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German Pages 129 Year 1975
THEO RATTE
Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung
Schriften zum Prozessrecht
Band 39
Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung Die Ahänderbark eit einer oberlandesge richtliehen Beschwerdee ntscheidung im Zivilproze.& Zugleich ein Beitrag zur Rechtsnatur der Berufung und der Beschwerde
Von
Dr. Theo Ratte
DUNCK ER & HUMB LOT/B ERLIN
Alle Rechte vorbehalten
C 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41
Gedruckt 1975 bel Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03447 3
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Oktober 1973 abgeschlossen worden und hat der Fakultät der Abteilung für Rechtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 1973/74 als Dissertation vorgelegen. Literatur- und Judikaturangaben sind auf den Stand von Anfang 1975 gebracht. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Walter Zeiss, danke ich aufrichtig und herzlich für die vielfältige Unterstützung und persönliche Förderung, die er mir während meiner Tätigkeit als Assistent an seinem Lehrstuhl hat zuteil werden lassen. Er gab mir auch die Anregung zu dem Thema und verfolgte den Fortgang der Arbeit mit großer Anteilnahme und vielen kritischen Hinweisen. Mein besonderer Dank gilt weiterhin Herrn Bundesrichter a. D. Professor Dr. Erhard Bökelmann für manche wertvolle Anregung. Bochum, im Januar 1975
TheoRatte
Inhaltsübersicht Erster Teil
Einführung und Abgrenzung ... .. . . .. .. . . .. . .... . .. . . . . . . .. . . . ... .. . . . . . . .. .. .. .. .
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I. Problem und Anliegen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Il. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Erweiterung des Beschwerderechtszuges, Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 1 Einleitung
I. Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung eröffnen kein neues Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. "Änderung" der Beschwerdeentscheidung ist im weitesten Sinne zu verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. "Rechtsmittel" sind allein die in den §§ 511 bis 577 ZPO aufgeführten Behelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis von Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition von Gegenvorstellung und Wiederholung der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine mögliche Wiederholung der Beschwerde schließt die Gegenvorstellung aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 17 17 17 18 18
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Zweiter Teil
Die Wiederholung der Beschwerde § 3 Der Meinungsstand zur Wiederholung der Beschwerde . . . . . . . . . . . .
I. Ausgangspunkt ist die einfache Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die ~einu~g, di~ e~ne yYiederholung der Beschwerde uneingeschrankt fur zulass1g halt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Meinung von der generellen Unzulässigkeit einer Wiederholung der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Mittelmeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine unzulässige Beschwerde ist wiederholbar . . . . . . . . . . . . 2. Die Verneinung der Wiederholung einer sachlich beschiedenen Beschwerde wegen der formellen Rechtskraft . . . . . . 3. Einschränkung der Wiederholung der Beschwerde mit Rechtsmittelgrundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 24 24 26 26 26 26 28 30
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Inhaltsübersicht
§ 4 Der Ansatzpunkt der hier vertretenen Lösung
I. Bedenken gegen eine Wiederholung der Beschwerde wegen des numerus clausus der Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Einfluß der Beschwerdeentscheidung auf den Bestand des angefochtenen Erkenntnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grundsätze der Berufung sind bei der Lösung heranzuziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die gedanklich mögliche Gestaltung der Rechtsmittel und ihre Bedeutung für die Wiederholung der Beschwerde § 5 Die herrschende Auffassung zur Rechtsnatur von Berufung und
Beschwerde im heutigen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Der Wortlaut der §§ 511 ff. ZPO ist nicht eindeutig . . . . . . . . . . II. Die "appellatio" des römischen Rechts ist das Vorbild der ZPO 1. Der Gegenstand des Berufungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berufung und Beschwerde erlauben eine Veränderung der Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berufungs- und Beschwerdeerkenntnis entscheiden erneut über den prozessualen Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Die Rechtsnatur der Rechtsmittel in der Sicht Jauernigs und Giiies'
I. Jauernig verneint eine Entscheidung über den prozessualen Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ansicht Gilles' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsmittel seien prozessuale Gestaltungsklagen . . . . 2. Das Rechtsmittel, das Aufhebungsbegehren, sei Streitund Entscheidungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung stelle nur die BegründetheU des Aufhebungsbegehrens fest . . . . . . 4. Gilles' These von der Einheitlichkeit eines historisch vorgegebenen Rechtsmittelbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die "appellatio" im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Appellation im gemeinen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konsequenzen dieses Standpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Grundzüge der römisch-rechtlichen "appellatio" und Kritik der
31 31 34 34 34 36 38 38 39 39 40 41 42
43 43 43 44 45 45 46 46 47
dazu vertretenen Giiiesschen Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Das Verfahren der "appellatio", insbesondere die Bedeutung der "ApellationsgrUnde" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bedeutung der "Apellationsgründe" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ein Abstecher: Die Behandlung der Gegenforderung . . . . . .
48 48 49 50 51
§ 8 Oberblick über die deutschrechtlichen Vorläufer unserer heutigen
Rechtsmittel sowie Vergleich zwischen der Regelung der Berufung im deutschen und im Österreichischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 I. Die These von der Einheitlichkeit eines historisch vorgegebenen Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Das germanische Recht ... .. . ........ . .... .. ............ . 52 2. Das sächsische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Inhaltsübersicllt
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3. Das gemeine Recllt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Berufung nach hannoverschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die Österreichische Berufung gehört zu den "eingeschränkten" Rechtsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Das Verbot, neue Tatsachen im Berufungsverfahren vorzutragen, § 482 II öZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Die eingeschränkte Überprüfungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . 58 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 9 Die Berufung der CPO von 1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 I. Der Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Der Begriff "Anfechtung" und ähnliche Wendungen in den §§ 511 ff. ZPO erlauben es nicht, das Rechtsmittel als Anfechtungsklage zu sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
III. Die Ansicht Gilles' verstößt gegen den Grundsatz, daß die Wirkungen eines Gestaltungsurteils erst mit formeller Rechtskraft eintreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Zur Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Zum Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 IV. Zwischenergebnis hinsichtlich der CPO von 1877 . . . . . . . . . . . . § 10 Die Novellen von 1924 und 1933 haben den Charakter der Beru-
fung als eines "vollen" Rechtsmittels nicht verändert . . . . . . . . . . . .
I. Der Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Novenrecht existiert (mit Einschränkungen) weiter . . . . . . III. Das Gebot des § 519 III Nr. 2 ZPO ist bloße Zulässigkeltsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Der Einfluß der Rechtsmittelentscheidung auf den Bestand des an-
gefochtenen Erkenntnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Der theoretische Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Die sachliche Berufungs- bzw. Beschwerdeentscheidung beseitigt immer das angefochtene Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 III. Die herrschende Meinung lehnt - ausdrücklich oder stillschweigend - diese Auffassung ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 IV. Überlegungen, welche die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung unterstreichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine Streitsache soll nur durch eine einzige Entscheidung geregelt sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zuständigkeit im Wiederaufnahmeverfahren, § 584 ZPO 3. Umfang der materiellen Rechtskraft und letzter Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht . . 4. Die Meinung, die die objektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft einer bestätigten Entscheidung an Hand der Gründe der Rechtsmittelentscheidung bestimmt . . . . . . . . . .
76 76 76 77 78
10
Inhaltsübersicht 5. Die hier vertretene Lösung läßt sich mit den Grundsätzen des Vollstreckungsrechts und des Bestandsschutzes von Hoheitsakten vereinbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6. Der Wortlaut des § 343 S. 1 ZPO berührt den Lösungsvorschlag nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
§ 12 Die Meinung, die die einfache Beschwerde dem "Klageprinzip" zu-
rechnet, verstößt gegen geltendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Vertreter und Darstellung dieser Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Auseinandersetzung mit dieser Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diese Ansicht verstößt gegen geltendes Recht . . . . . . . . . . . . . . 2. "Rechtsprechung" und "Verwaltung" sind ungeeignete Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ein Rechtsmittel setzt keine "Streitentscheidung" voraus . . § 13 Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit einer Wiederholung
der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Unterscheidung zwischen prozessualem und sachlichem Hechtsmittelgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine unzulässige Beschwerde kann unter Vermeidung des prozessualen Mangels wiederholt werden. Bei der sofortigen Beschwerde ist die zweiwöchige Notfrist zu beachten . . . . . . 2. Eine Wiederholung der Beschwerde nach sachlicher Entscheidung des Rechtsmittelgerichts scheidet ausnahmslos aus a) Eine Änderung des Sachverhalts ist ohne Einfluß . . . . . . b) Unerheblich ist es, ob die (erste) Beschwerde ganz oder nur teilweise erfolglos gewesen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Beschwerdegegner kann keine Beschwerde (mehr) einlegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zum Eingangsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil
Die Gegenvorstellung § 14 Der Meinungsstand zur Zulässigkeit der Gegenvorstellung . . . . . . . .
I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Die Abänderbarkeit der Beschwerdeentscheidung, die auf einfache Beschwerde ergangen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auffassung der älteren Rechtsprechung und Literatur 2. Der Standpunkt der neueren Rechtsprechung und Literatur a) Die neuere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die neuere Literaturmeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Abänderbarkeit des auf sofortige Beschwerde ergangenen Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Standpunkt der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auffassungen der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 89 90 90 91 92 93 97 97 98
Inhaltsübersicht
11
§ 15 Die Auseinandersetzung mit den dargestellten Meinungen . . . . . . . . 100 I. Die formelle Rechtskraft erklärt nicht die Unabänderbarkeit
des Beschwerdebeschlusses .......... .... .................. . . 100
li. Auch die materielle Rechtskraft ist ungeeignet, die Abänderbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung in demselben Verfahren auszuschließen .............. . .. . .................... 101
III. Die Innenbindung, wie sie im Rahmen der §§ 318 und 577 III ZPO verstanden wird, erscheint nicht von vornherein geeignet, die Abänderbarkeit von unanfechtbaren Beschwerdeentscheidungen zu erklären . ................ . .................... .. .. 103 § 16 Der Einfluß der Devolutionswirkung auf die Entscheidungsbefugnis
des Beschwerdegerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
I. Nachweis, daß der Innenbindung für die Frage der Abänderbarkeit keine ausschließliche Bedeutung zukommt ...... . . .. 105 li. Devolution und einfache Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Beschwerdeentscheidung läßt die Devolution enden . . . . . . 1. Die Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts ist mit der Dauer der Devolution verknüpft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Ende der Devolution setzt nicht die formelle Rechtskraft des Rechtsmittelbeschlusses voraus ............. . ....
106 107
109
IV. Eine Abänderbarkeit von unanfechtbaren Beschwerdebeschlüssen ist weder von Amts wegen noch auf Gegenvorstellung möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dem Beschwerdegericht fehlt die Zuständigkeit ... . . . . . . . 2. Der Inhalt des Beschlusses ist für das Ergebnis ohne Belang 3. § 571 ZPO stützt die hier vertretene Ansicht ...... .... .... 4. Ergebnis des Eingangsfalles ....................... . . . ....
109 109 110 110 111
108
Vierter Teil
Die Rechtskraft unanfechtbarer Beschwerdeentscheidungen § 17 Ergebni s der Arbeit und Überblick über die Grundzüge der mate-
riellen Rechtskraft von unanfechtbaren Rechtsmittelbeschlüssen . . 112
I. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 li. Die materielle Rechtskraft eines Beschlusses, der auf einfache Beschwerde ergangen ist .. ... . ... . .............. . ....... . . .. 112
III. Jede unanfechtbare Beschwerdeentscheidung erlangt formelle Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 IV. Die herrschende Meinung verlangt eine zur materiellen Rechtskraft "geeignete" Entscheidung .................. . ....... . . . . 114 V. Jedem (unabänderlichen) formell rechtskräftigen Beschluß kommt materielle Rechtskraft zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
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Inhaltsübersicht VI. Die Ausgestaltung des Beschlußverfahrens kann im Einzelfall eine Einschränkung des Umfangs der materiellen Rechtskraft gebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 VII. Das Ergebnis dieses Abschnitts .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 117
Literaturverzeichnis
........................................... . .... . . 119
ErsterTeiL
Einführung und Abgrenzun g § 1 Einleitung I. Problem und Anliegen der Arbeit
Zur Einführung folgender Fall: Der Antragsteller beantragt beim zuständigen Landgericht, einen dinglichen Arrest gegen den Antragsgegne r zu erlassen. Das Landgericht weist den Antrag durch Beschluß zurück. Die hiergegen bei dem Oberlandesgericht eingelegte (einfache) Beschwerde bleibt erfolglos, weil, wie der Senat offensichtlich unhaltbar ausführt, es an einem vollstreckbar en Titel gegen den Antragsgegne r fehle. Zwei Monate später legt der Antragsteller beim Landgericht erneut Beschwerde ein, die er a) mit Rechtsausfüh rungen, b) mit neuen Tatsachen begründet. Das Landgericht hilft dieser neuen Beschwerde nicht ab und legt sie dem Oberlandesge richt zur Entscheidung vor. Wie wird der Senat, der die Unrichtigkeit seiner ersten Beschwerdee ntscheidung erkannt hat, entscheiden? 1. Jede gerichtliche Entscheidun g kann, wegen der Fehlbarkeit menschliche r Erkenntnis, unrichtig sein1 • Der Fehler kann auf Seiten des Gerichts und/oder der Parteien liegen. Die einzelnen Verfahrensordnungen haben der unterlegenen Partei Mittel zur Hand gegeben, die eine Änderung des gerichtlichen Erkenntnisse s ermöglichen und das Interesse der Partei an einem ihr günstigen Ergebnis anerkennen2 • Diese Mittel, Rechtsmittel genannt, unterliegen aber vielfältigen Beschränkunge n. So ist gegen eine Entscheidun g eines Oberlandesg erichts, die in Form eines Beschlusses ergeht, eine erste3 oder weitere Beschwerde nicht zulässig, § 567 III 1 ZP04 • 1 über die Gründe, die zur Einführung von Rechtsmitteln geführt haben, vgl. beispielsweise Baur, FS Lent, S. 1 ff. (6) ; Götz, Urteilsmänge l, S. 10; Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 135 II (S. 727 ff.). 2 Schwinge, Grundlagen, S. 26. 3 Art. 19 IV GG gewährt kein Recht auf eine zweite Instanz: BVerfGE 4, 74 ff. (94 f.); 4, 387 ff. (411); 6, 7 ff. (12); A. BZomeyer, Zivilprozeßre cht, § 95 II
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§ 1 Einleitung
Damit schied im Eingangsfall eine (weitere) Beschwerde gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts aus. Der Weg, eine "Verbesserung" der Beschwerdeentscheidung durch das im Instanzenzug höhere Gericht auf ein Rechtsmittel hin zu erreichen, ist der beschwerten Partei verschlossen6. Kann das Oberlandesgericht aber vielleicht selbst - auf Antrag der Partei oder von Amts wegen- seinen Beschluß "berichtigen", "ändern", "zurücknehmen", "widerrufen", "aufheben" oder "durch eine neue Entscheidung ersetzen" 6 ? Eindeutig ist die Rechtslage hinsichtlich gerichtlicher Erkenntnisse, die in der Gestalt eines Urteils ergehen: Allein das im Instanzenzug übergeordnete Rechtsmittelgericht kann ein Urteil bei Begründetheit des Rechtsmittels "verbessern". Ist ein Rechtsmittel nicht (mehr) gegeben, so verbleibt es endgültig bei der durch das Urteil festgestellten Rechtslage, läßt man das Recht der Wiederaufnahme (§§ 578 ff. ZPO) außer Betracht. Das Gericht, das das Urteil erlassen hat, ist an seine Entscheidung gebunden, § 318 ZPO. Gilt diese Bindungswirkung auch für gerichtliche Erkenntnisse, die in Beschlußform ergehen? § 329 II ZPO, der einige Urteilsvorschriften für das Beschlußverfahren für anwendbar erklärt, nennt § 318 ZPO nicht. Rechtfertigen der Unterschied in der äußeren Form und die besondere Ausgestaltung des zu einem Beschluß führenden Verfahrens eine unterschiedliche Behandlung von Urteil und Beschluß? Bei dem Problem der Bindung des Gerichts an die von ihm erlassenen Beschlüsse handelt es sich nicht um ein spezifisches Problem des Zivilprozesses. Auch in anderen Verfahrensordnungen, z. B. im Strafverfahren und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, werden diese Fragen diskutiert. Rechtsprechung und Literatur versuchen auf zwei Wegen, Regeln für die Änderung einer als unrichtig erkannten Beschwerdeentscheidung aufzustellen. Dabei geht man einerseits von der sogenannten Wiederholung der Beschwerde aus, indem es für zulässig erachtet wird, daß der abgewiesene Beschwerdeführer die Beschwerde gegen den erstinstanzliehen Beschluß wiederholt, sie erneuert. Andere halten die sogenannte Gegenvorstellung für ein u. U. geeignetes Mittel, die Berichtigung einer für falsch erachteten Beschwerdeentscheidung zu erzielen. (S. 508 N. 1); J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 142; Maunz I Dürig, Art. 19 GG RN 45; Stein I Jonas I Pohle, II C 2 vor§ 1. Siehe auch Bettermann, ZZP 77, 3 ff. (40 ff.). ' Ausnahmen:§ 567 111 2 ZPO i. V. m. § 519 b ZPO; § 159 GVG. 5 Über die Versuche, den Rechtsmittelzug im Falle einer "greifbaren" Gesetzwidrigkeit zu erweitern, vgl. unten§ 2 vor I. 8 Es handelt sich nicht um das Problem einer Berichtigung gern. §§ 319 (329) ZPO. Fehler, die auf rechtsirriger Willensbildung des Richters beruhen, können nach richtiger Ansicht nicht mit § 319 ZPO behoben werden; vgl. OLG Düsseldorf, NJW 73, 1132; OLG Hamm, MDR 70, 1018; Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 319 Anm. 2 C; Thomas I Putzo, § 319 Anm. 2; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 68 II 2 a (S. 211).
II. Gang der Untersuchung
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2. Ziel der Arbeit ist es, fest umrissene und klare Regeln für die Zulässigkeit der Änderung einer letztinstanzliehen Beschwerdeentscheidung aufzustellen. Der Praxis ist mit Generalklauseln für diese prozeßrechtliche Frage nicht gedient. Ein Rückgriff auf die Postulate der Rechtssicherheit und der Gerechtigkeit, häufig genug wichtigster Diskussionsgegenstand der Abänderbarkeit von Beschlüssen, erscheint nur als letzter Ausweg zulässig. Denn wo ist die Grenze zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit? Eine Antwort auf diese Frage gehört wie es Dölle1 treffend formuliert - "zu den ewigen Problemen" des Rechts, die schwerlich im prozessualen Alltag zu lösen sind. II. Der Gang der Untersuchung
Nach Darstellung des Meinungsstandes wird- unter strikter Trennung von Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung - Ansatzpunkt der Überlegungen die Frage sein, ob sich eine Abänderbarkeit von letztinstanzliehen Beschwerdeentscheidungen mit Grundsätzen des Rechtsmittelwesens beantworten läßt. Dieser m. E. vorrangigen Frage wird zu selten Beachtung geschenkt. Im Abschnitt "Wiederholung der Beschwerde" ist dieser allgemein gehaltene Ausgangspunkt zu präzisieren. Dort wird der Einfluß einer Rechtsmittelentscheidung auf den Bestand des unterinstanzliehen Erkenntnisses zu erörtern sein. Das verlangt eine Beschäftigung mit der Rechtsnatur des Rechtsmittels der Beschwerde, die unter Heranziehung des "Prototyps" der Rechtsmittel der ZPO, der Berufung, darzustellen sein wird. Bei der Behandlung der "Gegenvorstellung" sind die Erkenntnisse der vorhergehenden Untersuchung zu verwerten. Im Gegensatz zur h. M. in Rechtsprechung und Literatur steht im Mittelpunkt der Ausführungen die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsmittelgericht überhaupt in die Lage versetzt werden kann, in der Sache zu entscheiden. Der Schlußteil, der die Anwendbarkeit der Ergebnisse dieser Arbeit in der gerichtlichen Praxis zeigt, endet mit einem Überblick über die materielle Rechtskraftfähigkeit von unanfechtbaren Beschlüssen, die auf einfache Beschwerde ergangen sind. § 2 Erweiterung des Beschwerderechtszuges. Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung
Hat das Beschwerdegericht die eingelegte Beschwerde beschieden und seine Entscheidung verkündet bzw. den Parteien zustellen lassen, § 329 I, 1
Dölle, DR 43, 825 ff. (828).
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§ 2 Änderung eines Beschlusses
III ZPO, so wird es sich regelmäßig nicht mehr mit seinem Spruch befassen. Die Angelegenheit ist für die betreffende Rechtsmittelinstanz "abgeschlossen". Die Gerichtsakten werden an das erstinstanzliehe Gericht zurückgesandt und verbleiben dort. Eine andere Sache ist es, ob das Verfahren auch für die Parteien, die Betroffenen, "erledigt" ist. Sollten sie sich nicht "beruhigt" haben, werden sie eine weitere Beschwerde (vgl. § 568 li ZPO) gegen den Beschluß des Beschwerdegerichts einlegen oder zu den angedeuteten Möglichkeiten einer Wiederholung der Beschwerde und einer Gegenvorstellung greifen wollen, um eine ihnen vorteilhafte Änderung der Entscheidung zu erzielen. Im Beispielsfall scheidet, wie bereits gesehen, eine Anfechtung der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts wegen § 567 III 1 ZPO aus. Diese Beschwerdesperre gilt, entgegen einer teilweise verbreiteten Auffassung\ auch für die sogenannte "greifbare Gesetzwidrigkeit". Mit dieser Wendung will man die Fälle ansprechen, in denen Beschlüsse mit einem schwerwiegenden, grundlegenden und offensichtlichen Verfahrensfehler behaftet sind. Ein in einer Verfahrensordnung nicht vorgesehenes Rechtsmittel kann auch dann keinen Rechtsmittelzug eröffnen, wenn die Verletzung eines prozessualen Grundsatzes in Frage steht, beispielsweise das Gebot rechtlichen Gehörs nicht beachtet ist. Abgesehen davon, daß im Eingangsfall das Beschwerdegericht gegen keine grundlegende Verfahrensvorschrift verstoßen hat, zeigt gerade die in § 90 BVerfGG geregelte Verfassungsbeschwerde mit der in § 90 II BVerfGG vorausgesetzten Ausschöpfung des Rechtsmittelzuges, daß keine noch so schwere Verletzung einer Verfahrensvorschrift ein Rechtsmittel gewährt, das das Prozeßrecht nicht kennt2 • 1 KG, JW 27, 400 u. HRR 33 Nr. 881; RG, JW 36, 876; in neuerer Zeit: OLG Neustadt, MDR 58, 702; OLG Frankfurt, NJW 62, 449; OLG Düsseldorf, MDR 64, 856 (vgl. aber die folgende Fn.); OLG Köln, JMinBl. NRW 69, 69 und OLGZ 72, 42; Baumbach I Lauterbach I Albers, § 567 Anm. 1 C (widersprüchlich). Abzulehnen ist auch die Meinung E. Schneiders, DRiZ 65, 288 ff. (290), der -allerdings unter dem Blickwinkel "Gegenvorstellung"- eine Abänderung des letztinstanzliehen Beschlusses befürwortet, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, seine frühere Entscheidung sei so verfehlt, daß sie keinen Bestand haben dürfe. Für eine entsprechende Bewertung fehlen doch halbwegs objektive Maßstäbe! 2 Vgl. LAG Hamm, MDR 72, 362; OLG Düsseldorf, MDR 70, 934, unter Aufgabe des gegenteiligen Standpunktes in MDR 64, 856; BGH, MDR 61, 309 sowie BGH, JZ 57, 182, der die Frage dahingestellt sein läßt; noch kürzlich: OLG Celle, NdsRpfl. 74, 127, mit umfassenden Nachweisen. Aus der älteren Rechtsprechung: RGZ 144, 86 ff. (88). Aus der Literatur: A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 105 I 2 (S. 587); Henckel, ZZP 77, 321 ff. (333 ff.); Schönke I Kuchinke, Zivilprozeßrecht, § 76 VII (S. 383). Ein anderes Problem, das hier nicht behandelt werden soll, ist es, ob gegen Beschlüsse ohne jede gesetzliche Grundlage, die insbesondere in dieser Art und mit diesem Inhalt vom Gesetz nicht vorgesehen sind, ausnahmsweise eine - an sich nicht gegebene - Beschwerde zuzulassen ist; dazu BGHZ 28, 349 f. (350 f.); OLG Hamm, JMinBl. NRW 63, 232 f. (233); OLG Saarbrücken, NJW 67, 1616; OLG Koblenz, Rpfleger 74, 26 f . m. w. N. und aus der Literatur Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 148 Ill 3d (S. 810); Stein I Jonas I Grunsky, § 567 Anm. I 4; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 84 II 1 c (S. 282).
II. Begriffsbestimmungen
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Der Gesichtspunkt "Erweiterung des Beschwerderechtszuges" hat sich somit als ungeeignet erwiesen, dem "Beschwerdeführer" zu einer "besseren" Entscheidung zu verhelfen. I. Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung eröffnen kein neues Verfahren
Der beschwerten Partei könnte damit gedient sein, daß in einem neuen Verfahren dasselbe oder ein anderes Gericht eine neue Entscheidung mit oder ohne Bezugnahme auf das zeitlich frühere Erkenntnis trifft. Mit diesem Problemkreis sind aber allein Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft von Beschlüssen angesprochen. Dagegen befassen sich Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung mit der Abänderungsmöglichkeit einer Beschwerdeentscheidung im Rahmen des anhängigen Verfahrens.
n. Begriffsbestimmungen 1. "Änderung" der Beschwerdeentscheidung ist im weitesten Sinne zu verstehen Unter einer "Änderung" soll jede vollständige oder teilweise Beseitigung der Wirkungen3 eines gerichtlichen Erkenntnisses in einem anhängigen Verfahren erfaßt sein, gleich ob an die Stelle der gänzlich oder teilweise beseitigten Entscheidung ein anderer gerichtlicher Spruch tritt oder nicht. Daher umfaßt die "Änderung" auch die in der Einleitung aufgeführten Begriffe4 zur Verbesserung eines Beschlusses&.
2. "Rechtsmittel" sind allein die in den
§§ 511 bis 577 ZPO aufgeführten Behelfe
Eine Prüfung der Voraussetzungen und Erfolgsaussichten der Wiederholung der Beschwerde und der Gegenvorstellung verlangt ein 3 Der Erlaß des Beschlusses kann als ein tatsächliches Geschehen nicht rückgängig gemacht werden. Die Beseitigung einer gerichtlichen Entscheidung kann damit nur die Wirkungen der früheren Entscheidung berühren; vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 190 f.; anders aber Jauernig, Zivilurteil, S. 99 ff. (105), der eine aufgehobene Entscheidung für ein "rechtliches Nichts" hält. 4 Vgl. oben § 1 I. 1. zu Fn. 6. 6 Die Arbeit verlangt keine feinere Begriffsbestimmung. Man könnte zwar beispielsweise in Anlehnung an das Verwaltungsrecht daran denken, zwischen "Rücknahme" und "Widerruf" einer Entscheidung zu trennen; vgl. für das Verwaltungsrecht WoUf I Bachof, Verwaltungsrecht I, § 53 I (S. 449 f.); Kimminich, JuS 65, 249 ff. Fn. 2. Der auf den Begriffen "fehlerhafter" und "fehlerfreier" Verwaltungsakt aufbauende unterschiedliche Sprachgebrauch ist für das Prozeßrecht untauglich, zumal wenn es um Probleme des Rechtsmittels geht.
2 Ratte
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§ 2 Änderung eines Beschlusses
Eingehen auf die Rechtsnatur und das Verhältnis beider Rechtsbehelfe zueinander. Das setzt eine vorherige Verständigung darüber voraus, wie beide Behelfe in das Schema der prozessualen Rechtsbehelfe im weitesten Sinne einzuordnen sind. Rechtsmittel sind allein die in den §§ 511-577 ZPO aufgeführten Rechtsinstitute der Berufung, Revision und Beschwerde, mit denen eine Partei eine Verbesserung 8 einer ihr bislang ungünstigen gerichtlichen Entscheidung, die noch nicht rechtskräftig ist, durch ein im Instanzenzug höheres Gericht begehrt. Alle anderen Gesuche und Anträge auf Gewährung von Rechtsschutz gegenüber Entscheidungen, die dem Begehren des Antragstellers nicht oder nicht vollständig stattgegeben haben, können nur Rechtsmittel im weiteren Sinne, Rechtsbehelfe, sein.
m. Verhältnis von Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung 1. Definition von Gegenvorstellung und Wiederholung der Beschwerde Vorläuferio der Gegenvorstellung ist die Remonstration des gemeinen Rechts. Das gemeine Recht ging in Anlehnung an sein römisches Vorbild davon aus, nur Endurteile und diesen gleichgestellte Zwischenbescheide seien für den "judex a quo" unwiderruflich, unabänderbar. Diese Vorstellung führte allmählich zur Heranbildung der Remonstration, die sich anfänglich nur gegen das einen Antrag sachlich zurückweisende Dekret richtete, das auf einseitige Verhandlung ergangen war. Später ließ man die Gegenvorstellung auch gegenüber Beschlüssen und Verfügungen zu, die das Gericht antragsgemäß ohne vorherige Anhörung des Gegners erlasseil hatte. Teilweise nahm man auch an, daß (widerrufliche) Zwischenbescheide zunächst mit der Remonstration beim judex a quo angegangen werden mußten, bevor eine Appellation gegen diese Erkenntnisse eingelegt werden konnte 7 • Zwischenzeitlich konkurrierte die Remonstration mit der Appellation dergestalt, daß gegen Dekrete und (widerrufliche) Zwischenbescheide beide Rechtsbehelfe zulässig waren. Später verlor die Remonstration insoweit ihre Bedeutung, weil die Appellation gegen Zwischenbescheide, Extrajudicialappellation genannt, die Aufgaben dieses Rechtsbehelfs übernommen hatte. Wichtig für das richtige Verständnis sind die Vorschriften über die Gegenvorstellung in der "Civilprozeßordnung für das Königreich Bayern" von 1869, die als letztes Verfahrensgesetz diesen Rechtsbehelf 8 Mit dieser Wendung soll noch nichts über Inhalt und Umfang der Anfechtungsmöglichkeit und des Prüfungsrechts durch das Rechtsmittelgericht gesagt sein. 7 Vgl. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 239, 2 (S. 931).
III. Konkurrenz
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behandelte. Art. 755 ff. BayCPO verstanden die Gegenvorstellung als ein ordentliches, nicht devolutives Rechtsmittel 8, mit dem Verfügungen, die der Beschwerde unterlagen, bei dem erlassenden Richter angefochten werden konnten9 • Die Einlegung der Gegenvorstellung war nur zulässig, solange die Verfügung noch mit der Beschwerde selbst angreifbar war, Art. 755, 757 BayCPO. Von der Remonstration ist die Beschwerde (querela simplex) des gemeinen Rechts zu unterscheiden. Mit ihr wandte sich eine Partei an den vorgesetzten Richter des Unterrichters wegen verweigerter oder verzögerter Justizgewährung. Damit erscheint die Beschwerde als Anruf der disziplinarischen Oberaufsicht, um den Richter zur Pflichterfüllung anzuhalten10 • Erst später erfuhr dieser disziplinarische Behelf eine teilweise prozessualistische Ausdehnung des Inhalts, daß er auch gegen Verfügungen eingewendet werden konnte, die einen Antrag aus formellen Gründen (Unzuständigkeit, Fristversäumnis) zurückwiesen11 • Nach dieser inhaltlichen Ausdehnung kam der Remonstration in Bezug auf die querela simplex eine neue Aufgabe zu. Wie gesehen, richtete sich die querela simplex direkt an den Oberrichter; wollte sich der "Querulant" im Falle einer Verwerfung seines Antrages an den judex a quo mit der Bitte um Abänderung wenden, bediente er sich der Remonstration12 • War damit die Remonstration des gemeinen Rechts ein Rechtsbehelf gegen erstinstanzliehe Erkenntnisse, so ist ihr Anwendungsbereich heute nach überwiegender Meinung ein anderer: Die Gegenvorstellung, die in den geltenden Verfahrensgesetzen keine ausdrückliche1a Rege8
Barth, § 334 Anm. I (S. 610).
Es bestand eine Konkurrenz zwischen Gegenvorstellung und Beschwerde. Nur in den Fällen des Art. 756 I BayCPO (kein vorheriges Gehör des Gegners bzw. neue Tatsachen) mußte der Rechtsmittelführer zunächst Gegenvorstellung erheben. Eine vergleichbare Regelung hatte die Gegenvorstellung bereits in der "Bürgerlichen Prozeßordnung für das Königreich Hannover" vom 8. November 1850 erfahren: §53 betr. die Kostenfestsetzung; §§ 516, 507, 522, 610 betr. den Besitz-, den Arrest- und den einstweiligen Verfügungsprozeß sowie Sicherungsmaßnahmen im Konkursverfahren. Ähnlich auch der Entwurf 1866 einer "Allgemeinen Zivilprozeßordnung für die Deutschen Bundesstaaten" in den §§ 529, 545 III für den Arrest und die einstweilige Verfügung. 10 Vgl. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 33 I (S. 107); Wetzell, System, § 61 9
(S. 813).
Zum Verfahren vgl. Wetzen, System, § 61 (S. 820): Der Querulant trägt ohne vorgängige Einführung des Rechtsbehelfs beim Unterrichter die Beschwerde beim Oberrichter mit dem Gesuch um Abhilfe vor. 11 Vgl. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 33 III (S. 109) m. w. N. 12 Im übrigen vgl. unten § 4 li. 2. 13 Die Gegenvorstellung ist aber in § 571 ZPO angesprochen, wenn dort das
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§ 2 Änderung eines Beschlusses
lung gefunden hat, ist kein Rechtsmittel, sondern ein form- und fristloser Rechtsbehelf14 • Es handelt sich bei ihr um eine der gerichtlichen Praxis vertraute15 und häufig anzutreffende Erscheinung. Ihre Bedeutung gewinnt sie in den Fällen, in denen Entscheidungen, die in Beschlußform ergangen sind, der Anfechtung mit Rechtsmitteln entzogen sind oder der Rechtsmittelzug erschöpft ist. Die Gegenvorstellung enthält den Appell an das Gericht, die eigene Entscheidung aus besserer nachträglicher Einsicht von Amts wegen aufzuheben oder abzuändern16 • Leichter läßt sich die Wiederholung der Beschwerde kennzeichnen. Bei ihr geht es darum, ob der Beschwerdeführer eine frühere (ganz oder teilweise) erfolglose Beschwerde "wiederholen" darf. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei erwähnt, daß gerade nicht, wie man nach dem Wortlaut annehmen möchte, die alte, konkret eingelegte Beschwerde "wiederholt" wird. Vielmehr handelt es sich um eine "neue" Beschwerdeeinlegung. Der auch in Bezug auf andere Rechtsmittel eingebürgerte Begriff der Wiederholung eines Rechtsmittels findet seinen Grund in der Unterscheidung zwischen dem Rechtsmittel "als solchem" und dem (mehrfachen) Gebrauchmachen von diesem Rechtsmittel, dem konkret eingelegten RechtsmitteP 7 • Von dem Rechtsmittel "als solchem" kann man wiederholt1 8 Gebrauch machen durch mehrmalige Rechtsmitteleinlegung. Hält man sich diesen Unterschied vor Augen, erscheint eine Verwirrung ausgeschlossen. Treffender ist vielleicht der Ausdruck "Erneuerung" des Rechtsmittels. Jedoch soll auch weiterhin der geläufigere Begriff "Wiederholung" benutzt werden. Festzuhalten bleibt, daß die Wiederholung der Beschwerde das Gebrauchmachen eines (echten) Rechtsmittels beinhaltet. Folglich muß sie sich an Rechtsmittelgrundsätzen messen lassen.
2. Eine mögliche Wiederholung der Beschwerde schließt die Gegenvorstellung aus Mit der Gegenvorstellung und der Wiederholung der Beschwerde sind zwei verschiedene Problemkreise angesprochen. Die GegenvorGeriebt zur nochmaligen Entscheidung und evtl. Abhilfe verpflichtet wird; vgl. Stein I Jonas I Grunsky, Vorbem. I vor§ 567. 14 Einhellige Meinung; vgl. H. Schmidt, Diss., S. 10; Thomas I Putzo, Vorbem. III, 2 vor§ 567. 16 Das BVerfG und der BGH gehen in mehreren Entscheidungen von diesem Rechtsbehelf aus, ohne ihn - zu Recht - einer Definition für bedürftig zu erachten; vgl. BVerfGE 9, 89 ff.; BGH, MDR 63, 295, FamRZ 68, 519. 18 Vgl. Baumgärtel, MDR 68, 970; Kreß, Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern, 16, S. 81- 83; E. Schneider, MDR 72, 567; Woesner, NJW 60, 2129 (2130); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 84 II 2 b (S. 282). 17 Vgl. z. B. BGHZ 45, 380 (382 f.); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 82 VI 2 (S. 269). 18 Die Frage nach der absoluten zeitlichen Grenze einer Wiederholung der Rechtsmittel der Berufung und Beschwerde beantwortet sich unten § 11 II. 1.
III. Konkurrenz
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stellung berührt sachlich die Frage der Bindung des Beschwerdegerichts an seine eigene Entscheidung, während es bei der Wiederholung der Beschwerde von Bedeutung ist, ob und gegebenenfalls inwieweit die bereits ergangene Beschwerdeentscheidung eine erneute Beschwerde einschränkt oder ausschließt. Vor einer Darstellung und Auseinandersetzung mit den in Rechtsprechung und Literatur zu beiden Rechtsbehelfen vertretenen Meinungen ist die Frage nach dem Rangverhältnis von Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung zu beantworten. Kann die beschwerte Partei beide Behelfe wahlweise geltend machen, oder schließt das Vorliegen eines von ihnen den anderen aus? Es sollte Einigkeit darüber bestehen, daß eine Gegenvorstellung erst zuzulassen ist, wenn die beschwerende Entscheidung keiner Beschwerde mehr unterliegt, also unanfechtbar ist1 9 • Solange eine Beschwerde noch statthaft und zulässig ist, werden die in der Gegenvorstellung enthaltenen Möglichkeiten bereits durch das Abhilfeverfahren nach § 571 ZPO ausgeschöpft. Daher ist die auch noch heute anzutreffende Meinung20 einer Austauschbarkeit von Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung abzulehnen. Mag diese Gleichbehandlung in der Praxis auch unschädlich sein, so ist einem Teil der Literatur der Vorwurf nicht zu ersparen, die Ansatzpunkte des Problems zu verdunkeln. Es ist sicherlich sachlich bedeutungslos, ob eine beschwerte Partei den 19 So im Ergebnis: Baumgärtel, MDR 68, 970; E. Schneider, MDR 72, 567; Thomas I Putzo, Vorbem. III, 2 a vor§ 567; VGH München, BayVBl. 72, 130 f. (131). E. Schneider setzt sich aber zu der a.a.O. vertretenen Meinung in einen gewissen Gegensatz, wenn er an anderer Stelle, DRiZ 65, 288 ff. (290), die
Zulässigkelt einer Gegenvorstellung auch im Falle einer Abänderbarkeit der beschwerenden Entscheidung auf einem anderen prozessualen Weg (z. B. neuer Antrag beim Erstgericht) bejaht; ähnlich auch Gäbelein, JZ 55, 260 f. (261). Das widerspricht einem Verständnis der Gegenvorstellung als "ultima ratio". 20 z. B. OLG Celle, SeuffA 82, 352 Nr. 199; Baumbach I Lauterbach (30. Aufl.), § 567 Anm. 2 B; anders jetzt aber Baumbach I Lauterbach I Albers, § 567 Anm. 2 B. Zuletzt noch H. Schmidt, Diss., S. 10 f., der wegen des Fehlens von Formund Fristvoraussetzungen bei der Gegenvorstellung sowie aus kostenmäßigen Gründen (kein Anfall einer Beschwerdegebühr gern. § 46 GKG) es für günstiger erachtet, eine Gegenvorstellung anstelle einer "erneuten Beschwerde" einzulegen. Der Beschluß des OLG Neustadt (MDR 58, 522 Nr. 99), auf den sich H. Schmidt, a.a.O., bezieht, betrifft das Verhältnis zwischen einer Gegenvorstellung und (erstmaliger) Beschwerdeeinlegung (der landgerichtliche Beschluß war noch anfechtbar!). Hier taucht das Problem überhaupt nicht auf: Das Beschwerdegericht war mit der Sache noch gar nicht befaßt gewesen, daher unterlag der erstinstanzliehe Beschluß von vornherein der Abhilfe nach § 571 ZPO durch das Erstgericht, wenn man, wie das OLG Neustadt, davon ausgeht, die Abänderungsmöglichkeit nach § 571 ZPO setze nicht die Einlegung einer zulässigen Beschwerde voraus.
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§ 2 Änderung eines Beschlusses
Rechtsbehelf "Gegenvorstellung" oder "Wiederholung der Beschwerde" einlegt, wenn das angegangene Gericht ihn nur zulässigerweise bescheiden kann21 • Aber gerade das unkritische Gleichsetzen von Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung hat die Unsicherheit über die Anwendbarkeit und Grenzen beider Rechtsbehelfe verstärkt. Baumgärtel folgert dieses Ausschlußverhältnis der Wiederholung der Beschwerde zur Gegenvorstellung aus dem für das Verfahrensrecht allgemein geltenden Prinzip der Spezialität eines besonderen Verfahrensweges 22. E. Schneider weist zur Begründung seiner Ansicht auf das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis hin23. Die Frage bedarf keiner Vertiefung. Insbesondere ist es nicht erforderlich, sich mit den Meinungen in der Literatur zu dem allgemeinen Problem des Nebeneinanders von verschiedenen prozessualen Wegen, von Prozeßhandlungen der Partei und von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen auseinanderzusetzen24. Für die hier interessierenden Probleme ist es von untergeordneter Bedeutung, ob man Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittelverfahrens, hier des Beschwerdeverfahrens, auf die Gegenvorstellung entsprechend anwendet, oder ob man besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen, die sich mittelbar doch an Rechtsmittelvoraussetzungen anlehnen müßten, aufzustellen versucht. Rechtsprechung und Literatur haben der Gegenvorstellung als gesetzlich nicht geregeltem Rechtsbehelf einen Platz in den Fällen zugewiesen, in denen eine Anfechtung der Entscheidung mit der Beschwerde nicht mehr möglich ist. Wegen dieses Hilfs- und Ersatzcharakters der Gegenvorstellung beantwortet sich die Frage des Nebeneinanders von Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung i. S. der heute herrschenden Meinung: Eine eigenständige25 Gegenvorstellung kann erst dann zum Zuge kommen, wenn kein Rechtsmittel gegen die beschwerende Entscheidung mehr zulässig ist2s.
Im Eingangsfall kommt -
wegen § 567 III ZPO -
allenfalls der
landgerichtliche Beschluß als Objekt der Anfechtung mit einem Rechts-
21 Zur Unschädlichkeit falscher Rechtsmittelbezeichnungen: Bauer, ZZP 64, 329 (340 f.); Stein I Jonas I Grunsky, § 518 Anm. II 2m. w. N.; OLG Stuttgart, JZ 59, 446; OLG Nürnberg, MDR 61, 509. 22 Baumgärtel, MDR 68, 970. 28 E. Schneider, MDR 72, 567 (568); vgl. aber Bem. oben Fn. 19. 24 Vgl. z. B. Pohle, FS Lent, S. 195 ff. (221 f., 230); Schänke, Rechtsschutzbedürfnis, S. 51; Larenz, Methodenlehre, S. 206 ff.
25 Hiermit soll klargestellt sein, daß die in einer Beschwerde mitenthaltene (oder: der Beschwerde vorgeschaltete) Gegenvorstellung (§ 571 ZPO) von dieser Feststellung nicht umfaßt ist. 28 Anders aber OLG Frankfurt, NJW 70, 715: Es hat, ohne auf das Verhältnis Gegenvorstellung-Beschwerde einzugehen, aus Kosten- und Zeitersparnisgründen "kurzer Hand" selbst seinen die Berufung zu Unrecht verwerfenden Beschluß, gegen den gern. §§ 519 b II, 567 III 2 ZPO die sofortige Beschwerde gegeben war, aufgehoben. Das kann mit dieser Begründung nicht gebilligt werden. Das Merkmal der Kosten- und Zeitersparnis ist ein untaugliches Kriterium, das das gesamte Rechtsmittelsystem in Frage stellt. Im Ergebnis wie hier LG Hamburg, NJW 70, 1610, das die Abänderung des eigenen (unrichtigen) Beschlusses nach § 519 b ZPO ablehnt; vgl. auch BGH, NJW 73, 1197.
III. Konkurrenz
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mittel in Betracht. Dieses Erkenntnis unterliegt auch dann noch einem Rechtsmittel, wenn die durch das Oberlandesgericht bereits beschiedene Beschwerde wiederholt werden kann. Aufgabe des nächsten Abschnittes der Arbeit muß es also sein festzustellen, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen die Wiederholung der Beschwerde zulässig ist.
Zweiter Teil
Die Wiederholung der Beschwerde § 3 Der Meinungsstand zur Wiederholung der Beschwerde I. Ausgangspunkt ist die einfache Beschwerde Die Frage der Zulässigkelt der Wiederholung der Beschwerde stellt sich wegen der zeitlichen UnbefristetheU des Rechtsmittels vor allem bei Entscheidungen, die der einfachen Beschwerde unterliegen. Aus diesem Grunde ist zunächst die Wiederholung der einfachen Beschwerde zu behandeln. Die Skala der Auffassungen hierzu umfaßt alle denkbaren Lösungen. Sie reicht von einer im Grundsatz unbeschränkten Bejahung über eine das Rechtsmittel nur unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig haltende Mittelmeinung hin bis zu einer gänzlichen Ablehnung einer Wiederholung der Beschwerde1 •
D. Die Meinung, die eine Wiederholung der Beschwerde uneingeschränkt für zulässig hält
Baumbach I Lauterbach2 wollen die Wiederholung der Beschwerde "an sich beliebig oft" gestatten. Das Fehlen einer Rechtsmittelfrist bei der einfachen Beschwerde, so meinen sie, erlaube es der beschwerten Partei, die Beschwerde jederzeit und immer zu erheben. Ähnliche Erwägungen finden sich bereits in einem Beschluß des Reichsgerichts aus dem Jahre 1894, in dem das Gericht ausführt, es stehe nichts entgegen, eine zurückgewiesene Beschwerde mit besserer Begründung zu wiederholen3.
1 Bisher haben Baumgärtel (JZ 59, 437 ff.; zusammenfassende Wiederholung MDR 68, 970 ff.) und E. Schneider (DRiZ 65, 288 ff.) einen Überblick über den Meinungsstand gegeben. So verdienstvoll diese Arbeiten auch sind, so geben sie doch in einigen Fällen die Auffassung der angeführten Rechtsprechung und Literatur ungenau, manchmal sogar unrichtig wieder. 2 Baumbach I Lauterbach, § 567 Anm. 2 B bis zur 30. Auflage. Von diesem extremen Standpunkt sind die neuen Auflagen nach einem Bearbeiterwechsel abgerückt; vgl. Baumbach I Lauterbach I Albers, § 567 Anm. 2 B und § 573 Anm. 3 D.
I. Bei einfacher Beschwerde
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Weil sich die Auffassung von der beliebigen Wiederholung der Beschwerde schwerlich mit den an ein geordnetes Verfahren zu stellenden Grundvoraussetzungen vereinbaren lassen dürfte, schränken ihn Baumbach I Lauterbach unter Hinweis auf den "Mißbrauch der Arbeitskraft des Gerichts" dahin ein, daß nur eine Wiederholung der Beschwerde mit neuen Gründen zulässig sei4 • Hierzu ist an dieser Stelle nur soviel zu sagen, daß sich das von Baumbach I Lauterbach gewonnene Ergebnis mit dem "Mißbrauch der richterlichen Arbeitskraft" schwerlich halten läßt. Aufgabe des Gerichts ist es, Recht zu finden. Umfang und Dauer der dafür von dem Richter eingesetzten Arbeitskraft sind unerheblich5• 8 •
a RG, JW 95, 88; so auch OLG Celle, SeuffA 82, 352 Nr. 199; Förster I Kann, § 567 Anm. 4; Warneyer, § 5711. Abs. a. E.
Ein eigenartiges Verständnis von den Aufgaben eines Rechtsmittelgerichts zeigt sich bei Förster I Kann, a.a.O.: "Ist ein Beschluß ... erfolglos angefochten worden, so kann der Beschwerdeführer ... seinen Versuch, das Beschwerdegericht von der Unrichtigkeit des angefochtenen Beschlusses zu überzeugen, beliebig oft wiederholen. Die Zulässigkeit der abermaligen Beschwerde hängt auch keineswegs davon ab, daß zu ihrer Begründung neue tatsächliche Ausführungen gemacht werden, wenn auch freilich die einfache Wiederholung des Inhalts der früheren Beschwerde nur in Ausnahmefällen zu einem Erfolge führen wird (z. B. dann, wenn sich inzwischen die Besetzung des Beschwerdegerichts geändert hat)." ' Ungenau Baumgärtel, JZ 59, 437, wenn er von der Meinung Baumbach I Lauterbachs nur die Begründung "Mißbrauch usw.", nicht aber die Voraussetzung "neue Gründe" mitteilt. - Irreführend E. Schneider, DRiZ 65, 288 f. (289), Fn. 4, wenn er Baumbach I Lauterbach der Meinung zuordnet, die die Wiederholung der Beschwerde (generell?) für unzulässig hält. Deutlicher jetzt Baumbach I Lauterbach I Albers, § 567 Anm. 2 B, die zur Zulässigkelt der Wiederholung der Beschwerde neigen, wenn in der neuerlichen Beschwerde die "Behebung eines (früheren) Formfehlers" oder ein "neuer Sachverhalt" angezeigt wird. a Baumgärtel, ZZP 69, 102 und JZ 59, 437; E. Schneider, DRiZ 65, 288 f. (289). Einschränkend Baur, FS Lent, S. 6 ff. (10): " ... Beschränkung der Rechtsmittel wegen des nicht uferlos ausdehnbaren Rechtspflegeapparats und der möglichst raschen Wiederherstellung des Rechtsfriedens"; vgl. auch Grunsky, Grundlagen, § 47 vor I (S. 484). Ein anderes Problem, das hier nur erwähnt werden soll, ist es, welche Möglichkeiten den Gerichten gegenüber "Querulanten" an die Hand gegeben sind; vgl. dazu Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 35 IX 1 (S. 94) m. w. N. e Ein vergleichbarer Gedanke klingt in einem Beschluß des LG Köln (ZZP 71, 305 f.) an, in dem die Wiederholung der Beschwerde für rechtsmißbräuchlich erachtet worden ist. Die Entscheidung besitzt gegenüber den hier behandelten Fällen die Besonderheit, daß der erstinstanzliehe Richter der Beschwerde abgeholfen (§ 571 ZPO) hat. Damit ist die Sache erst gar nicht an das Beschwerdegericht gelangt.
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§ 3 Der Meinungsstand zur Wiederholung der Beschwerde
m. Die Meinung von der generellen Unzulässigkeit einer Wiederholung der Besdlwerde Allein das OLG Darmstadt7 hält eine Wiederholung der Beschwerde immer, also auch bei einer Verwerfung der ersten Beschwerde wegen eines Formfehlers, für unzulässig8 • Eine Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung kann jedoch unterbleiben, da sie auf der später aufgegebenen9 höchstrichterlichen Rechtsprechung10 zur Wiederholung der Berufung bzw. Revision nach einer Rechtsmittelzurücknahme bzw. -Verwerfung aufbaut. IV. Die Mittelmeinung
1. Eine unzulässige Beschwerde ist wiederholbar Ihre Vertreter sind sich darin einig, daß hinsichtlich der Zulässigkeit der Wiederholung der Beschwerde zu unterscheiden ist, ob die erste (erfolglose) Beschwerde (als unzulässig) verworfen oder (nach Entscheidung in der Sache selbst) zurückgewiesen worden ist. Eine als unzulässig verworfene Beschwerde kann bei Vermeidung des früheren Mangels ohne Einschränkung wiederholt werden11 •
2. Verneinung der Wiederholung einer sachlich beschiedenen Beschwerde wegen der formellen Rechtskraft Schon das Reichsgericht hat angenommen, daß die Entscheidung des Erstrichters nach Durchlaufen des Instanzenzuges bei sachlicher Zurückweisung des Rechtsmittels formell rechtskräftig, damit unanfecht7 OLG Darmstadt, JW 35, 3049 Nr. 24. Der Beschluß betrifft zwar eine sofortige Beschwerde, jedoch macht das sachlich keinen Unterschied, weil die Notfrist des§ 577 II ZPO noch lief. 8 Zu Unrecht zählt Baumgärtel, MDR 68, 970 Fn. 12, die OLGe München, Stuttgart und Bamberg zu der Meinung, die die Wiederholbarkeit gänzlich verneinen. Die Ausführungen der genannten Gerichte zur Wiederholung der Beschwerde beziehen sich eindeutig auf sachliche Beschwerdeentscheidungen. 9 RGZ (GSZ) 158, 54 ff.; 161, 356; BGHZ 45, 380 ff. (382); vgl. auch Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 82 VI 2 (S. 269). Demgemäß hat nach h. M. die Zurücknahme der Berufung (§ 515 III ZPO) nur den Verlust des konkret eingelegten Rechtsmittels mit der Möglichkeit einer späteren Wiederholung innerhalb des Laufs der Berufungsfrist zur Folge. § 515 III ZPO ist auf die Beschwerde entsprechend anwendbar, vgl. OLG Frankfurt, MDR 55, 487; Thomas I Putzo, § 569 Anm. 5 d. 10 RGZ 147, 313; RAG, JW 36, 2887 (2888); vgl. dazu die ablehnende Anmerkung von Jonas, a.a.O., S. 2889. 11 Heute einhellige Meinung; z. B. Baumgärtel, JZ 59, 447; E. Schneider, DRiZ 65, 288; Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 148 III 6 a (S. 811).
IV. Die Mittelmeinung
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bar wird12. Auch die OLGe München und Stuttgart13 verneinen die Zulässigkeit der Wiederholung der Beschwerde aus Gründen der formellen Rechtskraft des angefochtenen Erkenntnisses14• Widersprüchlich erscheint die Argumentation eines Teils der Rechtsprechung und der Literatur. Das OLG Bamberg15 sowie Rosenberg I Schwab 16 und Thomas I Putzo 11 messen dem erstinstanzliehen Beschluß nach sachlicher Entscheidung über die Beschwerde formelle Rechtskraft zu, stellen jedoch bei der Zulässigkeitsprüfung der Wiederholung der Beschwerde nicht auf die formelle Rechtskraft des erstinstanzliehen Beschlusses ab. Einhellig lehnen die Genannten deswegen eine Wiederholung der Beschwerde ab, weil die sachliche Beschwerdeentscheidung "das Anfechtungsrecht" 18, "die Beschwerde"19 bzw. "die Beschwerdebefugnis"20 verbraucht und zum Erlöschen gebracht habe. 12 RG, JW 05, 741 Nr. 6, sowie Beschluß des RG vom 21. 9. 1906 mitgeteilt bei David, Recht 06, 1186 f. (1187 a. E.) -. Das RG hat in dem Beschluß vom 21. 9. 1906 seine in JW 05, 741 Nr. 6 mitgeteilte Meinung nur insoweit aufgegeben, als es dort für den Fall der Verwerfung der Beschwerde (als unzulässig) von der formellen Rechtskraft des angefochtenen erstinstanzliehen Beschlusses ausging. 13 OLG München, MDR 54, 237 Nr. 205; OLG Stuttgart, JZ 59, 445. Das OLG Bamberg, NJW 65, 2407, geht gleichfalls von der formellen Rechtskraft der Erstentscheidung aus, löst das Problem aber auf einem anderen Weg (vgl. unten zu Fn. 20). Entgegen der Meinung E. Schneiders, DRiZ 65, 288 f. (289) Fn. 1, fällt die Entscheidung des KG (JW 31, 3566 Nr. 6) nicht in diese Rubrik: Das KG hielt die Änderung seiner ersten Beschwerdeentscheidung deswegen für zulässig, weil es eine sofortige Beschwerde - offensichtlich falsch - (als unzulässig) verworfen, also gar nicht in der Sache selbst entschieden hatte. Soweit in dem Beschluß des KG von formeller Rechtskraft die Rede ist, ist mit ziemlicher Sicherheit - genau läßt sich das nicht feststellen - die der ersten, die sofortige Beschwerde als unzulässig verwerfenden Rechtsmittelentscheidung des KG angesprochen. Eine Wiederholung der Beschwerde schied wohl wegen Ablaufs der Notfrist des § 577 II ZPO aus. Baumgärtel, JZ 59, 437 Fn. 8, ist entgegenzuhalten, daß das OLG München, MDR 54, 237, nicht von der formellen Rechtskraft der letztinstanzliehen (= Beschwerde-)Entscheidung ausgeht, sondern die des Erstrichters meint (". . . die Entscheidung des Landgerichts sei daher formell rechtskräftig geworden ..."). 14 Auch Stein I Jonas I Grunsky, § 567 Anm. IV 6, gehen von einer formellen Rechtskraft des erstinstanzliehen Beschlusses aus; ebenso Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 103 II 3 b (S. 400). 15 OLG Bamberg, NJW 65, 2407. 18 Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 151 II 3 b a (S. 823). Baumgärtel, JZ 59, 437 in Fn. 8, ordnet Rosenberg (7. Auf!.) § 144 II 5, falsch ein: Rosenberg geht von der formellen Rechtskraft des erstinstanzliehen Erkenntnisses aus. 17 Thomas I Putzo, § 705 Anm. 1 und 3 c. 18 Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 148 III 6 a (S. 810 f.). 19 Thomas I Putzo, § 567 Anm. 5 d. 2o OLG Bamberg, NJW 65, 2407 (2408).
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§ 3 Der Meinungsstand zur Wiederholung der Beschwerde
Der hinter dieser Begründung stehende Gedanke ist nicht leicht festzustellen. Entweder verstehen Rosenberg I Schwab, Thomas I Putzo und das OLG Bamberg die Wiederholung der Beschwerde entgegen ihrer ausdrücklichen Unterscheidung von der Gegenvorstellung doch nicht als (echtes) Rechtsmittel oder, was wegen § 567 III ZPO offensichtlich falsch ist, als Rechtsmittel gegen die letztinstanzliehe Beschwerdeentscheidu ng21 • Vielleicht handelt es sich auch nur um Unschärfen im Ausdruck. Gerade wegen der sonst klaren Trennung zwischen Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung bei Rosenberg I Schwab und Thomas I Putzo kann man wohl annehmen, daß diese mit "Verbrauch der Beschwerde" u. ä. die formelle Rechtskraft des erstinstanzliehen Erkenntnisses bezeichnet wissen wollen22• Dies kann aber kaum für das OLG Bamberg gelten, das hinsichtlich eines Ausschlusses der Wiederholung der Beschwerde auf den Grundsatz der Rechtssicherheit abstellt und erst in diesem Zusammenhang die Ausführungen zum Verlust des Rechtsmittels nach vorangegangener Sachentscheidung des Beschwerdegerichts macht. Die eingehende Erörterung des Zwecks eines Rechtsmittels, den das OLG in der Herbeiführung einer sachlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung sieht, und die Ausführungen zur zeitlichen Unbegrenztheit der einfachen Beschwerde zeigen den Widerspruch auch zu der Feststellung des Gerichts, die angefochtene Erstentscheidung sei formell rechtskräftig. Über die Bedeutung und den Einfluß der formellen Rechtskraft auf das Anfechtungsrecht der Parteien sollte kein Streit bestehen. Darum ist die Begründung des OLG Bamberg nicht recht verständlich.
3. Einschränkung der Wiederholung der Beschwerde mit Rechtsmittelgrundsä tzen Die Auffassung, die die Unzulässigkeit der Wiederholung der Beschwerde mit der formellen Rechtskraft des erstinstanzliehen Beschlusses begründet, hat scharfen Widerspruch erfahrenn. Die OLGe Colmar und Königsberg24 verneinen die Zulässigkeit einer Wiederholung der Beschwerde mit dem Wesen der Rechtsmittel, dem es widersprechen würde, eine nach Prüfung der Sache zurückgewiesene Beschwerde beliebig zu erneuern und das Beschwerdegericht zur nochmaligen Prüfung der Beschwerde zu nötigen. Was beide Gerichte unter 2 1 Eine andere Erklärung wäre die, daß sich die Genannten der Auffassung von Baumgärtel (dazu weiter unten) angeschlossen haben, ohne zu berücksichtigen, daß Baumgärtel die formelle Rechtskraft der Erstentscheidung verneint. 22 Das folgt z. B. aus dem Hinweis bei Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 148 III 6 a (S. 811) auf die OLGe München und Stuttgart, die Vertreter der formellen Rechtskraft der erstinstanzliehen Entscheidung. 23 z. B. Baumgärtel, JZ 59, 437; E. Schneider, DRiZ 65, 288 f. (289); früher bereits OLG Colmar, OLGE 15, 271. 24 OLG Colmar, OLGE 15, 271; OLG Königsberg, JW 31, 2844. Vgl. auch OLG Düsseldorf, MDR 58, 927, das bei einer Abwägung zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit nach sachlicher Ausschöpfung des Rechtsmittelzuges zumindest dann der Rechtssicherheit den Vorrang einräumt, damit eine Wiederholung der Beschwerde ausschließt, wenn keine neuen Tatsachen vorgetragen werden.
IV. Die Mittelmeinung
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dem "Wesen der Rechtsmittel" verstehen, bleibt hierbei unerwähnt. Anders als das OLG Colmar schränkt das OLG Königsberg seine Aus-sage dahin ein, daß das "jedenfalls dann gelte, wenn die erneuerte Beschwerde mit denselben Tatsachen und Ausführungen begründet werde" 26 • In Anlehnung an diese Entscheidung des OLG Königsberg läßt E. Schneider im Gegensatz zur heute wohl herrschenden Meinung eine Wiederholung der Beschwerde zu, wenn die wiederholte Beschwerde auf neue Tatsachen- veränderte Verhältnisse- gestützt wird26 • Auch er weist auf den zivilprozessualen Instanzenzug hin, um zum Ausschluß einer mehr als einmaligen Prüfung eines Antrages im Rechtszug zu gelangen. Zweck des Fehlens von Notfristen bei der einfachen Beschwerde sei es nicht, eine mehrmalige Einlegung desselben Rechtsmittels zu gestatten. Vielmehr solle lediglich ein weiter Zeitraum für die Einlegung der Beschwerde gegeben werden27 • Baumgärtel28 lehnt eine Wiederholung der Beschwerde ab, weil die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht nur das eingelegte Rechtsmittel erledigt, sondern- im Umfang der Entscheidung- das Anfechtungsrecht überhaupt konsumiert habe29• 30• Der Zweck der ge-
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OLG Königsberg, a.a.O.; ähnlich auch LG Köln, ZZP 71, 305 f. (306);
Wieczorek, § 567 Anm. G II c, der von einer "Unstatthaftigkeit" einer Be-
schwerdewiederholung ohne neue Begründung spricht. Die Begründung des OLG Königsberg, a.a.O., entwickelt eine für die Frage der Zulässigkeit eines Rechtsmittels untaugliche Abgrenzung. Welche Anforderungen, welcher Maßstab sind an die "neuen" Tatsachen und Ausführungen zu stellen? Genügen zwar "neue", aber offensichtlich unbegründete Ausführungen, um die "Zulässigkeitsklippe" zu umschiffen? Zu Unrecht beruft sich Wieczorek, a.a.O., auf die Entscheidung des RG, JW 05, 741 Nr. 6 = Recht 06, 40 f. (41). In diesem Beschluß hatte das RG die Wiederholung der Beschwerde nach Verwerfung der ersten Beschwerde unter Vermeidung des Mangels für unzulässig erachtet. Dieses falsche Ergebnis beruht auf der fehlerhaften Erwägung des RG, die Verwerfung einer einfachen Beschwerde als unzulässig führe die formelle Rechtskraft des angefochtenen Beschlusses herbei. Von dieser Ansicht ist das RG, soweit eine Verwerfung der Beschwerde erfolgt ist, später abgerückt; vgl. bei David, Recht 06, 1186 f. (1187). 26 E. Schneider, DRiZ 65, 288 (289). Zur Klarstellung: Auch E. Schneider bejaht eine Wiederholung der Beschwerde, wenn die frühere Beschwerde wegen eines Formfehlers verworfen worden ist, der bei der Neueinlegung vermieden ist. Zu Unrecht beruft sich E. Schneider auf die Entscheidung des OLG Colmar, das nur eine wegen eines Formfehlers zurückgewiesene Beschwerde für wiederholbar hält. Wie E. Schneider, a.a.O., jetzt auch neuerdings Baumbach I Lauterbach I Albers, § 567 Anm. 2 B und § 573 Anm. 3D. 21 Vgl. E. Schneider, a.a.O. 28 Baumgärtel, JZ 59, 437, und MDR 68, 970 f. (971). 29 So bereits früher für die Berufung: Reinberger, JR 25, 570. Das OLG
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§ 3 Der Meinungsstand zur Wiederholung der Beschwerde
setzlieh gewährten Anfechtungsbef ugnis sei bereits mit der einmaligen sachlichen Überprüfung erfüllt. Die zeitliche Unbegrenztheit der einfachen Beschwerde beziehe sich nur auf die erstmalige Beschwerde. Sie erlaube aber nicht, eine Beschwerde beliebig zu erneuern. Ein anderes Ergebnis widerspräche dem Wesen der übrigen Rechtsmittel und hätte vom Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt werden müssen. Die Zulässigkeit der Wiederholung der Beschwerde verneint Raumgärtel auch dann, wenn sich die Verhältnisse nach Erlaß der Beschwerdeentscheidung geändert haben, so daß die Beschwerde auf andere Gründe gestützt werden könnte. Diese neuen Gründe seien, schon aus Gründen der Rechtssicherhei t, nicht imstande, das bereits erloschene Anfechtungsrec ht wieder zur Entstehung zu bringen31 • Dem Beschwerten bleibe nur die Möglichkeit, abgesehen von der in solchen Fällen wenig aussichtsreichen Möglichkeit der Gegenvorstellu ng, beim erstinstanzliehen Gericht einen neuen Antrag zu stellen. Damit hält Baumgärtel eine Wiederholung der Beschwerde nur für zulässig, wenn die letztinstanzliehe Entscheidung die Beschwerde verworfen hat. Da hiermit der Zweck der Beschwerde, den Baumgärtel als Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung versteht, nicht erreicht sei, bestehe das Anfechtungsrec ht weiter. Hierbei zieht er die Parallele zu der in Literatur und Rechtsprechung herrschenden Meinung32, nach der eine erneute Berufung nach vorausgegangen er Verwerfung des Rechtsmittels innerhalb der Berufungsfrist zulässig sei. Das Anfechtungsrecht sei aber auch dann verbraucht, wenn die Beschwerde wegen fehlender Statthaftigkeit verworfen worden sei33 • 4. Ergebnis
Heute sind Rechtsprechung und Literatur34 sich darin einig, daß nach sachlicher Entscheidung über die Beschwerde eine Wiederholung mit Frankfurt, OLGZ 74, 302 ff. (305), hat sich noch kürzlich der Auffassung Baumgärtels uneingeschränkt angeschlossen. 30 So auch Schönke I Kuchinke, Zivilprozeßrecht, § 79 IX (S. 412); zustimmend Zöller I Karch, § 567 Anm. 1 a. Zu dem gleichen Ergebnis kommen mit ähnlicher Begründung auch Rosenberg I Schwab, Thomas I Putzo und das OLG Bamberg (vgl. oben § 3 IV.2.), die aber widersprüchlich argumentieren. 3t OLG Stuttgart, JZ 59, 445. Das RG, JW 05, 741, vertritt entgegen Baumgärtel, MDR 68, 970 f. (971) Fn. 14, nicht die Gegenmeinung (vgl. dazu oben Fn. 12). Vgl. auch Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 84 II 2 b (S. 282). 32 Vgl. oben Fn. 9. 33 So auch Stein I Jonas I Grunsky, § 567 Anm. IV 4. 34 Die verfehlte Ansicht von Förster I Kann, § 567 Anm. 4, ist bereits weiter oben abgelehnt worden.
I. Dernumerus clausus der Rechtsmittel
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denselben Tatsachen ausscheidet. Eine unbeschränkte, an keine besonderen Voraussetzungen anknüpfende Erneuerung der Beschwerde läuft einem zweckmäßigen und geordneten Verfahren zuwider. Eine andere Frage ist es, ob mit E. Schneider u. a. eine Wiederholung der Beschwerde mit neuen Tatsachen zuzulassen ist. Keineswegs vermögen aber die angeführten Begründungen zu überzeugen. Weder die Meinung, die auf die formelle Rechtskraft der Erstentscheidung abstellt, noch die, die die Lösung in dem "Wesen" des Rechtsmittelsystems zu finden sucht, treffen den Kern des Problems. Richtig ist zwar, daß die Zulässigkeit einer Wiederholung der Beschwerde "irgendwie" an den Grundsätzen des Rechtsmittelsystems zu messen ist, wenn man die Wiederholung der Beschwerde im Gegensatz zur Gegenvorstellung als Rechtsmittel versteht. Die Grundsätze und das Wesen der Rechtsmittel sind aber nicht hinreichend behandelt, wenn man sie nur als Schlagwörter35 benutzt oder allein feststellt, eine sachliche Beschwerdeentscheidung habe das Beschwerderecht verbraucht, die Anfechtungsbefugnis zum Erlöschen gebracht36• Derartige Wendungen reißen das Problem nur an, enthalten aber keine Begründung für das Ergebnis. Ein näheres Eingehen auf die Natur der Rechtsmittel wird zeigen, daß sich die mit der Wiederholung der Beschwerde und der Gegenvorstellung zusammenhängenden Fragen glatt lösen lassen. Aufgabe des nächsten Abschnitts muß es deshalb sein, die Grundsätze der Rechtsmittel herauszuarbeiten und an ihnen die Zulässigkeit einer Wiederholung der Beschwerde zu messen.
§ 4 Der Ansatzpunkt der hier vertretenen Lösung I. Bedenken gegen eine Wiederholung der Beschwerde wegen des numerus clausus der Rechtsmittel Die Wiederholung der Beschwerde ist eine echte Beschwerde1 • Damit ist sie in nicht "dringenden Fällen" gern. § 569 I 1. HS ZPO beim Erstgericht einzureichen. Wie steht es aber dann mit der Abhilfemöglichkeit des § 571 ZPO? Sollte der Erstrichter nach sachlicher Beschwerdeentscheidung der erneut eingelegten Beschwerde niemals abhelfen dürfen, weil er an den Rechtsmittelspruch gebunden ist, so bestünde gegen die Wiederholung der Beschwerde bereits unter dem Gesichtspunkt des numerus clausus der Rechtsmittel2 ein schwer ausräumbares Bedenken. 35
z. B. OLG Königsberg, JW 31, 2844.
Baumgärtel, JZ 59, 437; Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 148 III 6. a (S. 810 f.); Thomas I Putzo, § 567 Anm. 5 d; OLG Bamberg, NJW 65, 2407 36
(2408). 1 Unklar E. Schneider, MDR 72, 567, wenn er zwischen Beschwerde und Wiederholung der Beschwerde trennt. 2 Vgl. BGHZ 19, 196 ff. (200) = JZ 56, 372, zur Zulässigkeit einer Anschlußbeschwerde im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit: " ... im Interesse der Rechtssicherheit" können "im allgemeinen nur solche Rechtsmittel statthaft sein, die der Gesetzgeber ausdrücklich zuläßt". A. A.: Habscheid, JZ 56, 372 (373), der in Anmerkung zum o. a. Beschluß des
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§ 4 Der Lösungsweg
Wenn nämlich der Erstrichter nicht von der Entscheidung des ihm instanzenmäßig übergeordneten Beschwerdegerichts abweichen kann, würde sich die Wiederholung der Beschwerde nicht als Erneuerung der ersten Beschwerde, sondern im Hinblick auf die Beschwerdeentscheidung als weitere Beschwerde (vgl. § 568 ZPO) gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts ohne Vorlagepflicht bzw. Vorlagemöglichkeit an den BGH (wegen § 567 III ZPO) darstellen. Damit wäre ein neues, der ZPO unbekanntes Rechtsmittel geschaffen. Dieses Bedenken vermag auch ein Hinweis auf § 569 I a. E. ZPO nicht zu erledigen, wonach die Beschwerde in dringenden Fällen beim Beschwerdegericht eingelegt werden kann. Einmal darf das Beschwerdegericht lediglich dann ohne Rücksicht auf das Abhilferecht des Erstrichters über die Beschwerde befinden, wenn es die Dringlichkeit bejaht3 • Zum anderen erscheint es nicht erlaubt, das gegenüber dem eigentlichen Beschwerdeverfahren deutlich unterscheidbare Abhilfeverfahren nach §§ 569 I, 571 ZPO generell ersatzlos wegfallen zu lassen. Bereits aus diesem Grunde scheint mir der von E. Schneider 4 ohne Begründung aufgezeigte Weg, sich mit der Wiederholung der Beschwerde unmittelbar an das Beschwerdegericht zu wenden, prozeßordnungswidrig zu sein. Auch das Verfahren über eine erneute Beschwerde muß regelmäßig bei dem Gericht beginnen, dessen Entscheidung angefochten werden soll5 • Sofern für das unterinstanzliehe Gericht ein Verbot des Inhalts existieren sollte, die Entscheidung der höheren Instanz nachzuprüfen und abzuändern, müßte man in den Grenzen dieses Verbots die Zulässigkeit der Wiederholung der Beschwerde verneinen. Es ist allgemein anerkannt, daß ein im Instanzenzug nachgeordnetes Gericht an die rechtliche Beurteilung des Rechtsmittelgerichts gebunBGH die "These von der Geschlossenheit der Rechtsmittel" wegen der Anerkennung der sog. Anschlußbeschwerde verneint. Habscheid ist entgegenzuhalten, daß nach richtiger Ansicht ein Anschlußrechtsmittel, damit auch die Anschlußbeschwerde, gerade kein Rechtsmittel ist; vgl. Fenn, Anschlußbeschwerde, S. 80 mit Nachweis in Fn. 18 sowie neuerdings Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 82 V 1 (S. 268) mit Nachweis der Gegenmeinung. Die Frage nach der Rechtsnatur des Anschließungsrechtsmittels ist nicht das Thema dieser Arbeit, beantwortet sich aber schlüssig durch die Ausführungen zur Berufung. 3 Zum Verfahren siehe Stein I Jonas I Grunsky, § 569 Anm. Im. w. N. ' E. Schneider, DRiZ 65, 288 r. Sp. Einen "Vorteil" hat diese Lösung, weil sie nicht zu einem Konflikt zwischen erst- und zweitinstanzlicher Entscheidung führt. 5 So auch ohne Begründung - Baumbach I Lauterbach I Albers, § 567 Anm. 2 B, wenn sie ausführen: "weil in beiden Fällen (scil. : neuer Antrag oder Wiederholung der Beschwerde) das Erstgericht zu entscheiden hat".
I. Dernumerus clausus der Rechtsmittel
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den ist6 • Streitig sind allein Umfang7 und Grundlage der Bindung. Sie wird einmal aus der sich aus dem Instanzenzug ohnehin ergebenden Autorität des Obergerichts gefolgert8 • Eine andere Meinung gelangt über eine entsprechende Anwendung des § 565 II ZPO auf die (Berufungs- und) Beschwerdeentscheid ung zu einer Bindung des Vorderrichters9. Diese Bindung, wie immer sie auch geartet sein mag, bezieht sich selbstverständlich aber immer nur auf ein anhängiges Verfahren. Sie entfaltet nur dann ihre Wirkung, wenn das Untergericht die Streitsache durch Zurückverweisung (zur weiteren Entscheidung) zurückhält (§§ 538, 565, 575 ZPO). Eine allgemeine, nicht auf ein bestimmtes Verfahren bezogene Bindung des Untergerichts durch das Rechtsmittelgerichtbesteht nicht. Da in der der Wiederholung der Beschwerde vorausgegangenen Beschwerdeentscheid ung gerade keine Zurückverweisung an die untere Instanz ausgesprochen ist, könnte man - in einer petitio principii eine Bindung des erstinstanzliehen Gerichts an die Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts verneinen und die Zulässigkeit der Wiederholung der Beschwerde bejahen. Die Bindung des Untergerichts an die Beurteilung des Obergerichts ist nämlich eine Folge davon, daß das Untergericht die Entscheidungsbefugn is über den Verfahrensgegenstand zurückerhält. Daran schließt sich notwendig die Frage an, wie im Fall der Wiederholung der Beschwerde das Vordergericht überhaupt in die Lage versetzt werden kann, erneut über die Sache zu entscheiden, wenn keine Zurückverweisung der Sache erfolgt ist. Hält man eine Wiederholung der Beschwerde für das richtige Mittel, so geht man davon aus, daß das Verfahren bei dem Untergericht noch oder wieder anhängig ist, denn ohne Anhängigkeit gibt es kein Rechtsmittel gegen 8 Vgl. RGZ 37, 383 ff. (385); 86, 406; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 82 VIII 2 (S. 272) u. § 83 VIII 2 (S. 280). Siehe auch Schultzenstei n, ZZP 48, 63 ff. (77). 7 Dazu Bötticher, MDR 61, 805, und Grunsky, ZZP 84, 129 ff. (130) Fn. 4 mit Meinungsstand. s Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 60, 392 ff. (397); Götz, Diss., S. 15, 31 ff., und JZ 59, 683; Schiedermair, JZ 58, 277 f. (278) in Anm. zu BGH, JZ 58, 276 f. = BGHZ 25, 200 ff. Stein I Jonas I Grunsky, § 538 Anm. IX 2, stellen daneben noch auf die formelle Rechtskraft der Rechtsmittelentscheidung ab ; abl. Bötticher, MDR 61, 805 ff. (807) Fn. 3. 9 RG, WarnRspr. 14 Nr. 344; BGHZ 25, 200 ff. (203); A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 102 II 1 (S. 545); Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 141 IV
4 (S. 770 f.).
Speziell hinsichtlich des Beschlußverfahrens: RGZ 53, 315 ff. (318); 127, 362 f. (363); Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 149 V 2 (S. 817); Thomas I Putzo, Vorbem. V 4 b vor§ 511; Wieczorek, § 565 Anm. A II a; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 84 V (S. 284). Zum Umfang der Bindung gern. § 565 II ZPO siehe Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 60, 392 ff. (396 f.), sowie Schönke, Bindung, passim. 3 Ratte
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§ 4 Der Lösungsweg
eine in der Instanz ergangene Entscheidung10• Das bedeutet: Hat das Landgericht die Entscheidungsbefugnis nach Abschluß des Beschwerdeverfahrens zurückerlangt11, so handelt es sich immer noch um das ursprüngliche Verfahren. Damit hat das Erstgericht die Auffassung des Beschwerdegerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Nimmt man an, das Verfahren sei nicht an das Landgericht "zurückgekehrt", besteht zwar nicht die beschriebene Bindung. Der Beschwerdeführer kann jedoch deswegen seine Beschwerde nicht erneuern, weil "sein" ursprüngliches Verfahren nicht mehr bei dem Landgericht, sondern allenfalls beim Oberlandesgericht anhängig ist. Diese Ausführungen haben gezeigt, daß sich eine Wiederholung der Beschwerde nur schwer in das Rechtsmittelsystem einordnen läßt. Das aufgezeigte Bedenken ließ sich jedenfalls nicht ausräumen. Die weiteren Untersuchungen werden beweisen, daß die Zweifel mehr als berechtigt sind. D. Der Einfluß der Beschwerdeentscheidung auf den Bestand des angefochtenen Erkenntnisses
1. Der Ausgangspunkt Eine Wiederholung der Beschwerde ist zwingend ausgeschlossen, wenn und soweit die erstinstanzliehe Entscheidung, deren Anfechtung erneut beabsichtigt ist, nicht mehr besteht oder keine Wirkungen mehr entfaltet. Die Frage nach dem Einfluß der ersten Beschwerdeentscheidung auf den Bestand des angefochtenen erstinstanzliehen Erkenntnisses steht damit im Mittelpunkt der Erörterungen in den nächsten Abschnitten. Eine Antwort erfordert eine Beschäftigung mit der Natur der Beschwerde.
2. Die Grundsätze der Berufung sind bei der Lösung heranzuziehen Die "untergeordnete Bedeutung der den Gegenstand der Anfechtung bildenden Entscheidung" 12 brachte es wohl mit sich, daß das Wesen der Be10 Vgl. aber Stein I Jonas I Grunsky, § 567 Anm. IV 4; Baumbach I Lauterbach I Albers, § 567 Anm. 2 B, die diesen "feinen", aber grundlegenden Unter-
schied unbeachtet lassen. Natürlich ist es ohne praktische Bedeutung, ob man einen neuen Antrag oder eine Wiederholung der Beschwerde beim Erstgericht einlegen kann, wenn nur einer von ihnen zulässigerweise beschieden werden kann. Diese praktische Gleichstellung darf aber nicht zu einer prozessualen "Verwässerung" führen. 11 Neben einer Zurückverweisung kommt als andere (gedankliche) Möglichkeit ein automatischer Rückfall an die untere Instanz in Betracht, ausgelöst durch die Beschwerdeentscheidung. 12 Motive zur CPO, S. 39 = C. Hahn, Materialien, § 11 (S. 139).
II. Die Qualität der Rechtsmittel
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schwerde als wenig erörterungswert gefunden und "stiefmütterlich" behandelt wurde. Es ist jedenfalls ungenau, wenn zur Charakterisierung der Beschwerde gesagt wird, Vorgängerin unserer heutigen Beschwerde sei die "querela simplex" des gemeinen Rechts13• Mit diesem Vergleich ist die hier wenig bedeutsame formeHe und nominelle Verwandtschaft der Beschwerde angesprochen. Die querela simplex war kein "eigentliches" Rechtsmittel. Das gemeine Recht verstand unter "eigentlichen" (echten) Rechtsmitteln nur die Behelfe, die gegen Rechtsverletzungen gerichtet waren, "durch welche eine Partei in ihrer prozessualischen Stellung zur anderen Partei benachteiligt wurde" 14• Die "querela simplex" richtete sich direkt gegen den Richter wegen einer Verletzung der Amtspflicht. Sie stellte einen Rechtsbehelf gegen den Richter dar und war damit "uneigentliches" Rechtsmittel. Sie verstand sich als Anrufung der oberrichterliehen Disziplinargewalt15 • Die "querela simplex" berührte demgemäß nicht das Prozeßverhältnis zwischen den Parteien, sondern betraf das Verhältnis einer Partei zum Richter. Allein wenn das beanstandete Verhalten des Richters in der Ablehnung der von ihm verlangten richterlichen Hilfe lag, also die Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens aus formellen Gründen verweigert wurde, verfolgen "querela simplex" und unsere heutige Beschwerde einen vergleichbaren Zweck. In dieser Hinsicht konkurrierte die "querela simplex" aber unter der Geltung des gemeinen Rechts mit der Remonstration, darüber hinaus aber auch mit der Appellation in der Form der sogenannten "appellatio ab interlocutione" 16 oder der "Extrajudicialappellation"17• Gerade dieser Gesichtspunkt zeigt eine sachliche Verschiedenheit von "querela simplex" und heutiger Beschwerde auf. Die "querela simplex" schloß die Einlegung von Rechtsmitteln nicht aus, sondern konkurrierte häufig mit ihnen. Nach heutigem Recht ist jedes andere Rechtsmittel, also Berufung und Revision, unstatthaft, wenn die Beschwerde gegeben ist, vgl. §§ 512, 548 ZP018• 13 So aber Bettermann, ZZP 77, 3 ff. (20 f. Fn. 51); Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 148 I 1 (S. 806); Seuffert, Vorbem. 1 vor§ 567. 14 Vgl. Wetzen, System,§ 61 (S. 813). 15 Vgl. Wetzen, System, § 61 (S. 814), und § 453 BPO (von 1850) vgl. unten Fn. 18 - . "Die Beschwerde wider das Gericht findet Statt .. ." (Hervorhebung vom Verfasser). 1s Vgl. Wetzen, System,§ 61 (S. 818). 17 Dazu Gönner, Handbuch, Teil LXVIII, S. 539 ff., insbes. § 5 (S. 546 f.). Gerade diese Stelle erhellt, daß die heutige Beschwerde mehr der Extrajudicialappellation angeglichen ist ("Appellation gegen Dekrete"). 18 Auch eine Beschäftigung mit den Verfahrensordnungen des Königreichs Hannover vom 4. Dez. 1847 und 8. Nov. 1850 ist geeignet, die sachliche Verschiedenheit von heutiger Beschwerde und "querela simplex" des gemeinen Rechts aufzuzeigen. Die "Allgemeine Bürgerliche Prozeßordnung" von 1847 (ABPO) unterschied erstmals zwischen der einfachen Beschwerde "wider den Proceßgegner" (§ 237) und der Beschwerde, "welche gegen das Gericht zu richten" ist (§ 260). Die Beschwerde gegen den Gegner war ein ordentliches Rechtsmittel, § 221 Ziff. 3 ABPO. Die Beschwerde "gegen das Gericht" entsprach der nunmehr in ihrem Aufgabenkreis eingeschränkten querela simplex; vgl. die Regierungsmotive vor § 237 (abgedruckt bei Leonhardt, Allgemeine Proceßordnung, s. 177). Die Bürgerliche Prozeßordnung von 1850 (BPO) hielt an dieser Einteilung mit der Maßgabe fest, daß die in der ABPO mit der einfachen Beschwerde für anfechtbar erklärten Beschlüsse der (vorbehaltenen) Berufung unter-
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§ 4 Der Lösungsweg
Eingehende Untersuchungen zur Rechtsnatur der Beschwerde fehlen19. Zumeist beschränken sich die Bemerkungen in dem Hinweis auf die "querela simplex", der der Diskussion, wie gezeigt, wenig förderlich ist. Will man dem Thema gerecht werden, so muß man auf Erkenntnisse zurückgreifen, die aus der Berufung zu gewinnen sind. Dieser Weg ist gangbar. Berufung und Beschwerde unterliegen denselben allgemeinen Grundsätzen20. Die sachliche Übereinstimmung der Beschwerde mit der Berufung ist so groß, daß man sie bereits "Berufung gegen Zwischenentscheidungen" genannt hat21 . Von der Berufung unterscheidet sie sich, abgesehen von den Verschiedenheiten der Verfahrensregelung, hauptsächlich durch die Art der angefochtenen Entscheidung (Urteil-Beschluß). Sie stimmt aber - was zur Kennzeichnung besonders wichtig ist - mit der Berufung darin überein, daß Verstöße in der Rechtsanwendung und in der Tatsachenfeststellung gleichermaßen geltend gemacht werden können. Man versteht daher die Beschwerde zu Recht als eine Art minderer Berufung in einem weniger formstrengen Verfahren. Es erscheint erlaubt und geboten, im folgenden den Charakter von Berufung und Beschwerde gemeinsam zu untersuchen, wobei vor allem auf die Grundsätze der Berufung einzugehen ist. 3. Die gedanklich mögliche Gestaltung der Rechtsmittel und ihre Bedeutung für die Wiederholung der Beschwerde Eindeutig läßt sich die oben II, 1 formulierte Frage beantworten, wenn das Rechtsmittel erfolgreich ist. Das Rechtsmittelgericht hebt das erstinstanzliche Erkenntnis auf22 und ersetzt es ausdrücklich durch eine eigene Entscheidung23. Eine derartige Fallkonstellation ist aber nicht Gegenstand der lagen; § 392 I BPO: "Alle Richterverfügungen ... sind ... der Berufung unterworfen", soweit das Gesetz nicht ausnahmsweise etwas anderes anordnete. Hinsichtlich der Beschwerde "gegen das Gericht" verblieb es grundsätzlich bei der früheren Regelung; vgl. § 453 BPO. 19 Vgl. aus der älteren Literatur: Barazetti, Rechtsmittel, S. 192 ff.; Ferdinand, Beschwerde; neuerdings J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, auf dessen Meinung weiter unten(§ 12) einzugehen ist; Fenn, Anschlußbeschwerde. 20 So auch A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 95 (S. 507); Fenn, Anschlußbeschwerde, S. 199; Gilles, Rechtsmittel, S. 27: "Berufung ist Modell ..., Revision und Beschwerde sind Modifikationen", sowie S. 63 Fn. 129 und S. 88 Fn. 242; Kleinfeller, Lehrbuch, § 114 I 4 (S. 492); R. Schmidt, Lehrbuch, § 124 IV (S. 782); Stein I Jonas I Grunsky, Vorbem. I vor§ 567. Vgl. aber auch J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 41, der die Beschwerde als Klage gegen den Richter ("querela simplex" !) versteht (dazu unten § 12 I, II. 21 Binding, Strafprozeßrecht, S. 265. In dieser Wendung schwingen unüberhörbar die Merkmale der "Appellation gegen Dekrete" mit; vgl. oben Fn. 17 und 18. 22 Dazu Jauernig, Zivilurteil, S. 100 ff.; Hellwig, Grenzen, S. 39. 23 Um eine "Aufhebung" handelt es sich auch dann, wenn der Tenor der
II. Die Qualität der Rechtsmittel
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vorliegenden Untersuchung24• Die Wiederholung der Beschwerde setzt voraus, daß das früher eingelegte Rechtsmittel erfolglos geblieben ist25• Wie verhält es sich aber, wenn die früher eingelegte Beschwerde zurückgewiesen, die erstinstanzliehe Entscheidung damit, zumindest im Ergebnis, bestätigt wird? Läßt die Rechtsmittelentscheidung dann die Wirksamkeit des angefochtenen Erkenntnisses unberührt oder nicht? Auf den ersten Blick scheint es verfehlt zu sein, eine Frage dieses Inhalts überhaupt zu stellen. Läßt sich doch die Zurückweisung eines Rechtsmittels nicht nur als Bestätigung, sondern darüber hinaus als "Verfestigung" des angegriffenen Erkenntnisses ansehen. Die Frage nach dem Einfluß der Rechtsmittelentscheidung auf das angefochtene Erkenntnis berührt die Qualität des Rechtsmittels. Ziel aller Rechtsmittel ist die Herbeiführung einer richtigen Entscheidung, d. h. einer solchen, die mit der außerprozessualen Rechtslage übereinstimmt. Dieser mit der Einlegung eines Rechtsmittels bezweckte Erfolg läßt sich auf verschiedenen Wegen erreichen. Weder die Wege noch überhaupt der Begriff "Rechtsmittel" sind logisch oder historisch26 vorgegeben. Von einer unterschiedlichen Ausgestaltung des Verfahrens abgesehen bestehen gedanklich nur zwei sich gegenseitig ausschließende Möglichkeiten einer Überprüfung der Erstentscheidung, die zur Einführung in die Problematik wie folgt zu kennzeichnen sind: Entweder prüft der Rechtsmittelrichter, ob der Erstrichter richtig entschieden, richtig geurteilt hat. Hierbei wird allein die Ordnungsmäßigkeit des erstrichterlichen Verfahrens und die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung an Hand von bestimmten, von dem Rechtsmittelführer zu behauptenden Fehlern nachgeprüft. Der Rechtsmittelrichter legt seiner Entscheidung das Tatsachen- und Beweismaterial der ersten Instanz unverändert zugrunde.
Oder die Rechtsmittelinstanz läßt das Verfahren noch einmal vor sich abrollen und entscheidet den Streit erneut auf Grund des ihr vorgetragenen (alten und neuen) Prozeßmaterials. Dabei weist schon das Merkmal der Neuentscheidung darauf hin, daß es auf das Geltendmachen von bestimmten Fehlern durch den Rechtsmittelführer nicht ankommen kann. Rechtsmittelentscheidung von einer "Änderung" der erstinstanzliehen Entscheidung spricht. 24 Es bedarf daher hier keiner Entscheidung, ob es sich um eine deklaratorische oder konstitutive Aufhebung des erstinstanzliehen Urteils handelt. Die wenig bestimmte Aussage in den einleitenden Sätzen sollte Bedenken hervorrufen. Denn so klar, wie häufig gelehrt wird, ist die Rechtslage nicht (vgl. z. B. Pfeifer, Diss., S. 96). Im einzelnen vgl. unten § 11 II. 25 Wie es sich bei einem teilweise erfolgreichen Rechtsmittel verhält, läßt sich nach Untersuchung der das Rechtsmittel (vollständig) zurückweisenden Entscheidung zwanglos beantworten, vgl. unten § 13 II 2 b. 2a Vgl. aber unten § 6 II 4, § 8 I.
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§ 5 Die Rechtsnatur
Überträgt man diese beiden möglichen Gestaltungsformen auf die Berufung, so spricht man im ersten Falle von der sogenannten eingeschränkten Berufung im Gegensatz zu der vollen Berufung bei der zweiten Möglichkeit. Das Ergebnis beider "Überprüfungsarten" ist bei einem erfolglosen Rechtsmittel äußerlich gleich: "Die Berufung wird verworfen bzw. zurückgewiesen" (das erstinstanzliehe Urteil also aufrechterhalten). Sachlich könnte es aber bei einer Zurückweisung erheblich sein, ob man die Berufung - und im Anschluß daran die Beschwerde - als sogenanntes eingeschränktes oder volles Rechtsmittel versteht. Sollten Berufung und Beschwerde zu den "eingeschränkten" Rechtsmitteln zählen, dürfte die das Rechtsmittel zurückweisende Entscheidung den Bestand des Ersterkenntnisses nicht berühren. Der Sache nach enthält eine derartige Rechtsmittelentscheidung die Feststellung, die von dem Rechtsmittelführer angeführten Fehler lägen nicht vor, der Erstrichter habe richtig geurteilt. Anders könnte es aber bei der vollen Berufung sein, bei der der zweitinstanzliehe Spruch darüber befindet, ob der geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht oder nicht besteht. Diese Problemskizze sollte die Berechtigung der Frage nach dem Einfluß der Rechtsmittelentscheidung auf den Bestand des Ersterkenntnisses zeigen. Sämtliche Schriftsteller und Gerichte, die die Wiederholung der Beschwerde behandeln, gehen stillschweigend davon aus, daß eine Beschwerdeentscheidung weder in dem Fall der Verwerfung noch in dem der Zurückweisung des Rechtsmittels den Bestand bzw. die Wirksamkeit der Erstentscheidung berührt28a. Die Bedeutung der Qualität des Rechtsmittels sehen sie nicht. Geht man von den zwei möglichen Rechtsmittelarten der Berufung (und der Beschwerde) aus, so laufen Formulierungen wie "Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung" o. ä. 27 auf ein eingeschränktes Rechtsmittelverständnis hin.
§ 5 Die herrschende Auffassung zur Rechtsnatur von Berufung und Beschwerde im heutigen ReclJ.t I. Der Wortlaut der §§ 511 ff. ZPO ist nicht eindeutig
Die Vorschriften der ZPO geben keine zwingende Antwort auf die Frage nach der Rechtsnatur von Berufung und Beschwerde. Zwar sprechen die §§ 525, 529, 531 und 537 ZPO, insbesondere aber auch § 570 ZPO für ein "volles" Verständnis des Rechtsmittels der Berufung und Beschwerde. Andererseits könnte aber auf § 526 I ZPO verwiesen werden, in dem von der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung die Rede ist. Auf die "Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung kommt es bei 28a z. B. Baumgärtel, E. Schneider, OLGE München, Stuttgart und Bamberg, jeweils a.a.O. 27 Baumgärtel, JZ 59, 437 unter 4 a; OLG Bamberg, NJW 65, 2407 (2408); OLG Frankfurt, OLGZ 74, 302 ff. (305).
II. Die appellatio
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einem "vollen" Rechtsmittelverfahren aber gerade nicht an. Auch § 519 III Nr. 2 ZPO scheint zugunsten eines "eingeschränkten" Charakters der Berufung zu sprechen, wenn dort die bestimmte Angabe der im einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe verlangt wird. Eine grammatische Auslegung führt also zu keinem klaren Ergebnis: Die Frage nach der Rechtsnatur der Berufung und der Beschwerde löst sich jedoch, wenn man die Entwicklungsgeschichte der heutigen Verfahrensordnung hinzuzieht. Eine derartige Berücksichtigung ist gerechtfertigt, da die ZPO auf den Vorstellungen der zweiten Hälfte des 19. Jh. beruht!. D. Die "appellatio" des römischen Rechts ist das Vorbild der ZPO
Ausgangspunkt jeder Darstellung der Rechtsnatur der Berufung muß der Satz aus den Motiven2 sein: "Die Berufung der CPO von 1877 stimmt ihrem Charakter nach mit der römisch-rechtlichen Appellation überein." Über die Verwandtschaft beider Rechtsmittel besteht, wohl wegen der Eindeutigkeit der Materialien, Einigkeit3 • Allerdings scheint die Bedeutung dieses Satzes im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten zu sein. Anders läßt sich der heute häufig anzutreffende vollständige Verzicht auf das entwicklungsgeschichtliche Verständnis der Rechtsmittel kaum erklären. Die Vernachlässigung der zivilprozessualen Entwicklungsgeschichte in Rechtsprechung und Literatur hat bereits zu einem unklaren Rechtsmittelverständnis geführt. Das "Allheilmittel" ist eine historische Betrachtung sicherlich nicht. Denn auch Schriftsteller, die sich des geschichtlichen Ursprungs der Berufung zur Lösung von Zweifelsfragen bedienen, kommen nicht selten zu entgegengesetzten Ergebnissen4 • 1. Der Gegenstand des Berufungsverfahrens
Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung des Berufungsgerichts ist, innerhalb der Anträge und der Grenzen der Berufung, der in erster Instanz zuerkannte oder aberkannte noch nicht rechtskräftige 1 Abi. aber Fezer, Funktion, S. 42, der ausdrücklich auf den geschichtlichen Ursprung verzichten will. Ähnlich wie oben im Text: Gaul, ZZP 85, 251 ff. (269); Goldschmidt, JW 31, 2445; Klein, Reden, S. 8. 2 C. Hahn, Materialien, § 11 (S. 139). s Barazetti, Rechtsmittel, S. 16; Gilles, Rechtsmittel, S. 202 ; W. Hahn, Vorbringen, S. 59; Walsmann, Judicium Bd. II, S. 58ff. (66); v. Wilmowski/ Levy, Vorbem. zu§ 472 a. F. 4 Es sei bereits hier auf Gilles, Rechtsmittel, verwiesen, dessen Hechtsmittelverständnis dem hier vertretenen Standpunkt zuwiderläuft.
§ 5 Die Rechtsnatur
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prozessuale Anspruch, vgl. § 537 ZP0 5 • Über diese Frage, Bestehen oder Nichtbestehen des prozessualen Anspruchs, wird in Fortsetzung der Verhandlung erster Instanz erneut mündlich verhandelt und entschieden, § 525 ZPO. Dem entspricht das "novum iudicium" des römischen Rechts6 , das Recht auf Wiederholung und Erneuerung des Rechtsstreits vor einem höheren Richter sowie auf eine neue Entscheidung der Streitsache anstelle der ersten7 • Ziel der römisch-rechtlichen Appellation (und der Berufung der CPO von 1877) ist das materielle Recht in der Sache8 •
2. Berufung und Beschwerde erlauben eine Veränderung der Entscheidungsgrundlage Mit diesem Streben nach dem Recht in der Sache korrespondiert die mögliche Veränderung der Entscheidungsgrundlage in der zweiten Vgl. auch Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 140 II 1 (S. 757). Vgl. Const. 6 Cod. de appell. 7. 62: ... Si quid autem in agendo negotio minus se adlegasse litigator crediderit, quod in judicio acto fuerit omissum, apud eum qui de appellatione cognoscit persequatur, cum votum gerentibus nobis aliud nihil in judiciis quam justitiam locum habere debere necessaria res forte transmissa non excludenda videatur. . .. Si quis autem post interpositam appellationem necessarias sibi putaverit esse poscendas personas, quo apud judicem qui super appellatione cognoscet veritatem possit ostendere, quam existimabit occultam, hocque judex fieri prospexerit, sumtus isdem ad faciendi itineris expeditionem praebere debebit, cum id justitia ipsa persuadeat, ab eo haec recognosci, qui evocandi personas sua interesse crediderit. 7 Vgl. Entwurf 1871, Begründung I, § 12 (S. 238) = C. Hahn, Materialien, § 11 (S. 139), § 12 (S. 141): "Die Berufung stimmt dem Grundcharakter nach mit der römisch-rechtlichen Appellation überein. Das Berufungsrecht ist nicht, wie die gemeinrechtliche Befugniß der Appellation, ein Recht auf Kritik des Verfahrens erster Instanz oder auf Nachprüfung und Berichtigung des unterrichterlichen Urtheils vom Gesichtspunkt der Frage aus, ob gerecht geurtheilt, d. h. das dem Unterrichter vorgelegte Material richtig gewürdigt sei, vielmehr das Recht auf Gewährung eines neuen Judizium, auf Erneuerung und Wiederholung des Rechtsstreits vor einem anderen Richter." Ein weiteres Argument für das Merkmal "Erneuerung und Wiederholung des Rechtsstreits" ist das Verbot einer Klageänderung in der Berufungsinstanz, § 489 a. F. und der Geltendmachung von neuen Ansprüchen, es sei denn zur Kompensation, § 491 II a. F. Die Motive führen dazu aus, C. Hahn, Materialien, S. 355: "Die Klage und die bei der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge geben die Grenzen für die Verhandlung des Rechtsstreits. Würde eine Änderung der Klage gestattet, so würde gegen das offensichtliche Interesse der Ordnung des Verfahrens ein Rechtsstreit verhandelt werden, welcher nicht in erster Instanz verhandelt ist ..." Neue Ansprüche sind ausgeschlossen, "weil der Streitgegenstand der Berufung durch die erste Instanz fixiert ist". Prozeßökonomische Erwägungen haben später zu einer Abschwächung und Aufhebung dieses Verbots geführt; vgl. Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 122 III 2; Volkmar, JW 33, 2430 (vgl. im einzelnen unten § 10 II, III). 8 Vgl. oben Fn. 6 und Barazetti, Rechtsmittel, S. 16 f.; v. Bethmann-Hollw eg, Civilprozeß II, § 116 (S. 710); Briegleb, Process, § 27 (S. 92); Endemann, Zivilprozeßrecht, § 235 (S. 912). 5
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II. Die appellatio
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Instanz. Charakteristisches Merkmal der Erneuerung des Rechtsstreits ist das den Parteien eingeräumte Recht (§ 491 I CPO a. F. = § 529 I ZPO), neue Tatsachen und Beweismittel in das Verfahren einzuführen, das sog. beneficium novorum9 •
3. Berufungs- und Beschwerdeerkenntnis entscheiden erneut über den prozessualen Anspruch Wegen der Neuerstellung bzw. der Veränderung der Urteilsgrundlage zweiter Instanz ist es ein überflüssiges Unterfangen zu fragen, ob der Erstrichter (nach dem, was ihm vorlag) richtig geurteilt hat10 • Die Frage der Richtigkeit der Erstentscheidung kann nur in Rechtssystemen erheblich sein, in denen der Prozeßstoff erster Instanz unverändert in die Rechtsmittelinstanz übernommen wird11 • Die Appellation nach römischem Recht und die Berufung der CPO führen zu einer "totalen Neuverhandlung der Sache", zu einer neuen Aburteilung des Rechtsstreits12 • Zweck der Berufung ist die Gewinnung eines Urteils auf Grund der neuen Verhandlung. Für den Ausgang des Appellations- (bzw. Berufungs-) Verfahrens ist entscheidend, ob der geltend gemachte Klageanspruch auf Grund des (zulässig) vorgetragenen Sachverhalts (und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme) besteht oder nicht besteht. Der Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht die Nachprüfung des Urteils, sondern die Nachprüfung des Klageanspruchs13. Man darf sich nicht dadurch irreleiten lassen, daß der 9 Der Gebrauch des Wortes "beneficium" hat sich im Mittelalter zwar eingebürgert, ist jedoch irreführend. Es handelt sich nicht um eine Wohltat. Vielmehr ist das Novenrecht die selbstverständliche Konsequenz daraus, daß es bei der Appellation um das Recht in der Sache geht; vgl. z. B. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 234 II B. C. (S. 908); Wetzen, System, § 56 (S. 754). Der Begriff ist eine Schöpfung von Schriftstellern des gemeinen Rechts, unter dessen Geltung das Nachschieben von Gründen nicht selbstverständlich war. 10 Anders aber ein Teil der Praxis (z. B. OLG Frankfurt, OLGZ 74, 302 ff.), wenn sie es als ihre Aufgabe ansieht, die angefochtene Entscheidung "zu überprüfen"; vgl. auch die Kritik bei E. Schneider, NJW 66, 1367 f. (1368). 11 Dazu siehe oben § 4 II 3 und unten § 8 II, III. 12 Für das römische Recht: v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß II, § 116 (S. 710 f.); Briegleb, Process, § 27 (S. 92 f.); Endemann, Zivilprozeßrecht, § 235 IV (S. 916); Wetzell, System,§ 56 (S. 754). Für die CPO: Barazetti, Rechtsmittel, S. 16; Behre, Diss., S. 33 f.; BetteTmann, DVBl. 1953, 168; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 95 III 1 (S. 509); Conze, Diss., S. 14 ff.; Hellwig, System, § 238 III 2 (S. 842); Pfeifer, Diss., S. 96; Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 135 I 3 (S. 725); R. Schmidt, Lehrbuch, S. 780; Seuffert, ZZP 7, 2ff. (23); Stein, Grundriß, § 110 I (S. 307); Stein I Jonas I Grunsky, Vorbem. I vor § 511; Walsmann, Anschlußberufung, S. 51, und Judicium, Bd. II, S. 58 ff. (67); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 82 VII 4 (S. 270). 13 Kisch, Juristentag Tschechoslowakei, S. 215 ff. (220).
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§ 6 Die Gegenmeinung
Tenor der Rechtsmittelentscheidung im Fall des Unterliegens des Berufungsklägers lautet "die Berufung wird zurückgewiesen" (im römischen Recht1 4 : "appellatio iniusta est"). Diese Feststellung ist das Resultat, nicht der Gegenstand des Appellationsverfahrens15 • Die Tatsache, daß formell über die Berufung entschieden wird, hat folgenden Grund. Anknüpfungspunkt für den Gegenstand der Appellation ist das angefochtene Urteil. Dieses ist formell entscheidend hinsichtlich des Erfolges des Rechtsmittels18, was aber nichts über den Inhalt des Rechtsmittels besagt. Selbstverständlich kommt es zu einer mittelbaren Nachprüfung der Richtigkeit des erstinstanzliehen Urteils, wenn in der Berufungsinstanz keine neuen Tatsachen und/oder Beweismittel vorgebracht werden. Die Frage der Richtigkeit der Erstentscheidung ist aber nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, sondern beantwortet sich zwanglos bei einem Vergleich zwischen erstinstanzlichem und zweitinstanzlichem Erkenntnis. Insoweit ist die Formulierung Wachs von der "Doppelgestalt" 17 der Berufung, mit der er Richtigkeitsprüfung und Neuentscheidung im Berufungsverfahren anspricht, zutreffend. Zur Klarstellung sei vermerkt, daß Grundlage der neuen, wiederholten Verhandlung das angegriffene Urteil ist. Der Rechtsstreit wird nicht derart von neuem verhandelt, als seien das Urteil und das in ihm enthaltene Prozeßmaterial nicht vorhanden18• Vielmehr handelt es sich um die Fortsetzung der Verhandlung erster Instanz mit dem Fortwirken der in erster Instanz bereits bindend eingetretenen Prozeßsituation (vgl. z. B. § 530 ZP0)1 9 • Damit fallen die römisch-rechtliche Appellation und die Berufung der CPO von 1877 in den Kreis der "voll" ausgebildeten Rechtsmittel.
§ 6 Die Rechtsnatur der Rechtsmittel in der Sicht Jauemigs und Gilles' In neuerer Zeit haben sich Jauernig 1 und Gilles2 in ihren Habilitationsschriften mit den hier angesprochenen Problemen auseinandergesetzt. Beide kommen übereinstimmend zu einem von dem hier vertretenen Standpunkt abweichenden Ergebnis. 1' L. 2 pr. quando app. 45, 1. 15
Vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ
60, 392 ff. (398 f.) zur Revision: "Das Revisionsgericht hat vielmehr . . . die
Verhandlung zu erneuern und - soweit ihm nicht revisionsrechtliche Schranken gezogen sind - zu prüfen, ob der erhobene Anspruch im Zeitpunkt seiner Entscheidung gegeben oder nicht gegeben ist. . . . Erst dann wenn diese Prüfung ergibt, daß das angefochtene Urteil zum Nachteil des Revisionsklägers unrichtig ist, steht fest, daß die Revision begründet ist, andernfalls, daß sie unbegründet ist." 18 Vgl. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß II, § 116 (S. 705), für den römischen Prozeß und Walsmann, Anschlußberufung, S. 51 ff., für das Verfahren nach der ZPO. 17 Wach, Vorträge, S. 182; vgl. auch Grunsky, ZZP 84, 136: "Allzuständigkeit des Rechtsmittelgerichts". 18 Vgl. Motive zu §§ 487-493 a. F. = C. Hahn, Materialien, S. 305; vgl. auch RGZ 13, 391 ff. (393, 395). 19 Dazu vgl. Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 82 VII 2 (S. 270). 1 Jauernig, Zivilurteil.
II. Die Ansicht Gilles'
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I. Jauemig verneint eine Entscheidung über den prozessualen Ansprnch
Jauernig versteht die Zurückweisung eines Rechtsmittels lediglich als Entscheidung über das sachlich erfolglose Rechtsmittel3 • Keinesfalls entscheide ein sachliches Rechtsmittelerkenntnis über den in der Klage erhobenen prozessualen Anspruch. Wenn das Berufungsgericht über diesen Anspruch erkennen möchte, müsse es das angefochtene Urteil aufheben und durch eine verbessernde Entscheidung ersetzen4 • Aus diesem Grunde lehnt Jauernig mit scharfen Worten die Ansicht ab, die Entscheidung des Obergerichts "konsumiere und beseitige das erstinstanzliehe Urteil" 5 • Zur Stützung seiner Ansicht weist Jauernig auf den Inhalt eines obergerichtliehen Urteilstenors hin, der lediglich das Rechtsmittel zurückweise. Die Entscheidung über den Klageanspruch sei allein in dem Tenor des angefochtenen Erkenntnisses enthalten. Würde dieser Anspruch durch das das Rechtsmittel zurückweisende Berufungsurteil beseitigt, so stünde am Ende des Prozesses eine Entscheidung, die nicht den Klageanspruch abgeurteilt hätte. Damit würde es sowohl an einer rechtskraftfähigen Feststellung über den Anspruch wie auch an einer Urteilsformel mit vollstreckungsfähigem Inhalt fehlen. Der gesamte Prozeß wäre "ein Schlag in die Luft"!6 • U. Die Ansicht Gilles' Eine in den Konsequenzen ähnliche Auffassung über die Rechtsnatur der Rechtsmittel findet sich bei Giltes, der aber seine Resultate umfassend abzusichern sucht.
1. Die Rechtsmittel seien prozessuale Gestaltungsklagen Gilles sieht die Rechtsmittel der ZPO als selbständige neue Rechtsschutzverfahren oder prozessuale Gestaltungsklagen, die mit dem unz Gilles, Rechtsmittel. 3 Jauernig, Zivilurteil, S. 100 ff. (106 f.). Zwar behandelt Jauernig entsprechend der Anlage seiner Arbeit allein
die gegen Urteile gerichteten Rechtsmittel. Seine Ausführungen lassen sich aber auf die Beschwerde übertragen, da es sich um allgemeine Rechtsmittelgrundsätze handelt. 4 Jauernig, Zivilurteil, S. 108. 5 Jauernig, Zivilurteil, S. 106. 6 Jauernig, Zivilurteil, S. 106 f. Schon diese vordergründige Argumentation mit dem Urteilstenor erweckt Bedenken gegen die Auffassung Jauernigs, der zudem auf die einschlägigen Vorschriften mit keinem Wort eingeht.
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§
6 Die Gegenmeinung
terinstanzlichen Rechtsstreit keine Verbindung haben 7 • Ihr ausschließliches Prozeßziel sieht er in der "Vernichtung" 8 , "konstitutiven Beseitigung", "Aufhebung" 0 oder "Abänderung" 10 des angefochtenen Richterspruchs.
2. Das Rechtsmittel, das Aufhebungsbegehren, sei· Streit- und Entscheidungsgegenstand Damit ist für ihn Streitgegenstand des Rechtsmittelverfahrens "das Begehren einer Partei gegenüber dem angerufenen Gericht nach Aufhebung einer bestimmten richterlichen Entscheidung" 11 • Das Rechtsmittelgericht entscheide allein über diesen Gegenstand, wenn es das Rechtsmittel verwerfe (arg:§§ 519 b, 554 a, 574 ZPO) oder als unbegründet zurückweise (arg: § 563 ZPO) oder für begründet erachte und die angegriffene Entscheidung aufhebe (arg: §§ 564, 571, 575 ZPO). Entsprechend dieser Entscheidungsbefugnis sei Gegenstand des Rechtsmittelerkenntnisses das "Rechtsmittel", nicht mehr und nicht weniger. Die Rechtsmittelentscheidung beende den Rechtsmittelstreit. Lediglich dann, wenn das Rechtsmittel erfolgreich gewesen und der angefochtene Spruch des Erstrichters aufgehoben worden sei, verhandle das Rechtsmittelgericht erneut und entscheide ersetzend über den nach Aufhe~ bung unentschiedenen vorinstanzliehen Streit12 • "Geradezu abwegig" nennt Gilles 13 die Meinung, der Rechtsmittelkläger erstrebe nur eine Entscheidung über den Streitgegenstand der ersten Instanz. Die Formen- und Erklärungsstrenge der ZPO verbiete es, in dem Aufhebungsbegehren des Rechtsmittelführers (außerdem oder stattdessen) einen Antrag auf Neuentscheidung des vorausgegangenen Rechtsstreits zu sehen. Ein Begehren dieses Inhalts komme in der Rechtsmittelschrift nicht einmal konkludent zum Ausdruck14. Erfolgreich sei ein Rechtsmittel, wenn es die Unrichtigkeit (arg: § 526 I ZPO) des angegriffenen Urteils ergebe. Unbegründet sei es hingegen, falls sich der erstinstanzliehe Spruch als richtig darstelle (arg: §§ 563, 564 I ZP0) 15. In dieser Prüfung bestehe die allen Rechtsmitteln eigene Begründetheit bzw. Unbegründetheit1B, 7 Gilles, Rechtsmittel, S. 13 f., 49, 106, 209 f. Gleiches soll nach Gilles auch für Einspruch, Widerspruch usw. gelten. 8 Gilles, Rechtsmittel, S. 14. 9 Gilles, Rechtsmittel, S. 32. 10 Gilles, Rechtsmittel, S. 32. 11 Gilles, Rechtsmittel, S. 14, 37. 12 Gilles, Rechtsmittel, S. 44, 106. 13 Gilles, Rechtsmittel, S. 42, vgl. auch S. 73. 14 Gilles, Rechtsmittel, S. 42. 15 Gilles, Rechtsmittel, S. 51. 1B Gilles, Rechtsmittel, S. 14.
II. Die Ansicht Gilles'
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3. Die Uberprüfung der angefochtenen Entscheidung stelle nur die Begründetheit des Aufhebungsbegehrens fest Richtig sei das angefochtene Erkenntnis, wenn es sich im Zeitpunkt der Beurteilung nach der (eventuell veränderten) Sach- und Rechtslage, also "jetzt noch" als richtig erweise17• Diese Prüfung der Richtigkeit könne bei der Berufung auf zweifache Weise geschehen: Einmal ziehe das Berufungsgericht den Erkenntnisvorgang des Erstrichters Schritt für Schritt nach, suche zunächst nach Rechtsfindungsmängeln und prüfe im Anschluß daran, ob und inwieweit diese für die angefochtene Entscheidung ursächlich gewesen seien. Als zweite Möglichkeit sei es dem Rechtsmittelgericht erlaubt, unter Berücksichtigung der Vorarbeit des Vorderrichters und auf diese aufbauend den entschiedenen Rechtsstreit sogleich noch einmal abzuurteilen18• Diese "nochmalige Entscheidung" des erstinstanzliehen Streitgegenstandes innerhalb der Richtigkeitsprüfung diene jedoch allein dazu, über die Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 526 ZPO) zu befinden. Der Rechtsstreit der unteren Instanz werde nur "dem äußeren Anschein nach" erneut verhandelt, wiederholt und fortgesetzt. Das sich an die Berufungsverhandlung anschließende Urteil entscheide "incidenter, mittelbar und hypothetisch" über den in der Vorinstanz bereits abgeurteilten Rechtsstreit19• Die Prüfung der Begründetheit der Berufung sei unter "funktionalem Aspekt" verschieden von der der Zulässigkeit und Begründetheit des vorausgegangenen Rechtsstreits. Erweise sich das angefochtene Urteil als unrichtig, so habe das Berufungsgericht es aufzuheben. Erst mit dieser Beseitigung sei der Weg für eine Neuaburteilung des bereits einmal entschiedenen Rechtsstreits frei. Die vorherige Aufhebung sei einer erneuten Entscheidung unbedingt zeitlich und logisch vorrangig20• Erst sie lasse das Rechtsmittelgericht "funktionell zuständig" werden für das neue Urteil in der Sache 21 • Anders sei es bei der Zurückweisung eines Rechtsmittels. Sie bestätige die vorinstanzliehe Entscheidung und lasse sie mit den ihr eigenen beschwerenden Wirkungen bestehen. Das Ersterkenntnis enthalte die sachliche Entscheidung und bilde die alleinige Grundlage der Zwangsvollstreckung22 •
4. GiHes' These von der Einheitlichkeit eines historisch vorgegebenen Rechtsmittelbegriffs Im Gegensatz zu den Motiven23 geht Gilles von der Existenz eines einheitlichen, historisch vorgegebenen Rechtsmittels 24 aus, das, was nach dem Aus-
Gilles, Rechtsmittel, S. 58. Gilles, Rechtsmittel, S. 66. 19 Gilles, Rechtsmittel, S. 66. Vgl. auch Weismann, Lehrbuch, § 98 XI (S. 430 f.), auf den sich Gilles zu Unrecht bezieht: "Der nächste, formale Gegenstand der Entscheidung ist das Rechtsmittel selber ... ";- Hervorhebung vom Verfasser-. 20 Gilles, Rechtsmittel, S. 92, 94. 21 Gilles, Rechtsmittel, S. 97. 22 Gilles, Rechtsmittel, S. 67. 23 C. Hahn, Materialien, § 11 (S. 139): "Der Begriff eines Rechtsmittels ist kein historisch gegebener; ... in verschiedenem Sinn ... ". 24 Gilles, Rechtsmittel, S. 24, 188 f., 190 f.: "inhaltsleere, folgenschwere" und "unerklärliche Rechtsmitteldefinition des Gesetzgebers". 17
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§ 6 Die Gegenmeinung
geführten nicht wundert, dem Anfechtungsprinzip unterfallen soll. Da er der Ansicht ist, daß die Berufung "recht gradlinig über das gemeine und das italienisch-kanonische in das römische Recht zurückführt" 26, vergleicht er seine Ergebnisse zum geltenden Recht mit denen zu früheren Rechtsperioden. a) Die "appellatio" im römischen Recht In Übereinstimmung mit seinen Ausführungen zum heutigen Zivilprozeßrecht sieht er als (alleinigen) Gegenstand des Appellationsverfahrens die Entscheidung darüber an, ob die "sententia iniusta vel iusta est" und demgemäß die "appellatio iusta vel iniusta est" 26 • Das Appellationsverfahren sei zunächst allein kassatorisch, später zusätzlich reformatorisch gewesen, wobei die neue Entscheidung lediglich die Konsequenz aus der Kassation gewesen sei. Diese Entscheidung sei anfänglich, wie beim Restitutionsverfahren, in einem völlig neuen Prozeß erfolgt27 • Aus heutiger Sicht sei die appellatio eine selbständige prozessuale Anfechtungs- und Gestaltungsklage, keinesfalls aber eine bloße Erneuerung und Wiederholung des Rechtsstreits vor einem anderen Richter2s. b) Die Appellation im gemeinen Recht Nach Gilles betreffen die Änderungen, die die römischen Rechtsmittelgrundsätze im gemeinen und partikularen Recht erfahren haben, "nur mehr oder minder nebensächliche Verfahrensdetails" 29 • Ziel der Appellation sei es gewesen, die angefochtene Entscheidung konstitutiv aufzuheben80 • In diesem "Aufhebungsstadium" sei es nicht um ein neues Urteil in der alten Streitsache gegangen31 • Damit unterschieden sich die Rechtsmittel, die in (völlig)
Gilles, Rechtsmittel, S. 202. Gilles, Rechtsmittel, S. 208 f. Eine Quellenangabe fehlt. 21 Gilles, Rechtsmittel, S. 209. Der hierzu in Fn. 40 gegebene Hinweis auf Kaser, Zivilprozeßrecht, S. 350, ist unergiebig, der aufS. 400 betrifft die "restitutio in integrum". Die restitutio in integrum ist kein Rechtsmittel, sondern führte unter besonderen Voraussetzungen ("iustae causae") zur Vernichtung des Urteils; vgl. Kaser, Zivilprozeßrecht, S. 400 Fn. 16. Im übrigen spricht Kaser, a.a.O., selbst nur davon, daß "Appellationsurteile, mit denen die Kaiser Geschworenenurteile durch ihre eigene Neuentscheidung ersetzen, erst ... später bezeugt sind" (Hervorhebung vom Verfasser). Zur "restitutio" vgl. auch v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß II, § 121 (S. 742): "extraordinarium auxilium". 2 & Gilles, Rechtsmittel, S. 209 f. 2u Gilles, Rechtsmittel, S. 211. so Gilles, Rechtsmittel, S. 213, 218. Gilles, a.a.O., hat Wetzeil mißverstanden, wenn er diesen Schriftsteller zu den Anhängern des im Text beschriebenen Standpunkts zählt; vgl. Wetzell, System, § 52, 1 b (S. 664 f.) - Hervorhebung vom Verfasser -: "Appellation und Revision haben die Bedeutung von rescindirenden Rechtsmitteln nicht, wollen vielmehr die durch sie angegriffenen Verfügungen nicht rechtsbeständig, rechtskräftig werden lassen, um sie einer wiederholten und gründlicheren Prüfung zu unterwerfen." • 1 Gilles, Rechtsmittel, S. 218. 25
2e
II. Die Ansicht Gilles'
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neuen Verfahren oder selbständigen Klagen geltend zu machen waren, in ihrem Verfahrensziel, Streitgegenstand und in ihren Erfolgsvoraussetzungen grundlegend von dem vorausgegangenen Prozeß32• Erst nachdem der Richter festgestellt habe, daß "übel geurtheilt und wohl appellirt" sei, entscheide er in einem reformatorischen Urteil, und nur in diesem, den vorangegangenen Rechtsstreit erneutss.
5. Konsequenzen dieses Standpunkts Nach der Ansicht von Gilles vermag also ein das Rechtsmittel als unbegründet zurückweisendes Erkenntnis niemals den Bestand der angegriffenen Entscheidung zu beeinträchtigen, da die Anfechtung, die beabsichtigte Vernichtung des Richterspruchs, mißlungen ist. Nachstehend ist aufzuzeigen, daß das von Gilles vertretene Rechtsmittelverständnis unzutreffend ist. Die Auseinandersetzung mit Gilles gibt auch die Antwort zu den Thesen Jauernigs.
§ 7 Grundzüge der römisch-rechtlichen "appellatio" und Kritik: der dazu vertretenen Gillesschen Ansicht Es überrascht, daß sich Gilles nicht mit den Quellen auseinandersetzt. Seine Auffassung von der Natur der appellatio dürfte schwerlich mit der oben mitgeteilten Quelle1 in Einklang zu bringen sein, in der die unbeschränkte Zulassung aller "nova" damit begründet wird, daß es bei jeder Entscheidung vor allem darauf ankomme, die Gerechtigkeit und Wahrheit im streitigen Rechtsverhältnis zur Geltung zu bringen. Diese Stelle beweist zwar unangreifbar nur, daß "nova" zugelassen waren. Jedoch hätte man eine Auseinandersetzung mit dieser Quelle erwarten können.
Gilles, Rechtsmittel, S. 213. Keinesfalls kann sich aber Gilles, a.a.O., Fn. 58 f., zur Stützung seiner Ansicht auf Gönner, Handbuch, berufen. Einmal stellt Gönner, Handbuch, S. 287, fest, " ... daß das neue Verfahren in der zweiten Instanz auf die vorigen Verhandlungen (scil.: erster Instanz) gebaut werde, diese also einen Theil der Appellationsakten ausmachen, ..."; vgl. auch S. 149. Zum anderen verlangt Gönner, Handbuch, S. 148, daß "bei allen Rechtsmitteln die Identität des Streitgegenstandes ungestört erhalten werden muß, ... ". 33 Gilles, Rechtsmittel, S. 220. Wetzell, System, § 56 (S. 759 f.), auf den sich Gilles, a.a.O., Fn. 98, bezieht, sagt das Gegenteil: "Das neue Urtheil" tritt "ganz in die Stelle des angefochtenen ein". Daß mit dem "neuen Urtheil" auch ein die Berufung zurückweisendes Erkenntnis gemeint ist, zeigen die Ausführungen W etzells, a.a.O., S. 760 oben, wonach "die Folgen der Verurtheilung" auch bei Bestätigung des angefochtenen Urteils "erst vom Tage des neuen Urtheils datiren". 1 Oben § 5 II 1, Fn. 6. 32
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§ 7 Grundzüge der appellatio I. Das Verfahren der "appellatio", insbesondere die Bedeutung der "Appellationsgriinde" 1. Der Ausgangspunkt
Eine vorherige Kassation und das hiervon zu trennende reformatorische Verfahren, das in erster oder zweiter Instanz durchzuführen ist, haben allenfalls in Rechtsmittelsystemen ihren Platz, die zwar "nova" zulassen, bei denen aber nur konkrete, von dem Rechtsmittelführer aufzuzeigende Rechtsmittelgründe über Erfolg oder Mißerfolg des Rechtsmittels entscheiden2 • Bei einer derartigen Gestaltung ist es möglich, zunächst allein über die behaupteten objektiven Fehler der Entscheidung zu befinden mit der Möglichkeit einer stillschweigenden oder ausdrücklichen Kassation des angegriffenen Erkenntnisses. Dieses System war dem römischen Recht fremd. Dem Appellationsrichter war, insbesondere auch wegen der römisch-rechtlichen Idee von der Einheitlichkeit3 des gesamten Prozeßstoffes, eine uneingeschränkte Entscheidungsgewalt zuerkannt4 • 6 • Wegen dieser Allzuständigkeit des Appellationsrichters ist davon auszugehen, daß der appellatio die Unterscheidung zwischen Kassation und Reformation fremd war. Vielmehr ist noch schlüssig aufzuzeigen, daß das Urteil erster Instanz auf eine appellatio hin niemals aufgehoben worden ist. Wurden Anordnungen im angegriffenen Urteil "aufgehoben", so handelte es sich nur um Klarstellungen. Sicher ist, daß das römische Recht eine Aufhebung zwecks Zurückverweisung der Sache an das Gericht erster Instanz nicht kannte, Dazu im einzelnen unten § 8 II, 111. Nach römischem Recht ergreift die richterliche Entscheidungsgewalt definitiv und unmittelbar die "tota res" (Tatbestand und den in ihm verkörperten Rechtsanspruch); vgl. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 145 II (S. 544) Fn. 7. ' v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß II, § 116 (S. 711) und Civilprozeß 111, § 160 (S. 337); Endemann, Zivilprozeßrecht, § 234 II B 2 (S. 908): "umfassendste Kognition ... nothwendig gegeben"; WetzelZ, System, § 56 (S. 749). 5 Hierin unterscheidet sich die appellatio scharf von der intercessio zur Zeit der Republik, die kein Rechtsmittel ist: Die Partei, die sich durch die richterliche Entscheidung beschwert fühlte, konnte sich an eine im Rang der urteilenden Person mindestens gleichhohe Person (par majore potestas) mit der Bitte wenden, gegen das Urteil Einspruch zu erheben; vgl. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 227 (S. 880); Heffter, System,§ 438 (S. 526); Savi gny, System, S. 488; Wenger, Institutionen, § 19 II 2 c (S. 202). Die Befugnis der angegangenen Person oder Stelle beschränkte sich darauf, das Urteil außer Kraft zu setzen. Eine Neuentscheidung des Rechtsstreits fand nicht statt. Der Republik war der Gedanke einer - wie auch immer gestalteten überprüfung richterlicher Entscheidungen fremd. Der Judex nahm als Geschworener und von den Parteien erwählter Schiedsrichter unbeschränkte Anerkennung für sein Urteil in Anspruch; vgl. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß I, § 32 (S. 347). 2
3
I. Das Verfahren
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mochten die Fehler in dem erstinstanzliehen Erkenntnis auch noch so gravierend sein. Der Rechtsstreit blieb ausnahmslos bis zur endgültigen Erledigung des Klagebegehrens an das Appellationsgericht devolviert6 •
2. Die Bedeutung der "Appellationsgründe" Eine Beschäftigung mit den Appellationsgründen ist geeignet, die Unrichtigkeit der Auffassung Gilles' darzulegen. Das Appellationsverfahren kannte zwei Abschnitte: a) Die Anmeldung der appellatio bei dem Unterrichter, die sogenannte Appellationserklärung7 • Sie begründete den Suspensiveffekt, d. h. die Gewalt des Unterrichters in der Sache endete. Weitergehende Folgen knüpften sich nicht an die Anmeldungs. b) Die Einführung der appellatio bei dem Appellationsrichter auf Grund der von dem erstinstanzliehen Richter ausgehändigten litterae dimissoriae (= apostoli)9 • In ihr rechtfertigte der Appellant (Berufungskläger) das Einlegen des Rechtsmittels, das sogenannte "causas appellationis reddere". Die Bedeutung der Appellationsgründe ist mehr als gering. Dem Appellanten war es erlaubt, sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberrichter auf andere als in der Einführung angegebene Gründe zu beziehen. Eine irgendwie geartete Beschränkung sowohl hinsichtlich der "Austauschbarkeit" von Gründen als auch in zeitlicher Hinsicht war dem römischen Recht fremd. Vor allem banden die "causae appellationis" den Rechtsmittelrichter nicht in seiner Entscheidungsgewalt10• Ihre Aufgabe lag darin, den Rechtsmittelrichter besser in den Streit einzuführen und die Rechts- und Sachlage zu verdeutlichen11• Bis zum s Const. 6 Cod. de appell. 7. 62: "... non ex occasione aliqua remittere negotium ad iudicem suum fas sit, sed omnem causam propria sententia determinare conveniat, ...". 7 L. 2. D. de appell. et relationibus 49, 1: "Sed, si apud acta quis appellaverit, satis, erit, si dicat, appello". Eines bestimmten Antrages bedurfte es nicht. Er wäre auch - wie noch anschließend erörtert werden wird - überflüssig gewesen. Das bloße "appello" setzte das Appellationsverfahren in Gang. 8 Vgl. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß II, § 116 (S. 706 f.). 9 Die Einführung begründete die Entscheidungsgewalt des Oberrichters. to L. 3, § 3 de appell. et relationibus 49, 1: "Quid ergo, si causam appellandi certarn dixerit, an liceat ei discedere ab hac et aliam causam allegare? an vero quasi forma quadam obstrictus sit? puto tarnen, cum semel provocaverit, esse ei facultatem in agendo etiam aliam causam provocationis reddere persequique provocationem suam quibuscumque modis potuerit." 11 An diesen eingeschränkten Zweck der Berufungsgründe des römischen Rechts knüpft die ZPO an. Daran besteht hinsichtlich der CPO von 1877 kein Zweifel, denn sie kennt keine Berufungsgründe; vgl. § 480 II a. F. 4 Ratte
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§ 7 Grundzüge der appellatio
Ende der Verhandlung vor dem Appellationsrichter durfte der Appellant12 seinen Vortrag ändern und ergänzen. Damit verträgt sich eine Auffassung nicht, die- zumindest gedanklich- zwischen Kassation und anschließender Neuentscheidung unterscheidet. Diese Aufteilung des Rechtsmittelverfahrens gibt keinen Sinn, wenn den Parteien "bis zuletzt" erlaubt ist, "nova" vorzubringen.
3. Die reformatio in peius Justinian ordnete die unbeschränkte Geltung einer reformatio in peius im Appellationsverfahren an13. Nach Einführung der appellatio beim Oberrichter durch das "causas reddere" und nach Annahme14 derselben war dem Appellaten (Berufungsbeklagten) die Befugnis eingeräumt, ohne Einlegung eines eigenen Rechtsmittels und nach Versäumung der Berufungsfrist ebenfalls Beschwerden gegen das vom Appellanten angefochtene Urteil zu erheben und sich auf diesem Wege der appellatio der gegnerischen Partei anzuschließen15 • Doch liegt in dieser Anschließungsbefugnis des Appellaten nicht die dem Verfahren eigentümliche Bedeutung einer unbeschränkten reformatio in peius. Darüber hinaus muß der Appellationsrichter, wenn der Appellat nicht zur Verhandlung erscheint ("sin autem absens fuerit"), ohne Antrag und Vorbringen des Appellaten16 nichtsdestoweniger ("nihilo minus") von Amts wegen ("per suum vigorem") dessen Belange und Interessen besorgen ("eius partes adimplere"). Diese auf der allumfassenden Entscheidungsgewalt des Oberrichters aufbauende Anweisung verpflichtete das Appellationsgericht, die erstinstanzliehe Sentenz gegen den Willen des Appellationsklägers und ohne Antrag des Beklagten der wirklichen Rechtslage entsprechend zu "verschlechtern"17. 12 Über das korrespondierende Recht des Appellaten (Berufungsbeklagten) vgl. im Anschluß. 13 L. 39, § 1 C. de appellationibus 7, 62: "Ampliorem providentiam subiectis conferentes, quam forsitan ipsi vigilantes non inveniunt, antiquam observationem emendamus cum in appellationum auditoriis is solus post sententiam judicis emendationem meruerat, qui ad provocationis convolasset auxilium, altera parte, quae hoc non fecisset, sententiam sequi qualiscumque fuisset, compellenda. Sancimus itaque, si appellator semel in judicium venerit et causas appellationis suae proposuerit, habere licentiam et adversarium eius, si quid judicatis opponere maluerit, si praesto fuerit, hoc facere, et judiciale mereri praesidium: sin autem absens fuerit, nihilo minus judicem per suum vigorem eius partes adimplere." 14 Die "Annahme" beschränkte sich auf eine Prüfung der Formalien. 15 Vgl. für das geltende Recht §§ 521 ff. ZPO. 18 Das folgt bereits daraus, daß der Appellat der Verhandlung ferngeblieben ist, soll aber der Klarheit halber betont werden. 17 Vgl. v. Bethmann- Hollweg, Civilprozeß III, § 160, 5 (S. 331 f.); Endemann,
I. Das Verfahren
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Treffend ist die seit dem Mittelalter übliche Beschreibung der römischen appellatio als einer "gemeinschaftlichen Wohltat" ("beneficium commune" oder auch "communio appellationis" genannt). Streit bestand in der Literatur jener Zeit lediglich insoweit, ob eine "reformatio in peius" ohne Antrag des anwesenden Appellaten ("si praesto fuerit") möglich war18• Dieser Streit bedarf keiner Erörterung, da auch bereits so nachgewiesen ist, daß Gilles' Verständnis von der appellatio als einer "selbständigen prozessualen Anfechtungs- und Gestaltungsklage" unhaltbar ist.
Beispiel: Nicht nur die appellatio des Klägers, der in 1. Instanz teilweise obgesiegt hat, erscheint dem Appellationsrichter unbegründet, sondern darüber hinaus der gesamte Klageanspruch. Der Appellat erscheint nicht zur mündlichen Verhandlung. Gilles dürfte nicht zu einer Verschlechterung des Urteils kommen. Eine Entscheidung in der Streitsache selbst soll ja erst getroffen werden können, wenn das untergerichtliche Urteil beseitigt ist. Aufgehoben soll es dann werden, wenn die "appellatio iusta est". Im Beispielsfall ist die appellatio keinesfalls gerechtfertigt. Damit müßte es bei der erstinstanzliehen Sentenz verbleiben, was nach dem Gesagten sicherlich falsch ist18• 20 • 4. Ein Abstecher: Die Behandlung der Gegenforderung Auch eine Beschäftigung mit der Behandlung der Gegenforderung im römischen Prozeßrecht ist imstande, die Richtigkeit des hier anzutreffenden Zivilprozeßrecht, § 235 (S. 913) Fn. 7; Gönner, Handbuch,§ 28 (S. 180); Heffter, System, § 454 (S. 549); Wetzell, System, § 56 (S. 746 f.); letztens noch Lieb, Diss., S. 4 ff., insbesondere S. 5 Fn. 1. 18 Ist darin ein Verzicht des Appellaten auf eine "reformatio in peius" zu sehen? Ja: Gönner, Handbuch,§ 23 (S. 279). Nein: Wetzell, System,§ 56 (S. 747) Fn. 58 m. w. N. 19 Gilles, Rechtsmittel, berührt in dem geschichtlichen Teil seiner Arbeit diese Problematik nicht. Er scheint aber davon auszugehen, daß das römische Recht keine "reformatio in peius" zuließ, da er die Verwandtschaft der ZPO mit dem römischen Recht betont; vgl. zum geltenden Recht Gilles, a.a.O., S. 67 (Fn. 138). 20 Ein weiterer Gesichtspunkt spricht gegen die Meinung Gilles', nämlich die politischen und verfassungsrechtlichen Machtverhältnisse im Zeitalter des Kaisertums: Die (allmähliche) Gewährung und Ausformung von (echten) Rechtsmitteln fällt mit den Anfängen des Principats zusammen. Danach oblag die Gerichtsbarkeit dem Princeps (über die Rechtsgrundlage der kaiserlichen Gerichtsbarkeit vgl. Kaser, Zivilprozeßrecht, § 67 I, S. 349). Er war das Rechtsprechungsorgan. Soweit die Rechtsprechung instanzenmäßig auf Beamte delegiert war, blieb sie - einheitlich und unteilbar - Rechtsprechung des Princeps selbst. Was Erst- oder Appellationsentscheidung angeht, immer entschied in verfassungsmäßiger Sicht dieselbe Stelle: der Kaiser. Daher erscheint es müßig zu fragen, ob die erste Entscheidung richtig ist, statt die Frage nach der Berechtigung des prozessualen Anspruchs zu stellen. Wenn der Kaiser oder .das von ihm beauftragte Appellationsgericht die Streitsache erneut entschied, stand fest, ob die "appellatio iusta vel iniusta est". 4*
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§ 8 Rechtsvergleichung
Verständnisses zu unterstreichen. Seit Papinian galt folgende Regel: Ergab sich im Prozeß (gleich ob in erster oder höherer Instanz), daß nicht der Beklagte, sondern im Gegenteil der Kläger dem Beklagten etwas schuldete, so wurde nicht nur der Beklagte von einer Schuld freigestellt, sondern darüber hinaus der Kläger auf Grund einer stillschweigend unterstellten Widerklage des Beklagten zur Zahlung verpflichtet. Justinian hat diese Vorschrift bestätigt und sogar noch für den Fall der Unzuständigkeit des angegangenen Richters erweitert, weil er, wie auch seine Vorgänger, als Zweck des Prozesses ansah, dafür zu sorgen, daß die Parteien untereinander "reine Sache" bekommen11•
§ 8 Vberblick über die deutschrechtlichen Vorläufer unserer heutigen Rechtsmittel sowie Vergleich zwischen der Regelung der Berufung im deutschen und im Österreichischen Recllt I. Die These von der Einheitlichkeit eines historisch vorgegebenen Rechtsmittels
An Hand des römischen Rechts wurde bereits gezeigt, daß die Regelung der appellatio den GiLlesschen Standpunkt von dem Anfechtungsprinzip der Rechtsmittel nicht stützt. Daneben läßt sich noch nachweisen, daß seine im Gegensatz zu den Motiven1 stehende Ansicht von der Einheitlichkeit eines historisch vorgegebenen Rechtsmittelbegriffs2 , ein weiterer Grund für das bei GiUes anzutreffende Rechtsmittelverständnis, gleichfalls nicht richtig ist. Die Verschiedenartigkeit von Rechtsmitteln zeigt sich bereits an der unterschiedlichen Aufgabenstellung: Einige Rechtsmittel führen allein zur Berichtigung von Gerichtsfehlern, andere zur Beseitigung von Gerichts- und Parteifehlern.
1. Das germanische Recht Nach germanischem Recht3 war es Aufgabe des Richters, das von den Gemeinde- und Rechtsgenossen der streitenden Parteien, den Schöffen, gefundene Recht durch seinen richterlichen Ausspruch mit staatlicher Macht zu 21 L. 14 C. de sententiis et interlocutionibus omnium iudicum 7, 45 : "Cum Papinianus summi ingenii vir in quaestionibus suis rite disposuit non solum judicem de absolutione rei judicare, sed ipsum actorem, si e contrario obnoxius fuerit inventus condemnare huiusmodi sententiam non solum roborandam, sed etiam augendam esse sancimus, ut liceat judici vel contra actorem ferre sententiam et aliquid eum daturum vel facturum pronunciare nulla ei opponenda exceptione, quod non competens judex agentis esse cognoscitur." 1 C. Hahn, Materialien, § 11 (S. 139): "Der Begriff eines Rechtsmittels ist kein historisch gegebener; ... in verschiedenem Sinn ...". 2 GiHes, Rechtsmittel, S. 24, 188 f., 190 f.: "inhaltsleere, folgenschwere" (und) "unerklärliche Rechtsmitteldefinition des Gesetzgebers". 8 Wie es sich im fränkischen Reich (5. - 9. Jh. n. Chr.) ausbildete. Im übrigen läßt Gilles im Abschnitt über das gemeine Recht die germanischen Elemente unberücksichtigt, die das römisch-canonische Recht gerade in den hier interessierenden Punkten beeinflußt haben.
I. Der historische Rechtsmittelbegriff
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versehen, das sogenannte "das-Urteil-Ausgeben". Wer mit dem durch die Schöffen gefundenen Urteil und dessen Anordnungen nicht einverstanden war, konnte es (nur) vor Ausgabe durch den Richter, also bevor es wirksam ist, "schelten"'· Gegen ein bereits verkündetes, damit wirksames Urteil gab es keine "Schelte". Der Scheltende, der nicht notwendig Partei sein mußte, erhob gegen den Finder des gescholteten Urteils den beleidigenden Vorwurf, er habe ein unrechtes Urteil gefunden5• Darüber hinaus hatte der Urteilsscheiter dem gefundenen Urteil sein eigenes besseres Urteil entgegenzusetzen. Nicht die Parteien des anhängigen Rechtsstreits, sondern Scheiter und Urteilsfinder stritten vor dem höheren Richter in einem Zwischenverfahren, wessen Urteil das richtige sei8 • Da die Schelte, wie gezeigt, einen Vorwurf gegenüber dem Urteilsfinder enthielt, konnte sie sich notwendig nicht auf neue Tatsachen stützen7 • Weitere Einzelheiten über die Fortsetzung des Verfahrens interessieren hier nicht8, da diese Bemerkungen bereits zeigen, daß von einem Anfechtungsmittel bei der Urteilsschelte nicht gesprochen werden kann, weil ein existentes Urteil noch nicht vorlag. Handelt es sich bei der germanischen Urteilsschelte auch nur um die ersten Anfänge zur Entwicklung eines Rechtsmittels, also nicht um ein Rechtsmittel in heutiger Sicht, so ist es sicherlich nicht erlaubt, diesen frühen Rechtsbehelf aus der Erörterung auszuklammern, um zu einem historisch vorgegebenen Rechtsmittelbegriff zu gelangen. Im germanischen Recht war die Urteilsschelte das Mittel, um eine .,bessere" Entscheidung zu erlangen.
2. Das sächsische Recht Bemerkenswert ist auch die Fortbildung des altgermanischen Rechtsganges im sächsischen Recht, die Gmes gänzlich unberücksichtigt läßt. "Sachse!"spiegel"9 und "Richtsteig Landrechts" 10 hatten den Boden für eine deutschrechtliche "Prozeß- und Gerichtsordnung" von 1622 bereitet, der das Verständnis der Berufung als eines novum iudicium fremd war11• Die Appella4 Dazu Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 44, S. 508; Heffter, System, § 441 (S. 529); Mitteis I Lieberich, Rechtsgeschichte,§ 10 II 2 b (S. 28). 5 Vgl. v. Amira I Eckhardt, Germanisches Recht, § 57, 5 (S. 153) und § 59, 4 (S. 157): Die Schelte enthält die Anschuldigung einer Rechtsbeugung. e Dazu Planck, Beweisurteil, S. 19; Planitz I Eckhardt, Rechtsgeschichte, § 32 I 2 (S. 111), insbesondere auch§ 62 I 4 (S. 229). Ganz früher kam es zu einem Zweikampf zwischen Scheiter und Urteilsfinder; vgl. Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 44. 7 Broß, Reichskammergerichtsordnung, S. 39 f.; Planck, Beweisurteil, S. 33. 8 Vgl. dazu v. Amira I Eckhardt, Planitz I Eckhardt und Planck, jeweils a.a.O. 9 Zur Entwicklung und Geschichte des Sachsenspiegels vgl. v. Amira I Eckhardt, Germanisches Recht, § 24, 1 (S. 154 ff.) und Planitz I Eckhardt, Rechtsgeschichte, § 38 I (S. 137 ff.) m. w. N. Zum Text des Sachsenspiegels vgl. Eckhardt, Sachsenspiegel. 10 Der "Richtsteig Landrechts" des Johann von Buch aus der Mitte des 14. Jahrhunderts enthält das auf dem "Sachsenspiegel" aufbauende Verfahrensrecht der sächsischen Gerichte. 11 Eine selbstverständliche Konsequenz der im sächsischen Prozeß herrschenden Eventualmaxime; vgl. Osterloh, Prozeß, § 312 (S. 482).
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§ 8 Rechtsvergleichung
tion wurde lediglich als Recht auf Kritik des erstinstanzliehen Verfahrens ("Urteilsschelte") und auf Nachprüfung des Urteils im Hinblick auf das in der ersten Instanz vorgelegte Prozeßmaterial an Hand der von dem Appellationsführer notwendig anzuführenden Beschwerdegründe verstanden12, 13•
3. Das gemeine Recht Ebenfalls gegen Gilles' These von einem einheitlichen Rechtsmittelbegriff spricht die Regelung der Berufung im gemeinen Recht. Ursprünglich war dem alten deutschen Prozeßrecht das Verständnis der Appellation als eines novum iudicium fremd. Der Grund hierfür lag in der unbeschränkten Geltung der Eventualmaxime, die das Verfahren in aufeinanderfolgende, durch Schriftsatzfristen eingeteilte Abschnitte für Klageerhebung, -beantwortung, Replik und Duplik einteilte und jedem Vorbringen zwingend einen bestimmten Platz in dieser Reihenfolge bei sonstigem Ausschluß zuwies. Erst mit der Rezeption beeinflußte die römisch-rechtliche Regelung in beschränktem Umfang das deutsche Verfahrensrecht und führte zu einer allmählichen Zweiteilung des Rechtsmittels, was das Novenrecht angeht. Endpunkt dieser Umgestaltung war der Jüngste Reichstagsabschied von 165414• 12 Vgl. Osterloh, Prozeß, §§ 311 (S. 479), 312 (S. 482), insbesondere 316 (S. 494 f.): "Gegenstand der Prüfung ... sind die aufgestellten Beschwerdegründe. Auf diese beschränkt sich die neue Entscheidung." 1a Neben Sachsen hing noch Bayern dem altdeutschen Grundsatz des Ausschlusses von Neuerungen in der Appellationsinstanz an. Der Codex Juris Bavarici Judiciarii vom 14. Dezember 1753 (Teil XV, § 5, S. 8) gestattete nur die Nachprüfung der rechtlichen Grundlage der angefochtenen Entscheidung; vgl. Hartig, Diss., S. 181; Schwartz, Civilprozeßgesetzgebung, S. 567. 14 Dazu Linde, Rechtsmittel, S. 187; Wetzell, System, § 56 (S. 738). Die einschlägigen Bestimmungen des Jüngsten Reichstagsabschieds lauten: § 64: "Zur Beförderung des Proceß, und Abschneidung aller unnothwendigen Weitläuffigkeiten; solle hinführo in Appellation-Sachen das weitschweiffige articulirte Libelliren ebenmäßig abgestellt seyn; und ein jeder appellant hiefüro seine gravamina appellationis jedesmal, summariter und Punkten-weiß verfaßt, gleich mit der Supplication pro processibus übergeben, darinnen, nach Inhalt des Anno 1593 ergangenen und Anno 1595 durch die Visitatores bestätigten gemeinen Bescheids, ungehindert des D. A. v. 1600 (§ 114) absonderlich 1. worin er sich beschwert erachte, 2. was er besser zu beweisen, oder 3. von neuem vorzubringen gedenke, anzeigen; und solche seine gravamina oder Appellations-Ursachen den Appellaten ... insinuiren lassen." § 65: "Wollte er aber keine Ursachen oder gravamina appellationis, wie dann solches in seiner Willkühr gestelt ist, eingeben, sondern simpliciter ad acta priora submittiren und beschließen; so solle er dessen in supplicatione pro processibus Anregung thun, damit es den Processen eingerückt, und dadurch zu des Appellanten Wissenschaft gebracht werde, derselbe auch in ein und anderem Fall sich darauf gefaßt machen, und in primo Termino die Gebühr zu verhandeln wissen möge." Der in§ 64 angesprochene Dep. A. von Speyer (§ 114) lautet: "Es seyn in den gravaminibus appellationis oftermals nicht wenig Zweifel und Obscuritaeten fürgefallen, indem man sich nit resolviren können, ob dieselbe ferner zu beweisen zuzulassen oder nit; und gemeinlieh darin generaliter durchgangen, und fast allein prior libellus de verbo ad verbum repetirt. Damit also der Richter nicht mit überflüssiger Besichtigung der Acten beschwert wird, ob
I. Der historische Rechtsmittelbegriff
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Die teilweise Zulassung von nova im Appellationsverfahren des gemeinen Rechts, zwar beschränkt durch den sogenannten Appellationseid 15, ist wenig konsequent. Anders als im römischen Recht unterbreitete das Rechtsmittel im gemeinen Recht gerade nicht den gesamten Streitstoff der Entscheidungsgewalt des Oberrichters. Die Eventualmaxime teilte den Prozeß in verschiedene Abschnitte, die mit einem rechtskraftfähigen, damit auch anfechtbaren Erkenntnis endeten. Damit betraf die Appellation in diesen Fällen eine Entscheidung über den betreffenden Verfahrensabschnitt und führte zu einer Vereinzelung von Beschwerdepunkten16• Darüber hinaus band die strenge Verhandlungsmaxime das Berufungsgericht an die vorgebrachten Beschwerdepunkte, was sich auch - entgegen der Regelung des römischen Rechts - an dem Verbot einer Verschlechterung zu Lasten des Berufungsklägers zeigen läßt17• Einer derartigen Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens in einzelne Zwischenerkenntnisse widerstrebt die Zulassung von nova18•
4. Ergebnis Es hat sich bereits gezeigt, daß der Satz in den Materialien von dem Fehlen eines historischen Rechtsmittelbegriffs zutreffend ist. Ein Vergleich des noch heute im deutschen Rechtskreis anzutreffenden verschiedenartigen Verständnisses von den Aufgaben und der Rechtsnatur der Berufung wird das Problem noch mehr erhellen. Es ist hier an die Unterschiede zwischen der Österreichischen und der deutschen Rechtsmittelregelung gedacht. Vorher ist noch kurz auf die Appellation nach hannoverschem Recht, wie sie sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts darstellte, einzugehen, deren Kenntnis den Gesamtvergleich zwischen dem Österreichischen und dem deutschen Recht erleichtert.
nun gleichwohl uns und den Ständen etliche ansehnliche Bedenken eröffnet worden, wie solchen vorzukommen; jedoch dieweil schwerlich einige Gewißheit darin zu treffen, wollen Wir, daß es bey der Ordnung, als den gemeinen Rechten, und dem üblichen Stylo gemäß, endlich verbleiben und bewenden zu lassen, daher der Anno 1595 am 13. Decembris eröffnete, gemeine Bescheid (scil.: Der Reichskammergerichtliche Gemein-Bescheid vom 13. Dez. 1593 ordnete die sofortige Verwerfung der Appellation an, wenn nicht sämtliche Appellationsgründe rechtzeitig bezeichnet worden sind) hiemit endlich aufgehoben und cassirt sein soll." Damit kam es bei dem Verfahren nach § 64 J. R. A. zu einer - an Hand der Berufungsgründe - objektiven Prüfung, während § 65 J. R. A. auf die subjektive Richtigkeit des erstrichterlichen Urteils abstellte. 15 Zu der Bedeutung und dem Inhalt des Appellationseides vgl. Wetzell, System, § 56 (S. 755). 18 Vgl. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 234 (S. 908). 17 Bayer, Vorträge, § 325; Endemann, Zivilprozeßrecht, § 235 (S. 913); Osterloh, Prozeß, S. 193. 18 Vgl. auch Endemann, Zivilprozeßrecht, § 235 (S. 916); Wetzell, System, § 56 (S. 755 ff.).
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§ 8 Rechtsvergleichung U. Die Berufung nach hannoverschem Recht
Während die "Allgemeine Bürgerliche Prozeßordnung für das Königreich Hannover" vom 4. Dezember 1847 (ABPO) noch stark dem gemeinen Recht anhing, indem sie neue Tatsachen zur Rechtfertigung der einzeln aufzustellenden Beschwerdepunkte nur in sehr beschränktem Umfang zuließ, vgl. §§ 241 i. V. m. 101 ABPO, ließ die "Bürgerliche Prozeßordnung für das Königreich Hannover" vom 8. November 1850 (BPO) nahezu jede Beschränkung des Novenrechts fallen, §§ 417, 418 BPO. Damit konnte neues Vorbringen nicht nur zur Untermauerung, sondern darüber hinaus zur alleinigen Rechtfertigung der gegen das Urteil erhobenen Beschwerden dienen19• Das Berufungsgericht (in der ABPO noch Appellationsgericht genannt) entschied nicht über den prozessualen Anspruch, den Streitgegenstand erster Instanz, sondern allein über die Erheblichkeit der "einzeln aufgestellten" 20, "näher gerechtfertigten"21 Beschwerdepunkte; vgl. §§ 233 I ABPO, 421, 422 BPO. Nur bei einer Verknüpfung zwischen erheblichen Beschwerdepunkten mit nicht angefochtenen oder anfechtbaren Streitteilen traf das Rechtsmittelgericht auch über diese Streitpunkte eine Entscheidung. Festzuhalten bleibt, daß nicht über den prozessualen Anspruch in seiner Gesamtheit, sondern nur über einzelne Beschwerdepunkte, die der Berufungskläger auch mit neuen Tatsachen begründen durfte, entschieden wurde.
m. Die Österreichische Berufung gehört zu den "eingeschränkten" Rechtsmitteln Zweck der Berufung im Österreichischen Zivilprozeß ist die Überprüfung des angefochtenen Urteils, § 462 I öZP022 • Diese Überprüfungsbefugnis beschränkt sich auf die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung und des Verfahrens erster Instanz: Nicht der in erster Instanz anhängig gemachte prozessuale Anspruch - wie im deutschen Recht - ist Gegenstand des Rechtsmittelbegehrens, sondern das angefochtene Erkenntnis selbst sowie das ihm zugrunde liegende Verfahren23 • Vgl. Leonhardt, Prozeßordnung, § 418 Fn. 2. §§ 228 I ABPO, 405 BPO. 21 § 228 IV ABPO. 12 § 462: " (1) Das Berufungsgericht überprüft die Entscheidung des Gerichts erster Instanz innerhalb der Grenzen der Berufungsanträge." Dieser Zweck beherrscht auch die Mehrzahl der anderen Österreichischen Prozeßgesetze (von Ausnahmen im sog. Abstammungsverfahren und in Ehesachen abgesehen). Lediglich das Arbeitsgerichtsgesetz macht hiervon erklärtermaßen eine Ausnahme; § 25 I Ziff. 3 öArbGG: "Soweit nicht über die Berufung in den Fällen des § 471 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung durch Beschluß entschieden wird, ist die Streitsache vor dem Berufungsgericht in den durch die Anträge bestimmten Grenzen nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung vor den Gerichtshöfen erster Instanz von neuem zu verhandeln ...". 23 Einhellige Ansicht, vgl. z. B.: Fasching, Bd. IV, Vorbem. A VI, Anm. 25 vor§§ 461-528: "kontrollierend, nicht kreativ ..."; Holzhammer, Zivilprozeßrecht, S. 261, 262 f.: "Der kontrollierende Charakter der Österreichischen 19
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III. Das Österreichische Recht
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1. Das Verbot, neue Tatsachen im Berufungsverfahren vorzutragen, § 482 II öZPO Eine Neuverhandlung und Entscheidung über den Klageanspruch findet damit, im Gegensatz zur deutschen ZPO, nicht statt. Der Hechtsmittelrichter prüft allein, ob die erste Instanz auf Grund des ihr vorgelegten Tatsachen- und Beweismaterials (subjektiv!) richtig entschieden hat. Eine Beschränkung der Überprüfung auf die Gesetzmäßigkeit des erstgerichtlichen Urteils und des zu ihm führenden Verfahrens erheischt zwingend den unveränderten Bestand des dem Erstrichter vorgelegten Entscheidungsstoffs. Dies wird durch das sogenannte Neuerungsverbot des § 482 öZP024 erreicht. Es verbietet sowohl eine Änderung der Sachanträge als auch der Entscheidungsgrundlage in der Berufungsinstanz durch den Vortrag neuer Tatsachen und Beweismittel, auch wenn diese Tatsachen und Beweismittel den Parteien im Verfahren erster Instanz unbekannt oder unbenützbar waren25 • Damit Berufung ..." - Hervorhebung vom Verfasser - ; Pollak, System, § 116 I (S. 581): "Nicht Anspruchsprilfung, Entscheidungsüberprüfung hervorzurufen, ist danach der zulässige Zweck des Rechtsmittels, ...". 24 § 482: "(1) In der Verhandlung vor dem Berufungsgerichte darf mit Ausnahme des Anspruches auf Erstattung der Kosten des Berufungsverfahrens weder ein neuer Anspruch noch eine neue Einrede erhoben werden. (2) Tatumstände und Beweise, die nach Inhalt des Urteils und der sonstigen Prozeßakten in erster Instanz nicht vorgekommen sind, dürfen von den Parteien im Berufungsverfahren nur zur Dartuung oder Widerlegung der geltend gemachten Berufungsgründe vorgebracht werden; auf solches neues Vorbringen darf überdies nur dann Rücksicht genommen werden, wenn es vorher im Wege der Berufungsschrift oder mittels vorbereitenden Schriftsatzes(§ 468) dem Gegner mitgeteilt wurde." Die in§ 482 II öZPO angesprochene Ausnahme von dem Neuerungsverbot kann nur zur Be- oder Entkräftigung bereits gegebener Berufungsgründe führen. Keinesfalls kann damit in das Berufungsverfahren ein Berufungsgrund des Inhalts eingeführt werden, daß der Erstrichter auf Grund des vorgetragenen Stoffs zwar subjektiv richtig, unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens aber objektiv falsch entschieden habe. Ein derartiger Berufungsgrund ist dem Österreichischen Recht wesensfremd. Berufungsgrund kann immer nur ein Fehler des Gerichts sein, der das Urteil unzulässig oder materiell unrichtig erscheinen läßt. Eine Änderung oder Ergänzung des für den prozessualen Anspruch entscheidungserheblichen Sachverhalts stellt keinen Berufungsgrund dar. Der Wortlaut des § 482 II öZPO hätte zwar eine entgegengesetzte Auslegung mit der Zulassung von Neuerungen in erheblichem Umfang gedeckt. Jedoch ist das strenge Neuerungsverbot dem Österreichischen Prozeßrecht seit der allgemeinen Gerichtsordnung vom 1. Mai 1781 derart eigentümlich - zu dem historischen Ursprung: Pollak, RheinZ 1926, 180 ff. (196 ff.) -, daß der dem § 482 II öZPO weiter oben zugeschriebene Inhalt einhellige Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist; vgl. Fasching, Vorbem. B Anm. 50 vor §§ 461- 528; Pollak, System, § 116 III a. E. (S. 584) m. w. N. in Fn. 36 und RheinZ 26, 180 ff. (195 f.). 25 Vgl. Holzhammer, Zivilprozeßrecht, S. 261 und S. 262; Sperl, Judicium IV, S. 181 ff.; Rosenberg, ZZP 64, 6 ff.
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§ 8 Rechtsvergleichung
können mit der Österreichischen Berufung nur Gerichts-, keine Parteifehler geltend gemacht werden.
2. Die eingeschränkte Oberprüfungsbefugnis Mit dem Neuerungsverbot ist lediglich eine Konsequenz des kontrollierenden Charakters der Österreichischen Berufung angesprochen. Die "beschränkte" Aufgabenstellung erlaubt es dem Rechtsmittelrichter nicht, die Entscheidung und das Verfahren der unteren Instanz insgesamt zu überprüfen. Vielmehr hat der Rechtsmittelführer zu erklären, inwieweit er das Urteil anfechte, und die Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) bestimmt zu bezeichnen, § 467 Ziff. 3 öZP0 26 • Das Rechtsmittelgericht ist an die angeführten Anfechtungsgründe gebunden. Es darf nur diese prüfen27 • Demgemäß entscheidet die höhere Instanz über die Berechtigung der gegen das Urteil geltend gemachten konkreten "Einwendungen". Ergeben die Berufungsgründe einen für die Entscheidung des Erstrichters ursächlichen Fehler, so reformiert der Rechtsmittelrichter das angefochtene Erkenntnis entsprechend. Auch wenn in § 497 I öZP0 28 davon die Rede ist, daß "durch Urteil in der Sache selbst" zu erkennen sei, bedeutet das nicht, daß der in erster Instanz erhobene prozessuale Anspruch erneut zu prüfen sei. Mit dieser Wendung ist auf den Gegenstand der Berufung hingewiesen, nämlich Prüfung dahin, ob das Erstgericht richtig und vollständig entschieden hat29 • Über den Inhalt dieser Aussage besteht kein Streit, zumal § 498 I öZP0 30 ausdrücklich das § 467: "Die Berufungsschrift muß enthalten,
28
1. .. .
2... .
3. die bestimmte Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird, die ebenso bestimmte kurze Bezeichnung der Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) und die Erklärung, ob die Aufhebung oder Abänderung des Urteiles, und welche beantragt werde (Berufungsantrag); 4. das tatsächliche Vorbringen und die Beweismittel, durch welche die Wahrheit der Berufungsgründe erwiesen werden kann; 5.... 27 28
Einhellige Meinung; vgl. Holzhammer, Zivilprozeßrecht, S. 259.
§ 497:
"(1) Sofern nicht die Bestimmungen der §§ 494, 495 und 496 zur Anwendung kommen, erkennt das Berufungsgericht durch Urteil in der Sache selbst. (2) Seine Entscheidung hat alle einen zuerkannten oder aberkannten Anspruch betreffenden Streitpunkte zu umfassen, welche in Gemäßheit der Berufungsanträge eine Erörterung und Beurteilung in zweiter Instanz erfordern. (3) ••• ". 29 30
Vgl. Fasching, Anm. 1 zu§ 497.
§ 498:
"(1) Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die in den erstrichterlichen Prozeßakten und im Urteile der ersten Instanz festgestellten, durch
III. Das Österreichische Recht
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Berufungsgericht anweist, die durch die verschiedenen Berufungsgründe nicht berührten Ergebnisse der erstinstanzliehen Verhandlung seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Damit unterscheidet sich die Österreichische Regelung grundlegend von der Berufung der ZPO. Im Österreichischen Recht geht es allein um die Frage: Hat der Erstrichter rechtsirrtumsfrei den Prozeß entschieden? Diese Frage ist an Hand der von den Parteien bezeichneten Berufungsgründe zu überprüfen. Hinsichtlich der möglichen Ausformung des Prüfungsrechts genau entgegengesetzt das deutsche System: Ist der prozessuale Anspruch des Klägers gerechtfertigt? Hierfür ist kennzeichnend der Aufbau einer neuen, eventuell veränderten (§ 529 ZPO) Entscheidungsgrundlage. Stellt man nun die Frage nach dem Erfordernis einer vorherigen Kassation des angefochtenen Erkenntnisses vor einer (reformatorischen) Neuentscheidung, so tritt, was das Österreichische Recht angeht, die Widersinnigkeit dieser Fragestellung deutlich zutage. Das Instrumentarium der prozessualen Gestaltungsklage mit dem Aufhebungsbegehren, das eigentliche Rechtsmittelverfahren nach Gilles, taugt nicht für die Österreichischen Rechtsmittel. Liegt der behauptete Gerichtsfehler (= Berufungsgrund) tatsächlich vor, so geht es nicht an, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, um sodann im 2. Abschnitt, dem Neuentscheidungsverfahren, in der Sache selbst (§ 497 I öZPO) zu entscheiden. Der Berufungsrichter prüft die Erheblichkeit des festgestellten Fehlers für das erstinstanzliehe Entscheidungsergebnis. Je nach dem Ausgang dieser Prüfung kann er zwar das angefochtene Urteil aufheben, jedoch scheidet eine vollständige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses erster Instanz mit einer sich anschließenden neuen Aburteilung der Sache auf Grund des besonderen gesetzlichen Aufbaus der Österreichischen Berufung aus. Allein der Fehler des Unterrichters wird "ausgemerzt". Die Richtigkeit dieser Aussage zeigt sich auch an einer weiteren Besonderheit des Österreichischen Zivilprozeßrechts, der Teilrechtskraft. Ihre Anerkennung ist die konsequente und selbstverständliche Folge der Ausbildung der Österreichischen Berufung. Die Einlegung der Berufung hemmt bis zur Erledigung des Rechtsmittels die Rechtskraft des angefochtenen Urteils nur im Umfang der Berufungsanträge, §§ 462 f., 466, 490 öZP031 • Damit steht in einer Vielzahl von Fällen eine die geltend gemachten Berufungsgründe nicht berührten Ergebnisse der Verhandlung und Beweisführung zugrunde zu legen, soweit dieselben nicht durch die Berufungsverhandlung selbst eine Berichtigung erfahren haben. (2) •••". 31
§ 466:
"Durch die rechtzeitige Erhebung der Berufung wird der Eintritt der
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§ 8 Rechtsvergleichung
bereits teilweise eingetretene Rechtskraft des angefochtenen Erkenntnisses einer gänzlichen Aufhebung entgegen. Der Rechtsmittelrichter könnte also häufig die angefochtene Entscheidung nur zum Teil aufheben32. Zum anderen verbietet§ 498 I öZPO deutlich eine (auch nur gedankliche) Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, indem er anordnet, die durch die geltend gemachten Berufungsgründe nicht berührten Ergebnisse des Urteils erster Instanz der Verhandlung zugrunde zu legen. Würde man das erstinstanzliehe Urteil aufheben, so wären damit auch die Ergebnisse erster Instanz "beseitigt". Überträgt man die Ansicht Gilles' auf die Österreichische Regelung, so könnte sich der Berufungsgrund erst im sogenannten "Neuentscheidungsstadium" auf den Bestand der Entscheidung auswirken: Die nicht berührten Ergebnisse der Verhandlung und des Urteils erster Instanz(§ 498 I öZPO) ergeben im Zusammenhang mit den Berufungsgründen (und den Anträgen usw.) die reformatorische Entscheidung. Konsequenz dieser Entscheidung kann möglicherweise eine Aufhebung des angefochtenen Urteils sein. Jedenfalls ist eine eventuelle Aufhebung immer das Schlußstück des Rechtsmittelverfahrensss. Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteiles im Umfang der Berufungsanträge bis zur Erledigung des Rechtsmittels gehemmt." Anders unsere ZPO, nach der der Eintritt der Rechtskraft für das gesamte Urteil gehemmt ist, auch wenn es nur teilweise angefochten ist; vgl. RGZ 6, 435; 7, 345: "Die Berufung erfaßt begrifflich immer das ganze Urteil ... und ist unabhängig von den gestellten Rechtsmittelanträgen." Neuerdings BGHZ 7, 143 f. (144) zur Revision; BGH, NJW 61, 1115, und OLG München, NJW 66, 1082, zur Berufung; Stein I Jonas I Grunsky, § 570 Anm. I (nur hinsichtlich der Beschwerde); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 81 I 2 (S. 258).
Zu Unrecht meint Grunsky, NJW 66, 1393 ff. (1396) und bei Stein I Jonas, § 519 Anm. IV 1 a, der nicht mit der Berufung angefochtene Teil des erstinstanzliehen Urteils erwachse in Rechtskraft, wenn die Rechtsmittelbegründung einen eingeschränkten Berufungsantrag enthalte und eine Anschließung des Berufungsbeklagten nicht mehr möglich sei. Grunsky übersieht, daß § 519 III Nr. 1 ZPO in der geltenden Fassung nur eine durch die Novellen von 1924 und 1933 im Interesse der Beschleunigung des zweitinstanzliehen Verfahrens eingeführte Zulässigkeitsvoraussetzung enthält. Aus der Sollvorschrift des früheren§ 519 II ZPO (= § 480 II CPO von 1877) ist zwar eine Mußvorschrift geworden, die jedoch die Rechtsnatur der Berufung nicht verändert hat (vgl. unten § 10 III). n "Teilrechtskraft" und "Beschränkung der Berufungsanträge" sind verschiedene Dinge, die es verbieten, eine Teilaufhebung unter Hinweis auf eine mögliche Beschränkung der Rechtsmittelanträge erklären zu wollen. 33 Gilt dies für das Österreichische Recht, das der Erstentscheidung eine größere Bestandskraft wegen der Einschränkung der Überprüfungsbefugnis (bestimmte Angabe der Berufungsgründe - keine "nova") zuerkennt, um wieviel eher könnte man diese Erkenntnisse auf die deutsche Berufung übertragen? Die Antwort auf diese Frage kann dahinstehen. Anliegen dieses Abschnitts sollte es nur sein, den Nachweis zu erbringen, daß die These Gilles' vom einheitlichen Rechtsmittelbegriff unrichtig ist. Daneben hat die
II. Keine Anfechtungsklage
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IV. Ergebnis
Die These von einem "historisch vorgegebenen" Rechtsmittelbegriff ist nicht haltbar. Die Ausgestaltung des Rechtsmittels ist allein eine Zweckmäßigkeitsfrage, die der Gesetzgeber zu beantworten hat und die er zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich zu regeln pflegt. Sicherlich hat jedes Rechtsmittel zum Ziel, eine richtige Entscheidung herbeizuführen. Damit wird· aber nicht vorausgesetzt, daß es zur Erreichung dieses Ziels nur einen Weg gibt. § 9 Die Berufung der CPO von 1877 L Der Ausgangspunkt
Wegen der Eindeutigkeit der Quellen muß man davon ausgehen, daß die hier vertretene Auffassung von der römisch-rechtlichen appellatio zutreffend ist. Somit stellt sich nur noch eine Frage: Hat die Absicht der Gesetzesverfassert, die Berufung der CPO von 1877 der römisch-rechtlichen Appellation nachzugestalten, in dem Wortlaut der CPO hinreichend Ausdruck gefunden? Darf diese Frage bejaht werden (und haben spätere Gesetzesnovellen an dem Charakter des Rechtsmittels nichts geändert), so steht als Ergebnis fest, daß das Gillessche Rechtsmittelverständnis in den hier behandelten Punkten in Widerspruch zum geltenden Recht steht. D. Der Begriff "Anfechtung" und ähnliche Wendungen in den §§ 511 ff. ZPO erlauben es nicht, das Rechtsmittel als Anfechtungsklage zu sehen
Wie bereits früher gezeigt2 , versucht Gilles unter Hinweis auf den Wortlaut einzelner Rechtsmittelvorschriften die Richtigkeit seines Verständnisses von den Rechtsmitteln nachzuweisen. Es sei hier nur an die Heranziehung der §§ 511, 545, 5673, der §§ 519 III 1, 536, 539, 554 III 1, 564 f.4, der §§ 526, 5635 oder der §§ 512, 513, 519 III 2, 534 I, 564 III 1, 560, Beschäftigung mit dem Österreichischen Recht gezeigt, daß sich die Zweiteilung in Kassation und Reformation auch nicht auf die Österreichische ZPO übertragen läßt. 1 GiHes, Rechtsmittel, S. 91, nimmt selbst an, daß die Verfasser der CPO die Rechtsmittel nicht als Anfechtungsmittel verstanden wissen wollten. Er bekämpft die dazu vertretene Ansicht deswegen, weil er verkannt hat, daß die römisch-rechtliche Appellation kein Anfechtungsmittel in der von ihm diesem Begriff beigelegten Bedeutung ist. 2 GHles, Rechtsmittel, S. 32, 35, 37; vgl. oben§ 6 II. 1., 2. 3 "Gegen" eine Entscheidung. 4 Die angefochtene Entscheidung "abzuändern" bzw. "aufzuheben". 5 "Prüfung der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung".
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§ 9 Die CPO von 1877
569 und 571 ZP08 erinnert7. Insbesondere aber auch wegen des Gebrauchs des Wortes "Anfechtung" in mehreren Vorschriften der §§ 511 ff. ZPO sieht er seine Auffassung von dem Prozeßziel der Rechtsmittel bestätigt8 •
Nach der hier vertretenen Auffassung folgt der "römisch-rechtliche Charakter" der heutigen Berufung aus den Vorschriften der§§ 525, 529, 537 ZPO. Ein Hinweis auf § 536 ZPO mit der Einschränkung der Abänderung durch den Berufungsantrag ist nicht geeignet, das Ergebnis zu erschüttern.§ 536 ZPO läßt das Charakteristische der sogenannten vollen Berufung, die erneute Entscheidung über den prozessualen Anspruch, unberührt. Erst dann, wenn sich im Ergebnis ein quantitativer oder qualitativer Unterschied zwischen Neuentscheidung und Rechtsmittelantrag zeigen würde, wenn also z. B. die zweite Instanz dem Berufungsführer mehr zusprechen dürfte als dieser beantragt hat, greift die Dispositionsmaxime mit der ihr eigenen Bindung an die Parteianträge ein; vgl. §§ 525, 537 ZPO. Gilles schwächt seine Argumentation mit dem Wortlaut selbst ab, wenn er an anderer Stelle gegen das in den Motiven anzutreffende Verständnis der Berufung als "novum iudicium" zu Feld zieht9 • Um diese Aussage zu erschüttern, bezieht er sich auf andere Erläuterungen in den Materialien, die von "Anfechtung" und "Aufhebung" sprechen10• Ist man nicht willens, den Verfassern der verschiedenen Entwürfe zur CPO und der dazu gelieferten Begründungen völlige Unkenntnis11 hinsichtlich der behandelten Materie zu bescheinigen, so erscheint es nicht erlaubt, aus dem Gebrauch von Wendungen wie "Anfechtung" usw. derartige Schlüsse, wie es Gilles tut, auf die Rechtsnatur der Berufung zu ziehen. Denn hiermit vertragen sich nicht die häufig unmittelbar 6 "Anfechten", "Anfechtbarkeit", "Anfechtungsgründe" und ähnliche Wendungen. 7 Gilles, Rechtsmittel, S. 13 f., 28, 35, 36 f. 8 Gilles, Rechtsmittel, S. 35. 9 Gilles, Rechtsmittel, S. 191, 199. to Zu § 525 n. F. = § 487 CPO 1877: "Die Natur des auf Anfechtung eines Urtheils gerichteten Rechtsmittels bringt es mit sich, daß das angefochtene Urtheil die Grundlage der Verhandlung bildet ... Es bleibt immer die Ri chtigkeit des Urtheils zu prüfen, ..."; vgl. C. Hahn, Materialien, S. 355, zu §§ 466- 472; ähnlich bereits früher Entwurf 1871, S. 367, zu§§ 443- 445, 454. Zu§ 542 n. F. = § 504 CPO 1877 : "..., daß die Grundlage des Verfahrens in der Berufungsinstanz das angefochtene Urtheil bildet"; vgl. C. Hahn, Materialien, S. 361, zu § 483 sowie Entwurf 1871, S. 372, zu § 458. 11 So aber Gilles, Rechtsmittel, S. 196, wenn auch abgeschwächt: "reichlich diffuse Äußerungen".
II. Keine Anfechtungsklage
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vorher oder im Anschluß geäußerten gegenteiligen Bekundungen12, die keinesfalls gestatten, dem Wort "Anfechtung" eine "vernichtende" (kassatorische) Wirkung beizumessen13. Im Abschnitt über die Rechtsmittel zeigen Wörter wie "Anfechtung" und "gegen" nur die Zielrichtung14 des Rechtsmittels an und treffen eine Aussage darüber, ob das Ziel, die unterinstanzliehe Entscheidung, noch einem Rechtsmittel unterliegt oder nicht ("anfechtbar bzw. unanfechtbar") und ob das Rechtsmittel bereits eingelegt ist ("angefochten")15 • Verfehlt erscheint mir die ausdrücklich an den Vorschriften des BGB orientierte umfassende Wirkung, die Gilles der Anfechtung von gerichtlichen Erkenntnissen mit Rechtsmitteln beilegt16. Bei der Auslegung von zivilprozessualen Vorschriften ist immer in Erwägung zu ziehen, daß die im Zivilprozeß zur Anwendung kommenden Vorschriften nicht einem Selbstzweck, sondern einer sachlichen Entscheidung in einem möglichst schnellen und übersichtlichen Verfahren dienen17. Es geht im Zivilprozeß, wie schon mehrmals betont, um die Verwirklichung des materiellen Rechts18. Insbesondere ist bei jeder "grammatischen" Auslegung19 zu berücksichtigen, daß die CPO aus einer Zeit stammt, in der die hohe Gesetzgebungstechnik des BGB noch nicht ausgebildet war, und der CPO die ausgewogene Sorgfalt des Ausdrucks fehlt. Bei ihr ist ein "Wortkultus" 20 auf jeden Fall unangebracht. Es erscheint proble12 Vgl. C . Hahn, Materialien, S. 355, zu § 466- 472, wo unmittelbar vor der oben in Fn. 10 herangezogenen Stelle die Rede davon ist, daß der "Rechtsstreit von Neuern verhandelt" werde und "eine vollständige Erörterung des Rechtsstreits in thatsächlicher und rechtlicher Beziehung" erfolge. 13 Siehe auch Arens, AcP 173, 473 ff. (475) unter III a. E. 14 So auch Brox, ZZP 86, 348 f. (349). 15 Vgl. z. B. Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 136 (S. 728 ff.); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 69 I (S. 220). 18 GiUes, Rechtsmittel, S. 30: "Ziel der Vernichtung der Entscheidung im Rechtssinn (§ 142 BGB)". 17 Vgl. BGHZ 10, 350 ff. (359): "Der Zivilprozeß hat die Verwirklichung des materiellen Rechts zum Ziele; die für ihn geltenden Vorschriften sind nicht Selbstzweck, sondern Zweckmäßigkeitsnormen, gerichtet auf eine sachliche Entscheidung des Rechtsstreits im Wege eines zweckmäßigen und schnellen Verfahrens." Aus der Literatur vgl.: Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 7 II. 2. (S. 30); Stein I J onas I Pohle, Einl. C u. F vor § 1; Baumbach I Lauter bach I Hartmann, Einl. III, 5 vor§ 1. 18 Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 60, 392 ff. (397). 19 Eines Eingehens auf die verschiedenen Auslegungsmethoden von Gesetzen bedarf es nicht; vgl. dazu z. B. Engisch, Einführung, S. 63 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 291 ff. 20 Dazu Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 7 II. 3 (S. 31), und das dort angeführte Beispiel von der unterschiedlichen Bedeutung der "Verhandlung zur Hauptsache".
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§ 9 Die CPO von 1877
matisch, den in einem Rechtsgebiet ermittelten Sinn eines Wortes ohne weiteres auf den in einem anderen Gesetz zu übertragen. Diese Bedenken gelten besonders hinsichtlich des Begriffs "Anfechtung". Neben der ZPO gehört die Konkursordnung zu den sog. Reichsjustizgesetzen, die einheitlich am 1. Oktober 1877 in Kraft traten. Vergleicht man beide Gesetze miteinander, so zeigt sich, daß der Begriff der Anfechtung und der Anfechtbarkeit nicht einheitlich verstanden wurde und sich damit nicht kurzerhand auf ältere Vorschriften übertragen läßt21• Es sei hier auf die §§ 29 ff. KO verwiesen, in denen von "Anfechtung bzw. Anfechtbarkeit" die Rede ist. Einig ist man sich, daß der Anfechtung in den genannten Vorschriften nur schuldrechtliche Bedeutung zukommt, sie nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr zur Masse gibt. In diesem Sinne ist "Anfechtbarkeit" als Anspruch der Masse auf Rückgängigmachung eines durch die Rechtshandlung des Gemeinschuldners erlittenen Nachteils zu verstehen22• Daraus ergibt sich, daß auch insoweit die Ansicht GiHes' bedenklich ist, deren Hauptstütze die Argumentation mit dem juristischen Wortsinn der "Anfechtbarkeit" ist. W . Die Ansicht Gilles' verstößt gegen den Grundsatz, daß die Wirkungen eines Gestaltungsurteils erst mit formeller Rechtskraft eintreten 1. Zur Berufung Gilles geht, wie gesehen, von einer strikten Trennung des Rechtsmittels in ein Aufhebungsbegehren des angefochtenen Erkenntnisses (das eigentliche Rechtsmittelverfahren) und in ein Neuentscheidungsverlangen des unterinstanzliehen prozessualen Anspruchs aus23 • Dem Gericht sei es nur dann erlaubt, in der Sache ersetzend zu entscheiden (oder die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen), wenn es vorher das angefochtene Erkenntnis aufgehoben, den angefochtenen Gerichtsakt beseitigt (kassiert) habe24• Dieser zeitliche Vorrang der Aufhebung basiere auch auf einem sachlogischen: Erst die Kassation mache den bereits wirksam entschiedenen Rechtsstreit zu einem unentschiedenen. Bei der Entscheidung über den eigentlichen Rechtsmittelstreit handele es sich immer um ein Endurteil, das gedanklich von dem (anderen) Endurteil, das reformatorisch in der Sache entscheide, scharf zu tren21 Selbst das BGB mißt dem Begriff "Anfechtung" eine untersch~edliche Bedeutung bei; vgl. einerseits § 142, andererseits §§ 1594, 1595 a, 1599 sowie §§ 2340, 2342 BGB. 22 Vgl. Mentzel I Kuhn, § 37 KO Anm. 9 m. w. N. 23 Vgl. Gilles, Rechtsmittel, S. 91. 24 GHles, Rechtsmittel, S. 91- 92, 94: " ... jede neue Entscheidung" setzt "notwendig eine Aufhebung" voraus- Hervorhebung vom Verfasser-.
III. Gestaltungsurteil und formelle Rechtskraft
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nen sei, auch wenn beide Einzelentscheidunge n äußerlich "uno actu" ergingen25• Mit diesen Äußerungen setzt sich Gilles in einen unlösbaren Widerspruch zu festen Erkenntnissen des Prozeßrechts: Die Wirkungen eines Gestaltungsurteils treten auch bei prozessualen Gestaltungsklagen, als die Gilles die Rechtsmittel versteht, erst mit formeller Rechtskraft ein26 • Hiervon geht Gilles bei der Beschreibung des Rechtsmittelgegenstandes ausdrücklich aus27• Bei der Darstellung des Verhältnisses von Aufhebungs- und Neuentscheidungsbe gehren zueinander wird die Verknüpfung zwischen der Beseitigung der angefochtenen Entscheidung, der Gestaltungswirkung , und der formellen Rechtskraft - soweit ersichtlich- nicht einmal erwähnt28• Eine Neuentscheidung der Sache in den der Revision unterliegenden Berufungsverfahren wäre damit, folgte man Gilles, niemals möglich, da die Gestaltung zu spät eintreten würde: Eine Neuentscheidung kann unabdingbar erst mit Aufhebung des angefochtenen Gerichtsakts erfolgen. Die Beseitigung der vorinstanzliehen Entscheidung tritt frühestens mit formeller Rechtskraft des Aufhebungsurteils ein. Dazu kann es aber bis zum Erlaß des neuen Erkenntnisses in der Hauptsache nicht kommen, weil kein eigenständiges Endurteil über den Rechtsmittelgegenst and zulässig ist, wie Gilles selbst annimmt29•
2. Zum Wiederaufnahmever fahren Auch in seinen Ausführungen zum Wiederaufnahmever fahren (§§ 578 ff. ZPO) vertritt Gilles bezüglich der von ihm behaupteten Abhängigkeit einer neuen Entscheidung in der Hauptsache von der vorherigen Kassation des rechtskräftigen Ersturteils ähnliche Thesen. Eine Beschäftigung mit ihnen vermag die Rechtslage hinsichtlich der Berufung noch besser zu erhellen. Im Anschluß an Hellwig 30 , Stein31 und Jauernig 32 macht er neuerdings33 den Erlaß der neuen Entscheidung, früher 34 daneben auch die n Gilles, Rechtsmittel, S. 44, 92. Einhellige Meinung: vgl. Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 95 III 1 (S. 479) und § 150, 4 (S. 820). 27 Gilles, Rechtsmittel, S. 43; vgl. auch a.a.O., S. 33 Fn. 31, wonach die prozessuale Gestaltungswirkung, die Aufhebung der Wirkungen des angefochtenen Akts, nicht bereits mit dem Erlaß der Aufhebung, sondern erst mit der formellen Rechtskraft der aufhebenden Entscheidung eintritt. 28 Im Wiederaufnahmeverfa hren begegnet Gilles, Rechtsmittel, S. 128, dieser Verknüpfung mit der Fiktion der Rückwirkung des "iudicium rescindens". 29 Gilles, Rechtsmittel, S. 92. 30 Hellwig, System, § 241 I 1 (S. 864). 28
s Ratte
§ 9 Die CPO von 1877
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erneute Verhandlung in der Hauptsache von der vorherigen Beseitigung der angefochtenen Entscheidung abhängig. Diese Ansicht verstößt ebenfalls gegen den Satz, daß die Gestaltungswirkungen (hier: Beseitigung der Erstentscheidung) erst mit Eintritt der formellen Rechtskraft des Gestaltungsurteils ausgelöst werden. Es besteht Einigkeit darüber, daß die Aufhebung des Ersturteils im Wiederaufnahmeverfahren mit rechtsgestaltender Wirkung erfolgt35• Infolgedessen bleibt der Bestand1des angefochtenen Urteils, damit auch die (materielle) Rechtskraftwirkung, bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des Aufhebungsurteils unberührt. Der Ausspruch einer etwaigen Aufhebung in der noch nicht formell rechtskräftigen Entscheidung hat allein die Bedeutung, daß das Gericht an den von ihm festgestellten Wiederaufnahmegrund gebunden ist (§ 318 ZPO). Eine darüber hinausgehende Wirkung kommt dem eigenständigen Aufhebungsurteil nicht zu, solange es noch nicht formell rechtskräftig ist. Da es sich bei dem aufhebenden Erkenntnis nach h. M. um ein nicht selbständig anfechtbares Zwischenurteil handelt36, kann die formelle Rechtskraft dieser Entscheidung regelmäßig nur zusammen mit der formellen Rechtskraft der ersetzenden Entscheidung in der Hauptsache eintreten. Ohne Einfluß auf dieses Ergebnis ist es, wenn man mit GiHes37 das kassa torische Erkenntnis als ein "allerdings ... nur mit der Ersetzung zusammen anfechtbares" Endurteil versteht. Das mit dem Wiederaufnahmegrund behaftete Ersturteil wird somit erst nach Erlaß einer neuen Entscheidung und nach bzw. mit Eintritt der Rechtskraft dieser neuen Entscheidung beseitigt. Folglich kann sich kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Neuentscheidung in der Hauptsache ergeben. Um seine Konzeption durchhalten zu können, muß GiHes zur "Vorstellungshilfe einer Rückwirkung" der aufhebenden Entscheidung greifen38• Gerade die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf eine derartige Fiktion spricht gegen c,lie Meinung GiHes'39• Ein Voraussetzungsverhältnis besteht allein insoweit, als d~S. Wiederaufnahmegericht nur dann eine neue Entscheidung in der Hauptsache erlassen kann, wenn es das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes bejaht hat. Deutlich im Sinne der hier vertretenen Meinung stellt das der Bundesgerichtshof in einer von Gilles nicht erwähnten Entscheidung fest40• 31 32
33
Stein, Grundriß, § 113 III 2 (S. 322). Jauernig, Zivilurteil, S. 133, und FamRZ 61, 98 ff. (100 f.). Gilles, Rechtsmittel, S. 121.
GiHes, Diss., S. 38 unten; ZZP 78, 466 f. (467) und ZZP 80, 391 f. (392). Vgl. BGHZ 1, 153 ff. (156); BGH, NJW 54, 1523 und NJW 55, 1919 f. (1920); BGHZ 18, 350 ff. (357 f.); GiHes, Rechtsmittel, S. 115; Jauernig, Zivilurteil, S. 133; Pfeifer, Diss., S. 34; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 112; Stein I Jonas I Grunsky, Vorbem. II 1 vor § 578. 36 Vgl. Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 590 Anm. 1 A ; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 106 IV (S. 601); Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 162 IV 2 (S. 881) u. § 160 II 3 (S. 867); Thomas I Putzo, § 590 Anm. 1 b. 37 GiHes, Rechtsmittel, S. 114. 38 GiHes, Rechtsmittel, S. 128. 39 Vgl. auch Habscheid, NJW 74, 635 f. (636). 40 BGHZ 43, 239 ff. (244): "Ist die Wiederaufnahmeklage zulässig und begründet, so kann dies zwar durch ein nach § 303 ZPO ergehendes Zwischen34
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I. Ausgangspunkt
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Unzutreffend wegen des "zu späten" Wegfalls der Rechtskraft der Erstentscheidung scheint auch die Begründung der hier abgelehnten Meinung zu sein: Vor Beseitigung der materiellen Rechtskraft des mit dem Wiederaufnahmegrund behafteten Erkenntnisses dürfe keine neue41 , zumindest keine abweichende41 Entscheidung in der Hauptsache ergehen42• Im Wiederaufnahmeverfahren steht die Neuentscheidung zur Hauptsache zunächst einmal immer im Widerspruch zu der materiellen Rechtskraft des Ersturteils, bis die formelle Rechtskraft der Neuentscheidung mit den Konsequenzen für das Ersturteil eingetreten ist. Der Grund für diese erlaubte43 Kollision mit der materiellen Rechtskraft ist in dem Ausnahmecharak ter des Wiederaufnahme verfahrens zu finden. Es ist hier nicht der Ort, diese Ausführungen zu vertiefen. Jedenfalls hat auch diese kurze Beschäftigung mit dem Recht der Wiederaufnahme bewiesen, daß die Ansicht Gilles' von dem Vorrang der vorherigen Kassation des angefochtenen Erkenntnisses vor einer Neuentscheidung nicht einmal im Verfahren nach den §§ 578 ff. ZPO, bei dem es um die Beseitigung rechtskräftiger Urteile geht, eine Stütze findet. IV. Zwischenergebni s hinsichtlieb der CPO von 1877
Die Rechtsmittelreg elung der CPO von 1877 basiert nicht auf dem Anfechtungspri nzip. Eine reformatorische Rechtsmittelent scheidung verlangt keine vorherige Aufhebung und Beseitigung des angefochtenen Erkenntnisses. § 10 Die Novellen von 1924 und 1933 haben den Charakter der Berufung als eines "vollen" Rechtsmittels nicht verändert I. Der Ausgangspunkt
Die Novellen vom 13. Februar 1924 (RGBl. I, 135) und 27. Oktober 1933 (RGBl. I, 780) können eine Veränderung der Berufung herbeigeführt haben. Will man die Kennzeichen der Berufung der CPO von 1877 hervorheben, so ist auf zwei Dinge hinzuweisen. Einmal bedurfte es als Konsequenz der unbeschränkten Entscheidungsge walt des Rechtsmittelrich ters keiner Angabe urteil ausgesprochen werden. Dieses Urteil bindet nur das Gericht, das es erlassen hat (§ 318 ZPO). Aufgehoben wird das früher in der Hauptsache ergangene Urteil aber immer erst mit der Rechtskraft des Urteils, durch das auf Grund einer neuen Sachverhandlung nunmehr über die Klage in der Hauptsache neu entschieden wird." 41 Der Theorienstreit zur materiellen Rechtskraft (prozessuale oder materiellrechtliche Theorie in ihren jeweiligen Spielarten) bedarf keiner Erörterung. 42 So Hellwig, System,§ 241 I 1 (S. 864); GiHes, Diss., S. 39, und Rechtsmittel, S. 121. 43 Diese Kollision ließe sich nur ausschließen, wenn die ZPO die Aufhebung des mit dem Wiederaufnahme grund belasteten Urteils durch ein selbständig rechtsmittelfähig es Erkenntnis anordnen würde. Davon hat der Gesetzgeber aber - wohl aus prozeßökonomi schen Erwägungen - Abstand genommen.
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§ 10 Die Novellen von 1924 und 1933
von Berufungsgründen1 in der Berufungsschrift, § 480 II CPO a. F. Vorgetragene Gründe vermochten das Berufungsgericht nicht zu binden. Andererseits gestattete § 491 I CPO a. F. den Vortrag neuen Prozeßmaterials zur Neuerstellung der Urteilsgrundlage. Die bereits erwähnten Novellen betrafen beide Merkmale der Berufung2. Zum einen ordneten sie "die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe)" in der Berufungsschrift an (§ 519 III Ziff. 2 ZPO n. F.), zum anderen schränkten sie das Recht ein, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsverfahren geltend zu machen (vgl. § 529 ZPO n. F.). In diesen Änderungen liegt aber nicht die Aufgabe des Systems der "vollen" Berufungs.
n. Das Novenrecht existiert (mit Einschränkungen) weiter Die Parteien besitzen weiterhin das Recht, die Urteilsgrundlage neu zu erstellen und unter den Voraussetzungen des § 529 II, III ZPO durch neuen Vortrag zu ergänzen. Die in Art. II Nr. 64 des Vorentwurfs4 zur Zivilprozeßnotverordnung vom 13. Februar 1924 beabsichtigte Einführung des Novenverbots ist nicht Gesetz geworden. Den Parteien ist nur die Befugnis genommen, ohne Beschränkungen in zeitlicher Hinsicht die Entscheidungsgrundlage abzuändern. Ziel des § 529 II, III ZPO ist es, einer evtl. Verschleppungsabsicht der Parteien entgegenzuwirken. Daneben wäre ein Verbot, neue Tatsachen in der Berufungsinstanz vorzubringen, für die Frage des Einflusses des Rechtsmittelerkenntnisses auf den Bestand der erstinstanzliehen Entscheidung von untergeordneter Bedeutung. Diese Frage wird in erster Linie durch den Inhalt und den Umfang der zweitinstanzliehen Entscheidungsbefugnis beantwortet, also dadurch, ob das Rechtsmittelgericht die Streitsache neu entscheidet oder nur einzelne Elemente des angefochtenen Urteils entsprechend den erhobenen Rügen überprüft. 1 Eine Selbstverständlichkeit, wenn man die enge Verwandtschaft mit dem römischen Recht berücksichtigt. Dort reichte das "appello" aus, um die Überprüfung des prozessualen Anspruchs in zweiter Instanz zu bewirken (vgl. oben § 7 I . 2.). Demgemäß forderte § 479 II CPO a. F. nur - von den Förmlichkeiten der Bezeichnung des Urteils und der Ladung des Berufungsbeklagten abgesehen - "die Erklärung, daß gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde". 2 Es kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, zu den gegen die "volle" Berufung erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen: vgl. dazu Kisch, Juristentag Tschechoslowakei, S. 215; Lorenz, ZZP 65, 169 ff. Zur Begründung der Novelle von 1924 siehe Curtius, JW 24, 354 ff. (360); vgl. auch Entwurf 1931, S. 344 f. 1 Bezüglich der Novelle 1924 vgl. Pagenstecher, Sonderheft RheinZ 1924, s. 102 ff. (108). ' Abgedruckt im Sonderheft der RheinZ 1924, S. 10 ff. (24).
III. Eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung
m. Das Gebot des § 519 m
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Nr. 2 ZPO ist bloße Zulässigkeltsvoraussetzung
Das mit der Novelle 1933 eingeführte Erfordernis der bestimmten Bezeichnung der Berufungsgründe (§ 519 III Nr. 2 ZPO) erscheint geeigneter, die Qualität der Berufung beeinflußt zu haben. Sollte nämlich § 519 III Nr. 2 ZPO eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung allein an Hand der in der Begründung mitgeteilten Berufungsgründe gestatten, könnte nicht mehr die Rede von einer "erneuten Aburteilung der Sache" sein. Das Rechtsmittelerkenntnis würde dann über die Begründetheit der behaupteten Mängel des angefochtenen Urteils entscheiden, nicht aber über den prozessualen Anspruch. Ein Fehler des Unterrichters wäre nur dann von Einfluß für den Erfolg des Rechtsmittels, wenn er gern. § 519 III Nr. 2 ZPO ordnungsgemäß gerügt worden wäre. Eine derartige Regelung der Berufung findet sich - wie oben gesehen - im Österreichischen Recht. Mit dem Verlangen nach bestimmter Bezeichnung der Berufungsgründe hat der Gesetzgeber jedoch nur eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung, eine Prozeßfortsetzungsvoraussetzung5 , für die Berufung geschaffen. Der Zweck des § 519 III Nr. 2 ZPO besteht darin, die Parteien im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens zur sorgfältigen Vorbereitung der Berufungsverhandlung anzuhalten und mit dem Mittel der Verwerfung, § 519 b I ZPO, die Einlegung von Rechtsmitteln zu hindern, deren alleinige Aufgabe es ist, den Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Urteils möglichst lange hinauszuzögern8 • Das Erfordernis der Bezeichnung der Berufungsgründe findet seine Stütze in der prozessualen Mitwirkungspflicht der Parteien. An dem Charakter der Berufung hat sich nichts geändert. Eine Bindung des Gerichts an die Berufungsgründe ist nicht gegeben. Ist die Zulässigkeitsklippe des§ 519 III Nr. 2 ZPO überwunden, so ist der Weg frei für eine in rechtlicher und tatsächlicher (insoweit vorbehaltlich des § 529 ZPO) Beziehung uneingeschränkte sachliche Neuprüfung und -entscheidung des gesamten Streitstoffs7 • Einen entgegengesetzten Standpunkt hat der 3. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes noch jüngst eingenommen8• Das Gericht geht davon aus, daß das Berufungsgericht - auch bei Zulässigkeit der Berufung - sachlich nur über den (von mehreren) Klagegründen entscheiden könne, den der Rechtsmittelkläger bereits in der Begründung (als einen Berufungsgrund neben anderen) bezeichnet habe. 5 Vgl. Stein I Jonas I Grunsky, § 519 Anm. III 2 c; Wieczorek, § 519 Anm.Aib. 8 Vgl. RGZ 147, 313 ff. (315) und Körting, AcP 142, 92 ff. 7 Vgl. RGZ 149, 202 ff. (205); BAG, AP Nr. 25 zu § 519 ZPO; A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 103 I 6 b a. E. (S. 550); Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 138 II 2 b (S. 747); Stein I Jonas I Grunsky, § 519 Anm. III 2 c; Wieczorek, § 519 Anm. C III d 1. s BGH, NJW 71, 807 f.
§ 11 Einfluß der Rechtsmittelentscheidung
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Diese "Ausschlußwirkung" kommt der Begründungsschrift gerade nicht zu. Eine (eingeengte) Ausschließungswirkung ist nur im Zusammenspiel zwischen § 519 III und § 529 III i. V. m. II ZPO anzuerkennen. Die §§ 525, 537 ZPO bestimmen den Umfang der Prüfungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts. Danach kommt es zu einer vollständigen Prüfung des prozessualen Anspruchs in all seinen Streitpunkten. Zu Unrecht faßt der BGH unter den "zuerkannten oder aberkannten Anspruch" in § 537 ZPO die einzelne materiellrechtliche Anspruchsgrundlage9 • § 537 ZPO versteht unter "Anspruch" den prozessualen Anspruch, den Streitgegenstand10• Oder hat sich der 3. Senat den seit Jahrzehnten überholten (alten) materiellrechtlichen Streitgegenstandsbegriff zueigen gemacht?
Der Fehler des BGH liegt darin, daß er dem Begründungszwang des § 519 III Nr. 2 ZPO eine die Rechtsnatur der Berufung ändernde Wirkung beimißt. Das ist aber, wie gesehen, nicht zulässig. Der Berufungskläger ist durch sein Vorbringen in der Begründungsschrift weder beschränkt noch gebunden. Andernfalls wäre§ 529 III ZPO nicht verständlich11• Letztlich führt die Ansicht des BGH zu einer Art "Eventualmaxime" von Anspruchsgrundlagen im Berufungsverfahren.
IV. Ergebnis Es ist sachlich falsch, zumindest mißverständlich, wenn gesagt wird, die ursprünglich "volle" Berufung der CPO von 1877 habe sich der Berufung des Österreichischen Rechts genähert12 • Die "Annäherungen" sind rein formaler Natur und haben den Graben zwischen beiden Rechtsmittelsystemen nicht beseitigt. Berufung und Beschwerde sind auch noch heute "volle" RechtsmitteJ13 •
§ 11 Der Einfluß der Rechtsmittelentscheidung auf den Bestand des angefochtenen Erkenntnisses
I. Der theoretische Ausgangspunkt 1. Das Gericht, das ein Urteil erlassen hat, kann es nicht mehr ändern, § 318 ZPO. Was bedeutet aber die Möglichkeit einer Änderung im Vgl. BGH, NJW 71, 807 f. (808). Unstreitig; vgl. Baumbach I Lauterbach I Albers, § 537 Anm. 1; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 44 li (S. 128). 11 Die Ansicht des BGH läßt sich auch nicht mit der einhelligen Meinung zur Zulässigkeit einer Klageänderung in der Berufungsinstanz (§§ 523, 264 ZPO) nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vereinbaren; dazu Baumbach I Lauterbach I Albers, § 529 Anm. 4; Stein I Jonas I Grunsky, § 529 Anm. IV 1. Wie soll dann der Berufungsbegründung eine Ausschlußwirkung gegenüber einer Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes, die nicht einmal eine Klageänderung ist, zukommen können? 12 So W. Hahn, Vorbringen, S. 5. 13 Auch die Arbeiten zu der geplanten Reform der Zivilgerichtsbarkeit wollen an dieser Rechtsnatur der Berufung festhalten; vgl. Bericht 1961, S. 132; Entwurf 1970, S. 29 ff. 9
10
I. Ausgangspunkt
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Instanzenzug für die Qualität des dem Ersturteil als Staatsakt1 ohnehin zukommenden Bestandsschutzes? Bereits die Möglichkeit der Änderung im Instanzenzug zeigt eine Einschränkung des Bestandsschutzes eines rechtsmittelfähigen Erkenntnisses. Darüber hinaus hängt eine Antwort auf die Frage nach Grad und Umfang des Fortbestandes derartiger Entscheidungen von verschiedenen Faktoren ab. 2. Bei einem in der Sache vollständig erfolgreichen Rechtsmittel ist der Bestandsschutz des angefochtenen Urteils notwendig gleich null: Das unrichtige Erkenntnis wird aufgehoben und äußert keine Wirkungen mehr2 • 3. Wie steht es aber um die Existenz eines unterinstanzliehen Urteils, wenn das Rechtsmittel erfolglos gewesen ist? Die Antwort hierauf gibt die inhaltliche Ausgestaltung des jeweiligen Rechtsmittelverfahrens. a) Erscheint das Rechtsmittel als Angriff auf die Entscheidung mittels konkret zu bezeichnender Fehlergründe, so darf man von einem erhöhten Bestandsschutz sprechen3 • Einmal verlangt ein derartiges Rechtsmittelsystem neben der Fehlerhaftigkeit des unterinstanzliehen Erkenntnisses notwendig die bestimmte Rüge des individualisierten Fehlers. Zum anderen läßt sich ein Rechtsmittel mit dieser eingeschränkten Entscheidungsbefugnis - gerade wegen des Erfordernisses der Angabe von Fehlergründen - als fehlgeschlagener Angriff auf die angefochtene Entscheidung werten. b) Anders stellt sich aber die "volle" Berufung der ZPO dar: Das Berufungsgericht wiederholt die Prüfung des prozessualen Anspruchs, ohne durch die vorgetragenen Berufungsgründe in seiner Entscheidungsbefugnis gebunden zu sein. Da es zu einer erneuten Entscheidung in der Sache kommt, bedarf es - anders als im System der beschränkten Berufung - nicht notwendig der Aufrechterhaltung des erstinstanzliehen Urteils. Unter diesem Blickwinkel erscheint das berufungsfähige Urteil als "Versuch" einer noch nicht endgültig wirksamen Entscheidung4 • Eine Abwertung der erstinstanzliehen EntscheidungsZu diesem Gesichtspunkt unten IV. 5. b). Es bedarf keines Eingehens auf die umstrittene Frage, ob die Aufhebung einer gerichtlichen Entscheidung die Beseitigung ihres Bestandes oder lediglich ihrer Wirkungen zur Folge hat; vgl. einerseits Jauernig, Zivilurteil, S. 100 ff.; andererseits Bötticher, AcP 158, 262 ff. (268); Hellwig, System, 1
2
§ 174 I 2 c (S. 555).
3 Vgl. Osterloh, Prozeß, § 318 (S. 500), für den sächs. Rechtskreis: "Durch die ... Einwendung eines zulässigen Rechtsmittels ... wird ... das Bestehen der angefochtenen Entscheidung in denjenigen Punkten, gegen welche Beschwerdegründe geltend gemacht worden sind, ohne weiteres problematisch und von dem Erfolg des eingewendeten Rechtsmittels abhängig." 4 So anschaulich Kisch, Beiträge, § 7 V (S. 161). Vgl. auch Jellinek, Staatsakt, S. 218 : Die Funktion der Rechtsmittel liegt
72
§ 11 Einfluß der Rechtsmittelentscheidung
gewalt liegt in diesen Formulierungen nicht. Sie erscheinen nur dann überspitzt und überzogen, wenn man sie nicht in den Problemkreis hineinstellt, in den sie gehören, den der Rechtsnatur der Rechtsmittel6 • D. Die sachliche Berufungs- bzw. Beschwerdeentscheidung beseitigt immer das angefochtene Erkenntnis
1. Hält man sich Inhalt und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts vor Augen, so erkennt man, daß die über den Berufungsgegenstand befindende Rechtsmittelentscheidung an die Stelle des erstinstanzliehen Urteils tritt6 • 7 • Diese "Ersetzung" kann man auch als "Konsumtion" 8 des erstinstanzliehen Urteils oder als "Vorrang" des Berufungsurteils bezeichnen. Sachlich liegt in der verschiedenen Benennung kein Unterschied. Ohne Bedeutung ist, ob es sich bei dem Berufungsurteil um ein reformierendes oder das Rechtsmittel als unbegründet zurückweisendes Erkenntnis handelt. Auch das das Rechtsmitin der Beseitigung "bloß vorläufig wirksamer Entscheidungen"; Pfeifer, Diss., S. 96: Die Rechtsmittelinstanz "ignoriert grundsätzlich die Vorentscheidung des Vorderrichters"; R. Schmidt, Lehrbuch, § 122, 2 (S. 774): "Ein Dekret ist erst dann endgültig erlassen, wenn es nicht mehr anfechtbar ist; . .. erst dann vollwirksam .. ."; ähnlich auch Habscheid, NJW 74, 635 f. (636). Für das gemeine Recht siehe auch Wetzen, System,§ 56 (S. 731): "... dem Oberrichter ... ist die Befugniß gegeben, an die Stelle des durch die Appellation suspendirten unterrichterlichen Urteils ein neues bestätigendes oder abänderndes Urteil zu setzen . .. " und S. 759 f.: "das neue (scil.: auch das bestätigende) Urtheil trete ganz in die Stelle des angefochtenen ein". s Daher erscheint die Kritik Gilles', Rechtsmittel, S. 7 f., der in diesen Wendungen offensichtlich eine Abwertung erblickt, nicht verständlich. Wie oben im Text auch Arens, AcP 173, 473 ff. (478): "Gilles übersieht hier, daß die ,gültige, wirksame', mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung eben noch nicht rechtskräftig, endgültig ist, und daß es im Prozeß letzten Endes um ein rechtskräftiges Endurteil geht." Vgl. auch RGZ 158, 195 f. (196): "Jede Entscheidung steht unter der Bedingung einer Bestätigung durch die höhere Instanz, wenn und soweit überhaupt ein Rechtsmittel gegeben ist"- Hervorhebung vom Verfasser-. e So ohne nähere Begründung für das reformierende Rechtsmittelurteil auch Kisch, Beiträge, § 7 V (S. 161): Das erstinstanzliehe Urteil "geht in dem reformierenden Erkenntnis restlos auf" oder § 8 IV 2 (S. 181): " ... die Aufhebung ist also nur die Kehrseite der Verbesserung". Ähnlich für das erfolgreiche Rechtsmittel im sächsischen Rechtskreis auch Osterloh, Prozeß, § 318 (S. 500). 7 Es sei hier noch an die verfehlte Meinung Jauernigs über Zweck und Aufgabe der Berufung erinnert. Jauernig hätte von seiner Fragestellung und Ausgangsposition aus richtigerweise zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die die Berufung zurückweisende Rechtsmittelentscheidung an die Stelle des erstinstanzliehen Urteils tritt; vgl. Jauernig, Zivilurteil, S. 107: "Hat es (ergänze: das Obergericht) über ... den Klageanspruch entschieden, so ist nichts dagegen einzuwenden, daß seine Entscheidung in dem bezeichneten Umfang an die Stelle des angefochtenen Urteils tritt." s So Wurzer, Nichturteil, S. 192.
II. Ersetzung des angefochtenen Anerkenntnisses
73
tel zurückweisende Urteil enthält, eben weil es auf einem neuen9 Verfahren basiert, eine neue Entscheidung über den Klageanspruch10• Die Rechtslage wird nicht mehr durch die Entscheidung der ersten Instanz, sondern durch das Rechtsmittelerkenntnis geregelt. Die Erstentscheidung verliert für die Zukunft jede Bedeutung. Das Rechtsmittelgericht hat die Absicht und die gesetzliche Macht, seine Entscheidung an die Stelle der erstinstanzliehen zu setzen. Keine Rolle spielt es, daß bei einem das Rechtsmittel zurückweisenden Erkenntnis die angefochtene Entscheidung äußerlich unangetastet bleibt und der den Streit entscheidende Ausspruch formell dem Erstrichter zugerechnet wird. Der Grund hierfür liegt in der jedem Rechtsmittel, gleich welcher Rechtsnatur, selbstverständlichen formellen Anknüpfung an die angefochtene Entscheidung. Sachlich ist die Entscheidung nach Erlaß der Rechtsmittelentscheidungdem Zweitrichter zuzurechnen. 2. Daher ist eine ausdrückliche "Aufhebung" oder "Abänderung" des erstinstanzliehen Urteils durch das Berufungsgericht nur feststellender Natur. Der Aufhebungsanordnung im Tenor kommt keine konstitutive Bedeutung zu. Das sachliche Rechtsmittelerkenntnis beseitigt immer die angefochtene Entscheidung11 • Die hierin liegende Aufhebung des erstinstanzliehen Erkenntnisses ist die Konsequenz der sachlichen Rechtsmittelentscheidung, nicht aber ihre Voraussetzung, wie Gilles annimmt. Grundlage dieser Vernichtung ist kein selbständiges Recht auf Aufhebung, sei es gegen die gegnerische Partei oder den Staat gerichtet. Der hier beschriebenen Wirkung liegt kein Rechtsschutzbegehren (nicht einmal im weitesten Sinne) zugrunde. Sie findet ihre Erklärung allein im Prozeßrecht: Die "Totalentscheidung" des prozessualen Anspruchs in der Berufungsinstanz läßt keinen Platz mehr für das erstinstanzliehe Ergebnis, gleich ob es dem zweitinstanzliehen 9 Wenn hier von einem "neuen" Verfahren die Rede ist, so soll damit nicht ausgedrückt werden, daß die einzelnen Instanzen selbständige zusammenhanglose Verfahren über denselben prozessualen Anspruch sind. Ein Rechtsmittel eröffnet keinen neuen Rechtsstreit. Es ermöglicht vielmehr eine neue Entscheidung in einem besonderen, von dem unterinstanzliehen Verfahren äußerlich getrennten Abschnitt des einen einheitlichen Rechtsstreits. 10 Vgl. zum römischen Recht v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeß II, § 116 (S. 711) m. w. N . 11 Zu dem gleichen Ergebnis kommen zwei Entscheidungen des Reichsgerichts, die zu Fragen des Wiederaufnahmerechts ergangen sind. RGZ 75, 53 ff. (60): "Das Urteil der ersten Instanz ist, da das Berufungsgericht' in der Sache selbst erkannt und nicht etwa die Berufung als unzulässig verworfen oder das landgerichtliche Urteil gern. § 539 aufgehoben hatte, durch das Berufungsurteil voll ersetzt und darum von dem allein geltend gemachten Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 b überhaupt nicht betroffen." RGZ 15, 388 f. (389): "Das in der Form der Zurückweisung gekleidete Urteil ... ist ein zweites Urteil in der Sache selbst". - Hervorhebung vom Verfasser-.
74
§ 11 Einfluß der Rechtsmittelentscheid ung
widerspricht oder nicht. Der Rechtsstreit ist allein durch die Hechtsmittelentscheidung "entschieden"12 • Beide Parteien haben die Beseitigung des erstinstanzliehen Erkenntnisses hinzunehmen, weil sie der Gerichtsbarkeit unterworfen sind. Dieses Verständnis mag zunächst überraschend und angreifbar erscheinen, wenn man auf den Wortlaut einer das Rechtsmittel als unbegründet zurückweisenden Entscheidung abstellt. In dem üblichen Ausspruch "die Berufung (Beschwerde) wird zurückgewiesen" liegt äußerlich die Verfestigung der Erstentscheidung13 . Hierbei handelt es sich aber um Äußerlichkeiten, für deren Erklärung es mehrere Gründe gibt. Einmal ist die angefochtene Entscheidung, wie bereits gesagt, formeller Ausgangspunkt des Rechtsmittels14 • Zum anderen ist die in den Fällen der Begründetheit des Rechtsmittels anzutreffende (deklaratorische) Aufhebung ein Gebot der Rechtssicherheit und Klarheit1 5 , wie es insbesondere für das Zwangsvollstreckun gsverfahren zu fordern ist, vgl. § 775 ZPO. 3. Daneben ist anzumerken, daß das Prozeßrecht dem Gedanken eines "automatischen Wegfalls" einer gerichtlichen Entscheidung nicht fremd gegenübersteht. Es sei beispielsweise erinnert an die Klagezurücknahme (§ 271 III 1 2. HS ZPO), an die beiderseitige Erledigungserklärung (§ 91 a ZPO), insbesondere aber auch an den Wegfall eines rechtskräftigen Endurteils, wenn ein Zwischenurteil auf Berufung hin aufgehoben wird; vgl. §§ 275 II, 304 II ZPO. Im letzten Fall ergeht das Urteil zur Hauptsache unter der auflösenden Bedingung, daß das Zwischenurteil bestehen bleibt. Es wird automatisch wirkungslos, wenn ihm durch eine Änderung des Zwischenurteils in der höheren Instanz die Grundlage entzogen wird18• 12
Darauf läßt sich auch schlüssig erklären, daß allein in den Fällen der
§§ 538, 539 ZPO einfach eine "Aufhebung" (und Zurückverweisung an die
erste Instanz) angeordnet ist. Diese Aufhebung ist konstitutiv. Sie muß es auch sein, weil das Berufungsgericht wegen der in §§ 538, 539 ZPO angesprochenen Mängel der Entscheidung es ablehnt, erneut über den prozessualen Anspruch zu urteilen. 18 Die Schwäche einer Argumentation mit dem Wortlaut (wie sie z. B. bei Jauernig, Zivilurteil, S. 106: "der gesamte Prozeß wäre ein Schlag in die Luft" anzutreffen ist) zeigt sich auch daran, daß das Rechtsmittel zurückzuweisen ist, wenn die Begründung des Erstrichters zwar fehlerhaft ist, der Zweitrichter aber mit anderer Begründung zu dem gleichen Ergebnis gelangt; vgl. Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 71 II 2 (S. 258). Instruktiv ist das Urteil des BGH, NJW 64, 1626 Nr. 8: Der BGH wies die Revision gegen ein in der Sache selbst erkennendes Berufungsurteil zurück, obwohl die Klage nach seiner Ansicht wegen der materiellen Rechtskraft einer ausländischen Entscheidung bereits durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen war. 14 Vgl. Brox, ZZP 86, 348 f. (349). 15 Der Lösungsvorschlag wird diesen Postulaten völlig gerecht. 16 Vgl. Schiedermair, JuS 61, 212 ff. (214); Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 275 Anm. IV 1; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 68 V 4 b cc (S. 215). Die Übertragung dieses Gedankens auf das Verhältnis Erst- zur Rechts-
III. Die Gegenmeinung
75
Wenn hier gesagt ist, die erstinstanzliehe Entscheidung verliere für die Zukunft jede Bedeutung, so schließt das nicht aus, daß diese Entscheidung, insbesondere ihr Tenor, Hilfsmittel zur Erläuterung und evtl. Vollstreckung der zweitinstanzliehen Entscheidung ist. Bei einem zurückgewiesenen Rechtsmittel gibt die Entscheidung der ersten Instanz gewissermaßen die äußere Hülle für die Rechtsmittelentscheidung ab.
m. Die herrschende Meinung lehnt -
ausdrücklich oder stUlsdlweigend - diese Auffassung ab
Der hier eingenommene Standpunkt, die sachliche Berufungsentscheidung trete automatisch an die Stelle des erstinstanzliehen Urteils, entspricht nicht der heute herrschenden Ansicht. Von den beiden bereits erwähnten älteren Entscheidungen des Reichsgerichts abgesehen neigen nur noch Bötticher11, Gäbelein18 und vor allem Pfeifer19 diesem Ergebnis zu. In dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens - die hier dargelegte Meinung etwas häufiger anzutreffen20, immer jedoch ohne nähere Begründung. Vertreter der überwiegenden Gegenmeinung sind neben Gilles21 und Jauernig2 2 noch Grunsky 23 , Hellwig24 und Rosenberg I Schwab 25 • Vor allem letztere26 sehen eine ohne Erfolg angefochtene Entscheidung als die sachlich erkennende an und unterscheiden bei einem der Berufung stattgebenden Urteil - wie es der h. M. entspricht - zwischen der kassatorischen (judicium rescindens} und der reformatorischen Entscheidung (judicuim rescessorium}. Rosenberg I Schwab und Hellwig setzen sich mit dieser Meinung in Widerspruch zu anderen Ausführungen. Nach Hellwig ist Zweck der Berufung "die Gewinnung eines Urteils auf Grund einer erneuten Verhandlung" 27 der Sache. Ähnlich mittelentscheidung erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen. Das über den prozessualen Anspruch erster Instanz (sachlich) entscheidende Berufungsurteil ist auflösende Bedingung für den Bestand der Erstentscheidung. 11 Bötticher, AcP 158, 262 ff. (268). 16 Gäbelein, JZ 55, 260 ff. (262), insbesondere für die freiwillige Gerichtsbarkeit. 19 Pfeifer, Diss., S. 36, 95 f. 2° KG, NJW 55, 1074; Josef, Recht 13, 432; Unger, ZZP 41, 181 f. 2 1 Gilles, Rechtsmittel, S. 67 und passim. 22 Jauernig, Zivilurteil, S . 106 f. 23 Stein I Jonas I Grunsky, § 537 Anm. li 2. 24 Hellwig, System, § 238 V 2 (S. 845). 25 Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 137 I a. E. (S. 732). 26 Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, a.a.O., und § 141 III (S. 766). 27 Hellwig, System, § 238 III 2 (S. 842); vgl. auch Stein, Grundriß, § 110 I (S. 307): "Als Ziel gilt, das erste Urteil durch ein zweites zu ersetzen ... ".
76
"§ 11 Einfluß der Rechtsmittelentscheidung
äußern sich auch Rosenberg I Schwab 28 , wenn sie als "Ziel der Berufung ... eine völlig neue Entscheidung des Rechtsstreits ... " in den Vordergrund stellen.
IV. "Überlegungen, welche die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung unterstreichen
1. Eine Streitsache soll nur durch eine einzige Entscheidung geregelt sein Eine sachliche Rechtsmittelentscheidung verlangt zwar nicht notwendig die gleichzeitige Beseitigung des erstinstanzliehen Erkenntnisses im Falle der Zurückweisung des Rechtsmittels. Ein Grundsatz unseres Prozeßrechts lautet aber, daß es nur eine Entscheidung in ein und derselben Streitsache gibt. Es sollen nicht zwei verschiedene Entscheidungen mit evtl. unterschiedlichen Rechtskraftwirkungen gleichberechtigt nebeneinander stehen. Dieser Einmaligkeitsgrundsatz läßt sich an einem Beispiel aufzeigen: Ein zweites (wegen der materiellen Rechtskraft der ersten Entscheidung an sich unzulässiges) 29 Urteil hebt das in einem früheren Verfahren ergangene Urteil auf, wenn beiden Verfahren derselbe Streitgegenstand zugrunde liegt10• Zwar lassen sich beide Fälle nicht unmittelbar vergleichen, da bei dem Beispielsfall ein einem früheren Verfahren widersprechendes Urteil vorausgesetzt wird, während die Zurückweisung eines Rechtsmittels äußerlich eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung beinhaltet. Immerhin zeigt das Erfordernis, Restitutionsklage (§ 580 Ziff. 7 a ZPO) erheben zu müssen, daß die ZPO davon ausgeht, in einer Streitsache soll nur eine einzige Entscheidung unter Vorrang der zuletzt ergangenen ergehen.
2. Die Zuständigkeit im Wiederaufnahmeverfahren, § 584 ZPO Nach § 584 ZPO ist für eine Wiederaufnahmeklage ausschließlich zuständig ... das Berufungsgericht, wenn es das angefochtene Urteil erlassen hat. Nach einhelliger Meinung31 hat das Berufungsgericht das Urteil auch dann "er-
Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 135 I 3 a (S. 725). Vgl. BGH, NJW 64, 1626. 30 Vgl. z. B. RGZ 52, 216; Kahler, ZZP 10, 449 ff. (470); Gaul, Wiederaufnahme, S. 89. 31 RGZ 15, 388 f. (389) für § 547 a. F. = § 584 n. F.; 75, 53 ff. (60); Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 584 Anm. 1 B a; Stein I Jonas I Grunsky, § 584 Anm. III 1 u. 2; Wieczorek, § 584 Anm. B II b 1; Zöller I Karch, § 584 Anm. 1. A. A. ist - folgerichtig - Gilles, Rechtsmittel, S. 186. Unrichtig ist es aber, wenn er ausführt, der Wiederaufnahmekläger müsse nach Verwerfung der Berufung als unzulässig Erst- und Rechtsmittelerkenntnis angreifen. In dem Bestreben, im Wiederaufnahmeverfahren eine Devolutivwirkung nachzuweisen, (a.a.O., S. 185), übersieht Gilles, daß sich die Wiederaufnahme allein gegen diejenige Entscheidung richtet, die von einem Wiederaufnahmegrund betroffen ist. Bezieht sich der Grund auf die Erstentscheidung, so ist nur gegen sie eine Klage anzustrengen (vgl. aber auch § 582 ZPO). Entsprechendes gilt für die Rechtsmittelentscheidung. Im übrigen erscheint der Versuch Gilles', eine Devolutivwirkung in den §§ 578 ff. ZPO nachzuweisen, bereits deswegen wenig glücklich, weil § 584 I 28
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IV. Weitere Gründe
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lassen", wenn es die Berufung sachlich zurückgewiesen hat. Die Klage ist nur dann gegen das Urteil erster Instanz zu richten, wenn der Rechtsmittelrichter die Berufung als unzulässig verworfen oder gern. § 539 ZPO das Ersterkenntnis aufgehoben hat. § 584 ZPO geht also davon aus, daß das die Berufung zurückweisende Urteil die allein beschwerende, anzufechtende Entscheidung ist. Der Erstentscheidung kommt im Wiederaufnahmeverfahren keine Bedeutung mehr zusz. 3. Umfang der materiellen Rechtskraft und letzter Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht Maßgebender Zeitpunkt für den Umfang der materiellen Rechtskraft ist der Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung33• Da die Berufungsinstanz Tatsacheninstanz ist, vgl. §§ 525, 529 ZPO, richtet sich der Umfang der materiellen Rechtskraft nach dem bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz festgestellten Sachverhalt. Aus diesem Grunde kann die Zurückweisung des Rechtsmittels der Berufung und der Beschwerde sich sachlich nicht in der Bestätigung der erstinstanzliehen Entscheidung erschöpfen. Die materielle Rechtskraft knüpft nämlich nicht an die Grundlagen des Urteils erster Instanz, sondern an den Sachverhalt an, wie er im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung- oder was dem gleichsteht34 - dem Gericht vorgelegen hat. Der Umfang der materiellen Rechtskraft eines Berufungsurteils ist immer ein anderer als der einer erstinstanzliehen Entscheidung. Das gilt nicht nur, wenn in der Rechtsmittelinstanz neue Tatsachen vorgetragen werden, sondern auch dann, wenn sich der Sachverhalt nicht verändert hat. Im letzten Fall ist der Umfang der materiellen Rechtskraft insoweit ein anderer, als die zeitlichen Grenzen verschoben sind. Bei einem verurteilenden Erkenntnis zweiter Instanz stellt beispielsweise die materielle Rechtskraft das Bestehen des Klageanspruchs zu einem späteren Zeitpunkt fest. Die Rechtsmittelentscheidung hat also immer eine andere Rechtskraftwirkung als das angefochtene Erkenntnis erster Instanz sie hätte35 • Auswirkungen dieses Unterschiedes zeigen ZPO sogar Fälle kennt, in denen nach sachl. Revisionsentscheidung die Klage bei dem Berufungsgericht anhängig zu machen ist (Grund: Der Restitutionsgrund betrifft die Tatsachenfeststellung). 3 2 Vgl. auch die Entscheidungsauszüge zu RGZ 15, 388 ff. (389) und 75, 53 ff. (60) oben Fn. 24. 33 Unstreitig; vgl. statt aller Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 73 I (S. 235). 34 Entscheidender Zeitpunkt für das Beschwerdeverfahren, soweit keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, ist der Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung. Entscheidungsgrundlage ist der gesamte schriftliche Akteninhalt; vgl. Thomas I Putzo, § 570 Anm. b. 35 So auch A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 102 I 2 (S. 543); vgl. auch Bötticher, AcP 158, 262 ff. (268).
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§ 11 Einfluß der Rechtsmittelentscheidung
sich auch bei der Vollstreckungsgegenklage, die nicht auf Einwendungen gestützt werden kann, die vor dem Ende der mündlichen Tatsachenverhandlungentstanden sind,§ 767 Abs. 2 ZPO.
4. Die Meinung, die die objektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft einer bestätigten Entscheidung an Hand der Gründe der Rechtsmittelentscheidung bestimmt Zur Stützung des hier vertretenen Standpunkts von dem automatischen Wegfall der Erstentscheidung ist noch auf die Meinung hinzuweisen, die bei Unbegründetheit des Rechtsmittels Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der bestätigten (erstinstanzlichen) Entscheidung an Hand der Gründe der Rechtsmittelentscheidung bestimmt38• Ihr ist aber vorzuwerfen, daß sie auf halbem Wege stehen bleibt. Denn letztlich läßt sie nur37 den Ausspruch, den Tenor der Erstentscheidung, unberührt.
5. Die hier vertretene Lösung läßt sich mit den Grundsätzen des Vollstreckungsrechts und des Bestandsschutzes von Hoheitsakten vereinbaren a) Bedenken gegen die Richtigkeit der Lösung, die sachliche Rechtsmittelentscheidung trete an die Stelle der erstinstanzliehen Entscheidung, könnten aus vollstreckungsrechtlicher Sicht bestehen. Beispiel: Der Kläger hat in erster Instanz ein Urteil auf Zahlung von DM 1000,- erlangt, aus dem er die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Beklagten betrieben hat. Die Berufung des Beklagten ist zurückgewiesen worden. Der ZPO ist ein Austausch von Vollstreckungstiteln unbekannt. Wird ein Urteil, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben wird, aufgehoben, so sind gern. §§ 775 Ziff. 1, 776 ZPO die Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben. Die Aufhebung der bestimmten Vollstreckungsmaßnahme bewirkt den Verlust des Pfändungspfandrechts. Eine erneute Pfändung hätte also evtl. einen schlechteren Rang als die Erstpfän38 Vgl. BGHZ 7, 174 ff. (183 f.) und 23, 1 ff. (2 f., 9). In dem zuletzt erwähnten Urteil hat der BGH den Umfang der materiellen Rechtskraft einer (in einem Vorprozeß ergangenen) Entscheidung an Hand der Gründe der Berufungsentscheidung bestimmt. Ähnlich OLG Bamberg, NJW 56, 227 f. (228), das Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung an dem die (sofortige) Beschwerde zurückweisenden unanfechtbaren Rechtsmittelerkenntnis mißt. Unrichtig (vgl. oben Fn. 20), von seinem Rechtsmittelverständnis her aber konsequent Jauernig, Zivilurteil, S. 110, der eine Aufhebung des angefochtenen Urteils und eine neue Entscheidung (also keine Bestätigung) verlangt, wenn das Rechtsmittel zwar das Ergebnis, den Inhalt des Tenors "bestätigt", die rechtskraftfähige Entscheidung, die tragenden Gründe, aber verändert. 37 "Nur" deshalb, weil der Tenor lediglich das formalisierte Ergebnis der gerichtlichen Subsumtion ist, dessen es zur Verdeutlichung des Entscheidungsinhalts für Parteien und Vollstreckungsorgane bedarf.
IV. Weitere Gründe
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dung38• Sollte in dem Beispielsfall die hier vertretene Meinung von dem Wegfall der erstinstanzliehen Entscheidung zu dem beschriebenen vollstreckungsrechtlichen Ergebnis führen, so wäre der Prozeß in einer Vielzahl von Fällen in der Tat ein "Schlag in die Luft" und hätte zu einem widersinnigen Ergebnis geführt39 • Abgesehen davon, daß die Aufhebung der Vollstreckungsmaßregel gern. §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ausdrücklich40 angeordnet sein muß, was durch den das Rechtsmittel zurückweisenden Tenor des Obergerichts nicht geschieht, greift das aufgezeigte Bedenken auch sachlich nicht durch. Der Leistungsbefehl, die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von DM 1000,-, ist immer bestehen geblieben. Die Beseitigung des erstinstanzliehen Urteils ist, wie oben erklärt, als Konsequenz der erneuten Entscheidung über den prozessualen Anspruch erfolgt. Der früher dem Erstgericht zugeordnete Leistungsbefehl wird nunmehr automatisch dem Obergericht zugerechnet, was sich zwanglos mit der "Einheitlichkeit" des Verfahrens in den verschiedenen Instanzen begründen läßt. b) Ein anderer Zweifel könnte sich aus dem Gesichtspunkt des bereits oben erwähnten "Bestandsschutzes von Hoheitsakten" ergeben. Die hier vertretene Meinung gerät jedoch nicht mit dem Satz in Konflikt, daß gesetzmäßig zustande gekommene Hoheitsakte tunliehst aufrecht zu erhalten sind41 • Wegen der Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen und der damit verbundenen Veränderung der Entscheidungsgrundlage unterliegt die erstinstanzliehe Entscheidung auch dann der Aufhebung, wenn der Erstrichter auf Grund des vorgetragenen Sachverhalts richtig entschieden hat. Die Rechtsmittel der Berufung und der Beschwerde sind eben mehr als eine bloße "Urteilsschelte". Daher enthält, der gesetzlichen Systematik nach, die Beseitigung der erstinstanzliehen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht keinen Vorwurf gegenüber dem Erstrichter, sondern ist eine Konsequenz des durch die Berufung in Gang gesetzten Rechtsmittelverfahrens. 6. Der Wortlaut des§ 343 S. 1 ZPO berührt den Lösungsvorschlag nicht
Weitere Bedenken könnte man unter Hinweis auf§ 343 S. 1 ZPO anmelden. Danach ist das Versäumnisurteil "aufrecht zu erhalten, wenn das auf Grund der neuen Verhandlung zu erlassende Endurteil im Ergebnis mit dem Versäumnisurteil übereinstimmt". Aus dieser Formulierung könnte man folgern, Ähnliches müsse für die Rechtsmittelentscheidung gelten. Auch unter voller Berücksichtigung der Tatsache, 38 Vgl. Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 776 Anm. 5 B; Rosenberg, Lehrbuch (9. Aufl.), § 187 II 4 (S. 989); KG, MDR 66, 515 Nr. 80. ae So Jauernig, Zivilurteil, S. 106. 4° Charakteristisch für die sog. formalisierte Zwangsvollstreckung. 41 Vgl. hierzu Bettermann, Gedächtnisschrift J ellinek, S. 361 ff. (380); Bötticher, Rechtskraft, S. 9 ff.; Grunsky, Grundlagen, § 45 (S. 397 ff.); Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 61 (S. 308 ff.).
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§ 12 Die Beschwerde als Klage
daß der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil kein Rechtsmittel ist42 , mutet es sonderbar an, daß in§ 343 ZPO nicht von einer Zurückweisung des Einspruchs, sondern von Aufrechterhaltung der früheren Entscheidung die Rede ist. Ein Teil der Rechtsprechung und der Literatur spricht dieser Formulierung jede sachliche Bedeutung gegenüber einer "Zurückweisung des Einspruchs" ab und bezeichnet § 343 S.l ZPO als bloße Formvorschrift43 • Andere weisen wegen der unterschiedlichen Ausdrucksweise darauf hin, daß der Einspruch keine Anfechtung und kein Begehren auf Nachprüfung des Versäumnisurteils enthalte und demgemäß nicht wie ein Rechtsmittel zurückgewiesen werden könne44 • Folgt man diesen Meinungen, so sind sie nicht imstande, den hier vertretenen Standpunkt zu erschüttern. Auch eine dritte Meinung45 , der der Verfasser zuneigt, spricht nicht gegen das hier dargestellte Verständnis des Rechtsmittels. Danach hat der Gesetzgeber deswegen den in § 343 ZPO verwandten Ausdruck gebraucht, weil der Einspruch gegen das Versäumnisurteil die Geständnisfiktion des § 331 ZPO durch die Zurückversetzung gern. § 342 ZPO beseitigt habe. Damit habe der Einspruch kraft Gesetzes einen Erfolg verwirklicht, der nicht wegzudenken sei. Eine "Zurückweisung des Einspruchs" stünde im Widerspruch zu dieser bereits eingetretenen Wirkung41 • § 12 Die Meinung, die die einfache Beschwerde dem "Klageprinzip" zurechnet, verstößt gegen geltendes Recht I. Vertreter und Darstellung dieser Ansicht
Das hier vertretene Ergebnis steht und fällt mit der Meinung von der Rechtsmitteleigenschaft der Beschwerde, zumal der einfachen. Neuerdings hat Jürgen Blomeyer diesen Ausgangspunkt in Zweifel gezogen1 • Er versteht die Beschwerde nicht in allen Fällen als Rechtsmittel, sondern schreibt ihr zwei verschiedenartige Aufgaben zu, die sich schlag42 Vgl. aber Gilles, Rechtsmittel, S. 133 ff., der den Einspruch den Rechtsmitteln gleichstellt. 43 RG, JW 92, 370 Nr. 4: "eine formelle, die Fassung des Urteils betreffende" ... Vorschrift; Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 343 Anm. 1 A. Für diese Ansicht könnte auch § 421 BPO (von 1850) sprechen, der keinen Unterschied zwischen einer "die Berufung zurückweisenden oder das angefochtene Erkenntnis bestätigenden" Entscheidung macht. 44 RGZ 167, 293 ff. (296). 45 Münzberg, Versäumnisverfahren, S. 84 f. 41 Für diese Meinung spricht § 532 ZPO, der die Wirkungen eines (auch fingierten) Geständnisses für die Berufungsinstanz fortwirken läßt. Aus diesem Grund muß die Geständnisfiktion des § 331 I ZPO beseitigt bleiben. 1 J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 21 - 41, insbes. S. 21 ff. und 38 ff.
I. Die Vertreter
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wortartig mit "Klage- oder Rechtsmittelprinzip" kennzeichnen lassen. Zweck der Verfahrensform "Rechtsmittel" sei es, Rechtsprechung fortzusetzen. Ein Rechtsmittel verlange notwendig das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung, eines Rechtsprechungsakts 2 • Anders die Rechtsschutzform "Klage". Auch soweit diese auf Anfechtung eines Hoheitsakts gerichtet sei, setze sie keine "Rechtsprechung" fort, sondern leite sie erst ein3 • Entscheidend für die Einordnung des Rechtsbehelfs in das Schema der Klagen oder der Rechtsmittel sei die Ausbildung der Struktur des zu dem anzufechtenden Hoheitsakt führenden Verfahrens. Um einen Rechtsprechungsakt handele es sich, wenn sich zwei Parteien in einem Streitverfahren gegenüber gestanden hätten. Das folge aus der Funktion der Rechtsprechung, Streitentscheidungen über Rechtsverhältnisse zu fällen 4 • Dem Erfordernis des formellen Zweiparteienstreitverfahrens sei erst Genüge getan, wenn der Gegner vor der Entscheidung über das Begehren des Antragstellers Einwendungen habe erheben dürfen, allgemeiner gesagt, wenn das Prinzip des rechtlichen Gehörs gewahrt gewesen sei. Damit zählt J. BZomeyer die einfache5 Beschwerde, da sie regelmäßig nicht gegen eine in einem Streitverfahren ergangene Entscheidung gerichtet ist, nicht zu den Rechtsmitteln. Sie erscheine bloß als Rechtsmittel, tatsächlich löse sie ein neues, vom Betroffenen einzuleitendes Verfahren aus und diene dazu, "Verwaltung" in "Rechtsprechung" zu überführen. Anders als beim Urteil liege das Schwergewicht der in J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 27, 29. Gegen diese Aufteilung der Anfechtungsmittel in "Klagen" und "Rechtsmittel" ganz entschieden Gilles, Rechtsmittel, S. 116, der die Rechtsmittel immer als prozessuale Gestaltungsklagen versteht. 3 J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 28; vgl. auch Bettermann, DVBl. 53, 163 ff., 202 f. (203). - Das ist sicherlich richtig. 4 J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 29 m. w. N. in Fn. 54. 5 Die sofortige Beschwerde sieht J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 41, als Rechtsmittel an, weil "sie wohl durchweg . . . an Stelle eines Urteils steht". M. E. enthält diese Begründung ein wenig taugliches Abgrenzungskriterium zwischen einem Rechtsmittel und anderen Rechtsbehelfen. Es sei auf § 46 II ZPO hingewiesen, wonach gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs die sofortige Beschwerde gegeben ist. Nach der Meinung J. Blomeyers sicherlich keine Streitentscheidung I Es sei auch an die Bestrebungen in dem Entwurf 1970 erinnert, den Kreis der mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren Beschlüsse auf Kosten der einfachen Beschwerde zu vergrößern: Der Entwurf sieht vor, die Beschwerden gegen Beschlüsse nach §§ 380, 390 und 409 ZPO in sofortige Beschwerden umzuwandeln; vgl. Art. 1 Ziff. 48 - 50 des Entwurfs 1970. Diese Änderung soll schuldhafte Verzögerungen des Prozeßverlaufs ausschließen; Entwurf 1970, S. 33. Ein Gesichtspunkt, der in der Argumentation J. Blomeyers nicht anzutreffen ist. In sachlicher Hinsicht würde die Befristung der Beschwerde an dem Entscheidungsgegenstand nichts ändern. 2
6 Ratte
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§ 12 Die Beschwerde als Klage
den Beschlüssen geregelten "Prozeßverwaltungsakte" in dem Verhältnis Parteien- Gericht. Im Verhältnis der Parteien untereinander sei der mit der Beschwerde anfechtbare Beschluß häufig neutral und beinhalte für keine der Parteien eine typische Gunst oder Ungunst. Aus diesem Grunde neigt J. Blomeyer dazu, die Beschwerde "als eine Klage gegen das handelnde Organ, den Richter, anzusehen" 8 • Überträgt man diese Erkenntnisse auf das hier herausgestellte Problem der Arbeit, so vermag eine unbegründete Beschwerde den Bestand des erstinstanzliehen Beschlusses niemals zu berühren. Die Beschwerde würde sich als ein neues, erfolgloses Klageverfahren darstellen. D. Auseinandersetzung mit dieser Meinung
1. Diese Ansicht verstößt gegen geltendes Recht Mit dieser Auffassung der Rechtsnatur der (einfachen) Beschwerde knüpft J. Blomeyer an die Beschwerde des gemeinen Rechts, die querela simplex, an. Diese war kein Rechtsmittel. Das gemeine Recht kannte als Rechtsmittel nur die Behelfe, die sich gegen Rechtsverletzungen richteten, durch die eine Partei in ihrem Verhältnis zur anderen Partei benachteiligt wurde7• Damit setzte man also immer voraus, daß die Entscheidung das Streitverhältnis selbst berührte und damit dem Gegner ein Recht streitig machte8 • Die ZPO gab diese Rechtsmittelvoraussetzungen auf und zog die Beschwerde ausdrücklich in den Kreis der Rechtsmittel ein°. Damit ist zur Bejahung der Rechtsmitteleigenschaft nicht mehr erforderlich, daß die angefochtene Entscheidung das Streitverhältnis der Parteien berührt. J. Blomeyer ist entgegenzuhalten, daß s#ne Meinung gegen geltendes Recht verstößt. Das Gesetz bewertet die einfache Beschwerde - unabhängig von dem Entscheidungsgegenstand des anzufechtenden Beschlusses - als Rechtsmittel. Damit sind Versuche, die einfache Beschwerde aus dem Kreis der Rechtsmittel "herauszubrechen", notwendig zum Scheitern verurteilt10• 8 J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 41. Früher bereits Planck, Lehrbuch, Bd. 2, §§ 153, 155 I (S. 538 ff., 548); Seuffert, § 573 Anm. 1; OLG Dresden, OLGE 40, 387. 7 Siehe oben § 4 II.2. 8 Vgl. Bayer, Vorträge, S. 1005 und 1007; Gönner, Handbuch, S. 119; Wetzell, System, § 61 (S. 813). 8 Vgl. C. Hahn, Materialien,§ 11 (S. 139). 10 Vgl. Schoetensack, Festschrift Burckhard, S. 249 ff. (S. 252 ff.).
li. Ablehnung des Klageprinzips
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2. "Rechtsprechung" und "Verwaltung" sind ungeeignete Abgrenzungskriterien Keine Rolle spielt es, ob die Erstentscheidung auf einseitigen Antrag ohne Anhörung der Gegenseite ergangen ist. Auch dann ist die Beschwerde (echtes) Rechtsmittel, sowohl für den Antragsteller bei Abweisung wie auch für den Gegner, wenn das Gericht dem Antrag stattgegeben hat. In beiden Fällen wird das Verfahren über die in dem angegriffenen Beschluß geregelte Frage fortgesetzt. In den Ausführungen J. Blomeyers, die Beschwerde leite "Rechtsprechung" ein11, zeigt sich ein Bruch. Bei einer Vielzahl von Beschwerden ist nicht ersichtlich, wie es überhaupt zum Beginn der "Rechtsprechung" kommen soll12 • Beispiel: Ein Antrag, gleich welchen Inhalts, wird ohne Gehör der Geietlpartei durch Beschluß zurückgewiesen. Gleiches widerfährt der Beschwerde, weil sie offensichtlich unbegründet ist. Inwiefern soll hier die Beschwerde, "Verwaltung" in "Rechtsprechung" übergeführt haben können im Sinne J. Blomeyers? Oder gilt dieser Satz nur für Beschlüsse, die der Gegenpartei ungünstig sind und von ihr daher bekämpft werden? Alle diese Fragen läßt J. Blomeyer unbeantwortet. Im übrigen zeigt folgender Gedanke, daß es nicht auf die Unterscheidung "Verwaltung" und "Rechtsprechung" ankommen kann, wenn man die Beschwerde in ein Schema "Klage" oder "Rechtsmittel" einzuordnen versucht. Um ein Rechtsmittel im Sinne der ZPO-Vorschriften handelt es sich immer, wenn dem überprüfenden Organ in bezug auf den Streitgegenstand der Vorinstanz inhaltlich die gleiche Prüfungsund Entscheidungsbefugnis wie dem Erstrichter zusteht. Es kommt nicht auf die "Wichtigkeit" oder die "Qualität" des Entscheidungsgegenstandes oder auf die konkrete Handhabung der Prozeßvorschriften und -grundsätze an. Ist das Verfahren aus dem zuletzt genannten Grunde beanstandbar, so rechtfertigt dieser Umstand ein Rechtsmittel. Jedenfalls hängt die Frage, ob ein Rechtsbehelf ein Rechtsmittel ist, nicht davon ab, daß gewisse prozessuale Grundsätze (z. B. der Grundsatz des rechtlichen Gehörs) eingehalten sind. Will man die Prozeßverwaltungstätigkeit der Gerichte nicht als "Rechtsprechung" bezeichnen, so muß man den Rechtsmittelbegriff entsprechend einschränken. Die ZPO stellt ersichtlich nicht auf das Erfordernis "Rechtsprechung" ab, wie sie J. Blomeyer versteht. Sehr deutlich zeigt ein Blick in das Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht das Problem auf: u J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 40. Bei den hier angesprochenen Fällen handelt es sich um die wirtschaftlich bedeutsamsten Entscheidungen (vgl. den Eingangsfall), die der einfachen Beschwerde unterfallen. 12
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§ 12 Die Beschwerde als Klage
Die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt ist kein Rechtsmittel. Das Verwaltungsgericht hat nicht dieselbe Entscheidungsbefugnis wie die beklagte Behörde. Es stellt keine Zweckmäßigkeitsüberlegung an, sondern beurteilt den Verwaltungsakt nur unter dem Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit, vgl. § 113 I VwGO. Neben diesem Gesichtspunkt spricht noch gegen eine Gleichsetzung der Anfechtungsklage mit den Rechtsmitteln der Umstand, daß die entscheidende Verwaltungsbehörde in die Rolle des Beklagten versetzt wird. Demgegenüber kann der Widerspruch (§ 68 VwGO) den Rechtsmitteln funktional gleichgestellt werden. Die Widerspruchsbehörde entscheidet neu und selbständig über den Sachverhalt. Ihr stehen dieselben Überlegungen wie der Unterbehörde zu, vgl. § 68 VwGO. 3. Ein RechtsmitteL setzt keine "Streitentscheidung" voraus
Ein Prozeß ist von seiner Natur her auf den Kampf zweier Prozeßparteien angelegt. Jedoch gilt das nicht für alle Verfahrensarten und -abschnitte in dieser strengen Form13 • Das zeigt schon ein Blick auf den EingangsfalL Der Arrestschuldner hat sachlich mit dem Verfahren (noch) "nichts zu tun", wenn das Arrestgesuch durch Beschluß zurückgewiesen wird, vgl. § 922 III ZPO. Er ist nur nominal, im Rubrum des Beschlusses, als Gegner aufgeführt. Nicht einmal nominal ist eine Gegenpartei vorhanden, wenn das Gericht in einem Beweissicherungsverfahren davon absieht, für einen nicht bekannten Gegner einen Vertreter zu bestellen, § 494 II ZPO. Daneben sei noch an die Fälle erinnert, in denen die Partei zwar an dem Verfahren beteiligt ist, sachlich aber nicht "Gegen"partei, sondern darüber hinaus häufig gar gemeinsam mit dem Gegner gegen das Gericht streitet14 • Derartige Verfahrenslagen kommen nicht nur bei Angriffen auf Beschlüsse, sondern auch bei solchen auf Urteile vor, bei denen es im übrigen auf das von J. BLomeyer herangezogene Merkmal des rechtlichen Gehörs nicht ankommt.
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Beispiel: Das Gericht weist eine im Gerichtsstand der Vereinbarung (§ 38
ZPO) erhobene Klage als unzulässig ab, weil es - entgegen der Meinung beider Parteien - von einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit (§ 40 II ZPO) ausgeht. Der Kläger legt gegen das Urteil Berufung ein mit dem Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung.
13 Ähnlich Brüggemann, ZZP 81, 458 ff. Vgl. auch § 1566 II BGB i. d. F. des Artikels 1 Nr. 14 des Entwurfs 1. EheRG. Danach sollen die Ehegatten zukünftig übereinstimmend die Scheidung ihrer Ehe begehren können. Ein derartiger Scheidungsprozeß ist kein echtes Streitverfahren im herkömmlichen Sinne. 14 Entgegen J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 41, liegt keine Klage gegen den Richter vor. Vielmehr handelt es sich um die Durchsetzung des beiden Parteien zustehenden Rechts auf ordnungsmäßige Gestaltung des Verfahrensablaufs und richtige Sachentscheidung. Die "Einseitigkeit" ist kein Wesensmerkmal der Beschwerde; vgl. auch Stein I Jonas I Grunsky, Vorbem. I 1 vor§ 567.
I. Der Rechtsmittelgegenstand
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Will der Beklagte keine Instanz verlieren, kann er keinen Gegenantrag stellen. Damit kommt es zu einer "einseitigen" Verhandlung über die Zuständigkeit des angegangenen Gerichts. Ist das Rechtsmittel erfolgreich, so hat die Partei die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, die letztlich in der Sache unterliegt. Dieser Fall zeigt, daß die ZPO die "neutralen" oder auch "einseitigen" Entscheidungen nicht anders als die streitentscheidenden bewertet. Damit verbietet das Gesetz schlüssig, derartige Erkenntnisse besonderen Regeln zu unterstellen15•
§ 13 Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit einer Wiederholung der Beschwerde I. Unterscheidung zwischen prozessualem und sachlichem Rechtsmittelgegenstand
Letztlich bleibt festzustellen, in welchen Fällen die Entscheidungsgrundlage in der Rechtsmittelinstanz wiederhergestellt wird und damit die Beschwerdeentscheidung an die Stelle des erstinstanzliehen Erkenntnisses tritt. Eine Entscheidung über den sachlichen Streitgegenstand1 ergeht erst dann, wenn sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen des in Frage stehenden Verfahrensganges gegeben sind. Der Rechtsmittelrichter hat vor einer sachlichen Entscheidung zunächst das Vorliegen des prozessualen Rechtsmittelgegenstandes zu prüfen, d. h. festzustellen, ob das Rechtsmittel statthaft und zulässig ist, vgl. §§ 519 b I 2, 554 a I 2, 574 S. 2 ZPO. Von dem prozessualen Rechtsmittelgegenstand ist der sachliche Rechtsmittelgegenstand zu unterscheiden. Prozessualer und sachlicher Rechtsmittelgegenstand stehen- projiziert auf die erste Instanz- in demselben Verhältnis zueinander wie Zulässigkeit und Begründetheit der Klage2 • Damit sind im Rechtsmittelverfahren zunächst die Zulässigkeitsvoraussetzungen (prozessualer Rechtsmittelgegenstand), erst dann die Begründetheit des Rechtsmittels zu untersuchen (sachlicher Rechtsmittelgegenstand). Inhalt und Umfang des sachlichen RechtsmittelVgl. auch Brüggemann, ZZP 81, 458 ff. (469). Wie man ihn auch immer verstehen mag; zum Streitstand vgl. Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 44 III (S. 129 ff.). 2 Wenn man mit der heute noch h. M. den absoluten Prüfungsvorrang von Zulässigkeits- vor Begründetheitsvoraussetzungen in erster Instanz bejaht; a. A. Rimmelspacher, Prüfung, S. 77 ff. Eine Auseinandersetzung mit den hierzu vertretenen Thesen - zum Stand der Meinungen vgl. Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 41 VI 1-4 (S. 111 ff.) - erübrigt sich, weil dieser absolute Prüfungsvorrang von Zulässigkeitsvoraussetzungen bei den Rechtsmitteln nahezu uneingeschränkt anerkannt ist; anders aber OLG Köln, NJW 74, 1515. Das OLG verkennt, daß eine Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig (Verwerfung) andere Wirkungen als eine Zurückweisung als unbegründet hat. 15
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§
13 Die Zulässigkeit
gegenstandes ergeben sich aus der Aufgabe des konkreten Rechtsmittels. Die Rechtsmittel der Berufung und der Beschwerde entscheiden erneut über den prozessualen Anspruch erster Instanz. Damit erstreckt sich der Streit in der Rechtsmittelinstanz auf den Gegenstand des erstinstanzliehen Streites, so daß Zulässigkeit und Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs zu prüfen sind. Entscheidet nun der Rechtsmittelrichter in der Sache, so ist der prozessuale und sachliche Streitgegenstand erster Instanz Gegenstand seiner Rechtsmittelentscheidung3 • Wird das Rechtsmittel als unzulässig verworfen, so liegt darin nur eine Entscheidung über den prozessualen Rechtsmittelgegenstand, also über die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels. Dann scheidet wegen des absoluten Vorrangs der Zulässigkeitsvoraussetzungen eine Erneuerung der Entscheidungsgrundlage aus. Damit kommt es nicht zu einer neuen Entscheidung der Streitsache mit der Konsequenz, daß die das Rechtsmittel verwerfende Entscheidung die Entscheidung des Erstgerichts nicht tangieren kann. Die Erstentscheidung bleibt wirksam und regelt die Rechtslage. D. Ergebnis
1. Eine unzulässige Beschwerde kann unter Vermeidung ' des prozessualen Mangels wiederholt werden. Bei der sofortigen Beschwerde ist die zweiwöchige Notfrist zu beachten Hat das Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen (verworfen), so hat die Beschwerdeentscheidung die erstinstanzliehe Entscheidung nicht berührt. Deren Wirkungen bestehen fort. Die Wiederholung der Beschwerde ist danach zulässig, wenn der Beschwerdeführer den früheren prozessualen Fehler vermeidet, Sie ist jedoch nicht zulässig (genauer gesagt: nicht statthaft), wenn das Beschwerdegericht die frühere Beschwerde als "unstatthaft" verworfen hat. Eine Verwerfung mit diesem Inhalt versagt bindend den geltend gemachten Rechtsschutzanspruch und steht einem erneuten Rechtsschutzgesuch gleicher Art entgegen. Für die Fälle der sofortigen Beschwerde ist zu beachten, daß die Beschwerde nur innerhalb der zweiwöchigen Notfrist des§ 577 II 1 ZPO wiederholt werden kann.
3 Vgl. A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 101 II 1 (S. 541); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 81 II (S. 258).
II. Ergebnis zur Wiederholung der Beschwerde
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2. Eine Wiederholung der Beschwerde nach sachlicher Entscheidung des Rechtsmittelgerichts scheidet ausnahmslos aus a) Eine Änderung des Sachverhalts ist ohne Einfluß Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß die Meinungen, die die Unzulässigkeit der Wiederholung der Beschwerde mit der formellen Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung bzw. mit dem Verlust des Beschwerderechts begründen, abzulehnen sind. Eine Wiederholung der Beschwerde scheidet deswegen aus, weil eine erstinstanzliehe Entscheidung nicht mehr vorhanden ist. Mit anderen Worten: Sie ist mangels Anfechtungsobjektes unstatthaft4 • Daraus folgt zwingend, daß eine Wiederholung der Beschwerde auch mit neuen Gründen nicht möglich ist. b) Unerheblich ist es, ob die (erste) Beschwerde ganz oder nur teilweise erfolglos gewesen ist Damit steht auch das Ergebnis für den Fall fest, daß die Beschwerde nur teilweise begründet gewesen ist. Die Beschwerdeentscheidung tritt ganz an die Stelle des unterinstanzliehen Beschlusses und macht eine Wiederholung des Rechtsmittels unmöglich. c) Der Beschwerdegegner kann keine Beschwerde (mehr) einlegen Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, daß es dem Gegner des Beschwerdeführers verwehrt ist, Beschwerde einzulegen. 4 Der Beschluß des OLG Frankfurt vom 13. März 1974, OLGZ 74, 302 ff. (305), ist ein Beispiel dafür, welche Schwierigkeiten die herrschende Meinung hat, zu einem richtigen Ergebnis zu kommen: Das AG teilte seinen Beschluß vom 27. 2. 1970, durch den es den Widerspruch des Schuldners gegen die Verpflichtung zur Abgabe des Offenbarungseides zurückgewiesen hatte, dem Schuldner entgegen § 329 Abs. 3 ZPO nur formlos mit. Das LG wies die sofortige Beschwerde des Schuldners (als unbegründet) zurück; das OLG verwarf die weitere Beschwerde gern. § 568 Abs. 2 ZPO. Ende Dezember 1972 stellte das AG seinen Beschluß vom 27. 2. 1970 dem Schuldner zu. Die wiederholte sofortige Beschwerde und die weitere Beschwerde wurden zurückgewiesen. Das OLG meint, der Beschluß vom 27. 2. 1970 sei im Zeitpunkt der Einlegung der erneuten Beschwerde - Anfang 1973 - noch nicht rechtskräftig gewesen. Im Anschluß an Baumgärtel, JZ 59, 437 f., stellt es fest, daß das Anfechtungsrecht des Schuldners durch die frühere sachliche Überprüfung verbraucht worden sei. Der Beschwerdeführer solle nur einmal die Möglichkeit haben, eine Entscheidung auf ihren sachlichen Gehalt hin zu überprüfen. "Alles andere wäre ein Leerlauf ohne Sinn .. .". Zu der Entscheidung soll nur so viel gesagt werden: Das AG selbst konnte seinen Beschluß vom 27. 2. 1970 nicht ändern, §§ 793, 577 Abs. 3 ZPO. Nach Auffassung des OLG steht dem Schuldner kein Beschwerderecht mehr zu. Damit wäre der amtsgerichtliche Beschluß, wenn es ihn noch gäbe (!), nach allen zur formellen Rechtskraft vertretenen Meinungen (vgl. unten zu § 15) rechtskräftig. Mit diesem Ergebnis läßt sich nicht vereinbaren, daß Anfang 1973 die Rechtsmittelfrist noch gelaufen haben soll.
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§ 13 Die Zulässigkeit
Beispiel: Ein erstinstanzlicher Beschluß ist für beide Parteien beschwerend. Wenn nur der Antragsteller Beschwerde einlegt, die das Beschwerdegericht zurückweist, so ist ab Erlaß der Beschwerdeentscheidung der Antragsgegner ebenfalls gehindert, Beschwerde einzulegen. Zwar bewirkt der Erlaß des sachlichen Beschwerdeerkenntnisses nach der Meinung von dem Wegfall der erstinstanzliehen Entscheidung den Verlust des gegnerischen Rechtsmittels. Dieser Untergang der vormals zulässigen Beschwerde benachteiligt aber nicht den Beschwerdegegner. Da dieser zur Beschwerde des Rechtsmittelführers zu hören ist, er also Kenntnis von ihr erlangt, kann er sich schlüssig werden, ob er selbst Beschwerde oder Anschlußbeschwerde erheben will oder nicht. Unerheblich ist hierbei, daß diese Lösung die UnbefristetheU der einfachen Beschwerde einschränkt. Der mit der UnbefristetheU bezweckte Sinn ist nicht mehr zu erreichen, wenn eine der anfechtungsberechtigten Parteien ein Rechtsmittel eingelegt hat. Denn bereits diese (eine) Beschwerde verpflichtet die höhere Instanz im Rahmen der Anträge die Streitfrage erneut und umfassend zu entscheiden. 3. Zum Eingangsfall
Eine Wiederholung der Beschwerde, gleich ob mit neuen Gründen oder nicht, scheidet aus. Eine erneute Beschwerde ist unstatthaft.
Dritter Teil
Die Gegenvorstellung § 14 Der Meinungsstand zur Zulässigkeit der Gegenvorstellung I. Vorbemerkung
Die in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten, insbesondere zu den auf einfache Beschwerde ergangenen Entscheidungen, sind mitunter schwierig einzuordnen1 • Die jeweiligen Stellungnahmen sind einmal positiv, zum anderen negativ gefaßt, darüber hinaus oft noch widersprüchlich2 • Auch läßt sich häufig nicht feststellen, ob Beschlüsse angesprochen sind, die der sofortigen oder der einfachen Beschwerde unterliegen. Daneben wird in einigen Fällen nicht zwischen unanfechtbaren erstinstanzliehen Beschlüssen und Rechtsmittelerkennt nissen unterschieden3 • Bei der Erörterung der Abänderbarkeit der letztinstanzliehen Beschwerdeentscheidun g differenziert man regelmäßig danach, ob das Rechtsmittelerkennt nis auf einfache oder sofortige Beschwerde ergangen ist4 • Dieser Einteilung soll bei der Darstellung der verschiedenen Meinungen gefolgt werden, obwohl es nach dem hier vertretenen Standpunkt auf diese Unterscheidung nicht ankommt.
1 Beispielhaft sei auf Holger Schmidt, Diss., S. 16 f., verwiesen, der Baumbach I Lauterbach (bis zur 30. Auf!.) der Meinung zurechnet, die die Zulässigkeit der Gegenvorstellung gegen auf einfache Beschwerde hin ergangene
· Beschlüsse verneint. H. Schmidt ist zuzugeben, daß die Ausführungen Baumbach I Lauterbachs nicht deutlich sind. Jedoch ist diese Klassifizierung offensichtlich falsch, da H. Schmidt hinsichtlich der sofortigen Beschwerde sogar von einer eingeschränkten Bejahung der Gegenvorstellung durch Baumbach I Lauterbach ausgeht; a.a.O., S. 31. 2 Vgl. Wieczorek, § 318 Anm. C 1 b 2: "Abänderbarkeit von Rechtsmittelbeschlüssen" gegenüber § 567 Anm. G II b: "Beschwerdebeschlüss e nicht abänderbar". 3 Vgl. z. B. Lent I Jauernig, Zivilprozeßrecht, §57 II (S. 176). 4 Vgl. Baumgärtel, MDR 68, 970 ff.; H. Schmidt, Diss., S. 36 ff. u. 132 ff.; E. Schneider, DRiZ 65, 288 ff.
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§ 14 Meinungsstand zur Gegenvorstellung
ß. Die Abänderbarkeit der Beschwerdeentscheidung, die auf einfache Beschwerde ergangen ist
1. Die Auffassung der älteren Rechtsprechung und Literatur a) Die ältere obergerichtliche Rechtsprechung geht überwiegend von einer freien Abänderbarkeit der Beschwerdeentscheidung aus5 • Das Reichsgericht weist zur Rechtfertigung seiner Meinung auf die Abhilfemöglichkeit des§ 534 CPO a. F., des heutigen§ 571 ZPO, hin, den es auf letztinstanzliehe Beschwerdeentscheidungen einmal direkt6 , zum anderen analog 7 angewendet wissen will. Bei der Bewertung der beiden Reichsgerichtsentscheidungen ist zu berücksichtigen, daß es sich um Beschwerden gegen Streitwertbeschlüsse handelt, die gern. § 18 I GKG a. F. (= § 23 I 3 n. F.) sogar von Amts wegen geändert werden können. Im übrigen leitet man die Abänderbarkeit aus einem Umkehrschluß zu § 318 (§ 329) ZP08 oder lediglich aus dem Umstand her, daß die Beschwerdeentscheidung "auf einfache Beschwerde ergangen ist" 9 • Eine weitere, häufig anzutreffende Begründung wird aus einem Vergleich 5 RGZ 33, 377; 37, 382 ff. (385); OLG Kiel, JR 27, 557; OLG Dresden, JW 29, 1672 Nr. 11 - Ls - ; OLG München, ZZP 55, 429 f. (430).
Sachlich in die gleiche Richtung zielen auch die Ausführungen des KG, JW
29, 216, wenn es einem Arresturteil die materielle Rechtskraft abspricht und
hinzufügt: "Ein zurückgewiesenes Arrestgesuch kann erneut mit dem gleichen tatsächlichen Vorbringen und mit der gleichen Glaubhaftmachung gestellt werden." Das KG sieht damit das Problem unter dem Gesichtspunkt "Zulässigkeit eines neuen Antrages beim Erstgericht". Zu den Vertretern dieser Meinung sind auch die Gerichte zu zählen, die sogar eine Abänderung der auf sofortige Beschwerde ergangenen Beschwerdeentscheidung zulassen: OLG Stettin, OLGE 33, 83 f. (84); OLG Kassel, OLGE 37, 154f. (155); OLG Celle, OLGE 42, 15 sowie SeuffA 82, 352 Nr. 199; OLG Naumburg, JW 26, 1609; KG, JW 31, 3566. Ablehnend wohl OLG Karlsruhe, JW 32, 2175, wenn dort in einer Art Zirkelschluß ausgeführt wird : Abänderung nur so lange möglich, als das Gericht mit dem Gegenstand befaßt ist. Das ist aber nicht der Fall, nachdem ... durch den Beschluß (= Beschwerdeentscheidung) das Verfahren vor dem Senat endgültig Abschluß gefunden hat. Die Entscheidung betrifft zwar einen Fall der sofortigen Beschwerde, sie läßt sich aber auch auf auf einfache Beschwerde ergangene Erkenntnisse übertragen. e RGZ 33, 377. 7 RGZ 37, 383 ff. (385). § 571 ZPO ist unmittelbar anwendbar, wenn man die Abhilfemöglichkeit des Untergerichts als eine für Beschlüsse allgemein geltende Regelung ansieht. Versteht man aber die Abhilfemöglichkeit des § 571 als eine Sonderregelung des Rechtsmittelverfahrens, kann diese Vorschrift nur entsprechend anwendbar sein, da gegenüber letztinstanzliehen Beschlüssen gerade kein Rechtsmittel mehr gegeben ist. 8 z. B. OLG Kiel, JR 27, 557; KG, JW 31,3566. 9 OLG München, ZZP 55, 429 f. (430).
II. Nach einfacher Beschwerde
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der§§ 571 und 577 III ZPO gewonnen10• § 571 ZPO erlaube grundsätzlich die Änderung der Entscheidung11 • Diese Änderungsbefugnis sei lediglich unter den Voraussetzungen des § 577 III ZPO ausgeschlossen, wenn die Entscheidung der sofortigen Beschwerde unterliege. b) In Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung befürwortet die ältere Lehrbuch- und Kommentarliteratur ebenfalls überwiegend die Abänderbarkeit des Beschwerdeerkenntnisses12• Den entgegengesetzten Standpunkt vertreten insbesondere Planck1s, Kreß 14 und Kann1s. Planck ist der Auffassung, die Abhilfemöglichkeit nach § 571 ZPO setze immer die Einlegung einer zulässigen Beschwerde voraus (Grundsatz der "Auslösungswirkung" der Beschwerde) 16• Kreß geht davon aus, daß die Anfechtung mit Rechtsmitteln der umfassendere Behelf zur Änderung eines gerichtlichen Erkenntnisses sei. Wenn nicht einmal das übergeordnete Gericht die Entscheidung ändern könne, müsse dieses Verbot erst recht für das erlassende, instanzenmäßig untergeordnete Gericht gelten17• Kann lehnt eine Änderung ab, weil er dem unanfechtbaren Beschwerdebeschluß verfahrensbeendigende Wirkung beimißt. Mit der Entscheidung über die Beschwerde höre das Beschwerdegericht auf, mit der Sache befaßt zu sein18• Zu den Gegnern der Abänderbarkeit ist noch Siegert18 zu zählen, der seine Meinung mit der formellen Rechtskraft des Beschwerdebeschlusses begründet.
2. Der Standpunkt der neueren Rechtsprechung und Literatur Die neuere Rechtsprechung und Literatur lassen überwiegend keine schrankenlose Änderung der letztinstanzliehen Beschwerdeentscheidung zu. OLG Kassel, OLGE 37, 154 f. {155). Vgl. aber die Gegenmeinung unten Fn. 13 - 15. 12 Förster I Kann, § 329 Anm. k; Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, § 51, 6 (S. 162); Hein, Identität, S. 162 ff.; Kleinschmidt, Berichtigung, S. 34, 38; R. Schmidt, Lehrbuch, § 123 (S. 775); Seuffert, ZZP 42, 243 ff. (253); Sydow I Busch, § 567 Anm. 8; Weismann, Lehrbuch,§ 101 V (S. 452 f.). 13 Planck, Lehrbuch, 1. Bd., § 79 II (S. 475); Gaupp, Vorbem. vor § 300; ähnlich auch Hirsch, Diss., S. 10; Lüdemann, Diss., S. 17 ff. 14 Kreß, Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 16, 81 ff. 15 Kann, ZZP 54, 98 ff. 18 Planck, Lehrbuch, 1. Bd., § 79 II (S. 475). Dem wird von der Gegenseite entgegengehalten, daß es sich bei den der einfachen Beschwerde unterliegenden Beschlüssen um solche von geringer prozessualer Bedeutung handelt. 17 Kreß, Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 16, S. 81 f. (82); vgl. auch OLG Colmar, OLGE 12, 192. 18 Kann, ZZP 54, 98 ff. (102). Diese Begründung erscheint, wenn man nicht noch weitere Prämissen einer Bindung hinzunimmt, nicht in sich geschlossen; vgl. a.a.O., S. 101 u. 102: Bindend sind die Beschlüsse, wenn das Verfahren endgültig erledigt ist. Endgültig erledigt ist das Verfahren, wenn das Gericht nicht mehr mit der Sache befaßt ist. Beide Begründungselemente beinhalten sachlich dasselbe und scheinen damit nicht zur wechselseitigen Ergänzung geeignet zu sein. 19 Siegert, ZZP 54, 435 ff. 10
11
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§ 14 Meinungsstand zur Gegenvorstellun g
Dabei nimmt die obergerichtliche Praxis einen strengeren Standpunkt als die Literatur ein. a) Die neuere Rechtsprechung aa) Eine in sich geschlossene Meinung vertreten die Oberlandesgerichte München20, Stuttgart21 und Bamberg22• Sie lassen eine Änderung auch dann zu, wenn sich die Umstände nicht geändert haben, verneinen sie aber, wenn der erstrebte Erfolg auf einem anderen verfahrensrecht lich zulässigen Weg erreicht werden kann. Der Unterschied liegt allein in der Formulierung. Das OLG München geht von einer grundsätzlichen Zulässigkeit der Gegenvorstellu ng aus, schränkt diesen Grundsatz aber ein, wenn ein neuer Antrag beim Erstgericht möglich ist. Umgekehrt halten die beiden anderen Gerichte eine Gegenvorstellung nur für zulässig, wenn kein neuer Antrag beim Erstgericht gestellt werden kann. bb) Andere Gerichte stellen ein anderes Kriterium in den Vordergrund. Das OLG Stuttgart23 erlaubt in einem Beschluß aus dem Jahre 1959 eine Änderung der Beschwerdeents cheidung, wenn dem Beschluß die gesetzliche Grundlage fehlt, weil z. B. beim Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 627 ZPO das Scheidungsverf ahren nicht mehr anhängig gewesen ist. Ähnlich vertritt das OLG Düsseldorf2' die Ansicht, eine Gegenvorstellu ng sei mit dem System der Rechtsmittel nur ausnahmsweise zu vereinbaren. Allein ein besonders anzuerkennend es Rechtsschutzbe dürfnis könne zu einer erneuten Entscheidung führen. Regelmäßig werde dieses Rechtsschutzbe dürfnis nur dann vorliegen, wenn der beschwerten Partei vor der Rechtsmittelent scheidung kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Bereits früher hatte der 4. Senat des OLG Düsseldorf25 die Zulässigkeit einer Änderung dem Grundsatz nach verneint. Zur Begründung weist der Senat auf das Wesen der Rechtsmittel und auf das Gebot der Rechtssicherhei t hin. Nach Ausschöpfung des Rechtsmittelzug es müsse Rechtsfriede eintreten, der Sache der materiellen Gerechtigkeit sei hinreichend Genüge getan26• OLG München, MDR 54, 237. OLG Stuttgart, JZ 59, 445 f. (446) -Beschluß vom 9. 4. 1957 -. 22 OLG Bamberg, NJW 65, 2407 f. (2408). 23 OLG Stuttgart, MDR 59, 1018 Nr. 73. 24 OLG Düsseldorf, MDR 68, 767. 25 OLG Düsseldorf, MDR 58, 927; MDR 59, 1019 und MDR 61, 773; vgl. auch VGH München, BayVBl. 72, 130 f. (131). 26 Letztlich stellen sämtliche Gerichte ausdrücklich oder stillschweigend - auf das ziemlich verschwommene Merkmal des (allgemeinen) Hechtsschutzbedürfnisses ab. 20 21
II. Nach einfacher Beschwerde
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cc) Entgegen der Ansicht der OLGe München (4. Senat), Stuttgart und Bamberg27, die ebenfalls die formelle Rechtskraft des angefochtenen Beschlusses bejahen, bei der Frage der Zulässigkeit der Gegenvorstellung die formelle Rechtskraft aber unberücksichtigt lassen, kommen die OLGe München (6. Senat)28 und Hamburg 29 zu einer Ablehnung der Gegenvorstellung auf Grund der formellen Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung. dd) Eine andere Meinung in der Rechtsprechung entscheidet das Problem an Hand des Inhalts, des Gegenstandes des Beschwerdebeschlusses. Danach sollen Erkenntnisse, die prozeßleitende Anordnungen enthalten, beliebig änderbar sein im Gegensatz zu den Beschlüssen, die ein selbständiges Verfahren abschließen und damit urteilsähnlich sind30 . Zu diesen urteilsähnlichen Beschlüssen zählen die OLGe Oldenburg31 und Celle32 das einstweilige Anordnungsverfahren nach § 627 ZPO. Auch dieses Entscheidungskriterium ist nicht unbestritten. Das OLG Hamburg 33 hält die Entscheidungen nach § 627 ZPO für jederzeit abänderbar, also nicht nur bei einer Änderung des Sachverhalts. b) Dieneuere Literaturmeinung aa) Einen Meinungsumschwung in dieser Frage, verursacht durch einen Bearbeiterwechsel, haben die neuen Auflagen des Kommentars von Baumbach I Lauterbach erfahren. Baumbach I Lauterbach84 gehören zu den Befürwortern der Änderung einer unanfechtbaren Beschwerdeentscheidung auf Gegenvorstellung hin. Mit dieser weiten Auffassung hat Albers35 gebrochen. Er zieht eine Abänderbarkeit nur dann in Erwägung, wenn sich die Gegenvorstellung gegen Entscheidungen in Verfahrensfragen oder in unselbständigen Nebenverfahren wendet. Welche Verfahren "unselbständige Nebenverfahren" sind, wird nicht ausdrücklich gesagt. Beschwerdeentscheidungen, gleich welchen Inhalts, Vgl. oben Fn. 20- 22. OLG München, MDR 58, 244. 2 9 OLG Hamburg, MDR 67,500. Die Entscheidungen der OLGe München und Harnburg betreffen zwar Beschlüsse, die auf eine sofortige Beschwerde ergangen sind. Sie lassen sich aber auf die Beschwerdeentscheidungen übertragen, denen eine einfache Beschwerde zugrunde liegt. so OLG Düsseldorf, MDR 50, 491. Die Entscheidung betrifft eine sofortige Beschwerde. Das Gericht stellt in den Beschlußgründen jedoch auch auf die einfache Beschwerde ab. 3 1 OLG Oldenburg, MDR 53, 687. 32 OLG Celle, MDR 64, 768. 33 OLG Hamburg, MDR 57,426. 34 Vgl. Baumbach I Lauterbach, 30. Aufl. (und früher), § 567 Anm. 2 B. 35 Baumbach I Lauterbach I Albers, Übersicht 1 C vor§ 567. z1
2s
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§ 14 Meinungsstand zur Gegenvorstellung
fallen wohl nicht in die Kategorie der abänderbaren Beschlüsse, da Albers eine Gegenvorstellung für unstatthaft hält, "wenn die Entscheidung mit einem förmlichen Rechtsmittel angefochten werden kann oder konnte" 38• bb) Nach Rosenberg I Schwab 31 kann ein Gericht, solange es mit der Sache befaßt ist, auf Antrag und auf Grund neuer Tatsachen seinen Beschluß ändern, unabhängig davon, ob es sich um einen Ietztinstanzlichen Beschwerdebeschluß handelt oder nicht. Unabänderbar seien allein die ein selbständiges Verfahren oder ein Sonderverfahren im Urteilsverfahren beendenden und daher urteilsähnlichen Beschlüsse38• Zeiss 39 plädiert für eine generelle Abänderbarkeit, lehnt sie aber ab, wenn der Beschluß materielle Rechtskraft erlangt hat oder das Beschwerdegericht analog § 318 ZPO gebunden ist. Schumann I Leipold40 sehen alle eine Rechtsmittelinstanz abschließenden Beschlüsse als unabänderbar an. Auch Grunsky41 will anscheinend die Abänderbarkeit verneinen, wie sein Hinweis auf die Ausführungen von Schumann I Leipold zeigt. cc) Nach A. Blomeyer sind sämtliche auf einfache Beschwerde ergangenen Beschlüsse abänderbar42 • Ähnlich wohl auch Bruns, wenngleich seine Ausführungen nicht deutlich ergeben, ob er nur prozeßleitende Verfügungen angesprochen wissen will43 • Von einer Abänderbarkeit der Beschwerdeentscheidung gehen auch Bernhardt44, Schönke /KuBaumbach I Lauterbach I Albers, Übersicht 1 Ca vor§ 567. Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 60 II 2 (S. 308). 38 Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 60 li 1 b (S. 307); so auch Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 139 X. 38 Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 84 li 2 b (S. 282); vgl. auch Zeiss, SAE 70, 75 ff., Anm. zu dem Beschluß des BAG vom 4. 8. 1969- 1 AZP 16169 - . 40 Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 329 Anm. II 1 b. 41 Stein I Jonas I Grunsky, § 567 Anm. IV, 5: " ... die neuere Rechtsprechung macht zu Recht von der Gegenvorstellung sparsamen Gebrauch. § 571 ZPO gibt für eine freie Abänderbarkeit nichts". Dann schließt sich aber eine Ungereimtheit an, wenn Grunsky, a.a.O., ausführt: "Ist das Gericht dagegen nach § 318 ZPO gebunden, oder ist die Entscheidung in materielle (nicht bloß in formelle) ... Rechtskraft erwachsen, so kommt allenfalls unter den zu 4. dargelegten Voraussetzungen eine Wiederholung der Beschwerde in Betracht." Wie soll das Beschwerdegericht seinen Beschluß ändern können, wenn es gern. § 318 ZPO gebunden ist? Oder meint Grunsky, eine Wiederholung der Beschwerde leite ein neues Verfahren ein? Wie soll ein Rechtsmittel gegen ein materiell rechtskräftiges Erkenntnis noch zulässig sein? - Fragen, die unbeantwortet bleiben. 42 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 29 li (S. 132) und § 119 V 1 (S. 666 f.); ähnlich auch Pieper, Diss., S. 54 ff. 43 Bruns, Zivilprozeßrecht, § 55 I 1 (S. 476): "Übrigens hat sich die Gegenvorstellung . . . dort einen Platz erobert, wo die Beschwerde ausdrücklich ausgeschlossen ist, wie für Frist- und Terminänderungen (§§ 225, ~27) ." 44 Bernhardt, Zivilprozeßrecht, § 42 (S. 262). 38
37
II. Nach einfacher Beschwerde
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chinke 45 und Zöller I Degenhart46 aus, wenn sie feststellen, daß eine Bindung des Beschwerdegerichts gem. § 318 ZPO nicht bestehe. Nicht widerspruchsfrei sind die Ausführungen Wieczoreks zu dieser Frage. In der Kommentierung zu § 318 ZP0 47 geht er wohl von einer grundsätzlichen Abänderbarkeit aus, während er diese Möglichkeit bei der Behandlung der Beschwerde48 generell ausschließt. Daneben haben sich in letzter Zeit drei Stimmen ausführlicher zu dieser Problematik geäußert: dd) E. Schneider 49 hält eine Abänderung von Beschwerdeentscheidungen dann für möglich, wenn mit der Gegenvorstellung vorgetragen werde, ein früherer Formmangel sei beseitigt oder neue Tatsachen seien zu berücksichtigen. Dabei sei es bedeutungslos, ob diese neuen Tatsachen auch die Einleitung eines neuen Verfahrens beim erstinstanzliehen Gericht rechtfertigen könnten. Ausnahmsweise komme eine Abänderung dann noch in Betracht, wenn das Beschwerdegericht die Überzeugung erlange, seine Entscheidung sei derart verfehlt, daß sie keinen Bestand haben dürfe. ee) Nach Baumgärtel 50 ist eine Gegenvorstellung nur dann zuzulassen, wenn eine Wiederholung der Beschwerde unzulässig, die Entscheidung nicht materiell rechtskräftig sei sowie materielle Rechtskraft auch nicht erlangen könne und der Inhalt der Beschwerdeentscheidung noch nicht infolge einer rechtskräftigen Entscheidung des Hauptprozesses konsumiert sei. 45 Schänke I Kuchinke, Zivilprozeßrecht, § 73 I a. E. (S. 329). Sie schränken diesen Satz aber ein, wenn sie allein bei wesentlichen Rechtsverstößen eine Änderung durch das Beschwerdegericht erlauben wollen, § 79 VI (S. 410 f.) und § 79 IX (S. 412). 48 Zöller I Degenhart, § 318 Anm. 4. Einschränkungen aber bei Zöller I Karch, § 567 Anm. 1 a. 41 Wieczorek, § 318 Anm. C I b 2: Die erste Instanz darf den Beschluß der Rechtsmittelinstanz nicht ändern, "wohl aber darf es die Rechtsmittelinstanz, soweit sie nicht selbst durch den Beschluß gebunden, was aber regelmäßig nicht der Fall ist". 48 Wieczorek, § 567 Anm. F I a: Gegenvorstellung nur dann, wenn "der abgelehnte Antrag erneuert werden darf (was unter denselben Voraussetzungen zulässig ist, unter denen auch eine neue Beschwerde erhoben werden könnte)". 49 E. Schneider, DRiZ 65, 288 ff. (290). In einem Widerspruch stehen die Ausführungen zu dem "Nebeneinander von Gegenvorstellung und neuem Antrag" (vgl. den Text) unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses, das E. Schneider in seinen jüngsten Ausführungen zur Gegenvorstellung hervorhebt, vgl. MDR 72, 567 f. 50 Baumgärtel, MDR 68, 970 ff. Im Anschluß an Baumgärtel auch Thomas I Putzo, Vorbem. III 2 a vor § 567.
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§ 14 Meinungsstand zur Gegenvorstellung
ff) H. Schmidt 51 hält einen auf einfache Beschwerde ergangenen letztinstanzlichen Beschluß ausnahmslos für abänderbar. Hier, so führt er aus, sei (noch) ein Bereich gegeben, in dem "der ureigentliche Prozeßzweck in der Form der Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit uneingeschränkt zur Geltung" komme. Zulässiges, ja gebotenes Mittel für die Parteien, eine Korrektur der Entscheidung zu erreichen, sei die Gegenvorstellung. Zu diesem Ergebnis gelangt er über eine Prüfung von prozessualen Grundsätzen. Dabei fragt er zunächst nach einer Innenbindung des Beschwerdegerichts. Unter Hinweis auf § 571 ZPO verneint er eine entsprechende Anwendung des § 318 ZPO auf erstinstanzliehe Beschlüsse wegen Fehlens einer Gesetzeslücke. Da die Innenbindung nur einheitlich für erst- und letztinstanzliche Entscheidung eintrete, müsse man bereits mit dieser Begründung eine analoge Anwendung des § 318 ZPO ablehnen52• Das Nichtvorhandensein einer Gesetzeslücke zeige auch der Umkehrschluß aus § 577 III ZPO. Mit einer derart begründeten Ablehnung begnügt sich H. Schmidt nicht. Vielmehr prüft er darüber hinaus noch an Hand verschiedenartiger Beschlüsse, die auf einfache Beschwerde ergangen sind, ob der Inhalt dieser Entscheidungen eine entsprechende Anwendung des § 318 ZPO gebiete, was er jedoch verneint53• Sodann lehnt er die Ansicht ab, die eine Änderung unter Hinweis auf das "Nicht-mehr-befaßt-sein mit der Angelegenheit" ausschließt. Dieser Gedanke, der die formelle Rechtskraft des Beschwerdeerkenntnisses und eine Innenbindung des erlassenden Gerichts voraussetze, sei verfehlt, da die der einfachen Beschwerde unterliegenden Beschlüsse niemals rechtskräftig würden und keine Innenbindung auslösen könnten54 • Sodann setzt er sich mit der Meinung auseinander, die ein (eingeschränktes) Abänderungsverbot mit dem "Wesen der Rechtsmittel" begründet. Eine Abänderung des erstinstanzliehen Beschlusses sei ohne Einlegung einer Beschwerde möglich. Hieraus sei zu schließen, daß die Änderung der ihrer Art nach der einfachen Beschwerde unterliegenden Beschlüsse losgelöst von der Erhebung eines Rechtsmittels zu betrachten sei55 • Den Grundsatz von der freien Abänderbarkeit der besprochenen Beschlüsse schränkt H. Schmidt schließlich bei einer prozessualen Überholung 58 des Beschlusses, bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis 57 und unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben58 ein. 51 H. Schmidt, Diss., S. 198. Ein bereits unter dem Gesichtspunkt der Qualität und (Un-)Wichtigkeit der in Beschlußform ergehenden Entscheidungen zweifelhaftes Ergebnis. 52 H. Schmidt, Diss., S. 133; so auch schon Schäfer, Diss., S. 7 ff. 53 H. Schmidt, Diss., S. 134- 192, und Rpfleger 74, 177 ff. (178 f.). 54 H. Schmidt, Diss., S. 193 f., 132 f., 65 ff. 66 H. Schmidt, Diss., S. 195 ff. (197). ss H. Schmidt, Diss., S. 199 ff. 57 H. Schmidt, Diss., S. 210 ff. H. Schmidt, a.a.O., S. 211, ist entgegenzuhalten, daß insbesondere auch Baumgärtel, MDR 68, 970 unter li, 1, das Konkurrenzproblem von "Gegenvorstellung" und "Änderungsmöglichkeit auf einem anderen verfahrensrechtlich zulässigen Weg" ausführlich behandelt. Die fehlende Beschäftigung mit der Wiederholung der Beschwerde an dieser Stelle läßt nur den Schluß zu, daß H. Schmidt zwischen einer Wieder-
III. Nach sofortiger Beschwerde
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m. Die Abänderbarkeit des auf sofortige Beschwerde ergangenen Beschlusses
Deutlicher und klarer als bei der einfachen Beschwerde läßt sich das Bild der Abänderbarkeit der auf sofortige Beschwerde ergangenen Rechtsmittelentscheidungen zeichnen.
1. Der Standpunkt der Rechtsprechung a) Die OLGe Stettin69 , Kassel60 , Celle61 , Naumburg 62 , Köln63 , Braunschweig64, Schleswig65 und das KG66 treten für eine im Grundsatz freie Abänderbarkeit der Rechtsmittelentscheidung ein. Diese Meinung stützt sich auf § 577 III ZPO, wonach das Gericht zu einer .Änderung seiner der Beschwerde unterliegenden Entscheidung nicht befugt sei. Die in § 577 Ill ZPO angeordnete Bindung des erlassenden Gerichts, so führen sie einheitlich aus, trete nur dann ein, wenn der in Frage stehende Beschluß im Einzelfall tatsächlich mit der sofortigen Beschwerde anholung der Beschwerde und der Gegenvorstellung keinen sachlichen Unterschied anerkennen will, zumal wenn man sich seiner Ausführungen zu den Vorteilen der Gegenvorstellung gegenüber der Wiederholung der Beschwerde erinnert, a.a.O., S. 11 (vgl. hierzu die Bemerkung oben § 2 III. Fn. 20). ss H. Schmidt, Diss., S. 202 ff. Verfehlt erscheinen seine Ausführungen, wenn er an Hand eines Beschlusses des SchlHolOLG, SchlHolAnz. 1952, 134, zur Verwirkung der Beschwerde- bzw. der Gegenvorstellungsbefugnis ausführt, eine (erste) Gegenvorstellung (!) gegen einen das Armenrecht verweigernden erstinstanzliehen Beschluß könne zwar nicht nach einem Zeitablauf von ca. 1 Jahr als verwirkt angesehen werden, sei aber deswegen unzulässig, weil ein neuer Antrag auf Bewilligung des Armenrechts gestellt werden könne (S. 209). Diese Problemschau geht von einem falschen Ausgangspunkt aus. Bei einem derartigen Sachverhalt kann es allein streitig sein, ob eine (erste) Beschwerde und ein ein neues Verfahren einleitender Antrag nebeneinander bestehen können oder der eine Rechtsbehelf den anderen ausschließt. Eine dritte Möglichkeit wäre es, den neuen Antrag als Beschwerde oder die Beschwerde als neuen Antrag auszulegen. Jedenfalls steht der Behelf "eigenständige" Gegenvorstellung erst dann zur Diskussion, wenn die Einlegung einer Beschwerde ausgeschlossen ist, da eine Beschwerde eine Gegenvorstellung umfaßt, § 571 ZPO. Eine Gegenvorstellung im Sinne der Abhilfemöglichkeit des § 571 ZPO ist zumindest solange zulässig, wie eine Beschwerde zulässig ist. Zum Fall des SchlHolOLG und zur dogmatischen Einordnung der Verwirkbarkeit der Beschwerdebefugnis s. Zeiss, Prozeßpartei, S. 140 ff. 69 OLG Stettin, OLGE 33, 83 f. uo OLG Kassel, OLGE 37, 154 f. 8 1 OLG Celle, SeuffA 82, 352. 8 2 OLG Naumburg, JW 26, 1609. ss OLG Köln, JMinBl. NRW 49, 137 f. 84 OLG Braunschweig, MDR 50, 557 f. 85 SchlHolOLG, SchlHolAnz. 60, 237 f. 86 KG, JW 31, 3566. 7 Ratte
§ 14 Meinungsstand zur Gegenvorstellung
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fechtbar sei. Die Bestimmung des § 577 ZPO solle eine beschleunigte Entscheidung über eine eingelegte sofortige Beschwerde sichern. Den unteren Gerichten solle die Möglichkeit der Abänderung genommen werden, damit möglichst schnell die letztinstanzliehe Rechtsmittelentscheidung erfolge. Dieser Grund sei aber bei einem Ietztinstanzlichen Beschluß nicht mehr gegeben. b) Strikt gegen eine Abänderbarkeit von Beschwerdebeschlüssen haben sich die OLGe Breslau67 , Karlsruhe88, Düsseldorf69, München70 und Stuttgart71 ausgesprochen. Teilweise stützen sie ihre Ansicht ebenfalls auf § 577 111 ZPO, den sie auch dann angewendet wissen wollen, wenn im Einzelfall keine Beschwerde mehr eingelegt werden kann. § 577 111 ZPO dränge allgemein auf die endgültige Entscheidung des Streites und binde damit auch das letztinstanzliehe Gericht72 • Anders das OLG Düsseldorf, das im konkreten Fall fragt, ob der betreffende Beschluß urteilsähnlich und damit§ 318 ZPO analog auf ihn anwendbar sei73• Den Gesichtspunkt der formellen Rechtskraft hält dagegen das OLG München für entscheidend74• Die OLGe Hamburg75, Braunschweig (aus dem Jahre 1965)1° und Düsseldorf (in zwei jüngeren Entscheidungen)17 gehen im Grundsatz von der Unabänderbarkeit aus, wollen aber unter besonderen Umständen - das OLG Harnburg bei Änderung des Sachverhalts, das OLG Düsseldorf l:>ei Nichtwahrung des Prinzips des rechtlichen Gehörs Ausnahmen zulassen.
2. Die Auffassungen der Literatur a) In der Literatur befürworten eine Abänderung der Ietztinstanzlichen Beschwerdeentscheidung Baumbach I Lauterbach18, Baur19, OLG Breslau, OLGE 42, 15 und HRR 33 Nr. 254. OLG Karlsruhe, JW 32, 2175. 89 OLG Düsseldorf, MDR 50, 491. 1o OLG München, MDR 58, 244. 71 OLG Stuttgart, JZ 58, 67 f. 72 OLG Breslau, OLGE 42, 15 und HRR 33 Nr. 254. 1a OLG Düsseldorf, MDR 50, 491. 74 OLG München, MDR 54, 237 und MDR 58, 244. 75 OLG Hamburg, MDR 52, 367 und MDR 67,500. Beide Entscheidungen werden mit der formellen Rechtskraft begründet. 78 OLG Braunschweig, OLGZ 65, 313 f. (314): § 318 ZPO analog, da urteilsähnlicher Beschluß. 77 OLG Düsseldorf, MDR 61,773 und MDR 68,767. 78 Baumbach I Lauterbach, § 577 Anm. 4 bis zur 30. Aufl.; aber auch Albers, in der Neubearbeitung, a.a.O. Albers muß sich entgegenhalten lassen, daß die Übernahme der "alten" 87
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III. Nach sofortiger Beschwerde
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Knipphals 80, Schönke I Sehröder I Niese81, Seuffert82 und Sydow I Busch83• Hinsichtlich Baumbach I Lauterbach ist noch anzumerken, daß diese die Abänderbarkeit des letztinstanzliehen Beschwerdebeschlusses nur innerhalb der "sonst gegebenen Beschwerdefrist", also der zweiwöchigen Notfrist des§ 577 li ZPO, erlauben84 •
b) Der überwiegende Teil der Literatur schließt eine Änderung aus85• Die Begründungen sind unterschiedlich. E. Schneider betont den Gedanken der Endgültigkeit und der Rechtssicherheit86• Zeiss weist einmal auf die Urteilsähnlichkeit vieler der der sofortigen Beschwerde unterliegenden oder auf sofortige Beschwerde ergangenen Entscheidungen hin, die zu einer analogen Anwendung des § 318 ZPO führen müsse. Zum anderen soll § 577 III ZPO aus Gründen der Rechtssicherheit auch eingreifen, wenn im Einzelfall die Einlegung eines Rechtsmittels ausgeschlossen sei87• Auch bei Baumgärtel sind Überlegungen zur Urteilsähnlichkeit und zur Rechtssicherheit zu finden88• H. Schmidt hängt ebenfalls der Meinung von der weiten und umfassenden Anwendbarkeit des § 577 III ZPO an8 e.
Auffassung inkonsequent ist, da er bereits die auf einfache Beschwerde ergangene Entscheidung nur in Ausnahmefällen für abänderbar hält.
1e Baur, JZ 59, 59 f. (60). so Knipphals, SchlHolAnz. 60, 237 f. 81 Schänke I Sehröder I Niese, Lehrbuch, § 72 I. 82 Seuffert, § 577 Anm. 3. 83 Sydow I Busch, § 577 Anm. 11. 84 Baumbach I Lauterbach, § 577 Anm. 4; ebenso Baumbach I Lauterbach I Albers, a.a.O. Eine sehr problematische Ansicht! Baumbachl Lauterbach I Albers, a.a.O.,
gehen davon aus, daß mit Eintritt der formellen Rechtskraft eine Abänderbarkeit ausgeschlossen ist. Die Unanfechtbarkeit fällt hier mit dem Erlaß des Beschlusses zusammen. Auch wenn sie für den Eintritt der formellen Rechtskraft - neben der Unanfechtbarkeit - die Unabänderlichkeit voraussetzen, so ist es widerspruchsvoll, die Unabänderlichkeit an eine im konkreten Fall nicht gegebene Notfrist eines Rechtsmittels zu knüpfen. Vgl. auch die ablehnenden Bemerkungen Zeiss', SAE 70, 77 ff. unter II 3 a. 8s Baumgärtel, MDR 68, 970 ff. (972); A. Btomeyer, Zivilprozeßrecht, § 105 V 6 (S. 592); Förster I Kann, § 577 Anm. 15; Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, §51, 6 (S. 162 f.); Lüdemann, Diss., S. 7 ff.; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 127 VI, 2; Pieper, Diss., S. 74 ff.; Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 148 II 4 (S. 807); H. Schmidt, Diss., S. 51 ff. (59); E. Schneider, DRiZ 65, S. 288 ff. (291); Stein I Jonas I Grunsky, § 577 Anm. IV; Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 318 Anm. II 1 b; Struckmann I Koch, § 577 Anm. 5; Thomas I Putzo, § 577 Anm. 4; Wieczorek, § 577 Anm. B IV; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 84 II 2 b (S. 282) und ausführlich: SAE 70, 77 ff.; Zöller I Degenhart, § 318 Anm. 4. 88 E. Schneider, DRiZ 65, 288 ff. (291). s1 Zeiss, SAE 70, 77 ff. unter II. 88 Baumgärtel, MDR 68, 970 ff. (972). 8 9 H. Schmidt, Diss., S. 51 ff. (58 f.) und Rpfleger 74, 177 ff. (180). 7•
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§ 15 Kritik
§ 15 Die Auseinandersetzung mit den dargestellten Meinungen I. Die formelle Rechtskraft erklärt nicht die Unabänderbarkeit des Beschwerdebescblusses Dieser Teil der Arbeit fordert weder eine Antwort auf die Frage nach der formellen Rechtskraft von Beschlüssen, die der einfachen Beschwerde unterliegen, noch eine Beschäftigung mit den allgemeinen Voraussetzungen und dem Inhalt der äußeren Rechtskraft von gerichtlichen Entscheidungen. Die formelle Rechtskraft kann für die Frage der Abänderbarkeit nur dann von Bedeutung sein, wenn sie die Unabänderbarkeit herbeiführt oder etwas für die Frage der Abänderbarkeit hergibt.
Das ist nicht der Fall. Beide zur formellen Rechtskraft vertretenen Theorien vermögen zur Lösung nichts beizutragen1 • Für die Ansicht, die für die formelle Rechtskraft Unanfechtbarkeit mit Rechtsmitteln unct Unabänderbarkeit verlangt2, liegt das Ergebnis auf der Hand: Weil die Entscheidung unanfechtbar und unabänderbar ist, ist sie formell rechtskräftig. Unanfechtbarkeit und Nichtabänderbarkeit sind danach Voraussetzungen, nicht Konsequenzen der formellen Rechtskraft. Aber auch die Meinung, die für den Eintritt der formellen Rechtskraft nur die Unanfechtbarkeit der Entscheidung mit Rechtsmitteln voraussetzt3 , vermag zur Lösung nichts beizutragen. Nach dieser Auffassung hindert die formelle Rechtskraft eines Beschlusses nicht das erlassende Gericht, seine Entscheidung zu ändern. Sie lehnt es bezüglich des Eintritts der formellen Rechtskraft gerade ab, der Abänderbarkeit einen Stellenwert einzuräumen4 • Dieses Merkmal ist für sie ohne Belang. Deshalb ist es nicht zulässig, aus der formellen Rechtskraft Schlüsse auf die Abänderbarkeit zu ziehen. Das zeigt auch der Vergleich mit einem Urteil. Ein Urteil ist nicht erst nach Eintritt der 1 Dieser Streit ist ziemlich im Dunkeln geblieben. Da er die hier zur Wiederholung der Beschwerde und zur Gegenvorstellung vertretene Ansicht nicht berührt, bedarf es keiner Stellungnahme. 2 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 88 I 1 (S. 439); Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, § 51 7 d (S. 163); wohl auch Baumbach I Lauterbach I Hartmann, Einf. 1 A zu §§ 322- 327; Schänke I Kuchinke, Zivilprozeßrecht, § 75 I 2 (S. 347 i. V. m. S. 345, wo auf § 318 abgestellt ist). Vgl. auch OLG Hamburg, MDR 67, 500. Für den Strafprozeß: Kröger, Diss., S. 30 ff. (32) m. w. N.; Pfeifer, Diss., S. 6; Ru. Schmidt, JZ 61, 16; Wenzig, Diss., S. 53. a BGH, NJW 55, 503f. (504); Bärmann, AcP 154, 407; Gäbelein, JZ 55, 261; Götz, Diss., S. 15; Grunsky, Grundlagen, § 47 I (S. 485); Kreft, Diss., S. 18; Niese, Zivilprozeßrecht, § 103 li 1 (S. 395); Pieper, Diss., S. 90 ff.; Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 151 II 3 (S. 823); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 69 I (S. 220). 4 Hinsichtlich der in Fn. 3 mitgeteilten Entscheidung des BGH sind Vorbehalte anzumelden, weil der BGH, a.a.O., auch von "Unabänderlichkeit" spricht.
II. Materielle Rechtskraft und Unabänderbarkeit
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formellen Rechtskraft für das erlassende Gericht unabänderbar. Die Bindungswirkung tritt vielmehr ab Erlaß der Entscheidung ein, § 318 ZPO. Hieraus folgt, daß die Abänderbarkeit an ein anderes Element als das der formellen Rechtskraft anknüpft. ~Die formelle Rechtskraft vermag allenfalls dann die Abänderbarkeit von Beschlüssen zu regeln, wenn man der Meinung folgt, nach der die formelle Rechtskraft nur Unanfechtbarkeit mit Rechtsmitteln voraussetzt und die gleichzeitig von dein Verbot der Anfechtung auf die fehlende Abänderbarkeit schließt. Ein derartiges Verständnis fand sich früher nicht selten5• Insbesondere auch Binding 8 verstand im Strafprozeßrecht die Anfechtbarkeit mit Rechtsmitteln gegenüber der Abänderbarkeit durch das erlassende Gericht als eine weitergehende Maßnahme. Wenn gerichtliche Entscheidungen nicht einmal mehr auf ein Rechtsmittel hin geändert werden könnten, müßten sie erst recht für das erlassende Gericht bestandskräftig sein. Im Prozeßrecht findet ein derartiger Schluß von der Anfechtbarkeit auf die Abänderbarkeit keine Stütze. So wundert es nicht, daß häufig, zumindest hinsichtlich der Beschlüsse, die generell der einfachen Beschwerde unterliegen, ein entgegengesetzter Standpunkt vertreten wird. Nach Hein1 bedingt die Unanfechtbarkeit dieser Beschlüsse gerade nicht ein Abänderungsverbot durch das erlassende Gericht. Dieses könne seine der einfachen Beschwerde unterliegenden Beschlüsse selbst ändern (§ 571 ZPO), dann müsse es "auch Herr solcher Beschlüsse sein, gegen die nicht einmal die einfache Beschwerde stattfindet"s. Auch ein Hinweis auf die Regelung der Beschwerde im Armenrechtsprüfungsverfahren deutet die Unrichtigkeit der dargestellten Auffassung an. Der Beschluß, durch den das Armenrecht bewilligt wird, ist unanfechtbar, § 127 S. 1 ZPO. Jedoch ist das Gericht durch diese Vorschrift nicht gehindert, der Partei das Armenrecht wieder zu entziehen, wenn es erkennt, daß die Voraussetzungen einer Bewilligung bereits in ihrem Zeitpunkt nicht vorlagen bzw. später weggefallen sind, vgl. § 121 ZPO. Die Ausführungen haben gezeigt, daß der formellen Rechtskraft nicht die Wirkung eines Abänderungsverbots beizulegen ist. D. Auch die materielle Rechtskraft ist ungeeignet, die Abänderbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung in demselben Verfahren auszuschließen
Die h. M. versteht unter materieller Rechtskraft die Maßgeblichkeit des Entscheidungsinhalts einer formell rechtskräftigen Entscheidung in einem anderen späteren Verfahren 9 • Geht man hiervon aus, so kann die 6 Vgl. OLG Colmar, OLGE 12, 192; Kress, Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 16, 81 ff. e Binding, Strafprozeßrecht, § 87 II 2; ähnlich auch Kries, Rechtsmittel, § 54 III 5 (S. 434). 7 Hein, Identität, S. 195 ff.; vgl. auch R. Schmidt, Lehrbuch, § 122 (S. 774) und § 123 (S. 775 f.). s Hein, Identität, S. 196. 9 Bötticher, Beiträge, S. 90; Grunsky, Grundlagen, § 47 I (S. 485); Rosen-
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§ 15 Kritik
materielle Rechtskraft über die Abänderbarkeit einer Beschwerdeentscheidung auf eine Gegenvorstellung hin nichts aussagen. Die Gegenvorstellung ist ein Instrument in einem noch anhängigen Verfahren10. Der materiellen Rechtskraft kommt nur dann Bedeutung für das aufgezeigte Problem zu, wenn sie außerdem mit dem Bestand, mit dem Geltungsschutz einer Entscheidung in dem anhängigen Verfahren in Verbindung zu bringen ist. Von einer derartigen Verknüpfung zwischen materieller Rechtskraft und Unabänderbarkeit geht ein Teil der Rechtsprechung und der Literatur aus. Ganz deutlich führt das der BGH11 in Strafsachen aus: "Wesen und Bedeutung der sachlichen Rechtskraft" verbieten es, einen "einmal gefaßten Urteilsspruch aufzuheben oder zu ändern ... ". Auch Baumgärtel 12 neigt dieser Ansicht zu, wenn er die Bindung des Gerichts an seine Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der materiellen Rechtskraft untersucht und die Bindung bei materiell rechtskräftigen Beschlüssen bejaht13 • Früher14 war es äußerst streitig, ob Beschlüssen überhaupt eine sachliche Rechtskraftwirkung zuzuerkennen ist. Die heute h. M. bejaht bei einigen Beschlüssen diese Rechtskraftwirkung, wobei sie auf die Art des Beschlusses und den Inhalt der Entscheidung abstellt15. Die hier angeschnittenen Fragen bedürfen keiner Entscheidung. Es ist heute einhellige Meinung, daß die materielle Rechtskraft die formelle Rechtskraft, welchen Inhalt man ihr auch immer gibt, voraussetzt18. Dieses Junktim zwischen materieller und formeller Rechtskraft verbietet es der Meinung, die für die formelle Rechtskraft Unanfechtberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 150, 2 (S. 819); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 69 III 1 (S. 221) und § 70 I (S. 222). 10 Vgl. oben§ 2 I. 11 BGHSt. 17, 94ff. (97). Vgl. auch Lorenz, DRiZ 66, 370, aber sehr widersprüchlich. 12 Baumgärtel, 1\IDR 68, 970 f. (971 unter 2.). 13 Gegen diese der materiellen Rechtskraft zuerkannten Wirkung eines Abänderungsverbots insbes. Bötticher, Beiträge, S. 31 ff., 68 ff., 94. Das Abänderungsverbot, die Sicherung des "aktenmäßigen Bestandes" des Richterspruchs, folgt nach Bötticher aus der formellen Rechtskraft, a.a.O., s. 31 f., 94. u Die materielle Rechtskraftfähigkeit verneinten schlechthin: Hellwig, Recht 1910, Sp. 723; Kleinfeller, Gegenstand, S. 373 ff. (408 ff.); R. Schmidt, Lehrbuch, § 122 II (S. 749). Entgegengesetzt Nußbaum, Prozeßhandlungen, der sämtliche unanfechtbaren Beschlüsse für materiell rechtskräftig hält. 15 Vgl. Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 322 Anm. 1 A; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 88 IV 3 (S. 446); Stein I J onas I Schumann I Leipold, § 329 Anm. 113; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 70 IV 4 (S. 226 f.). 18 Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 322 Anm. 1 A; Grunsky, Grundlagen, § 47 I (S. 423); Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 150, 2 (S. 819); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 70 I (S. 222); vgl. auch- etwas differenzierenderBötticher, Beiträge, S. 69.
III. Innenbindung
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barkeit und Unabänderbarkeit verlangt1 7, das Problem der Abänderbarkeit eines Beschwerdebeschlusses mit dem der materiellen Rechtskraft zu verknüpfen. Die Unabänderbarkeit ist nach dieser Theorie zur formellen Rechtskraft die Voraussetzung der formellen Rechtskraft, damit mittelbar Voraussetzung und nicht Wirkung der materiellen Rechtskraft. Ähnliches gilt auch hinsichtlich der Auffassung, nach der die formelle Rechtskraft allein die Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung im Rechtsmittelwege hindert. Die Vertreter dieser Meinung verlangen für die materielle Rechtskraft neben der formellen Rechtskraft die Unabänderbarkeit der Entscheidung18 • Ein Unterschied zwischen den beiden erwähnten Auffassungen für die hier interessierende Frage liegt allein darin, daß erste die Unabänderbarkeit als Voraussetzung der formellen Rechtskraft versteht und die zweite von einem (neben der formellen Rechtskraft) eigenständigen Erfordernis der Unabänderbarkeit für die materielle Rechtskraft ausgeht. Es ist müßig, ja falsch, der materiellen Rechtskraft eine Aufgabe hinsichtlich der Abänderbarkeit beimessen zu wollen: Die materielle Rechtskraft setzt die Unabänderbarkeit voraus.
m. Die Ionenbindung, wie sie im Rahmen der §§ 318 und 577 m ZPO verstanden wird, erscheint nicht von vornherein geeignet, die Abänderbarkeit von unanfechtbaren Beschwerdeentscheidungen zu erklären Haben sich somit die formelle und die materielle Rechtskraft19 als ungeeignete Kriterien einer Regelung der Abänderbarkeit erwiesen, so bedeutet das nicht das Ende einer Prüfung der Abänderbarkeit an Hand von konkreten Instituten des Verfahrensrechts. Die h. M. gehtwie bereits gesehen - das Thema unter dem Gesichtspunkt der Innenbindung an, arbeitet insbesondere die beiden Elemente einer Innenbindung20 gern. § 318 und § 577 III ZPO heraus und fragt, ob das Gericht auch gebunden ist, wenn seine Entscheidung der einfachen Beschwerde unterliegt bzw. auf einfache Beschwerde hin ergangen ist. Ein nicht geringer Teil in der Literatur unterscheidet bei dieser Frage nicht 11
Vgl. oben Fn. 2.
ts Hinsichtlich der Erkenntnisse, die in Form eines Urteils ergehen, eine Selbstverständlichkeit, § 318 ZPO. Das muß aber auch für Beschlüsse gelten,
andernfalls könnte man schwerlich von einer "Maßgeblichkeit" in einem späteren Verfahren sprechen. Vgl. Pieper, Diss., S. 91. 1 9 Mit dieser Feststellung soll noch keine Aussage darüber getroffen werden, ob Beschlüsse, die der einfachen Beschwerde unterliegen, überhaupt rechtskräftig werden können und, bejahendenfalls, unter welchen Voraussetzungen. 20 Unabänderbarkeit und Maßgeblichkeit im weiteren Verfahren; vgl. Pieper, Diss., S. 13 f.; H. Schmidt, Rpfleger 74, 177 ff. (178 f.).
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§' 15 Kritik
.zwischen unanfechtbaren Entscheidungen erster Instanz oder der Rechtsmittelinstanz. Die gleichen Erkenntnisse und Ergebnisse, die man für erstinstanzliehe Beschlüsse gewonnen hat, wendet man auf Beschlüsse an, die auf einfache Beschwerde ergangen sind. Das ist nur dann zu billigen, wenn das Rechtsmittelrecht die Frage der Bindung des Beschwerdegerichts an die eigene Entscheidung nicht regelt oder, falls es sie regelt, nicht zu einem anderen Ergebnis führt. Die Frage des Einflusses der Rechtsmittel auf die Bindung des Beschwerdegerichts ist jedenfalls vorrangig gegenüber allgemeinen Ausführungen zur Innenbindung des Gerichts, die sowohl auf erst- wie auch auf zweitinstanzliehe Beschlüsse "passen". Ein Teil der Literatur sieht diesen Unterschied, lehnt aber Überlegungen, die auf dem Rechtsmittelrecht basieren, ausdrücklich ab. Es sei eine "unnatürliche Konstruktion", infolge der Heranziehung von ~echtsmittelgrundsätzen "von der Unabänderlichkeit abänderbarer Beschlüsse zu sprechen" 21• Diese Begründung für die Ablehnung der Rechtsmittelgrundsätze enthält lediglich eine Behauptung. Insbesondere leuchtet der Vorwurf einer "unnatürlichen Konstruktion" nicht ein. Die Tatsache, daß mindestens- zwei Gerichte sachlich über den Gegenstand entschieden haben, zwingt vielleicht dazu, das Problem der Abänderbarkeit von Beschwerdeentscheidungen und von erstinstanzliehen unanfechtbaren Erkenntnissen unterschiedlich zu beantworten. Der ablehnenden Meinung ist zuzugeben, daß man diesen Komplex nicht unter dem Gesichtspunkt "Innenbindung" beurteilen darf. Die Innenbindung muß in allen Rechtszügen den gleichen Inhalt und Umfang haben. Nur könnte hier die Frage nach der Innenbindung hinsichtlich der Rechtsmittelentscheidungen von einem anderen Aspekt überlagert und verdrängt sein. Als derartiger Gesichtspunkt kommt das Fehlen der Zuständigkeit und der Entscheidungsbefugnis des Beschwerdegerichts in Betracht. Gedanken dieses Inhalts klingen an, wenn ein Teil der Rechtsprechung und der Literatur die Abänderbarkeit einer letztinstanzliehen Beschwerdeentscheidung deswegen ablehnt, weil das den Beschluß erlassende Gericht "nicht mehr mit der Sache befaßt" sei22• Mit diesen 21 Hauck, Diss., S. 39; H. Schmidt, Diss., S. 196, und Rpfleger 74, 177 ff. (182). 22 Kann, ZZP 54, 98 ff. (102); Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 329 Anm. 3; Planck, Lehrbuch, 1. Bd., § 79 II 2 (S. 475); Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 329 Anm. II 1 a. Ähnlich auch OLG Karlsruhe, JW 32, 2175 und OVG Hamburg, JZ 58, 67 f. Aus dem Bereich des FGG-Verfahrens: KG, NJW 55, 1074 u. OLGZ 66, 608 f. (609); Baur, FGG, § 24 C IV; Keidel I Winkler, § 18 FGG Anm. 8; Jansen, § 18 FGG Anm. 17.
I. Einfluß der Innenbindung
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Ausführungen begründet Kann die Unabänderbark eit von Beschlüssen, die auf einfache Beschwerde ergangen sind23 • Diese Ansicht hat Widerspruch erfahren24 • In der Tat enthält eine Feststellung dieses Inhalts ebenfalls mehr eine Behauptung als eine einleuchtende Begründung. Dennoch erscheint dieser Ausgangspunkt einer näheren Beschäftigung wert. § 16 Der Einfluß der Devolutionswirkung auf die Entscheidungsbefugnis des Beschwerdegerichts
Stellt man nicht auf die Innenbindung als Kriterium für die Änderungsbefugnis des Beschwerdegeri chts ab, sondern auf die Devolution, so bedarf es keiner Unterscheidung zwischen auf sofortige oder einfache Beschwerde ergangenen Beschlüssen, wenn die einfache Beschwerde ebenfalls die Devolution auslöst. Die sich anschließenden Untersuchungen betreffen gemeinsam die auf einfache und sofortige Beschwerde ergangenen Erkenntnisse. I. Nacllweis, daß der Innenbindung für die Frage der Abänderbarkeit keine ausschließliche Bedeutung zukommt
Wie bedenklich die Ansicht ist, die einheitlich bei erst- und höherinstanzliehen Beschlüssen auf die Innenbindungs wirkung abstellt, zeigt dieses Beispiel: Das Landgericht hat einer einfachen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Kann es nunmehr noch seinen Beschluß abändern? Um Mißverständnis sen vorzubeugen, sei noch bemerkt, daß die Gegenvorstellung ein anderes Problem als das des Beispielsfalles berührt. Die Gegenvorstellu ng berührt die Bindung des Rechtsmittelger ichts, während oben die Entscheidungsb efugnis der unteren Instanz nach Einlegung eines Rechstmittels problematisch ist. Beurteilt man die Befugnis der unteren Instanz zur Abänderung seiner Entscheidung nur unter dem Blickwinkel der Innenbindung, so steht diese der Abänderung nicht entgegen, wenn man mit der überwiegenden Meinung bereit ist, den einer einfachen Beschwerde unterliegenden Entscheidungen eine Bindungswirku ng nicht zuzusprechen. Man muß auf ein anderes Merkmal als das der Innenbindung zurückgreifen, um zu dem vernünftigen Ergebnis des Verbots einer Änderung durch das Untergericht zu gelangen. Hiergegen wende man nicht ein, die Herausarbeitun g eines anderen Grundsatzes sei nicht notwendig, weil das erstinstanzliehe Gericht Kann, ZZP 54, 98 ff. (102). Baumgärtel, MDR 68, 970 f. (971); E. Schneider, DRiZ 65, 288 f. (289); H. Schmidt, Diss., S. 194; vgl. in diesem Zusammenhang auch Jauernig, Zivilurteil, S. 103. 2a
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§ 16 Devolution und Entscheidungsbefugnis
aus tatsächlichen Gründen - die Gerichtsakten befinden sich in der Rechtsmittelinstanz! - nicht in der Lage sei, in der Sache tätig zu werden. Insoweit handelt es sich nur um ein tatsächliches Hindernis1, das aber auf ein rechtliches hinweist: die sogenannte Devolutionswirkung eines Rechtsmittels. Wie in dem Beispielsfall die Devolution die Entscheidungsbefugnis des Erstgerichts nach Einlegung des Rechtsmittels "irgendwie" berührt, so könnte die Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts nach Entscheidung über das Rechtsmittel wieder entfallen sein. Diesem Hinweis ist nachzugehen2 • D. Devolution und einfache Beschwerde
Als charakteristische Kennzeichen der Rechtsmittel sieht die h . M. die Devolutiv- und die Suspensivwirkung ans. Danach bringe der Devolutiveffekt den Prozeß in die höhere Instanz, lasse ihn der höheren Instanz "anfallen" bzw. dort "anhängig werden" 4 • Der Suspensiveffekt bewirke einen Aufschub der formellen Rechtskraft. Zum Teil faßt man unter diesen Begriff, als Konsequenz der Hemmung der formellen Rechtskraft, außerdem noch das Merkmal "Fortsetzung des alten Rechtsstreits" 5 • Hier interessiert vornehmlich die Devolutionswirkung eines Rechtsmittels. 1 Regelmäßig dürften die Gerichtsakten der Beschwerdeinstanz zugleich mit der Beschwerde vorgelegt werden. Notwendig ist das jedoch nicht, da § 544 ZPO nicht für die Beschwerde gelten soll; vgl. Stein I Jonas I Grunsky,
§ 571 Anm. II 4.
2 Es sei noch auf die Ansicht J. Blomeyers, Erinnerungsbefugnis, S. 115 ff., verwiesen, der im Rahmen der einer sofortigen Beschwerde unterliegenden Beschlüsse die Unabänderbarkeit unter dem Gesichtspunkt des "Instanzenverbrauchs" bejaht. Seine Untersuchungen betreffen zwar direkt nur erstinstanzliehe Beschlüsse, lassen sich aber auch auf die höherer Instanzen übertragen. M. E. ist es bedenklich, den "Instanzenverbrauch" als Spielart der Innenbindung (§§ 318, 577 III ZPO) anzusehen. Diese Betrachtungsweise findet ihren Grund darin, daß J. Blomeyer das Verbot, eine einmal durchschrittene Instanz zu wiederholen, als eine "dem Instanzensystem des Prozesses immanente Entscheidung" versteht (a.a.O., S. 115 ff.). Dieses Verbot läßt sich besser mit der Devolutivwirkung erklären. 3 Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 135 I 1 (S. 724 f.); Stein I Jonas I Grunsky, Allgem. Einl. I, 2 vor§ 511; Thomas IPutzo, Vorbem. I vor § 511; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 81 I 2 (S. 258). 4 Vgl. Baumbach I Lauterbach I Albers, Grundzüge 1 C vor § 511; A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 95 I (S. 508); Lent I Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 72 I (S. 206); Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 117 I 2 (S. 463); Schönke I Kuchinke, Zivilprozeßrecht, § 76 I (S. 376); Stein I Jonas I Grunsky, Allgem. Einl. I 2 vor § 511; Thomas I Putzo, Vorbem. I 2 vor § 511; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 81 I 2 (S. 258). 6 Vgl. Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 135 I 3 a (S. 725).
III. Ende der Devolution
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Einfach läßt sich die Frage des Zusammenspiels zwischen Entscheidungsbefugnis und Devolution beantworten, wenn man der Meinung Gilles' anhängt. Danach ist die Sache dem Rechtsmittelgericht nicht angefallen, wenn das eigentliche6 Rechtsmittelverfahren negativ ausgegangen ist, d. h. das Rechtsmittel verworfen oder zurückgewiesen worden ist7. Damit stünde nicht die Bindung des Rechtsmittelgerichts, sondern die Frage der Wiederholbarkeit des Rechtsmittels im Vordergrund. Da diese Auffassung auf dem bereits abgelehnten Verständnis Gilles' von der Zweiteilung des Rechtsmittelverfahrens beruht, braucht ihr nicht weiter nachgegangen zu werden. Entscheidend ist demnach, ob der Beschwerde Devolutionswirkung zuzusprechen ist. Für die sofortige Beschwerde steht dies außer Frage. Hinsichtlich der einfachen Beschwerde ist die Rechtslage nicht so klar. J. Blomeyer dürfte die Devolution bei der einfachen Beschwerde wohl verneinen, weil er die einfache Beschwerde dem "Klageprinzip" zurechnet, die die Rechtsprechung erst einleitet8 • Diese Ansicht wurde jedoch bereits früher als gegen das Gesetz verstoßend zurückgewiesen°.
Die einfache Beschwerde wirkt zwar nicht von Anfang an devolutiv, wie die dem Unterrichter eingeräumte Abhilfebefugnis (§ 571 ZPO) beweist. Der sofortige Eintritt der Devolutionswirkung durch die Einführung des Rechtsmittels ist aber kein Wesensmerkmal. Es ist als ausreichend anzusehen, wenn das Rechtsmittel später, nach Verweigerung der Abhilfe10, die Sache dem Beschwerdegericht "anfallen" läßt11• 12•
m. Die Beschwerdeentscheidung läßt die Devolution enden Das Beschwerdegericht kann seine Entscheidung nicht mehr ändern, wenn ihm die Entscheidungsbefugnis in der Sache fehlt, es - im Sinne e Vgl. dazu oben § 6 II. 2.
7 Gilles, Rechtsmittel, S. 101. Unschädlich soll es sein, daß erst im Nachhinein feststeht, ob dem Rechtsmittel Devolutivwirkung zukommt. 8 Vgl. J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 118, und oben § 12 I. o Vgl. oben § 12 II. 10 Ob die Verweigerung der Abhilfe durch die untere Instanz notwendig einen Beschluß des Erstgerichts verlangt, braucht hier nicht entschieden zu werden; zum Streitstand vgl. Stein I Jonas I Grunsky, § 571 Anm. II 1. 11 Keiner Entscheidung bedarf der Streit, ob jede "ordnungsmäßige" Rechtsmitteleinlegung den Devolutiveffekt bewirkt - so z. B. A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 95 I (S. 508); Thomas I Putzo, Vorbem. I 2 vor § 511 oder ob die Devolution nur an eine zulässige Rechtsmitteleinlegung anknüpft -so Planck, Lehrbuch, 2. Bd., § 156 II (S. 479); Kleinfeller, Lehrbuch, S. 473 - . 12 Vgl. auch Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 135 I 1 b (S. 725).
§ 16 Devolution und Entscheidungsbefugnis
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der weiter oben mitgeteilten Auffassung- "nicht mehr mit der Sache befaßt ist". Verbleibt die "angefallene" Sache der Rechtsmittelinstanz, so schließt der angesprochene Gesichtspunkt eine Gegenvorstellung mit ihren Möglichkeiten nicht aus. 1. Die Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts ist mit der Dauer der Devolution verknüpft Nach römischem Recht behielt die Appellationsinstanz die Streitsache "unter allen Umständen" 13 bis zur endgültigen Erledigung, also einschließlich der Zwangsvollstreckung bei sich14. Daran hielt das gemeine Recht zunächst fest, soweit die Appellation Endsentenzen betraf15. Anders verfuhr man hinsichtlich der Zwischenbescheide, der sogenannten Interlocute. Der Oberrichter behielt die Streitsache nicht bei sich. Selbst wenn das Rechtsmittel begründet war, änderte er häufig in seinem Rechtsmittelausspruch die angefochtene Verfügung nicht selbst ab, sondern gab dem Unterrichter auf, die weiteren Verhandlungen entsprechend seinen Anordnungen weiterzuführen16. Aber auch dann, wenn er die neue Anordnung selbst traf, "remittierte" er die Sache an den erstinstanzliehen Richter. Daneben sah die gemeinrechtliche Theorie in der Zurückweisung eines Rechtsmittels gegen ein Interlocut das Ende der Devolution17. Mit der Zurücksendung der Akten verlor das Rechtsmittelgericht die ihm angefallene Entscheidungsbefugnis18. Was das geltende Recht betrifft, so ist die Rechtslage hinsichtlich der Berufung und der Revision klar. Das weitere Verfahren, insbesondere eine sich evtl. anschließende Zwangsvollstreckung, ist nicht mehr Aufgabe des Rechtsmittelgerichts. Die Rechtsmittelentscheidung läßt die durch die Einlegung des Rechtsmittels begründete Zuständigkeit der höheren Instanz entfallen. Denn mit Erlaß der Rechtsmittelentscheidung endet automatisch die Zuständigkeit der Rechtsmittelinstanz19. Gleiches gilt auch für das Rechtsmittel der Beschwerde20. Das zeigt auch die Vorschrift des§ 575 ZP021 . Danach kann das Beschwerdegericht 13 14
Vgl. die Quellen oben § 5 Fn. 6. Vgl. Wetzen, System,§ 57 (S. 762); Endemann, Zivilprozeßrecht, § 234 III
(S. 910).
u Vgl. Wetzell, System,§ 57 (S. 763). Vgl. Wetzen, System,§ 57 (S. 765). n Vgl. Wetzen, System, § 57 (S. 766 f.). 18 Linde, Rechtsmittel, §§ 208, 214 II, 1, 215. 19 So auch Planck, Lehrbuch, 2. Bd., § 144 IV 2 (S. 489); vgl. auch § 142 IV A (S. 468) bei einer Zurückweisung des Rechtsmittels. zo Planck, Lehrbuch, 2. Bd., § 156 II (S. 553): "Der Devolutiveffekt erlischt 18
IV. Die Unabänderba rkeit
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nicht nur über das Rechtsmittel entscheiden und seine Entscheidun g an die Stelle derjenigen der unteren Instanz setzen, sondern darüber hinaus dem Gericht, das das angefochtene Erkenntnis erlassen hat, aufgeben, die erforderliche n Anordnunge n zu treffen. Das Beschwerde gericht wird nur dann erneut mit der Sache befaßt, wenn die gern. § 575 ZPO von dem Erstgericht getroffene neue Anordnung mit einer neuen Beschwerde angefochten wird. Äußerlich zeigt sich die Beendigung der Devolution in den erwähnten Fällen in der Zurücksendu ng der Gerichtsakten. Der Wegfall der Devolutions wirkung tritt in allen höheren Instanzen ein, da die in der Devolution enthaltene Zuständigke itsregelung für alle Rechtszüge gilt.
2. Das Ende der Devolution setzt nicht die formelle Rechtskraft des Rechtsmittel beschlusses voraus Das Ende der Devolution hängt nicht von dem Eintritt der formellen Rechtskraft des Beschwerdeerkenntnisses ab. Die Zuständigkei t des Beschwerdegerichts zur Entscheidung der Streitsache fällt bereits mit Erlaß seines Beschlusses weg, gleich ob dieses Erkenntnis im Einzelfall weiter anfechtbar ist oder nicht. Damit ist die formelle Rechtskraft keine Voraussetzung für den Verlust der Entscheidungsbefugnis der Rechtsmittelinstanz. Devolution und formelle Rechtskraft berühren sich nur in einem Punkt: Eine Streitsache kann einer höheren Instanz nicht mehr "anfallen", wenn die angefochtene Entscheidung bereits rechtskräftig ist. Um diese Frage geht es nicht. Es ist allein erheblich, ob und gegebenenfalls wann die Devolution endet. IV. Eine Abänderbark eit von unanfechtbar en Beschwerdeb eschlüssen ist weder von Amts wegen noch auf Gegenvorstel lung möglich
1. Dem Beschwerdeg ericht fehlt die Zuständigke it Damit steht das Ergebnis für die Gegenvorste llung fest: Das letztinstanzliche Beschwerdeg ericht kann seine Entscheidun g nicht auf eine Gegenvorste llung abändern. Seine Entscheidun gszuständigk eit ist entfallen. Es könnte theoretisch nur dann erneut mit der Sache befaßt werden, wenn eine Partei ein Rechtsmittel gegen den Unterinstanz lichen Beschluß einlegen könnte. Denn darüber dürfte kein Streit bestehen: Ein Rechtsmittel gericht wird in der Sache selbst nur tätig, wenn und nachdem ein zulässiges Rechtsmittel gegen eine unterinstanz liche Entscheidun g erhoben ist. Für das Beschwerdeg ericht folgt daraus hinsichtlich der Gegenvorste llung, daß es gar nicht in die Lage kommen kann, seinen eigenen Fehler zu berichtigen. auch hier durch ... Erledigung (sei!.: der Beschwerde) durch Endbeschluß des Beschwerdegerichts." 21 Vgl. RGZ 158, 195 f. (196): ... "die Sache geht ohne weiteres wieder in die untere Instanz zurück"....
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§ 16 Devolution und Entscheidungsbefugnis
2. Der Inhalt des Beschlusses ist für das Ergebnis ohne Belang Das Ergebnis ist unabhängig von dem jeweiligen Entscheidungsinhalt des Beschlusses, also davon, ob es sich z. B. um "streitentscheidende" Erkenntnisse oder lediglich um prozessuale Anordnungen enthaltende Verfügungen handelt. Keine Rolle spielt es weiter, ob die Beschwerdeentscheid ung auf einfache oder sofortige Beschwerde hin ergangen ist. Beide Erscheinungsformen · des Rechtsmittels der Beschwerde beantworten die Frage der Abänderbarkeit einer Ietztinstanzlichen Beschwerdeentscheid ung einheitlich, und zwar negativ. Auch die Verletzung elementarer prozessualer Grundsätze, z. B. des Prinzips rechtlichen Gehörs, führt zu keinem anderen Resultat22 •
3. § 571 ZPO stützt die hier vertretene Ansicht Entgegen der weiter oben mitgeteilten Meinung23, die aus § 571 ZPO eine Abänderbarkeit der Beschwerdeentscheid ung herleiten will, stützt die genannte Vorschrift gerade das hier gefundene Ergebnis von der Unzulässigkeit einer Änderung eines unanfechtbaren Beschwerdebeschlusses. Unter der Geltung des späten gemeinen Rechts und der späten Landesrechte hatte der Beschwerdeführer zunächst bei dem Gericht, das den beschwerenden Beschluß erlassen hatte, eine Gegenvorstellung zu erheben24• Erst dann, wenn das angegangene Gericht eine (vollständige oder teilweise) Änderung des Beschlusses auf Gegenvorstellung hin abgelehnt hatte, war es dem Beschwerdeführer gestattet, nunmehr Beschwerde einzulegen26 • Festzuhalten bleibt, daß über die Gegenvor22 Die Entscheidung des Bundesverfassungsger ichts vom 8. 1. 1959 (BVerfGE 9, 89 ff.), die den Erlaß eines in der unteren Instanz ·abgelehnten bzw. aufgehobenen Haftbefehls durch ein Oberlandesgericht betrifft, spricht nicht gegen das Ergebnis. Das BVerfG ging zwar davon aus, daß der in letzter Instanz erlassene Haftbefehl auf Gegenvorstellung des Beschuldigten abänderbar war, jedoch lassen sich hieraus für das zivilprozessuale Verfahren keine entsprechenden Folgerungen ziehen; BVerfGE 9, 89 ff. (107). Bei dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Fall handelte es sich um einen Strafprozeß mit seinen Konsequenzen, der häufig eine andere Betrachtungsweise als im Zivilprozeß gebietet; vgl. jetzt auch § 311 a StPO. Das BVerfG geht selbst davon aus, daß die einzelne Verfahrensart über Umfang und Durchschlagskraft des Rechts auf Gehör entscheidet; vgl. BVerfGE 9, 89 ff. (95). 2s Vgl. oben§ 14 II. 1. a) Fn. 10. u Vgl. dazu oben§ 2 111. 1. 26 Eine vergleichbare Regelung findet sich noch heute im Österreichischen Zivilprozeßrecht; § 516 öZPO: "Die vom Vorsteher eines Gerichtshofes, vom Vorsitzenden des Senates oder von einem beauftragten Richter gefaßten Beschlüsse können ... durch das Rechtsmittel des Rekurses angefochten werden; die Anfechtung ist jedoch unstatthaft, wenn nicht früher die Abänderung des fraglichen Beschlusses beim Gerichtshofe beantragt wurde." Vgl. auch § 576 ZPO.
IV. Die Unabänderbarkeit
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stellung das angegangene Gericht entschied. Es handelte sich also immer um ein Verfahren der Instanz, in der der beschwerende Beschluß ergangen ist. Anders die Regelung des § 571 ZPO: Ziel der dem Untergericht eingeräumten Abhilfemöglichkeit ist es nicht mehr, diesem Gelegenheit zur erneuten Überprüfung seiner Entscheidung zu geben. § 571 ZPO bezweckt vielmehr, das Beschwerdeverfahren zu beschleunigen, wie die Wochenfrist zur Weitergabe der Beschwerde zeigt26. Daraus folgt: Das gemäß § 571 ZPO der Beschwerde abhelfende (untere) Gericht handelt bereits als Gericht der Beschwerdeinstanz anstelle des Beschwerdegerichts27. Handelt es sich um einen Abschnitt des Beschwerdeverfahrens, so ist - zumindest28 - erforderlich, daß eine Beschwerde gegenüber dem anzufechtenden Beschluß statthaft ist29. Da§ 567 III ZPO die Einlegung einer (weiteren) Beschwerde ausschließt, ist ein Oberlandesgericht nicht in der Lage, seinen Beschwerdebeschluß unter Hinweis auf § 571 ZPO zu ändernso, st.
4. Ergebnis des Eingangsfalles Der Antragsteller kann auch nicht mit einer Gegenvorstellung die Änderung des seinen Antrag zurückweisenden Beschlusses erreichen.
ze OLG Frankfurt, NJW 68, 57; Motive zu § 507 a. F. (= § 568 n. F.), S. 330 = C. Hahn, Materialien, S. 375; vgl. auch Heim, Feststellungswirkung, S. 65. 27 KG, DR 39, 2084 Nr. 14 und DR 40, 2190 Nr. 31; Kleinschmidt, Berichtigung, S. 35; Thomas I Putzo, § 571 Anm. 1. 28 Der Streit, ob die Abhilfe gern. § 571 ZPO im Einzelfall die Zulässigkeit der Beschwerde voraussetzt, bedarf keiner Entscheidung; dazu Stein I Jonas I Grunsky, § 571 Anm. I m. w. N. 2 9 Baumbach I Lauterbach I Albers, § 571 Anm. 1; Thomas I Putzo, § 571 Anm. 2 a; Wieczorek, § 571 Anm. AI a 2. 30 Vgl. RGZ 130, 345ff. (348); BGH, LM Nr. 2 zu§ 567; BayObOLGZ 57, 129; Thomas I Putzo, § 571 Anm. 2 a. 31 Es sei nochmals betont, daß mit dieser Feststellung nicht die Abänderbarkeit von erstinstanzliehen Beschlüssen der Oberlandesgerichte generell verneint werden soll. Nach richtiger Ansicht richtet sich die Abänderbarkeit nach dem Inhalt dieser Beschlüsse.
Vierter Teil
Die Rechtskraft unanfechtbarer Beschwerdeentscheidungen § 17 Ergebnis der Arbeit und Überblick über die Grundzüge der materiellen Rechtskraft von unanfechtbaren Rechtsmittelbeschlüssen I. Ergebnis
Die vorliegende Arbeit hat zu der Erkenntnis geführt, daß eine Änderung eines letztinstanzliehen Beschwerdebeschlusses in dem ursprünglichen Verfahren nicht möglich ist. Dieses Änderungsverbot kennt keine Ausnahmen1 • Mit dieser Feststellung ist aber noch nichts darüber ausgesagt, ob die beschwerte Partei in einem neuen Verfahren eine ihr günstige Entscheidung zu erzielen vermag2 • Uneingeschränkt kann und darf die Möglichkeit, ein neues Verfahren beim Erstgericht anzustrengen, nicht sein. Hierüber zu entscheiden, ist Sache der materiellen Rechtskraft. Die materielle Rechtskraft hindert im Umfang ihrer Grenzen die Wiederholung eines rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits. D. Die materielle Rechtskraft eines Beschlusses, der auf einfache Beschwerde ergangen ist
Die ZPO enthält keine Vorschrift, die die sachliche Rechtskraftfähigkeit von Beschlüssen regelt. § 329 ZPO erklärt § 322 ZPO, in der die materielle Rechtskraft von Urteilen angesprochen ist, nicht ausdrücklich für anwendbar. Heute besteht Einigkeit darin, daß die Nichterwähnung des § 322 ZPO in § 329 ZPO nicht von vornherein die Anwendbarkeit der Grundsätze über die materielle Rechtskraft auf die Entscheidungen ausschließt, die in Beschlußform ergehen3 • Vorab ist jedoch, 1 Die gesetzlich angeordneten Ausnahmen (z. B. im Strafprozeßrecht § 311 a StPO) sollen nicht besonders hervorgehoben werden. Diese Arbeit und die Untersuchungen in der Literatur befassen sich selbstverständlich nur mit den Fällen, in denen das Gesetz schweigt. Aus diesem Grunde werden die gesetzlichen Ausnahmefälle im Text nicht besonders erwähnt. z Aussagen zu der Zulässigkeit eines neuen Antrages fallen nicht unter das Thema der vorliegenden Arbeit. Es erscheint jedoch erforderlich, die mit einem neuen Verfahren zusammenhängenden Probleme kurz zu erwähnen. 3 Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 329 Anm. 3; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 88 IV 3 (S. 446); J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 128 ff.
III. Formelle Rechtskraft und einfache Beschwerde
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wegen des Junktims zwischen formeller und materieller Rechtskraft', eine Frage zu erörtern, die bislang unbeantwortet geblieben ist, nämlich die der formellen Rechtskraft von Beschlüssen, die auf einfache Beschwerde ergangen sind. Die äußere Rechtskraft von Beschlüssen, die der sofortigen Beschwerde unterliegen, ist unproblematisch. Sie orientiert sich an den §§ 705, 577 li ZPO.
m. Jede unanfechtbare Beschwerdeentscheidung erlangt formelle Rechtskraft
Baumgärtel5 , H. Schmidt6 und E. Schneider1 haben noch jüngst die formelle Rechtskraft von Beschlüssen, die auf einfache Beschwerde ergangen und unanfechtbar sind, verneint8 • Zur Begründung weisen sie auf § 705 ZPO hin, wonach nur von Anfang an unanfechtbare oder die einem befristeten Rechtsmittel (bzw. Einspruch) unterliegenden Entscheidungen formelle Rechtskraft erlangen sollen9 •
Bei der vorliegenden Arbeit interessiert allein, ob die letztinstanzliche Beschwerdeentscheidung formell rechtskräftig werden kann. Allgemeine und grundlegende Ausführungen zur äußeren Rechtskraft von erstinstanzliehen Beschlüssen, die der einfachen Beschwerde unterliegen, erübrigen sich. Wie die Untersuchungen zur Wiederholung der Beschwerde gezeigt haben, regelt allein das Rechtsmittelerkenntnis nach sachlicher Beschwerdeentscheidung die Streitsache (im weitesten Sinne verstanden). Dem angefochtenen unterinstanzliehen Beschluß kommt keine Bedeutung mehr zu. Die Voraussetzungen der formellen Rechtskraft sind allein hinsichtlich des Rechtsmittelspruchs festzustellen. Dieser Spruch ist von Anfang an unanfechtbar, § 567 III ZPO. Damit sind die Anforderungen, die Baumgärtel, H. Schmidt und E. Schneider aufstellen, erfüllt. Selbst wenn man der strengen Theorie zur formellen Rechtskraft, die neben der Unanfechtbarkeit noch Unabänderbarkeit der Entscheidung verlangt10, anhängen sollte, so ist dieses Erfor(sehr ausführlich); Pieper, Diss., S. 57 f.; Thomas I Putzo, § 322 Anm. 2 a; Wieczorek, § 329 Anm. C c IV; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 70 IV 4 (S. 226). Oberholt ist eine ältere Literaturmeinung, die die Rechtskraftfähigkeit allen Beschlüssen absprach; so z. B. Hellwig, System, § 228 I 2 (S. 772 f.); Hirsch, Diss., S. 19; R. Schmidt, Lehrbuch,§ 121 li (S. 749); Struckmann I Koch, § 318 Anm. 1 und § 329 Anm. 3. ' Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 322 Anm. 1 a; Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 150, 2 (S. 819); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 70 I (S. 222). 5 Baumgärtel, JZ 59, 437; siehe auch Bernhardt, Zivilprozeßrecht, § 53 li (S. 299). e H. Schmidt, Diss., S. 66. 7 E. Schneider, DRiZ 65, 289. 8 So auch Grunsky, Grundlagen, § 47 li 2 (S. 487 f.). 9 Vgl. die Genannten a.a.O. 10 Vgl. oben § 15 I zu Fn. 2. 8 Ratte
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§ 17 Materielle Rechtskraft der Rechtsmittelbeschlüsse
dernis hinsichtlich der beschriebenen Beschwerdebeschlüsse gegeben11 • Daraus folgt für ein auf einfache Beschwerde ergangenes unanfechtbares Erkenntnis, daß es mit Erlaß formelle Rechtskraft erlangt. Folglich ist ein Eingehen auf die materielle Rechtskraftfähigkeit sämtlicher unanfechtbarer Beschwerdebeschlüsse möglich. IV. Die h. M. verlangt eine zur materiellen Rechtskraft ,.geeignete" Entscheidung
In Rechtsprechung und Literatur besteht überwiegend Einverständnis darüber, daß nicht jeder formell rechtskräftige Beschluß materielle Rechtskraft erlangt. Während man früher auf das Kriterium der Entscheidung über "materielle Parteirechte" abstellte, also darauf, ob Ansprüche der Parteien zu- oder aberkannt wurden12, betont man heute einen anderen Gesichtspunkt. Man knüpft daran an, ob der betreffende Beschluß eine zur Rechtskraft geeignete Entscheidung enthält13 • Eine eingehende Behandlung des Problemkreises "materielle Rechtskraft" muß ausscheiden. Sie würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und ist vom Thema nicht geboten. Einige knappe grundsätzliche Ausführungen müssen genügen. Ausgangspunkt aller Überlegungen zu der Rechtskraftfähigkeit von gerichtlichen Entscheidungen sollte die Erwägung sein, daß es sich bei der materiellen Rechtskraft um eine "Zweckmäßigkeitsschöpfung" handelt14. Es sei vernünftig, so wird argumentiert, die in einem Prozeß gezogenen rechtskräftigen Feststellungen mit einer über den abgeurteilten Prozeß hinausreichenden Verbindlichkeit auszustatten15• Aus diesem Grunde überzeugt die weiter oben gegebene Begriffsbestimmung mit ihren doch ziemlich vagen Voraussetzungen nicht. Das gilt auch hinsichtlich der etwas bestimmteren Formulierung J. Blomeyers, u Vgl. oben § 16 IV. 1. Vgl. OLG Kassel, OLGE 18, 412 f. (413); KG, OLGE 22, 361; OLG Königsberg, JW 26, 2469; Förster I Kann, § 329 Anm. 2m; Gii.ndner, Diss., S. 26 f.; Kleinfeller, Lehrbuch, § 70 II (S. 255 f.) und (ausführlicher) Gegenstand, s. 373 ff. (394 ff.). 1s RGZ 123, 72; 167, 322; OLG Hamm, OLGZ 66, 52; Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 329 Anm. 3; Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 329 Anm. II 3; Thomas I Putzo, § 322 Anm. 2; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 71 IV (S. 255 ff.). 1' Vgl. Jesch, Bindung, S. 72 ff.; Niese, Prozeßhandlungen, S. 124 f.; Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 152 I (S. 825); Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 322 Anm. II 4. 15 Vgl. Rosenberg I Schwab, Zivilprozeßrecht, § 152 I (S. 825); a. A. Gaul, Wiederaufnahme, S. 92: " ... dem Prozeß sei die materielle Rechtskraft begriffsnotwendig zu eigen". 12
V. Unabänderbarkeit und materielle Rechtskraft
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wenn dieser darauf abstellt, ob ein "Bedürfnis" für die materielle Rechtskraft der Entscheidung besteht16• V. Jedem (unabänderlichen) formell rechtskräftigen Beschluß kommt materielle Rechtskraft zu
Es scheint eine andere Problemschau zutreffender zu sein. Hat man, wie hier, festgestellt, daß der Rechtsmittelbeschluß unanfechtbar und für das erlassende Gericht unabänderlich ist, so sollte man dieser Entscheidung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt im Grundsatz die sachliche Rechtskraft zuerkennen. Die materielle Rechtskraft sollte also an den Eintritt der formellen Rechtskraft, wie sie die "strenge" Theorie versteht, bzw. an die formelle Rechtskraft und die Unabänderbarkeit des Beschlusses im Sinne der "weniger strengen" Meinung zur äußerlichen Rechtskraft anknüpfen. Eine derartige Betrachtungsweise spannt einen weiten Bogen zwischen formeller und materieller Rechtskraft und führt zu dem - wünschenswerten - Ergebnis, daß die im Erstverfahren unabänderlich getroffenen Feststellungen auch - innerhalb des Geltungsbereichs der materiellen Rechtskraft- für die folgenden Verfahren zwischen den Parteien definitiv feststehen. So ist es ja bekanntlich im Urteilsverfahren, in dem Innenbindung (§ 318 ZPO), formelle und materielle Rechtskraft sich ergänzen und in ihrem Zusammenspiel für die "Endgültigkeit" der in einem Urteil enthaltenen Entscheidungen sorgen. Wenn man neben der formellen Rechtskraft noch auf weitere Kriterien abstellt, wirkt ein anderes Ergebnis befremdend: Soll in einem Beschlußverfahren der Richter des ersten Verfahrens gebunden sein, der Richter eines anderen Verfahrens dieselbe Frage anders beantworten können? Es ist einzuräumen, daß die gestellte Frage bejaht werden kann, ohne gegen prozessuale Grundsätze zu verstoßen, zumal wenn man wie hier die Änderungsbefugnis des Beschwerderichters mit dem Wegfall der Devolution verneint. Überzeugend wäre ein derartiges Ergebnis jedoch nicht. Eine andere Frage ist es, ob der materiellen Rechtskraft in allen Fällen ein "Wirkungsfeld" zukommt. Das ist zu verneinen. Viele verfahrensleitende Beschlüsse geben keinen Raum zur Entfaltung der Rechtskraftwirkungen, eben weil sie nur das einzelne Verfahren betreffen und allein die Aufgabe haben, den konkreten Prozeß auf sein Ziel, die Endentscheidung, hinzuführen. Eine andere Betrachtungsweise ist aber möglich, wenn man diese Entscheidung als ein mehr oder weniger selbständiges Zwischenverfahren in dem Prozeßverfahren versteht. Der materiellen Rechtskraft könnte dann eine Bedeutung zuto J.
••
Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 134 ff.
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§ 17 Materielle Rechtskraft der Rechtsmittelbeschlüsse
kommen, wenn eine Partei ihren allein prozessuale Fragen betreffenden Antrag wiederholt. Auch hier erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, sogar den verfahrensleitenden Beschlüssen eine (beschränkte) materielle Rechtskraftwirkung zuzuerkennen. Die materielle Rechtskraft will die richterliche Entscheidung in ihrem Bestand schützen unabhängig davon, ob der Richter in seinem Erkenntnis über einen materiellen oder prozessualen Anspruch befunden hat. Sie setzt also nicht notwendig die Existenz eines Anspruchs gegen die andere Partei voraus17• Probleme, die hier nur aufzuzeigen, nicht aber zu beantworten sind! M. E. zwingen diese Fälle aber nicht, der Gegenmeinung den Vorzug zu geben. Der hier eingenommene Standpunkt vermag zwangloser die aus der materiellen Rechtskraft fließenden Konsequenzen zu erklären. Stehen diese Konsequenzen gar nicht zur Entscheidung an, weil ein neues Verfahren wegen des Inhalts des früheren Beschlusses nicht möglich ist, kann die hier vertretene Auffassung nicht zu einer "Abwertung" des Instituts der materiellen Rechtskraft führen: Das Problem taucht in diesem Falle erst gar nicht auf. VI. Die Ausgestaltung des Beschlußverfahrens kann im Einzelfall eine Einschränkung des Umfangs der materiellen Rechtskraft gebieten
Eine Entscheidung kann nur dann für ein weiteres gerichtliches Verfahren "maßgeblich" sein, wenn das zu ihr führende Verfahren gewissen Mindestanforderungen genügt, insbesondere, wenn für sie die sogenannte "Richtigkeitsgewähr" streitetl8 • Dabei wird häufig gegen eine Zuerkennung der materiellen Rechtskraft angeführt, das nicht obligatorisch mündliche Verfahren bei der Beschwerde (§ 573 I ZPO) erfülle diese Voraussetzungen nicht19• Selbst wenn man unterstellt, daß sich die mündliche Verhandlung besser für eine erschöpfende Behandlung der Sache und für die Richtigkeit der Entscheidung eignet, schließt das die Anerkennung der materiellen Rechtskraft von Beschwerdebeschlüssen nicht aus, die im schriftlichen Verfahren ergangen sind. Bereits § 128 II ZPO zeigt, daß eine oben beschriebene Voraussetzung der materiellen Rechtskraft nicht besteht20 • Vgl. auch Bötticher, JZ 56, 582 ff. (586). Vgl. BGHZ 9, 129 ff. (133) zur materiellen Rechtskraft eines (abgelehnten) Verwaltungsakts: "Das Institut der materiellen Rechtskraft leitet seine innere Berechtigung . . . nicht zuletzt daraus her, daß die der Rechtskraft fähigen Entscheidungen in einem mit allen Garantien des Rechtszuges ausgestatteten Verfahren ergangen und auch unter diesen Umständen Fehlerquellen auf ein Mindestmaß zurückgeführt werden können, insoweit aber auch dann im Interesse der Rechtssicherheit in Kauf genommen werden müssen." Siehe auch J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 142m. w. N. in Fn. 49. 18 Vgl. Pieper, Diss., S. 163, 194, für den gleichgelagerten Fall der Erinnerungsentscheidung gern. § 766 ZPO. 17
18
VII. Ergebnis
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Es ist einzuräumen, daß es in einem summarischen Verfahren, also in einem Verfahren, in dem nicht die strengen Anforderungen des Klageverfahrens einzuhalten sind, häufig nicht zu einer erschöpfenden Behandlung der Streitsache korrunen wird21• Dieser Umstand gebietet es aber nicht, den in diesem Verfahren ergangenen Entscheidungen die sachliche Rechtskraftfähigkeit abzusprechen. Versteht man die materielle Rechtskraft als Zweckmäßigkeitsschöpfung, so kann man mit Pagenstecher22 "das eventuelle Minus an Wahrheit durch den Zeitgewinn" aufwiegen. Die hier vertretene Meinung findet eine weitere Stütze in der ZPO. Nach§ 510 c I ZPO bestimmt das Gericht in den zu einem Schiedsurteil führenden Sachen die Verfahrensgestaltung nach eigenem Ermessen. Unbestritten ist es, daß das Gericht in diesen Fällen ohne Zustimmung der Parteien das schriftliche Verfahren anordnen oder von den Förmlichkeiten des Beweisrechts abweichen kann23 • Gem. § 510 c IV ZPO steht das Schiedsurteil einem im ordentlichen Verfahren ergangenen rechtskräftigen Urteil gleich. Damit kommt ihm auch materielle Rechtskraft zu24 • Darüber hinaus ist es dem Prozeßrecht nicht fremd, eventuelle Schwächen eines summarischen Verfahrens durch eine Einengung der Wirkungen der materiellen Rechtskraft auszugleichen. Es sei an die "aufgeweichte" oder "beschränkte" Rechtskraft des Strafbefehls erinnert. Seine materielle Rechtskraft, § 410 StPO, schließt- anders als beim Urteil - die Berücksichtigung im Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls nicht bekannter Tatsachen und die Würdigung derselben Tat unter einem im Strafbefehl nicht berücksichtigten rechtlichen Gesichtspunkt in einem neuen Strafverfahren nicht aus25 • Damit ist eine Leitlinie aufgezeigt, die sich vielleicht auf das zivilprozessuale Beschlußverfahren übertragen läßt. VII. Das Ergebnis dieses Abschnitts
Sämtliche letztinstanzliehen Beschwerdebeschlüsse sind materiell rechtskraftfähig. Ihre Maßgeblichkeit für das zweite Verfahren kann aber unter dem Gesichtspunkt der "beschränkten" Rechtskraft (entsprechend der h. M. zur Rechtskraft des Strafbefehls) eingeengt sein. 20 Vgl. Kamm, ZZP 44, 98; Sauer, Grundlagen, S. 258; abl. Pieper, Diss., 8.153. 21 Vgl. dazu KG, OLGE 22, 360 ff. (362). 22 Pagenstecher, Rechtskraft, S. 192. 23 Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 510 c Anm. 3 B; Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 510 c Anm. IV 3. u Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 510 c Anm. 4 C. 25 Vgl. für das Strafprozeßrecht BGHSt 3, 13 ff. (16); 6, 122 ff. (124); BVerfG, NJW 54, 69. Siehe auch J. Blomeyer, Erinnerungsbefugnis, S. 145m. w. N.
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§ 17 Materielle Rechtskraft der Rechtsmittelbeschlüsse
Damit ergibt sich für den Eingangsfall folgendes Ergebnis: Dem Antragsteller ist es nicht verwehrt, einen neuen Antrag auf Erlaß eines Arrestes zu stellen, soweit er ihn auf neue Tatsachen hinsichtlich des Arrestanspruches und -grundes stützen kann. Einem neuen Antrag, der allein Rechtsausführungen enthält, steht die materielle Rechtskraft des unanfechtbaren Beschlusses des Oberlandesgerichts entgegen28• Das zum zweiten Mal angegangene Landgericht hätte die Wiederholung der Beschwerde, soweit sie mit neuen Tatsachen begründet worden ist, als einen neuen Antrag in einem neuen Verfahren auslegen müssen. Dieser Antrag ist auch begründet. Da das Landgericht dies verkannt hat, ist gegen seinen zweiten Beschluß die Einlegung der (ersten) Beschwerde zulässig. Die Beschwerde wird Erfolg haben. Will das Oberlandesgericht die "wiederholte" Beschwerde nicht als "erste" Beschwerde in einem neuen Verfahren ansehen, ist dem Antragsteller die Anregung zu geben, Beschwerde gegen den zweiten Beschluß des Landgerichts einzulegen.
28
Vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 68, 2112 f. (2113).
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