht mehr weh – H UDETZ Tuts dir wohl? A NNA (schrickt zusammen und starrt ihn entsetzt an.) (Jetzt läutet wieder das Signal und wechselt auf grün.) S TRECKENGEHER Jetzt kommt bald der Zug. P OKORNY Er hat meistens Verspätung. S TRECKENGEHER Stimmt, weil er auf den Anschluß warten muß – H UDETZ (wendet sich plötzlich an P OKORNY ; leise) Sag mal, wie ist es denn eigentlich drüben? P OKORNY Bei uns? Friedlich, sehr friedlich! Weißt, wie in einem stillen ländlichen Wirtshaus, wenns anfängt zu dämmern – Draußen liegt Schnee, und du hörst nur die Uhr – ewig, ewig – liest deine Zeitung und trinkst dein Bier und mußt nie zahlen – H UDETZ (lächelt.) Wirklich? P OKORNY Wir spielen auch oft Tarock, und ein jeder gewinnt – oder verliert, je nachdem, was einer lieber tut. Man ist direkt froh, daß man nimmer lebt! (Nun nähert sich der Eilzug vierhundertfünf.) A LLE (horchen auf.) P OKORNY (leise zu H UDETZ ; damit es A NNA nicht hört) Jetzt kommt dein Zug – H UDETZ (wendet sich langsam dem Bahndamm zu.) A NNA (schreit ihn plötzlich entsetzt an.) Nein! Was willst du tun?! P OKORNY (zu A NNA ) Mischen Sie sich da nicht hinein! H UDETZ (zu A NNA ) Ich triff meinen Kollegen Pokorny. P OKORNY Wir spielen Tarock. A NNA Tarock? H UDETZ Ja. Draußen liegt Schnee, aber drinnen im Ofen brennt das Feuer und wärmt – A NNA (unterbricht ihn.) Das ist kein Feuer, das wärmt! Glaub nicht deinem Kollegen! Er will dich ja nur holen, um sich zu rächen, weil er nicht mehr lebt! P OKORNY (zu A NNA ) Ruhe! A NNA (zu H UDETZ ) Ich bin nicht ruhig! Oh glaub es mir, es ist furchtbar, wo wir hier sind! Bleib, bleib leben, du! P OKORNY (zu H UDETZ ) Hör nicht auf sie! Der Zug kommt! A NNA (klammert sich plötzlich an H UDETZ .) Bleib leben, du! Bleib leben! (Sie schreit.) Herr Inspektor! Herr Inspektor! (Nun fährt der Eilzug vierhundertfünf donnernd und pfeifend vorbei – Es wird ganz finster. Als es wieder heller wird, steht H UDETZ neben dem Bahndamm und links im Vordergrund der G ENDARM , der W IRT , F ERDINAND und A LFONS . Alle anderen sind unsichtbar.) A LFONS Thomas! H UDETZ (geht langsam auf den G ENDARMEN zu.) Herr Inspektor, ich melde mich zur Stelle. G ENDARM Im Namen des Gesetzes! H UDETZ (zu A LFONS ) Ich habs mir nämlich überlegt – (Er nickt ihm lächelnd zu.) W IRT (mit der Hand am Herz) Endlich! Jetzt kommt dann der Kopf dran, der Kopf – H UDETZ Möglich. Die Hauptsach ist, daß man sich nicht selber verurteilt – oder freispricht – (Er lächelt.) F ERDINAND (schreit plötzlich.) Fesselt ihn, fesselt ihn!

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H UDETZ Nicht nötig. F ERDINAND Frech auch noch?! Wart, dir hau ich eine hin – (Er will auf ihn los.) A LFONS Halt! Tuts mir den Gefallen und laßt ihm seinen Frieden! H UDETZ (zu A LFONS ) Danke. G ENDARM (zu H UDETZ ) Kommens jetzt – (Jetzt weht wieder der Wind wie zuvor.) H UDETZ (horcht auf.) Still! (Er lauscht.) Waren das jetzt nicht Posaunen? A LFONS Es war nur der Wind. H UDETZ (nickt A LFONS lächelnd zu.) Das glaubst du ja selber nicht –

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Chronologisches Verzeichnis Vorarbeit Vorarbeit: Das jüngste Gericht H1 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 47v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E1 = Notiz mit Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel“ (links oben) E2 = Schauplatzverzeichnis (mittig links) E3 = gestrichener Bildtitel zum 1. Bild „Beim Hausmeister“ (mittig rechts) E4 = Figurenliste zum 1. Bild „Beim Hausmeister“ (rechts unten)

Im Notizbuch Nr. 4 (ÖLA 3/W 370 – o. BS), das Horváth wahrscheinlich in den Jahren 1935/36 verwendete und in dem sich Entwürfe u.a. zu den Stücken Don Juan kommt aus dem Krieg (vgl. WA 9) und Kaiser Probus in Wien (vgl. Kastberger 2002 und KW 16) finden, gibt es auch eine Reihe von Entwürfen zu einem Stück mit dem Titel Das jüngste Gericht. Es dürfte sich dabei um eine Vorarbeit zu dem späteren Stück Der jüngste Tag handeln. Allerdings wird der Handlungsschauplatz im Laufe der Entwürfe allmählich von einem Dorf in eine Ruinenstadt verlagert. Diese Schauplatzverlagerung dürfte in Zusammenhang mit der Tatsache stehen, dass Horváth wahrscheinlich Mitte 1936 den Plan entwickelte, das Stück mit dem Titel Das jüngste Gericht einer noch zu schreibenden Komödie des Menschen in sieben Teilen einzugliedern (vgl. E22–E25). Das Stück sollte dabei – gemäß der christlichen Heilsgeschichte – den Schlusspunkt derselben bilden. Die einzigen Stücke aus diesem Werkprojekt, die Horváth realisierte, sind Pompeji und Ein Dorf ohne Männer (vgl. in diesem Band, S. 257–567 und insbesondere S. 482f.), wobei Stücke dieses Titels in den erwähnten Werkplänen (E22–E25) noch nicht vorgesehen sind. In E1 notiert sich Horváth unter dem Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel“ das Motiv: „Ein Kind bemerkt es zu allererst, das etwas nicht stimmt.“ In E2 listet er eine Reihe von Schauplätzen auf, die auf eine volksstückartige Handlung hindeuten: „Ein Zinshaus“, „Ein Dorf“, „Eine Fabrik“, „Ein Gut“ und „Ein Wirtshaus“. Möglicherweise handelt es sich dabei auch um einen Strukturplan in fünf Teilen, die an den erwähnten Orten spielen sollten. Allerdings deutet darauf keine Nummerierung hin. In E3 notiert Horváth zum 1. Bild den Bildtitel „Beim Hausmeister“, streicht ihn jedoch wieder. In E4 erweitert er diesen um die Notiz: „Im Haus wohnen folgende Parteien: der Hausherr / dessen Sohn / dessen Tochter / der Untermieter / ein Student / die Frau, bei der er mietet, es ist jetzt seine Liebe.“ Weiters werden die Figuren „Der Protokollführer“ und „Die Toten“ erwähnt, zu denen „die Hausfrau“, „der Vater“ und „Onkel Theo“ gehören. Die Idee einer Wiederkehr der Toten übernimmt Horváth in das spätere Stück Der jüngste Tag, wo die bei dem Zugunglück Getöteten, der Zugführer Pokorny und der Streckengeher, im 7. Bild dem Stationsvorstand Hudetz erscheinen und mit ihm sprechen. Diese Idee wird in K1/E5 erstmals erwähnt und in K3/TS1/A1 erstmals dialogisch umgesetzt. Einen „Protokollführer“ gibt es zwar in der Endfassung nicht, allerdings ist dort – genauso wie in einigen Textstufen von Kon-

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Chronologisches Verzeichnis

zeption 3 (K3/TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 6, 7) – von Protokollen die Rede, in denen der Staatsanwalt blättert (vgl. K4/TS5/SB Georg Marton, S. 17). H2 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 67 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E5 = Werkverzeichnis

H3 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 67v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E6 = gestrichener Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel in drei Akten“ (oben) E7 = gestrichene Replik zum 1. Bild „Mann und Frau“ (mittig) E8 = Werktitel „Das jüngste Gericht“ (unten)

H4 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 68 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E9 = gestrichene Szenenanweisung zum 1. Bild „Eine Ruinenstadt“ mit gestrichenem Werktitel „Das jüngste Gericht“ und gestrichenem Bildtitel zum 1. Bild (oben) E10 = fragm. Strukturplan in einem Akt mit Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel in drei Akten“ und gestrichenem Akttitel (mittig) E11 = Figurenliste (unten)

H5 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 69 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E12 = Dialogskizze zum 1. Bild „Die Ruinenstadt“ (oben)

Die Reihung der Entwürfe E5–E12 entspricht der Abfolge im Notizbuch Nr. 4. In E5 erstellt Horváth ein Werkverzeichnis, in dem er neben den Werktiteln „Orpheus“, zu dem sich auf demselben Blatt eine Figurenliste findet, „Eine Odysee unserer Zeit“ und „Die zwölf Taten des Herkules“ auch den Werktitel „Das jüngste Gericht“ erwähnt. In E6 und E8 notiert Horváth den Werktitel „Das jüngste Gericht“, der in E6 noch durch den Untertitel „Schauspiel in drei Akten“ erweitert ist. In E7 findet sich zum 1. Bild, das den Titel „Mann und Frau“ trägt, die gestrichene Replik des Mannes: „Ich habe diesen Moment erwartet, immer {herbei} {gesehnt}.“ In E9 hält Horváth unter dem Titel „Das jüngste Gericht“ erstmals zum 1. Bild den Bildtitel „Eine Ruinenstadt“ fest. Darunter findet sich die Szenenanweisung: „Es ist ganz still, man hört nur fern droben Fliegerpropeller –“. Darunter vermerkt Horváth noch einmal die Bildnummer des 1. Bildes, streicht diese jedoch wieder. E10 hätte wohl ein Strukturplan werden sollen. Der Entwurf enthält neuerlich den Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel in drei Akten“. Den Akttitel zum I. Akt streicht Horváth jedoch sofort wieder. In E11 notiert er eine Liste mit folgenden Figuren: „Der Vater, ein Richter“, „Die Mutter“, „Der Sohn“, „Die Tochter“, „Die Frau des Sohnes“, „Der Onkel“, „Der Grossvater“ und „Die Grossmutter“. In E12 führt Horváth eine Dialogskizze zum 1. Bild von E9 „Die Ruinenstadt“ aus. Dabei treten vier Soldaten auf, die nach einem kriegerischen Ereignis nach Überlebenden suchen. Sie finden dabei den Mann und die Frau von E7, die als eine Art mythisches Paar überlebt haben. Einer der Soldaten wundert sich über ihr Überleben und fragt sie deshalb: „Wie habt Ihr denn das

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Vorarbeit

angestellt?“ Die Konzeption des Werkprojekts Das jüngste Gericht beginnt mit diesen Entwürfen eine andere Richtung einzuschlagen, weg vom Volksstückartigen, hin zu einem mythologisierenden Endzeit-Drama. H6 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 78 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E13 = Werkverzeichnis (mittig) E14 = Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel“ (unten)

H7 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 78v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E15 = Strukturplan in 3 Bildern zum I. Akt mit Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel“ Faksimile in: Horváth 2009a, S. 76.

H8 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 79 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E16 = Dialogskizze zum 1. Bild des I. Aktes mit Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel“ (oben) E17 = Bildtitel zum I. Akt (unten)

H9 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 80, 81 2 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E18 = fragm. Strukturplan in 7 Bildern mit Werktitel „Das jüngste Gericht“ (Bl. 80 oben) E19 = Dialogskizze zum 1. Bild „Feld“ (Bl. 80 unten und Bl. 81 oben) E20 = gestrichene Szenenanweisung zum 1. Bild des I. Aktes (Bl. 81 mittig)

H10 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 82 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E21 = gestrichene Figurenkonstellation zum 1. Bild des I. Aktes

Die Entwürfe E13–E21 dürften in unmittelbarer Folge entstanden sein. Dies legt nicht nur die Position im Notizbuch Nr. 4 nahe, sondern auch die Entwicklung der Motive, die darin stattfindet. In E13 stellt Horváth die beiden Werktitel „Die Diadochen“ und „Das jüngste Gericht“ in einer Art Werkverzeichnis zusammen. In E14 notiert er nur den Werktitel „Das jüngste Gericht“ mit dem Untertitel „Schauspiel“. In E15 entwirft er eine Abfolge von drei Bildern für den I. Akt, zu dem er notiert: „Das jüngste Gericht hebt an.“ Die Bildtitel der drei Bilder, die neu sind, lauten: „Feld“, „Friedhof“ und „Ruine“. Zum 1. Bild „Feld“ vermerkt Horváth wie schon in E7 die Figurenkonstellation „Mann und Frau“. Das 2. Bild „Friedhof“ versieht er mit der Notiz: „Eine Gruppe Toten stehen nebeneinander – ein Licht fällt von oben herab – Stimme eines Engels, der die Toten ruft. ‚Stehet auf! Es ist der Tag gekommen, wo gerichtet wird!‘“ Damit nimmt Horváth nicht nur auf den Titel dieses Werkprojekts Das jüngste Gericht Bezug, sondern auch auf den späteren Titel Der jüngste Tag. Ein Widerschein dieser Stelle findet sich noch in der Endfassung von Der jüngste Tag, wenn auf dem Sterbebildchen, das anlässlich der Beerdigung Annas verteilt wird, zu lesen steht: „Halte still, Du Wandersmann / Und sieh Dir meine Wunden an / Die

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Chronologisches Verzeichnis

Stunden gehn / Die Wunden stehn / Nimm Dich in acht und hüte Dich / Was ich am jüngsten Tag für Dich / Für ein Urteil sprich“ (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 60f.). In E16 notiert Horváth unter dem Werktitel „Das jüngste Gericht. Schauspiel“ eine Dialogskizze zum 1. Bild des I. Aktes „Freies Feld“. Als Figuren werden hier wieder „Mann und Frau“ angeführt. Der Mann kündigt der Frau an, dass er wieder „fort“ müsse, und zwar in den „Krieg“, von dem er nicht weiß, „wie lange [er] noch dauert“. Im Gegensatz zu E12 zieht der Mann hier also in den Krieg. E17 enthält den Bildtitel zum 1. Bild des I. Aktes „Ruinenstadt“, was auf E9 und E12 zurückverweist. In E18 skizziert Horváth erstmals einen Strukturplan in sieben Bildern; damit entwickelt er bereits zu diesem Zeitpunkt die siebenteilige Struktur des Stückes, wie sie sich auch in den Entwürfen von Konzeption 1 (K1/E1–E5) und im späteren Stück Der jüngste Tag findet. In E18 tragen jedoch nur die ersten drei Bilder Bildtitel: „Feld“, „Marktplatz“ und „Friedhof“, Bildtitel, die auf E16 zurückverweisen. Die Dialogskizze zum 1. Bild „Feld“ von E19 zeigt wieder die beiden Figuren „Mann und Weib“, die sich auf der Flucht befinden. Mit den Warnungen: „Sie sind hinter uns her –“ und „Es blüht uns nur der Galgen!“ (ÖLA 3/W 370, Bl. 81) versucht der Mann, die Frau zu rascher Flucht zu ermutigen. Mit den beiden Figuren könnte bereits das zentrale Paar Hudetz und Anna der Endfassung von Der jüngste Tag vorweggenommen sein. In E20 notiert Horváth schließlich eine Szenenanweisung zum 1. Bild des I. Aktes, in der auf bereits erwähnte volksstückartige Schauplätze Bezug genommen wird: „Links Friedhof, in der Mitte Eingang zur Kirche, rechts Wirtshaus.“ (vgl. E1, E15, E18) Er streicht diese Notiz jedoch wieder. Eine weitere, gleichfalls gestrichene, fragmentarische Notiz verweist auf eine „Hochzei[t]“ (vgl. die sogenannte ‚Verlobung’ von Hudetz und Anna unter dem Viadukt in der Endfassung K4/TS5/SB Georg Marton, S. 45f. und S. 51). In E21 notiert Horváth zum 1. Bild des I. Aktes neuerlich die beiden Figuren „Mann und Frau“, streicht diese Notiz jedoch wieder. H11 = ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 3 1 Blatt unliniertes Papier (287 × 225 mm), schwarzblaue Tinte E22 = Werkplan in 7 Teilen mit Werktitel „Die Komödie des Menschen“ (links) E23 = Notizen zu einem fragm. Werkplan in 7 Teilen mit Werktitel „Die Komödie des Menschen“ (rechts)

Bei dem vorliegenden Blatt handelt es sich um ein Einzelblatt, das aus der Mappe ÖLA 3/W 309 – BS 14 b stammt, die nur Entwürfe zu Horváths spätem Werkprojekt Die Komödie des Menschen enthält. In E22 skizziert der Autor einen Werkplan mit dem Titel „Die Komödie des Menschen“. Der Werkplan umfasst sieben Teile, die mit römischen Ziffern versehen sind: „Die Urzeit“, „Die Diadochen“, „Die Völkerwanderung“, „Das Mittelalter“, „Das Meer“, „Die Maschinen“ und „Das jüngste Gericht“. Die Titel lassen erkennen, dass es sich dabei um eine Art Geschichte der Menschheit von der Urzeit bis zum jüngsten Gericht handeln sollte, die von Horváth als Kontrafaktur zu Imre Madáchs Tragödie des Menschen (Az ember tragédiája, 1861) geplant wurde. Die Teiltitel von E22 entsprechen vollständig den Teiltiteln der Entwürfe E24 und E25. Das vorliegende Blatt dürfte jedoch kurze Zeit vor den beiden genannten Entwürfen im Notizbuch Nr. 4 entstanden sein, also wohl Mitte/Ende 1936, da Horváth in diesen beim V. Teil gleich „Das Meer“ schreibt, während er in E22 zunächst noch „Die Entdeckung der Welt“ und „Die Entdeckung Amerikas“ notiert hatte. Aus E22 wird auch klar, dass die in den vorhergehenden Entwürfen (vgl. E1, E13, E21) schon erwähnten

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Vorarbeit

Titel Die Diadochen und Die Völkerwanderung ebenfalls Teil dieser Komödie des Menschen hätten sein sollen. Der Teiltitel „Das jüngste Gericht“ wird in E22 genauso wie in den etwas später entstandenen Entwürfen E24 und E25 an letzter Stelle genannt. Das dementsprechende Drama sollte also den Abschluss und Höhepunkt des Dramenzyklus bilden. In E23 notiert Horváth zu den Teilen des Werkplans von E22, die in E23 – mit Ausnahme des I. Teils – nur durch ihre römische Bezifferung wiederaufgenommen werden, Themen und Motive, die in den jeweiligen Dramen im Zentrum stehen sollten. Zum VII. und letzten Teil „Das jüngste Gericht“ hält er nur die beiden moralischen Grundprinzipien „Gut und Böse“ fest. Denkt man an die Bedeutung, die der Schuldfrage im fertigen Stück Der jüngste Tag zukommt, und zwar der Schuldfrage nicht primär in juridischer, sondern in allgemeinmenschlicher, moralischer Bedeutung, so ist dies ein weiterer Hinweis darauf, dass das Stück mit dem Titel Der jüngste Tag die tatsächliche Realisierung des projektierten Dramas mit dem Titel Das jüngste Gericht darstellt. Auf einem weiteren Blatt dieser Mappe (ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 6) mit dem Werktitel „Die Komödie des Menschen“, das wahrscheinlich erst Mitte oder Ende 1937 entstanden ist und einen weiteren Werkplan mit den Titeln „Pompeji“, „Das Dorf ohne Männer“, „Die Pythagoreer“ und „Die Diadochen“ enthält, verwirft Horváth einen Großteil seiner bis zu diesem Zeitpunkt geschriebenen Stücke: „Kasimir und Karoline“, „Liebe, Pflicht und Hoffnung“, „Die Unbekannte der Seine“, „Hin und Her“, „Himmelwärts“, „Figaro lässt sich scheiden“ und „Don Juan kommt aus dem Krieg“ (vgl. S. 482f. in diesem Band). Zuletzt erwähnt er noch ein Stück mit dem Titel „Das jüngste Gericht“, womit nur das Stück Der jüngste Tag gemeint sein kann. Das Blatt liefert damit einen Terminus ante quem für die Datierung der Arbeit an dem Stück, denn es muss zu diesem Zeitpunkt schon fertig – wenn auch nicht aufgeführt – gewesen sein. Horváth verwirft auf diesem Blatt, das Ausdruck einer tiefen Depression und materiellen Verunsicherung des Autors ist, nicht nur einen Großteil seines bisherigen Werkes, sondern entwirft zugleich ein „Programm im Stückeschreiben“, wonach er „unter dem Titel ‚Komödie des Menschen‘ fortan [seine] Stücke schreiben [will], eingedenk der Tatsache, dass im ganzen genommen das menschliche Leben immer ein Trauerspiel, nur im einzelnen eine Komödie ist“. Demnach würde das Stück Das jüngste Gericht, i.e. Der jüngste Tag, nicht Teil dieser Komödie des Menschen sein, wird es doch von Horváth auf demselben Blatt auf die Liste der verworfenen Stücke gestellt. Der Autor hat jedoch seine Konzepte immer wieder überdacht und verändert, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass das Stück Der jüngste Tag ursprünglich als Teil der Komödie des Menschen gedacht war und dies, trotz des vorliegenden Blattes, vielleicht auch später hätte bleiben sollen. H12 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 99 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E24 = Werkplan mit Werktitel „Komödie des Menschen in sieben Teilen“

H13 = ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 99v 1 Blatt des Notizbuchs Nr. 4 mit schwarzem, glattem Kunstledereinband, kariertes Papier (149 × 88 mm), roter Blattschnitt, schwarzblaue Tinte E25 = Werkplan mit Werktitel „Komödie des Menschen in sieben Teilen“

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Chronologisches Verzeichnis

In den beiden Entwürfen E24 und E25 notiert Horváth neuerlich den Plan einer „Komödie des Menschen in sieben Teilen“ (vgl. WA 8, S. 218f. und WA 9, S. 372f.). Die Titel der sieben Teile, die er jeweils in drei Akten anlegt, lauten wie schon in E22: „Urzeit“, „Die Diadochen“, „Die Völkerwanderung“, „Das Mittelalter“, „Das Meer“, „Die Maschinen“ und „Das jüngste Gericht“. Der auf Bl. 99 unten und Bl. 99v oben notierte Werkplan zur Komödie des Menschen enthält den Werktitel Das jüngste Gericht nicht und wird deshalb nicht unmittelbar zum Werkprojekt Der jüngste Tag gerechnet. Auf Bl. 98v im selben Notizbuch findet sich ein Werkverzeichnis, in dem Horváth eine Aufstellung seiner bis zu diesem Zeitpunkt geschriebenen Stücke macht (vgl. WA 8, S. 218f. und WA 9, S. 372f.). Darin führt er auch die beiden Stücke Figaro läßt sich scheiden und Don Juan kommt aus dem Krieg an, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass die Arbeit am eigentlichen Stück Der jüngste Tag erst nach Fertigstellung dieser beiden Stücke begann, die laut einem Vertrag mit dem Verlag Max Pfeffer vom 3. November 1936 spätestens im Oktober 1936 fertig waren (vgl. WA 8, S. 2f. und WA 9, S. 2f.). Dieser Termin stellt also einen Terminus post quem für die Arbeit am Werkprojekt Der jüngste Tag dar, zumindest was die Konzeptionen 1 bis 4 betrifft, die Vorarbeit Das jüngste Gericht dürfte indes schon etwas früher – um Mitte 1936 – entstanden sein.

Konzeptionen Konzeption 1: Freigesprochen H1 = ÖLA 3/W 76 – BS 10 a, Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (210 × 148 mm), unregelmäßig gerissen, schwarze Tinte E1 = fragm. Strukturplan in 7 Bildern mit einer Notiz (oben) E2 = Strukturplan in 7 Bildern mit Notizen, Repliken und einer Dialogskizze (unten und mittig) Druck in: Vögele 1983, S. 266.

H2 = ÖLA 3/W 76 – BS 10 a, Bl. 3 1 Blatt unliniertes Papier (210 × 150 mm), schwarze Tinte E3 = fragm. Strukturplan in 7 Bildern mit Werktitel „Freigesprochen. Schauspiel in sieben Bildern“ mit einer Notiz (oben) E4 = Strukturplan in 7 Bildern (unten) Faksimile in: Horváth 2009a, S. 78. Druck in: Vögele 1983, S. 267.

H3 = ÖLA 3/W 76 – BS 10 a, Bl. 2 1 Blatt unliniertes Papier (295 × 210 mm), schwarze Tinte E5 = Strukturplan in 7 Bildern mit Werktitel „Freigesprochen“ mit Notizen, Repliken und Dialogskizzen zum 4. bis 7. Bild Faksimile in: Kastberger 2000, S. 93, Baumann 2003, S. 383 und Horváth 2009a, S. 80. Druck in: Vögele 1983, S. 267f.

In den Entwürfen der Mappe ÖLA 3/W 76 – BS 10 a ist erstmals deutlich das spätere Stück Der jüngste Tag erkennbar, das zu diesem Zeitpunkt noch den Titel Freigesprochen tragen sollte. Die Entwürfe bilden deshalb keine Vorarbeit zum Stück, sondern

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Konzeption 1

sind bereits als erste Konzeption zu werten. Bei allen fünf Entwürfen handelt es sich um Strukturpläne in sieben Bildern. Die Makrostruktur des Stückes wird sich also, zumindest was die Zahl der Bilder betrifft, von diesen frühen Entwürfen bis zur Endfassung (K4/TS5) nicht mehr ändern (vgl. auch VA/E18). Die Reihung der Bl. 1–3 kann aufgrund der zunehmenden Komplexität und Vollständigkeit der Strukturpläne vorgenommen werden (vgl. auch Vögele 1983, S. 266–269, der dieselbe Reihung vornimmt). In E1 fehlen die Bildtitel für das 4.–6. Bild. Das 1. Bild lautet „Bahnstation“, das 2. „Tatort“, das 3. wieder „Bahnstation“ und ist mit der Notiz versehen: „Er lässt sich scheiden.“ Das 7. Bild ist ebenfalls mit „Bahnstation“ überschrieben. In E2 sind die ersten beiden Bilder identisch mit E1, das 3. Bild ist mit „Vor Gericht“ überschrieben und mit der Notiz: „Verhaftung der Frau“ versehen. Das 4. Bild lautet jetzt „Wirtshaus“. Hierzu findet sich die Replik: „Einer: (am Fenster) Sie kommen, sie kommen!“ Offensichtlich ist damit die Willkommensfeier angedeutet, in der die Angeklagten (der Bahnhofsvorstand Hudetz und Anna, die Tochter des Wirts) von der Gerichtsverhandlung zurückkehren und mit einem Fest im Wirtshaus begrüßt werden (Bild 3 von K4/TS5). In einer weiteren Replik fragt „Einer“: „Jetzt wirst Dich doch scheiden lassen?“, worauf der Vorstand mit „Ja“ antwortet. Bild 5 spielt „Beim Friseur“ und beinhaltet die Notiz: „Er ist kaum geschieden, schon heiratet er wieder!“ Bild 6 ist folgerichtig mit „Die Hochzeit“ betitelt und mit der Notiz: „Es ist eine stille Hochzeit“ versehen. Bild 7 spielt wieder auf der „Bahnstation“ bzw. im „Zimmer der Frau“, wie aus einer Notiz hervorgeht. Die Entwürfe E3 und E5 tragen den Werktitel „Freigesprochen“, der zugleich den Bildtitel des 3. Bildes von E3 darstellt. In E3 findet sich die Bilderfolge: „Bahnstation“, „An dem Tatort“, „Freigesprochen“, „Bahnstation“ und „Wirtshaus“, das 6. Bild ist nicht betitelt und das 7. lautet wieder „Bahnstation“. Zum 4. Bild findet sich ähnlich wie im 3. Bild von E2 die Notiz „Verhaftung der Frau wegen Verdacht des Meineides“, ein Motiv, das sich in späteren Fassungen nicht mehr findet, wenngleich der Meineid bis in die Endfassung hinein ein zentrales Motiv des Stückes bleiben wird. Der Friseur vom 5. Bild von E2 fehlt, das „Wirtshaus“ ist von der 4. an die 5. Stelle gerückt. Dafür ist das 4. Bild jetzt mit „Bahnstation“ betitelt. Die „Hochzeit“ vom 6. Bild von E2 fehlt, möglicherweise hätte sie wieder im 6. Bild platziert werden sollen, das ohne Bildtitel bleibt. Dies legt zumindest der Strukturplan E4 nahe, wo die Bilderfolge folgendermaßen lautet: „Bahnstation“, „An dem Tatort“, „Wirtshaus“, „Bahnstation“, „Die Hochzeit“, „Bahnstation“ und noch einmal „Bahnstation“. Auffällig ist daran, dass hier das Bild „Vor Gericht“ bzw. „Freigesprochen“ fehlt, womit Horváth zunächst das 3. Bild betiteln wollte, er streicht den Bildtitel aber wieder und ersetzt ihn durch „Wirtshaus“. In E5 findet sich die Bilderfolge: „Bahnstation“, „Am Tatort“, „Vor Gericht“, „Wirtshaus“, „Beim Friseur“, „Die Brautnacht“ und „Bahndamm“. Damit greift Horváth, was die Bilder 1–5 betrifft, wieder auf den Strukturplan von E2 zurück, die letzten beiden Bildtitel sind aber neu. Da der „Bahndamm“ bis in die Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 14 und 62) erhalten bleibt, kann davon ausgegangen werden, dass E5 nach E3 und E4 entstanden ist. E5 enthält überdies zahlreiche Notizen, Repliken und Dialogskizzen, die auf spätere Fassungen vorausweisen. Zum letzten Bild „Bahndamm“ notiert Horváth: „Die Toten kommen und erzählen ihm vom Jenseits. Und erzählen: wir waren dabei, im Gerichtssaal, im Wirtshaus, in der Brautnacht, usw. – – Sie lachen mit ihm und scherzen mit ihm: ‚Du wirst das Zuchthaus nicht überleben. Auf Wiedersehn im Jenseits!‘ – Er wird verhaftet. Er ruft: ‚Auf Wiedersehn!‘ Servus Pokorny! (der

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Chronologisches Verzeichnis

Lokomotivführer)“. Damit entwickelt Horváth die Idee einer Rückkehr der Toten weiter, eine Idee, die auf die Entwürfe der Vorarbeit (VA/E4 und E15) zurückgeht und bis in die Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 64–69) erhalten bleibt. Sogar der Schauplatz dieses Zusammentreffens, der Bahndamm, ist in diesem Entwurf schon vorgesehen. Die Toten sollen in E5 überdies als „Zeugen“ gegen den Stationsvorstand aussagen; diese Idee erfährt jedoch in der Endfassung (K4/TS5) keine Umsetzung mehr. In E5 fällt weiters bereits der Name Pokorny, der in der Endfassung (K4/TS5) der Name des toten Zugführers des Unglückszuges sein wird, der Hudetz im Schlussbild des Dramas erscheint und ihm ins Gewissen redet. In einer weiteren Dialogskizze tritt eine Patrouille auf, die offensichtlich den Bahnhofsvorstand sucht. Er stellt sich mit den Worten: „Hier bin ich“. Auch dieser Ausgang des Stückes wird in die Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 70) eingehen, wo eine Gruppe aus der Dorfgemeinschaft (Ferdinand, Wirt, Gendarm und Alfons) den flüchtigen Hudetz, der sich zuletzt selbst stellt, gefangen nimmt.

Konzeption 2: Der jüngste Tag – Ferdinand 7. Bild T1 = ÖLA 3/W 80 – BS 10 d [1], Bl. 1–5, ÖLA 3/W 81 – BS 10 d [2], Bl. 1–7 Insgesamt 12 Blatt, davon 3 Blatt unliniertes Papier (285 × 207 mm), 2 Blatt unliniertes Papier (285 × 224 mm), dünn, teilweise unregelmäßig gerissen, hs. Eintragungen mit blauer und schwarzblauer Tinte, Klebebandrückstände, und 7 Blatt unliniertes Papier (285 × 224 mm), dünn, eingerissen, Durchschlag, hs. Eintragungen mit blauer Tinte, Paginierung 80–84 auf BS 10 d [1], Bl. 1–5, Paginierung 80–84 auf BS 10 d [2], Bl. 1–5, Paginierung 81 auf BS 10 d [2], Bl. 6 und Paginierung 84 auf BS 10 d [2], Bl. 7

H1 = ÖLA 3/W 78 – BS 10 c [1], Bl. 1–5, ÖLA 3/W 79 – BS 10 c [2], Bl. 1–7 Insgesamt 12 Blatt, davon 5 Blatt unliniertes Papier (296 × 209 mm), blaue Tinte und 7 Blatt kariertes Papier (295 × 208 mm), teilweise unregelmäßig gerissen, schwarzblaue Tinte, Paginierung 80, 81 auf BS 10 c [1], Bl. 1, 2, Paginierung 82, 81 auf BS 10 c [1], Bl. 3, Paginierung 82 auf BS 10 c [1], Bl. 4, 5, Paginierung 81–86 auf BS 10 c [2], Bl. 1–6 und Paginierung 86 auf BS 10 c [2], Bl. 7 TS1/A1 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [2], Bl. 1–5 (Grundschicht), vgl. Simulationsgrafik Druck in: Vögele 1983, S. 310–315 und in: KW 10, S. 306–310. TS1/A2 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [2], Bl. 1, 6, 3, 4, 7 (Korrekturschicht), vgl. Simulationsgrafik TS1/A3 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [2], Bl. 1, BS 10 c [1], Bl. 1, BS 10 d [2], Bl. 6, 3, 4, 7 (Korrekturschicht), vgl. Simulationsgrafik Druck von BS 10 c [1], Bl. 1 in: Vögele 1983, S. 277f. TS1/A4 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [2], Bl. 1, BS 10 c [1], Bl. 1, BS 10 d [2], Bl. 6 und BS 10 c [1], Bl. 2 (Korrekturschicht), vgl. Simulationsgrafik Druck von BS 10 c [1], Bl. 2 in: Vögele 1983, S. 278. TS1/A5 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [2], Bl. 3, BS 10 c [1], Bl. 3, BS 10 d [2], Bl. 4, 7 (Korrekturschicht), vgl. Simulationsgrafik Druck von BS 10 c [1], Bl. 3 in: Vögele 1983, S. 280. TS1/A6 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [2], Bl. 6, BS 10 c [1], Bl. 1, 3 (Korrekturschicht), vgl. Simulationsgrafik Druck von BS 10 c [1], Bl. 3 in: Vögele 1983, S. 280.

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Konzeption 2

TS1/A7 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch ein nicht überliefertes, erschlossenes Blatt mit der Pag. 82, vgl. Simulationsgrafik TS1/A8 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 c [1], Bl. 4 (Korrekturschicht), vgl. Simulationsgrafik Druck in: Vögele 1983, S. 281f. TS1/A9 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 c [1], Bl. 5 (Korrekturschicht), vgl. Simulationsgrafik Druck von BS 10 c [1], Bl. 5 in: Vögele 1983, S. 282f. TS1/A10 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [1], Bl. 1–5 (Korrekturschicht: blaue Tinte), vgl. Simulationsgrafik TS1/A11 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [1], Bl. 1, BS 10 c [2], Bl. 3, 4, 6, 7 und BS 10 d [1], Bl. 4, 5 (Korrekturschicht: blaue Tinte), vgl. Simulationsgrafik; nicht gedruckt TS1/A12 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [1], Bl. 1, BS 10 c [2], Bl. 1–7 und BS 10 d [1], Bl. 4, 5 (Korrekturschicht: blaue und schwarzblaue Tinte), vgl. Simulationsgrafik Druck von BS 10 c [2], Bl. 1–7 in: Vögele 1983, S. 283–288.

Im Übergang von Konzeption 1 zu Konzeption 2 ist mit einem weitreichenden Überlieferungsverlust zu rechnen, weshalb die Entwicklung des Stückes Der jüngste Tag nur sehr bruchstückhaft nachvollzogen werden kann. Während zu Konzeption 1 nur Entwürfe überliefert sind, finden sich zu den Konzeptionen 2 bis 4 nur Textstufen, in denen das 6. und 7. Bild des Stückes ausgearbeitet werden, dessen Makrostruktur und Figureninventar zu diesem Zeitpunkt schon festzustehen scheint. Wann der Titel Der jüngste Tag von Horváth fixiert wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da dafür aufgrund fehlender Entwurfsblätter keine Anhaltspunkte gegeben sind. Da die Textstufen von Konzeption 2 jedoch bereits eine sehr ausgereifte Form des Stückes darstellen, ist es wahrscheinlich, dass auch der definitive Titel des Stückes bereits zu diesem Zeitpunkt existierte, weshalb die Textstufen der Konzeptionen 2 bis 4 unter den Titel Der jüngste Tag gestellt werden. Die Paginierung lässt darauf schließen, dass die Ansätze TS1/A1 und TS1/A2 Teil eines Durchschlags einer größeren, möglicherweise vollständigen Fassung des Stückes oder zumindest des 7. Bildes waren, von der nur noch die fünf Blätter der Fassung TS1/A10 überliefert sind, für deren Erstellung Horváth auf die Originalblätter zurückgegriffen hat (vgl. unten). In TS1/A1 arbeitet er das 7. Bild aus, und zwar bis zum Schluss. Der Beginn des Bildes ist nicht überliefert. Wie in allen Ansätzen von TS1 treten auch in A1 zunächst nur die Figuren Hudetz und Ferdinand auf. Allerdings wird dieses Personal am Ende des Bildes entscheidend erweitert, indem eine Reihe von Figuren der Dorfgemeinschaft auftreten, die an der Gefangennahme Hudetz’ beteiligt sind: Wirt, Gendarm, Frau Leimgruber, ihre Verwandte, der Lehrer, Alfons, Leni und der Waldarbeiter. Hier findet sich auch erstmals die von Hudetz geäußerte Passage: „Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt - oder freispricht -“ (TS1/A1/BS 10 d [2], Bl. 4), die in die Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 70) eingeht. TS1/A1 bildet überdies die Grundschicht von TS1/A10. Die hs. Korrekturen, die Horváth in TS1/A10 vornimmt, fehlen hier noch, weshalb TS1/A1 gegenüber TS1/A10 einen weniger ausgereiften Ansatz darstellt. In TS1/A2 ersetzt Horváth die Blätter BS 10 d [2], Bl. 2 und 5 von TS1/A1 durch die Blätter BS 10 d [2], Bl. 6 und 7. Auf diesen nimmt er zwei kleinere hs. Streichungen vor. Auf Bl. 6 streicht er in der Replik Ferdinands die Passage „ein ganz ein elender Mensch!“, die eine Verstärkung des vorhergehenden „Ein Hund. Ein miserabler Charakter --“ darstellt. Auf Bl. 7 streicht er in der Passage „Waren das jetzt nicht Posaunen?“ die Wortwiederholung von „Posaunen“.

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Chronologisches Verzeichnis

Bei den Blättern der Mappe BS 10 c [1] handelt es sich durchwegs um Ergänzungen oder Korrekturen zu der in TS1/A1 und TS1/A2 überlieferten, fragmentarischen Fassung des 7. Bildes. Vögele platziert die Blätter dieser Mappe aufgrund der Paginierung nach bzw. gleichzeitig mit den Blättern der Mappe BS 10 b (vgl. Vögele 1983, S. 316). Wahrscheinlich ist die Mappe BS 10 c [1] jedoch vor der Mappe BS 10 b zu reihen (vgl. Konzeption 3). Der Seitenzahlverweis 80 auf TS1/A3/BS 10 c [1], Bl. 1 lässt vermuten, dass es sich dabei um eine Ergänzung oder Korrektur des Blattes mit der Pag. 80 von A2 (BS 10 d [2], Bl. 1) handelt. In A3 hantiert Ferdinand zunächst mit einem Messer, eine Szene die sich bereits in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 1 findet. Die Replik: „Hudetz: (herrscht ihn an) Tus weg!“, die am Beginn von TS1/A3/BS 10 c [1], Bl. 1 steht, findet sich wortwörtlich in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 1. Hier setzt das Blatt BS 10 c [1], Bl. 1 von A3 fort. Dann nimmt Horváth allerdings gegenüber TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 1 eine entscheidende Änderung vor, indem er die Passage über das Viadukt in A3 nach hinten verschiebt. Hier folgt also zunächst die Stelle, in der Ferdinand an das „Annerl“ denkt, sein „[l]iebes armes Annerl“ (BS 10 d [2], Bl. 1). Diese Passage soll laut Angabe Horváths in A3 bis zu der Regieanweisung „(er lässt Messer fallen … usw.)“, die sich am Fuße von TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 1 findet, ausgeführt werden. Dann folgt ein Hinweis auf das Blatt mit der Pag. 81 und ein Pfeil, der nach oben und nach unten zeigt, wodurch Horváth deutlich macht, dass der Beginn des Blattes mit der Pag. 81 (TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6) hier unverändert übernommen werden soll. Erst bei der Replik Ferdinands, in der sich dieser als „miserable[n] Charakter“ bezeichnet, setzt A3 fort. Hudetz’ Reaktion: „Das wird schon nicht so schlimm sein –“, die sich schon in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6 findet, verschiebt Horváth in A3 zunächst nach hinten, streicht sie dann aber überhaupt. Das einleitende „Doch-doch“ in der folgenden Replik Ferdinands, das sich in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6 findet, notiert er zunächst auch in A3, streicht es dann aber wieder und setzt direkt mit „Ein ganz ein elender Mensch!“ ein. Die folgenden Gedankenstriche weisen auf Text hin, der unverändert übernommen wird, und zwar bis zu der Stelle: „ein Lügner bin ich, ein grosser Lügner“, die sich in ähnlicher Form in A2/BS 10 d [2], Bl. 6 findet. Die Passage mit der „Creme“, die Ferdinand Anna nicht „gelassen“ hat, verschiebt Horváth in A3 etwas nach hinten. Dann folgt wie in A2/BS 10 d [2], Bl. 6 die Passage über die Schuldfrage in Bezug auf Annas Tod und dann Ferdinands Frage: „Wo kommens denn her?“, die die Passage über das Viadukt einleitet und sich in A2 bereits auf BS 10 d [2], Bl. 1 befindet, allerdings in der Form: „Wo kommst denn her?“ A3 endet hier mit der Replik Ferdinands: „Wissens, was ich auf einem Viadukt tät? Ich springet runter – direkt hinunter!“ und dem Hinweis auf das Blatt mit der Pag. 81 (TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6), das von der Stelle an den Ansatz fortsetzt. Die Replik Ferdinands wird in späteren Ansätzen wiederaufgenommen (vgl. TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4 und TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 4), und zwar in der Form, dass Ferdinand Hudetz rät, vom Viadukt hinunterzuspringen. In TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4 heißt es in der Grundschicht: „Wissens, was ich an Ihrer Stell auf einem Viadukt tät? Ich springet runter – direkt hinunter“, in der Korrekturschicht ersetzt Horváth „Wissens“ durch „Weißt“ und „Ihrer“ durch „Deiner“, was in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 4 in dieser Form wiederaufgenommen und in der Korrekturschicht (A12) gestrichen wird. Insofern scheint die vorgenommene Reihung dieser Handschriften gerechtfertigt. Die Passage, in der Ferdinand davon spricht, dass er Anna eine „Creme“ nicht gelassen hat, und dass sie vielleicht noch am Leben wäre, wenn er ihr die gelassen hätte, findet sich bereits in TS1/A2/BS 10 d

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Konzeption 2

[2], Bl. 6, worauf Horváth mit der abgekürzten Variante in A3/BS 10 c [1], Bl. 1 und dem Hinweis „usw.“ verweist. Auch in späteren Ansätzen taucht diese Passage wieder auf, so etwa in TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 1. Die Formulierung: „[E]in Lügner bin ich, lieber Herr, ein grosser Lügner“ (TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6) verkürzt Horváth dort zu: „[E]in Lügner bin ich, Herr, ein grosser Lügner“ und erweitert sie um den Zusatz: „Und die Lüge ist der Urgrund aller Sünden –“ (TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 1). In der Passage: „Wer weiss, wenn ich ihr die Creme gelassen hätt, dann wärs garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben“ (TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6) streicht er in A12 „die“ und ersetzt es durch „eine“ und fügt nach „wärs“ „vielleicht“ ein. Besonders Ersteres ist ein weiterer Hinweis darauf, dass TS1/A12 nach TS1/A2 und TS1/A3 zu reihen ist. In einer in der Korrekturschicht eingefügten Passage antwortet Hudetz auf Ferdinands Frage, wer denn schuld sein solle an Annas Tod, wenn nicht er, mit dem Satz: „Vielleicht der grosse Unbekannte –“ (A3/BS 10 c [1], Bl. 1), eine Wendung, die sich noch in der Endfassung zweimal findet, allerdings in anderem Zusammenhang (vgl. K4/TS5/SB Georg Marton, S. 20 und 43). In A4 skizziert Horváth eine Ergänzung zu BS 10 c [1], Bl. 1, das in A3 hinzugekommen war. Auch A4/BS 10 c [1], Bl. 2 trägt die Pagina bzw. den Seitenzahlverweis 81. Diese könnte sich zwar auch auf A2/BS 10 d [2], Bl. 6 beziehen, aufgrund der Stelle, an der Horváth einsetzt, scheint es jedoch wesentlich wahrscheinlicher, dass sich der Seitenzahlverweis auf BS 10 c [1], Bl. 1 aus A3 bezieht. Horváth setzt nämlich auf Blatt BS 10 c [1], Bl. 2 mit der Stelle „Hudetz: (fast barsch) Hörens auf!“ ein, die sich so exakt in TS1/A3/BS 10 c [1], Bl. 1 findet. A4 bricht jedoch schon wenige Repliken später mitten im Satz ab, wodurch auch kein Anschluss zu einem Folgeblatt hergestellt werden kann. Ferdinands Selbstanklage, die seiner Eifersucht gilt: „Ein ganz ein schlechter Mensch! Immer hab ich das arme Annerl mit meiner blinden Eifersucht verfolgt und habs nicht haben wollen, dass sie schöner wird –“ (TS1/A4/BS 10 c [1], Bl. 2) wird in TS1/A12/BS 10 d [1], Bl. 1 und BS 10 c [2], Bl. 1 wiederaufgenommen, allerdings in folgender Form: „Immer hab ich das arme Annerl mit meiner blinden Eifersucht verfolgt und habs ihr verboten, dass sie sich eine Creme kauft, obwohl sie mir eingecremt besser gefallen hat“, womit Horváth wieder an TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6 bzw. TS1/A10/BS 10 d [1], Bl. 2 anschließt, wobei er bereits in A4/BS 10 c [1], Bl. 2 „sinnlosen“ vor „Eifersucht“ durch „blinden“ ersetzt, was die Formulierung ist, die auch TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 1 enthält. In A5 entwirft Horváth Ergänzungen zu TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 mit der Pag. 82, auf die der Seitenzahlverweis am Beginn von Blatt BS 10 c [1], Bl. 3 hindeutet. Horváth schließt hier an die von Hudetz erinnerte Warnung Annas: „es ist furchtbar, wo ich hier drunten bin! Bleib leben, bleib leben –“ an, die sich in ähnlicher Form bereits in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 findet. Auf diese Replik Hudetz’ soll Ferdinand antworten: „Leben? Warum?“, worauf Hudetz repliziert: „Ja, das wird wohl seine Gründe haben, denn alles hat seine Gründe – (er blickt empor)“. Mit der darauf folgenden Passage: „Herr Pokorny! Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur anderen?“ nimmt Horváth die Replik Hudetz’ von TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 wieder auf. Auch die folgenden zwei Repliken sind dort vorgebildet und weisen darauf hin, dass der Text des restlichen Blattes BS 10 d [2], Bl. 3 wiederaufgenommen wird und damit der Anschluss an TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3, 4 und 7 gewährleistet ist. Außerdem notiert Horváth am rechten oberen Rand von BS 10 c [1], Bl. 3 die Replik des Wirten: „Du traust Dich her, Du?“ und Ferdinands Reaktion darauf mit den Worten: „Fesselt ihn, fesselt ihn!“ mit dem Seitenzahlverweis „84“, was ein Hinweis darauf

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Chronologisches Verzeichnis

ist, dass diese beiden Repliken auf TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 7 einzufügen sind. Diese Einfügung wird Horváth selbst in der Folge vornehmen (vgl. TS1/A10/BS 10 d [1], Bl. 5 bzw. TS1/A12/BS 10 d [1], Bl. 5, die die Pag. 84 tragen). Somit ist A5 vor diesen Ansätzen zu reihen. In A6 schließt Horváth neuerlich an TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6 mit der Pag. 81 an und nimmt zugleich die Änderungen an diesem Blatt wieder auf, die sich in A3 durch die Einfügung von BS 10 c [1], Bl. 1 ergeben haben. Die eigentliche Neuerung von A6 stellt deshalb nur die knappe Ergänzung durch BS 10 c [1], Bl. 3 dar, die im Anschluss an die Replik Ferdinands erfolgt: „Wer weiss, wenn ich ihr die Creme gelassen hätt, dann wärs garnicht auf die Idee gekommen, Ihnen einen Kuss zu geben, es hätt keine Zugkatastrophe gegeben, sie hätt auch nicht falsch geschworen und tät vielleicht heut noch leben --“ (TS1/A6/BS 10 d [2], Bl. 6). An diese Passage, insbesondere an das zuletzt von Ferdinand geäußerte „leben“, fügt sich Hudetz’ erste Replik: „Aha, leben –“ von A6/BS 10 c [1], Bl. 3. Ähnlich wie in A3/BS 10 d [2], Bl. 6 folgt auf diese Passage eine Diskussion zwischen Ferdinand und Hudetz über die Schuldfrage in Bezug auf Annas Tod, wobei sich die beiden abwechselnd die Schuld geben. In A7 arbeitet Horváth wahrscheinlich ein neues Blatt 82 aus – möglicherweise auch mehrere neue Blätter zum 7. Bild –, zu dem er in A8 Ergänzungen und Korrekturen herstellt. Das Blatt BS 10 c [1], Bl. 4 setzt deshalb mit dem Seitenzahlverweis „82“ ein – zu TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 mit der Pag. 82 ist kein Anschluss herstellbar – und mit der Replik Hudetz’: „(geht wieder an den Tisch, setzt sich, nimmt die Flasche in die Hand) Darf ich?“ (TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4) Diese lässt sich an keinen der vorher gereihten Ansätze anschließen, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass das Blatt (aus A7), zu dem TS1/A8 eine Ergänzung darstellt, verloren gegangen ist. Einige Passagen aus A8 werden in später folgenden Ansätzen wiederaufgenommen (vgl. TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 3 und TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 2, 3), etwa die vorher erwähnte Replik Hudetz’ sowie die Antwort Ferdinands darauf: „Sauf. Saufst eh nimmer lang –“, die in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 3 folgendermaßen lautet: „Nur los! Saufst eh nimmer lang –“, wobei das „Nur los!“ bereits in A8 in Form eines „Nur zu!“ vorgebildet ist, das als Korrekturschicht zu dem ursprünglich geschriebenen „Sauf nur“ aber sofort wieder gestrichen und durch ein einfaches „Sauf“ ersetzt wird. Ähnliches gilt für die Replik: „Ferdinand: (grinst) Jetzt schwimmst uns nimmer davon“ (TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4), die in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 3 wortwörtlich wiederaufgenommen, in der Korrekturschicht (A12) aber gestrichen wird, da dort der Anschluss über BS 10 c [2], Bl. 2 und das dort von Ferdinand geäußerte: „und Du, Du schwimmst uns jetzt auch nimmer davon –“ (TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 2) erfolgt. Ferdinands Replik: „Wie spät ists denn schon?“ (TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4; Grundschicht), die Horváth in der Korrekturschicht von A8 zu: „Wie spät haben wirs denn schon?“ korrigiert, wird in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 3 wiederaufgenommen und in A12 gestrichen. Das „jetzt“, das Horváth in Ferdinands Replik „Wo kommst denn her?“ (TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4) einfügt, ist in der entsprechenden Replik Ferdinands in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 3 schon integriert, wo es heißt: „Wo kommens denn jetzt [her] |eigentlich her?|“ Auch die Korrekturschicht der folgenden Replik Ferdinands wird in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 4 umgesetzt: „Weisst, was ich an Deiner Stell auf einem Viadukt tät? Ich springet runter – direkt hinunter!“ Dasselbe gilt für die in TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4 in der Korrekturschicht hinzugefügten Repliken: „Hudetz: Das wollt ich ja auch.“ und: „Ferd: Na also.“, die in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 4 schon zum festen Bestandteil des Dialogs gehören. Auch die Regieanweisung „(starrt ihn

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Konzeption 2

an)“ in der Replik Ferdinands: „Viadukt?“ ist in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 3 schon umgesetzt. Insgesamt spricht also vieles für eine Reihung von A8 vor A11, wobei aus den Passagen in A11, die sich auch in A8 finden, auf die ungefähre Verfasstheit des fehlenden Blattes mit der Pag. 82 von A7 geschlossen werden kann. Am Ende des Blattes BS 10 c [1], Bl. 4 von TS1/A8 befindet sich ein neuerlicher Verweis auf ein Blatt mit der Pag. 82, das den Dialog offensichtlich fortsetzen soll. In diesem Falle wäre die Fortsetzung durch BS 10 d [2], Bl. 3 aus A2, das die Pag. 82 trägt, möglich, da das vorausgehende Blatt mit der Pag. 81 (TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6) mit der Replik Ferdinands: „Pfeilgerade. Direkt von oben, dort wos am tiefsten ist“ endet, die mehr oder weniger auch den Schluss von A8 bildet. Auf die Szenenanweisung „(Stille)“, die sich am Beginn von Blatt TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 befindet, folgt dann der Monolog Hudetz’: „Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin […]“, der die Fortsetzung zu A8 bilden könnte. TS1/A9 stellt eine Ergänzung entweder zu TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 mit der Pag. 82 dar oder aber zu dem fehlenden Blatt mit der Pag. 82 von A7, worauf der Seitenzahlverweis am Beginn von BS 10 c [1], Bl. 5 hindeutet. Der Ansatz schließt dort an die Replik Hudetz’ an und zwar an die Stelle: „Alle reden nur von dem armen Frl. Anna –“. Auch Annas warnende Worte: „Bleib leben! Bleib leben!“ (TS1/A5/BS 10 c [1], Bl. 3) finden sich hier wieder. Sie sind jedoch ergänzt um eine Fantasie Hudetz’, der Anna auf dem Viadukt stehen sieht, wobei sie ihm die Worte zuflüstert: „Halte still, Du Wandersmann – – was ich am jüngsten Tag über Dich für ein Urteil sprich – – Hüte Dich. Hüte Dich.“ (TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5) Diese Passage geht in leicht veränderter Form in die Endfassung ein, wo sie sich als frommes Sprüchlein auf dem Sterbebildchen findet, das anlässlich des Begräbnisses von Anna verteilt wird (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 52). Es ist die einzige Stelle, in der vom „jüngsten Tag“ die Rede ist, der sich im Titel des fertigen Stückes findet. Anders als in A1, A2 und in der Endfassung ist es in A9 zunächst Ferdinand, der glaubt „Posaunen“ (BS 10 c [1], Bl. 5) zu hören, wobei ihm Hudetz versichert, dass das, was er höre, nur der Wind sei. In TS1/A1, A2, A10 und A12 sowie in der Endfassung (K4/TS5) wird dieser Dialog Hudetz und Alfons, dem Apotheker und Bruder von Hudetz’ Frau, zugeteilt, was eventuell dafür sprechen würde, dass A1 und A2 nach A9 entstanden sind. Allerdings deuten einige andere Indizien, wie die oben dargestellten Übernahmen von Textpassagen in spätere Fassungen, doch auf die hier hergestellte Reihenfolge der Ansätze. Am Schluss des 7. Bildes ist es in allen anderen Ansätzen Hudetz, der glaubt, Posaunen zu hören, worauf ihm Alfons versichert, dass es nur der Wind sei, was Hudetz mit folgenden Worten quittiert, die den Schluss des Stückes bilden: „Das glaubst du ja selber nicht“ (vgl. TS1/A1/BS 10 d [2], Bl. 5, TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 7, TS1/A10/BS 10 d [1], Bl. 5, TS1/A12/BS 10 d [1], Bl. 5 und K4/TS5/SB Georg Marton, S. 70). Den Schluss von A9 bildet die Frage Hudetz’ nach dem Gendarmen, die schon in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 vorgebildet ist. Ferdinand beruhigt ihn mit den Worten: „Er kommt. Dort liegen seine Handschuhe, die lasst er nicht zurück“, was Hudetz mit den Worten kommentiert: „Hoffentlich. Hoffentlich wirds nicht zu spät und ich überlegs mir wieder –“ (TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5), die in TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 7 mit dem Zusatz „nicht“ in der zweiten Satzhälfte wiederaufgenommen werden. In TS1/A10 greift Horváth auf die Originalblätter der bereits in TS1/A1 und A2 in Form eines Durchschlags verwendeten masch. verfertigten Fassung des 7. Bildes zurück und fügt zunächst eine hs. Korrekturschicht mit blauer Tinte ein. Es handelt sich dabei um kleinere Wortkorrekturen. In einem nächsten Schritt (A11) beschließt

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Chronologisches Verzeichnis

er, die Blätter BS 10 d [1], Bl. 2 und 3 überhaupt zu entfernen, und arbeitet dafür neue Blätter aus, die jedoch nicht zur Gänze überliefert sind. Weiters streicht er in A11 einen Teil der Blätter BS 10 d [1], Bl. 1 und 4, wobei Letzteres zusammen mit BS 10 d [1], Bl. 5 auch in A11 das Ende des Bildes darstellt. Bei den nicht überlieferten Blättern handelt es sich wohl um zwei Blätter mit den Pag. 81 und 82, die BS 10 d [1], Bl. 2 und Bl. 3 ersetzen. Diese tauscht Horváth in der Folge (A12) durch zwei neue Blätter mit den Pag. 81 und 82 (BS 10 c [2], Bl. 1 und 2) aus. Der Anschluss von BS 10 c [2], Bl. 1 mit der Pag. 81 an BS 10 d [1], Bl. 1 mit der Pag. 80, das aus A10 und A11 übernommen wird, erfolgt in A12 über die in der Korrekturschicht am unteren Ende des Blattes hs. neu eingefügte Passage: „Immer hab ich das arme“ (BS 10 d [1], Bl. 1), die auf BS 10 c [2], Bl. 1 (Pag. 81) mit „Annerl mit meiner blinden Eifersucht verfolgt“ fortgesetzt wird. Damit rückt diese Passage, die sich in TS1/A10/BS 10 d [1], Bl. 2 noch weiter hinten befunden hatte, nach vorne. Außerdem nimmt Horváth auf den Blättern BS 10 c [2], Bl. 3, 4 und 6 von A11 Streichungen vor, u.a. streicht er am Beginn von BS 10 c [2], Bl. 3 die Replik Ferdinands „Jetzt schwimmst uns nimmer davon“, da er diese durch die auf TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 2 befindliche Replik „und Du, Du schwimmst uns jetzt auch nimmer davon“ ersetzt. Auf BS 10 c [2], Bl. 6, das zunächst (in A11) noch die Pag. 85 trägt, ersetzt Horváth die Pag. durch 86, da er in A12 ein neues Blatt mit der Pag. 85 einfügt (BS 10 c [2], Bl. 5). Die Pagina von BS 10 c [2], Bl. 7 aus A11 lässt er unverändert (86), weshalb in A12 zwei Blätter mit der Pag. 86 aufeinanderfolgen. Auch die Paginierungen der Blätter BS 10 d [1], Bl. 4 und 5, die, wie schon in A10 und A11 den Schluss der Fassung bilden, passt Horváth nicht an (Pag. 83 und 84), obwohl sie in A12 eigentlich die Pag. 88 und 89 tragen müssten. Dass die Blätter mit den Pag. 81, 82 und 85 (BS 10 c [2], Bl. 1, 2 und 5) einem Ansatz angehören, lässt sich nicht zuletzt durch die Art der Schreibung der Figurennamen erkennen, die hier im Gegensatz zu den anderen Blättern des Ansatzes A12 in Majuskeln gehalten sind. Der Übergang von BS 10 c [2], Bl. 7 (Pag. 86) zu BS 10 d [1], Bl. 4 erfolgt über die Replik Ferdinands: „Jetzt kommt dann der Kopf drann, ein Kopf –“, die die letzte Replik von BS 10 c [2], Bl. 7 bildet und auf BS 10 d [1], Bl. 4 die letzte Replik darstellt, die noch gestrichen ist. Für die Reihung der Blätter BS 10 d [1], Bl. 1–5 (A10) vor den Blättern BS 10 c [2], Bl. 3, 4, 6 und 7 spricht, dass in der Replik Ferdinands: „Jetzt gibts aber dann keinen Freispruch mehr --“ in der Korrekturschicht „aber“ hs. durch „nämlich“ ersetzt ist, was in TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 7 bereits in der Grundschicht umgesetzt ist. In der letzten fragmentarisch überlieferten Fassung des 7. Bildes von Konzeption 2 (TS1/A12) folgt also auf die Messer-Szene zwischen Ferdinand und Hudetz die Anklage Ferdinands gegenüber Hudetz („Schuft miserabler“, TS1/A12/BS 10 d [1], Bl. 1), die übergeht in die Selbstanklage Ferdinands („Immer hab ich das arme Annerl mit meiner blinden Eifersucht verfolgt […]“,TS1/A12/BS 10 d [1], Bl. 1 und BS 10 c [2], Bl. 1). Auf Ferdinands Replik: „Vielleicht täts heut noch leben –“ antwortet Hudetz mit „Hörens auf!“, wobei die Regieanweisung lautet: „(fällt ihm barsch ins Wort)“ (BS 10 c [2], Bl. 1). Replik und Regieanweisung sind schon in TS1/A3/BS 10 c [1], Bl. 1 und TS1/A4/BS 10 c [1], Bl. 2 vorgebildet. Dem folgt eine Szene, in der Hudetz nach dem Gendarmen fragt, den er sucht, die gleichfalls schon in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 und TS1/A10/BS 10 d [1], Bl. 3 vorgebildet ist. Allerdings verändert Horváth diese Passage doch einigermaßen. Er greift dabei auf Elemente zurück, die in TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4 und in TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5 entwickelt wurden. So übernimmt er aus A8 die Replik Ferdinands: „Jetzt schwimmst uns nimmer davon“, die er aber in

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Konzeption 2

TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 2 zu: „und Du, Du schwimmst uns jetzt auch nimmer davon –“ umformt, wobei er das Bild des Schwimmens auch auf die Handschuhe des Gendarmen überträgt, von denen es heißt: „Dort liegen seine Handschuhe, die lasst er nicht schwimmen –“, eine Stelle, die in TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5 vorgeformt ist, wo es heißt: „Dort liegen seine Handschuhe, die lasst er nicht zurück.“ Die auf BS 10 c [2], Bl. 3 befindliche Replik Ferdinands: „Jetzt schwimmst uns nimmer davon“, die noch direkt aus TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4 übernommen wurde, streicht Horváth jedoch in A12, da er die neue Variante dieser Passage auf BS 10 c [2], Bl. 2 ausgearbeitet hat. Die folgende Szene, in der sich Hudetz zu dem trinkenden Ferdinand dazusetzt und sich gleichfalls ein Glas einschenkt, geht ebenfalls auf TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4 zurück. Die Schläge der Kirchturmuhr, Ferdinands Frage: „Wie spät haben wirs denn schon?“ und Hudetz’ Antwort: „Die Bahnuhr geht vor“ finden sich gleichfalls bereits in TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4. Die folgende Passage über das Viadukt streicht Horváth und verschiebt sie nach hinten (auf das neu ausgearbeitete Blatt BS 10 c [2], Bl. 5 mit der Pag. 85). Dem folgt der lange Monolog Hudetz’: „Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen – wissens, an so ein Bahnsignal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist“ (BS 10 c [2], Bl. 4), wobei Horváth in einer Sofortkorrektur „Signal“ durch „Bahnsignal“ ersetzt hat, ein Hinweis darauf, dass A12 tatsächlich nach den anderen Ansätzen zu reihen ist, denn die Form „Signal“ findet sich bereits in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3. In der Regieanweisung innerhalb dieser Replik „(er lächelt und blickt empor)“ ist die Korrekturschicht von TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5 bereits umgesetzt. Dieser folgt die Stelle: „Herr Pokorny? Was treiben denn Sie jetzt? Fahrens von einer Wolk zur anderen?“, die bereits in TS1/A1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3 und TS1/A5/BS 10 c [1], Bl. 3 vorgebildet ist. Darauf folgt die Passage über das Viadukt. Dabei überarbeitet Horváth die in früheren Ansätzen ausgearbeitete und mehrfach veränderte Replik Ferdinands: „Weisst, was ich an Deiner Stell tät? Ich ging auf den Viadukt und springet runter – direkt hinunter!“ (BS 10 c [2], Bl. 5; vgl. auch TS1/A3/BS 10 c [1], Bl. 1 und TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4) neuerlich, wobei er sich am ehesten an TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4 orientiert, was besonders in der folgenden Replik Ferdinands deutlich wird: „Pfeilgerade. Direkt dort, wos am tiefsten ist –“ (TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4), die Horváth in TS1/A12 zunächst mit Ausnahme des eingefügten „von“ vor „dort“ unverändert übernimmt, dann aber „Direkt von“ wieder streicht, wodurch nur „Dort, wos am tiefsten ist –“ übrig bleibt. Das folgende „Das wollt ich ja auch“ Hudetz’ übernimmt Horváth aus TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4, das dort von Ferdinand geäußerte: „Na also“ verwendet er zunächst gleichfalls, streicht es aber wieder und ersetzt es durch „Brav, sehr brav –“. Die in der Folge von Hudetz imaginierte Warnung Annas: „Komm nicht herauf, weil es furchtbar ist, wo ich drunten bin! Bleib leben, bleib leben“ von BS 10 c [2], Bl. 5 übernimmt Horváth zunächst aus TS1/A5/BS 10 c [1], Bl. 3 und TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5, wobei er sie neuerlich kleineren Korrekturen unterzieht. Zunächst hatte Horváth hier in A12 die Version der Passage von TS1/A11/BS 10 c [2], Bl. 6 übernommen, diese dann aber gestrichen und auf BS 10 c [2], Bl. 5 die neue Version eingefügt. Dem folgt die Passage über die Posaunen, die Ferdinand zu hören glaubt, die Horváth aus TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5 übernimmt. Diese wird gefolgt von Hudetz’ neuerlicher Frage nach dem Herrn Inspektor: „Wann kommt er denn, der Herr Inspektor?“ (BS 10 c [2], Bl. 6) und seinem Kommentar: „Hoffentlich wirds nicht zu spät und ich überlegs mir nicht wieder –“ (BS 10 c [2], Bl. 7), die sich mit Ausnahme des hier eingefügten zweiten „nicht“ genauso in TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5 findet. Ferdinands Replik: „Ah, der Herr kriechen

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zu Kreuz?“ ist bereits in TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 3, 4 vorgebildet, Ferdinands Frage: „Trinkst Dir Mut an?“ entstammt der Korrekturschicht von TS1/A10/BS 10 d [1], Bl. 4. In der Replik Ferdinands: „Jetzt gibts dann nämlich keinen Freispruch mehr –“ (BS 10 c [2], Bl. 7) ist gleichfalls die Korrekturschicht von TS1/A10/BS 10 d [1], Bl. 4 umgesetzt, nur dass die Reihenfolge von „dann“ und „nämlich“ vertauscht wurde. Den Rest des Ansatzes bilden die beiden Blätter mit der Pag. 83 und 84 von A10 und A11 (BS 10 d [1], Bl. 4, 5). Die Korrekturen, die Horváth auf diesen beiden Blättern einfügt, stammen wahrscheinlich aus A12. Zu nennen wäre hier vor allem die Replik des Wirtes: „Du traust Dich her, Du??“ und Ferdinands Reaktion: „(schreit plötzlich) Fesselt ihn, fesselt ihn!“, die auf TS1/A5/BS 10 c [1], Bl. 3 zurückgehen. Die auf BS 10 d [1], Bl. 5 hs. eingefügte Regieanweisung: „(Jetzt weht draussen wieder der Wind, wie zuvor)“ ist eine Wiederaufnahme der in TS1/A11 und A12/BS 10 c [2], Bl. 6 vorkommenden Regieanweisung: „(Jetzt weht draussen der Wind und es klingt, wie Posaunen in der Ferne)“, die wiederum auf TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5 zurückgeht.

Konzeption 3: Der jüngste Tag – Staatsanwalt 7. Bild H1 = ÖLA 3/W 77 – BS 10 b, Bl. 1–7 7 Blatt kariertes Papier (334 × 208 mm), blaue Tinte TS1/A1 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 b, Bl. 1–4 (Korrekturschicht) Druck in: Vögele 1983, S. 269–273. 1 TS /A2 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 b, Bl. 5–7 (Korrekturschicht) Druck in: Vögele 1983, S. 273–277.

TS1/A1 dürfte auf jeden Fall nach K2/TS1/A1–A12 entstanden sein. Meinrad Vögele, der sich als Erster intensiv mit dem genetischen Material zu Der jüngste Tag auseinandergesetzt hat, reiht die Mappe 10 b parallel zu der Mappe 10 c sowie vor der Mappe 10 d, allerdings nimmt er keine Binnendifferenzierung zwischen den Teilmappen dieser Mappen vor, weshalb seine Ergebnisse nicht wirklich haltbar sind und hier in mehrfacher Hinsicht korrigiert werden (vgl. Vögele 1983, S. 316 und den Kommentar zu TS1/A3–A7). Bei TS1/A1 handelt es sich um die erste Textstufe zum 7. Bild, die vom Beginn des Bildes an überliefert ist. Schon was das Personal betrifft, steht TS1/A1 näher bei den folgenden Ansätzen (TS1/A2–A7) und bei der Endfassung (K4/TS5) als die vorhergehenden Ansätze von K2/TS1/A1–A12. Die Szenenanweisung („Auf dem Bahndamm“) von TS1/A1/BS 10 b, Bl. 1 weist große Ähnlichkeiten mit derjenigen der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 62) auf (vgl. auch K1/E5). Zu Beginn treten wie dort der Gendarm, der Wirt und Ferdinand auf. Alle drei sind bewaffnet und offensichtlich auf der Suche nach Hudetz. Ferdinand hat eine Flasche bei sich, aus der er einen Schluck nimmt, was der Wirt mit den Worten „Sauf nicht so viel“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 1) kommentiert. Die Tatsache, dass Ferdinand säuft, dürfte ein Relikt aus den vorhergehenden Textstufen von Konzeption 2 (vor allem K2/TS1/A8 und A12) sein, in denen er sich mit Hudetz im Wirtshaus betrinkt. Ferdinand äußert dann wie in einigen Ansätzen von K2/TS1 Selbstvorwürfe: „Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften – ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter –“

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Konzeption 3

(TS1/A1/BS 10 b, Bl. 1; vgl. K2/TS1/A1/BS 10 d [2], Bl. 1, 2, K2/TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 1, 6, K2/TS1/A3/BS 10 c [1], Bl. 1, K2/TS1/A4/BS 10 c [1], Bl. 2, K2/TS1/A12/BS 10 d [1], Bl. 1 und BS 10 c [2], Bl. 1 sowie K4/TS5/SB Georg Marton, S. 62). Auf die Aufforderung des Wirtes hin, sich zu „ermannen“, fällt Ferdinand jedoch nur noch tiefer in das Selbstmitleid und die Selbstvorwürfe hinein: „Ich ermann mich nicht! Meiner Seel, ich bin imstand und schneid mir jetzt selber den Kopf ab, damit Ihr endlich in mein Herz hineinschaun könnt – Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus! (er trinkt wieder)“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 1) Auch diese Passage wird in den folgenden Ansätzen wiederaufgenommen (vgl. TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 1, 2 und TS1/A7/BS 10 d [4], Bl. 1 und BS 10 d [3], Bl. 1) und findet sich in ähnlicher Form in der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 62). In der Folge tritt Hudetz auf. Er will sich vor den „Eilzug 405“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 2) werfen und schildert dieses Vorhaben in einem langen Monolog, der durch den Auftritt des toten „Streckengehers“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 2) unterbrochen wird. Diese Figur wie auch der tote Lokomotivführer Pokorny treten in TS1/A1 zum ersten Mal auf. Bereits in den frühen Strukturplänen VA/E4, E15 und K1/E5 hat Horváth die Idee einer Wiederkehr der Toten formuliert. Erst in TS1/A1 setzt er sie tatsächlich dialogisch um. Hier taucht auch erstmals das Motiv auf, dass Hudetz seine Uniform durch einen anderen Anzug vertauscht. Der Streckengeher kommentiert diesen Sachverhalt mit den Worten: „Sie haben einen anderen Anzug an – aber erkennen tut man Sie gleich – Keine Angst! Ich verrat Sie nicht, ich nicht –“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 2; vgl. TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 2). Er selbst präsentiert sich mit den Worten: „Ich heisse nämlich Anton Kreitmayer und ich sehe nach, ob auf der Strecke alles in Ordnung ist, nichts {geleist}, damit nichts passiert –“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 2). Nach Hudetz’ darauf gemünzter Replik: „Anton Kreitmayer?“ bricht der Text ab und es fehlt vermutlich ein ganzes Blatt. Horváth schreibt übrigens statt Kreitmayer zunächst Leitner, was dann der Familienname der Wirtstochter Anna wird (vgl. TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 7), die in der Endfassung Anna Lechner heißen wird (vgl. K4/TS5/SB Georg Marton, S. 60). Auch wenn mit dem darauf folgenden Blatt BS 10 b, Bl. 3 keine unmittelbare Fortsetzung gegeben ist, ist doch davon auszugehen, dass das Blatt das 7. Bild von TS1/A1 fortsetzt, das mit BS 10 b, Bl. 1 und 2 einsetzt. Auf Bl. 3 folgt der Auftritt des toten Lokomotivführers Pokorny, der mit Hudetz über das Geschehene spricht. Hudetz meint, nach Argentinien gehen zu wollen. Pokorny rät ihm jedoch davon ab und meint, er sei Hudetz sogar dankbar, dass er das Signal nicht rechtzeitig gestellt habe. Hudetz wehrt sich gegen die Unterstellung, dass er das Signal nicht rechtzeitig gestellt habe, doch Pokorny besteht darauf: „Mich kannst Du nicht belügen! Mich nicht! Du weisst es genau, dass Du es nicht rechtzeitig gestellt hast – – ich weiss es auch! Aber ich konnte nicht aussagen vor der irdischen Gerechtigkeit – – ich kam hinüber, ich hatte viele Sünden, aber es geht mir gut, sehr gut – – Komm, Hudetz! Das Beste ist, Du wirfst Dich vor den Eilzug 405“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 3). Auf Hudetz’ Frage, wie es denn „drüben“ sei, antwortet Pokorny: „Fein, sehr fein! Wir spielen Tarock und rauchen – und es ist ein Friede, ein grosser Friede – – Du wirst bald vergessen und hast keine Angst – –“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 3; vgl. TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 5). Auch der Anschluss von BS 10 b, Bl. 4 an BS 10 b, Bl. 3 ist nicht direkt herstellbar. Auch hier fehlt wahrscheinlich ein ganzes Blatt. Auf BS 10 b, Bl. 4 findet sich wieder eine neue Figur: der Staatsanwalt. Er befragt Hudetz über die Hintergründe seiner Tat, vor allem über sein Verhältnis zu seiner Frau. Hudetz gibt zu, sie nicht geliebt zu

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Chronologisches Verzeichnis

haben, aber ihr „treu“ gewesen zu sein: aus „Mitleid aus Schwäche“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 4; vgl. TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6). Der Anschluss von BS 10 b, Bl. 5 an BS 10 b, Bl. 4 ist ebenfalls nicht direkt herstellbar, dennoch handelt es sich bei TS1/A2 möglicherweise um eine Fortsetzung des in TS1/A1 ausgearbeiteten Beginns des 7. Bildes, weshalb TS1/A2 eventuell zu TS1/A1 zu rechnen ist. Papier- und Tintenqualität legen eine Zusammengehörigkeit von TS1/A1 und TS1/A2 unbedingt nahe. TS1/A2 setzt ein mit einer Szene, in der Anna, die Wirtstochter, auftritt, die in TS1/A1 noch nicht vorkommt, und vom Staatsanwalt verhört wird. Der Dialog verlagert sich bald auf Hudetz und Anna. Sie fragt ihn, ob er sich daran erinnere, wie sie ihn gefragt habe, ob er sie wiedererkenne (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 5). Diese Passage findet sich in ähnlicher Form in der Korrekturschicht von TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 7 sowie in der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 67f.) des Stückes. Es folgt eine sehr lyrische Passage, die von Anna geäußert wird: „Der Himmel war grau und es stand ein Gewitter droben, wie ein strenger Engel. Und wir hörten beide eine Stimme, beide Worte, aber wir verstanden sie nicht – wir wagten es nicht, sie zu verstehen. Es waren schwere Zeiten. Im Schweisse unseres Angesichts bearbeiteten wir die Erde –“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 5). Die Passage, die auf eine (mythische) Verbindung von Hudetz und Anna bereits vor dem Zugunglück hinweist, findet sich in fast unveränderter Form in TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 7 sowie in der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 68; vgl. auch den Kommentar zu VA/E7 und E12). Auch Hudetz’ Replik: „Wer hat zu mir gesagt: ‚Nimm!‘ Wer hat zu mir gesagt: ‚Esse davon!‘“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 5) findet sich in leicht veränderter Form in der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 68). Bereits in dieser Konzeptionsphase wird Anna von Hudetz erschlagen. Sie rekurriert darauf, wenn sie sagt: „Oh, wie oft hast Du mich schon erschlagen und wie oft wirst Du mich noch erschlagen – es tut mir garnichtmehr weh, ich hab mich daran gewöhnt –“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 5). Hudetz fragt Anna daraufhin: „Tuts Dir wohl?“ (ebd.) Anna antwortet darauf mit „Oh, nein“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 5). Auch diese Passage geht in die Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 68) ein, allerdings ohne Annas abschließende Replik. Sie reagiert hier nur mit Erschrecken und Entsetzen auf diese Vermutung Hudetz’. In TS1/A2 kommentiert der Staatsanwalt die Dialogpassage zwischen Hudetz und Anna mit den Worten: „Ich versteh Sie nicht, wie Sie so fragen können, Herr Vorstand. ‚Tuts Dir wohl?’ – also das ist schon Lästerung!“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6) Diese Replik genauso wie die Figur des Staatsanwalts fällt im 7. Bild der Endfassung (K4/TS5) weg, sie findet sich aber in ähnlicher Form noch in TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 8. Bemerkenswert ist auch eine Replik Annas, die in späteren Fassungen wegfällt, aber unterschwellig als Aufforderung Annas an Hudetz, sie zu töten, doch im Text vorhanden bleibt: „Es war ein Zwang in mir, Herr Staatsanwalt. ‚Er muss es tun, er muss es tun‘, hörte ich in mir – alles in mir sagte es ‚Er muss es tun‘. Meine Augen erflehten es, mein Herz erhoffte es, meine Seele befürchtete, er würd es nicht tun –“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6). Als Hudetz Anna dafür verantwortlich macht, dass er das Signal übersehen hat, verteidigt sie sich mit den Worten: „Nein. Denn er hat das Signal übersehen, weil ich ihm einen Kuss gegeben hab und ich hätt ihm nie einen gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätte, die er nicht liebte –“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6), die sich in ähnlicher Form in der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 67) findet. Der Staatsanwalt befragt Hudetz daraufhin über sein Verhältnis zu seiner Frau und Hudetz bezeichnet seine Gefühle für sie wie schon in TS1/A1 als „Mitleid aus Schwäche“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6; vgl. TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 6). Dem folgt eine Passage über das „Lügen“ (TS1/A2/BS 10 b,

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Konzeption 3

Bl. 7), die sich in ähnlicher Form bereits in TS1/A1/BS 10 b, Bl. 4 findet (vgl. auch K4/TS5/SB Georg Marton, S. 67). Diese Wiederaufnahmen sind ein Hinweis darauf, dass TS1/A1 und TS1/A2 doch keine zusammenhängende Fassung des 7. Bildes darstellen, auch wenn die Papierund Tintenqualität darauf hindeuten würde. Außerdem plant Horváth auf BS 10 b, Bl. 7 eine Dialogpassage mit Anna, die das Motiv „Erkennst Du mich wieder?“ (TS1/ A2/BS 10 b, Bl. 7) enthalten soll, das bereits in TS1/A2/BS 10 b, Bl. 5 ausgearbeitet wurde. Also selbst die Zulässigkeit der Zusammenstellung der Blätter BS 10 b, Bl. 5–7 zu einer durchgängigen Fassung des 7. Bildes (TS1/A2) scheint fraglich, auch wenn der Anschluss von Bl. 5 zu Bl. 6 und von Bl. 6 zu Bl. 7 reibungslos funktioniert. In der TS1/A2 abschließenden Passage tritt Pokorny auf. Der Zug ist schon hörbar und Pokorny und Anna kämpfen nun um Hudetz. Pokorny rät ihm, sich vor den Zug zu werfen, denn dann können sie gemeinsam Tarock spielen (vgl. TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 8). Anna rät ihm jedoch, am Leben zu bleiben, denn drüben gebe es „kein Feuer, das wärmt“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 7), wie Pokorny ihm weismachen will. Annas nachträglich hinzugefügte, an Hudetz gerichtete Worte, die wie eine Beschwörung klingen, lauten: „Bleibe! Bleib leben, bleib leben! Bei unserer Liebe!“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 7; vgl. TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 8, K2/TS1/A5/BS 10 c [1], Bl. 3 und K2/TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5). Die ganze Passage findet sich in ähnlicher Form in der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 68f.). Für den Schluss des Bildes ist ein Auftritt der drei Figuren Gendarm, Wirt und Ferdinand geplant. Horváth notiert dazu, dass sie die Toten nicht sehen (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 7). Auch in der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 69f.) schließt das 7. Bild mit einem Auftritt dieser drei Figuren und Alfons’, die Hudetz verhaften. T1 = ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 1–9, ÖLA 3/W 83 – BS 10 d [4], Bl. 1–7, ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 5, 9, 10 Insgesamt 19 Blatt, davon 1 Blatt unliniertes Papier (415 × 208 mm), geschnitten und geklebt, hs. Eintragungen mit blauer und dunkelblauer Tinte, 8 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), hs. Eintragungen mit dunkelblauer Tinte, 7 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), hs. Eintragungen mit dunkelblauer Tinte, 1 Blatt unliniertes Papier (135 × 208 mm), unregelmäßig geschnitten, hs. Eintragungen mit dunkelblauer Tinte, 1 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), hs. Eintragungen mit dunkelblauer Tinte und 1 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), hs. Eintragungen mit dunkelblauer Tinte, Paginierung 72 und 72b (mit Kugelschreiber von fremder Hand; Berliner Bearbeitung) auf BS 10 d [3], Bl. 1, Paginierung 73–80 auf BS 10 d [3], Bl. 2–9, Paginierung 71–73 auf BS 10 d [4], hs. Paginierung 72a von fremder Hand (Berliner Bearbeitung) auf BS 10 d [5], Bl. 5, Bl. 1–3, Paginierung 73 auf BS 10 d [5], Bl. 10 TS1/A3 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [4], Bl. 1–7 (Korrekturschicht), vgl. Simulationsgrafik Druck (teilweise) in: Vögele 1983, S. 291–298. TS1/A4 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [4], Bl. 1, BS 10 d [3], Bl. 1, BS 10 d [5], Bl. 5 (Korrekturschicht: dunkelblaue Tinte), vgl. Simulationsgrafik TS1/A5 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [4], Bl. 1, BS 10 d [3], Bl. 1, BS 10 d [5], Bl. 9 (Korrekturschicht: dunkelblaue Tinte), vgl. Simulationsgrafik TS1/A6 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [4], Bl. 1, BS 10 d [3], Bl. 1, BS 10 d [5], Bl. 10 (Korrekturschicht: dunkelblaue Tinte), vgl. Simulationsgrafik TS1/A7 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [4], Bl. 1, BS 10 d [3], Bl. 1–9 (Korrekturschicht: dunkelblaue Tinte), vgl. Simulationsgrafik Druck in: Vögele 1983, S. 298–310.

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Chronologisches Verzeichnis

Innerhalb der Mappe BS 10 d kann differenziert werden zwischen den Mappen BS 10 d [1] und [2] einerseits und den Mappen BS 10 d [3], [4] und [5] andererseits, für die Horváth eine andere Schreibmaschine verwendet hat (vgl. Vögele 1983, S. 264). Aus diesem Grund scheint es nur plausibel, dass die Typoskripte auch unterschiedlichen Arbeitsphasen entstammen. Während die Mappen BS 10 d [1] und [2] der Konzeption 2 (K2/TS1/A1, A2, A10–A12) zugeordnet werden konnten, gehören die Typoskripte der Mappen BS 10 d [3] und [4] zu Konzeption 3 (TS1/A3–A7; aber: K4/TS2), die von Mappe BS 10 d [5] – mit Ausnahme der Bl. 5, 9 und 10 (TS1/A4–A6) – zu Konzeption 4 (K4/TS1, K4/TS3/A1 und A2, K4/TS4/A1 und A2). In TS1/A3 arbeitet Horváth das 7. Bild erstmals masch. aus und überarbeitet es, indem er eine Reihe von hs. Korrekturen hinzufügt. Diese hs. Korrekturen gehen teilweise in die Endfassung (K4/TS5) ein und zeigen, dass TS1/A3 näher bei dieser steht als TS1/A1 und A2. Allerdings gehört TS1/A3 noch zu Konzeption 3, da dem Staatsanwalt hier weiterhin eine bedeutende Rolle zukommt, während in Konzeption 4 die Wahrheitsfindung und die Verhaftung Hudetz’ ganz der Dorfgemeinschaft – allen voran: dem Wirt, dem Gendarmen, Ferdinand und Alfons – zufällt. TS1/A3 setzt wie schon TS1/A1 mit den drei Figuren Ferdinand, Wirt und Gendarm ein, die auf der Suche nach Hudetz sind. Die Korrekturschicht von TS1/A1 wird dabei in TS1/A3 masch. umgesetzt, etwa in der Passage: „Gendarm: Der entkommt uns nicht, garantiert! Die ganze Umgebung ist allarmiert, alles ist umzingelt.“ (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 1; vgl. TS1/A1/BS 10 b, Bl. 1) Die Korrekturschicht der Szenenanweisung (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 1) entspricht schon der Szenenanweisung der Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 62). Die Dialogpassage zwischen dem Wirt, dem Gendarmen und Ferdinand ist großteils TS1/A1 nachgebildet. Hier findet sich etwa die exakte Wiederaufnahme der Replik Ferdinands: „Ich ermann mich nicht! Meiner Seel, ich bin imstand und schneid mir jetzt selber den Kopf ab, damit Ihr endlich in mein Herz hineinschaun könnt – Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine grosse Liebe, bitt ich mir aus!“ (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 1, 2). Für die Reihung von TS1/A3 nach TS1/A1 und vor TS1/A4 spricht weiters, dass der Wirt in TS1/A1 sagt: „Gehn wir jetzt weiter, Herr Kommissar.“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 1), in TS1/A3 (Korrekturschicht) lautet dieselbe Stelle: „Gehen wir weiter, Herr Kommissar.“ (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 2), wobei „jetzt“ gestrichen ist, und in TS1/A4 bereits in der masch. Grundschicht: „Gehen wir weiter, Herr Kommissar.“ (TS1/A4/BS 10 d [3], Bl. 1) Die Korrekturschicht der Regieanweisung „(leise)“ in TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 2, wo Horváth nachträglich „und traurig“ hinzufügt, ist in TS1/A4 ebenfalls schon umgesetzt, wo es in der masch. Grundschicht heißt: „(leise und traurig)“ (TS1/A4/BS 10 d [3], Bl. 1). Hudetz’ Monolog über den Eilzug 405, unter den er sich werfen will (vgl. TS1/A1/BS 10 b, Bl. 2), fehlt in TS1/A3. In die Passage, in der sich der Streckengeher vorstellt, fügt Horváth in A3 hs. ein „nur“ ein: Statt „Ich seh nach, ob […]“ (TS1/A1/BS 10 b, Bl. 2) heißt es nun (in der Korrekturschicht): „Ich seh nur nach, ob […]“ (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 2), was in TS1/A6/BS 10 d [3], Bl. 1 als „Ich schau nur nach“ in der masch. Grundschicht wiederaufgenommen wird. Die Korrekturschicht der Replik des Streckengehers über den Eilzug 405 (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 3, 4) wird in A7 masch. umgesetzt, wo es heißt: „Ich meine doch jenen Pokorny, der hier tötlich verunglückt ist, wie damals der Eilzug vierhundertfünf zusammengestossen ist“ (TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 2). Außerdem findet sich in TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 3 bereits die Passage, in der der Streckengeher davon spricht, dass der tote Pokorny mit Hudetz sprechen möchte, die auch in TS1/A6/BS 10 d [5], Bl. 10 und TS1/A7/BS 10 d

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Konzeption 3

[3], Bl. 2 vorkommt und in die Endfassung des Stückes (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 66) eingeht. In TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 4–6 gibt es überdies eine längere Dialogpassage zwischen Hudetz und Pokorny, die gegenüber der Passage in TS1/A1 wesentlich umfangreicher ausfällt. Hier ist auch wieder die Rede vom neuen Anzug Hudetz’ (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 4) sowie vom Tarockspielen (BS 10 d [4], Bl. 5). Auf BS 10 d [4], Bl. 6 erscheinen der „Staatsanwalt von drüben“ und der „Kommissar von drüben“. Zu ihnen tritt die Figur Anna, die hier als „Anna Leitner, Gastwirtstochter“ (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 7) angesprochen wird. In der Endfassung wird sie „Anna Lechner“ (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 60) heißen. Wie schon in TS1/A2/BS 10 b, Bl. 5, 6 wird sie vom Staatsanwalt verhört. Die Mappe BS 10 d [5] enthält eine Reihe von masch. Einzelblättern, die teilweise zerschnitten sind und keine einheitliche Textstufe darstellen. Sie bilden stattdessen Einzelblatt-Ersetzungen zu der in TS1/A3 ausgearbeiteten fragmentarischen Fassung des 7. Bildes. Das Blatt BS 10 d [5], Bl. 5 beispielsweise ist Teil von TS1/A4 und schließt dort an den oberen Teil des Blattes BS 10 d [3], Bl. 1 an, das ebenfalls in A4 dazukommt, wobei der Anschluss über eine Schnitt-/Klebekante erfolgt, d.h. das Blatt BS 10 d [5], Bl. 5 mit der Pag. 72a (von fremder Hand) war in A4 noch Teil von BS 10 d [3], Bl. 1. Horváth schneidet es wahrscheinlich im Zuge von A5 ab und klebt erst in A6 an BS 10 d [3], Bl. 1 das Blatt mit der Pag. 72b (von fremder Hand), wodurch das definitive Blatt BS 10 d [3], Bl. 1 entsteht, das sich durch eine Überlänge (415 mm) auszeichnet. In TS1/A4 arbeitet Horváth also zu BS 10 d [4], Bl. 1 eine neue Fortsetzung aus, denn das Blatt BS 10 d [3], Bl. 1 trägt die Paginierung 72, die an TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 1 mit der Pag. 71 anschließt. Wahrscheinlich kommt Horváth mit dieser Fassung nur bis zum Ende von BS 10 d [5], Bl. 5, denn dort ist hs. eine Replik Hudetz’ hinzugefügt und das Restblatt ist leer, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die masch. Ausarbeitung an dieser Stelle abbricht. Für eine Reihung von BS 10 d [5], Bl. 5 an dieser Stelle spricht, dass die hs. Korrekturen dieses Blattes in TS1/A5 übernommen werden. Die Replik Hudetz’ beginnt dort gleich mit der Regieanweisung „(schaut auf seine Uhr)“ (TS1/A5/BS 10 d [5], Bl. 9). Die hs. Korrektur „auf den Eilzug vierhundertfünf“ von TS1/A4/BS 10 d [5], Bl. 5 ist in TS1/A5/BS 10 d [5], Bl. 9 schon masch. realisiert. Außerdem ist die in TS1/A4/BS 10 d [5], Bl. 5 hs. hinzugefügte Regieanweisung zur Replik Hudetz’ „(starrt ihn entgeistert an)“ in TS1/A5/BS 10 d [5], Bl. 9 schon masch. umgesetzt. In TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 2 hatte es an dieser Stelle noch geheißen: „(schweigt und starrt ihn an)“. In TS1/A5 ersetzt Horváth das Blatt BS 10 d [5], Bl. 5 durch BS 10 d [5], Bl. 9, wobei der Anschluss an BS 10 d [3], Bl. 1 wieder über die erwähnte Schnitt-/Klebekante erfolgt. Wahrscheinlich hat Horváth das Blatt BS 10 d [3], Bl. 1 also bereits in diesem Ansatz auseinandergeschnitten, spätestens jedoch in A6. Horváth arbeitet in BS 10 d [5], Bl. 9 die Begegnung zwischen Hudetz und dem Streckengeher masch. aus und überarbeitet den Text, indem er eine Reihe von hs. Korrekturen hinzufügt. Die Reihung von TS1/A5 nach TS1/A3 kann damit begründet werden, dass in TS1/A5/BS 10 d [5], Bl. 9 die hs. Korrekturschicht der Replik des Streckengehers: „Bleibens nur da, ich verrat Sie nicht, darüber bin ich hinaus“ schon masch. umgesetzt ist. In der Grundschicht von TS1/A3 hatte es indes noch geheißen: „Bleibens nur da, ich verrat Sie nicht, ich hab Wichtigeres zu tun --“ (TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 2). Die Korrekturschicht der beiden Repliken des Streckengehers: „Ich schau nur nach, ob alles in Ord-

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Chronologisches Verzeichnis

nung ist auf der Strecke, damit nichts passiert, obwohl immer wieder was passiert“ und „Ich hab nämlich mal eine Zugskatastrophe verschuldt, weil ich betrunken gewesen bin, weil ich einen Kummer gehabt hab und ich hab gedacht, was kannst Du für Deinen Kummer? Heut denk ich nichtsmehr, weils mir immer klarer wird – ich geh immer dieselbe Strecke und kontrollier und kontrollier, seit vierundsechzig Jahr“ (TS1/A5/BS 10 d [5], Bl. 9) wird indes in TS1/A6/BS 10 d [3], Bl. 1 masch. umgesetzt, weshalb TS1/A5 vor diesem Ansatz, aber nach TS1/A3 zu reihen ist. In TS1/A6 klebt Horváth also an das Blatt BS 10 d [3], Bl. 1 das Blatt mit der Pag. 72b (von fremder Hand) an, wodurch das definitive Blatt BS 10 d [3], Bl. 1 mit der Überlänge von 415 mm entsteht. Der Anschluss des folgenden Blattes (BS 10 d [5], Bl. 10) an dieses Blatt, das als Ganzes die Paginierung 72 trägt, erfolgt über das getrennte Wort „Tochter“, dessen erster Teil „Toch-“ sich am Ende von BS 10 d [3], Bl. 1 befindet, während BS 10 d [5], Bl. 10, das die Paginierung 73 trägt, mit „-ter“ fortsetzt. TS1/A6 setzt überdies TS1/A5 fort. In Hudetz’ Replik: „Noch eine halbe Stund, dann werd ichs wissen […]“ (TS1/A6/BS 10 d [3], Bl. 1) sind die Korrekturen von TS1/A5 schon masch. umgesetzt, was eindeutig für eine Reihung von A6 nach A5 spricht. Auch in den Repliken des Streckengehers: „Ich schau nur nach, ob alles in Ordnung ist auf der Strecke, damit nichts passiert, obwohl immer wieder was passiert […]“ und „Ich hab nämlich mal eine Zugskatastrophe verschuldet, weil ich betrunken gewesen bin, weil ich einen Kummer gehabt hab […]“ (BS 10 d [3], Bl. 1) ist, wie bereits erwähnt, die Korrekturschicht von TS1/A5 schon masch. umgesetzt. Am Fuße von Blatt BS 10 d [5], Bl. 9 findet sich die Replik des Streckengehers: „Damals war die Frau noch garnicht geboren, deren Tochter“, die hs. durch „Sie neulich beim Viadukt –“ und „ich stand nämlich droben auf dem Viadukt und hab zugeschaut“ ergänzt ist. Diese Ergänzung ist auf BS 10 d [5], Bl. 10 (TS1/A6) schon masch. umgesetzt. Dort heißt es gleich zu Beginn: „[deren Toch-]ter Sie neulich beim Viadukt -- ich stand nämlich droben auf dem Viadukt und hab zugeschaut“. Außerdem ist in TS1/A6/BS 10 d [5], Bl. 10 in der Replik Pokornys die Korrekturschicht von TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 4 „Pokorny: (kommt, er raucht eine Virginia)“ schon masch. umgesetzt bzw. wird noch um den Zusatz „und scheint guter Laune zu sein)“ erweitert. In TS1/A7 schließt Horváth ähnlich wie in TS1/A6/BS 10 d [5], Bl. 10 wieder über das getrennte Wort „Toch-ter“ an, d.h. das Blatt BS 10 d [5], Bl. 10 mit der Pag. 73 wird ersetzt durch das Blatt BS 10 d [3], Bl. 2, an das die Blätter BS 10 d [3], Bl. 3–9 anschließen, die Horváth in der Folge ausarbeitet. Damit schafft er den Durchbruch in der Konzeption des 7. Bildes. Allerdings bleibt auch dieser Ansatz fragmentarisch und damit auch die Ausarbeitung des 7. Bildes in Konzeption 3 insgesamt. Am linken Rand des Blattes BS 10 d [3], Bl. 1 finden sich hs. Ergänzungen, in denen Horváth den Beginn des Bildes umarbeitet. Diese stammen wahrscheinlich aus einer späteren Bearbeitungsphase (Korrekturschicht: blaue Tinte) und weisen auf Konzeption 4 voraus bzw. sind überhaupt zu Konzeption 4 zu rechnen (vgl. K4/TS3/A1, A2 und K4/TS4/A1, A2). Sie werden großteils in die Endfassung (K4/TS5) des Stückes übernommen, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass TS1/A7 dieser näher steht als die vorhergehenden Ansätze (TS1/A1–A6). Die hs. ergänzte Regieanweisung „(tonlos)“ von TS1/A6/BS 10 d [5], Bl. 10 ist in TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 2 bereits masch. realisiert, was die Reihung nach TS1/A6 rechtfertigt. Dasselbe gilt für die am Blattende von TS1/A6/BS 10 d [5], Bl. 10 hs. hinzugefügten zwei Repliken („Pokorny (schäckernd, jedoch nicht ohne Hinterlist) Er hat ja auch allen Grund, denn er ist ja schuld, dass ich nichtmehr bin –“ und „Hudetz (fällt ihm ins Wort) Das

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Konzeption 4

ist nicht wahr!“), deren erste in A7 neuerlich einer hs. Korrektur unterworfen wird, die teilweise in die Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 66) eingeht. Die Replik Pokornys: „Ich bin direkt froh, dass ich nimmer leb! Schau, ich hab eine Frau und drei Töchter, sie laufen noch in Schwarz herum, aber sie lachen schon über jeden Witz und haben ihre Pension […]“ (TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 4) findet sich bereits in TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 5 vorformuliert. Wie in TS1/A3 tauchen auch in TS1/A7 die beiden Figuren Staatsanwalt und Kommissar auf. Der Staatsanwalt führt wieder seine Verhöre mit Hudetz und mit Anna durch. Die Replik Annas: „Er hat das Signal vergessen, weil ich ihm einen Kuss gegeben hab, aber ich hätt ihm nie einen Kuss gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätte, die er nie geliebt --“ (TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 6) findet sich in ähnlicher Form bereits in TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6 und geht in die Endfassung (K4/TS5/SB Georg Marton, S. 67) ein. Auch das „Mitleid aus Schwäche“ (TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6) kommt in TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 6 wieder vor. Die lyrische Replik Annas: „Der Himmel war wie ein strenger Engel […]“ (TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 7) findet sich in ähnlicher Form bereits in TS1/A2/BS 10 b, Bl. 5. Auch die Replik des Staatsanwalts: „Ich versteh Sie nicht, wie Sie so fragen können, Herr Vorstand! ‚Tuts Dir wohl?‘ -- also das ist schon Lästerung!“ (TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 8) findet sich bereits in TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6. Der Ansatz endet wie TS1/A2/BS 10 b, Bl. 7 mit dem Kampf Pokornys und Annas um Hudetz bzw. mit der Ankunft des Gendarmen, des Wirtes und Ferdinands (TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 9), die die Toten nicht sehen können.

Konzeption 4: Der jüngste Tag – Schauspiel in sieben Bildern 6. Bild T1 = ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 1–4 Insgesamt 4 Blatt, davon 1 Blatt unliniertes Papier (166 × 209 mm), unregelmäßig geschnitten, 2 Blatt unliniertes Papier (297 × 209 mm) und 1 Blatt unliniertes Papier (135 × 209 mm), unregelmäßig geschnitten, hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte, Paginierung 57, 58 auf Bl. 1 und 3, hs. Paginierung mit Kugelschreiber von fremder Hand (Berliner Bearbeitung) 57a, 58a auf Bl. 2 und 4 TS1 = fragm. Fassung des 6. Bildes (Korrekturschicht) Druck in: Vögele 1983, S. 288–291.

Die Paginierung lässt vermuten, dass TS1 Teil einer längeren, möglicherweise vollständig ausgearbeiteten Fassung des 6. Bildes oder des gesamten Stückes war. Die Bl. 2 und 4, auf denen von fremder Hand die Paginierungen 57a und 58a hinzugefügt wurden, stammen offensichtlich aus einer späteren Bearbeitungsphase, in der die Bl. 1 und 3 zerschnitten und die Bl. 2 und 4 neu getippt und ergänzt wurden. Schauplatz der Szene ist die Drogerie des Bruders von Frau Hudetz, Alfons. Alfons und Frau Hudetz sitzen beim Abendessen, als Hudetz auftaucht. Ein Großteil der Repliken von TS1 geht in die Endfassung (TS5) ein, allerdings wird deren Abfolge mitunter verändert. So folgt etwa auf die Replik Hudetz’: „Fürchtet Euch nicht! Es hat mich keiner gesehen“ in TS1 die Passage: „zwar ist alles umzingelt, mit Militär und Gendarmerie, aber ich komm durch. Ich trete die Strafe nicht an, ich berufe, denn ich kann nichts dafür“ (Bl. 2). In der Endfassung (TS5/SB Georg Marton, S. 58) befindet sich zwischen

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diesen zwei Passagen eine Abfolge von Repliken, die in TS1 erst später folgt. Auch das Motiv, dass Hudetz einen neuen Anzug braucht bzw. anhat (vgl. K3/TS1/A1/BS 10 b, Bl. 2 und K3/TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 4), findet sich hier wieder (Bl. 2). Erstmals wird damit auch klar, wo Hudetz seinen neuen Anzug herbekommt. In der Endfassung (TS5/SB Georg Marton, S. 58–61) wird er zwar um den Anzug bitten, ihn dann aber doch nicht nehmen. Möglicherweise war diese Idee schon in TS1 realisiert, allerdings sind die entsprechenden Typoskriptseiten in diesem Fall nicht überliefert. Auf Bl. 3 (Pag. 58) folgt eine Passage, die in der Endfassung (TS5) zwischen den anfangs genannten Passagen: „Fürchtet Euch nicht! […]“ und „zwar ist alles umzingelt […]“ liegt; es handelt sich um die Stelle, in der Hudetz seine Frau und Alfons fragt, ob sie „Frieden“ haben, und auf Alfons’ Aufforderung, in sich zu gehen, antwortet: „Wohin soll ich gehen? In mich hinein? Was tät ich denn da finden?“ (Bl. 3) Auf Bl. 4 findet sich eine Passage, die bereits in K2/TS1/A1/BS 10 d [2], Bl. 3 vorkommt, sich dort aber im Dialog zwischen Ferdinand und Hudetz (7. Bild) findet: „Wie ich zuvor durch den Wald gegangen bin, da hab ich plötzlich an ein Signal denken müssen -wisst Ihr, an so ein Signal, das nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Und dann hab ich an den Lokomotivführer gedacht, an den armen Pokorny, der doch auch immer ein pflichtgetreuer Beamter gewesen ist -- (er lächelt) Hm. Und da ist es mir so eingefallen, wer redet heut noch von dem braven Pokorny? Niemand. Alle reden nur von dem armen Fräulein Anna -- (er lächelt)“ (Bl. 4).

7. Bild T2 = ÖLA 3/W 82 – BS 10 d [3], Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (415 × 208 mm), geschnitten und geklebt, hs. Eintragungen mit blauer und dunkelblauer Tinte, Paginierung 72, Paginierung 72b mit Kugelschreiber von fremder Hand (Berliner Bearbeitung) TS2 = fragm. Fassung des 7. Bildes (Korrekturschicht: blaue Tinte)

Bei TS2 handelt es sich um eine nachträglich hs. mit blauer Tinte auf einem Typoskript ausgearbeitete Textstufe zum 7. Bild. Der masch. Teil, der nur geringe Überarbeitungsspuren mit dunkelblauer Tinte aufweist, enthält einen Dialog zwischen Ferdinand und Hudetz bzw. zwischen dem Streckengeher und Hudetz, der noch zu K3 zu zählen ist (K3/TS1/A4–A7). In TS2, die einige Zeit nach den verschiedenen Ansätzen von K3/TS1 entstanden sein dürfte, arbeitet Horváth nun einen Dialog zum Beginn des 7. Bildes zwischen Alfons, dem Gendarmen, Ferdinand und dem Wirt aus. Es handelt sich dabei um die Szene, in der Alfons mit den anderen dreien zusammentrifft. Die drei wissen bereits, dass Hudetz bei Alfons aufgetaucht ist (vgl. TS1) und fragen Alfons nun nach dem Verbleib Hudetz’. Sie vermuten, dass Alfons Hudetz deckt. So erklärt sich die Regieanweisung zur Replik Ferdinands: „Wie der lächelt – (er starrt Alfons gehässig an)“. Allerdings stellt sich gleich heraus, dass Alfons Hudetz nicht deckt, sondern an seiner Auffindung mithelfen will. In zwei nicht in den Text integrierbaren Repliken, die Horváth am Ende der Bearbeitung hinzufügt und mit dem Seitenzahlverweis „S. 77“ kennzeichnet, was ein Hinweis darauf ist, dass die hs. Ausarbeitung von TS2 zu einem bereits ausgearbeiteten längeren Typoskript hinzukommt (vgl. TS3/A1 und A2 sowie TS4/A1 und A2), ergreift Alfons mit folgendem Satz die ‚richtige‘ Partei: „Nein. Ich hol ihn auch. Er soll sich der irdischen Gerech-

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Konzeption 4

tigkeit nicht entziehn –“, eine Passage, die in praktisch unveränderter Form in die Endfassung eingeht (vgl. TS5/SB Georg Marton, S. 64). Die andere Replik: „Wirds Euch jetzt klar, warum er den anderen Anzug nicht nahm“ findet sich in gleicher Form in den folgenden Textstufen TS3/A1 und A2 sowie in der Endfassung TS5/SB Georg Marton, S. 64. T3 = ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 6–8 3 Blatt unliniertes Papier (297 × 209 mm), hs. Eintragungen mit blauer Tinte, Eintragungen von fremder Hand mit Bleistift (Berliner Bearbeitung), Paginierung 73, 74 auf BS 10 d [5], Bl. 6, 7, Paginierung 74 auf BS 10 d [5], Bl. 8 TS3/A1 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [5], Bl. 6, 7 (Korrekturschicht) TS3/A2 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [5], Bl. 6, 8 (Korrekturschicht)

Die Paginierung lässt vermuten, dass TS3/A1 an eine bereits bestehende längere Fassung des 7. Bildes oder des gesamten Stückes anschließt. Der masch. ausgearbeitete Teil ist zwar sehr kurz, daran fügen sich jedoch relativ weit gediehene hs. Ergänzungen. In TS3/A1 trifft Alfons auf die Hudetz suchenden Figuren Ferdinand, Wirt und Gendarm. Die Bedeutung, die der Figur Alfons hier zukommt, weist voraus auf die Endfassung des Stückes (TS5) und weist die Textstufe als der Konzeption 4 zugehörig aus. Ein Anschluss ist herstellbar zur zweiten Korrekturschicht (mit blauer Tinte) von BS 10 d [3], Bl. 1 (TS2), zumal auch die hinzugefügte Pag. 73 dies nahelegt, allerdings fehlt gegenüber der Endfassung ein Teil, in dem Alfons schildert, wie Hudetz zu ihm kam und um einen anderen Anzug bat. TS2/BS 10 d [3], Bl. 1 endet bei der Replik des Wirtes: „Wie der lächelt – (er starrt Alfons gehässig an)“, TS3/A1 setzt jedoch erst bei der Replik Ferdinands: „Der hat kein Interesse, merk Dir das!“ (Bl. 6) ein. Überdies enthält TS2 auch einen Verweis auf eine „S. 77“ (vgl. auch TS4/A1 und A2), zu der die hier ausgearbeiteten Textteile offensichtlich eine Ergänzung darstellen. Die dazu notierten Repliken Alfons’: „Wirds Euch jetzt klar, warum er den anderen Anzug nicht nahm“ und: „Nein. Ich hol ihn auch. Er soll sich der irdischen Gerechtigkeit nicht entziehen –“ finden sich auch in den hs. Ergänzungen von TS3/A1/BS 10 d [5], Bl. 6. Die hs. Passagen dieses Blattes entsprechen mit Ausnahme kleinerer Abweichungen der entsprechenden Passage in der Endfassung (TS5/SB Georg Marton, S. 63f.). Die letzte Replik des Gendarmen: „Bravo! (ab mit Alfons nach links)“ auf Bl. 6 wird am Beginn von Bl. 7 wiederaufgenommen. Im Folgenden treten Pokorny und der Streckengeher auf. Sie sprechen über Hudetz’ Verbleib. Der Dialog reicht bis zu der Stelle, an der Hudetz auftauchen sollte, und entspricht in weiten Teilen der entsprechenden Passage in der Endfassung (TS5/SB Georg Marton, S. 64f.). Bei TS3/A2 handelt es sich, zumindest was Bl. 8 betrifft, um eine masch. Ausarbeitung der großteils hs. Dialogpassagen von TS3/A1/Bl. 7. Auch die Pag. 74 weist Bl. 8 als Ersetzung von Bl. 7 aus. Am Blattende notiert Horváth hs. noch drei Repliken, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass die Textstufe am Ende dieses Blattes tatsächlich endet und also ebenfalls nur fragmentarisch ausgearbeitet wurde. T4 = ÖLA 3/W 84 – BS 10 d [5], Bl. 11, 12 2 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), hs. Eintragungen mit blauer Tinte, Paginierung 77, 78 TS4/A1 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [5], Bl. 11 (Korrekturschicht) TS4/A2 = fragm. Fassung des 7. Bildes konstituiert durch BS 10 d [5], Bl. 12 (Korrekturschicht) Faksimile von Bl. 12 in: Horváth 2009a, S. 112.

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TS4/A1 stellt eine sehr fragmentarisch ausgearbeitete Fassung dar. Der Ansatz enthält eine einzige Replik Annas: „(sieht Hudetz gross an) Du hast ein Signal --“ (Bl. 11). Die Pag. 77 ist ein Hinweis darauf, dass TS4/A1 Teil einer längeren ausgearbeiteten Fassung des 7. Bildes war oder sein sollte, allerdings bricht Horváth diesen Ansatz nach nur einer Replik schon ab. TS4/A2 beginnt mit derselben Replik Annas, die hier aber in die Höflichkeitsform gesetzt ist: „Herr Vorstand haben ein Signal --“ (Bl. 12). Beide Ansätze sind in K3/TS1/A2 vorgebildet, allerdings werden die Worte Pokornys und des Streckengehers dort noch vom Staatsanwalt geäußert, was die Zugehörigkeit von K3/TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6 zu Konzeption 3 untermauert und TS4/A1 und A2 als zu Konzeption 4 zugehörig ausweist. Die Pag. 78 weist Bl. 12 als Fortsetzung einer längeren Fassung des 7. Bildes aus, die aber nicht überliefert ist. Möglicherweise bilden sowohl TS4/A1 als auch TS4/A2 in irgendeiner Form eine Fortsetzung zu TS2, wo sich ein Hinweis auf „S. 77“ findet (vgl. den Kommentar zu TS2, TS3/A1 und A2). In TS4/A2 arbeitet Horváth die Passage aus, in der die tote Anna mit Hudetz und den Toten Pokorny und Streckengeher zusammentrifft. Anna legt dabei gewissermaßen ein Geständnis ab: „(als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen) Er hat das Signal vergessen, weil ich ihm einen Kuss gegeben hab, aber ich hätt ihm nie einen Kuss gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätt, die er nie geliebt --“. Damit nimmt Horváth eine Passage wieder auf, die bereits in früheren Textstufen (K3/TS1/A2/BS 10 b, Bl. 6 und K3/TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 6) vorgebildet war. Pokorny nimmt dabei die Rolle ein, die in Konzeption 3 noch dem Staatsanwalt zukam. Dem folgt eine Passage über das Lügen, die ebenfalls schon in früheren Textstufen vorgebildet ist (vgl. K3/TS1/A2/BS 10 b, Bl. 7 und K3/TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 6). TS4/A2 geht bis auf einige kleinere Streichungen in die Endfassung (TS5/SB Georg Marton, S. 67) ein, steht dieser also näher als den Textstufen von Konzeption 3. D1 = Der jüngste Tag. Schauspiel (Exemplar in: DNB 1965 B 3219 [Exil]) Stammbuch des Georg Marton Verlags, Hollywood/London/Wien/Budapest, [1937], Paginierung 2–70 TS5 = Endfassung mit Werktitel „Der jüngste Tag. Schauspiel in sieben Bildern von Odon von Horvath“ Druck in: Horváth 1955, S. 17–99.

Das Stammbuch des Georg Marton Verlags von 1937 lag nicht nur der Uraufführung des Stückes am 11. Dezember 1937 in Mährisch-Ostrau zugrunde, sondern, folgt man Traugott Krischkes Angaben, auch der Ausgabe des Stückes 1988 in der Kommentierten Werkausgabe. Dort findet sich im Nachwort der folgende Hinweis: „Als Druckvorlage diente ein maschinenschriftlich vervielfältigtes, mit ‚ST‘, also Stammexemplar, bezeichnetes Textbuch des Marton Verlages“ (KW 10, S. 426). In einem Quellennachweis deutet Krischke darauf hin, dass sich dieses Stammbuch im Horváth-Archiv Wien (KW 10, S. 452) befindet, womit nur das Verlagsarchiv des Thomas Sessler Verlags gemeint sein kann. Leider liegt dieses Exemplar des Stammbuchs heute weder in den Beständen, die durch das Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek vom Sessler Verlag übernommen wurden, noch im Sessler Verlag selbst vor. Allerdings befindet sich ein Stammbuch des Marton Verlags in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig [Sign. 1965 B 3219 (Exil)], das zwar nicht datiert ist, aber wahrscheinlich aus dem Jahr 1937 stammt. Es handelt sich dabei wohl um ein Exemplar des Erstdrucks des Stammbuchs.

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Im Splitternachlass Ödön von Horváths (ÖLA 27/94), der ursprünglich im Thomas Sessler Verlag lag, findet sich ein Exemplar des Erstdrucks des Stückes Der jüngste Tag von 1955 im Lechte Verlag (Emsdetten/Westfalen) in der Reihe „Dramen der Zeit“ (Bd. 15), herausgegeben von Artur Müller und Hellmut Schlien. In einem Brief an Thomas von Sessler vom 6. Januar 1956 schreibt Lajos von Horváth über diese Erstausgabe: „Ich gebe gern mein Einverständnis dazu, dass Sie die Prosawerke meines Bruders anbieten, nur habe ich ziemliche Bedenken wegen der Bearbeitung. Ich weiss halt garnicht, ob sie im Sinn meines Bruders vorgenommen wird. Ich weiss, dass es sehr lästig ist, wenn ein dritter, wenn plötzlich ein Verwandter auftritt und mittun will, aber ich habe meine Gründe. Als ich z.B. den ‚Jüngsten Tag‘ in der Reihe ‚Dramen der Zeit‘ durchgelesen habe, kam mir die ganze Geschichte sofort fremd vor. Ich betone nach wie vor, dass ich über die Herausgabe sehr froh bin und Ihnen für Ihre Bemühungen danke, aber hier fand ich auf fast jeder zweiten Seite einen sinnstörenden Fehler, eine auf unhorvathisch umgearbeitete Wendung. Auf der Innenseite des rückwärtigen Deckblattes habe ich die Seiten angeführt, auf denen die Fehler vorkommen. Dies müsste man, sollte das Buch an eine Bühne geschickt werden, wenigstens zum Teil berücksichtigen. Z.B. auf Seite 32 fehlt ein ganzer Satz, wodurch der folgende sinnlos wird. Manche Sachen entbehren nicht einer gewissen Komik, wie z.B. Seite 77. Richtig heisst es: ‚ … das Grab ist abphotographiert worden für die Illustrierte Volksstimme von allen Windrichtungen!‘ Der Lechte hat daraus gemacht: ‚ … das Grab ist abphotographiert worden für die Illustrierte, Volksstimme von allen Windrichtungen!‘ Ich sende Ihnen mit gleicher Post ein korrigiertes Exemplar als Drucksache. Aus diesen Gründen also habe ich Bedenken, Sie werden das sicherlich verstehen. Und in Zukunft, wenn Ihnen wieder eine Drucklegung gelingt, übernehme ich gern und selbstverständlich kostenlos das Lektorat.“ (zitiert nach dem Original im Nachlass „Ödön von Horváth Theaterdokumentation“ im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, ÖLA 28/B 2, Bl. 25 und 25v) Lajos von Horváth hat sich in der Folge wohl an Traugott Krischke gewandt, der dann, wahrscheinlich auf Lajos’ Bitte, das Stammbuch mit der Erstausgabe und einer dritten Fassung – möglicherweise einem Original-Typoskript oder einer Abschrift eines solchen – verglichen hat und dabei auf ganze „33 Fehler“ kam, die sich in der Lechte-Ausgabe finden, wovon „22“ bereits in dem „Exemplar des Sessler-Verlages“ (Brief von Traugott Krischke an Lajos von Horváth vom 9. Mai 1956, zitiert nach dem Original im Nachlass Krischke ÖLA 84/97, Schachtel 28) vorhanden seien. Das Exemplar der Erstausgabe mit den Korrekturen Lajos von Horváths befindet sich leider weder im Nachlass Horváths noch im Splitternachlass noch im Nachlass Krischkes. Aus den von Lajos von Horváth und von Krischke genannten Gründen, die einer genaueren Überprüfung standhalten, konnte die Buchausgabe von 1955 nicht als Textgrundlage für die hier erstellte Endfassung (TS5) verwendet werden. In Ermangelung eines originalen Typoskripts, wie dies bei anderen Stücken Horváths oftmals vorliegt, wurde dieser deshalb das Stammbuch des Georg Marton Verlags von 1937 zugrunde gelegt, das der Fassung letzter Hand wohl trotz allem noch am nächsten kommt. Auf welcher Textgrundlage die Erstausgabe (Horváth 1955) basiert, kann nur vermutet werden, da sich im Buch selbst dazu keine Hinweise finden. Vergleicht man die Figurenliste der Erstausgabe mit derjenigen des Stammbuchs, so fällt auf, dass der fälschlicherweise im Stammbuch angeführte „Feldarbeiter“ (TS5/SB Georg Marton, S. III), der im Stück selbst dann nur als „Waldarbeiter“ auftaucht, von der Erstaus-

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gabe (Horváth 1955, S. 18) übernommen wurde, in den Stücken (Horváth 1961, S. 336), den Gesammelten Werken (GW I, S. 530) und in der Kommentierten Werkausgabe (KW 10, S. 10) wurde dieser Fehler indes korrigiert. Wie schon der Textvergleich Krischkes vermuten lässt, lag also der Erstausgabe wahrscheinlich das Stammbuch zugrunde, das auch die Textgrundlage der Kommentierten Werkausgabe abgab (vgl. KW 10, S. 426). Der Text in den Gesammelten Werken (GW I, S. 529–588) folgt laut Angabe Krischkes einem „Typoskript, das sich im Ödön von Horváth-Archiv befindet“ (GW I, S. 10*). Wie bereits erwähnt, gibt es ein solches Typoskript im Nachlass Horváths im Archiv des Thomas Sessler Verlags bzw. am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek nicht. Möglicherweise ist es noch in Privatbesitz und stand Krischke nur für die Dauer der Vorbereitung der Ausgabe zur Verfügung. Wahrscheinlicher scheint aber, dass damit gleichfalls das erwähnte Stammbuch (TS5) gemeint ist, das ja „maschinenschriftlich vervielfältig[t]“ (KW 19, S. 426) wurde und von Krischke vielleicht deshalb einfach als „Typoskript“ bezeichnet wurde. Ein genauerer Vergleich der Textfassungen der Erstausgabe, der Gesammelten Werke und der Kommentierten Werkausgabe ergab nämlich, dass ihnen derselbe Text zugrunde gelegen haben muss, also wohl das Stammbuch. Allerdings wurden bei der Texterstellung in allen Ausgaben einige nicht unwesentliche Änderungen gegenüber dem Stammbuch bzw. auch fehlerhafte Transkriptionen vorgenommen, die dann offensichtlich von Ausgabe zu Ausgabe weitergetragen und keiner neuerlichen Prüfung unterzogen wurden. So wurde etwa in der Erstausgabe und in weiterer Folge auch in den späteren Ausgaben die Passage des Staatsanwalts aus dem 2. Bild, die im Stammbuch folgendermaßen lautet: „Das Signal geht leider in Ordnung, es steht auf Halt. Es lässt sich nur nicht beweisen, ob es bereits vorher oder erst hinterher auf Halt gestellt worden ist.“ (TS5/SB Georg Marton, S. 17), in der folgenden, nicht unwesentlichen Weise verändert: „Das Signal geht leider in Ordnung, es steht auf halb. Es läßt sich nur nicht beweisen, ob es bereits vorher oder erst hinterher auf halb gestellt worden ist“ (Horváth 1955, S. 39, GW I, S. 545 und KW 10, S. 27). Mit großer Wahrscheinlichkeit ist hier die Variante des Stammbuchs die richtige, ist doch im Stück auch davon die Rede, dass das Signal auf „grün“ („freie Fahrt“ TS5/SB Georg Marton, S. 62) steht. Als Gegensatz zu „grün“ ist dann aber „rot“ oder „Halt“ wesentlich sinnvoller als „halb“. Gestützt wird die Lesart des Stammbuchs auch durch zwei Textstufen, die Vorstufen zu der erwähnten Passage darstellen und in denen ebenfalls „Halt“ (K3/TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 6 und K3/TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 4) und nicht „halb“ zu lesen ist. Dieser Transkriptionsfehler, den alle Ausgaben außer dem Stammbuch enthalten, erscheint umso problematischer, als in dieser Passage eine entscheidende Frage des ganzen Stückes verhandelt wird. Dies gilt auch für die leitmotivisch eingesetzte Selbstvergewisserung Hudetz’, der mit dem Hinweis darauf, dass er immer ein „pflichtgetreuer Beamter“ (TS5/SB Georg Marton, S. 13, 19, 43 und 49) gewesen sei, jegliche Schuld an dem Zugunglück von sich weisen möchte. Die Erstausgabe (z.B. Horváth 1955, S. 41) und die Gesammelten Werke (GW I, S. 546) korrigieren hier zu „pflichttreuer Beamter“, was zwar orthografisch richtiger ist, aber doch als unnötiger Eingriff in den Text erscheint. Auch in diesem Fall wäre wohl besser der (dialektal gefärbten) Variante des Autors (des Stammbuchs) der Vorzug zu geben gewesen. Dies gilt in erhöhtem Maße auch für die Replik Lenis im 2. Bild, wo die offensichtlich bewusst umgangssprachlich gefärbte, wenn auch grammatikalisch inkorrekte Version des Stammbuchs „Sind der Herr der Lokomotivführer?“ (TS5/SB Georg Marton, S. 15) sowohl in der Erstausgabe (Horváth

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1955, S. 36) als auch in den Gesammelten Werken (GW I, S. 543) normalisiert wurde zu: „Sind Sie der Herr Lokomotivführer?“ Dieser Eingriff zeigt besonders deutlich, welche Verluste an sprachlicher Expressivität das allzu große editorische Bemühen um sprachliche Korrektheit mitunter zeitigt. Auch die vielen Fälle, in denen die e-Apokope beim Auxiliarum „haben“ in der 1. Person Singular rückgängig gemacht wurde und statt einem umgangssprachlichen „ich hab“ das hochsprachliche „ich habe“ steht, fallen in diese Kategorie. Weiters werden auch andere scheinbare grammatikalische Inkorrektheiten wie „er tragt“ (TS5/SB Georg Marton, S. 2) oder „[sie] lasst“ (TS5/SB Georg Marton, S. 3) in der hier konstituierten Endfassung (TS5) gemäß dem Stammbuch beibehalten, denn es ist anzunehmen, dass sie der vom Autor autorisierten Fassung letzter Hand näherstehen als die grammatikalisch korrekten Standard-Varianten der späteren Ausgaben. Eine weitere Stelle, in der, ebenfalls abweichend zu den bisherigen Ausgaben, die Variante des Stammbuchs belassen wurde, ist die Replik Annas im 3. Bild, in der sie auf den zurückkehrenden Hudetz ein Glas Wermut trinkt, und dies wahrscheinlich mit dem allerdings „tonlos“ geäußerten Wort „Noch“ (TS5/SB Georg Marton, S. 33) kommentiert statt mit „Hoch“, der Variante, die die bisherigen Ausgaben (GW I, S. 558 und KW 10, S. 42) führen. Das von Anna geäußerte „Noch“ stellt dabei nicht nur eine minimale Differenz zu dem von den anderen Festgästen geäußerten „Hoch“ dar, sondern impliziert ihre Vorahnung über den weiteren Verlauf der Handlung und die letztliche Verhaftung des Stationsvorstands. In einem Fall wurde jedoch den Emendationen, die die bisherigen Ausgaben vornahmen, recht gegeben. Im letzten Bild wurde konform zu diesen in Alfons’ Replik: „Tust mir den Gefallen und laßt ihm seinen Frieden!“ „Tust“ zu „Tuts“ emendiert, da dafür Belege in früheren Textstufen zum 7. Bild bzw. in früheren Bildern der Endfassung in Form des Stammbuchs vorlagen (vgl. K2/TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 7 und TS5/SB Georg Marton, S. 39 sowie GW I, S. 588). Die Leerzeilen zwischen den einzelnen Repliken, die das Stammbuch aufweist, wurden nicht wiedergegeben. Die hier erstellte Endfassung (TS5) auf der Grundlage des Stammbuchs bietet so gegenüber den Krischke-Ausgaben und auch gegenüber der Erstausgabe einen an vielen Stellen revidierten Text. TS5 enthält eine Figurenliste und ein Schauplatzverzeichnis. Die sieben Bilder der Endfassung lauten: „Kleine Bahnstation“, „Auf dem Bahndamm, wo zwei Züge zusammengestossen sind“, „Im Gasthaus zum wilden Mann“, „Beim Viadukt“, „Im Gasthaus zum wilden Mann“, „In der Drogerie“ und „Auf dem Bahndamm, wo einst die beiden Züge zusammengestossen sind“ (vgl. K1/E5). Das 1. Bild führt einen Großteil der Figuren ein, hat also expositorische Funktion. Dabei kommt besonders der Figur der Frau Leimgruber eine wichtige Rolle zu. Als geschwätzige Person, die mit ihrem Tratsch das ganze Dorf ausrichtet, informiert sie den zugereisten Vertreter, eine ortsfremde Figur und damit alter ego des Lesers bzw. des Publikums, über die einzelnen Figuren (Anna, Ferdinand, Hudetz, Frau Hudetz und Alfons). Das 1. Bild zeigt überdies bereits den Stationsvorstand Thomas Hudetz bei seiner Arbeit. Dreimal stellt er das Signal korrekt, nämlich nach dem Läuten des Läutwerks (vgl. Bartsch 2000, S. 142). Dann wird er jedoch von der Wirtstochter Anna in ein Gespräch verwickelt, in dessen Verlauf sie ihn mehrfach provoziert, zunächst durch Anschuldigungen gegenüber seiner Frau und schließlich dadurch, dass sie ihn küsst. Beim Passieren des Schnellzugs 405 ist das Läutwerk zunächst nicht zu hören, der Stationsvorstand

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stellt das Signal deshalb erst, nachdem der Zug schon passiert ist (vgl. Horváth 2009a, S. 141f.). Erst danach ertönt das Läutwerk. Dadurch kommt es zu dem Zusammenstoß des Schnellzugs mit einem Güterzug. Des Stationsvorstands Schuld an dem Zugunglück bleibt aufgrund des nicht ertönten Läutwerks bis zuletzt fraglich (vgl. Bartsch 2000, S. 142f. und Horváth 2009a, S. 141f.). Das 2. Bild spielt auf dem Bahndamm, wo sich das Zugunglück ereignet hat. Ein Kommissar, ein Staatsanwalt und ein Kriminaler untersuchen den Fall und verhören die Zeugen bzw. die an dem Unglück Beteiligten (vgl. Konzeption 3). Dabei sagt Anna zugunsten des Stationsvorstands aus („Ich hab es gehört, wie das Läutwerk geläutet hat, dann hat der Herr Vorstand das Signal gerichtet, und dann erst ist der Eilzug vorbeigefahren --“ TS5/SB Georg Marton, S. 22f.), Frau Hudetz jedoch zu seinen Ungunsten („Sie hat ihm einen Kuss gegeben, nur um mich zu ärgern, aber es gibt einen Gott der Rache und drum hat er das Signal versäumt --“ TS5/SB Georg Marton, S. 25), wobei sie ihn nicht nur der Schuld an dem Zugunglück bezichtigt, sondern auch eines Mangels an Männlichkeit („Du bist doch kein Mann!“, TS5/SB Georg Marton, S. 26). Bei der folgenden Gerichtsverhandlung legt Anna einen Meineid ab und sagt neuerlich zugunsten von Hudetz aus. Frau Hudetz bekräftigt ihre Sicht der Dinge und sagt gegen ihren Mann aus; ihrer Aussage wird jedoch kein Glauben geschenkt. Hudetz wird „freigesprochen“ (TS5/SB Georg Marton, S. 29) – ein Handlungselement, das bereits in Konzeption 1 entwickelt wurde, die noch unter dem Titel Freigesprochen stand (vgl. K1/E3 und E5). Zwischen dem 2. und dem 3. Bild liegen vier Monate, wie aus einer Anmerkung Horváths zu Beginn des Stückes hervorgeht (TS5/SB Georg Marton, S. IV). Im 3. Bild wird der Stationsvorstand mit einem großen Fest im Dorf willkommen geheißen. Das ganze Dorf steht hinter dem „pflichtgetreue[n] Beamte[n]“ (TS5/SB Georg Marton, S. 19), der Hudetz immer gewesen ist. Der Wirt erklärt einem Gast das Geschehene mit folgenden Worten: „[…] damals ist unser Stationsvorstand in einen falschen Verdacht gekommen und man tat ihm bitter Unrecht -- vier Monate ist er in Untersuchungshaft gesessen, aber gestern nachmittag habens ihn glänzend rehabilitiert -freigesprochen ist er worden!“ (TS5/SB Georg Marton, S. 29) Einzig Anna kann sich nicht freuen. Sie bittet den Vorstand um ein Gespräch unter vier Augen. Als Treffpunkt wird „Unter dem Viadukt“ vereinbart. Im 4. Bild trifft Hudetz beim Viadukt zunächst auf den Gendarmen, der sich darüber wundert, dass der Stationsvorstand nachts beim Viadukt herumspaziert. Dann taucht Anna auf, die dort mit Hudetz verabredet ist. Sie droht ihm damit, die Wahrheit publik zu machen, und klagt darüber, dass sie es nicht mehr aushalte, ja dass sie „nicht mehr leben [möcht]“ (TS5/SB Georg Marton, S. 42). Sie fragt Hudetz nach seiner „innere[n] Stimme“ (ebd.) und spricht davon, dass ihre innere Stimme ihr keine Ruhe lasse: „ich darf nicht allein sein, Herr Vorstand, dann kommen die Toten, sie sind bös auf mich und wollen mich holen“ (TS5/SB Georg Marton, S. 43). Hudetz will davon nichts hören und besteht darauf, dass er immer „ein pflichtgetreuer Beamter“ (ebd.) war und „unschuldig“ (ebd.) ist. Anna lässt ihm jedoch keine Ruhe und meint: „Machen Sie sichs nur nicht gar zu bequem!“ (ebd.) Am Schluss des Bildes bekennt Anna jedoch, dass sie sich Hudetz sehr verbunden fühlt: „Herr Vorstand, mein Leben ist plötzlich anders geworden -- ich hab mir nichts dabei gedacht, aber jetzt ist alles anders und wenn die Nacht kommt, dann hab ich die Sterne vergessen. Unser Haus, Herr Vorstand, ist kleiner geworden. Und der Ferdinand, den seh ich jetzt auch mit

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Konzeption 4

ganz anderen Augen -- alle sind mir so fremd geworden, mein Vater, die Leni und alle, alle -- nur Sie nicht, Herr Vorstand. Wie Sie gestern gekommen sind, da hab ichs schon gewusst, wie Sie aussehen, Ihre Nase, Ihre Augen, Ihr Kinn, Ihre Ohren -- als hätt ich mich an Sie erinnert, dabei haben wir uns doch nie beachtet -- aber jetzt kenn ich Sie genau. Gehts Ihnen auch so mit mir?“ (TS5/SB Georg Marton, S. 45) Hudetz bejaht diese Frage. Diese heimliche ‚Verlobung’ (vgl. TS5/SB Georg Marton, S. 51 und 59) von Hudetz und Anna, die in der Tötung Annas kulminiert, wurde von Horváth wahrscheinlich bereits in frühen Entwürfen unter dem Titel „Brautnacht“ vorgesehen (vgl. K1/E5). Im 5. Bild, das wieder im „Gasthaus zum wilden Mann“ spielt, nimmt die Handlung neuerlich eine Wendung. Das Verschwinden Annas lässt Vermutungen darüber aufkommen, dass sie einen Meineid abgelegt hat und dass der Stationsvorstand das Signal doch nicht rechtzeitig gestellt hat. Hudetz besteht jedoch neuerlich darauf, dass er das Signal rechtzeitig gestellt hat und dass er „immer ein pflichtgetreuer Beamter“ (TS5/SB Georg Marton, S. 49) war. Das Bild endet damit, dass Anna tot aufgefunden wird und eindeutig festgestellt werden kann, dass sie ermordet wurde. Der Gendarm, der Hudetz beim Viadukt angetroffen hatte, befragt ihn, ob er beim Viadukt nichts Verdächtiges bemerkt habe. Als Hudetz verneint, antwortet er ihm mit dem sehr suggestiven „Gottes Mühlen mahlen langsam --“ (TS5/SB Georg Marton, S. 50), das schon Oskar in Geschichten aus dem Wiener Wald im Mund führt (vgl. KW 4, S. 165). Auf Lenis Frage, was Hudetz beim Viadukt gemacht habe, antwortet dieser: „Ich hab mich mit dem Fräulein Anna verlobt“ (TS5/SB Georg Marton, S. 51). Bild 6 zeigt zunächst die verleumderische Frau Leimgruber, die sich ihre eigene, teils sehr groteske Version der Geschichte zurechtgelegt hat und diese Alfons präsentiert. Der reagiert entsetzt und hält ihren Unterstellungen die Unschuldsvermutung entgegen: „solang es nicht sonnenklar bewiesen ist, dass er der Mörder ist, solang er es nicht selber gesteht, freiwillig gesteht, solang glaub ich überhaupt an keine Schuld!“ (TS5/SB Georg Marton, S. 54) Die folgende Szene spielt bei Alfons und Frau Hudetz, die jetzt bei ihrem Bruder in der Drogerie lebt. In einem Gespräch weist Alfons seine Schwester darauf hin, dass auch sie nicht unschuldig ist in der ganzen Sache: „Ich erinnere mich, wie Du mir gesagt hast, der Thomas will nichts mehr von mir, aber dann soll er auch keine andere anschauen, keine! Dazu hast Du kein Recht gehabt, das war ein Verbrechen!“ (TS5/SB Georg Marton, S. 56) Als sich Frau Hudetz gegen diese Anschuldigungen wehrt, besteht Alfons darauf, dass „alles [zusammenhängt]“ (TS5/SB Georg Marton, S. 57) und insinuiert neuerlich eine Form der Mitschuld von Frau Hudetz an dem geschehenen Unglück. Das Gespräch der beiden wird von dem auf der Flucht befindlichen Hudetz unterbrochen, der zu ihnen kommt und um einen anderen Anzug bittet, denn in der Uniform könne er nicht fliehen (vgl. TS1/BS 10 d [5], Bl. 2). Als er das Sterbebildchen Annas mit der Aufschrift: „Halte still, Du Wandersmann / Und sieh Dir meine Wunden an / Die Stunden gehn / Die Wunden stehn / Nimm Dich in Acht und hüte Dich / Was ich am jüngsten Tag für Dich / Für ein Urteil sprich“ (TS5/SB Georg Marton, S. 60f.) sieht, findet eine erste innere Umkehr in ihm statt. Er will den Anzug nicht mehr und geht. Das 7. Bild spielt in TS5 wie in K1/E5 und K3/TS1/A1 auf dem „Bahndamm“ und zeigt die drei Figuren Wirt, Ferdinand und Gendarm, die bewaffnet und auf der Suche nach Hudetz sind. Zu diesen Figuren tritt, wie bereits in TS2/A1 und TS2/A2 sowie in der Korrekturschicht 2 von K3/TS1/A7 Alfons, der über das Auftauchen von Hudetz und über seinen Gang zum Viadukt berichtet. Alle machen sich auf den Weg zum Via-

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Chronologisches Verzeichnis

dukt, wo sie hoffen, Hudetz zu finden. Indessen tauchen der „selig[e]“ (TS5/SB Georg Marton, S. 64) Lokomotivführer Pokorny und ein Streckengeher auf und reden Hudetz ins Gewissen. Der reagiert auf die Aussagen der beiden mit den Worten: „Was Du sagst, das sind auch meine Gedanken -- aber ich geh noch etwas weiter darüber hinaus.“ (TS5/SB Georg Marton, S. 67) Die aus dem Nichts auftauchenden Toten Pokorny, Streckengeher und Anna lassen sich so als Imaginationen Hudetz’ verstehen. Wie schon in einigen früheren Textstufen wird auch in diesem Gespräch wieder die Frage des Selbstmords durch einen Sprung vom Viadukt (vgl. K2/TS1/A1/BS 10 d [2], Bl. 2, K2/TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 6, K2/TS1/A3/BS 10 c [1], Bl. 1, K2/TS1/A8/BS 10 c [1], Bl. 4 und K2/TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 5) oder vor den Zug (vgl. K3/TS1/A2/BS 10 b, Bl. 7, K3/TS1/A3/BS 10 d [4], Bl. 4 und K3/TS1/A7/BS 10 d [3], Bl. 8) thematisiert. Auch Hudetz’ Frage nach dem Leben „drüben“ (TS5/SB Georg Marton, S. 68), die schon in früheren Textstufen (vgl. K3/TS1/A1/BS 10 b, Bl. 3 und K3/TS1/A2/BS 10 b, Bl. 7) vorgebildet war, kehrt hier wieder, sowie die Warnungen Annas: „Bleib, bleib leben, Du!“ und „Bleib leben, Du! Bleib leben!“ (TS5/SB Georg Marton, S. 69; vgl. K2/TS1/A5/BS 10 c [1], Bl. 3, K2/TS1/A9/BS 10 c [1], Bl. 5, K2/TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 5 und K3/TS1/A2/BS 10 b, Bl. 7), die schließlich den Ausschlag geben. Hudetz lässt daraufhin den Schnellzug 405 passieren und stellt sich der Dorfjustiz. Hier findet sich eine Wiederaufnahme der Stelle „Jetzt kommt dann der Kopf dran, der Kopf --“ (TS5/SB Georg Marton, S. 70), die in früheren Textstufen (K2/TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 7) Ferdinand zugeschrieben wurde, in TS5 allerdings vom Wirt geäußert wird. Das Bild endet mit Hudetz’ Aussage: „Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt -- oder freispricht --“ (ebd.) und den „Posaunen“ (ebd.), die schon in früheren Textstufen vorgebildet sind (vgl. K2/TS1/A1/BS 10 d [2], Bl. 5, K2/TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 7 und K2/TS1/A12/BS 10 c [2], Bl. 6 und BS 10 d [1], Bl. 5) und an das jüngste Gericht gemahnen.

Der jüngste Tag. Schauspiel in sieben Bildern (Endfassung, emendiert) Die emendierte Endfassung folgt dem Stammbuch des Georg Marton Verlags (Hollywood/London/Wien/Budapest [1937]), das auch die Grundlage der Endfassung K4/TS5 bildet. Die Fassung wurde nach den Rechtschreibregeln der Entstehungszeit (Duden 1929) normalisiert. Davon abweichend werden Horváths Eigenheiten der Fremdwortschreibung bzw. bewusste Verballhornungen beibehalten, z.B. Kanallie (für Canaille), psychatriert (für psychiatriert). Die Absatzgestaltung bei Bildübergängen und in den Szenenanweisungen wurde nicht dem Stammbuch nachempfunden, sondern vereinheitlicht. Strichliert-punktierte Unterstreichungen, wie sie das Stammbuch aufweist, wurden als einfache Unterstreichungen realisiert. Der in der Figurenliste fälschlicherweise angeführte „Feldarbeiter“ wurde wie schon in K4/TS5 durch „Waldarbeiter“ ersetzt. Im 1. Bild wurde in Ferdinands Replik „Gesichters“ zu „Gesichterl“ korrigiert. Der Bildtitel des 3. Bildes wurde von „Zweites Bild“ zu „Drittes Bild“ geändert. Im letzten Bild wurde in Alfons’ Replik: „Tust mir den Gefallen und laßt ihm seinen Frieden!“ „Tust“ zu „Tuts“ emendiert (vgl. K2/TS1/A1/BS 10 d [2], Bl. 5, K2/TS1/A2/BS 10 d [2], Bl. 7, K2/TS1/A12/BS 10 d [1], Bl. 5 und K4/TS5/SB Georg Marton, S. 39). Alle weiteren Normalisierungen finden sich in den Editionsprinzipien am Ende dieses Bandes aufgelistet (vgl. S. 574).

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Simulationsgrafiken

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Simulationsgrafik zu K2/TS1/A1–A6

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Simulationsgrafik zu K2/TS1/A7–A12

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Simulationsgrafik zu K3/TS1/A1–A7

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Ödön von Horváth

Ein Dorf ohne Männer Herausgegeben von Martin Vejvar

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Vorwort

Vorwort Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern Uraufführung: 24. September 1937 im Großen Haus des Neuen Deutschen Theaters in Prag (Regie: Max Liebl). Dauer der Schreibarbeiten: vermutlich März bis Juni 1937; Erwerb der Vertriebsrechte durch den Georg Marton Verlag mit Vertrag vom 21. April 1937 (dort noch ohne Titel). Umfang des genetischen Materials: 169 Blatt an Entwürfen und Textstufen, unterteilt in drei Konzeptionen. Erstdruck: Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern. Wien: Georg Marton 1937.

Datierung und Druck Zusammen mit dem Schauspiel Der jüngste Tag markiert das Lustspiel Ein Dorf ohne Männer den Beginn der letzten Phase in Horváths dramatischem Schaffen. Auf einem Blatt, das auf die zweite Jahreshälfte 1937 datiert werden kann,1 verwirft der Autor seine seit 1932 entstandenen Dramen und stellt sein gegenwärtiges Schreiben unter ein ethisch geläutertes Programm: So habe ich mir nun die Aufgabe gestellt, frei von Verwirrung die Komödie des Menschen zu schreiben, ohne Kompromisse, ohne Gedanken ans Geschäft. Es gibt nichts Entsetzlicheres als eine schreibende Hur. Ich geh nicht mehr auf den Strich und will unter dem Titel „Komödie des Menschen“ fortan meine Stücke schreiben, eingedenk der Tatsache, dass im ganzen genommen das menschliche Leben immer ein Trauerspiel, nur im einzelnen eine Komödie ist.2

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte Horváth bis ins Jahr 1935 erfolglos versucht, in der nationalsozialistischen Berliner Filmindustrie Fuß zu fassen.3 1

2 3

Die Datierung des Blattes ist unsicher. Die Kommentierten Werkausgabe gibt zwei verschiedene Entstehungsdaten an: Im Kommentar zum Abdruck des Blattes beruft sich Traugott Krischke auf den Bruder Lajos von Horváth, der die Entstehung auf den 1. November 1936 datiert (KW 11, S. 271). Im Kommentar zum Abdruck von Ein Dorf ohne Männer indes nennt Krischke den 1. November 1937 als Entstehungsdatum. Über das Verzeichnis der auf diesem Blatt widerrufenen Stücke und Horváths Aussage daselbst, sie „sind, ausser zweien, gespielt worden“ (es handelt sich dabei um Die Unbekannte aus der Seine und Don Juan kommt aus dem Krieg; das unter dem Titel „Das jüngste Gericht“ verzeichnete Stück Der jüngste Tag hatte erst am 11. Dezember 1937 in Mährisch-Ostrau Premiere), lässt sich der Entstehungszeitraum mit Ende 1937 eingrenzen; vgl. Klaus Kastberger: Vom Eigensinn des Schreibens. Produktionsweisen moderner österreichischer Literatur. Wien: Sonderzahl 2007, S. 363f, dort Anm. 2. Vgl. K3/E1/ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 6. Vgl. Evelyne Polt-Heinzl/Christine Schmidjell: Geborgte Leben. Ödön von Horváth und der Film.

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Vorwort

Durch das seit 1933 de facto herrschende Aufführungsverbot seiner Stücke im Deutschen Reich fand der Autor für seine Bühnenarbeiten schließlich einen nur noch sehr kleinen Absatzmarkt auf Theatern in Österreich, der Schweiz und den deutschsprachigen Bühnen der Tschechoslowakei vor. Die Folge war unter anderem eine Auftragsarbeit, Mit dem Kopf durch die Wand (1935), die Horváth auf dem oben zitierten Blatt als seinen „Sündenfall“ bezeichnet. Er „wollte ein Geschäft machen, sonst nichts. Es wurde gespielt und fiel durch. Eine gerechte Strafe.“4 Die Stücke der als Dramenzyklus konzipierten Komödie des Menschen, angelehnt an das dramatische Gedicht Tragödie des Menschen (Az ember tragédiája, 1861) des ungarischen Autors Imre Mádách (1823–1864),5 sollten ihm nun zu einem Neubeginn als Dramenautor verhelfen. Das Lustspiel Ein Dorf ohne Männer, die Komödie Pompeji und, dies jedoch unter wechselnden Vorzeichen, das Schauspiel Der jüngste Tag bilden den überlieferten Korpus seines Programms. Im Lauf des Jahres 1937 sieht sich Horváth allerdings einer Möglichkeit gegenüber, seine wiedererlangte moralische Haltung auch mit einem „Geschäft“ zu verbinden. Mit dem wohl teilweise parallel zu Ein Dorf ohne Männer und Pompeji entstehenden Roman Jugend ohne Gott, der im Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange erscheinen wird, eröffnet sich Horváth, sieben Jahre nach dem Erscheinen seines ersten Romans Der ewige Spießer, ein neues und erfolgreiches Betätigungsfeld im literarischen Umfeld des Exils. Über die genaueren Umstände der Entstehung der Komödie Ein Dorf ohne Männer ist nur wenig bekannt. Überliefert ist ein Schreiben des Georg Marton Verlags an Horváth vom 21. April 1937, das eine Vereinbarung über die Dramatisierung des Romans Szelistye, das Dorf ohne Männer von Kálmán Mikszáth zum Gegenstand hat. Für eine Zahlung von 300 Schilling sichert sich Marton darin die Rechte an Horváths Dramatisierung und verspricht bei der Annahme des Stückes weitere 700, sowie nochmals 1500 Schilling bei Annahme durch eine Wiener Bühne. Fünf Tage darauf, am 26. April 1937, antwortet Marton auf ein nicht erhalten gebliebenes Schreiben Horváths. Darin bestätigt er dem Autor, auf seinen Wunsch hin eine Klausel aus dem Vertrag genommen zu haben, durch die die anfallenden Druckkosten auf das Autorenhonorar angerechnet worden wären.6 Bereits im Mai 1937 erscheint in der Wiener Zeitung Das Echo eine kurze Ankündigung des Stückes sowie die Meldung, der Direktor des Theaters in der Josefstadt, Ernst Lothar, habe es zur Uraufführung angenommen: Oedön Horvath [sic] hat vor wenigen Tagen ein neues Stück vollendet, ein Lustspiel, das bereits für die nächste Saison zur Uraufführung im Theater in der Josefstadt angenommen wurde. Es führt den Titel „Ein Dorf ohne Männer“ und verwendet vereinzelt Motive aus einem Roman von Koloman Mikszath [sic]. Die Handlung spielt während der Türkenkriege.

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6

In: Klaus Kastberger (Hg.): Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit – dumme Unendlichkeit (= Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs, Bd. 8). Wien: Zsolnay 2001, S. 193–261. K3/E1/ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 6. Eva Kun weist darauf hin, dass Horváth das Stück entweder noch aus seiner ungarischen Schulzeit gekannt haben könnte, oder durch die erfolgreiche Aufführung am Wiener Burgtheater 1934 darauf aufmerksam wurde. Vgl. Eva Kun: „Die Komödie des Menschen“ oder Horváth und Ungarn. In: Traugott Krischke (Hg.): Horváths Stücke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988, S. 9–36, hier S. 29, Anm. 58. Der Vertrag mit Marton sowie das Schreiben Martons an Horváth vom 26. April 1937 befinden sich im Besitz des Thomas Sessler Verlags.

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Vorwort

Es ist das erste historische Lustspiel, das Horvath geschrieben hat. Gleich nach der Vollendung wurde es Direktor Dr. Lothar nach Karlsbad, wo er sich gegenwärtig aufhält, gesendet, der telegraphisch die Annahme mitteilte. Die Besetzung steht naturgemäß noch nicht fest, doch enthält das Stück Rollen für Rose Stradner, Attila Hörbiger und Hans Moser.7

Eine vergleichbare Ankündigung findet sich kurze Zeit später, am 4. Juli 1937, neben einer ausführlichen Vorschau auf das Stück, auch im Pester Lloyd. Über eine Annahme des Stückes am Theater in der Josefstadt für die Saison 1937/38 ist nichts bekannt. Der kurze Bericht über das Stück in Das Echo liefert jedoch erste Hinweise auf eine Abgrenzung der Textgenese ante quem, da die Formulierungen starke Ähnlichkeit mit denjenigen im Vorwort zu Ein Dorf ohne Männer aufweisen. Dort schreibt Horváth: Dieses Stück ist keine Dramatisierung des Romans „Die Frauen von Selischtje“ von Koloman Mikszáth, dem grossen ungarischen Romancier, sondern es stellt nur den Versuch dar, auf Grund einzelner Motive jenes Romans ein Lustspiel zu schreiben. Die Personen im Stück haben mit jenen im Roman nichts zu tun.8

Auch der dezidierte Hinweis auf die „Türkenkriege“ als Hintergrund der Handlung findet sich in den Vorbemerkungen zum Stück. Vor dem Hintergrund dieser Ankündigung ist von einem sehr kurzen Entstehungszeitraum zwischen März/April bis spätestens Juni 1937 auszugehen. Gestützt wird diese Annahme durch ein Schreiben Martons an Horváth vom 14. Juli 1937, in dem er ihn über einen „Vorschuss auf Ihr nächstes Stück“ von 300 Schilling informiert.9 Dabei kann es sich nur um die „Komödie eines Erdbebens“ Pompeji bzw. das dem Stück zugrunde liegende Singspiel Ein Sklavenball handeln. Ihren Abschluss dürfte diese letzte vollendete dramatische Arbeit Horváths Ende Juli 1937 gefunden haben: Am 24. Juli 1937 übersendet Horváth – allerdings ohne einen genauen Titel zu nennen – sein neues Stück an Alma Mahler-Werfel; parallel dazu hat Horváth auch an Jugend ohne Gott gearbeitet.10 Zuerst gedruckt findet sich das Lustspiel Ein Dorf ohne Männer 1937 in Form eines unverkäuflichen Bühnenmanuskripts des Georg Marton Verlags, Wien. Die dort festgehaltene Fassung wurde zur Grundlage sowohl der Uraufführung 1937 als auch des Abdrucks in den Gesammelten Werken 1970/71. Der spätere Abdruck des Stückes in der Kommentierten Werkausgabe 1985/88 folgt der nur als montiertes Typoskript vorliegenden Fassung (K2/TS14) und gibt die im Erstdruck abweichenden Passagen (Teile des fünften und sechsten sowie des gesamten siebten Bildes) als Varianten wieder.

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10

Anonym: Neues Horváth-Stück in der Josefstadt. In: Das Echo, 22. 5. 1937. K2/TS14/ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 4 und K3/TS1/SB Marton, S. 6. Brief von Georg Marton an Ödön von Horváth vom 14. Juli 1937; Original im Besitz des Thomas Sessler Verlags. Brief von Ödön von Horváth an Alma Mahler-Werfel vom 24. Juli 1937; Original in den Rare Book and Manuscript Collections, Van Pelt Library, University of Pennsylvania, Philadelphia, Mahler Werfel Papers Ms. Coll. 575. Zur Datierung der Schreibarbeiten an Jugend ohne Gott vgl. das Nachwort in Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott. Hg. von Klaus Kastberger und Evelyne Polt-Heinzl. Stuttgart: Reclam 2009. S. 178f.

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Vorwort

Das genetische Material und seine Chronologie Das genetische Material zu Ein Dorf ohne Männer umfasst 169 Blatt, davon entfallen 42 Blatt auf handschriftliche Ausarbeitungen, der Rest auf Typoskripte, die zum Teil stark beschnitten und geklebt wurden. Ein Großteil der Manuskripte wurde auf in Hälften gerissenen Bögen, die vermutlich einem Heft entstammen, gefertigt. Nur in einigen wenigen Fällen hat Horváth Schreibmaschinenpapier bzw. ebenfalls halbierte Bögen karierten Papiers verwendet. Die Typoskripte wurden auf zwei leicht unterschiedlichen Sorten Schreibmaschinenpapier gefertigt, die einige Hypothesen zur Textentstehung erlauben. Trotz des kurzen Entstehungszeitraums des Stückes lassen sich drei unterschiedliche Konzeptionen ausmachen: Konzeption 1: Das Dorf ohne Männer – Rostó/Brünette Konzeption 2: Ein Dorf ohne Männer – Bader/Rote Konzeption 3: Ein Dorf ohne Männer – Lustspiel in sieben Bildern Die ersten beiden Konzeptionen unterscheiden sich vor allem im Verhältnis Horváths zu seiner Vorlage, am besten sichtbar an der Übernahme bzw. Modifikation der beiden Nebenfiguren der Brünetten bzw. Roten und des Rostó bzw. Baders. Konzeption 3 umfasst allein die Endfassung, die vor allem in den letzten Bildern stark von der in Konzeption 2 erarbeiteten Fassung abweicht und eine völlig andere Auflösung des Stückes bietet. Die Entwicklung des Stückes findet dabei vor allem in Details der Figuren und ihres Verhältnisses untereinander statt, da grundlegende Handlungsverläufe, bedingt durch die Vorlage, von Anfang an feststehen. Ebenfalls dieser Konzeption zugeordnet wird ein Blatt aus dem Umfeld des späten Werkprojekts der Komödie des Menschen, auf dem Horváth das Stück Ein Dorf ohne Männer in den geplanten Dramenzyklus einordnet. Insgesamt erweist sich die Rekonstruktion der textgenetischen Abläufe als schwierig: Strenge, am Schreibmaterial gewonnene Abgrenzungen von Produktionseinheiten sind nur in den späten Entwürfen von Konzeption 2 ersichtlich, außerdem ist von größeren Überlieferungsverlusten auszugehen. Die vorgeschlagene Chronologie orientiert sich deshalb vor allem an inhaltlichen Gesichtspunkten vor dem Hintergrund der Modifikationen an der Romanvorlage Szelistye, das Dorf ohne Männer (A szelistyei asszonyok) Kálmán Mikszáths und dem relativen Zusammenhang von Detailüberarbeitungen.

Konzeption 1: Das Dorf ohne Männer – Rostó/Brünette Die Arbeiten von Konzeption 1 sind in vielerlei Hinsicht noch stark von der Romanvorlage des ungarischen Romanciers Kálmán Mikszáth (1847–1910) geprägt, die Horváth in einer Übersetzung von Camilla Goldner11 vorgelegen hat. Der 1901 erschienene moralisch-humoristische Roman A szelistyei asszonyok gehört zu Mikszáths

11

Koloman Mikszáth: Szelistye, das Dorf ohne Männer. Autorisierte Übersetzung aus dem Ungarischen von Camilla Goldner. Leipzig: Reclam 1903.

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Vorwort

populärsten Werken und wurde mehrmals für Bühne und Rundfunk adaptiert.12 Die Handlung spielt im späten 15. Jahrhundert und nimmt ihren Ausgang im Siebenbürgischen Fogaras, wo eine Deputation von Bäuerinnen aus Szelistye beim Statthalter des Königs, Mihály Szilágyi, Ersatz für ihre im Krieg gefallenen Männer verlangt. Unterstützt vom Grafen Dóczy, dem das Dorf gehört, verspricht der Statthalter, das Ansinnen zu verfolgen. Nach mehreren Jahren, Statthalter Szilágyi wurde zwischenzeitlich eingesperrt, wird König Matthias Corvinus auf den Fall aufmerksam und verlangt von Graf Dóczy, er solle ihm einige Frauen als „Muster” schicken, da die Frauen von Szelistye angeblich hässlich seien. Der Graf schickt schließlich, begleitet von seinem Präfekten Rostó, drei Frauen, die allerdings nicht aus Szelistye stammen: die blonde Sächsin Marie Schramm, die schwarzhaarige Walachin Vuca und die brünette Szeklerin Anna Gergely. Nach ihrer Ankunft in Buda müssen sie jedoch feststellen, dass sich der König auf sein Lustschloss Várpalota begeben hat. Während ihres Aufenthalts bis zur Weiterreise quartieren sich die drei Frauen und Rostó im schlecht gehenden Gasthof „Eichhörnchen“ ein, worauf sämtliche Kundschaft der Konkurrenz aufgrund der Schönheit der Frauen in das Gasthaus kommt. Der Wirt Korják verliebt sich in Vuca und begleitet die Gruppe als Kutscher verkleidet auf das Lustschloss. Matthias Corvinus hat inzwischen von der Ankunft der Frauen erfahren und beschließt, sich mit seinem Hofstaat daraus einen Spaß zu machen: Er und seine Höflinge verkleiden sich als Diener, während die Diener die Adeligen mimen sollen; die Rolle des Königs fällt dabei dem Hofnarren Mujkó zu. Während der verkehrte Hofstaat mit den Frauen eine Tafel abhält, versucht der verkleidete und höchst eifersüchtige Korják, einen Diener zu bestechen, um näher an Vuca zu gelangen. Bei diesem Diener handelt es sich ausgerechnet um Matthias Corvinus, der in weiterer Folge den Schwindel des Grafen erfährt. Schließlich werden die Frauen beschenkt und aufgefordert, sich einen Partner zu wählen. Marie Schramm wählt den vermeintlichen König Mujkó, Anna Gergely den vermeintlichen Diener Matthias Corvinus und Vuca ihren Bräutigam Korják. Ein zufällig einlangender Trupp böhmischer Kriegsgefangener wird dazu ausersehen, im Dorf Szelistye angesiedelt zu werden. An den Grafen Dóczy schließlich schreibt der König, er werde sich bald selbst nochmals von der Schönheit der Frauen überzeugen und nach Szelistye kommen; ansonsten verliere der Graf seinen Kopf. So unter Zugzwang gesetzt, beginnt Dóczy nun zusammen mit seinem Präfekten Rostó, alle schönen Frauen Siebenbürgens im Dorf anzusiedeln, was schließlich sogar die Aufmerksamkeit des türkischen Sultans erweckt. Matthias Corvinus indes kommt nie in das Dorf. In Horváths ersten Bearbeitungsansätzen zeigen vor allem E4–E6 einen Handlungsbogen, der wichtige Motive der Fabel Mikszáths beibehält, so etwa die Szenen der „Tafel“ und der „Gattenwahl“. Maßgeblich für die Abgrenzung dieser Konzeption ist vor allem Horváths Übernahme einiger Figurennamen bzw. deren Eigenschaften. In den ersten Entwürfen werden die Frauenfiguren noch mit den von Mikszáth gewählten Namen aufgeführt (Anna, Vuca). Ihre Benennung wird erst im weiteren Verlauf der Konzeption auf die jeweilige, auch bei Mikszáth erwähnte Haarfarbe reduziert: eine Blonde, eine Brünette, eine Schwarze. Übernommen wird auch der Figurenname Rostós, wenngleich bereits die ersten Textstufen, die ihn als Akteur zeigen (TS2, TS3), auf die Umwandlung der Figur von einem ältlichen, etwas ungeschickten, aber prin12

Kun 1988 (Anm. 5), S. 30; Árpád Berczik: Ödön von Horváth und Kálmán Mikszáth. In: Német filólógiai tanulmányok / Arbeiten zur deutschen Philologie VII (1973), S. 61–82, hier S. 62f.

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Vorwort

zipiell aufrechten Präfekten zu einer zwielichtigen Gestalt hindeuten. Die spätere Transformation der Figur Rostós zur Figur des Baders sowie die der Brünetten in die der Braunen bzw. Roten, die als „Badhure“ für ihn arbeitet, zeigt die zunehmende Eigenständigkeit von Horváths Stück gegenüber seiner Vorlage und markiert den Beginn einer neuen Konzeption. Horváth schwankt in Konzeption 1 noch zwischen einer Anlage in sechs (E4, E6, 10 E –E12) und einer in sieben Bildern (E1, E7–E9). Von Beginn an stehen die Eckpunkte der Handlung fest: Auf ein Bild im Audienzsaal der Burg, das die Korruption der Machthaber sowie deren Tadelung durch Matthias und den Auftritt der Frauendelegation aus Selischtje – Horváths Schreibung – vorsieht, folgt ein Bild in Siebenbürgen. Zu diesem Bild, in dieser Konzeption noch auf der Burg des Grafen situiert, liegen drei Textstufen mit unterschiedlichem Ausreifungsgrad vor. Darin spricht die später verworfene Figur der Amme den Grafen auf seine Geschäfte mit Rostó an. In der die Handlung am weitesten entwickelnden Textstufe TS3 treten schließlich das „Muster“ der drei Frauen sowie der eifersüchtige Wirt auf, der mit der Schwarzen verlobt ist. Die Ausarbeitungen zum zweiten Bild zeigen bereits einige der wichtigsten Modifikationen an der Romanvorlage: die Aufwertung der Figur des Grafen, der schließlich als Einziger in allen sieben Bildern der montierten Fassung K2/TS14 sowie der Endfassung K3/TS1 auftreten wird, die Liaison des Grafen mit der Blonden und die Andeutungen auf einen nicht näher bestimmten Fluch, der auf ihr lastet. Die Blonde ist zu diesem Zeitpunkt der Textgenese noch nicht die verleugnete Ehefrau des Grafen, sondern die Witwe eines Henkers. Auf das Bild in Siebenbürgen folgt neuerlich ein Bild im Audienzsaal, in dem der König wie in der Endfassung K3/TS1 verkleidet auftritt (vgl. aber die andere Anlage der Szene in K2/TS14) und „bestellte Bittsteller“ (E6) entlarvt. Die Entwürfe in sechs bzw. sieben Bildern unterscheiden sich vor allem in den folgenden Details: Während in E6 ein Bild „Im Jagdschloss“ und eines „Beim König“ vorgesehen sind, erweitert Horváth diese Struktur in E7 um ein Bild „In der Nacht“. In E9 wird diese Entwicklung durch die mit „Nacht“ und zweimal mit „Jagdschloss“ titulierten Bilder fixiert; in den auf demselben Blatt befindlichen E10 und E11 allerdings führt der Autor das Bild „Nacht“ mit einem der „Jagdschloss“-Bilder zusammen, woraus sich wiederum eine Struktur in sechs Bildern ergibt. Die Entwürfe von Konzeption 2 schließlich werden, bedingt durch die Einführung eines Bildes „Im Wirtshaus“, wieder auf sieben Bilder ausgeweitet. Von E1 an fix bleibt der Endpunkt des Stückes mit einem im Dorf Selischtje angesiedelten Bild. Die regelmäßige Nennung der Figur des Königs in den Konfigurationsplänen zu diesem Bild stellt eine der zentralen Änderungen Horváths an der Vorlage dar: Mikszáth hat einen Teil der abschließenden Handlung des Romans in Selischtje angesiedelt, seine Pointe besteht allerdings darin, dass der König seinen Kontrollbesuch dort zwar ankündigt, jedoch letztlich nie erscheint. Gesondert hervorzuheben ist die auffällige Gestaltung des als E1 gewerteten Entwurfs. Anders als die übrigen, zum Großteil eher vorlagetreuen Entwürfe von Konzeption 1, beinhaltet dieser erste erhaltene Strukturplan signifikante Abweichungen zur Vorlage. Unter dem Titel „Das Dorf ohne Männer“ und der Gattungsbezeichnung „Lustspiel in drei Akten“ wird eine siebenteilige Struktur entworfen, die in einer Vielzahl von Bildern die folgenden Entwürfe vorwegnimmt. Die beiden Bilder „Im Felde“ und „Bei der Hexe“ sind eigenständige Zugaben Horváths, die jedoch keine weiteren Entsprechungen in den übrigen Arbeiten zum Stück finden, sieht man von der Thematik der Hexerei ab, die auch in der montierten Fassung K2/TS14 bzw. der Endfassung

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Vorwort

K3/TS1 angesprochen wird. Bemerkenswert daran ist die Einführung völlig neuer Handlungsorte; in den übrigen Entwürfen beschränkt sich Horváth ausschließlich auf Szenen, die sich auch in der Vorlage finden. Trotz dieser für Konzeption 1 untypischen Anlage des Stückes handelt es sich bei diesem Entwurf mit hoher Wahrscheinlichkeit um den ersten. Darauf deutet einerseits die Anlage der ebenfalls auf diesem Blatt (BS 22 [1], Bl. 7) befindlichen Entwürfe hin, deren Überarbeitungen der Benennung des ersten Bildes von E4 an ohne weitere Änderungen bis in die letzten Entwürfe und Fassungen übernommen wurden. Andererseits lassen sich innerhalb von Konzeption 1 genetische Bezüge über die Schreibung der Ortschaft „Szelistye“ herstellen. Während Horváth in E1–E6 den auch in der Mikszáth-Übersetzung von Goldner benutzten ungarischen Namen des Dorfes verwendet (Szelistye), schreibt er im weiteren Verlauf zunächst „Selistje“ (TS1–TS3, E7), um schließlich durchgängig die eingedeutschte Variante „Selischtje“ zu gebrauchen (ab E9 und in den Folgekonzeptionen).

Konzeption 2: Ein Dorf ohne Männer – Bader/Rote Mit den ersten Entwürfen von Konzeption 2 setzt sich Horváth zunehmend stärker von seiner Vorlage ab. Unter dem Titel „Ohne Männer“ findet sich ein Strukturplan (E1) über das vierte bis siebente Bild des Stückes, das erstmals die Figuren „Bader“ und „Badhure“ – die spätere Rote – nennt. Aber nicht nur über diese beiden Figuren kommt so das Thema Prostitution in das Stück. Vorgesehen ist ein komödienhafter Partnerwechsel, in dem die „Badhure“ sich für den Wirt entscheidet und dessen ehemalige Braut, die Schwarze, mit dem Grafen zusammenkommt. Unter dem Einfluss der „Badhure“ eröffnet der Wirt schließlich ein Bordell, was ihm der Graf gleichtun will, um sich ökonomisch zu sanieren. Die explizite Erwähnung von Prostitution und die tragenden Rollen, die dem Bader und der späteren Roten im dramatischen Geschehen zugeordnet werden, zeigen an, dass Horváth spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr daran denkt, die oftmals angesprochene ethische Grundhaltung von Mikszáths Roman in seine Dramatisierung mit aufzunehmen. Mit der Figur des Baders wird die bereits ambivalent angelegte Figur des Präfekten Rostó vollends ins moralisch Zweifelhafte transformiert. Während in der Romanvorlage der Graf Dóczy selbst den Auftrag erteilt, nach schönen Frauen suchen zu lassen, die er als fingiertes „Muster“ an den Königshof schicken könnte, ist es in Horváths Stück der Bader, der dem Grafen die Idee zum Betrug eingibt. Als Besitzer einer „Badeanstalt“ schlägt er zunächst ausschließlich seine Bediensteten vor, was ihm der Graf jedoch verbietet. Das schlussendlich zusammengestellte Muster gerät dem Grafen zur Katastrophe. Neben der von ihrem Bräutigam Thomas eifersüchtig beäugten Schwarzen bringt der bauernschlaue Bader die Rote, eine Badmagd, die ihm schwört, der Graf kenne sie nicht, und die verleugnete Gattin des Grafen, die Blonde, mit. Die Figur der Roten ist zu Beginn von Konzeption 2 noch nicht fixiert. In E1 notiert Horváth noch schlicht „Badhure“, später nennt er die Figur „Braune“, erst ab TS2 erhält sie ihren endgültigen Namen. Auch über ihre genaue Funktion im Stück ist sich Horváth noch unsicher; entsprechend der jeweils aktuellen Ausrichtung des Stückes tritt sie entweder als Intrigantin, als gewissermaßen ‚beziehungslose’ lustige Person oder als spätere Partnerin des Grafen auf. Zusammen mit der Einführung des Prostitutions-Themas legt Horváth die Struktur

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des Stückes in sieben Bildern fest. Während diese in Konzeption 1 noch mit einer Struktur in sechs Bildern konkurriert, bleibt die in K2/E1 festgelegte Struktur in sieben Bildern von nun an bestehen. Sie ergibt sich durch die Einführung eines neuen vierten Bildes, „Wirtshaus“, das Horváth in Form der Episoden, die Mikszáth in seinem Roman im Ofner Wirtshaus „Zum Eichhörnchen“ ansiedelt, vorgefunden haben dürfte. Die letzten drei Bilder von E1 entsprechen den letzten dreien der Struktur in sechs Bildern von K1/E11: „Jagdschloss“, „Jagdschloss. Nacht“ und ein unbetiteltes siebentes Bild, das sich aber über den Kontext als in Selischtje spielend identifizieren lässt. Das sechste Bild „Im Jagdschloss. Nacht“ wird im Verlauf der Textgenese noch verschiedene Veränderungen erfahren. „In der Nacht“ (E3) und „Im Jagdschloss. Zimmer der Blonden“ (E5) lauten die Zwischenstufen, die schließlich in das zweite Bild „Im Wirtshaus“ der montierten Fassung TS14 bzw. der Endfassung K3/TS1 münden werden. Auch beim tatsächlichen dramatischen Geschehen in diesen Bildern herrschen noch gewisse Unentschiedenheiten. So ist der Dialog zwischen der Blonden und Matthias über die Situation der Frauen in seinem Reich in E1 im sechsten Bild angesiedelt, wird in E4 ins fünfte Bild verlagert, um in E5 wieder ins sechste Bild verschoben zu werden. In E6 schließlich wird der Dialog zurück ins fünfte Bild gesetzt, wo er auch in der montierten Fassung TS14 bzw. der Endfassung K3/TS1 seinen Platz finden wird. Mit der Einführung der Figuren des Baders und der Roten sowie der Eingrenzung des Verhältnisses zwischen der Blonden und dem Grafen fixiert Horváth die konzeptionelle Grundanlage des Stückes. In den auf E1 folgenden Entwürfen und Textstufen werden keine größeren Änderungen am grundlegenden dramatischen Geschehen mehr vorgenommen. Die ersten drei Bilder werden, sieht man von einer Dialogskizze in E2 ab, in den Entwürfen nicht mehr erwähnt, unter den Textstufen zeigt allein TS10 eine schon nahe an die montierte Fassung TS14 herankommende maschinenschriftliche Fassung des zweiten Bildes in der Siebenbürgener Badeanstalt. Allerdings lässt der Vergleich mit dem gänzlich anders gestalteten Siebenbürgen-Bild von Konzeption 1 einen umfangreichen Verlust von genetischem Material vermuten. Intensive Arbeiten Horváths sind vor allem für das vierte und fünfte Bild belegt. Allen Entwürfen und Textstufen dieser Konzeption gemein sind größere Unsicherheiten in der genauen Ausgestaltung des festgelegten Handlungsbogens. In den handschriftlich überlieferten Textstufen TS4, TS7 und TS9 bricht Horváth jeweils die lineare Textausarbeitung ab und geht in unterschiedlich starkem Maße auf die Ebene des Entwurfs zurück (E4, E6, E7). TS1 endet in einer stichwortartigen Aufzählung des folgenden Geschehens. TS7 wie auch TS8 weisen darüber hinaus stark voneinander abweichende Varianten auf. Die intensiven Bemühungen um die dramatische Ausformung der Bilder dokumentieren auch die der montierten Fassung TS14 vorangehenden maschinenschriftlichen Textstufen TS10–TS13. Besonders anschaulich zeigen sich die bis in die letzten Arbeitsphasen hinein bestehenden Gestaltungsspielräume in den beiden fragmentarisch überlieferten Fassungen des (vermutlich) vierten Bildes „Im Hofgasthaus“, TS11 und TS12. Beide zeigen unterschiedlich akzentuierte Varianten des Dialogs zwischen der Blonden und dem Grafen; das Thema ist in beiden Textstufen der von der Blonden begangene Ehebruch. TS11 wurde handschriftlich stark überarbeitet, wobei einige der Änderungen in die typografische Grundschicht von TS12 übernommen werden, etwa der Ausruf des Grafen: „Gottseidank! Eine Gräfin von Hermannstadt!“ (TS11/BS 21, Bl. 7; mit minimalen Abweichungen in den Satzzeichen in TS12/BS 21, Bl. 5) Beiden Textstufen gemeinsam ist die Überleitung dieses Streits in

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die Frage, warum sie einander überhaupt geheiratet haben und die Schlussfolgerung des Grafen, die Blonde habe ihn „behext“ (TS11/BS 21, Bl. 7; TS12/BS 21, Bl. 6), was die Blonde mit dem Ausruf: „Willst mich auch noch auf den Scheiterhaufen bringen?“ (ebd.) beschließt. Abseits dieser markanten Punkte weichen die übrigen Dialogpassagen jedoch stark voneinander ab, darüber hinaus findet die Szene eine gänzlich andere Ausformung in der montierten Fassung TS14 und der Endfassung K3/TS1. Exemplarisch für die bis in die letzten Textstufen hinein bestehenden Unentschiedenheiten in der finalen dramatischen Ausgestaltung des Stückes können die Arbeiten an der Figur der Blonden einstehen. In Konzeption 1 wurden eine Liaison der Blonden mit dem Grafen sowie ein auf ihr lastender Fluch bereits angedeutet (K1/TS3). Konzeption 2 zeigt die Blonde durchgängig als (verleugnete) Ehefrau des Grafen, großen Schwankungen unterliegt jedoch die jeweilige Begründung für ihren Fluch. Zu Beginn dieser Konzeption sieht Horváth eine Mesalliance der Blonden mit dem Grafen vor. Die Blonde tritt nicht mehr als Witwe, sondern als ehemalige Badmagd bzw. Kellnerin in Erscheinung, die der Graf „aus Eigensinn und Trotz“ (E2) geheiratet habe. In diesem Kontext besonders auffällig ist eine der Blonden zugeschriebene Replik in TS1: „Nein, ich will niemehr einen Diener, ich will höher hinaus! Ich könnt die Höheren vielleicht nicht lieben, aber ich will sie ausnützen!“ (TS1/BS 22 [2], Bl. 19) Durch diese Äußerung wird die Blonde als Variante des Horváth’schen „Fräuleins“ sichtbar, ähnlich beispielsweise Karoline aus Kasimir und Karoline (1932), die durch den (scheiternden) Versuch, sich einem einflussreichen Mann zu verkaufen, auf sozialen Aufstieg hofft. In der stark überarbeiteten Textstufe TS7 findet erstmals die „verfluchte“ Verwandtschaft der Blonden Erwähnung; auffällig ist, dass die beiden in dieser Textstufe verzeichneten Varianten in dieser Hinsicht gänzlich andere Szenarien entwickeln. Während in der ersten Variante von TS7 der Graf über den familiären Hintergrund der Blonden informiert ist, hat sie es ihm in der zweiten Variante bis nach der Hochzeit verschwiegen. Die bereits als Typoskript vorliegenden Textstufen TS10 und TS11 skizzieren einen davon abweichenden Hintergrund: Die Blonde wird nach wie vor als ehemalige Kellnerin gezeigt, anstelle der „verfluchten“ Verwandtschaft tritt nun aber das Motiv des Ehebruchs. Da die Blonde sich nicht in die vom Graf verlangte Dankbarkeit für ihre heimliche Ehelichung abseits der Standesgrenzen ergeben möchte, betrügt sie den Grafen mit seinem Kutscher. Nachdem die Begründung des Fluchs in TS7 bereits sehr nahe an der der montierten Fassung bzw. der Endfassung liegt, erscheinen TS11 und TS12 zunächst als konzeptioneller Rückschritt. Wie aber eine genauere Untersuchung ergibt, hat Horváth bis in die letzten Arbeiten an der montierten Fassung TS14 hinein am Motiv des Ehebruchs als Grund für das Zerwürfnis der Blonden mit dem Grafen bzw. auch als Ursprung des Fluchs festgehalten (vgl. den Kommentar zu K2/TS11, TS12 und TS14). Einen ersten Abschluss der Textgenese findet das Stück zunächst in der ersten Gesamtfassung TS14. Neben einer vollständigen Fassung des Stückes enthält die Textstufe erstmals ein komplettes Figuren- und Schauplatzverzeichnis sowie ein kurzes Vorwort. Horváth weist hier explizit auf seine Vorlage, Kálmán Mikszáths Roman Szelistye, das Dorf ohne Männer, hin und stellt sein Stück als „Versuch dar, auf Grund einzelner Motive jenes Romans ein Lustspiel zu schreiben“. (TS14/BS 23, Bl. 4) Wie bei anderen Werken hat Horváth auch in diesem Fall seine Montagetechnik mittels Schere und Klebstoff angewandt. Insgesamt dürfte das Typoskript – darauf deuten zwei leicht unterschiedliche Papiersorten, der unterschiedliche materiale Bearbei-

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tungsgrad sowie der Verlauf der handschriftlichen Korrekturen hin – in zwei Arbeitsgängen entstanden sein, wobei im ersten eine Rohfassung der ersten vier Bilder vorgelegen hat, die, nach einer weiteren Überarbeitung, um die letzten drei Bilder ergänzt wurde (zu den Details vgl. den Kommentar zu TS14). Einige handschriftliche Korrekturen, wie die Streichung des Ehebruchs der Blonden aus dem Stück (siehe oben), weisen darauf hin, dass Horváth bis zum Schluss an zentralen Details gefeilt hat. Mit TS15 liegt schließlich das Fragment einer Reinschrift dieser Fassung vor, in der sich, etwa im siebenten Bild, noch kleinere handschriftliche Korrekturen finden. Überliefert sind in dieser Textstufe ein Teil des sechsten Bildes sowie das vollständige siebente Bild dieser Fassung. Da es sich bei den überlieferten Materialien ausschließlich um diejenigen Textteile handelt, die nicht von der montierten Fassung TS14 in die Endfassung K3/TS1 übernommen werden, hat Horváth vermutlich auch die Endfassung aus Teilen der Reinschrift und neu getipptem Material montiert. Wie zu Beginn von Konzeption 2 festgelegt, umfasst das Stück schließlich sieben Bilder. Die Bildtitel lauten nun: „Audienzsaal in der Ofner Burg“, „In einer Badeanstalt zu Hermannstadt“, „Audienzsaal in der Ofner Burg“, „Im Hofgasthaus“, „Vor dem Jagdschloss des Königs“, „Im Hofgasthaus“ und „In Selischtje“.

Konzeption 3: Ein Dorf ohne Männer – Lustspiel in sieben Bildern Die fragmentarisch überlieferte Textstufe K2/TS15 deutet darauf hin, dass Horváth für den Text der Endfassung auf eine vermutlich vollständig vorliegende Reinschrift der Fassung von K2/TS14 zurückgegriffen hat. Die mit den Blättern BS 21, Bl. 12–31 erhaltenen Textteile sind der einzige Hinweis auf die Umarbeitungen, ansonsten sind weder weiterführende Entwürfe noch hand- oder maschinenschriftliche Textausarbeitungen vorhanden. Der Text der Endfassung liegt in Form eines Stammbuchs des Georg Marton Verlags, Wien, vor, das die Grundlage für die Uraufführung in Prag am 24. September 1937 bildete. Die Fassung des Stammbuchs zeichnet sich, neben einigen kleineren stilistischen Änderungen, durch einen starken Eingriff in den Dramenschluss aus. Während sämtliche Arbeiten der vorangegangenen Konzeptionen das Schlussbild des Stückes in Selischtje situieren, entfernt Horváth in der Endfassung dieses Bild und fügt stattdessen ein weiteres Bild „Vor dem Jagdschloss des Königs“ ein. Mit dieser Veränderung des Handlungsorts geht auch eine grundlegende Änderung der Handlung selbst einher: Anstatt sich mit dem König zu liieren, findet die Blonde in dieser Fassung wieder zu ihrem Ehemann, dem Grafen von Hermannstadt, zurück. Dementsprechend werden auch die vorangehenden Bilder adaptiert, das fünfte und sechste Bild werden merklich gekürzt. Im fünften Bild trifft Matthias nun bereits früher auf die Blonde; die zuvor etwa in der Bildmitte angesetzten Lieder werden an den Schluss des Bildes verschoben. Der Auftritt der Blonden im sechsten Bild entfällt vollständig, stattdessen baut Horváth hier einen Großteil des Dialogs zwischen der Roten und dem Grafen aus dem siebenten Bild der Fassung K2/TS14 ein, eben jenen, der von den überlieferten Blättern der Reinschrift K2/TS15 abgetrennt wurde und wohl Bestandteil eines dem Stammbuch vorausgehenden, nicht überlieferten montierten Typoskripts gewesen ist. Für das neu geschriebene siebente Bild der Endfassung finden sich keinerlei Vorarbeiten, auch lässt sich kein Anschluss an andere Überlegungen im Verlauf der Textgenese

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herstellen. Allerdings verwendet Horváth in diesem Bild einige Passagen der ausgeschiedenen Textteile. Beispielsweise sind die abschließenden Repliken Matthias’ großteils identisch mit den in der Fassung von K2/TS14 gesetzten (vgl. K2/TS14/BS 23, Bl. 88, 89; K3/TS1/SB Georg Marton, S. 93f.) und die Replik der Blonden aus dem sechsten Bild von K2/TS14: „Er hat gesagt, es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rass angehört, sondern darauf, ob man Rasse hat!“ (K2/TS14/BS 23, Bl. 73) wird in der Form: „Es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rasse angehört, es kommt darauf an, ob man Rasse hat.“ (K3/TS1/SB Georg Marton, S. 93f.) kurz vor dem Ende des Stückes von Matthias geäußert. Die Übernahme der abschließenden Repliken Matthias’ in das neue siebente Bild der Endfassung hat jedoch einige inhaltliche Inkonsistenzen zur Folge. Während die Aussage Matthias’: „Der Weizen steht herrlich, seit Jahren gabs nicht mehr soviel Trauben, in der ganzen Zeit kein einziger Fall von Pest und der Sultan ist unwahrscheinlich friedlich --“ (K3/TS1/SB Georg Marton, S. 93f., mit kleinen orthografischen Abweichungen identisch mit K2/TS14/BS 23, Bl. 88) sich im Kontext der Fassung von K2/TS14 auf die vergangenen Monate bezieht (zwischen dem sechsten und siebenten Bild ist es „Herbst“ geworden, vgl. K2/TS14/BS 23, Bl. 76), spielt das Stück in der Endfassung K3/TS1 vom dritten Bild an bis zum Schluss an einem Abend. Ebenfalls in diese Konzeption zu zählen, ist die Nennung des Stückes – unter dem Uraufführungstitel Das Dorf ohne Männer – im Rahmen eines Werkverzeichnisses (K3/E1), das Horváth für sein spätes Dramenprojekt der Komödie des Menschen in der zweiten Jahreshälfte 1937 aufstellt.13 Das Werkverzeichnis findet sich am Kopf eines Blattes, auf dem Horváth versucht, seine neu gewonnene moralische Haltung als Autor zu formulieren und, angesichts der angestrebten Komödie des Menschen, seine Stücke seit 1932 als „Versuche“ widerruft (ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 6, vgl. oben).14 Das Dorf ohne Männer wird hier mit dem letzten Stück Horváths, der Komödie Pompeji zusammengestellt. Danach plant Horváth unter einem weiteren Punkt zwei Stücke mit den Titeln Die Pythagoreer und Die Diadochen, die jedoch nicht ausgeführt wurden. Zum Titel „Die Diadochen“ sind allerdings im Umfeld der Arbeiten zu Figaro läßt sich scheiden und Don Juan kommt aus dem Krieg einige Notizen überliefert. Zu Beginn des Notizbuchs Nr. 2, das auf den Zeitraum zwischen Mitte 1934 und Mitte 1935 datiert werden kann,15 notiert Horváth „Die Diadochen“ mit der Gattungsbezeichnung „Historischer Roman“ (vgl. WA 8/VA1/E1/ÖLA 3/W 369, Bl. 5). Neuerlich taucht der Titel in einem Werkverzeichnis am Ende von Notizbuch Nr. 4 auf, hier bereits im Kontext eines frühen Entwurfs zur Komödie des Menschen: Dieser sieht ein Stück mit dem Titel „Die Diadochen“ in drei Akten als zweiten von sieben Teilen vor (vgl. WA 9/K5/E39/ ÖLA 3/W 370, Bl. 99).

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Zur Datierung des Blattes siehe oben, Anm. 1. Ebenfalls unter seinem Aufführungstitel erscheint hier das Stück Glaube Liebe Hoffnung, das am 13. November 1936 als Liebe Pflicht und Hoffnung am Wiener „Theater für 49“ uraufgeführt wurde. Weitere dort eingetragene Titel wie Die Unbekannte der Seine (recte Eine Unbekannte aus der Seine) und Das jüngste Gericht (recte Der jüngste Tag) dürfte Horváth wohl versehentlich falsch geschrieben haben. (vgl. auch das Vorwort zu Der jüngste Tag, in diesem Band S. 3–13, insbesondere S. 11) Zur Datierung vgl. den Kommentar bzw. das Vorwort in WA 8.

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Uraufführung und Rezeption (Überblick) Bereits am 22. Mai 1937 meldet die Wiener Tageszeitung Das Echo eine Annahme des Stückes Ein Dorf ohne Männer für die Saison 1937/38 am Theater in der Josefstadt in Wien (vgl. oben). Am 4. Juli 1937 berichtet die deutschsprachige Budapester Tageszeitung Pester Lloyd in einem ausführlichen Artikel darüber und gibt weitere Einblicke in das Stück: Aber am Josefstädter Theater gespielt zu werden, das ist schon der halbe Erfolg … es setzt auch ein wenig voraus, daß der Autor ausgeglichener, gemäßigter geworden ist und nicht von vornherein eine Angriffsstellung gegen Gesellschaft und Menschen einnimmt. […] Der Autor hat im großen und ganzen die Fabel Mikszáths beibehalten. Er hat manches theatermäßig zugespitzt, manches anders gefügt. Es ist daraus ein sehr unterhaltendes Lustspiel geworden, in dessen besten Szenen der Charakter des großen Königs lebendig hervortritt.16

Warum die geplante Aufführung im Theater in der Josefstadt nicht zustande kam, ist nicht bekannt. Uraufgeführt wurde das Stück schließlich unter dem leicht abgewandelten Titel Das Dorf ohne Männer am 24. September 1937 am Neuen Deutschen Theater in Prag, das bereits im April desselben Jahres das Stück Figaro läßt sich scheiden inszeniert hatte. Nach der erfolgreichen Uraufführung des Figaro an der Kleinen Bühne wurde Ein Dorf ohne Männer im Großen Haus des Theaters gespielt, das mit 2000 Besucherplätzen etwa das Vierfache der Kleinen Bühne fasste. Regie führte Max Liebel, das Bühnenbild stammte von Frank Schultes, ein Teil des Schauspielerensembles – etwa Marion Wünsche und Walter Szurovy – hatte bereits an der Aufführung des Figaro mitgewirkt. Am Tag der Uraufführung brachte der Prager Mittag eine Selbstaussage Horváths über das Stück: Es ist ein historisches Lustspiel und spielt am Hofe des ungarischen Königs Mathias [sic] Corvinus während der Türkenkriege. Es schildert Anfang und Ende, Voraussetzungen und Auswirkungen einer mittelalterlichen Korruptionsaffäre … mit und ohne Kritik.17

Die Reaktionen der Prager Kritiker auf das Stück waren durchwegs positiv und hoben vor allem dessen Komik und Leichtigkeit hervor. So schreibt etwa Ludwig Winder in der Deutschen Zeitung Bohemia von der „Amüsierqualität“ des Stückes,18 Otto Pick sieht Horváth in der Prager Presse „unterwegs zum leicht beschwingten musikalischen Lustspiel.“19 Für das Prager Tagblatt weist Max Brod, nicht ganz ohne Ironie, vor allem auf die märchenhaften Elemente des Stückes hin, die den ernsten Zug der Handlung erträglich machten: Doch da die Handlung so amüsant, so beschwingt vorbeizieht, verwandelt sich die tragikomische Betrachtung menschlicher Regierungskunst in etwas ganz Leichtes, Lyrisches. In das „Märchen vom König“. […] Ein Märchen mit ein paar derben Späßen, mit Badewannen, nackten Männern und nicht eben honetten Berufen, ein Märchen aber auch in der Stimmung der Liebe, der warmen, zarten Sommernacht.20 16 17

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E. A.: Ödön v. Horváth dramatisiert einen Roman von Mikszáth. In: Pester Lloyd, 4. 7. 1937. h. p.: „Das Dorf ohne Männer“. Welturaufführung im Deutschen Theater. Prager Mittag, 24. 9. 1937. L[udwig] W[inder]: Horváth: „Das Dorf ohne Männer“. Uraufführung im Neuen Theater. In: Deutsche Zeitung Bohemia, 25. 9. 1937. o[tto] p[ick]: „Das Dorf ohne Männer“. Uraufführung im Neuen Deutschen Theater. In: Prager Presse, 26. 9. 1937. m[ax] b[rod]: Ein wohlgelauntes Stück. In: Prager Tagblatt, 25. 9. 1937.

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Dichter wie Regisseur hätten „etwas von der guten Laune Shakespeares“ eingefangen, so Brod weiter. Die dürfte gut angekommen sein: Sämtliche Kritiken berichten von einer erfolgreichen Annahme durch das Publikum. Otto Pick geht darüber hinaus auch auf das Verhältnis zur Vorlage Kálmán Mikszáths ein und gesteht dem Stück im Vergleich zu anderen Bearbeitungen des Romans durchaus einen eigenen Wert zu: Er „traktiert […] das gegebene Thema durchaus eigenwillig und zielbewußt. In seiner Fassung wirkt es zunächst filmhaft.“21 Kritisch merken die Rezensionen nur die zum Teil fehlende dramatische Spannung sowie die Flüchtigkeit an, mit der vor allem die Hauptcharaktere gezeichnet sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Ein Dorf ohne Männer – nun unter dem von Horváth verwendeten Titel – erstmals am 11. September 1954 am Wiener Volkstheater in der Regie Gustav Mankers gegeben. Das Stück traf hier auf ein Publikum, das unter anderem über die kurz nach dem Krieg am Theater in der Josefstadt durchgeführten österreichischen Erstaufführungen von Der jüngste Tag (7. Dezember 1945), Hin und Her (5. September 1946) und Figaro läßt sich scheiden (29. April 1947) sowie der stark kritisierten Erstaufführung der Geschichten aus dem Wiener Wald (1. Dezember 1947) am Volkstheater bereits mit Horváth vertraut war. Wie sich die Rezeption des Stückes im Unterschied zur Prager Uraufführung gewandelt hat, zeigt nachdrücklich eine Kritik, die Friedrich Torberg für die Zeitschrift FORVM verfasst hat. Torberg lobt die Inszenierung als eine der „interessantesten“ Premieren des vergangenen Monats und stellt, wie Max Brod in seiner Kritik zur Prager Uraufführung, eine gewisse Nähe zu Shakespeare heraus, allerdings mit gänzlich anderem Unterton: Aber Horvath [sic] weiß aus den Fäden der Handlung gänzlich unvorhergesehene Muster zu spinnen, und sein Zugriff läßt nicht locker, eh diese Kreuz- und Querverbindungen nicht in all ihrer menschlichen Armseligkeit bloßliegen, um sich zu melancholischem Happy End zu vereinen. Es ist ein sonderbares Paradies, das Horvath [sic] seinen Figuren bereitet, ein Garten Ödön, der bisweilen einem Inferno verzweifelt ähnlich sieht, und dessen vertrackte Hintergründigkeit näher an Shakespeare herankommt als die Produktion irgendeines Zeitgenossen.22

Im Rahmen der sogenannten ‚Horváth-Renaissance’ der 60er- und 70er-Jahre wird das Stück sowohl von den Theatern als auch von der Forschung zunächst kaum bemerkt.23 Einen ersten, dem Stammbuch folgenden Abdruck findet Ein Dorf ohne Männer in den Gesammelten Werke 1970/71, in deren Umfeld auch die ersten wissenschaftlichen Rezeptionen des Werks einsetzen. Zunächst teilt Ein Dorf ohne Männer das Schicksal der meisten späten Dramen von Horváth, die im Schatten der Volksstücke der frühen 30er-Jahre von der Kritik kaum 21 22

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o[tto] p[ick] 1937 (Anm. 19) [Friedrich] T[or]b[er]g: Theater. Kritische Rückschau. In: FORVM 1 (1954), H. 10, S. 19. Einen Überblick über die weitere Rezeption der Wiener Aufführung von Ein Dorf ohne Männer gibt Wolfgang Lechner: Mechanismen der Literaturrezeption in Österreich am Beispiel Ödön von Horváths. Stuttgart: Akademischer Verlag Hans-Dieter Heinz 1978, S. 121–125. Die Dissertationsschrift von Gisela Günther verzeichnet nach der Aufführung im Wiener Volkstheater noch zwei weitere Aufführungen in Deutschland bis Mitte der 70er-Jahre (Deutsches Theater Göttingen, 26. 4. 1969; Württembergische Landesbühne Esslingen, 19. 3. 1975), im Unterschied zu anderen Stücken Horváths mit einem vergleichbar geringeren Bekanntheitsgrad wie Hin und Her und Himmelwärts (jeweils sechs Aufführungen nach 1945). Vgl. Gisela Günther: Die Rezeption des dramatischen Werkes von Ödön von Horváth von den Anfängen bis 1977. Univ.-Diss. Göttingen 1977, S. 263–309.

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Vorwort

wahrgenommen werden. Die schon von Friedrich Torberg 1954 konstatierte „Hintergründigkeit“ des Stückes gerät so zusehends wieder aus dem Blickfeld: Ein Dorf ohne Männer wird im Wesentlichen als leichte, jedoch auch belanglose Komödie rezipiert. Als einer der ersten bespricht Kurt Kahl in seiner 1966 erschienenen Horváth-Monografie das Stück auch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive. Kahl stellt das Stück, dem dezidierten Hinweis Horváths auf Kálmán Mikszáth im Vorwort folgend, in eine Reihe mit anderen Stücken literarischer Herkunft Horváths wie Figaro läßt sich scheiden und Don Juan kommt aus dem Krieg und betont die versteckte Zeitkritik, insbesondere in der Figur des Königs, die von der bisherigen Rezeption zu oft übersehen worden sei. Darüber hinaus weist Kahl auf die fast durchgängige Beibehaltung des historischen Szenarios hin, die Ein Dorf ohne Männer von anderen Stücken mit historischem Hintergrund, wie etwa Figaro läßt sich scheiden, unterscheide.24 Weitere Behandlung, vor allem hinsichtlich seiner Ungarn-Bezüge, erhält das Stück in einer Gesamtdarstellung Jen˝o Krammers. Für Krammer sind das Stück und sein Verhältnis zu Mikszáths Roman A szelistyei asszonyok von besonderem Interesse, da „wir dadurch den Hinweis auf seine ungarischen Lektüren bekommen, worüber er sich sonst beinahe nie äußert”.25 Krammer unterstreicht Horváths Anmerkung im Vorwort, Ein Dorf ohne Männer sei nach Motiven des Romans gefertigt, analog der Übernahme von Motiven von Beaumarchais bzw. Mozart in Figaro läßt sich scheiden,26 und vermutet, Horváth sei die Fabel noch aus seiner ungarischen Schulzeit bekannt, da Mikszáths Werk zu den „beliebten und amüsanten Lektüren der Mittelschüler“27 gehöre. Einen entschiedenen Einspruch gegenüber der von Kahl wie Krammer geteilten Annahme über die bloße Übernahme von Motiven tätigt Árpád Berczik in einem Beitrag, der das Stück erstmals detailliert untersucht.28 Berczik weist nach, dass Horváth nicht auf der Basis von Jugenderinnerungen an die Vorlage vorgehe bzw. aus ihr nicht bloß einige Motive übernommen habe, sondern dass ihm die 1903 erschienene Übersetzung von Camilla Goldner vorlag, aus der er zum Teil wortwörtlich Stellen übernimmt.29 Besonderes Augenmerk legt Berczik schließlich auf die Aktualisierungen des Stoffes, die er vor allem in den vielfältigen zeitgenössischen Austriazismen verwirklicht sieht.30 Eine Akzentuierung der Ambivalenzen des Stückes, wie sie bereits von Friedrich Torberg konstatiert wurden, findet sich in einem Beitrag Walther Huders zu Horváths Schaffen im Exil: Die Politologie, die in diesem Stück zur Anwendung kam, scheint eher Kaiser Franz Joseph als Karl Marx verfaßt zu haben, selbst wenn die Frau Gräfin recht emanzipatorisch an den Gittern des Ehegefängnisses rüttelt. Hans-Sachs-Spiel aus der Pußta, Kabale und Liebe mit Happy-End 24

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Kurt Kahl: Ödön von Horváth. Velber bei Hannover: Friedrich 1966 (= Friedrichs Dramatiker des Welttheaters, 18). Jen˝o Krammer: Ödön von Horváth. Leben und Werk aus ungarischer Sicht. Wien: Wissenschaftliche Buchreihe der internationalen Lenau-Gesellschaft 1969, S. 105. Ebd., S. 106. Ebd., S. 13. Berczik 1973 (Anm. 12). Berczik 1973 (Anm. 12) S. 74–78; die wortwörtlichen Übernahmen werden in der vorliegenden Edition der Wiener Ausgabe sowohl in der montierten Fassung K2/TS14 als auch in der Endfassung K3/TS1 markiert und im kritisch-genetischen Apparat ausgewiesen. Ebd., S. 79f.

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an der Donau! Ist es nur ein buntes Bilderbuch von der letzten Ende also doch heilen Welt oder die ironische Verkleidung gerade des Gegenteils? Einem ‚märchenhaften’ Märchenstil Horváths ist nicht zu trauen.31

Die weiteren Auseinandersetzungen mit Ein Dorf ohne Männer sind vor allem von Jürgen Schröders Regressions-These bestimmt, mit der die verschiedenen Entwicklungen bei Horváth nach 1933 zusammengefasst werden können. Schröder geht davon aus, dass das Spätwerk Produkt einer äußeren wie inneren Krise ist, die zu einem Rückgriff auf das vor 1930 entstandene Frühwerk führte. Als Ansatzpunkte für eine solche Betrachtung gelten ihm die wiederholt auftauchende Märchenform, die Zuwendung zu historischen Themen, die Aufnahme literarischer Stoffe und Motive, eine Bestärkung alter idealistischer Konzepte sowie regelmäßige Reminiszenzen an den Bereich der „Heimat“.32 Vor diesem Hintergrund weist etwa Martin Hell auf die politischen Implikationen in Ein Dorf ohne Männer hin, die in auffälligem Kontrast zu der auf den ersten Blick „unzeitgemäßen“ Dramenform des Lustspiels stehen und arbeitet die Parallelen in der Darstellung der Herrscherfigur an Horváths Matthias Corvinus und Heinrich Manns Henri Quatre (1935/38) heraus.33 Ausführlich in einem größeren systematischen Zusammenhang wird Ein Dorf ohne Männer in den Monografien von Christopher Balme und Johanna Bossinade besprochen. Balme untersucht Horváths Komödien aus der Perspektive der Gattungskritik und weist im Vergleich mit den Stücken anderer Autoren (Kaiser, Leonhard, Hasenclever) darauf hin, dass die Suche nach Humanität angesichts der Barbarei ein zentrales Anliegen der zeitgenössischen Dramatik war. Dementsprechend sieht Balme den Kern des Stückes in der Darstellung des Übergangs von einer feudalen zu einer aufgeklärten Weltordnung, deren Ziel ein umfassender Humanismus sei, der auch in der letzten Komödie Horváths Pompeji seinen Niederschlag finde.34 In einem die Ergebnisse seiner Studie zusammenfassenden und erweiternden Beitrag formuliert Balme, auch in Hinsicht auf die Abhängigkeit Horváths von seiner Vorlage: Trotz seiner plagiatorischen Arbeitsmethoden vermag Horváth in zwei wichtigen Bereichen über seine Vorlage hinauszugehen. Zum einen erhält die Frauenthematik, die bei Mikszáth gar nicht problematisiert wird, eine ganz zentrale Bedeutung. Zum anderen wird der historische Schauplatz ‚Ungarn in der Frührenaissance’ zum Beispiel dafür, wie sich das humanistische Gedankengut, exemplifiziert an der Figur des aufgeklärten Monarchen Matthias des Gerechten, gegen Barbarei, Aberglaube und Korruption durchzusetzen beginnt.35

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35

Walther Huder: Ödön von Horváth: Existenz und Produktion im Exil. In: Manfred Durzak (Hg.): Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. Stuttgart: Reclam 1973, S. 232–244, hier S. 242. Vgl. Jürgen Schröder: Das Spätwerk Ödön von Horváths. In: Traugott Krischke (Hg.): Ödön von Horváth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981, S. 125–155 [zuerst in: Sprachkunst 7 (1976), S. 49–71], hier S. 133f. Vgl. Martin Hell: Kitsch als Element der Dramaturgie Ödön von Horváths. Bern/Frankfurt am Main: Lang 1983, S. 300–302. (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 617) Vgl. Christopher Balme: The Reformation of Comedy. Genre Critique in the Comedies of Ödön von Horváth. Dunedin: Department of German, University of Otago 1985, S. 222–246. Christopher Balme: Zwischen Imitation und Innovation. Zur Funktion der literarischen Vorbilder in den späten Komödien Ödön von Horváths. In: Traugott Krischeke (Hg.): Horváths Stücke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. S. 103–120, hier S. 113.

273

Vorwort

Johanna Bossinade betont in ihrer Untersuchung des Spätwerks Horváths ebenfalls die exemplarische Rolle Matthias’ und ordnet das Drama in ihrem Raster dramaturgischer Modelle gemeinsam mit Pompeji dem „Modell des vorbildlichen Menschen“ zu. Sie lässt dabei auch in hohem Maße textgenetisches Material in ihre Interpretation einfließen und eröffnet verschiedene Verbindungen zu zeitgenössischen Kontexten, die die politische Grundhaltung des Stückes stärker hervortreten lassen.36 Die von Jen˝o Krammer und Árpád Berczik eröffnete Perspektive auf die spezifisch ungarischen Hintergründe von Ein Dorf ohne Männer wird in einem Beitrag von Eva Kun wiederaufgenommen. Ausgehend von Horváths frühem, Fragment gebliebenen Versuch, ein Stück über die frühneuzeitlichen Bauernaufstände zu verfassen (Dósa, 1923/24), spürt Kun den verschiedenen biografischen und literarischen Verbindungen Horváths zu Ungarn nach, die, neben einigen überraschenden Motivparallelen, insbesondere die Komödie des Menschen und ihr Vorbild, Imre Mádáchs Tragödie des Menschen, betreffen. Das Stück Ein Dorf ohne Männer liest Kun, ausgehend von der Stelle: „Es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rasse angehört, es kommt darauf an, ob man Rasse hat“ (K3/TS1/SB Georg Marton, S. 94), als Antwort Horváths auf die Nürnberger Gesetze und die Rassenverfolgung der NS-Zeit.37 Ebenfalls auf die ungarischen Bezüge in Ein Dorf ohne Männer geht Zoltán Szendi ein, der, anders als Berczik, die Eigenständigkeit von Horváths Bearbeitung trotz der hohen Zahl an wörtlichen Übernahmen aus der Übersetzung des Romans Mikszáths betont.38 Den jüngsten Forschungsbeitrag zum Stück bietet die Dissertationsschrift von Orsolya Ambrus, die ebenfalls den „ungarischen“ Horváth anhand des Fragments Dosá sowie von Ein Dorf ohne Männer untersucht.39 Ambrus legt den Schwerpunkt auf die von Horváth benutzten Quellen sowie den intertextuellen Gehalt von Ein Dorf ohne Männer und beleuchtet explizit textgenetische Fragestellungen anhand des Wiener Nachlassbestands. Ausgehend von einer umfangreichen Zusammenfassung der bisherigen Forschungsleistungen im deutsch- wie ungarischsprachigen Raum zu Horváths Ungarn-Verhältnis und detaillierten Analysen weist Ambrus für Ein Dorf ohne Männer einerseits die auch von Horváth übernommenen Fehler der deutschsprachigen Übersetzung von Mikszáths Roman nach und liefert andererseits eine textgenetische Analyse entlang der Bildfolge der Endfassung, die Horváths Umgang mit seinen Quellen detailliert dokumentiert.

36

37 38

39

Vgl. Johanna Bossinade: Vom Kleinbürger zum Menschen. Die späten Dramen Ödön von Horváths. Bonn: Bouvier 1988. S. 189–245. (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 364) Vgl. Kun 1988 (Anm. 5), S. 32. Vgl. Zoltán Szendi: Deutung und Umdeutung. Der Roman Szelistyei asszonyok (Szelistye, das Dorf ohne Männer) von Kálmán Mikszáth und Ödön von Horváths Drama Ein Dorf ohne Männer. In: Z. S.: Durchbrüche der Modernität. Studien zur österreichischen Literatur. Wien: Edition Präsens, S. 116–125. Vgl. Orsolya Ambrus: Der ungarische Horváth. Eine bibliographische, thematische und textgenetische Spurensuche. Saarbrücken: Südwestdeutscher Verlag 2010. [= Univ.-Diss. Wien 2007]

274

Lesetext

275

276

Konzeption 1: Das Dorf ohne Männer – Rostó/Brünette

277

Strukturplan, Konfigurationspläne

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 7

278

Strukturplan, Konfigurationspläne

K1/E1–E3

279

Lesetext

Strukturplan in drei Bildern

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 1

280

Strukturplan in drei Bildern

K1/E4

281

Lesetext

Strukturplan in drei Bildern (Fortsetzung)

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 2

282

Strukturplan in drei Bildern (Fortsetzung)

K1/E4

283

Lesetext

Strukturplan in zwei Bildern

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 6

284

Strukturplan in zwei Bildern

K1/E5

285

Lesetext

Strukturplan in vier Bildern

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 3

286

Strukturplan in vier Bildern

K1/E6

287

Lesetext

Strukturplan in vier Bildern (Fortsetzung)

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 4

288

Strukturplan in vier Bildern (Fortsetzung)

K1/E6

289

Lesetext

Strukturplan in vier Bildern (Fortsetzung)

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 5

290

Strukturplan in vier Bildern (Fortsetzung)

K1/E6

291

Lesetext

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

K1/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 2. Bild.

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 1

B N

5

B

In Siebenbürgen. Stube im Schlosse des Grafen von Hermannstadt. Im Hintergrunde eine Türe ein grosser Kleiderschrank und eine Wäschetruhe. Links eine Türe und ein Kamin, in dem Feuer brennt. Rechts ein Fenster. B

N BN

B

N

N

Der Graf steht am Fenster und blickt hinaus. Die Amme kommt von links mit frischgewaschener Wäsche. Der Graf wendet sich ihr zu, sieht dann wieder zum Fenster hinaus. Die Amme tut die Wäsche in den Schrank. BN

10

G RAF (halb zu sich selbst) Jetzt regnets wieder – und zuvor schien noch die Sonne. A MME April, April, April – (Stille) G RAF Jetzt schneits – – (er fröstelt) Was starrst mich denn so an? A MME Mir scheint, Herr Graf haben Fieber – B

N

B

B

N

N

15 B

N

B

N

\Abbruch der Bearbeitung\

3

BN

5–7

B

6 6 6 10

B

13 13–14

B

13 16 17

B

In f Fenster.N ]

eine TüreN ] ] BKleiderschrankN ] BN] BN

B

(halb f selbst)N ] Jetzt f Sonne.N ]

wiederN ] (Stille)N ] BJetzt schneits –N ] B

[In Siebenbürgen. G RAF – A MME .] [In Siebenbürgen. [Zimmer] |Stube| im Schlosse des Grafen von Hermannstadt. Links ein Kamin, rechts ein[e] Tisch, und eine Bank. Rechts ein grosser Schran] |In f Fenster.| \eine Türe/ [und] [Wäscheschrank] |Kleiderschrank| [\D IE A MME Die Sonne! G RAF Ja. D IE A MME (tut die Wäsche in den Schrank) (Die Sonne verschwindet, es wird trüb) G RAF (halb zu sich selbst) Jetzt regnets wieder./] [Jetzt] |(halb f selbst)| [Jetzt regnets wieder.] [| – und zuvor schien noch die Sonne.|] [| – und zuvor schien noch die Sonne.|] [|vor zwei Minuten schien noch die Sonne.|] korrigiert aus: wieder. \(Stille)/ [Wie kalt es geworden ist] |Jetzt schneits –|

292

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

K1/TS2 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Zweites Bild. Beim Grafen von Siebenbürgen.

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 2

B N

5 B

10

B

15

G RAF und A MME (näht) G RAF Jetzt regnets wieder – und zuvor schien noch die Sonne. A MME April, April, April. G RAF Wie kalt es geworden ist. (er fröstelt) Was starrst mich denn so an? A MME Mir scheint, Herr Graf haben Fieber – G RAF Ah, ich langweil mich nur zu tot! A MME Ich langweil mich nie. G RAF Weil Du arbeitest, was? (Stille) A MME Beim König ist sicher mehr los, wie zuhaus in unserem armen Siebenbürgen . Rauschende Feste, usw. Ihr seid halt die ländliche Luft nichtmehr gewohnt – die Stille, den Nebel – die Stille der Welt. (es donnert) Jesus Maria, was war denn das?! G RAF Es hat nur gedonnert in Deiner ländlichen Stille – N

N

B

B

20

25

30

N

N

B N

(Stille) 얍 A MME Herr Graf, und wenn Bich Euch auch nichts Böses zutrauN, so muss ich nun endlich reden – Ich bin doch Euere Amme, Herr Graf, und wenn ich auch nur eine Dienerin bin und hier das Gnadenbrot esse – G RAF (unterbr. sie) Ich weiss, B N Bich weiss!N Du fühlst die zärtlichsten mütterlichen Regungen zu mir – Du BhastN mich gehen gelernt, essen und trinken, Baber heute sehe ich schlecht aus, hohlwangig, bleich, grün, verhungertN und ich war BdochN so ein herziges Bkleines WaisenkindN mit goldenen Locken, runden Backen, Bhellen Augen undN dickem Bauch B N – wie schön war doch die Zeit, wo ich immer nur so gesagt hab: „A, a, a .... oder i, i, i! oder: o, o, Bo!“N 3

BN

]

G RAF f näht)N ] G RAF f was?N ] Bin f SiebenbürgenN ] BRauschende f usw.N ] BN]

6 13 15 16 20

B

22 25 25 26 26–27 27 28 28–29 29 30

B

B

ich f zutrauN ] ] Bich weiss!N ] BhastN ] Baber f verhungertN ] BdochN ] Bkleines WaisenkindN ] Bhellen f undN ] BN] Bo!“N ] BN

[G RÄFIN ({steht}] [|Graf (steht am Fenster und schaut hinaus) Jetzt regnets wieder – und [vor Minu] |zuvor| schien noch die Sonne. Wie kalt es geworden ist. (es donnert) Jetzt donnerts. Es ist zum verrückt werden, dieser April! – – Na servus, jetzt schneits!|] [G RAF und R OSTO ] [|G RAF |] |G RAF f näht)| \G RAF f was[!]|?|/ \in f Siebenbürgen/ \Rauschende f usw./ [(Stille) A MME Es kommt bald wieder die Sonne. G RAF Ja, vorläufig schneits.] [es auch nichts für mich ist] |ich f zutrau| [Du isst hier das Gnadenbrot –] [aber es ist] |ich weiss!| [hast] |hast| [durch Dich bin ich ein starker Mann geworden] |aber f verhungert| \doch/ [Kind] |kleines Waisenkind| korrigiert aus: \hellen Augen.) und/ [, kleinen Beinen] korrigiert aus: o!

293

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

K1/TS2 (Korrekturschicht)

Lesetext

A MME Macht nur Euere Witze, gnädiger Herr! G RAF Das sind keine Witze! Ich kann es nicht mehr hören, wie herzig ich als Kind war, verstanden?! Heut bin ich erwachsen und weiss, was ich will! B

N B

B

N

B

N

B

N

N B

N

B N

5

A MME (spitz) Na! G RAF (scharf) Ich bitt Dich, mach mich nicht nervös! (Stille) A MME (im Hinausgehn, hält nochmal) Herr Graf, ist es wahr, dass mein Bruder für Euch Frauen sucht? G RAF Frauen? Woher weisst Du das? A MME Ich ahne es, ich fühle es – Herr Graf, ich warne Euch vor den Frauen und ganz besonders vor den Frauen, die mein Bruder auftreibt! 얍 R OSTO (kommt rasch) Herr Graf, ich hab die Weiber! Drei Stück! Drei unerhörte Weiber – (er erblickt die Amme) Heiliger Himmel! A MME Was? Weiber suchst Du?! Also das wars! Und gleich drei auf einmal –! R OSTO Aber doch nicht so, wie Du denkst! Es ist nur ein diplomatischer Akt! A MME Ich kenne schon Deine Akte! R OSTO So sei doch nicht so eifersüchtig! Auf alles ist sie eifersüchtig! Auch auf den eigenen Bruder! A MME (höhnisch) Hoho! Du elender Kuppler! R OSTO Ich ein Kuppler?! Dumme Gans! A MME Du bist das Letzte! R OSTO Aber wenn ich Dir sage, die Weiber sind nicht für ihn – sondern für jemand ganz anderen! A MME (höhnisch) Für wen denn? R OSTO Das darf ich nicht sagen. A MME Aha! G RAF Die Frauen, die Dein Bruder sammelt, sind für den König bestimmt. A MME (perplex) Für den König? G RAF Ja. A MME Aber wieso? G RAF Das verstehst Du nicht. B

N

B

10

B

N

N

B

15

20

25

30

B

N

N

B N

\Abbruch der Bearbeitung\

1 1 2 2 3 3 4 7

8–12 8 13 25 33

Macht f Witze,N ] gnädiger Herr!N ] BDas f Witze!N ] BesN ] Bwar, verstanden?!N ] BHeut f will!N ] BN] B(Stille)N ] B B

A MME f auftreibt!N ] Hinausgehn,N ] BDrei Stück!N ] B(höhnisch)N ] BN] B B

[Lachens mich nur aus,] |Macht f Witze,| [H] |gnädiger Herr!| [Ich lach garnicht! Es ist mir eher zum weinen!] |Das f Witze!| [das] |es| war[!]|,| [sch] |verstanden?!| [(Es macht mich nervös und – Schluss!)] |Heut f will!| [(Stille)] [(Stille)] [|(Es \blitzt und/ donnert wieder) A MME (bekreuzigt sich) [Wenn nicht bald die S] |Ja Heiliger Himmel –| G RAF |] |(Stille)| Amme f auftreibt! Hinausgehn[)]|,| [Alle drei!] |Drei Stück!| [(h] [|F|] |(höhnisch)| [A MME ]

294

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

K1/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍BN

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 5

A MME Herr Graf, darf ich etwas fragen? G RAF Na? A MME Was hat der Herr Graf für sonderbare Geschäfte mit meinem Bruder? G RAF (perplex) Woher weisst Du davon? A MME Jetzt seid Ihr endlich drei Wochen wieder hier, nachdem Ihr 2 Jahre fort wart, ich kenn schon kaum mehr Euere Hemden, lauter neue – Herr Graf, was erledigt mein Bruder für Euch? G RAF Wir haben geschäftlich zu tun. A MME Herr Graf, ich warne Euch. Mein Bruder ist ein alter Gauner – ich kenn ihn jetzt 54 Jahr – hüten Sie sich vor ihm! Er ist zu jeder Gaunerei fähig – G RAF Traust Du mir denn Gaunereien zu? A MME Um Gotteswillen, nein, Herr Graf! G RAF Na also! (Stille) B

B

N

N

B

5

B

B

N BN

N

B

N

BN

10

15

N

B N

20

25

얍 G RAF (unterbricht sie) Was heisst das?! Nimm Dich in acht! Bin ich denn kein anständiger Edelmann?! A MME Herr Graf, sicher, sicher sind BSieN das! Aber Sie laufen Gefahr – es kann keiner anständig bleiben, der mit meinem Mann geschäftelt – Herr Graf, er ist ein alter Gauner, ein Lump, so weit er {vorn} ist – ich kenn ihn BjetztN geschlagene 50 Jahr –! Hüten Sie sich vor meinem Mann! Der ist zu jeder Gaunerei fähig, was der mich schon betrogen hat! G RAF Es ist nicht recht von Dir über Deinen Mann so zu reden. A MME Es ist nur die Sorge um Euch! Jetzt seid Ihr 3 Wochen wieder hier, nachdem Ihr 2 Jahr fort wart – und da gehts Tag und Nacht zu, oft weckt er Euch mitten in 1

BN

3 4 5 5 6

B

7–16

B

]

darf f fragen?N ] Na?N ] BBruder?N ] BN] B(perplex) f davon?N ] B

7 9 17

B

20 22

B

A MME f (Stille)N ]

endlichN ] ] BN] BN

B

SieN ] jetztN ]

[Zweites Bild. Beim Grafen von Siebenbürgen.] [Ihr werdet mir nicht] |darf ffragen?| [Ja.] |Na?| [Herrn Gemahl] |Bruder?| gestrichen: ? (1) Das [{g}] |ist| nichts für Dich. (Stille) (2) \(perplex) f davon?/ [A MME Herr Graf, und wenn es auch nichts für mich ist, so muss ich jetzt endlich reden. [Ich bin Euere Amme, und] [w]|W|enn ich auch nur eine Bedienstete bin und nur hier das Gnadenbrot esse, so fühle ich doch noch immer die zärtlichsten mütterlichen Regungen zu Euch. Als Euere arme selige Mutter gestorben ist, nahm sie mir das Gelübde ab, immer für Euch da zu sein, Euch eine Mutter zu sein und ich glaub, ich habs erfüllt – (sie trocknet sich Trähnen) G RAF Ja, brave Anna. Du hast es erfüllt – und ich denke mit Freude an die Zeit zurück, da [{Ihr}] |Du| mich gehen lerntest und essen und trinken – A MME Macht nur Euere Witze! Ich habe Euch auch noch etwas anderes gelernt – beten. Beten hab ich Euch gelernt, ein anständiger Mensch zu werden –] |AMME f (Stille)| \endlich/ [für Geschäfte] [\A MME Herr Graf, was haben Sie für Geschäfte mit meinem Bruder? G RAF Das geht Dich nichts an./] [s]|S|ie je\t/zt

295

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 6

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

5

B

15

20

25

30

35

40

Lesetext

der Nacht – Herr Graf, was erledigt er für Euch für Geschäfte?! Im Namen Euer Mutter frag ich Euch! (Stille) G RAF Gut. Damit Du Dir keine Sorgen mehr machst, werd ich es Dir sagen – kannst Du schweigen? A MME Ja. Wenn Sie wüssten, was ich alles weiss! G RAF Dein Mann sucht Frauen für mich – 얍 A MME Frauen? Herr Graf wollen heiraten? G RAF Aber! Dein Mann sucht drei schöne Frauen für mich – A MME Drei? Gott steh mir bei! Ihr wollt Türke werden?! G RAF (lächelt) Nein, ich bleib ein redlicher Christenmensch. Die drei Frauen, die Dein Mann sucht, sucht er, damit ich selbe dem König überbringe – A MME Dem König?! G RAF Ja. Nur als Muster gewissermassen. Du weisst, dass meine Bauern bei Belgrad gefallen sind – wir haben keine Männer. Der König will aber die Männer nur dann bei uns ansiedeln, wenn die Frauen schön sind, denn er will die Veteranen belohnen. Nun sind aber die Frauen hier leider hässlich – und so dachte ich mir diese kleine List aus, wir schicken dem König drei Frauen, die schön sind, und er schickt uns dafür sicher seine stärksten, arbeitsfähigen Krieger – begreifst Du es jetzt? Und Dein Mann soll die drei Frauen finden – er läuft schon seit drei Wochen herum – – A MME Was? Ihr wollt den König beschwindeln? G RAF Ja. 얍 A MME Um Gottes Willen, wenn das herauskommt! G RAF Der König ist weit – – wie soll das schon herauskommen?! (Stille) A MME Ich bin entsetzt. Was werden das schon für Weiber sein, die sich zu {sowas} hergeben?! G RAF Sehr anständige, kluge Geschäftsfrauen. Ich lass mich ja nicht lumpen! Jede bekommt 200 Dukaten – das ist mir die Sache wert, wenn das Land wieder bestellt wird – A MME Na der soll mir nur nachhauskommen, dieser alte Lump! B

10

K1/TS3 (Korrekturschicht)

N

N

B

N

R OSTÓ Man kann nicht ein ganzes Leben über von Muttermilch leben. R OSTÓ (kommt) Herr Graf, die Weiber sind da! Ich hab die Weiber, eine schöner wie die andere – (er erblickt die Amme) Grosser Gott! A MME Du kommst mir grad recht, Weiber, und den König willst Du betrügen?! R OSTÓ (zum Grafen) Herr Graf, haben Sie der was gesagt? A MME Ja. Alles! R OSTÓ (zum Grafen) Das war aber nicht recht von Ihnen, Herr Graf! 얍 Da rackert man sich ab und hat dann kein friedliches Zuhaus! G RAF Wenn uns das gelingt, bleibst Du immer bei mir. A MME Schon ist er hergeschenkt! B

BN

7 11 15 35 43

MannN ] (lächelt)N ] BMännerN ] BWeiber, eineN ] BN] B B

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 7

[Graf] |Mann| \(lächelt)/ korrigiert aus: Frauen Weiber [– (er] |, eine| [–]

296

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 8

N

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 9

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

5

K1/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

R OSTÓ Hocherfreut! A MME Aber das eine sag ich Dir: dieser teuflische Plan kann doch nur in Deinem Hirn entsprungen sein – R OSTÓ Oho! Ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken! G RAF Es war meine Idee. A MME Ihre? – Nein, also das hätt ich nie gedacht. Ihr, Herr Graf, den ich noch kenne, wie er so klein – – R OSTÓ Ich kenne ihn auch, wie er noch nicht gehen konnte, unser Herr Graf! Und Du hast ihn genährt – richtig! Aber ich hab ihn dann weitergebracht, was, Herr Graf? Mit mir habt Ihr den ersten Bock geschossen? Was? Droben in der Schlucht! (zur Amme) Man kann nicht ein ganzes Leben über von Muttermilch leben! G RAF (lacht) A MME Lachen Sie nur, Herr Graf! Lachens mich nur aus! Ich werd trotzdem für Sie beten, damit dieser Schwindel gut ausgeht – (ab) 얍 R OSTÓ Ein elender Narr – G RAF Eine brave Alte. R OSTÓ Brav und Narr, gehüpft, wie gesprungen! G RAF Wo sind die Weiber? R OSTÓ Draussen. G RAF Draussen? R OSTÓ Ich hab sie gleich mitgebracht. Wir sind reisefertig! Je 100 Dukaten hat jede gleich bekommen, die restlichen hundert nach glatter Abwicklung – Herr Graf werden sehen, was der alte Rosto für einen Geschmack entwickelt hat – die eine Schwarz , die zweite brünett, die dritte blond – G RAF Wo hast Du sie denn her? Sinds Bäuerinnen? R OSTÓ Aber! Die eine ist die Tochter eines Kürschnermeisters aus {Kronstadt}, die zweite ist die Braut eines Wirtes aus Tullnerbach und die Dritte – ja, die Dritte – das weiss ich selber nicht so genau! Aber ein Muster ist das, Herr Graf, ein Prachtmuster! G RAF Werden sehen! Herein mit dem Muster! R OSTÓ (zur Türe) Kommt herein, meine Täubchen! Kommt nur herein! Nur eingetreten! D IE D REI (treten ein in einem phantastischen Bauernkostüm, und machen einen Knix) G RAF (betrachtet sie) BN

B

10

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B

N

B

N

BN

B

N

B

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N

B

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B

N

N

B

N

B

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N

B

6 8 15 16 17 18 19 22 25 31 34 36–297,2

] UndN ] Bdieser SchwindelN ] BEin f NarrN ] BN] BR OSTÓ f gesprungen!N ] BG RAF WoN ] BJeN ] BSchwarzN ] Bdem Muster!N ] BBauernkostüm,N ] Bsie) f Ja.N ] BN B

N

[um] [|u|] [Aber] |Und| [das alles] |dieser Schwindel| [Meine Frau ist] [e]|E|in[e] [ü] |elende\r/| [Närrin] |Narr| [– –] \R OSTÓ f gesprungen!/ [Nun,] |G RAF | [w]|W|o \Je/ [{}] |S|chwarz [ihm!] |dem Muster!| Bauernkostüm[)]|,| sie) [Alle Achtung! Alle Achtung!] |ROSTÓ Zufrieden? G RAF Ja.|

297

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 10

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

K1/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

R OSTO Zufrieden? G RAF Ja. (er betrachtet die Blonde) Kennen wir uns nicht? 얍 D IE B LONDE Möglich – (sie lächelt) G RAF (zur Dunklen) Und ihr? Seid Ihr die Braut des Wirtes? B RÜNETTE Nein, die bin ich. D UNKLE Ich bin eine Kürschnermeisterstochter. G RAF Aha. Also macht alles gut. Ich habe das vollste Vertrauen zu Euch. Ihr fahrt jetzt sogleich mit meinem guten, alten, braven Rostó zum König. Der Alte wird Euch betreuen. Ihr habt nichts anderes zu sagen, als dass Ihr Frauen aus dem Dorfe Selistje seid – Ihr wisst schon, wie Selistje aussieht. Ihr seid Bäuerinnen, 300 Seelen – ohne Männer – D UNKLE Wir wissen schon alles. G RAF Und benehmt Euch richtig, wie es sich geziemt – B RÜNETTE Ich hab nur Angst, dass wir etwa von Herren belästigt werden – G RAF Kommt garnicht in Frage! Der König ist ein kalter Mann – D UNKLE Sehr kalt? Er sieht aber so hübsch aus! G RAF Er ist aber kalt, er kümmert sich nur um das Gesetz. Er wird Euch nur anschauen, wird Euch natürlich nicht hässlich finden und ihr kommt dann wieder zurück – 얍 B RÜNETTE Wenn er uns aber nicht nur hässlich findet – G RAF Es wird schon nichts passieren! B LONDE Na! (Stille) G RAF Aber geht jetzt, in Gottes Namen! Gute Fahrt! B RÜNETTE Wieviel Einwohner hat Selistje? R OSTÓ 300. B RÜNETTE Die Zahl vergiss ich immer! R OSTÓ Macht nix! Wer kennt schon Selistje? B LONDE Es wird noch berühmt – (sie lächelt) N

B

5

N

B

N

B

10

B

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N

N

B

15

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 11

N

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 12

30

W IRT (stürzt herein; zur Brünetten) Da bist Du ja, wo bleibst Du?! Ich werd ja noch wahnsinnig! B RÜNETTE Aber so gib doch acht! Der Herr Graf! W IRT Ach, ich bin schon ganz verrückt!! G RAF Was soll das? Wer ist das? B RÜNETTE Mein Bräutigam. Er ist ein Wirt in Kronstadt. G RAF Aha! Aber warum so aufgeregt? B RÜNETTE Er ist so eifersüchtig, – R OSTÓ Geht schon wieder los! Herr Graf, dieser Mann 얍 ist bislang unser einziger Schönheitsfehler – was der treibt!! Eifersucht ist garkein Ausdruck! W IRT Herr Graf, ich kann nicht gegen meine Natur! Erlaubens mir, dass ich mitfahr – R OSTÓ Was denn nicht noch! Das könnt ich brauchen! B

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N

B

3 6 9 12 13 31 40

MöglichN ] Ich f Kürschnermeisterstochter.N ] BIhrN ] BD UNKLE N ] BG RAF N ] Bherein;)N ] Btreibt!!N ] B B

N

[Nicht dass ich wüsste] |Möglich| [Mein Vater] |Ich f Kürschnermeisterstochter.| [{}] |Ihr| [Blond] [|B RÜNETTE |] |D UNKLE | [B RÜNETT ] |G RAF | herein[)]|;| treibt[?]|!|!

298

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 13

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

5

K1/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

W IRT Herr Graf, bitte-bitte! R OSTÓ Ausgeschlossen! W IRT (zur Brünetten) Schau, wie Du ausschaust! So kurzer Rock – jeder sieht Dich! Ich werd verrückt! R OSTÓ (zum Grafen) Vielleicht geben wir ihm noch 10 Dukaten, damit er sich beruhigt – W IRT Ich beruhig mich nicht um 1000! G RAF Und unser Vertrag! Du hast doch den Vertrag unterschrieben! Gib Ruhe! Sonst sperr ich Dich ein – wegen Nichterfüllung eines Vertrages! W IRT Gut. Aber das sag ich Euch, wenn ich meine Braut nicht so zurückbekomm, dann setzt es was ab! B RÜNETTE Das hängt doch auch von mir ab! W IRT Aber! (ab) 얍 R OSTÓ Dürfen wir jetzt dann gehn? Es ist eingespannt und drunten im Hofe wartet die Verwandtschaft der Damen, um sich zu verabschieden – G RAF Bitte – bitte. R OSTO , D UNKLE , B RÜNETTE (ab) BN

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25

30

B LONDE (bleibt zurück) G RAF Und Du ? Du gehst Dich nicht verabschieden? B LONDE Ich hab keine Verwandte. Ich bin allein. G RAF So, das ist traurig und erfreulich. B LONDE Alles hat seine zwei Seiten. G RAF (betrachtet sie) Allerdings. (Stille) B LONDE Da man sich verabschieden soll, wenn man eine Reise macht, verabschiede ich mich hiermit von dem Herrn Grafen – (sie macht ein Knix) G RAF Hoffentlich sehen wir uns wieder. B LONDE Sicher. (Stille) 얍 G RAF Ihr gefällt mir. B LONDE Ihr mir auch. (Stille) G RAF Ihr sagtet zuvor, dass es möglich sei, dass wir uns kennen – woher? B LONDE (lächelt) Das weiss ich nicht. (Stille) G RAF Wer bist Du? Bist Du verheiratet? B LONDE Ich war es. Ich bin eine Wittwe. G RAF Wer war Dein Mann? B LONDE Das darf ich nicht sagen. G RAF Warum? B LONDE Mein Mann wurde von allen verachtet. G RAF So. – Was hat er denn verbrochen? B

N

B

N

BN

35

B

40

7 20 20 34 38

] DuN ] BDuN ] BN] BIch f Wittwe.N ] BN B

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 14

N

[{}] [Ihr]|Du| [Ihr] |Du| [?] [Ich bin eine Wittwe.] |Ich f Wittwe.|

299

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 15

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

K1/TS3 (Korrekturschicht)

Lesetext

B LONDE (lächelt) Viel, sehr viel. Aber es musste sein. Es war notwendig. G RAF (spöttisch) Notwendig? B LONDE Ja. Er war eine wichtige Persönlichkeit. So wichtig, wie der König – G RAF Unsinn! Ihr Weiber! Du sahst in ihm einen König, was? Hast Du ihn sehr geliebt? B LONDE (leise) Ja. Sehr. – (sie umarmt plötzlich den Grafen und gibt ihm einen Kuss; er umarmt sie) 얍 G RAF Du – Du? B LONDE Wunderst Dich, dass ich mich nicht wehre? Warum? Als ich hier hereinkam und Dich sah, da wusste ich: ja. Ich wusste aber auch noch mehr – G RAF Was denn? B LONDE Ich hab Dich noch nie gesehen, aber ich kenne Dich, ich weiss jetzt soviel von Dir – – Ich weiss, dass wir uns verstehen – – Warum soll ich mich wehren? Ich weiss es, genau wie bei meinem Mann – und es wär dumm gewesen, sich zu wehren – G RAF Wer war Dein Mann? B LONDE (traurig, ernst) Muss ichs wirklich sagen? G RAF Ja. B LONDE (lächelt) Er sah Dir ähnlich. Er war der Henker von Kronstadt. G RAF (weicht etwas zurück) B LONDE (lächelt) Er war ein braver Mensch – – Jetzt muss ich fort – – G RAF Weisst Du, ich glaube, Du bist eine Hexe – B LONDE Wiedersehn! (lächelnd ab) G RAF (allein) He, holla! A MME (kommt) Was gibts, Herr Graf? G RAF Lass mein Pferd satteln, ich reite noch heut weg! A MME Wohin? G RAF Ich reite, ich reite! A MME Herr Graf, Sie reiten noch in die Hölle! (Vorhang) BN

B

5

N

BN

B

N

BN

BN

10

B

15

N

B

20

N

BN

25

30

2 4 6 7 8 9 13 17 23

] IhrN ] BN] BKuss f sie)N ] BN] BN] BIchN ] BMuss f sagen?N ] BN] BN B

[{Er war}] [{Du}] |Ihr| [–] Kuss[)] |; er umarmt sie)| [?] [Du] [Warst] |Ich| [Soll ich] |Muss f sagen?| [Nein –]

300

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 16

Fragmentarische Fassung des 4. Bildes

K1/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B 4. Bild.N B Im B BJagdschloss.N N Die Abendsonne scheint.N R OSTO Na was sagt Ihr? Das hat keine von Euch geträumt, dass sie mal im König seinem privatestem Jagdschloss zu Gast sein wird – 5 B RÜNETTE Geträumt hab ich das schon – R OSTO Du schon! B RÜNETTE Da kam der König herein und er verfolgte mich, ich konnte nicht laufen, und plötzlich hat er mich durchbohrt – mit einem Speer – S CHWARZE Grässlich! 10 B LONDE Durchbohren ist noch nicht so schlimm. Aber ich hab auch mal vom König geträumt – ich war erst 7 Jahre alt, da kam der König, er war schwarz, wie die Nacht und B N kalt, wie Eis – wenn man ihn anfasste, war er Eis – B RÜNETTE Na und? B LONDE Dann bin ich aufgewacht. Und ich sagte mir, ein König ist auch nur aus 15 Fleisch und Blut – B S CHWARZE N Jetzt regnets – und zuvor schien die Sonne. R OSTO April, April, April! B RÜNETTE Jetzt schneits – (sie fröstelt) R OSTO Bist Du krank? Hinein mit Euch, das tät mir noch fehlen, wenn Ihr krank wer20 den würdet! (ab mit den Dreien) M ATTHIAS (kommt mit dem Hofbeamten) Also hör her: es darf niemand etwas davon wissen – \Abbruch der Bearbeitung\

1

B

2 2 2 12 16

B

4. Bild.N ]

Im f scheint.N ] Jagdschloss.N ] BJagdschloss.N ] BN] BS CHWARZE N ] B

[4. Bild. G RAF ] |4. Bild.| [Im Schlosse.] |Im f scheint.| [Jg] |Jagdschloss| korrigiert aus: Jagdschloss.. [ganz] [R OSTO ] |S CHWARZE |

301

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 18

Strukturplan

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 10

302

Strukturplan

K1/E7

303

Lesetext

Dialogskizze zum 7. Bild

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 11

304

Dialogskizze zum 7. Bild

K1/E8

305

Lesetext

Strukturpläne

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 8

306

Strukturpläne

K1/E9–E11

307

Lesetext

Konfigurationsplan und Replik zum 6. Bild

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 27

308

Konfigurationsplan und Replik zum 6. Bild

K1/E12

309

Lesetext

310

Konzeption 2: Ein Dorf ohne Männer – Bader/Rote

311

Strukturplan in vier Bildern

ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 9

312

Strukturplan in vier Bildern

K2/E1

313

Lesetext

Dialogskizzen, Szenenanweisung

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 17

314

Dialogskizzen, Szenenanweisung

K2/E2–E4

315

Lesetext

Dialogskizzen, Notizen und Konfigurationspläne zum 6. Bild

316

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 28

Dialogskizzen, Notizen und Konfigurationspläne zum 6. Bild

317

K2/E5

Lesetext

Fragmentarische Fassung des 5. Bildes

K2/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Fünftes Bild. Im Jagdschloss des Königs.

5

B

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 19

M ATTHIAS (kommt rasch und zieht sich den Mantel aus; zum Diener) Ist alles in Ordnung? D IENER Jawohl, Majestät! M ATTHIAS Ich hab mich etwas verspätet. Mir scheint, der Sultan möcht wieder angreifen, aber wir sind bereit! D IENER Die Frauen aus Selischtje sind Punkt 8 Uhr eingetroffen. M ATTHIAS Also seit drei Stunden. D IENER Sie haben gegessen. Es ist alles in bester Stimmung – M ATTHIAS So? Richtig! Schick mir die eine Frau heraus! Aber sag nicht, wer sie erwartet! D IENER Welche? M ATTHIAS Die Blonde! D IENER (ab) M ATTHIAS (allein – der G RAF kommt) G RAF Majestät! (Begrüssung) B LONDE (kommt) M ATTHIAS Lass uns allein! G RAF (ab) M ATTHIAS – B LONDE B LONDE Ihr seid so gescheit! Zu gescheit! Ihr könnt nicht lieben! – Nein, ich will niemehr einen Diener, ich will höher hinaus! Ich könnt die Höheren vielleicht nicht lieben, aber ich will sie ausnützen! (Matthias nähert sich ihr, sie ist für ihn das Land, das Blut und der Boden; Blonde ab – mit dem Versprechen auf Wiedersehen!) M ATTHIAS (allein; sieht sich um, geht dann vor den Spiegel, kämmt sich und betrachtet sich) Ein bisserl bin ich halt zu klein – T HOMAS (kommt leise angeschlichen) M ATTHIAS (fährt herum) Halt! T HOMAS Um Gottes Willen! M ATTH Wer bist Du? Was suchst Du? T HOMAS Ich bin der Wirt vom Einhorn in Hermannstadt und ich suche die Frauen von Selischtje, d.h. eine von ihnen, eine Bestimmte – N B

N

B

10

B

15

20

B

25

N

N B

B

N

N

B

30

35

B

7 7 9 12

B

12–28

B

24–26 24 28 35

B

N

M ATTHIAS N ] Ich f verspätet.N ] BPunktN ] BM ATTHIAS f Richtig!N ] B

Schick f Wiedersehen!)N ]

B LONDE f ausnützen!N ] Ihr f lieben!N ] BWiedersehen!)N ] BIchN ] B

NN

[Die Frauen sind] |M ATTHIAS | [Ich hab] [|(vor dem Spiegel; richtet sich die Haare)|] |Ich f verspätet.| [{u}] |Punkt| [(„Au“-Rufe {nebenan})] M ATTHIAS Was soll das? G ARDIST (kommt mit Thomas)] |M ATTHIAS f Richtig!| (1) [Verschwind!] D IENER (ab) (2) Schick f Wiedersehen!) [\B LONDE Ihr seid/] |B LONDE f ausnützen!| \Ihr f lieben!/ korrigiert aus: Wiedersehen! [Ich] |Ich|

318

Fragmentarische Fassung des 5. Bildes

K2/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

M ATTH Soso – T HOMAS Wer sind Sie? M ATTH Ich? Ich, ja ich bin hier nur ein Diener – welche suchst Du denn? Die Blonde? T HOMAS Nein, die Schwarze. 얍 M ATTH Also die, die such nur ruhig weiter. T HOMAS Ich bin nämlich schon halbverrückt vor Angst! M ATTH Warum? T HOMAS Die Schwarze ist nämlich meine Braut – M ATTH Ach! Ich dachte in Selischtje gibts keine Männer – T HOMAS Ich bin auch nicht aus Selischtje – und übrigens: ich hab sie erst auf der Fahrt hierher kennengelernt und mich sofort verliebt, tötlich verliebt – und jetzt hier: ich halt das nicht aus! Was bin ich neben dem König?! Nichts! Der König muss nur winken und schon hat er alle Weiber! M ATTH Glaubst Du? T HOMAS Ja. Für einen König ist das garkeine Kunst, aber für einen Wirt, der mit der Pleite kämpft, für den ja! M ATTH Meinst Du? – Auch für einen König ist es eine Kunst, denn es lieben ihn alle nur als König und er weiss nie, welche ihn lieben würde, wenn er kein König wär – T HOMAS Ja, das schon. Aber das ist wurscht! Liebe ist Liebe! Sag: was ist der König eigentlich für ein Mensch? M ATTH Nun, ganz sympathisch. T HOMAS Wirkt er auf Frauen? M ATTH Nun – das weiss ich nicht. Eher nein. Weisst Du, der König kommt so selten zu Frauen, er ist ja fast immer im Krieg – T HOMAS Jaja, das stimmt. M ATTH Bei dem König ist das überhaupt so: er nimmt eine Frau und Schluss. So richtig geliebt hat er noch nie und er kann sichs garnicht vorstellen. 얍 T HOMAS Wieso? M ATTH Er kommt nicht dazu. B ADER (kommt und erblickt Thomas) Was? Du bist schon wieder da? Na servus! Du wirst uns noch alles vermasseln! B

N

B

5

10

N

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 20

B

N

B

15

20

25

B

B

30

N

N

BN

B

35

N

N

Dafür hab ich die Kollektion zusammengesucht – (ab) M ATTH Die Kollektion?

M ATTH – T HOMAS (Thomas besticht ihn – er erfährt den Tatbestand) B

40

1 3 11–12 13 20 27 30 31 39

Soso –N ] Die Blonde?N ] Bund f aus!N ] BwinkenN ] BAber f Liebe!N ] BM ATTH N ] BN] Bund f Thomas)N ] B– er f Tatbestand)N ] B B

[Die Blond] |Soso –| [T HOM ] [|T HOMAS |] |Die Blonde?| [Sag mal:] |und f aus!| [winken,] |winken| \Aber f Liebe!/ [Aber trotzdem kann er] |M ATTH | [Also: auf Wiedersehn! Ich muss jetzt in den Saal! (ab)] [)] |und f Thomas)| [)] |– er f Tatbestand)|

319

N

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 21

Fragmentarische Fassung des 5. Bildes

K2/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

D IE G ÄSTE MIT DEN W EIBERN UND DEM G RAFEN (kommen heraus) (Die Weiber und Bader und Thomas erfahren nun, dass der Diener SM war –) 5

M ATTHIAS (verheiratet nun Thomas und die Schwarze) er fragt: die Braune, wen sie will – sie wählt den Grafen. die Blonde wählt Matthias. 10

K ÖNIG (zum Grafen) Das Muster ist wirklich {wunderbar}, und Du verlierst Deinen Kopf. (Vorhang)

320

Fragmentarische Fassung des VI. Bildes

K2/TS2 (Grundschicht)

얍 VI. Bild.

5

Lesetext

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 26

B LONDE – M ATTH B LONDE Seit Ihr mich kennt, führt Ihr weniger Kriege – M ATTH Das hängt auch vom Sultan ab. B LONDE Das hängt vielleicht alles zusammen. \Abbruch der Bearbeitung\

321

Fragmentarische Fassung

K2/TS3 (Korrerkturschicht)

Lesetext

얍 B M ATTH N Also mit der Schwarzen wirst Du nichts anfangen! Die steht unter meinem Schutz! H OFB Aber Majestät, Ihr interessiert Euch doch garnicht für die BSchwarze!N M ATTH Trotzdem! 5 M ATTH Schick mir die Rote heraus! H OFB Die Rote? BDas geht nicht. Sie liegt unterm Tisch.N Ich hatte recht. Sie hat einen Schwipps und hat von mir Geld verlangt – M ATTH Geld? B H OFB N Sie ist betrunken. B BN 10 Aber ich schick Euch die Blonde heraus!N B LONDE (kommt) Wo ist der König? M ATTH Der König? Ich weiss nicht – B M ATTH Ihr seid garnicht aus Selischtje, was? B LONDE (erschrickt) 15 M ATTH BEs wird schon nichts geschehen.N N B B LONDE Das einzige, was mir leid tut, ist, dass ich ihm nicht offen sagen kann, dass ich nicht aus Selischtje bin.N

1 3 6 9 10 10 13–15 15 16–17

B

M ATTH N ]

Schwarze!N ] Das f Tisch.N ] BH OFB N ] BAber f heraus!N ] BN] BM ATTH f geschehen.N ] BEs f geschehen.N ] BB LONDE f bin.N ] B B

(1) H OFBEAMTER (2) M ATTH

[Rote] |Schwarze!| \Das f Tisch./ \H OFB / [Der Alte gibt] |Aber f heraus!| gestrichen: H OFB \M ATTH f geschehen./ [Ich werd dem K{ö}] |Esf geschehen.| \B LONDE f bin./

322

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 26

Fragmentarische Fassung

K2/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

10

15

20

25

30

얍 H AUPTMANN Er BistN im letzten Moment aufgehalten worden – irgendeine dringende Botschaft vom BSultan,N jetzt ist eine Konferenz. Es wird BsichN aber BwahrscheinlichN nur Bdie diplomatische Aktivität erhöhen, obwohl dem Sultan nur die Faust imponiert – die gepanzerte Faust!N Pardon, Graf, ich geh jetzt zu den Damen – Ihr kommt nicht mit? G RAF BSofort!N Ich will nur noch ein bisschen diese BLuftN – B H AUPTMANN Natürlich, wenn man im {Spielsaal} lebt! Pardon! (ab)N G RAF (zum BLakaiN) Wenn Du die BBlondeN B N siehst, sag BihrN, sie möcht einen Moment B herausN – zu mir. B L AKAI N Sehr wohl, Herr Graf! (ab) G RAF (lauscht plötzlich in die Nacht) Hallo! Wer steckt denn dort hinter dem Busch? Dort ist doch jemand – R OTE (kommt) Herr Graf wünschen? G RAF Ah, Du bists! Was willst Du? R OTE Ihr habt meine BKolleginN BrufenN lassen, die Blonde, aber die hat mich geschickt, Ihr sollt es mir sagen, was Ihr ihr zu sagen hättet. (Stille) G RAF Sag ihr: ich hätte ihr nichts mehr zu sagen. R OTE Geh das ist doch nicht wahr! G RAF Ja. (Stille) R OTE (sieht sich um) Schön ist es hier. G RAF Ja. R OTE Schöner schon, wie in einem Badhaus. (Stille) R OTE Was rauscht denn da so? Ein Fluss? G RAF Nein. Der Wald. (Stille) R OTE Jetzt hats BheutN abend geregnet, aber die Nacht ist schön. Es kam zwar nichtmehr die Sonne, aber die Sterne. 얍 G RAF Also bitte, werd nur nicht Blyrisch!N Das passt zu Dir, wie die Faust aufs Aug! 2 3 3 3–4 4–5 7 7 8 9 9 9 9 10 11 16 16 30 32

istN ] Sultan,N ] BsichN ] BwahrscheinlichN ] Bdie f Faust!N ] BSofort!N ] BLuftN ] BH AUPTMANN f ab)N ] BLakaiN ] BBlondeN ] BN] BihrN ] BherausN ] BL AKAI N ] BKolleginN ] BrufenN ] BheutN ] Blyrisch!N ] B B

[{ha}] |ist| Sultan[.]|,| [Aber] \sich/ \wahrscheinlich/ [eine] |die| diplomatische [Aktion geben.] |Aktivität f Faust!| [Nein danke!] |Sofort!| [{Lu}] |Luft| [H AUPTMANN (ab)] |H AUPTMANN f ab)| [Diener] |Lakai| [b]|B|londe [Frau] [ihr] |ihr| heraus[!] [D IENER ] |L AKAI | [her] |Kollegin| [ge] |rufen| [den] |heut| [poetisch?] [|lyrisch!|] |lyrisch!|

323

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 22

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 23

Fragmentarische Fassung

K2/TS4 (Korrekturschicht)

Lesetext

R OTE Ich werd immer lyrisch, wenn ich mal in der Nacht in Gottes freier Natur bin. R OTE Wo ist der König? Das hab ich mir auch anders vorgestellt – so eine Langeweile! Der alte Hauptmann und sonst nichts!

324

325

Konfigurationsplan mit Notizen und Dialogskizzen

326

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 23

Konfigurationsplan mit Notizen und Dialogskizzen

327

K2/E6

Lesetext

Konfigurationsplan mit Notizen und Dialogskizzen (Fortsetzung)

328

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 24

Konfigurationsplan mit Notizen und Dialogskizzen (Fortsetzung)

329

K2/E6

Lesetext

Konfigurationsplan mit Notizen und Dialogskizzen (Fortsetzung)

330

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 25

Konfigurationsplan mit Notizen und Dialogskizzen (Fortsetzung)

331

K2/E6

Lesetext

Konfigurationsplan, Dialogskizzen

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 30

332

Konfigurationsplan, Dialogskizzen

K2/E7–E9

333

Lesetext

Fragmentarische Fassung des 5. Bildes

5

10

15

20

25

30

35

K2/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 5. Bild. Vor dem Jagdschloss. BTerasseN. Eingangstüre. Tiefe Nacht, die Fenster sind erleuchtet. Rechts und links eine Bank. Aus dem Schloss tönt Zigeunermusik. B D ER B OTE (der die Frauen {abgeholt} hat) – DER B2.N G ARDIST (auf Wach) – DER B OTE Es geht hoch her – B G ARDIST N Die Weiber sind ja auch tulli. B OTE Lavaratutti! Sie essen drinnen, Du hättest das sehen sollen – alle sind schon alkoholisiert – und Witze werden erzählt, sie sind schon bei den Witzen, fein sinds ja grad nicht – (Pause) G ARDIST Glaubst Du, dass das Bäuerinnen sind? B OTE BWer?N G ARDIST Ich sags Dir: das sind keine! Da steckt ein Betrug dahinter! Aber die merken ja nichts! Weil sie nicht wissen, wie das Volk aussieht – B B OTE N Bin nur gespannt, obs der König merkt – G ARDIST Der merkt es sicher! B OTE Wo steckt er denn solange? G ARDIST Er hat plötzlich irgendeine Konferenz und kommt später. Mir scheint, der Sultan wird wieder frech. (Pause) B OTE Manchmal frag ich mich, ob wir nicht nochmal alle Mohammedaner werden. G ARDIST Warum nicht? B OTE Möchst Du so viele Weiber haben? Ich nicht! Mir genügt die Meine! G ARDIST Ich hab garkeine. Als Gardist kann ich nicht heiraten – der Lohn reicht nicht aus, nicht für eine! Von mir aus könnten die Türken kommen! B OTE Von mir aus auch! B N N B H OFBEAMTER UND H AUPTMANN N (kommen Bheraus; sie sind Bein bisserlN alkoholisiert)N B H AUPTMANN N Jetzt sags aber, auf Ehr und Seligkeit! Welche gefällt Dir am besten? Die Blonde, die Schwarze, die Rote? H OFBEAMTER Alle drei. H AUPTMANN Aber! Ein Mensch muss sich entscheiden können! H OFBEAMTER Ich bin kein Mensch. H AUPTMANN Ah, das ist aber etwas ganz Neues! H OFBEAMTER Ich bin ein BreissendesN Tier – H AUPTMANN Sei so gut! Also mir gefällt die Rote. H OFBEAMTER Na und? 2 4–26 4 6 12 15 26 27 27–28 27 29 35

B

gemeint ist: Terrasse

B

TerasseN ] D ER f auch!N ] B2.N ] BG ARDIST N ] BWer?N ] BB OTE N ] BN] BH OFBEAMTER f H AUPTMANN N ] Bheraus; f alkoholisiert)N ] Bein bisserlN ] BH AUPTMANN N ] BreissendesN ]

\D ER f auch!/ \2./ [W ACH ] |G ARDIST | [Das? Nein.] |Wer?| \B OTE / [(Pause)] [Auf der einen] |H OFBEAMTER f H AUPTMANN | heraus[)] |;| \sie f alkoholisiert)/ [etwas] |ein bisserl| [H OFBEAMTER ] |H AUPTMANN | [{reiss}] |reissendes|

334

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 29

Fragmentarische Fassung des 5. Bildes

5

10

15

K2/TS5 (Korrekturschicht)

Lesetext

H AUPTMANN Aber das sind komische Bäuerinnen! Sie hat mich gefragt, was sie von mir bekommt – H OFBEAMTER Sie hat Geld verlangt, verständlich – bei der Notlage des Volkes. Es ist eben alles demoralisiert –! H AUPTMANN Komm! H OFBEAMTER Ich möcht nur ein bisserl frische Luft – H AUPTMANN (ab) (Pause) H OFBEAMTER (zum Gardist) Geh schlafen! G ARDIST (ab) H OFB (allein) R OTE (kommt) H OFB Endlich! R OTE Na. Und das Geld? H OFB Du verlangst Geld? R OTE Ja. Ich hab das noch nie in meinem Leben ohne Geld – ich bin doch nicht blöd! (ab) H OFBEAMTER – M AJESTÄT B

N

\Abbruch der Bearbeitung\

16

B

IchN ]

[{Das}] |Ich|

335

Fragmentarische Fassung

K2/TS6 (Grundschicht)

얍 M AGD Und der Herr brauchen garnichts? T HOMAS Nein. D ICKER (zu Thomas) Du {isst} garnichts? T HOMAS Nein. Du weisst doch, ich bin verlobt. 5

\Abbruch der Bearbeitung\

336

Lesetext

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 35

Fragmentarische Fassung

K2/TS7 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

10

15

20

얍 G RAF BGottseidank!N B LONDE Na also! (Stille) B LONDE Warum hast Du mich denn BeigentlichN geheiratet? Nur weil ich ein armes Mädchen war? Nur weil ich keine Verwandten hatte? Oder? B G RAF Das weisst Du genau. Weil Du einem verfluchten Geschlecht angehörst, drum rühr ich Dich nicht an! B LONDE Glaubst Du daran? G RAF Ja! BWasN verflucht ist, gedeiht nicht! Du hast es mir verschwiegen, dass Ihr verflucht seid! (Stille) B LONDE Wir sind verflucht, weil mein Grossvater mütterlicherseits Mohammedaner wurde. Kann ich dafür? ! G RAF Das ist egal! Und der Vater? B LONDE Der Vater Bsagte, dass die Erde sich um die Sonne dreht – G RAF Na siehst Du!N G RAF Und die BTanteN? B LONDE Die BTanteN wurde als Hexe verbrannt. G RAF Na siehst Du! Genügt denn das nicht? B LONDE Nein! Denn was hab ich damit zu tun! Nichts! G RAF Du bist der Spross! Und Du hast mir die Vergangenheit Deiner {Vorfahren} verheimlicht! 2 5 7–338,2

Gottseidank!N ] eigentlichN ] BG RAF f aus.N ] B B

10 16–17

B

18 19

B

B

B

WasN ] sagte f Du!N ] TanteN ] TanteN ]

Gottseidank\!/ [hoffentlich keine Seel!] \eigentlich/ (1) G RAF Wenn ichs mir heute überlege, so war es nur Mitleid. B LONDE Hast mich nur geheiratet, weil ich einem verfluchten Geschlecht angehört hab? Aber was kann denn ich dafür, dass mein Geschlecht verflucht ist?! Dass alle starben, das nichts gedieh? Du hast das alles gewusst! Du hast es gewusst, dass wir verflucht waren, wie Du mich nahmst! G RAF Ja. Aber ich hoffte, dass ich es ändern könnte. B LONDE Ich weiss nicht, warum wir verflucht waren. Niemand gab mir Auskunft. Oder: wir waren verflucht, weil einer von uns mal einen König [umbringen wollte –] |umgebracht hat –| G RAF Das genügt ja. B LONDE Aber was kann ich dafür?! Ich?! Was weiss ich davon! Ich bin nur eine Frau, wie jede andere! G RAF Auch über [Dir] |Dir| lastet der Fluch. Du bringst Unglück – \B LONDE Dir?!/ mein Besitz ist nichtsmehr wert, seit ich Dich kenne – B LONDE Daran sind die Türken schuld! G RAF Aber dass überhaupt Türken da waren! || BLONDE Bin ich an den Türken schuld?! Zeichen ich verantwortlich für den Sultan?! G RAF [Nein.] Seit Du da bist, ist es so! [Ich hab es ja immer geahnt.] |Ich hab es ja immer [geahn] |geahnt!|| B LONDE Drum [ge]|kam| es auch so! Warum hast mich {dann} geheiratet? \(Stille)/ G RAF Du hast mich behext. – (Du bekommst auch kein Kind) (2) \G RAF f aus./ [{Hä}] |Was| (1) [wollt mal den König umbringen], weil der König mit Unrecht König war. (2) sagte f Du! [Mutter][|Tante|] |Tante| [Mutter] |Tante|

337

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 32

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 33

Fragmentarische Fassung

K2/TS7 (Korrekturschicht)

B LONDE Ich hatte nichts mit ihnen zu tun. G RAF Als ich dahinterkam, wars natürlich aus. \Abbruch der Bearbeitung\

338

N

Lesetext

339

Dialogskizze und Notiz zum V. Bild

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 33

340

Dialogskizze und Notiz zum V. Bild

K2/E10

341

Lesetext

Fragmentarische Fassung des 5. Bildes

K2/TS8 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 5. Bild.

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 31

B LONDE Warum sind sie hässlich? Weil sie arbeiten! Die nicht arbeiten, sind hübsch! Lauter Huren! M ATTH Sei so gut! B LONDE Ich werds doch wissen! M ATTH In Selischtje? (Stille) B LONDE Auch in Selischtje. (Stille) M ATTH Du hast so einen schönen Mund – B LONDE Das hat schon mancher gesagt! M ATTH Du bist überhaupt so einladend – B LONDE Ich sehe gerne Gäste. Aber nur die, die mir gefallen – – Wie sieht denn der König aus? M ATTH Na, soweit ganz sympathisch. B LONDE Ist er gross? M ATTH Ja. So gross – ungefähr so, wie ich. (er zeigt) B LONDE Das nennst Du gross! M ATTH Nicht gross? B LONDE Ihr seid doch eher untersetzt. Im besten Fall mittel. M AJ Kann ich aber nicht finden – B LONDE Selber kennt man sich nie aus, wie gross oder klein man ist! (Stille) B LONDE Wenn ich in der Früh aufsteh, sing ich immer. B

B

5

NN

B

B B

10

N

N

B

N

B

B

15

N

N

B

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20

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3–4 4 6 7–25

8 11 12 13 18 19 21 22

Die f Huren!N ] Lauter Huren!N ] BIch f wissen!N ] BM ATTH f immer.N ] B B

(Stille)N ] einen f Mund –N ] Bgesagt!N ] BbistN ] Bungefähr f ich.N ] Bnennst DuN ] Buntersetzt.N ] BM AJ f finden –N ] B B

[M ATTHIAS ] |Die f Huren!| [Lauter Huren!] |Lauter Huren!| \Ich f wissen!/ (1) Gib auch den Hässlichen Männer! (Stille) M ATTH Den [h]|H|ässlichen kann ich keine geben, das wär eine schlechte Belohnung – dass sie hässlich sind, das sind metaphysische Zusammenhänge – vielleicht büssen sie für irgendwas und werden dann im Jenseits belohnt – B LONDE Sprüch! M ATTH Auf alle Fälle [ist] |sind| es keine Sprüch, wenn ich sage, dass man die Soldaten dort nicht ansiedeln kann. B LONDE Aber Majestät! M ATTH „Majestät“? [Ihr wisst es] (Stille) M ATTH Ihr wisst es also, wer ich bin? Blonde Ja. M ATTH [Und]|Und| ich hab gedacht, Ihr wüsstet es nicht. B LONDE So? – Ich muss Euch heilen. Ihr werdet weniger Kriege führen – M ATTH Das hängt vom Sultan ab. B LONDE Auch der Sultan wird weniger Kriege führen, wenn ich Euch liebe. (2) M ATTH f immer. [{J}] |(Stille)| [schöne Be] |einen f Mund –| gesagt[–]|!| [hast] |bist| [\so,/] |ungefähr f ich.| [ist doch nicht] |nennst Du| [klein.] |untersetzt.| [B LONDE ] |M AJ f finden –|

342

Fragmentarische Fassung des VII. Bildes

K2/TS9 (Grundschicht)

Lesetext

얍 VII. Bild.

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 34

Vor dem Bürgermeisteramt. 5

G RAF Ich bin pleite. B ADER Dafür könnt Ihr jetzt ruhig {leben}. Ihr habt Euren Kopf. G RAF Von meinem Kopf kann ich nicht leben. B ADER Pech! G RAF Ich bin zugrundegerichtet. Dreihundert schöne Frauen zu finden, die man alle hier ansiedelt – die Hässlichen alle weg, nur damit man den Kopf behält, – das kostet Geld! Wie teuer die Weiber sind! B ADER Die schönen Weiber, die schönen! Ihr hättet ja auch nur Hübsche nehmen können! G RAF Ich werd mich hüten, wos um meinen Kopf geht! Aber nicht genug die Weiber – jetzt noch das! B ADER 500 Mann werden genügen! G RAF 500! Dann bin ich ganz pleite! B ADER Aber seit es sich herumgesprochen hat, dass wir die Schönen haben, ist es nicht mehr zum aushalten! 1000-ende Männer wollen eindringen! Ihr müsst eine Armee aufstellen – zum Schutz! G RAF Es geschieht mir ganz recht. Das ist alles der Fluch. B ADER Was für Fluch? G RAF Du weisst, meine Frau ist verflucht! B ADER Quatsch! Ich glaub an keinen Fluch. Jetzt ist sie beim König und es geht ihr prima! G RAF Ihr schon, aber dem König? (Stille) B ADER Ist eigentlich Euere Ehe schon getrennt? G RAF Ja. Sie wurde für ungültig erklärt. B ADER Warum? G RAF Weil ich mich weigerte, meinen ehelichen Pflichten nachzukommen. Mit einer Verfluchten! B ADER Also daran glaub ich nicht. Ich hatte mal eine Badmagd, die war auch verflucht und machte die besten Geschäfte. Heut ist sie eine Baronin mit 100 {Joch}. B

N

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6 6 7 16 24

könnt f IhrN ] ] BkannN ] Bwerden genügen!N ] BIch f Fluch.N ]

N

B

\könnt f Ihr/

BN

gestrichen: Ihr

[{ka}] |kann| [ge] |werden genügen!| \Ich f Fluch./

343

BN

Konfigurationsplan mit Repliken und Dialogskizzen

344

ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 34

Konfigurationsplan mit Repliken und Dialogskizzen

345

K2/E11

Lesetext

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

K2/TS10 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

얍 und das Z! (er ruft) Wo bleibt mein BKürbisN?!

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 1

B N B

5

B ADMAGD (kommt) Ist schon da! D ICKER Und wo bleibt der Bader?! Er soll mich doch schröpfen! B ADM Ist schon da! B ADHUR Man muss mit den Frauen arbeiten, Herr Thomas! Und ich kann Dir sagen, Du hast hier in Herrmannstadt ein schönes Wirtshaus, und das war berühmt in ganz Siebenbürgen -- es gab prima zum essen, zum trinken -- Ehre, wem Ehre gebührt! -- Aber es war auch berühmt , weil Du immer die feschesten Kellnerinnen gehabt hast, aber jetzt? Mein lieber Thomas, seit Du nurmehr Kellner hast, seh ich etwas düster. T HOMAS Seit ich verlobt bin, hab ich alle Kellnerinnen entlassen. Meine Braut soll ein reines Haus betreten. D ICKER Und ich sag Dir, seit Du Kellner hast, geht Dein Gasthaus nimmer so gut -T HOMAS Möglich. Aber ich bleib dabei! D ICKER Du bist weltfremd! Herr Thomas, weltfremd! T HOMAS Ich war es, aber seit ich meine Braut kenne, bin ich es nichtmehr. Sie hat in mir alle gute Instinkte gelöst -- es ist wahr, mein Gasthaus geht nichtmehr so gut und ich habe Sorgen. Ich bräucht ein Kredit dringend -D ICKER Ohne Kellnerinnen gibts keinen Kredit. T HOMAS Dann geh ich lieber zugrund, aber meine Braut soll ein reines Heim haben! D ICKER Die wird garkein Heim haben! T HOMAS Dann werden wir auf der Strasse leben und sie bleibt bei mir. D ICKER Liebt sie Dich denn gar so? T HOMAS Irrsinnig, Sie liebt mich irrsinnig. D ICKER Aber ohne Gasthaus? T HOMAS Sie hat doch mich -- und das genügt. D ICKER Na! (Stille) D ICKER Warum kommt denn Deine Braut nie hierher nach Herrmannstadt 얍 zu uns? T HOMAS Weil ich es nicht haben möchte. D ICKER Warum denn nicht? T HOMAS Weil ich es nicht vertrag, dass sie so angeglotzt wird -D ICKER Wer soll sie schon anglotzen? T HOMAS Oho! Sie ist wunderschön. D ICKER Aha! Und Du bist so eifersüchtig? T HOMAS Ja. Ich bins halt, da kann man nichts machen, dagegen ist kein Kraut gewachsen -N

N

B

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B

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2 3 4–6 7 10 11 11 12 13 17 21

KürbisN ] ] BB ADMAGD f da!N ] BB ADHUR f Thomas!N ] Bauch berühmtN ] Bhast,N ] BnurmehrN ] Bdüster.N ] BKellnerinnenN ] BHerr f weltfremd!N ] Bgibts keinenN ] B

BN

N

N

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N

[Kraut] |Kürbis| gestrichen: T HOMAS [Und ich kann Dir sagen, ich hasse diese Weiberwirtschaft!] |B ADMAGD f da!| [D ICKER ] |B ADHUR f Thomas!| korrigiert aus: auch berühmt korrigiert aus: hast , korrigiert aus: nurm hr korrigiert aus: düster . korrigiert aus: Kellnerinen [Wo bleibt mein Kraut?!] |Herr f weltfremd!| korrigiert aus: gibtskeinen

346

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 2

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

5

K2/TS10 (Korrekturschicht)

D ICKER Kraut? (er ruft) Wo bleibt mein Kraut?! B ADMAGD (kommt mit dem Kraut) Hier. D ICKER Danke, Putzi! M AGD (zu T HOMAS ) Und der Herr nehmen noch immer nichts? T HOMAS Nein. M AGD Das kann ich begreifen, denn Ihre Braut ist ja wunderschön. T HOMAS Woher wissen denn Sie das? M AGD Weil ich sie kenne. Ich kenne sie sogar sehr gut. A LLE (perplex) D ICKER Na servus! T HOMAS Sie kennen sie? Woher? M AGD Sie ist doch die Tochter des Jägers Vancura aus Rotkirchen? T HOMAS Ja. M AGD Brünett? T HOMAS Ja. Woher kennen Sie sie? M AGD Wir waren zusammen angestellt. T HOMAS Angestellt? Mich trifft der Schlag! Wo, wo wart Ihr angestellt?! In so einem Badhaus?! M AGD Aber nein, Herr Thomas! Ich war auch mal in Rotkirchen und wir haben zusammen bei einem Gärtner gearbeitet -- ja, ihr Vater war Jäger, der meine war unbekannt -- und so sind wir auseinandergekommen -- sie war zwölf, ich elf -sie hat 얍 sich mit Ihnen verlobt und ich bedien Sie hier -- was darf ich dem Herrn bringen? Noch immer nichts? T HOMAS Eine Tasse Tee. M AGD (ab) Mit Rum? T HOMAS Nein. M AGD Nichtmal das -- (ab) B

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D ICKER He! Wo bleibt der Bader?! Er soll mich schröpfen! B ADER (kommt mit den Schröpftöpfen aus dem Hintergrunde) Bin schon da, bin schon da! (zum {Bärtigen}) Habe die Ehre, Herr Sedlacek! (zum Dürren) Herr Prohaska! Ah, Herr Thomas! Seiens mir nicht bös, Herr Sedlacek, dass ich mich etwas verspätet hab -- ich hab aber unerwartet hohen Besuch bekommen -- und ich musst ihn ein bisserl behandeln, auffrischen, regenerieren, schon allein von der langen Reise von der Hauptstadt bis zu uns -D ICKER Wer ist es denn? B ADER Unser Herr Graf. D ICKER Ah da schau her! Herr Graf sind wieder in Hermannstadt? B

B

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35

Lesetext

B

8 11 20

B

21 32–33 32–33 39 39

B

N

N BN

sogar sehrN ] sie?N ] BihrN ] B

wir auseinandergekommenN ] (zum f Thomas!N ] B(zum f Prohaska!N ] BAh f her!N ] BN] B

korrigiert aus: sogarsehr korrigiert aus: sie ? (1) sie (2) ihr korrigiert aus: wirauseinandergekommen

\(zum f Thomas!/ \(zum f Prohaska!/ [Was?] |Ah f her!| [Der]

347

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 3

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

K2/TS10 (Korrekturschicht)

B ADER Ja. Seit gestern. -D ICKER Dass der sich auch wieder zuhaus blicken lässt bei uns in Siebenbürgen -- was erzählt er denn Neues? Was machen die Türken, wie gehts dem König? B ADER Ich weiss nichts. Er war ziemlich wortkarg, der Herr Graf – er scheint Sorgen zu haben -D ICKER Kann ich mir vorstellen! Der Riesenbesitz -- aber, wenn man näher hinschaut, ist Dein Besitz , Thomas, mehr wert, wie der seine! Dein Wirtshaus ist mir hint lieber wie sein ganzes Fideikommiss vorn! T HOMAS Beruhig Dich, ich bräucht auch Kredite! D ICKER Wer heutzutag nicht? T HOMAS Der, der dich grad schröpft. Der Bader. B ADER Nanana! Wenn mich der Magistrat weiter so verfolgt, es schaut schon aus, als hätt ich kein reelles Geschäft -B

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N B

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5

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Lesetext

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\Textverlust\ 15

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얍 G RAF Von mir aus. B ADER Das ist aber nicht so einfach. Mitfahren schon, aber er muss sich verpflichten, dass er sich nicht als Bräutigam benimmt -- die drei Frauen müssen doch männerlos sein -- nicht? T HOM Ahso. Schön. Aber ich möcht halt nur immer dabei sein. G RAF Gut! Deiner Braut wird nichts geschehen -- Hand darauf! T HOM (gibt die Hand) Und den Kredit -G RAF BHol ihnN Dir heut ab! B ADER Abgemacht! T HOM Darf ich mich nun wieder in meine Wanne zurückziehen? B ADER Bitte-bitte! T HOM (steigt wieder in die Wanne, unterstützt von einer Badmagd) G RAF Das ging ja famos. B ADER Und die anderen zwei treib ich auch auf -- garantiert! Ich treib Euch drei Venusse auf! Aber jetzt stell ich auch eine Bedingung: ich darf sie nach der Haupt-

1 2 2 2 2 3 4 4 4 6 6 7 7–8 8 9 9 9 10 11 12 22

Seit gestern.N ] auch wiederN ] BN] BlässtN ] Bbei f SiebenbürgenN ] BTürken f demN ] BIch f nichts.N ] BwarN ] Bder f Graf –N ] Bvorstellen! DerN ] Baber,N ] BBesitzN ] B B

der f vorn!N ] hintN ] BBeruhig f ichN ] BauchN ] BKredite!N ] BWer f nicht?N ] BDer f Bader.N ] Bverfolgt,N ] BHol ihnN ] B B

[Zwei Jahr war er jetzt fort,] [s]|S|eit gestern\./ [ist er wieder da] auch[mal] \wieder/ [bei uns] [|in S|] lässt[\,/] \bei f Siebenbürgen/ Türken\,/ [und der] |wie f dem| \Ich f nichts./ [ist] |war| \der f Graf[,] |–|/ vorstellen[,]|!| [ein Riesengut] |Der| aber\,/ (1) [Besitz] (2) \Wirtshaus/ [\der/ seine[r]!] [|all seine Schlös|] |der f vorn!| \hint/ [Aber!] |Beruhig Dich,| [I]|i|ch [{a}] |a|uch Kredit[i]|e!| [Den brauch ich auch.] [|Wer heutzutage|] [|Ich auch.|] |Wer f nicht?| Der\,/ [Bader ist der einzige, der keinen braucht --] |der f Bader.| korrigiert aus: verfolgt , korrigiert aus: Holihn

348

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 4

Fragmentarische Fassung des 2. Bildes

5

K2/TS10 (Korrekturschicht)

stadt bringen, ich möcht schon so gern in die Residenz und den König sehen, und gar, wenn ich vielleicht mit ihm sprechen könnt sogar -G RAF Schön, bring Du sie! B ADER Sie können beruhigt abreisen, Herr Graf! Ich werde alles erledigen -- und nur noch eines: Herr Graf, der Magistrat macht mir solche Schwierigkeiten, ich bin doch ein anständiger Geschäftsmann, immer kommen neue Vorschriften, helfen Sie mir, Herr Graf, redens mal mit den Senatoren -G RAF Gern. Was gibts denn? B ADER Da habens jetzt wieder so eine neue Vorschrift erlassen: (er zieht ein Dekret aus seiner Tasch und liest ) „Kein Mann soll in ein Badehaus hineingezogen oder hineingelockt werden“ -- Also das ist doch wirklich Schikan! B

N

B

10

Lesetext

N

B

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(Vorhang)

7 9–10 11 11

B B

B B

SenatorenN ] zieht f liestN ]

korrigiert aus: Senaotoren (1) liest von einem Papier (2) zieht f liest

istN ] Schikan!N ]

[geht] |ist| [nicht] |Schikan!|

349

B

N

Fragmentarische Fassung

K2/TS11 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\



B N

B LONDE (fällt ihm ins Wort) Es wird mich niemand erkennen, da es ja niemand weiss, dass ich Deine Frau bin -- ja, ich glaube, es weiss hier überhaupt niemand, dass Du verheiratet bist -G RAF Gottseidank! Eine Gräfin von Hermannstadt! (Stille) B LONDE Wie eitel Du bist -G RAF Eitel? B LONDE (herrscht ihn plötzlich unterdrückt an) Ja, ich habe Dich betrogen! Ich habe Dich betrogen, zwei Wochen nach unserer Hochzeit, mit Deinem Kutscher, jawohl -- jawohl! Mit Deinem Kutscher! G RAF Bist noch stolz darauf, was? B LONDE Nein! Aber Du wolltest, dass ich Dir täglich zehnmal danke, dass ich eine Gräfin von Hermannstadt sein darf -G RAF Das ist nicht wahr! B LONDE Doch, doch -- belüg Dich nur nicht selber! Du konntest ja alles mit mir machen ! Wer war ich denn?! Wo kam ich denn her?! Ich hatte ja keine Familie, die mich beschützt hätte -- was war ich denn?! G RAF Still! B LONDE Schön, dann sag ichs leise: ich war eine Kellnerin. G RAF Das ist nicht wahr! Du warst eine Marketenderin! B LONDE Du hast eine Kellnerin geheiratet, hörst Du? Du hast sie in aller Stille an den Altar geführt, im Morgengrauen – erinnerst Du Dich wie stark es geregnet hat? -- Ich habs Dir immer gesagt, heirat mich nicht, tus nicht, tus nicht, aber Du hast es getan. G RAF Du hast mich behext. B LONDE Willst mich auch noch auf den Scheiterhaufen bringen? Nein, ich hatte nichts mit dem Teufel -B

5

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B B

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2 5 6 10 10–11 14 17 17–18 18 19 21 21 22 23 23 23 23–25 24 25 25 28 28

] bist --N ] BEine f Hermannstadt!N ] BhabeN ] BhabeN ] BN] BallesN ] BmachenN ] BWer f her?!N ] BN] Bich warN ] BKellnerin.N ] BG RAF f Marketenderin!N ] BB LONDE N ] BKellnerinN ] Bhörst f sieN ] Ban f hat?N ] Bwie starkN ] BIch f immerN ] Bheirat f nicht,N ] Bauch nochN ] BN]

B

B

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BN

[\V/]

B

korrigiert aus: bist -\Eine f Hermannstadt!/ hab\e/ hab\e/ [Auf einen eroberten Mann pflege ich nicht stolz zu sein!] \alles/ machen[,] [was Du wolltest] [|je nach Lust und Laune!|] \Wer f her?!/ [Eine Badmagd --] \ich war/ [Badmagd.] |Kellnerin.| \G RAF f Marketenderin!/ eingefügt

[Badmagd] |Kellnerin| [\und wenn Du darüber zerspringst –/] |hörst f sie| \an f hat?/ [dass] |wie| \stark/ [und] [i]|I|ch hab\s/ Dir[s] \immer/ \heirat f nicht,/ \auch noch/ [\{ke}/]

350

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 7

Fragmentarische Fassung

K2/TS11 (Korrekturschicht)

G RAF (grinst) Seltsam! Möchte Deine Rasse nicht näher erforschen – B LONDE Es kommt nicht darauf an, welcher Rasse man angehört, sondern: ob man Rasse hat. (Stille) G RAF Dir trau ich alles zu. B LONDE (lächelt) Hoffentlich! (Stille) G RAF Tausendmal hab ich mich gefragt, warum Du mich betrogen hast! B

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BN

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B

Lesetext

B

N B

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\Textverlust\ 10

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얍 B ADER Gottlob! Der hätt uns nur aufgehalten! Also hurtig, hurtig! Ziehts Euch fertig an, los! Jeden Moment ist der Wagen da, die Equipage des Königs! S CHWARZE Mir gefällt der Graf eigentlich sehr gut. Eigentlich hab ich mir immer so einen Mann vorgestellt -R OTE Na neben BDeinemN Thomas ist er noch eine Schönheit -S CHWARZE Redens Sie nicht immer so über meinen Bräutigam! Ich verbitte mir das! R OTE Blöde Urschel! B ADER Ruhe! Ruhe! Fahren sich zu einem König und streiten sich herum! (Hornsignal) H OFWIRT (tritt links ein) Der Wagen ist da! Der Wagen! Und was für eine Equipage! B R OTE (am Fenster) {Lauter} Gold und Silber! B N S CHWARZE Das ist ja ein Märchen! B LONDE Vielleicht! (Vorhang)N

25

S CHWARZE (zur R OTEN ) Er will mir einen Keuschheitsgürtel umlegen -- nein, das geht nicht! R OTE Nein, ich bin eine moderne Frau!

(grinst f erforschen –N ] ] Bangehört,N ] Bsondern:N ] BG RAF f Stille)N ]

1 2 2 2 5–7

B

14 20–24

B

20

BN

BN

B

DeinemN ] R OTE f Vorhang)N ]

]

[Auf alle Fälle bist du eine feine Rasse --] |(grinst f erforschen –| [von] [|aus|] [kommt,] [|st|] |angehört,| sondern\:/ [\G RAF [Jetzt hätt ichs fast vergessen[!]|,| [Wie] warum {verhalf} ich eigentlich] |Was willst Du eigentlich beim König?|/] |G RAF f Stille)| korrigiert aus: deinem (1) [Lauter Gold und Silber!] |Sechs Schimmel ziehen den Wagen, mit {Vorreiter} und {Hinterreiter}! S CHWARZE | (Vorhang) (2) \R OTE f Vorhang)/ [Es ist eine Pracht]

351

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 8

Fragmentarische Fassung

K2/TS12 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

5

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얍 G RAF Gottseidank! Eine Gräfin von Hermannstadt -- (er grinst wegwerfend) B LONDE (fixiert ihn wild) Hör auf damit! „Gräfin“ hast Du gesagt? Ich bin doch nur Dein BSchooshundN, Dein BPintscherN, Dein Rattler, der sich zu Tod freuen soll über das hehre Glück, eine Gräfin von Hermannstadt sein zu dürfen! Was war ich denn schon?! Wo kam ich denn her?! Herr Graf durften sich ja alles mit mir erlauben, ich hatte keine blaue Familie, die mich beschützt hätt, ich hab ja nichtmal meine Mutter gekannt, geschweige denn meinen Vater -- was war ich denn, was war ich denn?! G RAF Still! B LONDE Schön, dann sag ichs leise: ich war eine Kellnerin. G RAF Das ist nicht wahr! Du warst eine Marketenderin! B LONDE Wie eitel Du bist -G RAF Eitel? B LONDE Du hast eine Kellnerin geheiratet, aber heut frag ich mich nur: warum? G RAF Weil Du Gräfin werden wolltest. B LONDE (ruhig) Lüg nicht. G RAF Lächerlich! B LONDE (herrscht ihn an) Zwischen uns ist nichts lächerlich! G RAF Allerdings. Vergiss es nur, bitte, nicht, dass Du mich betrogen hast. B LONDE Ich hab Dich betrogen, weil Du mich immer erniedrigt hast. G RAF Erniedrigt? B LONDE Tag und Nacht. Immer hast du gesagt, so sitzt man nicht, so steht man nicht, so isst man nicht, so trinkt man nicht, lach nicht so laut, grüss nicht so freundlich, 얍 das schickt sich nicht, das passt sich nicht, benimm Dich, begreifs doch endlich, dass Du eine Gräfin bist -- ja: und da hab ichs halt endlich begriffen und hab Dich betrogen. Mit Deinem Kutscher. G RAF (fällt ihr ins Wort) Das war kein Kutscher, das war mein Kammerherr! B LONDE Das war Dein Kutscher und sonst nichts! (Stille) G RAF Wie konnt ich Dich nur jemals lieben? B LONDE (lächelt giftig) Hohe Herren haben Launen. Du konntest Dir ja alles leisten. Selbst mich. G RAF Hm. Vielleicht wars wirklich nur ein Witz. Ein schlechter Witz. B LONDE (scharf) Ich bin kein Witz. (Stille) G RAF (deutet auf ihren Ausschnitt) Deck Dich zu. B LONDE (unheimlich ruhig) Du hast eine Kellnerin geheiratet -- hörst Du? Du hast sie an den Altar geführt, im Morgengrauen, damits keiner sieht -- erinnerst Du Dich, wie stark es geregnet hat? (Stille) G RAF Du hast mich behext. B LONDE Willst mich auch noch auf den Scheiterhaufen bringen? Ich bin keine Hexe! G RAF Dir trau ichs zu.

4 4

B B

SchooshundN ] PintscherN ]

gemeint ist: Schoßhund gemeint ist: Pinscher

352

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 5

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 6

Fragmentarische Fassung

K2/TS12 (Korrekturschicht)

Lesetext

B LONDE (lächelt) Hoffentlich! Aber mit dem Teufel hab ich Dich bis heut noch nicht hintergangen. G RAF Ordinär. B LONDE Verzeih mir, dass ichs nicht weiss, wo meine Wiege stand. B

5

N

\Textverlust\

2

B

hintergangen.N ]

[betrogen.] |hintergangen.|

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Fragmentarische Fassung

K2/TS13 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\



B N

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 9

B N

5

10

(Stille) B LONDE Glauben Sie, dass der König noch kommt? M ATTH Ich glaubs nichtmehr. B LONDE Woher kennen wir uns eigentlich? M ATTH Vom Statthalter. Sein Ratgeber. B LONDE Ja. Aber schon beim Statthalter sind Sie mir so bekannt vorgekommen -- als hätt ich sie schon oft abgebildet gesehen. Wo denn nur? M ATTH Sie verwechseln mich sicher. Ich hab ja ein durchschnittliches Auesseres . B LONDE Oh, das kann man aber nun wirklich nicht sagen. Ich find vielmehr, dass Sie sehr gut aussehen -- markant. Hinter dieser Stirne steckt etwas, aber diese Augen -- so voll Kraft, aber viel Trauer -- Sie haben sicher auch schon Ihr Teil hinter sich. M ATTH Kann man wohl sagen. B LONDE Trotz Ihrer Jugend. M ATTH Die heutige Jugend macht viel mit. B

N

B

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N

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얍 B LONDE Nein-nein! Aber das ist es ja grad oft, dass man ohne einem kleinem Betrug nicht dazu kommt, die Wahrheit zu sagen. Das tut mir auch furchtbar leid, dass ich den König da beschwindeln soll -- aber was soll ich machen, ich sitz da auf einer Burg ohne Geld -M ATTH Auf einer Burg? Wer seid Ihr? B LONDE Warum fragt ihr immer soviel? Was gehts Euch an? M ATTH Wenn Ihr mir antwortet, sag ich dem König nichts. B LONDE Sag ihm alles! Von mir aus soll er alles wissen! Es wär mir nur recht. Ich liebe ihn ja, auf das Aeussere kommts ja nicht so an, aber alles, was er macht, gefällt mir so, er hat so eine Luft Bum sichN! B A.)N B (Kuss muss hier kommen)N M ATTH Wirklich? Hör mal, ich will Dir jetzt was sagen, aber nicht erschrecken und nicht bös sein -2

BN

3 11 12 29 30 31

BN

]

] durchschnittliches AuesseresN ] BfindN ] Bum sichN ] B A.)N ] B(Kuss f kommen)N ] B

[B LONDE (kommt und erblickt ihn) Ach! M ATTH Was sucht denn Ihr hier? B LONDE Ich bin herausgeschickt worden. M ATTH Von wem? B LONDE Der Herr Statthalter möcht allein sein. Er ist allein mit meiner Freundin, der Roten -- und dem [Bader.] |Herrn Präfekten.| M ATTH Was der die Leut immer herausschickt. Zuerst den [Bader] |Alten| und jetzt die. B LONDE Der Herr Präfekt stört ihn nichtmehr. Er liegt unterm Tisch und schnarrcht. M ATTH Eckelhaft! B LONDE Ja.] [{}] korrigiert aus: Durchschnittliches Auessere fin[f]|d| korrigiert aus: umsich \ A.)/ \(Kuss f kommen)/

354

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 10

Fragmentarische Fassung

10

B

N

N

B

15

20

Lesetext

B LONDE Was denn? M ATTH Aber nicht bös sein, ja? B LONDE Nein. (sie lächelt) M ATTH Ich bin der König. B LONDE (starrt ihn an) Was? Ihr? M ATTH Ja. B LONDE Nein -- ja, doch -- wirklich: ich kenn Euch ja von den Bildern -- (sie gibt ihm plötzlich einen Kuss) G RAF (kommt) M ATTH Ach, der Graf! G RAF Verzeihung, Majestät -- ich dachte, ich komme bereits zu spät, und ich kam nur, weil ich es versprach. M ATTH Das macht nichts! Also mein lieber: das Muster, das Du mir versprochen hast, ist wirklich wunderbar. Verlierst den Kopf. G RAF Was soll das heissen? M ATTH Ich hoffe, Du hast mich verstanden. G RAF Majestät! (ab) 얍 B LONDE Ihr werdet ihm doch nicht den Kopf nehmen?! Majestät! M ATTH (sieht sie an) Liebst Du ihn noch? B LONDE (schaut ihm lange in die Augen und lächelt) Nein. (sie umarmt ihn und sie küssen sich) B

5

K2/TS13 (Korrekturschicht)

B

(Vorhang) 25

M ATTH Nun erzähl mir was von Dir. 1. Von ihrer Ehe. Alle Rechte hat der Mann.

30

3 10 13 20

Nein.N ] M ATTH N ] BversprochenN ] BNein.N ] B B

korrigiert aus: Nein korrigiert aus: M STTH korrigiert aus: vers rochen korrigiert aus: Nein

355

N

N

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 11

Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

얍 EIN DORF OHNE MAENNER Lustspiel in sieben Bildern von BÖdön von HorváthN 얍 Personen:

15

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M ATTHIAS C ORVINUS , K ÖNIG VON U NGARN D ER G RAF VON H ERMANNSTADT D ER S TATTHALTER D ER H OFBEAMTE D ER H AUPTMANN D ER B ADER T HOMAS , DER W IRT VOM „E INHORN “ E IN D ICKER E IN D ÜRRER E IN B ÄRTIGER E IN L AKAI D ER H OFWIRT Z WEI G ARDISTEN Z WEI H ERREN E IN P AGE D IE B LONDE D IE S CHWARZE D IE R OTE E INE B ADMAGD D IE P OLIN E INE GRÖSSERE B ADMAGD E INE KLEINERE B ADMAGD H ERREN . G ARDISTEN . H ÄSSLICHE UND SCHÖNE F RAUEN . 얍 Schauplatz:

ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 3

1. Bild: Audienzsaal in der Ofner Burg. 2. Bild: In einer Badeanstalt zu Hermannstadt. 3. Bild: Audienzsaal in der Ofner Burg. 4. Bild: Im Hofgasthaus. 5. Bild: Vor dem Jagdschloss des Königs. 6. Bild: Im Hofgasthaus. 7. Bild: In Selischtje. B

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 1

ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 2

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Lesetext

N

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Zeit: Während der Türkenkriege -- in der frühen Renaissance. 45

2 32

B B

Ödön von HorváthN ] Audienzsaal inN ]

[O]|Ö|dön von Horv[a]|á|th \Audienzsaal/ [I]|i|

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Fassung in sieben Bildern

5

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 Dieses Stück ist keine Dramatisierung des Romans „Die Frauen von Selischtje“ von Koloman BMikszáthN, dem grossen ungarischen Romancier, sondern es stellt nur den Versuch dar, auf Grund einzelner Motive jenes Romans ein Lustspiel zu schreiben. Die Personen im Stück haben mit jenen im Roman nichts zu tun. B Ödön von HorváthN. 얍 ERSTES BILD

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 5

Saal in der Ofner Burg mit hohen gotischen Fenstern im Hintergrund, durch die man ins weite Ungarland hinabsehen kann. Hier empfängt der Statthalter alle heilige Zeit Deputationen des sogenannten niederen Volkes, hier hört er dessen grosse Sorgen und kleine Bitten. Der Raum hat eine gewisse Verwandtschaft mit einem Gerichtssaal -- links eine thronähnliche Estrade, auf der der Statthalter mit seinen Herren zu ruhen pflegt, daneben ein Pult für den Schreiber. Rechts und links je eine Türe, rechts tritt das Volk ein, links gehts in die Gemächer des Statthalters. Vor den beiden Türen steht je ein G ARDIST mit Visier, Brustpanzer und Hellebarde auf Wache. Ein H AUPTMANN DER G ARDE kommt von links und inspiziert den ERSTEN G ARDISTEN bei der linken Türe. Er betrachtet ihn von oben bis unten, vorn und hinten. B

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N

H AUPTMANN Ein Visier gehört poliert, bitt ich mir aus! (er geht auf den ZWEITEN G ARDISTEN zu, betrachtet ihn ebenso intensiv und herrscht ihn plötzlich an) Was ist denn das mit dieser Hellebarde? Die ist ja voll Dreck! Z WEITER Melde gehorsamst, das ist kein Dreck, das ist nur Blut. H AUPTMANN (perplex) Wieso Blut? Z WEITER Melde gehorsamst, ich hab heut früh einen Bauern angestochen . H AUPTMANN Wegen was? 얍 Z WEITER Wegen nichts. (Stille) H AUPTMANN Was soll das? Z WEITER Melde gehorsamst, der Bauer, den ich angestochen hab, der hat den Herrn Statthalter beleidigt. H AUPTMANN Und das ist nichts? (er fixiert ihn) (Stille) H AUPTMANN (langsam, fast lauernd) Uebrigens: der Säbel ist auch zu kurz -Z WEITER Melde gehorsamst, das sieht nur so aus, weil ich zu lang bin. H AUPTMANN „Zu lang “ -- (er grinst) Um einen ganzen Kopf -- -- Pass auf! H OFBEAMTER (kommt von rechts; er sieht etwas mitgenommen aus; zum H AUPTMANN ) Wann gehts denn los? H AUPTMANN Seine Exzellenz, der Herr Statthalter, geruhen noch zu essen. H OFBEAMTER (murmelt) Der frisst schon seit fünf Stunden -- ist er wenigstens bereits beim Dessert? B

B

N

N

B

B

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 4

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MikszáthN ] Ödön von HorváthN ] BthronähnlicheN ] BangestochenN ] BangestochenN ] BlangN ] BlangN ] B B

N

Miksz[a]|á|th [O]|Ö|dön von Horv[a]|á|th korrigiert aus: trohnähnliche [ersto] |angesto|chen [erstochen] |angestochen| [gross] |lang| [gross] |lang|

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N

ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 6

Fassung in sieben Bildern

5

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

H AUPTMANN (lächelt) Vor paar Minuten war er noch bei der Gans. H OFBEAMTER Erst bei der Gans? (er seufzt und hält sich sein Taschentuch an die Stirne) H AUPTMANN Kopfschmerzen? H OFBEAMTER Kein Wunder! Da draussen hocken hundert Bauern seit sieben geschlagenen Stunden, alle warten auf die Audienz und alle duften nach Knoblauch, dass es ein wahres Vergnügen ist -- wer hält das aus? Ich nicht! (leise, damit ihn die G ARDISTEN nicht hören) Wenn diese 얍 braven Bauern wüssten, wie wenig Sinn es hat, ihre Beschwerden hier vorzubringen -H AUPTMANN (fällt ihm leise ins Wort) Die würden schön zuhaus bleiben -- (er lächelt) H OFBEAMTER Ja. Sie würden zuhaus bleiben und alles anzünden. H AUPTMANN (zuckt etwas zusammen, und horcht auf; sieht sich dann um, sehr leise) Sag mal, unsereins kommt ja hier nicht heraus: ist es wahr, dass das Volk murrt? H OFBEAMTER (nickt: ja) Es murrt. (Stille) H AUPTMANN (sieht sich wieder um; noch leiser) Tatsächlich? H OFBEAMTER Ja, und zwar direkt gefährlich tatsächlich. H AUPTMANN Aber warum denn nur? H OFBEAMTER Warum? Gott, seid Ihr Militärs naiv! Denk doch nur an die vielen Kriege, die wir alle gewonnen haben! Wir haben die Türken besiegt -- stimmt! Aber für jeden Eimer Türkenblut ist auch ein Eimer ungarisches geflossen. Wir haben die Ungläubigen zurückgeschlagen und Europa gerettet, doch unser halbes Land ist verwüstet und ausgestorben. H AUPTMANN Jaja, wir haben viel Ehre geerntet. H OFBEAMTER (sarkastisch) Ohne Zweifel. Aber leider kein Brot. Unsere Bauern hungern. Wenn die wüssten, dass Seine Exzellenz noch nicht einmal beim Dessert sind -- na gute Nacht! Das Volk, kann ich Dir verraten, traut den hohen Herren nichtmehr, und es ist unser Glück, dass wir gerade jetzt einen neuen König bekommen haben -Hauptmann Wieso? H OFBEAMTER Weil das Volk diesen neuen König liebt. H AUPTMANN Der hat doch bisher noch garkeinen richtigen Krieg geführt! H OFBEAMTER Das spielt anscheinend keine Rolle. Das Volk hat eben einen sonderbaren Instinkt, es liebt ihn wirklich, unseren jungen Herrn Matthias Corvinus -und warum? Weil er mit besonderer Vorliebe seine eigenen Minister einsperrt. Er wird bereits „der Gerechte“ genannt. „Matthias, der Gerechte“ -- (er lächelt)

ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 7

BN

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B

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33 34 35 35–359,2

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] Aber f geflossen.N ]

N

B

BN

[wirklich]

B

Textübernahme Mikszáth: Denn der Papst benötigte damals viel Blut.

richtigenN ] ebenN ] BInstinkt,N ] Bjungen f kalkulieren --N ] B B

Seine Heiligkeit schürte nämlich viele Kriege, und wenn ein Eimer türkisches Blut vergossen werden sollte, kostete es stets einen halben Eimer ungarischen Blutes. (Mikszáth, S. 1) \richtigen/ \eben/ Instinkt\,/ [--] || [jungen Herrn Matthias Corvinus -- \und/ Warum? Wer weiss!] [|Weil er mit besonderer Vorliebe seine eigenen Minister einsperrt – – Das Volk nennt ihn bereits „den Gerechten“.|] || |jungen f kalkulieren --

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 8 ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 7

Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

Tja, um vom Volk geliebt zu werden, muss man mit dessen Phantasie kalkulieren -얍 E IN P AGE (tritt links ein) Seine Exzellenz, der Herr Statthalter! (Der S TATTHALTER, ein dicker Magnat, kommt geräuschvoll von links mit seinen H ERREN , darunter dem jungen G RAFEN VON H ERMANNSTADT , der ganz in Schwarz gekleidet ist; auch der S CHREIBER betritt den Saal, begibt sich sogleich an das Pult, schlägt das Audienzbuch auf und prüft die Feder; der H AUPTMANN salutiert und der H OFBEAMTE verbeugt sich) S TATTHALTER (zu seinen H ERREN ) Also, meine Herren: noch einmal ein solches Dessert und ich dank ab! Das sollen Zwetschgenknödel gewesen sein?! Das waren keine Knödel, das waren alte Kanonenkugeln -- aus dieser Mehlspeisköchin gehört ein Gulasch gemacht, ein Gulasch für wütende Hunde! (er lacht) A LLE (ausser dem G RAFEN VON H ERMANNSTADT , lachen mit, mehr oder minder heftig) S TATTHALTER (lacht plötzlich nichtmehr und beobachtet den G RAFEN ) Du lachst schon wieder nicht mit? Was fehlt Dir denn? Haben Dir etwa die Knödel geschmeckt? G RAF Nein. S TATTHALTER Na also! A LLE (ausser dem S TATTHALTER und dem G RAFEN , lachen wieder) G RAF (lächelt nur wehmütig) S TATTHALTER (fixiert besorgt den G RAFEN ) Wie der lächelt -- als wär ihm seine grosse Liebe gestorben oder gar sein bestes Pferd. E IN H ERR Er ist nur nervös. 얍 S TATTHALTER Ist er krank? Z WEITER H ERR Er hat heut Nacht tausend Taler verspielt. S TATTHALTER Uiweh ! G RAF Es dreht sich nicht um die tausend Taler, ich spiel ja nicht, um zu gewinnen -aber ich habe eben zuvor schlimme Botschaft erhalten: die Erträgnisse meiner Güter im fernen Siebenbürgen werden immer minimaler, wenn das so weitergeht, werd ich bald arbeiten müssen -- (er lächelt selbstironisch) S TATTHALTER (versteht keine Selbstironie) Schlimm, schlimm! Aber arbeiten müssen wir alle -- schau mich an, lieber Vetter! Anstatt, dass ich mich nach dem Essen ein bisserl hinlegen könnt, muss ich da Audienzen abhalten, Bittsteller trösten, Bauernsorgen teilen und was weiss ich noch -E RSTER H ERR (sarkastisch) Seine Majestät haben es eben so befohlen -S TATTHALTER (grimmig) Jawohl, Seine Majestät -- (unterdrückt zu den H ERREN ) Der junge Herr scheint ein Idealist werden zu wollen, er kümmert sich ein bisserl zuviel um unsere Leibeigenen. Die Gerechtigkeit ist zwar eine schöne Sache, eine B

NN

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B

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1–2

B

Tja f kalkulieren --N ] Textübernahme Mikszáth: Und damit war Matthias’ Schicksal entschieden; das Herz des Volkes erschloß sich ihm und nahm ihn auf: denn wer in das Herz des Volkes hinein gelangen will, muß sich an die Phantasie desselben anklammern. (Mikszáth, S. 12)

5 27 33 39–360,1

SchwarzN ] BUiwehN ] BVetter!N ] BDie f nicht.N ] B

[s]|S|chwarz [O]|U|iweh [Freund!] |Vetter!| Textübernahme Miskzáth: „Die Gerechtigkeit ist eine schöne Sache, eine gute Sa-

che, doch wer die Macht besitzt, der kann auch ohne diese fertig werden!“ (Mikszáth, S. 5)

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 9

Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

gute Sache, aber wer die Macht hat, der braucht sie nicht. Wir werdens diesem Herrn Corvinus schon austreiben -- (er setzt sich schwerfällig und ächzt) Püh, tut mir der Magen weh -- Also herein mit dem Bauernpack! Bin grad in der richtigen Stimmung! (zum H OFBEAMTEN ) Wieviel hocken denn draussen? H OFBEAMTER Zirka hundert. S TATTHALTER Grosser Gott! H OFBEAMTER Manche warten schon seit Wochen -S TATTHALTER (unterbricht ihn scharf) Ich habe nicht gefragt, wie lange sie warten, ich habe gefragt, wieviele warten! Wir bitten, unsere Fragen präziser zu beantworten! Also los, los! Herein mit dem hochgeborenem Volk! H OFBEAMTER (öffnet rechts die Türe und FUENF F RAUEN treten schüchtern ein; es sind dies fünf Bäuerinnen und weissgott nicht hübsch; sie knieen nieder) S TATTHALTER (betrachtet die F RAUEN ungnädig ob ihrer Hässlichkeit; zum H OFBEAMTEN ) Was ist das? H OFBEAMTER Es sind Frauen aus dem Dorfe Selischtje. G RAF (horcht auf) S TATTHALTER (zum H OFBEAMTEN ) Frag, was sie uns mitgebracht haben! H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Seine Exzellenz, der Herr Statthalter geruht, Euch gnädigst zu fragen, was Ihr Seiner Exzellenz mitgebracht habt? D IE F RAUEN (tauschen ängstliche Blicke) N

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얍 H OFBEAMTER Was, Ihr habt nichts mitgebracht?! Ja, wisst Ihr es denn nicht, dass Bittsteller immer etwas mitbringen müssen, irgendein Geschenk? BEine riesige MeloneN oder eine uralte Münze, die man beim Ackern findet, oder ein Lamm mit zwei Köpfen -- Ihr gefällt mir! S TATTHALTER (murmelt) „Gefallen“? Gott soll einen hüten! H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Beispiellos, dass Ihr hier ohne irgendetwas einzutreten wagt, ohne irgendein gefälliges Nichts!N D IE F RAUEN (weinen) S TATTHALTER Weinen auch noch! (er fasst sich an den Magen) Ich halt das nicht aus! (zum H OFBEAMTEN ) Raus! Raus damit! H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Raus! G RAF Halt! (zum S TATTHALTER ) Gnädigster Herr Vetter, diese Weiber kommen doch aus Selischtje? S TATTHALTER Was weiss ich! H OFBEAMTER (zum G RAFEN ) Sie kommen aus Selischtje.

17–18

21 23–24

B

S TATTHALTER f Nichts!N ]

Textübernahme Mikszáth: Der Statthalter hörte ihr, die Arme über der

] Eine f MeloneN ]

Brust gekreuzt, geduldig zu, bald auf dem einen Fuße stehend, bald auf dem anderen; aber endlich wurde es ihm denn doch zu viel, und er befahl dem Hofrichter: „Bringt sie doch zum Schweigen und fragt mir, was sie gebracht haben.“ Zu jener Zeit war es noch Sitte, daß die Deputationen stets auch etwas mitbrachten, so großen Herren natürlich etwas besonders Seltenes: ein Lamm mit zwei Köpfen, in der Erde verborgen gewesene und ausgegrabene altertümliche Gefäße und Münzen, oder einen riesenhaften Maiskolben, welcher als Wunder in der Gemarkung galt; mit einem Worte, irgend ein gefälliges Nichts. (Mikszáth, S. 6f.) [E INE F RAU Mitgebracht? Nichts --] Eine[n] riesige[n] [Kukuruz] |Melone|

BN B

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 10

Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

G RAF (zum H OFBEAMTEN ) Richtig! (zum S TATTHALTER ) Dann gehören nämlich diese Frauen mir. S TATTHALTER (perplex) Dir? G RAF Das Dorf Selischtje gehört zu meinem Siebenbürgner Besitz. S TATTHALTER Aso! Na, wenn mein lieber Herr Vetter lauter solche Leibeigene hat, dann kann ichs begreifen, dass er seinen Besitz verspielt -- (er grinst) Gratuliere zu Deinen Schönheiten! (zum H OFBEAMTEN ) Frag, was sie wollen und dann aber raus damit! G RAF (ernst) Danke. H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Weint nicht! Ruhe! Habt Ihrs denn nicht gehört?! Seine Exzellenz geruhen sich ja herabzulassen, Euch zu fragen, was Ihr wollt -Na los ! Redet! Wo brennts denn?! D IE F RAUEN (reden ängstlich mit dem H OFBEAMTEN ) S TATTHALTER (blickt plötzlich ängstlich um sich) Ist Darmverschlingung eigentlich heilbar? Z WEITER H ERR Leider! Kaum! S TATTHALTER (melancholisch) Mir scheint, ich leb nimmer lang -E RSTER H ERR Aber! S TATTHALTER Weils in mir immer so murrt -H AUPTMANN (zuckt etwas zusammen und horcht auf) Murrt? S TATTHALTER Ja, tatsächlich , und zwar direkt gefährlich tatsächlich. H OFBEAMTER (tritt vor den S TATTHALTER ) Exzellenz, diese Weiber haben eine etwas absonderliche Bitte -S TATTHALTER (fällt ihm ins Wort) Geld? H OFBEAMTER (lächelt) Nein. Sie bitten, Euere Exzellenz möchten Ihnen Männer geben. S TATTHALTER Männer?! H OFBEAMTER Ja. S TATTHALTER (braust auf) Sind sie wahnsinnig?! H OFBEAMTER Exzellenz, die Weiber sagen, solange sie Männer hatten, benahmen sie sich nicht geizig gegen den König, der immer und immer wieder die vielen B

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1 12 21 21 22–362,7

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B

Lesetext

N

Richtig!N ] Na losN ] BtatsächlichN ] Btatsächlich.N ] BH OFBEAMTER f dröhnender)N ] B B

B

N

[Danke!] |Richtig!| Na[o]los [es ist wahr] |tatsächlich| [wahr.] |tatsächlich.| Textübernahme Mikszáth: „Die Frauen haben gar nichts gebracht, sondern sie verlangen etwas.“ „Was denn?“ „Eure Exzellenz möchten ihnen Männer geben.“ „Sind sie verrückt?“ brauste der Statthalter auf. „Sie sagen, so lange sie welche hatten, benahmen sie sich nicht geizig gegen den König, der immer und immer wieder die vielen Soldaten verlangte; es blieb kein erwachsener junger Mann in Szelistye. Lauter Frauen wohnen im Dorfe. […] Sie hätten die Männer bloß geliehen, jetzt möge Eure Exzellenz sie ihnen zurückgeben, und wenn sie nicht da sind, wenn sie im Kampfe gefallen sind, so möge Euer Exzellenz ihnen andere Männer geben, denn eine Hand wäscht die andere, und wenn der König noch weiter aus Szelistye Soldaten haben will, so müssen diese erst geboren werden, daher also …“ Ein dröhnendes Gelächter seitens Szilágyis unterbrach den Dolmetsch. (Mikszáth, S. 7)

361

Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Soldaten verlangte. Es blieb kein erwachsener Mann zuhause, lauter Frauen wohnen im Dorf -- und die Frauen sagen, sie hätten die Männer dem König bloss geliehen, jetzt möge Euere Exzellenz sie ihnen zurückgeben, und wenn sie im Kampf gefallen sind, so möge Euere Exzellenz ihnen andere geben, denn eine Hand wäscht die andere, und wenn der König noch weiter aus Selischtje Soldaten haben will, so müssen diese erst geboren werden, daher also -S TATTHALTER (fängt an zu lachen und lacht immer dröhnender) A LLE (ausser dem G RAFEN und den F RAUEN , lachen mit) 얍 S TATTHALTER (zum G RAFEN ) Also das sind Deine Weiber?! Na, die müssen ja arg in Nöten sein! G RAF (ernst) Mein gnädiger Herr Vetter, es ist leider nicht zum lachen, dass mein in Gott ruhender Vater die Männer ausgerottet hat, indem er Seiner seligen Majestät jahraus-jahrein Soldaten geliefert hat. Seine Majestät mussten nur sagen: „Noch tausend, Michael!“ und er trieb noch tausend zusammen. „Noch tausend!“ und er liess auch die Knaben zusammenfangen -- jetzt liegen die Felder auf meinen Besitzungen brach und ich hab keine Einnahmen. Diese Frauen, mein gnädiger Herr Vetter, haben schon einigermassen recht: von den kampfunfähig gewordenen Soldaten könnte man ihnen ja hie und da etliche schicken -- und: Ihr würdet sie auch mir schicken, denn dann würden meine Felder wieder bebaut werden können. S TATTHALTER Hm. (er überlegt und wendet sich dann an den S CHREIBER ) Schreib: die Frauen von Selischtje bekommen vom König Männer. Gegeben am -- undsoweiter. S CHREIBER (schreibt) S TATTHALTER (zum G RAFEN ) Dir zu lieb. G RAF (lächelt) Danke. S TATTHALTER (deutet auf die F RAUEN , zum H OFBEAMTEN ) Jetzt aber raus damit! Raus! H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Raus! Raus mit Euch! D IE F RAUEN (verschüchtert ab nach rechts) S TATTHALTER (zum G RAFEN ) Wieviel Männer willst denn haben? G RAF Dreihundert. S TATTHALTER (zum S CHREIBER ) Schreib: dreihundert! D ER P AGE (tritt links ein) Seine Majestät, der König! B

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Lesetext

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B

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B

zuhause,N ] Mein f zusammenfangenN ]

seligenN ] jetzt f Einnahmen.N ]

Diese f schickenN ]

[in Selischtje,] [|zuhaus|] |zuhause,| Textübernahme Mikszáth: Johann Hunyadi brauchte bloß zu sagen: „Noch tausend Mann, Michael!“ – und er kratzte noch tausend zusammen. „Noch tausend, Michael!“ – und er ließ auch die Knaben zusammenreihen, damit das weitere Tausend abgehen könne. (Mikszáth, S. 1) \seligen/ Textübernahme Mikszáth: „Die Wahrheit zu gestehen, mein gnädiger Herr Vetter,“ sagte er stockend, „hat mein in Gott ruhender Vater tatsächlich die Männer ausgerottet, indem er sie den Kriegsscharen des seligen hochwohlgeborenen Herrn Johann Hunyadi beistellte, so daß die Felder auf meinen Besitzungen brach liegen, und ich von denselben keinerlei Einkommen habe. (Mikszáth, S. 8) Textübernahme Mikszáth: „Die Frauen,“ sprach er zum Hofrichter, „haben einigermaßen recht; von den kampfunfähig gewordenen und ihres heimatlichen Herdes verlustigen Soldaten könnte man ihnen hier und da etliche schicken. (Miskzáth, S. 9)

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 A LLE (schrecken etwas zusammen, der S TATTHALTER erhebt sich und M ATTHIAS C ORVINUS , König von Ungarn, ein junger Mann, einfach gekleidet, kommt rasch von links; der H AUPTMANN salutiert, und ALLE verbeugen sich, mehr oder minder tief) M ATTHIAS (hält einen Augenblick und grüsst kurz, eilt dann zu dem S CHREIBER hin, blickt in das Audienzbuch und fixiert den S TATTHALTER ) Wieso? Ist dies heut erst die erste Deputation? S TATTHALTER Wir haben uns etwas verspätet, Majestät -- ich fühlte mich nicht wohl, mein schwacher Magen -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Du müsstest mal fasten -- (er lächelt zweideutig) S TATTHALTER Ich bin krank. M ATTHIAS (lächelt wie zuvor) So? S TATTHALTER B(verwirrt)N Majestät, es murrt immer so in mir -M ATTHIAS Dann gehörst Du pensioniert. B N B N (zum H OFBEAMTEN ) Wieviel Deputationen warten noch draussen? H OFBEAMTER Zirka hundert, Majestät. M ATTHIAS Wird alles heute erledigt. S TATTHALTER (fast weinerlich) Das dauert doch bis morgen früh -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Und wenn es bis übermorgen dauert! In diesem Lande bleibt nichtsmehr unerledigt, dafür werden Wir sorgen -- (er blickt wieder in das Audienzbuch und kriegt grosse Augen; zum S TATTHALTER ) Was 얍 heisst das? „Die Frauen von Selischtje bekommen vom König Männer“ -- was soll das? S TATTHALTER Majestät, es ist kein Witz -M ATTHIAS In diesem Buch darfs auch keine Witze geben. Was in diesem Buch versprochen wird, das wird gehalten werden. (er blickt wieder in das Buch) Achso. (zum G RAFEN ) Dieses Dorf gehört Dir? G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS (liest weiter) „Die Männer alle im Krieg geblieben“ -- Hm. (er denkt nach und wendet sich dann wieder an den G RAFEN ) Und Deine Weiber brauchen dreihundert Männer? G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS Wieviel Seelen hat denn das Dorf? H OFBEAMTER Dreihundert, Majestät. M ATTHIAS Und lauter Frauen? G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS BHm. Da sind doch aber dann auch die kleinen Kinder miteinbegriffen, und die gebrechlichen Greisinnen -- wie? Da käm ja dann mehr als ein Mann auf ein jedes Deiner Weiber --N (er lächelt) BUnersättlich, unersättlich --N (er blickt wieder in das Buch) -- „tapfere Krieger ansiedeln“ -12 13

B

(verwirrt)N ] ]

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] Hm f Weiber --N ]

Unersättlich, unersättlich --N ]

\(verwirrt)/ [(zu den F RAUEN ) Steht auf! Rutscht hier nicht auf den Knieen herum, das schickt sich nicht! Ihr seid doch in keiner Kirche! Auf! D IE F RAUEN (erheben sich verschüchtert)] gestrichen: M ATTHIAS Textübernahme Mikszáth: „Unsinn!“ brauste der Hofrichter auf, „sind doch in den dreihundert Seelen überdies auch noch die unentwickelten Mädchen und die gebrechlichen Greisinnen mit inbegriffen.“ „Ohne Zweifel.“ „Dann käme ja doch mehr als ein Mann auf jede von euch.“ (Mikszáth, S. 10) Textübernahme Mikszáth: „Weiber, Weiber,“ tadelte sie kopfschüttelnd der Hofrichter, „seid nicht so unersättlich.“ (Mikszáth, S. 11)

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

H AUPTMANN (tritt vor) Majestät! M ATTHIAS Was gibts? H AUPTMANN Als braver Hauptmann Euerer glorreichen Armee fühle ich mich verpflichtet, Majestät mitzuteilen, dass diese ganze Ansiedlerei einen kleinen Haken haben dürfte -G RAF (fällt ihm ins Wort) Was heisst das? M ATTHIAS Wieso? H AUPTMANN Majestät, ich denke, das wäre eine schlechte Belohnung für Euere braven Soldaten, wenn man sie diesen Weibern vorwerfen würde, denn alles, was recht ist: schön sind sie nicht! Da müsst man schon eher alle Blinden im Land zusammentrommeln. G RAF Majestät, darf ich etwas einwenden -M ATTHIAS Bitte. G RAF Majestät, ich kenne die Frauen von Selischtje und es 얍 ist mir ein Rätsel warum sie gerade die Hässlichsten hierhergesandt haben -- vielleicht wollten sie sich durch die Intelligentesten vertreten lassen, und intelligente Frauen, Majestät, sind ja meistens nicht gerade schön -M ATTHIAS Gottseidank! H AUPTMANN Majestät! Gar so intelligent kamen mir diese Weiber auch nicht vor -G RAF (unterbricht ihn) Majestät! Die Frauen von Selischtje sind wunderschön, sie sind sogar berühmt in ganz Siebenbürgen! M ATTHIAS (lächelt) Was Du nicht sagst -G RAF Auf mein Wort, Majestät. (Stille) M ATTHIAS Hm. Ich kenne ja mein Land leider nur als Kriegsschauplatz -- und hier steht Meinung gegen Meinung. (er überlegt und lächelt dann wieder; zum G RAFEN ) Höre, schick mir doch von Deinen berühmten Frauen ein kleines Muster -S TATTHALTER (perplex) Ein was? M ATTHIAS (zum Statthalter) Ja, er soll mir aus seinem Dorf drei Frauen schicken, Wir glauben nämlich nur das, was Wir sehen -G RAF Ihr glaubt mir nicht?! M ATTHIAS Doch, doch. Aber die Schönheit ist ein Geschmacksproblem und ich kenne Deinen Geschmack nicht -B

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B B

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B

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B

HakenN ] Majestät f zusammentrommeln.N ]

vorwerfenN ] sich durchN ] BIntelligentesten vertretenN ] BMajestät f Siebenbürgen!N ] B

und f Muster --N ]

korrigiert aus: Hacken Textübernahme Mikszáth: „Eure Majestät würden am besten daran

tun, die blinden Männer im ganzen Lande zusammenlesen zu lassen und sie den Szelistyer Frauen zu schicken, denn, auf Ehr’ und Seligkeit, schön sind sie nicht.“ (Mikszáth, S. 14) korrigiert aus: vorwefen \sich durch/ korrigiert aus: Intelligentesten vertreten Textübernahme Mikszáth: „Der Vernunftschluß Eurer Majestät ist weise und vollkommen,“ antwortete der Gespan von Hermannstadt halb scherzhaft, „nur der Ausgangspunkt ist nicht richtig; denn die Frauen von Szelistye können eher schön, als gewöhnlich genannt werden.“ (Mikszáth, S. 16f.) Textübernahme Mikszáth: „Nun, mache dies mit Banffy aus, denn ich weiß nicht mehr, wem ich glauben soll, oder aber (und er blinzelte mit den Augen), schicke mir ein kleines Muster von ihnen herauf.“ (Mikszáth, S. 17)

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 14

Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

S TATTHALTER Er ist nicht schlecht. M ATTHIAS Hoffentlich! Hoffentlich gibts in Selischtje hübsche Mädchen, dann will ich dort meine tapfersten Krieger ansiedeln -- (zum G RAFEN ) Du hast Unser Wort! 얍 G RAF (erfreut) Majestät! Ich reit jetzt sofort nach Siebenbürgen und bring Euch ein Muster! (er grüsst und rasch ab nach links) M ATTHIAS (lächelt) Glückliche Fahrt! (zum S TATTHALTER ) Und wir fahren auch fort! Setz Dich! (zum H OFBEAMTEN ) Das nächste! H OFBEAMTER (verbeugt sich und öffnet rechts die Türe)

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(Vorhang) 얍 ZWEITES BILD 15

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In Siebenbürgen. In einer Badeanstalt zu Hermannstadt. Das Baden spielte in der damaligen Zeit eine grosse gesellschaftliche Rolle. Man badete in grossen, hölzernen Wannen, in denen oft auch zwei Personen bequem Platz hatten, wenn sie sich gegenüber sassen. Da man damals noch fest daran glaubte, dass das Baden umso gesünder wäre, je länger man badete, sassen die Menschen oft tagelang in der Wanne. Die Folge davon war, dass man auch in der Wanne sitzend sein Mahl verzehrte, die Post erledigte, würfelte, Mariage spielte und dergleichen -dies alles auf einem Brett, das quer über die Wanne gelegt werden konnte und also als Tischlein fungierte. Dabei wurden die Herren von Bademägden bedient, die meist nur ein durchsichtiges Hemd anhatten und mit Recht nicht gerade im bestem Rufe standen. Der Besitzer des Etablissements, der Bader, der übrigens auch als eine Art Arzt tätig war, trachtete natürlich darnach, nur sehr hübsche Bademägde zu haben, denn je hübscher sie waren, umso fleissiger badeten die Herren, und es ist also nur logisch, dass auch der Bader selbst nicht im bestem Rufe stand. Ein altes Sprichwort sagte: „Der Bader und sein Gesind, gar oft Buben und Huren sind“. Wir befinden uns nun in einer derartigen Badeanstalt. In drei grossen hölzernen Wannen sitzen vier Bürger von Hermannstadt, und zwar von links nach rechts: in der ersten T HOMAS , der junge Wirt vom „Einhorn“, mit einer Bürste, in der zweiten ein D ICKER, und in der dritten spielen ein B AERTIGER und ein D UERRER Karten. Der D ICKE isst gerade mit überaus gesundem Appetit zu Mittag 얍 und wird von einer B ADMAGD bedient, die er immer wieder abtätschelt. Links, rechts und im Hintergrunde je eine Türe. B

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B ADMAGD (zu T HOMAS ) Und der Herr essen nichts? T HOMAS Nein. B ADMAGD Und auch ansonsten benötigen der Herr nichts? T HOMAS Nein. B ADMAGD Wie schade! B

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spielteN ] alsoN ] BnunN ] BjungeN ] Bmit f Bürste,N ] BD ICKER ,N ] Bansonsten benötigenN ] B B

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spielt\e/ [\also/] |also| [also] |nun| \junge/ \mit f Bürste,/ D ICKER \,/ [sonst brauchen] |ansonsten benötigen|

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

D ICKER Der Herr ist verlobt -- (er grinst) B ADMAGD (zu T HOMAS ) Oh pardon! B AERTIGER (sticht geräuschvoll) Atou! Atou! Atou! D ICKER (zum D UERREN ) Mir scheint, Du verlierst? D UERRER Wenn ich noch weiter so verlier, geh ich niemehr baden -B ADMAGD (zu T HOMAS ) Und Kartenspielen tut der Herr auch nicht? D ICKER Seit er verlobt ist, rührt er keine Karte mehr an. B ADMAGD (betrachtet T HOMAS ) Der Herr geht über meinen Horizont. Nicht essen, nicht trinken, nicht spielen, nicht -- (zum D ICKEN ) Ich bitt Dich, zu was geht er denn überhaupt baden? T HOMAS Zu Reinigungszwecken. Und weil es bekanntlich überaus gesund ist, stundenlang im Bad zu sitzen. D ICKER Das schon. (zur B ADMAGD ) Apropos gesund: geh hol mir den Bader, Putzi, er soll mich schröpfen! Und bring mir noch ein bisserl von dem Kürbiss -- der ist heut ein Traum! B ADMAGD Gern! (ab nach links) D ICKER (sieht ihr nach) Dieser Bader ist ein Tausendsassa! Immer bringt er die feschesten Weiber daher, wo er sie nur auftreibt?! Der hat direkt einen Riecher -얍 T HOMAS Ich neid ihm seinen Riecher nicht. Wenn ich so nachdenk, so war doch das Badeleben früher, noch vor relativ kurzer Zeit, geordneter, gesitteter, zweckmässiger -- mit einem Wort: seriöser. Damals sind die Leut wirklich nur deshalb hergekommen, um sich zu reinigen, aber seits hier diese Weiberwirtschaft gibt, ist es für einen, der sich nur reinigen möcht -D ICKER (unterbricht ihn) Was redest Du da immer vom „Reinigen“? Bist denn gar so dreckig? Wenn sich ein jeder nur reinigen möcht, gäbs überhaupt kein gesellschaftliches Leben! Schau mich an, ich reinig mich auch, aber das ist doch bei mir nicht das A und das Z! (er ruft) Wo bleibt mein Kürbiss ?! B ADMAGD (kommt mit dem Kürbiss von links) Ist schon da! D ICKER Brav, brav! Aber wo bleibt der Bader? Ich möcht doch geschröpft werden, geschröpft! B ADER (kommt aus dem Hintergrunde mit der Schröpfapparatur) Bin schon da, bin schon da! (zum B AERTIGEN ) Habe die Ehre, Herr Sedlacek! (zum D UERREN ) Herr Vastag! (zu T HOMAS ) Ah, der Herr Thomas! Besuchen uns auch mal wieder, der Herr Wirt? Waren schon lang nichtmehr da -- (zum D ICKEN , während er ihn zu schröpfen beginnt und die B ADMAGD nach rechts abgeht ) Seiens mir, bittschön, nicht bös, Herr Durdurescu, aber ich hab hinten im Dampfbad einen unerwartet hohen Besuch bekommen und den hab ich jetzt zuerst ein bisserl behandeln müssen, herrichten, auffrischen, regenerieren -- er war nämlich einigermassen parterre von dem langen Ritt, von der Hauptstadt bis zu uns -D ICKER (horcht auf) Von der Hauptstadt? Wer ist denn das? B ADER Unser Herr Graf. 얍 D ICKER Ah da schau her! Herr Graf sind wieder in Hermannstadt? BN

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] Atou! f Atou!N ] Bzu wasN ] BKürbissN ] BKürbissN ] BKürbissN ] Bund f abgehtN ]

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[(sie lacht)]

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gemeint ist: Atout korrigiert aus: zuwas gemeint ist: Kürbis gemeint ist: Kürbis gemeint ist: Kürbis

\und f abgeht/

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

B ADER Seit gestern. T HOMAS Ein seltener Gast bei sich zuhaus -D ICKER Was erzählt er denn Neues? Was machen die Türken, wie gehts dem König? Und der Sultan? B ADER Wir haben nicht politisiert. Er ist ziemlich wortkarg, der Herr Graf, scheint Sorgen zu haben -D ICKER Kann ich mir vorstellen! B ADER Dieser Riesenbesitz -T HOMAS Der ihm nichts bringt -B ADER (zu T HOMAS ) Wenn man näher hinschaut, ist mir Euer Wirtshaus hint lieber, wie sein ganzer Fideikommiss vorn! D ICKER Das glaub ich! T HOMAS Beruhigt Euch nur! Wenn ich nicht bald einen Kredit auftreib, sperr ich auch zu. Ich lauf mich schon wund nach einem Wucherer. D ICKER Wer heutzutag nicht! T HOMAS Der, der Dich grad schröpft. Der Bader. B ADER Nanana! Wenn mich der hohe Magistrat von Hermannstadt weiterhin so zu verfolgen beliebt, dann tausch ich sogar noch mit dem Grafen! D ICKER Der Magistrat verfolgt Dich? B ADER Er hetzt mich, wie ein wehrloses Wild! Jeden zweiten Tag eine neue Vorschrift, ich werd kontrolliert und kontrolliert -- lauter Schikan! Man könnt schon meinen, ich hätt kein solides Geschäft, hätt ein Frauenhaus und kein Badehaus! E INE B ADMAGD (geht von rechts nach links vorbei) B ADER (zur B ADMAGD ) Bist schon fertig? Geh zum Grafen, Anjuka, und hilf ihm ein bisserl regenerieren -B ADMAGD (knixt und ab nach dein Hintergrund) 얍 D ICKER Wer war denn das? Eine Neue? B ADER Eine Polin. Rassig, sehr rassig! T HOMAS (schüttelt sich plötzlich) Brr! D ICKER Was fehlt Dir? T HOMAS Diese Weiberwirtschaft -- peinlich! B ADER Sagens mir nur nichts gegen die Weiber, Herr Thomas! Seit Sie in Ihrem Wirtshaus keine Kellnerinnen mehr haben, sondern nur männliche Kellner, seh ich etwas düster für Ihren Geschäftsgang -- no hab ich erraten? T HOMAS Meine Braut soll ein reines Haus betreten. Seit meiner Verlobung hab ich alle Kellnerinnen zum Teufel gejagt. B ADER Herr Thomas, merkens Ihnen folgende Weisheit: ohne Kellnerinnen gibts keinen Kredit. Ehre, wem Ehre gebührt! Und ohne Kellnerinnen wird Ihr Fräulein Braut vielleicht garkein Haus betreten, weder ein reines, noch ein unreines, denn bis dahin, ich will zwar nichts beschwören, aber immerhin -- no hab ich erraten? (Stille) T HOMAS Lieber verlier ich mein Haus. D ICKER Blödsinn! B ADER Was tät denn dann das Fräulein Braut dazu sagen? Hat sich mit einem gutgehendem Wirt verlobt und soll eine gnädige Frau Habenichts werden! B

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nochN ] fehlt Dir?N ]

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\noch/ [hast denn?] |fehlt Dir?|

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Lesetext

T HOMAS Sie wird mit mir überall leben. B ADER Auch ohne Dach? Wo es überall hineinregnet? T HOMAS (romantisch) Regen oder Sonnenschein! Sie hat mich -- und das genügt ihr. B ADER Na ! Ihr seid durch die Liebe ein bisserl weltfremd 얍 geworden , Herr Thomas, weltfremd -- und das ist gefährlich! G RAF (kommt aus denn Hintergrunde, gefolgt von DREI B ADEMAEGDEN ) D IE B ADENDEN (erheben sich etwas in den Wannen und grüssen) G RAF (zu den B ADENDEN ) Bleibt nur ruhig sitzen! Danke, Danke! -- Du Bader! B ADER Herr Graf! G RAF Ich bitt Dich, leih mir einen Taler -- ich wollt mir ja ursprünglich nur die Haare schneiden lassen, aber meine Absicht hat dann unwillkürlich weitere Kreise gezogen -- (er lächelt) B ADER Aber Herr Graf! Bei mir haben Herr Graf Kredit. G RAF (melancholisch) Bei Dir schon. Gibs der Polin – B ADER (gibt den Taler der P OLIN ) D IE P OLIN (knixt) G RAF Danke, danke! Also auf Wiedersehen -- (er will nach rechts ab) B ADER (will ihn hinausbegleiten) Meine Hochachtung, Herr Graf! Gnädiger Herr Graf bleiben doch jetzt hoffentlich länger in Siebenbürgen -G RAF (fällt ihm ins Wort) Nein. Ich reite morgen wieder retour. B ADER Schon? Ewig schad! Als gäbs in Hermannstadt keine schönen Mädchen -G RAF (fällt ihm wieder ins Wort) Ich muss heut nur noch nach Selischtje -B ADER (fällt ihm ins Wort) Also in Selischtje werden Herr Graf keine Schönheiten finden! 얍 G RAF (horcht perplex auf) Wie meinst Du das? B ADER Ich mein das nur logisch -- die Weiber von Selischtje sind ja berühmt hässlich! Solche Pratzen, solche Mündchen, Ohren, wie die Bernhardiner -- wo man hinschaut, lauter linke Füss, und was für Füss! Nicht die Spur von einer Grazie, einem Charme -- kurz: lauter elende Trampeln! Nicht zu gebrauchen, höchstens zur Arbeit! Kein Wunder, dass sie keine Männer kriegen! Unlängst habens nämlich eine Deputation zum König geschickt -G RAF (unterbricht ihn) Du weisst davon? B ADER Ich hör hier alles. Und ein jeder sagt, denen ihre Männer sind nicht im Krieg geblieben, die haben den Krieg nur als Vorwand benützt, um nicht wieder nachhaus zu müssen! Haben Herr Graf beim König vielleicht zufällig die Deputation gesehen? G RAF Ja, es war wirklich abscheulich. B ADER Und derweil waren das noch die Schönsten! G RAF (entsetzt) Die Schönsten?! B ADER Sie haben sich vorher noch ausgewählt -- Schönheitskonkurrenz in Selischtje! Können Herr Graf sich vorstellen, wie die zuhausgebliebenen -G RAF (unterbricht ihn) Lieber nicht. (er überlegt) Hm. Das ist eine schlimme Botschaft -- das ist sogar so schlimm, dass es wirklich schon schlimm ist. B ADER (horcht auf) Wieso, Herr Graf? B

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[{}]Na \ge/worden

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

G RAF Der König will mir nämlich nur dann männliche Arbeitskräfte geben, wenn die Weiber hübsch sind. Er will seine braven Soldaten nicht hässlichen Hexen vorwerfen -B ADER Dieser König wird immer gerechter. Der wird noch populär werden -- ojeh! 얍 G RAF Was nützt mir das? Ich gab ihm mein Wort, ich bring ihm drei hübsche Frauen aus Selischtje -- Wieder ein Strich durch die Rechnung! Ich bin halt ein Pechvogel. Meine Felder liegen brach und meine Weiber sind Hexen. Wie soll sich da einer sanieren? B ADER Herr Graf haben dem König drei Stück Hübsche versprochen? G RAF Im bestem Glauben! Aber kann ich aus einer Kuh eine Aphrodite machen? B ADER Warum nicht? G RAF (fast grob) Du vielleicht! B ADER (leise) Herr Graf, soweit ich die Situation ermesse, benötigen Herr Graf drei Stück schöne Frauen aus Selischtje. Nun, schickens doch dem König drei schöne Frauen und sagens, sie wären aus Selischtje -- sie müssen ja nicht aus Selischtje sein -G RAF Ahso! B ADER Logischerweise! (Stille) G RAF Keine schlechte Idee -B ADER Sie liegt direkt auf der Hand. Herr Graf, schickens zum Beispiel gleich die Drei da -- (er deutet auf die B ADEMAEGDE , die sich um die B ADENDEN bemühen) G RAF (unterbricht ihn) Nein, das geht nicht! Nicht aus diesem Milieu! B ADER Der König würd das garnicht merken -G RAF Der König würds schon merken, er ist ein durchtriebener Mensch -- Nein-nein, das müssten schon drei andere sein! 얍 Zum Beispiel drei anständige, verschwiegene Wittwen -- oder die Braut eines ehrbaren Bürgers -B ADER (unterbricht ihn) „Braut eines ehrbaren Bürgers“? Herr Graf, mir scheint, eine haben wir bereits! Einen Moment! (er ruft) Herr Thomas! Kommens mal geschwind her! Der gnädige Herr Graf hätten dringend mit Euch zu reden! T HOMAS (überrascht) Mit mir? B ADER Ja! Kommens, kommens! (zur P OLIN ) Anjuka, hilf ihm! D IE P OLIN (hilft T HOMAS aus der Wanne und hängt ihm ein Tuch um) B ADER (zum G RAFEN ) Die Braut dieses Mannes ist nämlich eine Schönheit, sie ist die Tochter eines Jägers in Rotkirchen -- und er ist der Wirt vom „Einhorn“ -(zu T HOMAS , der nun neben ihm steht) Hörens her! Der Herr Graf wollen mit Ihnen ein Geschäft machen -- ich sag nur: Kredit! Verstanden? T HOMAS Was? Der Herr Graf will mir Kredit -B ADER (fällt ihm ins Wort) Ja. T HOMAS (hocherfreut) Aber das wär ja wunderbar -B ADER (fällt ihm wieder ins Wort) Er benötigt natürlich gewisse Sicherheiten -T HOMAS (unterbricht ihn begeistert) Aber alles, alles! Mein Haus, mein Vieh, mein Wald -B

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gab f Wort,N ] Rechnung!N ] BZum f Bürgers --N ] B B

[hab es ihm versprochen,] |gab f Wort,| Rechnung[.]|!| || [BADER Mit Geld, Herr Graf, ist] |Zum f Bürgers --|

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

B ADER (fällt ihm abermals ins Wort) Nein, er benötigt andere Sicherheiten. Herr Thomas, Sie wollen doch heiraten? T HOMAS (perplex) Ja. B ADER Schön. Dann haben Sie also auch eine Braut? T HOMAS (wird misstrauisch) Ja. Und? B ADER Der Herr Graf benötigen nämlich Ihre Braut -T HOMAS (unterbricht ihn) Was?! Was hör ich?! G RAF Unsinn! (zum B ADER ) So erzähls ihm doch vernünftig! 얍 B ADER Ich kann nur so! T HOMAS In diesem Punkt, Herr Graf, kenn ich keine Vernunft! Und wenn ich auch nur ein gemeiner Bürger bin und Ihr ein hochedler und hochwohlgeborener Graf -B ADER (unterbricht ihn) Idiot! So mach doch da keinen Bauernkrieg! Es ist doch alles radikal anders, hör her -- (er flüstert mit ihm) T HOMAS (kriegt grosse Augen) B ADER No ist es anders? T HOMAS Ja. B ADER Einverstanden? T HOMAS Ja. Warum nicht? B ADER Eine kleine Reise in die Residenz -- das ist alles. T HOMAS Hoffentlich. B ADER Wie hab ich das gemacht? T HOMAS Wann krieg ich den Kredit? G RAF Hol ihn Dir noch heute ab. T HOMAS Sehr geehrt, Herr Graf, sehr geehrt! B ADER Abgemacht! T HOMAS (zum G RAFEN ) Darf ich mich nun wieder in meine Wanne zurückziehen? B ADER Du darfst. T HOMAS (setzt sich wieder in die Wanne, unterstützt von der P OLIN ) G RAF (zum B ADER, leise) Wie hoch ist dieser Kredit? B ADER Eine Kleinigkeit -- dreihundert Taler. G RAF Dreihundert? Hoffentlich zahlt sichs aus -- (er lächelt) B ADER Herr Graf können beruhigt abreisen, es wird alles prompt erledigt! Ich beschaff Euch noch zwei derartige Weiber, dass Seine Majestät sofort die halbe Armee in Selischtje 얍 ansiedeln wird! Herr Graf können sich auf meine Routine verlassen! G RAF Schön. Aber, wie gesagt, nicht aus diesem Milieu -B ADER Nein-nein! Lauter höchstehrbare Wittwen, Bräute, Töchter -- garantiert! G RAF Wenn alles klappt, hast Du nichts zu bereuen. B ADER Es klappt, es klappt! In drei Wochen hat der König das Muster! G RAF Schön. Also auf Wiedersehen -B ADER Herr Graf, ich hätt jetzt nur noch eine kleine persönliche Bitte -- nicht bös sein, bitte! B

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hochwohlgeborenerN ] hörN ] BdieserN ] B(er lächelt)N ] BderartigeN ]

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korrigiert aus: hochwoglgeborener

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hör[ens] [der] |dieser| \(er lächelt)/ [solche] |derartige|

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

G RAF Na los! B ADER Herr Graf, der Magistrat verfolgt mich, wo er nur kann! Redens mal mit dem Bürgermeister, da habens jetzt wieder so eine sekkante Vorschrift erlassen -(er zieht ein Dekret aus seiner Tasche und liest) „Kein Mann soll in ein Badehaus hineingezogen oder hineingelockt werden“ -- also das ist doch wirklich Schikan!

(Vorhang) 10

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얍 DRITTES BILD

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Wieder im Audienzsaal der Ofner Burg. Der S TATTHALTER sitzt auf der Estrade und isst von einem silbernem Tablett, das ihm der P AGE hinhält, Sandwiches. Am Pult steht der S CHREIBER und nickt immer wieder ein. Vor den beiden Türen wachen die G ARDISTEN . S TATTHALTER (zum P AGEN ) Also die Gansleber ist heut nicht berühmt -- ein Skandal! H OFBEAMTER (kommt von rechts) S TATTHALTER (essend zum H OFBEAMTEN ) Alles in Ordnung? H OFBEAMTER (gibt keine Antwort, sondern geht dicht an den S TATTHALTER heran; leise, damit ihn der P AGE nicht hört) Wie ich soeben informiert wurde, werden uns Seine Majestät heute nicht um halbsechs, sondern bereits um dreiviertelfünf „überraschen“ -S TATTHALTER Was? Schon um dreiviertelfünf? Uijweh! (er gibt dem P AGEN ein Zeichen, er möge sich mit dem Tablett entfernen) P AGE (ab mit dem Tablett nach links) H OFBEAMTER Gottlob halten sich Eure Komödianten bereits seit Stunden bereit. S TATTHALTER Hoffentlich haben sie auch ihre Rollen anständig gelernt! H OFBEAMTER (lächelt hinterlistig) Gewissenhaft, Exzellenz! Gewissenhaft! S TATTHALTER Wie sehens denn aus? H OFBEAMTER Wie eine wirkliche Deputation. 얍 S TATTHALTER Wahrheitsgetreu? H OFBEAMTER Das echte Volk. S TATTHALTER Bravo. Wie spät ist es denn schon? H OFBEAMTER (sieht auf eine Sanduhr) Punkt halbfünf. S TATTHALTER Geht der Sand nicht nach? H OFBEAMTER Nur paar Minuten, Exzellenz! S TATTHALTER Herein mit den Komödianten! H OFBEAMTER (öffnet rechts die Tür und lässt ZWEI K OMOEDIANTEN ein; sie sind als Bauern verkleidet und fallen sofort auf die Kniee) S TATTHALTER (mustert sie zufrieden) Echt, wirklich echt -- (zum Hofbeamten) Wenn es Seiner Majestät beliebt, unsere Amtsführung zu kontrollieren, und zwar direkt überfallsartig zu kontrollieren, dann müssen wir uns eben wehren! Auch der Wurm krümmt sich, wenn er kontrolliert wird. Ich verstehs nicht, was hat er eigentlich gegen die Korruption? Was hat ihm schon die Korruption getan? Wo B

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Uijweh!N ] auchN ] BDasN ] B B

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\Uijweh!/ \auch/ [Wie] [d]|D|as

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

doch die Korruption gewissermassen die pikante Sauce ist für diese ganze fade Regiererei! D ER P AGE (tritt links ein) Seine Majestät, der König! M ATTHIAS (tritt rasch links ein) A LLE (grüssen; die K OMOEDIANTEN werfen sich zu Boden) M ATTHIAS (dankt kurz; zum S TATTHALTER ) Bitte, weiter! (er setzt sich neben den S CHREIBER ) S TATTHALTER (zum ERSTEN K OMOEDIANTEN ) Nun, mein Sohn, wie kann ich Dir helfen? E RSTER Euere Exzellenz! Euere Güte kennt keine Grenzen -M ATTHIAS (unterbricht ihn; zu den K OMOEDIANTEN ) Steht auf! Rutscht hier nicht auf den Knien herum, das schickt sich nicht! Ihr seid doch in keiner Kirche! Auf! D IE K OMOEDIANTEN (erheben sich devot) M ATTHIAS (zum S TATTHALTER ) Bitte, weiter! S TATTHALTER (etwas aus dem Konzept gebracht, zum ERSTEN K OMOEDIANTEN ) Nun, mein Sohn, wie kann ich Dir helfen? 얍 E RSTER Euere Güte kennt keine Grenzen, wie soll ich Euch danken -S TATTHALTER Ah, Du willst Dich bedanken? E RSTER Euere Exzellenz haben mir doch schon wieder gnädigst sechs Schafe und zwölf Ziegen geschenkt -Z WEITER Auch ich möcht mich bedanken -S TATTHALTER Brav, sehr brav! Z WEITER Euere Exzellenz haben mir doch allergnädigst die Steuern nicht nur gestundet, sondern sogar gestrichen, angesichts der grossen Not -S TATTHALTER (unterbricht ihn) Du leidest Not? Z WEITER Bitterlich. Und mein armes Weib ist gar arg krank -S TATTHALTER (zum S CHREIBER ) Schreib: dieser brave Bauer bekommt fünf Taler, damit er Medizin für sein krankes Weib -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Halt! (zum S CHREIBER ) Schreib: dieser brave Bauer bekommt keine fünf, sondern fünfundzwanzig, aber keine Taler, sondern vom Büttel! Z WEITER (entsetzt) Majestät! M ATTHIAS (zum S CHREIBER ) Schreib: diese beiden braven Bauern werden auf der Stelle in Ketten gelegt, denn das sind keine Bauern, sondern Komödianten, die ihre Begabung missbrauchen, um ihren König zu betrügen und um, was noch schlimmer ist, ihr eigenes Volk zu betrügen -- (er ruft) Die Wache! G ARDISTEN (treten rechts und links mit dem H AUPTMANN ein) H OFBEAMTER (deutet auf die ZWEI K OMOEDIANTEN ; zum H AUPTMANN ) Abführen! H AUPTMANN (zu den G ARDISTEN ) Abführen! D IE K OMOEDIANTEN (verzweifelt) Gnade, Majestät! Gnade! (sie werden von ZWEI G ARDISTEN nach links abgeführt) M ATTHIAS (fixiert den S TATTHALTER ) Es gibt keine Gnade. (Stille) S TATTHALTER (kleinlaut) Majestät -B

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(grüssen f Boden)N ] Ihr f keinerN ]

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[(ausser den K OMOEDIANTEN , erheben sich und grüssen)] |(grüssen f Boden)| [[Ihr seid] [|Hier ist|] |Ihr seid| doch [in] keine[r] |in keiner|] |Ihr f keiner|

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M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Ihr wisst es also, wann ich Euch „überrasche“? (er lächelt) Man hats mir schon gestern erzählt -S TATTHALTER (fällt ihm ins Wort) Wer? M ATTHIAS (deutet auf den H OFBEAMTEN ) Dieser treue Mann! S TATTHALTER (fixiert wütend den H OFBEAMTEN ) Diese Beamtenseele?! Diese Kreatur!? M ATTHIAS Halt den Mund! S TATTHALTER (braust auf) Was erlaubt Ihr Euch?! König, ich bin ein Edelmann! M ATTHIAS Umso schlimmer! Du hast Dir Komödianten engagiert, aber ich kenne mein Volk, ich weiss, wie es denkt und fühlt, und ich weiss auch, wie es über Deinesgleichen denkt, hoher Herr -- (zum H AUPTMANN ) Im Namen des Volkes! Abführen! S TATTHALTER Matthias Corvinus, dazu habt Ihr kein Recht! M ATTHIAS (grinst) Wer die Macht hat, braucht kein Recht -- das ist doch Dein Gesetz! S TATTHALTER Ich bin kein lumpiger Bauer! M ATTHIAS (zum H AUPTMANN ) Abführen! Raus! S TATTHALTER (zum H OFBEAMTEN ) Diese Schmach sollst Du mir büssen! (er wird von den G ARDISTEN und dem H AUPTMANN nach links abgeführt) H OFBEAMTER (sieht ihm besorgt nach) Büssen? (er schluckt) 얍 M ATTHIAS (lächelt) Hast Du Angst? H OFBEAMTER Angst gerade nicht -- aber ein unangenehmes Gefühl. M ATTHIAS Der kommt nichtmehr zurück. H OFBEAMTER Wer weiss! M ATTHIAS (horcht auf und sieht den H OFBEAMTEN gross an) Z WEITER G ARDIST (bei der Türe rechts, ruft plötzlich) Es lebe der König! M ATTHIAS (horcht abermals auf, geht dann langsam auf den ZWEITEN G ARDISTEN zu, hält dicht vor ihm und betrachtet seine hünenhafte Gestalt; klopft plötzlich auf seinen Brustpanzer, als würd er ihn streicheln, und lächelt ernst) Dankeschön -- (er geht wieder zum H OFBEAMTEN und deutet auf den verwaisten Platz des Statthalters) Komm, setz Dich dorthin -H OFBEAMTER (überrascht) Wohin?! M ATTHIAS Ja. Wir haben das Dekret bereits vor vier Tagen unterzeichnet. Du bist Statthalter. Exzellenz -H OFBEAMTER (glücklich) Majestät -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Ich bitt Dich, tu nur nicht so, als hättest Dus nicht schon gewusst! Du weisst es doch schon seit drei Tagen – von der grossen Schwester meines Pagen, nicht? H OFBEAMTER (grinst) Majestät scheinen allwissend zu sein -M ATTHIAS (lächelt wieder) Nein, ich hab halt nur auch meine lieben Spitzel. Du bist zwar ein grosser Komödiant -H OFBEAMTER (unterbricht ihn gekränkt) Majestät! B

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

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DerN ] abermalsN ] BhünenhafteN ] BTagen – vonN ] BgrossenN ] B B

[Er]|Der| \abermals/ korrigiert aus: hühnenhafte Tagen[,] [oder?] |–| [V]|v|on \grossen/

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Lesetext

M ATTHIAS Ich wollte nur sagen, das Sympathische an Dir ist, dass Du es weisst, dass Du ein Gauner bist. Ein guter Statthalter muss Gewissensbisse haben, sonst ist er ein dummer Tropf. Verzeih, ich wollt Dich nicht kränken! Wir leben in einer rauhen Zeit. Die feinzugespitzten Aper-얍cus schlummern ja noch unter den Steinen, aus denen dereinst die Schulen gebaut werden -- -- Aber nun weiter! An die Arbeit! Setz Dich! (zum P AGEN ) Los, das echte Volk, es trete ein! (er setzt sich wieder neben den S CHREIBER und der H OFBEAMTE lässt sich auf dem Platz des Statthalters nieder) D ER P AGE (verbeugt sich vor M ATTHIAS und öffnet dann die Türe rechts: der B ADER in Gala tritt ein, gefolgt von DREI F RAUEN , die so schön sind, dass selbst M ATTHIAS betreten hinstarrt -- EINE S CHWARZE , EINE R OTE , EINE B LONDE . Sie sind als Bäuerinnen gekleidet, geschmückt, geputzt und hergerichtet, mit kurzen Röckchen und bunten Stiefeln; ihr Auftreten ist, trotz einer gewissen Befangenheit, sehr sicher, sie wissens nämlich, dass sie wirken; sie machen einen Knix vor dem H OFBEAMTEN und der B ADER verbeugt sich tief) H OFBEAMTER (erhebt sich unwillkürlich) B ADER (tritt vor) Hochgeborener Herr Statthalter! Exzellenz -H OFBEAMTER (unterbricht ihn) Was für eine Deputation seid Ihr? B ADER (deutet auf die DREI F RAUEN ) Das ist keine Deputation, Exzellenz halten zu Gnaden, sondern das ist ein Muster. H OFBEAMTER (verwirrt) Ein Muster? Mit Euch ists wohl nicht ganz richtig. Was für ein Muster? Ich versteh kein Wort -- wieso ein Muster? B ADER Exzellenz halten zu Gnaden, das sind die drei Frauen aus dem Dorfe Selischtje, die ich im Auftrage meines Herrn, des Grafen von Hermannstadt, dem König bringen soll, damit der König sich überzeuge, dass er dortselbst mit bestem Gewissen seine tapfersten Krieger ansiedeln -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Achso! Aha -H OFBEAMTER (wird immer verwirrter; zu M ATTHIAS ) Wieso, Ihr kennt diesen Fall? M ATTHIAS Jaja, ich kann mich noch erinnern. 얍 B ADER Es war vor zirka fünf Wochen -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Stimmt. Damals haben Seine Majestät dem Grafen von Hermannstadt den Auftrag erteilt, ihm dieses Muster zu übersenden -H OFBEAMTER (glotzt M ATTHIAS gross an) So? M ATTHIAS (kurz) Ja. B

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Die f werden -- --N ]

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ApercusN ] H OFBEAMTER f ansiedeln --N ]

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B ADER f Wochen --N ]

Textübernahme Mikszáth: Die fein zugespitzen Bemerkungen schlummerten noch unter jenen Steinen, aus denen dereinst die Schulen gebaut werden sollten. (Mikszáth, S. 14) gemeint ist: Aperçus Textübernahme Mikszáth: „Was für eine Deputation seid ihr?“ „Es ist keine Deputation, Exzellenz halten zu Gnaden, sondern ein Muster.“ „Ein Muster?“ sprach der Palatin verwundert, „mit Euch ist’s wohl nicht ganz richtig? – Ich verstehe Euch nicht.“ Worauf Herr Rostó in großer Verlegenheit, häufig stockend, den ganzen Tatbestand erzählte, vom Anfang bis zum Ende. Er wäre der Präfekt des Grafen von Hermannstadt, und da der König ein Muster von den Szelistyer Frauen gewünscht habe, so schickt der Graf von Hermannstadt anbei die gewünschten Weiber zum Beweise dessen, daß sie schön seien, und so weiter.“ (Mikszáth S. 32f.) || [Stimmt-stimmt, Sei-] |BADER f Wochen --|

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

(Stille) H OFBEAMTER (zu M ATTHIAS ) Und? M ATTHIAS Nun, ich denke, Exzellenz: Ihr seid zwar der Stellvertreter des Königs, doch nicht in allen Angelegenheiten seid Ihr im Stande, ihn zu vertreten. Wie mir scheint, gehört auch diese hier dazu. H OFBEAMTER Aha. Was also ratet Ihr uns zu tun? M ATTHIAS Nun, ich bin zwar nur Euer geringster Ratgeber, ja sozusagen, nur Euer Diener, Exzellenz -- doch, wenn ich etwas raten dürfte, so solltet Ihr Euch zuerst einmal mit dem König in Verbindung setzen -- (zu den F RAUEN ) Wartet bis dahin draussen, liebe Kinder! H OFBEAMTER Vortrefflich! Wartet draussen! D IE F RAUEN (machen wieder einen Knix und ab mit dem B ADER nach rechts) S CHREIBER (bläst vor sich hin) Püh -H OFBEAMTER (deutet auf den S CHREIBER ; zu M ATTHIAS ) Ihm wurd es auch ganz heiss -- (er grinst) M ATTHIAS (lächelt) Begreiflicherweise. H OFBEAMTER Diese Schwarze! M ATTHIAS Und die Rote? H OFBEAMTER Und die Blonde? M ATTHIAS Jaja, alle drei. Hm. Was ist da zu tun? H OFBEAMTER (lächelt verschmitzt) Wenn ich meinem geringstem Ratgeber raten dürfte, so könnte man es dem König ruhig sagen, dass er seine tapfersten Krieger mit bestem Gewissen in Selischtje ansiedeln kann -- und dieses Muster, das schicken wir nun wieder nachhaus, wir haben uns ja bereits überzeugt, dass es nicht hässlich ist -- nicht? M ATTHIAS (lächelt auch verschmitzt) Wie mir scheint, ist der König noch nicht ganz überzeugt -H OFBEAMTER Dann wird er sich wohl noch ein bisserl überzeugen müssen. 얍 M ATTHIAS (wird plötzlich etwas verlegen) Hm. Spass bei Seite: was ist da wirklich zu tun? H OFBEAMTER (sarkastisch) Tja, was denn nur? (Stille) M ATTHIAS Ich bin doch schliesslich der König. H OFBEAMTER Das wär noch kein direkter Grund. M ATTHIAS Aber ich kann doch nicht meine braven Landeskinder, als Landesvater, nur weil sie hübsch sind -H OFBEAMTER Majestät geruhen total zu vergessen, diese drei braven Landeskinder suchen doch Männer! M ATTHIAS Das schon. H OFBEAMTER Man merkts ihnen auch an. M ATTHIAS Aber die suchen doch ganz andere Männer! Tüchtige Siedler, arbeitsame, kernige Bauern! B

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Nun f dazu.N ]

Schwarze!N ] Rote?N ] BSpass f wasN ] BN] B B

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Textübernahme Mikszáth: „Ach, mein Lieber, es ist wohl wahr, ich bin der Vertreter des Königs; doch nicht in allen Angelegenheiten bin ich im stande, ihn zu vertreten. Wie mir scheint, gehört auch diese dazu.“ (Mikszáth, S. 33) [Rote!] |Schwarze!| [Schwarze?] |Rote?| \Spass bei Seite:/ [Was]|was| [nur]

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

H OFBEAMTER Nun, Majestät, ich glaube, die würden sich auch mit einem kernigem Städter zufrieden geben, zum Beispiel, mit einem arbeitsamen Statthalter -M ATTHIAS Sei so gut! G RAF (tritt links rasch ein, erblickt M ATTHIAS und verbeugt sich) Majestät! M ATTHIAS Ach, unser lieber Graf! G RAF Majestät, soeben hab ichs vernommen, dass mein Muster eingetroffen ist -- ich habs in der Burg gehört, die ganze Stadt ist ja in heller Begeisterung, so prächtig soll mein Muster sein! M ATTHIAS Fürwahr! Wenn ganz Selischtje so aussieht, erbaue ich dort nächsten Winter eine Burg! H OFBEAMTER Und ich werde Burgvogt. M ATTHIAS Schon wieder? 얍 G RAF Wo sind sie? Ich möcht sie ja auch schon gern sehen -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Kennst Du sie denn nicht? G RAF Mein Gott, Majestät, ich habe meinen Präfekten beauftragt, er möge drei Frauen aus Selischtje hierherbringen, irgendwelche drei, die nächsten besten drei -- die ersten drei, die er trifft, und nun bin ich natürlich begierig, welche drei er getroffen hat. M ATTHIAS Dort warten sie. G RAF (geht rasch zur Türe rechts, öffnet sie heimlich und blickt hinaus --er fährt etwas zurück, fasst sich, blickt nochmals hinaus, ist bestürzt, jedoch beherrscht, schliesst die Türe und fasst sich ans Herz) M ATTHIAS (hat mit dem H OFBEAMTEN konferiert) Schön. Wenn Du meinst – H OFBEAMTER Wir werden dies Problem schon schaukeln. Nur Mut, Majestät! M ATTHIAS (fixiert ihn) Mut? H OFBEAMTER Oh pardon! Pardon, Majestät! (Stille) M ATTHIAS (erblickt den G RAFEN und stutzt) Was fehlt denn Dir? Du bist ja weiss -G RAF (leise) Nichts. Majestät -- es war nur das Herz. Das hört manchmal so komisch auf. (Stille) M ATTHIAS Es tät mir leid, wenn Du heut abend nicht mit dabei sein könntest. Bei meinem kleinem Fest -G RAF Das tät mir auch sehr leid. M ATTHIAS Du willst doch nicht kommen? G RAF Ich komme, Majestät. Sicher. M ATTHIAS Du solltest Dich aber lieber schonen -G RAF Ich schone mich nicht. M ATTHIAS (etwas unwillig zum P AGEN ) Ruf sie herein! (er setzt sich wieder neben den S CHREIBER ) D ER P AGE (öffnet die Türe rechts) B ADER (tritt allein ein, erblickt den G RAFEN , der ihn nicht aus den Augen lässt, und schrickt etwas zusammen) H OFBEAMTER (wieder auf dem Platz des Statthalters) Wo sind die Frauen? B

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M ATTHIAS f Burgvogt.N ]

Textübernahme Mikszáth: „Wenn ganz Szelistye so aussieht, erbaue ich nächsten Winter dort eine Burg.“ „Und ich werde der Burgvogt sein, nicht wahr, mein gnädiger Herr.“ (Mikszáth, S. 58)

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B ADER Verzeihung, hochgeborener Herr Statthalter, aber die eine ist durch das lange Warten grad vorhin ein bisserl schwindlig geworden -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) BSchwindlig?N B N B H OFBEAMTER Hoffentlich wirds bald wieder gut?N B ADER BSicher!N Es war nur das Herz. Das hört manchmal so komisch auf -M ATTHIAS (horcht auf und beobachtet den G RAFEN , der noch immer den B ADER fixiert) H OFBEAMTER Nun, höret! Ich habe mich mit Seiner Majestät in Verbindung gesetzt und Seine Majestät geruhten allergnädigst zu bestimmen, dass BSeine MajestätN die Frauen aus dem Dorfe Selischtje auf seinem Jagdschloss zur Audienz BerwartenN, und zwar noch heute Nacht -- wollte sagen: heute Abend. Bis dahin sollt Ihr hier im Hofgasthaus wohnen, als Gäste Seiner Majestät. Ihr werdet dann abgeholt. Gehet nun Bin Frieden!N B ADER (verbeugt sich tief und geht an dem G RAFEN , der ihn noch immer anstarrt, vorbei, macht ihm ein heimliches Zeichen, als wollte er sagen: „Ich bin unschuldig, ich kann nichts dafür!“ und ab nach rechts) G RAF (blickt ihm kurz nach und tritt dann rasch vor M ATTHIAS ) Majestät, darf ich nun wieder fort -M ATTHIAS (fällt ihm verschmitzt lächelnd ins Wort) Warum? Bleib nur noch B N und hilf uns, wir haben viel zu tun -- -- (zum P AGEN ) Das Nächste! D ER P AGE (verbeugt sich und öffnet rechts die Türe)

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얍 VIERTES BILD

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Im Hofgasthaus. Ein Zimmer des Appartements, in welchem das Muster abgestiegen ist. Rechts und links je eine Türe. Im Hintergrund das Fenster und ein grosser Schrank. Tisch und Stühle. Alles ist voller Blumen. Von der Strasse tönen Serenaden empor, Mandolinengesang und Zigeunermusik. Der B ADER sitzt und schreibt. Es klopft. B ADER Herein! D ER H OFWIRT (tritt links mit viel Blumen ein; er ist einäugig) Es sind wieder Blumen gekommen für die Täubchen -- (er stellt die Blumen auf den Tisch) B ADER Danke, Herr Hofwirt. H OFWIRT Die ganze Stadt ist aus dem Häusel, sogar gerauft ist schon worden, wer dass die Schönste wär -- die Schwarze, die Rote, die Blonde! Wo stecken denn die Damen? B ADER (deutet auf die Türe rechts) Dort. Sie ziehen sich an. H OFWIRT (blickt nach rechts) „Sie ziehen sich aus“ -B ADER (fällt ihm ins Wort) An! 3 3 4 5 9 10–11 13 19

Schwindlig?N ] ] BH OFBEAMTER f gut?N ] BSicher!N ] BSeine MajestätN ] BerwartenN ] Bin Frieden!N ] BN] B

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\Schwindlig?/ [Hoffentlich wirds bald wieder gut?]f x \H OFBEAMTER / xHoffentlich f gut? Sicher[,]|!| [sicher!] [er] |Seine Majestät| erwarte[t]|n| [mit Gott!] |in Frieden!| [ein bisschen]

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H OFWIRT Das ist wurscht. Jaja, jung müsst man halt wieder sein, und schön! Ich hab zwar nur ein Auge, aber ich würd selbst dieses eine Auge riskieren -- Euere Weiber sind ja das reinste Kanonenpulver! Hörens nur, wie die Leut singen, besonders seit es publik geworden ist, dass sie der König auf sein Jagdschloss geladen hat! Wisst Ihr, was das bedeutet? B ADER Ich kanns mir vorstellen. H OFWIRT Die seltenste Auszeichnung! Das war überhaupt noch nicht da! B ADER Geh-geh-geh! H OFWIRT Was schreibens denn da? B ADER Mein Testament. H OFWIRT (perplex) Testament? B ADER (lächelt geschmerzt) Man weiss es nie. Vielleicht schon diese Nacht -H OFWIRT Mit solch einem Muster denkt der Mensch ans Sterben -- (bei Seite) Provinzler! (ab nach links) B ADER (sieht ihm nach) Dass es in einer Haupt- und Residenzstadt solche Naivlinge gibt -- und die reden was über unsere Provinz! (er erhebt sich und riecht an diversen Blumen) Wirklich prachtvoll. Wie auf einem Friedhof. Nötig hab ich das gehabt, mich da einzulassen, der Graf zerreisst mich in der Luft -- (er tritt an die Türe rechts und klopft) Seids bald fertig mit der Anzieherei? In einer halben Stund ist der Wagen des Königs da! Vergesst Euch nicht den Hals zu waschen -was? Wie? Also nur nicht renitent werden! Beherrsch Dich gefälligst! 얍 T HOMAS (öffnet leise die Schranktüre und steigt vorsichtig aus dem Schrank) B ADER (erblickt ihn und erschrickt) Allmächtiger! T HOMAS Ich bins. B ADER (grinst geschwächt) Thomas, der liebe Thomas -- der hat mir noch gefehlt! Seit wann stecken wir denn wieder in diesem Schrank? T HOMAS (fährt sich mit der Hand über die Augen) Was weiss ich, mir ist schon direkt übel -B ADER Wärst erstickt! T HOMAS Freundlich, sehr freundlich! -- Wie war denn die Audienz? B ADER Die Damen haben gefallen. T HOMAS Bravo. Dann fahren wir morgen zurück. B ADER Möglich ist alles! Aber heut abend müssen wir noch zum König. Wir sind eingeladen, auf sein Lustschloss -T HOMAS „Lust“? -- Um Gottes Willen! B ADER Es ist sogar vorgesehen, dass wir eventuell sogar draussen übernachten -T HOMAS Uebernachten?! B ADER Möglich ist alles. Ich habs nicht arrangiert. T HOMAS Aber das wär ja grauenhaft! Nein, ich lass das nimmermehr zu, dass meine Braut da so einfach übernachtet! Nein-nein, nie! Ah, das wär ja das Schönste! B ADER Das Schönste her, das Schönste hin! Hör her, Du Narr! Ich hab Dich aus Hermannstadt mitziehen lassen, aber unter einer Bedingung, nämlich dass Du unB

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Lesetext

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Dich gefälligst!N ] stecken wirN ] BN] BaberN ] BeinerN ] BnämlichN ] B B

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Dich[!] |gefälligst!| [steckst] |stecken wir| [Du schon] \aber/ [der] [|einer|] |einer| \nämlich/

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

sere Expedition nicht hemmst! Wenn ich das geahnt hätt, was ich mir mit Dir da aufhals, na servus! Diese ewigen Scherereien mit Deiner hirnverbrannten Eifersucht! Was willst denn machen gegen den Willen eines Königs, Obernarr?! Und überhaupt: Du könntest Dich nur geehrt fühlen, wenn ein König sich für Deine Braut interessiert. T HOMAS Ich fühl mich aber nicht geehrt. Auf dieser Ebene gibts für mich keinen König! Da hört sich das Vaterland auf! Wenn er es wagen sollte -B ADER (unterbricht ihn entsetzt) Halts Maul! Trottel! Verliert sich noch seinen Kopf -- (er sieht sich ängstlich um) (Stille) T HOMAS Könnte ich mal meine Braut sprechen? B ADER Jetzt werd ich aber wirklich wild! Jetzt werd ich aber sogar rabiat! In einer halben Stund wird sie abgeholt und Du möchst sie vorher noch aufregen, was?! Wo sie eh schon nervös genug ist! Sitzt da drinn und richtet sich her -- verschwind, sag ich Dir, sonst -T HOMAS (unterbricht ihn) Du drohst mir?! B ADER Jawohl, ich drohe Dir! Noch ein Wort -- und ich fang an zu weinen! Du reisst uns ja noch alle in die gediegenste Katastroph! In einen Strudel! T HOMAS Gut, ich geh. Aber das eine merk Dir: wenn etwas passieren sollte, dann bin ich da -- dann komm ich aus ir-얍gendeinem Schrank und, wenns auch Gottbehüt der König selber wär, ich bring ihn um! (rasch ab nach links) B ADER (sieht ihm nach) Der hat mir aber wirklich noch gefehlt -G RAF (tritt rasch links ein) B ADER (erblickt ihn und erschrickt sehr) G RAF (nähert sich ihm langsam und drohend) B ADER (retiriert verlegen lächelnd) G RAF (hält endlich und fixiert ihn) Schurke. Lump. Verbrecher. B ADER Gnädigster Herr Graf -G RAF Halt den Mund! Das also ist Dein Muster -B ADER (windet sich) Die Braut dieses Thomas -G RAF (unterbricht ihn) Das ist die Eine. Und? B ADER (wie zuvor) Und die Zweite: eine brave, hochachtbare Witwe -G RAF „Hochachtbare“! B ADER Sehr wohl, gnädigster Herr Graf! Sie kommt aus Kronstadt, eine Kürschnermeisterswitwe -G RAF „Kürschner“? Dir müsste man mal das Fell abziehen, Verbrecher. Das ist keine Wittwe, das ist eine Badmagd! Lüg nicht! Ich kenne sie genau! BN B

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1 1 1 3 6 7 12 22 22 32 34 34–35

] hemmst! WennN ] BdasN ] BN] BAuf f EbeneN ] BDa f auf!N ] BwirklichN ] BaberN ] BnochN ] BWitweN ] BkommtN ] BKürschnermeisterswitweN ] BN B

[störst und] hemmst\!/ [-- aber] [w]|W|enn \das/ [Du] [In diesem Punkt] |Auf f Ebene| \Da f auf!/ \wirklich/ \aber/ \noch/ korrigiert aus: Wittwe [ist] |kommt| korrigiert aus: Kürschnermeisterswittwe

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

B ADER So? Und mir hat das Stück geschworen, es kennt Euch nicht! Na, der werd ichs aber geben! G RAF Egal! Und wenn Du alle Huren aus Siebenbürgen hergebracht hättest -- egal! Jetzt sag mir nurmal: wer ist denn die Dritte, he? Jawohl, die Dritte? (er zieht den Degen) B ADER (verzweifelt) Herr Graf, nur kein Blut! Ich bin unschuldig, radikal unschuldig! Sie hat unseren Plan erfahren und hat mich gezwungen -- Tuns das Messer weg, Herr Graf! 얍 Jawohl, gezwungen hat sie mich, sie hat mich kommen lassen und hat mir gedroht, dass sie alles sofort verraten würd, unsere ganze Musteraffair, wenn ich sie nicht als Dritte mitnimm -- und, Herr Graf, ich konnts doch nicht verraten lassen, wenn das herausgekommen wär, dass der Graf von Hermannstadt seinen König betrügt -G RAF (unterbricht ihn) Still! (er sieht sich ängstlich um und steckt dann seinen Degen wieder in die Scheide) B ADER (atmet erleichtert auf) G RAF Schick sie heraus. B ADER Jetzt! Eine Viertelstund bevor die Equipage des Königs -G RAF (unterbricht ihn) Auf der Stelle! Los! B ADER Schön. Herr Graf, ich möcht nur noch bemerkt haben, dass die beiden Anderen keine Ahnung haben, wer die Dritte ist -G RAF (herrscht ihn an) Schick sie heraus! (er zückt wieder etwas seinen Degen) B ADER (rasch ab nach rechts) G RAF (allein; sein Blick streift die Blumen und bleibt dann unwillkürlich auf dem Testament des Baders, das noch immer auf dem Tische liegt, heften; er stutzt und liest) „Mein Testament“ -- (er blickt überrascht auf die Türe rechts und liest dann weiter) -- „und so stifte ich dem Spital von Hermannstadt ein Bett für obdachlose Kellnerinnen und mein Personal bekommt meine Badewannen“ -- (er blickt wieder auf die Türe rechts und muss leise lächeln) D IE B LONDE (kommt von rechts, sie ist noch nicht ganz angezogen und hält vor dem G RAFEN ) G RAF (starrt sie an) 얍 D IE B LONDE (lächelt etwas unsicher) G RAF (herrscht sie unterdrückt an) Was fällt Dir ein?! (Stille) B LONDE (wie zuvor) Ich weiss, Du könntest mich töten. Könntest mich auf der Stelle durchbohren -- was? G RAF Mit Recht. B LONDE (wie zuvor) Natürlich. G RAF Mit was denn sonst! (Stille) B LONDE Als ich Dich vorhin beim Statthalter sah, wurd es mir allerdings etwas schwindlig -- aber nur momentan. G RAF Mich traf fast der Schlag, als ich Dich sah, Dich, meine Frau -B LONDE (fällt ihm ins Wort) Niemand wird mich erkennen, da es ja niemand weiss, dass ich Deine Frau bin! Wer ahnt es denn schon, dass Du überhaupt verheiratet bist?! B

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[sie] |es|

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

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G RAF Gottseidank! (er macht eine wegwerfende Geste) B LONDE (herrscht ihn an) Hör auf damit! (Stille) G RAF Was hast Du hier vor? B LONDE Du hast mich auf Deiner Burg wie eine Gefangene gehalten -G RAF (fällt ihr ins Wort) Mit Recht! B LONDE (lächelt seltsam) Mit was denn sonst? (Stille) G RAF Wer hat Dir die Sache mit dem Muster verraten? B LONDE Der Bader. G RAF Was?! Der?! B LONDE Ich liess ihn nämlich mal auf die Burg kommen, damit er mir das Fieber nimmt, ich war so verkühlt und fühlte mich 얍 elend. Da erzählte er es, um mich zu erheitern -- (sie lächelt) Und er hat mich auch erheitert, ich wurd sogar sofort gesund, denn ich sah sogleich, jetzt kannst Du endlich verreisen! G RAF Und Du hast ihm gedroht, wenn er Dich nicht mitnimmt, alles zu verraten? B LONDE . Es war nicht fein. Aber fünf Jahre Kerker -G RAF (unterbricht sie) Kerker? B LONDE Du hast mich auf Deiner Burg wie eine Gefangene gehalten -- Still! Eine Gefangene, ohne Liebe, ohne Freunde, ohne einem Kreuzer Geld! Ich konnt ja nirgendshin, musst immer bleiben, bleiben, bleiben! Und die Welt wurd mir immer weiter, aber in der Nacht kamen nur die Sternlein zu mir. Wer kann von Sternlein leben? Ich nicht. (Stille) G RAF Du weisst, ich bin nicht schuld. Wenn Du so lächelst, denk ich manchmal, Du weisst es noch immer nicht, was Du mir angetan hast. Warum bin ich denn nie zuhaus, warum betrink ich mich jeden Tag, warum verspiel ich denn alles?! Nur wegen Dir! B LONDE Oh, wie oft hab ich das schon bereut, dass ich es Dir verschwiegen hab ! G RAF Am Tag nach der Hochzeit hast Du es mir gestanden. B LONDE Wenn ichs Dir vorher gesagt hätte, hättest Du mich nie geheiratet. G RAF Allerdings. B LONDE Drum hab ichs ja auch erst hinterher gesagt, denn ich hatte Dich lieb. G RAF Ich Dich auch. Aber Du kannst es von mir nicht verlan-얍gen, dass ich mit einer Frau lebe, deren Familie verflucht ist. Begreifst Du denn das nicht? B LONDE (nickt vor sich hin) Ich begreifs, ich begreifs. G RAF Du hast mir den Fluch ins Haus gebracht. Nun haben wir es zu tragen, Du und ich. Wir sind aneinandergekettet vor Gott. B LONDE (leise) Wenn ich nurmal mit Gott sprechen könnte -G RAF Das kann man immer. B LONDE Findest Du? (Stille) B

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habN ] Am f gestanden.N ] Bichs f vorherN ] BN] Berst f gesagt,N ] BN] B B

hab[e] [Zu spät!] |Am f gestanden.| ich\s/ [es] Dir \vorher/ [Dir] [nicht gesagt,] [|verschwiegen|] [|erst hinterher|] |erst f gesagt,| [Und wie!]

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G RAF Seit Du mein Weib bist, geht alles krumm. Entweder regnets im Sommer, dass alles verfault, oder die Dürre verbrennt Feld und Flur. An unserem erstem Hochzeitstage hielt die Pest ihren Einzug in Hermannstadt, und an Deinem Geburtstag überfielen uns die Horden des Sultans -- ich wette, diese Sache mit meinem Muster geht jetzt natürlich auch krumm, wenn Du dabei bist -B LONDE (fällt ihm ins Wort) Oh, ich werd mich nur bemühen, damit Du möglichst viele männliche Arbeitskräfte bekommst -- verlass Dich drauf! G RAF Dann bin ich aber wirklich verlassen. B LONDE Glaubst Du denn wirklich, dass ich schuld bin an der Pest? G RAF Wer denn sonst? B LONDE Vielleicht hätt aber der Sultan auch ohne meinem Geburtstag angegriffen -G RAF Lächerlich! Eine Frau, deren Tante als Hexe verbrannt wurde! Deren Grossvater mütterlicherseits mit Satansrezepten Gold kochte, und deren Onkel man beide Ohren abschnitt, weil er behauptete, die Erde drehe sich um die Sonne! Eine segensreiche Rasse! Mit Dir soll ich leben als Mann und Frau? Du sollst Mutter meines Kindes -B LONDE (hält sich die Ohren zu und unterbricht ihn schreiend) Schweig! Schweig! (Stille) G RAF Dass ich Dich so blind heiratete, dass ich Dich liebte, ohne zu fragen -- das war Dein Werk. Du hast mich behext. B LONDE Willst Du mich auch noch auf den Scheiterhaufen bringen? Ich bin keine Hexe! 얍 G RAF Dir trau ichs zu. B LONDE So reg mich doch jetzt nicht so auf, eine Viertelstund bevor ich zum König soll! (Stille) G RAF Hoffentlich bringst Du dem König kein Unheil. B LONDE Hoffentlich. Ich möcht ihn nur gern kennen lernen, ich hätt ihm gar manches zu berichten. G RAF (misstrauisch) Was denn? B LONDE Nichts über uns speziell -- nur eben so manches, wovon er wahrscheinlich noch nie etwas hörte. G RAF Das gibt es nicht. B LONDE (lächelt) Oh, doch! Der König ist nur von Männern umgeben, Männer regieren, und davon, was ich ihm erzählen möcht, davon wisst ihr Männer nichts. G RAF Was willst Du ihm denn erzählen? B LONDE Etwas vom Schicksal der Frauen in seinem Reich. G RAF (horcht auf und sieht sie gross an) (In der Ferne ertönt Hörnerklang; die S CHWARZE und die R OTE eilen rasch von rechts herein und stürzen ans Fenster; sie sind ebenfalls noch nicht ganz fertig angezogen) S CHWARZE Sie kommen, sie kommen! R OTE Sie blasen bereits! (sie erblickt den G RAFEN und schrickt etwas zusammen) S CHWARZE (erblickt ihn nun auch und deckt sich rasch zu; zur B LONDEN ) Wie kommt denn da ein Mann ins Zimmer? Skandal! Ein fremder Mann! B

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krumm,N ] berichten.N ]

krumm\,/ [aus,] [erzählen.] |berichten.|

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

B LONDE (lächelt) Darf ich vorstellen: dieser fremde Mann ist unser gnädiger Herr, der Graf von Hermannstadt. S CHWARZE Oh! (sie macht einen artigen Knix) B LONDE (deutet auf die S CHWARZE ; zum G RAFEN ) Das ist die Braut des Wirtes vom „Einhorn“, eine Jägerstochter aus Rotkirchen -- (sie deutet auf die R OTE ) Und das ist eine Kürschnermeisterswittwe aus Kronstadt -R OTE (fällt ihr ins Wort) Kannst es ihm ruhig sagen, wer ich bin, der Bader hat mir schon Vorwürf gemacht, dass er mich erkannt hat! B LONDE Erkannt? (zum G RAFEN ) Ihr kennt Euch? R OTE Schon garnichtmehr wahr! B LONDE (sieht den G RAFEN gross an) G RAF (etwas verwirrt) Darf ich mich jetzt empfehlen -B ADER (erscheint vorsichtig in der Türe rechts; zur R OTEN ) Ist er weg? G RAF Noch nicht. B ADER (erblickt ihn, erschrickt und rasch wieder ab nach rechts) 얍 G RAF (lächelt unwillkürlich und wendet sich dann an sein Muster) Also auf Wiedersehen beim König --Wiedersehen! (ab nach links) D AS M USTER (macht einen Knix) R OTE (zur B LONDEN ) Lass Dich nur mit dem nicht ein! Der ist gefährlich. B LONDE So? R OTE Er soll mal ein netter Bursch gewesen sein, aber seit er geheiratet hat -S CHWARZE (fällt ihr ins Wort) Er ist verheiratet? R OTE Heimlich, ganz heimlich nur, aber mir hat ers erzählt. Die Tante seiner Frau hat ein Verhältnis mit dem Teufel gehabt und seit dieser Zeit liebt der Graf seelisch kein Weib mehr. Er gebraucht uns nur. S CHWARZE Armer Graf! B LONDE Wieso arm? S CHWARZE Wenn er die Liebe nicht kennt -- und dabei sieht er so gut aus. R OTE Besser schon, wie Dein Thomas. S CHWARZE Red nicht immer über meinen Bräutigam! Ich glaub schon, Du willst ihn mir wegschnappen! R OTE Blöde Urschel! (Hörnerklang vor dem Hause) H OFWIRT (steckt beider Türe links rasch den Kopf herein) Der Wagen ist da! Der Wagen des Königs! (ab) S CHWARZE (ist mit der R OTEN ans Fenster geeilt) Oh! Da reitens ja auch! Berittene, Berittene! R OTE Kavallerie! S CHWARZE Husaren! R OTE Meine Lieblingssoldaten! B ADER (erscheint vorsichtig in der Türe rechts; zur B LONDEN ) Ist er weg? B

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Lesetext

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gefährlich.N ] Die f gehabtN ]

dieserN ] der GrafN ] BreitensN ] Bauch! f Berittene!N ] B

gefährlich\./ [--] [Seine Frau] |Die Tante seiner Frau| hat [ihn betrogen] |ein Verhältnis mit dem Teufel gehabt| [der] |dieser| [er] |der Graf| reiten\s/ auch\!/ [welche!] |Berittene, Berittene!|

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

얍 B LONDE (nickt in Gedanken versunken: ja) Schon lang. B ADER (tritt aufrecht ein) Also dann hurtig, hurtig! Weg dort vom Fenster! Ziehts Euch fertig an -- los-los! (er tritt ans Fenster und sieht hinab) Grosser Gott! S CHWARZE (zieht sich hurtig fertig an) Sechs Schimmel ziehen die Equipage -- und alles ist Gold und Glas! R OTE (zieht sich ebenfalls hurtig an) Und Husaren, Husaren! Ein komplettes Fähnlein! B ADER (dreht sich vom Fenster dem Muster zu; aufgeregt) Also das ist ein Märchen! Meiner Seel, ein Märchen! B LONDE (lächelt) Vielleicht!

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얍 FUENFTES BILD

Im Park vor dem Jagdschloss des Königs. Aus den hohen Türen fällt das Licht auf eine Terasse , zu der einige Stufen emporleiten. Dort stehen M ATTHIAS und der H OFBEAMTE und blicken zum Himmel empor. Es ist eine warme Sommernacht und in der Nähe rauscht der grosse Wald. B

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M ATTHIAS Die Damen scheinen sich zu verspäten. H OFBEAMTER Weiber lassen sogar einen König warten. M ATTHIAS So? Nun, ich bin auf diesem Gebiete nicht so bewandert, ich kenne ja schliesslich auch die Frau nur vom Kriegsschauplatz her -- bessere Marketenderinnen und so. H OFBEAMTER Sind nicht die Schlechtesten! M ATTHIAS Ich will auch nichts gegen sie gesagt haben, aber ich glaube, es ist doch nicht das richtige. Wenn man nur mehr Zeit hätt! Ein Wunder, dass ich mich heut abend freimachen konnte -- diesen türkischen Gesandten hab ich für morgen verschoben, weiss der Himmel, was der Sultan wieder plant! Ich muss um fünfe in der Früh aufstehen -- jaja! Uebrigens: hast Du auch schon Hunger? H OFBEAMTER Wenn mein Magen nicht an die Hofetikette gewöhnt wär, würd er schon längst knurren. M ATTHIAS Hier auf meinem Jagdschloss gibts keine Etikette, bitt ich mir aus! Lass ihn ruhig knurren. H OFBEAMTER Ich werds ihm ausrichten. (Stille) M ATTHIAS Sag mal: fiel es Dir auch auf, wie nervös heut dieser Graf war? (er lächelt ironisch) Seit wann ist er denn herzkrank? H OFBEAMTER Ich glaub auch , das war ein Schwindel. Er hat doch durch die Tür nach seinem Muster geschaut und da wird er halt wahrscheinlich eine bemerkt haben, die ihn peinlich erinnert, vielleicht hat er sie mal gezwungen dazu -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Gezwungen? B

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TerasseN ] (er f ironisch)N ] BauchN ]

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gemeint ist: Terrasse

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[\(ironi/] [|(|] |(er f ironisch)| \auch/

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

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H OFBEAMTER Es sind doch seine Leibeigenen. M ATTHIAS Ahso. H OFBEAMTER Die müssen parieren. M ATTHIAS Richtig. Hm. (er überlegt und sieht sich dann um) Ich stelle mit Genugtuung fest, dass der Graf auch noch nicht erschienen ist. H OFBEAMTER Dass er es heut nicht begriffen hat, dass wir ihn nicht dabei haben möchten -- Majestät hätten es ihm 얍 direkt sagen müssen, dass er nicht herauskommen soll. M ATTHIAS Das kann ich nicht. H OFBEAMTER Nun, Majestät, ich hab Euch schon sehr häufig sehr direkt reden gehört. M ATTHIAS Aber nicht in so einer privaten Angelegenheit. Freilich wärs blöd, wenn er käm. H OFBEAMTER Dann sags ich ihm, wie er kommt, dass er gleich wieder gehen soll -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Nein-nein, das sieht ja ganz dumm aus! Lassen wir ihn schon da! (Stille) H OFBEAMTER Apropos dumm: wer hat es eigentlich angeordnet, dass dieses Muster mit sechs Schimmeln und Husaren abgeholt wird? M ATTHIAS Ich. H OFBEAMTER Ihr?! M ATTHIAS Ja. Warum? H OFBEAMTER Nichts. Ich fragte nur so. (Stille) M ATTHIAS So red doch. H OFBEAMTER Es ist wirklich nichts, Majestät -M ATTHIAS Jetzt befehl ich es Dir, dass Du sprichst! Sofort! Los! H OFBEAMTER Also, wenn Ihr es mit Gewalt hören wollt: ich wollt mir nur zu bemerken erlauben, dass ich die sechs Schimmel nicht versteh -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Wieso? Ich wollt den Frauen eine Freude machen! Wie unlängst diesem Sterngucker aus Bologna -- den liess ich doch auch mit Husaren abholen! H OFBEAMTER Einen Sterngucker schon, aber nicht ein Muster aus 얍 Selischtje. Ich wollt mir ja nur zu bemerken erlauben, man hätte diesen ganzen Transport auch etwas weniger auffälliger arrangieren können, es muss ja nicht gerade ein jeder wissen, dass der König -M ATTHIAS Du hast recht. (er sieht sich um) Wenn das Muster jetzt nicht bald kommt, dann essen wir allein und gute Nacht! H OFBEAMTER Aber Majestät werden sich doch nicht die Laune -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Reden wir von etwas anderem! (Stille) H OFBEAMTER (lauscht) Was rauscht denn da so? Der Fluss? M ATTHIAS Nein, der Wald. H OFBEAMTER Herrlich, diese Luft! M ATTHIAS Ja. (Stille) H OFBEAMTER Ist es wahr, dass Ihr bei der letzten Hatz allein vier Eber erjagtet? B

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dochN ]

\doch/

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M ATTHIAS Fünf. H OFBEAMTER Kolossal! M ATTHIAS Ja. (Stille) H OFBEAMTER Euere neuen Doggen sind herrlich. Besonders die Hündinnen -M ATTHIAS (plötzlich) Sag mal: welche gefällt Dir am besten? H OFBEAMTER Die gefleckte. M ATTHIAS Wieso die gefleckte? Bist Du irr? H OFBEAMTER (perplex) Ich versteh Euch nicht, Majestät -M ATTHIAS Ich frage Dich, welche von den Weibern aus Selischtje Dir am besten gefällt, und Du antwortest: die gefleckte! Wir haben doch nicht von meinen Doggen gesprochen! H OFBEAMTER (lächelt verstohlen) Achso. (Stille) 얍 M ATTHIAS Na, welche gefällt Dir? H OFBEAMTER Alle drei. M ATTHIAS Da bin ich bescheidener. Mir gefallen nur zwei. H OFBEAMTER Und welche nicht? M ATTHIAS Die Schwarze. Ich glaub, die ist dumm. H OFBEAMTER Möglich. Sie scheint allerdings noch ein bisschen sehr jung zu sein -M ATTHIAS Und ich kann mit sowas Jungem nichts anfangen! Nichts! (er lächelt plötzlich) Was? Ich sprich schon wie ein alter Roué -H OFBEAMTER (lächelt heimlich überlegen) Fast! (Stille) M ATTHIAS Am besten gefällt mir -- Rat mal! H OFBEAMTER Die Blonde? M ATTHIAS Nein, die Rote. H OFBEAMTER So? Jaja, die ist ja auch herrlich – M ATTHIAS Sie hat so etwas herrlich Selbstbewusstes -- ich liebe Frauen, die wissen, was sie sind! H OFBEAMTER Also diese Rote, die wirds sicher schon wissen, aber ich weiss nicht -(er zuckt die Schultern) M ATTHIAS Was gibts denn schon wieder? H OFBEAMTER Darf man ganz ohne Blatt vor dem Mund reden? M ATTHIAS Bitte-bitte! H OFBEAMTER Majestät, mir scheint, das ist eine Hur. M ATTHIAS Eine was? H OFBEAMTER Majestät dürfen sich auf mich verlassen. An Hand meiner persönlichen Erfahrungen -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Unsinn! (Stille) M ATTHIAS Sag mal: wie soll sich denn das jetzt eigentlich alles abwickeln? Ich meine, also wenn jetzt die Drei 얍 kommen -H OFBEAMTER (fällt ihm ins Wort) Ich habs mir folgendermassen gedacht: zuerst essen wir. M ATTHIAS Richtig! H OFBEAMTER Dabei trinken wir schon Wein und dadurch wird ganz von allein alles angeregter. Dann überreichen wir den Damen die kleinen Präsente, über die sie

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

sich phantastisch zu freuen haben -- nun, und dann, dann wird sich schon alles präzis abwickeln, so wie es eben kommen dürfte. M ATTHIAS (überlegt etwas) Weisst Du, eigentlich ist es mir unangenehm -H OFBEAMTER Was? M ATTHIAS Diese ganze Affaire. Seine Majestät, der König, erobern ein Weib. Da ist doch nichts dabei -H OFBEAMTER Was soll denn da dabei sein? Ein Weib ist natürlich keine feindliche Burg -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Das ist es ja eben, dass nichts dabei ist! Der König kann jedes Weib haben -- theoretisch. H OFBEAMTER Und praktisch auch. M ATTHIAS Noch dazu hier, unter seinem eigenem Dache! Diese Frauen aus Selischtje sind doch genau genommen meine Gäste, ich müsste sie ja beschützen, anstatt -- Nein, ritterlich ist es nicht, unser Benehmen! Man müsst auch den freien Willen des Weibes achten. Zu einem ehrlichem Kaufe gehört ein Käufer und ein Verkäufer, zum Rauben allerdings nur ein Räuber. H OFBEAMTER Ihr macht Euch sonderbare Gewissensbisse. Jedes Weib würde sich hochgeehrt fühlen -얍 M ATTHIAS (unterbricht ihn) Aber ich fühl mich nicht hochgeehrt! Am liebsten wärs mir, man könnt incognito kommen -- Vielleicht gehts auch, das Muster weiss es ja noch nicht, wer der König ist! H OFBEAMTER Theoretisch gings. M ATTHIAS Ich komm als Euer Adjutant. H OFBEAMTER (betrachtet ihn unwillkürlich) Ob Ihr aber als Adjutant in der Praxis prompte Erfolge haben -M ATTHIAS (unterbricht ihn, fast scharf) Was heisst das? H OFBEAMTER (erschrickt) Oh pardon! M ATTHIAS (fixiert ihn) Du denkst -- -- (er sieht an sich herab) Hm. Schon möglich, dass ich nicht direkt praktisch wirk -- (er lächelt ein bisserl traurig) E IN L AKAI (erscheint in der Türe) Die Damen aus Selischtje fahren soeben vor! H OFBEAMTER Endlich! (zum L AKAI ) Sofort! L AKAI (ab) M ATTHIAS (zum Hofbeamten) Geh jetzt nur allein hinein -H OFBEAMTER Aber Majestät -M ATTHIAS Nein-nein, lass mich nur noch etwas heraussen, ich werd dann schon kommen. Du bist wenigstens ehrlich zu mir, wenns auch nicht immer Deine Absicht ist. Iss nur artig mit den Damen und sag ihnen, der König hat eine Konferenz, er kommt etwas später -- Geh nur! H OFBEAMTER (etwas bekümmert ab) T HOMAS (schleicht unterhalb der Terasse von rechts herbei) M ATTHIAS (erblickt ihn und starrt ihn an) B

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Noch f Räuber.N ]

Textübernahme Mikszáth: „Als Ritter hättest du auch den Willen der Frauen be-

TerasseN ]

denken sollen, denn der gehört doch auch wohl ein wenig mit zum Spiele. Zum Kaufe gehört ein Käufer und ein Verkäufer, zum Rauben nur ein Räuber. Die Frauen befinden sich unter meinem Dache. Wir dürfen übermütig sein, aber nicht sinnlos.“ (Mikszáth, S. 80f.) gemeint ist: Terrasse

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

T HOMAS (bemerkt M ATTHIAS nicht und will an ihm vorbei auf die Türe zu ) M ATTHIAS (plötzlich) Halt! T HOMAS (erschrickt entsetzlich) Himmel tu Dich auf! 얍 M ATTHIAS (unterdrückt) Schrei nicht! Wer bist Du? Wohin? T HOMAS Gnade, Herr! Gnade! M ATTHIAS Winsel nicht! Was hast Du hier verloren?! T HOMAS Meine Braut, Herr! Meine Braut! M ATTHIAS (perplex) Deine Braut? T HOMAS (deutet auf die Türe) Da drinnen! Dort nachtmahlt sie grad mit dem König! Tut mir nichts, edler Herr, Ihr habt doch sicher auch schon geliebt und habt es gefühlt, wie das brennt! (er schluchzt) M ATTHIAS (lächelt leise) Das muss anscheinend sehr brennen. T HOMAS Der König ist zwar ein gerechter Mann, aber wie kann er einem sowas antun! M ATTHIAS Sei beruhigt: da drinnen passiert nichts. T HOMAS Nichts?! Wenn ein König mit einem armen Mädchen nachtmahlt?! M ATTHIAS Der König ist nicht hochmütig. Er lässt auch einen armen Menschen an seinem Tische sitzen. T HOMAS Besonders wenn er einen Unterrock anhat. M ATTHIAS Du hast eine scharfe Zunge. T HOMAS Ich häng mich auf, ich häng mich auf! (Stille) M ATTHIAS (überlegte) Also die eine ist Deine Braut? T HOMAS (schluchzt wieder) Ja. M ATTHIAS Hm. Ich dachte, Selischtje ist ein Dorf ohne Männer? T HOMAS (weinerlich) Ah was Selischtje! M ATTHIAS (horcht auf) T HOMAS (wendet sich wieder der Türe zu) M ATTHIAS Wohin? T HOMAS Ich bitt Euch, lasst mich mal durch die Tür dort hineinschauen, nur einen einzigen Blick -M ATTHIAS Ausgeschlossen! Der König hats verboten. T HOMAS Er muss es ja nicht erfahren. M ATTHIAS (horcht wieder auf) Dann müsst ich ja den König betrügen -T HOMAS Meiner Treu! Als ob der nicht täglich hundertmal betrogen werden würd! B

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auf f zuN ] ] BSeiN ] BeinN ] BDer f Zunge.N ]

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Er f Jeder.N ]

\auf f zu/ [Ich bin ja so unglücklich --] [Sicher ist das dem König auch schon durch den Sinn gegangen. Doch] [s]|S|ei [der] |ein| Textübernahme Mikszáth: „Warum denn nicht? Der König ist nicht zu stolz, auch den armen Menschen an seinem Tische sitzen zu lassen.“ „Besonders, wenn er einen Unterrock an hat.“ „Hm, Ihr habt eine scharfe Zunge, wie ich sehe.“ (Mikszáth, S. 67f.) Textübernahme Mikszáth: „Ei, er muß es ja nicht erfahren.“ „Immerhin müßte ich ihn betrügen.“ „Na, meiner Treu! Als ob er nicht täglich hundertmal betrogen würde!“ „Er wird betrogen? Der König? Was sprecht Ihr da? Wer würde ihn wohl betrügen?“ Korják lachte, wie man über die naiven Reden eines Kindes zu lachen pflegt. „Nun, jedermann.“ (Mikszáth, S. 68f.)

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

M ATTHIAS Er wird betrogen? Der König? (lauernd) Wer betrügt ihn denn wohl? T HOMAS Alle. Jeder. B ADER (tritt durch die Tür auf die Terasse ) M ATTHIAS (leise zu T HOMAS ) Weg! Es kommt wer! Wir sprechen uns noch! T HOMAS (versteckt sich) B ADER (erblickt Matthias) Ah, meine Hochachtung! Wir kennen uns doch vom Statthalter her, Ihr seid doch seine Schreiberseel oder so -M ATTHIAS (lächelt) Sein Ratgeber. B ADER Auch ein Beruf! Hört mal: ist Euer Herr, dieser besagte Statthalter, immer so neidig? 얍 M ATTHIAS Wieso? B ADER Kaum sitzen wir beim Essen, schickt er mich schon heraus -- er möcht sich mit den drei Weibern allein sein! Kapazität! Ich mach mir schon Sorgen, wenn der König sich noch lang verspätet -- dieses Muster ist ja, wenn überhaupt für wen, dann für den König bestimmt, aber der da drinn ist sich imstand und ramponiert mir noch meine mühsam zusammengeklaubte Kollektion! M ATTHIAS Kollektion? Zusammengeklaubt? B ADER No ja, man sagt das halt so. (Stille) M ATTHIAS Sagt mal: es ist mir zuvor ein eigentümlicher Gedanke gekommen: sind diese Frauen wirklich aus Selischtje? B ADER Der Gedanke ist garnicht so eigentümlich, aber die Weiber sind wirklich aus Selischtje. M ATTHIAS Und die Zuhausegebliebenen sind auch alle so schön? B ADER Im Durchschnitt, ja. M ATTHIAS Dann gratulier ich Euch. Denn, wer den König betrügt, der verliert den Kopf. B ADER Grosser Gott! (er sieht sich ängstlich um und will in den Park) M ATTHIAS Wohin? B ADER Spazieren. M ATTHIAS Habt Ihr denn keinen Hunger? B ADER No, mir ist der Appetit ein bisserl vergangen -M ATTHIAS (freundlich, jedoch sehr bestimmt) Geht jetzt nur trotzdem schön hinein und esset etwas. B ADER Aber er lasst mich ja nicht, Euer Herr! M ATTHIAS Sagt ihm, ich schick Euch, sein Ratgeber. Er hört auf meinen Rat. 얍 B ADER Schön. Ein bisserl ein Milchreis könnt einem alten Mann nix schaden -(ab durch die Türe) M ATTHIAS (sieht ihm nach, wendet sich dann wieder dem Park zu und ruft unterdrückt) Hallo! Bist Du noch da? T HOMAS (erscheint aus seinem Versteck) Natürlich! M ATTHIAS Komm! N

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TerasseN ] dieses f Kollektion!N ] Und f ja.N ]

gemeint ist: Terrasse Textübernahme Mikszáth: „Ich soll meine Kollektion zersplittern, die ich so mühsam gesammelt habe.“ (Mikszáth, S. 45) Textübernahme Mikszáth: „[…] gibt es noch mehr solcher Frauen zu Hause?“

„Im Durchschnitte sehen sie alle so aus,“ antwortete der Alte, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. (Mikszáth, S. 63)

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

T HOMAS Wer seid Ihr eigentlich? Türsteher, was? M ATTHIAS Auch das. T HOMAS Ihr kommt mir plötzlich so bekannt vor -M ATTHIAS Ich seh dem König etwas ähnlich. T HOMAS Dem? Der ist doch ein untersetztes Bürscherl und den Kopf hält er immer ein bisserl so schief -- Nein, dem seht Ihr nicht ähnlich! Ihr seid viel stattlicher! M ATTHIAS (lächelt) Das freut mich! (er sieht sich um) Pass auf, Du willst also, dass Deiner Braut nichts passiert? T HOMAS Das will ich, meiner Seel! M ATTHIAS Gut, ich werde Dir helfen -- ich garantier Dir sogar, dass ihr nichts passiert! T HOMAS (hocherfreut) Wirklich?! M ATTHIAS Nicht so laut! T HOMAS Ich werd mich auch revanchieren -- da, da habens einen Taler! Wir sind ja nicht so! M ATTHIAS (steckt lächelnd den Täler ein) Danke -T HOMAS Ich bin nämlich der Wirt vom „Einhorn“ und wenn Ihr mal nach Hermannstadt kommt, dann besucht mich nur, Ihr seid mein Gast, prima Haus und keine solche Kellnerinnenwirtschaft! Ihr sollt es nicht bereuen, dass Ihr meine ärmste Braut beschützen wollt! M ATTHIAS Die Aermste wird beschützt -- allerdings: unter einer Bedingung. T HOMAS Bedingung? Ihr habt doch schon einen Taler bekommen! M ATTHIAS Das war nur Trinkgeld. T HOMAS Trinkgeld? Ein Taler?! Mit einem Taler, Herr, da hab ich schon ganz andere Leut bestochen! Da könnt ich erzählen, wenns Euch interessiert! M ATTHIAS Das interessiert mich sogar sehr. Das musst Du mir mal alles genau erzählen -- doch nun pass auf: ich werde über Deine Braut wachen, auf Leben und Tod, wenn Du mir jetzt ehrlich antwortest: sind diese drei Frauen aus Selischtje oder nicht? T HOMAS Das ist eine schwere Frage -M ATTHIAS Sie sind also nicht aus Selischtje? T HOMAS Tja! M ATTHIAS Dacht ichs mir doch! (Stille) T HOMAS Die Wahrheit wächst im Himmel, mein lieber Herr, doch die Wurzeln der Lüge gedeihen alle so um das Haus herum im täglichen Leben -- und der Teufel schleppt noch den Dünger herbei, damit sie besser wachsen. Diese drei Frauen B

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Der f schief --N ]

Textübernahme Mikszáth: „Also, wie sieht er aus?“

„Ein blondes, untersetztes Bürschchen; den Kopf hält er etwas schief.“ (Mikszáth, S. 71)

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besuchtN ] DaN ] BichN ] BnunN ] BSelischtje?N ] BDie f wachsen.N ] B B

besuch[ens]|t| [Ich] |Da| [Euch] |ich| [jetzt] |nun| Selischtje[.]|?|

Textübernahme Mikszáth: „Das hat seine Geschichte. Die Wahrheit wächst im Himmel, mein lieber Junker, doch die Wurzeln der Lüge gedeihen alle so um das Haus herum im täglichen Leben. Der Teufel trägt den Dünger zu, daß sie besser wachsen. (Mikszáth, S. 70) BDiese f Springbrunnen.N ] Textübernahme Mikszáth: Die sind so wenig aus Szelistye, mein Sohn, wie jener Turm da uns gegenüber, oder der Springbrunnen dort.“ (Mikszáth, S. 69)

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

sind so wenig aus Selischtje, wie der Turm da uns vis-a-vis oder dort drüben der Springbrunnen. Die Schwarze ist meine Braut -얍 M ATTHIAS (unterbricht ihn) Die Schwarze? T HOMAS Die Schönste! M ATTHIAS No ja! T HOMAS Sie ist aus Rotkirchen. Und die Rote ist aus Kronstadt, eine Kürschnermeisterswitwe, und die Blonde ist auch irgendwoher -- mir scheint, aus Grosswardein. Aber ich bitt Euch, verratet es keiner Seele, dass ichs Euch verraten hab! Ich wurd ja nur wegen meiner Braut zum Verräter. M ATTHIAS Wenn das der König erfährt -T HOMAS (unterbricht ihn) Ah, das wär mir wurscht! Wenns nur der Graf nicht erfährt! Der ist imstand und vierteilt mich! M ATTHIAS (grimmig) Herr Graf haben also seinen König betrogen, damit er die männlichen Arbeitskräfte bekommt -T HOMAS Natürlich! H OFBEAMTER (tritt aus der Türe auf die Terasse ) M ATTHIAS (unterdrückt zu T HOMAS ) Weg! T HOMAS (unterdrückt) Wiedersehen in Hermannstadt! (ab) M ATTHIAS (grimmig) Auf Wiedersehen! Wiedersehen! H OFBEAMTER Mit wem habt Ihr denn jetzt gesprochen? M ATTHIAS Nur mit mir selbst. H OFBEAMTER (horcht perplex auf) Ich wollt mir nur erlauben, zu fragen, wann Majestät hereinkommen, wir halten bereits beim Dessert – M ATTHIAS (unterbricht ihn grimmig und wird immer wütender) Ich brauch kein Dessert! Am liebsten würd ich jetzt da hinein und alles kurz und klein schlagen! Eine solche Niedertracht! Mir das anzutun! Dieser Bursche gehört ja geköpft, geköpft! H OFBEAMTER (entsetzt) Majestät! Welcher Bursche, um Gottes Willen?! M ATTHIAS Und diese Weiber gehören in Ketten gelegt und hinausgeschmissen! H OFBEAMTER (wie zuvor) Majestät, mir scheint, es ist Euch nicht ganz wohl -- Ihr habt Euch hier draussen verkühlt und fiebert -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Ich fiebere nicht! Wohl ists mir allerdings auch nicht! Aber es ist wahr: diese armen Weiber können ja nichts dafür -- sie wurden ja „zusammengeklaubt“, zusammengepresst durch List, Betrug, Willkür! Zusammengefangen, wie das liebe Vieh! H OFBEAMTER (immer entsetzter) Zusammengefangen?! M ATTHIAS Ja, um abgestochen zu werden! H OFBEAMTER (verzweifelt) Abgestochen?! Majestät, ich werd verrückt! M ATTHIAS Das glaub ich Dir gern! Lass mich allein! Glotz mich nicht so geistvoll an! Geh, und mach mit diesem Muster, was Dir beliebt -- das heisst: mit einer Ausnahme! Wenn Du die anrührst, lass ich Dich auch köpfen! H OFBEAMTER (verwirrt) Welche? Die Rote? M ATTHIAS Falsch! Die Schwarze. N

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HerrN ] habenN ] BTerasseN ] Bhereinkommen, f Dessert –N ] BIch f Dessert!N ] B B

[Der] |Herr| ha[t]|ben| gemeint ist: Terrasse hereinkommen\,/ [--]|wir [sind schon] |halten bereits| beim Dessert –| \Ich f Dessert!/

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

H OFBEAMTER (total verwirrt) Die Schwarze? Aber die ist doch dumm, sagtet Ihr! Und ausserdem bin ich ja grad -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Du wirst bei dieser Schwarzen nirgends grad sein, verstanden?! Schick sie heraus! Auf der Stell! Heraus damit! H OFBEAMTER (total verwirrt ab durch die Türe) M ATTHIAS (allein) Männer will er von mir haben, der Herr Graf von Hermannstadt? Männer -- (er grinst grimmig) Gut, er soll erhalten, was er verlangt. Aber ich will ihm eine solche Sorge an den Hals hängen, dass Herr Graf zeitlebens daran denken werden -얍 D IE S CHWARZE (tritt durch die Tür auf die Terasse ) M ATTHIAS (schroff) Hierher! S CHWARZE (schüchtern) Was wollt Ihr? Wer seid Ihr? M ATTHIAS (wie zuvor) Komm! S CHWARZE Man schickt mich in die Nacht hinaus -- (sie nähert sich ihm langsam und hält vor ihm) M ATTHIAS (betrachtet sie) Ein Mann will Dich haben -S CHWARZE (fällt ihm entsetzt ins Wort) Heiliger Himmel! M ATTHIAS Kreisch nicht! Ich hab es Deinem Bräutigam versprochen, dass ich über Dich wachen werde. Schau hin! (er deutet nach dem Park zu) Dort steht er! Hinter dem Baum! S CHWARZE (überglücklich) Thomas! M ATTHIAS Geh hin und ab! S CHWARZE (will hinlaufen, hält jedoch plötzlich wieder und sieht sich ängstlich um) M ATTHIAS Was hast denn? S CHWARZE Angst. M ATTHIAS Vor wem denn? S CHWARZE Vor dem König. Wenn der jetzt kommt und ich bin nicht da -M ATTHIAS (muss lächeln) Hast Angst vor dem König? (er zeigt ihr den Taler, den er von T HOMAS bekommen hat) Schau, diesen Taler, da ist sein Bild droben -- sieht er denn so grausam aus? S CHWARZE (betrachtet den Taler) Nein, das nicht -- (sie zuckt plötzlich zusammen und starrt M ATTHIAS an, schaut dann wieder auf den Taler und starrt dann wieder den König an; entgeistert) Majestät! Majestät -- (sie will in die Kniee fallen) B

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dochN ] ausserdemN ] BMänner f werden --N ]

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TerasseN ] Hast f fallen)N ]

[ja] |doch| [da] |ausserdem| Textübernahme Mikszáth: „Hm, also mein lieber Dóczy dachte, daß ihm der König auf den Leim gehen würde, der gute Narr, der alles glaubt! Wohlan, es sei; scheinbar wird der König alles glauben – doch wird er ihm eine solche Sorge an den Hals hängen, daß Seine Gnaden zeitlebens daran zu tragen haben werden. Nun, ich will tun, was er verlangt, doch nur, um ihn in ewiger Angst zu erhalten.“ (Mikszáth, S. 71) gemeint ist: Terrasse Textübernahme Mikszáth: Hierauf zog er einen neugeprägten Taler aus der Tasche und zeigte Vuca das Geld des Königs. „Hier hast du es, mein Kind. Matthias rex. Sieh diesen Kopf, diese Schultern. Also, wäre dies derselbe?“ Vuca brach in ein Gelächter aus und stieß ihren Zukünftigen gemütlich in die Seite. „Unsinn, purer Unsinn; der sieht ja dem mit der großen Nase ähnlich.“ (Mikszáth, S. 91f.)

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

M ATTHIAS (lässt es nicht zu) Nicht knieen! Das vertrag ich nicht! Lauf nur jetzt zu Deinem Bräutigam, gib ihm diesen Taler und einen schönen Gruss von mir, er solls nur ja nie wieder wagen, derartige Trinkgelder zu verteilen! Diesmal hat er ja noch Glück gehabt, dass er nur seinen eigenen König bestochen hat -- Geh! Lauf zu! S CHWARZE Aber wie kommen wir durch die Wachen? M ATTHIAS Dort ist ein Hintertürl! Marsch! S CHWARZE (überglücklich) Thomas! Thomas! (sie lauft in den Park und ab) M ATTHIAS (blickt ihr nach) E INE F RAUENSTIMME (singt im Schloss zur Laute) Da droben auf jenem Berge Da steht ein goldenes Haus Da schauen wohl alle Frühmorgen Drei schöne Jungfrauen heraus Die eine, die heisset Elisabeth Die andere Bernharda mein Die Dritte, die will ich nicht nennen Die sollt mein eigen sein. M ATTHIAS (lauscht) D IE F RAUENSTIMME Da unten in jenem Tale Da treibt das Wasser ein Rad 얍 Das treibet nichts als Liebe Vom Abend bis wieder an Tag Das Rad, das ist gebrochen Die Liebe, die hat ein End Und wenn zwei Liebende scheiden Sie reichen einander die Händ. M ATTHIAS (ging langsam zur Türe und winkte hinein) D ER L AKAI (erschien devot) M ATTHIAS Welche singt denn da? Die Rote? L AKAI Nein, Majestät! Die Blonde. M ATTHIAS So? D IE B LONDE (singt weiter im Schloss) Ach Scheiden, ach, ach! Wer hat doch das Scheiden erdacht Das hat mein jung frisch Herzelein So frühzeitig traurig gemacht Dies Liedlein, ach, ach! Hat wohl ein Gräflein erdacht Den hat des Ritters Töchterlein Vom Lieben zum Scheiden gebracht. M ATTHIAS (lauschte wieder; zum L AKAIEN ) Was macht denn die Rote? L AKAI (verlegen) Die -- die ist verschwunden, Majestät. Mit Seiner Exzellenz -M ATTHIAS Ahso. (Stille) L AKAI Majestät -M ATTHIAS Was gibts? L AKAI Majestät, der alte Herr, der mit den Damen aus Se-얍lischtje gekommen ist, der ist auch verschwunden, wollt ich nur untertänigst melden.

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

M ATTHIAS Wohin? L AKAI Fort. In grösster Eile, Majestät! Es sah fast aus, wie eine Flucht -M ATTHIAS (lächelt) Aha! (er wird wieder ernst) Wer ist denn dann noch bei der Blonden? L AKAI Niemand, Majestät. Die Dame sitzt allein im Zimmer. M ATTHIAS Allein? (Stille) M ATTHIAS (zum Lakaien) Schick sie heraus. Aber sag ihrs nicht, wer sie erwartet -L AKAI (verbeugt sich und ab) D IE B LONDE ( singt wieder im Schloss) Es ist ein Schnee gefallen Und es ist doch nicht Zeit Man wirft mich mit dem Ballen Der Weg ist mir verschneit. Mein Haus hat keinen Giebel Es ist mir worden alt Zerbrochen sind die Riegel Mein Stüblein ist mir kalt. N

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Ach Lieb, lass Dichs erbarmen Dass ich so elend bin Und schliess mich in Dein Armen So fährt der Winter hin -M ATTHIAS (lauschte wieder und summt nun vor sich hin) So fährt der Winter hin -- -So fährt der Winter hin -- (er denkt nach) 얍 D IE B LONDE (erscheint in der Türe und erblickt M ATTHIAS ; sie stutzt einen Augenblick und sieht ihn dann genauer an) Habt Ihr mich rufen lassen? Wenn Ihr mir etwas zu sagen habt, warum kommt Ihr nicht herein? Warum soll ich heraus? M ATTHIAS (ist überrascht über ihren Ton und wird ein wenig unsicher) Das ist ja wahr -B LONDE (sieht zum Himmel empor) Hier ist es zwar schöner -- (sie lauscht) Wie das rauscht -M ATTHIAS Das ist der Wald. B LONDE Das weiss ich. (Stille) M ATTHIAS (unsicher) Woher kennt Ihr mich? B LONDE (lächelt) Eigentümliche Frage! Wir kennen uns doch schon sehr lang -- seit heut Mittag. Beim Statthalter. Ihr seid doch sein Ratgeber, nicht? B

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B

M ATTHIAS f M ATTHIAS N ]

singt f Schloss)N ] Es f verschneit.N ] BGiebelN ] BstutztN ] B

M ATTHIAS 1 Allein? \(Stille)2/ [Die Blonde (singt wieder im Schloss)] [Es ist ein Schnee gefallen Und es ist doch nicht Zeit Man wirft mich mit dem Ballen Der Weg ist mir verschneit.]f x M ATTHIAS 3 singt[)] |wieder im Schloss)| xEs f verschneit. G[i]|ie|bel s\t/utzt

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

M ATTHIAS Ach jaja! B LONDE Ich hab Euch gleich erkannt -- (sie sieht sich um) Glaubt Ihr, dass der König noch kommt? M ATTHIAS Kaum! B LONDE Das wär aber nicht schön von ihm, uns sitzen zu lassen -M ATTHIAS Er hat halt wichtige Konferenzen. B LONDE Die hätt man verschieben können. M ATTHIAS Habt Ihr eine Ahnung! Wenn man eine verschiebt, drängen sich zwei andere vor. Es ist ein Jammer! Der König kommt schon zu garnichtsmehr -- vor lauter Sorgen. Denkt nur an unsere lieben Türken, zum Beispiel! B LONDE Ja, man weiss es nie, ob man nicht eines Tages aufwacht und die Türken sind da -M ATTHIAS Die Türken werden nicht da sein. Nie! B LONDE Woher wollt denn Ihr das wissen? M ATTHIAS Weils mir der König gesagt hat. (Stille) B LONDE Weiss der König, dass es vielen Frauen in seinem Reich ganz egal wär, ob die Türken kommen oder nicht? M ATTHIAS (fährt hoch) Was?! B LONDE Bei den Türken hat die Frau keine Seele. Bei uns ja -- aber sie wird trotzdem nicht für voll genommen und wird gar meistens behandelt, als wär sie ein liebes Stück Tier ohne jeder Seele. Bei den Türken sitzt die Frau im Harem, bei uns im bestem Fall in der Küche -M ATTHIAS Das ist irgendwo nicht unrichtig -B LONDE Bei den Türken dient die Frau dem Mann und bei uns – M ATTHIAS (unterbricht sie) Bei uns im Abendland ist die Frau jedenfalls keine Sklavin! B LONDE (lächelt) Weiss der König, dass es im Abendland ein Gesetz gibt, dass der Mann die Frau züchtigen darf, dass aber die Frau bestraft wird, wenn sie den Mann schlägt? M ATTHIAS Das ist nicht wahr! B LONDE Doch-doch, seht nurmal nach! Weiss der König, dass es die Frauen in seinem Reiche viel schwerer haben, wie die Männer? Denn die Frau hat nur einen Beruf: das ist der Mann. Und was ist der Kampf der Männer gegen die Türken im Vergleich zu dem Kampf der armen Frauen untereinander um einen Mann! Um den Mann, bei dem jede Frau jedesmal dem Tod begegnet, wenn sie ihm das Leben gibt. Weiss der König, wie der Mann das lohnt? (Stille) M ATTHIAS Sagt mal: welcher Mann hat Euch das alles erzählt? B LONDE (lächelt) Diese Frage hab ich erwartet, sie kam auch prompt, aber ich muss Euch mit meiner Antwort leider enttäuschen: ich habe selber darüber nachgedacht -- jaja, wir Frauen haben auch ein Hirn, wenns auch nicht 얍 immer im Kopf sitzt. Wenn man jahrelang allein ist, dann fängt man an -M ATTHIAS (unterbricht sie lächelnd) -- zu singen. B LONDE Auch das. Und zu denken. Ich sass auf einer Burg, wie eine Gefangene -M ATTHIAS (verschmitzt) In Selischtje? B LONDE (lacht) Ich weiss schon, dass Ihr den Schwindel durchschaut habt, der Bader hat mich bereits gewarnt!

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

M ATTHIAS (perplex) Was für ein Bader? B LONDE Der Alte, der sich hier als Präfekt ausgegeben hat. M ATTHIAS Das wird ja immer schöner! Ein Bader?! B LONDE Es tut mir leid, dass ich als Muster zum König kam, aber manchmal kommt man ohne einem kleinem Betrug nicht dazu, die Wahrheit zu sagen. Wie ich den König sehe, sag ichs ihm sogleich, dass ich nicht aus Selischtje bin -- ihn will ich nämlich nicht betrügen. M ATTHIAS (unwillkürlich) Warum nicht? B LONDE Weil er mir gefällt. (Stille) M ATTHIAS Ihr kennt den König? B LONDE Ja. Das heisst: persönlich noch nicht, aber von vielen Bildern -M ATTHIAS Und er gefällt Euch? B LONDE Sehr. (Stille) M ATTHIAS Hat er nicht eine zu lange Nase? B LONDE (lächelt) Oh, nein! Er sieht auf den Bildern immer so ernst drein, auch ein bisschen traurig. Er muss sehr gescheit sein -- und doch ist er nur ein Lausbub. (Stille) 얍 M ATTHIAS Wer seid Ihr? B LONDE Eine Frau in seinem Reich. (Stille) M ATTHIAS Ich ahn es nicht, wer Ihr seid, ich fühl es nur, Ihr seid irgendwie gefährlich -- verflucht gefährlich -B LONDE (entsetzt) Sagt das nicht! Sagt nicht dieses Wort! M ATTHIAS (perplex) Welches? „Gefährlich“? Das ist bei mir ein Kompliment! B LONDE Nein, das andere! Bitte, nicht -M ATTHIAS Was hab ich denn noch gesagt? Weiss ich garnichtmehr! B LONDE Ihr habt gesagt: verflucht. M ATTHIAS Na und? B LONDE Es gibt Kinder der Sonne und Kinder der Nacht. (Stille) M ATTHIAS Ihr glaubt, dass es verfluchte Menschen gibt? B LONDE Ich weiss es. (Stille) M ATTHIAS (fixiert sie) Jemand, der so schön singen kann -B LONDE Vielleicht gerade deshalb. (Stille) B LONDE (plötzlich) Ich muss jetzt weg. M ATTHIAS Warum? B LONDE Lasst mich, bitte! Ich warn Euch vor mir -- ich bring ja nur Unheil, immer nur Unheil, Unheil – M ATTHIAS Wer könnt denn Euch verflucht haben! B LONDE Mich persönlich niemand. Aber meine Familie -M ATTHIAS Dann gehen wir doch gleich bis Adam und Eva -BN

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B

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Lesetext

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] könntN ]

BN B

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[Ihr seid sicher nicht verflucht.] könnt[e]

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 61

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8 33 35 36 38

IhrsN ] (sie fnur?N ] BJetzt, f SonneN ] Ban)N ] Bum; leise)N ] B B

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Lesetext

B LONDE (fällt ihm ins Wort) Macht keine Scherze! Ich hab schon soviel leiden müssen -얍 M ATTHIAS (fällt ihr ins Wort) Ich scherze nicht! Ich glaube so wenig an verfluchte Geschlechter, wie an Hexen! B LONDE (starrt ihn an) Ihr glaubt nicht, dass es Hexen gibt? M ATTHIAS Nein. Ich bin ja nicht blöd. (Stille) B LONDE Glaubt Ihrs denn auch nicht, dass man mit Teufelsrezepten Gold machen kann? M ATTHIAS Ich glaub an keine Teufelsrezepte, der Satan braucht keine Rezepte, um eine Seele für sich zu kurieren -- und leider glaub ich auch nicht daran, dass man Gold machen kann. Leider, leider! (Stille) B LONDE Darf ich Euch noch etwas fragen? M ATTHIAS Nur zu! Ich antworte gern! B LONDE (langsam) Glaubt Ihr, dass sich die Erde um die Sonne dreht? M ATTHIAS (perplex) Die Erde um die Sonne? B LONDE Ja. (Stille) M ATTHIAS Wer behauptet das? B LONDE Mein Onkel hats irgendwo gehört und hats dann im Casino erzählt. Sie haben ihn vom Fleck weg verhaftet und haben ihm beide Ohren abgeschnitten. M ATTHIAS Beide Ohren? B LONDE Ja. M ATTHIAS Das war aber noch vor meinem Regierungsantritt, nicht? B LONDE (lächelt) Vor Ihrem Regierungsantritt? M ATTHIAS Ah, durch diese Ohren bin ich schon ganz verwirrt! Nun, wenn sich jemand für eine solche Behauptung beide Ohren abschneiden lässt, dann dürft schon etwas Wahres 얍 dran sein. Vielleicht drehen sich halt beide umeinander -die Erde um die Sonne und die Sonne um die Erde. B LONDE (lächelt) Vielleicht! M ATTHIAS Es dreht sich im ganzen Leben immer alles so umeinander herum -- nicht? B LONDE Ja. (sie seufzt leise) Warum nur? M ATTHIAS Das interessiert mich nicht -- (er lächelt und legt seinen Arm um ihre Schulter) Jetzt, zum Beispiel, seid Ihr die Sonne -B LONDE Nein, die Erde -- (sie sieht ihn gross an) (Stille) M ATTHIAS (sieht sich um; leise) Ich muss Euch nun etwas sagen, aber nicht erschrecken und nicht böse sein -B LONDE Was? M ATTHIAS Aber nicht bös sein, ja? B LONDE (lächelt) Nein. Nie. M ATTHIAS (sieht sich nochmals um; sehr leise) Ich bin der König. B

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

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N

Ih[r]|rs| \(sie seufzt leise)/ [Und] [w]|W|arum[?] |nur?| Jetzt\,/1 seid4 Ihr[,]5 zum2 Beispiel,3 die6 Sonne7 an\)/ [und lächelt)] um[)]|;| \leise)/

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

B LONDE (wie zuvor) Warum soll ich da böse sein? Ich wusst es ja schon längst -M ATTHIAS Ihr wusstet es? B LONDE Schon Mittag beim Statthalter -- ich hab Euch gleich erkannt. Von den Bildern, die bei mir hängen. Und so seid Ihr auch. Ich kenne Euch genau. (Stille) M ATTHIAS Hör mal -B LONDE Was? M ATTHIAS Ich glaube, wir passen zusammen -B LONDE Das glaub ich auch. 얍 M ATTHIAS Aber? B LONDE (plötzlich) Du! (sie küsst ihn und er umarmt sie) G RAF (tritt durch die Türe rasch auf die Terasse , erblickt die B EIDEN , hält und starrt hin) D IE B EIDEN (lösen sich langsam voneinander , erblicken den G RAFEN und sind etwas peinlich berührt) G RAF (starrt die B LONDE an und fasst sich ans Herz) M ATTHIAS Ach, unser Graf von Hermannstadt! G RAF Majestät -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Du kommst spät. Wir haben Dich nichtmehr erwartet. G RAF Ich wollt auch nicht kommen, aber dann war es mir doch, als müsst ich mal nachsehen, es ist doch schliesslich mein Muster -- (er grinst) M ATTHIAS (fixiert ihn) Was fehlt Dir denn? Du bist ja ganz weiss -G RAF Nichts, Majestät -- es ist nur das Herz. Manchmal hörts auf -M ATTHIAS (horcht auf und wirft einen forschenden Blick auf die B LONDE ) Schon wieder? B LONDE (lächelt schwach) Ja. (Stille) M ATTHIAS Nun, Graf von Hermannstadt, Wir halten unser Wort: Wir werden dreihundert der tüchtigsten Männer in Selischtje ansiedeln, denn das Muster, das Du Uns gesandt hast, ist wahrlich schön. Wir haben uns entschlossen, im Herbst Selischtje zu besuchen, um dort zu jagen und Uns die zuhausgebliebenen Frauen anzusehen. Wir wollen selber beurteilen, ob sie in puncto Schönheit aus demselben Neste kommen, wie die Uns ge-얍sandten. Wenn nicht, verlierst Du Deinen Kopf. G RAF (entsetzt) Majestät! Was soll das bedeuten?! M ATTHIAS Ich hoffe, Du hast mich verstanden. Gute Nacht, gute Nacht! G RAF (zur B LONDEN ) Hexe! (rasch ab durch die Türe) B

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Lesetext

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12 14 28–34

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TerasseN ] voneinanderN ] BNun f Kopf.N ] B B

BN

]

gemeint ist: Terrasse korrigiert aus: voeinander Textübernahme Mikszáth: „Und nun schreibe, Klemens,“ sprach der König und

begann, sich von Rostó abwendend, zu diktieren: „Matthias Dei Gratia Hungarorum Rex etc. Bonum mane Dóczy! Ibi te viros admitto; feminae a te missae pulchrae insignesque sunt, sed non Szelistyeienses esse narrantur. Doceo te nosmet Szelistye venatum autumnale ad reliquas aspiciendas proficiscemur judicando an missas easque uno nido enatas essent – Si non – capitis perderis.“ (Mikszáth, S. 98) [so]

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

M ATTHIAS Was hat er gesagt? Hexe? B LONDE (traurig) Das sagt er immer. Immer bin ich an allem schuld. (Stille) M ATTHIAS Was habt Ihr denn beide miteinander? B LONDE Nichts. Ich bin nur seine Frau. M ATTHIAS Seine Frau?! B LONDE Ich bin die Gräfin von Hermannstadt. Und ich konnt nur durch eine kleine List zu meinem grossem König gelangen, um ihn zu bitten, mir zu helfen, damit meine Ehe ungültig erklärt wird -- denn das ist keine Ehe, weder vor den Menschen, noch vor Gott. M ATTHIAS ( starrt sie sprachlos an) B LONDE (lächelt) Danke. Aber dann hätt ich noch eine Bitte: Ihr werdet ihm doch nicht den Kopf nehmen -M ATTHIAS Liebt Ihr ihn denn noch? B LONDE (sieht ihn gross an) Nein. Nein -- (sie küsst ihn und er umarmt sie) B

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(Vorhang) 20

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얍 SECHSTES BILD

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Im Hofgasthaus. Wieder im Appartement des Musters. Der Morgen dämmert, aber es ist noch Nacht. Der B ADER in Unterhosen packt rasch seine Gala ein. Der H OFWIRT kommt von links in Schlafrock und Zipfelmütze; er hat eine Kerze in der Hand und ist sehr neugierig. H OFWIRT Man hat mich grad geweckt, Ihr seid schon zurück -- Wie wars denn beim König? Was hat sich denn getan? B ADER (lässt sich beim Packen nicht stören; grimmig) Getan hat sich allerlei. H OFWIRT Was hat denn der König gesagt? B ADER Gar nichts hat er gesagt. H OFWIRT Wie soll ich das verstehen? Sprecht! Werdet deutlicher! B ADER Schön, dann werd ich deutlicher! Der König war garnicht da. H OFWIRT (perplex) Garnicht da?! B ADER Wann fährt die nächste Post? H OFWIRT Wohin? B ADER Nach Hermannstadt. H OFWIRT Ihr wollt auch bereits retour? B ADER Wieso auch? H OFWIRT Weil schon zwei nach Hermannstadt fahren, aber die sind derart verliebt ineinander, dass man nichts aus ihnen herausquetschen kann -- die sehen und hören nur sich -B ADER (unterbricht ihn) Von mir aus! 얍 H OFWIRT Wenn Ihr wüsstet, wer die zwei Beiden sind -B ADER (wie zuvor) Mir ist das wurscht! 11 11 14

starrtN ] sprachlosN ] BN] B B

[sieht] |starrt| [gross] |sprachlos| [Seh ich denn so aus? --]

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

H OFWIRT Ich täts Euch ja gern erzählen -B ADER (wie zuvor) Es interessiert mich nicht, Herr! Ich hab jetzt andere Sorgen! D IE R OTE (kommt von links; sie macht einen mitgenommenen Eindruck und ist noch immer etwas beschwippst ; zum B ADER ) Servus, Majestät! B ADER (erblickt sie und greift sich an den Kopf) Grosser Gott! H OFWIRT (zur R OTEN ) Ah, Küssdiehand, Gnädigste, ergebenster Diener, meine Verehrung -R OTE (fällt ihm ins Wort) Servus, servus! (sie setzt sich) Püh, hab ich müde Füss -B ADER Eine Frau soll nie sagen, dass sie müde Füss hat. Weil das desillusioniert. R OTE (macht eine wegwerfende Geste) Die Illusion ist ein schwankes Rohr im Winde -- (zum H OFWIRT ) Der Herr Statthalter haben mich hergefahren. Ein netter Mensch, ein flotter Gesellschafter und sehr belesen! Aber ein bisserl geizig -B ADER Benimm Dich! (zum H OFWIRT ) Also seiens so gut und beschaffens mir einen Postplatz nach Hermannstadt, Raucher, Fenstersitz, in der Fahrtrichtung -- (er schreit ihn plötzlich an, weil der kaum hinhört und nur die R OTE betrachtet, die sich das Strumpfband richtet) Aber express, express, express! H OFWIRT (braust auf) Was schreins mich denn so an?! B ADER (schreit) Weil ich nervös bin! H OFWIRT (wütend) Adieu! (ab nach links und schlägt hinter sich die Türe zu) B ADER (ruft ihm nach) Sie hauens da keine Türen zu, Sie sind nicht bei mir zu Haus! Auch ein Hotelier! R OTE Du fährst schon retour? B ADER Wir sind nicht per Du. R OTE (ruhig) Kusch. B ADER (fixiert sie) Wieviel haben wir denn getrunken? R OTE Zirka zwei Liter. B ADER Dann seis Dir verziehen. (Stille) R OTE Ich fahr aber noch nicht retour. Morgen bin ich nämlich wieder mit dem Statthalter verabredet, er lässt mich in einer Sänfte abholen, hat er gesagt -- er soll mir lieber drei Taler schenken, was hat man schon von einer Sänfte? Man sitzt drinn und das ist alles. Er will mir seine türkischen Degen zeigen, aus Damaskus. Er sagt, er wär der grösste Privatsammler. Eigentlich ist er ein ordinärer Mensch. Da ist mir ja der Graf noch lieber, der hat wenigstens etwas Gefährliches -B

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B

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Lesetext

N

N

BN

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B N

B ADER (hat nun fertig gepackt, zieht sich seinen Reiseanzug an und nähert sich langsam der R OTEN ) Ich hab mir jetzt was überlegt. Du stehst mir von Euch drei Weibern ohne Zweifel am nächsten, schon rein beruflich -- also hör her: lass den Statthalter Statthalter sein, bleib nicht hier, sondern hau ab, und zwar so hurtig wie nur möglich! R OTE Warum? 얍 B ADER Weil es sich herausgestellt hat, dass das Muster nicht aus Selischtje ist. R OTE Was?! Also ich hab kein Wort, kein Wort! B

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4 11 26 35 36

beschwippstN ] WindeN ] BN] BN] Bgepackt, f anN ] B B

N

gemeint ist: beschwipst Winde[{x}] [Nicht besonders.] [(Stille)] gepackt\, zieht f an/

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 68

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

B ADER Möglich! Aber ich hab mit diesem Ratgeber gesprochen und ich lass mir die Händ abhacken, wenn dieser Bursche nicht alles weiss! Hau ab, hau ab! Ich mein das jetzt direkt väterlich! R OTE Wohin? Nach Hermannstadt? B ADER Aber keine Idee! Ich hab doch zuvor das Billett nur bestellt, damit ich die Häscher auf eine falsche Spur lock! Ich fahr in die Türkei -- und, weisst was? Fahr mit! R OTE In die Türkei? B ADER Was hast Du denn hier schon verloren? Man sperrt Dich ein, man schneidet Dir die Haar ab, man stellt Dich auf den Pranger und spuckt Dir ins Gesicht -- ein so ein begabtes Kind! Wirst sehen, in der Türkei machen wir beide unser Glück. Wir ergänzen uns ja, ich werd Dich offerieren und bring Dich garantiert in einen glänzenden Harem hinein und schon haben wir beide ausgesorgt! R OTE Du im Harem? Was willst Denn Du dort werden? B ADER Was kann ich schon in einem Harem werden? Eunuch! R OTE Wie Du das sagst! Als wär das nichts -B ADER Für mich ist das nichts, verlass Dich drauf! T HOMAS (kommt rasch mit der S CHWARZEN reisefertig von rechts) B ADER (schreit entsetzt auf) Thomas! T HOMAS (lächelt glücklich) Da schreist, was?! Auf gehts! Nach Hermannstadt! Und in drei Wochen ist Hochzeit! S CHWARZE Der König hats uns erlaubt! B ADER Wer? Wer hats Euch erlaubt?! S CHWARZE Seine Majestät, Matthias Corvinus, König von Ungarn! T HOMAS Ja, ich hab ihn bestochen -B ADER Bestochen?! S CHWARZE Mit einem Taler. B ADER (völlig verwirrt) Mit nur so wenig?! Wo, wo habt Ihr 얍 denn den König bestochen, wollt sagen: getroffen? T HOMAS Draussen im Schloss. B ADER Der war draussen?! S CHWARZE Ihr habt ja auch mit ihm dischkuriert! B ADER Ich?! S CHWARZE Auf der Terasse . Der König war niemand anderer, als dieser Ratgeber -(sie lacht leise) B ADER (ausser sich) Dieser?! Jener?! Krach in die Melone! Jetzt häng ich mich auf! R OTE Das war der König?! T HOMAS Ja. R OTE Wenn ich das gewusst hätt! B ADER (völlig verzweifelt) Er hat mir noch gesagt: „Wer den König betrügt, der verliert den Kopf“ -- Ich bitt Euch, schauts hinaus, ob die Häscher sich schon nahen -(zur R OTEN ) Jetzt kommen wir nimmer weit, wenns er selber schon weiss. Adieu Harem! Jetzt ist alles aus -S CHWARZE Im Gegenteil! Der König nimmts doch nicht so tragisch! B

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Lesetext

N

N

B

N

28 34 42–43

B

[i]|I|hr

B

gemeint ist: Terrasse

IhrN ] TerasseN ] BAdieu Harem!N ]

\Adieu Harem!/

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

T HOMAS Uns lasst er sogar heiraten, statt dass er uns einsperrt! S CHWARZE Er hat mir sogar selber das Hintertürl gezeigt -B ADER (horcht auf) Was für ein Hintertürl? S CHWARZE Wo man ins Freie kommt, trotz der Wachen. T HOMAS Der König ist ein gerechter Mann. (zur S CHWARZEN ) Komm! Höchste Zeit, sonst verpassen wir noch unsere eigene Hochzeit! (zum B ADER und zur R OTEN ) Auf Wiedersehen in Siebenbürgen! S CHWARZE Beim Einhorn, beim Einhorn! (ab mit T HOMAS nach links) B ADER (sieht den B EIDEN nach und grübelt) „Hintertürl“ hat sie gesagt? 얍 R OTE (plötzlich) Wenn ich das gewusst hätt! B ADER Was? R OTE Dass dieses Bürscherl er selber ist! Dann hätt ich mich doch nicht mit dem Statthalter abgegeben, sondern gleich mit ihm selber -- ein so ein Pech! Jetzt hat sie ihn. B ADER Wer? R OTE Sie ist mit ihm auf einer Bank gesessen, im Mondschein -- Hand in Hand, wie die Kinder. Ich habs deutlich gesehen vom ersten Stock und hab mir noch gedacht, da schau her, die gibt sich mit einem Schreiber ab, wo ich einen Statthalter hab! Ich war noch stolz, recht geschiehts mir! B ADER (lauernd) Mit wem ist der König auf der Bank gesessen? R OTE Na mit der Blonden! B ADER (schluckt) Das ist zuviel. Wenn das der Graf -- Meiner Seel, ich wunder mich nur, wieso hat mich heut der Schlag noch nicht getroffen -R OTE Wer ist denn eigentlich diese blonde Person? B ADER Lass mich in Ruh! R OTE Zu uns gehört sie mal sicher nicht, aber raffiniert ist Dir die für zwölfe! Der Teufel soll mich auf der Stelle holen, wenn die uns nicht alle in die Tasche steckt! Ich täts auch beschwören, sie hat es schon vorher gewusst, dass dieses Bürscherl der König ist! B ADER Wundern täts mich nicht. Bei der Familie! R OTE Schamlose Kreatur! G RAF (kommt verstört und müde von links) B ADER (springt auf) Herr Graf! Ich weiss alles, Herr Graf, alles -- ich bin informiert! Ich bitt Sie nur, machens kurzen Prozess und bringens mich gleich um! Nur nicht wieder verschieben, meine Nerven halten das nichtmehr aus! 얍 G RAF Ich bin jetzt zu müde dazu, um Dich zu töten -- (er lächelt wehmütig und setzt sich langsam) Stundenlang irr ich schon herum -- ich find und find keinen Ausweg mehr. Mein Kopf, mein Kopf! R OTE Tut er Euch weh, Herr Graf? G RAF Das auch. R OTE Dann hol ich ein Pulver -- (sie will nach rechts ab) G RAF Danke-danke! Er soll mir ruhig wehtun. Jetzt soll er noch machen, was er will. Ich hab ihn eh nimmer lang -B ADER (entsetzt) Herr Graf! BN

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B

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B

]

herumN ]

N

[Hm. Ob] |Vielleicht seh| ich [meine Badewannen jemals wiedersehen werd --] |sie doch noch mal [wieder –] |wieder, meine schönen Badewannen –||] [{umeinand}] [ |umher|] |herum|

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Fassung in sieben Bildern

K2/TS14 (Korrekturschicht)

G RAF (ruhig) Du halt den Mund. Dir passiert nichts. Dieser König pflegt ja immer nur den Kopf zu bestrafen, das Hirn, den Führer -- jaja, die kleinen Diebe lässt er laufen und die Grossen hängt er auf. Er liebt uns halt nicht, uns Aristokraten -(er lächelt wieder wehmütig) B ADER (horchte erfreut auf) Der König wird mir nichts tun? G RAF Nein. Aber ich. Ich lass Dich rösten. R OTE Geh, Herr Graf, seiens doch nicht immer gleich derart pessimistisch! G RAF (lächelt selbstironisch) Hast recht -- ich hab ja allen Grund, um befriedigt zu sein! Sieg auf der ganzen Linie! Seine Majestät, der König, geben dem Grafen von Hermannstadt dreihundert tüchtige Männer! R OTE Ist das wahr?! G RAF Er hats mir selber gesagt. B ADER Na also! G RAF Aber Seine Majestät wollen diese Männer selber nach Selischtje bringen, um sich höchstpersönlich zu überzeugen, ob die dreihundert Damen von Selischtje auch so schön sind, wie mein Muster es ist. Sind sies nicht, verlier ich meinen Kopf. R OTE Das ist nicht wahr! G RAF Er hats mir selber gesagt. B ADER Also das ist schon Tierquälerei! G RAF Ich traf ihn draussen mit meiner Frau -얍 R OTE (fällt ihm ausser sich ins Wort) Ihrer Frau?! Das ist Euere Frau?! Diese blonde Person?! Ujjegerl! G RAF (perplex zum B ADER ) Warum kreischt sie denn so? B ADER Sie wusst es ja noch nicht -G RAF Achso jaja! R OTE Ich sags ja immer: man lernt nicht aus, man lernt nicht aus! G RAF Beruhig Dich, mich hat sie auch überrascht. R OTE Eine Gräfin von Hermannstadt! G RAF Deren Tante mit dem Teufel -- (er lächelt wieder wehmütig) R OTE Sie selber ist auch eine Hex! Jawohl, eine Hexe! Armer Herr Graf! G RAF Danke-danke -(Stille) R OTE Sicher hat sie es dem König verraten -G RAF (unterbricht sie) Das glaub ich nicht! R OTE Totsicher ! Verlasst Euch auf meinen Instinkt! B ADER Ich bitt Dich, fahr ab mit Deinem Instinkt! Der Herr Graf haben recht, die Gräfin hats nicht verraten, denn sie hats ja durch mich erst erfahren, dass es schon verraten worden ist! R OTE Ich habs nicht verraten! G RAF Und ich, weissgott, auch nicht -B ADER Und ich schon garnicht! -- Halt! Jetzt steigt ein furchtbarer Verdacht in mir empor -- Thomas! Jawohl, Thomas! Stimmt, stimmt! Jetzt versteh ich auch das Hintertürl -- dafür hat ers ihr gezeigt! B

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Di[e]|r|

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gemeint ist: Todsicher

DirN ] TotsicherN ] BschonN ] Bworden ist!N ]

\schon/ [wurde!] |worden ist!|

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

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G RAF Was für ein Hintertürl? Und wer hats wem gezeigt! B ADER Der König! Dem Thomas, sie ist doch seine Braut! G RAF (lauernd) Wer ist Thomas? B ADER Der Bräutigam, der Wirt vom Einhorn -G RAF (schnellt empor) Was?! Der ist hierher mitgefahren?! Dieser unzurechnungsfähige , eifersüchtige Patron?! Jetzt bring ich Dich doch noch um! (er zieht seinen Degen) D IE B LONDE (kommt rasch von links, erblickt den Degen und ruft) Halt! D IE D REI (erblicken sie und starren sie versteinert an) 얍 B LONDE Was treibt Ihr denn da? D IE D REI (rühren sich nicht) B LONDE (lächelt leise) Ich bin nur auf einen Sprung gekommen. Der König musste nämlich schon um fünf Uhr aufstehen, aber um sechs ist er wieder bei mir -G RAF (fasst sich ans Herz) R OTE (fährt die B LONDE gehässig an) Ehschonwissen! So regens ihm doch nicht noch mehr auf! Eine Schand ist das, die eigene Frau! B LONDE (fällt ihr ins Wort) Ich bin nichtmehr sein Weib! Unsere Ehe wird für ungültig erklärt! Er hats mir versprochen! B ADER Wer? B LONDE Der König. G RAF Wenigstens ein Trost! (er steckt den Degen ein) R OTE (gehässig) Und Sie, Sie bleiben beim König? B LONDE Ja. G RAF (leise) Armes Vaterland! R OTE Armer König! G RAF Jetzt sind die Türken morgen da. B LONDE (zum G RAFEN ) Hör auf! Der König glaubt nicht an Hexen! Ich hab ihm alles erzählt, aber er fürchtet sich nicht! Im Gegenteil! Er hat gesagt, es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rass angehört, sondern darauf, ob man Rasse hat! Und jetzt will ich Dir einen Weg weisen, wie Du Deinen Kopf rettest! G RAF Ich brauche Deine Hilfe nicht! Verlasse mich! B LONDE Nein! (Stille) B ADER (leise zum G RAFEN ) Anhören könnten wir sie ja -G RAF Nein! (Stille) B LONDE Herr Bader, kommens mal her -- ich wills Ihnen leise 얍 sagen, damit er mich nicht hört. B ADER (geht langsam auf sie zu und hält dicht bei ihr) R OTE (horcht während des folgenden, kann aber nichts verstehen) G RAF (starrt die B LONDE unverwandt an) B LONDE (leise zum B ADER ) In Selischtje leben dreihundert Frauen. Sie sind nicht schön -B ADER Neuigkeiten! BN

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] unzurechnungsfähigeN ] BbraucheN ] BwährendN ] BN B

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[Versteh kein Wort!] unzurechnungsfähig\e/ brauch\e/ während[{}]

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B LONDE Sie sind sogar derart hässlich, dass ich das Haupt meines nun bald ehemaligen Gatten bereits rollen sehe -B ADER Ich seh mich schon am Rost. B LONDE (lächelt) Nun: gibt es in Siebenbürgen dreihundert schöne Frauen? B ADER Man bekommt auch mehr. Aber ausgerechnet in Selischtje -B LONDE (unterbricht ihn) Warum liefert Ihr denn dann keine dorthin? Verpflanzt sie doch! Pflanzt das garstige Unkraut anderswohin und all die zierlichen Blümlein nach Selischtje! Mit guten Worten werdet Ihr doch dreihundert hübsche Bäuerinnen finden, die um ein bisserl Geld gern ihren ständigen Wohnsitz wechseln -B ADER (fällt ihr ins Wort) Das ist eine grandiose Idee! B LONDE Ihr habt sieben Wochen Zeit. B ADER In sieben Wochen bring ich Euch tausend! B LONDE (lächelt) Tausend für dreihundert Männer? Dass wir armen Weiber immer benachteiligt werden -B ADER (strahlt laut) Das ist die Rettung! (zum G RAFEN ) Herr Graf, dass das mir nicht eingefallen ist! Der einzige 얍 Ausweg! (zur R OTEN ) Pack ein-pack ein, wir fahren, verreisen! Hurtig-hurtig! (er zieht sie rasch mit sich nach rechts) R OTE Au! Mein Arm! B ADER Nur nicht so zimperlich! R OTE Bist auch schon verhext?! B ADER Marsch! Pack ein, ich hilf Dir! (zum G RAFEN ; er deutet auf die B LONDE ) Unsere Rettung! (ab mit der R OTEN nach rechts) (Stille) B LONDE Leb wohl! G RAF Leb wohl. B LONDE Jetzt trennen wir uns. G RAF Ja. B LONDE Ich sag Dir danke, für alles, was Du um mich getan. G RAF Bitte. B LONDE Ich weiss, Du hast mir nichts zu danken. (Stille) G RAF Bist Du jetzt glücklich? B LONDE Ja. (Stille) G RAF Verzeih mir, aber Du weisst es ja selber -B LONDE Ja. Entweder lags in den Sternen oder in uns -- und ist doch so einfach gesagt: wir passen halt nicht zusammen. G RAF Leb wohl! B LONDE (lächelt) Auf Wiedersehen in Selischtje! (ab nach links) G RAF (horcht auf) B

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(Vorhang)

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G RAFEN f B LONDE )N ] UnsereN ]

G RAFEN [)]|;| \er f B LONDE )/ [Das ist die] |Unsere|

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

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얍 SIEBENTES BILD

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In Selischtje. Ein liebliches Dorf mit bunten Häuschen, von Bergen und Hügeln umgeben. Es ist Herbst geworden, der Himmel ist blau und der Wald ist rot. Auf dem grösstem Häuschen hängt ein Schild mit der Aufschrift: „Bürgermeisteramt“. Die R OTE kommt rasch von links mit ZWEI B ADMAEGDEN , einer G ROESSEREN und einer K LEINEREN , und hält bei einem Brunnen rechts im Vordergrunde. B

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R OTE So, da wären wir! Dort wohnt er, der Bürgermeister! (sie ordnet sich Frisur und Kleid) G ROESSERE (sieht sich um) Also das ist Selischtje -K LEINERE Soweit ganz lieblich. G ROESSERE Der Berg dort schaut aus, wie eine umgedrehte Badewanne! R OTE Richtet Euch ein bisserl her von der Reis! (sie geht auf das Bürgermeisteramt zu) K LEINERE (richtet sich her) Aber unter dreihundert Talern bin ich nicht zu gebrauchen! R OTE Die Damen werden schon billiger werden! K LEINERE Unter dreihundert nichts zu machen! G ROESSERE (richtet sich ebenfalls her) Wär ja gewiehert! K LEINERE Man soll seinen ganzen Beruf aufgeben und soll hier heraus in ein Dorf und einen Mann bekommen, der einem sogar noch bleibt -얍 R OTE (unterbricht sie) Erzähl das alles dem Bürgermeister! (sie läutet an der Bürgermeisterspforte) B ADER (erscheint in der Pforte; er ist in keiner rosigen Laune) Ah, Habedieehre! R OTE (leise, damits die B ADMAEGDE nicht hören) Ich bring noch zwei. Die Grössere ist aus Klausenburg, die Kleinere aus der Wallachei . B ADER Bäuerinnen? R OTE Nein, Kolleginnen. B ADER Schon wieder? Wir können doch nicht nur aus der Branche! Jetzt haben wir hier glücklich siebenundvierzig Bäuerinnen und zweihunderteinundfünfzig Kolleginnen -- na servus! R OTE Man kriegt keine Bäuerin! Die Herren lassen ihre Leibeigenen nicht fort, und die Hübschen schon garnicht! B ADER (seufzt) Zuständ sind das! Soziale Missständ -- (er nähert sich den B ADMAEGDEN ) Willkommen in Selischtje, liebe Kinder! K LEINERE Das ist ja der Bader aus Hermannstadt! B ADER Halt den Mund! (er geht um die B ADMAEGDE herum und betrachtet sie von allen Seiten) Schön. (zur R OTEN ) Was kosten die Damen? R OTE Je dreihundert. B ADER (spöttisch) Nur? G RÖSSERE Das sind wir unter Brüdern wert. B

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K LEINEREN f Vordergrunde.N ] (sie f zu)N ] BWallacheiN ] B B

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K LEINEREN [.]|,|\und f Vordergrunde./ [Ich hol jetzt den Herrn Bürgermeister --] |(sie f zu)| gemeint ist: Walachei

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

B ADER Ich hab keine Brüder, ich bin ein einziges Kind -- (zur R OTEN ; er deutet auf die G ROESSERE ) Die hat ja O-Füss! G ROESSERE Was?! Das hat mir noch keiner gesagt! Ich hätt O-Füss?! (sie hebt ihre Röcke) B ADER Deck Dich zu! O her, X hin: ich lass mir kein O für ein 얍 U vormachen -- kurz und gut: von A bis Z: abgemacht! Je dreihundert! R OTE (leise zum B ADER ) Warum denn so hastig? Ihr hättet sie doch auch für zweihundertfünfzig -B ADER Warum soll ich handeln? Wir sind so und so bankrott . R OTE (perplex) Bankrott ? B ADER Später! Jetzt zeig diesen beiden biederen Bäuerinnen Haus und Hof! Die Kleinere kriegt das Anwesen Nummer 149a und die mit die O-Füss Nummer 86b -- Halt! Lieber 73d! Neben 86b wohnt nämlich diese fuchsteufelswilde, erst gestern hats wieder gerauft! R OTE Gerauft? B ADER Am Schluss haben zirka zwanzig gerauft -- wie die Hyänen sinds aufeinander los, gekratzt und gebissen -- und wegen was? Wegen nichts. Geh jetzt und zeigs ihnen! R OTE 149a -B ADER Und 73d. Gleich neben dem Friedhof. R OTE (zu den B ADMAEGDEN ) Kommt! (ab mit ihnen nach rechts) D IE P OLIN (geht von links nach rechts vorbei; sie isst einen Apfel) Guten Tag, Herr Bürgermeister! B ADER Was seh ich? Schon wieder ohne Hut in der Sonne? Du, wenn Du mir Sommersprossen kriegst, dann pass aber auf! Du bildest Dir wohl ein, dass Dein Gesicht Dir gehört? Marsch, hol Dir sofort einen Hut! D IE P OLIN (rasch ab nach rechts) G RAF (kommt langsam von links) Meine Verehrung, Herr Bürgermeister -- (er lächelt melancholisch) B ADER (mürrisch) Servus. Dass Du auch mal kommst -- nett von Dir, sehr nett! Die ganze Arbeit muss man allein! 얍 Gottseidank, ists bald vorbei! Jetzt kann dann der König ruhig kommen. Wir sind komplett. G RAF Und bankrott ! B ADER Dafür haben Herr Graf ja seinen Kopf in Sicherheit -G RAF Von meinem Kopf kann ich nicht leben. B ADER (sehr frech) Pech! G RAF (reagiert garnicht) Die Unkosten für diese dreihundert Weiber wären ja noch zu tragen gewesen -- irgendwie. Aber, dass ich jetzt Soldaten anwerben und ausrüsten muss, eine ganze kleine Armee -- das gibt mir allerdings den finanziellen Gnadenstoss. B ADER Was willst machen, lieber alter Freund! Tausende Mannsbilder sind im Anmarsch, alle wollens her, es hat sich halt herumgesprochen, was wir hier angesieB

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bankrottN ] BankrottN ] BSchon f gehört?N ] B B

korrigiert aus: bankrot korrigiert aus: Bankrot Textübernahme Mikszáth: Wenn die Frauen ihr Gesicht vor der Sonne nicht

schützten, schalt er sie: „Glaubst du denn, du Gans, dies Gesicht gehöre dir?“ 33

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bankrottN ]

(Mikszáth, S. 119) korrigiert aus: bankrot

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delt haben -- und wenn diese Mannsbilder da hereinkämen, das gäb ein Tohuwabohu! Wir müssen unsere Weiber schützen und verteidigen! G RAF Aber doch nicht mit Kanonen! B ADER Auch mit Kanonen! Bis zum letzten Blutstropfen! (Stille) G RAF Ich hab das Gefühl, ich werd geneppt. B ADER Ich bitt Dich, raff Dich auf, nimm Dir ein Beispiel an mir! G RAF Du vergisst, dass ich alles verloren hab -B ADER (fällt ihm ins Wort) Und ich hab vielleicht nicht alles verloren?! Meine ganze Badeanstalt, meine schönen, neuen Badewannen – alles, alles! G RAF Ich kann ohne Geld nicht leben. B ADER Das kann niemand. (Stille) 얍 G RAF Wie verdient man Geld? B ADER Mit oder ohne Arbeit? G RAF Ohne. B ADER Hm. Wir beide müssten halt in die Türkei -G RAF (perplex) In die Türkei? B ADER Und zwar direkt sogleich zum Sultan persönlich! Es wäre ein bisserl ketzerisch, aber hör her: wie der König hier gewesen ist, fahren wir zum Sultan und offerieren ihm das ganze Dorf Selischtje für seinen Harem. Eine solche ausgewählte, auf einander abgestimmte Kollektion kriegt er nicht alle Tag -- No ist das ein Plan? G RAF Der Plan ist zwar ketzerisch, jedoch überlegenswert. R OTE (kommt von rechts und erblickt den G RAFEN ) Servus, Graf! Dass man Dich auch mal wieder sieht! G RAF Ich bin nicht in Stimmung -R OTE Was hörst denn neues von Deiner Frau? G RAF Nichts. Nur, dass unsere Ehe jetzt endgültig für ungültig erklärt worden ist. Gestern hab ich den Bescheid bekommen. R OTE Schon? So rasch? B ADER (grinst) Bei der Protektion! R OTE (zum G RAFEN ) Ist sie denn noch beim König? G RAF Kaum! Der König hat in letzter Zeit phantastisches Glück -- alles gelingt ihm, und wenn er es noch so verwegen anpackt! Wenn sie dabei wär, hätt er alles verspielt, wie ich -R OTE Blödsinn! Hier hat sie Dich doch wunderbar herausgerissen -G RAF (fällt ihr ins Wort) Herausgerissen?! (er schreit sie an) Ich lieg auf der Strasse! 얍 R OTE (perplex) Auf der Strasse? B ADER Ich kann das nicht immer hören! (zur R OTEN ) Wenn er sich ausgeflennt hat, dann ruf mich wieder! (ab ins Bürgermeisteramt) (Stille) R OTE (betrachtet den G RAFEN ; ernst und fast liebevoll) Du liegst auf der Strasse? G RAF Ja. B

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dennN ] verspielt,N ] BStrasse?N ] B B

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\denn/ ver[loren,]|spielt,| Strasse?[!]

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R OTE Dann bleib ich bei Dir. (sie setzt sich neben ihn auf den Brunnenrand) G RAF (horcht etwas auf und wirft einen Blick auf sie; dann nimmt er einen Stock und zeichnet im Sand) R OTE Was zeichnest denn da? G RAF Mannderln. (Stille) R OTE Eigentlich hast Du mir immer gefallen und ich habs mir immer heimlich gewünscht, wenn er nur nichts hätt, wenn er nur nichts wär, wenn er nur ganz zugrund gehen würd -- dann würd er mir nämlich erhalten bleiben. G RAF Das hast Du Dir gewünscht? R OTE . Ja. G RAF (ohne jede Bitterkeit) Das ist lieb von Dir. R OTE (lächelt leise) Komisch. Jetzt ists mir, als hätt ich uns hier schon mal sitzen gesehen -- Komm, gib mir einen Kuss. G RAF (gibt ihr einen Kuss) R OTE . Ich küss nämlich sonst garnicht gern -T HOMAS (kommt rasch von links) Herr Graf, Herr Graf! Ich hab eine exorbitante Botschaft für Euch! Eigentlich spiel ich ja mit meinem Kopf, wenn ichs Euch verrate -- aber 얍 ich revanchier mich halt jetzt: ich hab Euch doch auch mal verraten und Ihr wart grossmütig zu mir -G RAF (unterbricht ihn) Ich war nicht grossmütig, es hat mir nur keinen Spass gemacht, Dich zu rösten! T HOMAS Nein, Herr Graf, Ihr wart grossmütig! Jawohl, grossmütig! G RAF (ungeduldig) Aber was nicht noch! (er blickt in den Brunnen hinab) R OTE (zu T HOMAS ) Lassens ihn, er ist in einer Untergangsstimmung – T HOMAS Ich lass ihn nicht, denn ich darf ihn nicht lassen! (er schreit) Herr Graf, der König ist da! Der König! G RAF (schnellt empor) B ADER (erscheint im Fenster des Bürgermeisteramtes; aufgeregt) Der König ist da?! Wo?! Wie?! Wann?! Woher?! T HOMAS (stolz) Bei mir ist er abgestiegen, bei mir! Er hats mir ja auch versprochen! B ADER Bei Dir?! Der Dumme hats Glück! Hü, ist Dir das eine Reklamität für Deine Firma! T HOMAS Leider ist damit Essig! Er reist nämlich incognito -G RAF (fällt ihm ins Wort) Unter welchem Namen? T HOMAS Ihr werdet lachen, Herr Graf! Er reist als ein „Herr von Selischtje“! G RAF (verzieht keine Miene) B ADER Humor hat er, das muss man ihm lassen! Amüsiert sich auf unsere Kosten! (ab vom Fenster) G RAF (zu T HOMAS ) Ich danke Dir, dass Du mir das Incognito des Königs verraten hast. B

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(er f hinab)N ] ihn,N ] BUntergangsstimmung –N ] BDummeN ] BDirN ] BReklamität f Firma!N ] BAmüsiertN ] B B

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\(er f hinab)/ ihn\,/ [doch,] Untergangsstimmung[!] |–| [d]|D|umme \Dir/ Reklam\ität/ für Dein\e/ [Haus!] [|Eine|] [|–|] |Firma!| [Freut] |Amüsiert|

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T HOMAS Hochgeehrt, Herr Graf, ist aber alles nur Revanche! Auch ein Wirt ist Kavallier ! (er verbeugt sich und 얍 will nach rechts ab) R OTE Wohin? T HOMAS Zu meiner Frau -R OTE (fällt ihm ins Wort) In das Dorf direkt darf keine männliche Seele! T HOMAS Aber ich hab sie Euch doch nur hergeliehen! R OTE Wartens hier! Ich hol sie Ihnen -- (ab nach rechts) (Von rechts nach links ziehen nun EINIGE F RAUEN von Selischtje vorbei; sie sind alle verletzt -- entweder ist der Kopf verbunden oder der Arm; die meisten hinken auch -ab nach links) T HOMAS (sieht ihnen perplex nach; zum G RAFEN ) Was ist denn mit denen? G RAF Gerauft habens. T HOMAS Warum? G RAF Mir scheint, sie haben ein bisserl zu schnell getrunken -- (er lächelt müde) T HOMAS Na sowas! Also raufende und trinkende Weiber -- das ist schon das Allerletzte! Hab ich nicht recht, Herr Graf? D IE S CHWARZE (kommt von rechts; um Kopf und Arm trägt sie einen Verband, und ein bisserl hinken tut sie auch; sie lächelt glücklich) Thomas! Thomas! T HOMAS (starrt sie ausser sich an) S CHWARZE Hab nur keine Angst, Mandi, es sieht ärger aus, als wies ist! Ich hab nämlich vorgestern meiner Nachbarin den Besen hinaufgehaut, worauf sie mir einen Teller auf dem Schädel zerschmissen hat und den Arm mit dem Schürhaken -T HOMAS (unterbricht sie scharf) Schweig! Wie kann ein Weib nur raufen! Pfui Teufel! 얍 S CHWARZE Nicht bös sein, Mandi! Wir waren halt beide ein bisserl beschwippst ! T HOMAS (murmelt) Das ist das Ende. S CHWARZE Gut, dass Du hier bist, ich wollt Dir schon schreiben! Stell doch, bitte, unbedingt unter allen Umständen sofort ein paar tüchtige Kellnerinnen ein -T HOMAS (unterbricht sie heiser) Kellnerinnen?! (er wankt) S CHWARZE Wir haben nämlich dann gleich den vierfachen Umsatz! Man hörts überall! Alle habens mir bestätigt! M ATTHIAS (kommt mit der B LONDEN von links; beide im Jagdkostüm) S CHWARZE (erblickt M ATTHIAS als erste und schreit auf) Himmel, der König! Der König, der König! (sie fällt in die Knie, aber das Bein tut ihr weh) Au! (sie steht wieder auf) A LLE (starren M ATTHIAS an und verbeugen sich) B ADER (stürzt aus der Tür des Bürgermeisteramtes, verbeugt sich tief vor M ATTHIAS und blast dann auf einer Trompete ein schmetterndes Signal) A LLE F RAUEN (strömen zusammen, auch die V ERLETZTEN , und machen artige Hofknixe vor M ATTHIAS ) B LONDE (leise zu M ATTHIAS ) Da siehst Du Dein Incognito -M ATTHIAS (lächelt) Dass Du immer recht hast -- komisch! B

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KavallierN ] direktN ] Bkeine f Seele!N ] BWartensN ] BIhnenN ] BbeschwippstN ]

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gemeint ist: Kavalier

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\direkt/ kein\e/ [Mann!] |männliche Seele!| Warte[t] |ns| [Euch] |Ihnen| gemeint ist: beschwipst

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

B LONDE (betrachtet den G RAFEN ) Er sieht schlecht aus. M ATTHIAS Tut er Dir leid? B LONDE Ja. B ADER Frauen Selischtjes! Hier steht Euere Majestät, Euer König, Euer oberster Kriegsherr! Huldiget Euerem Wohltäter, der Euch die ach-so-langersehnten Männer bringt! (er wendet sich an M ATTHIAS ) Euere Majestät! Als Bürgermeister von Selischtje -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Wieso ein Meister? Wir dachten , hier gäbs nur Frauen -B ADER Majestät halten zu Gnaden, ich bin nurmehr ein geborener Bürgermeister! M ATTHIAS Pardon! B ADER Frauen Selischtjes! Seine Majestät, Matthias Corvinus, König von Ungarn -er lebe hoch! Hoch! Hoch! A LLE Hoch! Hoch! Hoch! 얍 M ATTHIAS Wir danken, Herr Bürgermeister -- (er wendet sich den F RAUEN zu und betrachtet sie) Hm -- (zum G RAFEN ) Graf, Wir sind wahrlich überrascht, soviel Schönheit hätten Wir nicht erwartet -- (er lächelt verschmitzt) In der Tat: eine ungewöhnliche Leistung! G RAF (horcht misstrauisch auf) M ATTHIAS Schad, dass ich nicht der Sultan bin -B ADER (horcht auf) B LONDE (zu M ATTHIAS ) Sei so gut! M ATTHIAS (schreitet nun gewissermassen die Front der F RAUEN ab, die vor ihm Hofknixe machen; er dankt landesväterlich und hält überrascht vor der Gruppe der V ERLETZTEN ) Was habt denn Ihr? Was ist denn mit Euch? S CHWARZE (macht einen Hofknix) Majestät, wir haben uns nur ein bisserl verletzt -bei der Arbeit im Heu. M ATTHIAS Ihr müsst ja sonderbare Arbeitsmethoden haben. Das sieht eher aus, wie nach einer Schlacht -- (er stockt, denn er erkennt die S CHWARZE ) Ach, Ihr seid doch die Braut vom „Einhorn“ -- (zu T HOMAS ) Habt Ihr denn noch nicht geheiratet? T HOMAS Doch-doch, Majestät! Schon vor drei Wochen! M ATTHIAS Und Ihr lebt bereits wieder getrennt? Sie hier und Du in Hermannstadt? T HOMAS (verwirrt) Oh nein! Ich hab sie ja nur hergeliehen! M ATTHIAS Hergeliehen? Seit wann pflegt ein braver Patriot sein Weib herzuleihen? T HOMAS (stottert) Seit, seit -B ADER Majestät, dieses „Einhorn“ ist in der Geschichte nicht 얍 so bewandert! Majestät halten zu Gnaden, er ist ein Tepp ! T HOMAS (braust auf) Was?! M ATTHIAS (zu T HOMAS ) Beruhig Dich nur. (zum B ADER ) Herr Bürgermeister. Wir glauben es nicht, dass dieses „Einhorn“ ein Tepp ist. Es kann nur nicht lügen. B ADER Das ist es ja grad! (er bemerkt, dass er zuviel geredet hat und erschrickt über sich selbst) G RAF (starrt den B ADER hasserfüllt an und greift an seinen Degen) M ATTHIAS Wirklich, ein tolles Dorf! (zum G RAFEN ) Respekt, Graf von Hermannstadt, Respekt! Wir werden auch Euere Leistung gebührend würdigen -B

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Wir dachtenN ] TeppN ] BTeppN ] B B

[Ich] |Wir| dachte\n/ gemeint ist: Depp gemeint ist: Depp

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

Lesetext

G RAF (etwas heiser) Leistung? M ATTHIAS Nun, Wir denken, es dürfte kein Kinderspiel sein, eine derartige Kollektion zusammenzuklauben -G RAF (beherrscht sich mühsam) Was denken, Majestät? M ATTHIAS Ich denk nicht nur, sondern ich weiss sogar. Alles. G RAF (mit wilder Entschlossenheit) Majestät! Wenn Ihr alles wisst , dann macht, bitte, kurzen Prozess, ja?! Jetzt mag ich nichtmehr, ich hab alles verloren, köpft mich auf der Stell! Jawohl, diese Weiber sind nicht aus Selischtje, ich hab sie hierherverpflanzt, ich! R OTE (schnellt vor und deutet auf die B LONDE ) Und das war ihre Idee! Ihre! M ATTHIAS Das ist nicht wahr! 얍 R OTE Doch-doch, Majestät! Und wenn Ihr jetzt den Grafen köpfen lasst, dann lassts auch mich -- auch mich, auch mich! (sie weint) M ATTHIAS (zur B LONDEN ) Komm! Rechtfertige Dich! B LONDE (tritt vor) Dass man hier schöne Frauen herpflanzt, das war nicht meine Idee -R OTE (lacht kurz höhnisch auf) Ich war ja selber dabei, wie Ihr gekommen seid, heimlich in der Nacht, um es dem Grafen zu sagen! B LONDE Das stimmt. Aber ich bin ja nur gekommen, weil mein König mich geschickt hat. Ich habe nur seinen Auftrag erfüllt. Dieses Selischtje war seine Idee. R OTE (starrt sie an) Seine? M ATTHIAS Ja. Graf von Hermannstadt, Du hast alle Deine Güter verloren -- das tut Uns leid. Wir haben Uns entschlossen, alle Deine Schuldscheine aufzukaufen -Du kriegst alles wieder zurück. G RAF (traut seinen Ohren nicht) Wieder zurück?! M ATTHIAS Es war ja nicht Unsere Absicht, Dich zugrund zu richten, Wir wollten Dir nur Angst einjagen, denn wer seinen König betrügt, der soll sich fürchten, aber doch nicht gleich zugrund gehen -- das wär doch wirklich ein bisserl ungerecht! G RAF (hocherfreut) Majestät! M ATTHIAS Wir halten auch unser Wort, die dreihundert Männer treffen morgen ein, denn die Frauen, die Du hier zusammengeklaubt hast, sind wirklich einzigartig. Nur eines noch: die Männer, die ich Dir gebe, sind keine Soldaten, sondern Räuber -B ADER Räuber?! 얍 M ATTHIAS Ich kann doch Eueren Frauen, und wenn sie noch so niedlich sind, keine ehrlichen Soldaten geben -- Ich werde hier Räuber ansiedeln. Lauter stramme Burschen -- (er lächelt verschmitzt) Habt nur keine Angst, sie werden nichtmehr rauben! Selischtje ist doch so lieblich -- und die Erde ist gut, sauber die Höfe und Jeder hat sein Feld. Warum sollten sie rauben, wenn sie arbeiten können? Ich glaub es nicht -- ich glaub es nicht, dass es in meinen Landen dreihundert geborene Räuber gibt! B ADER (begeistert) Majestät, Ihr seid mein Mann! Es lebe der König! BN

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wisstN ] UnsN ] BgleichN ] B B

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[Wie soll ich das verstehen, Majestät? M ATTHIAS Eine Frau kostet immer Geld -- und gar erst dreihundert! G RAF (wie zuvor)] korrigiert aus: wüsst korrigiert aus: uns gleich[{}]

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Fassung in sieben Bildern

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K2/TS14 (Korrekturschicht)

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A LLE Hoch! Hoch! Hoch! B LONDE (zu M ATTHIAS ) Sagst es ihm noch, ja? M ATTHIAS (lächelt) Nein, das vergesse ich sicher nicht -- (zum G RAFEN ) Ich will Dir nur noch sagen, dass diese Frau mir kein Unglück gebracht hat, sondern im Gegenteil: nur Glück. Seit ich sie kenne, geht alles besser. Der Weizen steht herrlich, seit Jahren gabs nichtmehr so viel Trauben, in der ganzen Zeit kein einziger Fall von Pest und der Sultan ist unwahrscheinlich friedlich -G RAF (lächelt) Ihr lacht mich aus? M ATTHIAS Ja. G RAF Verzeiht mir, Majestät, dass ich diese Frau auf meiner Burg wie eine Gefangene gehalten hab -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort, sehr leise, damit es die B LONDE nicht hört) Ich danke Dir, dass Du sie wie eine Gefangene gehalten hast, denn dadurch hat sie ja erst angefangen zu denken -- (er wendet sich plötzlich wieder an die F RAUEN ) Frauen von Selischtje! Wir sehen Euch 얍 hier vor uns stehen, blond und braun und rot und schwarz, jede geschmückt und geputzt und gerichtet, und Ihr gefallt uns so gut, wie immer! Ihr gefallt uns sogar noch besser, denn wir haben einen Blick bekommen für Euere Sorgen -- Lebt wohl, Ihr Frauen von Selischtje! Vergesset was war, werdet glücklich! Und wenn Euch die Männer schlecht behandeln, dann kommt nur zu mir, ich hör Euch an, denn es ist wichtig, dass es der Frau gut gehe -schliesslich seid Ihr Frauen ja immerhin die grössere Hälfte meines Volkes! Also kommt nur zu mir -- oder, wenn ich grad in einem Krieg sein sollte, zu meiner Stellvertreterin in diesem Ressort -- (er deutet auf die B LONDE ) Zur Frau Fürstin von Selischtje! G RAF Fürstin?! M ATTHIAS Ja. Sie könnt auch eine Königin sein -- (er lächelt) B ADER (ausser sich) Karrier-Karrier! R OTE Es lebe die Königin! A LLE Hoch! Hoch! Hoch! B LONDE (lächelt) M ATTHIAS (sieht etwas erstaunt drein) (Vorhang) N

ENDE

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B LONDE f drein)N ]

\B LONDE f drein)/

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ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 89

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

Lesetext

\Textverlust\

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얍 G RAF Deren Tante mit dem Teufel -- (er lächelt wieder wehmütig) R OTE Sie selber ist auch eine BHex!N Jawohl, eine BHexe!N Armer Herr BGraf!N G RAF Danke-danke -(Stille) R OTE Sicher hat sie es dem König verraten -G RAF (unterbricht sie) Das glaub ich Bnicht!N R OTE B BTotsicherN!N Verlasst Euch auf meinen BInstinkt!N B ADER Ich bitt Dich, fahr ab mit Deinem BInstinkt!N Der Herr Graf haben recht, die Gräfin hats nicht verraten, denn sie hats ja durch mich erst erfahren, dass es schon verraten worden Bist!N R OTE Ich habs nicht Bverraten!N G RAF Und ich, weissgott, auch nicht -B ADER Und ich schon Bgarnicht! --N Halt! Jetzt steigt ein furchtbarer Verdacht in mir empor – BThomas!N Jawohl, BThomas!N Stimmt, Bstimmt!N Jetzt versteh ich auch das Hintertürl -- dafür hat ers ihr Bgezeigt!N G RAF Was für ein BHintertürl!N Und wer hats wem Bgezeigt!N B ADER Der BKönig!N Dem Thomas, sie ist doch seine Braut! G RAF (lauernd) Wer ist BThomas?N B ADER Der Bräutigam, der Wirt vom Einhorn -G RAF (schnellt empor) BWas?!N Der ist hierher Bmitgefahren?!N Dieser unzurechnungsfähige, eifersüchtige BPatron?!N Jetzt bring ich Dich doch noch Bum!N (er zieht seinen Degen) D IE B LONDE (kommt rasch von links, erblickt den Degen und ruft) BHalt!N 얍 D IE D REI (erblicken sie und starren sie versteinert an) B LONDE Was treibt Ihr denn Bda?N D IE D REI (rühren sich nicht) 3 3 3 7 8 8 8 9 11 12 14 15 15 15 16 17 17 18 19 21 21 22 22 24 26

Hex!N ] Hexe!N ] BGraf!N ] Bnicht!N ] BTotsicherN ] BTotsicher!N ] BInstinkt!N ] BInstinkt!N ] Bist!N ] Bverraten!N ] Bgarnicht! --N ] BThomas!N ] BThomas!N ] Bstimmt!N ] Bgezeigt!N ] BHintertürl?N ] Bgezeigt!N ] BKönig!N ] BThomas?N ] BWas?!N ] Bmitgefahren?!N ] BPatron?!N ] Bum!N ] BHalt!N ] Bda?N ] B B

korrigiert aus: Hex ! korrigiert aus: Hexe ! korrigiert aus: Graf ! korrigiert aus: nicht ! gemeint ist: Todsicher korrigiert aus: Totsicher ! korrigiert aus: Instinkt ! korrigiert aus: Instinkt ! korrigiert aus: ist ! korrigiert aus: verraten! korrigiert aus: garnicht !-korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: Thomas ! korrigiert aus: stimmt ! korrigiert aus: gezeigt ! korrigiert aus: Hintertürl ! korrigiert aus: gezeigt ! korrigiert aus: König ! korrigiert aus: Thomas ? korrigiert aus: Was ?! korrigiert aus: mitgefahren ?! korrigiert aus: Patron ?! korrigiert aus: um ! korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: da ?

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 12

ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 13

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

B LONDE (lächelt leise) Ich bin nur auf einen Sprung gekommen. Der König musste nämlich schon um fünf Uhr aufstehen, aber um sechs ist er wieder bei mir -G RAF (fasst sich ans Herz) R OTE (fährt die B LONDE gehässig an) Ehschonwissen! So regens ihm doch nicht noch mehr auf! Eine Schand ist das, die eigene Frau! B LONDE (fällt ihr ins Wort) Ich bin nichtmehr sein Weib! Unsere Ehe wird für ungültig erklärt! Er hats mir versprochen! B ADER Wer? B LONDE Der König. G RAF Wenigstens ein Trost! (er steckt den Degen ein) R OTE (gehässig) Und Sie, Sie bleiben beim König? B LONDE Ja. G RAF (leise) Armes Vaterland! R OTE Armer König! G RAF Jetzt sind die Türken morgen da. B LONDE (zum Grafen) Hör auf! Der König glaubt nicht an Hexen! Ich hab ihm alles erzählt, aber er fürchtet sich nicht! Im Gegenteil! Er hat gesagt, es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rass angehört, sondern darauf, ob man Rasse hat! Und jetzt will ich Dir einen Weg weisen, wie Du Deinen Kopf rettest! G RAF Ich brauche Deine Hilfe nicht! Verlasse mich! B LONDE Nein! 얍 (Stille) B ADER (leise zum G RAFEN ) Anhören könnten wir sie ja -G RAF Nein! (Stille) B LONDE : Herr Bader, kommens mal her -- ich wills Ihnen leise sagen, damit er mich nicht hört. B ADER (geht langsam auf sie zu und hält dicht bei ihr) R OTE (horcht während des folgenden, kann aber nichts verstehen) G RAF (starrt die B LONDE unverwandt an) B LONDE (leise zum B ADER ) In Selischtje leben dreihundert Frauen. Sie sind nicht schön -B

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Ehschonwissen!N ] auf!N ] BFrau!N ] BWeib!N ] Berklärt!N ] Bversprochen!N ] BWer?N ] BTrost!N ] BKönig?N ] BVaterland!N ] BKönig!N ] Bauf!N ] BGegenteil!N ] Bhat!N ] Brettest!N ] Bnicht!N ] Bmich!N ] BNein!N ] BNein!N ] B B

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korrigiert aus: Ehschonwissen ! korrigiert aus: auf ! korrigiert aus: Frau ! korrigiert aus: Weib ! korrigiert aus: erklärt ! korrigiert aus: versprochen ! korrigiert aus: Wer ? korrigiert aus: Trost ! korrigiert aus: König ? korrigiert aus: Vaterland ! korrigiert aus: König ! korrigiert aus: auf ! korrigiert aus: Gegenteil ! korrigiert aus: hat ! korrigiert aus: rettest ! korrigiert aus: nicht ! korrigiert aus: mich ! korrigiert aus: Nein ! korrigiert aus: Nein !

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 14

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

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Neuigkeiten!N ] Frauen?N ] Bdorthin?N ] Bdoch!N ] BSelischtje!N ] BIdee!N ] Btausend!N ] BMänner?N ] BRettung!N ] Bist!N ] BAusweg!N ] Bverreisen!N ] Bhurtig!N ] BAu!N ] BArm!N ] Bzimperlich!N ] Bverhext?!N ] BMarsch!N ] BDir!N ] BRettung!N ] BStilleN ] Bwohl!N ] B B

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B ADER Neuigkeiten! B LONDE Sie sind sogar derart hässlich, dass ich das Haupt meines nun bald ehemaligen Gatten bereits rollen sehe -B ADER Ich seh mich schon am Rost. B LONDE (lächelt) Nun: gibt es in Siebenbürgen dreihundert schöne Frauen? B ADER Man bekommt auch mehr. Aber ausgerechnet in Selischtje -B LONDE (unterbricht ihn) Warum liefert Ihr denn dann keine dorthin? Verpflanzt sie doch! Pflanzt das garstige Unkraut anderswohin und all die zierlichen Blümlein nach Selischtje! Mit guten Worten werdet Ihr doch dreihundert hübsche Bäuerinnen finden, die um ein bisserl Geld gern ihren ständigen Wohnsitz wechseln -B ADER (fällt ihr ins Wort) Das ist eine grandiose Idee! B LONDE Ihr habt sieben Wochen Zeit. B ADER In sieben Wochen bring ich Euch tausend! B LONDE (lächelt) Tausend für dreihundert Männer? Dass wir 얍 armen Weiber immer benachteiligt werden -B ADER (strahlt laut) Das ist die Rettung! (zum G RAFEN ) Herr Graf, dass das mir nicht eingefallen ist! Der einzige Ausweg! (zur R OTEN ) Pack ein – pack ein, wir fahren, verreisen! Hurtig- hurtig! (er zieht sie rasch mit sich nach rechts) R OTE Au! Mein Arm! B ADER Nur nicht so zimperlich! R OTE Bist auch schon verhext?! B ADER Marsch! Pack ein, ich hilf Dir! (zum G RAFEN ; er deutet auf die B LONDE ) Unsere Rettung! (ab mit der R OTEN nach rechts) ( Stille ) B LONDE Leb wohl! G RAF Leb wohl. B LONDE Jetzt trennen wir uns. G RAF Ja. B LONDE Ich sag Dir danke, für alles, was Du um mich getan. G RAF Bitte. B

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K2/TS15 (Korrekturschicht)

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korrigiert aus: Neuigkeiten ! korrigiert aus: Frauen ? korrigiert aus: dorthin ? korrigiert aus: doch ! korrigiert aus: Selischtje ! korrigiert aus: Idee ! korrigiert aus: tausend ! korrigiert aus: Männer ? korrigiert aus: Rettung ! korrigiert aus: ist ! korrigiert aus: Ausweg ! korrigiert aus: verreisen ! korrigiert aus: hurtig ! korrigiert aus: Au ! korrigiert aus: Arm ! korrigiert aus: zimperlich ! korrigiert aus: verhext ?! korrigiert aus: Marsch ! korrigiert aus: Dir ! korrigiert aus: Rettung ! korrigiert aus: STILLE korrigiert aus: wohl !

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 15

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

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Lesetext

B LONDE Ich weiss, Du hast mir nichts zu danken. (Stille) G RAF Bist Du jetzt glücklich? B LONDE Ja. (Stille) G RAF Verzeih mir, aber Du weisst es ja selber -B LONDE Ja. Entweder lags in den Sternen oder in uns -- und ist doch so einfach gesagt: wir passen halt nicht zusammen. G RAF Leb wohl! 얍 B LONDE (lächelt) Auf Wiedersehen in Selischtje! (ab nach links) G RAF (horcht auf) B

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K2/TS15 (Korrekturschicht)

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(Vorhang) 15

얍 SIEBENTES BILD

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 17

In Selischtje. Ein liebliches Dorf mit bunten Häuschen, von Bergen und Hügeln umgeben. Es ist Herbst geworden, der Himmel ist blau und der Wald ist rot. Auf dem grössten Häuschen hängt ein Schild mit der Aufschrift: „Bürgermeisteramt“. Die R OTE kommt rasch von links mit ZWEI B ADMAEGDEN , einer G ROESSEREN und einer K LEINEREN , und hält bei einem Brunnen rechts im Vordergrunde. R OTE So, da wären wir! - Dort wohnt er, der Bürgermeister! (sie ordnet sich Frisur und Kleid) G ROESSERE (sieht sich um) Also das ist Selischtje -K LEINERE Soweit ganz lieblich. G ROESSERE Der Berg dort schaut aus, wie eine umgedrehte Badewanne! R OTE Richtet Euch ein bisserl her von der Reis! (sie geht auf das Bürgermeisteramt zu) K LEINERE (richtet sich her) Aber unter dreihundert Talern bin ich nicht zu gebrauchen! R OTE Die Damen werden schon billiger werden! K LEINERE Unter dreihundert nichts zu machen! G ROESSERE (richtet sich ebenfalls her) Wär ja gewiehert! K LEINERE Man soll seinen ganzen Beruf aufgeben und soll hier heraus in ein Dorf und einen Mann bekommen, der einem sogar noch bleibt -B

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glücklich?N ] wohl!N ] BSelischtje!N ] Bwir! -N ] BBürgermeister!N ] BBadewanne!N ] BReis!N ] Bgebrauchen!N ] Bwerden!N ] Bmachen!N ] Bgewiehert!N ] B B

korrigiert aus: glücklich ? korrigiert aus: wohl ! korrigiert aus: Selischtje ! korrigiert aus: wir!korrigiert aus: Bürgermeister ! korrigiert aus: Badewanne ! korrigiert aus: Reis ! korrigiert aus: gebrauchen ! korrigiert aus: werden ! korrigiert aus: machen ! korrigiert aus: gewiehert !

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Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

R OTE (unterbricht sie) Erzähl das alles dem Bürgermeister! (sie läutet an der Bürgermeisterspforte) 얍 B ADER (erscheint in der Pforte; er ist in keiner rosigen Laune) Ah, Habedieehre! R OTE (leise, damits die Badmägde nicht hören) Ich bring noch zwei. Die Grössere ist aus Klausenburg, die Kleinere aus der Wallachei . B ADER Bäuerinnen? R OTE Nein, Kolleginnen. B ADER Schon wieder? Wir können doch nicht nur aus der Branche! Jetzt haben wir hier glücklich siebenundvierzig Bäuerinnen und zweihunderteinundfünfzig Kolleginnen -- na servus! R OTE Man kriegt keine Bäuerin! Die Herren lassen ihre Leibeigenen nicht fort, und die Hübschen schon garnicht! B ADER (seufzt) Zuständ sind das! Soziale Misständ -- (er nähert sich den B ADMAEGDEN ) Willkommen in Selischtje , liebe Kinder! K LEINERE Das ist ja der Bader aus Hermannstadt! B ADER Halt den Mund! (er geht um die B ADMAEGDE herum und betrachtet sie vor aller Seiten) Schön. (zur R OTEN ) Was kosten die Damen? R OTE Je dreihundert. B ADER (spöttisch) Nur? G RÖSSERE Das sind wir unter Brüdern wert. B ADER Ich hab keine Brüder, ich bin ein einziges Kind -- (zur R OTEN ; er deutet auf die G ROESSERE ) Die hat ja O- Füss! G ROESSERE Was?! Das hat mir noch keiner gesagt! Ich hätt O-Füss?! (sie hebt ihre Röcke) B ADER Deck Dich zu! O her, X hin: ich lass mir kein O für ein U vormachen -- kurz und gut: von A bis Z: abgemacht! 얍 Je dreihundert! R OTE (leise zum B ADER ) Warum denn so hastig? Ihr hättet sie doch auch für zweihundertfünfzig -B

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Habedieehre!N ] WallacheiN ] BBäuerinnen?N ] Bwieder?N ] BBranche!N ] Bservus!N ] BBäuerin!N ] Bgarnicht!N ] Bdas!N ] BSelischtjeN ] BKinder!N ] BHermannstadt!N ] BMund!N ] BDamen?N ] BNur?N ] BFüss!N ] BWas?!N ] Bgesagt!N ] Bzu!N ] Babgemacht!N ] Bdreihundert!N ] Bhastig?N ] B B

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 18

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korrigiert aus: Habedieehre ! gemeint ist: Walachei korrigiert aus: Bäuerinnen ? korrigiert aus: wieder ? korrigiert aus: Branche ! korrigiert aus: servus ! korrigiert aus: Bäuerin ! korrigiert aus: garnicht ! korrigiert aus: das ! korrigiert aus: SELISCHTJE korrigiert aus: Kinder ! korrigiert aus: Hermannstadt ! korrigiert aus: Mund ! korrigiert aus: Damen ? korrigiert aus: Nur ? korrigiert aus: Füss ! korrigiert aus: Was ?! korrigiert aus: gesagt ! korrigiert aus: zu ! korrigiert aus: abgemacht ! korrigiert aus: dreihundert ! korrigiert aus: hastig ?

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 19

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

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Lesetext

B ADER Warum soll ich handeln? Wir sind so und so bankrott. R OTE (perplex) Bankrott? B ADER Später! Jetzt zeig diesen beiden biederen Bäuerinnen Haus und Hof! Die Kleinere kriegt das Anwesen Nummer 149a und die mit die O-Füss Nummer 86b -- Halt! Lieber 73d! Neben 86b wohnt nämlich diese fuchsteufelswilde, erst gestern hats wieder gerauft! R OTE Gerauft? B ADER Am Schluss haben zirka zwanzig gerauft -- wie die Hyänen sinds aufeinander los, gekratzt und gebissen -- und wegen was? Wegen nichts. Geh jetzt und zeigs ihnen! R OTE 149a -B ADER Und 73d. Gleich neben dem Friedhof. R OTE (zu den B ADMAEGDEN ) Kommt! (ab mit ihnen nach rechts) D IE P OLIN (geht von links nach rechts vorbei; sie isst einen Apfel) Guten Tag, Herr Bürgermeister! B ADER Was seh ich? Schon wieder ohne Hut in der Sonne? Du, wenn Du mir Sommersprossen kriegst, dann pass aber auf! Du bildest Dir wohl ein, dass Dein Gesicht Dir gehört? Marsch, hol Dir sofort einen Hut! D IE P OLIN (rasch ab nach rechts) G RAF (kommt langsam von links) Meine Verehrung, Herr Bürgermeister -- (er lächelt melancholisch) B ADER (mürrisch) Servus. Dass du auch mal kommst -- nett von Dir, sehr nett! Die ganze Arbeit muss man allein! 얍 Gottseidank, ists bald vorbei! Jetzt kann dann der König ruhig kommen. Wir sind komplett. G RAF Und bankrott. B ADER Dafür haben Herr Graf ja seinen Kopf in Sicherheit -G RAF Von meinem Kopf kann ich nicht leben. B ADER (sehr frech) Pech! G RAF (reagiert garnicht) Die Unkosten für diese dreihundert Weiber wären ja noch zu tragen gewesen -- irgendwie. Aber, dass ich jetzt Soldaten anwerben und ausrüsten muss, eine ganze kleine Armee -- das gibt mir allerdings den finanziellen Gnadenstoss. B

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K2/TS15 (Korrekturschicht)

handeln?N ] Bankrott?N ] BSpäter!N ] BHof!N ] BHalt!N ] B73d!N ] Bgerauft!N ] BGerauft?N ] Bwas?N ] BKommt!N ] BBürgermeister!N ] Bich?N ] BSonne?N ] Bgehört?N ] BHut!N ] Bnett!N ] Ballein!N ] Bvorbei!N ] BPech!N ] B B

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korrigiert aus: handeln ? korrigiert aus: Bankrott ? korrigiert aus: Später ! korrigiert aus: Hof ! korrigiert aus: Halt ! korrigiert aus: 73d ! korrigiert aus: gerauft ! korrigiert aus: Gerauft ? korrigiert aus: was ? korrigiert aus: Kommt ! korrigiert aus: Bürgermeister ! korrigiert aus: ich ? korrigiert aus: Sonne ? korrigiert aus: gehört ? korrigiert aus: Hut ! korrigiert aus: nett ! korrigiert aus: allein ! korrigiert aus: vorbei ! korrigiert aus: Pech !

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 20

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

Lesetext

B ADER Was willst machen, lieber alter Freund! Tausende Mannsbilder sind im Anmarsch, alle wollens her, es hat sich halt herumgesprochen, was wir hier angesiedelt haben -- und wenn diese Mannsbilder da hereinkämen, das gäb ein Tohuwabohu! Wir müssen unsere Weiber schützen und verteidigen! G RAF Aber doch nicht mit Kanonen! B ADER Auch mit Kanonen! Bis zum letzten Blutstropfen! (Stille) G RAF Ich hab das Gefühl, ich werd geneppt. B ADER Ich bitt Dich, raff Dich auf, nimm Dir ein Beispiel an mir! G RAF Du vergisst, dass ich alles verloren hab -B ADER (fällt ihm ins Wort) Und ich hab vielleicht nicht alles verloren?! Meine ganze Badeanstalt, meine schönen, neuen Badewannen -- alles, alles! G RAF : Ich kann ohne Geld nicht leben. B ADER Das kann niemand. 얍 (Stille) G RAF Wie verdient man Geld? B ADER Mit oder ohne Arbeit? G RAF Ohne. B ADER Hm. Wir beide müssten halt in die Türkei -G RAF (perplex) In die Türkei? B ADER Und zwar direkt sogleich zum Sultan persönlich! Es wär ein bisserl ketzerisch, aber hör her: wie der König hier gewesen ist, fahren wir zum Sultan und offerieren ihm das ganze Dorf Selischtje für seinen Harem. Eine solche ausgewählte, auf einander abgestimmte Kollektion kriegt er nicht alle Tag -- No ist das ein Plan? G RAF Der Plan ist zwar ketzerisch, jedoch überlegenswert. R OTE (kommt von rechts und erblickt den G RAFEN ) Servus, Graf! Dass man Dich auch mal wieder sieht! G RAF Ich bin nicht in Stimmung -R OTE Was hörst denn Neues von Deiner Frau? G RAF Nichts. Nur, dass unsere Ehe jetzt endgültig für ungültig erklärt worden ist. Gestern hab ich den Bescheid bekommen. B

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Freund!N ] Tohuwabohu!N ] Bverteidigen!N ] BKanonen!N ] BKanonen!N ] BBlutstropfen!N ] Bgeneppt.N ] Bmir!N ] Bverloren?!N ] Balles!N ] BGeld?N ] BArbeit?N ] BTürkei?N ] Bpersönlich!N ] BKollektionN ] BPlan?N ] BGraf!N ] Bsieht!N ] BFrau?N ] B B

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korrigiert aus: Freund ! korrigiert aus: Tohuwabohu ! korrigiert aus: verteidigen ! korrigiert aus: Kanonen ! korrigiert aus: Kanonen ! korrigiert aus: Blutstropfen ! korrigiert aus: geneppt, korrigiert aus: mir ! korrigiert aus: verloren ?! korrigiert aus: alles ! korrigiert aus: Geld ? korrigiert aus: Arbeit ? korrigiert aus: Türkei ? korrigiert aus: persönlich ! korrigiert aus: Kollektions korrigiert aus: Plan ? korrigiert aus: Graf ! korrigiert aus: sieht ! korrigiert aus: Frau ?

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 21

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

R OTE Schon? So rasch? B ADER (grinst) Bei der Protektion! R OTE (zum G RAFEN ) Ist sie denn noch beim König? G RAF Kaum! Der König hat in letzter Zeit phantastisches Glück -- alles gelingt ihm, und wenn er es noch so verwegen anpackt! Wenn sie dabei wär, hätt er alles verspielt, wie ich -R OTE Blödsinn! Hier hat sie Dich doch wunderbar herausgerissen -얍 G RAF (fällt ihr ins Wort) Herausgerissen?! (er schreit sie an) Ich lieg auf der Strasse! R OTE (perplex) Auf der Strasse? B ADER Ich kann das nicht immer hören! (zur R OTEN ) Wenn er sich ausgeflennt hat, dann ruf mich wieder! (ab ins Bürgermeisteramt) (Stille) R OTE (betrachtet den G RAFEN ; ernst und fast liebevoll) Du liegst auf der Strasse? B

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\Textverlust\

얍 T HOMAS (kommt rasch von links) Herr Graf, Herr BGraf!N Ich hab eine exorbiante Botschaft für BEuch!N Eigentlich spiel ich ja mit meinem Kopf, wenn ichs Euch verrate -- aber ich revanchier mich halt jetzt: ich hab Euch doch auch mal verraten und Ihr wart grossmütig zu mir -G RAF (unterbricht ihn) Ich war nicht grossmütig, es hat mir nur keinen Spaß gemacht, Dich zu BvierteilenN! T HOMAS Nein, Herr Graf, Ihr wart Bgrossmütig!N Jawohl, Bgrossmütig!N G RAF (ungeduldig) Aber was nicht Bnoch!N (er blickt in den Brunnen hinab) R OTE (zu T HOMAS ) Lassens ihn, er ist in einer Untergangsstimmung -T HOMAS Ich lass ihn nicht, denn ich darf ihn nicht Blassen!N (er schreit) Herr Graf, der König ist Bda!N Der BKönig!N G RAF (schnellt empor) B ADER (erscheint im Fenster des Bürgermeisteramtes; aufgeregt) Der König ist Bda?! Wo?! Wie?! Wann?! Woher?!N

1 1 3 4 5 7 8 8–9 10 11 12 14 16 17 21 22 22 23 25 26 26 28–29

Schon?N ] rasch?N ] BKönig?N ] BKaum!N ] Banpackt!N ] BBlödsinn!N ] BHerausgerissen?!N ] BStrasse!N ] BStrasse?N ] Bhören!N ] Bwieder!N ] BStrasse?N ] BGraf!N ] BEuch!N ] BvierteilenN ] Bgrossmütig!N ] Bgrossmütig!N ] Bnoch!N ] Blassen!N ] Bda!N ] BKönig!N ] Bda?! f Woher?!N ] B B

korrigiert aus: Schon ? korrigiert aus: rasch ? korrigiert aus: König ? korrigiert aus: Kaum ! korrigiert aus: anpackt ! korrigiert aus: Blödsinn ! korrigiert aus: Herausgerissen ?! korrigiert aus: Strasse ! korrigiert aus: Strasse ? korrigiert aus: hören ! korrigiert aus: wieder ! korrigiert aus: Strasse ? korrigiert aus: Graf ! korrigiert aus: Euch !

[rösten] |vierteilen| korrigiert aus: grossmütig ! korrigiert aus: grossmütig ! korrigiert aus: noch ! korrigiert aus: lassen ! korrigiert aus: da ! korrigiert aus: König ! korrigiert aus: da ?! Wo ?! Wie ?! Wann ?! Woher ?!

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 23

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

Lesetext

T HOMAS (stolz) Bei mir ist er abgestiegen, bei mir! Er hats mir ja auch versprochen! B ADER Bei Dir?! Der Dumme hats Glück! Hü, ist Dir das eine Reklamität für Deine Firma! T HOMAS Leider ist damit Essig! Er reist nämlich incognito -G RAF (fällt ihm ins Wort) Unter welchem Namen? T HOMAS Ihr werdet lachen, Herr Graf! Er reist als ein „ Herr von Selischtje“! G RAF (verzieht keine Miene) B ADER Humor hat er, das muss man ihm lassen! Amüsiert sich auf unsere Kosten! (ab vom Fenster) 얍 G RAF (zu T HOMAS ) Ich danke Dir, dass Du mir das Incognito des Königs verraten hast. T HOMAS Hochgeehrt, Herr Graf, ist aber alles nur Revanche! Auch ein Wirt ist Kavallier ! (er verbeugt sich und will nach rechts ab) R OTE Wohin? T HOMAS Zu meiner Frau -R OTE (fällt ihm ins Wort) In das Dorf direkt darf keine männliche Seele! T HOMAS Aber ich hab sie Euch doch nur hergeliehen! R OTE Wartens hier! Ich hol sie Ihnen -- (ab nach rechts) (Von rechts nach links ziehen nun EINIGE F RAUEN von Selischtje vorbei; sie sind alle verletzt -- entweder ist der Kopf verbunden oder der Arm; die meisten hinken auch -ab nach links) T HOMAS (sieht ihnen perplex nach; zum G RAFEN ) Was ist denn mit denen? G RAF Wahrscheinlich habens gerauft. T HOMAS Gerauft? Warum? G RAF Sie haben halt wahrscheinlich wieder ein bisserl zu schnell getrunken -(er lächelt müde) T HOMAS Na sowas! Also raufende und trinkende Weiber -- das ist schon das Allerletzte! Hab ich nicht recht, Herr Graf? B

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mir!N ] versprochen!N ] BDir?!N ] BGlück!N ] BFirma!N ] BEssig!N ] BNamen?N ] BHerrN ] BSelischtje“!N ] Blassen!N ] BKosten!N ] BRevanche!N ] BKavallierN ] BKavallier!N ] BWohin?N ] BSeele!N ] Bhergeliehen!N ] Bdenen?N ] BWahrscheinlich f gerauft.N ] BGerauft? Warum?N ] BSie f wiederN ] Bsowas!N ] BAllerletzte!N ] BGraf?N ] B B

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korrigiert aus: mir ! korrigiert aus: versprochen ! korrigiert aus: Dir ?! korrigiert aus: Glück ! korrigiert aus: Firma ! korrigiert aus: Essig ! korrigiert aus: Namen ? korrigiert aus: HERR korrigiert aus: Selischtje“ ! korrigiert aus: lassen ! korrigiert aus: Kosten ! korrigiert aus: Revanche ! gemeint ist: Kavalier korrigiert aus: Kavallier ! korrigiert aus: Wohin ? korrigiert aus: Seele ! korrigiert aus: hergeliehen ! korrigiert aus: denen ?

[Gerauft] |Wahrscheinlich| habens[.] \[wieder] gerauft./ [Warum?] |Gerauft? Warum?| [Mir scheint,] [s]|S|ie haben \halt f wieder/ korrigiert aus: sowas ! korrigiert aus: Allerletzte ! korrigiert aus: Graf ?

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 24

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

D IE S CHWARZE (kommt von rechts; um Kopf und Arm trägt sie einen Verband, und ein bisserl hinken tut sie auch; sie lächelt glücklich) Thomas! Thomas! T HOMAS (starrt sie ausser sich an) S CHWARZE Hab nur keine Angst, Mandi, es sieht ärger aus, als wies ist! Ich hab nämlich vorgestern meiner Nachbarin den Be-얍sen hinaufgehaut, worauf sie mir einen Teller auf dem Schädel zerschmissen hat und den Arm mit dem Schürhaken -T HOMAS (unterbricht sie scharf) Schweig! Wie kann ein Weib nur raufen! Pfui Teufel! S CHWARZE Nicht bös sein, Mandi! Wir waren halt beide ein bisserl beschwippst! T HOMAS (murmelt) Das ist das Ende. S CHWARZE Gut, dass Du hier bist, ich wollt Dir schon schreiben! Stell doch, bitte, unbedingt unter allen Umständen sofort ein paar tüchtige Kellnerinnen ein -T HOMAS (unterbricht sie heiser) Kellnerinnen?! (er wankt) S CHWARZE Wir haben nämlich dann gleich den vierfachen Umsatz! Man hörts überall! Alle habens mir bestätigt! M ATTHIAS (kommt mit der B LONDEN von links; beide im Jagdkostüm) S CHWARZE (erblickt M ATTHIAS als Erste und schreit auf) Himmel, der König! Der König, der König! (sie fällt in die Kniee, aber das Bein tut ihr weh) Au! (sie steht wieder auf) A LLE (starren M ATTHIAS an und verbeugen sich) B ADER (stürzt aus der Tür des Bürgermeisteramtes, verbeugt sich tief vor M ATTHIAS und blast dann auf einer Trompete ein schmetterndes Signal) A LLE F RAUEN (strömen zusammen, auch die V ERLETZTEN , und machen artige Hofknixe vor M ATTHIAS ) B LONDE (leise zu M ATTHIAS ) Da siehst Du Dein Incognito -M ATTHIAS (lächelt) Dass Du immer recht hast -- komisch! B LONDE (betrachtet den G RAFEN ) Er sieht schlecht aus. M ATTHIAS Tut er Dir leid? B LONDE Ja. 얍 B ADER Frauen Selischtjes! Hier steht Euere Majestät, Euer König, Euer oberster Kriegsherr! Huldiget Euerem Wohltäter, der Euch die ach-so-langersehnten B

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Thomas! Thomas!N ] ist!N ] BSchweig!N ] Braufen!N ] BTeufel!N ] BMandi!N ] Bbeschwippst!N ] Bschreiben!N ] BKellnerinnen?!N ] BUmsatz!N ] Büberall!N ] Bbestätigt!N ] BKönig!N ] BKönig!N ] BAu!N ] Bkomisch!N ] Bleid?N ] BSelischtjes!N ] BKriegsherr!N ] B

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korrigiert aus: Thomas ! Thomas ! korrigiert aus: ist ! korrigiert aus: Schweig ! korrigiert aus: raufen ! korrigiert aus: Teufel ! korrigiert aus: Mandi ! korrigiert aus: beschwippst ! korrigiert aus: schreiben ! korrigiert aus: Kellnerinnen ?! korrigiert aus: Umsatz ! korrigiert aus: überall ! korrigiert aus: bestätigt ! korrigiert aus: König ! korrigiert aus: König ! korrigiert aus: Au ! korrigiert aus: komisch ! korrigiert aus: leid ? korrigiert aus: Selischtjes ! korrigiert aus: Kriegsherr !

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 26

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

Lesetext

Männer bringt! (er wendet sich an M ATTHIAS ) Euere Majestät! Als Bürgermeister von Selischtje -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Wieso ein Meister? Wir dachten, hier gäbs nur Frauen -B ADER Majestät halten zu Gnaden, ich bin nurmehr ein geborener Bürgermeister! M ATTHIAS Pardon! B ADER Frauen Selischtjes! Seine Majestät, Matthias Corvinus, König von Ungarn -er lebe hoch! Hoch! Hoch! A LLE Hoch! Hoch! Hoch! M ATTHIAS Wir danken, Herr Bürgermeister -- (er wendet sich den F RAUEN zu und betrachtet sie) Hm -- (zum G RAFEN ) Graf, Wir sind wahrlich überrascht, soviel Schönheit hätten Wir nicht erwartet -- (er lächelt verschmitzt) In der Tat: eine ungewöhnliche Leistung! G RAF (horcht misstrauisch auf) M ATTHIAS Schad, dass ich nicht der Sultan bin -B ADER (horcht auf) B LONDE (zu M ATTHIAS ) Sei so gut! M ATTHIAS (schreitet nun gewissermassen die Front der F RAUEN ab, die vor ihm Hofknixe machen; er dankt landesväterlich und hält überrascht vor der Gruppe der V ERLETZTEN ) Was habt denn Ihr? Was ist denn mit Euch? S CHWARZE (macht einen Hofknix) Majestät, wir haben uns nur ein bisserl verletzt -bei der Arbeit im Heu. M ATTHIAS Ihr müsst ja sonderbare Arbeitsmethoden haben. Das 얍 sieht eher aus, wie nach einer Schlacht -- (Er stockt, denn er erkennt die S CHWARZE ) Ach, Ihr seid doch die Braut vom „Einhorn“ -- (zu T HOMAS ) Habt Ihr denn noch nicht geheiratet? T HOMAS Doch-doch, Majestät! Schon vor drei Wochen! M ATTHIAS Und Ihr lebt bereits wieder getrennt? Sie hier und Du in Hermannstadt? T HOMAS (verwirrt) Oh nein! Ich hab sie ja nur hergeliehen! M ATTHIAS Hergeliehen? Seit wann pflegt ein braver Patriot sein Weib herzuleihen? T HOMAS (stottert) Seit, seit -B

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bringt!N ] Majestät!N ] BMeister?N ] BBürgermeister!N ] BPardon!N ] BSelischtjes!N ] Bhoch! f Hoch!N ] BLeistung!N ] Bgut!N ] BIhr?N ] BEuch?N ] B-- (ErN ] Bgeheiratet?N ] BMajestät!N ] BWochen!N ] Bgetrennt?N ] BHermannstadt?N ] Bnein!N ] Bhergeliehen!N ] BHergeliehen?N ] Bherzuleihen?N ] B B

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korrigiert aus: bringt ! korrigiert aus: Majestät ! korrigiert aus: Meister ? korrigiert aus: Bürgermeister ! korrigiert aus: Pardon ! korrigiert aus: Selischtjes ! korrigiert aus: hoch ! Hoch ! Hoch ! korrigiert aus: Leistung ! korrigiert aus: gut ! korrigiert aus: Ihr ? korrigiert aus: Euch ? korrigiert aus: --(Er korrigiert aus: geheiratet ? korrigiert aus: Majestät ! korrigiert aus: Wochen ! korrigiert aus: getrennt ? korrigiert aus: Hermannstadt ? korrigiert aus: nein ! korrigiert aus: hergeliehen ! korrigiert aus: Hergeliehen ? korrigiert aus: herzuleihen ?

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 27

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

Lesetext

B ADER Majestät, dieses „Einhorn“ ist in der Geschichte nicht so bewandert! Majestät halten zu Gnaden, er ist ein Tepp! T HOMAS (braust auf) Was?! M ATTHIAS (zu T HOMAS ) Beruhig Dich nur. (zum B ADER ) Herr Bürgermeister. Wir glauben es nicht, dass dieses „Einhorn“ ein Tepp ist. Es kann nur nicht lügen. B ADER Das ist es ja grad! (er bemerkt, dass er zuviel geredet hat und erschrickt über sich selbst) G RAF (starrt den B ADER hasserfüllt an und greift an seinen Degen) M ATTHIAS Wirklich, ein tolles Dorf! (zum G RAFEN ) Respekt, Graf von Hermannstadt, Respekt! Wir werden auch Euere Leistung gebührend würdigen -G RAF (etwas heiser) Leistung? M ATTHIAS Nun, Wir denken, es dürfte kein Kinderspiel sein, eine derartige Kollektion zusammenzuklauben -G RAF (beherrscht sich mühsam) Was denken, Majestät ? 얍 M ATTHIAS Ich denk nicht nur, sondern ich weiss sogar. Alles. G RAF (mit wilder Entschlossenheit) Majestät! Wenn Ihr alles wisst, dann macht, bitte, kurzen Prozess, ja?! Jetzt mag ich nichtmehr, ich hab alles verloren, köpft mich auf der Stell! Jawohl, diese Weiber sind nicht aus Selischtje, ich hab sie hierher verpflanzt, ich! R OTE (schnellt vor und deutet auf die B LONDE ) Und das war ihre Idee! Ihre! M ATTHIAS Das ist nicht wahr! R OTE Doch-doch, Majestät! Und wenn Ihr jetzt den Grafen köpfen lasst, dann lassts auch mich -- auch mich, auch mich! (sie weint) M ATTHIAS (zur B LONDEN ) Komm! Rechtfertige Dich! B LONDE (tritt vor) Dass man hier schöne Frauen herpflanzt, das war nicht meine Idee -R OTE (lacht kurz höhnisch auf) Ich war ja selber dabei, wie Ihr gekommen seid, heimlich in der Nacht, um es dem Grafen zu sagen! B LONDE Das stimmt. Aber ich bin ja nur gekommen, weil mein König mich geschickt hat. Ich habe nur seinen Auftrag erfüllt. Dieses Selischtje war seine Idee. B

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bewandert!N ] Tepp!N ] BWas?!N ] Bgrad!N ] BDorf!N ] BRespekt!N ] BLeistung?N ] Bdenken, MajestätN ] BMajestät!N ] Bja?!N ] Bverloren, köpftN ] BStell!N ] BSelischtje, ichN ] Bich!N ] BIdee! Ihre!N ] Bwahr!N ] BMajestät!N ] Bmich!N ] BKomm!N ] BDich!N ] Bsagen!N ] B B

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korrigiert aus: bewandert ! korrigiert aus: Tepp ! korrigiert aus: Was ?! korrigiert aus: grad ! korrigiert aus: Dorf ! korrigiert aus: Respekt ! korrigiert aus: Leistung ? korrigiert aus: denken,Majestät korrigiert aus: Majestät ! korrigiert aus: ja ?! korrigiert aus: verloren,köpft korrigiert aus: Stell ! korrigiert aus: Selischtje,ich korrigiert aus: ich ! korrigiert aus: Idee ! Ihre ! korrigiert aus: wahr ! korrigiert aus: Majestät ! korrigiert aus: mich ! korrigiert aus: Komm ! korrigiert aus: Dich ! korrigiert aus: sagen !

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 28

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

Lesetext

R OTE (starrt sie an) Seine? M ATTHIAS Graf von Hermannstadt, Du hast alle Deine Güter verloren -- das tut Uns leid. Wir haben Uns entschlossen, alle Deine Schuldscheine aufzukaufen -- Du kriegst alles wieder zurück. G RAF ( traut seinen Ohren nicht) Wieder zurück?! M ATTHIAS Es war ja nicht Unsere Absicht, Dich zugrund zu richten. Wir wollten Dir nur Angst einjagen, denn wer sei-얍nen König betrügt, der soll sich fürchten, aber doch nicht gleich zugrund gehen -- das wär doch wirklich ein bisserl ungerecht! G RAF (hocherfreut) Majestät! M ATTHIAS Wir halten auch unser Wort, die dreihundert Männer treffen morgen ein, denn die Frauen, die Du hier zusammengeklaubt hast, sind wirklich einzigartig. Nur eines noch: die Männer, die ich Dir gebe, sind keine Soldaten, sondern Räuber -B ADER Räuber?! M ATTHIAS Ich kann doch Eueren Frauen, und wenn sie noch so niedlich sind, keine ehrlichen Soldaten geben -- Ich werde hier Räuber ansiedeln. Lauter stramme Burschen -- (er lächelt verschmitzt) Habt nur keine Angst, sie werden nichtmehr rauben! Selischtje ist doch so lieblich -- und die Erde ist gut, sauber die Höfe und Jeder hat sein Feld. Warum sollten sie rauben, wenn sie arbeiten können? Ich glaub es nicht -- ich glaub es nicht, dass es in meinen Landen dreihundert geborene Räuber gibt! B ADER (begeistert) Majestät. Ihr seid mein Mann! Es lebe der König! A LLE Hoch! Hoch! Hoch! B LONDE (zu M ATTHIAS ) Sagst es ihm noch, ja? M ATTHIAS (lächelt) Nein, das vergesse ich sicher nicht -- (zum G RAFEN ) Ich will Dir nur noch sagen, dass diese Frau mir kein Unglück gebracht hat, sondern im Gegenteil: nur Glück. Seit ich sie kenne, geht alles besser. Der Weizen steht herrlich, seit Jahren gabs 얍 nichtmehr soviel Trauben, in der ganzen Zeit kein einziger Fall von Pest und der Sultan ist unwahrscheinlich friedlich -G RAF (lächelt) Ihr lacht mich aus? M ATTHIAS Ja. G RAF Verzeiht mir, Majestät, dass ich diese Frau auf meiner Burg wie eine Gefangene gehalten hab -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort, sehr leise, damit es die B LONDE nicht hört) Ich danke Dir, dass Du sie wie eine Gefangene gehalten hast, denn dadurch hat sie ja erst angefangen zu denken -- (er wendet sich plötzlich wieder an die F RAUEN ) Frauen B

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Seine?N ] ] BtrautN ] Bzurück?!N ] Bungerecht!N ] BMajestät!N ] BRäuber?!N ] Brauben!N ] Bkönnen?N ] Bgibt!N ] BMann!N ] BKönig!N ] Bja?N ] Baus?N ] B

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korrigiert aus: Seine ?

[Ja.] korrigiert aus: traur korrigiert aus: zurück ?! korrigiert aus: ungerecht ! korrigiert aus: Majestät ! korrigiert aus: Räuber ?! korrigiert aus: rauben ! korrigiert aus: können ? korrigiert aus: gibt ! korrigiert aus: Mann ! korrigiert aus: König ! korrigiert aus: ja ? korrigiert aus: aus ?

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ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 30

Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes

K2/TS15 (Korrekturschicht)

von Selischtje! Wir sehen Euch hier vor Uns stehen, blond und braun und rot und schwarz, jede geschmückt und geputzt und gerichtet, und Ihr gefällt Uns so gut, wie immer! Ihr gefällt Uns sogar noch besser, denn Wir haben einen Blick bekommen für Euere Sorgen -- Lebt wohl, Ihr Frauen von Selischtje! - Vergesst was war, werdet glücklich! Und wenn Euch die Männer schlecht behandeln, dann kommt nur zu mir, ich hör Euch an, denn es ist wichtig, dass es der Frau gut gehe -- schliesslich seid Ihr Frauen ja immerhin die grössere Hälfte meines Volkes! Also kommt nur zu mir -- oder, wenn ich grad in einem Krieg sein sollte, zu meiner Stellvertreterin in diesem Ressort -- (er deutet auf die B LONDE ) zur Frau Fürstin von Selischtje! G RAF Fürstin?! M ATTHIAS Ja. Sie könnt auch eine Königin sein -- (er lächelt) B ADER (ausser sich) Karrier- Karrier! R OTE Es lebe die Königin! A LLE Hoch! Hoch! Hoch! B LONDE (lächelt) M ATTHIAS (sieht etwas erstaunt drein) B

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Selischtje!N ] immer!N ] BSelischtje! -N ] Bglücklich!N ] BEuchN ] BVolkes!N ] BAlso mir --N ] B B

korrigiert aus: Selischtje ! korrigiert aus: immer ! korrigiert aus: Selischtje!korrigiert aus: glücklich ! korrigiert aus: EUCh korrigiert aus: Volkes ! (1) Also f mir -(2) \Lebt wohl un[d] d grad. Aber noch eines: die 300 Männer kriegst Du wirk-

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Selischtje!N ] Fürstin?!N ] BKarrier!N ] BKönigin!N ] B B

lich nicht./ korrigiert aus: Selischtje ! korrigiert aus: Fürstin ?! korrigiert aus: Karrier ! korrigiert aus: Königin !

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Konzeption 3: Ein Dorf ohne Männer – Lustspiel in sieben Bildern

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Endfassung



K3/TS1 (Korrekturschicht)

EIN DORF OHNE MÄNNER Lustspiel in sieben Bildern von

Lesetext

Stammbuch Georg Marton Verlag, 1937, DLA Marbach – Bad/B1016, S. 2

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OEDÖN von HORVÁTH 얍

Personen

SB Georg Marton, S. 4

M ATTHIAS C ORVINUS , K ÖNIG VON U NGARN D ER G RAF VON H ERMANNSTADT D ER S TATTHALTER D ER H OFBEAMTE D ER H AUPTMANN D ER B ADER T HOMAS , DER W IRT VOM „E INHORN “ E IN D ICKER E IN D ÜRRER E IN B ÄRTIGER E IN L AKAI D ER H OFWIRT Z WEI G ARDISTEN Z WEI H ERREN E IN P AGE D IE B LONDE D IE S CHWARZE D IE R OTE E INE B ADMAGD D IE P OLIN H ERREN . G ARDISTEN . H ÄSSLICHE UND SCHÖNE F RAUEN .

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SCHAUPLATZ: 1. BILD: Audienzsaal in der Ofner Burg. 2. BILD: In einer Badeanstalt zu Hermannstadt. 3. BILD: Audienzsaal in der Ofner Burg. 4. BILD: Im Hofgasthaus. 5. BILD: Vor dem Jagdschloss des Königs. 6. BILD: Im Hofgasthaus. 7. BILD: Vor dem Jagdschloss des Königs.

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ZEIT: Während der Türkenkriege - in der frühen Renaissance.

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SB Georg Marton, S. 5

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

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얍 Dieses Stück ist keine Dramatisierung des Romans „Die Frauen von Selischtje“ von Koloman Mikszáth, dem grossen ungarischen Romancier, sondern es stellt nur den Versuch dar, auf Grund einzelner Motive jenes Romans ein Lustspiel zu schreiben. Die Personen im Stück haben mit jenen im Roman nichts zu tun.

Ödön von Horváth.

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SB Georg Marton, S. 6

ERSTES BILD.

SB Georg Marton, S. 7

Saal in der Ofner Burg mit hohen gotischen Fenstern im Hintergrund, durch die man ins weite Ungarland hinabsehen kann. Hier empfängt der Statthalter alle heilige Zeit Deputationen des sogenannten niederen Volkes, hier hört er dessen grosse Sorgen und kleine Bitten. Der Raum hat eine gewisse Verwandtschaft mit einem Gerichtssaal - links eine thronähnliche Estrade, auf der der Statthalter mit seinen Herren zu ruhen pflegt, daneben ein Pult für den Schreiber. Rechts und links je eine Türe, rechts tritt das Volk ein, links gehts in die Gemächer des Statthalters. Vor den beiden Türen steht je ein Gardist mit Visier, Brustpanzer und Hellebarde auf Wache. Ein Hauptmann der Garde kommt von links und inspiziert den Ersten Gardisten bei der linken Türe. Er betrachtet ihn von oben bis unten, vorn und hinten. B

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H AUPTMANN Ein Visier gehört poliert, bitt ich mir aus! (Er geht auf den zweiten Gardisten zu, betrachtet ihn ebenso intensiv und herrscht ihn plötzlich an) Was ist denn das mit dieser Hellebarde? Die ist ja voll Schmutz! Z WEITER Melde gehorsamst, das ist kein Schmutz, das ist nur Blut. H AUPTMANN (perplex) Wieso Blut? Z WEITER Melde gehorsamst, ich hab heut früh einen Bauern angestochen. 얍 H AUPTMANN Wegen was? Z WEITER Wegen nichts. (Stille.) H AUPTMANN Was soll das? Z WEITER Melde gehorsamst, der Bauer, den ich angestochen habe, der hat den Herrn Statthalter beleidigt. H AUPTMANN Und das ist nichts? (Er fixiert ihn) (Stille.) H AUPTMANN (langsam, fast lauernd) Übrigens: der Säbel ist auch zu kurz Z WEITER Melde gehorsamst, das sieht nur so aus, weil ich zu lang bin. H AUPTMANN „Zu lang“ - (er grinst) Um einen ganzen Kopf - - Pass auf! H OFBEAMTER (kommt von rechts; er sieht etwas mitgenommen aus; zum Hauptmann) Wann gehts denn los? H AUPTMANN Seine Exzellenz, der Herr Statthalter, geruhen noch zu essen. H OFBEAMTER (murmelt) Der frisst schon seit fünf Stunden - - ist er wenigstens bereits beim Dessert? 19–20

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Türe, rechtsN ]

korrigiert aus: Türe,rechts

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SB Georg Marton, S. 8

Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

H AUPTMANN (lächelt) Vor paar Minuten war er noch bei der Gans. H OFBEAMTER Erst bei der Gans? (Er seufzt und hält sich sein Taschentuch an die Stirne) H AUPTMANN Kopfschmerzen? H OFBEAMTER Kein Wunder! Da draussen hocken hundert Bauern seit sieben geschlagenen Stunden, alle warten auf die Audienz und alle duften nach Knoblauch, dass es ein wahres Vergnügen ist - wer hält das aus? Ich nicht! (Leise, damit ihn die Gardisten nicht hören) Wenn diese braven Bauern wüssten, wie wenig Sinn es hat, ihre Beschwerden hier vorzubringen 얍 H AUPTMANN (fällt ihm leise ins Wort) Die würden schön daheim bleiben - (er lächelt) H OFBEAMTER Ja. Sie würden daheim bleiben und alles anzünden. H AUPTMANN (zuckt etwas zusammen, und horcht auf; sieht sich dann um, sehr leise) Sag mal, unsereins kommt ja hier nicht heraus: ist es wahr, dass das Volk murrt? H OFBEAMTER (nickt: ja) Es murrt. (Stille) H AUPTMANN (sieht sich wieder um; noch leiser) Tatsächlich? H OFBEAMTER Ja, und zwar direkt gefährlich tatsächlich. H AUPTMANN Aber warum denn nur? H OFBEAMTER Warum? Gott, seid Ihr Militärs naiv! Denk doch nur an die vielen Kriege, die wir alle gewonnen haben! Wir haben die Türken besiegt - stimmt! Aber für jeden Eimer Türkenblut ist auch ein Eimer ungarisches geflossen. Wir haben die Ungläubigen zurückgeschlagen und Europa gerettet, doch unser halbes Land ist verwüstet und ausgestorben. H AUPTMANN Jaja, wir haben viel Ehre geerntet. H OFBEAMTER Ohne Zweifel. Aber leider kein Brot. Unsere Bauern hungern. Wenn die wüssten, dass Seine Exzellenz noch nicht einmal beim Dessert sind - na gute Nacht! Das Volk, kann ich dir verraten, traut den hohen Herren nicht mehr, und es ist unser Glück, dass wir gerade jetzt einen neuen König bekommen haben H AUPTMANN Wieso? H OFBEAMTER Weil das Volk diesen neuen König liebt. H AUPTMANN Also der hat doch bisher noch gar 얍 keinen richtigen Krieg geführt! H OFBEAMTER Das spielt anscheinend keine Rolle. Das Volk hat eben einen sonderbaren Instinkt, es liebt ihn wirklich, unseren jungen Herrn Matthias Corvinus – und warum? Weil er mit besonderer Vorliebe seine eigenen Minister einsperrt. Er wird bereits „der Gerechte“ genannt, „Matthias der Gerechte“ - - (er lächelt) Tja, um vom Volk geliebt zu werden, muss man mit dessen Phantasie kalkulieren - E IN P AGE (tritt links ein) Seine Exzellenz, der Herr Statthalter! (Der S TATTHALTER, ein dicker Magnat, kommt geräuschvoll von links mit seinen Herren, darunter dem jungen Grafen von Hermannstadt, der ganz in Schwarz gekleidet ist; auch der Schreiber betritt den Saal, begibt sich sogleich an das Pult, schlägt das Audienzbuch auf und prüft die Feder; der Hauptmann salutiert und der Hofbeamte verbeugt sich) S TATTHALTER (zu seinen Herren) Also, meine Herren: noch einmal ein solches Dessert und ich dank ab! Das sollen Zwetschkenknödel gewesen sein?! Das waren B

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Aber f geflossen.N ] Tja f kalkulieren - -N ] Bwerden, mussN ] B B

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Textübernahme Miszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 358, Z. 22 Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 359, Z. 1 korrigiert aus: werden,muss

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

keine Knödel, das waren alte Kanonenkugeln - - aus dieser Mehlspeisköchin gehört Gulasch gemacht, ein Gulasch für wütende Hunde! (Er lacht) A LLE (ausser dem Grafen von Hermannstadt, lachen mit, mehr oder minder heftig) S TATTHALTER (lacht plötzlich nicht mehr und beobachtet den Grafen) Du lachst schon wieder nicht mit? Was fehlt dir denn? Haben dir etwa die Knödel geschmeckt ? G RAF Nein. S TATTHALTER Na also! A LLE (ausser dem Statthalter und dem Grafen, 얍 lachen wieder) G RAF (lächelt wehmütig) S TATTHALTER (fixiert besorgt den Grafen) Wie der lächelt - als wär ihm seine grosse Liebe gestorben oder gar sein bestes Pferd. E IN H ERR Er ist nur nervös. S TATTHALTER Ist er krank? Z WEITER H ERR Er hat heut Nacht tausend Taler verspielt. S TATTHALTER Uiweh! G RAF Es dreht sich nicht um die tausend Taler, ich spiel ja nicht, um zu gewinnen aber ich habe eben zuvor schlimme Botschaft erhalten: die Erträgnisse meiner Güter im fernen Siebenbürgen werden immer minimaler, wenn das so weitergeht, werd ich bald arbeiten müssen - (er lächelt selbstironisch) S TATTHALTER (versteht keine Selbstironie) Schlimm, schlimm! Aber arbeiten müssen wir alle - - schau mich an, lieber Vetter! Anstatt, dass ich mich nach dem Essen ein bisserl hinlegen könnt, muss ich da Audienzen abhalten, Bittsteller trösten, Bauernsorgen teilen und was weiss ich noch E RSTER H ERR (sarkastisch) Seine Majestät haben es eben so befohlen S TATTHALTER (grimmig) Jawohl, Seine Majestät - (unterdrückt zu den Herren) Der junge Herr scheint ein Idealist werden zu wollen, er kümmert sich ein bisserl zuviel um unsere Leibeigenen. Die Gerechtigkeit ist zwar eine schöne Sache, eine gute Sache, aber wer die Macht hat, der braucht sie nicht. Wir werdens diesem Herrn Corvinus 얍 schon austreiben - - (er setzt sich schwerfällig und ächzt) Puh, tut mir der Magen weh - Also herein mit dem Bauernpack! Bin grad in der richtigen Stimmung! (Zum Hofbeamten) Wieviel hocken denn draussen? H OFBEAMTER Zirka hundert. S TATTHALTER Grosser Gott! H OFBEAMTER Manche warten schon seit Wochen - S TATTHALTER (unterbricht ihn scharf) Ich habe nicht gefragt, wie lange sie warten, ich habe gefragt, wieviele warten! Wir bitten, unsere Fragen präziser zu beantworten! Also los, los! Herein mit dem hochgeborenen Volk! H OFBEAMTER (öffnet rechts die Türe und fünf Frauen treten schüchtern ein; es sind dies fünf Bäuerinnen und weissgott nicht hübsch; sie knien nieder) S TATTHALTER (betrachtet die Frauen ungnädig ob ihrer Hässlichkeit; zum Hofbeamten) Was ist das? H OFBEAMTER Es sind Frauen aus dem Dorfe Selischtje. B

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waren alteN ] oderN ] BgeschmecktN ] Bminimaler, wennN ] Babhalten, BittstellerN ] BDie f nicht.N ] BEsN ] B B

korrigiert aus: warenalte eingefügt korrigiert aus: geschmackt korrigiert aus: minimaler,wenn korrigiert aus: abhalten,Bittsteller Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 359, Z. 39 korrigiert aus: ES

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SB Georg Marton, S. 12

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

G RAF (horcht auf) S TATTHALTER (zum Hofbeamten) Frag, was sie uns mitgebracht haben! H OFBEAMTER (zu den Frauen) Seine Exzellenz, der Herr Statthalter geruht, Euch gnädigst zu fragen, was Ihr Seiner Exzellenz mitgebracht habt? D IE F RAUEN (tauschen ängstliche Blicke) H OFBEAMTER Was, Ihr habt nichts mitgebracht?! Ja, wisst Ihr es denn nicht, dass Bittsteller immer etwas mitbringen müssen, irgendein Geschenk? Eine riesige Melone oder eine uralte Münze, die man beim Ackern findet, oder ein Lamm mit zwei Köpfen - - Ihr gefällt mir! 얍 S TATTHALTER (murmelt) „Gefallen“? Gott soll einen hüten! H OFBEAMTER (zu den Frauen) Beispiellos, dass Ihr hier ohne irgendetwas einzutreten wagt, ohne irgendein gefälliges Nichts! D IE F RAUEN (weinen) S TATTHALTER Weinen auch noch! (Er fasst sich an den Magen) Ich halt das nicht aus! (Zum Hofbeamten) Raus! Raus damit! H OFBEAMTER (zu den Frauen) Raus! G RAF Halt! (Zum Statthalter) Gnädigster Herr Vetter, diese Weiber kommen doch aus Selischtje? S TATTHALTER Was weiss ich! H OFBEAMTER (zum Grafen) Sie kommen aus Selischtje. G RAF (zum Hofbeamten) Richtig! (zum Statthalter) Dann gehören nämlich diese Frauen mir. S TATTHALTER (perplex) Dir? G RAF Das Dorf Selischtje gehört zu meinem Siebenbürger Besitz. S TATTHALTER Ah so! Na, wenn mein lieber Herr Vetter lauter solche Leibeigne hat, dann kann ichs begreifen, dass er seinen Besitz verspielt - - (er grinst) Gratuliere zu deinen Schönheiten! (Zum Hofbeamten) Frag, was sie wollen, dann aber raus damit! G RAF (ernst) Danke. H OFBEAMTER (zu den Frauen) Weint nicht! Ruhe! Habt Ihrs denn nicht gehört?! Seine Exzellenz geruhen sich ja herbeizulassen, Euch zu fragen, was Ihr wollt - Na los! Redet! Wo brennt’s denn?! D IE F RAUEN (reden ängstlich mit dem Hofbeamten) S TATTHALTER (blickt plötzlich ängstlich um sich) Ist Darmverschlingung eigentlich heilbar? 얍 Z WEITER H ERR Leider! Kaum! S TATTHALTER (melancholisch) Mir scheint, ich leb nimmer lang E RSTER H ERR Aber! S TATTHALTER Weils in mir immer so murrt H AUPTMANN (zuckt etwas zusammen und horcht auf) Murrt? S TATTHALTER Ja, tatsächlich, und zwar gefährlich tatsächlich. B

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S TATTHALTER f Nichts!N ] Exzellenz, derN ] BFrauen) f dassN ] Bhat, dannN ] BFrauen) WeintN ] Bsich) IstN ] B B

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Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 360, Z. 17 korrigiert aus: Exzellenz,der korrigiert aus: Frauen) Beispiellos,dass korrigiert aus: hat,dann korrigiert aus: Frauen) Weint korrigiert aus: sich) Ist

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SB Georg Marton, S. 14

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

H OFBEAMTER (tritt vor den Statthalter) Exzellenz , diese Weiber haben eine etwas absonderliche Bitte S TATTHALTER (fällt ihm ins Wort) Geld? H OFBEAMTER (lächelt) Nein. Sie bitten, Euere Exzellenz möchten ihnen Männer geben. S TATTHALTER Männer?! H OFBEAMTER Ja. S TATTHALTER (braust auf) Sind sie wahnsinnig?! H OFBEAMTER Exzellenz, die Weiber sagen, solange sie Männer hatten, benahmen sie sich nicht geizig gegen den König, der immer und immer wieder die vielen Soldaten verlangte. Es blieb kein erwachsener Mann zuhause, lauter Frauen wohnen im Dorf - - und die Frauen sagen, sie hätten die Männer dem König bloss geliehen, jetzt mögen Euere Exzellenz sie ihnen zurückgeben und wenn sie im Kampf gefallen sind, so mögen Euere Exzellenz ihnen andere geben, denn eine Hand wäscht die andere, und wenn der König noch weiter aus Selischtje Soldaten haben will, so müssen diese erst geboren werden, daher also - S TATTHALTER (fängt an zu lachen und lacht immer dröhnender) A LLE (ausser dem Grafen und den Frauen, lachen mit) S TATTHALTER (zum Grafen) Also das sind deine Weiber?! Na, die müssen ja arg in Nöten sein! 얍 G RAF (ernst) Mein gnädiger Herr Vetter, es ist leider nicht zum lachen, dass mein in Gott ruhender Vater die Männer ausgerottet hat, indem er Seiner seligen Majestät jahraus, jahrein Soldaten geliefert hat. Seine selige Majestät mussten nur sagen: „Noch tausend, Michael !“ und er trieb noch tausend zusammen. „Noch tausend!“ und er liess auch die Knaben zusammenfangen - - jetzt liegen die Felder brach und ich hab keine Einnahmen. Diese Frauen, mein gnädiger Herr Vetter, haben schon einigermassen recht: von den kampfunfähig gewordenen Soldaten könnte man ihnen ja hie und da etliche zukommen lassen - und: Ihr würdet sie auch mir zukommen lassen, denn dann würden meine Felder wieder bebaut werden können. S TATTHALTER Hm. (Er überlegt und wendet sich dann an den Schreiber) Schreib: die Frauen von Selischtje bekommen vom König Männer. Gegeben am - - undsoweiter. S CHREIBER (schreibt) S TATTHALTER (zum Grafen) Dir zu lieb. G RAF (lächelt) Danke. S TATTHALTER (deutet auf die Frauen, zum Hofbeamten) Jetzt aber raus damit! Raus! H OFBEAMTER (zu den Frauen) Raus! Raus mit Euch! D IE F RAUEN (verschüchtert ab nach rechts) S TATTHALTER (zum Grafen) Wieviel Männer willst denn haben? G RAF Dreihundert. B

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H OFBEAMTER f dröhnender)N ] ExzellenzN ] BMein f zusammenfangenN ] Btausend, MichaelN ] Bjetzt f Einnahmen.N ] BDiese f lassenN ] BFrauen, meinN ] B B

Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 361, Z. 22 korrigiert aus: Eczellenz Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 362, Z. 11 korrigiert aus: tausend,Michael Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 362, Z. 15 Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 362, Z. 16 korrigiert aus: Frauen,mein

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SB Georg Marton, S. 15

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

S TATTHALTER (zum Schreiber) Schreib: dreihundert! D ER P AGE (tritt links ein) Seine Majestät, der König! A LLE (schrecken etwas zusammen der Statt-얍halter erhebt sich und Matthias Corvinus, König von Ungarn, ein junger Mann, einfach gekleidet, kommt rasch von links; der Hauptmann salutiert und Alle verbeugen sich, mehr oder minder tief) M ATTHIAS (hält einen Augenblick und grüsst kurz, eilt dann zu dem Schreiber hin, blickt in das Audienzbuch und fixiert den Statthalter) Wieso? Ist dies heut erst die erste Deputation? S TATTHALTER Wir haben uns etwas verspätet, Majestät - - ich fühlte mich nicht wohl, mein schwacher Magen - M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Du müsstest mal fasten - - (er lächelt zweideutig) S TATTHALTER Ich bin krank. M ATTHIAS (lächelt wie zuvor) So? S TATTHALTER ( verwirrt) Majestät , es murrt immer so in mir -M ATTHIAS Dann gehörst du pensioniert. (Zum Hofbeamten) Wieviel Deputationen warten noch draussen? H OFBEAMTER Zirka hundert, Majestät. M ATTHIAS Wird alles heute erledigt. S TATTHALTER (fast weinerlich) Das dauert doch bis morgen früh -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Und wenn es bis übermorgen dauert! In diesem Lande bleibt nichts mehr unerledigt, dafür werden wir sorgen - - (er blickt wieder in das Audienzbuch und kriegt grosse Augen; zum Statthalter) Was heisst das? „Die Frauen von Selischtje bekommen vom König Männer“ - was soll das? S TATTHALTER Majestät, es ist kein Witz - M ATTHIAS In diesem Buch darfs auch keine Witze geben. Was in diesem Buch versprochen wird, das wird gehalten werden. (Er blickt wieder in das Buch) Ach so. (Zum Grafen) 얍 Dieses Dorf gehört dir? G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS (liest weiter) „Die Männer alle im Krieg geblieben“ - - hm. (Er denkt nach und wendet sich dann wieder an den Grafen) Und deine Weiber brauchen dreihundert Männer? G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS Wieviel Seelen hat denn das Dorf? H OFBEAMTER Dreihundert, Majestät. M ATTHIAS Und lauter Frauen? G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS Hm. Da sind doch aber dann auch die kleinen Kinder miteinbegriffen, und die gebrechlichen Greisinnen - wie? Da käm ja dann mehr als ein Mann auf ein jedes deiner Weiber - - (er lächelt) Unersättlich - (er blickt wieder ins Buch) - „tapfere Krieger ansiedeln“ - B

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Mann, einfachN ] hin, blicktN ] Bwohl, meinN ] Bverwirrt) MajestätN ] BStatthalter) WasN ] BdenktN ] BDreihundert,N ] BHm f Weiber - -N ] BUnersättlich -N ] B B

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korrigiert aus: Mann,einfach korrigiert aus: hin,blickt korrigiert aus: wohl,mein korrigiert aus: verwirrt) Majestät korrigiert aus: Statthalter) Was korrigiert aus: d enkt korrigiert aus: Dreihundert , Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 363, Z. 35 Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 363, Z. 37

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Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

H AUPTMANN (tritt vor) Majestät! M ATTHIAS Was gibts? H AUPTMANN Als braver Hauptmann Euerer glorreichen Armee fühle ich mich verpflichtet, Majestät mitzuteilen, dass diese ganze Ansiedlerei einen kleinen Haken haben dürfte - G RAF (fällt ihm ins Wort) Was soll das? M ATTHIAS Wieso? H AUPTMANN Majestät, ich denke, das wäre eine schlechte Belohnung für Euere braven Soldaten, wenn man sie diesen Weibern vorwerfen würde, denn alles, was recht ist: schön sind sie nicht! Da müsst man schon eher alle Blinden im Land zusammentrommeln. G RAF Darf ich etwas einwenden - M ATTHIAS Bitte. G RAF Majestät, ich kenne die Frauen von 얍 Selischtje und es ist mir ein Rätsel warum sie gerade die Hässlichsten hierhergesandt haben – vielleicht wollten sie sich durch die Intelligentesten vertreten lassen, und intelligente Frauen, Majestät, sind ja meistens nicht gerade schön - M ATTHIAS Gottseidank! H AUPTMANN Gar so intelligent kamen mir diese Weiber auch nicht vor G RAF (unterbricht ihn) Majestät! Die Frauen von Selischtje sind wunderschön, sie sind sogar berühmt in ganz Siebenbürgen! M ATTHIAS (lächelt) Was du nicht sagst - G RAF Auf mein Wort! (Stille.) M ATTHIAS Hm. Ich kenne ja mein Land leider nur als Kriegsschauplatz - - und hier steht Meinung gegen Meinung. (Er überlegt und lächelt dann wieder; zum Grafen) Höre, schick mir doch von deinen berühmten Frauen ein kleines Muster - S TATTHALTER (perplex) Ein was? M ATTHIAS (zum Statthalter) Ja, er soll mir aus seinem Dorf drei Frauen schicken. Wir glauben nämlich nur das, was Wir sehen - G RAF Ihr glaubt mir nicht?! M ATTHIAS Doch, doch. Aber die Schönheit ist ein Geschmacksproblem und ich kenne deinen Geschmack nicht S TATTHALTER Er ist nicht schlecht. M ATTHIAS Hoffentlich! Hoffentlich gibt es in Selischtje hübsche Mädchen, dann will ich dort meine tapfersten Krieger ansiedeln - (zum Grafen) Du hast Unser Wort! G RAF ( erfreut) Majestät ! Ich reit jetzt sofort nach Siebenbürgen und bring Euch ein Muster! (Er grüsst und rasch ab nach links) 얍 M ATTHIAS (lächelt) Glückliche Fahrt! (Zum Statthalter) Und wir fahren auch fort! Setz dich! (Zum Hofbeamten) Das nächste! H OFBEAMTER (verbeugt sich und öffnet rechts die Türe) B

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Majestät f zusammentrommeln.N ] Majestät f Siebenbürgen!N ] Bund f Muster - -N ] Berfreut) MajestätN ] B B

Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 364, Z. 8 Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 364, Z. 20 Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 364, Z. 25 korrigiert aus: erfreut) Majestät

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

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Vorhang. 얍 5

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ZWEITES BILD. In Siebenbürgen. In einer Badeanstalt zu Hermannstadt. Das Baden spielte in der damaligen Zeit eine grosse gesellschaftliche Rolle. Man badete in grossen, hölzernen Wannen, in denen oft auch zwei Personen bequem Platz hatten, wenn sie sich gegenüber sassen. Da man damals noch fest daran glaubte, dass das Baden umso gesünder wäre, je länger man badete, sassen die Menschen oft tagelang in der Wanne. Die Folge davon war, dass man auch in der Wanne sitzend sein Mahl verzehrte, die Post erledigte, würfelte, Mariage spielte und dergleichen - - dies alles auf einem Brett, das quer über die Wanne gelegt werden konnte und also als Tischlein fungierte. Dabei wurden die Herren von Bademägden bedient, die meist nur ein durchsichtiges Hemd anhatten und mit Recht nicht gerade im besten Rufe standen. Der Besitzer des Etablissements, der Bader, der übrigens auch als eine Art Arzt tätig war, trachtete natürlich darnach, nur sehr hübsche Bademägde zu haben, denn je hübscher sie waren, umso fleissiger badeten die Herren, und es ist also nur logisch, dass auch der Bader selbst nicht in bestem Rufe stand. Ein altes Sprichwort sagte: „Der Bader und sein Gesind, gar oft Buben und Huren sind.“ Wir befinden uns nun in einer derartigen Badeanstalt. In drei grossen hölzernen Wannen sitzen vier Bürger von Hermannstadt, und zwar von links nach rechts: in der ersten Thomas, der junge Wirt vom „Einhorn“, mit einer Bürste, in der zweiten ein Dicker, und in der dritten ein Bärtiger mit einem Dürren, Karten spielend. Der Dicke isst gerade mit einem überaus gesunden Appetit zu Mittag 얍 und wird von einer Badmagd bedient, die er immer wieder abtätschelt. Links, rechts und im Hintergrund je eine Türe. B

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B ADMAGD (zu Thomas) Und der Herr essen nichts? T HOMAS Nein. B ADMAGD Und auch ansonsten benötigen der Herr nichts? T HOMAS Nein. B ADMAGD Wie schade! D ICKER Der Herr ist verlobt - - (er grinst) B ADMAGD (zu Thomas) Oh pardon! B ÄRTIGER (sticht geräuschvoll) Atout! Atout! Atout! D ICKER (zum Dürren) Mir scheint, du verlierst? D ÜRRER Wenn ich noch weiter so verlier, geh ich nie mehr baden B ADMAGD (zu Thomas) Und Kartenspielen tut der Herr auch nicht? D ICKER Seit er verlobt ist, rührt er keine Karte mehr an. B ADMAGD (betrachtet Thomas) Der Herr geht über meinen Horizont. Nicht essen, nicht trinken, nicht spielen, nicht - - (zum Dicken) Ich bitt dich, zu was geht er denn überhaupt baden? T HOMAS Zu Reinigungszwecken. Und weil es bekanntlich überaus gesund ist, stundenlang im Bad zu sitzen. B

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verzehrte, dieN ] essen, nichtN ]

korrigiert aus: verzehrte,die korrigiert aus: essen,nicht

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D ICKER Das schon. (Zur Badmagd) Apropos gesund: geh hol mir den Bader, Putzi, er soll mich schröpfen! Und bring mir noch ein bisserl von dem Kürbis - der ist heut ein Traum! B ADMAGD Gern! (Ab nach links) D ICKER (sieht ihr nach) Dieser Bader ist ein Tausendsassa! Immer bringt er die 얍 feschesten Weiber daher, wo er sie nur auftreibt?! Der hat direkt einen Riecher - T HOMAS Ich neid ihm seinen Riecher nicht. Wenn ich so nachdenk, so war doch das Badeleben früher, noch vor relativ kurzer Zeit, geordneter, gesitteter, zweckmässiger – mit einem Wort: seriöser. Damals sind die Leut wirklich nur deshalb hergekommen, um sich zu reinigen, aber seit’s hier diese Weiberwirtschaft gibt, ist es für einen jeden, der sich nur reinigen möcht - D ICKER (unterbricht ihn) Was redest du da immer vom „Reinigen“? Bist denn gar so dreckig? Wenn sich jeder nur reinigen möcht, gäbs überhaupt kein gesellschaftliches Leben! Schau mich an, ich reinig mich auch, aber das ist doch bei mir nicht das A und das Z! (Er ruft) Wo bleibt mein Kürbis?! B ADMAGD (kommt mit dem Kürbis von links) Ist schon da! D ICKER Brav, brav! Aber wo bleibt der Bader? Ich möcht doch geschröpft werden, geschröpft! B ADER (kommt aus dem Hintergrund mit der Schröpfapparatur) Bin schon da, bin schon da! (Zum Bärtigen) Habe die Ehre, Herr Sedlacek! (Zum Dürren) Herr Vastag! (Zu Thomas) Ah, der Herr Thomas! Dass Herr Hotelier mal wieder baden? (Zum Dicken, während er ihn zu schröpfen beginnt und die Badmagd nach rechts abgeht) Seiens mir, bittschön, nicht bös, Herr Durdurescu, aber ich hab hinten im Dampfbad einen unerwartet hohen Besuch bekommen, und den hab ich jetzt erst ein bisserl behandeln müssen, herrichten, auffrischen, 얍 regenerieren - er war nämlich einigermassen parterre von dem langen Ritt von der Hauptstadt bis zu uns … D ICKER (horcht auf) Von der Hauptstadt? Wer ist denn das? B ADER Unser Herr Graf. D ICKER Ah da schau her! Herr Graf sind wieder in Hermannstadt? B ADER Seit gestern. T HOMAS Ein seltener Gast bei sich zuhaus - D ICKER Was erzählt er denn Neues? Was machen die Türken, wie gehts dem König? Und der Sultan? B ADER Wir haben nicht politisiert. Er ist ziemlich wortkarg, der Herr Graf, scheint Sorgen zu haben - D ICKER Kann ich mir vorstellen! B ADER Dieser Riesenbesitz - T HOMAS Der ihm nichts bringt - B ADER (zu Thomas) Wenn man näher hinschaut, ist mir Euer Wirtshaus hint lieber, wie sein ganzer Fideikommiss vorn! D ICKER Das glaub ich! T HOMAS Beruhigt Euch nur! Wenn ich nicht bald einen Kredit auftreib, sperr ich auch zu. Ich lauf mich schon wund nach einem Wucherer. D ICKER Wer heutzutag nicht! B

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nicht. WennN ] abgeht) SeiensN ]

korrigiert aus: nicht.Wenn korrigiert aus: a bgeht) Seiens

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T HOMAS Der, der dich grad schröpft. Der Bader. B ADER Nanana! Wenn mich der hohe Magistrat von Hermannstadt weiterhin so zu verfolgen beliebt, dann tausch ich sogar mit dem Grafen! D ICKER Der Magistrat verfolgt dich? B ADER Er hetzt mich, wie ein wehrloses Wild! Jeden zweiten Tag eine neue Vorschrift, ich werd kontrolliert und kontrolliert - lauter Schikan! Man könnt schon meinen, ich hätt kein solides Geschäft, 얍 hätt ein Frauenhaus und kein Badehaus! E IN e B ADMAGD (geht von rechts nach links vorbei) B ADER (zur Badmagd) Bist schon fertig? Geh zum Grafen, Anjuka - und hilf ihm ein bisserl regenerieren B ADMAGD (knixt und ab nach dem Hintergrund) D ICKER Wer war denn das? Eine Neue? B ADER Eine Polin. Rassig, sehr rassig! T HOMAS (schüttelt sich plötzlich) Brr! D ICKER Was fehlt dir? T HOMAS Diese Weiberwirtschaft - - peinlich! B ADER Sagens mir nur nichts gegen die Weiber, Herr Thomas! Seit Sie in Ihrem Wirtshaus keine Kellnerinnen mehr haben, sondern nur männliche Kellner, seh ich etwas düster für Ihren Geschäftsgang - no hab ichs erraten? T HOMAS Meine Braut soll ein reines Haus betreten. Seit meiner Verlobung hab ich alle Kellnerinnen zum Teufel gejagt. B ADER Herr Thomas, merkens Ihnen folgende Weisheit: ohne Kellnerinnen gibts keinen Kredit. Ehre, wem Ehre gebührt! Und ohne Kellnerinnen wird Ihr Fräulein Braut vielleicht gar kein Haus betreten, weder ein reines, noch ein unreines, denn bis dahin, ich will zwar nichts beschwören, aber immerhin - - no hab ichs erraten? (Stille) T HOMAS Lieber verlier ich mein Haus. D ICKER Blödsinn! B ADER Was tät denn dann das Fräulein Braut dazu sagen? Hat sich mit einem gutgehenden Hotel verlobt und soll eine gnädige Frau Habenichts werden! T HOMAS Sie wird mit mir überall leben. B ADER Auch ohne Dach? Wo es überall hineinregnet? 얍 T HOMAS (romantisch) Regen oder Sonnenschein! Sie hat mich und das genügt ihr. B ADER Na! Ihr seid durch die Liebe ein bisserl weltfremd geworden, Herr Thomas, weltfremd - und das ist gefährlich! G RAF (kommt aus denn Hintergrund, gefolgt von drei Bademägden) D IE B ADENDEN (erheben sich etwas in den Wannen und grüssen) G RAF (zu den Badenden) Bleibt nur ruhig sitzen! Danke, danke! - Du Bader! B ADER Herr Graf? G RAF Ich bitt dich, leih mir einen Taler - ich wollt mir ja ursprünglich nur die Haare schneiden lassen, aber meine Absicht hat dann unwillkürlich weitere Kreise gezogen - (er lächelt) B ADER Aber Herr Graf! Bei mir haben Herr Graf Kredit. G RAF ( melancholisch) Bei dir schon. Gibs der Polin - B

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ichsN ] Badenden) BleibtN ] Bmelancholisch) BeiN ] B B

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korrigiert aus: ich korrigiert aus: Badenden) Bleibt korrigiert aus: melancholisch) Bei

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

B ADER (gibt den Taler der Polin) D IE P OLIN (knixt) G RAF Danke, danke! Also auf Wiedersehen - (er will nach rechts ab) B ADER (will ihn hinausbegleiten) Meine Hochachtung, Herr Graf! Gnädiger Herr Graf bleiben doch jetzt hoffentlich länger in Siebenbürgen -G RAF (fällt ihm ins Wort) Nein . Ich reite morgen wieder retour. B ADER Schon? Ewig schad! Als gäbs in Hermannstadt keine schönen Mädchen - G RAF (fällt ihm ins Wort) Ich muss heut nur noch nach Selischtje - B ADER (fällt ihm ins Wort) Also in Selischtje werden Herr Graf keine Schönheiten finden! G RAF (horcht perplex auf) Wie meinst du das? 얍 B ADER Ich mein das nur logisch - - die Weiber von Selischtje sind ja berühmt hässlich! Solche Pratzen, solche Mündchen, Ohren wie die Bernhardiner - wo man hinschaut, lauter linke Füss, und was für Füss! Nicht die Spur von einer Grazie, einem Charme - kurz: lauter elende Trampeln! Kein Wunder, dass sie keine Männer kriegen! Unlängst habens nämlich eine Deputation zum König geschickt - G RAF (unterbricht ihn) Du weisst davon? B ADER Ich hör hier alles. Und ein jeder sagt, denen ihre Männer sind nicht im Krieg geblieben, die haben den Krieg nur als Vorwand benützt , um nicht wieder nachhause zu müssen! Haben Herr Graf beim König zufällig die Deputation gesehen? G RAF Ja, es war wirklich abscheulich. B ADER Und derweil waren das noch die Schönsten! G RAF ( entsetzt) Die Schönsten?! B ADER Sie haben sich vorher noch ausgewählt - Schönheitskonkurrenz in Selischtje! Können Herr Graf sich vorstellen, wie die Zuhausgebliebenen - G RAF (unterbricht ihn) Lieber nicht! (Er überlegt) Hm. Das ist eine schlimme Botschaft - das ist sogar so schlimm, dass es wirklich schon schlimm ist. B ADER (horcht auf) Wieso , Herr Graf? G RAF Der König will mir nämlich nur dann männliche Arbeitskräfte geben, wenn die Weiber hübsch sind. Er will seine braven Soldaten nicht hässlichen Hexen vorwerfen - B ADER Dieser König wird immer gerechter. Der wird noch populär werden - ojeh! G RAF Was nützt mir das? Ich gab ihm mein Wort, ich bring ihm drei hübsche Frauen aus Selischtje - wieder ein Strich durch die Rech-얍nung! Ich bin halt ein Pechvogel. Meine Felder liegen brach und meine Weiber sind Hexen. Wie soll sich da einer sanieren? B ADER Herr Graf haben dem König drei Stück Hübsche versprochen? G RAF Im besten Glauben! Aber kann ich aus einer Kuh eine Aphrodite machen? B

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Taler derN ] D IE P OLIN N ] BWort) NeinN ] Bauf) WieN ] Bnämlich eineN ] Bihn) DuN ] BVorwand benütztN ] Bentsetzt) DieN ] Bauf) WiesoN ] BPechvogel. MeineN ] Bsoll sichN ] B B

SB Georg Marton, S. 26

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korrigiert aus: Talerder korrigiert aus: Die Polin korrigiert aus: Wort) Nein korrigiert aus: auf) Wie korrigiert aus: nämlich eine korrigiert aus: ihn) Du korrigiert aus: Vorwand benützt korrigiert aus: entsetzt) Die korrigiert aus: auf) Wieso korrigiert aus: Pechvogel.Meine korrigiert aus: sollsich

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SB Georg Marton, S. 27

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

B ADER Warum nicht? G RAF (fast grob) Du vielleicht! B ADER (leise) Herr Graf, soweit ich die Situation ermesse, benötigen Herr Graf drei Stück schöne Frauen aus Selischtje. Nun, schicken Sie doch dem König drei schöne Frauen und sagens, sie wären aus Selischtje - - sie müssen ja nicht aus Selischtje sein - G RAF Ah so! B ADER Logischerweise! (Stille) G RAF Keine schlechte Idee - B ADER Sie liegt direkt auf der Hand. Herr Graf, schickens zum Beispiel gleich die Drei da - - (er zeigt auf die Bademägde, die sich um die Badenden bemühen) G RAF (unterbricht ihn) Nein, das geht nicht! Nicht aus diesem Milieu! B ADER Der König würd das garnicht merken - G RAF Der König würds schon merken, er ist ein durchtriebener Mensch - - Nein, nein, das müssten schon drei andere sein, zum Beispiel drei anständige, verschwiegene Witwen - - oder die Braut eines ehrbaren Bürgers - B ADER (unterbricht ihn) „Braut eines ehrbaren Bürgers“? Herr Graf, mir scheint, eine haben wir bereits! Einen Moment! (Er 얍 ruft) Herr Thomas! Kommens mal geschwind her! Der gnädige Herr Graf hätten dringend mit Euch zu reden! T HOMAS ( überrascht) Mit mir? B ADER Ja! Kommens, kommens! (Zur Polin) Anjuka, hilf ihm! D IE P OLIN (hilft Thomas aus der Wanne und hängt ihm ein Tuch um) B ADER (zum Grafen) Die Braut dieses Mannes ist nämlich eine Schönheit, sie ist die Tochter eines Jägers in Rotkirchen - und er ist der Wirt vom „Einhorn“ - (zu Thomas, der nun neben ihm steht) Hörens her! Der Herr Graf wollen mit Ihnen ein Geschäft machen - - ich sag nur: Kredit! Verstanden? T HOMAS Was? Der Herr Graf will mir Kredit - B ADER (fällt ihm ins Wort) Ja. T HOMAS ( hocherfreut) Aber das wär ja wunderbar B ADER (fällt ihm wieder ins Wort) Er benötigt natürlich gewisse Sicherheiten --T HOMAS (begeistert, unterbricht ihn) Aber alles, alles! Mein Haus, mein Vieh, mein Wald -B ADER (fällt ihm abermals ins Wort) Nein , er benötigt andere Sicherheiten. Herr Thomas, Sie wollen doch heiraten? T HOMAS ( perplex) Ja . B ADER Schön. Dann haben Sie also auch eine Braut? T HOMAS (wird misstrauisch) Ja. Und? B ADER Der Herr Graf benötigen nämlich Ihre Braut. T HOMAS (unterbricht ihn) Was?! Was hör ich?! G RAF Unsinn! (Zum Bader) So erzähls ihm doch vernünftig! B

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würds schonN ] überrascht) MitN ] Bhocherfreut) AberN ] BWort) ErN ] Bihn) AberN ] BWort) NeinN ] Bperplex) JaN ] B B

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korrigiert aus: würdsschon korrigiert aus: überrascht) Mit korrigiert aus: hocherfreut) Aber korrigiert aus: Wort) Er korrigiert aus: ihn) Aber korrigiert aus: Wort) Nein korrigiert aus: perplex) Ja

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SB Georg Marton, S. 28

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B ADER Ich kann nur so! T HOMAS In diesem Punkt, Herr Graf, kenn ich keine Vernunft! Und wenn ich auch nur ein gemeiner Bürger bin und Ihr ein hochedler und hochwohlgeborener Graf -얍 B ADER (unterbricht ihn) Idiot ! So mach doch da keinen Bauernkrieg! Es ist doch alles radikal anders, hör her - (er flüstert mit ihm) T HOMAS (kriegt grosse Augen) B ADER No ist es anders? T HOMAS Ja. B ADER Einverstanden? T HOMAS Ja. Warum nicht? B ADER Eine kleine Reise in die Residenz - das ist alles. T HOMAS Hoffentlich. B ADER Wie hab ich das gemacht? T HOMAS Wann krieg ich den Kredit? G RAF Hol ihn dir noch heute ab. T HOMAS Sehr geehrt, Herr Graf, sehr geehrt! B ADER Abgemacht! T HOMAS (zum Grafen) Darf ich mich nun wieder in meine Wanne zurückziehen? B ADER Du darfst. T HOMAS (setzt sich wieder in die Wanne, unterstützt von der Polin) G RAF (zum Bader, leise) Wie hoch ist dieser Kredit? B ADER Eine Kleinigkeit - dreihundert Taler. G RAF Dreihundert? Hoffentlich zahlt sichs aus - (er lächelt) B ADER Herr Graf können beruhigt abreisen, es wird alles prompt erledigt! Ich beschaff Euch noch zwei derartige Weiber, dass Seine Majestät sofort die halbe Armee in Selischtje ansiedeln wird! Herr Graf können sich auf meine Routine verlassen! G RAF Schön. Aber, wie gesagt, nicht aus diesem Milieu --B ADER Nein, nein! Lauter höchstehrbare Witwen, Bräute, Töchter - garantiert! G RAF Wenn alles klappt, hast du nichts zu 얍 bereuen. B ADER Es klappt, es klappt! In drei Wochen hat der König das Muster! G RAF Schön. Also auf Wiedersehen -B ADER Herr Graf, ich hätt jetzt nur noch eine kleine persönliche Bitte - nicht bös sein, bitte! G RAF Na los! B ADER Herr Graf, der Magistrat verfolgt mich, wo er nur kann! Redens mal mit dem Bürgermeister, da habens jetzt wieder so eine sekkante Vorschrift erlassen - - (er zieht ein Dekret aus seiner Tasche und liest) „Kein Mann soll in ein Badehaus hineingezogen oder hineingelockt werden“ - also das ist doch wirklich Schikan! B

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ihn) IdiotN ] Grafen) DarfN ] Babreisen, esN ] Bkann! RedensN ] Bliest) „KeinN ] B B

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korrigiert aus: ihn) Idiot korrigiert aus: Grafen) Darf korrigiert aus: abreisen,es korrigiert aus: kann!Redens korrigiert aus: liest) „Kein

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SB Georg Marton, S. 30

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K3/TS1 (Korrekturschicht)



DRITTES BILD. N

S TATTHALTER (zum Pagen) Also die Gansleber ist heut nicht berühmt -- Skandal! H OFBEAMTER (kommt von rechts) S TATTHALTER (essend zum Hofbeamten) Alles in Ordnung? H OFBEAMTER (gibt keine Antwort, sondern geht dicht an den Statthalter heran; leise, damit ihn der Page nicht hört) Wie ich soeben informiert wurde, werden uns Seine Majestät heute nicht um halbsechs, sondern bereits um dreiviertelfünf „überraschen “ - S TATTHALTER Was? Schon um dreiviertelfünf? Uiweh! (Er gibt dem Pagen ein Zeichen, er möge sich mit dem Tablett entfernen) P AGE (ab mit dem Tablett nach links) H OFBEAMTER Gottlob halten sich Euere Komödianten bereits seit Stunden bereit. S TATTHALTER Hoffentlich haben sie auch ihre Rollen anständig gelernt! H OFBEAMTER (lächelt hinterlistig) Gewissenhaft , Exzellenz! Gewissenhaft! S TATTHALTER Wie sehens denn aus? H OFBEAMTER Wie eine wirkliche Deputation. S TATTHALTER Wahrheitsgetreu? 얍 H OFBEAMTER Das echte Volk. S TATTHALTER Bravo. Wie spät ist es denn schon? H OFBEAMTER (sieht auf eine Sanduhr) Punkt halbfünf. S TATTHALTER Geht der Sand nicht nach? H OFBEAMTER Nur paar Minuten, Exzellenz! S TATTHALTER Herein mit den Komödianten! H OFBEAMTER (öffnet rechts die Türe und lässt zwei Komödianten ein; sie sind als Bauern verkleidet und fallen sofort auf die Knie) S TATTHALTER (mustert sie zufrieden) Echt, wirklich echt - (zum Hofbeamten) Wenn es Seiner Majestät beliebt, unsere Amtsführung zu kontrollieren, und zwar direkt überfallsartig zu kontrollieren, dann müssen wir uns eben wehren! Auch der Wurm krümmt sich, wenn er kontrolliert wird. Ich verstehs nicht, was hat er eigentlich gegen die Korruption? Was hat ihm schon die Korruption getan? Wo doch die Korruption gewissermassen die pikante Sauce ist für diese ganze fade Regiererei! Apropos fad: wir könnten eine kleine Probe abhalten -- (zum ersten Komödianten) Nun, mein Sohn, wie kann ich dir helfen? E RSTER Exzellenz, Euere Güte kennt keine Grenzen, wie soll ich armer Bauer Euch danken - S TATTHALTER Ah, du willst dich bedanken ? B

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SB Georg Marton, S. 31

Wieder im Audienzsaal der Ofner Burg - Der Statthalter sitzt auf der Estrade und isst von einem silbernen Tablett, das ihm der Page hinhält, Sandwiches. Am Pult steht der Schreiber und nickt immer wieder ein. Vor den beiden Türen wachen die Gardisten. B

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Burg -N ] Pagen) AlsoN ] Bdreiviertelfünf „überraschenN ] Bhinterlistig) GewissenhaftN ] Bdich bedankenN ] B B

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korrigiert aus: Burgkorrigiert aus: Pagen) Also korrigiert aus: dreiviertelfünf„überraschen korrigiert aus: hinterlistig) Gewissenhaft korrigiert aus: dichbedanken

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SB Georg Marton, S. 32

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

E RSTER Euere Exzellenz haben mir doch schon wieder gnädigst sechs Schafe und zwölf Ziegen geschenkt -Z WEITER Auch ich möcht mich bedanken -S TATTHALTER Brav, sehr brav! Z WEITER Euere Exzellenz haben mir doch allergnädigst die Steuern nicht nur gestundet, sondern sogar gestrichen, angesichts der grossen Not -S TATTHALTER (unterbricht ihn) Du leidest Not? Z WEITER Bitterlich. Und mein armes Weib ist gar arg krank -얍 S TATTHALTER (zum Schreiber) Schreib: dieser brave Bauer bekommt fünf Taler, damit er Medizin für sein krankes Weib -E RSTER G ARDIST (unterbricht ihn plötzlich) Halt! (Er tritt rasch auf den Statthalter zu und schlägt mit seiner Hellebarde auf das Pult des Schreibers) Halt! S TATTHALTER (ausser sich) Was los?! Ist der Hund des Teufels?! E RSTER G ARDIST Du bist des Teufels! (Er öffnet rasch sein Visier; es ist Matthias) S TATTHALTER (brüllt auf) Der König! Der König! M ATTHIAS Ja. (Er nimmt den Helm ab und herrscht plötzlich die beiden Komödianten an) Steht auf! Rutscht hier nicht auf den Knien herum, das schickt sich nicht! Ihr seid doch in keiner Kirche! Auf! K OMÖDIANTEN (erheben sich entsetzt) M ATTHIAS (zum Schreiber) Schreib: dieser brave Bauer bekommt keine fünf, sondern fünfundzwanzig, aber keine Taler, sondern vom Büttel! Z WEITER ( entsetzt) Majestät ! M ATTHIAS (zum Schreiber) Schreib: diese beiden braven Bauern werden auf der Stelle in Ketten gelegt, denn das sind keine Bauern, sondern Komödianten, die ihre Begabung missbrauchen, um ihren König zu betrügen und um, was noch schlimmer ist, ihr eigenes Volk zu betrügen - - (er ruft) Die Wache! G ARDISTEN (treten rechts und links mit dem Hauptmann ein) H OFBEAMTER (deutet auf die zwei Komödianten; zum Hauptmann) Abführen ! H AUPTMANN (zu den Gardisten) Abführen ! D IE K OMÖDIANTEN ( verzweifelt) Gnade , Majestät! Gnade! (Sie werden von zwei Gar-얍disten nach links abgeführt) M ATTHIAS (fixiert den Statthalter) Es gibt keine Gnade. (Stille) S TATTHALTER ( kleinlaut) Majestät -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Ihr wisst es also, wann ich Euch „überrasche“? (Er lächelt) Man hats mir schon gestern erzählt -S TATTHALTER (fällt ihm ins Wort) Wer? M ATTHIAS (deutet auf den Hofbeamten) Dieser treue Mann! S TATTHALTER (fixiert wütend den Hofbeamten) Diese Beamtenseele?! Diese Kreatur!? M ATTHIAS Halt den Mund! S TATTHALTER (braust auf) Was erlaubt Ihr Euch? König, ich bin ein Edelmann! B

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auf) DerN ] entsetzt) MajestätN ] Bruft) DieN ] BHauptmann) AbführenN ] BGardisten) AbführenN ] Bverzweifelt) GnadeN ] Bkleinlaut) MajestätN ] B B

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korrigiert aus: auf) Der korrigiert aus: entsetzt) Majestät korrigiert aus: ruft) Die korrigiert aus: Hauptmann) Abführen korrigiert aus: Gardisten) Abführen korrigiert aus: verzweifelt) Gnade korrigiert aus: kleinlaut) Majestät

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SB Georg Marton, S. 34

Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

M ATTHIAS Umso schlimmer! Du hast dir Komödianten engagiert, aber ich kenne mein Volk, ich weiss, wie es denkt und fühlt und ich weiss auch, wie es über deinesgleichen denkt, hoher Herr -- (zum Hauptmann) Im Namen des Volkes! Abführen! S TATTHALTER Matthias Corvinus, dazu habt Ihr kein Recht! M ATTHIAS (grinst) Wer die Macht hat, braucht kein Recht -- das ist doch dein Gesetz! S TATTHALTER Ich bin kein lumpiger Bauer! M ATTHIAS (zum Hauptmann) Abführen ! Raus! S TATTHALTER (zum Hofbeamten) Diese Schmach sollst du mir büssen! (Er wird von den Gardisten und dem Hauptmann links abgeführt) H OFBEAMTER (sieht ihm besorgt nach) Büssen? (Er schluckt) M ATTHIAS ( lächelt) Hast du Angst? H OFBEAMTER Angst gerade nicht -- aber ein unangenehmes Gefühl. M ATTHIAS Der kommt nicht mehr zurück. 얍 H OFBEAMTER Wer weiss! M ATTHIAS (horcht auf und sieht den Hofbeamten gross an) Z WEITER G ARDIST (bei der Türe rechts, ruft plötzlich) Es lebe der König! M ATTHIAS (horcht abermals auf, geht dann langsam auf den zweiten Gardisten zu, hält dicht vor ihm und betrachtet seine hünenhafte Gestalt; er klopft plötzlich auf seinen Brustpanzer, als würde er ihn streicheln und lächelt ernst) Dankeschön! -(Er geht wieder zum Hofbeamten und deutet auf den verwaisten Platz des Statthalters) Komm, setz dich dorthin -H OFBEAMTER ( überrascht) Wohin ?! M ATTHIAS Ja. Wir haben das Dekret bereits vor vier Tagen unterzeichnet, du bist Statthalter. Exzellenz H OFBEAMTER (glücklich) Majestät -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Ich bitt dich, tu nur nicht so, als hättest dus nicht schon gewusst! Du weisst es doch schon seit drei Tagen - von der grossen Schwester meines Pagen, nicht? H OFBEAMTER (grinst) Majestät scheinen allwissend zu sein -M ATTHIAS (lächelt wieder) Nein, ich hab halt nur auch meine lieben Spitzel. Du bist zwar ein grosser Komödiant H OFBEAMTER (unterbricht ihn gekränkt) Majestät! M ATTHIAS Ich wollte nur sagen, das Sympathische an dir ist, dass du es weisst, dass du ein Gauner bist. Ein guter Statthalter muss Gewissensbisse 얍 haben, sonst ist er ein dummer Tropf. Verzeih, ich wollte dich nicht kränken! Wir leben in einer rauhen Zeit. Die feinzugespitzten Aperçus schlummern ja noch unter den Steinen, aus denen dereinst die Schulen gebaut werden --- Aber weiter! Setz dich! (Zum zweiten Gardisten) Los, das echte Volk, es trete ein! (Er setzt sich wieder neben den Schreiber und der Hofbeamte lässt sich auf den Platz des Statthalters nieder) B

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Hauptmann) AbführenN ] lächelt) HastN ] BHofbeamtenN ] Bplötzlich) EsN ] Büberrascht) WohinN ] Bbist. EinN ] Bhaben,N ] BDie f werden ---N ] B B

SB Georg Marton, S. 35

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korrigiert aus: Hauptmann) Abführen korrigiert aus: lächelt) Hast korrigiert aus: Hofbeanten korrigiert aus: plötzlich) Es korrigiert aus: überrascht) Wohin korrigiert aus: bist.Ein korrigiert aus: haben. Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 374, Z. 4

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SB Georg Marton, S. 36

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

Z WEITER G ARDIST (salutiert vor Matthias und öffnet dann die Türe rechts: der Bader in Gala tritt ein, gefolgt von drei Frauen, die so schön sind, dass selbst Matthias betreten hinstarrt -- Eine Schwarze, eine Rote, eine Blonde. Sie sind als Bäuerinnen gekleidet, geschmückt, geputzt und hergerichtet, mit kurzen Röckchen und bunten Stiefeln; ihr Auftreten ist, trotz einer gewissen Befangenheit, sehr sicher, sie wissens nämlich , dass sie wirken; sie machen einen Knix vor dem Hofbeamten und der Bader verbeugt sich tief) H OFBEAMTER (erhebt sich unwillkürlich) B ADER (tritt vor) Hochgeborener Herr Statthalter! Exzellenz H OFBEAMTER (unterbricht ihn) Was für eine Deputation seid Ihr? B ADER (deutet auf die drei Frauen) Das ist keine Deputation, Exzellenz halten zu Gnaden, sondern das ist ein Muster. H OFBEAMTER (verwirrt) Ein Muster? Mit Euch ists wohl nicht ganz richtig. Was für ein Muster? Ich versteh kein Wort - wieso ein Muster? B ADER Exzellenz halten zu Gnaden, das sind die 얍 drei Frauen aus dem Dorfe Selischtje, die ich im Auftrage meines Herrn, des Grafen von Hermannstadt, dem König bringen soll, damit der König sich überzeuge, dass er dortselbst mit bestem Gewissen seine tapfersten Krieger ansiedeln - M ATTHIAS (unterbricht ihn) Ach so! Aha - H OFBEAMTER (wird immer verwirrter; zu Matthias) Wieso , Ihr kennt diesen Fall? M ATTHIAS Jaja, ich kann mich noch erinnern. B ADER Es war vor zirka fünf Wochen -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Stimmt. Damals haben Seine Majestät dem Grafen von Hermannstadt den Auftrag erteilt, ihm dieses Muster zu übersenden -H OFBEAMTER (sieht Matthias gross an) So ? M ATTHIAS ( kurz) Ja . (Stille) H OFBEAMTER (zu Matthias) Und ? M ATTHIAS Nun, ich denke, Exzellenz: Ihr seid zwar der Stellvertreter des Königs, doch nicht in allen Angelegenheiten seid Ihr im Stande, ihn zu vertreten. Wie mir scheint, gehört auch diese hier dazu. H OFBEAMTER Aha. Was also ratet Ihr uns zu tun? M ATTHIAS Nun, ich bin zwar nur Euer geringster Ratgeber, ja sozusagen nur Euer Diener, Exzellenz - doch, wenn ich etwas raten dürfte, so solltet Ihr Euch zuerst einmal mit dem König in Verbindung setzen -- (zu den Frauen) Wartet bis dahin draussen, liebe Kinder! H OFBEAMTER Vortrefflich! Wartet draussen! D IE F RAUEN (machen wieder einen Knix und ab mit dem Bader nach rechts) B

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wissens nämlichN ] H OFBEAMTER f ansiedeln - -N ] BHerrn, desN ] Bihn) AchN ] BMatthias) WiesoN ] Ban) SoN ] Bkurz) JaN ] BMatthias) UndN ] BNun f dazu.N ] BIhrN ] B B

korrigiert aus: wissens nämlich Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 374, Z. 18 korrigiert aus: Herrn,des korrigiert aus: ihn) Ach korrigiert aus: Matthias) Wieso korrigiert aus: an) So korrigiert aus: kurz) Ja korrigiert aus: Matthias) Und Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 375, Z. 3 korrigiert aus: ihr

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SB Georg Marton, S. 37

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

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얍 S CHREIBER (bläst vor sich Bhin) PühN -H OFBEAMTER (deutet auf den Schreiber; zu Matthias) Ihm wurd es auch ganz heiss --(er grinst) M ATTHIAS (lächelt) Begreiflicherweise. H OFBEAMTER Diese Schwarze! M ATTHIAS Und die Rote? H OFBEAMTER Und die Blonde? M ATTHIAS Jaja, alle drei. Hm. Was ist da zu tun? H OFBEAMTER (lächelt Bverschmitzt) WennN ich meinem geringsten Ratgeber raten dürfte, so könnte man es dem König ruhig Bsagen, dassN er seine tapfersten Krieger mit bestem Gewissen in Selischtje ansiedeln kann --- und dieses Muster, das schicken wir nun wieder nachhaus, wir haben uns ja bereits überzeugt, dass es nicht hässlich ist - nicht? M ATTHIAS (lächelt auch verschmitzt) Wie mir scheint, ist der König noch nicht ganz überzeugt -H OFBEAMTER Dann wird er sich wohl noch ein bisserl überzeugen müssen. M ATTHIAS (wird plötzlich etwas verlegen) BHm. SpassN beiseite: was ist da wirklich zu tun? H OFBEAMTER (sarkastisch) Tja, was denn nur? (Stille) M ATTHIAS Ich bin doch schliesslich der König. H OFBEAMTER Das wär noch kein direkter Grund. M ATTHIAS Aber ich kann doch nicht meine braven Landeskinder, nur weil sie hübsch sind – H OFBEAMTER Majestät geruhen total zu vergessen, diese drei braven Landeskinder suchen doch Männer! M ATTHIAS Das schon! H OFBEAMTER Man merkts ihnen auch an. M ATTHIAS Aber die suchen doch ganz andere Männer! Tüchtige Siedler, arbeitsame, kernige Bauern! H OFBEAMTER Nun, Majestät, ich glaube, die würden sich auch mit einem kernigen Städter zufrie-얍den geben, zum Beispiel mit einem arbeitsamen Statthalter - M ATTHIAS Sei so gut! G RAF (tritt links rasch ein, erblickt Matthias und verbeugt sich) Majestät! M ATTHIAS Ach, unser lieber Graf! G RAF Majestät, soeben habe ichs vernommen, dass mein Muster eingetroffen ist ich habs in der Burg gehört, die ganze Stadt ist ja in heller Begeisterung, so prächtig soll mein Muster sein! B M ATTHIAS Fürwahr! Wenn ganz Selischtje so aussieht, erbaue ich dort nächsten Winter eine Burg! H OFBEAMTER Und ich werde Burgvogt.N M ATTHIAS Schon wieder? G RAF Wo sind sie? Ich möcht sie ja auch schon gern sehen -1 9 10 17 39–41

hin) PühN ] verschmitzt) WennN ] Bsagen, dassN ] BHm. SpassN ] BM ATTHIAS f Burgvogt.N ] B B

korrigiert aus: hin) Püh korrigiert aus: verschmitzt) Wenn korrigiert aus: sagen,dass korrigiert aus: Hm.Spass Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 376, Z. 9

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SB Georg Marton, S. 38

SB Georg Marton, S. 39

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Kennst du sie denn nicht? G RAF Mein Gott, Majestät, ich habe meinen Präfekten beauftragt, er möge drei Frauen aus Selischtje hierherbringen, irgendwelche drei, die nächsten besten drei, die er trifft, und nun bin ich natürlich begierig, welche drei er getroffen hat. M ATTHIAS Dort warten sie. G RAF (geht rasch zur Türe rechts, öffnet sie heimlich und blickt hinaus - er fährt etwas zurück, fasst sich, blickt nochmals hinaus, ist bestürzt, jedoch beherrscht, schliesst die Türe und fasst sich ans Herz) M ATTHIAS (hat mit dem Hofbeamten konferiert) Schön. Wenn du meinst H OFBEAMTER Wir werden dies Problem schon meistern. Nur Mut. Majestät! 얍 M ATTHIAS (fixiert ihn) Mut ? H OFBEAMTER Oh pardon! Pardon, Majestät! (Stille) M ATTHIAS (erblickt den Grafen und stutzt) Was fehlt denn dir? Du bist ja weiss -G RAF (leise) Nichts, Majestät -- es war nur das Herz. Das hört manchmal so komisch auf. (Stille) M ATTHIAS Es tät mir leid, wenn du heut Abend nicht mit dabei sein könntest. Bei meinem kleinen Fest -G RAF Das tät mir auch sehr leid. M ATTHIAS Du willst doch nicht kommen? G RAF Ich komme, Majestät. Sicher. M ATTHIAS Du solltest dich lieber schonen -G RAF Ich schone mich nicht. M ATTHIAS (etwas unwillig, zum zweiten Gardisten) Ruf sie herein! (Er setzt sich wieder neben den Schreiber) Z WEITER G ARDIST (öffnet die Türe rechts) B ADER (tritt allein ein, erblickt den Grafen, der ihn nicht aus den Augen lässt, und schrickt etwas zusammen) H OFBEAMTER (wieder auf dem Platz des Statthalters) Wo sind die Frauen? B ADER Verzeihung, hochgeborener Herr Statthalter, aber die eine ist durch das lange Warten grad vorhin ein bisserl schwindlig geworden --M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Schwindlig? H OFBEAMTER Hoffentlich wirds bald wieder gut? B ADER Sicher! Es war nur das Herz. Das hört manchmal so komisch auf -M ATTHIAS (horcht auf und beobachtet den Grafen, der noch immer den Bader fixiert) H OFBEAMTER Nun, höret! Ich habe mich mit Seiner Majestät in Verbindung gesetzt und Seine Majestät geruhten allergnädigst zu bestimmen, dass Seine Majestät die Frauen aus 얍 Selischtje auf seinem Jagdschloss zur Audienz erwarten, und zwar noch heute Nacht --- wollte sagen: heute Abend. Bis dahin sollt Ihr im Hofgasthaus wohnen, als Gäste Seiner Majestät, Ihr werdet dann abgeholt. Gehet nun in Frieden! B

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sich, blicktN ] ihn) MutN ] Bstutzt) WasN ] BSeineN ] B

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korrigiert aus: sich,blickt korrigiert aus: ihn) Mut korrigiert aus: stutzt) Was

[s]|S|eine

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SB Georg Marton, S. 41

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

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B ADER (verbeugt sich tief, geht an dem Grafen, der ihn noch immer anstarrt, vorbei, macht ihm ein heimliches Zeichen, als wollte er sagen: „Ich bin unschuldig, ich kann nichts dafür!“ und ab nach rechts) G RAF (blickt ihm kurz nach, tritt dann rasch vor Matthias) Majestät , darf ich nun wieder fort -M ATTHIAS (fällt ihm verschmitzt lächelnd ins Wort) Warum ? Bleib nur noch und hilf uns, wir haben viel zu tun --- (zum zweiten Gardisten) Das Nächste! Z WEITER G ARDIST (verbeugt sich und öffnet rechts die Türe) B

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VIERTES BILD.

SB Georg Marton, S. 42

Im Hofgasthaus. Ein Zimmer des Appartements, in welchem das Muster abgestiegen ist. Rechts und links je eine Türe. Im Hintergrund das Fenster und ein grosser Schrank. Tisch und Stühle. Alles ist voller Blumen. Von der Strasse tönen Serenaden empor, Mandolinengesang und Zigeunermusik. Der Bader sitzt und schreibt. Es klopft. BN

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B ADER Herein! D ER H OFWIRT (tritt links mit viel Blumen ein; er ist einäugig) Es sind wieder Blumen gekommen für die Täubchen -- (er stellt die Blumen auf den Tisch) B ADER Danke, Herr Hofwirt. H OFWIRT Die ganze Stadt ist aus dem Häusel, sogar gerauft ist schon worden, wer dass die Schönste wär -- die Schwarze, die Rote, die Blonde! Wo stecken denn die Damen? B ADER (deutet auf die Türe rechts) Dort. Sie ziehen sich an. H OFWIRT (blickt nach rechts) „Sie ziehen sich aus“ --B ADER (fällt ihm ins Wort) An! H OFWIRT Das ist wurscht. Jaja, jung müsst man halt wieder sein, und schön! Ich hab zwar nur ein Auge, aber ich würd selbst dieses eine Auge riskieren -- Euere Weiber sind ja das reinste Kanonenpulver! Hörens nur, wie die Leut singen, besonders seit es publik geworden ist, dass sie der König auf sein Jagdschloss geladen hat! Wisst Ihr, was das bedeutet? B ADER Ich kanns mir vorstellen. 얍 H OFWIRT Die seltenste Auszeichnung! Das war überhaupt noch nicht da! B ADER Geh - geh - geh! H OFWIRT Was schreibens denn da? B ADER Mein Testament. H OFWIRT (perplex) Testament? B ADER (lächelt schmerzlich) Man weiss es nie. Vielleicht schon diese Nacht -H OFWIRT Mit einem solchen Muster denkt der Mensch ans Sterben - - (bei Seite) Provinzler! (ab nach links) B

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Zeichen, alsN ] Matthias) MajestätN ] BWort) WarumN ] BN] Bda!N ] B B

korrigiert aus: Zeichen,als korrigiert aus: Matthias) Majestät korrigiert aus: Wort) Warum gestrichen: ) korrigiert aus: da !

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Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B ADER (sieht ihm nach) Dass es in einer Haupt- und Residenzstadt solche Naivlinge gibt -- und die reden was über unsere Provinz! (Er erhebt sich und riecht an diversen Blumen) Wirklich prachtvoll - Wie auf einem Friedhof. Nötig hab ich das gehabt, mich da einzulassen, der Graf zerreisst mich in der Luft - (er tritt an die Türe rechts und klopft) Seids bald fertig mit der Anzieherei? In einer halben Stund ist der Wagen des Königs da! - Vergesst Euch nicht den Hals zu waschen was? Wie? Also nur nicht renitent werden! Beherrsch dich gefälligst! T HOMAS (öffnet leise die Schranktüre und steigt vorsichtig aus dem Schrank) B ADER (erblickt ihn und erschrickt) Allmächtiger ! T HOMAS Ich bins. B ADER (grinst geschwächt) Thomas , der liebe Thomas - der hat mir noch gefehlt! Seit wann stecken wir denn wieder in diesem Schrank? T HOMAS (fährt sich mit der Hand über die Augen) Was weiss ich, mir ist schon direkt übel --B ADER Wärst erstickt! 얍 T HOMAS Freundlich, sehr freundlich! - Wie war denn die Audienz? B ADER Die Damen haben gefallen. T HOMAS Bravo. Dann fahren wir morgen zurück. B ADER Möglich ist alles! Aber heut abend müssen wir noch zum König. Wir sind eingeladen, auf sein Lustschloss -T HOMAS „Lust“? - Um Gottes Willen! B ADER Es ist sogar vorgesehen, dass wir eventuell sogar draussen übernachten - T HOMAS Übernachten?! B ADER Möglich ist alles. Ich habs nicht arrangiert. T HOMAS Aber das wär ja grauenhaft! Nein, ich lass das nimmermehr zu, dass meine Braut da so einfach übernachtet! Nein, nein, nie! Ah, das wär das Schönste! B ADER Das Schönste her, das Schönste hin! Hör her, du Narr! Ich hab dich aus Hermannstadt mitziehen lassen, aber unter einer Bedingung, nämlich dass du unsere Expedition nicht hemmst! Wenn ich das geahnt hätte, was ich mir mit dir da aufhals, na servus! Diese ewigen Scherereien mit deiner hirnverbrannten Eifersucht! Was willst denn machen gegen den Willen eines Königs, Obernarr?! Und überhaupt: Du könntest dich nur geehrt fühlen, wenn ein König sich für deine Braut interessiert. T HOMAS Ich fühl mich aber nicht geehrt. Auf dieser Ebene gibts für mich keinen König! Da hört sich das Vaterland auf! Wenn er es wagen sollte -B ADER (unterbricht ihn entsetzt) Halts Maul! Trottel! Verliert sich noch seinen Kopf -- (er sieht sich ängstlich um) (Stille) T HOMAS Könnte ich mal meine Braut sprechen? 얍 B ADER Jetzt werd ich aber wirklich wild! Jetzt werd ich aber sogar rabiat! In einer halben Stund wird sie abgeholt und du möchst sie vorher noch aufregen, was?! Wo sie eh schon nervös genug ist! Sitzt da drin und richtet sich her - verschwind, sag ich dir, sonst B

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prachtvoll -N ] erschrickt) AllmächtigerN ] Bgeschwächt) ThomasN ] Bauf! WennN ] Bentsetzt) HaltsN ] B B

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korrigiert aus: prachtvollkorrigiert aus: erschrickt) Allmächtiger korrigiert aus: geschwächt) Thomas korrigiert aus: auf!Wenn korrigiert aus: entsetzt) Halts

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Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

T HOMAS (unterbricht ihn) Du drohst mir?! B ADER Jawohl, ich drohe dir! Noch ein Wort - und ich fang an zu weinen! Du reisst uns ja noch alle in die gediegenste Katastrophe! In einen Strudel! T HOMAS Gut, ich geh. Aber das eine merk dir: wenn etwas passieren sollte, dann bin ich da - - dann komm ich aus irgendeinem Schrank, und, wenns auch Gottbehüt der König selber wär, ich bring ihn um! (Rasch ab nach links) B ADER (sieht ihm nach) Der hat mir aber wirklich noch gefehlt - G RAF (tritt rasch links ein) B ADER (erblickt ihn und erschrickt sehr) G RAF (nähert sich ihm langsam und drohend) B ADER (retiriert verlegen lächelnd) G RAF (hält endlich und fixiert ihn) Schurke. Lump. Verbrecher. B ADER Gnädigster Herr Graf - G RAF Halt den Mund! Das also ist Dein Muster B ADER (windet sich) Die Braut dieses Thomas G RAF (unterbricht ihn) Das ist die Eine, und? B ADER (wie zuvor) Und die Zweite: eine brave hochachtbare Witwe G RAF „Hochachtbare“! B ADER Sehr wohl, gnädigster Herr Graf! Sie kommt aus Kronstadt, eine Kürschnermeisterswitwe G RAF „Kürschner“? Dir müsste man mal das Fell abziehen, Verbrecher! Das ist keine 얍 Witwe, das ist eine Badmagd! Lüg nicht! Ich kenne sie genau! B ADER So? Und mir hat das Stück geschworen, es kennt Euch nicht! Na, der werd ichs aber geben! G RAF Egal! Und wenn du alle Dirnen aus Siebenbürgen hergebracht hättest - egal! Jetzt sag mir nur mal: wer ist denn die Dritte, he? Jawohl, die Dritte? (Er zieht den Degen) B ADER (verzweifelt) Herr Graf, nur kein Blut! Ich bin unschuldig, radikal unschuldig! Sie hat unseren Plan erfahren und hat mich gezwungen - - Tuns das Messer weg, Herr Graf! Jawohl, gezwungen hat sie mich, sie hat mich kommen lassen und hat mir gedroht, dass sie alles sofort verraten würd, unsere ganze Musteraffär, wenn ich sie nicht als Dritte mitnimm - - und, Herr Graf, ich konnts doch nicht verraten lassen, wenn das herausgekommen wär, dass der Graf von Hermannstadt seinen König betrügt -G RAF (unterbricht ihn) Still ! (Er sieht sich ängstlich um und steckt dann seinen Degen wieder in die Scheide) B ADER (atmet erleichtert auf) G RAF Schick sie heraus. B ADER Jetzt? Eine Viertelstund, bevor die Equipage des Königs - G RAF (unterbricht ihn) Auf der Stelle! Los! B ADER Schön. Herr Graf, ich möcht nur noch bemerkt haben, dass die beiden Anderen keine Ahnung haben, wer die Dritte ist - G RAF (herrscht ihn an) Schick sie heraus! (Er zückt wieder etwas seinen Degen) B ADER (rasch ab nach rechts) B

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korrigiert aus: sich) Die korrigiert aus: ihn) Das korrigiert aus: ihn) Still korrigiert aus: an) Schick

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SB Georg Marton, S. 46

Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

G RAF (allein; sein Blick streift die Blumen und bleibt dann unwillkürlich auf dem Testament 얍 des Baders, das noch immer auf dem Tische liegt, heften; er stutzt und liest) „Mein Testament“ - - (er blickt überrascht auf die Türe rechts und liest dann weiter) - - „und so stifte ich dem Spital von Hermannstadt ein Bett für obdachlose Kellnerinnen und mein Personal bekommt meine Badewannen“ - (er blickt wieder auf die Türe rechts und muss leise lächeln) D IE B LONDE (kommt von rechts, sie ist noch nicht ganz angezogen und hält vor dem Grafen) G RAF (starrt sie an) D IE B LONDE (lächelt etwas unsicher) G RAF (herrscht sie unterdrückt an) Was fällt dir ein?! (Stille) B LONDE (wie zuvor) Ich weiss, du könntest mich töten. Könntest mich auf der Stelle durchbohren - - was? G RAF Mit Recht. B LONDE (wie zuvor) Natürlich. G RAF Mit was denn sonst! (Stille) B LONDE Als ich dich vorhin beim Statthalter sah, wurd es mir allerdings etwas schwindlig - - aber nur momentan . G RAF Mich traf fast der Schlag, als ich dich sah, dich, meine Frau - B LONDE (fällt ihm ins Wort) Niemand wird mich erkennen, da es ja niemand weiss, dass ich deine Frau bin! Wer ahnt es denn schon, dass du überhaupt verheiratet bist?! G RAF Gottseidank! (Er macht eine wegwerfende Geste) B LONDE (herrscht ihn an) Hör auf damit! (Stille) 얍 G RAF Was hast du hier vor? B LONDE Du hast mich auf deiner Burg wie eine Gefangene gehalten - G RAF (fällt ihr ins Wort) Mit Recht! B LONDE (lächelt seltsam) Mit was denn sonst? (Stille) G RAF Wer hat dir die Sache mit dem Muster verraten? B LONDE Der Bader. G RAF Was?! Der?! B LONDE Ich liess ihn nämlich mal auf die Burg kommen, damit er mir das Fieber nimmt, ich war so verkühlt und fühlte mich elend. Da erzählte er es, um mich zu erheitern - (sie lächelt) Und er hat mich auch erheitert, ich wurd sogar sofort gesund, denn ich sah sogleich, jetzt kannst du endlich verreisen! G RAF Und du hast ihm gedroht, wenn er dich nicht mitnimmt, alles zu verraten? B LONDE Es war nicht fein. Aber fünf Jahre Kerker - B

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SB Georg Marton, S. 48

Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

G RAF (unterbricht sie) Kerker? B LONDE Du hast mich auf deiner Burg wie eine Gefangene gehalten - Still! Eine Gefangene, ohne Liebe, ohne Freunde, ohne einen Kreuzer Geld! Ich konnt ja nirgendhin, musst immer bleiben, bleiben, bleiben! Und die Welt wurd mir immer weiter, aber in der Nacht kamen die Sternlein zu mir. Wer kann von Sternlein leben? Ich nicht. (Stille) G RAF Du weisst, ich bin nicht schuld. Wenn du so lächelst, denk ich manchmal, du weisst es noch immer nicht, was du mir angetan hast. Warum bin ich denn nie zuhaus, warum betrink ich mich jeden Tag, warum verspiel ich denn alles?! Nur wegen dir! 얍 B LONDE Oh, wie oft hab ich schon bereut, dass ich es dir verschwiegen hab! G RAF Am Tag nach der Hochzeit hast du es mir gestanden. B LONDE Wenn ichs dir vorher gesagt hätte, hättest du mich nie geheiratet. G RAF Allerdings. B LONDE Drum hab ichs ja auch erst hinterher gesagt, denn ich hatte dich lieb. G RAF Ich dich auch. Aber du kannst es von mir nicht verlangen, dass ich mit einer Frau lebe, deren Familie verflucht ist. Begreifst du denn das nicht? B LONDE (nickt vor sich hin) Ich begreifs, ich begreifs. G RAF Du hast mir den Fluch ins Haus gebracht. Nun haben wir es zu tragen, du und ich. Wir sind aneinandergekettet vor Gott. B LONDE (leise) Wenn ich nur mal mit Gott sprechen könnte -G RAF Das kann man immer. B LONDE Findest du? (Stille) G RAF Seit du mein Weib bist, geht alles krumm. Entweder regnets im Sommer, dass alles verfault, oder die Dürre verbrennt Feld und Flur. An unserem ersten Hochzeitstage hielt die Pest ihren Einzug in Hermannstadt, und an deinem Geburtstag überfielen uns die Horden des Sultans - ich wette, diese Sache mit meinem Muster geht jetzt natürlich auch krumm, wenn du dabei bist - B LONDE (fällt ihm ins Wort) Oh, ich werd mich nur bemühen, damit du möglichst viele männliche Arbeitskräfte bekommst - verlass dich drauf! G RAF Dann bin ich aber wirklich verlassen! 얍 B LONDE Glaubst du denn wirklich, dass ich schuld bin an der Pest? G RAF Wer denn sonst? B LONDE Vielleicht hätte aber der Sultan auch ohne meinen Geburtstag angegriffen - G RAF Lächerlich! Eine Frau, deren Tante als Hexe verbrannt wurde! Deren Grossvater mütterlicherseits mit Satansrezepten Gold kochte, und deren Onkel man beide Ohren abschnitt, weil er behauptete, die Erde drehe sich um die Sonne! Eine segensreiche Rasse! Mit dir soll ich leben als Mann und Frau? Du sollst Mutter meines Kindes - - B LONDE (hält sich die Ohren zu und unterbricht ihn schreiend) Schweig! Schweig! Schweig! B

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SB Georg Marton, S. 50

Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

(Stille) G RAF Dass ich dich so blind heiratete, dass ich dich liebte, ohne zu fragen - - das war dein Werk. Du hast mich behext. B LONDE Willst du mich auch noch auf den Scheiterhaufen bringen? Ich bin keine Hexe! G RAF Dir trau ichs zu. B LONDE So reg mich doch jetzt nicht so auf, eine Viertelstund bevor ich zum König soll! (Stille) G RAF Hoffentlich bringst du dem König kein Unheil. B LONDE Hoffentlich. Ich möcht ihn nur gern kennen lernen, ich hätt ihm gar manches zu berichten. G RAF (misstrauisch) Was denn? B LONDE Nichts über uns speziell - - nur eben so manches, wovon er wahrscheinlich noch nie etwas hörte. G RAF Das gibt es nicht. B LONDE (lächelt) Oh, doch! Der König ist nur von Männern umgeben, Männer regieren, und davon, was ich ihm erzählen möcht, davon 얍 wisst Ihr Männer nichts. G RAF Was willst du ihm denn erzählen? B LONDE Etwas vom Schicksal der Frauen in seinem Reich. G RAF (horcht auf und sieht sie gross an) (In der Ferne ertönt Hörnerklang; die Schwarze und die Rote eilen rasch von rechts herein und stürzen ans Fenster; sie sind ebenfalls noch nicht ganz fertig angezogen) S CHWARZE Sie kommen, sie kommen! R OTE Sie blasen bereits! (Sie erblickt den Grafen und schrickt etwas zusammen) S CHWARZE (erblickt ihn nun auch und deckt sich rasch zu; zur Blonden) Wie kommt denn da ein Mann ins Zimmer? Skandal! Ein fremder Mann! B LONDE (lächelt) Darf ich vorstellen: dieser fremde Mann ist unser gnädiger Herr Graf, der Graf von Hermannstadt. S CHWARZE Oh! (Sie macht einen artigen Knix) B LONDE (deutet auf die Schwarze; zum Grafen) Das ist die Braut des Wirtes vom „Einhorn“, eine Jägerstochter aus Rotkirchen - - (sie deutet auf die Rote) Und das ist eine Kürschnermeisterswitwe aus Kronstadt - R OTE (fällt ihr ins Wort) Kannst es ihm ruhig sagen, wer ich bin, der Bader hat mir schon Vorwürf gemacht, dass er mich erkannt hat! B LONDE Erkannt? (Zum Grafen) Ihr kennt Euch? R OTE Schon gar nicht mehr wahr! B LONDE (sieht den Grafen gross an) G RAF (etwas verwirrt) Darf ich mich jetzt empfehlen --B ADER (erscheint vorsichtig in der Türe rechts; zur Roten) Ist er weg? G RAF Noch nicht. 얍 B ADER (erblickt ihn, erschrickt und rasch wieder ab nach rechts) B

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Korrektur von fremder Hand: D\ir/ korrigiert aus: auf,eine korrigiert aus: davon,was korrigiert aus: Grafen) Ihr korrigiert aus: verwirrt) Darf korrigiert aus: Roten) Ist

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G RAF (lächelt unwillkürlich und wendet sich dann an sein Muster) Also auf Wiedersehen beim König - - Wiedersehen! (Ab nach links) D AS M USTER (macht einen Knix) R OTE (zur Blonden) Lass dich nur mit dem nicht ein! Der ist gefährlich. B LONDE So? R OTE Er soll mal ein netter Bursch gewesen sein, aber seit er geheiratet hat -S CHWARZE (fällt ihr ins Wort) Er ist verheiratet? R OTE Heimlich, ganz heimlich nur, aber mir hat ers erzählt. Die Tante seiner Frau hat ein Verhältnis mit dem Teufel gehabt und seit dieser Zeit liebt der Graf seelisch kein Weib mehr. Er gebraucht uns nur. S CHWARZE Armer Graf! B LONDE Wieso arm? S CHWARZE Wenn er die Liebe nicht kennt - - und dabei sieht er so gut aus. R OTE Besser schon, wie dein Thomas. S CHWARZE Red nicht immer über meinen Bräutigam! Ich glaub schon, du willst ihn mir wegschnappen! R OTE Blöde Urschel! (Hörnerklang vor dem Hause) H OFWIRT (steckt bei der Türe links rasch den Kopf herein) Der Wagen ist da! Der Wagen des Königs! (Ab) S CHWARZE (ist mit der Roten ans Fenster geeilt) Oh! Da reitens ja auch! Berittene, Berittene! R OTE Kavallerie! S CHWARZE Husaren! R OTE Meine Lieblingssoldaten! 얍 B ADER (erscheint vorsichtig in der Türe rechts; zur Blonden) Ist er weg? B LONDE (nickt in Gedanken versunken) Schon lang. B ADER (tritt aufrecht ein) Also dann hurtig, hurtig! Weg dort vom Fenster! Ziehts Euch fertig an - los, los! (Er tritt ans Fenster und sieht hinab) Grosser Gott! S CHWARZE (zieht sich hurtig fertig an) Sechs Schimmel ziehen die Equipage - und alles ist Gold und Glas! R OTE (zieht sich ebenfalls hurtig an) Und Husaren, Husaren! Ein komplettes Fähnlein! B ADER (dreht sich vom Fenster dem Muster zu; aufgeregt) Also das ist ein Märchen! Meiner Seel, ein Märchen! B LONDE (lächelt) Vielleicht! B

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FÜNFTES BILD. Im Park vor dem Jagdschloss des Königs. Aus den hohen Türen fällt das Licht auf eine Terrasse, zu der einige Stufen emporleiten. Dort stehen M ATTHIAS und der B

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R OTE N ] an) SechsN ] BTerrasse, zuN ] B B

korrigiert aus: Rote korrigiert aus: an) Sechs korrigiert aus: Terrasse,zu

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Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

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H OFBEAMTE und blicken zum Himmel empor. Es ist eine warme Sommernacht und in der Nähe rauscht der grosse Wald.

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M ATTHIAS Die Damen scheinen sich zu verspäten. H OFBEAMTER Weiber lassen sogar einen König warten. M ATTHIAS So? Nun, ich bin auf diesem Gebiete nicht so bewandert, ich kenne ja schliesslich auch die Frau nur vom Kriegsschauplatz her - bessere Marketenderinnen und so. H OFBEAMTER Sind nicht die Schlechtesten. M ATTHIAS Ich will auch nichts gegen sie gesagt haben, aber ich glaube, es ist doch nicht das richtige. Wenn man nur mehr Zeit hätt! Ein Wunder, dass ich mich heut abend freimachen konnte - diesen türkischen Gesandten hab ich für morgen verschoben, weiss der Himmel, was der Sultan wieder plant! Ich muss um fünfe in der Früh aufstehen - jaja! Uebrigens: hast du auch schon Hunger? H OFBEAMTER Wenn mein Magen nicht an die Hofetikette gewöhnt wär, würd er schon längst knurren. M ATTHIAS Hier auf meinem Jagdschloss gibts keine Etikette, lass ihn ruhig knurren. H OFBEAMTER Ich werds ihm ausrichten. (Stille) M ATTHIAS Sag mal: fiel es dir auch auf, wie ner-얍vös heut dieser Graf war? (Er lächelt ironisch) Seit wann ist er denn herzkrank? H OFBEAMTER Ich glaubs auch, das war ein Schwindel. Er hat doch durch die Tür nach seinem Muster geschaut und da wird er halt wahrscheinlich eine bemerkt haben, die ihn peinlich erinnert, vielleicht hat er sie mal gezwungen dazu -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Gezwungen ? H OFBEAMTER Es sind doch seine Leibeigenen. M ATTHIAS Ah so H OFBEAMTER Die müssen parieren. M ATTHIAS Richtig. Hm. (Er überlegt und sieht sich dann um) Ich stelle mit Genugtuung fest, dass der Graf auch noch nicht erschienen ist. H OFBEAMTER Dass er es heut nicht begriffen hat, dass wir ihn nicht dabei haben möchten -- Majestät hätten es ihm direkt sagen müssen, dass er nicht herauskommen soll. M ATTHIAS Das kann ich nicht. H OFBEAMTER Nun, Majestät, ich hab Euch schon sehr häufig sehr direkt reden gehört. M ATTHIAS Aber nicht in so einer privaten Angelegenheit. Freilich wärs blöd, wenn er käm. H OFBEAMTER Dann sags ich ihm, wie er kommt, dass er gleich wieder gehen soll --M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Nein, nein, das sieht ja ganz dumm aus! Lassen wir ihn schon da! (Stille) H OFBEAMTER Apropos dumm: wer hat es eigentlich angeordnet, dass dieses Muster mit sechs Schimmeln und Husaren abgeholt wird? 얍 M ATTHIAS Ich. H OFBEAMTER Ihr?! B

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Wort) GezwungenN ] blöd, wennN ]

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korrigiert aus: Wort) Gezwungen korrigiert aus: blöd,wenn

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

M ATTHIAS Ja. Warum? H OFBEAMTER Nichts. Ich fragte nur so. (Stille) M ATTHIAS So red doch. H OFBEAMTER Es ist wirklich nichts, Majestät. M ATTHIAS Jetzt befehl ich es dir, dass du sprichst! Sofort! Los! H OFBEAMTER Also, wenn Ihr es mit Gewalt hören wollt: ich wollt mir nur zu bemerken erlauben, dass ich die sechs Schimmeln nicht versteh -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Wieso? Ich wollt den Frauen eine Freude machen! Wie unlängst diesem Sterngucker aus Bologna -- den liess ich doch auch mit Husaren abholen! H OFBEAMTER Einen Sterngucker schon, aber nicht ein Muster aus Selischtje. Ich wollt mir ja nur zu bemerken erlauben, man hätte diesen ganzen Transport auch etwas weniger auffällig arrangieren können, es muss ja nicht gerade ein jeder wissen, dass der König - M ATTHIAS Du hast recht. (Er sieht sich um) Wenn das Muster jetzt nicht bald kommt, dann essen wir allein und gute Nacht! H OFBEAMTER Aber Majestät werden sich doch nicht die Laune - - M ATTHIAS (unterbricht ihn) Reden wir von etwas anderem! (Stille) H OFBEAMTER (lauscht) Was rauscht denn da so? Der Fluss? M ATTHIAS Nein, der Wald. H OFBEAMTER Herrlich, diese Luft! M ATTHIAS Ja. (Stille) 얍 H OFBEAMTER Ist es wahr, dass Ihr bei der letzten Hatz allein vier Eber erjagtet? M ATTHIAS Fünf. H OFBEAMTER Kolossal! M ATTHIAS Ja. (Stille) H OFBEAMTER Euere neuen Doggen sind herrlich. Besonders die Hündinnen --M ATTHIAS (plötzlich) Sag mal, welche gefällt dir am besten? H OFBEAMTER Die gefleckte. M ATTHIAS Wieso die gefleckte? Bist du irr? H OFBEAMTER (perplex) Ich versteh Euch nicht, Majestät --M ATTHIAS Ich frage dich, welche von den Weibern aus Selischtje dir am besten gefällt und du antwortest: die gefleckte! Wir haben doch nicht von meinen Doggen gesprochen! H OFBEAMTER (lächelt verstohlen) Ach so. (Stille) M ATTHIAS Na, welche gefällt dir? H OFBEAMTER Alle drei. M ATTHIAS Da bin ich bescheidener. Mir gefallen nur zwei. H OFBEAMTER Und welche nicht? M ATTHIAS Die Schwarze. Ich glaub, die ist dumm. B

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nur zuN ] kommt, dannN ]

Korrektur von fremder Hand: nur\ /zu korrigiert aus: kommt,dann

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

H OFBEAMTER Möglich. Sie scheint allerdings noch ein bisschen sehr jung zu sein -M ATTHIAS Und ich kann mit sowas Jungem nichts anfangen! Nichts! (Er lächelt plötzlich) Was? Ich sprich schon wie ein alter Roué --H OFBEAMTER (lächelt heimlich überlegen) Fast! (Stille) M ATTHIAS Am besten gefällt mir - - Rat mal! H OFBEAMTER Die Blonde? M ATTHIAS Nein, die Rote! 얍 H OFBEAMTER So? M ATTHIAS Sie hat so etwas herrlich Selbstbewusstes --- ich liebe Frauen, die wissen, was sie sind! H OFBEAMTER Also diese Rote, die wirds sicher schon wissen, aber ich weiss nicht -(er zuckt die Schultern) M ATTHIAS Was gibts denn schon wieder? H OFBEAMTER Darf man ganz ohne Blatt vor dem Mund reden? M ATTHIAS Bitte, bitte! H OFBEAMTER Majestät, mir scheint, das ist eine - no ja. M ATTHIAS Eine was? H OFBEAMTER Majestät dürfen sich auf mich verlassen. An Hand meiner persönlichen Erfahrungen --M ATTHIAS (unterbricht ihn) Unsinn! (Stille) M ATTHIAS Sag mal: wie soll sich denn das jetzt eigentlich alles abwickeln? Ich meine, also wenn jetzt die Drei kommen --H OFBEAMTER (fällt ihm ins Wort) Ich habs mir folgendermassen gedacht: zuerst essen wir. M ATTHIAS Richtig. H OFBEAMTER Dabei trinken wir schon Wein und dadurch wird ganz von allein alles angeregter. Dann überreichen wir den Damen die kleinen Präsente, über die sie sich phantastisch zu freuen haben -- nun, und dann, dann wird sich schon alles präzis abwickeln, so wie es eben kommen dürfte. M ATTHIAS (überlegt etwas) Eigentlich ist es mir unangenehm -H OFBEAMTER Was? M ATTHIAS Diese ganze Affaire. Seine Majestät, der König, erobern ein Weib. Da ist doch nichts dabei --얍 H OFBEAMTER Was soll denn da dabei sein? Ein Weib ist natürlich keine feindliche Burg -M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Das ist es ja eben, dass nichts dabei ist! Der König kann jedes Weib haben -- theoretisch. H OFBEAMTER Und praktisch auch. M ATTHIAS Noch dazu hier, unter seinem eigenen Dache! Diese Frauen aus Selischtje sind doch genau genommen meine Gäste, ich müsste sie ja beschützen, anstatt -Nein, ritterlich ist es nicht, unser Benehmen! Man müsst auch den freien Willen B

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Wort) IchN ] nun, undN ] BMajestät, derN ] BNoch f Räuber.N ] B B

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Lesetext

korrigiert aus: Wort) Ich korrigiert aus: nun,und korrigiert aus: Majestät,der Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 387, Z. 12

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SB Georg Marton, S. 59

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

des Weibes achten. Zu einem ehrlichen Kauf gehört ein Käufer und ein Verkäufer, zum Rauben allerdings nur ein Räuber. H OFBEAMTER Ihr macht Euch sonderbare Gewissensbisse. Jedes Weib würde sich hochgeehrt fühlen --M ATTHIAS (unterbricht ihn) Aber ich fühle mich nicht hochgeehrt! Am liebsten wäre mir, man könnt incognito kommen --- Vielleicht gehts auch, das Muster weiss es ja noch nicht, wer der König ist! H OFBEAMTER Theoretisch gings. M ATTHIAS Ich komm als Euer Adjutant. H OFBEAMTER (betrachtet ihn unwillkürlich) Ob Ihr aber als Adjutant in der Praxis prompte Erfolge haben --M ATTHIAS (unterbricht ihn, fast scharf) Was heisst das? H OFBEAMTER (erschrickt) Oh pardon! M ATTHIAS (fixiert ihn) Du denkst -- (er sieht an sich herab) Hm. Schon möglich, dass ich nicht direkt praktisch wirk --- (er lächelt ein bisserl traurig) 얍 E IN L AKAI (erscheint in der Türe) Die Damen aus Selischtje fahren soeben vor! H OFBEAMTER Endlich! (Zum Lakai) Sofort ! L AKAI (ab) M ATTHIAS (zum Hofbeamten) Geh jetzt nur allein hinein --H OFBEAMTER Aber Majestät --M ATTHIAS Nein, nein, lass mich nur noch etwas heraussen, ich werd dann schon kommen. Du bist wenigstens ehrlich zu mir, wenns auch nicht immer deine Absicht ist. Iss nur artig mit den Damen und sag ihnen, der König hat eine Konferenz, er kommt etwas später – geh! H OFBEAMTER (etwas bekümmert ab) T HOMAS (schleicht unterhalb der Terrasse von rechts herbei) M ATTHIAS (erblickt ihn und starrt ihn an) T HOMAS (bemerkt Matthias nicht und will an ihm vorbei auf die Türe zu) M ATTHIAS ( plötzlich) Halt ! T HOMAS (erschrickt entsetzlich) Himmel tu dich auf! M ATTHIAS (unterdrückt) Schrei nicht! Wer bist du? Wohin? T HOMAS Gnade, Herr! Gnade! M ATTHIAS Winsel nicht! Was hast du hier verloren?! T HOMAS Meine Braut, Herr! Meine Braut! M ATTHIAS (perplex) Deine Braut? T HOMAS (deutet auf die Türe) Da drinnen! Dort nachtmahlt sie grad mit dem König! Tut mir nichts, edler Herr, Ihr habt doch sicher auch schon geliebt und habt es gefühlt, wie das brennt! (Er schluchzt) M ATTHIAS (lächelt leise) Das muss anscheinend sehr brennen. 얍 T HOMAS Der König ist zwar ein gerechter Mann, aber wie kann er einem sowas antun! M ATTHIAS Sei beruhigt: da drinnen passiert nichts. T HOMAS Nichts?! Wenn ein König mit einem armen Mädchen nachtmahlt?! N

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--- VielleichtN ] Hm. SchonN ] Bmöglich, dassN ] BLakai) SofortN ] Bplötzlich) HaltN ] B B

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korrigiert aus: ---Vielleicht korrigiert aus: Hm. Schon korrigiert aus: möglich,dass korrigiert aus: Lakai) Sofort korrigiert aus: plötzlich) Halt

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Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

M ATTHIAS Der König ist nicht hochmütig. Er lässt auch einen armen Menschen an seinem Tische sitzen. T HOMAS Besonders wenn er einen Unterrock anhat. M ATTHIAS Du hast eine scharfe Zunge. T HOMAS Ich häng mich auf, ich häng mich auf. (Stille) M ATTHIAS (überlegt) Also die Eine ist deine Braut? T HOMAS (schluchzt wieder) Ja. M ATTHIAS Hm. Ich dachte, Selischtje ist ein Dorf ohne Männer? T HOMAS (weinerlich) Ah was Selischtje! M ATTHIAS (horcht auf) T HOMAS (wendet sich wieder der Türe zu) M ATTHIAS Wohin? T HOMAS Ich bitt Euch, lasst mich mal durch die Tür dort hineinschauen, nur einen einzigen Blick -M ATTHIAS Ausgeschlossen! Der König hats verboten. T HOMAS Er muss es ja nicht erfahren. M ATTHIAS (horcht wieder auf) Dann müsst ich ja den König betrügen --T HOMAS Meiner Treu! Als ob der nicht täglich hundertmal betrogen werden würd! M ATTHIAS Er wird betrogen? Der König? (Lauernd) Wer betrügt ihn denn wohl? T HOMAS Alle. Jeder. B ADER (tritt durch die Tür auf die Terrasse) M ATTHIAS (leise zu Thomas) Weg! Es kommt wer! 얍 Wir sprechen uns noch! T HOMAS (versteckt sich) B ADER (erblickt Matthias) Ah, meine Hochachtung! Wir kennen uns doch vom Statthalter her, Ihr seid doch seine Schreiberseel oder so -M ATTHIAS ( lächelt) Sein Ratgeber. B ADER Auch ein Beruf! Hört mal: ist Euer Herr, dieser besagte Statthalter, immer so neidig? Matthias Wieso? B ADER Kaum sitzen wir beim Essen, schickt er mich schon heraus - er möcht sich mit den drei Weibern allein sein! Kapazität! Ich mach mir schon Sorgen, wenn der König sich noch lang verspätet -- dieses Muster ist ja, wenn überhaupt für wen, dann für den König bestimmt, aber der drin ist sich imstand und ramponiert mir noch meine mühsam zusammengeklaubte Kollektion! M ATTHIAS Kollektion? Zusammengeklaubt? B ADER No ja, man sagt das halt so. (Stille) M ATTHIAS Sagt mal: es ist mir zuvor ein eigentümlicher Gedanke gekommen: sind diese Frauen wirklich aus Selischtje? B

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Der f Zunge.N ] Selischtje istN ] BEr f Jeder.N ] Bauf) DannN ] BdochN ] Blächelt) SeinN ] Bdieser besagteN ] Bdieses f Kollektion!N ] B B

Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 388, Z. 17 korrigiert aus: Selischtje ist Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 388, Z. 33 korrigiert aus: auf) Dann korrigiert aus: d och korrigiert aus: lächelt) Sein korrigiert aus: dieserbesagte Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 389, Z. 14

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Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

B ADER Der Gedanke ist gar nicht so eigentümlich, aber die Weiber sind wirklich aus Selischtje. M ATTHIAS Und die Zuhausegebliebenen sind auch alle so schön? B ADER Im Durchschnitt, ja. M ATTHIAS Dann gratulier ich Euch. Denn, wer den König betrügt, verliert den Kopf. B ADER Grosser Gott! (er sieht sich ängstlich um und will in den Park) M ATTHIAS Wohin? B ADER Spazieren. M ATTHIAS Habt Ihr denn keinen Hunger? 얍 B ADER No, mir ist der Appetit ein bisserl vergangen --M ATTHIAS (freundlich, jedoch sehr bestimmt) Geht jetzt nur trotzdem schön hinein und esset etwas. B ADER Aber er lasst mich ja nicht, Euer Herr! M ATTHIAS Sagt ihm, ich schick Euch, sein Ratgeber. Er hört auf meinen Rat. B ADER Schön. Ein bisserl ein Milchreis könnt einem alten Mann nix schaden -- (ab durch die Türe) M ATTHIAS (sieht ihm nach, wendet sich dann wieder dem Park zu und ruft unterdrückt) Hallo! Bist du noch da? T HOMAS (erscheint aus seinem Versteck) Natürlich! M ATTHIAS Komm! T HOMAS Wer seid Ihr eigentlich? Türsteher, was? M ATTHIAS Auch das. T HOMAS Ihr kommt mir plötzlich so bekannt vor. M ATTHIAS Ich seh dem König etwas ähnlich. T HOMAS Dem? Der ist doch ein untersetztes Bürscherl und den Kopf hält er immer ein bisserl so schief -- Nein, dem seht Ihr nicht ähnlich! Ihr seid viel stattlicher! M ATTHIAS (lächelt) Das freut mich! (Er sieht sich um) Pass auf, du willst also, dass deiner Braut nichts passiert? T HOMAS Das will ich, meiner Seel! M ATTHIAS Gut, ich werde dir helfen - ich garantier dir sogar, dass ihr nichts passiert! T HOMAS (hocherfreut) Wirklich?! M ATTHIAS Nicht so laut! T HOMAS Ich werd mich auch revanchieren - da, da habens einen Taler! Wir sind ja nicht so! M ATTHIAS (steckt lächelnd den Taler ein) Danke --얍 T HOMAS Ich bin nämlich der Wirt vom „Einhorn“ und wenn Ihr mal nach Hermannstadt kommt, dann besucht mich nur, Ihr seid mein Gast, prima Haus und keine solche Kellnerinnenwirtschaft ! Ihr sollt es nicht bereuen, dass Ihr meine ärmste Braut beschützen wollt! M ATTHIAS Die Ärmste wird beschützt --- allerdings unter einer Bedingung. T HOMAS Bedingung? Ihr habt doch schon einen Taler bekommen! M ATTHIAS Das war nur Trinkgeld. B

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Und f ja.N ] M ATTHIAS AuchN ] BDer f schief --N ] Balso, dassN ] Bsolche KellnerinnenwirtschaftN ] B B

Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 389, Z. 24 korrigiert aus: M ATTHIAS Auch Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 390, Z. 5 korrigiert aus: also,dass korrigiert aus: solcheKellnerinnenwirtschaft

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Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

T HOMAS Trinkgeld? Ein Taler ?! Mit einem Taler , Herr, da hab ich schon ganz andere Leut bestochen! Da könnt ich erzählen, wenns Euch interessiert! M ATTHIAS Das interessiert mich sogar sehr. Das musst du mir mal alles genau erzählen --- doch nun pass auf: ich werde über deine Braut wachen, auf Leben und Tod, wenn du mir jetzt ehrlich antwortest: sind diese drei Frauen aus Selischtje oder nicht? T HOMAS Das ist eine verzwickte Frage --M ATTHIAS Sie sind also nicht aus Selischtje? T HOMAS Tja! M ATTHIAS Dacht ich mirs doch! (Stille) T HOMAS Die Wahrheit wächst im Himmel, mein lieber Herr, doch die Wurzeln der Lüge gedeihen alle so um das Haus herum im täglichen Leben - - und der Teufel schleppt noch den Dünger herbei, damit sie besser wachsen. Diese drei Frauen sind so wenig aus Selischtje, wie der Turm da uns vis-á-vis oder dort drüben der Springbrunnen. Die Schwarze ist meine Braut --얍 M ATTHIAS (unterbricht ihn) Die Schwarze? T HOMAS Die Schönste! M ATTHIAS No ja! T HOMAS Sie ist aus Rotkirchen. Und die Rote ist aus Kronstadt, eine Kürschnermeisterswitwe, und die Blonde ist auch irgendwoher - mir scheint, aus Grosswardein. Aber ich bitt Euch, verratet es keiner Seele, dass ichs Euch verraten hab! Ich wurd ja nur wegen meiner Braut zum Verräter. M ATTHIAS Wenn das der König erfährt -T HOMAS (unterbricht ihn) Ah, das wär mir wurscht! Wenns nur der Graf nicht erfährt! Der ist imstand und vierteilt mich! M ATTHIAS ( grimmig) Der Herr Graf haben also seinen König betrogen, damit er die männlichen Arbeitskräfte bekommt --T HOMAS Natürlich! H OFBEAMTER (tritt aus der Türe auf die Terrasse) M ATTHIAS (unterdrückt zu Thomas) Weg! T HOMAS (unterdrückt) Wiedersehen in Hermannstadt! (ab) M ATTHIAS (grimmig) Auf Wiedersehen! Wiedersehen! H OFBEAMTER Mit wem habt Ihr denn jetzt gesprochen? M ATTHIAS Nur mit mir selbst. H OFBEAMTER (horcht perplex auf) Ich wollt mir nur erlauben zu fragen, wann Majestät hereinkommen, wir halten bereits beim Dessert --B

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TalerN ] TalerN ] Bsehr. DasN ] B--- dochN ] BDie f wachsen.N ] BHimmel, meinN ] BDiese f Springbrunnen.N ] Bvis-á-visN ] Bgrimmig) DerN ] BIhr dennN ] Bauf) IchN ] B B

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korrigiert aus: Tal er korrigiert aus: Tal er korrigiert aus: sehr.Das korrigiert aus: ---doch Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 390, Z. 34 korrigiert aus: Himmel,mein Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 390, Z. 36 korrigiert aus: vis-a-vis korrigiert aus: grimmig) Der Korrektur von fremder Hand: Ihr\ /denn korrigiert aus: auf) Ich

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Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

M ATTHIAS (unterbricht ihn grimmig und wird immer wütender) Ich brauch kein Dessert! Am liebsten würd ich jetzt da hinein und alles kurz und klein schlagen! Eine solche Niedertracht! 얍 Mir das anzutun! Dieser Bursche gehört ja geköpft, geköpft! H OFBEAMTER ( entsetzt) Majestät ! Welcher Bursche, um Gottes Willen?! M ATTHIAS Und diese Weiber gehören in Ketten gelegt und hinausgeschmissen! H OFBEAMTER (wie zuvor) Majestät , mir scheint, es ist Euch nicht ganz wohl – Ihr habt Euch hier draussen verkühlt und fiebert --M ATTHIAS (unterbricht ihn) Ich fiebere nicht! Wohl ists mir allerdings auch nicht! Aber es ist wahr: diese armen Weiber können ja nichts dafür - sie wurden ja „zusammengeklaubt“, zusammengepresst durch List, Betrug, Willkür! Zusammengefangen, wie das liebe Vieh! H OFBEAMTER (immer entsetzter) Zusammengefangen ?! M ATTHIAS Ja, um abgestochen zu werden! H OFBEAMTER (verzweifelt) Abgestochen?! Majestät, ich werd verrückt! M ATTHIAS Das glaub ich dir gern! Lass mich allein! Glotz mich nicht so geistvoll an! Geh, und mach mit diesem Muster, was dir beliebt – das heisst: mit einer Ausnahme! Wenn du die anrührst, lass ich dich auch köpfen! H OFBEAMTER ( verwirrt) Welche ? Die Rote? M ATTHIAS Falsch! Die Schwarze! H OFBEAMTER (total verwirrt) Die Schwarze? Aber die ist doch dumm, sagtet Ihr! Und ausserdem bin ich ja grad -M ATTHIAS (unterbricht ihn) Du wirst bei dieser Schwarzen nirgends grad sein, verstanden? Schick sie heraus! Auf der Stell! Heraus damit! H OFBEAMTER (total verwirrt ab durch die Türe) M ATTHIAS ( allein) Männer will er von mir haben, der Herr Graf von Hermannstadt? Männer - (er grinst grimmig) Gut, er soll erhalten, 얍 was er verlangt. Aber ich will ihm eine solche Sorge an den Hals hängen, dass Herr Graf zeitlebens daran denken werden --D IE S CHWARZE (tritt mit der B LONDEN durch die Türe auf die Terrasse) M ATTHIAS ( schroff) Hierher ! S CHWARZE ( schüchtern) Was wollt Ihr? B LONDE (stutzt einen Augenblick, da sie Matthias erblickte, und sieht nun genauer hin) Ach , Ihr habt uns rufen lassen? M ATTHIAS (wie zuvor) Euch hab ich nicht rufen lassen! B LONDE (lächelt leise) Ich bin nur mit, weil meine Freundin Angst hatte --S CHWARZE Man schickt mich in die Nacht hinaus B

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entsetzt) MajestätN ] zuvor) MajestätN ] Bihn) IchN ] Bentsetzter) ZusammengefangenN ] Bverwirrt) WelcheN ] Bverwirrt) DieN ] Ballein) MännerN ] BMänner f werden ---N ] Bschroff) HierherN ] Bschüchtern) WasN ] Bhin) AchN ] Bleise) IchN ] B B

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korrigiert aus: entsetzt) Majestät korrigiert aus: zuvor) Majestät korrigiert aus: ihn) Ich korrigiert aus: entsetzter) Zusammengefangen korrigiert aus: verwirrt) Welche korrigiert aus: verwirrt) Die korrigiert aus: allein) Männer Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 392, Z. 6 korrigiert aus: schroff) Hierher korrigiert aus: schüchtern) Was korrigiert aus: hin) Ach korrigiert aus: leise) Ich

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SB Georg Marton, S. 67

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B LONDE Wenn Ihr einer von uns was zu sagen habt, warum kommt Ihr nicht herein? Warum sollen wir heraus? Ihr seid doch dem Statthalter sein Ratgeber, nicht? M ATTHIAS (etwas perplex über ihren Ton) Ja . B LONDE Ich hab Euch gleich erkannt. M ATTHIAS (fixiert sie etwas lauernd und winkt dann der Schwarzen) Komm! Wir beissen dir nichts ab --S CHWARZE (nähert sich ihm langsam und hält vor ihm) M ATTHIAS (betrachtet sie; leise, damit es die Blonde nicht hört) Ein Mann will dich haben --S CHWARZE (fällt ihm entsetzt ins Wort) Heiliger Himmel! M ATTHIAS Kreisch nicht! Ich hab es deinem Bräutigam versprochen, dass ich über dich wachen werde. Schau hin! (Er deutet nach dem Park zu) Dort steht er! Dort hinter dem Baum! 얍 S CHWARZE ( überglücklich) Thomas ! M ATTHIAS Geh hin und ab! S CHWARZE (will hinlaufen, hält jedoch plötzlich wieder und sieht sich ängstlich um) M ATTHIAS Was hast denn? S CHWARZE Angst. M ATTHIAS Vor wem denn? S CHWARZE Vor dem König. Wenn der jetzt kommt und ich bin nicht da M ATTHIAS (muss lächeln) Hast Angst vor dem König? (Er zeigt ihr den Taler , den er von Thomas bekommen hat) Schau, diesen Taler , da ist sein Bild droben sieht er denn so grausam aus? S CHWARZE (betrachtet den Taler) Nein, das nicht - (sie zuckt plötzlich zusammen und starrt Matthias an, schaut dann wieder auf den Taler und starrt dann wieder den König entgeistert an) Majestät ! Majestät --- (sie will in die Kniee fallen) M ATTHIAS (lässt es nicht zu) Nicht knieen! Das vertrag ich nicht! Lauf nur jetzt zu deinem Bräutigam, gib ihm diesen Taler und einen schönen Gruss von mir, er solls nur ja nie wieder wagen, derartige Trinkgelder zu verteilen! Diesmal hat er ja noch Glück gehabt, dass er nur seinen eigenen König bestochen hat - Geh! Lauf zu! S CHWARZE Aber wie kommen wir durch die Wachen? M ATTHIAS Dort ist ein Hintertürl! Marsch! S CHWARZE (überglücklich) Thomas! Thomas! (Sie lauft in den Park und ab) M ATTHIAS (blickt ihr nach) B LONDE Glaubt Ihr, dass der König noch kommt? M ATTHIAS Kaum! B

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Ton) JaN ] Wort) HeiligerN ] BM ATTHIAS N ] Bzu) DortN ] Büberglücklich) ThomasN ] Blächeln) HastN ] BHast f fallen)N ] BTalerN ] BTalerN ] BTalerN ] BN] Ban) MajestätN ] Bzu) NichtN ] B B

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korrigiert aus: Ton) Ja korrigiert aus: Wort) Heiliger Korrektur von fremder Hand: [T HOMAS ] M ATTHIAS korrigiert aus: zu) Dort korrigiert aus: überglücklich) Thomas korrigiert aus: lächeln) Hast Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 392, Z. 28 korrigiert aus: Tal er korrigiert aus: Tal er korrigiert aus: Tal er gestrichen: an; korrigiert aus: an) Majestät korrigiert aus: zu) Nicht

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

B LONDE Das wär aber nicht schön von ihm, uns sitzen zu lassen 얍 M ATTHIAS (fällt ihr ins Wort) Er hat halt zu tun. Denkt nur an unsere lieben Türken, zum Beispiel! B LONDE Ja, man weiss es nie, ob man nicht eines Tages aufwacht und die Türken sind da --M ATTHIAS Die Türken werden nicht da sein. Nie! B LONDE Woher wollt denn Ihr das wissen? M ATTHIAS Weils mir der König gesagt hat. (Stille) B LONDE Weiss der König, dass es vielen Frauen in seinem Reich ganz egal wär, ob die Türken kommen oder nicht? M ATTHIAS (fährt hoch) Was ?! B LONDE Bei den Türken hat die Frau keine Seele. Bei uns ja - - aber sie wird trotzdem nicht für voll genommen und wird gar meistens behandelt, als wär sie ein liebes Stück Tier ohne Seele. Bei den Türken sitzt die Frau im Harem, bei uns im besten Fall in der Küche -M ATTHIAS Das ist irgendwo nicht unrichtig -B LONDE Bei den Türken dient die Frau dem Mann und bei uns -M ATTHIAS (unterbricht sie) Bei uns im Abendland ist die Frau jedenfalls keine Sklavin! B LONDE (lächelt) Weiss der König, dass es im Abendland ein Gesetz gibt, dass der Mann die Frau züchtigen darf, dass aber die Frau bestraft wird, wenn sie den Mann schlägt? M ATTHIAS Das ist nicht wahr! B LONDE Doch! Doch! Seht nur mal nach! Weiss der König, dass es die Frauen in seinem Reiche viel schwerer haben, wie 얍 die Männer? Denn die Frau hat nur einen Beruf: das ist der Mann. Und was ist der Kampf der Männer gegen die Türken im Vergleich zu dem Kampf der armen Frauen untereinander um einen Mann! Um den Mann, bei dem jede Frau jedesmal dem Tod begegnet, wenn sie ihm das Leben gibt. Weiss der König, wie der Mann das lohnt? (Stille) M ATTHIAS Sagt mal: welcher Mann hat Euch das alles erzählt? B LONDE (lächelt) Diese Frage hab ich erwartet, sie kam auch prompt, aber ich muss Euch mit meiner Antwort leider enttäuschen: ich habe selber darüber nachgedacht -- jaja, wir Frauen haben auch ein Hirn, wenns auch nicht immer im Kopf sitzt. Wenn man jahrelang allein ist, dann fängt man an zu denken. M ATTHIAS (horcht auf) Ihr seid allein? B LONDE (lächelt) Ja und nein. M ATTHIAS Was heisst das? B LONDE Theoretisch bin ich zu zweit, in der Praxis aber allein. M ATTHIAS Aha! Ihr seid unglücklich verliebt? B LONDE Ja. (Stille) M ATTHIAS Eigentlich ist man immer allein. B

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gesagtN ] M ATTHIAS f WasN ] BjaN ] BschwererN ] B B

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korrigiert aus: ge sagt korrigiert aus: M ATTHIAS (fährt hoch) Was korrigiert aus: j korrigiert aus: s chwerer

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

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B LONDE Oho.

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(Stille) M ATTHIAS Ich war immer allein. B LONDE Dann habt Ihr noch nie richtig geliebt -M ATTHIAS Dazu braucht man Zeit. B LONDE (lächelt) Nicht nur das. (Stille) M ATTHIAS (fixiert sie) Wer seid Ihr? B LONDE Ich bin sogar verheiratet. 얍 M ATTHIAS (lächelt verschmitzt) Witwe? B LONDE Ja und nein. M ATTHIAS (wie zuvor) Ich dachte, in Selischtje gibts keine Männer --B LONDE ( lacht) Ich weiss schon, dass Ihr den Schwindel durchschaut habt, der Bader hat mich bereits gewarnt! M ATTHIAS ( perplex) Was für ein Bader? B LONDE Der Alte, der sich hier als Präfekt ausgegeben hat. M ATTHIAS Das wird ja immer schöner! Ein Bader?! B LONDE Es tut mir leid, dass ich als Muster zum König kam, aber manchmal kommt man ohne einen kleinen Betrug nicht dazu, die Wahrheit zu sagen. Wie ich den König sehe, sag ichs ihm sogleich, dass ich nicht aus Selischtje bin - ich will ihn nämlich nicht betrügen. M ATTHIAS (unwillkürlich) Warum nicht? B LONDE Weil er mir gefällt. (Stille) M ATTHIAS Ihr kennt den König? B LONDE Ja. Das heisst: persönlich noch nicht, aber von vielen Bildern --M ATTHIAS Und wie gefällt er Euch? B LONDE Sehr. (Stille) M ATTHIAS Hat er nicht zu lange Ohren? B LONDE (lächelt) Oh nein! Immer sieht er so ernst drein, auch ein bisschen traurig und doch ist er nur ein Lausbub. Er muss sehr gescheit sein -M ATTHIAS Hoffentlich! B LONDE Sicher. (Stille) M ATTHIAS (sieht sich um; leise) Ich muss Euch nun etwas sagen, aber nicht erschrecken und nicht böse sein -얍 B LONDE Was? M ATTHIAS Aber nicht bös sein, ja? B LONDE (lächelt) Nein. Nie. M ATTHIAS (sieht sie nochmals an; dann sehr leise) Ich bin der König. B LONDE (wie zuvor) Warum soll ich da böse sein? Ich wusst es ja schon längst --M ATTHIAS Ihr wusstet es? B

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SelischtjeN ] lacht) IchN ] Bperplex) WasN ] Bleise) IchN ] B B

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korrigiert aus: Selischtke korrigiert aus: lacht) Ich korrigiert aus: perplex) Was korrigiert aus: leise) Ich

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

B LONDE Schon Mittag beim Statthalter -- ich hab Euch gleich erkannt. Von den Bildern, die bei mir hängen. Und so seid Ihr auch. Ich kenne Euch genau. G RAF (tritt durch die Türe rasch auf die Terrasse, erblickt die Beiden, hält und starrt hin) M ATTHIAS Ach, unser Graf von Hermannstadt! G RAF Majestät --M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort) Du kommst spät. Wir haben dich nicht mehr erwartet. G RAF Ich wollte auch nicht kommen, aber dann war es mir doch, als müsst ich mal nachsehen, es ist doch schliesslich mein Muster - - (er grinst) M ATTHIAS (fixiert ihn) Was fehlt dir denn? Du bist ja ganz weiss G RAF Nichts, Majestät - es ist nur das Herz. Manchmal hörts auf M ATTHIAS (horcht auf und wirft einen forschenden Blick auf die Blonde) Schon wieder? B LONDE (lächelt schwach) Ja. (Stille) M ATTHIAS Nun, Graf von Hermannstadt, Wir halten Unser Wort: Wir werden dreihundert der tüchtigsten Männer in Selischtje ansiedeln, denn das Muster, das du Uns gesandt hast, ist wahrlich schön. Wir haben Uns entschlossen, im Herbst Selischtje zu besuchen, um dort zu jagen und Uns die 얍 zuhausgebliebenen Frauen anzusehen. Wir wollen selber beurteilen, ob sie in punkto Schönheit aus demselben Neste kommen, wie die Uns gesandten. Wenn nicht, verlierst du deinen Kopf. B LONDE ( entsetzt) Majestät ! M ATTHIAS (sieht sie überrascht an) (Stille) G RAF (zu Matthias) Ihr wollt nach Selischtje – – M ATTHIAS (unterbricht ihn, ohne den Blick von der Blonden zu wenden) Ich hoffe, du hast mich verstanden --B LONDE (zu Matthias) Ihr könnt ihm doch nicht den Kopf -M ATTHIAS (unterbricht sie) Was habt Ihr denn beide miteinander? G RAF Nichts. (Stille) M ATTHIAS (lauernd) Sie ist doch deine Leibeigene! B LONDE ( leise) Ja . (Sie wirft einen traurigen Blick auf den Grafen und langsam ab durch die Türe) G RAF Sie ist eine Hexe. M ATTHIAS Was sagst du? Hexe? G RAF Ihr Auge ist süss und herb - sie lächelt in der Sonne und sehnt sich nach ewiger Nacht. Sie bringt Unheil, nur Unheil - - (verstört ab in den Park) M ATTHIAS (sieht ihm nach) Unheil? E INE F RAUENSTIMME (singt im Schloss zur Laute ein trauriges Lied) Es ist ein Schnee gefallen B

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so seidN ] ihn) WasN ] BNun f Kopf.N ] Bsie inN ] Bentsetzt) MajestätN ] BSelischtjeN ] Bleise) JaN ] B B

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korrigiert aus: so seid korrigiert aus: ihn) Was Textübernahme Mikszáth; vgl. K2/TS14, hier S. 398, Z. 28 korrigiert aus: sie in korrigiert aus: entsetzt) Majestät korrigiert aus: Selis chtje korrigiert aus: leise) Ja

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

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Und es ist doch nicht Zeit Man wirft mich mit dem Ballen Der Weg ist mir verschneit. 5

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Mein Haus hat keinen Giebel Es ist mir worden alt Zerbrochen sind die Riegel Mein Stüblein ist mir kalt.

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Ach Lieb, lass dichs erbarmen Dass ich so elend bin Und schliess mich in dein Armen So fährt der Winter hin --M ATTHIAS (lauschte, ging langsam zur Türe und winkt hinein) D ER L AKAI (erscheint) M ATTHIAS Welche singt denn da? L AKAI Die Blonde. M ATTHIAS So? B LONDE (singt weiter im Schloss)

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Da unten in jenem Tale Da treibt das Wasser ein Rad Das treibet nichts als Liebe Vom Abend bis wieder an Tag Das Rad, das ist gebrochen Die Liebe, die hat ein End Und wenn zwei Liebende scheiden Sie reichen einander die Händ. M ATTHIAS (lauscht wieder; zum Lakaien) Was macht denn die Rote? L AKAI (verlegen) Die - die ist verschwunden, Majestät . Mit Seiner Exzellenz M ATTHIAS Ahso. (Stille) L AKAI Majestät -M ATTHIAS Was gibts? L AKAI Majestät, der alte Herr, der mit den Damen aus Selischtje gekommen ist, der ist auch verschwunden, wollt ich nur untertänigst melden. 얍 M ATTHIAS Wohin? L AKAI Fort. In grösster Eile, Majestät! Es sah fast aus wie eine Flucht --M ATTHIAS (lächelt) Aha ! (Er wird wieder ernst) Wer ist denn noch bei der Blonden? L AKAI Niemand, Majestät. Die Dame sitzt allein im Zimmer. M ATTHIAS Allein? L AKAI (verbeugt sich und ab) B LONDE (singt wieder im Schloss) B

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Lakaien) WasN ] verschwunden, MajestätN ] Bich nurN ] BM ATTHIAS f AhaN ] B B

korrigiert aus: Lakaien) Was korrigiert aus: verschwunden,Majestät korrigiert aus: ich nur korrigiert aus: M ATTHIAS (lächelt) Aha

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SB Georg Marton, S. 75

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

Da droben auf jenem Berge Da steht ein goldenes Haus Da schauen wohl alle Frühmorgen Drei schöne Jungfrauen heraus Die eine, die heisset Elisabeth Die andere Bernharda mein Die Dritte, die will ich nicht nennen Die sollt mein eigen sein. M ATTHIAS (langsam ab durch die Tür, als würde er dem Lied folgen)

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Vorhang 얍

SECHSTES BILD.

SB Georg Marton, S. 76

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Im Hofgasthaus. Wieder im Appartement des Musters. Der Morgen dämmert, aber es ist noch Nacht. Der Bader in Unterhosen packt rasch seine Gala ein. Der Hofwirt kommt von links in Schlafrock und Zipfelmütze; er hat eine Kerze in der Hand und ist sehr neugierig. 20

H OFWIRT Man hat mich grad geweckt. Ihr seid schon zurück --- Wie wars denn beim König? Was hat sich denn getan? B ADER (lässt sich beim Packen nicht stören ; grimmig) Getan hat sich allerlei … H OFWIRT Was hat denn der König gesagt? B ADER Garnichts hat er gesagt. H OFWIRT Wie soll ich das verstehen? Sprecht! Werdet deutlicher! B ADER Schön, dann werd ich deutlicher! Der König war garnicht da. H OFWIRT (perplex) Garnicht da?! B ADER Wann fährt die nächste Post? H OFWIRT Wohin? B ADER Nach Hermannstadt? H OFWIRT Ihr wollt auch bereits retour? B ADER Wieso auch? H OFWIRT Weil schon zwei nach Hermannstadt fahren, aber die sind derart verliebt ineinander, dass man nichts aus ihnen herausquetschen kann - - die sehen und hören nur sich -B ADER (unterbricht ihn) Von mir aus! H OFWIRT Wenn Ihr wüsstet, wer die Beiden sind 얍 B ADER (wie zuvor) Mir ist das wurscht! H OFWIRT Ich täts Euch ja gern erzählen --B ADER (wie zuvor) Es interessiert mich nicht, Herr! Ich hab jetzt andere Sorgen! R OTE (kommt von links; sie macht einen mitgenommenen Eindruck und ist noch immer etwas beschwipst; zum Bader) Servus, Majestät! B

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--- WieN ] störenN ] Bgrimmig) GetanN ] Bihn) VonN ] Bzuvor) MirN ] B B

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korrigiert aus: ---Wie korrigiert aus: störem korrigiert aus: grimmig) Getan korrigiert aus: ihn) Von korrigiert aus: zuvor) Mir

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SB Georg Marton, S. 77

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B ADER (erblickt sie und greift sich an den Kopf) Grosser Gott! H OFWIRT (zur Roten) Ah, Küssdiehand, Gnädigste, ergebenster Diener, meine Verehrung. R OTE (fällt ihm ins Wort) Servus, servus! (sie setzt sich) Püh, hab ich müde Füss --B ADER Eine Frau soll nie sagen, dass sie müde Füss hat. Weil das desillusioniert. R OTE (macht eine wegwerfende Geste) Die Illusion ist ein schwankes Rohr im Winde --- (zum Hofwirt) Der Herr Statthalter haben mich hergefahren. Ein netter Mensch, ein flotter Gesellschafter und sehr belesen! Aber ein bisserl geizig --B ADER Benimm dich! (Zum Hofwirt) Also seiens so gut und beschaffens mir einen Postplatz nach Hermannstadt, Raucher, Fenstersitz, in der Fahrtrichtung --(er schreit ihn plötzlich an, weil der kaum hinhört und nur die Rote betrachtet, die sich das Strumpfband richtet) Aber express, express, express! H OFWIRT (braust auf) Was schreiens mich denn so an?! B ADER ( schreit) Weil ich nervös bin! H OFWIRT ( wütend) Adieu ! (Ab nach links und schlägt hinter sich die Türe zu) B ADER (ruft ihm nach) Sie hauens da keine Türen zu, Sie sind nicht bei mir zuhaus! Auch ein Hotelier! R OTE Du fährst schon retour? 얍 B ADER Wir sind nicht per du. R OTE (ruhig) Kusch. B ADER (fixiert sie) Wieviel haben wir denn getrunken? R OTE Zirka zwei Liter. B ADER Dann seis dir verziehen. (Stille) R OTE Ich fahr aber noch nicht retour. Morgen bin ich nämlich wieder mit dem Statthalter verabredet, er lässt mich in einer Sänfte abholen, hat er gesagt -- er soll mir lieber drei Taler schenken, was hat man schon von einer Sänfte? Man sitzt drinn und das ist alles. Er will mir seine türkischen Degen zeigen, aus Damaskus. Er sagt, er wär der grösste Privatsammler. Eigentlich ist er ein ordinärer Mensch. Da ist mir ja der Graf noch lieber, der hat wenigstens etwas Gefährliches -B ADER (hat nun fertig gepackt, zieht sich seinen Reiseanzug an und nähert sich langsam der Roten) Ich hab mir jetzt was überlegt. Du stehst mir von Euch drei Weibern ohne Zweifel am nächsten, schon rein beruflich -- also hör her: lass den Statthalter Statthalter sein, bleib nicht hier, sondern hau ab, und zwar so hurtig wie nur möglich! R OTE Warum? B ADER Weil es sich herausgestellt hat, dass das Muster nicht aus Selischtje ist. R OTE Was?! Also ich hab kein Wort, kein Wort! B

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Lesetext

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Kopf) GrosserN Geste) DieN ] BHofwirt) AlsoN ] Bauf) WasN ] Bschreit) WeilN ] Bwütend) AdieuN ] Bsie) WievielN ] Bretour. MorgenN ] Bschenken, wasN B B

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korrigiert aus: Kopf) Grosser korrigiert aus: Geste) Die korrigiert aus: Hofwirt) Also korrigiert aus: auf) Was korrigiert aus: schreit) Weil korrigiert aus: wütend) Adieu korrigiert aus: sie) Wieviel korrigiert aus: retour.Morgen korrigiert aus: schenken, was

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SB Georg Marton, S. 78

Endfassung

5

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B ADER Möglich! Aber ich hab mit diesem Ratgeber gesprochen und ich lass mir die Händ abhacken, wenn dieser Bursche nicht alles weiss! Hau ab, hau ab! Ich mein das jetzt direkt väterlich! R OTE Wohin? Nach Hermannstadt? 얍 B ADER Aber keine Idee! Ich hab doch zuvor das Billett nur bestellt, damit ich die Häscher auf eine falsche Spur lock! Ich fahr in die Türkei - - und, weisst was? Fahr mit! R OTE In die Türkei? B ADER Was hast du denn hier schon verloren? Man sperrt dich ein, man schneidet dir die Haar ab, man stellt dich auf den Pranger und spuckt dir ins Gesicht -- ein so ein begabtes Kind! Wirst sehen, in der Türkei machen wir beide unser Glück. Wir ergänzen uns ja, ich werd dich offerieren und bring dich garantiert in einen glänzenden Harem hinein und schon haben wir beide ausgesorgt! R OTE Du im Harem? Was willst denn du dort werden? B ADER Was kann ich schon in einem Harem werden? Eunuch! R OTE Wie du das sagst! Als wär das nichts -B ADER Für mich ist das nichts, verlass dich drauf! G RAF (kommt verstört von links und sieht den Bader finster an) B ADER Schauens mich nicht so an, Herr Graf! Ich bitt Sie nur, machens lieber kurzen Prozess und bringens mich gleich um! G RAF Ich bin jetzt zu müde dazu, um dich zu töten - (Er lächelt wehmütig und setzt sich langsam) Stundenlang irr ich schon herum - ich find und find keinen Ausweg mehr. Mein Kopf, mein Kopf! R OTE Tut er Euch weh, Herr Graf? G RAF Das auch. R OTE Dann hol ich ein Pulver - (sie will nach rechts ab) G RAF Danke, danke! Er soll mir ruhig wehtun. Jetzt soll er noch machen, was er 얍 will. Ich hab ihn eh nimmer lang - B ADER ( entsetzt) Herr Graf! G RAF ( ruhig) Du halt den Mund. Dir passiert nichts. Dieser König pflegt ja immer nur den Kopf zu bestrafen, das Hirn, den Führer -- jaja, die kleinen Diebe lässt er laufen und die grossen hängt er auf. Er liebt uns halt nicht, uns Aristokraten --(er lächelt wieder wehmütig) B ADER (horcht erfreut auf) Der König wird mir nichts tun? G RAF Nein. Aber ich. Ich lass dich rösten. R OTE Geh, Herr Graf, seiens doch nicht immer gleich derart pessimistisch! G RAF (lächelt selbstironisch) Hast recht -- ich hab ja allen Grund, um befriedigt zu sein! Sieg auf der ganzen Linie! Seine Majestät, der König, geben dem Grafen von Hermannstadt dreihundert tüchtige Männer! R OTE Ist das wahr?! G RAF Er hats mir selber gesagt. B

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falscheN ] langsam) StundenlangN ] BDanke,N ] Bentsetzt) HerrN ] Bruhig) DuN ] Bauf) DerN ] BdichN ] Bselbstironisch) HastN ] B B

SB Georg Marton, S. 79

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Lesetext

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korrigiert aus: fals che korrigiert aus: langsam) Stundenlang korrigiert aus: Danke , korrigiert aus: entsetzt) Herr korrigiert aus: ruhig) Du korrigiert aus: auf) Der korrigiert aus: dic h korrigiert aus: selbstironisch) Hast

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SB Georg Marton, S. 80

Endfassung

5

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B ADER Na also! G RAF Aber Seine Majestät wollen diese Männer höchstpersönlich nach Selischtje bringen, um sich höchstpersönlich zu überzeugen, ob die dreihundert Damen von Selischtje so schön sind, wie mein Muster es ist. Sind sies nicht, verlier ich meinen Kopf. B ADER Krach in die Melone! G RAF Er hats mir selber gesagt. R OTE (zum Grafen) Ihren Kopf? B ADER Ich wunder mich nur, wieso hat mich heut noch nicht der Schlag getroffen --(er will ab nach links) G RAF (automatisch) Wohin? B ADER Bin gleich wieder da --- (ab nach links) (Stille) 얍 R OTE (nähert sich langsam dem Grafen) Jetzt müsst Ihr fliehen? G RAF (lächelt wehmütig) Vertrieben von Haus und Hof - (er starrt ernst vor sich hin) Ich kann ohne Geld nicht leben. R OTE Das kann niemand. (Stille) G RAF Wie verdient man Geld? R OTE Mit oder ohne Arbeit? G RAF Ohne. (Stille) R OTE (betrachtet ihn ernst und liebevoll) Verlass dich auf mich. G RAF (sieht sie erstaunt an) R OTE (wie zuvor) Du liegst auf der Strasse? G RAF Ja. R OTE Dann bleib ich bei dir. (Sie setzt sich neben ihn) G RAF (horcht etwas auf und wirft einen Blick auf sie; dann nimmt er seinen Degen und zeichnet am Boden) R OTE Was zeichnest denn da? G RAF Manderln. (Stille) R OTE Eigentlich hast du mir immer gefallen und ich habs mir immer heimlich gewünscht, wenn er nur nichts hätt, wenn er nur nichts wär, wenn er nur ganz zugrund gehen würd --- dann würd er mir nämlich erhalten bleiben. G RAF Das hast du dir gewünscht? R OTE . Ja. G RAF (ohne jede Bitterkeit) Das ist lieb von dir. R OTE (lächelt leise) Komisch. Jetzt ists mir, als hätt ich uns hier schon mal sitzen gesehen --- Komm, gib mir einen Kuss. G RAF (gibt ihr einen Kuss) 얍 R OTE Ich küss nämlich sonst garnicht gern … B

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SB Georg Marton, S. 81

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Grafen) IhrenN ] wehmütig) VertriebenN ] Bhin) IchN ] Ber nurN ] B--- dannN ] BBitterkeit) DasN ] B B

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korrigiert aus: Grafen) Ihren korrigiert aus: wehmütig) Vertrieben korrigiert aus: hin) Ich korrigiert aus: er nur korrigiert aus: ---dann korrigiert aus: Bitterkeit) Das

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SB Georg Marton, S. 82

Endfassung

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Lesetext

B ADER (kommt wieder von links) T HOMAS (kommt rasch mit der Schwarzen reisefertig von rechts) B ADER (schreit entsetzt auf) Thomas! T HOMAS (lächelt glücklich) Da schreist, was?! Habe die Ehre, Herr Graf! Auf gehts! Nach Hermannstadt! Und in drei Wochen ist Hochzeit! S CHWARZE Der König hats uns erlaubt! B ADER Wer hats Euch erlaubt?! S CHWARZE Seine Majestät, Matthias Corvinus, König von Ungarn! T HOMAS Ja, ich hab ihn bestochen --B ADER Bestochen?! S CHWARZE Mit einem Taler. B ADER (völlig verwirrt) Mit nur so wenig?! Wo, wo habt Ihr denn den König bestochen, wollt sagen: getroffen? T HOMAS Draussen im Schloss. B ADER Der war draussen?! S CHWARZE Ihr habt ja auch mit ihm dischkuriert! B ADER Ich?! S CHWARZE Auf der Terrasse. Der König war niemand anderer, als dieser Ratgeber --(sie lacht leise) B ADER (ausser sich) Dieser?! Jener?! Jetzt häng ich mich auf! R OTE Das war der König?! T HOMAS Ja. R OTE Wenn ich das gewusst hätt! B ADER (völlig verzweifelt) Er hat mir noch gesagt: „Wer den König betrügt, der verliert den Kopf“ --- Ich bitt Euch, schauts hinaus, ob die Häscher sich schon nahen -S CHWARZE Aber der König nimmts doch nicht so tragisch! Er ist ein gerechter Mann - T HOMAS (fällt ihr ins Wort) Komm! Höchste Zeit, sonst verpassen wir noch unsere eigene 얍 Hochzeit! (Zum Grafen der während der ganzen Szene kaum reagierte und nur seine Manderln zeichnete) Habe die Ehre, Herr Graf! (Zum Bader und zur Roten) Auf Wiedersehen in Siebenbürgen! S CHWARZE Beim Einhorn, beim Einhorn! (Ab mit Thomas nach links) R OTE ( plötzlich) Wenn ich das gewusst hätt! B ADER Was? R OTE Dass dieses Bürscherl er selber ist! Dann hätt ich mich doch nicht mit dem Statthalter abgegeben, sondern gleich mit ihm selber --- ein so ein Pech! Jetzt hat sie ihn. B ADER Wer? R OTE Sie ist mit ihm auf einer Bank gesessen, im Mondschein -- Hand in Hand, wie die Kinder. Ich habs deutlich gesehen vom ersten Stock und hab mir noch gedacht, da schau her, die gibt sich mit einem Schreiber ab, wo ich einen Statthalter hab! Ich war noch stolz, recht geschiehts mir! B

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

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T HOMAS N ] --- (sieN ] Bverzweifelt) ErN ] B--- IchN ] Bplötzlich) WennN ] B B

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korrigiert aus: THomas korrigiert aus: ---(sie korrigiert aus: verzweifelt) Er korrigiert aus: ---Ich korrigiert aus: plötzlich) Wenn

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SB Georg Marton, S. 83

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B ADER ( lauernd) Mit wem ist der König auf der Bank gesessen? R OTE Na mit der Blonden! B ADER ( schluckt) Das ist zuviel. G RAF (fasst sich ans Herz) B ADER (schreit den Grafen plötzlich an) Ich bitt Sie, bringens mich aber jetzt endlich auf der Stell um, ja?! Nur nicht wieder verschieben, meine Nerven halten das nicht mehr aus! R OTE (perplex zum Grafen) Was hat er denn? G RAF Lass mich in Ruh! (Stille) R OTE Wer ist denn eigentlich diese blonde Person? Zu uns gehört sie mal sicher 얍 nicht, aber raffiniert ist dir die für zwölfe! Der Teufel soll mich auf der Stelle holen, wenn die uns nicht alle in die Tasche steckt! Ich täts auch beschwören, sie hat es schon vorher gewusst, dass dieses Bürscherl der König ist! G RAF (unheimlich ruhig) Sie sass auf der Bank? R OTE Ja. G RAF Mit dem König? R OTE Ja. G RAF Und? R OTE Und - - no und: nichts. Eigentlich war nichts --G RAF (grimmig) Eigentlich --R OTE Was habt Ihr denn mit dieser Blonden, dass Ihr so aus dem Häusel seid? G RAF (zum Bader) Sags ihr! B ADER ( erschöpft) Ich kann nicht mehr. G RAF (zur Roten) Sie ist meine Frau. R OTE (ausser sich) Frau?! Euere Frau?! Die Gräfin von Hermannstadt? Ujjegerl! B ADER (hält sich die Ohren zu) Kreisch nicht! R OTE Ich sags ja immer: man lernt nicht aus, man lernt nicht aus! Eine Gräfin von Hermannstadt! Armer Herr Graf! G RAF Bemitleid mich nicht! R OTE Nanana! Gar so von oben herab --(Stille) B ADER ( verwirrt) Das Beste ist, Herr Graf, Ihr geht, wies Tag wird, zum ersten nächsten Advokaten und lasst Euere Ehe für ungültig --G RAF (unterbricht ihn) Hier wird nichts für ungültig erklärt, nichts, nichts! Nein, das lass ich nicht zu! Und wenn sie mir alles Unheil der Welt bringt, diesseits 얍 und jenseits --- ich lass es nicht zu, ich lass es nicht zu! R OTE Ihr seid besessen! G RAF Das wär kein Wunder! (Er will nach links ab) B

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lauernd) MitN ] schluckt) DasN ] BGrafen) WasN ] Bruhig) SieN ] Berschöpft) IchN ] BRoten) SieN ] Bzu) KreischN ] Bverwirrt) DasN ] Bihn) HierN ] B B

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SB Georg Marton, S. 84

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Lesetext

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korrigiert aus: lauernd) Mit korrigiert aus: schluckt) Das korrigiert aus: Grafen) Was korrigiert aus: ruhig) Sie korrigiert aus: erschöpft) Ich korrigiert aus: Roten) Sie korrigiert aus: zu) Kreisch korrigiert aus: verwirrt) Das korrigiert aus: ihn) Hier

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SB Georg Marton, S. 85

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

Lesetext

B ADER ( entsetzt) Wohin , grosser Gott?! G RAF Jetzt hol ich sie mir! (Rasch ab nach links) B ADER Ein Narr, ein Narr! Rennt sich in sein Verderben! R OTE Sie hat ihn behext, sie hat ihn behext - (sie lehnt ihren Kopf weinend an des Baders Brust) B ADER Aber Täubchen! Eine Frau soll nie weinen, das verdirbt den Charakter! B

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Vorhang. 10



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SIEBENTES BILD. Wieder im Park vor dem Jagdschloss des Königs. Der Morgen graut, bald kommt die Sonne. Der Lakai steht vor der Türe und späht in den Park hinaus, dann horcht er plötzlich auf, wendet sich um und verbeugt sich, denn in der Türe erscheint der Hofbeamte.

H OFBEAMTER Haben Majestät meine Abwesenheit bemerkt? L AKAI Keineswegs, Exzellenz! H OFBEAMTER (sieht sich um) Wo steckt er denn? L AKAI Im Park. H OFBEAMTER Noch immer? L AKAI Schon seit Stunden. Mit der blonden Dame, Exzellenz - H OFBEAMTER Jaja, es ist eine warme Nacht. (Stille) L AKAI Exzellenz, es ist etwas Entsetzliches passiert. Ein Exzess, Exzellenz - H OFBEAMTER Was?! L AKAI Vor zirka zehn Minuten taucht hier plötzlich der Herr Graf von Hermannstadt auf und begehrt mit einem direkt irren Blick nach Seiner Majestät. Wir sagen, wir hätten keine Ahnung, wo sich Seine Majestät befände -- da begehrt er nach jener blonden Dame. Wir sagen wieder, dass wir nichts wüssten - da zieht er den Degen – H OFBEAMTER (fällt ihm ins Wort) Den Degen?! L AKAI Er wollt uns alle massakrieren! H OFBEAMTER War er betrunken? L AKAI Nein, Exzellenz, ich glaub, er ist verrückt geworden --얍 H OFBEAMTER Verrückt? L AKAI Immer wieder hat er geschrien, er hätt sein Weib auf seiner Burg wie eine Gefangene gehalten, aber nur, um sie nicht zu verlieren -H OFBEAMTER (unterbricht ihn) Was heisst das? L AKAI Lauter ungereimtes Zeug! Sein Weib sei eine Hexe, aber er liebe sie trotzdem, er hätt sie ja immer geliebt und würde sie auch immer lieben, selbst noch in der Höll, trotzdem sie nur Unheil brächt, die Pest, den Krieg, den Tod, etcetera etcetera! Wir mussten Gewalt anwenden, die Wache hat ihn überwältigt - jetzt sitzt er im Keller. B

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entsetzt) WohinN ] um) WoN ] Bjener blondenN ] B B

korrigiert aus: entsetzt) Wohin korrigiert aus: um) Wo korrigiert aus: jenerblonden

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SB Georg Marton, S. 87

Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

H OFBEAMTER (denkt nach) „Sein Weib“, hat er gesagt? - Ah, nun geht mir allmählich ein Lichtlein auf --L AKAI (lauscht plötzlich in den Park) Pst! Majestät --- (er zieht sich mit dem Hofbeamten zurück; ab durch die Türe) M ATTHIAS (kommt mit der Blonden aus dem Park, hält mit ihr unterhalb der Terrasse und deutet nach dem Horizont) Jetzt kommt bald die Sonne. B LONDE (blickt auf den Horizont) Schön. (Stille) M ATTHIAS Wie heisst Ihr eigentlich mit dem Vornamen? B LONDE Ist das so wichtig? M ATTHIAS Ja. B LONDE Ich sag ihn aber nicht. Weil er mir nicht gefällt. M ATTHIAS Vielleicht gefällt er mir. B LONDE Sicher nicht. Ich kenn ja Eueren Geschmack - - (sie lächelt) (Stille) M ATTHIAS Wollt Ihr nicht bei mir bleiben? B LONDE Ich sagt Euch doch schon, dass ich verheiratet --얍 M ATTHIAS (fällt ihr ins Wort) Wir werden die Ehe für ungültig erklären lassen. Ich bin schon mit schwierigeren Dingen fertig geworden. B LONDE Na! M ATTHIAS Wer ist denn Euer Mann? B LONDE Er kümmert sich nicht um mich. M ATTHIAS Liebt Ihr ihn noch? B LONDE Wenn er mich lieben würde --- (sie lächelt) (Stille) M ATTHIAS Wer seid Ihr? B LONDE (als hätte sie seine Frage überhört) Ihr werdet ihm doch nicht den Kopf nehmen? M ATTHIAS ( verwirrt) Wem ? B LONDE Diesem Herrn Grafen von Hermannstadt. M ATTHIAS Ich begreif es nicht, was kümmerts Euch? Jetzt fragt Ihr mich schon das viertemal! B LONDE Einen Kopf zu verlieren, ist doch keine Kleinigkeit --M ATTHIAS Er hat mich betrogen. B LONDE Aber gleich dafür den Kopf zu nehmen, das wäre doch ein bisserl ungerecht. Der König ist doch ein christlicher Monarch und kein despotischer Sultan -- ( sie lächelt ) Mein Gott, man betrügt doch so leicht, und oft weiss mans garnicht … M ATTHIAS (betrachtet sie) Dieser Graf sagte vorhin, Ihr wäret eine Hexe --B LONDE ( traurig) Ja , das sagt er immer. Immer gibt er mir alle Schuld. (Stille) M ATTHIAS Ich ahn es nicht, wer Ihr seid, ich fühl es nur, Ihr seid irgendwie gefährlich -- verflucht gefährlich -B

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Horizont) JetztN ] --- (sieN ] Bverwirrt) WemN ] Bsie lächeltN ] Btraurig) JaN ] B B

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korrigiert aus: Horizont) Jetzt korrigiert aus: ---(sie korrigiert aus: verwirrt) Wem Korrektur von fremder Hand: sie\ /lächelt korrigiert aus: traurig) Ja

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SB Georg Marton, S. 88

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B LONDE ( entsetzt) Sagt das nicht! Nicht dieses Wort! 얍 M ATTHIAS (perplex) Welches? „Gefährlich“? Das ist bei mir ein Kompliment! B LONDE Nein, das andere! Bitte, nicht -M ATTHIAS Was hab ich denn noch gesagt? Weiss ich gar nicht mehr! B LONDE Ihr habt gesagt: verflucht. M ATTHIAS Na und? B LONDE Es gibt Kinder der Sonne und Kinder der Nacht. (Stille) M ATTHIAS Ihr glaubt, dass es verfluchte Menschen gibt? B LONDE Ich weiss es. (Stille) M ATTHIAS (fixiert sie) Jemand , der so schön singen kann -B LONDE Vielleicht gerade deshalb. (Stille) B LONDE ( plötzlich) Ich muss jetzt weg. M ATTHIAS Warum? B LONDE Lasst mich, bitte! Ich warn Euch vor mir -- ich bring ja nur Unheil, immer nur Unheil, Unheil -M ATTHIAS Wer könnt denn Euch verflucht haben! B LONDE Mich persönlich niemand. Aber meine Familie --M ATTHIAS Dann gehen wir doch gleich bis Adam und Eva --B LONDE (fällt ihm ins Wort) Macht keine Scherze! Ich hab schon soviel leiden müssen --M ATTHIAS (fällt ihr ins Wort) Ich scherze nicht! Ich glaube so wenig an verfluchte Geschlechter, wie an Hexen! B LONDE (starrt ihn an) Ihr glaubt nicht, dass es Hexen gibt? M ATTHIAS Nein. Ich bin ja nicht blöd. (Stille) B LONDE Glaubt Ihrs denn auch nicht, dass man mit Teufelsrezepten Gold machen kann? 얍 M ATTHIAS Ich glaub an keine Teufelsrezepte, der Satan braucht keine Rezepte, um eine Seele für sich zu kurieren -- und leider glaub ich auch nicht daran, dass man Gold machen kann. Leider, leider! (Stille) B LONDE Darf ich Euch noch etwas fragen? M ATTHIAS Nur zu! Ich antworte gern! B LONDE (langsam) Glaubt Ihr, dass sich die Erde um die Sonne dreht? M ATTHIAS (perplex) Die Erde um die Sonne? B LONDE Ja. (Stille) M ATTHIAS Wer behauptet das? B LONDE Mein Onkel hats irgendwo gehört und hats dann im Casino erzählt. Sie haben ihn vom Fleck weg verhaftet und haben ihm beide Ohren abgeschnitten. B

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entsetzt) SagtN ] sie) JemandN ] Bplötzlich) IchN ] Bnicht, dassN ] BTeufelsrezepte, derN ] B B

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korrigiert aus: entsetzt) Sagt korrigiert aus: sie) Jemand korrigiert aus: plötzlich) Ich korrigiert aus: nicht,dass korrigiert aus: Teufelsrezepte,der

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SB Georg Marton, S. 90

Endfassung

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

M ATTHIAS Beide Ohren? B LONDE Ja. M ATTHIAS Das war aber noch vor meinem Regierungsantritt? B LONDE Damals war ich noch nicht auf der Welt. M ATTHIAS Drum. Also wenn sich jemand für eine solche Behauptung beide Ohren abschneiden lässt, dann dürft schon etwas Wahres dran sein. Vielleicht drehen sich halt beide umeinander -- die Erde um die Sonne und die Sonne um die Erde. B LONDE (lächelt) Vielleicht! M ATTHIAS Es dreht sich im ganzen Leben immer alles so umeinander herum - nicht? B LONDE Ja. (sie seufzt, leise) Jetzt, zum Beispiel, seid Ihr die Sonne -M ATTHIAS Nein, die Erde -- (Sie sieht ihn gross an) (Stille) M ATTHIAS (leise) Bleibt bei mir. Ich war immer allein. B LONDE Ihr seid ja auch der König. (Stille) 얍 M ATTHIAS Was denkt Ihr jetzt? B LONDE Es steht jemand hinter der Tür und schaut uns zu. M ATTHIAS Wer? Wo? (Er tritt rasch zur Türe und ergreift den Lakai, der hinter der Türe lauscht) Ach ! L AKAI ( entsetzt) Gnade , Majestät! M ATTHIAS Du spionierst? L AKAI Nein, um Gottes willen, Majestät! Majestät, ich wollte ja nur gerade etwas Fürchterliches melden -- (er spricht leise auf Matthias ein, damit die Blonde ihn nicht hört) M ATTHIAS (kriegt grosse Augen) Was ?! L AKAI Sehr wohl, Majestät! M ATTHIAS Einen Augenblick! (Rasch ab durch die Türe mit dem Lakai) B LONDE (sieht ihm überrascht nach) H OFBEAMTER (der ebenfalls hinter der Türe lauschte, tritt nun vor, sieht sich heimlich um und verbeugt sich leicht vor der Blonden) Wir hatten bereits das Vergnügen -B LONDE Ja. H OFBEAMTER Ich warne Euch. Weiss der König bereits, wer Ihr seid? B LONDE (wird unsicher) Ich versteh Euch nicht -H OFBEAMTER Hm. Ratet mal, wer im Keller sitzt. B LONDE (unsicher) Im Keller? H OFBEAMTER Euer Gatte. B LONDE (fährt herum) Wer ?! Was redet Ihr da?! H OFBEAMTER Euer Gatte, Frau Gräfin. Der Graf von Hermannstadt. B LONDE (starrt ihn ausser sich an) H OFBEAMTER Stimmts? B LONDE (wie zuvor) Woher wisst Ihr, dass ich --얍 H OFBEAMTER (fällt ihr ins Wort) Er hat es mir selber erzählt. Ich hab ihn im Keller besucht --B

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lauscht) AchN ] entsetzt) GnadeN ] Bein, damitN ] BAugen) WasN ] Bherum) WerN ] B B

SB Georg Marton, S. 91

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korrigiert aus: lauscht) Ach korrigiert aus: entsetzt) Gnade korrigiert aus: ein,damit korrigiert aus: Augen) Was korrigiert aus: herum) Wer

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SB Georg Marton, S. 92

Endfassung

K3/TS1 (Korrekturschicht)

B LONDE (unterbricht ihn) In was für einem Keller?! H OFBEAMTER Ja ja, Gräfin, unheimliche Situation. Wie konntet Ihr auch nur derart leichtfertig handeln? Zuerst betrügen Graf und Gräfin den König mit dem Muster, dann wandelt Ihr mit ihm die halbe Nacht im Park herum, und dann erscheint gar Euer Gatte und möcht uns hier alle massakrieren --B LONDE Massakrieren?! H OFBEAMTER Getobt hat er, dass drinnen im Saal die Geweihe von den Wänden gefallen sind -- alles wegen seinem Geweih! Wie konntet Ihr nur damit nicht rechnen, dass Euer Mann Euch so liebt! B LONDE Liebt?! Er liebt mich?! H OFBEAMTER Er ist ja schon wirr vor lauter Liebe! B LONDE Wunderbar! H OFBEAMTER ( perplex) „Wunderbar “? B LONDE Oh Himmel, ist es denn zum fassen? Er liebt mich, er liebt mich, dass die Geweihe von den Wänden fallen --- ich habs ja immer geahnt, immer geahnt! H OFBEAMTER Habt Ihr denn keine Angst vor dem König? B LONDE Nein, nein! Jetzt fürcht ich keinen König, keinen Kaiser, keinen Sultan! Oh, wie dank ich meinem Schicksal! Jetzt hab ich endlich die Kraft und den Mut ihm zu beweisen, dass ich kein Unheil bring! Er liebt mich , er liebt mich --- (sie lacht leise und glücklich vor sich hin) M ATTHIAS (tritt mit dem Grafen, der einen Verband um die Stirne trägt durch die Türe auf die Terrasse) 얍 M ATTHIAS Gräfin von Hermannstadt! Darf ich Euch Eueren Gatten vorstellen -- er liebt Euch so blind, dass er sich dabei ein bisserl den Kopf angestossen hat. Ja, und dabei solls auch bleiben, denn es ist richtig, was Ihr mir vorhin sagtet: man betrügt doch so leicht und oft weiss mans garnicht -- (er lächelt ein bisserl traurig) G RAF (horcht etwas misstrauisch auf) M ATTHIAS (zum Grafen) Du verdankst es ihr, nur ihr -- ich bitt dich, schau nicht so grimmig! Sie blieb dir treu. G RAF (fixiert die Blonde) Ist es wahr? B LONDE Was der König sagt, ist immer wahr. M ATTHIAS Viermal hat sie um deinen Kopf gebeten -B LONDE Nur dreimal. M ATTHIAS So? (Zum Grafen) Also den Kopf hätten wir ja wieder --- aber die dreihundert Männer für Selischtje, die siedeln, mir scheint, im Mond. B LONDE Warum im Mond, Majestät? Selischtje ist doch so lieblich -- die Erde ist gut, der Wald ist dicht, sauber die Höfe und jeder hat sein Feld. Gewiss, die Frauen sind wirklich nicht schön, das stimmt -- aber sind denn alle Männer schön? Gibts denn unter Euch Männern nur Schönheiten? Gebt doch den hässlichen Weibern hässliche Männer - Ihr werdet schon welche finden, und wenn nicht, dann will ich Euch, Majestät, gerne beim Suchen helfen. B

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Situation.N ] rechnen, dassN ] Bperplex) „WunderbarN ] Bliebt michN ] B B

korrigiert aus: Situation korrigiert aus: rechnen,dass korrigiert aus: perplex) „Wunderbar korrigiert aus: liebt mich

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SB Georg Marton, S. 93

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K3/TS1 (Korrekturschicht)

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M ATTHIAS (lächelt und wendet sich an den Grafen) Glaub es mir, diese Frau bringt kein Unglück, im Gegenteil: seit ich sie kenne, geht alles besser. Der Wei-얍zen steht herrlich, seit Jahren gabs nicht mehr soviel Trauben, in der ganzen Zeit kein einziger Fall von Pest und der Sultan ist unwahrscheinlich friedlich -- und Selischtje kriegt dreihundert Männer, hässlich wie der Teufel selber --G RAF (lächelt) Ihr lacht mich aus? M ATTHIAS Ja. Es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rasse angehört, es kommt darauf an, ob man Rasse hat. Lebt wohl, Gräfin von Hermannstadt! Und wenn Euch Euer Gatte wieder einsperren möcht, dann kommt nur zu mir, ich hör Euch an, denn es ist wichtig, dass es der Frau gut gehe -- schliesslich seid Ihr Frauen ja immerhin die grössere Hälfte meines Volkes. Lebt wohl, Graf und Gräfin von Hermannstadt! G RAF UND DIE B LONDE (verbeugen sich und ab in den Park) B LONDE (hält nochmals; zu Matthias; leise) Auf Wiedersehen - (ab) M ATTHIAS (sieht den Beiden nach) Auf Wiedersehen? - (er nickt nein und lächelt) Schad darum! (Er will ab in das Schloss und winkt dem Hofbeamten) H OFBEAMTER Majestät? M ATTHIAS Das Nächste! B

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Vorhang.

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es derN ] nach) AufN ]

Korrektur von fremder Hand: es\ /der korrigiert aus: nach) Auf

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SB Georg Marton, S. 94

Werkverzeichnis

ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 6

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Werkverzeichnis

K3/E1

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Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern Endfassung, emendiert

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Ein Dorf ohne Männer

Endfassung, emendiert

EIN DORF OHNE MÄNNER Lustspiel in sieben Bildern von Ödön von Horváth 5

PERSONEN

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M ATTHIAS C ORVINUS , K ÖNIG VON U NGARN D ER G RAF VON H ERMANNSTADT D ER S TATTHALTER D ER H OFBEAMTE D ER H AUPTMANN D ER B ADER T HOMAS , DER W IRT VOM „E INHORN “ E IN D ICKER E IN D ÜRRER E IN B ÄRTIGER E IN L AKAI D ER H OFWIRT Z WEI G ARDISTEN Z WEI H ERREN E IN P AGE D IE B LONDE D IE S CHWARZE D IE R OTE E INE B ADMAGD D IE P OLIN H ERREN . G ARDISTEN . H ÄSSLICHE UND SCHÖNE F RAUEN .

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SCHAUPLATZ

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1. Bild: Audienzsaal in der Ofner Burg. 2. Bild: In einer Badeanstalt zu Hermannstadt. 3. Bild: Audienzsaal in der Ofner Burg. 4. Bild: Im Hofgasthaus. 5. Bild: Vor dem Jagdschloß des Königs. 6. Bild: Im Hofgasthaus. 7. Bild: Vor dem Jagdschloß des Königs.

ZEIT 45

Während der Türkenkriege – in der frühen Renaissance.

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Ein Dorf ohne Männer

Endfassung, emendiert

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Dieses Stück ist keine Dramatisierung des Romans „Die Frauen von Selischtje“ von Koloman Mikszáth, dem großen ungarischen Romancier, sondern es stellt nur den Versuch dar, auf Grund einzelner Motive jenes Romans ein Lustspiel zu schreiben. Die Personen im Stück haben mit jenen im Roman nichts zu tun. 5

Ödön von Horváth. ERSTES BILD. 10

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Saal in der Ofner Burg mit hohen gotischen Fenstern im Hintergrund, durch die man ins weite Ungarland hinabsehen kann. Hier empfängt der Statthalter alle heilige Zeit Deputationen des sogenannten niederen Volkes, hier hört er dessen große Sorgen und kleine Bitten. Der Raum hat eine gewisse Verwandtschaft mit einem Gerichtssaal – links eine thronähnliche Estrade, auf der der Statthalter mit seinen Herren zu ruhen pflegt, daneben ein Pult für den Schreiber. Rechts und links je eine Türe, rechts tritt das Volk ein, links gehts in die Gemächer des Statthalters. Vor den beiden Türen steht je ein G ARDIST mit Visier, Brustpanzer und Hellebarde auf Wache. Ein H AUPTMANN der Garde kommt von links und inspiziert den E RSTEN G ARDISTEN bei der linken Türe. Er betrachtet ihn von oben bis unten, vorn und hinten.

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H AUPTMANN Ein Visier gehört poliert, bitt ich mir aus! (Er geht auf den Z WEITEN G ARDISTEN zu, betrachtet ihn ebenso intensiv und herrscht ihn plötzlich an.) Was ist denn das mit dieser Hellebarde? Die ist ja voll Schmutz! Z WEITER Melde gehorsamst, das ist kein Schmutz, das ist nur Blut. H AUPTMANN (perplex) Wieso Blut? Z WEITER Melde gehorsamst, ich hab heut früh einen Bauern angestochen. H AUPTMANN Wegen was? Z WEITER Wegen nichts. (Stille) H AUPTMANN Was soll das? Z WEITER Melde gehorsamst, der Bauer, den ich angestochen habe, der hat den Herrn Statthalter beleidigt. H AUPTMANN Und das ist nichts? (Er fixiert ihn.) (Stille) H AUPTMANN (langsam, fast lauernd) Übrigens: Der Säbel ist auch zu kurz – Z WEITER Melde gehorsamst, das sieht nur so aus, weil ich zu lang bin. H AUPTMANN „Zu lang“ – (Er grinst.) um einen ganzen Kopf – – Paß auf! H OFBEAMTER (kommt von rechts; er sieht etwas mitgenommen aus; zum H AUPTMANN ) Wann gehts denn los? H AUPTMANN Seine Exzellenz, der Herr Statthalter, geruhen noch zu essen. H OFBEAMTER (murmelt.) Der frißt schon seit fünf Stunden – – Ist er wenigstens bereits beim Dessert? H AUPTMANN (lächelt.) Vor paar Minuten war er noch bei der Gans. H OFBEAMTER Erst bei der Gans? (Er seufzt und hält sich sein Taschentuch an die Stirne.) H AUPTMANN Kopfschmerzen? H OFBEAMTER Kein Wunder! Da draußen hocken hundert Bauern seit sieben geschlagenen Stunden, alle warten auf die Audienz, und alle duften nach Knoblauch, daß

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es ein wahres Vergnügen ist – Wer hält das aus? Ich nicht! (Leise, damit ihn die G ARDISTEN nicht hören) Wenn diese braven Bauern wüßten, wie wenig Sinn es hat, ihre Beschwerden hier vorzubringen – H AUPTMANN (fällt ihm leise ins Wort.) Die würden schön daheim bleiben – (Er lächelt.) H OFBEAMTER Ja. Sie würden daheim bleiben und alles anzünden. H AUPTMANN (zuckt etwas zusammen und horcht auf; sieht sich dann um, sehr leise) Sag mal, unsereins kommt ja hier nicht heraus: Ist es wahr, daß das Volk murrt? H OFBEAMTER (nickt: ja.) Es murrt. (Stille) H AUPTMANN (sieht sich wieder um; noch leiser) Tatsächlich? H OFBEAMTER Ja, und zwar direkt gefährlich tatsächlich. H AUPTMANN Aber warum denn nur? H OFBEAMTER Warum? Gott, seid Ihr Militärs naiv! Denk doch nur an die vielen Kriege, die wir alle gewonnen haben! Wir haben die Türken besiegt – stimmt! Aber für jeden Eimer Türkenblut ist auch ein Eimer ungarisches geflossen. Wir haben die Ungläubigen zurückgeschlagen und Europa gerettet, doch unser halbes Land ist verwüstet und ausgestorben. H AUPTMANN Jaja, wir haben viel Ehre geerntet. H OFBEAMTER Ohne Zweifel. Aber leider kein Brot. Unsere Bauern hungern. Wenn die wüßten, daß Seine Exzellenz noch nicht einmal beim Dessert sind – na gute Nacht! Das Volk, kann ich dir verraten, traut den hohen Herren nicht mehr, und es ist unser Glück, daß wir gerade jetzt einen neuen König bekommen haben – H AUPTMANN Wieso? H OFBEAMTER Weil das Volk diesen neuen König liebt. H AUPTMANN Also der hat doch bisher noch gar keinen richtigen Krieg geführt! H OFBEAMTER Das spielt anscheinend keine Rolle. Das Volk hat eben einen sonderbaren Instinkt, es liebt ihn wirklich, unseren jungen Herrn Matthias Corvinus – und warum? Weil er mit besonderer Vorliebe seine eigenen Minister einsperrt. Er wird bereits „der Gerechte“ genannt, „Matthias, der Gerechte“ – – (Er lächelt.) Tja, um vom Volk geliebt zu werden, muß man mit dessen Phantasie kalkulieren – – E IN P AGE (tritt links ein.) Seine Exzellenz, der Herr Statthalter! (Der S TATTHALTER , ein dicker Magnat, kommt geräuschvoll von links mit seinen H ERREN , darunter dem jungen G RAFEN VON H ERMANNSTADT , der ganz in Schwarz gekleidet ist; auch der S CHREIBER betritt den Saal, begibt sich sogleich an das Pult, schlägt das Audienzbuch auf und prüft die Feder; der H AUPTMANN salutiert, und der H OFBEAMTE verbeugt sich.) S TATTHALTER (zu seinen H ERREN ) Also, meine Herren: noch einmal ein solches Dessert, und ich dank ab! Das sollen Zwetschkenknödel gewesen sein?! Das waren keine Knödel, das waren alte Kanonenkugeln – – Aus dieser Mehlspeisköchin gehört Gulasch gemacht, ein Gulasch für wütende Hunde! (Er lacht.) A LLE (außer dem G RAFEN VON H ERMANNSTADT , lachen mit, mehr oder minder heftig.) S TATTHALTER (lacht plötzlich nicht mehr und beobachtet den G RAFEN .) Du lachst schon wieder nicht mit? Was fehlt dir denn? Haben dir etwa die Knödel geschmeckt? G RAF Nein. S TATTHALTER Na also! A LLE (außer dem S TATTHALTER und dem G RAFEN , lachen wieder.) G RAF (lächelt wehmütig.)

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S TATTHALTER (fixiert besorgt den G RAFEN .) Wie der lächelt – als wär ihm seine große Liebe gestorben oder gar sein bestes Pferd. E IN H ERR Er ist nur nervös. S TATTHALTER Ist er krank? Z WEITER H ERR Er hat heut nacht tausend Taler verspielt. S TATTHALTER Uiweh! G RAF Es dreht sich nicht um die tausend Taler, ich spiel ja nicht, um zu gewinnen – aber ich habe eben zuvor schlimme Botschaft erhalten: Die Erträgnisse meiner Güter im fernen Siebenbürgen werden immer minimaler, wenn das so weitergeht, werd ich bald arbeiten müssen – (Er lächelt selbstironisch.) S TATTHALTER (versteht keine Selbstironie.) Schlimm, schlimm! Aber arbeiten müssen wir alle – – Schau mich an, lieber Vetter! Anstatt, daß ich mich nach dem Essen ein bisserl hinlegen könnt, muß ich da Audienzen abhalten, Bittsteller trösten, Bauernsorgen teilen und was weiß ich noch – E RSTER H ERR (sarkastisch) Seine Majestät haben es eben so befohlen – S TATTHALTER (grimmig) Jawohl, Seine Majestät – (unterdrückt zu den H ERREN ) Der junge Herr scheint ein Idealist werden zu wollen, er kümmert sich ein bisserl zuviel um unsere Leibeigenen. Die Gerechtigkeit ist zwar eine schöne Sache, eine gute Sache, aber wer die Macht hat, der braucht sie nicht. Wir werdens diesem Herrn Corvinus schon austreiben – – (Er setzt sich schwerfällig und ächzt.) Puh, tut mir der Magen weh – Also herein mit dem Bauernpack! Bin grad in der richtigen Stimmung! (zum H OFBEAMTEN ) Wieviel hocken denn draußen? H OFBEAMTER Zirka hundert. S TATTHALTER Großer Gott! H OFBEAMTER Manche warten schon seit Wochen – – S TATTHALTER (unterbricht ihn scharf.) Ich habe nicht gefragt, wie lange sie warten, ich habe gefragt, wie viele warten! Wir bitten, unsere Fragen präziser zu beantworten! Also los, los! Herein mit dem hochgeborenen Volk! H OFBEAMTER (öffnet rechts die Türe, und fünf F RAUEN treten schüchtern ein; es sind dies fünf Bäuerinnen und weißgott nicht hübsch; sie knien nieder.) S TATTHALTER (betrachtet die F RAUEN ungnädig ob ihrer Häßlichkeit; zum H OFBEAMTEN ) Was ist das? H OFBEAMTER Es sind Frauen aus dem Dorfe Selischtje. G RAF (horcht auf.) S TATTHALTER (zum H OFBEAMTEN ) Frag, was sie uns mitgebracht haben! H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Seine Exzellenz, der Herr Statthalter geruht, Euch gnädigst zu fragen, was Ihr Seiner Exzellenz mitgebracht habt? D IE F RAUEN (tauschen ängstliche Blicke.) H OFBEAMTER Was, Ihr habt nichts mitgebracht?! Ja, wißt Ihr es denn nicht, daß Bittsteller immer etwas mitbringen müssen, irgendein Geschenk? Eine riesige Melone oder eine uralte Münze, die man beim Ackern findet, oder ein Lamm mit zwei Köpfen – – Ihr gefällt mir! S TATTHALTER (murmelt.) „Gefallen“? Gott soll einen hüten! H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Beispiellos, daß Ihr hier ohne irgendetwas einzutreten wagt, ohne irgendein gefälliges Nichts! D IE F RAUEN (weinen.) S TATTHALTER Weinen auch noch! (Er faßt sich an den Magen.) Ich halt das nicht aus! (zum H OFBEAMTEN ) Raus! Raus damit!

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H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Raus! G RAF Halt! (zum S TATTHALTER ) Gnädigster Herr Vetter, diese Weiber kommen doch aus Selischtje? S TATTHALTER Was weiß ich! H OFBEAMTER (zum G RAFEN ) Sie kommen aus Selischtje. G RAF (zum H OFBEAMTEN ) Richtig! (zum S TATTHALTER ) Dann gehören nämlich diese Frauen mir. S TATTHALTER (perplex) Dir? G RAF Das Dorf Selischtje gehört zu meinem Siebenbürger Besitz. S TATTHALTER Ah so! Na, wenn mein lieber Herr Vetter lauter solche Leibeigne hat, dann kann ichs begreifen, daß er seinen Besitz verspielt – – (Er grinst.) Gratuliere zu deinen Schönheiten! (zum H OFBEAMTEN ) Frag, was sie wollen, dann aber raus damit! G RAF (ernst) Danke. H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Weint nicht! Ruhe! Habt Ihrs denn nicht gehört?! Seine Exzellenz geruhen sich ja herbeizulassen, Euch zu fragen, was Ihr wollt – – Na los! Redet! Wo brennts denn?! D IE F RAUEN (reden ängstlich mit dem H OFBEAMTEN .) S TATTHALTER (blickt plötzlich ängstlich um sich.) Ist Darmverschlingung eigentlich heilbar? Z WEITER H ERR Leider! Kaum! S TATTHALTER (melancholisch) Mir scheint, ich leb nimmer lang – E RSTER H ERR Aber! S TATTHALTER Weils in mir immer so murrt – H AUPTMANN (zuckt etwas zusammen und horcht auf.) Murrt? S TATTHALTER Ja, tatsächlich, und zwar gefährlich tatsächlich. H OFBEAMTER (tritt vor den S TATTHALTER.) Exzellenz, diese Weiber haben eine etwas absonderliche Bitte – S TATTHALTER (fällt ihm ins Wort.) Geld? H OFBEAMTER (lächelt.) Nein. Sie bitten, Euere Exzellenz möchten ihnen Männer geben. S TATTHALTER Männer?! H OFBEAMTER Ja. S TATTHALTER (braust auf.) Sind sie wahnsinnig?! H OFBEAMTER Exzellenz, die Weiber sagen, solange sie Männer hatten, benahmen sie sich nicht geizig gegen den König, der immer und immer wieder die vielen Soldaten verlangte. Es blieb kein erwachsener Mann zu Hause, lauter Frauen wohnen im Dorf – – und die Frauen sagen, sie hätten die Männer dem König bloß geliehen, jetzt mögen Euere Exzellenz sie ihnen zurückgeben, und wenn sie im Kampf gefallen sind, so mögen Euere Exzellenz ihnen andere geben, denn eine Hand wäscht die andere, und wenn der König noch weiter aus Selischtje Soldaten haben will, so müssen diese erst geboren werden, daher also – – S TATTHALTER (fängt an zu lachen und lacht immer dröhnender.) A LLE (außer dem G RAFEN und den F RAUEN , lachen mit.) S TATTHALTER (zum G RAFEN ) Also das sind deine Weiber?! Na, die müssen ja arg in Nöten sein! G RAF (ernst) Mein gnädiger Herr Vetter, es ist leider nicht zum Lachen, daß mein in Gott ruhender Vater die Männer ausgerottet hat, indem er Seiner seligen Majestät

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jahraus, jahrein Soldaten geliefert hat. Seine selige Majestät mußten nur sagen: „Noch tausend, Michael!“, und er trieb noch tausend zusammen. „Noch tausend!“, und er ließ auch die Knaben zusammenfangen – – Jetzt liegen die Felder brach und ich hab keine Einnahmen. Diese Frauen, mein gnädiger Herr Vetter, haben schon einigermaßen recht: Von den kampfunfähig gewordenen Soldaten könnte man ihnen ja hie und da etliche zukommen lassen – und: Ihr würdet sie auch mir zukommen lassen, denn dann würden meine Felder wieder bebaut werden können. S TATTHALTER Hm. (Er überlegt und wendet sich dann an den S CHREIBER.) Schreib: Die Frauen von Selischtje bekommen vom König Männer. Gegeben am – – und so weiter. S CHREIBER (schreibt.) S TATTHALTER (zum G RAFEN ) Dir zu lieb. G RAF (lächelt.) Danke. S TATTHALTER (deutet auf die F RAUEN , zum H OFBEAMTEN ) Jetzt aber raus damit! Raus! H OFBEAMTER (zu den F RAUEN ) Raus! Raus mit Euch! D IE F RAUEN (verschüchtert ab nach rechts.) S TATTHALTER (zum G RAFEN ) Wieviel Männer willst denn haben? G RAF Dreihundert. S TATTHALTER (zum S CHREIBER ) Schreib: dreihundert! D ER P AGE (tritt links ein.) Seine Majestät, der König! A LLE (schrecken etwas zusammen, der S TATTHALTER erhebt sich und M ATTHIAS C ORVINUS , König von Ungarn, ein junger Mann, einfach gekleidet, kommt rasch von links; der H AUPTMANN salutiert, und A LLE verbeugen sich, mehr oder minder tief.) M ATTHIAS (hält einen Augenblick und grüßt kurz, eilt dann zu dem S CHREIBER hin, blickt in das Audienzbuch und fixiert den S TATTHALTER.) Wieso? Ist dies heut erst die erste Deputation? S TATTHALTER Wir haben uns etwas verspätet, Majestät – – Ich fühlte mich nicht wohl, mein schwacher Magen – – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Du müßtest mal fasten – – (Er lächelt zweideutig.) S TATTHALTER Ich bin krank. M ATTHIAS (lächelt wie zuvor.) So? S TATTHALTER (verwirrt) Majestät, es murrt immer so in mir – M ATTHIAS Dann gehörst du pensioniert. (zum H OFBEAMTEN ) Wieviel Deputationen warten noch draußen? H OFBEAMTER Zirka hundert, Majestät. M ATTHIAS Wird alles heute erledigt. S TATTHALTER (fast weinerlich) Das dauert doch bis morgen früh – M ATTHIAS (unterbricht ihn.) Und wenn es bis übermorgen dauert! In diesem Lande bleibt nichts mehr unerledigt, dafür werden wir sorgen – – (Er blickt wieder in das Audienzbuch und kriegt große Augen; zum S TATTHALTER ) Was heißt das? „Die Frauen von Selischtje bekommen vom König Männer“ – Was soll das? S TATTHALTER Majestät, es ist kein Witz – – M ATTHIAS In diesem Buch darfs auch keine Witze geben. Was in diesem Buch versprochen wird, das wird gehalten werden. (Er blickt wieder in das Buch.) Ach so. (zum G RAFEN ) Dieses Dorf gehört dir?

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G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS (liest weiter.) „Die Männer alle im Krieg geblieben“ – – Hm. (Er denkt nach und wendet sich dann wieder an den G RAFEN .) Und deine Weiber brauchen dreihundert Männer? G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS Wieviel Seelen hat denn das Dorf? H OFBEAMTER Dreihundert, Majestät. M ATTHIAS Und lauter Frauen? G RAF Jawohl, Majestät. M ATTHIAS Hm. Da sind doch aber dann auch die kleinen Kinder miteinbegriffen und die gebrechlichen Greisinnen – wie? Da käm ja dann mehr als ein Mann auf ein jedes deiner Weiber – – (Er lächelt.) Unersättlich – (Er blickt wieder ins Buch.) – „Tapfere Krieger ansiedeln“ – – H AUPTMANN (tritt vor.) Majestät! M ATTHIAS Was gibts? H AUPTMANN Als braver Hauptmann Euerer glorreichen Armee fühle ich mich verpflichtet, Majestät mitzuteilen, daß diese ganze Ansiedlerei einen kleinen Haken haben dürfte – – G RAF (fällt ihm ins Wort.) Was soll das? M ATTHIAS Wieso? H AUPTMANN Majestät, ich denke, das wäre eine schlechte Belohnung für Euere braven Soldaten, wenn man sie diesen Weibern vorwerfen würde, denn alles, was recht ist: Schön sind sie nicht! Da müßt man schon eher alle Blinden im Land zusammentrommeln. G RAF Darf ich etwas einwenden – – M ATTHIAS Bitte. G RAF Majestät, ich kenne die Frauen von Selischtje, und es ist mir ein Rätsel, warum sie gerade die Häßlichsten hierher gesandt haben – Vielleicht wollten sie sich durch die Intelligentesten vertreten lassen, und intelligente Frauen, Majestät, sind ja meistens nicht gerade schön – – M ATTHIAS Gottseidank! H AUPTMANN Gar so intelligent kamen mir diese Weiber auch nicht vor – G RAF (unterbricht ihn.) Majestät! Die Frauen von Selischtje sind wunderschön, sie sind sogar berühmt in ganz Siebenbürgen! M ATTHIAS (lächelt.) Was du nicht sagst – – G RAF Auf mein Wort! (Stille) M ATTHIAS Hm. Ich kenne ja mein Land leider nur als Kriegsschauplatz – – und hier steht Meinung gegen Meinung. (Er überlegt und lächelt dann wieder; zum G RAFEN ) Höre, schick mir doch von deinen berühmten Frauen ein kleines Muster – – S TATTHALTER (perplex) Ein Was? M ATTHIAS (zum S TATTHALTER ) Ja, er soll mir aus seinem Dorf drei Frauen schicken, Wir glauben nämlich nur das, was Wir sehen – – G RAF Ihr glaubt mir nicht?! M ATTHIAS Doch, doch. Aber die Schönheit ist ein Geschmacksproblem, und ich kenne deinen Geschmack nicht – S TATTHALTER Er ist nicht schlecht.

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M ATTHIAS Hoffentlich! Hoffentlich gibt es in Selischtje hübsche Mädchen, dann will ich dort meine tapfersten Krieger ansiedeln – (zum G RAFEN ) Du hast Unser Wort! G RAF (erfreut.) Majestät! Ich reit jetzt sofort nach Siebenbürgen und bring Euch ein Muster! (Er grüßt und rasch ab nach links.) M ATTHIAS (lächelt.) Glückliche Fahrt! (zum S TATTHALTER ) Und wir fahren auch fort! Setz dich! (zum H OFBEAMTEN ) Das nächste! H OFBEAMTER (verbeugt sich und öffnet rechts die Türe.) Vorhang.

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ZWEITES BILD.

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In Siebenbürgen. In einer Badeanstalt zu Hermannstadt. Das Baden spielte in der damaligen Zeit eine große gesellschaftliche Rolle. Man badete in großen, hölzernen Wannen, in denen oft auch zwei Personen bequem Platz hatten, wenn sie sich gegenüber saßen. Da man damals noch fest daran glaubte, daß das Baden umso gesünder wäre, je länger man badete, saßen die Menschen oft tagelang in der Wanne. Die Folge davon war, daß man auch in der Wanne sitzend sein Mahl verzehrte, die Post erledigte, würfelte, Mariage spielte und dergleichen – – dies alles auf einem Brett, das quer über die Wanne gelegt werden konnte und also als Tischlein fungierte. Dabei wurden die Herren von Bademägden bedient, die meist nur ein durchsichtiges Hemd anhatten und mit Recht nicht gerade im besten Rufe standen. Der Besitzer des Etablissements, der Bader, der übrigens auch als eine Art Arzt tätig war, trachtete natürlich darnach, nur sehr hübsche Bademägde zu haben, denn je hübscher sie waren, umso fleißiger badeten die Herren, und es ist also nur logisch, daß auch der Bader selbst nicht in bestem Rufe stand. Ein altes Sprichwort sagte: „Der Bader und sein Gesind, gar oft Buben und Huren sind.“ Wir befinden uns nun in einer derartigen Badeanstalt. In drei großen hölzernen Wannen sitzen vier Bürger von Hermannstadt, und zwar von links nach rechts: In der ersten T HOMAS , der junge Wirt vom „Einhorn“, mit einer Bürste, in der zweiten ein D ICKER und in der dritten ein B ÄRTIGER mit einem D ÜRREN , Karten spielend. Der D ICKE ißt gerade mit einem überaus gesunden Appetit zu Mittag und wird von einer B ADMAGD bedient, die er immer wieder abtätschelt. Links, rechts und im Hintergrund je eine Türe. B ADMAGD (zu T HOMAS ) Und der Herr essen nichts? T HOMAS Nein. B ADMAGD Und auch ansonsten benötigen der Herr nichts? T HOMAS Nein. B ADMAGD Wie schade! D ICKER Der Herr ist verlobt – – (Er grinst.) B ADMAGD (zu T HOMAS ) Oh pardon! B ÄRTIGER (sticht geräuschvoll.) Atout! Atout! Atout! D ICKER (zum D ÜRREN ) Mir scheint, du verlierst? D ÜRRER Wenn ich noch weiter so verlier, geh ich nie mehr baden – B ADMAGD (zu T HOMAS ) Und Kartenspielen tut der Herr auch nicht? D ICKER Seit er verlobt ist, rührt er keine Karte mehr an.

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Ein Dorf ohne Männer

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B ADMAGD (betrachtet T HOMAS .) Der Herr geht über meinen Horizont. Nicht essen, nicht trinken, nicht spielen, nicht – – (zum D ICKEN ) Ich bitt dich, zu was geht er denn überhaupt baden? T HOMAS Zu Reinigungszwecken. Und weil es bekanntlich überaus gesund ist, stundenlang im Bad zu sitzen. D ICKER Das schon. (zur B ADMAGD ) Apropos gesund: Geh hol mir den Bader, Putzi, er soll mich schröpfen! Und bring mir noch ein bisserl von dem Kürbis – der ist heut ein Traum! B ADMAGD Gern! (ab nach links) D ICKER (sieht ihr nach.) Dieser Bader ist ein Tausendsassa! Immer bringt er die feschesten Weiber daher, wo er sie nur auftreibt?! Der hat direkt einen Riecher – – T HOMAS Ich neid ihm seinen Riecher nicht. Wenn ich so nachdenk, so war doch das Badeleben früher, noch vor relativ kurzer Zeit, geordneter, gesitteter, zweckmäßiger – mit einem Wort: seriöser. Damals sind die Leut wirklich nur deshalb hergekommen, um sich zu reinigen, aber seits hier diese Weiberwirtschaft gibt, ist es für einen jeden, der sich nur reinigen möcht – – D ICKER (unterbricht ihn.) Was redest du da immer vom „Reinigen“? Bist denn gar so dreckig? Wenn sich jeder nur reinigen möcht, gäbs überhaupt kein gesellschaftliches Leben! Schau mich an, ich reinig mich auch, aber das ist doch bei mir nicht das A und das Z! (Er ruft.) Wo bleibt mein Kürbis?! B ADMAGD (kommt mit dem Kürbis von links.) Ist schon da! D ICKER Brav, brav! Aber wo bleibt der Bader? Ich möcht doch geschröpft werden, geschröpft! B ADER (kommt aus dem Hintergrund mit der Schröpfapparatur.) Bin schon da, bin schon da! (zum B ÄRTIGEN ) Habe die Ehre, Herr Sedlacek! (zum D ÜRREN ) Herr Vastag! (zu T HOMAS ) Ah, der Herr Thomas! Daß Herr Hotelier mal wieder baden? – (zum D ICKEN , während er ihn zu schröpfen beginnt und die B ADMAGD nach rechts abgeht.) Seiens mir, bittschön, nicht bös, Herr Durdurescu, aber ich hab hinten im Dampfbad einen unerwartet hohen Besuch bekommen, und den hab ich jetzt erst ein bisserl behandeln müssen, herrichten, auffrischen, regenerieren – Er war nämlich einigermaßen parterre von dem langen Ritt von der Hauptstadt bis zu uns … D ICKER (horcht auf.) Von der Hauptstadt? Wer ist denn das? B ADER Unser Herr Graf. D ICKER Ah da schau her! Herr Graf sind wieder in Hermannstadt? B ADER Seit gestern. T HOMAS Ein seltener Gast bei sich zu Haus – – D ICKER Was erzählt er denn Neues? Was machen die Türken, wie gehts dem König? Und der Sultan? B ADER Wir haben nicht politisiert. Er ist ziemlich wortkarg, der Herr Graf, scheint Sorgen zu haben – – D ICKER Kann ich mir vorstellen! B ADER Dieser Riesenbesitz – – T HOMAS Der ihm nichts bringt – – B ADER (zu T HOMAS ) Wenn man näher hinschaut, ist mir Euer Wirtshaus hint lieber, wie sein ganzer Fideikommiß vorn! D ICKER Das glaub ich!

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T HOMAS Beruhigt Euch nur! Wenn ich nicht bald einen Kredit auftreib, sperr ich auch zu. Ich lauf mich schon wund nach einem Wucherer. D ICKER Wer heutzutag nicht! T HOMAS Der, der dich grad schröpft. Der Bader. B ADER Nanana! Wenn mich der hohe Magistrat von Hermannstadt weiterhin so zu verfolgen beliebt, dann tausch ich sogar mit dem Grafen! D ICKER Der Magistrat verfolgt dich? B ADER Er hetzt mich wie ein wehrloses Wild! Jeden zweiten Tag eine neue Vorschrift, ich werd kontrolliert und kontrolliert – lauter Schikan! Man könnt schon meinen, ich hätt kein solides Geschäft, hätt ein Frauenhaus und kein Badehaus! E IN e B ADMAGD (geht von rechts nach links vorbei.) B ADER (zur B ADMAGD ) Bist schon fertig? Geh zum Grafen, Anjuka – und hilf ihm ein bisserl regenerieren – B ADMAGD (knickst und ab nach dem Hintergrund.) D ICKER Wer war denn das? Eine Neue? B ADER Eine Polin. Rassig, sehr rassig! T HOMAS (schüttelt sich plötzlich.) Brr! D ICKER Was fehlt dir? T HOMAS Diese Weiberwirtschaft – – peinlich! B ADER Sagens mir nur nichts gegen die Weiber, Herr Thomas! Seit Sie in Ihrem Wirtshaus keine Kellnerinnen mehr haben, sondern nur männliche Kellner, seh ich etwas düster für Ihren Geschäftsgang – No, hab ichs erraten? T HOMAS Meine Braut soll ein reines Haus betreten. Seit meiner Verlobung hab ich alle Kellnerinnen zum Teufel gejagt. B ADER Herr Thomas, merkens Ihnen folgende Weisheit: Ohne Kellnerinnen gibts keinen Kredit. Ehre, wem Ehre gebührt! Und ohne Kellnerinnen wird Ihr Fräulein Braut vielleicht gar kein Haus betreten, weder ein reines, noch ein unreines, denn bis dahin, ich will zwar nichts beschwören, aber immerhin – – No, hab ichs erraten? (Stille) T HOMAS Lieber verlier ich mein Haus. D ICKER Blödsinn! B ADER Was tät denn dann das Fräulein Braut dazu sagen? Hat sich mit einem gutgehenden Hotel verlobt und soll eine gnädige Frau Habenichts werden! T HOMAS Sie wird mit mir überall leben. B ADER Auch ohne Dach? Wo es überall hineinregnet? T HOMAS (romantisch) Regen oder Sonnenschein! Sie hat mich, und das genügt ihr. B ADER Na! Ihr seid durch die Liebe ein bisserl weltfremd geworden, Herr Thomas, weltfremd – und das ist gefährlich! G RAF (kommt aus dem Hintergrund, gefolgt von drei B ADEMÄGDEN .) D IE B ADENDEN (erheben sich etwas in den Wannen und grüßen.) G RAF (zu den B ADENDEN ) Bleibt nur ruhig sitzen! Danke, danke! – Du, Bader! B ADER Herr Graf? G RAF Ich bitt dich, leih mir einen Taler – ich wollt mir ja ursprünglich nur die Haare schneiden lassen, aber meine Absicht hat dann unwillkürlich weitere Kreise gezogen – (Er lächelt.) B ADER Aber Herr Graf! Bei mir haben Herr Graf Kredit. G RAF (melancholisch) Bei dir schon. Gibs der Polin – –

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B ADER (gibt den Taler der P OLIN .) D IE P OLIN (knickst.) G RAF Danke, danke! Also auf Wiedersehen – (Er will nach rechts ab.) B ADER (will ihn hinausbegleiten.) Meine Hochachtung, Herr Graf! Gnädiger Herr Graf bleiben doch jetzt hoffentlich länger in Siebenbürgen – G RAF (fällt ihm ins Wort.) Nein. Ich reite morgen wieder retour. B ADER Schon? Ewig schad! Als gäbs in Hermannstadt keine schönen Mädchen – – G RAF (fällt ihm ins Wort.) Ich muß heut nur noch nach Selischtje – – B ADER (fällt ihm ins Wort.) Also in Selischtje werden Herr Graf keine Schönheiten finden! G RAF (horcht perplex auf.) Wie meinst du das? B ADER Ich mein das nur logisch – – Die Weiber von Selischtje sind ja berühmt häßlich! Solche Pratzen, solche Mündchen, Ohren wie die Bernhardiner – wo man hinschaut, lauter linke Füß, und was für Füß! Nicht die Spur von einer Grazie, einem Charme – kurz: lauter elende Trampeln! Kein Wunder, daß sie keine Männer kriegen! Unlängst habens nämlich eine Deputation zum König geschickt – – G RAF (unterbricht ihn.) Du weißt davon? B ADER Ich hör hier alles. Und ein jeder sagt, denen ihre Männer sind nicht im Krieg geblieben, die haben den Krieg nur als Vorwand benützt, um nicht wieder nach Hause zu müssen! Haben Herr Graf beim König zufällig die Deputation gesehen? G RAF Ja, es war wirklich abscheulich. B ADER Und derweil waren das noch die Schönsten! G RAF (entsetzt) Die Schönsten?! B ADER Sie haben sich vorher noch ausgewählt – Schönheitskonkurrenz in Selischtje! Können Herr Graf sich vorstellen, wie die Zuhausgebliebenen – – G RAF (unterbricht ihn.) Lieber nicht! (Er überlegt.) Hm. Das ist eine schlimme Botschaft – Das ist sogar so schlimm, daß es wirklich schon schlimm ist. B ADER (horcht auf.) Wieso, Herr Graf? G RAF Der König will mir nämlich nur dann männliche Arbeitskräfte geben, wenn die Weiber hübsch sind. Er will seine braven Soldaten nicht häßlichen Hexen vorwerfen – – B ADER Dieser König wird immer gerechter. Der wird noch populär werden – ojeh! G RAF Was nützt mir das? Ich gab ihm mein Wort, ich bring ihm drei hübsche Frauen aus Selischtje – wieder ein Strich durch die Rechnung! Ich bin halt ein Pechvogel. Meine Felder liegen brach, und meine Weiber sind Hexen. Wie soll sich da einer sanieren? B ADER Herr Graf haben dem König drei Stück Hübsche versprochen? G RAF Im besten Glauben! Aber kann ich aus einer Kuh eine Aphrodite machen? B ADER Warum nicht? G RAF (fast grob) Du vielleicht! B ADER (leise) Herr Graf, soweit ich die Situation ermesse, benötigen Herr Graf drei Stück schöne Frauen aus Selischtje. Nun, schicken Sie doch dem König drei schöne Frauen und sagens, sie wären aus Selischtje – – Sie müssen ja nicht aus Selischtje sein – – G RAF Ah so! B ADER Logischerweise! (Stille) G RAF Keine schlechte Idee – –

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B ADER Sie liegt direkt auf der Hand. Herr Graf, schickens zum Beispiel gleich die drei da – – (Er zeigt auf die B ADEMÄGDE , die sich um die B ADENDEN bemühen.) G RAF (unterbricht ihn.) Nein, das geht nicht! Nicht aus diesem Milieu! B ADER Der König würd das gar nicht merken – – G RAF Der König würds schon merken, er ist ein durchtriebener Mensch – – Nein, nein, das müßten schon drei andere sein, zum Beispiel drei anständige, verschwiegene Witwen – – oder die Braut eines ehrbaren Bürgers – – B ADER (unterbricht ihn.) „Braut eines ehrbaren Bürgers“? Herr Graf, mir scheint, eine haben wir bereits! Einen Moment! (Er ruft.) Herr Thomas! Kommens mal geschwind her! Der gnädige Herr Graf hätten dringend mit Euch zu reden! T HOMAS (überrascht) Mit mir? B ADER Ja! Kommens, kommens! (zur P OLIN ) Anjuka, hilf ihm! D IE P OLIN (hilft T HOMAS aus der Wanne und hängt ihm ein Tuch um.) B ADER (zum G RAFEN ) Die Braut dieses Mannes ist nämlich eine Schönheit, sie ist die Tochter eines Jägers in Rotkirchen – und er ist der Wirt vom „Einhorn“ – – (zu T HOMAS , der nun neben ihm steht.) Hörens her! Der Herr Graf wollen mit Ihnen ein Geschäft machen – – Ich sag nur: Kredit! Verstanden? T HOMAS Was? Der Herr Graf will mir Kredit – – B ADER (fällt ihm ins Wort.) Ja. T HOMAS (hocherfreut) Aber das wär ja wunderbar – B ADER (fällt ihm wieder ins Wort.) Er benötigt natürlich gewisse Sicherheiten – T HOMAS (begeistert, unterbricht ihn.) Aber alles, alles! Mein Haus, mein Vieh, mein Wald – B ADER (fällt ihm abermals ins Wort.) Nein, er benötigt andere Sicherheiten. Herr Thomas, Sie wollen doch heiraten? T HOMAS (perplex) Ja. B ADER Schön. Dann haben Sie also auch eine Braut? T HOMAS (wird mißtrauisch.) Ja. Und? B ADER Der Herr Graf benötigen nämlich Ihre Braut. T HOMAS (unterbricht ihn.) Was?! Was hör ich?! G RAF Unsinn! (zum B ADER ) So erzähls ihm doch vernünftig! B ADER Ich kann nur so! T HOMAS In diesem Punkt, Herr Graf, kenn ich keine Vernunft! Und wenn ich auch nur ein gemeiner Bürger bin und Ihr ein hochedler und hochwohlgeborener Graf – B ADER (unterbricht ihn.) Idiot! So mach doch da keinen Bauernkrieg! Es ist doch alles radikal anders, hör her – (Er flüstert mit ihm.) T HOMAS (kriegt große Augen.) B ADER No, ist es anders? T HOMAS Ja. B ADER Einverstanden? T HOMAS Ja. Warum nicht? B ADER Eine kleine Reise in die Residenz – das ist alles. T HOMAS Hoffentlich. B ADER Wie hab ich das gemacht? T HOMAS Wann krieg ich den Kredit? G RAF Hol ihn dir noch heute ab. T HOMAS Sehr geehrt, Herr Graf, sehr geehrt! B ADER Abgemacht!

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T HOMAS (zum G RAFEN ) Darf ich mich nun wieder in meine Wanne zurückziehen? B ADER Du darfst. T HOMAS (setzt sich wieder in die Wanne, unterstützt von der P OLIN .) G RAF (zum B ADER, leise) Wie hoch ist dieser Kredit? B ADER Eine Kleinigkeit – dreihundert Taler. G RAF Dreihundert? Hoffentlich zahlt sichs aus – (Er lächelt.) B ADER Herr Graf können beruhigt abreisen, es wird alles prompt erledigt! Ich beschaff Euch noch zwei derartige Weiber, daß Seine Majestät sofort die halbe Armee in Selischtje ansiedeln wird! Herr Graf können sich auf meine Routine verlassen! G RAF Schön. Aber, wie gesagt, nicht aus diesem Milieu – B ADER Nein, nein! Lauter höchstehrbare Witwen, Bräute, Töchter – garantiert! G RAF Wenn alles klappt, hast du nichts zu bereuen. B ADER Es klappt, es klappt! In drei Wochen hat der König das Muster! G RAF Schön. Also auf Wiedersehen – B ADER Herr Graf, ich hätt jetzt nur noch eine kleine persönliche Bitte – Nicht bös sein, bitte! G RAF Na los! B ADER Herr Graf, der Magistrat verfolgt mich, wo er nur kann! Redens mal mit dem Bürgermeister, da habens jetzt wieder so eine sekkante Vorschrift erlassen – – (Er zieht ein Dekret aus seiner Tasche und liest.) „Kein Mann soll in ein Badehaus hineingezogen oder hineingelockt werden“ – also das ist doch wirklich Schikan! Vorhang.

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Wieder im Audienzsaal der Ofner Burg – Der S TATTHALTER sitzt auf der Estrade und ißt von einem silbernen Tablett, das ihm der P AGE hinhält, Sandwiches. Am Pult steht der S CHREIBER und nickt immer wieder ein. Vor den beiden Türen wachen die G ARDISTEN .

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S TATTHALTER (zum P AGEN ) Also die Gansleber ist heut nicht berühmt – Skandal! H OFBEAMTER (kommt von rechts.) S TATTHALTER (essend zum H OFBEAMTEN ) Alles in Ordnung? H OFBEAMTER (gibt keine Antwort, sondern geht dicht an den S TATTHALTER heran; leise, damit ihn der P AGE nicht hört) Wie ich soeben informiert wurde, werden uns Seine Majestät heute nicht um halbsechs, sondern bereits um dreiviertelfünf „überraschen“ – – S TATTHALTER Was? Schon um dreiviertelfünf? Uiweh! (Er gibt dem P AGEN ein Zeichen, er möge sich mit dem Tablett entfernen.) P AGE (ab mit dem Tablett nach links) H OFBEAMTER Gottlob halten sich Euere Komödianten bereits seit Stunden bereit. S TATTHALTER Hoffentlich haben sie auch ihre Rollen anständig gelernt! H OFBEAMTER (lächelt hinterlistig.) Gewissenhaft, Exzellenz! Gewissenhaft! S TATTHALTER Wie sehens denn aus?

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H OFBEAMTER Wie eine wirkliche Deputation. S TATTHALTER Wahrheitsgetreu? H OFBEAMTER Das echte Volk. S TATTHALTER Bravo. Wie spät ist es denn schon? H OFBEAMTER (sieht auf eine Sanduhr.) Punkt halb fünf. S TATTHALTER Geht der Sand nicht nach? H OFBEAMTER Nur paar Minuten, Exzellenz! S TATTHALTER Herein mit den Komödianten! H OFBEAMTER (öffnet rechts die Türe und läßt zwei K OMÖDIANTEN ein; sie sind als Bauern verkleidet und fallen sofort auf die Knie.) S TATTHALTER (mustert sie zufrieden.) Echt, wirklich echt – (zum H OFBEAMTEN ) Wenn es Seiner Majestät beliebt, unsere Amtsführung zu kontrollieren, und zwar direkt überfallsartig zu kontrollieren, dann müssen wir uns eben wehren! Auch der Wurm krümmt sich, wenn er kontrolliert wird. Ich verstehs nicht, was hat er eigentlich gegen die Korruption? Was hat ihm schon die Korruption getan? Wo doch die Korruption gewissermaßen die pikante Sauce ist für diese ganze fade Regiererei! Apropos fad: Wir könnten eine kleine Probe abhalten – (zum E RSTEN K OMÖDIANTEN ) Nun, mein Sohn, wie kann ich dir helfen? E RSTER Exzellenz, Euere Güte kennt keine Grenzen, wie soll ich armer Bauer Euch danken – – S TATTHALTER Ah, du willst dich bedanken? E RSTER Euere Exzellenz haben mir doch schon wieder gnädigst sechs Schafe und zwölf Ziegen geschenkt – Z WEITER Auch ich möcht mich bedanken – S TATTHALTER Brav, sehr brav! Z WEITER Euere Exzellenz haben mir doch allergnädigst die Steuern nicht nur gestundet, sondern sogar gestrichen, angesichts der großen Not – S TATTHALTER (unterbricht ihn.) Du leidest Not? Z WEITER Bitterlich. Und mein armes Weib ist gar arg krank – S TATTHALTER (zum S CHREIBER ) Schreib: Dieser brave Bauer bekommt fünf Taler, damit er Medizin für sein krankes Weib – E RSTER G ARDIST (unterbricht ihn plötzlich.) Halt! (Er tritt rasch auf den S TATTHALTER zu und schlägt mit seiner Hellebarde auf das Pult des S CHREIBERS .) Halt! S TATTHALTER (außer sich) Was los?! Ist der Hund des Teufels?! E RSTER G ARDIST Du bist des Teufels! (Er öffnet rasch sein Visier; es ist M ATTHIAS .) S TATTHALTER (brüllt auf.) Der König! Der König! M ATTHIAS Ja. (Er nimmt den Helm ab und herrscht plötzlich die beiden K OMÖDIANTEN an.) Steht auf! Rutscht hier nicht auf den Knien herum, das schickt sich nicht! Ihr seid doch in keiner Kirche! Auf! K OMÖDIANTEN (erheben sich entsetzt.) M ATTHIAS (zum S CHREIBER ) Schreib: Dieser brave Bauer bekommt keine fünf, sondern fünfundzwanzig, aber keine Taler, sondern vom Büttel! Z WEITER (entsetzt) Majestät! M ATTHIAS (zum S CHREIBER ) Schreib: Diese beiden braven Bauern werden auf der Stelle in Ketten gelegt, denn das sind keine Bauern, sondern Komödianten, die ihre Begabung mißbrauchen, um ihren König zu betrügen und um, was noch schlimmer ist, ihr eigenes Volk zu betrügen – – (Er ruft.) Die Wache! G ARDISTEN (treten rechts und links mit dem H AUPTMANN ein.)

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H OFBEAMTER (deutet auf die zwei K OMÖDIANTEN ; zum H AUPTMANN ) Abführen! H AUPTMANN (zu den G ARDISTEN ) Abführen! D IE K OMÖDIANTEN (verzweifelt) Gnade, Majestät! Gnade! (Sie werden von zwei G ARDISTEN nach links abgeführt.) M ATTHIAS (fixiert den S TATTHALTER.) Es gibt keine Gnade. (Stille) S TATTHALTER (kleinlaut) Majestät – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Ihr wißt es also, wann ich Euch „überrasche“? (Er lächelt.) Man hats mir schon gestern erzählt – S TATTHALTER (fällt ihm ins Wort.) Wer? M ATTHIAS (deutet auf den H OFBEAMTEN .) Dieser treue Mann! S TATTHALTER (fixiert wütend den H OFBEAMTEN .) Diese Beamtenseele?! Diese Kreatur!? M ATTHIAS Halt den Mund! S TATTHALTER (braust auf.) Was erlaubt Ihr Euch? König, ich bin ein Edelmann! M ATTHIAS Umso schlimmer! Du hast dir Komödianten engagiert, aber ich kenne mein Volk, ich weiß, wie es denkt und fühlt, und ich weiß auch, wie es über deinesgleichen denkt, hoher Herr – (zum H AUPTMANN ) Im Namen des Volkes! Abführen! S TATTHALTER Matthias Corvinus, dazu habt Ihr kein Recht! M ATTHIAS (grinst.) Wer die Macht hat, braucht kein Recht – Das ist doch Dein Gesetz! S TATTHALTER Ich bin kein lumpiger Bauer! M ATTHIAS (zum H AUPTMANN ) Abführen! Raus! S TATTHALTER (zum H OFBEAMTEN ) Diese Schmach sollst du mir büßen! (Er wird von den G ARDISTEN und dem H AUPTMANN links abgeführt.) H OFBEAMTER (sieht ihm besorgt nach.) Büßen? (Er schluckt.) M ATTHIAS (lächelt.) Hast du Angst? H OFBEAMTER Angst gerade nicht – aber ein unangenehmes Gefühl. M ATTHIAS Der kommt nicht mehr zurück. H OFBEAMTER Wer weiß! M ATTHIAS (horcht auf und sieht den H OFBEAMTEN groß an.) Z WEITER G ARDIST (bei der Türe rechts, ruft plötzlich.) Es lebe der König! M ATTHIAS (horcht abermals auf, geht dann langsam auf den Z WEITEN G ARDISTEN zu, hält dicht vor ihm und betrachtet seine hünenhafte Gestalt; er klopft plötzlich auf seinen Brustpanzer, als würd er ihn streicheln, und lächelt ernst.) Dankeschön! – (Er geht wieder zum H OFBEAMTEN und deutet auf den verwaisten Platz des Statthalters.) Komm, setz dich dorthin – H OFBEAMTER (überrascht) Wohin?! M ATTHIAS Ja. Wir haben das Dekret bereits vor vier Tagen unterzeichnet, du bist Statthalter. Exzellenz – H OFBEAMTER (glücklich) Majestät – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Ich bitt dich, tu nur nicht so, als hättest dus nicht schon gewußt! Du weißt es doch schon seit drei Tagen – von der großen Schwester meines Pagen, nicht? H OFBEAMTER (grinst.) Majestät scheinen allwissend zu sein – M ATTHIAS (lächelt wieder.) Nein, ich hab halt nur auch meine lieben Spitzel. Du bist zwar ein großer Komödiant –

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H OFBEAMTER (unterbricht ihn gekränkt.) Majestät! M ATTHIAS Ich wollte nur sagen, das Sympathische an dir ist, daß du es weißt, daß du ein Gauner bist. Ein guter Statthalter muß Gewissensbisse haben, sonst ist er ein dummer Tropf. Verzeih, ich wollte dich nicht kränken! Wir leben in einer rauhen Zeit. Die feinzugespitzten Aperçus schlummern ja noch unter den Steinen, aus denen dereinst die Schulen gebaut werden – aber weiter! Setz dich! (zum Z WEITEN G ARDISTEN ) Los, das echte Volk, es trete ein! (Er setzt sich wieder neben den S CHREIBER, und der H OFBEAMTE läßt sich auf den Platz des Statthalters nieder.) Z WEITER G ARDIST (salutiert vor M ATTHIAS und öffnet dann die Türe rechts: Der B ADER in Gala tritt ein, gefolgt von drei Frauen, die so schön sind, daß selbst M ATTHIAS betreten hinstarrt – eine S CHWARZE , eine R OTE , eine B LONDE . Sie sind als Bäuerinnen gekleidet, geschmückt, geputzt und hergerichtet, mit kurzen Röckchen und bunten Stiefeln; ihr Auftreten ist, trotz einer gewissen Befangenheit, sehr sicher, sie wissens nämlich, daß sie wirken; sie machen einen Knicks vor dem H OFBEAMTEN , und der B ADER verbeugt sich tief.) H OFBEAMTER (erhebt sich unwillkürlich.) B ADER (tritt vor.) Hochgeborener Herr Statthalter! Exzellenz – H OFBEAMTER (unterbricht ihn.) Was für eine Deputation seid Ihr? B ADER (deutet auf die drei F RAUEN .) Das ist keine Deputation, Exzellenz halten zu Gnaden, sondern das ist ein Muster. H OFBEAMTER (verwirrt) Ein Muster? Mit Euch ists wohl nicht ganz richtig. Was für ein Muster? Ich versteh kein Wort – wieso ein Muster? B ADER Exzellenz halten zu Gnaden, das sind die drei Frauen aus dem Dorfe Selischtje, die ich im Auftrage meines Herrn, des Grafen von Hermannstadt, dem König bringen soll, damit der König sich überzeuge, daß er dortselbst mit bestem Gewissen seine tapfersten Krieger ansiedeln – – M ATTHIAS (unterbricht ihn.) Ach so! Aha – – H OFBEAMTER (wird immer verwirrter; zu M ATTHIAS ) Wieso, Ihr kennt diesen Fall? M ATTHIAS Jaja, ich kann mich noch erinnern. B ADER Es war vor zirka fünf Wochen – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Stimmt. Damals haben Seine Majestät dem Grafen von Hermannstadt den Auftrag erteilt, ihm dieses Muster zu übersenden – H OFBEAMTER (sieht M ATTHIAS groß an.) So? M ATTHIAS (kurz) Ja. (Stille) H OFBEAMTER (zu M ATTHIAS ) Und? M ATTHIAS Nun, ich denke, Exzellenz: Ihr seid zwar der Stellvertreter des Königs, doch nicht in allen Angelegenheiten seid Ihr imstande, ihn zu vertreten. Wie mir scheint, gehört auch diese hier dazu. H OFBEAMTER Aha. Was also ratet Ihr uns zu tun? M ATTHIAS Nun, ich bin zwar nur Euer geringster Ratgeber, ja sozusagen nur Euer Diener, Exzellenz – doch, wenn ich etwas raten dürfte, so solltet Ihr Euch zuerst einmal mit dem König in Verbindung setzen – (zu den F RAUEN ) Wartet bis dahin draußen, liebe Kinder! H OFBEAMTER Vortrefflich! Wartet draußen! D IE F RAUEN (machen wieder einen Knicks und ab mit dem B ADER nach rechts.)

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S CHREIBER (bläst vor sich hin.) Püh – H OFBEAMTER (deutet auf den S CHREIBER ; zu M ATTHIAS ) Ihm wurd es auch ganz heiß – (Er grinst.) M ATTHIAS (lächelt.) Begreiflicherweise. H OFBEAMTER Diese Schwarze! M ATTHIAS Und die Rote? H OFBEAMTER Und die Blonde? M ATTHIAS Jaja, alle drei. Hm. Was ist da zu tun? H OFBEAMTER (lächelt verschmitzt.) Wenn ich meinem geringsten Ratgeber raten dürfte, so könnte man es dem König ruhig sagen, daß er seine tapfersten Krieger mit bestem Gewissen in Selischtje ansiedeln kann – und dieses Muster, das schikken wir nun wieder nach Haus, wir haben uns ja bereits überzeugt, daß es nicht häßlich ist – nicht? M ATTHIAS (lächelt auch verschmitzt.) Wie mir scheint, ist der König noch nicht ganz überzeugt – H OFBEAMTER Dann wird er sich wohl noch ein bisserl überzeugen müssen. M ATTHIAS (wird plötzlich etwas verlegen.) Hm. Spaß beiseite: Was ist da wirklich zu tun? H OFBEAMTER (sarkastisch) Tja, was denn nur? (Stille) M ATTHIAS Ich bin doch schließlich der König. H OFBEAMTER Das wär noch kein direkter Grund. M ATTHIAS Aber ich kann doch nicht meine braven Landeskinder, nur weil sie hübsch sind – H OFBEAMTER Majestät geruhen total zu vergessen, diese drei braven Landeskinder suchen doch Männer! M ATTHIAS Das schon! H OFBEAMTER Man merkts ihnen auch an. M ATTHIAS Aber die suchen doch ganz andere Männer! Tüchtige Siedler, arbeitsame, kernige Bauern! H OFBEAMTER Nun, Majestät, ich glaube, die würden sich auch mit einem kernigen Städter zufriedengeben, zum Beispiel mit einem arbeitsamen Statthalter – – M ATTHIAS Sei so gut! G RAF (tritt links rasch ein, erblickt M ATTHIAS und verbeugt sich.) Majestät! M ATTHIAS Ach, unser lieber Graf! G RAF Majestät, soeben habe ichs vernommen, daß mein Muster eingetroffen ist – Ich habs in der Burg gehört, die ganze Stadt ist ja in heller Begeisterung, so prächtig soll mein Muster sein! M ATTHIAS Fürwahr! Wenn ganz Selischtje so aussieht, erbaue ich dort nächsten Winter eine Burg! H OFBEAMTER Und ich werde Burgvogt. M ATTHIAS Schon wieder? G RAF Wo sind sie? Ich möcht sie ja auch schon gern sehen – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Kennst du sie denn nicht? G RAF Mein Gott, Majestät, ich habe meinen Präfekten beauftragt, er möge drei Frauen aus Selischtje hierherbringen, irgendwelche drei, die nächsten besten drei, die er trifft, und nun bin ich natürlich begierig, welche drei er getroffen hat.

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M ATTHIAS Dort warten sie. G RAF (geht rasch zur Türe rechts, öffnet sie heimlich und blickt hinaus – Er fährt etwas zurück, faßt sich, blickt nochmals hinaus, ist bestürzt, jedoch beherrscht, schließt die Türe und faßt sich ans Herz.) M ATTHIAS (hat mit dem H OFBEAMTEN konferiert.) Schön. Wenn du meinst – H OFBEAMTER Wir werden dies Problem schon meistern. Nur Mut. Majestät! M ATTHIAS (fixiert ihn.) Mut? H OFBEAMTER Oh pardon! Pardon, Majestät! (Stille) M ATTHIAS (erblickt den G RAFEN und stutzt.) Was fehlt denn dir? Du bist ja weiß – G RAF (leise) Nichts, Majestät – es war nur das Herz. Das hört manchmal so komisch auf. (Stille) M ATTHIAS Es tät mir leid, wenn du heut abend nicht mit dabei sein könntest. Bei meinem kleinen Fest – G RAF Das tät mir auch sehr leid. M ATTHIAS Du willst doch nicht kommen? G RAF Ich komme, Majestät. Sicher. M ATTHIAS Du solltest dich lieber schonen – G RAF Ich schone mich nicht. M ATTHIAS (etwas unwillig, zum Z WEITEN G ARDISTEN ) Ruf sie herein! (Er setzt sich wieder neben den S CHREIBER.) Z WEITER G ARDIST (öffnet die Türe rechts.) B ADER (tritt allein ein, erblickt den G RAFEN , der ihn nicht aus den Augen läßt, und schrickt etwas zusammen.) H OFBEAMTER (wieder auf dem Platz des Statthalters) Wo sind die Frauen? B ADER Verzeihung, hochgeborener Herr Statthalter, aber die eine ist durch das lange Warten grad vorhin ein bisserl schwindlig geworden – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Schwindlig? H OFBEAMTER Hoffentlich wirds bald wieder gut? B ADER Sicher! Es war nur das Herz. Das hört manchmal so komisch auf – M ATTHIAS (horcht auf und beobachtet den G RAFEN , der noch immer den B ADER fixiert.) H OFBEAMTER Nun, höret! Ich habe mich mit Seiner Majestät in Verbindung gesetzt, und Seine Majestät geruhten allergnädigst zu bestimmen, daß Seine Majestät die Frauen aus Selischtje auf seinem Jagdschloß zur Audienz erwarten, und zwar noch heute nacht – wollte sagen: heute abend. Bis dahin sollt Ihr im Hofgasthaus wohnen, als Gäste Seiner Majestät, Ihr werdet dann abgeholt. Gehet nun in Frieden! B ADER (verbeugt sich tief, geht an dem G RAFEN , der ihn noch immer anstarrt, vorbei, macht ihm ein heimliches Zeichen, als wollte er sagen: „Ich bin unschuldig, ich kann nichts dafür!“ und ab nach rechts.) G RAF (blickt ihm kurz nach, tritt dann rasch vor M ATTHIAS .) Majestät, darf ich nun wieder fort – M ATTHIAS (fällt ihm verschmitzt lächelnd ins Wort.) Warum? Bleib nur noch und hilf uns, wir haben viel zu tun – (zum Z WEITEN G ARDISTEN ) Das Nächste! Z WEITER G ARDIST (verbeugt sich und öffnet rechts die Türe.) Vorhang.

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VIERTES BILD.

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Im Hofgasthaus. Ein Zimmer des Appartements, in welchem das Muster abgestiegen ist. Rechts und links je eine Türe. Im Hintergrund das Fenster und ein großer Schrank. Tisch und Stühle. Alles ist voller Blumen. Von der Straße tönen Serenaden empor, Mandolinengesang und Zigeunermusik. Der B ADER sitzt und schreibt. Es klopft. B ADER Herein! D ER H OFWIRT (tritt links mit viel Blumen ein; er ist einäugig.) Es sind wieder Blumen gekommen für die Täubchen – (Er stellt die Blumen auf den Tisch.) B ADER Danke, Herr Hofwirt. H OFWIRT Die ganze Stadt ist aus dem Häusel, sogar gerauft ist schon worden, wer daß die Schönste wär – die Schwarze, die Rote, die Blonde! Wo stecken denn die Damen? B ADER (deutet auf die Türe rechts.) Dort. Sie ziehen sich an. H OFWIRT (blickt nach rechts.) „Sie ziehen sich aus“ – B ADER (fällt ihm ins Wort.) An! H OFWIRT Das ist wurscht. Jaja, jung müßt man halt wieder sein und schön! Ich hab zwar nur ein Auge, aber ich würd selbst dieses eine Auge riskieren – Euere Weiber sind ja das reinste Kanonenpulver! Hörens nur, wie die Leut singen, besonders seit es publik geworden ist, daß sie der König auf sein Jagdschloß geladen hat! Wißt Ihr, was das bedeutet? B ADER Ich kanns mir vorstellen. H OFWIRT Die seltenste Auszeichnung! Das war überhaupt noch nicht da! B ADER Geh-geh-geh! H OFWIRT Was schreibens denn da? B ADER Mein Testament. H OFWIRT (perplex) Testament? B ADER (lächelt schmerzlich.) Man weiß es nie. Vielleicht schon diese Nacht – H OFWIRT Mit einem solchen Muster denkt der Mensch ans Sterben – – (beiseite) Provinzler! (ab nach links) B ADER (sieht ihm nach.) Daß es in einer Haupt- und Residenzstadt solche Naivlinge gibt – und die reden was über unsere Provinz! (Er erhebt sich und riecht an diversen Blumen.) Wirklich prachtvoll – wie auf einem Friedhof. Nötig hab ich das gehabt, mich da einzulassen, der Graf zerreißt mich in der Luft – (Er tritt an die Türe rechts und klopft.) Seids bald fertig mit der Anzieherei? In einer halben Stund ist der Wagen des Königs da! – Vergeßt Euch nicht den Hals zu waschen – was? Wie? Also nur nicht renitent werden! Beherrsch dich gefälligst! T HOMAS (öffnet leise die Schranktüre und steigt vorsichtig aus dem Schrank.) B ADER (erblickt ihn und erschrickt.) Allmächtiger! T HOMAS Ich bins. B ADER (grinst geschwächt.) Thomas, der liebe Thomas – der hat mir noch gefehlt! Seit wann stecken wir denn wieder in diesem Schrank? T HOMAS (fährt sich mit der Hand über die Augen.) Was weiß ich, mir ist schon direkt übel – B ADER Wärst erstickt! T HOMAS Freundlich, sehr freundlich! – Wie war denn die Audienz?

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B ADER Die Damen haben gefallen. T HOMAS Bravo. Dann fahren wir morgen zurück. B ADER Möglich ist alles! Aber heut abend müssen wir noch zum König. Wir sind eingeladen, auf sein Lustschloß – T HOMAS „Lust“? – Um Gottes willen! B ADER Es ist sogar vorgesehen, daß wir eventuell sogar draußen übernachten – – T HOMAS Übernachten?! B ADER Möglich ist alles. Ich habs nicht arrangiert. T HOMAS Aber das wär ja grauenhaft! Nein, ich laß das nimmermehr zu, daß meine Braut da so einfach übernachtet! Nein, nein, nie! Ah, das wär das Schönste! B ADER Das Schönste her, das Schönste hin! Hör her, du Narr! Ich hab dich aus Hermannstadt mitziehen lassen, aber unter einer Bedingung, nämlich daß du unsere Expedition nicht hemmst! Wenn ich das geahnt hätte, was ich mir mit dir da aufhals, na servus! Diese ewigen Scherereien mit deiner hirnverbrannten Eifersucht! Was willst denn machen gegen den Willen eines Königs, Obernarr?! Und überhaupt: Du könntest dich nur geehrt fühlen, wenn ein König sich für deine Braut interessiert. T HOMAS Ich fühl mich aber nicht geehrt. Auf dieser Ebene gibts für mich keinen König! Da hört sich das Vaterland auf! Wenn er es wagen sollte – B ADER (unterbricht ihn entsetzt.) Halts Maul! Trottel! Verliert sich noch seinen Kopf – (Er sieht sich ängstlich um.) (Stille) T HOMAS Könnte ich mal meine Braut sprechen? B ADER Jetzt werd ich aber wirklich wild! Jetzt werd ich aber sogar rabiat! In einer halben Stund wird sie abgeholt, und du möchst sie vorher noch aufregen, was?! Wo sie eh schon nervös genug ist! Sitzt da drin und richtet sich her – Verschwind, sag ich dir, sonst – T HOMAS (unterbricht ihn.) Du drohst mir?! B ADER Jawohl, ich drohe dir! Noch ein Wort – und ich fang an zu weinen! Du reißt uns ja noch alle in die gediegenste Katastrophe! In einen Strudel! T HOMAS Gut, ich geh. Aber das eine merk dir: Wenn etwas passieren sollte, dann bin ich da – – Dann komm ich aus irgendeinem Schrank, und, wenns auch Gott behüt der König selber wär, ich bring ihn um! (rasch ab nach links) B ADER (sieht ihm nach.) Der hat mir aber wirklich noch gefehlt – – G RAF (tritt rasch links ein.) B ADER (erblickt ihn und erschrickt sehr.) G RAF (nähert sich ihm langsam und drohend.) B ADER (retiriert verlegen lächelnd.) G RAF (hält endlich und fixiert ihn.) Schurke. Lump. Verbrecher. B ADER Gnädigster Herr Graf – – G RAF Halt den Mund! Das also ist dein Muster – B ADER (windet sich.) Die Braut dieses Thomas – G RAF (unterbricht ihn.) Das ist die eine, und? B ADER (wie zuvor) Und die zweite: eine brave hochachtbare Witwe – G RAF „Hochachtbare“! B ADER Sehr wohl, gnädigster Herr Graf! Sie kommt aus Kronstadt, eine Kürschnermeisterswitwe –

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G RAF „Kürschner“? Dir müßte man mal das Fell abziehen, Verbrecher! Das ist keine Witwe, das ist eine Badmagd! Lüg nicht! Ich kenne sie genau! B ADER So? Und mir hat das Stück geschworen, es kennt Euch nicht! Na, der werd ichs aber geben! G RAF Egal! Und wenn du alle Dirnen aus Siebenbürgen hergebracht hättest – egal! Jetzt sag mir nur mal: Wer ist denn die dritte, he? Jawohl, die dritte? (Er zieht den Degen.) B ADER (verzweifelt) Herr Graf, nur kein Blut! Ich bin unschuldig, radikal unschuldig! Sie hat unseren Plan erfahren und hat mich gezwungen – – Tuns das Messer weg, Herr Graf! Jawohl, gezwungen hat sie mich, sie hat mich kommen lassen und hat mir gedroht, daß sie alles sofort verraten würd, unsere ganze Musteraffär, wenn ich sie nicht als dritte mitnimm – – Und, Herr Graf, ich konnts doch nicht verraten lassen, wenn das herausgekommen wär, daß der Graf von Hermannstadt seinen König betrügt – G RAF (unterbricht ihn.) Still! (Er sieht sich ängstlich um und steckt dann seinen Degen wieder in die Scheide.) B ADER (atmet erleichtert auf.) G RAF Schick sie heraus. B ADER Jetzt? Eine Viertelstund bevor die Equipage des Königs – – G RAF (unterbricht ihn.) Auf der Stelle! Los! B ADER Schön. Herr Graf, ich möcht nur noch bemerkt haben, daß die beiden anderen keine Ahnung haben, wer die dritte ist – – G RAF (herrscht ihn an.) Schick sie heraus! (Er zückt wieder etwas seinen Degen.) B ADER (rasch ab nach rechts) G RAF (allein; sein Blick streift die Blumen und bleibt dann unwillkürlich auf dem Testament des Baders, das noch immer auf dem Tische liegt, heften; er stutzt und liest.) „Mein Testament“ – – (Er blickt überrascht auf die Türe rechts und liest dann weiter.) – – „und so stifte ich dem Spital von Hermannstadt ein Bett für obdachlose Kellnerinnen, und mein Personal bekommt meine Badewannen“ – – (Er blickt wieder auf die Türe rechts und muß leise lächeln.) D IE B LONDE (kommt von rechts, sie ist noch nicht ganz angezogen und hält vor dem G RAFEN .) G RAF (starrt sie an.) D IE B LONDE (lächelt etwas unsicher.) G RAF (herrscht sie unterdrückt an.) Was fällt dir ein?! (Stille) B LONDE (wie zuvor) Ich weiß, du könntest mich töten. Könntest mich auf der Stelle durchbohren – – was? G RAF Mit Recht. B LONDE (wie zuvor) Natürlich. G RAF Mit was denn sonst! (Stille) B LONDE Als ich dich vorhin beim Statthalter sah, wurd es mir allerdings etwas schwindlig – – aber nur momentan. G RAF Mich traf fast der Schlag, als ich dich sah, dich, meine Frau – – B LONDE (fällt ihm ins Wort.) Niemand wird mich erkennen, da es ja niemand weiß, daß ich deine Frau bin! Wer ahnt es denn schon, daß du überhaupt verheiratet bist?!

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G RAF Gott sei Dank! (Er macht eine wegwerfende Geste.) B LONDE (herrscht ihn an.) Hör auf damit! (Stille) G RAF Was hast du hier vor? B LONDE Du hast mich auf deiner Burg wie eine Gefangene gehalten – – G RAF (fällt ihr ins Wort.) Mit Recht! B LONDE (lächelt seltsam.) Mit was denn sonst? (Stille) G RAF Wer hat dir die Sache mit dem Muster verraten? B LONDE Der Bader. G RAF Was?! Der?! B LONDE Ich ließ ihn nämlich mal auf die Burg kommen, damit er mir das Fieber nimmt, ich war so verkühlt und fühlte mich elend. Da erzählte er es, um mich zu erheitern – (Sie lächelt.) Und er hat mich auch erheitert, ich wurd sogar sofort gesund, denn ich sah sogleich, jetzt kannst du endlich verreisen! G RAF Und du hast ihm gedroht, wenn er dich nicht mitnimmt, alles zu verraten? B LONDE Es war nicht fein. Aber fünf Jahre Kerker – – G RAF (unterbricht sie.) Kerker? B LONDE Du hast mich auf deiner Burg wie eine Gefangene gehalten – Still! Eine Gefangene, ohne Liebe, ohne Freunde, ohne einen Kreuzer Geld! Ich konnt ja nirgendhin, mußt immer bleiben, bleiben, bleiben! Und die Welt wurd mir immer weiter, aber in der Nacht kamen die Sternlein zu mir. Wer kann von Sternlein leben? Ich nicht. (Stille) G RAF Du weißt, ich bin nicht schuld. Wenn du so lächelst, denk ich manchmal, du weißt es noch immer nicht, was du mir angetan hast. Warum bin ich denn nie zu Haus, warum betrink ich mich jeden Tag, warum verspiel ich denn alles?! Nur wegen dir! B LONDE Oh, wie oft hab ich schon bereut, daß ich es dir verschwiegen hab! G RAF Am Tag nach der Hochzeit hast du es mir gestanden. B LONDE Wenn ichs dir vorher gesagt hätte, hättest du mich nie geheiratet. G RAF Allerdings. B LONDE Drum hab ichs ja auch erst hinterher gesagt, denn ich hatte dich lieb. G RAF Ich dich auch. Aber du kannst es von mir nicht verlangen, daß ich mit einer Frau lebe, deren Familie verflucht ist. Begreifst du denn das nicht? B LONDE (nickt vor sich hin.) Ich begreifs, ich begreifs. G RAF Du hast mir den Fluch ins Haus gebracht. Nun haben wir es zu tragen, du und ich. Wir sind aneinandergekettet vor Gott. B LONDE (leise) Wenn ich nur mal mit Gott sprechen könnte – G RAF Das kann man immer. B LONDE Findest du? (Stille) G RAF Seit du mein Weib bist, geht alles krumm. Entweder regnets im Sommer, daß alles verfault, oder die Dürre verbrennt Feld und Flur. An unserem ersten Hochzeitstage hielt die Pest ihren Einzug in Hermannstadt, und an deinem Geburtstag überfielen uns die Horden des Sultans – Ich wette, diese Sache mit meinem Muster geht jetzt natürlich auch krumm, wenn du dabei bist – – B LONDE (fällt ihm ins Wort.) Oh, ich werd mich nur bemühen, damit du möglichst viele männliche Arbeitskräfte bekommst – Verlaß dich drauf!

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G RAF Dann bin ich aber wirklich verlassen! B LONDE Glaubst du denn wirklich, daß ich schuld bin an der Pest? G RAF Wer denn sonst? B LONDE Vielleicht hätte aber der Sultan auch ohne meinen Geburtstag angegriffen – – G RAF Lächerlich! Eine Frau, deren Tante als Hexe verbrannt wurde! Deren Großvater mütterlicherseits mit Satansrezepten Gold kochte, und deren Onkel man beide Ohren abschnitt, weil er behauptete, die Erde drehe sich um die Sonne! Eine segensreiche Rasse! Mit dir soll ich leben als Mann und Frau? Du sollst Mutter meines Kindes – – – B LONDE (hält sich die Ohren zu und unterbricht ihn schreiend.) Schweig! Schweig! Schweig! (Stille) G RAF Daß ich dich so blind heiratete, daß ich dich liebte, ohne zu fragen – – das war dein Werk. Du hast mich behext. B LONDE Willst du mich auch noch auf den Scheiterhaufen bringen? Ich bin keine Hexe! G RAF Dir trau ichs zu. B LONDE So reg mich doch jetzt nicht so auf, eine Viertelstund bevor ich zum König soll! (Stille) G RAF Hoffentlich bringst du dem König kein Unheil. B LONDE Hoffentlich. Ich möcht ihn nur gern kennenlernen, ich hätt ihm gar manches zu berichten. G RAF (mißtrauisch.) Was denn? B LONDE Nichts über uns speziell – – nur eben so manches, wovon er wahrscheinlich noch nie etwas hörte. G RAF Das gibt es nicht. B LONDE (lächelt.) Oh, doch! Der König ist nur von Männern umgeben, Männer regieren, und davon, was ich ihm erzählen möcht, davon wißt Ihr Männer nichts. G RAF Was willst du ihm denn erzählen? B LONDE Etwas vom Schicksal der Frauen in seinem Reich. G RAF (horcht auf und sieht sie groß an.) (In der Ferne ertönt Hörnerklang; die S CHWARZE und die R OTE eilen rasch von rechts herein und stürzen ans Fenster; sie sind ebenfalls noch nicht ganz fertig angezogen.) S CHWARZE Sie kommen, sie kommen! R OTE Sie blasen bereits! (Sie erblickt den G RAFEN und schrickt etwas zusammen.) S CHWARZE (erblickt ihn nun auch und deckt sich rasch zu; zur B LONDEN ) Wie kommt denn da ein Mann ins Zimmer? Skandal! Ein fremder Mann! B LONDE (lächelt.) Darf ich vorstellen: Dieser fremde Mann ist unser gnädiger Herr Graf, der Graf von Hermannstadt. S CHWARZE Oh! (Sie macht einen artigen Knicks.) B LONDE (deutet auf die S CHWARZE ; zum G RAFEN ) Das ist die Braut des Wirtes vom „Einhorn“, eine Jägerstochter aus Rotkirchen – – (Sie deutet auf die R OTE .) Und das ist eine Kürschnermeisterswitwe aus Kronstadt – –

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R OTE (fällt ihr ins Wort.) Kannst es ihm ruhig sagen, wer ich bin, der Bader hat mir schon Vorwürf gemacht, daß er mich erkannt hat! B LONDE Erkannt? (zum G RAFEN ) Ihr kennt Euch? R OTE Schon gar nicht mehr wahr! B LONDE (sieht den G RAFEN groß an.) G RAF (etwas verwirrt) Darf ich mich jetzt empfehlen – B ADER (erscheint vorsichtig in der Türe rechts; zur R OTEN ) Ist er weg? G RAF Noch nicht. B ADER (erblickt ihn, erschrickt und rasch wieder ab nach rechts.) G RAF (lächelt unwillkürlich und wendet sich dann an sein M USTER.) Also auf Wiedersehen beim König – – Wiedersehen! (ab nach links) D AS M USTER (macht einen Knicks.) R OTE (zur B LONDEN ) Laß dich nur mit dem nicht ein! Der ist gefährlich. B LONDE So? R OTE Er soll mal ein netter Bursch gewesen sein, aber seit er geheiratet hat – S CHWARZE (fällt ihr ins Wort.) Er ist verheiratet? R OTE Heimlich, ganz heimlich nur, aber mir hat ers erzählt. Die Tante seiner Frau hat ein Verhältnis mit dem Teufel gehabt, und seit dieser Zeit liebt der Graf seelisch kein Weib mehr. Er gebraucht uns nur. S CHWARZE Armer Graf! B LONDE Wieso arm? S CHWARZE Wenn er die Liebe nicht kennt – – Und dabei sieht er so gut aus. R OTE Besser schon wie dein Thomas. S CHWARZE Red nicht immer über meinen Bräutigam! Ich glaub schon, du willst ihn mir wegschnappen! R OTE Blöde Urschel! (Hörnerklang vor dem Hause) H OFWIRT (steckt bei der Türe links rasch den Kopf herein.) Der Wagen ist da! Der Wagen des Königs! (ab) S CHWARZE (ist mit der R OTEN ans Fenster geeilt.) Oh! Da reitens ja auch! Berittene, Berittene! R OTE Kavallerie! S CHWARZE Husaren! R OTE Meine Lieblingssoldaten! B ADER (erscheint vorsichtig in der Türe rechts; zur B LONDEN ) Ist er weg? B LONDE (nickt in Gedanken versunken.) Schon lang. B ADER (tritt aufrecht ein.) Also dann hurtig, hurtig! Weg dort vom Fenster! Ziehts Euch fertig an – los, los! (Er tritt ans Fenster und sieht hinab.) Großer Gott! S CHWARZE (zieht sich hurtig fertig an.) Sechs Schimmel ziehen die Equipage – und alles ist Gold und Glas! R OTE (zieht sich ebenfalls hurtig an.) Und Husaren, Husaren! Ein komplettes Fähnlein! B ADER (dreht sich vom Fenster dem M USTER zu; aufgeregt) Also das ist ein Märchen! Meiner Seel, ein Märchen! B LONDE (lächelt.) Vielleicht!

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Im Park vor dem Jagdschloß des Königs. Aus den hohen Türen fällt das Licht auf eine Terrasse, zu der einige Stufen emporleiten. Dort stehen M ATTHIAS und der H OFBEAMTE und blicken zum Himmel empor. Es ist eine warme Sommernacht, und in der Nähe rauscht der große Wald. M ATTHIAS Die Damen scheinen sich zu verspäten. H OFBEAMTER Weiber lassen sogar einen König warten. M ATTHIAS So? Nun, ich bin auf diesem Gebiete nicht so bewandert, ich kenne ja schließlich auch die Frau nur vom Kriegsschauplatz her – bessere Marketenderinnen und so. H OFBEAMTER Sind nicht die schlechtesten. M ATTHIAS Ich will auch nichts gegen sie gesagt haben, aber ich glaube, es ist doch nicht das richtige. Wenn man nur mehr Zeit hätt! Ein Wunder, daß ich mich heut abend freimachen konnte – Diesen türkischen Gesandten hab ich für morgen verschoben, weiß der Himmel, was der Sultan wieder plant! Ich muß um fünfe in der Früh aufstehen – jaja! Übrigens: Hast du auch schon Hunger? H OFBEAMTER Wenn mein Magen nicht an die Hofetikette gewöhnt wär, würd er schon längst knurren. M ATTHIAS Hier auf meinem Jagdschloß gibts keine Etikette, laß ihn ruhig knurren. H OFBEAMTER Ich werds ihm ausrichten. (Stille) M ATTHIAS Sag mal: Fiel es dir auch auf, wie nervös heut dieser Graf war? (Er lächelt ironisch.) Seit wann ist er denn herzkrank? H OFBEAMTER Ich glaubs auch, das war ein Schwindel. Er hat doch durch die Tür nach seinem Muster geschaut, und da wird er halt wahrscheinlich eine bemerkt haben, die ihn peinlich erinnert, vielleicht hat er sie mal gezwungen dazu – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Gezwungen? H OFBEAMTER Es sind doch seine Leibeigenen. M ATTHIAS Ah so – H OFBEAMTER Die müssen parieren. M ATTHIAS Richtig. Hm. (Er überlegt und sieht sich dann um.) Ich stelle mit Genugtuung fest, daß der Graf auch noch nicht erschienen ist. H OFBEAMTER Daß er es heut nicht begriffen hat, daß wir ihn nicht dabei haben möchten – Majestät hätten es ihm direkt sagen müssen, daß er nicht herauskommen soll. M ATTHIAS Das kann ich nicht. H OFBEAMTER Nun, Majestät, ich hab Euch schon sehr häufig sehr direkt reden gehört. M ATTHIAS Aber nicht in so einer privaten Angelegenheit. Freilich wärs blöd, wenn er käm. H OFBEAMTER Dann sags ich ihm, wie er kommt, daß er gleich wieder gehen soll – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Nein, nein, das sieht ja ganz dumm aus! Lassen wir ihn schon da! (Stille) H OFBEAMTER Apropos dumm: Wer hat es eigentlich angeordnet, daß dieses Muster mit sechs Schimmeln und Husaren abgeholt wird? M ATTHIAS Ich. H OFBEAMTER Ihr?!

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M ATTHIAS Ja. Warum? H OFBEAMTER Nichts. Ich fragte nur so. (Stille) M ATTHIAS So red doch. H OFBEAMTER Es ist wirklich nichts, Majestät. M ATTHIAS Jetzt befehl ich es dir, daß du sprichst! Sofort! Los! H OFBEAMTER Also, wenn Ihr es mit Gewalt hören wollt: Ich wollt mir nur zu bemerken erlauben, daß ich die sechs Schimmeln nicht versteh – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Wieso? Ich wollt den Frauen eine Freude machen! Wie unlängst diesem Sterngucker aus Bologna – den ließ ich doch auch mit Husaren abholen! H OFBEAMTER Einen Sterngucker schon, aber nicht ein Muster aus Selischtje. Ich wollt mir ja nur zu bemerken erlauben, man hätte diesen ganzen Transport auch etwas weniger auffällig arrangieren können, es muß ja nicht gerade ein jeder wissen, daß der König – – M ATTHIAS Du hast recht. (Er sieht sich um.) Wenn das Muster jetzt nicht bald kommt, dann essen wir allein und gute Nacht! H OFBEAMTER Aber Majestät werden sich doch nicht die Laune – – – M ATTHIAS (unterbricht ihn.) Reden wir von etwas anderem! (Stille) H OFBEAMTER (lauscht.) Was rauscht denn da so? Der Fluß? M ATTHIAS Nein, der Wald. H OFBEAMTER Herrlich, diese Luft! M ATTHIAS Ja. (Stille) H OFBEAMTER Ist es wahr, daß Ihr bei der letzten Hatz allein vier Eber erjagtet? M ATTHIAS Fünf. H OFBEAMTER Kolossal! M ATTHIAS Ja. (Stille) H OFBEAMTER Euere neuen Doggen sind herrlich. Besonders die Hündinnen – M ATTHIAS (plötzlich) Sag mal, welche gefällt dir am besten? H OFBEAMTER Die gefleckte. M ATTHIAS Wieso die gefleckte? Bist du irr? H OFBEAMTER (perplex) Ich versteh Euch nicht, Majestät – M ATTHIAS Ich frage dich, welche von den Weibern aus Selischtje dir am besten gefällt, und du antwortest: die gefleckte! Wir haben doch nicht von meinen Doggen gesprochen! H OFBEAMTER (lächelt verstohlen.) Ach so. (Stille) M ATTHIAS Na, welche gefällt dir? H OFBEAMTER Alle drei. M ATTHIAS Da bin ich bescheidener. Mir gefallen nur zwei. H OFBEAMTER Und welche nicht? M ATTHIAS Die Schwarze. Ich glaub, die ist dumm. H OFBEAMTER Möglich. Sie scheint allerdings noch ein bißchen sehr jung zu sein – M ATTHIAS Und ich kann mit sowas Jungem nichts anfangen! Nichts! (Er lächelt plötzlich.) Was? Ich sprich schon wie ein alter Roué –

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H OFBEAMTER (lächelt heimlich überlegen.) Fast! (Stille) M ATTHIAS Am besten gefällt mir – – Rat mal! H OFBEAMTER Die Blonde? M ATTHIAS Nein, die Rote! H OFBEAMTER So? M ATTHIAS Sie hat so etwas herrlich Selbstbewußtes – Ich liebe Frauen, die wissen, was sie sind! H OFBEAMTER Also diese Rote, die wirds sicher schon wissen, aber ich weiß nicht – (Er zuckt die Schultern.) M ATTHIAS Was gibts denn schon wieder? H OFBEAMTER Darf man ganz ohne Blatt vor dem Mund reden? M ATTHIAS Bitte, bitte! H OFBEAMTER Majestät, mir scheint, das ist eine – no ja. M ATTHIAS Eine was? H OFBEAMTER Majestät dürfen sich auf mich verlassen. An Hand meiner persönlichen Erfahrungen – M ATTHIAS (unterbricht ihn.) Unsinn! (Stille) M ATTHIAS Sag mal: Wie soll sich denn das jetzt eigentlich alles abwickeln? Ich meine, also wenn jetzt die drei kommen – H OFBEAMTER (fällt ihm ins Wort.) Ich habs mir folgendermaßen gedacht: Zuerst essen wir. M ATTHIAS Richtig. H OFBEAMTER Dabei trinken wir schon Wein, und dadurch wird ganz von allein alles angeregter. Dann überreichen wir den Damen die kleinen Präsente, über die sie sich phantastisch zu freuen haben – Nun, und dann, dann wird sich schon alles präzis abwickeln, so wie es eben kommen dürfte. M ATTHIAS (überlegt etwas.) Eigentlich ist es mir unangenehm – H OFBEAMTER Was? M ATTHIAS Diese ganze Affaire. Seine Majestät, der König, erobern ein Weib. Da ist doch nichts dabei – H OFBEAMTER Was soll denn da dabei sein? Ein Weib ist natürlich keine feindliche Burg – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Das ist es ja eben, daß nichts dabei ist! Der König kann jedes Weib haben – theoretisch. H OFBEAMTER Und praktisch auch. M ATTHIAS Noch dazu hier, unter seinem eigenen Dache! Diese Frauen aus Selischtje sind doch genau genommen meine Gäste, ich müßte sie ja beschützen, anstatt – Nein, ritterlich ist es nicht, unser Benehmen! Man müßt auch den freien Willen des Weibes achten. Zu einem ehrlichen Kauf gehört ein Käufer und ein Verkäufer, zum Rauben allerdings nur ein Räuber. H OFBEAMTER Ihr macht Euch sonderbare Gewissensbisse. Jedes Weib würde sich hochgeehrt fühlen – M ATTHIAS (unterbricht ihn.) Aber ich fühle mich nicht hochgeehrt! Am liebsten wäre mir, man könnt inkognito kommen – Vielleicht gehts auch, das Muster weiß es ja noch nicht, wer der König ist! H OFBEAMTER Theoretisch gings.

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M ATTHIAS Ich komm als Euer Adjutant. H OFBEAMTER (betrachtet ihn unwillkürlich.) Ob Ihr aber als Adjutant in der Praxis prompte Erfolge haben – M ATTHIAS (unterbricht ihn, fast scharf) Was heißt das? H OFBEAMTER (erschrickt.) Oh pardon! M ATTHIAS (fixiert ihn.) Du denkst – (Er sieht an sich herab.) Hm. Schon möglich, daß ich nicht direkt praktisch wirk – (Er lächelt ein bisserl traurig.) E IN L AKAI (erscheint in der Türe.) Die Damen aus Selischtje fahren soeben vor! H OFBEAMTER Endlich! (zum L AKAIEN ) Sofort! L AKAI (ab) M ATTHIAS (zum H OFBEAMTEN ) Geh jetzt nur allein hinein – H OFBEAMTER Aber Majestät – M ATTHIAS Nein, nein, laß mich nur noch etwas heraußen, ich werd dann schon kommen. Du bist wenigstens ehrlich zu mir, wenns auch nicht immer deine Absicht ist. Iß nur artig mit den Damen und sag ihnen, der König hat eine Konferenz, er kommt etwas später – geh! H OFBEAMTER (etwas bekümmert ab) T HOMAS (schleicht unterhalb der Terrasse von rechts herbei.) M ATTHIAS (erblickt ihn und starrt ihn an.) T HOMAS (bemerkt M ATTHIAS nicht und will an ihm vorbei auf die Türe zu.) M ATTHIAS (plötzlich) Halt! T HOMAS (erschrickt entsetzlich.) Himmel tu dich auf! M ATTHIAS (unterdrückt) Schrei nicht! Wer bist du? Wohin? T HOMAS Gnade, Herr! Gnade! M ATTHIAS Winsel nicht! Was hast du hier verloren?! T HOMAS Meine Braut, Herr! Meine Braut! M ATTHIAS (perplex) Deine Braut? T HOMAS (deutet auf die Türe.) Da drinnen! Dort nachtmahlt sie grad mit dem König! Tut mir nichts, edler Herr, Ihr habt doch sicher auch schon geliebt und habt es gefühlt, wie das brennt! (Er schluchzt.) M ATTHIAS (lächelt leise.) Das muß anscheinend sehr brennen. T HOMAS Der König ist zwar ein gerechter Mann, aber wie kann er einem sowas antun! M ATTHIAS Sei beruhigt: Da drinnen passiert nichts. T HOMAS Nichts?! Wenn ein König mit einem armen Mädchen nachtmahlt?! M ATTHIAS Der König ist nicht hochmütig. Er läßt auch einen armen Menschen an seinem Tische sitzen. T HOMAS Besonders wenn er einen Unterrock anhat. M ATTHIAS Du hast eine scharfe Zunge. T HOMAS Ich häng mich auf, ich häng mich auf. (Stille) M ATTHIAS (überlegt.) Also die eine ist deine Braut? T HOMAS (schluchzt wieder.) Ja. M ATTHIAS Hm. Ich dachte, Selischtje ist ein Dorf ohne Männer? T HOMAS (weinerlich) Ah was Selischtje! M ATTHIAS (horcht auf.) T HOMAS (wendet sich wieder der Türe zu.) M ATTHIAS Wohin?

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T HOMAS Ich bitt Euch, laßt mich mal durch die Tür dort hineinschauen, nur einen einzigen Blick – M ATTHIAS Ausgeschlossen! Der König hats verboten. T HOMAS Er muß es ja nicht erfahren. M ATTHIAS (horcht wieder auf.) Dann müßt ich ja den König betrügen – T HOMAS Meiner Treu! Als ob der nicht täglich hundertmal betrogen werden würd! M ATTHIAS Er wird betrogen? Der König? (lauernd) Wer betrügt ihn denn wohl? T HOMAS Alle. Jeder. B ADER (tritt durch die Tür auf die Terrasse.) M ATTHIAS (leise zu T HOMAS ) Weg! Es kommt wer! Wir sprechen uns noch! T HOMAS (versteckt sich.) B ADER (erblickt M ATTHIAS .) Ah, meine Hochachtung! Wir kennen uns doch vom Statthalter her, Ihr seid doch seine Schreiberseel oder so – M ATTHIAS (lächelt.) Sein Ratgeber. B ADER Auch ein Beruf! Hört mal: Ist Euer Herr, dieser besagte Statthalter, immer so neidig? M ATTHIAS Wieso? B ADER Kaum sitzen wir beim Essen, schickt er mich schon heraus – Er möcht sich mit den drei Weibern allein sein! Kapazität! Ich mach mir schon Sorgen, wenn der König sich noch lang verspätet – Dieses Muster ist ja, wenn überhaupt für wen, dann für den König bestimmt, aber der drin ist sich imstand und ramponiert mir noch meine mühsam zusammengeklaubte Kollektion! M ATTHIAS Kollektion? Zusammengeklaubt? B ADER No ja, man sagt das halt so. (Stille) M ATTHIAS Sagt mal: Es ist mir zuvor ein eigentümlicher Gedanke gekommen: Sind diese Frauen wirklich aus Selischtje? B ADER Der Gedanke ist gar nicht so eigentümlich, aber die Weiber sind wirklich aus Selischtje. M ATTHIAS Und die Zuhausegebliebenen sind auch alle so schön? B ADER Im Durchschnitt, ja. M ATTHIAS Dann gratulier ich Euch. Denn, wer den König betrügt, verliert den Kopf. B ADER Großer Gott! (Er sieht sich ängstlich um und will in den Park.) M ATTHIAS Wohin? B ADER Spazieren. M ATTHIAS Habt Ihr denn keinen Hunger? B ADER No, mir ist der Appetit ein bisserl vergangen – M ATTHIAS (freundlich, jedoch sehr bestimmt.) Geht jetzt nur trotzdem schön hinein und esset etwas. B ADER Aber er laßt mich ja nicht, Euer Herr! M ATTHIAS Sagt ihm, ich schick Euch, sein Ratgeber. Er hört auf meinen Rat. B ADER Schön. Ein bisserl ein Milchreis könnt einem alten Mann nix schaden – (ab durch die Türe) M ATTHIAS (sieht ihm nach, wendet sich dann wieder dem Park zu und ruft unterdrückt.) Hallo! Bist du noch da? T HOMAS (erscheint aus seinem Versteck.) Natürlich! M ATTHIAS Komm!

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T HOMAS Wer seid Ihr eigentlich? Türsteher, was? M ATTHIAS Auch das. T HOMAS Ihr kommt mir plötzlich so bekannt vor. M ATTHIAS Ich seh dem König etwas ähnlich. T HOMAS Dem? Der ist doch ein untersetztes Bürscherl, und den Kopf hält er immer ein bisserl so schief – Nein, dem seht Ihr nicht ähnlich! Ihr seid viel stattlicher! M ATTHIAS (lächelt.) Das freut mich! (Er sieht sich um.) Paß auf, du willst also, daß deiner Braut nichts passiert? T HOMAS Das will ich, meiner Seel! M ATTHIAS Gut, ich werde dir helfen – Ich garantier dir sogar, daß ihr nichts passiert! T HOMAS (hocherfreut) Wirklich?! M ATTHIAS Nicht so laut! T HOMAS Ich werd mich auch revanchieren – Da, da habens einen Taler! Wir sind ja nicht so! M ATTHIAS (steckt lächelnd den Taler ein.) Danke – T HOMAS Ich bin nämlich der Wirt vom „Einhorn“, und wenn Ihr mal nach Hermannstadt kommt, dann besucht mich nur, Ihr seid mein Gast, prima Haus und keine solche Kellnerinnenwirtschaft! Ihr sollt es nicht bereuen, daß Ihr meine ärmste Braut beschützen wollt! M ATTHIAS Die Ärmste wird beschützt – allerdings unter einer Bedingung. T HOMAS Bedingung? Ihr habt doch schon einen Taler bekommen! M ATTHIAS Das war nur Trinkgeld. T HOMAS Trinkgeld? Ein Taler?! Mit einem Taler, Herr, da hab ich schon ganz andere Leut bestochen! Da könnt ich erzählen, wenns Euch interessiert! M ATTHIAS Das interessiert mich sogar sehr. Das mußt du mir mal alles genau erzählen – Doch nun paß auf: Ich werde über deine Braut wachen, auf Leben und Tod, wenn du mir jetzt ehrlich antwortest: Sind diese drei Frauen aus Selischtje oder nicht? T HOMAS Das ist eine verzwickte Frage – M ATTHIAS Sie sind also nicht aus Selischtje? T HOMAS Tja! M ATTHIAS Dacht ich mirs doch! (Stille) T HOMAS Die Wahrheit wächst im Himmel, mein lieber Herr, doch die Wurzeln der Lüge gedeihen alle so um das Haus herum im täglichen Leben – – und der Teufel schleppt noch den Dünger herbei, damit sie besser wachsen. Diese drei Frauen sind so wenig aus Selischtje, wie der Turm da uns vis-á-vis oder dort drüben der Springbrunnen. Die Schwarze ist meine Braut – M ATTHIAS (unterbricht ihn.) Die Schwarze? T HOMAS Die Schönste! M ATTHIAS No ja! T HOMAS Sie ist aus Rotkirchen. Und die Rote ist aus Kronstadt, eine Kürschnermeisterswitwe, und die Blonde ist auch irgendwoher – mir scheint, aus Großwardein. Aber ich bitt Euch, verratet es keiner Seele, daß ichs Euch verraten hab! Ich wurd ja nur wegen meiner Braut zum Verräter. M ATTHIAS Wenn das der König erfährt – T HOMAS (unterbricht ihn.) Ah, das wär mir wurscht! Wenns nur der Graf nicht erfährt! Der ist imstand und vierteilt mich!

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M ATTHIAS (grimmig) Der Herr Graf haben also seinen König betrogen, damit er die männlichen Arbeitskräfte bekommt – T HOMAS Natürlich! H OFBEAMTER (tritt aus der Türe auf die Terrasse.) M ATTHIAS (unterdrückt zu T HOMAS ) Weg! T HOMAS (unterdrückt) Wiedersehen in Hermannstadt! (ab) M ATTHIAS (grimmig) Auf Wiedersehen! Wiedersehen! H OFBEAMTER Mit wem habt Ihr denn jetzt gesprochen? M ATTHIAS Nur mit mir selbst. H OFBEAMTER (horcht perplex auf.) Ich wollt mir nur erlauben zu fragen, wann Majestät hereinkommen, wir halten bereits beim Dessert – M ATTHIAS (unterbricht ihn grimmig und wird immer wütender.) Ich brauch kein Dessert! Am liebsten würd ich jetzt da hinein und alles kurz und klein schlagen! Eine solche Niedertracht! Mir das anzutun! Dieser Bursche gehört ja geköpft, geköpft! H OFBEAMTER (entsetzt) Majestät! Welcher Bursche, um Gottes willen?! M ATTHIAS Und diese Weiber gehören in Ketten gelegt und hinausgeschmissen! H OFBEAMTER (wie zuvor) Majestät, mir scheint, es ist Euch nicht ganz wohl – Ihr habt Euch hier draußen verkühlt und fiebert – M ATTHIAS (unterbricht ihn.) Ich fiebere nicht! Wohl ists mir allerdings auch nicht! Aber es ist wahr: Diese armen Weiber können ja nichts dafür – Sie wurden ja „zusammengeklaubt“, zusammengepreßt durch List, Betrug, Willkür! Zusammengefangen wie das liebe Vieh! H OFBEAMTER (immer entsetzter) Zusammengefangen?! M ATTHIAS Ja, um abgestochen zu werden! H OFBEAMTER (verzweifelt) Abgestochen?! Majestät, ich werd verrückt! M ATTHIAS Das glaub ich dir gern! Laß mich allein! Glotz mich nicht so geistvoll an! Geh und mach mit diesem Muster, was dir beliebt – das heißt: mit einer Ausnahme! Wenn du die anrührst, laß ich dich auch köpfen! H OFBEAMTER (verwirrt) Welche? Die Rote? M ATTHIAS Falsch! Die Schwarze! H OFBEAMTER (total verwirrt) Die Schwarze? Aber die ist doch dumm, sagtet Ihr! Und außerdem bin ich ja grad – M ATTHIAS (unterbricht ihn.) Du wirst bei dieser Schwarzen nirgends grad sein, verstanden? Schick sie heraus! Auf der Stell! Heraus damit! H OFBEAMTER (total verwirrt ab durch die Türe) M ATTHIAS (allein) Männer will er von mir haben, der Herr Graf von Hermannstadt? Männer – (Er grinst grimmig.) Gut, er soll erhalten, was er verlangt. Aber ich will ihm eine solche Sorge an den Hals hängen, daß Herr Graf zeitlebens daran denken werden – D IE S CHWARZE (tritt mit der B LONDEN durch die Türe auf die Terrasse.) M ATTHIAS (schroff) Hierher! S CHWARZE (schüchtern) Was wollt Ihr? B LONDE (stutzt einen Augenblick, da sie M ATTHIAS erblickte, und sieht nun genauer hin.) Ach, Ihr habt uns rufen lassen? M ATTHIAS (wie zuvor) Euch hab ich nicht rufen lassen! B LONDE (lächelt leise.) Ich bin nur mit, weil meine Freundin Angst hatte – – S CHWARZE Man schickt mich in die Nacht hinaus –

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B LONDE Wenn Ihr einer von uns was zu sagen habt, warum kommt Ihr nicht herein? Warum sollen wir heraus? Ihr seid doch dem Statthalter sein Ratgeber, nicht? M ATTHIAS (etwas perplex über ihren Ton) Ja. B LONDE Ich hab Euch gleich erkannt. M ATTHIAS (fixiert sie etwas lauernd und winkt dann der S CHWARZEN .) Komm! Wir beißen dir nichts ab – S CHWARZE (nähert sich ihm langsam und hält vor ihm.) M ATTHIAS (betrachtet sie; leise, damit es die B LONDE nicht hört) Ein Mann will dich haben – S CHWARZE (fällt ihm entsetzt ins Wort.) Heiliger Himmel! M ATTHIAS Kreisch nicht! Ich hab es deinem Bräutigam versprochen, daß ich über dich wachen werde. Schau hin! (Er deutet nach dem Park zu.) Dort steht er! Dort hinter dem Baum! S CHWARZE (überglücklich) Thomas! M ATTHIAS Geh hin und ab! S CHWARZE (will hinlaufen, hält jedoch plötzlich wieder und sieht sich ängstlich um.) M ATTHIAS Was hast denn? S CHWARZE Angst. M ATTHIAS Vor wem denn? S CHWARZE Vor dem König. Wenn der jetzt kommt, und ich bin nicht da – M ATTHIAS (muß lächeln.) Hast Angst vor dem König? (Er zeigt ihr den Taler, den er von T HOMAS bekommen hat.) Schau, diesen Taler, da ist sein Bild droben – Sieht er denn so grausam aus? S CHWARZE (betrachtet den Taler.) Nein, das nicht – (Sie zuckt plötzlich zusammen und starrt M ATTHIAS an, schaut dann wieder auf den Taler und starrt dann wieder den KÖNIG entgeistert an.) Majestät! Majestät – (Sie will in die Knie fallen.) M ATTHIAS (läßt es nicht zu.) Nicht knien! Das vertrag ich nicht! Lauf nur jetzt zu deinem Bräutigam, gib ihm diesen Taler und einen schönen Gruß von mir, er solls nur ja nie wieder wagen, derartige Trinkgelder zu verteilen! Diesmal hat er ja noch Glück gehabt, daß er nur seinen eigenen König bestochen hat – Geh! Lauf zu! S CHWARZE Aber wie kommen wir durch die Wachen? M ATTHIAS Dort ist ein Hintertürl! Marsch! S CHWARZE (überglücklich) Thomas! Thomas! (Sie lauft in den Park und ab.) M ATTHIAS (blickt ihr nach.) B LONDE Glaubt Ihr, daß der König noch kommt? M ATTHIAS Kaum! B LONDE Das wär aber nicht schön von ihm, uns sitzen zu lassen – M ATTHIAS (fällt ihr ins Wort.) Er hat halt zu tun. Denkt nur an unsere lieben Türken, zum Beispiel! B LONDE Ja, man weiß es nie, ob man nicht eines Tages aufwacht, und die Türken sind da – M ATTHIAS Die Türken werden nicht da sein. Nie! B LONDE Woher wollt denn Ihr das wissen? M ATTHIAS Weils mir der König gesagt hat. (Stille) B LONDE Weiß der König, daß es vielen Frauen in seinem Reich ganz egal wär, ob die Türken kommen oder nicht? M ATTHIAS (fährt hoch.) Was?!

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B LONDE Bei den Türken hat die Frau keine Seele. Bei uns ja – – Aber sie wird trotzdem nicht für voll genommen und wird gar meistens behandelt, als wär sie ein liebes Stück Tier ohne Seele. Bei den Türken sitzt die Frau im Harem, bei uns im besten Fall in der Küche – M ATTHIAS Das ist irgendwo nicht unrichtig – B LONDE Bei den Türken dient die Frau dem Mann und bei uns – M ATTHIAS (unterbricht sie.) Bei uns im Abendland ist die Frau jedenfalls keine Sklavin! B LONDE (lächelt.) Weiß der König, daß es im Abendland ein Gesetz gibt, daß der Mann die Frau züchtigen darf, daß aber die Frau bestraft wird, wenn sie den Mann schlägt? M ATTHIAS Das ist nicht wahr! B LONDE Doch! Doch! Seht nur mal nach! Weiß der König, daß es die Frauen in seinem Reiche viel schwerer haben wie die Männer? Denn die Frau hat nur einen Beruf: Das ist der Mann. Und was ist der Kampf der Männer gegen die Türken im Vergleich zu dem Kampf der armen Frauen untereinander um einen Mann! Um den Mann, bei dem jede Frau jedesmal dem Tod begegnet, wenn sie ihm das Leben gibt. Weiß der König, wie der Mann das lohnt? (Stille) M ATTHIAS Sagt mal: Welcher Mann hat Euch das alles erzählt? B LONDE (lächelt.) Diese Frage hab ich erwartet, sie kam auch prompt, aber ich muß Euch mit meiner Antwort leider enttäuschen: Ich habe selber darüber nachgedacht – Jaja, wir Frauen haben auch ein Hirn, wenns auch nicht immer im Kopf sitzt. Wenn man jahrelang allein ist, dann fängt man an zu denken. M ATTHIAS (horcht auf.) Ihr seid allein? B LONDE (lächelt.) Ja und nein. M ATTHIAS Was heißt das? B LONDE Theoretisch bin ich zu zweit, in der Praxis aber allein. M ATTHIAS Aha! Ihr seid unglücklich verliebt? B LONDE Ja. (Stille) M ATTHIAS Eigentlich ist man immer allein. B LONDE Oho. (Stille) M ATTHIAS Ich war immer allein. B LONDE Dann habt Ihr noch nie richtig geliebt – M ATTHIAS Dazu braucht man Zeit. B LONDE (lächelt.) Nicht nur das. (Stille) M ATTHIAS (fixiert sie.) Wer seid Ihr? B LONDE Ich bin sogar verheiratet. M ATTHIAS (lächelt verschmitzt.) Witwe? B LONDE Ja und nein. M ATTHIAS (wie zuvor) Ich dachte, in Selischtje gibts keine Männer – B LONDE (lacht.) Ich weiß schon, daß Ihr den Schwindel durchschaut habt, der Bader hat mich bereits gewarnt! M ATTHIAS (perplex) Was für ein Bader? B LONDE Der Alte, der sich hier als Präfekt ausgegeben hat.

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M ATTHIAS Das wird ja immer schöner! Ein Bader?! B LONDE Es tut mir leid, daß ich als Muster zum König kam, aber manchmal kommt man ohne einen kleinen Betrug nicht dazu, die Wahrheit zu sagen. Wie ich den König sehe, sag ichs ihm sogleich, daß ich nicht aus Selischtje bin – Ich will ihn nämlich nicht betrügen. M ATTHIAS (unwillkürlich) Warum nicht? B LONDE Weil er mir gefällt. (Stille) M ATTHIAS Ihr kennt den König? B LONDE Ja. Das heißt: persönlich noch nicht, aber von vielen Bildern – M ATTHIAS Und wie gefällt er Euch? B LONDE Sehr. (Stille) M ATTHIAS Hat er nicht zu lange Ohren? B LONDE (lächelt.) Oh nein! Immer sieht er so ernst drein, auch ein bißchen traurig – und doch ist er nur ein Lausbub. Er muß sehr gescheit sein – M ATTHIAS Hoffentlich! B LONDE Sicher. (Stille) M ATTHIAS (sieht sich um; leise) Ich muß Euch nun etwas sagen, aber nicht erschrekken und nicht böse sein – B LONDE Was? M ATTHIAS Aber nicht bös sein, ja? B LONDE (lächelt.) Nein. Nie. M ATTHIAS (sieht sie nochmals an; dann sehr leise) Ich bin der König. B LONDE (wie zuvor) Warum soll ich da böse sein? Ich wußt es ja schon längst – M ATTHIAS Ihr wußtet es? B LONDE Schon Mittag beim Statthalter – Ich hab Euch gleich erkannt. Von den Bildern, die bei mir hängen. Und so seid Ihr auch. Ich kenne Euch genau. G RAF (tritt durch die Türe rasch auf die Terrasse, erblickt die beiden, hält und starrt hin.) M ATTHIAS Ach, unser Graf von Hermannstadt! G RAF Majestät – M ATTHIAS (fällt ihm ins Wort.) Du kommst spät. Wir haben dich nicht mehr erwartet. G RAF Ich wollte auch nicht kommen, aber dann war es mir doch, als müßt ich mal nachsehen, es ist doch schließlich mein Muster – – (Er grinst.) M ATTHIAS (fixiert ihn.) Was fehlt dir denn? Du bist ja ganz weiß – G RAF Nichts, Majestät – es ist nur das Herz. Manchmal hörts auf – M ATTHIAS (horcht auf und wirft einen forschenden Blick auf die B LONDE .) Schon wieder? B LONDE (lächelt schwach.) Ja. (Stille) M ATTHIAS Nun, Graf von Hermannstadt, Wir halten Unser Wort: Wir werden dreihundert der tüchtigsten Männer in Selischtje ansiedeln, denn das Muster, das du Uns gesandt hast, ist wahrlich schön. Wir haben Uns entschlossen, im Herbst Selischtje zu besuchen, um dort zu jagen und Uns die zu Haus gebliebenen Frauen anzusehen. Wir wollen selber beurteilen, ob sie in punkto Schönheit aus demselben Neste kommen wie die Uns gesandten. Wenn nicht, verlierst du deinen Kopf.

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B LONDE (entsetzt) Majestät! M ATTHIAS (sieht sie überrascht an.) (Stille) G RAF (zu M ATTHIAS ) Ihr wollt nach Selischtje – – M ATTHIAS (unterbricht ihn, ohne den Blick von der B LONDEN zu wenden.) Ich hoffe, du hast mich verstanden – B LONDE (zu M ATTHIAS ) Ihr könnt ihm doch nicht den Kopf – M ATTHIAS (unterbricht sie.) Was habt Ihr denn beide miteinander? G RAF Nichts. (Stille) M ATTHIAS (lauernd) Sie ist doch deine Leibeigene! B LONDE (leise) Ja. (Sie wirft einen traurigen Blick auf den G RAFEN und langsam ab durch die Türe.) G RAF Sie ist eine Hexe. M ATTHIAS Was sagst du? Hexe? G RAF Ihr Auge ist süß und herb – Sie lächelt in der Sonne und sehnt sich nach ewiger Nacht. Sie bringt Unheil, nur Unheil – – (verstört ab in den Park) M ATTHIAS (sieht ihm nach.) Unheil? E INE F RAUENSTIMME (singt im Schloß zur Laute ein trauriges Lied.)

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Es ist ein Schnee gefallen Und es ist doch nicht Zeit Man wirft mich mit dem Ballen Der Weg ist mir verschneit. 25

Mein Haus hat keinen Giebel Es ist mir worden alt Zerbrochen sind die Riegel Mein Stüblein ist mir kalt. 30

Ach Lieb, laß Dichs erbarmen Daß ich so elend bin Und schließ mich in dein Armen So fährt der Winter hin – 35

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M ATTHIAS (lauschte, ging langsam zur Türe und winkt hinein.) D ER L AKAI (erscheint.) M ATTHIAS Welche singt denn da? L AKAI Die Blonde. M ATTHIAS So? B LONDE (singt weiter im Schloß.) Da unten in jenem Tale Da treibt das Wasser ein Rad Das treibet nichts als Liebe Vom Abend bis wieder an Tag Das Rad, das ist gebrochen Die Liebe, die hat ein End

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Und wenn zwei Liebende scheiden Sie reichen einander die Händ.

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M ATTHIAS (lauscht wieder; zum L AKAIEN ) Was macht denn die Rote? L AKAI (verlegen) Die – die ist verschwunden, Majestät. Mit Seiner Exzellenz – M ATTHIAS Ahso. (Stille) L AKAI Majestät – M ATTHIAS Was gibts? L AKAI Majestät, der alte Herr, der mit den Damen aus Selischtje gekommen ist, der ist auch verschwunden, wollt ich nur untertänigst melden. M ATTHIAS Wohin? L AKAI Fort. In größter Eile, Majestät! Es sah fast aus wie eine Flucht – M ATTHIAS (lächelt.) Aha! (Er wird wieder ernst.) Wer ist denn noch bei der Blonden? L AKAI Niemand, Majestät. Die Dame sitzt allein im Zimmer. M ATTHIAS Allein? L AKAI (verbeugt sich und ab.) B LONDE (singt wieder im Schloß.) Da droben auf jenem Berge Da steht ein goldenes Haus Da schauen wohl alle Frühmorgen Drei schöne Jungfrauen heraus Die eine, die heißet Elisabeth Die andere Bernharda mein Die dritte, die will ich nicht nennen Die sollt mein Eigen sein. M ATTHIAS (langsam ab durch die Tür, als würde er dem Lied folgen.)

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Vorhang.

SECHSTES BILD. 35

Im Hofgasthaus. Wieder im Appartement des Musters. Der Morgen dämmert, aber es ist noch Nacht. Der B ADER in Unterhosen packt rasch seine Gala ein. Der H OFWIRT kommt von links in Schlafrock und Zipfelmütze; er hat eine Kerze in der Hand und ist sehr neugierig. 40

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H OFWIRT Man hat mich grad geweckt. Ihr seid schon zurück – Wie wars denn beim König? Was hat sich denn getan? B ADER (läßt sich beim Packen nicht stören; grimmig) Getan hat sich allerlei … H OFWIRT Was hat denn der König gesagt? B ADER Gar nichts hat er gesagt. H OFWIRT Wie soll ich das verstehen? Sprecht! Werdet deutlicher! B ADER Schön, dann werd ich deutlicher! Der König war gar nicht da. H OFWIRT (perplex) Gar nicht da?!

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B ADER Wann fährt die nächste Post? H OFWIRT Wohin? B ADER Nach Hermannstadt. H OFWIRT Ihr wollt auch bereits retour? B ADER Wieso auch? H OFWIRT Weil schon zwei nach Hermannstadt fahren, aber die sind derart verliebt ineinander, daß man nichts aus ihnen herausquetschen kann – – Die sehen und hören nur sich – B ADER (unterbricht ihn.) Von mir aus! H OFWIRT Wenn Ihr wüßtet, wer die beiden sind – B ADER (wie zuvor) Mir ist das wurscht! H OFWIRT Ich täts Euch ja gern erzählen – B ADER (wie zuvor) Es interessiert mich nicht, Herr! Ich hab jetzt andere Sorgen! R OTE (kommt von links; sie macht einen mitgenommenen Eindruck und ist noch immer etwas beschwipst; zum B ADER ) Servus, Majestät! B ADER (erblickt sie und greift sich an den Kopf) Großer Gott! H OFWIRT (zur R OTEN ) Ah, Küß die Hand, Gnädigste, ergebenster Diener, meine Verehrung. R OTE (fällt ihm ins Wort.) Servus, servus! (Sie setzt sich.) Püh, hab ich müde Füß – B ADER Eine Frau soll nie sagen, daß sie müde Füß hat. Weil das desillusioniert. R OTE (macht eine wegwerfende Geste.) Die Illusion ist ein schwankes Rohr im Winde – (zum H OFWIRT ) Der Herr Statthalter haben mich hergefahren. Ein netter Mensch, ein flotter Gesellschafter und sehr belesen! Aber ein bisserl geizig – B ADER Benimm dich! (zum H OFWIRT ) Also seiens so gut und beschaffens mir einen Postplatz nach Hermannstadt, Raucher, Fenstersitz, in der Fahrtrichtung – (Er schreit ihn plötzlich an, weil der kaum hinhört und nur die R OTE betrachtet, die sich das Strumpfband richtet.) Aber expreß, expreß, expreß! H OFWIRT (braust auf.) Was schreiens mich denn so an?! B ADER (schreit.) Weil ich nervös bin! H OFWIRT (wütend) Adieu! (ab nach links und schlägt hinter sich die Türe zu.) B ADER (ruft ihm nach.) Sie, hauens da keine Türen zu, Sie sind nicht bei mir zu Haus! – Auch ein Hotelier! R OTE Du fährst schon retour? B ADER Wir sind nicht per du. R OTE (ruhig) Kusch. B ADER (fixiert sie.) Wieviel haben wir denn getrunken? R OTE Zirka zwei Liter. B ADER Dann seis dir verziehen. (Stille) R OTE Ich fahr aber noch nicht retour. Morgen bin ich nämlich wieder mit dem Statthalter verabredet, er läßt mich in einer Sänfte abholen, hat er gesagt – Er soll mir lieber drei Taler schenken, was hat man schon von einer Sänfte? Man sitzt drin, und das ist alles. Er will mir seine türkischen Degen zeigen, aus Damaskus. Er sagt, er wär der größte Privatsammler. Eigentlich ist er ein ordinärer Mensch. Da ist mir ja der Graf noch lieber, der hat wenigstens etwas Gefährliches – B ADER (hat nun fertig gepackt, zieht sich seinen Reiseanzug an und nähert sich langsam der R OTEN .) Ich hab mir jetzt was überlegt. Du stehst mir von Euch drei Wei-

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bern ohne Zweifel am nächsten, schon rein beruflich – Also hör her: Laß den Statthalter Statthalter sein, bleib nicht hier, sondern hau ab, und zwar so hurtig wie nur möglich! R OTE Warum? B ADER Weil es sich herausgestellt hat, daß das Muster nicht aus Selischtje ist. R OTE Was?! Also ich hab kein Wort, kein Wort! B ADER Möglich! Aber ich hab mit diesem Ratgeber gesprochen, und ich laß mir die Händ abhacken, wenn dieser Bursche nicht alles weiß! Hau ab, hau ab! Ich mein das jetzt direkt väterlich! R OTE Wohin? Nach Hermannstadt? B ADER Aber keine Idee! Ich hab doch zuvor das Billett nur bestellt, damit ich die Häscher auf eine falsche Spur lock! Ich fahr in die Türkei – – und, weißt was? Fahr mit! R OTE In die Türkei? B ADER Was hast du denn hier schon verloren? Man sperrt dich ein, man schneidet dir die Haar ab, man stellt dich auf den Pranger und spuckt dir ins Gesicht – ein so ein begabtes Kind! Wirst sehen, in der Türkei machen wir beide unser Glück. Wir ergänzen uns ja, ich werd dich offerieren und bring dich garantiert in einen glänzenden Harem hinein, und schon haben wir beide ausgesorgt! R OTE Du im Harem? Was willst denn du dort werden? B ADER Was kann ich schon in einem Harem werden? Eunuch! R OTE Wie du das sagst! Als wär das nichts – B ADER Für mich ist das nichts, verlaß dich drauf! G RAF (kommt verstört von links und sieht den B ADER finster an.) B ADER Schauens mich nicht so an, Herr Graf! Ich bitt Sie nur, machens lieber kurzen Prozeß und bringens mich gleich um! G RAF Ich bin jetzt zu müde dazu, um dich zu töten – (Er lächelt wehmütig und setzt sich langsam.) Stundenlang irr ich schon herum – Ich find und find keinen Ausweg mehr. Mein Kopf, mein Kopf! R OTE Tut er Euch weh, Herr Graf? G RAF Das auch. R OTE Dann hol ich ein Pulver – (Sie will nach rechts ab.) G RAF Danke, danke! Er soll mir ruhig wehtun. Jetzt soll er noch machen, was er will. Ich hab ihn eh nimmer lang – – B ADER (entsetzt) Herr Graf! G RAF (ruhig) Du halt den Mund. Dir passiert nichts. Dieser König pflegt ja immer nur den Kopf zu bestrafen, das Hirn, den Führer – Jaja, die kleinen Diebe läßt er laufen, und die großen hängt er auf. Er liebt uns halt nicht, uns Aristokraten – (Er lächelt wieder wehmütig.) B ADER (horcht erfreut auf.) Der König wird mir nichts tun? G RAF Nein. Aber ich. Ich laß dich rösten. R OTE Geh, Herr Graf, seiens doch nicht immer gleich derart pessimistisch! G RAF (lächelt selbstironisch.) Hast recht – Ich hab ja allen Grund, um befriedigt zu sein! Sieg auf der ganzen Linie! Seine Majestät, der König, geben dem Grafen von Hermannstadt dreihundert tüchtige Männer! R OTE Ist das wahr?! G RAF Er hats mir selber gesagt. B ADER Na also!

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G RAF Aber Seine Majestät wollen diese Männer höchstpersönlich nach Selischtje bringen, um sich höchstpersönlich zu überzeugen, ob die dreihundert Damen von Selischtje so schön sind, wie mein Muster es ist. Sind sies nicht, verlier ich meinen Kopf. B ADER Krach in die Melone! G RAF Er hats mir selber gesagt. R OTE (zum G RAFEN ) Ihren Kopf? B ADER Ich wunder mich nur, wieso hat mich heut noch nicht der Schlag getroffen – (Er will ab nach links.) G RAF (automatisch) Wohin? B ADER Bin gleich wieder da – (ab nach links) (Stille) R OTE (nähert sich langsam dem G RAFEN .) Jetzt müßt Ihr fliehen? G RAF (lächelt wehmütig.) Vertrieben von Haus und Hof – (Er starrt ernst vor sich hin.) Ich kann ohne Geld nicht leben. R OTE Das kann niemand. (Stille) G RAF Wie verdient man Geld? R OTE Mit oder ohne Arbeit? G RAF Ohne. (Stille) R OTE (betrachtet ihn ernst und liebevoll.) Verlaß dich auf mich. G RAF (sieht sie erstaunt an.) R OTE (wie zuvor) Du liegst auf der Straße? G RAF Ja. R OTE Dann bleib ich bei dir. (Sie setzt sich neben ihn.) G RAF (horcht etwas auf und wirft einen Blick auf sie; dann nimmt er seinen Degen und zeichnet am Boden.) R OTE Was zeichnest denn da? G RAF Manderln. (Stille) R OTE Eigentlich hast du mir immer gefallen. und ich habs mir immer heimlich gewünscht, wenn er nur nichts hätt, wenn er nur nichts wär, wenn er nur ganz zugrund gehen würd – dann würd er mir nämlich erhalten bleiben. G RAF Das hast du dir gewünscht? R OTE . Ja. G RAF (ohne jede Bitterkeit) Das ist lieb von dir. R OTE (lächelt leise.) Komisch. Jetzt ists mir, als hätt ich uns hier schon mal sitzen gesehen – Komm, gib mir einen Kuß. G RAF (gibt ihr einen Kuß.) R OTE . Ich küß nämlich sonst gar nicht gern … B ADER (kommt wieder von links.) T HOMAS (kommt rasch mit der S CHWARZEN reisefertig von rechts.) B ADER (schreit entsetzt auf.) Thomas! T HOMAS (lächelt glücklich.) Da schreist, was?! Habe die Ehre, Herr Graf! Auf gehts! Nach Hermannstadt! Und in drei Wochen ist Hochzeit! S CHWARZE Der König hats uns erlaubt! B ADER Wer hats Euch erlaubt?!

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S CHWARZE Seine Majestät, Matthias Corvinus, König von Ungarn! T HOMAS Ja, ich hab ihn bestochen – B ADER Bestochen?! S CHWARZE Mit einem Taler. B ADER (völlig verwirrt) Mit nur so wenig?! Wo, wo habt Ihr denn den König bestochen, wollt sagen: getroffen? T HOMAS Draußen im Schloß. B ADER Der war draußen?! S CHWARZE Ihr habt ja auch mit ihm dischkuriert! B ADER Ich?! S CHWARZE Auf der Terrasse. Der König war niemand anderer, als dieser Ratgeber – (Sie lacht leise.) B ADER (außer sich) Dieser?! Jener?! Jetzt häng ich mich auf! R OTE Das war der König?! T HOMAS Ja. R OTE Wenn ich das gewußt hätt! B ADER (völlig verzweifelt) Er hat mir noch gesagt: „Wer den König betrügt, der verliert den Kopf“ – Ich bitt Euch, schauts hinaus, ob die Häscher sich schon nahen – S CHWARZE Aber der König nimmts doch nicht so tragisch! Er ist ein gerechter Mann – – T HOMAS (fällt ihr ins Wort.) Komm! Höchste Zeit, sonst verpassen wir noch unsere eigene Hochzeit! (zum G RAFEN , der während der ganzen Szene kaum reagierte und nur seine Manderln zeichnete) Habe die Ehre, Herr Graf! (zum B ADER und zur R OTEN ) Auf Wiedersehen in Siebenbürgen! S CHWARZE Beim Einhorn, beim Einhorn! (ab mit T HOMAS nach links) R OTE (plötzlich) Wenn ich das gewußt hätt! B ADER Was? R OTE Daß dieses Bürscherl er selber ist! Dann hätt ich mich doch nicht mit dem Statthalter abgegeben, sondern gleich mit ihm selber – ein so ein Pech! Jetzt hat sie ihn. B ADER Wer? R OTE Sie ist mit ihm auf einer Bank gesessen, im Mondschein – Hand in Hand wie die Kinder. Ich habs deutlich gesehen vom ersten Stock und hab mir noch gedacht, da schau her, die gibt sich mit einem Schreiber ab, wo ich einen Statthalter hab! Ich war noch stolz, recht geschiehts mir! B ADER (lauernd) Mit wem ist der König auf der Bank gesessen? R OTE Na mit der Blonden! B ADER (schluckt.) Das ist zuviel. G RAF (faßt sich ans Herz.) B ADER (schreit den G RAFEN plötzlich an.) Ich bitt Sie, bringens mich aber jetzt endlich auf der Stell um, ja?! Nur nicht wieder verschieben, meine Nerven halten das nicht mehr aus. R OTE (perplex zum G RAFEN ) Was hat er denn? G RAF Laß mich in Ruh! (Stille) R OTE Wer ist denn eigentlich diese blonde Person? Zu uns gehört sie mal sicher nicht, aber raffiniert ist dir die für zwölfe! Der Teufel soll mich auf der Stelle holen,

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wenn die uns nicht alle in die Tasche steckt! Ich täts auch beschwören, sie hat es schon vorher gewußt, daß dieses Bürscherl der König ist! G RAF (unheimlich ruhig) Sie saß auf der Bank? R OTE Ja. G RAF Mit dem König? R OTE Ja. G RAF Und? R OTE Und – – no und: nichts. Eigentlich war nichts – G RAF (grimmig) Eigentlich – R OTE Was habt Ihr denn mit dieser Blonden, daß Ihr so aus dem Häusel seid? G RAF (zum B ADER ) Sags ihr! B ADER (erschöpft) Ich kann nicht mehr. G RAF (zur R OTEN ) Sie ist meine Frau. R OTE (außer sich) Frau?! Euere Frau?! Die Gräfin von Hermannstadt?! Ujjegerl! B ADER (hält sich die Ohren zu.) Kreisch nicht! R OTE Ich sags ja immer: Man lernt nicht aus, man lernt nicht aus! Eine Gräfin von Hermannstadt! Armer Herr Graf! G RAF Bemitleid mich nicht! R OTE Nanana! Gar so von oben herab – (Stille) B ADER (verwirrt) Das beste ist, Herr Graf, Ihr geht, wies Tag wird, zum ersten nächsten Advokaten und laßt Euere Ehe für ungültig – G RAF (unterbricht ihn.) Hier wird nichts für ungültig erklärt, nichts, nichts! Nein, das laß ich nicht zu! Und wenn sie mir alles Unheil der Welt bringt, diesseits und jenseits – Ich laß es nicht zu, ich laß es nicht zu! R OTE Ihr seid besessen! G RAF Das wär kein Wunder! (Er will nach links ab.) B ADER (entsetzt) Wohin, großer Gott?! G RAF Jetzt hol ich sie mir! (rasch ab nach links) B ADER Ein Narr, ein Narr! Rennt sich in sein Verderben! R OTE Sie hat ihn behext, sie hat ihn behext – (Sie lehnt ihren Kopf weinend an des B ADERS Brust.) B ADER Aber Täubchen! Eine Frau soll nie weinen, das verdirbt den Charakter! Vorhang.

SIEBENTES BILD. 40

Wieder im Park vor dem Jagdschloß des Königs. Der Morgen graut, bald kommt die Sonne. Der L AKAI steht vor der Türe und späht in den Park hinaus, dann horcht er plötzlich auf, wendet sich um und verbeugt sich, denn in der Türe erscheint der H OFBEAMTE .

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H OFBEAMTER Haben Majestät meine Abwesenheit bemerkt? L AKAI Keineswegs, Exzellenz! H OFBEAMTER (sieht sich um.) Wo steckt er denn? L AKAI Im Park.

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H OFBEAMTER Noch immer? L AKAI Schon seit Stunden. Mit der blonden Dame, Exzellenz – – H OFBEAMTER Jaja, es ist eine warme Nacht. (Stille) L AKAI Exzellenz, es ist etwas Entsetzliches passiert. Ein Exzeß, Exzellenz – – H OFBEAMTER Was?! L AKAI Vor zirka zehn Minuten taucht hier plötzlich der Herr Graf von Hermannstadt auf und begehrt mit einem direkt irren Blick nach Seiner Majestät. Wir sagen, wir hätten keine Ahnung, wo sich Seine Majestät befände – Da begehrt er nach jener blonden Dame. Wir sagen wieder, daß wir nichts wüßten – Da zieht er den Degen – H OFBEAMTER (fällt ihm ins Wort.) Den Degen?! L AKAI Er wollt uns alle massakrieren! H OFBEAMTER War er betrunken? L AKAI Nein, Exzellenz, ich glaub, er ist verrückt geworden – H OFBEAMTER Verrückt? L AKAI Immer wieder hat er geschrien, er hätt sein Weib auf seiner Burg wie eine Gefangene gehalten, aber nur, um sie nicht zu verlieren – H OFBEAMTER (unterbricht ihn.) Was heißt das? L AKAI Lauter ungereimtes Zeug! Sein Weib sei eine Hexe, aber er liebe sie trotzdem, er hätt sie ja immer geliebt und würde sie auch immer lieben, selbst noch in der Höll, trotzdem sie nur Unheil brächt, die Pest, den Krieg, den Tod, et cetera-et cetera! Wir mußten Gewalt anwenden, die Wache hat ihn überwältigt – Jetzt sitzt er im Keller. H OFBEAMTER (denkt nach.) „Sein Weib“, hat er gesagt? – Ah, nun geht mir allmählich ein Lichtlein auf – L AKAI (lauscht plötzlich in den Park.) Pst! Majestät – (Er zieht sich mit dem H OFBEAMTEN zurück; ab durch die Türe) M ATTHIAS (kommt mit der B LONDEN aus dem Park, hält mit ihr unterhalb der Terrasse und deutet nach dem Horizont.) Jetzt kommt bald die Sonne. B LONDE (blickt auf den Horizont.) Schön. (Stille) M ATTHIAS Wie heißt Ihr eigentlich mit Vornamen? B LONDE Ist das so wichtig? M ATTHIAS Ja. B LONDE Ich sag ihn aber nicht. Weil er mir nicht gefällt. M ATTHIAS Vielleicht gefällt er mir. B LONDE Sicher nicht. Ich kenn ja Eueren Geschmack – – (Sie lächelt.) (Stille) M ATTHIAS Wollt Ihr nicht bei mir bleiben? B LONDE Ich sagt Euch doch schon, daß ich verheiratet – M ATTHIAS (fällt ihr ins Wort.) Wir werden die Ehe für ungültig erklären lassen. Ich bin schon mit schwierigeren Dingen fertig geworden. B LONDE Na! M ATTHIAS Wer ist denn Euer Mann? B LONDE Er kümmert sich nicht um mich. M ATTHIAS Liebt Ihr ihn noch? B LONDE Wenn er mich lieben würde – (Sie lächelt.)

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(Stille) M ATTHIAS Wer seid Ihr? B LONDE (als hätte sie seine Frage überhört) Ihr werdet ihm doch nicht den Kopf nehmen? M ATTHIAS (verwirrt) Wem? B LONDE Diesem Herrn Grafen von Hermannstadt. M ATTHIAS Ich begreif es nicht, was kümmerts Euch? Jetzt fragt Ihr mich schon das vierte Mal! B LONDE Einen Kopf zu verlieren, ist doch keine Kleinigkeit – M ATTHIAS Er hat mich betrogen. B LONDE Aber gleich dafür den Kopf zu nehmen, das wäre doch ein bisserl ungerecht. Der König ist doch ein christlicher Monarch und kein despotischer Sultan – (Sie lächelt.) Mein Gott, man betrügt doch so leicht, und oft weiß mans gar nicht … M ATTHIAS (betrachtet sie.) Dieser Graf sagte vorhin, Ihr wäret eine Hexe – B LONDE (traurig) Ja, das sagt er immer. Immer gibt er mir alle Schuld. (Stille) M ATTHIAS Ich ahn es nicht, wer Ihr seid, ich fühl es nur, Ihr seid irgendwie gefährlich – verflucht gefährlich – B LONDE (entsetzt) Sagt das nicht! Nicht dieses Wort! M ATTHIAS (perplex) Welches? „Gefährlich“? Das ist bei mir ein Kompliment! B LONDE Nein, das andere! Bitte, nicht – M ATTHIAS Was hab ich denn noch gesagt? Weiß ich gar nicht mehr! B LONDE Ihr habt gesagt: verflucht. M ATTHIAS Na und? B LONDE Es gibt Kinder der Sonne und Kinder der Nacht. (Stille) M ATTHIAS Ihr glaubt, daß es verfluchte Menschen gibt? B LONDE Ich weiß es. (Stille) M ATTHIAS (fixiert sie.) Jemand, der so schön singen kann – B LONDE Vielleicht gerade deshalb. (Stille) B LONDE (plötzlich) Ich muß jetzt weg. M ATTHIAS Warum? B LONDE Laßt mich, bitte! Ich warn Euch vor mir – Ich bring ja nur Unheil, immer nur Unheil, Unheil – M ATTHIAS Wer könnt denn Euch verflucht haben! B LONDE Mich persönlich niemand. Aber meine Familie – M ATTHIAS Dann gehen wir doch gleich bis Adam und Eva – B LONDE (fällt ihm ins Wort.) Macht keine Scherze! Ich hab schon soviel leiden müssen – M ATTHIAS (fällt ihr ins Wort.) Ich scherze nicht! Ich glaube so wenig an verfluchte Geschlechter wie an Hexen! B LONDE (starrt ihn an.) Ihr glaubt nicht, daß es Hexen gibt? M ATTHIAS Nein. Ich bin ja nicht blöd. (Stille) B LONDE Glaubt Ihrs denn auch nicht, daß man mit Teufelsrezepten Gold machen kann?

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M ATTHIAS Ich glaub an keine Teufelsrezepte, der Satan braucht keine Rezepte, um eine Seele für sich zu kurieren – und leider glaub ich auch nicht daran, daß man Gold machen kann. Leider, leider! (Stille) B LONDE Darf ich Euch noch etwas fragen? M ATTHIAS Nur zu! Ich antworte gern! B LONDE (langsam) Glaubt Ihr, daß sich die Erde um die Sonne dreht? M ATTHIAS (perplex) Die Erde um die Sonne? B LONDE Ja. (Stille) M ATTHIAS Wer behauptet das? B LONDE Mein Onkel hats irgendwo gehört und hats dann im Casino erzählt. Sie haben ihn vom Fleck weg verhaftet und haben ihm beide Ohren abgeschnitten. M ATTHIAS Beide Ohren? B LONDE Ja. M ATTHIAS Das war aber noch vor meinem Regierungsantritt? B LONDE Damals war ich noch nicht auf der Welt. M ATTHIAS Drum. Also wenn sich jemand für eine solche Behauptung beide Ohren abschneiden läßt, dann dürft schon etwas Wahres dran sein. Vielleicht drehen sich halt beide umeinander – die Erde um die Sonne und die Sonne um die Erde. B LONDE (lächelt.) Vielleicht! M ATTHIAS Es dreht sich im ganzen Leben immer alles so umeinander herum – nicht? B LONDE Ja. (sie seufzt, leise) Jetzt, zum Beispiel, seid Ihr die Sonne – M ATTHIAS Nein, die Erde – (Sie sieht ihn groß an.) (Stille) M ATTHIAS (leise) Bleibt bei mir. Ich war immer allein. B LONDE Ihr seid ja auch der König. (Stille) M ATTHIAS Was denkt Ihr jetzt? B LONDE Es steht jemand hinter der Tür und schaut uns zu. M ATTHIAS Wer? Wo? (Er tritt rasch zur Türe und ergreift den L AKAIEN , der hinter der Türe lauscht.) Ach! L AKAI (entsetzt) Gnade, Majestät! M ATTHIAS Du spionierst? L AKAI Nein, um Gottes willen, Majestät! Majestät, ich wollte ja nur gerade etwas Fürchterliches melden – (Er spricht leise auf M ATTHIAS ein, damit die B LONDE ihn nicht hört.) M ATTHIAS (kriegt große Augen.) Was?! L AKAI Sehr wohl, Majestät! M ATTHIAS Einen Augenblick! (rasch ab durch die Türe mit dem L AKAIEN ) B LONDE (sieht ihm überrascht nach.) H OFBEAMTER (der ebenfalls hinter der Türe lauschte, tritt nun vor, sieht sich heimlich um und verbeugt sich leicht vor der B LONDEN .) Wir hatten bereits das Vergnügen – B LONDE Ja. H OFBEAMTER Ich warne Euch. Weiß der König bereits, wer Ihr seid? B LONDE (wird unsicher.) Ich versteh Euch nicht – H OFBEAMTER Hm. Ratet mal, wer im Keller sitzt.

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B LONDE (unsicher) Im Keller? H OFBEAMTER Euer Gatte. B LONDE (fährt herum.) Wer?! Was redet Ihr da?! H OFBEAMTER Euer Gatte, Frau Gräfin. Der Graf von Hermannstadt. B LONDE (starrt ihn außer sich an.) H OFBEAMTER Stimmts? B LONDE (wie zuvor) Woher wißt Ihr, daß ich – H OFBEAMTER (fällt ihr ins Wort.) Er hat es mir selber erzählt. Ich hab ihn im Keller besucht – B LONDE (unterbricht ihn.) In was für einem Keller?! H OFBEAMTER Jaja, Gräfin, unheimliche Situation. Wie konntet Ihr auch nur derart leichtfertig handeln? Zuerst betrügen Graf und Gräfin den König mit dem Muster, dann wandelt Ihr mit ihm die halbe Nacht im Park herum, und dann erscheint gar Euer Gatte und möcht uns hier alle massakrieren – B LONDE Massakrieren?! H OFBEAMTER Getobt hat er, daß drinnen im Saal die Geweihe von den Wänden gefallen sind – alles wegen seinem Geweih! Wie konntet Ihr nur damit nicht rechnen, daß Euer Mann Euch so liebt! B LONDE Liebt?! Er liebt mich?! H OFBEAMTER Er ist ja schon wirr vor lauter Liebe! B LONDE Wunderbar! H OFBEAMTER (perplex) „Wunderbar“? B LONDE Oh Himmel, ist es denn zum fassen? Er liebt mich, er liebt mich, daß die Geweihe von den Wänden fallen – Ich habs ja immer geahnt, immer geahnt! H OFBEAMTER Habt Ihr denn keine Angst vor dem König? B LONDE Nein, nein! Jetzt fürcht ich keinen König, keinen Kaiser, keinen Sultan! Oh, wie dank ich meinem Schicksal! Jetzt hab ich endlich die Kraft und den Mut ihm zu beweisen, daß ich kein Unheil bring! Er liebt mich, er liebt mich – (Sie lacht leise und glücklich vor sich hin.) M ATTHIAS (tritt mit dem G RAFEN , der einen Verband um die Stirne trägt durch die Türe auf die Terrasse.) M ATTHIAS Gräfin von Hermannstadt! Darf ich Euch Eueren Gatten vorstellen – Er liebt Euch so blind, daß er sich dabei ein bisserl den Kopf angestoßen hat. Ja, und dabei solls auch bleiben, denn es ist richtig, was Ihr mir vorhin sagtet: Man betrügt doch so leicht, und oft weiß mans gar nicht – (Er lächelt ein bisserl traurig.) G RAF (horcht etwas mißtrauisch auf.) M ATTHIAS (zum G RAFEN ) Du verdankst es ihr, nur ihr – Ich bitt dich, schau nicht so grimmig! Sie blieb dir treu. G RAF (fixiert die B LONDE .) Ist es wahr? B LONDE Was der König sagt, ist immer wahr. M ATTHIAS Viermal hat sie um deinen Kopf gebeten – B LONDE Nur dreimal. M ATTHIAS So? (zum G RAFEN ) Also den Kopf hätten wir ja wieder – aber die dreihundert Männer für Selischtje, die siedeln, mir scheint, im Mond. B LONDE Warum im Mond, Majestät? Selischtje ist doch so lieblich – Die Erde ist gut, der Wald ist dicht, sauber die Höfe, und jeder hat sein Feld. Gewiß, die Frauen sind wirklich nicht schön, das stimmt – aber sind denn alle Männer schön? Gibts denn unter Euch Männern nur Schönheiten? Gebt doch den häßlichen Weibern

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häßliche Männer – Ihr werdet schon welche finden, und wenn nicht, dann will ich Euch, Majestät, gerne beim Suchen helfen. M ATTHIAS (lächelt und wendet sich an den G RAFEN .) Glaub es mir, diese Frau bringt kein Unglück, im Gegenteil: Seit ich sie kenne, geht alles besser. Der Weizen steht herrlich, seit Jahren gabs nicht mehr soviel Trauben, in der ganzen Zeit kein einziger Fall von Pest, und der Sultan ist unwahrscheinlich friedlich – und Selischtje kriegt dreihundert Männer, häßlich wie der Teufel selber – G RAF (lächelt.) Ihr lacht mich aus? M ATTHIAS Ja. Es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rasse angehört, es kommt darauf an, ob man Rasse hat. Lebt wohl, Gräfin von Hermannstadt! Und wenn Euch Euer Gatte wieder einsperren möcht, dann kommt nur zu mir, ich hör Euch an, denn es ist wichtig, daß es der Frau gut gehe – Schließlich seid Ihr Frauen ja immerhin die größere Hälfte meines Volkes. Lebt wohl, Graf und Gräfin von Hermannstadt! G RAF UND DIE B LONDE (verbeugen sich und ab in den Park.) B LONDE (hält nochmals; zu M ATTHIAS ; leise) Auf Wiedersehen – (ab) M ATTHIAS (sieht den beiden nach.) Auf Wiedersehen? – (Er nickt nein und lächelt.) Schad darum! (Er will ab in das Schloß und winkt dem H OFBEAMTEN .) H OFBEAMTER Majestät? M ATTHIAS Das Nächste! Vorhang.

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Kommentar

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Konzeption 1

Chronologisches Verzeichnis Konzeptionen Konzeption 1: Das Dorf ohne Männer – Rostó/Brünette Die Arbeiten Horváths an dem Stück Ein Dorf ohne Männer lassen sich, bedingt durch die fragmentarische Überlieferungslage, nur schwer in eine genetische Ordnung bringen. Aufgrund des über weite Strecken homogenen Materials der Ausarbeitungen ist diese Ordnung vor allem auf inhaltliche Deutungen sowie die Weiterverwendung kleinräumiger Korrekturen angewiesen. Durchgängig gemeinsam haben sämtliche Arbeiten den Bezug auf die Stoffvorlage des Stückes, Kálmán Mikszáths Roman A szelistyei asszonyok (1901), den Horváth in einer von Camilla Goldner angefertigten Übersetzung ins Deutsche (Szelistye, das Dorf ohne Männer, 1903) benutzt hat (für eine Zusammenfassung der Romanhandlung siehe das Vorwort in diesem Band, S. 262f.) Die Abgrenzung der Konzeptionen 1 und 2 ergibt sich durch die zunehmende Distanzierung von dieser Vorlage im Verlauf der Arbeit, die sich vor allem hinsichtlich des Handlungsbogens sowie der Benennung und Ausgestaltung wichtiger Figuren des Stückes kenntlich macht. Die Entwürfe und Textstufen von Konzeption 1 zeichnen sich durch große Nähe zur Vorlage aus, beispielsweise übernimmt Horváth zunächst noch die Namen der Frauenfiguren sowie einige im Roman Mikszáths wichtige Nebenfiguren, die erst im weiteren Verlauf der Bearbeitung ausgeschieden werden. Die zunehmende Abwandlung der Vorlage vollzieht sich jedoch nicht kontinuierlich: Auch in späten Ausarbeitungen greift der Autor immer wieder auf z.T. bereits zuvor ausgeschiedene Elemente der Romanvorlage zurück und gliedert sie in die aktuelle Konzeption seines Stückes ein, um diese Erweiterungen oft bald wieder zu streichen. H1 = ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 7 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte E1 = Strukturplan in 7 Bildern mit Werktitel „Das Dorf ohne Männer. Lustspiel in drei Akten“ (links) E2 = gestrichener Konfigurationsplan zum 1. Bild „Burg“ (rechts oben) E3 = Konfigurationsplan zum 1. Bild „Audienz in der Burg“ (rechts mittig)

Bei den Entwürfen des Blattes BS 22 [1], Bl. 7 handelt es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um die frühesten erhaltenen Arbeiten zum Stück Ein Dorf ohne Männer. Da kaum Äußerungen Horváths oder seiner Zeitgenossen über die Entstehung des Stückes erhalten sind und die überlieferten Entwürfe und hs. Textstufen größtenteils auf sehr ähnlichem Material gefertigt wurden, ist eine Chronologie stark auf inhaltliche Zusammenhänge und Deutungen sowie Annahmen über die Arbeitsweise des Autors angewiesen. Beim vorliegenden Material handelt es sich – wie bei einem Großteil der überlieferten hs. Arbeiten – um eine von einem Bogen abgelöste Blatthälfte. Für eine frühe Einordnung spricht zunächst die im notierten Titel von E1 angeführte Einteilung in drei Akte, die jedoch augenscheinlich nicht weiterverfolgt und noch im selben Entwurf in eine Unterteilung in sieben Bilder überführt wird. Eine vergleichbare Unterteilung in Akte ist sonst an keiner Stelle der überlieferten Entwürfe erkennbar. Die

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Struktur in sieben Bildern, hier mit den Bildtiteln „Die Audienz beim Statthalter“, „Im Felde“, „Bei der Hexe“, dreimal „Burg“ und „In Selistye“, wird, von einigen Strukturplänen in sechs Bildern innerhalb von K1 abgesehen (E4–E6, E10–E12), bis zur Endfassung des Stückes (K3/TS1) beibehalten, ebenso der Stückbeginn mit einer Audienz sowie der Schluss im Dorf Selischtje selbst. Auffällig sind darüber hinaus das zweite und dritte Bild von E1: Bilder mit dem Titel „Im Felde“ bzw. „Bei der Hexe“ finden sich an keiner weiteren Stelle des überlieferten Materials und sind auch bei Mikszáth nicht vorhanden. Die Unterteilung in sieben Bilder sowie die markante Abweichung von der Romanvorlage mit dem zweiten und dritten Bild könnten zwar als Anzeichen für eine spätere Entstehung des Entwurfs gewertet werden. Dagegen sprechen aber, neben der isolierten Stellung der Bildtitel, weitere Indizien: Zum einen weisen die übrigen Entwürfe auf demselben Blatt eine starke Affinität zu E4–E6 auf, was auf eine zeitlich nahe beieinander liegende Entstehung schließen lässt. Außerdem orientiert sich E1 in zweierlei Hinsicht noch erkennbar an der Übersetzung. Ersichtlich wird dies einerseits durch den verwendeten Titel „Das Dorf ohne Männer“ – im Unterschied zum späteren „Ohne Männer“ (K2/E1) und dem endgültigen „Ein Dorf ohne Männer“ (K2/TS14) – und andererseits durch die Schreibweise des Dorfes, hier „Selistye“. Diese liefert einen wichtigen Indikator für die genetische Reihung der Dokumente in Konzeption 1: Horváth übernimmt zu Beginn der Schreibarbeiten eher die auch in der von ihm benutzten Übersetzung verwendete ungarische Schreibweise des Ortsnamens (vgl. E6), um im Verlauf des Schreibprozesses zunächst „Selistje“ (TS1–TS3, E7) und schließlich die eingedeutschte Schreibweise „Selischtje“ zu gebrauchen (ab E9–E11 und in den Folgekonzeptionen). Einen weiteren Anhaltspunkt geben die Veränderungen in der Benennung des ersten Bildes „Die Audienz beim Statthalter“, die der Autor auf den übrigen Entwürfen dieses Blattes zunächst zu „Burg“, anschließend zu „Audienz in der Burg“ ändert, was dem Bildtitel in E4 entspricht. In späteren Strukturplänen steht die Bezeichnung „Audienzsaal“ (E10, E11); die beiden Schauplatzverzeichnisse der montierten Fassung K2/TS14 sowie der Endfassung K3/TS1 weisen schließlich den Bildtitel „Audienzsaal in der Ofner Burg“ (K2/TS14/BS 23, Bl. 3; K3/TS1/SB Georg Marton, S. 5) auf. E2 zeigt den Entwurf eines Konfigurationsplans für das erste Bild. Vorgesehen ist eine Burg als Schauplatz der Audienz sowie ein Aufeinandertreffen des Kanzlers mit den „Weiber[n]“. Horváth streicht diesen Konfigurationsplan jedoch nach wenigen Eintragungen. E3 setzt nochmals mit einer Audienz als erstem Bild an. Nachdem Horváth zunächst „Matthias“ und „Matthias Corv“ notiert und sogleich wieder streicht, fährt er fort mit den durch ihre Standesbezeichnung bestimmten Figuren Kanzler und König. Die zunächst mittels Kleinbuchstaben vorgenommene Strukturierung deutet bereits auf die detaillierten Folgeentwürfe voraus. H2 = ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 1, 2 2 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte E4 = teilweise gestrichener Strukturplan in 3 Bildern mit Notizen, Konfigurationsplänen und Repliken Druck in: KW 10, S. 430f.

H3 = ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 6 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte E5 = Strukturplan in 2 Bildern mit Notizen und Repliken

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Konzeption 1

H4 = ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 3–5 3 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte E6 = Strukturplan in 4 Bildern mit Notizen, Konfigurationsplänen und Repliken Druck in: KW 10, S. 431f.

Die Entwürfe E4–E6 stehen in einem engen genetischen Zusammenhang, worauf vor allem die ähnliche Topografie der auf diesen Blättern eingetragenen Entwürfe sowie die in einigen Aspekten noch starke Orientierung an der Romanvorlage Mikszáths – etwa in der Benennung der Figuren – hinweisen. Zusammen betrachtet, ergeben die Blätter BS 22 [1], Bl. 1–6 einen Handlungsverlauf in sechs Bildern, wobei der Anfangspunkt des Stückes bei einer „Audienz“ sowie der Endpunkt „In Szelistye“ für den weiteren Verlauf der Textentwicklung feststehen. Mit diesen Entwürfen ist die ungefähre Anlage der ersten drei Bilder (ein Bild in Siebenbürgen zwischen zwei Bildern im Audienzsaal) bereits fixiert, Änderungen ergeben sich hier noch an den Bildtiteln und dem tatsächlichen dramatischen Geschehen. E4 beinhaltet eine sehr ausführliche Aufstellung des Handlungsablaufs und der damit verbundenen Konfigurationen des ersten Bildes. Über die durchgängige Unterteilung des Handlungsverlaufs mittels Kleinbuchstaben sowie den Bildtitel „Audienz in der Burg“ lässt sich ein Zusammenhang mit dem vorangegangenen Entwurf E3 herstellen, der die vorgenommene genetische Reihung stützt. Die skizzierte Handlung dieses Bildes ist in ihren Grundzügen noch klar erkennbar an die Vorgabe Mikszáths angelehnt. Im Detail zeigen sich bereits erste Unterschiede: So sieht Horváth einen überraschenden Auftritt des Königs vor, mitsamt den für das spätere Stück Ein Dorf ohne Männer für typisch erachteten sozial- und autoritätskritischen Andeutungen. Ein vergleichbares Geschehen sowie die Auftritte eines abgefertigten Bittstellers und eines Mannes, der sich über seine Arbeitslast beschwert, finden sich in der Vorlage nicht. Der Entwurf setzt fort mit einem Konfigurationsplan zum zweiten Bild, „Beim Grafen von Siebenbürgen“. Neu ist die Figur des „Bartha“, die vermutlich eine Variation des bei Mikszáth auftretenden Präfekten Rostó (des nachmaligen Baders) darstellt. Mit den hier erstmals erwähnten Frauenfiguren – Witwe, Tochter und Braut – knüpft Horváth an eine bei Mikszáth implizit vorhandene Unterteilung an. Neu hinzu kommen hier, abgesehen von der durch die gesamte Textentwicklung beibehaltenen Liaison einer der Frauenfiguren mit dem Wirt, die Hintergründe der Witwe und der Tochter. Während der „habgierige Vater“ ansonsten nicht mehr aufscheint, wird Horváth die Idee einer Henkerswitwe weiterverfolgen (vgl. TS3). Neu ist auch das in der weiteren Entwicklung des Stückes beständig auftauchende Motiv der Untreue. Die Witwe des Henkers erklärt dem Grafen, ihr Mann habe sich „aufgehängt, weil ich ihm untreu war“. Dieses Motiv wird später auf die Figur der Blonden übertragen und verschwindet erst kurz vor dem endgültigen Abschluss der montierten Fassung K2/TS14 aus dem Stück. Im weiteren Verlauf des Entwurfs notiert Horváth zunächst für das 3. Bild den Bildtitel „Audienz“, um in einem weiteren Anlauf den Bildtitel „In der Burg“ zu setzen. Für dieses Bild ist ein Dialog des Narren – auch dies eine Figur, die Horváth von Mikszáth übernimmt – mit einem nicht näher bestimmten „Begleiter“ über das heliozentrische Weltbild vorgesehen. Die Eintragungen zu diesem dritten Bild werden jedoch wieder gestrichen. Die Eintragungen von E5 wiederholen zunächst, mit leichten Abweichungen, die Notizen zum zweiten Bild von E4 „Beim Grafen von Siebenbürgen“ und führen dann

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Chronologisches Verzeichnis

das in E4 gestrichene dritte Bild detailliert aus. Die Einordnung des Blattes rechtfertigt sich auch über eine Risskante, die die Blätter 2 und 6 dieser Mappe als ursprünglich zusammengehörig ausweist. Die Entwürfe zum dritten Bild „Burg“ vermischen wieder klar erkennbare Motive des Romans Mikszáths mit neuen Elementen: So ist etwa die Episode mit den zwei Wirtshäusern, in der der arme vom reichen Wirt aufgrund der durch die Frauen ausgelösten Gästeflut Sessel ausleihen muss, aus dem Roman entnommen. Der Auftritt des verkleideten Königs im Umfeld des Gasthauses sowie ein bereits hier stattfindendes Aufeinandertreffen von Wirt und König wiederum sind Zugaben Horváths. An weiteren Figuren sind die „Wittwe“, das „Mädchen“ sowie der „Graf“ vermerkt. Vermutlich handelt es sich bei der Figur des Mädchens um eine Variante der Vuca, die bei Mikszáth im Gasthaus ihrem zukünftigen Bräutigam, dem Wirt, begegnet. Die Figurenkonstellation „Graf – Wittwe“ ergibt sich aus Horváths grundlegender Umarbeitung, die im Unterschied zur Vorlage die Figur des Grafen stärker in den Vordergrund stellt. Mit der unmittelbar darunter notierten Konstellation „König – Wittwe“ ist möglicherweise bereits die spätere Rivalität zwischen dem Grafen und Matthias um die Blonde ins Auge gefasst. E6 setzt erneut mit einem Entwurf zum dritten Bild ein, diesmal unter dem Bildtitel „Audienz“. Auch hier finden sich wieder Motive Mikszáths mit neu eingeführten Handlungskonstellationen vereint; vor allem die Audienz des Statthalters mit einem „bestellte[n] Bittsteller“ und die Verkleidung des Königs als „Hellebardière“ ist hier als neues Element hervorzuheben – sie findet sich in ganz ähnlicher Form in der Endfassung (K3/TS1) des Stückes. Von Mikszáth übernimmt Horváth an dieser Stelle die Namen zweier Frauenfiguren: Er notiert „Anna“ (bei Mikszáth: Anna Gergely) und „Vuca“. Weiters findet sich hier das ebenfalls dem Roman entnommene Motiv des als König verkleideten Narren. Mit einem Fragezeichen versehen steht bei der Figur des Narren darüber hinaus „das verbotene Buch“ – möglicherweise eine Anspielung auf die zuvor in E4 notierte Bemerkung zum heliozentrischen Weltbild. Das vierte Bild wird „Im Jagdschloss“ angesiedelt. Von Mikszáth entlehnt Horváth hier die „Tafel“, an der der „König als Diener“, der vom Wirt bestochen wird, teilnimmt, sowie die „Gattenwahl“, ein zentrales Element in der Romanvorlage. Das Motiv der Bestechung des Königs durch den nichtsahnenden Wirt findet sich schließlich auch in der Endfassung des Stückes, die „Tafel“ selbst wird nicht gezeigt, sondern findet abseits der Bühne statt. Das fünfte Bild dieses Entwurfs betitelt Horváth mit „Beim König“, der Konfigurationsplan hierzu sieht den König, Anna und den Grafen sowie einen Pfarrer vor. Vermutlich ist dieses Bild an den bei Mikszáth im Anschluss an die „Gattenwahl“ stattfindenden Verheiratungsszenen orientiert. Eine nebenstehende Notiz spricht von den „gefangenen Räuber[n]“ – ein Indiz dafür, dass Horváth von vornherein von der Vorlage Mikszáths abweicht, dessen Matthias Corvinus böhmische Kriegsgefangene ansiedeln lässt, und diese Änderungen nicht erst für die geplante Uraufführung in Prag vornimmt (zu dieser Annahme vgl. Berczik 1973, S. 69). Das als sechstes ausgewiesene letzte Bild dieses Entwurfs spielt „In Szelistye“, wobei hier nur Konfigurationspläne vorliegen. Vorgesehen sind der Graf, der Alte, die Frauen, die Armee, der König und Anna. Mit diesem Bild gestaltet Horváth den Abschluss der Handlung offensichtlich gänzlich anders als Mikszáth: Im Roman kündigt Matthias Corvinus zwar seinen Besuch in Szelistye an, erscheint jedoch nie dort.

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Konzeption 1

H5 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 1 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte, hs. Paginierung 1 TS1 = fragm. Fassung des 2. Bildes „In Siebenbürgen“ (Korrekturschicht)

Mit TS1 liegt die wahrscheinlich früheste überlieferte Ausgestaltung einer ganzen Textpassage vor. Da engere genetische Kriterien fehlen, werden die nachfolgenden Textstufen (TS1–TS3) einerseits an dieser Stelle platziert, da der Schauplatz des zweiten Bildes, Siebenbürgen, für die weitere Textentwicklung bereits feststeht. Andererseits dürften die später eingeordneten Entwürfe E9–E11 mit dem zweiten Bildtitel „Burg des Grafen“ auf das in TS1–TS3 umrissene Bild hinweisen, die Textstufen sind aber vermutlich früher entstanden. Das ausschlaggebende Indiz dafür ist die Schreibweise des Dorfes: In TS3 wird noch „Selistje“ (BS 22 [2], Bl. 11f.) verwendet, in den Entwürfen E9–E11 steht bereits die der Endfassung (K3/TS1) entsprechende Form „Selischtje“ (vgl. dazu die Kommentare zu E1, E7 und E9–E11). In TS1 arbeitet Horváth, in Übereinstimmung mit den vorangegangenen Entwürfen 4 E –E6, das 2. Bild „In Siebenbürgen“ aus. Die Textstufe sieht einen Dialog zwischen dem Grafen und seiner Amme in der Burg von Siebenbürgen vor, der vor allem das wechselhafte Wetter zum Thema hat. Obwohl es sich um eine verhältnismäßig kurze Textausarbeitung handelt, wurde sie intensiv überarbeitet. Einige der vorgenommenen Änderungen gehen direkt in die weiteren Bearbeitungen dieses Bildes in den unmittelbar folgenden Textstufen ein und begründen, neben den unterschiedlichen Ausreifungsgraden, die vorgenommene genetische Reihung der folgenden Textstufen. H6 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 2–4 3 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte, hs. Paginierung 1–3 TS2 = fragm. Fassung des 2. Bildes „Beim Grafen von Siebenbürgen“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 10, S. 311 (zusammen mit TS3).

H7 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 5–16 12 Blatt unliniertes Papier (290 × 230 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte, hs. Paginierung 2–13 TS3 = fragm. Fassung des 2. Bildes „Beim Grafen von Siebenbürgen“ (Korrekturschicht) Druck (teilweise) in: KW 10, S. 311–319 (zusammen mit TS2).

Die Ausarbeitungen von TS2 stellen eine erhebliche Weiterentwicklung des 2. Bildes dar. Die in der Korrekturschicht von TS1 vorgenommenen Änderungen gehen dabei weitestgehend in die Anfangspassage des Bildes ein, wodurch sich die Reihenfolge der Textstufen erschließen lässt. Auffällig ist die Risskante von Bl. 3, die sich an diejenige von BS 22 [2], Bl. 1 (= TS1) anfügen lässt, wodurch der enge genetische Zusammenhang der Blätter materiell ersichtlich wird. Aufgrund der Textentwicklung sowie durch die im Unterschied zu Bl. 1 vorhandene Paginierung ist Bl. 3 jedoch definitiv als Bestandteil von TS2 anzunehmen. Horváth versucht hier, die Anfangsszene in einen Monolog über das wechselhafte Wetter abzuändern. Dafür notiert er zunächst die Gräfin als agierende Figur, streicht den Figurennamen aber sogleich wieder und ersetzt ihn durch den des Grafen. Dies ist insofern bemerkenswert, da die Figur der Gräfin zu diesem Zeitpunkt in der kon-

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zeptionellen Anlage des Stückes noch nicht vorgesehen ist – weder in den vorangehenden, noch in einem Großteil der folgenden Entwürfe und Textstufen dieser Konzeption finden sich Bezüge darauf. Zwar wird in TS3 ein Verhältnis zwischen der Blonden und dem Grafen skizziert, dieses entwickelt sich jedoch erst im Verlauf der Arbeit an der Szene. Explizit als Gräfin apostrophiert wird die Figur der Blonden erst in K2/TS11 („Gottseidank! Eine Gräfin von Hermannstadt!“ BS 21, Bl. 7), eine bestehende Ehe der beiden wird erstmalig in K2/E2 angesprochen. Der in TS2 ausgearbeitete Eingangsmonolog des Grafen wird bald wieder gestrichen, durch den bereits in TS1 angelegten Dialog mit der Amme ersetzt und inhaltlich fortgeführt. Die Amme wird im Verlauf des Bildes als mütterliche Figur konturiert, die den Grafen auf seine seltsamen Geschäfte mit ihrem Bruder anspricht und ihn vor diesem warnt. Der Bruder der Amme, Rostó (vermutlich identisch mit der Figur des „alte[n] Bartha“ von E4–E6), tritt kurz darauf selbst auf und berichtet dem Grafen, er habe „die Weiber“ (Bl. 4). Daraufhin entfacht sich ein Streit zwischen der Amme und Rostó über dessen Kuppelei. Der Graf wirft schließlich ein, dass die von Rostó gesuchten Frauen nicht für ihn, sondern für den König gedacht sind. Mit der abschlägigen Antwort: „Das verstehst Du nicht“ (ebd.) auf die Frage der überraschten Amme, was denn der König damit zu tun habe, bricht die Ausarbeitung ab. Die genaue Einordnung von BS 22 [2], Bl. 5–16 erweist sich als schwierig. Zum einen hebt sich das verwendete Schreibmaterial von dem der übrigen Textstufen zum zweiten Bild dieser Konzeption ab. Es handelt sich zwar ebenfalls um halbierte Heftbögen, jedoch in merklich anderem Format (290 × 230 statt 298 × 210 mm). Zum anderen wurden die Blätter nur inkonsequent überarbeitet, weshalb sich bei den auf dem Textträger überlieferten Ausarbeitungen inhaltliche Brüche ergeben, z.B. ist die Änderung der Figur Rostós vom Gemahl zum Bruder der Amme nicht durchgängig gesetzt. Schwierig erscheint dabei insbesondere Bl. 5, das intensiv überarbeitet wurde: Horváth hat hier zu Beginn noch einen Bildtitel notiert, den er jedoch wieder streicht; daneben finden sich verschiedene Eintragungen, die den Text auf der unteren Blatthälfte ersetzen sollen. Die für dieses Blatt verwendete Paginierung 2 lässt vermuten, dass bei dieser Textstufe Material verloren gegangen ist. Dies deckt sich allerdings nicht mit dem zunächst notierten Bildtitel, der einen Neuanfang mit diesem Blatt nahelegt. Inhaltliche Erwägungen sowie die auf Bl. 5 verwendete Pagina legen nahe, dass die Blätter in unmittelbarem Anschluss an Bl. 2–4 entstanden sind und dort, nachdem sie wohl zuerst als eigenständige Ausarbeitung gedacht waren, möglicherweise Text ersetzen sollten. Da sich hierzu aber nur wenige aussagekräftige Anhaltspunkte finden – z.B. ist der Dialogverlauf auf Bl. 5 in der Grundschicht dem auf Bl. 3 sehr ähnlich, während in der Korrekturschicht die ebenfalls auf Bl. 3 notierte Warnung vor den Geschäften Rostós ausgeweitet wird –, werden die Ausarbeitungen der Blätter BS 22 [2], Bl. 5–16 als eigenständige Textstufe TS3 behandelt. Der Text von TS3 setzt mitten im Dialog zwischen Amme und Graf ein. Die Amme konfrontiert den Grafen mit ihrer Kenntnis von seinen „Geschäfte[n]“ (Bl. 5). Auffällig ist an dieser Stelle Horváths Schwanken im Verhältnis von Amme und Rostó: Zunächst konzipiert er ihn als den „Gemahl“ (ebd.) der Amme, um ihn dann wieder wie in TS2 zu ihrem „Bruder“ (ebd.) zu ändern – eine Änderung jedoch, die nur die Überarbeitungen auf Bl. 5 betrifft. Auf den übrigen Blättern spricht die Amme nach wie vor von „meinem Mann“ (Bl. 6); einige kleinere Änderungen im weiteren Verlauf des Manuskripts sprechen jedoch klar für eine vollständige Korrektur nach der Abfassung des Textes im Zusammenhang mit den Umarbeitungen auf Bl. 5. Hierin lie-

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Konzeption 1

ßen sich Argumente für das Vorliegen zweier Korrekturschichten finden. Da jedoch eine exakte und unmissverständliche materielle Abgrenzung nicht möglich ist – sämtliche Eintragungen sind mit schwarzblauer Tinte in ähnlicher Strichstärke gefertigt –, erfolgt die Darstellung in einer Korrekturschicht. Der Graf eröffnet der Amme den geplanten Betrug am König, worüber diese entsetzt ist. Rostó betritt die Szene mit der Meldung, er habe das „Muster“ fertig zusammengestellt. Da die Amme der Ansicht ist, dieser Plan wäre ihm entsprungen, macht sie Rostó schwere Vorhaltungen. Daraufhin wirft der Graf ein, der Betrug sei seine Idee gewesen, was die Amme noch stärker entsetzt. Sie tritt ab mit dem Versprechen, „trotzdem für Sie [zu] beten, damit dieser Schwindel gut ausgeht –“ (Bl. 9). Somit allein, präsentiert Rostó dem Grafen das „Muster“: Die „Blonde“, die „Brünette“ und die „Dunkle“ treten auf. Während die „Blonde“ als Figur durch alle Konzeptionen hindurch bestehen bleibt, wird Horváth die „Dunkle“ alsbald zur „Schwarzen“ (TS4) umbenennen; die „Brünette“ wird zu Beginn von Konzeption 2 noch als „Braune“ bezeichnet, um bald darauf in die Figur der „Roten“ transformiert zu werden. Rostó stellt die Brünette als Braut des Wirtes und die Dunkle als Tochter eines Kürschnermeisters vor, weiß aber bei der Blonden nicht genau, woher diese ist. Es handelt sich in dieser Szene um die erste Erwähnung des „Musters“ in der Konzeption Horváths. Die zuvor noch von Mikszáth übernommenen Namen (vgl. E4–E6) werden zugunsten einer rein nach der Haarfarbe der Frauen verfahrenden Benennung fallen gelassen. Darüber hinaus verzichtet er auch auf die Unterscheidung Mikszáths nach Nationalitäten (Siebenbürger Sächsin, Walachin, Szeklerin), betont dafür aber die in E4 vorgebildete, bei Mikszáth implizit vorhandene Unterscheidung nach dem Familienstand: Tochter, Braut und Witwe (vgl. E4). Der Graf schärft den dreien nochmals ihre Rolle ein, als der Wirt, der Bräutigam der Brünetten, auftritt und ihr eine Eifersuchtsszene macht. Der Graf erinnert den Wirt schließlich an den bereits unterschriebenen Vertrag und droht, ihn bei Nichteinhaltung einzusperren. In der montierten Fassung K2/TS14 sowie in der Endfassung (K3/TS1) wird der Graf den Wirt Thomas mit einer Kreditzahlung für sein schlecht gehendes Wirtshaus binden. Während sich die Brünette, die Dunkle und Rostó zur Vorbereitung der Abfahrt entfernen, bleibt die Blonde beim Grafen zurück, da sie niemanden hat, von dem sie sich verabschieden könnte. Sie und der Graf kommen einander näher, schließlich küssen sie sich. Als der Graf jedoch erfährt, dass sie die Witwe des Henkers von Kronstadt ist, weicht er etwas zurück und meint: „Weisst Du, ich glaube, Du bist eine Hexe –“ (Bl. 16). Damit finden sich erstmalig das spätere Verhältnis zwischen der Blonden und dem Grafen, ihre Stigmatisierung und die Bezeichnung als „Hexe“ erwähnt. Die genaueren Umstände weichen allerdings noch beträchtlich von denen der montierten Fassung K2/TS14 sowie der Endfassung K3/TS1 ab. Tatsächlich dürfte Horváth die definitive Gestaltung dieser Figurenkonstellation erst in den letzen Bearbeitungsschritten vorgenommen haben (vgl. Kommentar zu K2/TS14). Zwischen dem in TS3 exponierten Verhältnis und dem Text der montierten Fassung K2/TS14 bzw. der Endfassung finden sich weitere variierende Ausführungen zum Hintergrund und dem Fluch der Blonden. So wird sie in den meisten Ausarbeitungen von Konzeption 2 als „Badmagd“ (K2/E3, E5, TS11) oder als „Kellnerin“ (K2/TS11, TS12) bezeichnet; der Fluch, der auf den Grafen übergegangen ist, wurzelt dementsprechend in einer unstandesgemäßen Verehelichung (vgl. K2/E2, TS11, TS12; abweichend davon aber eine Variante in TS7). Am Schluss von TS3 geht nun auch die Blonde ab, um an den Hof zu reisen. Der Graf lässt sein Pferd satteln, um ihnen nachzureiten, woraufhin ihm die Amme zuruft: „Herr

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Graf, Sie reiten noch in die Hölle!“ (Bl. 16) Weitere Ausarbeitungen des zweiten Bildes in einer vergleichbaren Gestaltung finden sich nicht. Alle überlieferten späteren Textstufen, die dem zweiten Bild zugeordnet werden können (K2/TS6 und TS10), zeigen das Bild – entsprechend der Endfassung – in einer Badeanstalt situiert. Die Anlage von TS2 und TS3 zeigt in anschaulicher Weise die weitere Emanzipation des Stückes von der Romanvorlage. Eine vergleichbare Ausgestaltung der Szene auf der Siebenbürgener Burg findet sich dort nicht, ebenso wenig die Figur der Amme. Diese gibt zu diesem Zeitpunkt der Textentwicklung als moralische Instanz dem Grafen eine eigenständigere Kontur und ermöglicht die Einführung weiterer Konflikte in das Geschehen. Bei Mikszáth hingegen erschöpft sich die Figur des jungen Grafen Dóczy in ihrer Rolle als geiziger Landesherr und Initiator des versuchten Betrugs am König und besitzt keine weitere handlungstragende Funktion. Besonders anschaulich werden die Modifikationen gegenüber der Vorlage an der Figur Rostós. In Mikszáths Szelistye, das Dorf ohne Männer handelt es sich bei dieser Figur tatsächlich um den ältlichen Präfekten des Grafen. Horváth hingegen gestaltet ihn von vornherein als zwielichtige Figur von zweifelhafter Moral, was schließlich zu seiner Ausformung als Bader und Bordellbesitzer (K2) führen wird. Unter dem Namen Rostó liefert diese Figur, neben derjenigen der Brünetten, eines der Abgrenzungsmerkmale von Konzeption 1. H8 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 18 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte TS4 = fragm. Fassung des 4. Bildes „Im Jagdschloss“ (Korrekturschicht)

Wie bei den Ausarbeitungen von TS1–TS3 folgt die Positionierung von TS4 aufgrund des Mangels materieller Kriterien – die verwendete Papiersorte entspricht weitgehend den vorangegangenen Textarbeiten – und der fragmentarischen Überlieferungslage inhaltlichen Gesichtspunkten. Die Einordnung in Konzeption 1 ergibt sich zweifellos über die Figuren Rosto (in dieser Textstufe ohne Akut) sowie der Brünetten. Ausschlaggebend für die Platzierung innerhalb von Konzeption 1 sind die Veränderungen, die zwischen E6 und E7 stattgefunden haben, sowie einige Kohärenzen der textlichen Ausgestaltung. In E6 ist ein Bild „Im Jagdschloss“ noch an vierter Stelle vorgesehen, während E7 dieses, bedingt durch das neu eingeführte Bild „Zimmer der Frauen“, erst an fünfter Stelle platziert. Im Vergleich mit den vorangegangenen Textstufen zum zweiten Bild („Beim Grafen von Siebenbürgen“) zeigen sich Zusammenhänge mit TS1 und TS2 Mit der Szenenanweisung: „Die Aprilsonne scheint“ wird die Wettermotivik der vorangegangenen Textstufen angedeutet, was schließlich zur fast wortgetreuen Übernahme von Teilen des Dialogs zwischen Amme und Graf führt – ein bei Horváth oft zu beobachtendes Verfahren. TS4 stellt die erste erhaltene Ausarbeitung des Bildes „Im Jagdschloss“ dar. Die Frauen sowie Rosto sind gerade angekommen; auf den Ausspruch Rostos hin, keine der drei Frauen habe sich Derartiges erträumt, erzählen die Brünette und die Blonde ihre Träume vom König, der sie mit einem Speer durchbohrt habe bzw. „kalt, wie Eis“ gewesen sei. Daran schließt sich der bereits erwähnte Dialog über das wechselhafte Wetter an; im Traum der Blonden über den eiskalten König sticht die für Horváths späte Texte charakteristische Motivik des Eises und der Kälte noch auffällig hervor, im abgeschlossenen Stück findet sie allerdings keine Verwendung mehr. Die Reisegesellschaft betritt nun das Schloss – Rosto fürchtet eine Erkrankung seines „Musters“ –

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Konzeption 1

und Matthias tritt mit dem Hofbeamten auf, dem er eine in dieser Textstufe nicht näher bestimmte Geheimhaltung auferlegt. Vermutlich handelt es sich bei dieser Replik um eine Anspielung auf die Verkleidung des Königs als Diener, die, von Mikszáth übernommen und variiert, ein konstantes Element der Textentwicklung darstellt. Die Idee, die Ankunftsszene zu schildern, entnimmt Horváth von Mikszáth, verschiebt jedoch deren Bedeutung, indem er sie vom Mittag auf den Abend verlegt und die zeittypische Kältemetaphorik einbringt. Ob von dieser Textstufe noch weitere, als verloren zu erachtende Blätter vorgelegen haben, oder ob Horváth an dieser Stelle die Ausarbeitung abbricht – das gedrängte Schriftbild am Fuß des Blattes deutet eher auf Letzteres hin –, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. H9 = ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 10 1 Blatt unliniertes Papier (297 × 210 mm), hell, schwarzblaue Tinte E7 = fragm. Strukturplan

E7 stellt einen wohl nur fragmentarisch überlieferten Strukturplan dar, der, wie E1, wieder eine Unterteilung in sieben Bilder vorsieht. Erhalten sind allein die Notizen zu den Bildern vier bis sieben. Es ist jedoch anzunehmen, dass von E7 noch mindestens ein weiteres Blatt existiert haben muss, auf dem die ersten drei Bilder festgehalten worden sind. Das verwendete Papier entspricht dem bei der maschinenschriftlichen Textstufe K2/TS13 und in der montierten Fassung K2/TS14 benutzten hellen Schreibmaschinenpapier. Der Entwurf ist aber aufgrund seines Inhalts definitiv im Kontext von Konzeption 1 anzusiedeln. Für hs. Entwürfe hat Horváth dieses Papier nur noch bei E8 verwendet. Im Rahmen hs. Textarbeiten scheint Schreibmaschinenpapier noch im Falle von K2/TS2 und TS3 auf; hier wurde Papier der dunkleren Sorte verwendet, wie es ebenfalls in der montierten Fassung K2/TS14 vorkommt (zur Differenzierung der Papiersorten dort vgl. den Kommentar zu K2/TS14). Vermerkt sind die Bildtitel „Zimmer der drei Frauen“, „Auf dem Jagdschloss“, „Beim König“ und „In Selistje“. Durch die auf dem Blatt eingetragenen Figurennamen „Brünette“ und „Rostó“ lässt sich das Blatt eindeutig Konzeption 1 zuordnen, darüber hinaus erweist sich die Positionierung jedoch als schwierig. Die hier vorgenommene Einordnung orientiert sich an Indizien und der Abgrenzung zu den übrigen Entwürfen dieser Konzeption, insbesondere zu E9–E11 sowie zu TS4. In E7 notiert Horváth zum 4. Bild „Zimmer der drei Frauen. Nacht. Serenaden“, wodurch sich ein Bezug zum 4. Bild „Nacht“ in E9 herstellen lässt (zur genaueren Einordnung von E9–E11 vgl. dort). In TS4 wiederum ist als viertes Bild noch das „Jagdschloss“ samt Ankunft der Frauen beim König vorgesehen. Weitere Indizien liefert die Veränderung der Schreibweise von „Selistje“ im Verlauf von Konzeption 1. Während Horváth in den frühen Entwürfen (E1, E6) noch die am Ungarischen orientierte Schreibweise übernimmt („Szelistye“), geht er in TS1–TS3 sowie in E7 zur Schreibweise „Selistje“ über, um schließlich von E9–E11 an durchgängig bis zur Endfassung (K3/TS1) „Selischtje“ zu schreiben. Einen letzten Anhaltspunkt liefert das 6. Bild „Beim König“, das in E7 zum letzten Mal unter diesem Titel vorkommt und sich mit dem ebenfalls „Beim König“ betitelten 5. Bild von E6 in Verbindung bringen lässt. Während die letzten drei Bilder denjenigen von E6 in ähneln, ist das 4. Bild „Zimmer der drei Frauen“ neu und erweitert das Stück auf nun sieben Bilder. Für das 5. Bild hat der Autor zunächst „Das Faschingsfest“ geschrieben, vermutlich in direkter Anspielung auf den Rollentausch der Hofadeligen mit den Dienern in Mikszáths

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Roman. Das Motiv der Verkleidung wird schließlich auf den König beschränkt, wie auch die Notiz „König als Lakai“ deutlich macht. Bei der diesem Bild weiters zugehörigen Notiz: „Die Brünette wählt den alten Rostó“ dürfte es sich um eine Anspielung auf die „Gattenwahl“ der Romanvorlage handeln, wie sie bereits in E4 auftaucht. H10 = ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 11 1 Blatt unliniertes Papier (297 × 210 mm), hell, schwarzblaue Tinte E8 = Dialogskizze zum 7. Bild

Die Einordnung von E8 ergibt sich aus dem mit E7 identischen hellen Schreibmaschinenpapier, das Horváth im Rahmen seiner hs. Ausarbeitungen nur für diese beiden Entwürfe verwendet hat, sowie aus der Situierung im „7. Bild“, das erst mit E7 wieder eingeführt wurde. Weitere hs. Ausarbeitungen auf Schreibmaschinenpapier sind im Falle von K2/TS2 und TS3 überliefert. Dort wurde allerdings Papier der dunkleren Sorte verwendet, das ebenfalls in der Montage von K2/TS14 verarbeitet wurde. Der auf dem Blatt überlieferte Text lässt keinen gesicherten Anschluss an andere Ausarbeitungen zu und könnte an fast jedem Punkt der Genese eingeordnet werden. Zwar wäre eine Einschätzung des Blattes als fragmentarisch ausgearbeitete Textstufe denkbar, jedoch sprechen die Topografie des Blattes (abschließender/abgrenzender Strich unter dem Dialog) sowie das völlige Fehlen weiterer gesicherter Anschlusspunkte zum übrigen Material dieser Konzeption für eine Behandlung als Entwurf. Vorgesehen ist ein Dialog zwischen dem Grafen und der Blonden. Der notierte Text impliziert die Hinwendung der Blonden zum König, womit eine weitere Umakzentuierung der Romanvorlage zu erkennen ist: Dort wird die „Blonde“, Marie Schramm, mit dem Narren Mujko zusammengebracht, der König liiert sich mit der „Brünetten“, Anna Gergely. H11 = ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 8 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte E9 = gestrichener fragm. Strukturplan in 6 Bildern (links) E10 = Strukturplan in 6 Bildern (rechts oben) E11 = Strukturplan in 6 Bildern mit Notizen und Repliken (rechts mittig)

Die auf dem Blatt BS 22 [1], Bl. 8 überlieferten Entwürfe sind aufgrund inhaltlicher Indizien eher am Ende von Konzeption 1 anzusiedeln. Ausschlaggebend dafür ist das Fehlen eines Bildes „Wirtshaus“, das ab K2/E1 geführt wird, sowie der noch unbenannte „Wirt“, der ab K2/E5 den Namen Thomas erhalten wird. Auffällig ist vor allem der sich zwischen E9 und E10 neuerlich vollziehende Wechsel von der bereits in E7 notierten und mit dem Dialogentwurf von E8 implizierten Struktur in sieben zurück zu einer Unterteilung in sechs Bildern. Das in E9 an die vierte Stelle gesetzte Bild „Nacht“ lässt sich mit dem 4. Bild von E7 in Zusammenhang bringen. Ein weiteres Indiz liefert, wie bereits im Kommentar zu E7 vermerkt, die sich im Verlauf von Konzeption 1 wandelnde Schreibweise von „Szelistye“. Bei E9–E11 liegt beim 7. bzw. 6. Bild jeweils die für die Folgekonzeptionen sowie die Endfassung (K3/TS1) schließlich maßgebliche Schreibweise „Selischtje“ vor (vgl. die Kommentare zu E1 und E7). In E9 findet sich noch eine Struktur in sieben Bildern, wie sie sich schon in E7 abgezeichnet hat. Horváth verzichtet hier jedoch auf die Eintragung des ersten Bildes

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Konzeption 2

(vermutlich, wie in den übrigen Entwürfen, „Audienzsaal“). Die übrigen Bilder betitelt er mit „Burg des Grafen“, „Audienzsaal“, „Nacht“, zweimal „Jagdschloss“ und abschließend „In Selischtje“. Zu diesem Entwurf finden sich keine weiteren Anmerkungen. Ein senkrechter Strich deutet an, dass dieser Entwurf anscheinend zugunsten der nebenstehenden Entwürfe in sechs Bildern verworfen wurde. E10 und E11 zeigen wieder eine Struktur in sechs Bildern, die durch die Zusammenlegung des 4. Bildes „Nacht“ von E9 mit einem der „Jagdschloss“-Bilder zustande kommt. Diese Zusammenlegung wird sich bis in die Endfassung erhalten, das 5. Bild spielt dort auf der „Jagdschlossterrasse in einer Sommernacht“. Die Bildfolge beider Entwürfe lautet: „Audienzsaal“, „Burg des Grafen“, „Audienzsaal“, „Jagdschloss“, „Nacht im Jagdschloss“ und „In Selischtje“. Die Eintragungen von E10 werden mit Strukturierungszeichen versehen, bei E11 sind einige Notizen vermerkt. Hier ist erstmals die Ernennung des Hofbeamten zum neuen Statthalter skizziert. Außerdem findet sich eine Replik zur Bestechung des (unerkannten) Königs durch den Wirt. Wieso Horváth hier wieder zu einer Struktur in sechs Bildern zurückkehrt, ist nicht zu klären. Die folgenden Entwürfe von Konzeption 2 zeigen durchgängig einen Aufbau in sieben Bildern. H12 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 27 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 207 mm), gerissen (halbierter Bogen), glatt, schwarzblaue Tinte E12 = Konfigurationsplan mit gestrichener Replik zum 6. Bild „In Selischtje“

Für die Einordnung des Entwurfs von Blatt BS 22 [2], Bl. 27 sind nur wenige Anhaltspunkte vorhanden. Aufgrund der Betitelung als „6. Bild. / In Selischtje.“ kann von einer Zugehörigkeit zu Konzeption 1 ausgegangen werden, da sich in K2 ausschließlich Strukturpläne in sieben Bildern finden lassen und die Verortung des letzen Bildes im Dorf Selischtje zu den Konstanten des Produktionsprozesses gehört. Die bereits stattgefundene Abkehr von den Figurennamen Mikszáths zugunsten einer Bezeichnung der Frauen nach ihrer Haarfarbe (ab TS3) sowie die typische Schreibweise „Selischtje“ (ab E9) machen eine Positionierung nach E10 und E11, die ebenfalls zu einer Struktur in sechs Bildern zurückkehren, plausibel. In E12 wird ein Dialog zwischen der Blonden und Matthias skizziert, jedoch nur mit einer Replik Matthias’ ausgeführt, der sein früheres Misstrauen erklärt. Vermutlich deutet der Entwurf bereits auf das spätere Verhältnis der Blonden mit Matthias hin.

Konzeption 2: Ein Dorf ohne Männer – Bader/Rote H1 = ÖLA 3/W 86 – BS 22 [1], Bl. 9 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte E1 = Strukturplan in 4 Bildern mit Notizen, Repliken und Dialogskizzen mit Werktitel „Ohne Männer“

Der auf BS 22 [1], Bl. 9 notierte Strukturplan dokumentiert eine wesentliche Weiterentwicklung des Stückes hin zur ersten vollständigen Fassung in K2/TS14. Die merklichen Unterschiede zu den vorangegangenen Entwürfen und Textstufen – neue Figuren, neue Handlungselemente sowie der neue Schauplatz „Wirtshaus“ – rechtfertigen den Ansatz einer neuen Konzeption mit diesem Blatt. Die Positionierung am Beginn

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Chronologisches Verzeichnis

dieser Konzeption begründet sich über die noch nicht näher benannten Figuren „Bader“ und „Badhur“, aus der später die Braune (E2) bzw. Rote (ab TS4) wird, sowie das für Horváths Arbeitsweise typische Verhältnis des vorliegenden zu den folgenden Entwürfen, bei dem einem makrostrukturellen Überblick detaillierte Notizen und Ausarbeitungen folgen. Unter dem nur hier verwendeten Titel „Ohne Männer“, den Horváth mit der die Bilderfolge endgültig eingrenzenden Anmerkung „Lustspiel in 7 Bildern“ versieht, wird ein Strukturplan für das 4. bis 7. Bild erstellt und mit zahlreichen Notizen und Dialogskizzen angereichert. Die ersten drei Bilder finden keinerlei Erwähnung, vermutlich wurden sie auf einem anderen, nicht überlieferten Blatt notiert bzw. wird deren bisherige Abfolge (vgl. K1/E9–E11) als die weiterhin gültige erachtet. Die Abfolge der in E1 erstellten Bilder lautet: „Wirtshaus“, „Jagdschloss“ und „Jagdschloss. Nacht“, das 7. Bild ist unbetitelt. Mit dem neuen Bildtitel des 4. Bildes „Wirtshaus“ ist ein weiterer Handlungsort der Endfassung fixiert (dort: „Hofgasthaus“, 4. und 6. Bild), dessen Einfügung die Struktur wieder auf sieben Bilder erweitert. Die beiden „Jagdschloss“-Bilder sind bereits aus früheren Entwürfen bekannt; mit dem Zusatz „Nacht“ zum 6. Bild übernimmt Horváth die Änderungen aus den noch auf sechs Bilder angelegten Entwürfen K1/E10 und E11. Die diesem Bild zugewiesene Anmerkung „Drei Himmelbetten, auf denen die Frauen sitzen“ deutet auf eine in diesem Arbeitsstadium noch vorgesehene Übernachtung der Frauen auf dem Schloss hin. Die maßgeblichen Neuerungen dieses Strukturplans sind die Figuren des „Baders“ und der „Badhur“, aus der in den Folgearbeiten am Stück die Figur der Roten werden wird; mit ihnen wird explizit das Thema der Prostitution eingeführt. Mit der Figur des Baders transformiert Horváth die bereits in Konzeption 1 moralisch fragwürdig angelegte Figur des Präfekten Rostó endgültig zu einer zwielichtigen Gestalt. An Figuren vorgesehen sind nun: „Matthias“, ein „Hofbeamter“, der „Graf“, der „Wirt“, der „Bader“, die „Blonde“, die „Schwarze“, die „Badhur“ sowie ein „Türke“. Darüber hinaus werden weitere zentrale Motive der Romanvorlage Mikszáths umgedeutet bzw. neu arrangiert: Matthias beschützt zwar die Braut des Wirtes vor Zudringlichkeiten des Hofbeamten, der Wirt jedoch hat keinerlei Interesse mehr an ihr. Der drohende Ruin des Wirtes wird abgewendet, jedoch nicht durch die legendäre Schönheit des bei ihm einquartierten Musters, sondern durch die Umwandlung des Wirtshauses in ein Bordell – eine wirtschaftliche Sanierung, die schließlich auch der Graf anzustreben scheint. Die bei Mikszáth sorgsam inszenierte „Gattenwahl“, auf dem Strukturplan K1/E6 noch in ähnlicher Form notiert, wird zu einer Art Partnerwechsel: Der Wirt heiratet die „Badhur“, die dadurch „kleinbürgerliche Sehnsüchte“ entwickelt, seine eigentliche Braut, die Schwarze, bindet sich an den Grafen. Das Verhältnis von Blonder und Matthias wird nicht ausgeführt, der entworfene Dialog zwischen den beiden exponiert dafür die für Horváths Bearbeitung als kennzeichnend erachtete Beschäftigung mit der Frage nach der Rolle und Freiheit der Frauen. Ein weiterer Neuzugang dieses Arbeitsstadiums ist die Figur des Türken, der mit den Worten: „Der Harem!“ auftreten soll. Damit in Verbindung steht vermutlich die Warnung, die der Graf gegenüber dem Hofbeamten ausspricht: „Halt! Das ist Harem! Staatswohl geht vor Gemeinwohl!“ Der durch den Türken und den Grafen ins Spiel gebrachte „Harem“ fußt wohl auf einer Stelle in der Romanvorlage, in der vom türkischen Sultan berichtet wird, dass er Matthias Corvinus sämtliche strittigen Gebiete abtreten möchte, so er dafür das Dorf Szelistye mit seinen schönen Frauen erhält.

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Konzeption 2

H2 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 17 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), Bogen, schwarzblaue Tinte E2 = Dialogskizzen zum 4. Bild (oben) E3 = Dialogskizze zum 2. Bild (mittig) E4 = Szenenanweisung zum 6. Bild (unten)

Die genaue Einordnung des vorliegenden Blattes ist fraglich, die vorgenommene Positionierung orientiert sich an inhaltlichen Indizien und den Charakteristika von Horváths Arbeitsweise. Die auf dem Blatt eingetragenen Entwürfe umfassen zwei Dialogskizzen zum 4. und zum 6. Bild (E2, E3) und eine Szenenanweisung zum 6. Bild (E4). Die Einordnung in K2 ergibt sich durch die Figur des Baders (E3), ein Zusammenhang mit E1 lässt sich über die Szenenanweisung zum 6. Bild „Drei Himmelbetten mit {vorziehbaren} Vorhängen“ (E4) herstellen, dort heißt es: „Drei Himmelbetten, auf denen die Frauen sitzen“ (E1). In dem zum 4. Bild skizzierten Dialog zwischen der Blonden und dem Grafen (E2) ist von einer „Braune[n]“ die Rede; im Hinblick auf die später in E5 zu beobachtenden Änderungen ist dies wahrscheinlich ein Hinweis auf die erfolgte Umbenennung der Brünetten von Konzeption 1. Aus dieser Figur wird schließlich, ab TS4, die auch in der Endfassung (K3/TS1) agierende Rote werden. Zuletzt orientiert sich die Positionierung nach E1 an Horváths Arbeitsweise: Üblicherweise schafft der Autor sich in größeren Entwürfen zunächst Übersicht über den aktuellen konzeptionellen Status des Stückes, bevor er mit bildspezifischen bzw. detaillierten Ausarbeitungen fortfährt. Anders als bei den übrigen Textträgern in der Entstehung des Stückes hat der Autor den vorliegenden Bogen nicht halbiert. Dies kann auf die Vorläufigkeit der notierten Entwürfe hindeuten; ein ähnlicher Fall liegt nur bei H10/BS 22 [2], Bl. 35 vor, dessen kursorische Eintragungen aber ebenfalls nur wenige weitere Schlüsse zulassen (vgl. den Kommentar zu TS6). Die auf dem vorliegenden Blatt versammelten Entwürfe geben nur wenige Eindrücke über die Anlage des Stückes zu diesem Bearbeitungszeitpunkt. Der notierte Dialog zwischen Bader und Graf zum 2. Bild (E3) deutet vermutlich die Veränderung der Szene von der „Burg des Grafen“ (K1/TS1–TS3) zur Badeanstalt an. In den vorangegangenen Textarbeiten hatte der Graf die Blonde erst über die Versammlung des „Musters“ durch Rostó getroffen; hier sind diese Figuren bereits verheiratet. Das in E3 angesprochene „Unglück in Ihrer [i.e. des Grafen] Familie“ handelt wahrscheinlich vom Fluch, der auf dem Grafen lastet. Die Reaktion des Grafen – „Man soll sich nicht mit Plebejern einlassen“ – sowie der Vorwurf der Blonden in der Skizze zum 4. Bild, der Graf habe sie nur aus „Eigensinn und Trotz“ geheiratet (E2), deuten hier eher auf eine Mesalliance als Grund für den Fluch hin. Die Begründung des auf dem Grafen lastenden Unglücks durch eine unstandesgemäße Verehelichung bzw. einen von der Blonden begangenen Ehebruch ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen (vgl. TS7), bis zu den letzten Arbeitsschritten an der montierten Fassung K2/TS14 die favorisierte Ausgestaltung dieses Motivs (vgl. TS11, TS12 und den Kommentar zu TS14). H3 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 28 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 209 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte, hs. Paginierung 1 E5 = Dialogskizzen, Notizen und Konfigurationspläne zum 6. Bild „In der Nacht“

Die Abgrenzung von E5 gegenüber dem restlichen Konvolut zu Konzeption 2 ist durch den Figurennamen der „Braunen“ gegeben, da in den übrigen Entwürfen und Text-

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Chronologisches Verzeichnis

stufen dieser Konzeption bereits die „Rote“ agiert. Die genaue Einordnung in die genetische Reihe, insbesondere die Abgrenzung zu TS1, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Die Situierung der Szene „In der Nacht“ sowie die Szenenanweisung „Die drei Frauen ziehen sich aus / legen sich zu Bett“ entsprechen grob den Aufzeichnungen von E1, ebenso der Auftritt der männlichen Hauptfiguren; allerdings fehlt das in E1 und E4 charakteristische Element der „Himmelbetten“. Mit der Notiz „Thomas (kommt)“ ist erstmalig der Name des Wirtes genannt, wodurch sich E5 von E1 (dort noch „Wirt“) abgrenzen lässt. Auffällig ist, dass Horváth in einer Regieanmerkung zunächst noch „Brünett“ notiert, dies aber sogleich zu „Schwarze“ und schließlich zu „Braune“ korrigiert. E5 präzisiert einige Handlungselemente des 6. Bildes auf dem aktuellen Stand der Textentwicklung. Die Korrektur der „Schwarzen“ zur „Braunen“ im Gespräch mit dem Grafen dürfte in Zusammenhang mit der in den vorherigen Entwürfen skizzierten Struktur des Partnerwechsels stehen; die Charakterisierung der Blonden als „Badmagd“ verstärkt den Ausspruch des Grafen in E3: „Man soll sich nicht mit Plebejern einlassen“, der seinen Fluch als Folge einer Mesalliance erscheinen lässt. Erstmals angedeutet findet sich die Drohung des Königs, dem Grafen den Kopf zu nehmen, weshalb dieser den Bader anweist, 300 schöne Frauen zu finden; das Motiv selbst entnimmt Horváth der Romanvorlage, in der Matthias Corvinus dem Grafen Dóczy seine drohende Enthauptung in einem Brief mitteilt. H4 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 19–21 3 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte, hs. Paginierung 1–3 TS1 = fragm. Fassung des 5. Bildes „Im Jagdschloss des Königs“ (Korrekturschicht)

Die Ausarbeitungen der Blätter BS 22 [2], Bl. 19–21 zum 5. Bild können als erste überlieferte Textstufe von K2 gewertet werden. Der Zusammenhang der Blätter ergibt sich neben der durchgängigen Paginierung und dem inhaltlich konsistenten Textzusammenhang auch aus den Risskanten der Bl. 19 und 20, die diese als Teile desselben Bogens ausweisen. Für die Einordnung der Textstufe sind erneut einige Indizien ausschlaggebend: So wird neben der Blonden und der Schwarzen in dieser Textstufe nach wie vor die Braune – eine Figurenvariante der späteren Roten – genannt (vgl. den Kommentar zu E1–E5). Die Topografie der Blätter zeigt größere Überarbeitungsspuren und Texteinfügungen, bis hin zu einer Auflösung des Schlussteils in eine entwurfsartige Fixierung des weiteren Handlungsverlaufes, was ebenfalls für eine frühe Positionierung in K2 spricht. Die Einordnung nach E1 ergibt sich über die wie in E5 erfolgende Benennung der vorher nur als „Wirt“ bezeichneten Figur des Thomas. Von den übrigen Textstufen dieser Konzeption ist die vorliegende Ausarbeitung durch die am Schluss des Bildes erwähnte Figur der „Braunen“ abzugrenzen. Die Abgrenzung zu E5 ist nicht zweifelsfrei zu klären – unter Umständen könnte TS1 auch vor E5 entstanden sein. Mit TS1 liegt eine erste umfassende Ausarbeitung des 5. Bildes „Im Jagdschloss des Königs“ vor. Horváth wird im Verlauf der Arbeiten am Stück dieses Bild noch umarbeiten bzw. andere Aspekte der Szene in den Vordergrund rücken. Die hier vorliegende Fassung zeigt die Ankunft des Königs im Jagdschloss, wo er zunächst auf seinen Diener, dann auf den Grafen und die Blonde trifft. Die auf Matthias bezogene Regieanweisung „([…] sieht sich um, geht dann zum Spiegel, kämmt sich und be-

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Konzeption 2

trachtet sich)“ (Bl. 19) deutet darauf hin, dass die Szene noch innerhalb des Schlosses angesiedelt ist, später zu datierende Ausarbeitungen zeigen das 5. Bild, der Endfassung K3/TS1 entsprechend, auf der Terrasse vor dem Jagdschloss (vgl. TS5, TS13). Der König trifft schließlich auf den Wirt Thomas, der auf der Suche nach seiner Braut, der Schwarzen, ist. Der folgende Dialog exponiert bereits einige Elemente der Endfassung, so etwa Matthias’ Verkleidung als Diener, die Probleme des Königs in der Liebe und die von Mikszáth übernommene Bestechung Matthias’. In einer Figurenrede findet sich auch der endgültige Name von Thomas’ Wirtshaus, das „Einhorn“, erwähnt. Der weitere Handlungsverlauf ist nur stichwortartig festgehalten: An das Lüften der Verkleidung des Königs schließt sich eine Abwandlung der hier wiederaufgenommenen „Gattenwahl“ Mikszáths – Thomas und die Schwarze werden verheiratet, die Braune wählt den Grafen, die Blonde Matthias – und die Ankündigung, der Graf werde seinen Kopf verlieren. Mit einigen der in TS1 exponierten Handlungselemente schließt Horváth wieder stärker an die Vorlage Mikszáths an als in den vorangegangenen Entwürfen und Textstufen. So bekennt Thomas, seine Braut erst auf der Reise kennengelernt zu haben (in K1/TS4 sind der Wirt und die Schwarze bereits vor Reiseantritt verlobt), und die geplante „Gattenwahl“ geht wieder hinter die in E1 entwickelte Struktur des Partnerwechsels zurück. Aufschlussreich hinsichtlich der Transformationen der Figur der Blonden sind die auf Bl. 19 eingefügten Äußerungen, sie möchte „höher hinaus! Ich könnt die Höheren vielleicht nicht lieben, aber ich will sie ausnützen!“ Diese Bemerkungen zeigen sie, in Kontrast zur Gestaltung der Figur in der Endfassung, als typische Vertreterin eines Horváth’schen ‚Fräuleins’. H5 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 26 1 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), dunkel, schwarzblaue Tinte TS2 = fragm. Fassung des VI. Bildes (Grundschicht) TS3 = fragm. Fassung eines Bildes (Korrekturschicht)

Die Einordnung der auf diesem Blatt befindlichen Textpassagen an dieser Stelle ist höchst unsicher. Für die Erarbeitung dieser kurzen Textstufen hat Horváth dunkles Schreibmaschinenpapier verwendet, wie es sich auch in den maschinenschriftlichen Textstufen TS10–TS12 sowie weiten Teilen der montierten Fassung TS14 findet. An hs. Arbeiten zum Stück sind außer den vorliegenden Textstufen nur noch K1/E7 und E8 auf diesem Material überliefert, diese jedoch auf Papier der helleren Sorte (zur Differenzierung der Papiersorten vgl. den Kommentar zu K2/TS14). Die genaue Platzierung des Blattes in der genetischen Reihe ist neuerlich auf inhaltliche Indizien angewiesen, die in diesem Falle nur spärlich sind. Einzig der Verweis auf die Figur der Roten in der als TS3 gewerteten Textpassage verortet die vorliegenden Ausarbeitungen klar in Konzeption 2 und liefert ein Kriterium zur Abgrenzung gegenüber E1–E3 und TS1, in denen noch die Figur der Braunen agiert. Die in TS2 angedeutete „Besänftigung“ Matthias’ durch die Blonde ähnelt Notizen des ausführlichen Entwurfs E5 und der ersten Variante von TS8; der in TS3 ausgesprochene „Schutz“ der Schwarzen durch Matthias – ein fixer Handlungsbestandteil bereits bei Mikszáth – sowie der Dialog mit der Blonden weisen Zusammenhänge mit der vorangegangenen Textstufe TS1 und mit E1 auf. Für die Bildnummerierung von TS2 wurden römische Ziffern benutzt, ähnlich E10 und TS9, ein systematischer Zusammenhang lässt sich aber nicht erkennen. Ausschlaggebend für die frühe Einordnung ist schließlich der stark fragmentarische und

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entwurfsartige Charakter der Ausarbeitungen, der sich merklich von den übrigen Entwürfen und Textstufen dieser Konzeptionsphase abhebt. Möglich wären verschiedene andere Einordnungen, etwa im Anschluss an TS5, im Kontext der ersten Variante von TS8 oder als Beiblatt zu nicht überlieferten maschinenschriftlichen Ausarbeitungen. In TS2 findet sich ein sehr kurzer Dialog zwischen der Blonden und Matthias zum „VI. Bild“ notiert, der ein Motiv der montierten Fassung K2/TS14 sowie der Endfassung K3/TS1 vorwegnimmt. Die Blonde behauptet hier, die pazifistischere Politik des Königs hänge nicht nur von der Friedfertigkeit des Sultans ab, sondern auch von ihrer beider Bekanntschaft. Die Dialogsequenz von TS3 wiederum dürfte zum 5. Bild des geplanten Stückes gehören und schließt inhaltlich wohl an den in TS1 ausgearbeiteten Dialog zwischen Thomas und Matthias an, da dieser dem Hofbeamten verbietet, sich der Schwarzen zu nähern. Matthias verlangt daraufhin die Rote, die jedoch betrunken unter dem Tisch liegt. Der Hinweis des Hofbeamten, sie habe von ihm Geld verlangt, weist auf einen Zusammenhang mit den Ausarbeitungen von TS5 hin, in denen die Rote sich dem Hofbeamten mangels Bezahlung verweigert. Schließlich wird die Blonde herausgeschickt, die augenscheinlich Matthias nicht erkennt und von ihm mit seinem Wissen um den Betrug konfrontiert wird. H6 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 22, 23 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 200 mm) und 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte, hs. Paginierung 2, 3 TS4 = fragm. Fassung eines Bildes (Korrekturschicht)

H7 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 23–25 3 Blatt unliniertes Papier (298 × 210 mm), gerissen (halbierter Bogen), hs. Paginierung 3–5 E6 = Konfigurationsplan mit Notizen und Dialogskizzen

Mit der auf BS 22 [2], Bl. 22, 23 überlieferten Textstufe TS4 und dem ab Bl. 23 direkt anschließenden Entwurf E6 liegt ein spezifischer Fall vor, der in unterschiedlicher Ausprägung auch bei anderen hs. Textstufen zum Stück beobachtbar ist. Horváth beginnt zunächst mit der Ausarbeitung einiger Textpassagen in TS4, bricht jedoch auf Bl. 23 die durchgängige textliche Ausarbeitung ab und geht auf die Ebene des Entwurfs zurück, indem er einen umfänglichen Konfigurationsplan samt Notizen und ausführlichen Dialogskizzen gestaltet. Die Abgrenzung zu den bisherigen Textarbeiten ergibt sich über inhaltliche Übernahmen und Umarbeitungen zur Ausarbeitung von TS1 sowie die Figur der Roten, die nun die Figur der Braunen ersetzt (vgl. aber die unter Vorbehalt gesetzte Textstufe TS3). Von den folgenden Entwürfen und hs. erarbeiteten Textstufen lassen sich die vorliegenden Blätter über das später verwendete Material (ausschließlich kariertes bzw. hochformatiges Papier) absetzen. Darüber hinaus wird in E7 das 5. Bild „Im Jagdschloss“, im Gegensatz zum 6. und 7. Bild, kaum mit Anmerkungen versehen und, neben einer die Szene beschließenden Replik Matthias’, ein sich mit E6 deckendes Figureninventar aufgelistet – ein Hinweis, dass das 5. Bild in dieser Form als fixiert erachtet wird. TS4 ist nur teilweise überliefert – ein Blatt mit der Pagina 1 fehlt – und setzt unvermittelt mit der Ankündigung des Hauptmanns ein, der König könne nicht kommen, da ihn eine Botschaft des Sultans aufgehalten habe. Im an TS4 anschließenden Entwurf E6 findet sich eine ähnliche Entwicklung der Szene, wobei im weiteren Verlauf des Konfigurationsplans E6 der König doch noch erscheint und auf

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Konzeption 2

Thomas trifft. Dieser Grundzug der Handlung sowie weitere inhaltliche Indizien (etwa der Ausspruch des Baders über seine „Kollektion“) weisen auf eine Verwandtschaft von TS1 und den Ausarbeitungen der Bl. 22–25 hin, weshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit in TS4 eine fragmentarische Fassung des 5. Bildes vorliegt. Ausgearbeitet ist eine längere Passage zwischen dem Grafen und der Roten. Der Graf schickt einen Lakaien nach der Blonden, um sich mit ihr zu unterreden, es erscheint aber in der Folge die Rote, da die Blonde nicht mit ihm sprechen möchte. Der Graf seinerseits möchte allerdings der Blonden nur mitteilen, dass er ihr nichts mehr zu sagen habe. Daraufhin beginnt die Rote mit dem Grafen über die sie umgebende Landschaft zu sprechen, was dieser aber nur einsilbig bzw. ablehnend beantwortet. Die Replik: „Was rauscht denn da so? Ein Fluss?“ und die Antwort: „Nein. Der Wald.“ (Bl. 22) werden unverändert in einen Dialog zwischen Matthias und dem Hofbeamten der montierten Fassung TS14 übernommen. Die Aussage der Roten, es sei hier „[s]chöner schon, wie in einem Badhaus“ (ebd.) macht die Figur neuerlich als die in K2/E1 notierte „Badhur“ kenntlich. Mit einem nicht vollständig in die vorliegende Szene integrierbaren Ausruf der Roten, die sich über die herrschende Langeweile beschwert, bricht Horváth die Bearbeitung ab und kehrt nochmals auf die Entwurfsebene zurück. E6 stellt einen detaillierten Konfigurationsplan in 23 unterschiedlichen Figurenkonstellationen zum (wahrscheinlich) 5. Bild dar, ergänzt durch Notizen und ausführliche Dialogskizzen. Horváth nimmt hier verschiedene Elemente der vorangegangenen Entwürfe und Textstufen auf, verändert und ergänzt sie. Ob E6 die Textausarbeitungen der materiell am nächsten stehenden TS4 ersetzt oder eher fortführt, ist nicht eindeutig zu erkennen: Die bei „1.)“ beginnende Nummerierung der einzelnen Konfigurationen deutet auf eine völlige Neuüberarbeitung der Szene hin, eine Konfiguration wie in TS4, die nur den Grafen und die Rote vorsehen würde, gibt es nicht. Bemerkenswert sind v.a. einige inhaltliche Umakzentuierungen, die zum Teil auf Ideen aus E1 zurückgreifen: So findet sich in E6 eine Wiederaufnahme des in E1 skizzierten Partnerwechsels, die in Kontrast zum in TS1 skizzierten Handlungsverlauf steht, wo Horváth eine eng an Mikszáths Vorlage orientierte Verehelichungsszene vorsieht. An vorliegender Stelle wird die Partnerwechsel-Struktur vor allem über die Figuren der Roten und des Grafen aufgebaut, die jeweils auf ihre Art sich Thomas bzw. seiner Braut, der Schwarzen, nähern und das Paar schließlich auch auseinanderbringen. Stärkere Ausarbeitung erfahren die Auftritte der Blonden und Matthias’; außerdem akzentuiert Horváth zusehends die für seine Bearbeitung des Stoffes als charakteristisch erachteten weiblichen Figuren und verschafft, nachdem sich frühere Textarbeiten vor allem auf die Blonde konzentriert haben, der Roten und der Schwarzen mittels einiger ausführlicherer Figurenreden zu ihren Hintergründen und Motivationen mehr Tiefe. Die Replik der Blonden „Die Leiden der Frauen im Krieg“ (Bl. 25) deutet auf die später gänzlich vollzogene Verschiebung des Dialogs über die Leiden der Frauen vom 6. (E1) ins 5. Bild voraus (vgl. den Kommentar zu E10). Der Nukleus der Handlung dieses Bildes umfasst nun den Konflikt des Paares Schwarze – Thomas, der zu ihrer Trennung führt, die Liaison der Roten mit Thomas und des Grafen mit der Schwarzen, die Ankunft des Königs inkognito und dessen Gespräche mit der Blonden sowie mit Thomas. Am Ende des Bildes steht die Einsicht Matthias’ in den Betrug, das Lüften seines Inkognitos und die auch in Mikszáths Roman vorgeprägte Drohung des Königs gegenüber dem Grafen, er werde seinen Kopf verlieren.

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Chronologisches Verzeichnis

H8 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 30 1 Blatt kariertes Papier (334 × 206 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte E7 = Konfigurationsplan und Replik zum 5. Bild „Im Jagdschloss“ (links) E8 = Dialogskizzen zum 6. Bild „Im Jagdschloss. Zimmer der Blonden“ (rechts oben und links mittig) E9 = Dialogskizzen zum 7. Bild (unten)

H9 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 29 1 Blatt kariertes Papier (334 × 206 mm), gerissen (halbierter Bogen), schwarzblaue Tinte TS5 = fragm. Fassung des 5. Bildes „Vor dem Jagdschloss“ (Korrekturschicht) Druck in: KW 10, S. 319–321.

H10 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 35 1 Blatt kariertes Papier (334 × 206 mm), Bogen, schwarzblaue Tinte TS6 = fragm. Fassung eines Bildes (Grundschicht)

Die genaue Positionierung der Blätter BS 22 [2], Bl. 29, 30, 35 in Konzeption 2 ist ungewiss, inhaltliche Aspekte deuten jedoch auf eine eher späte Entstehung hin. Die Verwandtschaft der Blätter begründet sich über das verwendete hochformatige karierte Papier, das nur im Falle dieser Ausarbeitungen vorliegt und sich stark vom übrigen Konvolut abhebt. Die Reihung von E7–E9 vor TS5 stützt sich, neben der Annahme über die typische Arbeitsweise Horváths, die größere Textausarbeitungen eher auf makrostrukturelle Überlegungen auf Entwurfsebene folgen lässt, vor allem auf die Bezeichnung des 5. Bildes und das notierte Figureninventar. Der Bildtitel „Vor dem Jagdschloss“ (TS5) entspricht in höherem Maße dem in der montierten Fassung TS14 sowie der Endfassung K3/TS1 vorhandenen 5. Bild auf der Terrasse, während der auf E7 und E8 eingetragene Titel „Im Jagdschloss“ noch stärkere Affinität zu den vorangegangenen Entwürfen sowie zu TS1 aufweist, die innerhalb des Jagdschlosses spielen. Das in E7 notierte Figureninventar stimmt mit dem von E6 überein, wohingegen in TS5 neue Figuren eingeführt werden (Bote, Gardist). Die Platzierung von TS6 ergibt sich allein aus der materiellen Ähnlichkeit der Blätter; unter anderen Gesichtspunkten lassen sich innerhalb dieser Arbeitsphase keine sinnvollen Bezüge zu den anderen handschriftlichen Ausarbeitungen herstellen. Vermutungen über Zusammenhänge mit den maschinenschriftlichen Ausarbeitungen, etwa TS10, bleiben aufgrund der geringen Textmenge von TS6 vage. Die Entwürfe E7–E9 führen Elemente des weiteren Handlungsverlaufes vom 5. bis zum 7. Bild aus. Notiert sind ein Konfigurationsplan zum 5. Bild (E7), sowie Dialogskizzen zum 6. und 7. Bild (E8, E9). Das Fehlen von Eintragungen zu den ersten vier Bildern deutet darauf hin, dass Horváth die konzeptionelle Arbeit an diesen Bildern für abgeschlossen erachtet. E7 versammelt unter dem Titel „Im Jagdschloss“ einen Konfigurationsplan, der der Figurenaufstellung in E6 entspricht. Zusätzlich wird nur noch Matthias’ Drohung „Du verlierst den Kopf – “ vermerkt. In E8 notiert Horváth eine ausführliche Dialogskizze zwischen der Blonden und Matthias, ebenfalls unter dem Titel „Im Jagdschloss“, hier ergänzt um den Zusatz „Zimmer der Blonden“. Die nebenstehende Notiz „Die Drei Weiber: (tauschen Erlebnisse aus)“ bringt dieses Bild wiederum mit den bisherigen Entwürfen zum 6. Bild, dort noch unter dem Bildtitel „Jagdschloss. Nacht“ (E1) bzw. „In der Nacht“ (E5), in Zusammenhang. Wesentlich für diese Bearbeitungsstufe sind die zahlreichen Anmerkungen zum Dialog zwischen der Blonden und Matthias, in dem unter anderem die sich entwickelnde Liebeshandlung zwischen den Figuren Kontur gewinnt.

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Konzeption 2

Die in E9 skizzierten Dialoge zum unbetitelten 7. Bild – der Kontext lässt Selischtje als Handlungsort erschließen – zeigen bereits einige Übereinstimmungen mit dem Schlussbild der montierten Fassung TS14. Darunter fallen etwa die Anrede der Blonden als „Fürstin von Selischtje“ (vgl. TS14/BS 23, Bl. 89), die Vergebung für den versuchten Betrug und das Wissen Matthias’ um die ‚Verpflanzung’ der schönen Frauen an diesen Ort. Abweichungen ergeben sich vor allem durch die anscheinend nach wie vor beibehaltene Partnerwechsel-Struktur, die durch eine Replik Thomas’ nahegelegt wird; ob damit eine neuerliche Verlobung mit der Schwarzen oder aber mit der Roten gemeint ist, lässt sich nicht erschließen. Der Auftritt einer „Türkische[n] Gesandtschaft“ am Schluss des Bildes erinnert an eine Notiz aus E1, die den Auftritt eines Türken im 7. Bild vorsieht. Die Ausarbeitungen von TS5 zeigen den Beginn des 5. Bildes „Vor dem Jagdschloss“. Die Szenenanweisung legt das Geschehen nun nicht mehr im, sondern vor dem Jagdschloss auf einer Terrasse an, unterscheidet sich sonst aber noch gravierend von der Gestalt des Bildes in der montierten Fassung TS14 sowie der Endfassung K3/TS1. Zu Beginn entwickelt sich ein Dialog zwischen einem Boten und einem Gardisten, die sich über die drei Frauen und das im Schloss stattfindende Bankett unterhalten. Beide erkennen den Betrug, und der Gardist ist sich sicher, dass der König dies ebenfalls durchschauen wird. Aus dem Dialog wird klar, dass der König noch nicht eingetroffen ist, er befindet sich noch auf einer Konferenz mit dem Sultan. Nach einem kurzen Gespräch über die Gefahr, „Mohammedaner“ zu werden, treten der Hofbeamte und der Hauptmann auf die Terrasse und unterhalten sich über die Frauen. Auch dem Hauptmann kommen sie eigenartig vor, da die Rote Geld verlangt hat; der Hofbeamte wehrt jedoch ab, dies sei nur durch „die Notlage des Volkes“ bedingt. Nach dem Abgang des Hauptmanns tritt die Rote auf, anscheinend vom Hofbeamten herbestellt. Auch ihn fragt sie nach Geld für ihre Dienste und tritt mit den Worten: „ich bin doch nicht blöd!“ wieder ab. Eine letzte Notiz sieht ein Aufeinandertreffen von Matthias und dem Hofbeamten vor. TS6 ist nur marginal ausgearbeitet und wurde schließlich mit mehreren vertikalen Linien gestrichen. Direkte Textanschlüsse in dieser Bearbeitungsphase lassen sich durch das Fehlen von hs. Ausarbeitungen zum 2. Bild nicht herstellen. Zwar zeigen sich einige Ähnlichkeiten der geschilderten Szene mit ihrer Entsprechung in der maschinenschriftlichen Ausarbeitung von TS10 sowie der montierten Fassung TS14, jedoch lassen sich darüber hinaus keine belegbaren Zusammenhänge erschließen. Der Bogen wurde im Unterschied zum übrigen überlieferten Material (mit Ausnahme von H2/BS 22 [2], Bl. 17, vgl. den Kommentar zu E2–E4) nicht in zwei Hälften zerschnitten. Dies sowie einige Tintenspritzer lassen vermuten, dass Horváth das Blatt eventuell als Beiblatt bzw. Schmierpapier benutzt hat. H11 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 32, 33 2 Blatt unliniertes Papier (340 × 210 mm), gerissen, schwarzblaue Tinte, Paginierung 34 auf BS 22 [2], Bl. 32 TS7 = fragm. Fassung eines Bildes (Korrekturschicht)

H12 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 33 1 Blatt unliniertes Papier (340 × 210 mm), gerissen, schwarzblaue Tinte E10 = Dialogskizze und Notiz zum V. Bild

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Chronologisches Verzeichnis

TS7 sowie die nachfolgenden Ausarbeitungen E10, E11, TS8 und TS9 sind allesamt auf derselben hochformatigen Papiersorte gefertigt, die im restlichen Konvolut zum Stück nicht aufscheint. Darüber hinaus zeigen die Blätter eine jeweils sehr ähnliche Topografie: Horváth schreibt zunächst einen durchgängigen Text, um am rechten Blattrand schließlich Ergänzungen und Varianten zu notieren, die, wie im Falle von TS9, sogar zurück auf die Entwurfsebene führen können. Die Einordnung von TS7 in die genetische Reihe ergibt sich über den Entwurf E10, der am Fuß von BS 22 [2], Bl. 33 eingetragen wurde; die Notizen dort verlagern die bisher vornehmlich im 6. Bild angesiedelten Gespräche über die Probleme der Frauen in Matthias’ Reich (vgl. E1, E8; davon abweichend E6/BS 22 [2], Bl. 25) in das 5. Bild, was in TS8 schließlich seine Umsetzung findet. Mit TS7 liegen zwei Blätter einer Ausarbeitung vor, die vermutlich einmal mehrere Bilder umfasst hat; Indiz dafür ist die auf BS 22 [2], Bl. 32 eingetragene Paginierung 34. Bemerkenswert sind vor allem weitläufigere Eintragungen über die „verfluchte“ Verwandtschaft der Blonden am rechten Blattrand, die Horváth nachträglich vorgenommen hat. Es lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob diese Eintragungen den bestehenden Text ergänzen oder ersetzen sollten; aufgrund der Ähnlichkeiten mit TS8, wo eine vergleichbare Topografie vorliegt, wurde hier die Darstellung als Varianten gewählt. In der vorliegenden Textstufe werden der „Fluch“ der Blonden, seine vermuteten Ursachen und die vermeintlichen Folgen für den Grafen in einem Streitgespräch zwischen der Blonden und dem Grafen thematisiert. Aufgrund dieses Streites und dem direkten Anschluss eines Entwurfs zum 5. Bild kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei TS7 um eine Fassung des 4. Bildes (orientiert an der montierten Fassung TS14) handelt. Die beiden Varianten enthalten stark divergierende Ausgestaltungen der zugrunde liegenden Konstellation: Während in der ersten Variante der Graf sich über das „verflucht[e] Geschlecht“ der Blonden im Klaren war und vergeblich versucht hat, dies zu „ändern“, hat er diesen Umstand in der zweiten Variante erst nach der Verehelichung erfahren, weshalb diese Variante der montierten Fassung TS14 sowie der Endfassung K3/TS1 näher zu stehen scheint. Dessen ungeachtet weisen beide Varianten klar erkennbare Bestandteile des Streitgesprächs im 4. Bild der Endfassung auf: Einerseits unterstellt in der ersten Variante der Graf seiner Ehefrau, für den Türkeneinfall verantwortlich zu sein und ihn „behext“ zu haben, andererseits beinhaltet die zweite Variante eine der Fassung TS14 bereits stark ähnelnde Aufzählung der verfluchten Verwandtschaft, die die Blonde dem Grafen verschweigt. Die Bearbeitung dokumentiert das nach wie vor starke Schwanken Horváths in grundlegenden konzeptionellen Aspekten des Stückes. Tatsächlich scheint der Autor bis in die letzten Schritte der Arbeit an der montierten Fassung TS14 von einem Ehebruch der Blonden als Grund für den Fluch auszugehen (vgl. den Kommentar zu TS11, TS12 und TS14). E10 wurde in der Blattmitte von BS 22 [2], Bl. 33 eingetragen und umfasst eine Dialogskizze zwischen der Blonden und Matthias mit der Anmerkung „Die Stellung der Frau in der Renaissance“. Die Einordnung dieser Sequenz in das „V. Bild“ zeigt eine Verschiebung in der bisherigen Konzeption des Stückes, da bis zu diesem Zeitpunkt ein Dialog zwischen Matthias und der Blonden über das Schicksal der Frauen eher im 6. Bild situiert wurde. H13 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 31 1 Blatt unliniertes Papier (340 × 210 mm), gerissen, schwarzblaue Tinte TS8 = fragm. Fassung des 5. Bildes (Korrekturschicht) Druck in: KW 10, S. 321–323.

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Konzeption 2

TS8 ist auf Papier derselben Sorte wie TS7 und die nachfolgende Textstufe TS9 ausgearbeitet und weist eine vergleichbare Topografie auf. Die Szene setzt unvermittelt mit einer Klage der Blonden darüber ein, dass die Frauen nur aufgrund ihrer Arbeit hässlich seien und Matthias doch auch ihnen Männer gewähren solle: „Warum sind sie hässlich? Weil sie arbeiten! Die nicht arbeiten, sind hübsch!“ Die gewählte Formulierung weist eine signifikante Ähnlichkeit mit einer längeren Replik zum 6. Bild in E8 auf, wo die Blonde gegenüber dem König klagt: „Du hast den Hässlichen keine Männer geben wollen, aber können sie dafür, dass sie hässlich sind?! Sie haben arbeiten müssen – arbeiten, arbeiten, arbeiten! Soll da eine Frau schön bleiben?!“ (E8) Zusammen mit der in E10 zu findenden Äußerung: „Kochen, Waschen, Bügeln, So ist meine Stellung“ unterstreichen die gleichartigen Formulierungen die Verlagerung der „Frauenthematik“ ins 5. Bild. Wie im Fall von TS7 wurde der Text zunächst über einige Repliken hinweg ausgearbeitet, um nachher mittels einer am rechten Blattrand eingetragenen Variante in eine andere Richtung hin entwickelt zu werden. Während die Blonde in einer ersten Variante noch sehr unvermittelt äußert, über Matthias’ Identität Bescheid zu wissen und ihn dazu zu bringen, weniger Kriege zu führen, zeigt die zweite Variante einen gänzlich anderen Dialog, in dem die Blonde anscheinend noch nicht über die Identität Matthias’ informiert ist. Das in einer zweiten Variante entwickelte Gespräch über das Aussehen des Königs bleibt als Motiv erhalten und wird in der montierten Fassung TS14 sowie der Endfassung K3/TS1 auf verschiedene Figuren, neben der Blonden etwa den Wirt Thomas (vgl. TS14/BS 23, Bl. 54 und K3/TS1/SB Georg Marton S. 63), verteilt. Am Fuß des Blattes findet sich eine Anmerkung der Blonden: „Wenn ich in der Früh aufsteh, sing ich immer.“ Es handelt sich hier um die erste Erwähnung des Gesangs der Blonden, der in der montierten Fassung K2/TS14 sowie in der Endfassung K3/TS1 als auffälliges dramatisches Mittel eingesetzt wird. H14 = ÖLA 3/W 87 – BS 22 [2], Bl. 34 1 Blatt unliniertes Papier (340 × 210 mm), gerissen, schwarzblaue Tinte TS9 = fragm. Fassung des VII. Bildes (Grundschicht) E11 = Konfigurationsplan mit Repliken und Dialogskizzen zum VII. Bild (rechts) Druck von TS9 in: KW 10, S. 323f.

Die Zusammengehörigkeit von TS9 bzw. E11 mit den vorangegangenen TS7, E10 und TS8 ergibt sich ebenfalls aus der verwendeten Papiersorte und der charakteristischen Topografie dieser Bearbeitungsphase. Die Platzierung des Blattes an dieser Stelle orientiert sich, mangels anderer Kriterien, an der Abfolge der Einzelbilder. Mit TS9 ist eine Ausarbeitung des 7. Bildes überliefert, hier mit auffälliger Bildnummerierung in römischen Ziffern und dem Bildtitel bzw. der Szenenanweisung „Vor dem Bürgermeisteramt“ – gemeint ist, wie auch aus dem weiteren Verlauf des Textes klar wird, das Dorf Selischtje. Am Kopf des Blattes findet sich die gestrichene Pagina „3“, Anschlüsse an andere überlieferte Blätter lassen sich dadurch nicht erkennen. In TS9 erarbeitet Horváth eine erste Fassung des 7. Bildes, die bereits über einige charakteristische Aspekte der montierten Fassung TS14 verfügt: Der Graf spricht über die endgültige finanzielle Pleite, die ihm das Auffinden und Ansiedeln der schönsten Frauen bereitet hat. Die in diesem Zusammenhang fallende Klage: „Von meinem Kopf kann ich nicht leben“ erscheint wortwörtlich im 7. Bild der montierten Fassung TS14/BS 22 [2], Bl. 79. Wie in TS14 berichtet der Graf auch in TS9 von der erfolgten

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Chronologisches Verzeichnis

Scheidung. Weiters äußert er den Verdacht, dass sein finanzieller Ruin auch durch den „Fluch“ ausgelöst wurde, wobei der Bader ihm widerspricht: Dem König gehe es „prima“ und er selbst „hatte mal eine Badmagd, die war auch verflucht und machte die besten Geschäfte“. Das an den Fuß des Blattes gedrängte Schriftbild der letzten Replik des Baders deutet darauf hin, dass von dieser Textstufe keine weiteren Blätter existiert haben. Ähnlich den Varianten von TS7 und TS8 wurden auch auf diesem Blatt an den rechten äußeren Rand weitere Eintragungen gesetzt, die in diesem Fall auf die Entwurfsebene zurückführen. Die als E11 gewerteten Notizen umreißen in Konfigurationsplänen und Dialogskizzen Teile der weiteren Handlung des Bildes. Vorgesehen ist ein Auftritt der Schwarzen und ihres Bräutigams Thomas, der wieder Kellnerinnen eingestellt hat, eine Annäherung der Roten an den Grafen sowie der Auftritt Matthias’, der die Schönheit der Frauen im Dorf inspiziert. T1 = ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 1–4 4 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), dunkel, hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte, Paginierung 12–14, 19 TS10 = fragm. Fassung des 2. Bildes (Korrekturschicht)

Abgesehen vom Typoskript der montierten Fassung TS14 sind sämtliche Typoskripte zum Stück in der Mappe BS 21 versammelt. Wie im Fall der handschriftlichen Textträger ist die Überlieferung auch hier höchst lückenhaft, die erhaltenen Textstufen weichen zum Teil noch stark von der letztlich gültigen Gestalt des Stückes ab. Es wurden zwei leicht unterschiedliche Sorten Schreibmaschinenpapier verwendet, eine etwas dunklere sowie eine etwas hellere und breitere. Beide Papiersorten finden sich auch in der montierten Fassung TS14 wieder, wo sie Aufschluss über die Fertigung des Typoskripts geben (vgl. den Kommentar zu K2/TS14), und fanden in einigen Fällen bereits in den handschriftlichen Notizen und Ausarbeitungen Verwendung, ohne jedoch klar auf die Typoskripte beziehbar zu sein (vgl. K1/E7, E8, K2/TS2, TS3). Bei TS10 handelt es sich um eine fragmentarisch überlieferte maschinenschriftliche Ausarbeitung des 2. Bildes; Material vom Beginn des Bildes sowie die Blätter mit den Paginae 15–18 sind nicht erhalten. Die überlieferten Blätter zeigen einen sehr hohen Ausreifungsgrad des Bildes und insbesondere die hs. Überarbeitungen entsprechen bereits meistenteils der Wortwahl der Fassung TS14. So verlangt etwa der Dicke schließlich „Kürbis“ statt „Kraut“ (Bl. 1), der Bader beschließt die Szene mit dem Ausruf: „‚Kein Mann soll in ein Badehaus hineingezogen oder hineingelockt werden’ -- Also das ist doch wirklich Schikan!“ (Bl. 4) und der auf die finanzielle Situation des Grafen bezogene Satz: „Dein Wirtshaus ist mir hint lieber wie sein ganzer Fideikomiss vorn!“ (Bl. 3) wird ebenfalls nahezu wortwörtlich übernommen. Der erkennbare Handlungsverlauf entspricht großteils der Fassung TS14 und der Endfassung K3/TS1: Nach einer Unterhaltung der Badegäste über Thomas’ Tugend aufgrund seiner bevorstehenden Eheschließung berichtet der Bader über das Eintreffen des Grafen. Für die Gewährung eines Kredits verspricht Thomas dem Grafen, ihm für die Fahrt zum König seine Braut zu überlassen. Abweichend vom endgültigen Text ist in dieser Fassung des Bildes die Braut Thomas’ mit einer der Bademägde bekannt; außerdem ist der Graf, im Gegensatz zur Fassung TS14 wie zur Endfassung K3/TS1, über die Mitnahme Thomas’ auf die Reise informiert.

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Konzeption 2

T2 = ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 7, 8 2 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), dunkel, hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte, Paginierung 35, 38 TS11 = fragm. Fassung eines Bildes (Korrekturschicht)

T3 = ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 5, 6 2 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), dunkel, hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte, Paginierung 34, 35 TS12 = fragm. Fassung eines Bildes (Korrekturschicht)

Bei TS11 und TS12 handelt es sich um zwei stark fragmentarisch überlieferte Fassungen des vermutlich 4. Bildes, wie sich aus dem Verlauf des Textes erschließen lässt. Die Reihenfolge der Blätter wird durch die Realisierung von Änderungen in der Korrekturschicht von TS11 in der maschinenschriftlichen Grundschicht von TS12 angezeigt. Die Fortführung in TS12 könnte darauf hindeuten, dass Horváth bei der Erarbeitung des Stückes ähnlich wie etwa in Kasimir und Karoline (vgl. WA 4) Bild für Bild vorgegangen ist. Das Fehlen einer hs. Korrektur der Paginae indes impliziert das Vorliegen größerer Bildzusammenhänge. Tatsächlich dürfte Horváth für die Erstellung des Typoskripts der montierten Fassung TS14 auf ihm bereits ausgearbeitet vorliegende größere Bildzusammenhänge zurückgegriffen haben, die er, nun Bild für Bild, mittels neu erstellten Materials montiert (vgl. den zu Kommentar K2/TS14). Die fragmentarische Fassung TS11 ist auf zwei Blättern mit zahlreichen hs. Korrekturen überliefert, größere Teile der Szene fehlen, wie neben dem Fehlen der ersten Blätter des Bildes ein Textverlust von mindestens zwei Blatt zwischen BS 21, Bl. 7 und Bl. 8 deutlich macht. Die große Menge an handschriftlichen Korrekturen auf BS 21, Bl. 7 sowie inkonsequent ausgeführte Varianten zum Bildschluss und ein nicht weiter integrierbarer maschinenschriftlicher Textteil am Fuß von Bl. 8 – eventuell Notizen für ein Folgebild – deuten auf die noch herrschende hohe Dynamik der Textentwicklung in dieser Arbeitsphase hin. Von besonderer Auffälligkeit ist, dass die Blonde hier weiterhin als „Badmagd“ (Bl. 7, Grundschicht) bzw. „Kellnerin“ (Korrekturschicht) bezeichnet wird und das Zerwürfnis zwischen ihr und dem Grafen auf einen Betrug zurückzuführen ist, den sie mit seinem „Kutscher“ (ebd.) an ihm begangen haben soll. Damit erweist sich das Bild in der vorliegenden Fassung stark mit früheren Überlegungen verbunden, wie sie beispielsweise in E2 und E5 belegt sind. Über das Motiv des Betrugs sind außerdem Kontinuitäten zu den Ausarbeitungen in Konzeption 1 erkennbar (vgl. K1/TS3), es ergeben sich allerdings merkliche Spannungen zu den abweichenden, der Fassung TS14 wie der Endfassung K3/TS1 näherstehenden Textpassagen in TS7 (vgl. dazu den folgenden Kommentar zu TS12). Weiters kommt in dieser Textstufe zum ersten Mal die in der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Stück wiederholt diskutierte Aussage über die „Rasse“ vor. Die Blonde äußert hier: „Es kommt nicht darauf an, welcher Rasse man angehört, sondern: ob man Rasse hat.“ (Bl. 7) In der Form: „Er hat gesagt, es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rass angehört, sondern darauf, ob man Rasse hat!“ (K2/TS14/BS 23, Bl. 73) findet sich diese Aussage im 6. Bild der montierten Fassung. Die Positionierung im 4. Bild in TS11 ist somit, neben den erwähnten massiven textuellen Umarbeitungen im Detail und den merklich anders gesetzten inhaltlichen Akzenten, ein Indiz für die umfangreichen Textbearbeitungen, die Horváth in dieser späten Arbeitsphase dem Stück noch angedeihen lässt. In der der Uraufführung zu-

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Chronologisches Verzeichnis

grunde liegenden Endfassung K3/TS1 nimmt Horváth eine weitere Veränderung an dieser Replik vor: Während sie in TS14 der Blonden im Dialog mit dem Grafen im 6. Bild zugeordnet wird, findet sich die Replik in der Endfassung K3/TS1 in der Form: „Es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rasse angehört, es kommt darauf an, ob man Rasse hat“ (K3/TS1/SB Georg Marton S. 94) am Schluss des 7. Bildes in einer abschließenden Replik Matthias’. TS12 ist aufgrund zahlreicher maschinenschriftlicher Übernahmen hs. Korrekturen von TS11 eindeutig als Neufassung des dortigen Textes zu identifizieren. Beispielsweise findet sich die Änderung von „Badmagd“ auf „Kellnerin“ bereits maschinenschriftlich realisiert, ebenso die Einfügungen: „Eine Gräfin von Hermannstadt --“ (Bl. 5) und „Das ist nicht wahr! Du warst eine Marketenderin!“ (ebd.) Neben einer Reihe punktueller Änderungen von in TS11 sehr ähnlichen Textpassagen nimmt Horváth weitere, deutlich umfangreichere Ergänzungen vor, insbesondere bezüglich der Motivation des Betrugs. Die Blonde bezichtigt den Grafen, von ihm als „Schooshund“ (Bl. 5) gehalten und erniedrigt worden zu sein, bis sie es „endlich begriffen“ (Bl. 6) habe. Über ihre Familie heißt es aus dem Mund der Blonden: „ich hatte keine blaue Familie, die mich beschützt hätt, ich hab ja nichtmal meine Mutter gekannt, geschweige denn meinen Vater --“ (Bl. 5) Dadurch ergibt sich eine auffällige Diskrepanz zu den Ausarbeitungen, die sich in TS7 finden: Dort war in beiden notierten Varianten von der „verfluchten“ Verwandtschaft der Blonden die Rede, während in TS12 ihre Familie unbekannt ist und der vermeintliche Fluch, wie in TS11, durch Untreue hervorgerufen wird. Dieser auf den ersten Blick markante konzeptionelle Rückschritt gegenüber dem Text der montierten Fassung TS14 sowie der Endfassung lässt die Frage auftauchen, ob TS7 eventuell erst nach TS11 und TS12 erstellt wurde bzw. als Beiblatt gedient hat. Die vorgenommene genetische Reihung kann aber schließlich, neben dem erwähnten materiellen Zusammenhang von H11–H14, auch durch eine genaue Analyse des TS14 zugrunde liegenden Typoskripts begründet werden. In TS14 findet sich eine Äußerung der Roten über das Schicksal des Grafen: „Die Tante seiner Frau hat ein Verhältnis mit dem Teufel gehabt und seit dieser Zeit liebt der Graf seelisch kein Weib mehr.“ (BS 23, Bl. 44) Diese Äußerung korrespondiert mit dem Streit auf BS 23, Bl. 42, wo der Graf gegenüber der Blonden äußert: „Eine Frau, deren Tante als Hexe verbrannt wurde!“ Die Gestaltung der Szene entspricht somit zum Großteil TS7. In der Grundschicht von BS 23, Bl. 44 jedoch hieß es noch: „Seine Frau hat ihn betrogen und seit der Zeit liebt er seelisch kein Weib mehr“, ein Indiz dafür, dass Horváth zunächst noch das Motiv der Untreue vorgesehen hat. Der Entstehungsvorgang von TS14 lässt sich über das verwendete Material in mindestens zwei Phasen unterteilen (vgl. ausführlich den Kommentar zu TS14), wobei zunächst eine Ausarbeitung bis zum Ende des 4. Bildes vorgelegen haben muss, die ausschließlich auf dunklem Schreibmaschinenpapier gefertigt wurde und später durch Textpassagen auf hellerem Papier ergänzt wurde. Die Aussage der Roten auf BS 23, Bl. 44 wurde auf dunklem Papier getippt und handschriftlich überarbeitet, der Streit zwischen der Blonden und dem Grafen einige Blatt zuvor ist fast ausschließlich auf hellem Papier getippt, so auch die zitierte Stelle über die verfluchte Verwandtschaft. Alles zusammen genommen, hat Horváth mit hoher Wahrscheinlichkeit bis in die spätesten Arbeitsphasen hinein an der Grundlegung des Fluchs durch Untreue festgehalten und erst ganz am Schluss wieder auf die Überlegungen von TS7 zurückgegriffen. Gedeckt wird diese Vermutung auch durch die materielle Beschaffenheit der Blätter, die das 5. Bild konstituieren, auf denen zwischen der Blonden und Matthias neuerlich von

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Konzeption 2

der verfluchten Verwandtschaft die Rede ist (BS 23, Bl. 61, 62). Die dortigen Blätter sind ausschließlich von der helleren, später verwendeten Sorte und weisen im Vergleich zu vorangegangenen nur wenige Montagen und hs. Überarbeitungen auf. Vermutlich handelt es sich hierbei um überarbeitete Reinschriften nicht erhaltener Blätter (vgl. den Kommentar zu TS14). T4 = ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 9–11 3 Blatt unliniertes Papier (297 × 210 mm), hell, hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte, Paginierung 50, 52, 53 TS13 = fragm. Fassung eines Bildes (Korrekturschicht)

TS13 stellt eine fragmentarisch überlieferte Fassung des vermutlich 5. Bildes „Jagdschloss“ dar. Wie bei den vorangegangenen maschinenschriftlichen Textstufen dürften die vorliegenden Blätter Teil einer umfassenden Ausarbeitung sein, die als Grundlage für die montierte Fassung TS14 benutzt wurde. Erhalten sind Teile eines Dialogs zwischen der Blonden und Matthias sowie der Auftritt des Grafen zum Schluss des Bildes. Für die Erarbeitung des Bildes wurde helles Schreibmaschinenpapier verwendet, wie es auch in der Überarbeitung des 1. bis 4. Bildes sowie der Erstellung der letzten drei Bilder des Stückes in der Fassung TS14 aufscheint und Hypothesen zur Entstehung der dortigen montierten Fassung des Stückes erlaubt (zur genaueren Differenzierung vgl. den Kommentar zu TS14). Inhaltlich dokumentieren die Blätter neuerlich das noch starke Schwanken Horváths in der Anlage zentraler Szenen des Stückes. Das Gespräch der Blonden mit Matthias enthält bereits einige Formulierungen, die auch in die montierte Fassung TS14 bzw. in die Endfassung K3/TS1 eingehen, etwa das Eingeständnis der Blonden, „dass man ohne einen kleinen Betrug nicht dazu kommt, die Wahrheit zu sagen“ (TS13/BS 21, Bl. 10), das in leicht abgeänderter Form weitere Verwendung findet (vgl. TS14/BS 23, Bl. 60 und K3/TS1/SB Georg Marton S. 71), oder die Bitte des Königs vor dem Lüften seines Inkognitos: „Aber nicht bös sein, ja?“ (TS13/BS 21, Bl. 10 – vgl. TS14/BS 23, Bl. 63 und K3/TS1/SB Georg Marton S. 71). Darüber hinaus ist die Szene aber noch merklich anders angelegt: Die Blonde hat in Matthias noch nicht den König erkannt, sondern wird von diesem erst darauf hingewiesen, dass er der König ist (vgl. TS8, Variante 2), der Auftritt des Grafen ist nur rudimentär ausgeführt und beschränkt sich auf die Drohung Matthias’, der Graf werde seinen Kopf verlieren. Am Fuß von Bl. 11 finden sich einige nicht sinnvoll in die Szene integrierbare Aufzeichnungen, in denen Matthias die Blonde über ihre Ehe befragt. Ob diese Notizen für eine weitere Überarbeitung des 5. oder für eine Einarbeitung in das 6. Bild vorgesehen sind, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. T6 = ÖLA 3/W 88 – BS 23, Bl. 1–89 Insgesamt 89 Blatt, davon 38 Blatt unliniertes Papier (297 × 210 mm), hell, 18 Blatt unliniertes Papier (297 × 208 mm), dunkel, 1 Blatt unliniertes Papier (357 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (459 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (564 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (298 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (279 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (358 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (309 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (312 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (343 × 210 mm), teilw. hell, teilw. dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier

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Chronologisches Verzeichnis

(544 × 210 mm), teilw. hell, teilw. dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (303 × 210 mm), teilw. hell, teilw. dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (342 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (378 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (286 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (354 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (492 × 210 mm), teilw. hell, teilw. dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (472 × 210 mm), teilw. hell, teilw. dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (269 × 208 mm), dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (384 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (421 × 210 mm), teilw. hell, teilw. dunkel, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (451 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (495 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (498 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (547 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (478 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (589 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Batt unliniertes Papier (517 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (322 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (373 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (364 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (322 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, 1 Blatt unliniertes Papier (303 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt und 1 Blatt unliniertes Papier (400 × 210 mm), hell, geschnitten und geklebt, hs. Eintragungen mit schwarzblauer Tinte und Bleistift, Paginierung I–IV auf Bl. 1–4, Paginierung 1–6 auf Bl. 5–11, Paginierung 8–79 auf Bl. 12–84, Paginierung 79A–83 auf Bl. 85–89, Paginierung 7a von fremder Hand auf Bl. 12. TS14 = Fassung in sieben Bildern mit Werktitel „Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern von Ödön von Horváth“ (Korrekturschicht) Druck in: GW IV, S. 373–403 (als Variante) und in: KW 10, S. 79–170.

Die in der Mappe BS 23 überlieferten Blätter enthalten eine vollständige, handschriftlich korrigierte und über weite Strecken stark montierte Fassung des Stückes Ein Dorf ohne Männer. Besonders auffällig ist die Verwendung zweier Sorten Schreibmaschinenpapier, die sich anhand ihrer Färbung sowie leichter Größenabweichungen unterscheiden lassen und, neben weiteren Indizien, eine ungefähre Rekonstruktion der Überarbeitungsvorgänge ermöglichen. So finden sich Blätter bzw. Blattmontagen einer dunkleren Papiersorte ausschließlich im ersten Teil des Typoskripts bis Bl. 45, dem Ende des vierten Bildes, fallweise montiert mit Papier der helleren Sorte (Bl. 28–30, 36, 37, 43). Die nachfolgenden Bilder sind durchwegs auf Blättern der helleren Sorte gefertigt bzw. aus diesen montiert. Diese Verteilung entspricht auch dem verwendeten Material der vorangegangenen Textstufen: TS10–TS12 behandeln die Bilder 2 und 4 und sind auf dunklem, TS13 als Fassung des 5. Bildes auf hellem Papier gefertigt. Ausgehend von dieser Situation lässt sich schließen, dass die Erarbeitung von TS14 in mindestens zwei Phasen vor sich gegangen ist, neben einer nicht genau abgrenzbaren Anzahl an weiteren Korrektur- und Überarbeitungsvorgängen. Horváth konnte wahrscheinlich zunächst auf eine längere Ausarbeitung der ersten vier Bilder zurückgreifen, die er in der Folge zerschnitten und mit neu ausgearbeiteten Blättern der dunklen Papiersorte zusammengeklebt hat (vgl. TS10–TS12). Eine derartige Vorgehensweise würde auch die starken Überlieferungsverluste in den Typoskripten erklären; dagegen spricht allerdings das vollständige Fehlen von übrig gebliebenen Papierschnipseln, wie sie bei anderen Stücken erhalten sind (etwa im Fall von Kasimir und Karoline, vgl. WA 4). Die Bilder 5–7 dürften, in diesem Falle mit hellem Papier, auf ähnliche Weise erarbeitet worden sein. Da sich auf mehreren montierten Blättern der ersten vier Bilder beide Papiersorten gemischt finden, ist davon auszugehen, dass Horváth – vermutlich vor der Erstellung der letzten drei Bilder, vgl. die

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Konzeption 2

Diskussion der Korrekturen an den Seitenzahlen unten – diesen Teil einer nochmaligen Überarbeitung unterzogen hat. Für die auf Blättern der helleren Papiersorte getippten Ausarbeitungen lässt sich ein vergleichbarer Nachweis nicht führen. Ein großer Teil der Blätter aus den letzten drei Bildern dürfte jedoch teilweise neu getippt worden sein; darauf deutet die verhältnismäßige Abnahme an Schneidungen und Klebungen (insgesamt 20 geklebte Blätter von Bl. 1–45 gegen insgesamt 12 geklebte Blätter von Bl. 46–89) sowie die geringere Anzahl an handschriftlichen Korrekturen hin. Einen weiteren Hinweis darauf liefert die Paginierung, die Horváth ausschließlich auf den dunkel gefärbten Blättern handschriftlich korrigiert, während auf den auf hellem Papier getippten Textteilen die Paginierung bereits in der Grundschicht korrekt gesetzt ist (vgl. die detaillierten Ausführungen im Folgenden). Weitere Aufschlüsse über die Textentstehung liefern die Seitenzahlen, die an einigen Stellen handschriftlich geändert wurden. Diese Korrekturen finden sich ausschließlich auf Blättern bzw. Blattteilen der dunkleren Papiersorte und zeigen nur geringfügige Abweichungen. Erste Korrekturen finden sich auf den Bl. 16–25, hier wurde die Seitenzahl um jeweils eins nach oben korrigiert (Pag. 10–19 zu 11–20). Das darauf folgende Bl. 26 weist wieder eine maschinenschriftliche Pagina (21) auf. Da hier die dunklere Papiersorte verwendet wurde, hat Horváth mit einiger Wahrscheinlichkeit eine ähnliche Technik wie in früheren Stücken (etwa Kasimir und Karoline, vgl. WA 4) angewandt. Dabei erstellt er jeweils ein Bild nach dem anderen und überarbeitet es zunächst separat, bevor mit der Arbeit am nächsten Bild begonnen wird. Nach der Fertigstellung folgen zumeist weitere Überarbeitungen, was sich in den vorliegenden Korrekturen auch anhand der Vermischung der beiden unterschiedlichen Papiersorten in der Montage der Bilder 3 und 4 plausibel machen lässt. Die nächsten Eingriffe an den Seitenzahlen finden sich kurz darauf im 3. Bild und setzen sich von dort an bis ins 4. Bild fort. Auf Bl. 29 wird die Pagina 23 um eins nach oben zu 24 korrigiert, anschließend auf den Bl. 31–39 die Pag. 25–33 zu 26–34. Die letzten Korrekturen an den Seitenzahlen finden sich auf den letzten beiden Blättern des 4. Bildes, Bl. 44, 45 (Pag. 38, 39 zu 39, 40). Ausschlaggebend für die Veränderung der Seitenzahlen in diesem Bild dürfte ein Eingriff Horváths am Beginn des 3. Bildes sein, wo er ein zunächst vorhandenes Blatt mit der Pag. 22 durch zwei Blätter der helleren Papiersorte ersetzt. Ein am Fuß von Bl. 28 aufgeklebter Teil (ab dem Auftritt Matthias’) dürfte vom ursprünglich vorhandenen Blatt abgetrennt worden sein, außerdem verwendete Horváth einen Blattteil einer vermutlich früheren Fassung dieses Bildes als Trägerstück: Der überklebte Text dieses Teiles umfasst einige mit Tinte gestrichene Zeilen, die den Auftritt der Komödianten beinhalten; ursprünglich hatte Horváth hier noch drei Komödianten vorgesehen. Diejenigen Seitenzahlen, die nicht handschriftlich korrigiert werden mussten, befinden sich entweder auf einem vollständig neu erstellten Blatt oder auf einem am Kopf eines bereits bestehenden Blattes dunklen Papiers montierten getippten Teil der hellen Papiersorte. Diese Beobachtung bestätigt die im Zusammenhang mit der Verteilung der Papiersorten im Typoskript getätigte Vermutung einer nachträglichen Überarbeitung der ersten Bilder. Die Blätter der Bilder 5–7 weisen keine Paginakorrekturen mehr auf. Entweder hat Horváth hier nachträglich keine Veränderungen mehr vorgenommen oder – wie oben bereits aufgrund der geringeren Menge an montierten Blättern und hs. Korrekturen vermutet – ein Großteil der vorhandenen Blätter wurde als Reinschrift neu gefertigt. Weitere Auffälligkeiten, diese jedoch ohne eindeutige Konsequenz für die Textentstehung, ergeben sich noch bei den Bl. 12 und 85. Auf Bl. 12 fehlt eine Seitenzahl, über eine

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Chronologisches Verzeichnis

Klebenaht auf der Rückseite lässt sich schließen, dass hier ein Blattteil verloren gegangen ist. Da jedoch der Text keine inhaltlichen Brüche erkennen lässt, ist davon auszugehen, dass dieser Blattteil nur die Seitenzahl getragen hat, die aufgrund der umliegenden Blätter wahrscheinlich 7a gewesen sein muss. Auf Bl. 85 hat Horváth ein zweites Mal die Pag. 79 vergeben und hs. auf „79A“ korrigiert, entweder aus Versehen oder bedingt durch Veränderungen auf den vorangehenden Blättern, die jedoch nicht mehr nachvollziehbar sind. Möglicherweise wurden die Bl. 85–89 bereits früher erstellt; ein auffälliger Längs- wie Querknick dieser Blätter, der sich in diesem Typoskript ansonsten nicht finden lässt, hebt diese Blätter materiell vom restlichen Konvolut ab und deutet auf eine Zusammengehörigkeit hin. TS14 stellte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Vorlage der Reinschrift TS15 dar, die nur stark fragmentarisch überliefert ist. Darauf deutet die Übernahme hs. Änderungen im überlieferten 6. und 7. Bild hin (vgl. den Kommentar zu TS15). Zwischen dem Abschluss von TS14 und der Abfassung von TS15 dürfte nur kurze Zeit vergangen sein; darauf weisen die letzten beiden Repliken von TS14 hin, die mit einer vom restlichen Typoskript T6 abweichenden, jedoch mit der von T7 identischen Schreibmaschinentype gefertigt wurden. Mit der montierten Fassung TS14 liegt zugleich die erste überlieferte vollständige Fassung des Stückes vor. Die Bildtitel lauten nun: „Audienzsaal in der Ofner Burg“, „In der Badeanstalt zu Hermannstadt“, „Audienzsaal in der Ofner Burg“, „Im Hofgasthaus“, „Vor dem Jagdschloss des Königs“, „Im Hofgasthaus“ und „In Selischtje“. Die meisten dieser Bilder sind entweder in Form von Strukturplänen, Notizen oder längeren Textstufen belegt. Eine Ausnahme stellt das 6. Bild „Im Hofgasthaus“ dar; an dieser Position war in den überlieferten Strukturplänen (etwa E5) zumeist ein weiteres im Jagdschloss situiertes Bild vorgesehen. Horváth übernimmt nun endgültig wichtige Handlungselemente und Figuren aus der Romanvorlage Mikszáths, variiert diese jedoch bisweilen stark, setzt andere Akzente und fügt eine größere Menge an eigenständigen Handlungsorten und Motiven ein. Von Mikszáth übernimmt Horváth den Audienzsaal, das Jagdschloss des Königs und das Dorf Selischtje; neu hinzu kommen die Badeanstalt in Hermannstadt sowie die beiden im Hofgasthaus angesiedelten Bilder. Die Anlehnung Horváths an Mikszáth wird durch wiederkehrende wörtliche Übernahmen aus dem Roman kenntlich; allerdings ist bei fast allen dieser wortwörtlichen Übernahmen eine Verschiebung des Redekontextes zu bemerken, die weniger den Eindruck eines Plagiats, sondern eher den einer bewussten Verfremdung erweckt. Besonders auffällig an der z.T. wörtlichen Übernahme von Passagen aus dem Roman ist ihr spätes Auftreten innerhalb der Textgenese; zuvor finden sich keinerlei Hinweise, dass derart offensichtliche Textübernahmen geplant sind. Sämtliche wörtliche bzw. nur leicht abgeänderte Zitate aus dem Roman sind in der vorliegenden konstituierten Fassung markiert und im kritisch-genetischen Apparat mit der entsprechenden Stelle aus der von Horváth benutzten Übersetzung des Romans Szelistye, das Dorf ohne Männer belegt (vgl. die ausführliche Gegenüberstellungen von Horváths Text mit den entsprechenden Stellen in der Übersetzung Mikszáths durch Camilla Goldner sowie dem ungarischen Originaltext in Ambrus 2010, S. 151–200, siehe auch die Editionsprinzipien in diesem Band, S. 573). Durch die Verwendung von Liedern, die im 5. Bild Matthias auf die Blonde aufmerksam machen, wird das Stück weiter intertextuell angereichert. Es handelt sich dabei um das volksliedartige Gedicht Müllers Abschied aus Des Knaben Wunderhorn von Achim von Arnim und Clemens Brentano sowie ein anonymes Volkslied, das Hor-

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Konzeption 2

váth vermutlich einer zeitgenössischen Anthologie entnommen hat (vgl. Ambrus 2010, S. 189). Grundlegende Veränderungen gegenüber der Romanvorlage werden vor allem in der Anlage der Figuren sowie deren Konstellationen sichtbar. Während im Roman Matthias Corvinus zumeist mitsamt seinem Hofstaat agiert, ist er bei Horváth nahezu auf sich allein gestellt, sieht man von der Figur des Hofbeamten sowie einem Lakaien ab. Durch die Streichung des Hofstaates Matthias’ werden dementsprechend wichtiges Szenen des Romans – etwa die sogenannte „Tafelrunde“ und der Rollentausch der Adeligen mit der Dienerschaft – nicht in das Drama übernommen. Die stärksten Veränderungen indes finden aufseiten des Grafen von Hermannstadt und dessen „Muster“ statt. Einerseits wird der Graf, nicht zuletzt durch seine verheimlichte Ehe mit der Blonden, als handlungstragende Figur aufgewertet und agiert als Einziger in allen sieben Bildern des Stückes. Andererseits erfährt das „Muster“ der drei Frauen eine massive Transformation: Horváth tauscht die von einem zeitgenössischen Nationalitätendiskurs getragene Markierung der Figuren (Siebenbürger Sächsin, Walachin, Szeklerin) durch eine soziale (Gräfin, Bürgerliche, Badmagd) aus und stellt deren „Namenlosigkeit“ (ausgedrückt in den Bezeichnungen nach der Haarfarbe) in den Vordergrund. Die komödienhafte Liaison von Figurenpaaren am Schluss des Stückes schließlich (Blonde–Matthias, Schwarze–Thomas, Rote–Graf; hierin sind Bestandteile der zuvor entworfenen Struktur des „Partnerwechsels“ ersichtlich) steht in augenfälligem Kontrast zu der unter moralisch-ethischen Gesichtspunkten konzipierten und vom zeitgenössischen Nationalitätenstreit verbrämten „Verehelichungsszene“ bei Mikszáth. Die Verschiebung des Fokus auf eine vor allem soziale Dimension wird besonders ersichtlich über die Figur des Baders und den Handlungsort des Badhauses, durch die für Horváth typische Themen wie Prostitution und Mädchenhandel in die von Mikszáth vorgegebene Handlung eingebracht werden, sowie in der von Mikszáth übernommenen Idee der „Neubevölkerung“ des Dorfes Selischtje mit schönen Frauen. Dabei besteht bei Horváth die Dorfbevölkerung zum Schluss aus 47 Bäuerinnen und 251 Bademägden, für die Matthias schließlich freigelassene „Räuber“ als Männer vorgesehen hat, während bei Mikszáth die ganze Dorfbevölkerung aus Bäuerinnen zusammengesetzt ist, die mit tschechischen Kriegsgefangenen liiert werden. T7 = ÖLA 3/W 85 – BS 21, Bl. 12–31 Insgesamt 20 Blatt, davon 19 Blatt unliniertes Papier (285 × 226 mm), dünn und 1 Blatt unliniertes Papier (105 × 226 mm), dünn, unregelmäßig geschnitten, hs. Eintragungen mit blauer Tinte, Paginierung 86–94, 96–106 TS15 = fragm. Fassung des 6. und 7. Bildes (Korrekturschicht)

Die auf BS 21, Bl. 12–31 fragmentarisch überlieferte Fassung eines Teiles des 6. sowie des 7. Bildes dürfte Bestandteil einer nicht weiter erhaltenen Reinschrift der montierten Fassung TS14 sein. Darauf deutet die Übernahme hs. Korrekturen aus TS14 in der Grundschicht von TS15 hin, so etwa auf BS 21, Bl. 12, wo der Bader äußert: „sie hats ja durch mich erst erfahren, dass es schon verraten worden ist!“ In TS14 wurde die in der Grundschicht vorhandene Äußerung: „sie hats ja durch mich erst erfahren, dass es verraten wurde!“ noch hs. korrigiert. Im vorliegenden Typoskript nimmt Horváth noch einige kleinere hs. Korrekturen vor, die jedoch nichts am grundlegenden Verlauf der Handlung ändern. Die erhaltenen Blätter weisen einen Sprung in der Pa-

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Chronologisches Verzeichnis

ginierung auf: Bl. 20 mit der Pagina 94 folgt Bl. 21 mit der Pagina 96. Da der Vergleich mit der entsprechenden Passage der Szene in der vorangehenden montierten Fassung TS14 (BS 23, Bl. 80, 81) einen identischen Text aufweist, ist von einem Fehler in der Erstellung des Typoskripts auszugehen. Bemerkenswerterweise handelt es sich beim überlieferten Material von TS15 ausschließlich um Text- und Handlungsbestandteile, die Horváth nicht in die Endfassung K3/TS1 übernimmt – etwa den Auftritt der Blonden im Hofgasthaus sowie das 7. Bild „In Selischtje“, das vollständig aus dem Stück verschwindet. Von Bl. 22 wurde die untere Hälfte abgetrennt; es enthält, wie sich aus einem Vergleich mit TS14 schließen lässt, einen Teil des Dialogs zwischen der Roten und dem Graf im 7. Bild, den einzigen Abschnitt dieser Ausarbeitungen, der auch in K3/TS1 – dort im 6. Bild – Verwendung findet. Somit ist anzunehmen, dass Horváth die bereits vorhandene Reinschrift des Stückes zerteilt und für die (nicht überlieferte) Montage der Endfassung verwendet hat, zu der, abgesehen vom Stammbuch selbst, keine weiteren Arbeiten bekannt sind (vgl. den Kommentar zu K3/TS1).

Konzeption 3: Ein Dorf ohne Männer – Lustspiel in sieben Bildern D1 = Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern (Exemplar in: DLA Marbach – Bad/B1016) Stammbuch des Georg Marton Verlags, Wien 1937, hs. Eintragungen mit Kopierstift von fremder Hand, Paginierung 7–94 TS1 = Endfassung mit Werktitel „Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern von Oedön von Horváth“ (Korrekturschicht) Druck in: GW II, S. 465–538.

Das Stammbuch bildete die Grundlage der Uraufführung sowie des Abdrucks des Stückes in den Gesammelten Werken von 1970 und den darauf folgenden Abdrucken, die die Endfassung als Variante der Fassung TS14 beinhalten. Genetisches Material, das den Übergang von der montierten Fassung TS14 zur Endfassung dokumentieren könnte, ist nicht überliefert. Allein die fragmentarisch überlieferte Textstufe K2/TS15 deutet darauf hin, dass Horváth eine ihm vollständig vorliegende Reinschrift dieser Fassung zur Erarbeitung der Endfassung verwendet hat. Im Zuge seiner Überarbeitung nimmt Horváth, neben einer Reihe von Detailkorrekturen, grundlegende Änderungen am Stück vor. Das 7. Bild der Fassung TS14 „In Selischtje“, bis zu diesem Zeitpunkt ein fixer Bestandteil des Stückes von den ersten Entwürfen an, wird aufgegeben und durch ein weiteres Bild „Vor dem Jagdschloss des Königs“ ersetzt, das am selben Abend spielt. Darin kommt es zu einer signifikanten Änderung in der Auflösung des Dramas: Anstatt die Blonde mit dem König und die Rote mit dem Grafen zusammenkommen zu lassen, finden in TS1 die beiden Eheleute wieder zusammen. Durch diesen veränderten Dramenschluss sowie die Raffung des Handlungszeitraumes auf einen Abend kommt es zu weitreichenden Eingriffen in das 5. und 6. Bild, die merklich gekürzt werden. Im 5. Bild begegnet Matthias der Blonden nun, als sie die Schwarze auf die Terrasse begleitet. Die von der Blonden gesungenen Lieder, die in K2/TS14 erstmals den König auf die Blonde aufmerksam gemacht haben, werden an den Schluss des Bildes verschoben und darüber hinaus in ihrer Reihenfolge umgekehrt: So singt die Blonde zuerst das Volkslied Es ist ein Schnee gefal-

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Konzeption 3

len, worauf das der Sammlung Des Knaben Wunderhorn entnommene Gedicht Müllers Abschied folgt, von dem nur die ersten beiden Strophen, diesmal aber in umgekehrter Strophenfolge, rezitiert werden. Im 6. Bild „Im Hofgasthaus“ streicht Horváth folgegemäß den Auftritt der Blonden, in dem sie die Umsiedelung schöner Frauen nach Selischtje vorschlägt und sich vom Grafen verabschiedet. Stattdessen wird ein Teil des Dialogs zwischen der Roten und dem Grafen aus dem 7. Bild der Fassung TS14 eingefügt; es handelt sich hierbei um eben jenen Teil, der von BS 21, Bl. 22 der fragmentarisch überlieferten Reinschrift K2/TS15 abgetrennt wurde. Abgesehen von dem in diesem Fall besonders auffälligen Transfer von Textbestandteilen verwendet Horváth auch andere ausgeschiedene Textpassagen für das neu erstellte 7. Bild. So sind die abschließenden Repliken Matthias’ in der Endfassung größtenteils Ausschnitte aus bereits in der Fassung TS14 erarbeitetem Text (vgl. K2/TS14/BS 23, Bl. 88 und 89, sowie K3/TS1/SB Georg Marton, S. 93f.). In das 7. Bild verschoben wird auch die Replik über die „Rasse“: „Er hat gesagt, es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rass angehört, sondern darauf, ob man Rasse hat!“ (K2/TS14/BS 23, Bl. 73) äußert die Blonde im 6. Bild der montierten Fassung; in der Endfassung ist es Matthias, der gegen Ende des Stückes konstatiert: „Es kommt nicht darauf an, ob man einer verfluchten Rasse angehört, es kommt darauf an, ob man Rasse hat.“ (K3/TS1/SB Georg Marton, S. 94) Neben den signifikanten Umgestaltungen des Handlungsverlaufs nimmt Horváth noch eine Reihe von weniger weitreichenden Änderungen vor. Hervorzuheben sind etwa der Auftritt Matthias’ im 3. Bild „Im Audienzsaal der Ofner Burg“, der nun von Beginn des Bildes an, maskiert als Hellebardière, auf der Szene anwesend ist, und die sich daraus ergebenden weiteren Modifikationen des Handlungsverlaufs. Unter den zahlreichen Abweichungen, die einzelne Formulierungen sowie die Interpunktion betreffen – wobei jedoch ordnende Eingriffe des Verlags nicht auszuschließen sind –, fallen vor allem einige sprachliche Mäßigungen auf, die vermutlich mit Rücksicht auf die Bühnentauglichkeit des Stückes gesetzt wurden. So wird, mit Ausnahme des zitierten Sprichwortes in der ausführlichen Szenenanweisung zum 2. Bild (K3/TS1/SB Georg Marton, S. 20), durchgängig die Bezeichnung „Hure“ vermieden und durch anderslautende Formulierungen ersetzt (vgl. K2/TS14/BS 21, Bl. 38 und 49, im Unterschied zu K3/TS1/SB Georg Marton, S. 46 und 58). Die auch in der Endfassung beibehaltenen wortgetreuen Übernahmen aus Mikszáths Romanvorlage werden im Apparat mittels Hinweis auf den ausführlichen Beleg in K2/TS14 ausgewiesen (siehe den Kommentar zu K2/TS14 sowie die Editionsprinzipien in diesem Band S. 573). E1 = ÖLA 3/W 309 – BS 14 b, Bl. 6 1 Blatt unliniertes Papier (340 × 208 mm), Wasserzeichen fünfzackiger Stern, schwarze Tinte E1 = Werkverzeichnis Faksimile in: Krischke/Prokop 1972, S. 124f.

Auf dem vorliegenden Blatt stellt Horváth sein Stück, unter dem Uraufführungstitel „Das Dorf ohne Männer“, in den Kontext seines Werkprojekts der Komödie des Menschen. Mithilfe der im Rahmen eines umfassenden Widerrufs seiner Stücke in der unteren Blatthälfte eingetragenen Werkliste und der Anmerkung, diese seien alle, „ausser zweien, gespielt worden“, lässt sich das Blatt auf das Ende des Jahres 1937 datieren (zur Datierung vgl. das Vorwort in diesem Band).

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Chronologisches Verzeichnis

E1 fasst die 1937 entstandenen Stücke Ein Dorf ohne Männer und Pompeji unter einer Gliederungseinheit zusammen, eine weitere Gliederungseinheit bilden die Werktitel Die Pythagoreer und Die Diadochen, zu denen keine vollständigen Stücke überliefert sind. Überlegungen dazu dürfte Horváth bereits wesentlich früher angestellt haben, wie der Eintrag des Titels „Die Diadochen“ im Notizbuch Nr. 2 belegt, hier mit dem Gattungszusatz „Historischer Roman“ (ÖLA 3/W 369 – o. BS, Bl. 5. vgl. WA 8, S. 24f.). Dieses Notizbuch umfasst im Wesentlichen Vorarbeiten zu Figaro läßt sich scheiden und kann auf 1934/35 datiert werden. Notizen zu einer Komödie mit dem Titel Die Diadochen sind im auf 1935/36 datierbaren Notizbuch Nr. 4 im Anschluss an Arbeiten an dem Schauspiel Don Juan kommt aus dem Krieg überliefert (ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 70, 78; Bl. 78 vgl. in diesem Band S. 28). Die erhaltenen Notizen stehen hier neben Entwürfen zu Das jüngste Gericht, einer Komödie mit dem Titel Orpheus sowie umfassenderen Textausarbeitungen zu den Werkprojekten Die Grottenbahn und Kaiser Probus in Wien. Das geplante Stück Die Diadochen findet sich außerdem, ebenfalls im Notizbuch Nr. 4, in zwei Werkverzeichnisse eingetragen, die zu den frühesten Belegen der Komödie des Menschen zu zählen sind (ÖLA 3/W 370 – o. BS, Bl. 98v, 99, 99v; vgl. WA 9, S. 372f. sowie in diesem Band S. 42–44); vorgesehen sind die Titel „Die Urzeit“, „Die Diadochen“, „Die Völkerwanderung“, „Das Mittelalter“, „Das Meer“, „Die Maschinen“ und „Das jüngste Gericht“ (Bl. 99). Auf einem weiteren Blatt der zur Komödie des Menschen gehörenden Entwürfe (BS 14 b, Bl. 3, vgl. in diesem Band S. 40) notiert Horváth ebenfalls den Titel „Die Diadochen“ im Rahmen eines Werkverzeichnisses, das aufgrund der vorgenommenen Korrekturen wohl die Vorlage der im Notizbuch Nr. 4 eingetragenen Werkverzeichnisse gewesen ist. Mit dem Projekt einer Komödie des Menschen greift Horváth auf eine ungarische Vorlage zurück, die Tragödie des Menschen (Az ember tragédiája, 1861), ein dramatisches Gedicht des ungarischen Autors Imre Mádách (1823–1864). Die Komödie des Menschen stellt den Versuch Horváths dar, sein Schreiben unter moralisch-ethische Maximen zu stellen. Exemplarisch verdeutlicht sich dies im auf BS 14 b, Bl. 6 enthaltenen Widerruf sämtlicher Stücke, die Horváth seit 1932 verfasst hat. Darunter notiert er: „So habe ich mir nun die Aufgabe gestellt, frei von Verwirrung die Komödie des Menschen zu schreiben, ohne Kompromisse, ohne Gedanken ans Geschäft.“ (vgl. das Vorwort in diesem Band)

Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern (Endfassung, emendiert) Die emendierte Endfassung folgt dem Stammbuch des Georg Marton Verlags (Wien 1937), das auch die Grundlage der Endfassung K3/TS1 bildet. Die Endfassung wurde nach den Rechtschreibregeln der Entstehungszeit (Duden 1929) normalisiert. Dialektale Eigenheiten in Figurenreden werden beibehalten (etwa „dischkuriert“), sämtliche in der Endfassung K3/TS1 ausgewiesene Herausgebereingriffe wurden umgesetzt. Die im Stammbuch nur inkonsequent angewandte Apostrophe vor zu „s“ verkürztem „es“ (etwa „brennt’s“) wurde gemäß Horváths Eigenheit weggelassen („brennts“). Vereinheitlicht wurde weiters die Absatzgestaltung insbesondere im Figuren- und Schauplatzverzeichnis des Stückes. Entgegen der sonstigen Handhabe nicht gesetzte Leerzeilen (etwa bei den sonst vom restlichen Text abgesetzten Liedern der Blonden

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Endfassung, emendiert

im 5. Bild) wurden ergänzt. Im Stammbuch enthaltene getippte Zierleisten werden nicht wiedergegeben. Die im Stammbuch sehr unterschiedlich gehandhabten Bindebzw. Gedankenstriche in Figurenreden werden, mangels einer Vorlage von Autorhand, gemäß ihrem Erscheinungsbild im Stammbuch wiedergegeben. Ergänzend zu den Normalisierungsregeln von Gedankenstrichen in den Editionsprinzipien werden folgende Normalisierungen umgesetzt: Drei direkt hintereinanderstehende typografische Bindestriche (---) erscheinen als einzelner Gedankenstrich (–); werden die Bindestriche mit Leerzeichen gesetzt (- - -) erscheinen sie als drei ebenfalls voneinander abgesetzte Gedankenstriche (– – –). Alle weiteren Normalisierungen finden sich in den Editionsprinzipien am Ende dieses Bandes aufgelistet (vgl. S. 574).

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Editionsprinzipien

Editionsprinzipien Die Wiener Ausgabe (WA) sämtlicher Werke Ödön von Horváths ist eine historischkritische Edition. Sie umfasst alle abgeschlossenen und Fragment gebliebenen Werke sowie alle verfügbaren Briefe und Lebensdokumente des Autors. Den Ausgangspunkt bilden die umfangreichen werkgenetischen Materialien aus dem Nachlassbestand des Autors im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (teilweise als Leihgabe der Wienbibliothek im Rathaus). Die einzelnen Bände der WA sind in Vorwort, Text- und Kommentarteil gegliedert. In ihrem Zusammenspiel machen diese Teile den Entstehungsprozess der Werke transparent und bieten die Möglichkeit eines schrittweisen Nachvollzugs bis in die Letztfassungen der Texte. Das Vorwort skizziert die Entstehungsgeschichte unter Miteinbeziehung der zeitgenössischen Rezeption. Der Textteil reiht die genetischen Materialien chronologisch, wobei die Edition in Auswahl und Textkonstitution auf Lesbarkeit zielt. Dem Lesetext ist ein kritisch-genetischer Apparat beigegeben. Dieser macht die Änderungsprozesse des Autors deutlich, auf denen die konstituierten Fassungen basieren, ferner verzeichnet er alle Eingriffe der Herausgeber. Die Endfassung des Werkes wird zusätzlich in emendierter Form dargestellt. Im Kommentarteil findet sich ein chronologisches Verzeichnis, das alle vorhandenen Textträger formal und inhaltlich beschreibt und Argumente für die Reihung der darauf befindlichen Entwürfe (E) und Textstufen (TS) sowie für die Konstitution der innerhalb der Textstufen vorliegenden Fassungen liefert. Simulationsgrafiken dienen zur Darstellung komplexer genetischer Vorgänge.

1 Textteil 1.1 Genetisches Material Das genetische Material wird in zwei unterschiedlichen Formen zur Darstellung gebracht: Entwürfe erscheinen in diplomatischer Transkription, Fassungen innerhalb von Textstufen werden linear konstituiert.

1.1.1 Diplomatische Transkription und Faksimile (Entwürfe) Von genetischen Materialien, deren Topografie sich nicht in eine lineare Folge auflösen lässt, wird eine diplomatische Transkription geboten. Hierbei handelt es sich um sogenannte Entwürfe (E), in denen Horváth auf meist nur einem Blatt in Form von Strukturplänen u.ä. das grobe Konzept von Werken und Werkteilen oder knappe Textskizzen entwirft. Die diplomatische Transkription versteht sich als eine Orientierungshilfe zur Entzifferung des nebenstehend faksimilierten Originals und gibt dessen Erscheinungsbild nicht in allen Details, sondern nur insofern wieder, als dies der Ermöglichung einer vergleichenden Lektüre dient. Den verwendeten Schriftgrößen kommt dabei keine distinktive Funktion zu; sie dienen dazu, die räumlichen Verhältnisse des Originals annähernd wiederzugeben. Folgende Umsetzungen finden statt:

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Überschriebene Zeichen oder Wörter werden links neben den ersetzenden wiedergegeben, wobei der ursprüngliche Ausdruck gestrichen und der neue Ausdruck mittels zweier vertikaler Linien eingeklammert wird: tä|e|xt; text|text|. Unlesbare Wörter erscheinen als { }, gegebenenfalls mehrfach gesetzt; unsicher entzifferte Zeichen und Wörter als: te{x}t, {text}. Gestrichener Text in Zeilen erscheint als: text. Vertikale oder kreuzförmige Streichungen werden als solche dargestellt. Mit Fragezeichen überschriebener oder mit Wellenlinie gekennzeichneter Text wird als solcher wiedergegeben. Unterstreichungen erscheinen als: text, text. Deutlich von einem Wort abgesetzte Punkte werden entsprechend dargestellt: text . Eingerahmte oder in eckige Klammern gestellte Ziffern, Wörter und Textpassagen erscheinen als: [text], gegebenenfalls auch über mehrere Zeilen gestellt. Der vom Autor zur Strukturierung verwendete Stern (manchmal eingekreist und bis hin zu dicken schwarzen Punkten intensiviert) erscheint als: . Das vom Autor zur Strukturierung verwendete große X erscheint als: . Von Horváth zur Markierung verwendete An- und Durchstreichungen werden individuell angepasst wiedergegeben. Verweispfeile und Linien werden schematisch dargestellt, sofern sie Wörter und Textblöcke miteinander verbinden. Dienen solche Zeichen der Abgrenzung von Textteilen, werden sie nicht wiedergegeben. Liegen auf einem Blatt mehrere Entwürfe nebeneinander, werden diese ab dem zweiten Entwurf zur besseren Unterscheidung grau hinterlegt. Aktuell nicht relevanter Text (Entwürfe zu anderen Werken und Werkvorhaben) erscheint in grau 50 %: text. Die im Zuge der Berliner Bearbeitung von Horváths Nachlass partiell vorgenommene Transkription schwer lesbarer Wörter bzw. allfällige Kommentare direkt in den Originalen erscheinen kursiv und in grau 50 %: text.

1.1.2 Lineare Textkonstitutionen (Fassungen) Textausarbeitungen des Autors, die eine lineare Lektüre zulassen, werden (ohne Faksimileabdruck) konstituiert. Hierbei handelt es sich um Fassungen oft im Rahmen umfänglicher Textstufen (TS). Folgende Prinzipien kommen zur Anwendung: x

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Schichtwahl: Im Lesetext wird entweder die Grundschicht oder die in der jeweiligen Arbeitsphase gültige Korrekturschicht einer Textstufe ediert. Die Grundschicht wird im Allgemeinen dann gewählt, wenn es um die Präsentation frühester Schreibansätze geht; in eher seltenen Fällen liegen Typoskripte auch ohne handschriftliche Korrekturschichten vor. Ein genauer Ausweis der Schichtwahl (im Fall des Vorliegens komplexer Schichtungen differenziert nach unterschiedlichen Schreibwerkzeugen und Farben – z.B. schwarze Tinte, roter Buntstift) erfolgt im chronologischen Verzeichnis. Punktuelle Streichungen und Einfügungen, die aus einer späteren Bearbeitungsphase stammen, weil das Material im Laufe des Produktionsprozesses dorthin wei-

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tergewandert ist, werden im Lesetext nicht berücksichtigt. Besondere Auffälligkeiten werden gegebenenfalls im chronologischen Verzeichnis beschrieben. Textausarbeitungen, die linear in eine Fassung nicht sinnvoll integriert werden können, aber offensichtlich aus der gegenwärtigen Bearbeitungsphase stammen, erscheinen im Lesetext eingerückt und grau hinterlegt. Deutlich gesetzte Leerzeilen werden in entsprechender Anzahl wiedergegeben.

Emendiert (und im kritisch-genetischen Apparat ausgewiesen) werden offensichtliche Schreib- und Tippfehler des Autors sowie inkonsequente Ersetzungen oder offensichtlich falsche Setzungen von Figuren- oder Ortsnamen. Folgende Normierungen finden statt: Regie- und Szenenanweisungen erscheinen kursiv, Figurennamen in Kapitälchen (innerhalb von Regie- oder Szenenanweisungen nur dann, wenn sie vom Autor grafisch hervorgehoben wurden, ansonsten bleiben sie ohne Auszeichnung). Von Horváth hs. fallweise anstelle von (runden Klammern) gesetzte [eckige Klammern] werden als runde Klammern wiedergegeben. Autortext erscheint in Times New Roman 11,75 pt. Herausgebertext innerhalb des Autortextes wird unter Backslashes in Helvetica 8,75 pt. gesetzt; im Einzelnen umfassen diese Eintragungen den Abbruch von Textbearbeitungen ohne Anschluss an den folgenden Text bzw. am Ende von Texten durch den Eintrag: \Abbruch der Bearbeitung\ sowie den Verlust von Text (z.B. durch Abriss oder Blattverlust): \Textverlust\. Unsicher entzifferte Buchstaben bzw. unsicher entzifferte Wörter erscheinen als: te{x}t, {text}; unlesbare Wörter (gegebenenfalls mehrfach gesetzt) als: { }. Blattwechsel wird durch 얍 angezeigt, die Angabe des neuen Textträgers mit Signatur erfolgt in der Randspalte. Die Ansatzmarke: text kennzeichnet im Lesetext Wörter oder Textpassagen, die aus Änderungsvorgängen des Autors oder Eingriffen der Herausgeber hervorgegangen sind; nachgewiesen wird beides im kritisch-genetischen Apparat. B

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1.1.3 Kritisch-genetischer Apparat Werden Fassungen in der Grundschicht ediert, verzeichnet der kritisch-genetische Apparat die Veränderungsprozesse nur in dieser Schicht (Sofortkorrekturen). Werden Fassungen in der Korrekturschicht ediert, verzeichnet er alle Änderungsprozesse im Übergang von der Grundschicht zur Korrekturschicht; Sofortkorrekturen in der Grundschicht werden hier nicht mehr verzeichnet, sondern als Ausgangspunkt gesetzt. Ferner weist der kritisch-genetische Apparat alle Eingriffe der Herausgeber nach (diese werden von Herausgeberkommentaren eingeleitet, wie z.B. korrigiert aus:, gestrichen:, gemeint ist:). Autortext erscheint in Times New Roman 8,5 pt., Herausgebertext in Helvetica 7 pt. In der montierten Fassung K2/TS14 sowie der Endfassung K3/TS1 von Ein Dorf ohne Männer weist der Apparat überdies die teilweise wörtlich aus der Romanvorlage (Mikszáth 1903) übernommenen Textstellen aus. Der entsprechende Text der von Horváth benutzten Übersetzung wird unter Voranstellung eines Herausgeberkommentars (Textübernahme Mikszáth) möglichst vollständig im kritisch-genetischen Apparat wiedergegeben und mit Seitenangabe versehen.

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Editionsprinzipien

1.2 Emendierter Text (Endfassung) Die Endfassung des Textes wird zusätzlich in emendierter Form wiedergegeben. Die Basis dafür bieten die zeitgenössischen Rechtschreibregeln (Duden 1929). Horváth selbst hatte gegen die Normierung von Texten, die er zum Druck gab, nichts einzuwenden. Dies gilt für seine selbstständigen Publikationen ebenso wie für den Abdruck von Texten in Zeitschriften und Zeitungen. Gegenüber den (nicht immer konsequent gepflogenen) Eigentümlichkeiten von Horváths Schreibung ergeben sich Abweichungen vor allem in folgenden Punkten: x

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Zusammengeschriebene Wörter und Wortgruppen wie „garnicht“, „garkein“, „nichtmehr“ werden getrennt. Doppel-s anstelle von ß wird berichtigt (mit Ausnahme des Doppel-s im Format Figurennamen, z.B. G ROSSMUTTER ). Die Interjektionen, bei Horváth oft: „A“ und „O“, werden auf „Ah“ und „Oh“ vereinheitlicht. Falschschreibung von Fremdwörtern wird korrigiert, sofern es sich nicht um stilistische Setzungen handelt. Werden bereits zu Horváths Lebzeiten gemäß zeitgenössischer Rechtschreibkonvention veraltete Fremdwortschreibungen verwendet (z.B. „Affaire“, „Couvert“), so wird die Schreibung Horváths beibehalten. Fehlende Accents werden nachgetragen, ebenso fehlende Punkte, auch in „usw.“ etc. Gedankenstriche, die in Typoskripten als -- realisiert sind, erscheinen als –. Die groß geschriebene Anrede „Du“, „Ihr“ etc. wird klein gesetzt, die Höflichkeitsform erscheint groß. Ebenfalls groß bleiben persönliche Anreden in Zitaten innerhalb von Figurenreden (z.B. in von Figuren vorgelesenen Briefen, Schildern etc.). Kleinschreibung am Beginn ganzer Sätze nach Doppelpunkten und Gedankenstrichen wird korrigiert. Kommasetzung, im Einzelnen: – Überzählige Kommata in als- und wie-Vergleichen werden getilgt. – Fehlende Kommata in vollständigen Hauptsätzen, die durch „und“ oder „oder“ verbunden sind, werden ergänzt; ebenso in Relativsätzen und erweiterten Infinitiv- und Partizipialgruppen. – Nach Interjektionen wie „Ja“, „Nein“, „Na“, „Ah“, „Oh“, „Geh“ wird nur dann ein Komma gesetzt, wenn die Interjektionen betont sind und hervorgehoben werden sollen. Wenn sie in den Folgetext integriert sind, werden sie nicht durch Kommata getrennt, z.B. „Na und?“ Grammatikalische Fehler werden nur so weit korrigiert, als es sich dabei nicht um stilistische Setzungen handelt; alle dialektal geprägten Formen bleiben erhalten. Figurennamen erscheinen in Kapitälchen (auch in Regie- und Szenenanweisungen). Normierungen in Regieanweisungen: Bilden Regieanweisungen ganze Sätze (auch in Verbindung mit vorangegangenen Figurennamen), so wird abschließend ein Punkt gesetzt.

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2 Kommentarteil 2.1 Chronologisches Verzeichnis Das chronologische Verzeichnis beschreibt alle zu einem Werk vorhandenen Textträger und sichert die Reihung der darauf befindlichen werkgenetischen Einheiten argumentativ ab. Textträger und Text werden getrennt sigliert: Die Materialsigle bezeichnet den Textträger und unterscheidet Handschrift (H), Typoskript (T) und Druck (D). Die Textsigle bezeichnet die auf dem Textträger befindliche werkgenetische Einheit und differenziert Entwürfe (E) und Textstufen (TS) mit teilweise mehreren Ansätzen (A). Die Beschreibung des Textträgers umfasst folgende Elemente: Signatur: Wiener Signatur (ÖLA bzw. IN) des Nachlassbestands und Berliner Signatur (BS), gegebenenfalls auch andere Angaben zu Bezeichnung und Herkunft des Textträgers Materielle Beschreibung: Umfang, Papierart samt Angaben über spezielle Erscheinung, Größe in Millimeter, Angabe über Teilung, Faltung, Reißung o.ä., Wasserzeichen, Schreibmaterial, Paginierung vom Autor samt Seitenzahlen und Blattnachweisen, Eintragungen fremder Hand Der Beschreibung des Textträgers folgt eine Auflistung und formale Beschreibung der auf dem jeweiligen Textträger befindlichen Entwürfe, Textstufen und Ansätze. Umfasst ein Textträger mehrere werkgenetische Einheiten und ist eine dieser Einheiten im Entstehungsprozess später einzuordnen, wird sie erst dort verzeichnet und kommentiert. Die Beschreibung des Textträgers wird an der späteren Stelle wiederholt. Auch das Weiterwandern von Textträgern (durch Übernahme von Blättern in spätere Fassungen) wird vermerkt. Sofern die Entwürfe und Fassungen veröffentlicht sind, wird deren Erstdruck in einer abschließenden Zeile verzeichnet. Das konkrete Erscheinungsbild der Texte in den Erstdrucken weicht jedoch von den in der Wiener Ausgabe gebotenen Neueditionen oftmals gravierend ab. Der nachfolgende werkgenetische Einzelkommentar beschreibt die Entwürfe, Textstufen und Ansätze auch inhaltlich. Argumente für deren Reihung (manchmal in Form von gesetzten Wahrscheinlichkeiten) werden genannt und Beziehungen zu anderen Einheiten im werkgenetischen Material hergestellt; gegebenenfalls wird auch auf den Zusammenhang mit anderen Werken des Autors verwiesen. Folgende werkgenetische Begriffe finden Verwendung: Konzeption Als Konzeption (K) gilt eine übergeordnete Gliederungseinheit des genetischen Materials innerhalb eines Werkes. Sie bezeichnet eine meist längere Arbeitsphase, die sich durch eine prinzipielle Annahme des Autors über die makrostrukturelle Anlage des Werkes von einer anderen Phase deutlich unterscheidet. Einzelne Konzeptionen sind durch Unterschiede in der Struktur (drei Teile/sieben Bilder/etc.) und/oder wichtige Strukturelemente (zentrale Motive und Schauplätze, Figurennamen der Hauptpersonen etc.) voneinander getrennt.

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Vorarbeit Frühere Werkvorhaben, aus denen der Autor im Zuge der Entstehungsgeschichte eines Werkes einzelne Elemente entlehnt und/oder übernimmt, werden dem jeweiligen Werk als Vorarbeiten (VA) zugeordnet. Im Falle des Vorliegens mehrerer Vorarbeiten werden diese nach genetischen Zusammenhängen gruppiert und/oder in eine Folge gebracht. Entwurf In einem Entwurf (E) legt Horváth die Gesamtstruktur eines Werkes oder eines einzelnen Strukturelements (Bild, Kapitel, Szene, …) fest. Entwürfe sind fast ohne Ausnahme handschriftlich ausgeführt und zumeist auf ein einziges Blatt beschränkt. Zur näheren Beschreibung stehen (spezifisch für den Dramentext) folgende Begriffe zur Verfügung: x

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Strukturplan: Skizzierung des Gesamtaufbaus eines Werkes bzw. einer Werkkonzeption (enthält z.B. Gliederung in Akte oder Teile, Szenen, Titeleintrag und -varianten, Schauplätze, knappe Schilderung wichtiger Handlungselemente und erste Repliken einzelner Figuren). Konfigurationsplan: Skizzierung einzelner Szenen (= Auftritte). Skizze: Punktuell bzw. schematisch ausgearbeitete Textsequenz. Der Begriff wird auch für grafische Entwürfe (z.B. zum Bühnenbild) verwendet. Darüber hinaus können Entwürfe auch lose Notizen zu Motiven, Figuren, Schauplätzen, Dialogpassagen oder Handlungselementen enthalten.

Textstufe Eine Textstufe (TS) bezeichnet eine klar abgrenzbare Arbeitseinheit im Produktionsprozess, die intentional vom Anfang bis zum Ende einer isolierten Werkeinheit (Bilderfolge, Bild, Akt, Kapitel, Unterkapitel, …) reicht und (anders als der Entwurf) bereits der konkreten Ausformulierung des Textes dient. Materiell umfasst der Begriff alle Textträger, die der Autor in dieser Arbeitseinheit durch schriftliche Bearbeitung oder Übernahme aus einer frühen Arbeitsphase zur Zusammenstellung aktueller Fassungen verwendet hat. Ansatz Ein neuer Ansatz (A) liegt dann vor, wenn der Autor innerhalb einer Textstufe eine materielle Ersetzung von Textträgern oder Teilen davon (Blattbeschneidungen, Austausch von Blättern) vornimmt. Innerhalb einer Textstufe bilden die einander folgenden Ansätze eine genetische Reihe; textlich repräsentiert sich in ihnen in der jeweils gültigen Textschicht die jeweils aktuelle Fassung des Textes. Der letzte Ansatz einer Textstufe, d.h. der letztmalige Austausch von Textträgern, bildet die materielle Grundlage der letzten Fassung innerhalb der jeweiligen Textstufe. Die Abfolge der Ansätze innerhalb einer Textstufe wird in komplizierten Fällen in Simulationsgrafiken dargestellt. Fassung Der Begriff der Textstufe ist ein dynamischer; er bezeichnet die Gesamtheit des in einer Arbeitsphase vorliegenden genetischen Materials, das in Grund- und Korrekturschicht und in verschiedene Ansätze differenziert sein kann. Der Begriff der

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Editionsprinzipien

Fassung bezeichnet im Gegensatz dazu die konkrete Realisation eines singulären Textzustands (z.B. K1/TS7/A5 – Korrekturschicht). Die Fassungen, die im Textteil konstituiert werden, stellen eine Auswahl innerhalb einer Vielzahl von Möglichkeiten dar. Der Produktionsprozess wird von ihnen an möglichst aussagekräftig gesetzten Punkten unterbrochen und ein jeweils aktuelles Textstadium linear fixiert. Vorarbeiten und Konzeptionen, Entwürfe, Textstufen und Ansätze werden im chronologischen Verzeichnis über Siglen gereiht, die Reihung von TS und E erfolgt innerhalb der jeweiligen Kategorie, sodass sich als genetische Abfolge z.B. ergeben kann: K2/E1, K2/TS1, K2/TS2/A1, K2/TS2/A2, K2/E2, K2/E3, K2/TS3 usw.

2.2 Simulationsgrafiken In den Simulationsgrafiken wird die Abfolge von Ansätzen innerhalb einer Textstufe dargestellt und zwar in der Art, dass die Textträger mit syntagmatisch zusammengehörendem Text untereinander stehen und die ersetzenden Textträger rechts von den ersetzten positioniert werden. Ausgangspunkt der Darstellung ist der früheste Ansatz der jeweiligen Textstufe. Die Textträger werden an allen rekonstruierbaren Positionen abgebildet und damit die materiellen Vorgänge der Textentstehung und -ersetzung simuliert. Die ungefähre Form des Textträgers ist in der Grafik durch einen Rahmen wiedergegeben. Die Paginierung Horváths – so vorhanden – und die Berliner Blattnummer sind eingetragen. An seiner ersten Position wird der Textträger mit durchgezogenen Rahmenlinien dargestellt, an allen späteren mit strichlierten, wobei der Textträger so lange eingeblendet bleibt, wie er Gültigkeit hat. Die doppelt-strichpunktierten Linien kennzeichnen Schnitte, die punktierten Linien „Klebenähte“, die nach dem Ankleben von neuem Text auf den Originalen erkennbar sind. Zur Illustration der Funktionsweise dient die nachstehend abgebildete Simulationsgrafik zu einer Textstufe der Hofrat-Konzeption aus Geschichten aus dem Wiener Wald. Diese Grafik, die ausschließlich Material der Mappe BS 37 c darstellt, zeigt einen relativ gleichmäßig verlaufenden Produktionsprozess: Horváth beginnt (links oben eingetragen) auf Bl. 14 mit der Ausarbeitung des Bildes, bricht jedoch mitten auf Bl. 15a ab, setzt auf Bl. 15b mit dem Text neu an und kommt bis Bl. 17. Er korrigiert den Text dieser Blätter handschriftlich und macht sich am Fuß von Bl. 17 Notizen zum weiteren Textverlauf. Auf Bl. 18 und 19 schreibt er den Text von Bl. 17 ins Reine und setzt ihn dann auf Bl. 19 neu fort, bricht jedoch wieder ab, noch bevor er das Blatt vollgeschrieben hat. Bl. 19 wird dann durch Bl. 20 ersetzt, Bl. 20 gemeinsam mit Bl. 21 durch Bl. 22–24. In dieser Art schreibt sich Horváth in immer neuen Ansätzen bis ans Ende des Bildes durch. Bei Bl. 32 wendet der Autor ein Verfahren an, das ihm kürzere Rückschritte ermöglicht: Er schneidet Bl. 32a von Bl. 32 ab und klebt ein Stück mit neuem Text an. Die anschließenden Blätter 33 bis 37 sind in einem Zug geschrieben.

577

Editionsprinzipien

578

Siglen und Abkürzungen

Siglen und Abkürzungen Schriftarten (allgemein) Times New Roman

Autortext

Helvetica

Herausgebertext, im Autortext in Backslashes

Diplomatische Transkriptionen (Entwürfe) text, text

getilgtes Zeichen, getilgter Text. Tilgungen über mehrere Zeilen (meist durch Kreuz) werden grafisch entsprechend dargestellt

tä|e|xt

überschriebenes und ersetztes Zeichen

text |text|

überschriebener und ersetzter Text

text, text

unterstrichener Text

text

unterwellter Text; mit Fragezeichen überschriebener Text wird grafisch entsprechend dargestellt

[text]

eingerahmter oder in eckige Klammern gestellter Text oder Ziffer; falls über mehrere Zeilen reichend, grafisch entsprechend dargestellt Strukturierungszeichen: Stern, Punkt Strukturierungszeichen: großes

te{x}t, {text}

unsicher entzifferter Buchstabe; unsicher entziffertes Wort

{}

unleserliches Wort, ggf. mehrfach gesetzt

Times New Roman, 50 % grau

Eintragung von fremder Hand, Berliner Bearbeitung

Times New Roman, 50 % grau

aktuell nicht relevanter Text grau hinterlegte Fläche zur Abgrenzung verschiedener Ent-

\E1\

würfe

Lineare Konstitutionen (Fassungen) textN, B N

Ansatzmarke; kennzeichnet Wörter oder Textpassagen, die aus Änderungen des Autors hervorgegangen sind, sowie Eingriffe der Herausgeber



Blattwechsel; Angabe des Textträgers in der Randspalte

B

eingerückt, grau hinterlegt. Textzusätze des Autors in der aktuellen Fassung, die sich in den Lesetext linear nicht integrieren lassen

te{x}t, {text}

unsicher entzifferter Buchstabe; unsicher entziffertes Wort

{}

unleserliches Wort, ggf. mehrfach gesetzt

\Abbruch der Bearbeitung\ \Textverlust\ \Textverlust durch Blatteinriss\

Herausgebertext im Autortext

579

Siglen und Abkürzungen

Kritisch-genetischer Apparat text\e/

nachträglich eingefügtes Zeichen

\text/

nachträglich eingefügter Text

text[e]

getilgtes Zeichen

[text]

getilgter Text

t[ä]|e|xt,

getilgtes Zeichen in Verbindung mit Ersetzung

[text] |text|

getilgter Text in Verbindung mit Ersetzung

[text]|text|

überschriebener Text

te{x}t, {text}

unsicher entzifferter Buchstabe; unsicher entziffertes Wort

{}

unleserliches Wort, ggf. mehrfach gesetzt

[text]

rückgängig gemachte Tilgung

text

mit Fragezeichen überschriebener oder mit Wellenlinie versehener Text

!text"!text"

durch Verweisungszeichen des Autors umgestellter und gegenseitig ausgetauschter Text

text f text [text]f x

Text von bis Textverschiebung

x

neuer Textanschluss

text2 text1

geänderte Wortfolge

(1), (2) …

Variantenfolge

gestrichen: gemeint ist: verweist auf K2/TS3: Textübernahme Mikszáth:

irrrorrrp

korrigiert aus:

Herausgeberkommentare in Helvetica 7,5 pt.

Signaturen ÖLA

(ehemals: Österreichisches) Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien

BS

Berliner Signatur

IN

Inventarnummer (Signatur der Wienbibliothek im Rathaus)

DNB

Deutsche Nationalbibliothek (Leipzig)

DLA

Deutsches Literaturarchiv (Marbach)

ÖLA 3/W 365 – BS 33 [1], Bl. 5

Signatur Literaturarchiv

IN 221.003 – BS 12 d, Bl. 3

Signatur Wienbibliothek im Rathaus

DNB 1965 B 3219 (Exil)

Signatur Deutsche Nationalbibliothek (Leipzig)

DLA Marbach – Bad/B1016

Signatur Deutsches Literaturarchiv Marbach

580

Siglen und Abkürzungen

Abkürzungen K H T TS A E Bl. Pag. hs. masch. fragm. r v o. BS

Konzeption Handschrift Typoskript Textstufe Ansatz Entwurf Blatt Pagina (vom Autor eingefügt) handschriftlich maschinenschriftlich fragmentarisch recto (Vorderseite) verso (Rückseite) ohne Berliner Signatur

581

Siglen und Abkürzungen

582

Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis GW

Ödön von Horváth: Gesammelte Werke in 4 Bänden. Hg. v. Dieter Hildebrandt/Walter Huder/Traugott Krischke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970–71. GWA Ödön von Horváth: Gesammelte Werke in 8 Bänden. Hg. v. Traugott Krischke/Dieter Hildebrandt. 2., verbesserte Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978. GA Ödön von Horváth: Gesammelte Werke in 4 Bänden. Hg. v. Traugott Krischke unter Mitarbeit von Susanna Foral-Krischke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. (= Gedenkausgabe anlässlich des 50. Todestages, Abdruck von Texten und genetischem Material aus den Gesammelten Werken und Bibliothek Suhrkamp-Bänden, der 5. Band mit Skizzen, Fragmenten und einem Gesamtkommentar ist nicht erschienen) Horváth 1955 Ödön von Horváth: Der jüngste Tag. Schauspiel in sieben Bildern. Hg. v. Artur Müller und Hellmut Schlien. Emsdetten (Westfalen): Lechte 1955. (= Dramen der Zeit, Bd. 15) Horváth 1961 Ödön von Horváth: Stücke. Hg. v. Traugott Krischke. Mit einem Nachwort von Ulrich Becher. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1961. Horváth 2009a Ödön von Horváth: Der jüngste Tag. Schauspiel in sieben Bildern. Hg. v. Nicole Streitler. Stuttgart: Reclam 2009. (= UB 18667) Horváth 2009b Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott. Hg. von Klaus Kastberger und Evelyne PoltHeinzl. Stuttgart: Reclam 2009. (= UB 18612) KW Ödön von Horváth: Kommentierte Werkausgabe in 14 Einzelbänden. Hg. v. Traugott Krischke unter Mitarbeit von Susanna Foral-Krischke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985–88. KW 15 Ödön von Horváth: Himmelwärts und andere Prosa aus dem Nachlass. Hg. v. Klaus Kastberger. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001. KW 16 Ödön von Horváth: Ein Fräulein wird verkauft und andere Stücke aus dem Nachlass. Hg. v. Klaus Kastberger. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005. WA Ödön von Horváth: Wiener Ausgabe sämtlicher Werke. Historisch-kritische Edition am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Hg. v. Klaus Kastberger. Berlin: de Gruyter 2009ff. WA 4 Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline. Hg. v. Klaus Kastberger und Kerstin Reimann unter Mitarbeit von Julia Hamminger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2009. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 4) WA 8 Ödön von Horváth: Figaro läßt sich scheiden. Hg. v. Nicole Streitler unter Mitarbeit von Andreas Ehrenreich und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2011. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 8) WA 9 Ödön von Horváth: Don Juan kommt aus dem Krieg. Hg. v. Nicole Streitler unter Mitarbeit von Julia Hamminger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2010. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 9) WA 14 Ödön von Horváth: Der ewige Spießer. Hg. v. Klaus Kastberger und Kerstin Reimann unter Mitarbeit von Julia Hamminger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2010. (= Wiener Ausgabe sämtlicher Werke, Bd. 14 [2 Teilbände])

A., E.: Ödön v. Horváth dramatisiert einen Roman von Mikszáth. In: Pester Lloyd, 4. 7. 1937. Ambrus, Orsolya: Der ungarische Horváth. Eine bibliographische, thematische und textgenetische Spurensuche. Saarbrücken: Südwestdeutscher Verlag 2010. [zugleich: Univ.-Diss. Wien 2007] Anonym: Neuestes Horváth-Stück in Zürich. In: Das Echo, 4. 5. 1937. Anonym: Neues Horváth-Stück in der Josefstadt. In: Das Echo, 22. 5. 1937. Balme, Christopher: The Reformation of Comedy. Genre Critique in the Comedies of Ödön von Horváth. Dunedin: Department of German, University of Otago 1985.

583

Literaturverzeichnis

Balme, Christopher: Zwischen Imitation und Innovation. Zur Funktion der literarischen Vorbilder in den späten Komödien Ödön von Horváths. In: Traugott Krischeke (Hg.): Horváths Stücke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. S. 103–120. Bartsch, Kurt: Ödön von Horváth. Stuttgart/Weimar: Metzler Verlag 2000. (= Sammlung Metzler, 326) Bartsch, Kurt: Volks- und österreichfeindlich. Zu den Horváth-Aufführungen in Österreich zwischen 1945 und den frühen sechziger Jahren. In: Koopmann, Helmut/Manfred Misch (Hg.): Grenzgänge. Studien zur Literatur der Moderne. Festschrift für Hans-Jörg Knobloch. Paderborn: Mentis 2002, S. 251–272. Baumann, Peter: Ödön von Horváth: „Jugend ohne Gott“ – Autor mit Gott? Analyse der Religionsthematik ausgewählter Werke. Bern: Peter Lang 2003. [zugleich: Univ.-Diss. Zürich 2002] Berczik, Árpád: Ödön von Horváth und Kálmán Mikszáth. In: Német filólógiai tanulmányok / Arbeiten zur deutschen Philologie VII (1973), S. 61–82. Bossinade, Johanna: Vom Kleinbürger zum Menschen. Die späten Dramen Ödön von Horváths. Bonn: Bouvier 1988. (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 364) Bossinade, Johanna: Inzestuöse Paare in Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald. In: Ödön von Horváth: Unendliche Dummheit – dumme Unendlichkeit. Hg. v. Klaus Kastberger. Wien: Zsolnay 2001 (= Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs, Bd. 8), S. 74–86. b[rod], m[ax]: Ein wohlgelauntes Stück. In: Prager Tagblatt, 25. 9. 1937. Günther, Gisela: Die Rezeption des dramatischen Werkes von Ödön von Horváth von den Anfängen bis 1977. Univ.-Diss. Göttingen 1977. Hell, Martin: Kitsch als Element der Dramaturgie Ödön von Horváths. Bern [u.a.]: Peter Lang 1983. (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 617) Heil, Stefan: Die Rede von Gott im Werk Ödön von Horváths. Eine erfahrungstheologische und pragmatische Autobiographie- und Literaturinterpretation – mit einer religionsdidaktischen Reflexion. Ostfildern: Schwabenverlag 1999. (= Glaubenskommunikation Reihe Zeitzeichen, Bd. 6) Hildebrandt, Dieter: Ödön von Horváth in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Rowohlt 1975. (= rororo monographien, 231) Huder, Walther: Ödön von Horváth: Existenz und Produktion im Exil. In: Manfred Durzak (Hg.): Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. Stuttgart: Reclam 1973, S. 232–244. Kahl, Kurt: Ödön von Horváth. Velber bei Hannover: Friedrich 1966 (= Friedrichs Dramatiker des Welttheaters, 18). Kastberger, Klaus: Österreichische Endspiele: Die Toten kehren zurück. In: Hans Petschar (Hg.): Alpha & Omega. Geschichten vom Ende und Anfang der Welt. Wien: Springer 2000, S. 87–106. Kastberger, Klaus: Der erste Heurige. Ödön von Horváth: „Kaiser Probus in Wien“. In: Bunte Blätter. Wendelin Schmidt-Dengler zum 60. Geburtstag überreicht vom Österreichischen Literaturarchiv. Wien: Zsolnay 2002. Kastberger, Klaus: Vom Eigensinn des Schreibens. Produktionsweisen moderner österreichischer Literatur. Wien: Sonderzahl 2007. Krammer, Jen˝o: Ödön von Horváth. Leben und Werk aus ungarischer Sicht. Wien: Wissenschaftliche Buchreihe der internationalen Lenau-Gesellschaft 1969, S. 105. Krischke, Traugott/Hans F. Prokop (Hg.): Ödön von Horváth. Leben und Werk in Dolumenten und Bildern. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972. Lechner, Wolfgang: Mechanismen der Literaturrezeption in Österreich am Beispiel Ödön von Horváths. Stuttgart: Akademischer Verlag Hans-Dieter Heinz 1978. Mikszáth, Koloman: Szelistye, das Dorf ohne Männer. Autorisierte Übersetzung aus dem Ungarischen von Camilla Goldner. Leipzig: Reclam 1903. Kun, Eva: „Die Komödie des Menschen“ oder Horváth und Ungarn. In: Traugott Krischke (Hg.): Horváths Stücke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988, S. 9–36. o., ing. f.: Deutsches Theater, Mähr.-Ostrau. Der jüngste Tag. Schauspiel in 7 Bildern von Ödön Horváth. In: Ostrauer Zeitung, 13. 12. 1937. p., h.: „Das Dorf ohne Männer“. Welturaufführung im Deutschen Theater. Prager Mittag, 24. 9. 1937. p[ick], o[tto]: „Das Dorf ohne Männer“. Uraufführung im Neuen Deutschen Theater. In: Prager Presse, 26. 9. 1937.

584

Literaturverzeichnis

Polt-Heinzl, Evelyne/Christine Schmidjell: Geborgte Leben. Ödön von Horváth und der Film. In: Klaus Kastberger (Hg.): Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit – dumme Unendlichkeit (= Profile. Magazin des Österreichischen Literaturarchivs, Bd. 8). Wien: Zsolnay 2001, S. 193–261. Roloefs, Hans: Man weiß eigentlich wenig von einander. Arthur Schnitzler und die Niederlande. Amsterdam/Atlanta, GA: Rodopi 1989. (= Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Bd. 84) Schröder, Jürgen: Das Spätwerk Ödön von Horváths. In: Traugott Krischke (Hg.): Ödön von Horváth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981, S. 125–155. [zuerst in: Sprachkunst 7 (1976), S. 49–71] Szendi, Zoltán: Deutung und Umdeutung. Der Roman Szelistyei asszonyok (Szelistye, das Dorf ohne Männer) von Kálmán Mikszáth und Ödön von Horváths Drama Ein Dorf ohne Männer. In: Z.S.: Durchbrüche der Modernität. Studien zur österreichischen Literatur. Wien: Edition Präsens, S. 116–125. T[or]b[er]g, [Friedrich]: Theater. Kritische Rückschau. In: FORVM 1 (1954), H. 10, S. 18f. Vögele, Meinrad: Oedön von Horváth: „Der jüngste Tag“. Bern [u.a.]: Peter Lang 1983. (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 664) W[inder], L[udwig]: Horváth: „Das Dorf ohne Männer“. Uraufführung im Neuen Theater. In: Deutsche Zeitung Bohemia, 25. 9. 1937.

585

Literaturverzeichnis

586

Inhalt (detailliert)

Inhalt (detailliert) Der jüngste Tag Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Lesetext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Vorarbeit: Das jüngste Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notiz, Schauplatzverzeichnis, Bildtitel, Figurenliste (VA/E1–E4) Werkverzeichnis (VA/E5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werktitel, Replik (VA/E6–E8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Szenenanweisung, Strukturplan, Figurenliste (VA/E9–E11) . . . Dialogskizze zum 1. Bild (VA/E12) . . . . . . . . . . . . . . . Werkverzeichnis, Werktitel (VA/E13–E14) . . . . . . . . . . . . Strukturplan in drei Bildern zum I. Akt (VA/E15) . . . . . . . Dialogskizze, Bildtitel (VA/E16–E17) . . . . . . . . . . . . . . Strukturplan, Dialogskizze, Szenenanweisung (VA/E18–E20) . . Figurenkonstellation zum 1. Bild des I. Aktes (VA/E21) . . . . Werkplan, Notizen (VA/E22–E23) . . . . . . . . . . . . . . . . Werkplan (VA/E24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkplan (VA/E25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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17 18 20 22 24 26 28 30 32 34 38 40 42 44

Konzeption 1: Freigesprochen . . . . . . . . . Strukturpläne in sieben Bildern (K1/E1–E2) Strukturpläne in sieben Bildern (K1/E3–E4) Strukturplan in sieben Bildern (K1/E5) . .

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47 48 50 52

Konzeption 2: Der jüngste Tag – Ferdinand . . . . . . Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A1) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A2) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A3) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A4) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A5) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A6) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A8) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A9) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A10) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K2/TS1/A12)

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55 56 61 65 69 71 74 75 77 79 83

Konzeption 3: Der jüngste Tag – Staatsanwalt . . . . Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K3/TS1/A1) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K3/TS1/A2) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K3/TS1/A3) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K3/TS1/A4) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K3/TS1/A5) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K3/TS1/A6) Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K3/TS1/A7)

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89 90 94 97 103 105 107 110

Konzeption 4: Der jüngste Tag – Schauspiel in sieben Bildern Fragmentarische Fassung des 6. Bildes (K4/TS1) . . . . . . Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K4/TS2) . . . . . . Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K4/TS3/A1) . . . . Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K4/TS3/A2) . . . .

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117 118 120 121 123

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Inhalt (detailliert)

Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K4/TS4/A1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung des 7. Bildes (K4/TS4/A2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der jüngste Tag. Schauspiel – Endfassung (K4/TS5) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 126 127

Der jüngste Tag. Schauspiel in sieben Bildern (Endfassung, emendiert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

Chronologisches Verzeichnis Vorarbeit . . . . . . . . Konzeption 1 . . . . . . Konzeption 2 . . . . . . Konzeption 3 . . . . . . Konzeption 4 . . . . . . Endfassung, emendiert. .

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221 221 226 228 236 243 252

Simulationsgrafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K2/TS1/A1–A12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K3/TS1/A1–A7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253 254 256

Ein Dorf ohne Männer Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

Lesetext

275

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Konzeption 1: Das Dorf ohne Männer – Rostó/Brünette Strukturplan, Konfigurationspläne (K1/E1–E3) . . . Strukturplan in drei Bildern (K1/E4) . . . . . . . . Strukturplan in zwei Bildern (K1/E5) . . . . . . . . Strukturplan in vier Bildern (K1/E6) . . . . . . . . Fragmentarische Fassung des 2. Bildes (K1/TS1) . . Fragmentarische Fassung des 2. Bildes (K1/TS2) . . Fragmentarische Fassung des 2. Bildes (K1/TS3) . . Fragmentarische Fassung des 4. Bildes (K1/TS4) . . Strukturplan (K1/E7) . . . . . . . . . . . . . . . . Dialogskizze zum 7. Bild (K1/E8) . . . . . . . . . . Strukturpläne (K1/E9–E11) . . . . . . . . . . . . . Konfigurationsplan und Replik zum 6. Bild (K1/E12)

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Konzeption 2: Ein Dorf ohne Männer – Bader/Rote . . . . . . . . . . . Strukturplan in vier Bildern (K2/E1) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dialogskizzen, Szenenanweisung (K2/E2–E4) . . . . . . . . . . . . . Dialogskizzen, Notizen und Konfigurationspläne zum 6. Bild (K2/E5) Fragmentarische Fassung des 5. Bildes (K2/TS1) . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung des VI. Bildes (K2/TS2) . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung eines Bildes (K2/TS3) . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung eines Bildes (K2/TS4) . . . . . . . . . . . . Konfigurationsplan mit Notizen und Dialogskizzen (K2/E6) . . . . . Konfigurationsplan, Dialogskizzen (K2/E7–E9) . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung des 5. Bildes (K2/TS5) . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung eines Bildes (K2/TS6) . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung eines Bildes (K2/TS7) . . . . . . . . . . . . Dialogskizze und Notiz zum V. Bild (K2/E10) . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt (detailliert)

Fragmentarische Fassung des 5. Bildes (K2/TS8) . . . . . . . Fragmentarische Fassung des VII. Bildes (K2/TS9) . . . . . . Konfigurationsplan mit Repliken und Dialogskizzen (K2/E11) Fragmentarische Fassung des 2. Bildes (K2/TS10) . . . . . . Fragmentarische Fassung eines Bildes (K2/TS11) . . . . . . . Fragmentarische Fassung eines Bildes (K2/TS12) . . . . . . . Fragmentarische Fassung eines Bildes (K2/TS13) . . . . . . . Fassung in sieben Bildern (K2/TS14) . . . . . . . . . . . . . Fragmentarische Fassung des 6. und 7. Bildes (K2/TS15) . . .

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342 343 344 346 350 352 354 356 414

Konzeption 3: Ein Dorf ohne Männer – Lustspiel in sieben Bildern . . . . . . . . . . . . Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel – Endfassung (K3/TS1) . . . . . . . . . . . . . . . . Werkverzeichnis (K3/E1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

429 430 482

Ein Dorf ohne Männer. Lustspiel in sieben Bildern (Endfassung, emendiert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kommentar

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Chronologisches Verzeichnis Konzeption 1 . . . . . . . Konzeption 2 . . . . . . . Konzeption 3 . . . . . . . Endfassung, emendiert . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Editionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Textteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Genetisches Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Diplomatische Transkription und Faksimile (Entwürfe) 1.1.2 Lineare Textkonstitutionen (Fassungen) . . . . . . . . 1.1.3 Kritisch-genetischer Apparat . . . . . . . . . . . . . 1.2 Emendierter Text (Endfassung) . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Kommentarteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Chronologisches Verzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Simulationsgrafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Siglen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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