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German Pages 485
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1328
Die Reform des Föderalismus im Wasserhaushaltsrecht Zugleich ein Beitrag zur Funktionsbeschreibung und Bewertung der Abweichungsgesetzgebung
Von
David Apel
Duncker & Humblot · Berlin
DAVID APEL
Die Reform des Föderalismus im Wasserhaushaltsrecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1328
Die Reform des Föderalismus im Wasserhaushaltsrecht Zugleich ein Beitrag zur Funktionsbeschreibung und Bewertung der Abweichungsgesetzgebung
Von
David Apel
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Technischen Universität Dresden hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommerester 2015 von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand Sommer 2015. Ihre Veröffentlichung ist eine willkommene Gelegenheit, meinem Lehrer und Doktorvater Herrn Professor Martin Schulte zu danken – für seine wissenschaftliche Wegbereitung und -begleitung, für die Schaffung der Rahmenbedingungen an seinem Lehrstuhl, ohne die diese Arbeit wohl nicht in der jetzt vorliegenden Form geschrieben worden wäre. Namentlich die Zeit an seinem Lehrstuhl bereicherte mich in fachlicher und menschlicher Hinsicht sehr. Herr Professor Athanasios Gromitsaris hat die Mühen eines Zweitgutachtens übernommen und sehr zügig besorgt. Auch ihm gegenüber gilt an dieser Stelle mein herzlicher Dank. In besonders dankenswerter Weise haben die Konrad-Adenauer-Stiftung und Herr Professor Arnd Uhle zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Herr Professor Uhle stand mir als Vertrauensdozent der Stiftung und darüber hinaus mit zahlreichen Anregungen zur Seite. Die Konrad-Adenauer-Stiftung sorgte mit einem Graduiertenstipendium für die erforderliche finanzielle Unabhängigkeit zur Erstellung der Arbeit. Verbindlicher Dank gilt auch Herrn Rechtsanwalt Klaus Steiner, der mich bei der Erstellung der Arbeit und ihrer Drucklegung tatkräftig unterstützte. Freunde und Kollegen haben in zahlreichen Gesprächen zur Absicherung mancher These sowie zur Klärung von Einzelproblemen beigetragen. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. In memoriam Arno Apel Dresden im April 2016
David Apel
Inhaltsverzeichnis Einführung 21 I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Erkenntnisleitendes Interesse und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Inhalt und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Kapitel 1
Die Entwicklung des Wasserhaushaltsrechts im Kontext der Föderalismusreform 2006
31
I. Entwicklung und Konfliktpotentialdes Wasserwirtschaftsrechts . . . . . . . . . 31 1. Historische Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Das Wasserhaushaltsrecht bis zur Verfassungsreform 2006 . . . . . . . . . . . 36 a) Das Wasserrecht als Regelungsgegenstand der Kompetenzordnung . 36 b) Die Rahmengesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Das Wasserhaushaltsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Die Landeswassergesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 e) Die Friktionen des wasserrechtlichen Kompetenzregimes . . . . . . . . . 48 3. Die europäische Determinierung des Wasserhaushaltsrechts . . . . . . . . . 53 4. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. Die Reform des wasserwirtschaftlichen Kompetenzregimes . . . . . . . . . . . . . 58 1. Die Föderalismusreform: Grundzüge, Chronologie und Intention . . . . . . 59 2. Strukturelemente des Abweichungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Die systematische Verortung der Abweichungsbefugnis . . . . . . . . . . . 62 b) Funktion des Anwendungsvorrangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Der Anwendungsvorrang und die Landesnovellierungen . . . . . . . . . . 67 aa) Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 d) Die Karenzzeit des Artikel 72 Abs. 3 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 70 e) Definitionsversuche zu Artikel 72 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Das abweichungsfeste stoff- und anlagenbezogene Klammerzitat . . . . . . 76 a) Die Entstehungsgeschichte der Bereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Die Reform des Föderalismus im Umweltverfassungsrecht . . . . . . . . 85 III. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
8 Inhaltsverzeichnis Kapitel 2
Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
91
I. Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Die Entwicklungslinie des Wasserhaushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Die Regelungstechnik der Novellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Die Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Wasserhaushaltsrechts . 97 4. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Überlegungen zur Einpassung und Neufassung des Landesrechts . . . . . . 103 2. Anpassungen und Abweichungen des Landeswasserrechts . . . . . . . . . . . 105 a) Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 d) Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 e) Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 f) Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 g) Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 h) Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 i) Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 j) Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 k) Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 l) Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 m) Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 n) Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 o) Berlin und Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Der Meinungs- und Sachstand zur Dispositionsbefugnis im Wasserhaushaltsrecht im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Die zu kurz bemessene Karenzzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Die ‚exzessiv‘ gebrauchte Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) ‚Dumpingwettbewerb‘ oder ‚Wettbewerbsföderalismus‘ im Wasserhaushaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Kapitel 3
Die Bedeutung der Bundestreue und des Rechts der Europäischen Union für die Abweichungsbefugnis der Länder
140
I. Geltungsanspruch und Reichweite der Bundestreueim Bereich der Abweichungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Grundzüge des Gebots bundesfreundlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . 142
Inhaltsverzeichnis9 2. Die Pflicht des Bundesgesetzgebers zur ‚Bereinigungsfreundlichkeit‘ . . 145 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Die Bundestreue und alternierende Rechtsanwendungsbefehle . . . . . . . . 147 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Die Abweichungsbefugnisim europäischen Harmonisierungsrahmen . . . . . 150 1. Verbesserung der Transformationsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Europarechtswidrig abweichendes Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Nationale Gesetzgebung und europäische Sekundärrechtsetzung . . . . 156 b) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Die Nichtigkeit divergierenden Landesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Die Anwendung des Bundes- oder des Europarechts . . . . . . . . . 161 3. Die Transformationserfordernisse im Wasserhaushaltsrecht . . . . . . . . . . . 163 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 III. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Kapitel 4
Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen im Bereich des Wasserwirtschaftsrechts
169
I. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Die Interpretationskriterien der Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Die Ausformung ‚stoff- oder anlagenbezogener Regelungen‘ im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3. Leitlinien zur Auslegung des Artikels 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG . . . . . 178 a) Die Abweichungsbefugnis als ‚eng‘ zu interpretierende ‚Ausnahme‘ . 179 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Die Regelungstechnik des ausgrenzenden Klammerzusatzes . . . . . . . 184 c) Das Abweichungsmodell zur ‚Konzeptbildung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 III. Die Abweichungskompetenzim Wasserhaushaltsrecht im Geflecht bundesstaatlicher Zuständigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Die kompetenziellen Grundlagen des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 . . . 189 2. Das Recht der Wirtschaft und die Ordnung des Wasserhaushalts . . . . . . 190 3. Die Vorgaben zur Wasserkraftnutzung und das Recht der Energiewirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
10 Inhaltsverzeichnis 4. Das Wasserwirtschaftsrecht und die Befugnis zum Bodenrecht . . . . . . . 195 5. Regelungen des Küstenschutzes und Wasserhaushaltsrecht . . . . . . . . . . . 197 IV. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Kapitel 5
Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme abweichender Landesgesetzgebung
199
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung . . . . . . . . . . 200 1. Die Einschränkungen der Abweichungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Die Beschränkung der Länder auf die bundesgesetzlich geordneten Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Die Bindung der Länder an die ‚Konzeption‘ des Bundesgesetzes . . 205 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Inhaltsgleiches und wortlautidentisches Bundes- und Landesrecht . . . . . 207 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Die Inbezugnahme von Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Die formulierungsidentische und inhaltsgleiche Übernahme . . . . 212 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Die negierende landesrechtliche Deregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Charakterisierung und Bewertung von Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Das Erscheinungsbild der Öffnungsklauseln in der Staatspraxis . . . . . . . 224 2. Die verfassungsrechtliche Grundstruktur der Optionsvorbehalte . . . . . . . 226 a) Unberührtheits- und Abweichungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Landesvorbehalte im Bereich stoff- oder anlagenbezogener Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 III. Verfassungsrechtliche Kennzeichnungs- und Dokumentationspflichten: Staatspraxis, Funktionalität und Rationalität im Wasserwirtschaftsrecht . . . . . . . . . 234 1. Die Kennzeichnungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Die Kennzeichnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Ausgewählte Referenzbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 IV. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Inhaltsverzeichnis11 Kapitel 6
Funktionen und Grundstrukturen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
246
I. Die mit dem Klammerzitat verbundenen spezifischen Zielvorstellungen und Auslegungsleitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme als ‚Kernbereich‘ des Wasserhaushaltsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Die Bedeutung der fachgesetzlichen Ziel- und Zweckbestimmungen für die Interpretation der Bereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Die beiden Elemente des Klammerzitats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats . . . . . . . 255 1. Die anlagenbezogene Bereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Begriffsbildung und -inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Ausdifferenzierungen des einfachgesetzlichen Anlagenbegriffs . . 257 bb) Grundzüge eines verfassungsrechtlichen Anlagenbegriffs . . . . . . 261 b) Die Prämisse der ‚Einwirkung‘ auf den Wasserhaushalt . . . . . . . . . . 264 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (1) Normtext und Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (2) Der Schutzzweck des Klammerzitats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (3) Die Einbeziehung von Hochwasserschutzbauten in die Bereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (4) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 c) Die auf Anlagen ‚bezogenen‘ Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Die stoffbezogene Bereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Grundsätzliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Der einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Stoffbegriff . . . . . . 274 c) Konturen einer stoffbezogenen Bereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . 278 aa) Die Bewirtschaftungsziele und Qualitätsnormen . . . . . . . . . . . . . 279 bb) Das ‚Wasser‘ im Gefüge stoffbezogener Regelungen . . . . . . . . . 281 d) Die auf Stoffe ‚bezogenen‘ Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 aa) Die Zuständigkeit zur Erhebung von Abgaben . . . . . . . . . . . . . . 283 bb) Der passive Stoffschutz als Gegenstand der Bereichsausnahme . 286 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Die Disponibilität des Planungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 III. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
12 Inhaltsverzeichnis Kapitel 7
Die Dispositionsbefugnisse der Länder über das Wasserhaushaltsgesetz: Präzisierung und Zusammenführung
296
I. Allgemeine und gemeinsame Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Die Zwecksetzung und allgemeine Bestimmungen (§§ 1, 5 und 6 WHG) . 297 a) Die Zweckbestimmung des Wasserhaushaltsgesetzes . . . . . . . . . . . . . 297 b) Die allgemeinen Sorgfaltspflichten und Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2. Der Anwendungsbereich nach § 2 WHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 3. Die Indisponibilität von Legaldefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4. Das ‚Gewässer‘ als abweichungsfester Regelungsgegenstand . . . . . . . . . 305 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 5. Bürgerliches Recht im Wasserhaushaltsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Das wasserrechtliche Gestattungsregime der §§ 8 ff. WHG . . . . . . . . . . . 311 2. Die Indisponibilität der Benutzungstatbestände nach § 9 WHG . . . . . . . 313 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 3. Das Reglement der Bewirtschaftung oberirdischer Gewässer (§§ 25 ff. WHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a) Gemein-, Eigentümer- und Anliegergebrauch (§§ 25, 26 WHG) . . . . 319 aa) Die Grundstruktur des Gemein-, Eigentümer- und Anliegergebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 bb) Indisponible Vorgaben des Gemeingebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . 321 cc) Der Dispens vom Gemeingebrauch als konstitutionelle Abweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 b) Die Vorgaben zur Mindestwasserführung und Durchgängigkeit (§§ 33, 34 WHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 c) Die Voraussetzungen der Wasserkraftnutzung (§ 35 WHG) . . . . . . . . 327 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 d) Die Bestimmung zu den Gewässerrandstreifen (§ 38 WHG) . . . . . . . 330 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 e) Die Indisponibilität der §§ 36 ff. WHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
Inhaltsverzeichnis13 III. Besondere wasserwirtschaftliche Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Die Vorgaben zu Wasserschutzgebieten (§§ 51 f. WHG) . . . . . . . . . . . . 336 2. Die Vorschrift zum Heilquellenschutz (§ 53 WHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 3. Das Reglement zum Hochwasserschutz (§§ 72 ff. WHG) . . . . . . . . . . . . 339 a) Strukturelemente des Hochwasserschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 b) Die besonderen Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 aa) Die Kompetenzinanspruchnahme des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 18 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 bb) Die Kompetenzinanspruchnahme des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 17 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 c) Die Indisponibilität einzelner Untersagungstatbestände . . . . . . . . . . . 345 aa) Sachstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 bb) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 d) Die Vorgaben zu den Überschwemmungsgebieten im abweichungsfesten Sachzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 4. Das Regelungsmandat für Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche . . 351 5. Regelungen mit organisatorischem Charakter, Befugnisnormen und Duldungspflichten (§§ 4 Abs. 4 Satz 2 WHG, 65, 64, 93, 94, 101 WHG) . 352 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 IV. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Grundsätzliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Versuch einer Zusammenführung und Strukturbildung . . . . . . . . . . . . . . 358 Kapitel 8
Die Einbindung der Verordnungsgebung in die Abweichungskompetenz
362
I. Der Erlass untergesetzlicher Regelwerke zur Ordnung des Wasserhaushalts . 363 1. Die Delegationsnorm des § 23 WHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 2. Ausgewähltes Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 II. Die Ermächtigungsnorm im Normsetzungssystem – Funktionsbeschreibung und Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 1. Die Sperrwirkung von Ermächtigungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 2. Die Fortgeltung des Landesverordnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 a) Die Regelungsbefugnis nach Wegfall der Ermächtigungsgrundlage . 371 b) Die Standpunkte der Länder und die Bundesratsinitiative vom 27. Mai 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen in die Abweichungsgesetzgebung . 373 1. Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
14 Inhaltsverzeichnis a) Die Verdrängung der bundesgesetzlichen Ermächtigungsnorm und Delegation der Abweichungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 b) Die Entscheidung zur Abweichung in der Ermächtigungsnorm bei Delegation der Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 c) Sonderfall: Die Verdrängung der bundesgesetzlichen Ermächtigungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 2. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 a) Die Abweichung ‚vom‘ Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 b) Die Abweichung ‚durch‘ Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 aa) Historische und systematische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . 386 bb) Teleologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 cc) Einzelfragen zur Abweichung mittels Rechtsverordnungen . . . . 388 (1) Die Abweichung durch und von Delegationsnormen . . . . . . 389 (2) Die Voraussetzungen für eine formell-gesetzliche Abweichungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 c) Eine erste Bewertung des Landesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 IV. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Kapitel 9
Die Zuständigkeitsverteilung für das wasserwirtschaftliche Verfahrensrecht
396
I. Die Dispositionsbefugnis über das Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 1. Grundzüge des Artikels 84 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 2. Die Einbindung von Rechtsverordnungen in Abweichungsgesetzgebung . 400 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 II. Verflechtungen formeller und materieller Abweichungsbefugnisse . . . . . . . . 405 1. Die Befugnis zur Einrichtung der Behörden und zur Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 2. Die Abweichungsoffenheit des stoff- und anlagenbezogenen Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 3. Die Abweichungsbefugnis bei doppelgesichtigen Normen . . . . . . . . . . . . 411 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 III. Die Abgrenzung von formellem und materiellem Recht anhand der Indisponibilität wasserwirtschaftlicher Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 IV. Resümierende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
Inhaltsverzeichnis15 Kapitel 10
Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung
421
I. Der verfassungsrechtliche Rahmen der Gewässerbewirtschaftung . . . . . . . . 421 II. Das Landeswasserrecht im föderativen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 III. Eine abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Literaturverzeichnis 427 I. Berichte, Gutachten und sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 II. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Auffassung ABl. Amtsblatt ABl.EG L Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (Legislation) ABl. EU Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz a. E. am Ende a. F. alte Fassung ÄndG. Änderungsgesetz Anh. Anhang Anm. Anmerkung AnwBl Anwaltsblatt AöR Archiv des Öffentlichen Rechts / Archiv für Öffentliches Recht Aufl. Auflage BAnz. Bundesanzeiger BauR Zeitschrift für Baurecht Bay. GVBl. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BayWG Bayerisches Wassergesetz BbgWG Brandenburgisches Wassergesetz Bd. Band, Bände Begr. Begründung Bek. Bekanntmachung BGBl. Bundesgesetzblatt BMEL Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit BRat Bundesrat BReg Bundesregierung Brem. GBl. Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen BremWG Bremisches Wassergesetz BT-Drucks. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerwG Bundesverwaltungsgericht
Abkürzungsverzeichnis17 BW GBl. Gesetzblatt für Baden-Württemberg DAV Deutscher Anwaltsverein ders. derselbe d. h. das heißt dies. dieselbe(n) DIN Deutsche Industrienorm Diss. Dissertation DNotZ Deutsche Notarzeitschrift DÖV Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall E Entscheidung(en) ebd. ebenda EG Europäische Gemeinschaft EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einf. Einführung Einl. Einleitung EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EuR Europarecht (Zeitschrift) EUWID Zeitschrift Europäischer Wirtschaftsdienst − Wasser und Ab wasser Fests. Festschrift Fn. Fußnote GewArch Gewerbearchiv (Zeitschrift) GfU Gesellschaft für Umweltrecht GGÄndG Grundgesetz-Änderungsgesetz GV. NRW Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen GVBl. LSA Gesetz- und Verordnungsblatt für Sachsen-Anhalt GVOBl. M-V Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern GVOBl. Schl.-H. Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein HDW Handbuch des Deutschen Wasserrechts Hess. GVBl Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen HessVerf Verfassung des Landes Hessen HessWG Hessisches Wassergesetz Hg. Herausgeber HH GVBl. Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Jb Jahrbuch JöR Jahrbuch für öffentliches Recht
18 Abkürzungsverzeichnis JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) JZ Juristenzeitung KA Korrespondenz Abwasser LAWA Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser LKRZ Landkreis LKV Landes- und Kommunalverwaltung LT-Drucks. Landtagsdrucksache MecklVorpWG Wassergesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern MV GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern NdsVBl. Niedersächsische Verwaltungsblätter NdsVerf Niedersächsische Verfassung NdsWG Niedersächsisches Wassergesetz n. F. neue Fassung / neue Folge NI GVBl. Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt NJ Neue Justiz (Zeitschrift) NJW Neue Juristische Wochenschrift NordÖR Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland NordrhWestWG Wassergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen NuR Natur und Recht (Zeitschrift) NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NW GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen NWVBl Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter PAU Projektarbeitsgruppenunterlage RdA Recht der Arbeit RdWWi Das Recht der Wasserwirtschaft. Veröffentlichungen des Instituts für das Recht der Wasserwirtschaft an der Universität Bonn RegBl Regierungsblatt Reg.-E. Regierungsentwurf RGBl Reichsgesetzblatt RGZ Reichsgericht (Zivilsachen) RhPfWG Wassergesetz für das Land Rheinland-Pfalz Rspr. Rechtsprechung S. Seite / Satz SaarlWG Saarländisches Wassergesetz SachAnhWG Wassergesetz für das Land Sachsen-Anhalt SächsGVBl Sächsische Gesetzes- und Verordnungsblätter SächsVerf Sächsische Verfassung SächsWG Sächsisches Wassergesetz SchlHWG Wassergesetz des Landes Schleswig-Holstein
Abkürzungsverzeichnis19 sog. sogenannte(r) SRU Sachverständigen Rat Umweltschutz sten. stenografisch(er) UGB Umweltgesetzbuch UGB-E Regierungsentwurf Umweltgesetzbuch UPR Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) UTR Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts UVP Umweltverträglichkeitsprüfung v. vom / von VAwS Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen VBl.BW Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verf NRW Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen VerwArch Verwaltungsarchiv Vorb. Vorbemerkung VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer W+B Zeitschrift für Deutsches und Europäisches Wasser-, Abwasserund Bodenschutzrecht WG Wassergesetz WHG 2002 Wasserhaushaltsgesetz vom 19. August 2002 WRV Weimarer Reichsverfassung WuA Wasser und Abfall (Zeitschrift) WuB Wasser und Boden (Zeitschrift) WWi Die Wasserwirtschaft (Zeitschrift) ZaöRVR Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZfP Zeitschrift für Parlamentsfragen ZfU Zeitschrift für Umweltpolitik ZfW Zeitschrift für Wasserrecht ZG Zeitschrift für Gesetzgebung ZgesStW Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZUR Zeitschrift für Umweltrecht ZZP Zeitschrift für Zivilprozess
Einführung „Zur Problematik der Landeswassergesetze“ titelte eine Abhandlung zwei Jahre nach Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes im Jahre 1962.1 Es ließen sich zahlreiche weitere Publikationen über das Für und Wider eines föderal geprägten Wasserwirtschaftsrechts anführen.2 Vielleicht wäre das 50-jährige Bestehen des Wasserhaushaltsgesetzes am 1. März 2010 ein vielversprechender Zeitpunkt gewesen,3 um die damit verbundenen verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen zu bewerten. Indessen erhielt das mit dem Wasserwirtschaftsrecht korrespondierende Kompetenzregime in Form der am 1. September 2006 in Kraft getretenen Verfassungsreform4 und der am 1. März 2010 in Kraft getretenen Neuordnung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG 2010)5 eine Zäsur. Diese Neuordnung des Wasserwirtschaftsrechts gibt einer dogmatischen Fundierung und Funktionsbeschreibung der neugeordneten Kompetenzverteilung einen erörterungswürdigen Ausgangspunkt. weiterhin aktuellen Titel A. Bochalli, ZfW 1962, S. 65 ff. Verteilung der öffentlich verantworteten Gewässerbewirtschaftung wurde seit der Verabschiedung des Grundgesetzes kontrovers diskutiert: F. Giese, Die Bundeskompetenz zur Regelung des Wasserhaushaltswesens, ZgesStW Bd. 110 (1954), S. 257 ff.; P. Gieseke, in: ders. (Hg.), RdWWi, Bd. 9, 1955, S. 7 (10 ff.); ders., in: ders. (Hg.), RdWWi, Bd. 9 (1961), S. 7 ff.; K. J. Reiter, Die Wassergütewirtschaft als Gegenstand der Bundeskompetenz, 1957, passim; H. Stumm, in: Salzwedel (Hg.), RdWWi, Bd. 17 (1971), S. 13 (19 ff.); W. Wiedemann, in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 12 (1971), S. 5 ff. Der Bundesrat wies die Extensionsbemühungen des Bundes in regelmäßigen Abständen zurück. Vgl. die Beschlüsse vom 5. Juli 1968 (BR-Drucks. 332/68) und vom 10. Februar 1969 (BR-Drucks. 14/69). 2 Aus dem jüngeren Schrifttum nur K. Berendes, ZfW 2002, S. 197 ff.; D. Blasberg, NWVBl. 2005, S. 205 ff.; R. Breuer, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 404 ff.; W. Frenz, ZfW 2002, S. 222 ff.; R. Reichert, NVwZ 1998, S. 17 ff.; M. Reinhardt, in: UTR Bd. 45 (1998), S. 123 ff.; F. A. Schendel, ZfW 1999, S. 311 ff. Zur Gesetzgebungskompetenz für ein Umweltgesetzbuch H.-W. Rengeling, Gesetzgebungskompetenzen für den integrierten Umweltschutz, 1999, S. 41 ff. und passim. 3 Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz – WHG) vom 27. Juli 1957, BGBl. I, S. 1110, ber. S. 1386. Zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie sowie zur Änderung des Wasserstraßengesetzes und des KrW/AbfG vom 6. Oktober 2011, BGBl. I, S. 1986. 4 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I, S. 2034. 5 Wasserhaushaltsgesetz vom 31. Juli 2009, BGBl. I, S. 2585. 1 Mit diesem Die föderale
22 Einführung
Die Normsetzungstätigkeit im Bereich des Umweltschutzes stellt seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen erheblichen Umfang der gesamten gesetzgeberischen Aktivität dar.6 Das Umweltrecht des Bundes umfasst etwa zwanzig Gesetze und zahlreiche Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften.7 Daneben existieren in ähnlichem Umfang landesrechtliches Reglement sowie technische Regelwerke. Wolfgang Durner weist für den Kontext anschaulich auf das circa 12.000 Seiten umfassende Normprogramm über den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen hin.8 Überdies wirkt die ständige Extension des Rechts der Europäischen Union erheblich auf das Wasserwirtschaftsrecht ein.9 Die europäischen Transformationsbefehle bedeuten für die Mitgliedstaaten eine anhaltende Aufgabenexpansion und einen steigenden Novellierungsdruck.10 Die europarechtlichen Einflüsse setzen dabei das konditional orientierte deutsche Umweltrecht durch den sys temorientierten und integrativen angelsächsischen Ansatz unter einen erheblichen Rechtfertigungszwang.11 Einem Rechtfertigungsdruck war auch das Umweltverfassungsrecht ausgesetzt. Nach der Beurteilung des Bundesgesetzgebers12 und Teilen des Schrifttums verwehrten die umweltbezogenen Bestimmungen des Grundgesetzes eine Vereinfachung des Umweltrechts in einer Gesamtkodifikation durch ein Umweltgesetzbuch.13 Nach gleichlauten6 Näher und mit weiteren Nachw. M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 95 ff. 7 Vgl. dazu nur die Darstellung von M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 7 ff. 8 W. Durner, in: Köck (Hg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch nach der Föderalismusreform, 2009, S. 63 (79), mit Verweis auf Diesel/Lühr, (Hg.), Lagerung und Transport wassergefährdender Stoffe (LTwS), Ergänzbares Handbuch der rechtlichen, technischen und naturwissenschaftlichen Grundlagen für Betrieb und Verwaltung, Stand 7/2011. 9 Nachfolgend wird durchgehend auch das Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder der Europäischen Gemeinschaft als Recht der Europäischen Union bezeichnet. Nämliches gilt für den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der die ehedem geltenden Verträge umfasst. 10 A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1 (1): „Weiterhin gehört das Umweltrecht zu den dynamischsten Rechtsgebieten überhaupt, weil es einem permanenten Anpassungsdruck unterliegt.“ 11 Zu den unterschiedlichen Ansätzen der konditionalen und finalen Rechtsetzung vgl. R. Breuer, AöR Bd. 127 (2002), S. 523 (525 f., 556 f.). 12 Der zuständige Staatssekretär Rainer Baake teilte dazumal mit, für eine integrierte Vorhabengenehmigung benötige der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Wasserrecht, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. September 1999, S. 18. 13 Eine Kodifikationsbefugnis mit Blick auf die Art. 70 ff. GG ehedem ablehnend C. Gramm, DÖV 1999, S. 540 (543); M. Weinl, UPR 2001, S. 46 (47). Instruktiv K. Berendes, ZfW 2002, S. 197 (204), wonach eine für ein Umweltgesetzbuch erforderliche – den Art. 75 GG gleichsam überzeichnende – Schwerpunkt-
Einführung23
den Entschließungen14 von Bundestag und Bundesrat erhöhte namentlich die Ablösung der in Art. 75 GG a. F. niedergelegten Rahmengesetzgebung die Transformationstauglichkeit des Grundgesetzes signifikant. Zudem schuf die Reform die Voraussetzungen für eine Gesamtkodifikation des Umweltrechts mit einer integrierten Vorhabengenehmigung.15 Das rahmenrechtliche Erfordernis zweier nacheinander geschalteter Gesetzgebungsverfahren, eines auf der Ebene des Bundes und eines im Hoheitsbereich der Länder, erwies sich besonders bei der Transformation europäischen Umweltrechts als dysfunktional.16 Als facettenreiches Diskussionsfenster im Zuge der Neuausrichtung des Umweltrechts erweist sich die mit der Abschaffung der Rahmengesetzgebung zeitgleich eingeführte Abweichungsbefugnis der Länder nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG.17 Diese Dispositionsbefugnis soll den Ausgleich zwischen der als notwendig erachteten Bundeszuständigkeit zur Transformation europäischen Rechts und den zugleich divergierenden regionalen Voraussetzungen im Bundesgebiet Rechnung tragen.18 Das Wasserwirtschaftsrecht ist mit seiner historisch föderabetrachtung nicht möglich sei, „wenn das Grundgesetz selbst, wie hier beim Wasserhaushalt, einem Rechtsgebiet ausdrücklich eine bestimmte Kompetenz zuweist (Spezialkompetenz). Den Wasserhaushalt betreffende Regelungen des Bundes können grundsätzlich nur auf Artikel 75 gestützt werden.“ Bejahend demgegenüber die verbreitete Ansicht im Schrifttum, statt anderer nur F.-J. Peine, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 109 ff.; H.-W. Rengeling, Gesetzgebungskompetenzen für den integrierten Umweltschutz, 1999, S. 83 ff. sowie E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21 (23). 14 Vgl. die Entschließung BR-Drucks. 462/06 vom 5. Juli 2006. 15 Zum Umweltgesetzbuch und den einzelnen Schritten des Kodifikationsvorhabens zuletzt B. Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2010, S. 62 ff., insb. S. 69 ff.; zu den kompetenzrechtlichen Hemmnissen K. Berendes, ZfW 1999, S. 212 (213 ff.). 16 Begr. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 8. Aus dem Schrifttum statt anderer nur F.-J Peine, NuR 2001, S. 421 (425 ff.) Entgegen aller M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (99). 17 Aus der Fülle von Publikationen mit Blick auf das Wasserwirtschaftsrecht M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 ff. und F.-J. Peine, in: Bosecke/Kersandt/ Täufer (Hg.), Festg. Czybulka, 2010, S. 207 ff. sowie zur Entstehungsgeschichte K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 ff. Instruktiv zudem L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 ff. mit Rekurs auf das staatsrechtliche Theoriegebäude sowie H.-H. Munk, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, S. 1 ff., der die landesseitigen Herausforderungen nach Erlass des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 beleuchtet. Aus der Kommentarliteratur vgl. A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 1 ff. 18 Näher zu den unterschiedlichen Voraussetzungen in Kapitel 2 sub II. 3. und 4; auch M. Reinhardt, UTR Bd. 45 (1998), S. 123 (133): „Die regionale Verschiedenheit zwingt also zu diversifizierter legislativer Bewältigung.“
24 Einführung
len19 und jüngeren europäischen Prägung sowie im Verein mit der stoff- oder anlagenbezogenen Bereichsausnahme in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG im besonderen Maße geeignet, als Referenzmaterie für die geänderte Kompetenzverteilung zu dienen. Das Wasserwirtschaftsrecht befindet sich beständig im Fluss.20 In einer ersten Etappe nahm das Wasserhaushaltsgesetz mit dem vierten Änderungsgesetz im Jahre 197621 einen mitunter kritisch betrachteten Auszug aus dem theoretischen Gebäude des Rechts öffentlicher Sachen und wurde ein Teil des Umweltrechts. Unter dem Einfluss der Wasserrahmenrichtlinie verzeichnet das Rechtsgebiet einen zunehmend ökologischen und hydromorphologischen Paradigmenwechsel22.23 Die hier nur angedeuteten Entwicklungslinien und Diskussionsfenster geben Anlass für eine praxisbezogene Vertiefung und kritische Reflexion der Föderalismusreform im Bereich des Wasserhaushaltsrechts.
I. Gegenstand der Untersuchung Die Ingebrauchnahme der Art. 72 Abs. 3 und 84 Abs. 1 GG für den Titel des Wasserhaushalts gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG wird unter Berücksichtigung des subkonstitutionellen Rechts und unter besonderer Beachtung der Entwicklung des föderal verfassten Wasserwirtschaftsrechts ausgewertet. Das Wasserrecht war bis zur Gründung der Bundesrepublik alleinige Domäne der Länder.24 Art. 75 des Grundgesetzes von 1949 übertrug die Gesetzgebungszuständigkeit für den Wasserhaushalt erstmalig auf den Bund. Dieser vermochte es, für den Wasserhaushalt bis zum 1. August 2006 zwar wie im Naturschutzrecht nur Rahmenvorschriften zu erlassen. Im Gegensatz zum 19 Zur Ausbildung des Föderalismus in Deutschland H. Maier, AöR Bd. 115 (1990), S. 213 (224 ff.). 20 In Anlehnung an Heraklit, dazu C. Rapp, Die Vorsokratiker, 2. Aufl. 2007, S. 67 ff. 21 So M. Reinhardt, ZUR 2008, S. 352 (353) und mit weiteren Nachw. sowie in Kapitel 1 sub I. 2. 22 Mit diesem Befund skizziert das wasserwirtschaftliche Schrifttum eine Neuausrichtung der Gewässerbewirtschaftung, die sich weniger an der Funktion der Gewässer etwa als Vorfluter usf. orientiert, sondern zunehmend, dessen Funktion als aquatisches Ökosystem in den Vordergrund rückt. 23 Zur Entwicklung vgl. H.-J. Papier, in: Erichsen/Ehlers (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 39 Rn. 16, 19 ff.; K. Berendes, in: v. Lersner/ ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Stand. 9/13, Einl. Rn. 33. Tendenziell kritisch M. Reinhardt, in: ders. (Hg.), in: Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 9 (11 f.); ders., in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. III, 2012, § 70 Rn. 8 ff. Zur zehnjährigen Bilanz der Wasserrahmenrichtlinie zusammenfassend W. Durner, in: Köck/Faßbender (Hg.), Implementation der Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland, 2011, S. 17 ff. 24 Näher zur Entwicklung unter Kapitel 1 sub I.
I. Gegenstand der Untersuchung25
Bundesnaturschutzgesetz enthielt das Wasserhaushaltsgesetz vom 27. Juli 1957 nach zahlreichen Novellierungen und Anpassungen jedoch überwiegend konkrete Vorgaben. Den vollziehenden Ländern überließ das Wasserhaushaltsgesetz vielfach lediglich die Befugnis zur Konkretisierung und Ausfüllung der bundesrechtlichen Bestimmungen.25 In Ansehung dieser auf Bundesebene konzentrierten bzw. unitarisierten26 Legislativlage erfuhr das Wasserhaushaltsrecht seit dem Jahr 2006 eine grundlegende Umgestaltung.27 Die Änderung des Grundgesetzes durch das 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 28. August 2006 führte zu einer Neuordnung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Die Titel der aufgelösten Rahmengesetzgebung sind Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG gilt für diese Regelungsmaterie nicht mehr.28 Vielmehr befähigt Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG die Bundesländer, eine vom Bundesrecht abweichende Gestaltung vorzunehmen.29 Der Bund erhielt den Erstzugriff im Bereich des Wasserhaushaltsrechts. Mit dieser Neuerung wurden die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die gescheiterte Gesamtkodifikation des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch 2009 (UGB) geschaffen.30 Das Umweltgesetzbuch31 befindet sich dabei in guter Gesellschaft mit anderen gescheiterten Kodifikationsbemühungen.32 Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts 25 Dieser Befund ist hinreichend bekannt und wird von der Exegese der einfachgesetzlichen wasserwirtschaftlichen Regelwerke bestätigt, statt anderer M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (466). Zur Entwicklung des Wasserhaushaltsgesetzes anschaulich M. Reinhardt, ZfW 2000, S. 1 (2 ff.). 26 Grundlegend und begriffsprägend K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, S. 12 ff. und passim; statt vieler H. Bauer, DÖV 2002, S. 837 (839 ff.). 27 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (460 ff.); ders., in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. III, 2012, § 70 Rn. 2 ff. 28 Näher zu den Grundzügen der Rahmengesetzgebung im Kapitel 1 sub I. 2. b) und bei M. Kaltenborn, AöR Bd. 128 (2003), S. 412 ff. 29 Siehe nur A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 47 ff. 30 Dazu aus wasserwirtschaftlicher Perspektive K. Berendes, WuA 1/2008, 42 ff. und bereits zu den kompetenzrechtlichen Hemmnissen ders., ZfW 1999, S. 212 (213). 31 Zum Ganzen M. Kloepfer, ders. (Hg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, passim; K. Berendes, ZfW 1999, S. 212 (213 ff.); B. Weber/D. Riedel, NVwZ 2009, S. 998 (999 ff.), die einem weiteren Kodifikationsversuch einen Mehrwert dezidiert absprechen. 32 Näher K. Schmidt, Die Zukunft der Kodifikationsidee, 1985, S. 65 f.; D. Riedel, Das Vorhaben der kodifikatorischen Vereinheitlichung des Umweltrechts, 1995, S. 29 ff. Bedeutungsvoll bleibt das Kodifikationsvorhaben im Rahmen der Interpretation der Verfassungsreform, statt anderer Abschnitte nur Kapitel 1 sub II. 3.
26 Einführung
(Wasserrechtsneuregelungsgesetz – WassRNeuReglG) liegt erstmalig eine Vollregelung des Wasserhaushaltsrechts auf Bundesebene vor.33 Das Wasserhaushaltsgesetz 2010 ist indessen keineswegs abschließend, sondern darauf angelegt, durch die Länder ergänzt und ausgefüllt sowie konkretisiert zu werden. Darüber hinaus lässt es sich in vielen Bereichen durch die Länder modifizieren.34 Die Dispositionsbefugnis der Länder aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG befähigt sie, die bundesrechtliche Vereinheitlichung des Wasserrechts zumindest partiell zu konterkarieren. Diese Rechtsänderungsbefugnis soll den bereits 1968 dargelegten Bedenken der Länder vor einer völligen Zentralisierung der Gesetzgebung über das Wasserhaushaltsrecht Rechnung tragen.35
II. Erkenntnisleitendes Interesse und Methodik Die Anregung zur Befassung mit der vorliegenden Thematik entstammt verschiedenen Gesprächen, die der Verfasser mit Vertretern des Sächsischen Ministeriums für Umwelt und Landwirtschaft führte,36 die den Novellierungsprozess begleiteten. Die zeitlich im Gleichlauf mit dieser Untersuchung erfolgte Arbeit von Michael Foerst37 stellt bereits einige Aspekte der stoffund anlagenbezogenen Bereichsausnahme dar. Sie liefert jedoch keine Bewertung der föderalen Neuausrichtung des Wasserhaushaltsrechts und gelangt überwiegend – soviel darf vorwegnehmend vorangestellt werden – zu abweichenden Ergebnissen. Mit den vorstehenden Ausführungen ist die Zielsetzung der Untersuchung skizziert: Die Regelungsmodelle der Art. 72 Abs. 3 und 84 Abs. 1 GG rufen ein vielgliedriges Spektrum von Themenfragen auf, die aus wasserwirtschaftlicher Perspektive der Betrachtung bedürfen. Wann etwa wiederholt ein Landesgesetz nur den Regelungsgehalt des Bundesgesetzes deklaratorisch, wann konkretisiert, detailliert, ergänzt es ihn, wann und wieweit 33 Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009, BGBl. I, S. 2585. Zurückblickend ausführlich zum Umweltgesetzbuch H. Wendenburg, in: Berendes/ Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, Einl. Rn. 21 ff. 34 Kritisch dazu H.-H. Munk, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 2 ff. Pointiert M. Reinhardt, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 7: Das Bundesumweltministerium habe mit dem Entwurf das Ziel der Föderalismus reform „subversiv“ unterlaufen. 35 Vgl. auch G. Lübbe-Wolff, in: Gawel/dies. (Hg.), Effizientes Umweltordnungsrecht, 2000, S. 65 f.; M. Kloepfer, NuR 2007, S. 759 (762). 36 Für die wertvollen Hinweise und Anregungen dankt der Verfasser Herrn WolfDieter Dallhammer und Herrn Dr. Franz-Josef Kunert nochmals herzlich. 37 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, passim.
II. Erkenntnisleitendes Interesse und Methodik 27
weicht es ab.38 Namentlich das Dispositionsmodell ist von zentraler Bedeutung.39 Die Länder standen und stehen vor zahlreichen gesetzgebungstechnischen Herausforderungen, die aus der Zurückhaltung des Bundes resultieren, Auskunft über die Gestaltungsmöglichkeiten zu geben.40 Damit ist die Blickrichtung der Untersuchung benannt, nämlich wie tief und breit der legislative Gestaltungsspielraum der Länder im Bereich des Wasserrechts und des Umweltverfahrensrechts nach der Föderalismusreform tatsächlich ist. Beziehungsweise, ob und inwieweit die in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG niedergelegte Abweichungsbefugnis die Erwartung erfüllen kann, eine gänzliche Zentralisierung der Rechtsgestaltungsmacht auf Bundesebene abzuwenden. Damit verbindet sich eine Betrachtung der Verfassungsreform 2006, die eine Entflechtung der Verantwortlichkeiten, eine Stärkung der Parlamente und Verbesserung der Transformationstauglichkeit der föderal verfassten Gesamtrechtsordnung intendiert.41 Ziel der Arbeit ist es, mittels der juristischen Methodik, also einer philologischen, systematischen, teleologischen und historisch-genetischen Analyse des Grundgesetzes die Sachmaterien herauszuarbeiten, in denen die Länder abweichende Regelungen statuieren können. Dabei erfolgt ein steter Rekurs auf das einfachgesetzliche Reglement.42 Fernerhin wird aufgezeigt, welchen Anforderungen die Länder im Rahmen der Art. 72 Abs. 3 und 84 Abs. 1 GG unterliegen. Die bestehenden Konfliktpotentiale werden identifiziert und konturiert, um daran eine abstrahierende Funktionsbeschreibung anzuknüpfen. Dazu werden die Gesetzestexte und Entwürfe als auch deren Begründungen sowie die Dokumente der „Gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ (Föderalismusreformkommission I.) einer eingehenden Exegese unterzogen. Die Entstehungsgeschichte und die Zielsetzung der Verfassungsreform 2006 sowie die Entwicklung des Wasserwirtschaftsrechts werden dabei nur insoweit bemüht, als sie für ein Verständnis des Wasserwirtschaftsrechts und für die Analyse der diesbezüg lichen Rechtsetzungsbefugnisse unabdingbar sind. Die Grundlegung des wasserrechtlichen Kompetenzregimes verläuft dabei über eine zumindest 38 Eingehend A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51 f. 39 Siehe dazu auch P. Selmer, in: Baus/Scheller/Hrbek (Hg.), Der deutsche Föderalismus 2020, 2009, S. 46 (47) und F.-J. Kunert, in: Köck (Hg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch nach der Föderalismusreform, 2009, S. 143 ff. 40 So H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 11 ff. Zur Kennzeichnungspflicht des Bundes vgl. Kapitel 5 sub III. 41 Zu den Zielen sogleich Kapitel 1 sub II. 1. und 3. 42 Siehe exemplifikatorisch nachstehend in Kapitel 5 sub I. und Kapitel 7.
28 Einführung
kursorische Beschäftigung mit den supranationalen Vorgaben.43 Dies trägt nicht allein deren Relevanz für die Staatspraxis Rechnung, sondern nimmt zudem die Erwägungen und Bedenken auf, die im Zuge der Verfassungsreform 2006 hinsichtlich der Europatauglichkeit des Grundgesetzes artikuliert wurden. Die vorgenommene Fundierung des Wasserhaushaltsrechts44 ermöglicht alsdann eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem indisponiblen Klammerzitat des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG. Diese Funktionsbeschreibung der Bereichsausnahme wird wiederum mit einer Inbezugnahme des landesrechtlichen Normprogramms flankiert.45 Der vorstehend nur skizzierte und en détail komplexe Untersuchungsgegenstand bedarf einer sachgegenständlichen Beschränkung. Die Bewertung des Wasserhaushaltsgesetzes oder der Landeswassergesetze unter fachlichen Prämissen erfolgt nur am Rande.46 Im Mittelpunkt steht vielmehr eine Überprüfung der im Schrifttum formulierten zahlreichen formellen und materiellen Anforderungen an die Kompetenzinanspruchnahme auf ihre Rationalität, Funktionalität und Effektivität im Gebiet des Wasserwirtschaftsrechts.
III. Inhalt und Vorgehensweise Die Analyse unternimmt in Kapitel 1 zunächst einen vorbereitenden Blick auf die Entwicklung des Wasserwirtschaftsrechts (hierzu Kapitel 1 sub I.). Die Skizzierung der Entwicklungslinien ist nicht allein von rechtshistorischem Interesse. Die Kenntnis des föderalen Gepräges ist erforderlich, um die widerstreitenden Interessen im Rahmen der Föderalismusreform und die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme einordnen zu können. Daran schließt sich eine nähere Betrachtung der Föderalismusnovelle 2006 an (hierzu Kapitel 1 sub II.). Dabei wird der Kompetenzzuschnitt des Art. 72 Abs. 3 GG mit seinem Posterioritätsgrundsatz und der sechsmonatigen Karenzzeit in Ansehung des Wasserwirtschaftsrechts einer genaueren Funk tionsanalyse unterzogen. Der einfachgesetzlichen Umsetzung des neu geordneten Kompetenzregimes wendet sich das zweite Kapitel zu. Namentlich die Genese des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 und die Bemühungen um eine Vereinheitlichung 43 Näher
in Kapitel 1 sub I. 3. Kapitel 2 sub I. 45 Nachstehend in den Kapiteln 6 und 7. 46 Zum Wasserhaushaltsgesetz statt anderer vgl. K. Berendes, ZfW 2014, S. 1 ff.; K. Faßbender, ZUR 2010, S. 181 ff.; W. Köck, ZUR 2012, S. 140 ff.; M. Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 ff. 44 Dazu
III. Inhalt und Vorgehensweise29
des Wasserwirtschaftsrechts werden beschrieben (hierzu Kapitel 2 sub I.). Alsdann wird eine zusammenführende Betrachtung des Landeswasserrechts vorgenommen (hierzu Kapitel 2 sub II. 1. und 2.). Dabei werden die Landeswassergesetze anhand ausgewählter Kriterien ausgewertet und den Gesetzen rahmenrechtlicher Prägung gegenübergestellt (hierzu Kapitel 2 sub II. 3. und 4.). Das dritte Kapitel beleuchtet die Steuerungswirkung bedeutsamer Verfassungsprinzipien auf das Abweichungsmodell des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG im Lichte der im zweiten Kapitel gewonnenen Erkenntnisse. Namentlich aus dem Gebot der Bundestreue leitet das Schrifttum weitreichende Verpflichtungen und Restriktionen ab, denen Bund und Länder unterliegen sollen (hierzu Kapitel 3 sub I.). Ferner wird in diesem Zusammenhang die Einbindung des Rechts der Europäischen Union in die Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG betrachtet (hierzu Kapitel 3 sub II.). Besonders die Folgen europarechtswidrig abweichenden Landesrechts sind in hohem Maße klärungsbedürftig. Das konstitutionelle Gefüge des Wasserhaushaltsrechts nimmt das vierte Kapitel in den Blick. Dieser Teil der Untersuchung rückt die Charakteristika der konkurrierenden Gesetzgebung und die verschiedentlich zu Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG postulierten Auslegungsleitlinien in den Mittelpunkt der Betrachtung (hierzu Kapitel 4 sub I. und II.). Daneben wird das Zusammenspiel der Abweichungsbefugnis mit den weiteren für das Wasserhaushaltsgesetz 2010 durch den Bundesgesetzgeber in Anspruch genommenen Kompetenztiteln thematisiert (hierzu Kapitel 4 sub III.). Der Reichweite der Abweichungsbefugnis sowie den zahlreichen im Schrifttum artikulierten Anforderungen und Konfliktpunkten widmet sich das fünfte Kapitel. Insbesondere werden die mit dem Erfordernis einer „abweichenden Regelung“ gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG in Zusammenhang stehenden Ausübungsvoraussetzungen (hierzu Kapitel 5 sub I.), die Länderöffnungsklauseln (hierzu Kapitel 5 sub II.) und die Forderung nach einer Kennzeichnung abweichender Regelungen (hierzu Kapitel 5 sub III.) betrachtet. Dabei werden die im Schrifttum postulierten Prämissen anhand einzelner landesgesetzlicher Vorschriften bewertet. Die den Ländern entzogene stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme wird in den Kapiteln sechs und sieben konturiert. Ein besonderes Augenmerk wird dabei zunächst auf die Grenzpole der Bereichsausnahme gelegt. Einerseits steht die Indisponibilität des ‚Gewässers‘ selbst in Frage und, ob eine Anlage bzw. ein Stoff dem Kriterium der ‚Nachteiligkeit‘ seiner Einwirkung auf den Wasserhaushalt unterliegt. Andererseits sind die Grenzbereiche abweichungsfester und -offener Regelungen zu untersuchen. Zu diesem Bereich zählen beispielsweise Vorgaben, die den Wasserhaushalt
30 Einführung
vor dem diffusen Eintrag von Stoffen schützen sollen oder die wasserwirtschaftliche Planung betreffen. Neben den sachbereichsspezifischen Auslegungsleitlinien und einer allgemeinen Ausdeutung der indisponiblen Sektoren im sechsten Kapitel werden im siebten Kapitel diejenigen Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes beleuchtet, bei denen sich Abgrenzungsunsicherheiten dokumentieren lassen. In den resümierenden Stellungnahmen zu den beiden Kapiteln werden Prüfsteine formuliert, anhand derer sich die Indisponibilität einer in Rede stehenden Vorschrift nachvollziehbar und ganz überwiegend mit der gebotenen Konsistenz bestimmen lässt (hierzu Kapitel 6 sub III. und abschließend Kapitel 7 sub IV.). Dem Verordnungsrecht des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 und der problematischen Einbindung von Rechtsverordnungen in die Kompetenzklausel des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG widmet sich das achte Kapitel. Der näheren Erläuterung bedürftig ist namentlich die Einbeziehung der Rechtsverordnung in die abweichenden Regelungen „durch Gesetz“ (hierzu Kapitel 8 sub III.). Die Rechtsetzung im Umweltverfahrensrecht und das Zusammenwirken mit der materiell-rechtlichen Kompetenzverteilung in den Art. 70 ff. GG findet im neunten Kapitel den ihr gebührenden Niederschlag. Thematisiert wird die Einbindung von Rechtsverordnungen in Art. 84 Abs. 1 GG, das stoff- und anlagenbezogene Verfahrensrecht, die Einordnung sog. doppelgesichtiger Normen, denen sowohl ein formeller als auch ein materieller Regelungsgehalt innewohnt. Das zehnte Kapitel fasst die unterschiedlichen Komplexe resümierend zusammen und stellt die gewonnenen Erkenntnisse den artikulierten Bedenken gegen das Abweichungsmodell gegenüber.
Kapitel 1
Die Entwicklung des Wasserhaushaltsrechts im Kontext der Föderalismusreform 2006 Die bereits angedeutete dynamische Entwicklung des Wasserhaushaltsrechts lässt sich auf unterschiedliche Impulse zurückführen. Für den weiteren Untersuchungsverlauf werden zunächst die Entwicklungslinien der öffentlich verantworteten Gewässerbewirtschaftung (nachstehend sub I.) und des korrespondierenden Kompetenzregimes (nachstehend sub II.) skizziert. Von hervorgehobenem Interesse ist der langwierige Prozess bis zur Neufassung des Kompetenzregimes durch das im Jahre 2006 in Kraft getretene 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz.
I. Entwicklung und Konfliktpotential des Wasserwirtschaftsrechts Das Wasserrecht im engeren Sinne stellt sich als hauptsächlich öffentlichrechtliche Benutzungsordnung und älteste Materie des Umweltrechts dar.1 Das deutsche Wasserwirtschaftsrecht enthält dabei gleichermaßen Materien des öffentlichen Sachenrechts, des Umweltschutzrechts und des öffentlichen Wirtschaftsrechts.2 Es ist unverzichtbar, den legislatorischen Entwicklungsprozess des Wasserrechts zumindest grob zu skizzieren, um die Motive der Länder für abweichendes Landeswasserrecht nachzuvollziehen. Ausgangspunkt der Betrachtung ist das Gewässer als komplexes Ökosystem. Wenngleich das Gewässer als solches geschützt ist, erfüllt es gleichzeitig diverse weitere Funktionen.3 Die Gewässer dienen als Vorfluter für gereinigte Abwässer, als Reservoir für Trinkwasser, stellen für die Industrie Kühl- und 1 Statt vieler W. Erbguth/S. Schlacke, Umweltrecht, 2010, § 11 Rn. 3 und eingehend zu nachfolgendem Text P. Nisipeanu, NuR 2008, S. 87 ff. sowie M. Reinhardt, ZfW 2000, S. 1 (2 ff.). 2 Dem Recht der öffentlichen Sachen ist etwa der Gebrauch des Gewässers zu Freizeitzwecken oder zum Transport, die Abwasserbeseitigung sowie die Trinkwasser- und Energiegewinnung als auch die Fischerei zugeordnet. Zum folgenden umfassend M. Reinhardt, in: v. Lersner/Berendes/ders. (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 5/10, C 9 I und zum Gemeingebrauch Kapitel 7 sub II. 3. a). 3 Vgl. Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, BTDrucks. 17/11670, S. 16 f.
32
Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
Brauchwasser zur Verfügung und dienen als Verkehrswege oder Erholungsraum.4 Deshalb gehört die Ordnung des Wasserhaushalts einschließlich eines nach Quantität und Qualität hinreichenden Wasserdargebots von alters her zu den vordringlichsten Aufgaben eines jedweden Gemeinwesens. Werden die zahlreichen Novellierungen des Wasserwirtschaftsrechts kursorisch in den Blick genommen,5 lässt sich resümierend vermerken, dass sie den Gefährdungen aus – zu hohen Entnahmen, – zunehmenden Belastungen mit Arzneimitteln,6 – Verschmutzungen, etwa aus Nitrat-, Chlorid- oder Phosphatbelastungen infolge landwirtschaftlicher Überdüngung,7 – Wärmebelastungen aus Kraftwerken, – Flussbegradigungen, – Trockenlegungen flussnaher Feuchtgebiete und – Versiegelung der Landschaft durch Überbauung Rechnung tragen sollen. Das Wasserwirtschaftsrecht wird dabei aus einer zunehmend ökozentrischen und hydromorphologischen Perspektive ausgeformt.8 Für Grundlegung des Untersuchungsgegenstandes ist zunächst der Kompetenztitel ‚Wasserhaushalt‘ im Grundgesetz (hierzu sub 1.) und des Wasserhaushaltsrechts bis zur Verfassungsreform 2006 darzustellen (hierzu sub 2.). Zentral für den Untersuchungsgegenstand ist dessen Einbettung in das supranationale Recht der Europäischen Union (hierzu sub 3.), das im weiteren Untersuchungsgang wiederkehrend in Bezug genommen wird. Schließlich werden die für die Untersuchung wesentlichen Erkenntnisse in einer resümierenden Stellungnahme zusammengefasst (hierzu sub 4.).
4 Zu den Herausforderungen und nachstehendem Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, S. 500 ff. 5 Zur Entwicklung anschaulich M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 121 ff. 6 Näher W. Kügel/J. Guttmann, PharmR 2009, S. 490 (495 f.); K. Kern, ZUR 2011, S. 9 ff. und die Antwort der BReg auf eine Kleine Anfrage in der BT-Drucks. 17/11234, S. 4 ff. 7 Die Bedeutung von Agrarumweltmaßnahmen für den Gewässerschutz beschreibt A. Krüger, WuA 12/2010, S. 17 ff. 8 K. Schober, Der Zweck im Verwaltungsrecht, 2007, S. 140 f. mit weit. Nachw. Zum Thema ferner W. Durner, NuR 2010, S. 452 (457 f.) und differenzierend M. Reinhardt, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. III, 2012, § 70 Rn. 10 sowie auch nachstehend in Kapitel 6 sub I. 2.
I. Entwicklung und Konfliktpotential33
1. Historische Entwicklungslinien ‚Wasser macht nicht an Grenzen halt‘9 ist eine beliebte Feststellung, die gegen eine föderale und deshalb mitunter als inadäquat empfundene Bewirtschaftungsordnung der Gewässer vorgetragen wird.10 Mit solchen Gemeinplätzen ließe sich jedoch in nahezu allen normierungsbedürftigen Sachbereichen dem Subsidiaritätsgedanken11 Einhalt gebieten12 und das föderale Gefüge im Bereich des Umweltrechts auflösen.13 Wie Michael Kloepfer zu Recht hervorhebt, „können auch kleinere Einheiten mit begrenzten Entscheidungsräumen großräumige Probleme durch Kooperation lösen.“14 Zudem offenbart ein Blick in benachbarte Rechtssysteme ein differenzierteres Bild. So enthält das zentralistisch ausgeformte französische Wasserrecht zwar mit dem loi sur l’eau15 ein mit dem Wasserhaushaltsgesetz vergleichbares Gesetz. Gleichwohl sind die darin enthaltenen Bestimmungen mit 9 Vgl. BMU, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0008 S. 4. und C. Ziehm, Anhörung zur Föderalismusreform vom 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, „Umweltprobleme machen nun einmal nicht an administrativen Grenzen Halt.“ Bereits W. Wiedemann, in: Salzwedel (Hg.), RdWWi Bd. 16 (1969), S. 7 (16). 10 Symptomatisch A. Schwall-Düren, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CDROM, Arbeitsgruppe 1, 3. Sitzung vom 11.03.2004, Protokollvermerk, S. 21: „So sei es für den Bereich „Wasserhaushalt“ mit Blick auf den Aspekt der Fließverbundenheit äußerst fraglich, ob länderrechtliche Regelungen tatsächlich adäquat seien.“ Nahezu alle mit der Wasserwirtschaft befassten Publikationen seit 1945 forderten eine Zuständigkeitskonzentration beim Bundesgesetzgeber. Siehe nur F. Giese, ZgStW Bd. 110 (1954), S. 257 ff.; H. Stumm, in: Salzwedel (Hg)., RdWWi, Bd. 17 (1971), S. 13 (19 ff.); W. Wiedemann, in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 12 (1971), S. 5 (51 ff.); A. Wüsthoff, DVBl. 1952, S. 10 ff. 11 Näher zur Bedeutung der Subsidiaritätsmaxime in der nationalen Gesamtrechtsordnung T. Oppermann, in: Nörr/Oppermann (Hg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, 1997, S. 215 ff. Nach L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (323 f.) fügten die Verfassungsreformen 1994 und 2006 Elemente der Subsidiarität ein, die ein relativierendes Gegengewicht zum Unitarismus bilden. Anschaulich zur Entstehungsgeschichte des Subsidiaritätsprinzips und in Ansehung der Europäischen Union P. Häberle, AöR Bd. 119 (1994), S. 169 (175 ff.). 12 So zu Recht M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (265). 13 Ausführlich zu den Grenzen der Verlagerung im föderalen System K. Hesse, AöR Bd. 98 (1973), S. 1 (14 ff.). 14 Umfassend M. Kloepfer, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. III, 2012, § 69 Rn. 2 ff., 8. Auch J. Dietlein, Anhörung zur Föderalismusreform vom 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag Rechtsausschussprotokoll 15, S. 4 „Es wäre aus meiner Sicht wenig plausibel, wenn die Reise auch und gerade im Umweltrecht nunmehr in Richtung mehr Zentralismus ginge.“ 15 Loi no 92-3 du 3 janvier 1992 sur l’eau. Ausführlich zum französischen Reglement E. Bassot, NuR 1993, S. 17 f., wonach das Wasserrecht seinerzeit in vielen
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
zahlreichen Dekreten untersetzt,16 „um damit dem Gedanken der Dezentralisierung so weit wie möglich gerecht zu werden“.17 Wasserrechtliche Bestimmungen lassen sich bis 1700 v. Chr. zurückverfolgen.18 Gemein- und landesrechtliche Regelungen der Nutzungen setzten hingegen erst im 15. Jh. ein.19 Ein Regelungsbedürfnis entstand erstmals mit der Möglichkeit, die Wasserkraft für Mühlen, Hammer- und Sägewerke nutzen zu können. Damit entstand das Regalienwesen. Die Regale wiesen die Nutzungsrechte an den Gewässern hoheitlich zu.20 Sowohl das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 als auch der Code civil enthielten bereits wasserrechtliche Vorschriften. Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 stellte sich bei vielen Rechtsgebieten die Frage nach einheitlichen Regelungen. So trat 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft.21 Art. 65 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 1. Juli 1896 (EGBGB) regelte dabei jedoch ausdrücklich: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche dem Wasserrecht angehören, mit Einschluss des Mühlenrechts und des Flötzrechts sowie der Vorschriften zur Beförderung der Bewässerung und Entwässerung der Grundstücke und der Vorschriften über Anlandungen, entstehende Inseln und verlassene Flussbetten.“
Dieser Dispens korrespondiert mit Art. 73 EGBGB, wonach „landesrechtliche Vorschriften über Regalien“ unberührt bleiben. Das Wasserrecht blieb somit in vollem Umfang der Landesgesetzgebung vorbehalten. Eine Gesamtkodifizierung kam aufgrund der heterogenen rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben nicht zustande. Stattdessen erließen die Länder seit Mitte des 19. Jahrhunderts eigene Wassergesetze, die stark voneinander abwichen.22 Von Bedeutung ist der 1893 / 94 von der Preußischen Staatsregierung verabBereichen dezentralisiert wurde, um den fachlichen Anforderungen des Gewässerschutzes besser gerecht zu werden. 16 Vgl. den Befund bei M. Kloepfer/E. Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1995, S. 85 f. 17 F. Correia/R. A. Kraemer, Dimensionen Europäischer Wasserpolitik: Eurowater 1 Länderberichte, 1997, S. 28. 18 So im Codex Hammurapi, dazu H. Winckler, Der Codex Hammurabi in deutscher Übersetzung, 2010, S. 23 ff., 68. 19 Dazu auch H. Seiler, Die Gewässerbenutzung und ihre Rechtsgrundlagen im Verlauf der Geschichte des Wasserrechts, 1976, S. 42 ff.; P. Nisipeanu, NuR 2008, S. 87 (88 f.). 20 Näher dazu W. Wegener, Regalien, in: Cordes/Lück/Werkmüller/Schmidt-Wiegand (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. IV, 1990, S. 471. 21 RGBl. 1896, S. 195. 22 Dazu und zu nachfolgendem Text und H. Seiler, Die Gewässerbenutzungen und ihre Rechtsgrundlagen im Verlauf der Geschichte des Wasserrechts, 1976, S. 30 ff., 39 f. und passim sowie P. Nisipeanu, NuR 2008, S. 87 (89 f.).
I. Entwicklung und Konfliktpotential35
schiedete Gesetzesentwurf, der durch ein preußisches Sondergesetz von 1904 die Emschergenossenschaft in Essen gründete.23 Diese ist nach wie vor damit befasst, die Vorflut des gesamten Gebietes zu regeln, die Abwässer zu reinigen sowie die errichteten Anlagen zu betreiben und zu unterhalten. Umfassende Wassergesetze wurden unter anderem in Württemberg (1900)24, Bayern (1907)25 und Sachsen (1909)26 erlassen. 1907 legte die Preußische Regierung einen neuen Entwurf für ein Wassergesetz vor, der 1913 in Kraft trat.27 Die Weimarer Reichsverfassung überführte zwar mit Art. 97 WRV die dem allgemeinen Schiffsverkehr dienenden Binnenwasserstraßen in Eigentum und Verwaltung des Reiches, was durch den Wasserstraßenvertrag von 1921 vollzogen wurde,28 indes blieben die Landeswassergesetze in Kraft. Bestrebungen zur Vereinheitlichung des bestehenden Wasserrechts erfolgten erst im Jahr 1937 mit der Neuordnung des Wasserverbandsrechts für das Reichsgebiet.29 Nach 1945 führte die Neugliederung der einzelnen Bundesländer zu einer noch größeren Uneinheitlichkeit im Wasserrecht. In einigen Ländern galten nebeneinander mehrere der bis dahin erlassenen Wassergesetze. In Rheinland-Pfalz waren je nach Region das Preußische Wassergesetz, das Bayerische Wassergesetz oder das Hessische Bachgesetz30 zu beachten. Bereits bei den Beratungen zu einem Reichswassergesetz durch den Wasserrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht (1934 bis 1941) forderte man eine Neugestaltung des Wasserrechts und explizit einen einheitlichen Rechtsrahmen für das Zulassungsregime.31 Die Kompetenzprobleme nach der Länderneugliederung führten dann im Parlamentarischen Rat zu der überwiegenden Ansicht, dem Bund im Grundgesetz von 1949 eine Kompetenz für die Wassergesetzgebung zuzusprechen. 23 Zur preußischen Gesetzgebung und Funktion des Verbände BVerfGE 107, 59 (59 ff.). 24 Württembergisches Wassergesetz vom 1. Dezember 1900, RegBl., S. 921. 25 Bayerisches Wassergesetz vom 23. März 1907, BayGBl., S. 157. 26 Sächsisches Wassergesetz vom 12. März 1909, SächsGVBl., S. 227. Dazu näher F. Seckel, Zur Geschichte des Gewässerschutzrechts in Sachsen, 2010, S. 20 ff. mit umfassender Erörterung der landesspezifischen Besonderheiten. 27 Preußisches Wassergesetz vom 7. April 1913, prGS, S. 53. 28 Staatsvertrag betreffend den Übergang der Wasserstraßen der Länder auf das Reich, RGBl. (1921), S. 962. 29 Gesetz über Wasser- und Bodenverbände – Wasserverbandsgesetz (WVG) vom 10. Februar 1937, RGBl. I, S. 188. 30 Hessisches Bachgesetz vom 30. Juli 1887, RegBl., S. 149. 31 Im Einzelnen C. Rönnau, Die Beratungen des Wasserrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht zu einem Reichswassergesetz (1934–1941), 2001, S. 183 ff., 246 ff. Später P. Gieseke, in: ders. (Hg.), RdWWi, Bd. 9 (1955), S. 7 (10 ff.).
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
In die Verfassung wurde deshalb ein bis dahin unbekanntes Sachgebiet „Wasserhaushalt“ aufgenommen und dem Bund in Art. 75 Abs. 1 Satz Nr. 4 GG a. F. die Kompetenz zur Rahmengesetzgebung zugewiesen.32 Die Entstehungsgeschichte des Art. 75 GG a. F. lässt nicht erkennen, aus welchem Grund der Wasserhaushalt der Rahmenkompetenz des Bundes zugeordnet wurde.33 Ein Vergleich mit den anderen in Art. 75 GG a. F. niedergelegten Kompetenzbereichen lässt ebenfalls keinen einheitlichen Leitgedanken erkennen.34 Es handelte sich wohl letztlich um Bereiche, bei denen es der Parlamentarische Rat nicht vermochte, sich für eine Vollkompetenz des Bundes zu entscheiden, jedoch trotzdem ein bundeseinheitliches Korsett für nötig erachtete.35 2. Das Wasserhaushaltsrecht bis zur Verfassungsreform 2006 Ausgangspunkt einer Interpretation der wasserwirtschaftsrechtlichen Reformbemühungen und Konturierung des grundgesetzlichen Abweichungsmodells ist die Ingebrauchnahme der Rahmengesetzgebungsbefugnis aus Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG a. F. und der dabei zutage getretenen Friktionen. a) Das Wasserrecht als Regelungsgegenstand der Kompetenzordnung Das Wasserrecht gliedert sich in das Gewässerschutzrecht und das Wasserwegerecht auf.36 Das Gewässerschutzrecht umfasst dabei denjenigen Teil des Wasserrechts, der dem Schutz des Umweltmediums Wasser dient.37 32 Vgl. Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, 49. Sitzung vom 29. Februar 1949, S. 649 f. und P. Nisipeanu, NuR 2008, S. 87 (91). 33 Ausführlich hierzu F. Giese, ZgStW Bd. 110 (1954), S. 257 (261 ff.) und A. Wüsthoff, NJW 1950, S. 578 (580). 34 T. Maunz, in: Maunz/Dürig, Bd. IV, 25. Erg.-Lfg., Art. 75 GG Rn. 42. Siehe zudem W. Wiedemann, in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 12 (1971), S. 5 (64 f.), der aus der Entstehungsgeschichte des Art. 75 Nr. 4 GG ableitete, die Zuordnung der Regungsbefugnis an die Länder sei nur vorläufiger Natur gewesen. Die Regelungsmaterie Wasserhaushalt war weder in der Reichsverfassung vorgesehen noch im Entwurf des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee bedacht. Dazu näher A. Weber, Die Entstehungsgeschichte des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27.07.1957, 2005, S. 241 ff. 35 Vgl. W. Wiedemann, in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 12 (1971), S. 5 (64 f.). 36 Näher M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 13 Rn. 1. 37 Vgl. R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann/Schoch (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, Kap. 5 Rn. 127.
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Im Kern zielt es dabei auf den Schutz des Wassers vor Überbeanspruchung und Verunreinigung. Dieses Gewässerschutzrecht wird mit dem Wasserhaushaltsrecht gleichgesetzt.38 Die Rahmenkompetenz des Bundes aus Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG a. F. benannte die Regelungsmaterie als „Wasserhaushalt“. Das Bundesverfassungsgericht führte zur Intention des Gesetzgebers aus: „Er hat dadurch zum Ausdruck gebracht, dass – über das vorhandene Wasserrecht hinaus – der Erlass von Vorschriften notwendig sei, die eine geordnete Bewirtschaftung der vorhandenen Wasservorräte sicherstellen.“39
Der Zusammenhang zwischen Gewässerschutz und Wasserwirtschaft schlägt sich in der Definition des Bundesverfassungsgerichts nieder, in der die Begrifflichkeiten ‚Wasserhaushalt‘ und ‚Wasserwirtschaft‘ zusammengeführt werden. Danach ist unter Wasserhaushalt und Wasserwirtschaft die „haushälterische Bewirtschaftung des in der Natur vorhanden Wassers nach Menge und Güte“ zu verstehen.40 Dem tradierten Verständnis nach ordnet das Wasserrecht zuvorderst die Wassermengenwirtschaft. Es war anthropozentrisch bestimmt und nicht dem Umweltschutzrecht41 zugeordnet.42 Daneben dienen etwa das Wasserwegerecht (§ 5 Satz 3 Bundeswasserstra ßengesetz)43 und das Wasserverkehrsrecht (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Binnenschifffahrtsaufgabengesetz) dem Schutz des Gewässers.44 Vorliegende Untersuchung steht indes allein im Kontext des Wasserhaushalts. Der Begriff des ‚Wasserhaushalts‘ entspricht dabei dem Begriff der Wasserwirtschaft gemäß Art. 89 Abs. 3 GG.45 Kompetenzabgrenzend wirkt der Begriff des Wasserhaushalts insbesondere gegenüber der Gesetzgebungsbefugnis über die Binnenwasserstraße nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG.46 Die Grenzziehung M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 13 Rn. 2. 58, 300 (340). 40 Seit BVerfGE 15, 1 (15); BVerwGE 116, 175 (176 f.). 41 Der Umweltschutz bildete sich in 70ziger Jahren als eigenständiges Rechtsgebiet heraus. Dazu grundlegend M. Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, 1978 und zur Europäisierung des Umweltrechts M. Schulte, Rechtstheorie, Bd. 31 (2000), S. 481 ff. 42 Statt anderer M. Reinhardt, in: ders. (Hg.), Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 9 (11 f.). 43 Bundeswasserstraßengesetz in der Fassung der Bek. vom 23. Mai 2007, BGBl. I, S. 962 und BGBl. I (2008), S. 1980, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 125 G vom 22. November 2011, BGBl. I, S. 3044. 44 Binnenschifffahrtsaufgabengesetz in der Fassung der Bek. vom 5. Juli 2001, zuletzt geändert durch Art. 4 Gesetz vom 4. September 2008, BGBl. I, S. 706. 45 BVerfGE 15, 1 (15); 58, 45 (62). 46 Die Zuständigkeit für die Regelung des Binnenschiffverkehrs sind weiterhin umstritten, dazu K.-U. Thomas, ZfW 2009, S. 143 ff. 38 Vgl.
39 BVerfGE
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
der Regelungsverantwortlichkeit für die beiden Bereiche verlor mit der Auflösung der Rahmengesetzgebungskompetenz teilweise an Konfliktpotential.47 Demgegenüber bleibt sie bedeutsam, sobald die Länder über bundesrechtliche Vorgaben nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG disponieren, da nur für das Wasserhaushaltsrecht eine Abweichungsbefugnis besteht. b) Die Rahmengesetzgebungskompetenz Die im Folgenden näher zu beleuchtenden einfachgesetzlichen Regelwerke verlangen nach einer zumindest kursorischen Befassung mit dem Konzept der Rahmengesetzgebung. Die Überführung der betroffenen Titel in die konkurrierende Gesetzgebung sollte die föderal verfasste Gesamtrechtsordnung entflechten und die Transformationstauglichkeit des Grundgesetzes erhöhen.48 Die Rahmengesetzgebung ist nicht allein deshalb weiterhin bedeutsam. Einerseits gilt das auf ihr beruhende Abwasserabgabengesetz nach Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG weiterhin. Andererseits war die Ablösung der Rahmengesetzgebung ein zentrales Anliegen der Verfassungsreform 2006. Auf die Charakteristika dieser Kompetenz wird im Verlauf der Untersuchung vergleichend Bezug genommen.49 Gemäß Art. 75 GG a. F. verfügte der Bundesgesetzgeber über die Gestaltungsmacht, unter den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG Rahmenvorschriften zu erlassen.50 Durch die Kopplung an die Klausel des Art. 72 Abs. 2 GG galten für den Erlass rahmenrechtlicher Regelungen die identischen Ausübungsvoraussetzungen wie für die Wirksamkeit der konkurrierenden Gesetzgebung. Das Konzept war auf eine enge Verflechtung zwischen Bund und Ländern angewiesen und vermischte die Verantwortlichkeiten.51 Die Rahmengesetze des Bundes sollten in den Ländern grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung entfalten, sondern waren nach der Vorstellung 47 Zur alten Rechtslage R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 4. 48 Das Rechtsetzungsmodell des Art. 75 GG a. F. – dazu ausführlich M. Kaltenborn, AöR Bd. 128 (2003), S. 412 ff. – wurde überwiegend als ursächlich für zahlreiche Verfristungen von supranationalen Transformationspflichten identifiziert. Einzelheiten hierzu E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21 (23); H. Sendler, NJW 2000, S. 2871 (2871). 49 Zum Abwasserabgabenrecht nachstehend in Kapitel 6 sub II. 2. d) aa). 50 Ausführlich zur Rahmengesetzgebung unter Bezugnahme auf zuletzt dazu ergangene Judikatur F. J. Lindner, JuS 2005, S. 577 ff. und T. P. Streppel, Die Rahmenkompetenz, 2005, passim. 51 Näher statt anderer H. Bauer, DÖV 2002, S. 837 (844 f.) und H.-J. Papier, Bewährung und Reform der bundesstaatlichen Ordnung, in: Uhle (Hg.), Dresdner Vorträge zum Staatsrecht, Bd. 2, S. 12.
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des Parlamentarischen Rates lediglich an die Länder adressiert.52 Gemäß Art. 75 Abs. 2 GG a. F. durften Rahmenvorschriften indessen in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende ‚Detailregelungen‘ oder unmittelbar in den Ländern geltende ‚Durchgriffsregelungen‘53 enthalten. Nach höchstrichterlicher Judikatur musste der Bundesgesetzgeber „den Ländern etwas zu regeln übriglassen“, das „von substanziellem Gewicht“ war. Grund für die legislative Ausbreitung des Bundes und dem damit einhergehenden regressiven Anteil an landesrechtlicher Gestaltungsmacht war die zurückhaltende Interpretation der Bedürfnisklausel in Art. 72 Abs. 2 GG a. F.54 Erst nach der Verfassungsreform des Jahres 1994 und der Einführung einer Erforderlichkeitsklausel leitete das Bundesverfassungsgericht einen Paradigmenwechsel ein. Mit seiner Entscheidung zum Altenpflegegesetz änderte das Gericht im Jahr 2002 seinen Standpunkt zur Erforderlichkeit einer Regelung grundlegend und stellte fortan materiell höhere Anforderungen an die betreffenden Bundesgesetze.55 Stark verkürzt formuliert war eine Regelung des Bundesgesetzgebers nach dieser Rechtsprechung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich, wenn sie „schlechthin unerlässlich“ ist.56 c) Das Wasserhaushaltsgesetz Wie das Bundesverfassungsgericht im Jahre 196257 ausführte, ist der Wasserhaushalt als Naturvorgang keiner gesetzlichen Ausgestaltung zugänglich. Es lassen sich jedoch die menschlichen Einwirkungen auf die Oberflä52 Dazu und zum nachfolgenden R. Grawert, in: Krebs (Hg.), Liber Amicorum Erichsen, 2004, S. 19 (30 ff.). 53 Nach BVerfGE 43, 291 (343) war eine Durchgriffsregelung ehedem zulässig, „wenn an der Einheitlichkeit der Regelung dieser Frage ein besonders starkes und legitimes Interesse besteht und die Einzelregelung im Zusammenhang eines Gesetzeswerkes steht, das als Ganzes gesehen dem Landesgesetzgeber noch Spielraum lässt und darauf angelegt ist, von ihm auf Grund eigener Entschließung ausgefüllt zu werden“. 54 Zum restriktiven Verständnis BVerfGE 25, 142 (151 f.); 36, 193 (202) und nach der Verfassungsreform des Jahres 1994 BVerfGE 106, 62 (139). 55 Vgl. BVerfGE 106, 62 (135 ff.) sowie die Folgeentscheidungen BVerfGE 110, 141 (174 ff.); 111, 10 (28 f.); 111, 226 (253 ff.); 112, 226 (243 ff.). Damit folgte das Gericht der Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers aus dem Jahre 1994, der die bis dahin in Art. 72 Abs. 2 GG enthaltene Bedürfnisklausel durch die strengere Erforderlichkeitsklausel ersetzte (zu dem insoweit bestehenden politischen Beurteilungsspielraum: BVerfGE 2, 213 (224 f.); 4, 115 (127 f.); 26, 338 (382 f.); 78, 249 (270)). Näher zur Entwicklung C. Neumeyer, Der Weg zur neuen Erforderlichkeitsklausel für die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes (Art. 72 Abs. 2 GG), 1999, S. 92 ff. 56 BVerfGE 111, 226 (252). 57 Seit seiner grundlegenden Entscheidung BVerfGE 15, 1 (14 ff.).
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chengewässer und das Grundwasser regeln. Diese Einwirkungen beeinflussen sowohl die Menge, die chemische und physikalische Beschaffenheit des Wassers als auch die Ökomorphologie und damit aquatische Ökosysteme als Teilbereich des Naturschutzes. In der tradierten Zielvorstellung musste die rechtliche Ordnung des Wasserhaushalts zuvorderst Regeln für die haushälterische Bewirtschaftung des in der Natur vorhandenen Wassers nach Menge und Güte vorsehen.58 Den Rahmen stellen das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes und die Wassergesetze der Länder mit dem jeweiligen Verordnungsrecht zur Verfügung. Charakteristisch ist die öffentlich-rechtliche Benutzungsordnung für die Gewässer mittels eines repressiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt (§§ 8 ff. WHG).59 Als Teil des besonderen Gefahrenabwehrrechts setzte sich auch im Wasserrecht ein zunehmend anlagenbezogener Überwachungsansatz durch.60 Der schnelle Wiederaufbau der Industrie, die landwirtschaftliche Bewirtschaftung und die wachsende Bevölkerung führten zu zunehmenden Gewässerverunreinigungen.61 Diese Entwicklung traf auf eine nur fragmentarische Wassergesetzgebung der Länder62 und führte im Jahr 1952 zur Entschließung des Bundesrates, die Bundesregierung möge umgehend von ihrer Befugnis aus Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG Gebrauch machen und einen Rahmen für die Gewässerbewirtschaftung erlassen.63 In der entsprechenden Drucksache wurde die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Rahmenvorschriften so weit wie verfassungsrechtlich möglich im Sinne einer bundeseinheitlichen Rechtsetzung zu interpretieren.64 Diese Forderung steht in einem starken Kontrast zu der später vielfach geäußerten Kritik65 an der extensiven Inanspruchnahme der Rahmengesetzgebungsbefugnis durch den Bundesgesetzgeber.66 58 Die Einbeziehung der Wassergütebewirtschaftung in den Titel Wasserhaushalt war vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts äußerst umstritten, statt vieler befürwortend F. Giese, ZgStW Bd. 110 (1954), S. 257 (260 ff.) und ablehnend K.-J. Reiter, Die Wassergütewirtschaft als Gegenstand der Bundeskompetenz, 1957, passim. 59 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 8 WHG Rn. 4 und aus kompetenzrechtlicher Perspektive Kapitel 7 sub I. 5. 60 Mit diesem Hinweis zur Recht M. Reinhardt, NuR 2011, S. 833 (834). 61 Bundesregierung, Tätigkeitsbericht, Deutschland im Wiederaufbau 1949–1959, 1959, S. 112 f. und A. Wüsthoff, NJW 1955, S. 1777 ff. 62 Dazu A. Wüsthoff, NJW 1950, S. 578 ff. 63 Zur Position der Länder BR-Drucks. 137/52, S. 174. Zum Ganzen ausführlich H. Stumm, in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 17 (1971), S. 13 (19 ff.). 64 Mit diesem bedenkenswerten Hinweis K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, Einl. Rn. 6. 65 Näher zur Intention der Föderalismusreform sub II. 1. 66 Bereits im Jahre 1969 konstatierte W. Wiedemann, in: Salzwedel (Hg.), RdWWi, Bd. 16 (1969), S. 7 (19) mit Blick auf die anstehenden wasserwirtschaftlichen
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Der Bundestag nahm am 27. Juni 1957 das im Wesentlichen seit 1952 vorbereitete Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) an.67 Mit Blick auf die Reform des Jahres 2009 nicht allein von rechtshistorischem Interesse ist das 1. Änderungsgesetz68 zum Wasserhaushaltsgesetz vom 12. Februar 1959. Als die Länder meldeten, sie würden das erforderliche ausfüllende Landesrecht nicht rechtzeitig verabschieden, verschob der Bundesgesetzgeber das Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes 1957 vom 1. März 1959 auf den 1. März 1960.69 Seinerzeit erkannte der Bundesgesetzgeber alsbald, welche Komplikationen mit der Ingebrauchnahme des Art. 75 GG a. F. verbunden waren und welchen Einschränkungen die Gesetzgebung unterlag.70 Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde das Gesetz nur als Interimslösung bis zum Erlass eines einheitlichen Bundesgesetzes angesehen.71 In mehreren Anläufen setzte der Bundesgesetzgeber dazu an, seine Legislativbefugnisse auszudehnen. Vor Verabschiedung des Wasserhaushaltsgesetzes sprach sich ein fraktionsübergreifender Antrag am 1. Februar 1957 dafür aus, das gesamte Wasserrecht in die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Art. 74 GG zu überführen.72 Nachdem der Bundestag das Wasserhaushaltsgesetz angenommen hatte, wurde dieses Ansinnen jedoch wieder verworfen.73 Mit dem Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen vom 17. August 1960 versuchte der Bund, sich die wasserwirtschaftliche Vollzugshoheit für den Bereich der Bundeswasserstraßen zu sichern.74 Dieser Bestrebung erteilte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 30. Oktober 1962 eine eindeutige Absage. Die Beschränkung des Bundes auf eine bloße Rahmenkompetenz gelte auch für die haushälterische Erfordernisse, „es bleibt also wohl nur der Weg, daß für den Wasserhaushalt eine Vollkompetenz [Hervorhebung im Original] des Bundes nach Art. 74 GG geschaffen wird“. Siehe auch A. Wüsthoff, DVBl. 1952, S. 10 ff.: „Wassernotgesetzgebung“. 67 Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 19. Februar 1957, BGBl. I, S. 1110. 68 BGBl. I (1959), S. 37. Siehe dazu nur P. Gieseke, DÖV 1957, S. 707 ff. 69 Zu diesem Themenkomplex in nachfolgendem Kapitel 2 sub II. 4. a). 70 Aus Sicht des Bundes H. Ebersberg, in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 4 (1957), S. 7 (8 ff.). 71 Vgl. BT-Drucks. 5/3515, S. 7. 72 BT-Drucks. 2/3158. 73 Im Einzelnen A. Weber, Die Entstehungsgeschichte des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27.07.1957, 2005, S. 264 ff. 74 Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen vom 17. August 1960, BGBl. II, S. 1215. Zur Entstehung des Kompetenztitels A. Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 184 ff. Die Veränderung der Bewirtschaftung der Bundeswasserstraßen nimmt S. Möckel, DVBl. 2010, S. 618 ff. in den Blick.
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
Bewirtschaftung der Bundeswasserstraßen.75 Im Jahr 1968 und 1970 folgten weitere vergebliche Anläufe, das Wasserwirtschaftsrecht in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu überführen.76 Argumentativ stützten sich diese Bemühungen insbesondere auf die Gebote der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die es verlangen würden, der Fragmentierung und Unübersichtlichkeit des Wasserrechts Einhalt zu gebieten.77 Die weitere Entwicklung des Wasserhaushaltsgesetzes ist nicht allein von rechtshistorischem Interesse.78 Vielmehr sind die Entwicklungslinien für die Interpretation der Kompetenzverteilung und hier namentlich für die stoffoder anlagenbezogene Bereichsausnahme von besonderer Relevanz.79 Das 2. Änderungsgesetz80 (1964) statuierte in den §§ 19a bis f WHG a. F. Anforderungen an Rohrleitungsanlagen zum Befördern von wassergefährdenden Stoffen. Die auch als Pipeline-Gesetz bekannte Novelle warf weitreichende verfassungsrechtliche Zweifelsfragen auf, so etwa, inwieweit sich der Gesetzgeber auf die Befugnis zur Ordnung des Wasserhaushalts oder die Kompetenz über das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) stützen konnte.81 Das zunächst nur für Oberflächenwasser und Grundwasser geltende Bewirtschaftungssystem erstreckte das später folgende 3. Änderungsgesetz82 (1967) auf den Schutz der Küstengewässer. Einen ersten prägnanten Einschnitt in die Ordnung des Wasserhaushalts und einen Schritt hin zur Ökozentrierung83 des Wasserwirtschaftsrechts 75 BVerfGE 15, 1 (10): „Daraus ist zu schließen, dass Regelungen für die ‚Wasserstraßen‘ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG etwas anderes sein müssen als die rechtliche Ordnung des ‚Wasserhaushalts‘ nach Art. 75 Nr. 4 GG.“ Dazu auch in der Entscheidung zur Nassauskiesung BVerfGE 58, 300 (341). 76 Gesetzesentwürfe vom 18. November 1968, BT-Drucks. 5/3515 vom 20. Oktober 1970, BT-Drucks. 6/1298 vom 9. Juli 1973 und BT-Drucks. 7/887. 77 BT-Drucks. 5/3515, S. 7. 78 Gleichsinnig die Ausführungen von M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (462 ff.). 79 Zur Interpretation der Bereichsausnahmen nachstehend in den Kapiteln 6 sub I. sowie 4 sub II. 80 Zweites Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 6. August 1964, BGBl. I, S. 611. 81 R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 500 und ausführlich C. Fischer, Zur von Gesetzgebungskompetenzen im Umweltschutz, 2001, S. 57 ff. 82 Drittes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 15. August 1967, BGBl. I, S. 909. Vgl. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1a, 32a, 32b WHG a. F. 83 Vgl. M. Reinhardt, ZfW 2000, S. 1 (11).
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nahm das 4. Änderungsgesetz84 (1976) vor. Als zentral können dabei die folgenden Bestimmungen gelten: Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser (§ 7a WHG a. F.), Pflichten zur Abwasserbeseitigung, den Bau und Betrieb von Abwasseranlagen (§§ 18 a und b WHG) und die Vorgaben zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (§§ 19g ff. WHG a. F.).85 Daneben sind seitdem unter bestimmten Voraussetzungen Gewässerschutzbeauftragte einzusetzen (§§ 21a ff. WHG a. F.) sowie Bewirtschaftungspläne aufzustellen (§ 36b WHG a. F.).86 Die mit dem 4. Änderungsgesetz verbundene Bemühung einer Verfassungsänderung, die zu einer Vollkompetenz des Bundes führen sollte, scheiterte am Veto der Länder.87 Das 5. Änderungsgesetz88 (1986) enthielt zahlreiche stoff- oder anlagenbezogene Änderungen. Die eingeführten Bestimmungen änderten und ergänzten unter anderem die Vorschriften betreffend das Einleiten gefährlicher Stoffe in Gewässer und den Grundwasserschutz.89 Damit vollzog die Novelle eine weitere ökologische Ausrichtung des Wasserwirtschaftsrechts. Mit dem 6. Änderungsgesetz90 (1996) wurde unter anderem die verfassungsrechtlich äußerst umstrittene Verordnungsermächtigung zur Transformation der europäischen Vorgaben aufgenommen (§ 6a WHG a. F.).91 An der Ermächtigung ließen sich die kompetenziellen Konflikte bei der Transformation supranationaler Vorgaben handgreiflich darstellen.92 Außerdem wurde das noch an den Anforderungen der Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. ausgerichtete Gesetz trotz der zwischenzeitlichen Verschär84 Viertes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 26. April 1976, BGBl. I, S. 1109. Allgemein wird mit dieser Revision die Überführung des Wasserhaushaltsgesetzes vom öffentlichen Sachenrecht zum Umweltrecht verbunden, vgl. bereits in der Einführung sub I. 85 Eine verfassungsrechtliche Bewertung der Vorschriften nimmt M. Czychowski, ZfW 1977, S. 84 ff. vor. 86 Zu den Neuerungen R. Riegel, NJW 1976, S. 783 ff. 87 BT-Drucks. 7/888, S. 14; dazu siehe S. Krieger, DÖV 1996, S. 455 (456 ff.). 88 Fünftes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 25. Juli 1986, BGBl. I, S. 1165; dazu E. Sander, ZfW 1985, S. 73 ff. und R. Breuer, NuR 1987, S. 49 ff. 89 Vgl. BGBl. I (1986), S. 1165 (1166 bis 1168). 90 Sechstes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 11. November 1996, BGBl. I, S. 1690. Zu den Einzelheiten G.-M. Knopp, NJW 1997, S. 417 ff. 91 Monografisch zu § 6a WHG a. F. T. Klink, Pauschale Ermächtigungen zur Umsetzung von Europäischem Umweltrecht mittels Rechtsverordnung, 2005, S. 61 ff. Zur Einbindung des Verordnungsrechts in die Abweichungsgesetzgebung nachfolgend Kapitel 8. 92 So wies etwa R. Breuer, ZfW 1999, S. 220 (224) darauf hin, dass die Landeskompetenz zur Ausfüllung durch die Ermächtigung weitestgehend ausgehebelt wurde.
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
fung zur Erforderlichkeitsklausel durch die Verfassungsreform 1994 unverändert verabschiedet.93 Die 7. Novellierung94 (2002) diente der Überführung der Wasserrahmenrichtlinie. Sie leitete damit einen allseits als „Paradigmenwechsel“95 apostrophierten Wandel der Gewässerbewirtschaftung ein. Das konditionalorientierte Wasserwirtschaftsrecht erhielt mit einer flussgebietsbezogenen planerischen Gewässerbewirtschaftung und stofflichen sowie ökologischen Bewirtschaftungszielen eine neue Ausrichtung.96 Obwohl sich zur Entwicklung des Wasserhaushaltsgesetzes weiteres ausführen ließe,97 kann sie für die Bewertung des Wasserwirtschaftsrechts im föderalen System dahinstehen. Das Wasserhaushaltsgesetz verlor ab der vierten Novelle im Jahre 1976 seinen rahmenrechtlichen Charakter und war nur partiell auf landesseitige Ausfüllung angelegt.98 Der Titel zur wasserwirtschaftlichen Rahmengesetzgebung wurde letztlich „vollkompetenzähnlich“99 beansprucht. Zudem offenbart die Zusammenschau der unterschiedlichen Novellen zwei Erkenntnisse: Einerseits wird das Bewirtschaftungsregime zunehmend von ökologischen und hydromorphologischen Aspekten bestimmt.100 Andererseits sind die Änderungen ganz überwiegend stoff- oder anlagenbezogen. Flankiert wurde diese Entwicklung durch zahlreiche Neuerungen im ebenfalls rahmenrechtlich geprägten Abwasserabgabengesetz.101 93 Mit diesem beredten Hinweis zum Umgang des Gesetzgebers mit der Kompetenzordnung C. Fischer, Zur Herleitung von Gesetzgebungskompetenzen im Umweltschutz, 2001, S. 65. 94 Siebtes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 18. Juni 2002, BGBl. I, S. 1914. 95 M. Oldiges, in: ders. (Hg.), Umweltqualität durch Planung, 2006, S. 115 (116); W. Durner/R. Ludwig, NuR 2008, S. 457 (457). 96 Statt vieler K. Berendes, ZfW 2002, S. 197 (211 ff.); M. Kotulla, NVwZ 2002, S. 1410 ff. und M. Reinhardt, in: v. Lersner/Berendes/ders.(Hg.), HDW, Erg.Lfg. 7/05, C 9, Einf. Recht der Wasserwirtschaft, II. 2. j). 97 Zur historischen Entwicklung näher M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 58 ff., 121 ff.; M. Reinhardt, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. III, 2012, § 70 Rn. 2 ff. und H. Wendenburg, in: Berendes/Frenz/ Müggenborg (Hg.), BK, 2011, 2011, Einl. Rn. 2 ff. 98 Dieser Befund wird allgemein anerkannt M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (462 ff., 464) und sogleich näher im Text unter sub d). Dazu auch K. Berendes, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 389 (389 f.), der gleichwohl „Gestaltungsspielräume von substanziellem Gewicht“ erkannte. 99 Mit diesem Standpunkt C. Fischer, Zur Herleitung von Gesetzgebungskompetenzen im Umweltschutz, 2001, S. 62. 100 Anschaulich zur Entwicklung M. Reinhardt, ZfW 2000, S. 1 ff. und ders., in: ders. (Hg.), Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 9 ff. 101 K. Berendes, ZfW 2002, S. 197 (198).
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Das Wasserwirtschaftsrecht präsentierte sich als unübersichtlich und zerstreut.102 Nach der Systematik und der Grundvorstellung des Grundgesetzes gab das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes lediglich den Rahmen vor, der durch die Länder auszufüllen war.103 Der Rechtsuchende musste bis auf die Verordnungsebene stets Landes- und Bundesrecht beachten.104 Zusätzlich wurde das Verständnis des Wasserwirtschaftsrechts durch eine heterogene Regelungslandschaft mit teilweise divergierenden Konzeptionen in den Bundesländern erschwert.105 Nach allseitiger Sichtweise bewährte sich die in Art. 75 GG a. F. niedergelegte Rahmengesetzgebung nicht.106 Jahrzehntelange Bemühungen hatten es nicht vermocht, eindeutige und verlässlich handhabbare Kriterien herauszuarbeiten, inwieweit gemäß Art. 75 Abs. 2 GG a. F. in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Bundesvorgaben gestattet waren.107 Bereits im Lichte dieses Aspekts schien es zielführend, die Rahmengesetzgebung abzuschaffen und die dortigen Kompetenztitel einer Vollkompetenz des Bundes zuzuweisen.108 Der mit dem Wasserhaushaltsrecht befasste Bundesgesetzgeber stand mit der Verfassungsreform 1994 vor einer gleichsam unüberwindbaren Hürde. Nach Verschärfung der kompetenziellen Ausübungsvoraussetzungen durch das 42. Grundgesetzänderungsgesetz des Jahres 1994 hätten zahlreiche Detailregelungen des bis dato geltenden Wasserhaushaltsrechts nicht mehr durch den Bundesgesetzgeber erlassen werden dürfen und galten lediglich nach Art. 125a Abs. 2 Satz 3 GG fort.109 Die 102 Diese Erkenntnis gilt auch für das gegenwärtige Reglement, dazu später in Kapitel 2 sub II. 4. 103 Zu den Grenzen der Rahmengesetzgebung im Wasserrecht vgl. R. Reichert, NVwZ 1998, S. 17 ff. 104 Dazu führte das Bundesverfassungsgericht BVerfGE 21, 312 (320 f.) aus: Das „allgemeine Wasserrecht“ sei zum Teil im WHG, zum Teil in den einschlägigen Landeswassergesetzen geregelt und beide Teile würden „zusammen erst die gesetzliche Regelung“ darstellen, die „ausgeführt“ werden kann. 105 Das Zusammenspiel skizziert R. Breuer, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 403 (414 ff.). 106 Vgl. nur die Begr. zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 8 und die Forderung nach der Beschränkung der Rahmengesetzgebung im Beschluss des Bundesrates vom 15. Oktober 1999, BR-Prot. 1999, S. 375 ff. 107 Mit diesem Befund P. M. Huber, Stellungnahme anlässlich der Anhörung zur Föderalismusreform am 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 219 ff. (229). Abgrenzungskonflikte dokumentiert zudem die Rechtsprechung BVerfGE 4, 115 (128 f.); 43, 291 (343); 66, 270 (285); 67, 382 (387); 93, 319 (341). 108 Siehe auch P. Selmer, JuS 2006, S. 1052 (1056). Letztlich brachte die Novelle kein einfacheres, sondern ein anderes Kompetenzmodell hervor, mit diesem Resümee in Kapitel 10. 109 Mit diesem Hinweis H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (345). Zu Art. 125a GG instruktiv A. Uhle, DÖV 2006, S. 370 (376 ff.).
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strenge Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht110 schloss eine Regelungsbefugnis des Bundes für das Gebiet des Wasserhaushalts in weiten Teilen aus.111 Neben dem Wasserhaushaltsgesetz finden sich in weiteren Gesetzen wasserrechtlich bedeutsame Bestimmungen. Erwähnenswert ist das BundesBodenschutzgesetz,112 das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz113 (WRMG), das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) sowie die Trinkwasserverordnung114. Letztgenannte Verordnung ist untergesetzliches Regelwerk zum Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)115. Kompetenzrechtlich ist die Trinkwasserverordnung damit dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (Besonderer Bereich des Gesundheitswesens – Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten) und dem Lebensmittelrecht zuzuordnen. Ferner enthalten das Bundeswasserstraßengesetz116 und das Binnenschiffahrtsaufgabengesetz117 sowie das Seeaufgabengesetz118 wichtige wasserrechtliche Bezüge.
110 Vgl.
BVerfGE 106, 62 (135 f.); 110, 141 (174 f.). zu den postulierten Ausübungsvoraussetzungen, die für den weiteren Untersuchungsgang keiner tiefergehenden Betrachtung bedürfen M. Kenntner, NVwZ 2003, S. 821 ff. und O. Depenheuer, ZG Bd. 19 (2005), S. 83 ff. 112 Bundes-Bodenschutzgesetz vom 17. März 1998 (BGBl. I, S. 502), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 30 des Gesetzes vom 24. Februar 2012 (BGBl. I, S. 212) geändert worden ist. 113 Wasch- und Reinigungsmittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juli 2013 (BGBl. I, S. 2538), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 74 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I, S. 3154) geändert worden ist. 114 Trinkwasserverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 2013 (BGBl. I, S. 2977), die durch Artikel 4 Absatz 22 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I, S. 3154) geändert worden ist. 115 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I, S. 1045), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 36 und Artikel 4 Absatz 21 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I, S. 3154) geändert worden ist. 116 Bundeswasserstraßengesetz vom 2. April 1968 (BGBl. II, S. 173), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 125 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I, S. 3154) geändert worden ist. 117 Binnenschiffahrtsaufgabengesetz vom 15. Februar 1956 (BGBl. II, S. 317), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 127 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I, S. 3154) geändert worden ist. 118 Seeaufgabengesetz vom 24. Mai 1965 (BGBl. 1965 II, S. 833), das zuletzt durch Artikel 16 Absatz 20 des Gesetzes vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I, S. 3836) geändert worden ist. 111 Näher
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d) Die Landeswassergesetze Das am 1. März 1960 in Kraft getretene Wasserhaushaltsgesetz musste durch landesrechtliche Vorschriften ergänzt, konkretisiert und ausgefüllt werden.119 Zur Gewährleistung einer größtmöglichen Einheitlichkeit erarbeiteten die Länder in der „Wasserrechtlichen Arbeitsgemeinschaft der Länder“, dem organisatorischen Vorgänger der „Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser“ (LAWA), gemeinsam einen Musterentwurf. Dieser Musterentwurf bildete die Grundlage für die jeweiligen Landeswassergesetze. Gleichwohl verfolgten die Landeswassergesetze im Einzelnen unterschiedliche Regelungsansätze. Die Divergenzen zwischen den Regelwerken resultierten dabei wohl zumeist aus der jeweiligen Rechts- bzw. Vollzugs tradition sowie den politischen Präferenzen und weniger aus unterschied lichen fachlichen Anforderungen.120 Die Landeswassergesetze standen mit wenigen Ausnahmen autonom neben dem Wasserhaushaltsgesetz. Sie waren äußerlich nur durch eine Inbezugnahme von Normen des Wasserhaushaltsgesetzes in den Überschriften mit dem Wasserhaushaltsgesetz verknüpft. Hingegen inkorporierten Bremen121 und die Länder Niedersachsen122 sowie Sachsen-Anhalt123 das Wasserhaushaltsgesetz, indem sie in ihre Landeswassergesetze Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes aufnahmen.124 Der Erlass landeswasserrechtlicher Vorschriften erwies sich unter Geltung des Wasserhaushaltsgesetzes rahmenrechtlicher Prägung dann als diffizil, wenn einer Norm des Wasserhaushaltsgesetzes ein unmittelbarer Geltungsanspruch nach Art. 75 Abs. 2 GG a. F. zukam.125 Dabei richteten sich ver119 Zu den damit verbundenen Umsetzungsschwierigkeiten bereits A. Bochalli, ZfW 1962, S. 65 ff.; P. Gieseke, in: ders. (Hg.), RdWWi, Bd. 9 (1961), S. 7 ff.; näher zur Entstehung und Rekonstruktion des Landesrechts A. Weber, Die Entstehung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27.07.1957, 2005, S. 317 ff. 120 So die Untersuchung von W. Wiedemann, in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 12 (1971), S. 5 (51 f.). Näher zu dieser Untersuchung nachfolgend unter Kapitel 2 sub II. 4. b). 121 Bremisches Wassergesetz vom 13. März 1962, GBl., S. 59. 122 Niedersächsisches Wassergesetz vom 7. Juli 1960, GVBl., S. 105. 123 Wassergesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 31. September 1993, GVBl. LSA, S. 477. 124 Die textliche Integration rahmenrechtlicher Vorschriften war diskutabel vgl. P. Gieseke, Der Entwurf des Wasserhaushaltsgesetzes: Die Ergänzung des Wasserhaushaltsgesetzes durch die Länder, in: ders. (Hg.), Bd. 4 (1957), S. 29 (34 ff.), aber letztlich als zulässig anerkannt. Vgl. J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 GG Rn. 31 mit weit. Nachw. 125 Exemplifikatorisch hierfür steht § 18b WHG a. F. (Bau und Betrieb von Abwasseranlagen). Das Bundesverwaltungsgericht musste sich im Beschluss vom
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
gleichsweise wenige Normen mit Rechtsetzungsbefehlen an die Länder.126 Vielmehr stellten sich weite Abschnitte des Wasserhaushaltsgesetzes in der Fassung vom 18. Juni 2002 als ausschließlich oder überwiegend unmittelbar geltendes Recht dar. Darunter fielen zahlreiche Vorschriften im System der Gewässerbenutzungsregelungen (§§ 3 bis 5; §§ 7 und 8; §§ 9a bis 12; §§ 15 bis 17a WHG a. F.). Als Detailregelungen wurden ferner die anlagenbezogenen Regelungen der §§ 19 a bis l WHG a. F. und die Vorschriften über den Gewässerschutzbeauftragten (§§ 21a bis f WHG a. F.) erachtet.127 e) Die Friktionen des wasserrechtlichen Kompetenzregimes Der neu gestaltete Kompetenzzuschnitt soll die zahlreichen Friktionen des wasserrechtlichen Kompetenzregimes rahmenrechtlicher Prägung reduzieren.128 Die Widersprüche wurden namentlich auf heterogene Regelungsansätze im Bundes- und Landesrecht zurückgeführt, die für die spätere Interpretation der Legislativzuständigkeit schlaglichtartig darzustellen sind. Auf die sich aus den unterschiedlichen landeswasserrechtlichen Regelungskonzeptionen ergebenden Divergenzen wiesen beispielshalber Martin Oldiges129 und Rüdiger Breuer130 hin. So habe das für die Wirtschaft wichtige Zulassungsregime schwerlich zu legitimierende Unterschiede aufgewiesen.131 Der Bund normierte nur die Grundzüge zweier wasserrechtlicher Gestattungsinstitute, die Bewilligung und die Erlaubnis. Einige Länder 30. September 1996, Az.: 4 B 175/96, abgedr. in NVwZ-RR 1997, 214 ff. mit der Frage auseinandersetzen, ob die strengeren Anforderungen des § 153 Nds. WG zulässig waren. Vgl. zur alten Rechtslage M. Reinhardt, Czychowski/ders., 9. Aufl. 2007, § 18b WHG Rn. 1 a. E. 126 Vgl. wiederum die Anmerkungen bei R. Reichert, NVwZ 1998, S. 17 (20 f.). An die Länder richteten sich zehn Paragraphen in den §§ 9, 18a Abs. 2 Satz 1, Abs. 2a und Abs. 3, 21g, 25, 27, 32 Abs. 3, 32a, 35, 36, 36a Abs. 1, 36b Abs. 1 WHG. 127 Nach R. Reichert, NVwZ 1998, S. 17 (20, Anm. 39 bis 40) gehörten dazu die §§ 1, 1a, 2, 3, 4, 5, 6, 6a, 7, 7a, 8, 9a, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 17a, 18, 18a Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, 18b, 19, 19a bis l, 20, 21, 21a bis f, 22 bis 24, 26, 28 bis 32, 33, 36a Abs. 2 bis 4, 36b Abs. 2 bis 6, 37, 41 WHG circa 56 Vorschriften. Andere Regelungskomplexe enthalten Zweifelsfälle, bei denen von einer Detailregelung die Rede sein kann, dies aber nicht sicher erscheint, etwa §§ 21, 31, 32a bis 33 WHG. 128 Einzelheiten hierzu J. Sanden, Die Weiterentwicklung der föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland, 2005, S. 276 ff. 129 M. Oldiges, in: ders. (Hg.), Aktuelle Probleme des Gewässerschutz- und Abwasserrechts, 1998, S. 51 (60 f.). 130 R. Breuer, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 403 (414). 131 Zum Wasserrecht als Standortfaktor ausführlich anhand der bayerischen Wirtschaft U. Triebswetter/J. Wackerbauer, ZfU 2011, S. 17 ff. (25 f.).
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kreierten mit der sogenannten ‚gehobenen Erlaubnis‘132 ein drittes Gestattungselement, das zwischen Erlaubnis und Bewilligung angesiedelt ist. Daneben sollen die Vorschriften zu den Indirekteinleitern beispielhaft für die Inkonsistenz des Wasserrechts gewesen sein.133 Entgegen der Abwasserherkunftsverordnung des Bundes führte das Land Nordrhein-Westfalen die „Ordnungsbehördliche Verordnung über die Genehmigungspflicht für das Einleiten von Abwässern mit gefährlichen Stoffen in öffentliche Abwasseranlagen“ (VGS NW134) ein, die in Ziffer 10 der Anlage 1 weitere Bereiche von Abwässern mit gefährlichen Stoffen aufführte, etwa Anlagen zur Bodenwäsche. Als für die Wirtschaft und den Umweltschutz nachteilig wurde ein etwaiger Standortwettbewerb zwischen den Ländern erachtet, der durch ebensolche unterschiedliche Regelungen befördert würde.135 Daneben wurde der unterschiedliche landesrechtliche Umgang mit wassergefährdenden Stoffen moniert. Die Länder hatten sich in der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) auf eine Muster-Anlagenverordnung (Muster-VAwS) geeinigt.136 Dieses Muster wurde von einigen Ländern mit Abweichungen in Landesrecht überführt. Die Verordnungen der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen verzichteten weitestgehend auf die Einstufung von wassergefährdenden Stoffen und Gemischen. Nordrhein-Westfalen führte zudem einige besondere Vorgaben ein. So verzichtete es auf ein volles Rückhaltevolumen bei Anlagen der Gefährdungsstufe D. Solche Abweichungen sollen sich für bundesweit agierende Unternehmen „besonders störend“ erwiesen haben.137 Zu diesen Divergenzen zwischen der Bundes- und der Landesgesetzgebung traten weitere Konfliktpunkte. Denn gestützt auf den Kompetenztitel „Recht der Wirtschaft“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG schuf der Bundesgesetzgeber innerhalb des Rahmengesetzes Vollregelungen.138 Es ließen sich 132 Vgl. Art. 16 BayWG a. F. ‚angehobene Erlaubnis‘ oder § 35a LWG NW a. F. ‚gehobene Erlaubnis‘. 133 Zum Ganzen P. Nisipeanu, Abwasserrecht, 1991, S. 427. 134 Ordnungsbehördliche Verordnung über die Genehmigungspflicht für die Einleitung von Abwasser mit gefährlichen Stoffen in öffentliche Abwasseranlagen (VGS) vom 25. September 1989, Land Nordrhein-Westfalen, GVBl., S. 564. Aufgehoben durch Gesetz vom 3. Mai 2005, GVBl., S. 463. 135 M. Oldiges, in: ders. (Hg.), Aktuelle Probleme des Gewässerschutz- und Abwasserrechts, 1998, S. 51 (60 f.). 136 Vgl. zum Nachstehenden die Begründung zum Entwurf einer Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (2014), S. 86. 137 J. Salzwedel/W. Durner, in: Hannsmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kap. 8 Rn. 165. 138 Näher C. Fischer, Zur von Gesetzgebungskompetenzen im Umweltschutz, 2001, S. 56 ff. und auch unter Kapitel 4 sub III. 2.
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weitere Sachmaterien dokumentieren, die als unzureichend oder inkonsistent geregelt erachtet wurden.139 Ferner bleibt im Lichte der Ordnung des Wasserhaushalts noch auf die nationalen und supranationalen Umsetzungsdefizite hinzuweisen. Exemplarisch für die nationalen Umsetzungsdefizite im Bereich des Bundesrechts stand das Recht der wassergefährdenden Stoffe (§§ 19g bis l WHG a. F.). Mit dem Fünften Änderungsgesetz zum Wasserhaushaltsgesetz vom 27. Juli 1986 wurde der Anwendungsbereich der §§ 19g ff. WHG a. F. erweitert und die Anlagen zum Herstellen, Behandeln und Verwenden wassergefährdender Stoffe überwiegend einbezogen.140 Diese durch den Bund eingeführten Bestimmungen setzten die Länder im Wege von Verordnungen um. Obwohl sich die Bundesländer bereits 1990 auf einen Musterentwurf verständigten,141 wurde die Angleichung erst 1995 von allen Bundesländern verwirklicht.142 Somit stieß der Rechtsunterworfene in diesem ökonomisch relevanten Gebiet des Anlagenrechts viele Jahre auf ein stark divergierendes Normprogramm. Ein weiterer Regelungsbereich, in dem Bundesrahmenrecht nicht fristgerecht mit Landesrecht untersetzt wurde, betraf die Vorgaben des Hochwasserschutzes.143 Die Umsetzungsfrist zum 10. Mai 2007 der in den §§ 31a ff. WHG a. F. an die Länder gerichteten Regelungsaufträge war zwingend zu beachten. Einerseits schien die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Vorgaben zweifelhaft.144 Andererseits verzichteten sechs Bundesländer auf eine Anpassung und warteten sogleich die Neufassung des Wasserhaushaltsgesetzes im Jahre 2009 ab.145 Die brisanteren Transformationsdefizite beruhten indessen nicht auf Vorgaben des Bundes, sondern auf supranationalen Rechtsakten.146 Besonders auf das Wasserwirtschaftsrecht wurde häufig verwiesen, wenn föderale 139 Insofern sei auf das zahlreiche Schrifttum verwiesen, statt anderer R. Breuer, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 403 (416). 140 BGBl. I. (1986), S. 1165. Geändert durch das Sechste Gesetz zur Änderung des WHG vom 11. November 1996, BGBl. I, S. 1690, Anh. I A. 10. 141 Muster-Anlagenverordnung (Muster-VAwS) vom 8./9. November 1990, Anh. II 19 lit. g. 3.; vgl. dazu J. Greinert, ZfW 1992, S. 329 ff. 142 Die Umsetzung erfolgte in Thüringen am 25. Juli 1995 und trat am 2. September 1995 in Kraft, GVBl., S. 261. 143 Gesetz zur Verbesserung des Hochwasserschutzes vom 3. Mai 2005, BGBl. I, S. 1746. 144 Siehe dazu nur die Ausführungen von K. Berendes, ZfW 2005, S. 197 (202 f.); D. Blasberg, NWVBl. 2005, S. 205 ff.; R. Breuer, NuR 2006, S. 614 (615 ff.). 145 Mit diesem Hinweis M. Kotulla, in: Kloepfer (Hg.), Hochwasserschutz, 2009, S. 135 (135). 146 Vgl. nur die primärrechtlichen Vorgaben in den Art. 2, 4 Abs. 2 lit. e, 11, 191 bis 193 VAEU.
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Transformationsdefizite in Rede standen.147 Namentlich seit der Wasserrahmenrichtlinie wurde der supranationale Transmissionsrahmen dichter und komplexer. Die Implementierung folgt der mitgliedstaatlichen Kompetenzverteilung und wird dem Grund nach entweder durch den Bund oder die Länder vorgenommen.148 Unter Geltung des Art. 75 GG a. F. konnte der Bund auch im Bereich des Europarechts lediglich einen wasserrechtlichen Rahmen statuieren. Den Ländern oblag die Umsetzung von Richtlinien mit gebietsbezogenen Regelungen. Dienten die Richtlinien hingegen dem flächendeckenden Grundwasserschutz, transformierte sie der Bund.149 Zwar behielt das Wasserhaushaltsgesetz dem Bund in § 6a WHG 2002150 die nicht unumstrittene Möglichkeit vor, im Alleingang gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umzusetzen.151 Er war indessen vor jeder Transformation angehalten, im Einzelfall zu prüfen, ob er über die entsprechende Befugnis verfügte.152 Begrenzt war der Delegationsrahmen des § 6a WHG 2002 durch die Maßgabe, dass der Bund nur „Vorschriften über die Bewirtschaftung der Gewässer“ erlassen durfte, womit ihm Vorgaben zur Gewässerbeschaffenheit und Gewässerbenutzung sowie für den Bau und den Betrieb von Anlagen verwehrt blieben. Waren europarechtliche Vorgaben umzusetzen, die nicht dem Anwendungsbereich des § 6a WHG 2002 unterlagen, musste der Bund oftmals sehenden Auges ein Vertragsverletzungsverfahren in Kauf nehmen.153
147 Zur Entwicklung siehe nur M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004 Rn. 12 ff.; E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21 ff.; bereits J. Salzwedel, in: ders. (Hg.), RdWWi, Bd. 16 (1969), S. 21 ff. Aus der Vielzahl des Schrifttums zu den Transformationsschwierigkeiten W. Frenz, ZfW 2002, S. 222 ff. und M. Reinhardt, DVBl. 2001, S. 145 ff. 148 C. Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 23 GG Rn. 48. Eine Bewertung des Abweichungsmodells im supranationalen Kontext nimmt nachfolgend Kapitel 3 sub II. vor. 149 Im Einzelnen G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/ AbwAG, 24. Erg.-Lfg. März 2002, § 6a WHG [2002, d. Verf.] Rn. 8. 150 Landesrechtliche Vorschriften enthielten ähnliche Regelungen: § 4 SächsWG (Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft), § 2a NordrhWestWG (Umsetzung des Rechts der Europäischen Gemeinschaft). 151 E.-L. Holtmeier, Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der Umsetzung von EG-Richtlinien im Bereich des Wasserrechts, in: Neue Entwicklungen im Umweltrecht, 1996, S. 155 (160 f.). Zu § 6a WHG ebenfalls M. Czychowski, ZUR 1997, S. 71 (72 f.). 152 Dazu K. Berendes, ZfW 1996, S. 363 (367). 153 Die nationale Kompetenzverteilung ist kein Rechtfertigungsgrund, vgl. EuGH, Rs. C-139/00, Slg. 2002, I-6407. Zu den Umsetzungsschwierigkeiten instruktiv K. Westbomke, EurUP 2004, S. 122 (123).
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Namentlich die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie154 war bezeichnend für den schwierigen Umgang Deutschlands mit supranationalen Implementationspflichten. Auf die komplexe Transformation der Wasserrahmenrichtlinie155 durch ein Bundesgesetz, 16 Landesgesetze und 16 Landesverordnungen wurde im Rahmen der Beratungen zur Föderalismusreform und zum gescheiterten Umweltgesetzbuch regelmäßig verwiesen.156 Auf Bundesebene wurde die Wasserrahmenrichtlinie durch die 7. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes umgesetzt.157 Aufgrund der kompetenzrechtlichen Einschränkungen verwies der Bund vielfach auf noch zu erlassende landesrechtliche Regelungen.158 Die Länder waren nach Art. 75 Abs. 3 GG a. F. in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 WRRL angehalten, bis zum 22. Dezember 2003 ihre Landeswassergesetze zu ändern und Flussgebietseinheiten auszuweisen. Diesen Vorgaben kamen nur sehr wenige Länder fristgerecht nach.159 Daneben war die systematische Verortung der Transforma tionsakte kritikwürdig. Während die Umweltziele des Art. 4 WRRL durch Überführung des Richtlinientextes in die §§ 25a bis d WHG sowie die §§ 32b und 33a WHG Einzug in das Wasserhaushaltsgesetz fanden, oblag es den Ländern, die in den Anhängen der Richtlinie niedergelegten Detailregelungen zu transformieren.160 Noch während der Reformbemühungen scheiterte die fristgerechte Umsetzung der Badegewässerrichtlinie RL (EG) 154 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik – Wasserrahmen-Richtlinie, ABl. EU Nr. L 327, S. 1. 155 Zur Wasserrahmenrichtlinie statt anderer nur W. Durner, in: Köck/Faßbender (Hg.), Implementation der Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland – Erfahrungen und Perspektiven, 2011, S. 17; R. Breuer, NVwZ 1998, S. 1001 ff.; ders., NuR 2007, S. 503 ff. 156 Statt vieler H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35, (39 f.); R. Grandjot, DÖV 2006, S. 511 (512); BMU, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0008, S. 16 f. Mit abweichender Bewertung hingegen M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (99). 157 7. Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 18. Juni 2002, BGBl. I, S. 1914 (2711). 158 Etwa in §§ 1b Abs. 2 und 3, 25a Abs. 3, 25c Abs. 1, 25d Abs. 1, 33a Abs. 3, 36 Abs. 1 und 7, 36b Abs. 1 WHG 2002. Zur Diskussion E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21 (21 f.); C. Haslach, DÖV 2004, S. 12 ff. 159 Dazu K. Berendes, ZfW 2002, S. 197 (212): Eine Klage wegen der säumigen Implementation der Wasserrahmenrichtlinie in nationalstaatliches Recht ließ sich nur verhindern, weil der letzte Transformationsakt von sechzehn Landesverordnungen kurz vor Klageerhebung durch die Kommission verkündet wurde. 160 So wörtlich der Befund bei M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (465); zur überkommenen Rechtslage ders., ZUR Sonderheft 2001, S. 124 f.
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Nr. 2006 / 7,161 die bis zum 24. März 2008 in nationales Recht zu überführen war. Das Land Hessen162 war infolge der Landtagswahlergebnisse nur eingeschränkt zur Rechtsetzung fähig und der Freistaat Thüringen163 soll das Fehlen der erforderlichen Verordnungsermächtigung übersehen haben.164 Wie noch zu sehen sein wird, war die Annahme des Reformverfassungsgebers, mit der Verfassungsreform 2006 Überschreitungen der Umsetzungsfristen künftig verhindern zu können, wohl etwas euphemistisch. Weiterhin bestehen im Bereich der europäischen Rechtsharmonisierung konfliktträchtige gegenseitige Abhängigkeiten zwischen Bund und Ländern.165 Zu dieser kompetenziellen Ausgestaltung des Wasserwirtschaftsrechts trat die verschärfte Anforderung der Erforderlichkeitsklausel in Art. 72 Abs. 2 GG,166 die an der Verfassungskonformität der 6. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes vom 18. November 1996 erhebliche Zweifel aufkommen ließ.167 3. Die europäische Determinierung des Wasserhaushaltsrechts Von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis des novellierten wasserwirtschaftlichen Kompetenzgefüges sind die supranationalen Transforma tionspflichten. Dabei nimmt die vorstehend bereits benannte und gelegentlich als „Trojanisches Pferd im föderalistischen Staatsaufbau“168 bezeichnete Wasserrahmenrichtlinie169 einen zentralen Platz ein.170 Insoweit ist ein kurzer Exkurs zum supranationalen Harmonisierungsstand angezeigt. Nachfolgende Betrachtung wird im Verlauf der Untersuchung regelmäßig in Bezug genommen. Denn unzweideutig stößt die föderale Abweichungsbe161 Richtlinie 2006/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Februar 2006 über die Qualität der Badegewässer und deren Bewirtschaftung und zur Aufhebung der Richtlinie 76/160/EWG, Abl. EU Nr. L 64, S. 37. 162 Umsetzung 21. Juli 2008, GVBl. I, S. 796. 163 Umsetzung 30. Juni 2009, GVBl. I, S. 544. 164 H. Wendenburg, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 1. 165 Näher hierzu in Kapitel 3 sub II. 1. 166 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBl. I, S. 3146. 167 Siehe die Ausführungen von R. Reichert, NVwZ 1998, S. 17 (21), wonach der Bundesgesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz unzweideutig überschritten hatte. 168 Verdichtet zu den verschiedenen Facetten der Wasserrahmenrichtlinie: R. Breu er, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 403 (425 ff.). 169 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. EG Nr. L 327 vom 22. Dezember 2000, S. 1. 170 Zur Entwicklung statt anderer R. Breuer, DVBl. 1997, S. 1211 ff. und M. Reinhardt, DVBl. 2001, S. 145 ff.
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fugnis dort an ihre Grenzen, wo verbindliches supranationales Recht unmittelbar gilt oder einen Umsetzungsauftrag erteilt.171 Das supranationale Recht der Europäischen Union gliedert sich in horizontale und sektorale bzw. vertikale Vorgaben. Als horizontale, medienübergreifende gewässerschutzrelevante Direktiven sind die UVP-Richtlinie,172 die SUP-Richtlinie,173 die IVU-Richtlinie174 und die IE-Richtlinie175 zu identifizieren. Von den sektoralen Richtlinien kommt der Wasserrahmenrichtlinie mit ihren Tochterrichtlinien die größte Bedeutung zu.176 Weiter sind die Grundwasser-177 und die Trinkwasser-178 sowie die Nitratrichtli-
171 H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (54 f.); A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 50. 172 Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. EG Nr. L 175 vom 25. Juli 1985, S. 40. Zur UVP im verfassungsrechtlichen Kontext im folgenden Kapitel 9 sub III. 173 Die Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkung bestimmter Pläne und Programme vom 27. Juni 2001, ABl. EG Nr. L 197 vom 27. Juni 2001, S. 30 erweitert die Umweltfolgenprüfung über den Projektbereich hinaus und wird durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinie 85/337EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. EG Nr. L 156 vom 25. Juni 2003, S. 17 flankiert. 174 Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. EU Nr. L 24 vom 29. Januar 2008, S. 8. Die Richtlinie hebt die Vorgänger Richtlinie 96/61/EG nach ihrem Art. 22 zeitlich gestaffelt auf. 175 Richtlinie 2010/75EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABI. EU L 334, 17. Näher zur Richtlinie 2010/75/EU und zu ihrer Umsetzung in das deutsche Recht BT-Drucks. 17/10486, S. 19 ff. und Hofmann, ZfW 2013, 57 ff. 176 Zuletzt Richtlinie 2013/39/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. August 2013 zur Änderung der Richtlinien 2000/60/EG und 2008/105/EG in Bezug auf prioritäre Stoffe im Bereich der Wasserpolitik, Abl. EU Nr. L 348 vom 24. August 2013. 177 Richtlinie 2006/118/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung ABl. EU Nr. L 372 vom 27. Dezember 2006, S. 19. Mit Blick auf die vorgesehenen Schwellwerte J. Salzwedel/W. Schwetzel, NuR 2009, S. 760 (761 ff.). 178 Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, ABl. EG Nr. L 330 vom 5. Dezember 1998, S. 32.
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nie179 im Bereich der landwirtschaftlichen Gewässerverschmutzung als auch die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie hervorzuheben. Daneben führt die Richtlinie über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken180 zu einer Harmonisierung der Gefahrenabwehr und engt den Handlungsrahmen der Länder erheblich ein.181 Die zentrale Wasserrahmenrichtlinie schafft einen Ordnungsrahmen für die Binnenoberflächengewässer, die Übergangsgewässer, die Küstengewässer und das Grundwasser. In Art. 1 WRRL legt sie folgende Schwerpunkte fest: – Schutz und Verbesserung des Zustandes aquatischer Ökosysteme und des Grundwassers einschließlich von Landökosystemen, die direkt vom Wasser abhängen (Art. 1 lit. a) WRRL); – Förderung einer nachhaltigen Nutzung und Schutz der Wasserressourcen (Art. 1 lit. b) WRRL); – Maßnahmen zur Reduzierung prioritärer Stoffe und Beendigung des Freisetzens bzw. Einleitens prioritär gefährlicher Stoffe (Art. 1 lit. c) WRRL); – Reduzierung der Grundwasserverschmutzung (Art. 1 lit. d) WRRL); – Minderung der Auswirkungen von Überschwemmungen und Dürren (Art. 1 lit. e) WRRL). Für den weiteren Untersuchungsgang bedeutungsvoll sind die verbindlichen Umweltziele des Art. 4 WRRL.182 Danach gilt für oberirdische Gewässer nachfolgende Zielsetzung: – eine Verschlechterung der Oberflächengewässer ist zu verhindern (Art. 4 lit. a) i) WRRL); – bis zum Jahr 2015 soll ein guter ökologischer und chemischer Zustand (Art. 4 lit. a) ii) WRRL) oder – ein gutes ökologisches Potential und guter chemischer Zustand bei erheblich veränderten oder künstlichen Gewässern (Art. 4 lit. a) iii) WRRL) erreicht werden.
179 Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen, ABl. EG Nr. L 375 vom 31. Dezember 1991, S. 1. 180 Richtlinie 2007/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken, ABl. EU Nr. L 288 vom 6. November 2007, S. 27. 181 Zum Hochwasserschutz nachstehend Kapitel 7 sub II. 2. b) und zur Richtlinie R. Breuer, NuR 2006, S. 614 ff. sowie M. Reinhardt, NuR 2008, S. 468 (469 ff.). 182 Instruktiv dazu J. Albrecht, NuR 2010, S. 607 (608 ff.).
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
Für das Grundwasser wurden folgende Ziele statuiert: – es ist eine Verschlechterung des Grundwasserzustandes zu verhindern (Art. 4 lit. b) i) WRRL); – bis zum Jahr 2015 soll ein guter quantitativer und chemischer Zustand (Art. 4 lit. b) ii) WRRL) erreicht und – erkennbare Belastungstrends umgekehrt und Schadstoffeinträge verhindert und begrenzt werden (Art. 4 lit. b) iii) WRRL). Zentrales Element der Richtlinie ist die koordinierte Bewirtschaftung auf der Ebene von Flusseinzugsgebieten nach Art. 3 WRRL. Namentlich die Einführung eines europaweiten Wasserbewirtschaftungssystems183 nach Art. 13 WRRL in Verbindung mit dem weitreichenden Bewirtschaftungsgrundsatz engen den Raum für länderspezifische Abweichungen erheblich ein.184 Zur Erreichung der in Art. 4 WRRL niedergelegten Ziele sieht Art. 11 WRRL die Festsetzung von Maßnahmenprogrammen vor. Diese Programme müssen bestimmte Mindestanforderungen einhalten, welche sich aus Bewirtschaftungsplänen für Einzugsgebiete ergeben. Die mit Art. 4 Abs. 1 WRRL vorgegebenen Parameter sind im Anhang V niedergelegt. In diesem sind als Qualitätskomponenten neben der Gewässerflora und -fauna sowie spezifischen Schadstoffen explizite physikalisch-chemische Kennziffern (Temperatur, Sauerstoff usf.) als auch hydromorphologische Parameter für die Zielerreichung ausschlaggebend.185 Letztere Parameter umfassen etwa den Abfluss, die Abflussdynamik, die Durchgängigkeit und die Hydromorphologie186. Unbenommen des Streitstandes, ob jede nachteilige Veränderung eines Gewässers eine ‚Verschlechterung‘ im Sinne der Richtlinie ist,187 darf für die weitere Untersuchung eine zunehmend ökologische und namentlich eine ökomorphologische Ausrichtung des Wasserwirtschaftsrechts vermerkt werden.188 Im Untersuchungsgang werden einige Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie wiederholt Bedeutung erlangen.189 183 Zur Bewirtschaftungsplanung J. Albrecht, Umweltqualitätsziele im Gewässerschutzrecht, 2007, S. 398 ff. 184 So jedoch letztlich zu weitreichend F. Ekardt/R. Weyland, NVwZ 2006, S. 737 (739 f.). 185 Hierzu und zu folgendem BMU, Umweltpolitik: Die Wasserrahmenrichtlinie – Neues Fundament für den Gewässerschutz in Europa, 2004, S. 62 ff. und passim. 186 Die Hydromorphologie umfasst u. a. die Gestalt der Uferzone, der Tiefen- und Breitenverhältnisse und gibt damit über das Abflussverhalten eines Gewässers Auskunft. 187 Ausführlich hierzu H. Ginzky, NuR 2008, S. 147 (148 f.). 188 Statt vieler W. Durner, NuR 2010, S. 452 (457) und mit Blick auf die Gewässerunterhaltung M. Reinhardt, NVwZ 2008, S. 1048 (1052 f.). 189 Im Lichte der abweichungsfesten Bereiche in Kapitel 6 sub II. 1. b) und sub II. 3.
I. Entwicklung und Konfliktpotential57
4. Resümierende Stellungnahme In den Entwicklungslinien des Wasserwirtschaftsrechts veranschaulichen sich die Friktionen der föderalen Beziehung zwischen Bund und Ländern. Dazu zählt einerseits die seit der Verabschiedung des Grundgesetzes kritisierte Aufteilung der Regelungsmaterien. Und andererseits die Entwicklung einer Bewirtschaftungsordnung, die das Abflussverhalten, die Schiffbarkeit und Gebrauchsaspekte usf. in den Mittelpunkt rückte, zu einem Teil des Umweltschutzrechts. Ganz im Mittelpunkt der sich mit dem Wasserwirtschaftsrecht befassenden Publikationen stand in den zurückliegenden Dekaden die Einbindung des final orientierten supranationalen Rechts der Europäischen Union in die konditional und föderal ausgerichtete nationale Gesamtrechtsordnung.190 Insoweit bestätigt der Entwicklungsprozess die Auffassung, wonach das Modell der Rahmengesetzgebung in einigen Bereichen an seine Grenzen stieß. Eine Zusammenschau der unterschied lichen Novellierungen des Wasserhaushaltsgesetzes bringt im Lichte der Föderalismusreform 2006 Weiteres zutage. So führten die Novellen überwiegend stoff- oder anlagenbezogene Regelungen ein. Im Zweiten Änderungsgesetz sind dies etwa die Bestimmungen der §§ 19a bis f WHG a. F., im Vierten Änderungsgesetz die Bestimmungen der §§ 7a, 18a, 18b, 19g bis 19l WHG a. F., im Fünften Änderungsgesetz die §§ 7a, 19g WHG a. F. sowie im Sechsten Änderungsgesetz die §§ 7a, 18a, 18b, 19h WHG a. F. Der Anstoß zu den Novellen beruhte oftmals auf europäischen Transformationspflichten. So enthielten die mit dem Sechsten Änderungsgesetz (§§ 6a, 7a WHG a. F.) sowie die mit dem Siebten Änderungsgesetz hinzugekommenen bzw. angepassten Vorschriften (§§ 1, 1b, 25a bis d, 32c, 33a, 36b, 36, 36b, 37 WHG a. F.) überwiegend stoffbezogene Regelungen bzw. mit Blick auf die §§ 19a und 19g WHG a. F anlagenbezogene Vorgaben. Das Wasserwirtschaftsrecht war in den zurückliegenden Jahrzehnten mithin geprägt von stoff- oder anlagenbezogenen bzw. europarechtlichen Novellierungen.191
190 Zur theoretischen Fundierung der Konditional- und Zweckprogrammierung des Rechtsystems M. Schulte, Rechtstheorie Bd. 38 (2007), S. 379 (384 ff.) und zum Wasserrecht W. Durner/R. Ludwig, NuR 2008, S. 457 (458 ff.). 191 Dieser Befund wird in Kapitel 6 sub I. 1. aus kompetenzrechtlicher Perspektive näher beleuchtet.
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
II. Die Reform des wasserwirtschaftlichen Kompetenzregimes Das Bundesstaatsprinzip ist fortwährend antagonistischen Interessen ausgesetzt.192 Gemeinhin wird die Kompetenzverteilung193 des Grundgesetzes als ‚Exekutivföderalismus‘ beschrieben.194 Der Bund erlässt die Gesetze und den Ländern obliegt ihr Vollzug. Die Bundesländer waren und sind jedoch über den Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 77 GG wirkungsvoll eingebunden.195 Die Mehrzahl der Bundesgesetze (circa 59 %) bedurfte bis zur Verfassungsreform 2006196 der Zustimmung des Bundesrates, was den Ländern einen erheblichen Einfluss sicherte.197 Die daraus resultierenden wechselseitigen Blockaden von Bund und Ländern waren mit einer Vermischung von Zuständigkeiten und den damit verknüpften Verantwortlichkeiten verbunden.198 Zudem erhielten die Gesetze vielfach erst im nicht öffentlich tagenden Vermittlungsausschuss (Art. 77 Abs. 2 bis 4 GG) ihre endgültige Gestalt, was aus Demokratiegesichtspunkten als besonders problematisch empfunden wurde und ein Haupteinwand gegen die Verflechtung der Zuständigkeiten war.199 Sofern die Blockade aufgelöst wurde, resultierten aus den Verhandlungen teils unerwünschte Kompromisse.200 Vor die192 Zur Instrumentalisierung der Länderkammer C. Gramm, AöR Bd. 124 (1999), S. 212 (214 ff.); J. Isensee, AöR Bd. 115 (1990), S. 248 (248) fasst die Stimmung pointiert zusammen: „Föderalismus sei Überbleibsel älterer Verfassungsepochen, unzeitgemäß, ablösungsreif, bestenfalls denkmalschutzwürdig.“ und H.-J. Papier, in: Uhle (Hg.), Dresdner Vorträge zum Staatsrecht, Bd. 2, S. 11 ff. 193 Normativ charakterisiert der Terminus ‚Kompetenz‘ die (Zuständigkeits-)Zuweisung einer Aufgabenwahrnehmung an Träger öffentlicher Gewalt, vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 27. 194 Darüber P. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 154 ff. und H.-J. Papier, in: Uhle (Hg.), Dresdner Vorträge zum Staatsrecht, Bd. 2, S. 12 ff. 195 Zur Reform des Bundesrates F. Decker, Die Reform des Bundesrates: unmöglich oder unnötig?, in: Jun/Leunig (Hg.), 60 Jahre Bundesrat, 2011, S. 200 ff. und G. Mulert, DÖV 2007, S. 25 (26 ff.). 196 Die Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ergab in der 14. Legislaturperiode eine Quote des Zustimmungsgesetzes von 55,2 % und in der 15 Legislaturperiode von 51 %, vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Zustimmungsgesetze nach der Föderalismusreform, S. 3. 197 Einzelheiten bei H. Risse, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 271 ff. 198 Dazu E. Schmidt-Jortzig, in: Blanke/Schwanengel (Hg.), Zustand und Perspektive des deutschen Bundesstaates, 2005, S. 59 ff. 199 Differenzierte Kritik bei C. Dästner, Die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses, 1995, S. 86 ff. und S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 1998, S. 472 f. 200 Zum Stand de constitutione lata in Kapitel 3 sub II. 1.
II. Die Reform des wasserwirtschaftlichen Kompetenzregimes 59
sem Hintergrund waren die Entflechtung der sich teilweise überlagernden Regelungsmandate und die damit korrespondierende Verminderung von Vermittlungsverfahren sowie die Stärkung der Landesparlamente zentrale Leitmotive der Verfassungsreform 2006.201 1. Die Föderalismusreform: Grundzüge, Chronologie und Intention Die Chronologie und Ziele der Verfassungsreform 2006 sind hinreichend bekannt und waren vielfach Gegenstand kritischer Reflexion und Rekonstruktion.202 Daher werden sie für den Untersuchungsverlauf lediglich insoweit dargestellt, als dies für die weitere kompetenzrechtliche Grundlegung des Wasserhaushaltsrechts notwendig ist.203 Verfassungsreformen des Grundgesetzes weisen eine lange und bewegte Geschichte auf.204 Einen neuen205 Entflechtungsversuch unternahm nach der Wiedervereinigung zunächst die „Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“.206 Die Ergebnisse der Kommission mündeten im Jahr 1994 schließlich in der bereits beschriebenen Verschärfung des Art. 72 Abs. 2 GG.207 Wie geschildert,208 enthielt das ‚eigentlich‘ rahmenrechtlich geprägte Wasserhaushaltsgesetz 2002209 viel201 P. M. Huber, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2005/I, 2006, S. 27; U. Häde, in: Baus/Scheller/Herbek (Hg.), Der deutsche Föderalismus 2020, 2009, S. 37. 202 Weiterführend zu den Motiven H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 19 ff. und L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 23 ff. sowie in Ansehung des Wasserrechts K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, S. 175 ff. 203 Einzelheiten in den Kapiteln 3 und 4. 204 F. Grotz, in: Hönnige/Kneip/Lorenz (Hg.), Verfassungswandel im Mehrebenensystem, 2011, S. 108 ff. 205 Anlässlich des Schlussberichts der Enquete-Kommission Verfassungsreform – Einsetzungsbeschluss BT-Drucks. 7/214 (neu) – resignierte R. Wahl, AöR 103 (1978), S. 477 (507): „für das Konzept der entschiedenen Zurückverlagerung von Zuständigkeiten an die Länder lassen sich kaum interessante Materien aufdecken.“ 206 Dazu die Einsetzungsbeschlüsse in den BT-Drucks. 12/1590, 12/1670 und der BR-Drucks. 741/91. Dazu im Einzelnen aus der Fülle diesbezüglicher Publikationen nur R. Sannwald, NJW 1994, S. 3313 ff. und E. Schmidt-Jortzig, in: Blanke/Schwanen engel (Hg.), Zustand und Perspektiven des deutschen Bundesstaates, 2005, S. 59 ff. 207 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994, BGBl I, 3146. Siehe oben in Kapitel 1 sub I. 2. und eingehend H. Rybak/H. Hofmann, NVwZ 1995, S. 230 ff. 208 Vorstehend sub I. c) und d). 209 Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts, Wasserhaushaltsgesetz in der Fassung der Bek. vom 19. September 2002, BGBl. I, S. 3245. Zuletzt geändert der Artikel 8 des Gesetzes vom 22. Dezember 2008, BGBl. I, S. 2968 (2999).
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
fach unmittelbar wirkende Regelungen. Das Regelwerk war für die Länder bereits nach der Fünften Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27. Juli 1986 kaum mehr dergestalt ausfüllungsbedürftig, wie es die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts210 für den Bereich der Rahmengesetzgebung verlangte.211 Der Rahmen212 war – um ein Bonmot Johannes Rau’s aufzugreifen – so breit, dass man das Bild nicht mehr sah.213 Explizit für das Wasserhaushaltsrecht vermerkt Michael Reinhardt zurückblickend,214 „die Durchsicht der wasserrechtlichen Bestimmungen von Bund und Ländern ließ jedenfalls zuletzt eine stringent an Art. 75 a. F. orientierte Struktur kaum mehr erkennen.“ Nach den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenzen in den Jahren 1998 und 2001 sowie einer Verständigung der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers im Dezember 2001 wurde im Oktober 2003 eine „Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ eingesetzt.215 Die Kommissionsergebnisse wurden im Jahre 2005 in den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD aufgenommen. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung wurde von den Fraktionen der CDU / CSU und SPD der mit den Ländern abgestimmte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes216 eingebracht,217 den ein Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 flankierte.218 Das Verfassungsreformgesetz wurde am 28. August 2006 als 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes verabschiedet und trat zum 1. September 2006 in Kraft. Die vier zentralen Reformanliegen der Föderalismusnovelle 2006 lassen sich der Begründung zum Regierungsentwurf entnehmen:219 – Entflechtung der Gesetzgebungskompetenz und Stärkung der jeweiligen Legislativbefugnisse, 210 Siehe
BVerfGE 4, 115 (129). R. Reichert, NVwZ 1998, S. 17 (17 in den Anm. 5 und 20). 212 Zum Begriff des Rahmens W. Erbguth, DVBl. 1988, S. 317 (322). 213 J. Rau, Festrede zur 50-Jahr-Feier des Landes Baden-Württemberg, zit. bei Teufel, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Kommissionsprotokoll 1, sten. Bericht vom 07.11.2003, S. 8. 214 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (466). 215 Vgl. BT-Drucks. 15/1685 und BR-Drucks. 750/03. 216 Änderung der Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c GG. 217 Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813; BGBl. I (2006), S. 2034. 218 Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006, BGBl. I, S. 1098, welches mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 123, 267 [338 ff.]) zum Vertrag von Lissabon aus für den Untersuchungsgegenstand nicht weiter interessierenden Gründen für verfassungswidrig erklärt wurde. 219 Vgl. Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 7. 211 So
II. Die Reform des wasserwirtschaftlichen Kompetenzregimes 61
– Abbau von Zustimmungsrechten des Bundesrates, – Reduzierung der Mischfinanzierung, – Stärkung der Europatauglichkeit220 des Grundgesetzes. Das direkte Ziel der Stärkung der Länderbefugnisse ist im Vergleich zur Verfassungsreform des Jahres 1994, die eindeutig eine Stärkung der Länderkompetenzen intendierte,221 weniger offenkundig. Gleichwohl ist es allgemeine Auffassung, dass die vorgenommenen Änderungen einen neuen Weg zu einem leistungsfördernden Wettbewerb eröffnen sollten.222 Mithin bleibt auch mit Blick auf die landesrechtliche Gestaltungsmacht für den Wasserhaushalt neben der Zielsetzung der Entflechtung und Verbesserung der Transformationstauglichkeit, eine Stärkung der Rechtsgestaltungsmacht der Länder als Reformziel zu vermerken.223 Inwieweit sich dieses Anliegen in der wasserrechtlichen Praxis bewähren konnte, wird noch zu thematisieren sein.224 2. Strukturelemente des Abweichungsmodells Die einfachgesetzliche Umsetzung der Verfassungsreform 2006 im Gebiet des Wasserhaushalts ist eng mit dem Institut der Abweichungskompetenz verknüpft und birgt zahlreiche Streitfragen.225 Eine nähere Untersuchung dazu S. Bartelt, DÖV 2005, S. 894 ff. nur R. Scholz, ZG Bd. 9 (1994), S. 1 (9 ff.) sowie W. Erbguth, in: Ipsen/Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (36 f.) und auch die Entscheidung BVerfGE 106, 62 (136), wonach die „Entstehungsgeschichte des Art. 72 Abs. 2 GG n. F. belegt, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber […] das Ziel verfolgt hat, die Position der Länder zu stärken.“ Eine wasserrechtliche Bewertung der Verfassungsreform von 1994 nimmt F. A. Schendel, ZfW 1999, S. 311 ff. vor. 222 Zum Impetus der Abweichungskompetenz einen Rechtsgestaltungswettbewerb auszulösen, vgl. L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (328). Vgl. hierzu die in Bezug genommenen Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom 14. Dezember 2005 in der BT-Drucks. 16/813, S. 17. 223 In diesem Sinne H.-J. Papier, Großbaustelle Bundesstaat, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Mai 2009, Beilage 60 Jahre GG, S. B1 und ebenso bei B. Zypries, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 323 (327 ff.). Siehe auch die Erklärung anlässlich der Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten der Länder vom 6. bis 8 Oktober 2004: „Die Länder bieten eine Rückführung der Mitwirkung im Bundesrat gegen eine Stärkung der politischen Gestaltungsmöglichkeiten (Kompetenzen) der Länder und vor allem der Landtage an.“ 224 Siehe etwa Kapitel 2 sub II. 4. und im abschließenden Kapitel 10. 225 Explizit zur Abweichung im Wasserhaushaltsrecht K. Berendes, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (132); E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282); J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 ff.; H. Ginzky/ 220 Explizit 221 Hierzu
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
dieser Befugnis erfordert eine Konturierung des Art. 72 Abs. 3 GG. Ausgangspunkt des komplexen Geflechts föderalstaatlicher Legislativsphären226 ist die Überantwortung der Ausübung staatlicher Befugnisse an die Länder nach Art. 30 GG und die Betrauung mit dem entsprechenden Regelungsmandat in Art. 70 Abs. 1 GG. Diese Residualkompetenz der Länder aus Art. 70 Abs. 1 GG besteht, sofern das Grundgesetz die nach Sachbereichen geordneten Gesetzgebungskompetenzen nicht dem Bund zuspricht.227 Mit Art. 70 GG beginnt das System der Kompetenzverteilungsklauseln, das die Gesetzgebungskompetenzen nicht lediglich verteilt, sondern ordnet.228 Die verschiedenen Kompetenzen sind näher zu typologisieren:229 Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes verfügen die Länder nach Art. 71 GG über ein Regelungsmandat, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt sind. Der Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung erlaubt es dem Bundes- und dem jeweiligen Landesgesetzgeber, Gesetze zu verabschieden. Dabei reicht das Regelungsmandat der Länder sachgegenständlich und temporär soweit, wie der Bund seine Rechtsetzungsmacht nicht gemäß Art. 72 Abs. 1 GG in Anspruch genommen hat.230 a) Die systematische Verortung der Abweichungsbefugnis Das mit der Verfassungsreform 2006 verfolgte Ziel der Entflechtung231 wurde mit einer Stärkung der Länderlegislativen verbunden.232 Letztgenannte Aufwertung schlug sich in der Neuverteilung einiger Kompetenzbereiche und in der Dispositionsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG nieder.233 J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 ff.; M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 ff.; H.-H. Munk, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 2 ff.; ausführlich auch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 ff. 226 Die Abgrenzungskonflikte nimmt R. Wagner, Die Konkurrenzen des Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern, 2011, S. 129 ff. in Blick. 227 M. Heintzen, in: Dolzer/Waldhoff/Graßhoff (Hg.), BK, Dezember 2003, Art. 70 GG Rn. 33 ff. 228 Anschaulich A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 1. 229 Instruktiv zum Thema H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 ff. 230 Näher zum Gebrauchmachen im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG im nachstehenden Kapitel 4 sub I. 231 Siehe die Begr. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 7 f.: Abbau von „demokratie- und effizienzhinderlicher Verflechtungen zwischen Bund und Ländern.“ 232 Vgl. hierzu die in Bezug genommenen Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom 14. Dezember 2005 in der BT-Drucks. 16/813, S. 17. 233 Mit diesem Standpunkt zur Stärkung der Rechtsgestaltungsmacht der Länder M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (253 f.); L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011),
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Im Gegensatz zu den beiden anderen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes − der Kernkompetenz und der Bedarfskompetenz – lässt sich diese Variante als Abweichungskompetenz, Modifikations- oder Dispositionsbefugnis bezeichnen. Das Modell wurde im Rahmen der Enquete-Kommission Verfassungsreform zur Verfassungsreform des Jahres 1977 erstmalig beschrieben und ging wohl auf einen Vorschlag von Ernst Heinsen zurück.234 Die Befugnis kannte im Grundgesetz keinen Vorläufer235 und fand zunächst wenig Zuspruch. Für den Bereich des Wasserhaushaltsrechts kompensiert die Abweichungsbefugnis das aufgelöste Kompetenzmodell der Rahmengesetzgebung.236 Der Kompetenztitel „Wasserhaushalt“ wurde in seiner textlichen Gestalt unverändert aus Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG in Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG überführt. Mit diesem Befund korrespondieren die Materialen zur Verfassungsreform. Diese dokumentieren keinen Willen des Reformgesetzgebers, dem Kompetenztitel sachgegenständlich einen anderen Inhalt beizumessen.237 Der Abweichungsbefugnis entzogen ist ein sog. ‚abweichungsfester Kern‘238 der „stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen“. Anlagen- oder stoffbezogene Vorgänge sollen einheitlich und indisponibel auf Bundesebene geregelt werden.239 Die Abweichungsbefugnis innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz wurde ganz überwiegend kritisiert.240 Es wurde angemahnt, die Abweichungskompetenz trage kaum zur Entflechtung und eindeutigen ZuS. 321 (325 ff.); B. Zypries, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 323 (327). Auch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (468), wonach die Rechte des Bundes „nicht nur unerheblich eingeschränkt“ werden. 234 E. Heinsen, Sondervotum, zu Abschnitt 4. 1. „Neuverteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten“, vgl. BT-Drucks. 7/5924, S. 137 f. Dazu näher H.-J. Dietsche/ S. Hinterseh, in: Jhb. d. Föderalismus, Bd. 8 (2007), S. 187 ff. 235 So C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (422); P. M. Huber, in: Blanke/Schwan engel (Hg.), Zustand und Perspektive des deutschen Bundesstaates, 2005, S. 21 (30 f.); J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2803). 236 Art. 75 Abs. 2 GG a. F. in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG. Dazu nur das Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Kommissionsdrucks. 0045, S. 3 und aus dem Schrifttum M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (253 f.). Zur alten Rechtslage oben Kapitel 1 sub I. 2. b) und c) sowie P. T. Streppel, Die Rahmenkompetenz, 2005, S. 169 ff. 237 Mit diesem Befund M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (467). 238 Der Terminus des ‚Kerns‘ geht auf den Begründungstext des Verfassungsreformgesetzes zurück. Näher zu dieser Begrifflichkeit in Kapitel 6 sub I. 1. 239 Einfachgesetzlich bleiben bestimmte normierungsbedürftige Sachmaterien den Ländern überlassen, näher nachstehend in Kapitel 2 sub I. 4. 240 Aus der Perspektive des Umweltrechts „gescheitert“: W. Erbguth, in: Ipsen/ Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (55) und auch W. Köck/C. Ziehm, ZUR 2006, S. 337 f.
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ordnung der Verantwortlichkeiten bei.241 Aufgrund der Gemengelage aus Bundes- und Landesrecht sei anzunehmen, dass die Abweichungsrechte der Länder zu einem beispiellosen Kompetenzwirrwarr führen werden.242 Diese Befugnis sei ein Schaden243 und Ausgangspunkt eines Zweiklassenföderalismus.244 Überdies erzeuge die als „Ping-Pong-Gesetzgebung“245 bezeichnete Gefahr alternierender Rechtsanwendungsbefehle ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit und Unübersichtlichkeit.246 Des Weiteren bestehe die Gefahr, der Bundesstaat verabschiede sich vom Leitbild gleichwertiger Lebensverhältnisse.247 Vorbenannte Bedenken bestehen bis dato fort. Die Vertreter des Bundes wandten sich im Rahmen der Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (Föderalismusreformkommission II)248 gegen eine Erweiterung der Abweichungsgesetzgebung, „da Ein „Kompetenz-Debakel“ erblickt darin W. Hoppe, DVBl. 2007, S. 144 (148). Kritisch R. Breuer, NuR 2006, 614 (617); B. Becker, Das neue Umweltrecht, 2010, S. 18; DAV, AnwBl. 2006, S. 614 (615 ff.); C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1210); A. Epiney, NuR 2006, S. 403 (407 ff.); G. Krings, in: Depenheuer (Hg.), Reinheit des Rechts, 2010, S. 127 (147): „[…] Reduktion der Zustimmungspflicht mit der Einführung des neuen, hochkomplizierten Typus der Abweichungsgesetzgebung erkauft […].“ G. Knopp, NVwZ 2006, S. 1216 (1220) erachtet die Reform insgesamt als „provisorisch“, „handwerklich unzulänglich“ und „einer Bundesverfassung unwürdig“. Siehe auch H.-J. Koch, NuR 2006, S. 673 (677 ff.); insgesamt kritisch H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, passim; M. Nierhaus/S. Rademacher, LKV 2006, S. 385 (389); H.-J. Papier, NJW 2007, S. 2145 (2147); ders., in: Uhle (Hg.), Dresdner Vorträge zum Staatsrecht, Bd. 2, S. 17 f.; M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (99); A. Scheidler, UPR 2006, S. 423 (426); in Ansehung des Art. 84 GG M. Schulte, JöR n. F. Bd. 55 (2007), S. 303 (310 ff.); K. Stern, in: Spannowsky (Hg.), Fests. Püttner, 2006, S. 169 (178); M. Stock, ZUR 2006, S. 113 (117). Aus kommunaler Perspektive unzulänglich wird Reform von M. Söbbeke, KommJur 2006, S. 402 ff. klassifiziert. 241 R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl., Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 53. 242 H.-J. Papier, NJW 2007, S. 2145 (2148). 243 Mit dieser Diktion B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758). 244 Terminus gesehen bei M. Stock, ZG Bd. 21 (2006), S. 226 (238). 245 Diese Gefahr dürfte tatsächlich ausgeschlossen sein, vgl. zudem in Kapitel 3 sub I. 3. 246 H.-J. Papier, in: Uhle (Hg.), Dresdner Vorträge zum Staatsrecht, Bd. 2, S. 18: „Es besteht auch Anlass zu der Befürchtung, dass die neue Abweichungsgesetzgebung der Länder zu einem Normenwirrwarr führen kann […].“; statt weiterer nur B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (755); U. Häde, JZ 2006, S. 930 (933) und M. Schulte, JöR n. F. Bd. 55 (2007), S. 303 (310 f. und passim). 247 Vgl. die Kritik von P. Selmer, in: Baus/Scheller/Hrbek (Hg.), Der deutsche Föderalismus 2020, 2009, S. 47 (55); zur Diskussion S. Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, 2009, S. 165 ff. 248 A. Pendzich-von Winter/M. Frisch, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. II, 2012, § 45 Rn. 90; Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Mo-
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Abweichungsrechte zu Intransparenz führten, eine kohärente Bundespolitik erschwerten und sich neue Ungleichgewichte im föderalen System – Stichwort „starke“ und „schwache“ Länder, die in unterschiedlichem Ausmaß von den Abweichungsrechten Gebrauch machten – heraus bildeten“.249 Positiv wird hingegen vermerkt,250 das Abweichungsmodell fördere konzeptionell länderspezifische Lösungen251 sowie einen Wettbewerb um die bessere Rechtsetzung.252 Die heraufbeschworenen Konflikte seien vielmehr nur theoretischer Natur253 und kaum zu erwarten.254 Zwar habe sich durch die Abweichungskompetenz „die Verflechtung der Kompetenzen von Bund und Ländern […] jedenfalls nicht erkennbar verringert“, insgesamt habe die Föderalismusreform „aber den nationalen Verfassungsauftrag des Umweltschutzes gestärkt.“255 b) Funktion des Anwendungsvorrangs Von erheblicher Bedeutung für das Erscheinungsbild des Wasserwirtschaftsrechts der Länder ist das in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG austarierte Wechselspiel. Gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG gilt auf dem Gebiet der dernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Deutscher Bundestag und Bundesrat (Hg.), Die Beratungen und ihre Ergebnisse, 2008, S. 280 f. 249 Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Deutscher Bundestag und Bundesrat (Hg.), Die Beratungen und ihre Ergebnisse, 2008, S. 281. 250 Eine positive Bewertung nehmen J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (24); T. Ehrbeck, Umsetzung von Unionsrecht in föderalen Staaten, 2011, S. 182 f.; C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (494); W. Frenz, NVwZ 2006, S. 742 (746); U. Häde, ZG Bd. 24 (2009), S. 1 (16 f.); L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 ff.; P. M. Huber, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 595 (607 f.) vor. Vorsichtig optimistisch M. Nierhaus/S. Rademacher, LKV 2006, S. 385 (395): „Schritt in die richtige Richtung“; S. Oeter, in: Starck (Hg.), Föderalismusreform, 2007, Rn. 68: „Bei genauer Analyse scheint einem doch, die Gefahr dieser Gemengelange würde über Gebühr überhöht […]“. 251 C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (494); W. Frenz, NVwZ 2006, S. 742 (746); L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (325). 252 S. Oeter, in: Starck (Hg.) Föderalismusreform, 2007, Rn. 30 und passim. 253 So U. Häde, JZ 2006, S. 930 (932). 254 M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (655 f., 659 f.) mit einem insgemein positiven Befund der Reform. S. Oeter, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 126, der zu Recht darauf verweist, dass das „Nebeneinander von Bundes- und Landesgesetzgebung […] auch dem bisherigen System der Rahmengesetzgebung nicht fremd [war, d. Verf.], ja nicht einmal dem System der konkurrierenden Gesetzgebung.“ Zurückhaltend E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (287). 255 A. Voßkuhle, NVwZ 2013, S. 1 (3).
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Abweichungsgesetzgebung im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht lex posterior suspendit legem priorem,256 wonach unabhängig vom Superioritätsgrundsatz nach Art. 31 GG ein jeweils späteres Gesetz vorgeht. Es gilt nicht Art. 31 GG, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht, sondern durchgehend der Posterioritätsgrundsatz.257 Danach gebührt dem jüngeren Recht nicht der Geltungsvorrang, sondern es beschränkt sich auf einen Anwendungsvorrang.258 Spätere landesgesetzliche Regelungen lassen die Geltung des zeitlich vorhergehenden Bundesrechts unberührt. Soweit das Landesrecht abweicht, findet das Bundesrecht auf dem Gebiet des jeweiligen rechtsetzenden Landes keine Anwendung.259 Im Einzelnen zieht eine Funktionsbeschreibung des Anwendungsvorrangs verschiedenste interpretatorische Unsicherheiten an das Licht. Für die Bestimmung des Zeitpunktes gibt der Normtext des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG mit der Fügung des ‚späteren Gesetzes‘ den normativen Anknüpfungspunkt. Als sachlicher und temporaler Anknüpfungspunkt dient der Erlass des jeweiligen Bundes- oder Landesgesetzes.260 Nur vereinzelt wurde an das Inkrafttreten angeknüpft.261 Dieser Standpunkt darf inzwischen als widerlegt gelten. Die Verkündung bestimmt,262 ob ein ‚späteres Gesetz‘ vorliegt. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens bestimmt alsdann den exakten Zeitpunkt des Anwendungsvorrangs. Somit kann ein Landesgesetz das Bundesgesetz mit Ablauf der sechs Monate gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG suspendieren. Den Ländern ist zudem anheimgestellt, einen späteren Zeitpunkt festzulegen 256 Der Grundsatz gehört zu den ältesten Rechtsgrundsätzen. Zu dessen Ursprung D. Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 159 ff. und H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 550 ff. 257 Kritisch zu diesem Aspekt allgemein F. Kirchhof, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 637 (640 f.). 258 Statt anderer C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1212); A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 53. 259 Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 260 Nahezu einmütig wird auf den Zeitpunkt der Verkündung rekurriert. Statt vieler C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (428); M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 188 f.; S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 127; B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 72 GG Rn. 32, ist maßgeblicher Zeitpunkt die Verkündung des Gesetzes. Demgegenüber stellen R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 50, und L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 56 f. auf das Inkrafttreten des Gesetzes ab. 261 So L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 57. 262 Nämlich der im Bundesgesetzblatt angegebene Ausgabetag, dies ist nicht unstrittig näher H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 487 ff. Stellvertretend für die Länder H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 11.
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und das Bundesrecht zunächst weitergelten zu lassen.263 Mit Blick auf die zahlreichen supranationalen Transformationsakte ist überdies die Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs zu beachten, nach welcher dem Mitgliedstaat im Zeitraum der Umsetzungsfrist die Dispositionsbefugnis über das harmonisierte Recht oftmals genommen ist.264 c) Der Anwendungsvorrang und die Landesnovellierungen Von praktischer Bedeutung war die Rechtsfolge der erstmaligen bundesgesetzlichen Inanspruchnahme der Legislativbefugnis aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG. Dieser Erörterungspunkt warf keine tiefgreifenden Probleme auf, weist jedoch auf die ersten Unsicherheiten im Rahmen des Umsetzungsprozesses hin. aa) Grundfragen Innerhalb der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Kreise wurde thematisiert, ob das bisher erlassene Landeswasserrecht als ergänzendes und konkretisierendes Recht fortbestehe.265 So wurde die Frage aufgeworfen, ob Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG „so verstanden werden [kann, d. Verf.], dass generell für das Recht des Wasserhaushalts die jeweils spätere Regelung Anwendungsvorrang hat. […] Würde man die Verfassung so verstehen, dass im gesamten Regelungsbereich des Wasserhaushaltsrechtes das neue Wasserhaushaltsgesetz Anwendungsvorrang vor den Landeswassergesetzen hätte, so bedeutete dies, dass alle Landeswassergesetze mit dem 01.03.2010 automatisch nicht mehr anwendbar wären.“266 Der Vertiefung bedürftig ist daneben, ob und inwieweit der Landesgesetzgeber seit dem 1. März 2010 für das bis dato bestehende Landesrecht eine Änderungsbefugnis aufweist. Dem Vorschaltgesetz des Freistaates Sachsen vom 28. April 2010 ist diesbezüglich zu entnehmen: „Durch das Inkrafttreten des neuen Wasserhaushaltsgesetzes bleibt das bisherige Landeswasserrecht unberührt, soweit es den Regelungen des Wasserhaushaltsgesetzes nicht widerspricht – Anwendungsvorrang des Bundesrechts, nicht Geltungs263 So
auch P. Berghoff/K. Steg, NuR 2010, S. 17 (19).
264 Mit diesem Hinweis zu Recht M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (473). Dazu EuGH vom 6. Dezember 1990, Rs. C-208/88 (Kommission/Dänemark), Slg.
1990, I-4459, I-4462, Rn. 7; M. Kotzur, in: Geiger/Khan/ders. (Hg.), Art. 288 AEUV Rn. 13. 265 H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 10 f. 266 Ders., ebenda.
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vorrang. Damit gilt das SächsWG zunächst textlich unverändert fort und damit auch die Verweise auf das bisherige WHG.“267
Das Saarland, welches ebenfalls am 18. November 2010 ein Vorschaltgesetz auf den Weg brachte, vertrat eine andere Sichtweise. Im Gesetzesvorblatt dokumentierte es in Bezug auf das am 1. März 2010 in Kraft getretene Wasserhaushaltsgesetz: „Gleichzeitig wurde das bisherige Saarländische Wassergesetz (SWG) grundsätzlich aufgehoben (Artikel 31 des Grundgesetzes-GG) und gilt nur insofern weiter, als das Bundesrecht keine Regelungen enthält (Artikel 72 Absatz 1 GG ‚solange und soweit …‘), das Bundesrecht die Kompetenz zu den betreffenden Bestimmungen durch Regelungsaufträge oder -vorbehalte dem Landesrecht ausdrücklich zuweist oder (ausnahmsweise) eine abweichende Gesetzgebungskompetenz des Landes zugelassen ist (Artikel 72 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 und 5 und Satz 3 GG).“268
In beiden Begründungserwägungen offenbaren sich die anfänglichen interpretatorischen Unsicherheiten. Während der Freistaat Sachsen einen Anwendungsvorrang des Bundesrechts feststellte,269 erachtete das Saarland sein Recht als derogiert, im Rahmen der Abweichungsmöglichkeiten indessen als fortbestehend. bb) Stellungnahme Gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG können die Länder über Bundesrecht disponieren, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz „Gebrauch gemacht hat“. Der Begriff ‚Gebrauchmachen‘ gehört zur tradierten Terminologie des Grundgesetzes270 und knüpft an Art. 72 Abs. 1 GG sowie an den jeweiligen Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 GG an. Sobald und soweit der Bund im Rahmen seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz tä267 Gesetz zur Anpassung des Landesumweltrechts an das Bundesrecht aufgrund der Föderalismusreform, Sächsischer Landtag, Drucks. 5/1357, S. 21, GVBl. S. 114 ff. Im Rahmen der öffentlichen Anhörung wurde die Änderungskompetenz des Landesgesetzgebers für das bis dato bestehende SächsNatSchG und das SächsWG in Zweifel gezogen. Mit diesem Standpunkt K. Faßbender und R. Wolf, Sächsischer Landtag, APr AUL 5/4 vom 19. März 2010, Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung, S. 12 f. und 21 ff. (24 f.). 268 Gesetzesentwurf der Regierung des Saarlandes, Gesetz zur Bereinigung des Landeswasserrechts, LTag Drucks. 14/240-NEU, Hervorhebung durch den Verfasser. 269 Zweideutig bleibt der Standpunkt des Landes Brandenburg. Vgl. das Zweite Gesetz zur Änderung wasserrechtlicher Vorschriften, LTag Drucks. 5/3021, S. 1: „Landesrechtliche Regelungen auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung wurden, sofern und soweit der Bund Regelungen getroffen hat, mit Inkrafttreten des neuen Wasserhaushaltsgesetzes zum 1. März 2010 verdrängt.“ 270 Sie dazu die Nachweisführung bei M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (471).
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tig geworden ist, „haben“ die Länder ihre Gesetzgebungsbefugnis verloren.271 Soweit die Sperrwirkung trägt, sind landesrechtliche Bestimmungen ausgeschlossen, die der erschöpfenden bundesrechtlichen Regelung widersprechen, das Bundesrecht ergänzen272 oder inhaltlich mit diesem deckungsgleich sind.273 Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009, das zum 1. März 2010 vollständig in Kraft trat, machte der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch. Gleichzeitig trat das bisherige Wasserhaushaltsgesetz außer Kraft. Das korrespondierende und kongruierende Landeswasserrecht ist derogiert, soweit die bundesrechtlichen Vorgaben reichen. Die Derogation bezieht sich auf inhaltsgleiche, aber auch auf ergänzende Landesregelungen, soweit das Wasserhaushaltsgesetz eine abschließende und umfassende Regelungsintention erkennen lässt.274 Das Außerkrafttreten der landesrechtlichen Regelungen folgt dann ipso iure aus Art. 72 Abs. 1 GG.275 Wesentlich für den Erhalt der Landesgesetzgebung als ergänzendes, konkretisierendes und ausfüllendes Recht ist damit allein Art. 72 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG. Demgemäß wurde das bestehende Landeswasserrecht insoweit derogiert, soweit der Anwendungsbereich des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes reicht. Die vorbenannte Gesetzesbegründung des Saarlandes ist insoweit nur fehlerhaft, als sie auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG Bezug nimmt. Für eine Teilnahme am Abweichungsmodell ist ein späteres Gesetz erforderlich. Die vorstehenden Schlaglichter auf die Debatte werden im Verlauf der Untersuchung immer wieder dazu anregen, die Klausel des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG näher zu beleuchten. Aus dem Verweis auf die Abweichungskompetenz des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ergibt sich, dass der Posterioritätsgrundsatz nicht durchweg gilt und etwa im Wasserhaushaltsrecht nicht 271 Vgl. R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 6. ff. 272 BVerfGE 20, 238 (250); 102, 99 (115); 109, 190 (230). 273 BVerfGE 36, 342 (363 f.); 37, 191 (200). 274 Vgl. BVerfGE 1, 283 (296); 67, 299 (324); 98, 265 (301); 102, 99 (115); 109, 190 (229 f.); siehe ferner H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1043); R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 26 ff. 275 So die herrschende Ansicht, die auf einen konkreten Normwiderspruch nach Art. 31 GG verzichtet, vgl. BVerfGE 67, 299 (299 f.); 77, 288 (298); 78, 132 (133); 85, 134 (135); 87, 68 (69); 102, 99 (115); 109, 190 (230) und aus dem Schrifttum B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 72 GG Rn. 11; S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 82; A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 24. Abweichend etwa BVerwG, Urteil vom 27. November 1992, Az.: 8 C 9/91; H.-U. Erichsen, Jura 1993, S. 385 (386).
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stets dem jeweils späteren ‚Gesetz‘ Anwendungsvorrang gebührt.276 Erlassen die Länder ergänzende, ausfüllende und konkretisierende Regelungen, dann bedarf es des Anwendungsvorrangs nicht. Der Grundsatz greift nicht zwischen dem späteren und dem früheren ‚Gesetz‘ als Zusammenfassung einer Vielzahl von Regelungen.277 Er greift vielmehr zwischen dem ‚Landesrecht‘ und dem damit korrespondierenden ‚Bundesrecht‘, soweit das ‚Landesrecht‘ im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG abweicht. Das Verhältnis außerhalb einer landesrechtlichen Abweichung bestimmt sich allein nach Art. 72 Abs. 1 GG.278 Dem Begriff „Gesetz“ in Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG kommt insoweit die Funktion zu, den funktionalen und temporalen Anknüpfungspunkt sowie den erforderlichen Rechtsakt für die spätere Abweichung zu bestimmen.279 Das spätere Landesgesetz kann das Bundesgesetz mitsamt seinen indisponiblen stoff- oder anlagenbezogenen Vorgaben nicht suspendieren, sondern muss an den einzelnen disponiblen Vorschriften des Bundesrechts anknüpfen. d) Die Karenzzeit des Artikel 72 Abs. 3 Satz 2 GG Neben dem Anwendungsvorrang bedarf die sechsmonatige Karenzzeit einer näheren Betrachtung. Bundesgesetze auf den in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG enumerierten Gebieten treten gemäß Satz 2 frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft. Dieses Moratorium erhielt sowohl Lob als auch Kritik, wobei es trotz gelegentlich geäußerter Bedenken280 allgemein als mit dem Demokratieprinzip vereinbar erachtet wird.281 C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 40. die allseitige Sichtweise C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (425); J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, S. 19 (25). Für ein Anwendungsvorrang des Gesamtregelwerks in unterschiedlicher Eindeutigkeit noch P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (80); klarstellend ders. nunmehr in: Schumacher/ders. (Hg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, vor § 1 Rn. 32; K. Gerstenberg, Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen, 2009, S. 270; R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 278 Mit Unsicherheiten zum bundesrechtlichen Naturschutzvorkaufsrecht etwa J. Hecht, DNotZ 2010, S. 323 (326), wonach diesem als „jüngere Bestimmung Anwendungsvorrang gemäß Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG“ vor einer inhaltsgleichen landesrechtlichen Bestimmung zukommt. Wie hier statt anderer K. Faßbender, ZUR 2010, S. 181 (183). Siehe zum Umgang mit dem Abweichungsmodell überdies die Ausführungen zu den sogenannten Öffnungsklauseln in nachfolgendem Kapitel 5 sub II. 2. b). 279 Demgegenüber C. Schulze Harling, Die materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 197 und H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 110 f. mit weiteren Erwägungen und Funktionsbeschreibungen. 280 C. Möllers, Anhörung zur Föderalismusreform vom 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 12; J. Ruthig, Stellungnahme 276 Vgl. 277 So
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Soll das Bundesgesetz281 – wie mit dem Wasserrechtsneuregelungsgesetz 2009 geschehen – ganz oder partiell zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft treten, so bedarf dies der Zustimmung des Bundesrates.282 Dem Wasserrechtsneuregelungsgesetz283 stimmte der Bundesrat nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GG zu. Aufgrund dieser Zustimmung traten die zahlreichen Verordnungsermächtigungen284 bereits am Tag nach der Verkündung in Kraft, obwohl das Gesetz erst zum 1. März 2010 vollumfänglich in Kraft trat. Damit genügte das Wasserrechtsneuregelungsgesetz den Anforderungen an eine eindeutige Suspendierung der Fristenregelung in Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG.285 Abweichendes Landesrecht hindert den Bund nicht, erneut tätig zu werden und das Landesrecht durch ein nachfolgendes Bundesrecht gleichsam zu überholen.286 Von diesem Bundesrecht darf dann wiederum durch Landesrecht abgewichen werden. Nach Auffassung des verfassungsändernden Gesetzgebers werden die Bundesländer durch die Karenzzeit befähigt, auf eine Bundesgesetzgebung zu reagieren und zu prüfen, ob und in welchem Umfang sie ihre Rechtsänderungskompetenz nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG wahrnehmen.287 Fernerhin sollen hierdurch kurzfristig wechselnde Rechtsanwendungsbefehle vermieden werden.288 Obwohl das Instrument einer Karenz trotz der verschiedentlich geäußerten grundlegenden Kritik289 in seinen Grundzügen zweckmäßig ist, wurde es letztlich zu knapp bemesanlässlich der Anhörung zur Föderalismusreform am 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 205 ff. (215). 281 Mit diesem Befund U. Battis/J. Kersten, DVBl. 2007, S. 152 (157); L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (333 f.). 282 Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte damit namentlich europarecht lichen Verfristungen Einhalt gebieten. Dazu die Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 283 Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009, BGBl. I, S. 2585. 284 §§ 23, 48 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 3, § 57 Abs. 2, § 58 Abs. 1 Satz 2, § 61 Abs. 3, § 62 Abs. 4 und Abs. 7 Satz 2 sowie § 63 Abs. 2 Satz 2 WHG. 285 Mit dieser Forderung F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 111. 286 Siehe aber auch zum unwahrscheinlichen Fall einer Begrenzung alternierender Rechtsanwendungsbefehle durch das Gebot der Bundestreue in Kapitel 3 sub I. 3. 287 Vgl. die Begründung zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11 sowie H.-W. Rengeling, DVBl. 2006, S. 1537 (1543) und aus wasserwirtschaftsrechtlicher Sicht H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (349). 288 Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 289 Neben den eingangs bereits benannten H. Meyer, Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates zur Föderalismusreform vom 15. und 16. Mai 2006, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 11, 42 und H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (56 f.).
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sen.290 Gestützt auf Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG vermochten es die Länder seit dem 1. Januar 2010, eigene und abweichende Bestimmungen über den Wasserhaushalt zu statuieren.291 Mit Blick auf die bislang verabschiedeten Landeswassergesetze ist der Zeitraum von nur sechs Monaten erheblich zu kurz. Die knapp bemessene Frist führt zu rechtsstaatlich problematischen Zeiträumen, in denen notwendiges ergänzendes, ausfüllendes und konkretisierendes landesrechtliches Normprogramm fehlt.292 Das gilt für den Bereich des Wasserwirtschaftsrechts293 wie für das Naturschutzrecht294 gleichermaßen. Die Praxistauglichkeit des Moratoriums wurde bereits im Gesetzgebungsverfahren kritisiert. So wies der Freistaat Sachsen darauf hin, es sei in den zurückliegenden295 „16 Jahren, seit es den Freistaat Sachsen wieder gibt, […] kaum ein Gesetz so schnell verabschiedet“ worden. Bedenklich sind Überlegungen, die Voraussetzung einer Zustimmung stets dann zu negieren, wenn eine europäische Transformationsfrist bereits überschritten oder eine Verfristung zu besorgen ist.296 Ebensolche Situationen sind auch mit Blick auf die einfachgesetzliche Zustimmung des Bundesrates auf Verordnungsebene nach § 23 WHG zu erwarten.297 Der allseitigen Sichtweise im Schrifttum folgend sind die Bundesländer gleichermaßen in die gesamtstaatliche Verantwortung zur Richtlinientransformation eingebunden.298 Insofern wird sich eine Zustimmungspflicht der Länder aus dem Gebot der Bundestreue ableiten lassen. Die in Art. 72 Abs. 3 GG austarierte Kompetenzzuordnung mahnt jedoch zu großer Zurückhaltung,299 das Gebot der Bundestreue vorschnell in Stellung zu bringen. Regelmäßig verfügt der Bundesgesetzgeber über eine angemessene Umsetzungsfrist. Schöpft er diese 290 Vgl.
dazu die eingehende Betrachtung im folgenden Kapitel 2 sub II. 4. a). M. Kallerhoff, Die übergangsrechtliche Fortgeltung von Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 111 ff. mit umfassender Erörterung. 292 Wie hier statt anderer H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (349). 293 Zur rechtstatsächlichen Analyse im folgenden Kapitel 2 sub II. 4. a). 294 Mit ähnlichem Befund für Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 89 ff. 295 Siehe Stanislaw Tillich, „ ‚Pingpong-Gesetzgebung‘ – Sächsischer Umweltminister warnt vor Föderalismusreform“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Mai 2006, S. 6. 296 C. Schulze Harling, Das materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 151 ff. 297 Zum Verordnungsrecht allgemein Kapitel 8 und zu den etwaigen Transformationskonflikten Kapitel 3 sub II. 1. 298 Die Begründungsmodelle sind dabei vielfältig. Das Verhältnis der Länder zur supranationalen Rechtsetzung nimmt Kapitel 3 sub II. in den Blick. 299 Zum Gebot der Bündnistreue nachstehend unter Kapitel 3 sub I. 291 Eingehend
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Frist aus, so bestehen Bedenken, den Ländern die Karenzzeit grundsätzlich zu verwehren, wenn die Verzögerung beispielsweise nicht auf das Abstimmungsprozedere zwischen Bund und Ländern zurückzuführen ist. Bei den bisherigen Transformationsmaßnahmen stimmten die Länder im Bundesrat nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG einem unverzüglichen Inkrafttreten zu.300 Entsprechende Erwägungen gelten mit Blick auf die Besorgnis, die Karenz würde abweichungsunwillige Länder benachteiligen, wenn diese auf die Fristenregelung verzichten wollen.301 Mit diesem Standpunkt verbinden sich Überlegungen, einzelnen Ländern neben den vorgesehenen Verzicht auf die Karenzzeit nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG separate Fristenregelungen einzuräumen.302 Zwar ließe sich die Fristenregelung mit solchen Erwägungen flexibler ausgestalten. Indessen sollte solchen neuen Gestaltungsformen mit Zurückhaltung begegnet werden. Normtext und Systematik des Art. 72 Abs. 3 GG bieten keine Anhaltspunkte dafür, die Posterioritätsregelung in dessen Satz 3 auf bestimmte Länder zu beschränken. Anderes lässt sich in Ansehung des abweichenden Normtextes303 zur Karenzzeit nach Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG erwägen.304 Für den Bereich des Wasserwirtschaftsrechts lassen sich bisher keine Bemühungen dokumentieren, eine differenzierte Fristenregelung zu erreichen. Vorstehende Diskussion lässt zudem den Kern des Konfliktes außer Betracht. Wie ein Blick auf die Landesgesetze zeigt, nehmen die Bundesländer lediglich geringfügige Änderungen des Bundesrechts vor und passen das Bundesrecht an die jeweiligen Strukturen des behördlichen Vollzugs an.305 Das Wasserhaushaltsgesetz ist auf weitreichendes Landesrecht angewiesen. Die Länder stehen deshalb vor der Herausforderung, ihr Recht vollzugstauglich auszugestalten. Die Fragestellung eines vorgezogenen In300 Zu
den Transformationsmaßnahmen siehe Kapitel 3 sub II. 1. Argumentationsmodell entwirft C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (493) und ähnlich O. Klein/K. Schneider, DVBl. 2006, S. 1549 (1553). 302 C. Schulze Harling, Die materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 157 ff. 303 Dazu M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 96 ff.; G. Hermes, in: Dreier (Hg.), Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 84 GG Rn. 59; H.-H. Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 84 GG Rn. 31. 304 Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG: „hat ein Land abweichende Regelungen […] getroffen, treten in diesem Land hierauf bezogene Regelungen […] frühestens sechs Monate in Kraft“. Das Handbuch der Rechtsförmlichkeit des deutschen Justizministeriums betont diese Lesart, Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl., Rn. 437. 305 Siehe die Bewertung im nachstehenden Kapitel 2 sub II. 4. 301 Dieses
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krafttretens ist für die Materien des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG deshalb wohl nur theoretischer Natur. Ausweislich der Begründung zum 52. Grundgesetzänderungsgesetz306 sollen durch die Karenzzeit „kurzfristig wechselnde Rechtsbefehle an den Bürger vermieden werden.“ Die Karenzzeit beansprucht nur dann Geltung, wenn von der in Rede stehenden Regelung überhaupt abgewichen werden kann. Denn anderenfalls scheidet ein landesrechtlich bedingter kurzfristiger Wechsel a priori aus.307 Die Karenzzeit bezieht sich auf die ‚nicht‘ stoffoder anlagenbezogenen Vorgaben. Für den Rechtsunterworfenen besteht nur auf den disponiblen Gebieten die Besorgnis kurzfristig wechselnder Rechtsanwendungsbefehle.308 e) Definitionsversuche zu Artikel 72 Abs. 3 GG Für die drei Erscheinungsformen der konkurrierenden Gesetzgebung des Art. 72 GG besteht eine mannigfaltige Terminologie. Die konkurrierende Gesetzgebung des Art. 72 Abs. 1 GG, bei der das Erforderlichkeitskriterium des Art. 72 Abs. 2 GG nicht gilt, wird als ‚Kompetenz ohne einschränkende Zusatzanforderungen‘,309 ‚unkonditionierte konkurrierende Gesetzgebung‘,310 ‚Kernkompetenz‘311 oder auch ‚Vorranggesetzgebung‘312 apostrophiert. Die Eigenschaften des Art. 72 Abs. 2 GG werden beispielsweise als ‚Kompetenz unter Vorbehalt einer Subsidiaritätsklausel‘, ‚konditionierte konkurrierende Gesetzgebung‘313 und ‚Bedarfskompetenz‘314 herausgestellt. 306 Dazu
Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. diesem Sinne etwa U. Battis/J. Kersten, DVBl. 2007, S. 152 (157); M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 154 f.; H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 169; S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 127 a. E. Nach Michael Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (491) soll der Zustimmungsvorbehalt überdies für den indisponiblen stoff- oder anlagenbezogenen Bereich gelten, weil der Wortlaut insoweit unzweideutig sei. 308 Mit diesem Resümee U. Battis/J. Kersten, DVBl. 2007, S. 152 (157) und auch H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 169. 309 C. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 72 GG Rn. 20. 310 A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 49. 311 J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2803); H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 154; A. Haratsch, in: Sodan (Hg.), 2. Aufl. 2011, Art. 72 GG Rn. 2; C. Gröpl, Staatsrecht I, 3. Aufl. 2011, § 16 Rn. 1182. 312 C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 2; W. Schnappauf, in: Hömig (Hg.), 2. Aufl. 2013, Art. 72 GG Rn. 1; H. Maurer, Staatsrecht I, 2010, § 17 Rn. 30. 313 A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 7. 314 Mit dieser Diktion J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2803), der die Abweichungsbefugnis als eigenen Kompetenztypus einordnet. Vgl. zudem H.-W. Renge307 In
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Mit dem hinzugetretenen Absatz 3 steht den Ländern in diesem Bereich der Vorranggesetzgebung eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz mit Abweichungsrecht bzw. eine „Abweichungsgesetzgebung“315 zu.316 Ihren Titeln wurde in den Nummern 1, 2 und 5 jeweils ein indisponibles Klammerzitat beigegeben. Durch diese Bereichsausnahme differenziert sich die Gesetzgebung innerhalb dieser konkurrierenden Legislativmacht in eine „unkonditionierte konkurrierende abweichungsoffene“ und eine „konditionierte konkurrierende abweichungsfeste Gesetzgebung“.317 Zu dem ausgeklammerten Reservatrecht318 des Bundes etablierten sich im Schrifttum verschiedene Begrifflichkeiten. Die Bereichsausnahme erhielt zunächst in der Begründungserwägung die Beschreibung der „abweichungsfesten Kerne“.319 Diese Umschreibung des indisponiblen Klammerzitats wird zunehmend als „unscharf“320 abgelehnt. Die Beschreibung der Begründungserwägung bilde das dahinterliegende einfachgesetzliche Normprogramm nur unzureichend ab. Die Bereichsausnahmen des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG seien vielmehr Teilbereiche des jeweiligen Fachrechts. Hingegen würde die Begrifflichkeit des Sektors bzw. des Bereichs das Klammerzitat zutreffend charakterisieren.321 Indessen ist auch die Umschreibung als Bereich322 nur be-
ling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 154 und zutreffend A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 47. 315 Bereits früh wurde das Modell als eigener kompetenzieller Typus klassifiziert, vgl. C. Möllers, Anhörung zur Föderalismusreform vom 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 12: „Die Rahmengesetzgebungskompetenz wird zur Abweichungsgesetzgebungskompetenz […].“ 316 Nachfolgend im Text werden im gleichen Bedeutungsgehalt die Begrifflichkeiten der Dispositions-, Modifikations-, Rechtsänderungs-, Abänderungsbefugnis/ -kompetenz und des Abweichungsmodells verwandt. 317 Vgl. zur terminologischen Einordnung A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 6 f.; ders., Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 156 ff. 318 Hier in Anlehnung an die Begrifflichkeit zu Art. 78 Abs. 2 WRV O. Nirrnheim, Archiv für öffentliches Recht, Bd. 25 (1909), S. 579 (581 und passim) sowie H.-J. Papier, NJW 2007, S. 2145 (2148). 319 Vgl. Begründung des RegE, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 320 So R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80k. 321 In diesem Sinne und statt vieler L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 87; C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1213); P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (81); A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 49. 322 A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 49.
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grenzt geeignet, den Titel des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG zu charakterisieren, worauf im Laufe der Untersuchung noch einzugehen sein wird.323 3. Das abweichungsfeste stoff- und anlagenbezogene Klammerzitat Die traditionell schwierige Grenzziehung der Gesetzgebungsbefugnisse wird durch die Abweichungsbefugnis deutlich erschwert.324 Um zu ermitteln, wo die Grenze der Legislativverteilung für den Bereich des Wasserhaushalts verläuft, ist zunächst die Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers zu würdigen (nachstehend sub a)). Daneben ist näher zu betrachten, inwieweit die vorbenannten Ziele der Verfassungsreform 2006 ihren Niederschlag im 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz fanden (nachstehend sub b)). a) Die Entstehungsgeschichte der Bereichsausnahme Die Ministerpräsidentenkonferenz vom 27. März 2003 votierte frühzeitig für eine Überführung der bisherigen Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG a. F. in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes mit Zugriffsrechten der Länder hinsichtlich der Materien „Bodenverteilung, Raumordnung und Wasserhaushalt“.325 Demgegenüber plädierte die Bundesregierung weiterhin für einen einheitlichen Kompetenztitel ‚Umwelt‘ innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 GG,326 während die Länder ihrerseits an einem System von Zugriffsrechten festhielten.327 Nach Ansicht der Länder hätte ein Vorgehen nach dem Trennprinzip im Umweltbereich erhebliche rechtliche Unzuträglichkeiten hervorgerufen. Ebenso erachteten die Länder einfachgesetzliche Optionsvorbehalte aufgrund ihrer Unverbindlichkeit als inadäquate Kompensation für die vom Bund beanspruchten 323 Für die Materie des Wasserhaushaltsrechts lassen sich anderweitige Erwägungen entfalten, hierzu nachstehend in Kapitel 6 sub I. 1. 324 Dieser Befund darf als allgemein anerkannt gelten, wenngleich die Rahmenkompetenz seinerzeit gleiche Diskussionsfenster eröffnete. Statt vieler R. Breuer, in: Grote u. a. (Hg.), Fests. Starck, 2007, S. 165 (180); W. Hoppe, DVBl. 2007, S. 144 (149); H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (254 ff.). 325 Siehe die Anlage zum Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 27. März 2003, TOP 3, Nr. 2.1. 326 Vgl. W. Schön, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsgruppe 1, 3. Sitzung vom 11. März 2004, Protokollvermerk, S. 24 f. 327 So die Vorschläge von W. Gerhards, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0002 und P. Müller, ebenda, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0004.
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Sachmaterien.328 Im Anschluss an die Beratungsphase begann die Projektgruppenphase der Bundesstaatskommission und damit der Kompetenzzuschnitt des Wasserhaushaltsrechts. Die Projektgruppe 4 ‚Umwelt- und Verbraucherschutzrecht‘ verantwortete das Wasserhaushaltsrecht. Anschaulich für die Verhandlungsposition der Länder in der „Gemeinsamen Kommis sion von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ ist eine Arbeitsunterlage, die das Land Nordrhein-Westfalen einbrachte. Nach dieser ergaben sich aus der vorgefundenen Interessenlage drei Kriterien für eine neue Kompetenzordnung im Umweltbereich: „1. Dem Bund muss die Möglichkeit eingeräumt werden, ein einheitliches Umweltgesetzbuch zu schaffen, 2. für den Fall des Verlustes von Gesetzgebungskompetenzen der Länder ist diesen auf verfassungsrechtlicher Ebene eine Kompensation einzuräumen, 3. den Gesichtspunkt der Europatauglichkeit berücksichtigen, d. h. insbesondere Umsetzungsprobleme bei der Umsetzung von EU-Recht ausräumen.“329
Die abweichungsfeste Ausgestaltung der „anlagenbezogenen Regelungen“ wurde durch einen Vorschlag des Saarlandes in die Verhandlungen eingebracht. Dem Vorschlag lag ein Trennungsmodell mit folgender Überlegung zugrunde: „Baden-Württemberg hat vorgeschlagen, die Kompetenzabschichtung zwischen Bund und Ländern an der Fragestellung zu orientieren, welche Lebenssachverhalte regionalen bzw. länderspezifischen Regelungen zugänglich sind und nicht zwingend eine nationale Regelung erfordern. Die Zuordnung zu einer Seite schließe nicht aus, dass in spezifisch regionalen oder gesamtstaatlichen Belangen eine Zuordnung zur anderen Seite möglich bleibe. Als Beispiel wird die Frage aufgeworfen, wo beim Umweltschutz die sachgerechte Trennlinie zwischen nationaler (z. B. Umweltgesetzbuch) und regionaler Regelungskompetenz zu ziehen sei. Als allgemeines Prüfkriterium der Kompetenzabschichtung wird u. a. die Schaffung der grundlegenden Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Betätigung und die Sicherung einer grundlegenden überregionalen Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland aufgeführt.“330
Für die Kompetenzbeschreibung sind namentlich die Aspekte der Vereinheitlichung grundlegender Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Betätigung und der Sicherung einer überregionalen Infrastruktur hervorzuheben. Dieses 328 Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Projektarbeitsgruppe 4, 4. Sitzung vom 9. September 2004, Ergebnisvermerk, S. 2 ff. und W. Gerhards, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsgruppe 1, 6. Sitzung vom 1. Juli 2004, Protokollvermerk, S. 21: „Im Übrigen wollten die Länder in ihrer Abweichung entscheidung nicht vom Willen des Bundesgesetzgebers abhängen.“ 329 Vgl. W. Gerhards, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0002, S. 2. 330 P. Müller, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsunterlage 0040, S. 2.
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mit der Bereichsausnahme verbundene Ziel bestätigt sich in einer späteren Stellungnahme: „Die Länder seien der Auffassung, dass umweltbezogene Aspekte, die den Kompetenztitel ‚Recht der Wirtschaft‘, wie z. B. anlagenbezogene Fragestellungen, bundeseinheitlich zu regeln seien.“331
Vorgeschlagen wurde der Titel der „anlagen- und produktbezogenen Regelungen“, soweit die Vorgaben dem Umweltschutz dienen und sie sich von den übrigen Sachmaterien trennen lassen. Die unter ein solches Anlagenrecht aus wasserwirtschaftlicher Sicht etwaig zu fassenden Anlagen charakterisierte der saarländische Vorschlag wie folgt: „– Genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des Bundes-Immissionsschutz-, Atom- und Gentechnikgesetzes, – erlaubnisbedürftige technische Anlagen im Sinne der Verordnungen zum Gerätesicherheitsgesetz, – genehmigungsbedürftige technische Anlagen im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes (Abwasseranlagen, Abwasserbehandlungsanlagen, Anlagen zum Umgang mit wassergefährdeten Stoffen), – erlaubnis- oder bewilligungsbedürftige Benutzungen und planfeststellungsbedürftiger Ausbau von Gewässern im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes, […] – Abfalldeponien, […] – genehmigungsbedürftige Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes, – erlaubnisbedürftige Rohrleitungsanlagen zum Befördern brennbarer Flüssigkeiten im Sinne der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten, […]“332
Mittels produktbezogener Regelungen sollte versucht werden, „durch Einflussnahme auf die Produkterzeugung Umweltbelastungen zu verhindern. Hierzu zählen alle Rechtsvorschriften, die Ermittlung und Bewertung möglicher Gefahren regeln und das Herstellen, Verwenden oder Inverkehrbringen beschränken, verbieten oder von besonderen Bedingungen abhängig machen. Dies kann auch Anforderungen an eine geordnete Entsorgung und eine Kreislaufwirtschaft umfassen. In diesem Rahmen können einheitliche Umweltstandards festgelegt werden, die sich als verbindliche Aussagen über Technik- und Produktanforderungen darstellen. […]“333
Auf die vorbenannte Abschichtung wird im Untersuchungsgang gelegentlich noch zurückzukommen sein.334 Den saarländischen Vorschlag griff das 331 Befürwortend W. Schön, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsgruppe 1, 3. Sitzung vom 11. März 2004, Protokollvermerk, S. 24. 332 P. Müller, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsunterlage 0040, S. 2. 333 P. Müller, ebda. 334 Zur Abschichtung von produktbezogenen Vorgaben siehe in Kapitel 1 sub I. c) in Kapitel 4 sub III. 2. zum Wasch- und Reinigungsmittelgesetz.
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Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004 auf, ohne explizit einem Trennungsmodell zu folgen. Vielmehr machten sich die Länder weiterhin für Zugriffsrechte335 stark.336 Im Laufe der Verhandlungen zogen die Länder die Einschränkung des Zugriffsrechts auf das Anlagen- und Produktrecht zurück. Sie boten dem Bund zunächst nur noch die ‚anlagenbezogenen Regelungen‘ des Wasserhaushaltsrechts als Verhandlungsmasse an.337 Als die Verhandlungen zur Verfassungsreform am Umweltrecht insgesamt zu scheitern drohten, legte die Bundesregierung unter Beteiligung des Bundeskanzleramtes ein eigenes Trennungsmodell vor.338 Nach der Dokumentation von Klaus-Uwe Benneter und André Poschmann gestaltete sich der weitere Verfahrensgang hinsichtlich des Wasserwirtschaftsrechts wie folgt:339 „Der Trennungsvorschlag der Bundesregierung im Umweltrecht sieht vor, dass die Möglichkeiten des Bundes im Naturschutz, bei Wald und Jagd im Grundsatz auf die Festlegung von Leitbildern (im Sinne von Ziele und Aufgaben) reduziert werden. […] In der Wasserwirtschaft fallen danach Wasserschutzgebiete, die Bewirtschaftung der Gewässer (Ausnahme: stoffbezogene Anforderungen) und die wasserwirtschaftliche Planung alleine in die Kompetenz der Länder. […].“340
Nach dem Vorschlag des Bundes sollte ihm die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz ohne Erforderlichkeitsnachweis für folgende Materien zugewiesen werden: – Anforderungen an die Zulassung und Überwachung von Vorhaben, soweit sie umweltbezogen sind, Tätigkeiten und Produkten, den Betrieb und die Errichtung von Anlagen, sowie 335 Näher T. de Maizière, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsunterlage 0078, passim. Dieses Modell firmierte auch unter den Begriffen der ‚Parallelgesetzgebung‘ und ‚umgekehrt konkurrierenden Gesetzgebung‘. 336 Vgl. das Positionspapier der Ministerpräsidenten, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Kommissionsdrucksache 0045, S. 7. 337 Vgl. W. Gerhards, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0002 sowie 1/0011, S. 4. 338 Die weiteren Stellungnahmen und Diskurse bedürfen für den hier interessierenden Zusammenhang nicht der näheren Befassung. Siehe zur Abweichungsgesetzgebung allgemein die Darstellung bei A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreform, 2007, Art. 72 GG Rn. 4 ff. und H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 19 ff. und passim. 339 Hier lehnt sich der Verfasser an die Ausführungen von K.-U. Benneter/ A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (182 f.) an. 340 Das Trennungsmodell wurde nicht veröffentlicht. Die Grundzüge des Modells finden sich jedoch in den Sprechzetteln der Vorsitzenden. Vgl. Sprechzettel der Vorsitzenden F. Müntefering und E. Stoiber zur Erweiterten Obleuterunde am 3. Dezember 2004, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Eckpunkte zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, S. 17.
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– die Ziele und Grundsätze (später: Ziele und Aufgaben) der Wasserwirtschaft, die Bewirtschaftung in Flussgebieten (später: Qualitäts- und Mengenziele für die Bewirtschaftung in Flussgebietseinheiten), den Hochwasserschutz, Anforderungen (später: stoffbezogene Anforderungen) an die Benutzung von Gewässern, die Erhebung von Abgaben auf die Einleitung von Abwässern sowie den Ausbau und die Unterhaltung von Bundeswasserstraßen.341 Die Länder lehnten das Trennungsmodell ab und präferierten ein Zugriffsmodell mit Abweichungsrechten. Ein solches Konzept war im Grundgesetz ein Novum.342 Konzeptionell sollte es den Ländern freigestellt bleiben, ob sie ihre Gestaltungsbefugnisse nutzen. Nach den Vorstellungen der Reformkommission sollen ‚kleinere‘ Länder nicht genötigt sein, Regelungen zu verabschieden, während gestaltungswillige Länder Spielräume erhalten.343 Zu diesem Zeitpunkt der Verhandlungen boten die Länder als Ausgleich für eine Abweichungsbefugnis im Bereich des Wasserhaushaltsrechts an, neben den „anlagenbezogenen“ auch die „stoffbezogenen“ Regelungen indisponibel auszugestalten. Der Vorschlag des Abgeordneten Klaus-Uwe Benneter, dem Klammerzitat darüber hinaus ‚vorhabenbezogene‘ Regelungen zuzuschlagen, wurde von den Ländern unisono abgelehnt. Eine solche Ausdehnung hätte die erstrebte Dispositionsbefugnis der Länder bei einer entsprechend weiten Interpreta tion weitgehend ausgehöhlt.344 Eine solche Bereichsausnahme hätte unter anderem die Sachmaterien des Gewässerausbaus oder nicht stoff- oder anlagenbezogene Benutzungstatbestände erfasst. Innerhalb der Kommission etablierte sich bis April 2005 kein Konsens über die endgültige Zuständigkeitsverteilung für den Bereich des Umweltrechts.345 Soweit es aus den veröffentlichten Unterlagen zur Verfassungsreform ersichtlich ist, wurde die indisponible Zuweisung der „stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen“ an den Bund in den folgenden Debatten nicht 341 Vgl. F. Müntefering/E. Stoiber: in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CDROM, Sprechzettel der Vorsitzenden zur Erweiterten Obleuterunde am 3. Dezember 2004, Eckpunkte zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, S. 17. 342 S. Kadelbach, VVDStRL Bd. 66 (2007), S. 7 (20 f.). 343 Vgl. die Stellungnahmen von E. Heister-Neumann, B. Zypries, N. Röttgen, Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, 9. Sitzung vom 14. Oktober 2004, Stenografischer Bericht S. 212 ff. 344 Berichtend J. Rüttgers, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 206 (208). 345 Dies berichtend K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (182 f.) an.
II. Die Reform des wasserwirtschaftlichen Kompetenzregimes 81
mehr revidiert. Nach der Bundestagswahl vom 18. September 2005 und der Bildung einer Großen Koalition zwischen CDU / CSU und SPD wurden die Verhandlungen in einer „Arbeitsgruppe Föderalismus“ fortgesetzt. Noch am 7. November 2005 lehnte die Koalitionsarbeitsgruppe die vorgeschlagene Kompetenzverteilung weitgehend ab:346 „Die Kompetenzstruktur im Umweltbereich bleibt kompliziert und intransparent. […] Inkonsistent erscheint auch der Zuschnitt der abweichungsfreien Kernbereiche der Bundeskompetenz. Während der Bund beim Naturschutz die Grundsätze abweichungsfrei regeln können soll, sollen die Länder beim Wasserrecht künftig ihre eigenen wasserhaushaltsrechtlichen Grundsätze an die Stelle der bundesgesetzlichen Vorgaben setzen können. Für diese Differenz ist aus Umweltsicht kein tragfähiger Grund ersichtlich. Das Wasserrecht muss nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie flussgebietsbezogen – und damit unabhängig von Landesgrenzen – ausgestaltet werden. Entsprechendes gilt für den Hochwasserschutz, wo wirkungsvolle Schutzmaßnahmen nur im länderübergreifenden Maßstab – und damit durch den Bundesgesetzgeber – sinnvoll geregelt werden können. Abweichungsmöglichkeiten der Länder könnten hier dazu führen, dass übergreifende Hochwasserschutzkonzepte von einzelnen Ländern unterlaufen werden.“
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005 dokumentiert in Nummer 7. 3 – Neuordnung des Umweltrechts:347 „Das historisch gewachsene, zwischen verschiedenen Fachgebieten sowie zwischen Bund und Ländern stark zersplitterte Umweltrecht entspricht nicht den Anforderungen an eine integrierte Umweltpolitik: Das deutsche Umweltrecht soll vereinfacht und in einem Umweltgesetzbuch zusammengefasst werden. Die verschiedenen Genehmigungsverfahren sind im Rahmen eines Umweltgesetzbuches durch eine integrierte Vorhabengenehmigung zu ersetzen. [….] Für diese Neuorientierung des deutschen Umweltrechts werden im Rahmen der Reform des Grundgesetzes (Föderalismusreform) die Voraussetzungen geschaffen.“
Zur Reform des Grundgesetzes wird in Abschnitt V. 1., Satz 109 vermerkt: „1. Föderalismusreform – Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Die große Koalition hat sich auf die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung auf der Grundlage der Vorarbeiten in der Föderalismusreform von Bundestag und Bundesrat, wie in der Anlage festgehalten (Anlage 2), geeinigt.“
Der Koalitionsvertrag enthielt bereits weitgehend den Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG, wie ihn das 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz 346 Ergebnisse der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform (7. November 2005) – Neuordnung der Umweltkompetenzen (unveröffentlicht), S. 4 ff. und passim. 347 Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit, 2005, S. 67.
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
später einführte.348 Die in Bezug genommene Anlage 2 legt unter sub „b) Umweltgesetzgebung“ nachfolgendes dar: „Überführung der umweltrelevanten Materien der bisherigen Rahmengesetzgebung (Art. 75 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 GG) in die Abweichungsgesetzgebung. Art. 72 Abs. 3 GG neu: „Hat der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen auf folgenden Gebieten treffen. 1. Jagdwesen, soweit es sich nicht um das Recht der Jagdscheine handelt; 2. Naturschutz und Landschaftspflege, soweit es sich nicht um Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes handelt; 3. Bodenverteilung; 4. Raumordnung; 5. Wasserhaushalt, soweit es sich nicht um stoff- oder anlagenbezogene Regelungen handelt; 6. Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse. Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten frühestens sechs Monate nach ihrem Erlass in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates anderes bestimmt ist.“
Die in Art. 72 Abs. 3 GG enumerierten Titel sollen in besonderer Weise regionalen Besonderheiten unterliegen.349 Nach Peter-Michael Huber sei die Neuaufteilung nur folgerichtig, da die betroffenen Regelungsmaterien „eigentlich“ Landeskompetenzen seien.350 Demgegenüber wurde die Neuordnung des Umweltverfassungsrechts im Schrifttum vielfach kritisiert. So lasse die Auswahl der Materien die sektorspezifischen und integralen Anforderungen des Umweltschutzes außer Acht, die bundeseinheitliche Regelungen benötigen würden.351 Die Bereichsausnahme der „stoff- oder anla348 Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2005, diesem beigefügt das „Ergebnis der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform, Verhandlungsergebnis zwischen Bund und Ländern auf der Basis der Gespräche von Franz Müntefering, MdB und Edmund Stoiber, Ministerpräsident“, S. 9. 349 In diesem Sinne die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 16/813, S. 11; siehe zudem H. Meyer und W. Gerhards, in: Zur Sache 1/2005, 2005, Beilage: CD-ROM, Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, 9. Sitzung vom 14. Oktober 2004, Stenografischer Bericht, S. 215 bzw. 230 und aus dem Schrifttum nur W. Frenz, NVwZ 2006, S. 742 (746). 350 P. M. Huber, Stellungnahme anlässlich der Anhörung zur Föderalismusreform am 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, abgedruckt S. 219 ff. (230). 351 Mit dieser Kritik H.-J. Koch/S. Krohn, NuR 2006, S. 673 (676, 278).
II. Die Reform des wasserwirtschaftlichen Kompetenzregimes 83
genbezogenen Regelungen“ wurde im Koalitionsvertrag im Gegensatz zu den Grundsätzen des Naturschutzrechts352 nicht näher begründet. Mit Ratifizierung des Koalitionsvertrags begann der gleichsam ‚nicht-öffentliche Teil‘ der Föderalismusnovelle. Bund und Länder rangen bis zuletzt um Detailfragen des Kompetenzzuschnitts. Der Diskurs wurde dabei weniger zwischen den Unionsparteien und der SPD, als zwischen dem Bund auf der einen und den Ländern auf der anderen Seite ausgetragen.353 Die seinerzeit weiter verbliebenen Differenzen über die angestrebte Befugnis der Länder, bundesgesetzliche Regelungen nachträglich abzuändern, wurden durch die Formulierung von Übergangsfristen beseitigt.354 Die mit der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme verbundene Intention formulierte der Verfassungsreformgesetzgeber letztlich wie folgt: „Stoffliche Belastungen oder von Anlagen ausgehende Gefährdungen der Gewässer sind Kernbereiche des Gewässerschutzes, die durch bundesweit einheitliche rechtliche Instrumentarien zu regeln sind.“355
Die Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte sind von den unterschiedlichen Verhandlungsgruppen und Diskussionsergebnissen geprägt. Bis zuletzt wurde über die Formulierung der Begründungserwägungen zu den indisponiblen Klammerzitaten gerungen.356 Namentlich Günther-Michael Knopp357 verweist zur Verdeutlichung dessen, was unter dem Klammerzitat zu verstehen sei, auf einen Formulierungsvorschlag der Länder, den diese in die Schlussverhandlungen einbrachten. Danach seien stoff- oder anlagenbezogene Regelungen: „Regelungen über das Einbringen und Einleiten von Stoffen oder über Abwasseranlagen, Rohrleitungsanlagen und Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen.“
Eine solche Begründung hätte den offenen Wortlaut des Verfassungstextes weitgehend neutralisiert und setzte sich nicht durch. Der Bund hielt an 352 Der Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG wurde erst in den weiteren Verhandlungen auf „allgemeine“ Grundsätze eingeengt. 353 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Februar 2006, S. 4: „Föderalismusreform weiter strittig – Forderung der Länder zu Verwaltungsverfahren/Bund überrascht“, vom 16. Februar 2006, S. 4: „Viele Fragezeichen – Vor dem Gespräch über Föderalismusreform“. 354 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Februar 2006, S. 1: Bund und Länder einigen sich auf Föderalismusreform – Übergangsfristen für abweichenden Gesetzesvollzug/Alle profitieren. 355 Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 356 Berichtend K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (191). 357 G.-M. Knopp, Das neue Wasserhaushaltsrecht, 2010, Rn. 100.
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
den von Bundesregierung und Bundesrat im Wortlaut identischen und parallel eingebrachten Gesetzesentwürfen fest.358 Was der Verfassungsgeber unter stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen versteht, dokumentierte er wie folgt: „Auf Stoffe oder Anlagen „bezogen“ sind alle Regelungen, deren Gegenstand stoffliche oder von anderen Anlagen ausgehende Einwirkungen auf den Wasserhaushalt betreffen, z. B. das Einbringen und Einleiten von Stoffen.“359
Die Begründung zu Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG ist in weiten Teilen auf die seinerzeit geplante integrierte Vorhabengenehmigung bzw. den Allgemeinen Teil des gescheiterten Kodifikationsvorhabens eines Umweltgesetzesbuches 2009 zugeschnitten. Die Länder sollen in den Nachverhandlungen parallel zur Gesetzesbegründung gefordert haben, eine begriffliche Eingrenzung des Bereichs „stoff- oder anlagenbezogener Regelungen“ vorzunehmen. Danach wären allein die „von Anlagen ausgehenden stofflichen Belastungen“ abweichungsresistent gewesen.360 Sie vermochten es indessen wiederum nicht, sich mit ihrem Ansinnen durchzusetzen und das indisponible Klammerzitat einzuschränken. Dieser Aspekt ist für die Interpretation und nähere Funktionsbeschreibung des Klammerzitats aufschlussreich. Wie bereits der Verhandlungsverlauf verdeutlicht, gehen die stoffbezogenen Regelungen über die von Anlagen hervorgerufenen stofflichen Belastungen hinaus. Es werden nicht nur von Anlagen ausgehende „stoffliche Belastungen“, sondern alle „Einwirkungen auf den Wasserhaushalt“ erfasst.361 Insoweit bringen die Begründungserwägungen ein anderes Verständnis von der Gewässerbewirtschaftung zum Ausdruck, als es dem tradiert auf eine Mengen- und Gütebewirtschaftung ausgerichteten Wasserhaushaltsgesetz a. F. zugrunde lag. Abweichungsfest sind damit zunächst stoff- oder anlagenbezogene Regelungen, die sich auf Vorgänge beziehen, von denen stoffliche Belastungen ausgehen. Darüber erfasst das Klammerzitat jedoch auch Vorgänge, bei denen Stoffe oder Anlagen auf den Wasserhaushalt einwirken, ohne dass von ihnen eine bestimmte schädliche Einwirkung auszugehen hat bzw. die die Menge und Güte nicht beeinflussen.362 Auf diesen 358 Abweichend dagegen G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 35. Erg.-Lfg. Juni 2008, Vorb. WHG Rn. 3g; ders., in: Reinhardt (Hg.), Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 37 (43 f.), der auf den Formulierungsvorschlag des Landes Nordrhein Westfalen in Bezug nimmt. 359 Vgl. die Begr. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 360 Berichtend K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (191). 361 Dem Kriterium der Einwirkung wendet sich nachstehendes Kapitel 6 sub II. 1. b) zu. 362 Zur Ausrichtung des Wasserhaushaltsgesetzes siehe vorstehend sub I. 2. c).
II. Die Reform des wasserwirtschaftlichen Kompetenzregimes 85
Befund wird im Verlauf der Untersuchung noch gelegentlich zu verweisen sein.363 Zur Reichweite des indisponiblen Klammerzitats sind den veröffentlichten Dokumenten der Föderalismusreform keine näheren Anhaltspunkte zu entnehmen. Im Rahmen der öffentlichen Anhörung plädiert Michael Kloep fer364 dafür, die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme in einem weiten Sinne zu interpretieren. Indisponibel seien zunächst Regelungen, die sich auf wasserspezifische Anlagen nach den §§ 19a ff. WHG a. F. beziehen. Daneben erfasse das Klammerzitat alle Vorgaben, die einen Bezug auf wasserrechtliche Anlagengenehmigungen aufweisen und den Wasserhaushalt als Maßstab haben. b) Die Reform des Föderalismus im Umweltverfassungsrecht Das einfachgesetzliche Wasserwirtschaftsrecht und die Entstehungsgeschichte der Verfassungsreform weisen bereits auf die vielfältigen Ziele der Reform hin. Mitunter wird aus umweltrechtlicher Perspektive ein weiterer begründungsleitender Kontext zur Ausdeutung der Abweichungsbefugnis bemüht. So sollte die Verfassungsreform insbesondere eine integrierte Vorhabengenehmigung auf Bundesebene abweichungsfest ermöglichen.365 An den Auseinandersetzungen über die Ausgestaltung einer solchen Genehmigung scheiterte das Reformvorhaben eines Umweltgesetzbuchs 2009 jedoch letztlich. Im Lichte dieser Bestrebungen sind die Begründungserwägungen des Gesetzesentwurfes nochmals näher zu betrachten. Der objektivierte Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers ist für die Interpretation der Bereichsausnahmen von substantiellem Gewicht.366 Der Begründungstext lässt dabei Rückschlüsse auf den temporären Willen des Gesetzgebers zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens zu. Obwohl sich die Zielvorstellung des Verfassungsgebers im Zeitpunkt der finalen Fassung des Begründungstextes nicht mit den aktuellen gesetzgeberischen Zielen decken muss,367 363 Der näheren Beschreibung der Bereichsausnahme widmen sich die Kapitel 6 und 7. 364 Mit dieser Interpretation M. Kloepfer, Anhörung anlässlich der Föderalismusreform vom 19. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 50. 365 Darüber K. Berendes, ZfW 1999, S. 212 (214 ff.). 366 Die Bedeutung des gesetzgeberischen Willens für die Ausdeutung wird allseits, das heißt auch durch die Vertreter der objektiven Interpretationstheorie, anerkannt. Siehe mit umfassender Erörterung U. Kischel, Die Begründung, 2003, S. 267 ff. Zu den Auslegungskriterien in Kapitel 4 sub II. 1. 367 BVerfGE 54, 277 (298 ff.); 59, 128 (153 f.); 62, 1 (45 ff.). Pointiert W. Hassemer, Rechtstheorie, Bd. 39 (2008, S. 1 (12) – „Der Wille des Gesetzgebers läßt sich
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
dient die Begründung zur authentischen Bestimmung des objektiven Normzwecks.368 Mithin sind die dokumentierten Ziele im weiteren Gang der Untersuchung unter verschiedenen Blickwinkeln einzubinden.369 Der Begründung lässt sich ein weiteres zentrales Anliegen der Abweichungsgesetzgebung entnehmen, wenn es dort heißt: „Insbesondere wird dem Bund insoweit die einheitliche Umsetzung von EU-Recht ermöglicht.“370
An anderer Stelle wird dem Kodifikationsziel eines Umweltgesetzbuches verschiedentlich Rechnung getragen.371 So sollten die Moratorien des Art. 125b Abs. 1 GG insbesondere die nötige Zeit für die Verabschiedung eines Umweltgesetzbuches einräumen. Noch in der laufenden 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages wurde damit die Gelegenheit eröffnet,372 eine ebensolche Kodifikation des Umweltrechts vorzunehmen.373 Ferner enthält der allgemeine Teil des Begründungstextes einen expliziten Hinweis auf das Kodifikationsziel,374 wenn es dort heißt: Die Kodifikationsbemühungen sind für das Verständnis und die kompetenzielle Grundlegung des Wasserhaushaltsrechts weiterhin bedeutsam.375 Trotzdessen ist es zu weitreichend, daraus abzuleiten, die Abweichungsgemit dem Wortlaut der Norm oft nicht vereinbaren, und beidem widerspricht der heutige Zweck der Norm, das ist juristischer Alltag.“ 368 Darüber G. Hassold, ZZP Bd. 94 (1981), S. 192 (201). 369 Zum Begründungstext im Lichte der abweichungsfesten Bereiche im nachstehenden Kapitel 6. 370 Siehe dazu die Begr. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11, dort zur Neufassung des Art. 72 Abs. 3 GG und auf Seite 14 mit Verweis auf Seite 11 zur Aufhebung der Rahmengesetzgebungskompetenz. 371 Zu Art. 125 b GG näher M. Kallerhoff, Die übergangsrechtliche Fortgeltung von Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 98 ff. und passim. 372 Parteiübergreifend wendete sich der Bundestagsausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 12. Dezember 2003 an die Vorsitzenden der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, diese mögen eine Möglichkeit vorsehen ein Umweltgesetzbuch zu erlassen, „das den überwiegenden Zeck hat, das derzeit sehr unübersichtliche Umweltrecht in Deutschland zusammenzufassen und zu verschlanken.“ Zitiert nach H. Meyer, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Kommissionsdrucksache 0013, S. 16 in Anmerkung 9. Monografisch und umfassende Erörterung der Thematik nimmt B. Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2010, S. 62 ff., 69 f. vor. 373 So die Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks., S. 21. Zudem auch C. Sangenstedt, in: Köck (Hg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch nach der Föderalismusreform, 2009, S. 25 (27). 374 Siehe dazu K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (189). 375 Darüber etwa in Kapitel 6 sub II. 1. a) bb) und Kapitel 9 sub II. 2.
II. Die Reform des wasserwirtschaftlichen Kompetenzregimes 87
setzgebung solle hauptsächlich der Vereinheitlichung des Umweltrechts dienen.376 Andere Stimmen im Schrifttum sehen die zentrale Intention des Reformgesetzgebers für die Abweichungsgesetzgebung in der Erhöhung der Transformationstauglichkeit. Nach Gertrude Lübbe-Wolff kennzeichne die Abweichungsbefugnis: „den Bereich, in dem es dem verfassungsändernden Gesetzgeber bei der Überführung aus der Rahmen- in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf nichts anderes377 als auf die Fähigkeit des Bundes zur pünktlichen Umsetzung des EURechts ankam. […] Jenseits des zur Umsetzung des EU-Rechts Erforderlichen brauchen wir die Bundeskompetenz nicht wirklich; ihre wesentliche Funktion, nämlich die Ermöglichung bundeseinheitlicher Regelungen, ist jenseits der europarechtlichen Vorgaben egal.“378
Dieser Standpunkt lässt sich schwerlich mit der Entstehungsgeschichte und dem Begründungstext in Einklang bringen.379 In nahezu allen Bereichen des Wasserhaushaltsrechts existieren europäische Vorgaben. Zudem reicht die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme über die ganz überwiegend finalorientierten Zielvorgaben des europäischen Rechts hinaus. Wie an anderer Stelle noch aufzuzeigen sein wird,380 markieren die „stoffoder anlagenbezogenen Regelungen“ keinen konstitutionalisierten europarechtlich vorgeprägt Kern. Insoweit sei nur auf den Hochwasserschutz und die Gewässerbewirtschaftung verwiesen. Obwohl beide Sachbereiche seinerzeit bereits weitreichend europarechtlich harmonisiert waren, sind die diesbezüglichen Vorschriften dem Grunde nach abweichungsoffen. Letztlich bleibt zu konstatieren, dass das gesetzgeberische Ziel eines Umweltgesetzbuches gewichtig, jedoch nicht zentral für die Föderalismusnovelle des 376 Mit diesem Standpunkt G. Lübbe-Wolff, in: Koch/Hey (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik, 2009, S. 45 (54 f.). 377 Hervorhebung im Original. 378 So G. Lübbe-Wolff, in: Koch/Hey (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik, 2009, S. 45 (56). 379 Dass die Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG die rechtlichen Voraussetzungen für eine abweichungsfeste integrierende Vorhabengenehmigung schaffen sollte, ist vielfach dokumentiert. Siehe dazu nur die BMU, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0008, S. 12: „Dem Bund muss kompetenzrechtlich die Schaffung eines einheitlichen integrativen Anlagenzulassungsrechts ermöglicht werden. Zur Verwirklichung dieses Ziels, bei dem es sich auch um einen zentralen Regelungsgegenstand eines künftigen Umweltgesetzbuchs handelt, ist es erforderlich, dass der Bund sowohl die Verfahrensanforderungen als auch die materiellen Zulassungsanforderungen abschließend festlegen kann.“ 380 Vgl. unter Kapitel 6 sub I. 1.
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
Jahres 2006 war.381 Wird dem Kodifikationsziel mitunter eine große Bedeutung für die Auslegung beigemessen,382 so kann dieses Ansinnen nicht die in der Begründung artikulierten Ziele überlagern. Dies betrifft neben der Transformationstauglichkeit explizit die Stärkung der Legislativen und die Entflechtung der Zuständigkeiten.383 Die Stärkung der Länder findet ihren Niederschlag im Begründungstext, etwa indem ihnen die Herausbildung „eigener Konzeptionen“ ermöglicht werden soll.384 Die Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens und der Reformkommission messen der Rechtsgestaltungsmacht der Länder eine erhebliche Breite und Tiefe zu.385 Aus den veröffentlichten Dokumenten zur Entstehungsgeschichte lassen sich keine besonderen Restriktionen der Dispositionsbefugnis für das Wasserhaushaltsrecht entnehmen. Der mitunter anzutreffenden Kritik des Schrifttums an der Abweichungskompetenz, die aus dem Kodifikationsziel eines Umweltgesetzbuches weitere Einschränkungen der Länder ableitet, ist mit der vorstehenden Begründung entgegenzutreten.386
III. Resümierende Stellungnahme Das Recht des Wasserhaushalts gehört seit jeher zu den föderal geprägten Sachmaterien des deutschen Umweltrechts. Die Entwicklung des Wasserwirtschaftsrechts von einer vordergründig haushälterischen Gewässerbewirtschaftung zu einem Bereich des nationalen Umweltrechts mit starken ökozentrierten Elementen verlief relativ geräuschlos. Der Kompetenzrahmen war jedoch mit zahlreichen Friktionen versehen, die sich namentlich auf die abgeschaffte Rahmengesetzgebung zurückführen ließen. Angesichts der kaum zu überblickenden Bemühungen der Praxis und Wissenschaft, eine Vollkompetenz des Bundes für das Medium Wasser zu schaffen, war die durch die Verfassungsreform 2006 vorgenommene Zäsur und Neuverteilung der Kompetenzen folgerichtig. 381 So B. Zypries, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 323 (332) – „positiver Effekt“. 382 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, Einl. Rn. 18; E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (280 f.). 383 Vgl. die Lübecker Erklärung vom 31. März 2003, Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente. Dazu H.-G. Henneke, DVBl. 2003, S. 845 ff. 384 Dazu bereits unter sub II. 1. und 3. a). 385 Siehe ferner die Bewertung von J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (29). 386 Abweichend E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (283 ff.), der eine Gesamtbetrachtung verschiedener Kompetenztitel vornimmt. Zur Inanspruchnahme der Kompetenztitel durch den Bundesgesetzgeber nachstehend in Kapitel 4 sub III.
III. Resümierende Stellungnahme89
Der Entstehungsgeschichte der Reform lassen sich für den weiteren Untersuchungsverlauf einige leitende Erkenntnisse entnehmen. Allgemein soll der Kompetenzzuschnitt in Art. 72 Abs. 3 GG regionale und gesamtstaatliche Belange austarieren.387 Für den Bereich des Wasserwirtschaftsrechts sollen dazu die „grundlegenden Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Betätigung“ bundeseinheitlich ausgestaltet werden. Damit kam der Verfassungsänderungsgesetzgeber einer Forderung nach, die Paul Giesecke, einer der Nestoren des deutschen Wasserrechts, bereits im Jahre 1961 artikulierte. Nach seiner Auffassung müssen „die Startbedingungen […] für alle Unternehmen gleich oder vergleichbar sein“, wozu „selbstverständlich die rechtlichen Grundlagen, auch die wasserwirtschaftlichen“, gehören.388 Die Reform bereitete zudem einem Umweltgesetzbuch den verfassungsrechtlichen Boden. Seinen Niederschlag findet dieses Reformanliegen indessen nicht in den allgemeinen Begründungserwägungen389 oder in den Erwägungen zu Art. 72 Abs. 3 GG, sondern im Begründungstext zu Art. 125b GG und Art. 84 Abs. 1 GG.390 Allein die Entflechtung der Zuständigkeiten, die Verbesserung der Transformationsfähigkeit der Kompetenzordnung und eine Stärkung der Parlamente werden in den Begründungserwägungen mit der Abweichungsbefugnis verknüpft.391 Dieser Befund ist insofern bedeutsam, als die ersten Ausdeutungen des Kompetenzzuschnitts mitunter stark durch das im Jahre 2009 gescheiterte Umweltgesetzbuch geprägt waren.392 In den Verhandlungen zur Verfassungsreform konnten sich für den Bereich des Wasserhaushaltsrechts weder der Bund noch die Länder mit ihren teils gegenläufigen Interessen vollständig durchsetzen.393 Einerseits wurde die eindringlich vorgetragene Argumentation des Bundes und der zu Rate gezogenen Sachverständigen für eine Zentralisierung des Wasserwirtschaftsrechts auf Bundesebene von den Ländern zurückgewiesen. Andererseits drangen die Länder nicht mit ihren Versuchen durch, die indisponible Bereichsausnahme im Begründungstext weiter einzugrenzen. Der abweichungsfeste Bereich wird noch näher und unter verschiedenen Perspektiven auszuleuchten sein, gleichwohl ist an dieser Stelle bereits eine 387 Zu
diesem Hintergrund in Kapitel 2 sub II. 3. und 4. in: ders. (Hg.), RdWWi, Bd. 9 (1961), S. 7 (8). 389 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 16/813, S. 7 f. 390 BT-Drucks. 16/813, S. 21 f. 391 BT-Drucks. 16/813, S. 11. 392 Allgemein zu den Ausdeutungsbemühungen in Kapitel 4 sub II. 393 Im Schrifttum gehen die Bewertungen auseinander, eine Stärkung des Bundes für die Materien des Umweltschutzes erblickt G. Lübbe-Wolff, in: Koch/Hey (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik, 2009, S. 45 (53), während sich nach der Auffassung von K. Berendes, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (132) die Länder „im Ganzen“ durchgesetzt haben. 388 P. Giesecke,
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Kap. 1: Wasserhaushaltsrecht im Kontext der Föderalismusreform 2006
wichtige Erkenntnis zu vermerken. Durch die Bereichsausnahme werden für den Kompetenzbereich des Wasserhaushaltsrechts jegliche „Einwirkungen auf den Wasserhaushalt“ abweichungsfest normiert, die mit stofflichen oder anlagenbezogenen Vorgängen in Verbindung stehen. Die Begründung nimmt insoweit keinen Bezug auf eine bestimmte Schadstofffracht oder sonstige nachteilige Veränderung und liefert dem Verfassungsinterpreten überraschend vorbehaltlose Leitlinien zur Auslegung des Klammerzitats. Die weitere Ausdeutung wird somit maßgeblich durch das Verständnis des Stoffund Anlagenbezugs bestimmt.394 Resümierend zu vermerken bleibt, dass es der Bund nicht vermochte, sich mit dem Ansinnen durchzusetzen, – die „Ziele und Grundsätze“ der Wasserwirtschaft, – die Bewirtschaftung in Flussgebietseinheiten (ausgenommen der Qualitäts- und Mengenziele für die Bewirtschaftung in Flussgebietseinheiten), – den Hochwasserschutz, – die wasserwirtschaftliche Planung und – die Anforderungen an die Benutzung von Gewässern ohne Stoff- oder Anlagenbezug sowie – die Ausbau- und die Unterhaltungsvorschriften als auch – umweltbezogene Anforderungen an die Zulassung und Überwachung von Vorhaben indisponibel auszugestalten. Damit sind vorstehende Regelungsmaterien dem Grunde nach einer abweichenden Rechtsgestaltung durch die Länder zugänglich. Dieser erste Befund wird im Lichte des einfachgesetzlichen Normprogramms noch näher zu thematisieren sein, denn in nahezu allen abweichungsoffenen Einzelmaterien sind indisponible stoff- oder anlagenbezogene Tatbestände zu identifizieren.395 Im Rahmen der Interpretation ist bei diesen indisponiblen Tatbeständen gleichwohl dem erkennbaren Willen des Reformverfassungsgebers Rechnung zu tragen, der die benannten Sachmaterien insgesamt abweichungsoffen ausgestalten wollte.
394 Ausführlich werden die Bereichsausnahme und die diesbezüglichen Begründungserwägungen nochmals unter Kapitel 6 aufgegriffen. 395 Siehe dazu nachstehend den Überblick in Kapitel 2 sub II. 3. und später den Kapiteln 6 und 7.
Kapitel 2
Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform Die vorliegende Untersuchung widmet sich der Abweichungsgesetzgebung im Lichte des korrespondierenden einfachgesetzlichen Reglements.1 Stets ist zu prüfen, ob und wieweit die aufgestellten Thesen, Begründungsmodelle und Funktionsbeschreibungen eine praxistaugliche Dogmatik etablieren können. Für den Untersuchungsgegenstand fand die Verfassungsreform 2006 im Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009 (Wasserrechtsneuregelungsgesetz – WassRNeuReglG) ihre einfachgesetzliche Untersetzung, weshalb das Gesetz unter verschiedenen Aspekten auszuwerten ist (hierzu sub I.). Zudem sind die verschiedenen Neufassungen und Vorschaltgesetze der Länder im Gebiet des Wasserrechts mit Blick auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG schlaglichtartig zu betrachten (hierzu sub II.).
I. Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz Den Normsetzungsprozess zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz fasste der auf Seiten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit federführend beteiligte Konrad Berendes2 pointiert zusammen: „Anspruch und Wirklichkeit einer heute eigentlich von allen Akteuren vehement befürworteten „besseren Rechtsetzung“ klaffen in der politischen Praxis weit auseinander. Bei der politischen Interessenvertretung treten im Konfliktfall Klarheit und Einfachheit von Gesetzen in den Hintergrund, wenn die subjektive Bewertung der Gesetzesfolgen ergibt, dass unklare, komplizierte Gesetzesformulierungen die Gelegenheit bieten, sich in den Verhandlungen mit den Behörden oder vor Gericht Vorteile zu verschaffen.“
Diese etwas tendenziöse Skizzierung des Normsetzungsprozesses bietet einen Anknüpfungspunkt für die weiteren Betrachtungen. Zunächst werden 1 Demgegenüber geht M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 11 ff. den Weg einer Annäherung, die sich von den einfachgesetzlichen Vorgaben mitunter stark entfernt. 2 K. Berendes, in: Frenz (Hg.), Das neue Wasser- und Naturschutzrecht, 2010, S. 23 (27 f.).
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Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
die jüngeren Entwicklungslinien, die zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz führten, nachgezeichnet (nachstehend sub 1.). Daneben werden der Normsetzungsprozess und die Regelungstechnik aufgezeigt (nachstehend sub 2.). Mit Blick auf das mit der Neufassung intendierte Ziel einer Vereinheit lichung des Wasserwirtschaftsrechts aufschlussreich ist eine Auswertung, welche normierungsbedürftigen Sachmaterien im Wasserhaushaltsgesetz reglementiert wurden (nachstehend sub 3.). Eine resümierende Stellungnahme führt die gewonnenen Erkenntnisse zusammen (nachstehend sub 4.). 1. Die Entwicklungslinie des Wasserhaushaltsgesetzes Das Wasserhaushaltsgesetz 20103 basiert in weiten Teilen auf den Ergebnissen der gescheiterten Kodifikationsbemühungen im Umweltrecht.4 Dem Impuls zu einem Umweltgesetzbuch 2009 lagen Klagen über langwierige Genehmigungsverfahren, eine umfangreiche Regelungsdichte in den Fachgesetzen und eine Vielfalt verschiedener und verstreut verorteter Genehmigungstatbestände zugrunde.5 Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz sollte die durch das gescheiterte Vorhaben eines Umweltgesetzbuches 2009 drohende Regelungslücke auf Bundesebene schließen. Hauptmonitum gegen das gescheiterte Gesamtkodifikationsvorhaben war die sog. Integrierte Vorhabengenehmigung (IVG) in einem Umweltgesetzbuch I.6 Die im Immissionsschutzrecht gebundene Zulassungsentscheidung war nur schwer mit dem wasserwirtschaftlichen Bewirtschaftungsermessen in Einklang zu bringen.7 Zudem 3 Die Jahreszahl wird unterschiedlich zugeordnet. Die Verordnungsermächtigungen traten nach Art. 24 WassRNeuReglG mit Erlass des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes am 31. Juni 2009 und die weiteren Vorschriften erst zum 1. März 2010 in Kraft. 4 Siehe H. Wendenburg, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, Einl. WHG Rn. 21 ff. mit umfassender Erörterung der Thematik. 5 Statt anderer C. Sangenstedt, ZUR 2007, S. 505 (507) und M. Kloepfer, Verw Arch Bd. 41 (2008), S. 95 (197 f.). Monografisch zum Gestattungsregime B. Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2010, S. 80 ff. 6 Exemplarisch zum Diskurs: C. Calliess, ZUR 2008, S. 343 ff.; C. Sangenstedt, ZUR 2007, S. 505 ff.; H.-H. Munk, WuA 3/2007, S. 40 ff.; W. Erbguth/M. Schubert, NuR 2007, S. 474 ff. W. Kahl/B. Welke, DVBl. 2010, S. 1414 ff. gehen unverändert von der Notwendigkeit einer integrierten Vorhabengenehmigung aus. Zu den unversöhnlichen Standpunkten innerhalb der Ministerialverwaltung, die sich gegenseitig der „Legendenbildung“ bezichtigen, vgl. einerseits für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit H. Wendenburg, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 2 f. und andererseits etwas allgemeiner für das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie B. Weber/D. Riedel, NVwZ 2009, S. 998 ff. 7 Paradigmatisch H.-H. Munk, WuA 3/2007, S. 40 (41 f.): Wasserwirtschaftsrechtlich steht die Erteilung einer Erlaubnis oder Bewilligung im Ermessen der
I. Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz93
war es der politische Wille, keine Standardverschärfung vorzunehmen, wozu eine Abschaffung der Bewilligung unweigerlich gezählt hätte.8 Nur vordergründig scheiterte das Umweltgesetzbuch am Veto des Freistaates Bayern, wie es hingegen mitunter vermerkt wird.9 Nach dem gescheiterten Vorhaben einer Gesamtkodifikation des Umweltrechts im Jahre 2009 entstand auf Seiten des Bundesgesetzgebers die Besorgnis, mit Beginn des Jahres 2010 eine unübersichtliche Gemengelage abweichender, rahmenausfüllender oder nur ergänzender Landesregelungen vorzufinden.10 Das neu arrangierte sowie verbreiterte und vertiefte Wasserhaushaltsgesetz 2010 löste das rahmenrechtlich geprägte Regelwerk zum 1. März 2010, 50 Jahre nach dessen Inkrafttreten zum 1. März 1960, ab.11 Damit erreichte der Bundesgesetzgeber zumindest das ehedem mit dem Umweltgesetzbuch verbundene Ziel auf Vollzug angelegter Vollregelungen im Wasserwirtschaftsrecht. Hierzu beschloss das Bundeskabinett am 11. März 2009 den Entwurf eines „Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts“, der am 17. März 2009 von den Koalitionsfraktionen in den Bundestag eingebracht wurde.12 Bereits am 3. April 2009 leitete die Bundesregierung den Entwurf dem Bundesrat zur Stellungnahme zu, vgl. Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG. Aus den Ausschüssen erfolgten zunächst 116 Änderungsvorschläge, von denen 89 am 15. Mai 2009 angenommen und in die weiteren Beratungen eingebracht wurden.13 Die Schaffung einer von allen BeteiBehörde, weshalb kein verbindlicher Rechtsanspruch auf das Zulassungsbegehren besteht. Eine Integration, gegebenenfalls mittels neuer unbestimmter Rechtsbegriffe, hätte nach verbreiteter Auffassung den Anforderungen eines wirkungsvollen Bewirtschaftungsregimes nicht entsprochen. Siehe aber auch die positive Bewertung von H. Wendenburg, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 113 ff. und ders., in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, Einl. WHG Rn. 21 ff. 8 Vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung bei K. Berendes, in: v. Lersner/ ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 10 WHG Rn. 8. 9 W. Erbguth/M. Schubert, UTR Bd. 104 (2010), S. 7 ff.; K. Berendes, ZfW 2014, S. 1 (2): „nicht auflösbaren Divergenzen zwischen dem Bundesumweltminister und dem Land Bayern“. Umweltminister Sigmar Gabriel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Februar 2009: „Trotz breiter Zustimmung der Umweltminister in den Ländern habe die CSU in Bayern verhindern wollen, dass das SPD-geführte Umweltministerium einen Erfolg verbuche.“ 10 Demgegenüber wies K. Faßbender, ZUR 2010, S. 181 (182) darauf hin, dass sich die Situation auch ohne das Wasserrechtsneuregelungsgesetz nicht wesentlich geändert habe, da es die Abweichungsbefugnis vermag, sich auch unter Bindung an das nach Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG fortgeltende Rahmengesetz zu etablieren. 11 Zu Wertungen, Korrekturen und ersten Ergänzungen K. Berendes, in: ZfW 2014, S. 1 ff. 12 Begr. des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes, BT-Drucks. 16/12275. 13 Vgl. BR-Plenarprotokoll – 858. Sitzung, 15. Mai 2009, S. 203 ff.; Begründung des Regierungsentwurfes, BT-Drucks. 16/12275 (Beschluss).
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Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
ligten getragenen Vollregelung drohte in dieser Situation zeitweilig wieder an politischen Vorbehalten zu scheitern.14 Die Änderungsanträge beabsichtigten ganz überwiegend eine Ausdehnung der Rechtsgestaltungsmacht der Länder. Sie verwunderten angesichts ihrer Quantität, denn über die Regelungen war im Vorfeld unter den Vorzeichen eines Umweltgesetzbuches 2009 ausführlich debattiert und ein weitgehender Konsens erzielt worden.15 Die Bundesregierung lehnte in ihrer Gegenäußerung 54 Änderungsanträge ab und stimmte 23 Änderungsanträgen ganz sowie 12 teilweise zu.16 Am 19. Juni 2009 nahm der Deutsche Bundestag das Gesetz in der Fassung der zusammenfassenden Beschlussempfehlung des federführenden Umweltausschusses17 in dritter Lesung an.18 Der Bundesrat stimmte dem Gesetz am 10. Juli 2009 zu, ohne den Vermittlungsausschuss angerufen zu haben. Parallel zum Wasserhaushaltsgesetz erfolgte der Erlass eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29. Juli 200919 sowie eines Rechtsbereinigungsgesetzes Umwelt vom 11. August 2009.20 Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz trat unter gleichzeitiger Außerkraftsetzung des bisherigen Wasserhaushaltsgesetzes zum 1. März 2010 in Kraft (Art. 24 Abs. 2 WassRNeuReglG). Lediglich die vorgesehenen Verordnungsermächtigungen des Wasserhaushaltsgesetzes wurden nach Art. 24 Abs. 1 WassRNeuReglG bereits am 7. August 2009 in Kraft gesetzt. Nachträglich wurden im Jahr 2010 im neugeschaffenen Abschnitt 3a Vorgaben zur Bewirtschaftung von Meeresgewässern (§ 3 Nr. 2a WHG n. F.) aufgenommen.
14 Siehe EUWID − Wasser und Abwasser, 23/2009 vom 2. Juni 2009, S. 1, „Einigungsgespräche zwischen Bund und Ländern zum WHG gescheitert.“ 15 Näher zum Verfahren mit interner Kenntnis K. Berendes, in: Frenz (Hg.), Das neue Wasser und Naturschutzrecht, 2010, S. 23 (25 ff.). 16 Vgl. BT-Drucks. 16/13306, Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 16/13426. 17 Die BT-Drucks. 16/13426 fasste die BT-Drucks. 16/12786, 16/13306 sowie 16/12275 zusammen. 18 Vgl. 228. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 19. Juni 2009, BT-Plenarprotokoll 16/228, S. 225468 und auch BT-Drucks. 595/09. 19 Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29. Juli 2009, BGBl. I, S. 2542. 20 Gesetz zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt – RGU) vom 11. August 2009, BGBl. I, S. 2723.
I. Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz95
2. Die Regelungstechnik der Novellierung Die wasserwirtschaftliche Vollzugspraxis wird stark durch die „Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser“ (LAWA) geprägt.21 Diese gelegentlich als vertikale und horizontale „Ressortkumpanei“22 missbilligte Kooperation ist in der föderativ gegliederten Gesamtrechtsordnung mitunter unausweichlich. Beispielhaft ist an die Meeresstrategierahmen-Richtlinie zu denken, die mit den §§ 45a bis l WHG transformiert wurde.23 Die Bewirtschaftung der deutschen Meeresgewässer ist den Küstenbundesländern bis zur Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), darüber hinaus hingegen dem Bund anheimgegeben.24 Insofern ist etwa die Errichtung des auf einem Verwaltungs abkommen zwischen dem Bund und den Küstenländern beruhenden „Bund / Länder-Ausschuss Nord- und Ostsee“ (BLano) sachgerecht,25 um die nötige Konvergenz im Vollzug zu gewährleisten. Dennoch wird explizit auf der Verordnungsebene vielfach heftig um landesrechtliche Regelungsräume gerungen und unter Umständen noch vor der Verkündung eine Arbeitsgruppe einberufen, die eine Musterverordnung oder Musterverwaltungsvorschrift ausarbeitet.26 Insoweit lässt sich eine Diskrepanz zwischen der Grundidee des Föderalismus und der gelebten Staatspraxis feststellen. Deutlich wird die gedankliche Herangehensweise der Länder in einem Beschluss des Bundesrates,27 der in seiner ersten Befassung mit dem Wasserhaushaltsgesetz 2010 am 15. Mai 2009 zu § 35 WHG vermerkt: „Geschäftsgrundlage für die Erarbeitung des UGB bzw. der Einzelgesetze war und ist, dass dieses nicht zum Anlass genommen wird, die materiellen Standards zu 21 Näher hierzu W. Bühler, Entwicklung und Perspektiven der Zusammenarbeit der Länder und des Bundes in der LAWA, WWi 1-2/2010, S. 85 (86 f.). 22 Der Begriff geht zurück auf F. Wagener, System einer integrierten Entwicklungsplanung im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden, 1974, S. 129 ff. (134); ders. Milderungsmöglichkeiten nachteiliger Folgen der Politikverflechtung, in: Hesse (Hg.), Politikverflechtung im föderativen Bundesstaat, 1978, 149 (155 f.). Kritisch auch H.-J. Papier, in: Uhle (Hg.), Dresdner Vorträge zum Staatsrecht, Bd. 2, S. 12 ff., 14, wonach die Landtage zur „Ratifikationsinstanz“ denaturieren. 23 Gesetz zur Umsetzung der Meeresstrategierahmenrichtlinie sowie zur Änderung des Wasserstraßengesetzes und des KrW-/AbfG vom 6. Oktober 2011, BGBl. I, S. 1986. 24 Das Zusammenspiel in diesem Bereich spiegelt sich zudem in der Gemeinschaftsaufgabe des Küstenschutzes nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG wieder. 25 Ausführlich zur intraföderalen Zusammenarbeit O. Rabe, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 9 (10 f.). 26 In diesem Sinne H. Reichmann, in: Oldiges (Hg.), Aktuelle Probleme des Gewässerschutz- und Abwasserrechts, 1998, S. 66 f. Zu Recht kritisch zudem M. Reinhardt, Die Bewirtschaftung des Grundwassers, in: ders. (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 79 (82). 27 Beschluss vom 15. Mai 2009, BT-Drucks. 280/09, S. 20.
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Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
verändern […]. Aufgrund der historisch gewachsenen, unterschiedlichen landeswasserrechtlichen Regelungen kommt diese Forderung der Quadratur des Kreises gleich. Dieser Widerspruch kann nur dadurch aufgelöst werden, dass der Bund bundeseinheitliche Mindeststandards (im Sinne eines Leitbildes) festschreibt, den Ländern aber ausdrücklich die Möglichkeit einräumt, ihre eingeführten und bewährten landesrechtlichen Regelungen als ergänzendes bzw. abweichendes Recht fortzuführen.“
Die Neuordnung des Wasserhaushaltsgesetzes erschöpfte sich oftmals in der Auflösung von Regelungsaufträgen an die Länder, die seinerzeit im WHG 2002 niedergelegt waren.28 So wurde aus: „Durch Landesrecht wird bestimmt, dass […]“ ein schlichter Normanwendungsbefehl. Ferner wurden die oftmals unmittelbar geltenden ausdifferenzierten rahmenrechtlichen Bestimmungen schlicht in das WHG 2010 übernommen. Dokumentieren lässt sich dieser Befund im Begründungstext zu § 82 WHG, wenn es dort heißt: „§ 82 ist weitgehend inhaltsgleich mit dem geltenden § 36 Absatz 1 bis 6 WHG und führt die bisherige Regelung mit folgenden Änderungen fort: Absatz 1 Satz 1 ersetzt den Regelungsauftrag an die Länder nach § 36 Absatz 1 Satz 1 durch eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Vollregelung.“
Einmal mehr zeigen die Erwägungen des Reformgesetzgebers, wie der Bundesgesetzgeber die von Art. 75 GG a. F. geforderte rahmenrechtliche Ausgestaltung seinerzeit vornahm. Im Regelungsbereich des Wasserhaushaltsgesetzes wird den Ländern weiterhin eine auf Art. 72 Abs. 1 GG beruhende substantielle Rechtsgestaltungsmacht überlassen. Die Neuordnung des Wasserwirtschaftsrechts stieß zumeist auf verhaltene Zustimmung. Zu Recht wird vermerkt, es handele sich nicht um einen großen Wurf, vielmehr bewege sich die Neuordnung in eingefahrenen Gleisen und erhalte vollzugsbewährte Regelungsgehalte.29 Wenig Anerkennung wurde hingegen der textlichen Gestaltung des Gesetzes gezollt.30 An späterer Stelle wird noch auf die Fülle von Ausdrucksformen einzugehen sein, mit denen der Gesetzgeber zu erkennen gibt, seine Legislativbefugnis nicht umfassend in Anspruch genommen zu haben. So statuierte er Optionsvorbehalte in Form von Unberührtheits- und Abweichungsklauseln, obgleich ihnen durch den Bundesgesetzgeber ein identischer Inhalt zugesprochen wird. Demgemäß 28 Einen ähnlichen Schluss zog M. Reinhardt, ZUR 2008, S. 352 (355 ff.) bereits zuvor zum Entwurf eines Umweltgesetzbuches 2009, der dem WHG 2010 zu Grunde lag. 29 Mit diesem Resümee S. Caßor-Pfeiffer, ZfW 2010, S. 1 (31); M. Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 (86); K. Lauer, NuR 2010, S. 692 (697); P. Seeliger/S. Wrede, NuR 2009, S. 679 (686). 30 Aus stilistischer Perspektive M. Reinhardt, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 6.
I. Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz97
verwundert es nicht, dass den Klauseln im Schrifttum gelegentlich eine unterschiedliche Bedeutung beigelegt wird.31 3. Die Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Wasserhaushaltsrechts Das 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz eröffnete dem Bundesgesetzgeber die Option, die öffentlich verantwortete Gewässerbewirtschaftung einschränkungslos zu normieren. Wie bereits dargetan, barg das Wasserwirtschaftsrecht mit seinem Bewirtschaftungsermessen einen zentralen Konfliktpunkt und trug maßgeblich zum Scheitern des Umweltgesetzbuches 2009 bei. Die anschließende Überführung und Reform des Wasserwirtschaftsrechts fand in der umweltpolitisch interessierten Öffentlichkeit hingegen nur wenig Beachtung, was sich mit der Funktion des Gewässerschutzrechts als überwiegend technisches Recht erklären dürfte.32 Die weitere Beschäftigung mit dem Wasserrechtsneuregelungsgesetz wirft zunächst die Frage auf, ob sich aus der Novellierung besondere Interpretationskriterien ableiten lassen, die auf eine Rechtsetzungsbefugnis der Länder hinweisen. Das rahmenrechtlich geprägte und damit prinzipiell auf Aus- und Auffüllung angelegte Wasserhaushaltsgesetz wurde vielfach ohne Änderungen in das Wasserhaushaltsgesetz 2010 überführt. Es ließe sich folglich erwägen, die Länder würden kein abschließendes und erschöpfendes bundesgesetzliches Regelwerk vorfinden. Eine solche Annahme ist indessen deshalb nicht tragfähig begründbar, weil der Bundesgesetzgeber bereits unter Geltung des Art. 75 GG a. F. vielfach in Einzelheiten gehende und ausdifferenzierte Regelungen erließ.33 Nur hinzuweisen sei an dieser Stelle auf die sonstigen Interpretationskriterien. Denn überall dort, wo das Wasserhaushaltsgesetz Länderöffnungsklauseln vorsieht, dokumentiert der Bundesgesetzgeber einen Rechtsgestaltungsspielraum der Länder, welcher aus Art. 72 Abs. 1 GG resultiert.34 Im Umfang dieser Vorbehalte können die Länder ihre Bestimmungen aufrechterhalten oder neue Vorgaben erlassen. Ferner zeigen die oftmals anzutreffenden Aufzählungen bestimmter Voraussetzungen eine Gestaltungsmacht der Länder an.35 Ebensolches gilt auch für unbestimmte Rechtsbegriffe.36 31 Siehe die nachstehenden Betrachtungen zu den Länderöffnungsklauseln in Kapitel 5 sub II. 32 Mit diesem Befund M. Reinhardt, ZUR 2008, S. 352 (355 ff.). 33 Dazu bereits in Kapitel 1 sub I. 2. b) und c). 34 Zu den abweichenden Standpunkten hinsichtlich der Bereichsausnahmen in Kapitel 5 sub II. 2. 35 So § 39 WHG zu den Gewässerunterhaltungen, „insbesondere“ hier haben die Länder die Möglichkeit, weitere Tatbestände zu normieren.
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Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
Andererseits36 bedarf es immerhin der Erwähnung, dass sich aus den 16 Hinweisen im Begründungstext, der Bund habe eine „Vollregelung“ getroffen, nicht auf eine erschöpfende Bundesregelung schließen lässt. Die Terminologie bestätigt lediglich die fehlende Restriktion des Bundesgesetzgebers auf eine Rahmengesetzgebung und die Gesetzgebungskompetenz zu unmittelbar geltenden Vorgaben. Derartige Regelungen bedürfen keiner weiteren landesrechtlichen Aus- und Auffüllung, vielmehr ist der Norm anwendungsbefehl der jeweiligen Vorschrift direkt zu entnehmen.37 Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz wird in einer weiteren Hinsicht als defizitär erachtet, denn es lässt keine gesetzeseinheitliche Konzeption erkennen, welche Regelungsbereiche als so gewichtig erachtet wurden, um bundeseinheitlich geregelt zu werden.38 Dies ist mit Blick auf die zahlreichen Änderungsanträge der Länder auch darauf zurückzuführen, dass diese an ihrem vollzugsbekannten Landeswasserrecht festhalten wollten. Unter diesem Gesichtspunkt ist die durch das Wasserhaushaltsgesetz 2010 vorgenommene weitreichende Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Gewässerbewirtschaftung in § 23 WHG dem Grunde nach begrüßenswert.39 Daneben enthält das Wasserhaushaltsgesetz 2010 zahlreiche weitere wohlbedachte Bestimmungen.40 So wird erstmals das Bewirtschaftungsermessen in § 12 Abs. 2 WHG explizit bei den Bestimmungen zur Erteilung der einfachen bzw. gehobenen Erlaubnis oder der Bewilligung genannt und mit den allgemeinen Grundsätzen der Gewässerbewirtschaftung verknüpft. Die in § 3 WHG vorgenommene Vereinheitlichung der wasserrechtlichen Begriffsbestimmungen baut auf die Begriffe der Gewässereigenschaft und der Wasserbeschaffenheit auf und trägt zur Systematisierung des Wasserhaushaltsrechts bei. Exemplarisch sei noch auf folgende Regelungskomplexe hingewiesen, in denen die Bundesländer grundsätzlich partiell eigene materielle Regelungen statuieren können. Dies betrifft die – Koordination der Bewirtschaftung der Flussgebietseinheiten gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 WHG und der Maßnahmenprogramme nach § 7 Abs. 3 WHG, 36 Beispielshalber bei § 50 Abs. 2 WHG, wo der Grundsatz der ortsnahen Wasserversorgung geregelt ist, soweit das „Wohl der Allgemeinheit“ nicht entgegensteht. 37 So auch der Standpunkt von K. Berendes, ZfW 2014, S. 1 (3). 38 Mit diesem Befund H.-H. Munk, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 4 ff. 39 Darüber ausführlich im nachstehenden Kapitel 8. 40 Einzelheiten bei H. Wendenburg, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, Einl. Rn. 33 ff.
I. Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz99
– Festsetzungen von Wasserschutzgebieten nach § 51 Abs. 1 WHG, – Bestimmungen über den Abwasserbeseitigungspflichtigen gemäß § 56 WHG, – Rechte und Pflichten aus dem wasserrechtlichen Nachbarrecht sowie – Vorgaben zu Stauanlagen. Nunmehr bleibt die Reichweite der durch den Bundesgesetzgeber normierten Sachverhalte mit Blick auf das Landesrecht zu betrachten. Wie vorstehend bereits dargelegt, lässt das Wasserhaushaltsgesetz 2010 kein einheitliches Konzept erkennen, ob und wieweit bestimmte Sachmaterien zu vereinheitlichen sind. Zunächst sei auf die Bestimmung des § 25 WHG hingewiesen. Obwohl der Gemeingebrauch in den Landeswassergesetzen sehr unterschiedlich ausgestaltet war,41 versuchte der Bundesgesetzgeber, die Grundzüge des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs zu vereinheitlichen. Im Wesentlichen übernahm er dazu die Vorschrift des § 23 WHG a. F.42 Daneben überführte er jedoch auch die fischereirechtliche Bestimmung des § 25 WHG a. F. in den Gemeingebrauch, was nicht unproblematisch ist.43 Wie aus den Begründungserwägungen ersichtlich wird, verzichtete der Gesetzgeber darauf, den Gemeingebrauch an oberirdischen Gewässern näher auszuformen, weil er den regionalen Besonderheiten der Länder Rechnung tragen wollte.44 Die legislative Erschließung der normierungsbedürftigen Sachmaterien durch das Wasserhaushaltsgesetz wurde von Hans-Hartmann Munk zu Recht kritisch hinterfragt.45 Im Reglement der Gewässerunterhaltung fand der Bundesgesetzgeber eine sehr heterogene Regelungslandschaft vor. Historisch bedingt normierten die einzelnen Bundesländer unter anderem unterschiedliche Pflichten und Träger der Unterhaltungslast.46 Dennoch sind die Vorgaben zur Gewässerunterhaltung in den §§ 39 bis 42 WHG, etwa über die Träger der Unterhaltungslast und die besonderen Pflichten bei 41 Zur alten Rechtslage M. Reinhardt, Czychowski/ders., 9. Aufl. 2007, § 23 WHG Rn. 6 ff. 42 Näher dazu M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 25 WHG Rn. 1. 43 Dazu näher im nachstehenden Kapitel 7 sub II. 3. a) cc). 44 Siehe die Begründung zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz, BT-Drucks. 17/12275, S. 59. 45 In diesem Sinne H.-H. Munk, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 5; ders., Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 7 f. Mit dieser Kritik zudem K. Lauer, NuR 2010, S. 692 (697). Demgegenüber finden es P. Seeliger/S. Wrede, NuR 2009, S. 679 (686) „erfreulich“, „dass keine Erosion des Landesrechts stattfindet“ und die Wassergesetzgebung weiterhin „stark föderal geprägt sein wird“. 46 Eingehend hierzu J. Schwendner, in: Dahme/Sieder/Zeitler/Knopp (Hg.), WHG/AbwAG, 30. Erg.-Lfg. Juli 2005, § 28 WHG Rn. 43 ff. und 21. Erg.-Lfg. August 1999, § 29 WHG Rn. 5 und 63 f.
100 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
der Gewässerunterhaltung, sehr detailliert und weisen einen Vollregelungscharakter auf. Demgegenüber wäre es nach Munk mit Blick auf den Klimawandel und einen voraussichtlich ansteigenden Meeresspiegel auch international begründet und fachlich geboten gewesen, die Sachmaterie des Küstenschutzes mit differenzierteren Regelungen zu bedenken und Vorgaben zum Gewässerausbau oder zu den Überschwemmungsgebieten als Vollregelung zu statuieren.47 Die Bestimmung zu den Gewässerrandstreifen in § 38 WHG wird ganz überwiegend und aus unterschiedlichen Blickwinkeln als problematisch erachtet. Die Vorschrift sieht für die Verwendung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln eine ausdrückliche Ausnahme vom Verbot des Umgangs mit wassergefährdenden Stoffen vor und überlässt es den Ländern, weiter gehende Anforderungen zu stellen. Insoweit lasse die Bestimmung ausgerechnet dort einen Raum für abweichende Gestaltungen, „wo es um den Kern des Problems geht: die Abwehr diffuser Stoffeinträge aus der Landwirtschaft“.48 4. Resümierende Stellungnahme Das Verfahren zum Erlass des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes nahm der Bundesgesetzgeber nicht zum Anlass, sein Regelungsmandat umfassend zu nutzen und ein ausdifferenziertes bundeseinheitliches Wasserwirtschaftsrecht zu statuieren. Im Wasserhaushaltsgesetz 2010 lässt sich folglich kein durchgängiges Konzept bundeseinheitlicher Vollregelungen nachzeichnen. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob es dem Bundesgesetzgeber anzulasten ist und warum dieser – um ein Diktum Michael Reinhardts aufzugreifen – „so subversiv sein kann, hinter den neuen Fassaden des WHG die Föderalismusreform 2006 so tiefgreifend zu unterlaufen […]“.49 Oder, ob nicht vielmehr „die Länder im Bundesrat kräftig dazu beigetragen haben, noch weitere Länderöffnungsklauseln in das Gesetz einzufügen, um damit ihren wasserrechtlichen Besitzstand zu wahren“.50 Denn im Kern gibt es an dem Motiv der Länder, an den gewachsenen und vollzugsbewährten Norm47 H.-H. Munk,
S. 8.
Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009,
48 H.-H. Munk, ebda. Näher zur Diskussion um bundeseinheitliche Gewässerrandstreifen Kapitel 7 sub II. 3. d). 49 Mit diesem ersten Befund im Hinblick auf die Regelungsstruktur und -dichte des Wasserrechtsneuregelungsgesetz M. Reinhardt, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 7. 50 In diesem Sinne H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 9.
I. Das Wasserrechtsneuregelungsgesetz101
programmen festzuhalten, nichts zu erinnern. Das nicht kritikfreie51 und zugespitzt als „Ressort-Kumpanei“ oder als ‚informale Verflechtung‘52 der Fachbeamten von Bund und Ländern apostrophierte kooperative Zusammenspiel, etwa in der bereits im Jahre 1959 gegründeten Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA)53 oder in der weiterhin bestehenden Gelegenheit, über den Bundesrat Einfluss auszuüben, bürgt für ein hohes Maß an Kontinuität in Methodik und Systematik der Rechtsgestaltung. Dessen ungeachtet ist den Kritikern zuzugeben, dass namentlich das Wasserrechtsneuregelungsgesetz ein beredtes Beispiel der bereits bezeichneten Einwände gegen eine kompromisshafte Interessenberücksichtigung enthüllt.54 Die frühzeitig artikulierten landesseitigen Bedenken führten zu einer weitgehenden Antizipation der Einwendungen. Die Länder rangen dem Bundesgesetzgeber zahlreiche normierungsbedürftige Sachbereiche ab, die dieser ihnen letztlich zur Regelung überließ.55 Anstatt seine Rechtsetzungsmacht vollständig zu entfalten, verlegte sich der Bundesgesetzgeber deshalb darauf, zwar grundlegende, jedoch mitunter nur partielle und aus sich heraus teilweise noch vollzugsuntaugliche Vorgaben zu statuieren. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass im föderativen Korporationsverhältnis zwischen Bund und Ländern zunehmend eine fakultative Verflechtung entsteht, die sich in einer „Prozeduralisierung“56 und Informali51 Auf die verfassungsrechtliche Problematik formaler Absprachen im Exekutivföderalismus wies zu Recht bereits H. Reichmann, in: Oldiges (Hg.), Aktuelle Probleme des Gewässerschutz- und Abwasserrechts, 1998, S. 66 f. hin. 52 P. M. Huber, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 129 (130). 53 Zu diesem Aspekt auch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, Einl. Rn. 28 ff. Näher zur Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser J. Greinert, LKV 1991, S. 370 f. und W. Bühler, WWi 1-2/2010, S. 85 ff. Als Wildwuchs werden circa 300 Bund-Länder-Kommissionen und 900 sonstige Gremien von K. Stern, in: Spannowsky, (Hg.), Fests. Püttner, 2006, S. 169 (181 mit weiteren Nachw.) bezeichnet. 54 Mit dieser Prognose statt anderer P. M. Huber, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 129 (130). 55 Mit diesem Befund zum weitgehend identischen UGB II bereits W. Durner, in: Köck (Hg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch nach der Föderalismusreform, 2009, S. 63 (82 f.). Siehe überdies mit interner Kenntnis vom Gesetz gebungsverfahren K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/13, Einl. Rn. 28 ff. 56 Diese Befürchtung hat das Schrifttum wiederholt formuliert, statt vieler und allgemein E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (287): „ein Druckmittel für die politischen Verhandlungen“; W. Hoppe, DVBl. 2007, S. 144 (148); H.-J. Papier, in: Uhle (Hg.), Dresdner Vorträge zum Staatsrecht, Bd. 2, S. 12 ff.; H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (253 f.): „Keim zu […] Intransparenz und mehr (statt weniger) vertikaler Kooperation“. Aus Sicht der Raumordnung P. Szczekalla, DVBl. 2008, S. 300 (301): „die neuen Kompetenzvorschriften [werden, d. Verf.] von vornherein faktisch relati-
102 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
sierung57 der Kompetenzordnung niederschlägt. Hintersinnig für diesen Befund ist insoweit der Standpunkt eines beteiligten Ministerialdirektors im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. So kalkulierte Hubert Steinkemper noch zur „ad hoc Bund / Länder-Arbeitsgruppe UGB“58, nach der anstehenden Abstimmung in den einzelnen Arbeitsgruppen bestehe wohl kein Bedürfnis mehr für abweichende Regelungen.59 Obwohl das Reformziel einer weitgehenden Vereinheitlichung des Wasserwirtschaftsrechts auf Bundesebene im ersten Schritt vielleicht nicht in Gänze überzeugt, so ist dieser Umstand wohl überwiegend der knapp bemessenen Zeit geschuldet, in der das Gesetzgebungsverfahren zu absolvieren war. Das mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG angestoßene Kooperationsverhältnis bildet trotz aller Startschwierigkeiten den Einstieg in eine echte Vereinheitlichung des Rechts der Gewässerbewirtschaftung, wie sie unter der Rahmengesetzgebung ausgeschlossen war. Wie die Transformation der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (EG) Nr. 2008 / 56 in den §§ 45 a bis l WHG überdies illustrierte,60 bietet die Abweichungsgesetzgebung das Potential einer zunehmenden Konvergenz der traditionell föderal geprägten Gewässerbewirtschaftung.61
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder Fünf Jahre nach Erlass des Wasserhaushaltsgesetzes gibt nunmehr ein Großteil der Landeswassergesetze Auskunft darüber, ob und inwieweit die Länder ihre Abweichungsbefugnis gebrauchen. Eine abschließende Aus- und Bewertung der Normsetzungstätigkeit ist jedoch erst zulässig,62 wenn alle Länder ihr Wasserrecht novelliert bzw. ihre mitunter lediglich umgeordneten Regelwerke nochmals überarbeitet haben. Dennoch erlauben die vorliegenviert“. Für den Naturschutz W. Löwer, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2010, S. 101 (101). 57 Vgl. C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (493). 58 Die Schritte und Ergebnisse der Arbeitsgruppe sind detailliert dokumentiert, vgl. Landtag Sachsen-Anhalt, Drucks. 5/1296. 59 Berichtend U. Müller, UPR 2006, S. 345 und vgl. zudem H. Steinkemper, in: Kloepfer (Hg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 13 ff. 60 Gesetz zur Umsetzung der Meeresstrategierahmenrichtlinie sowie zur Änderung des Wasserstraßengesetzes und des KrW-/AbfG vom 6. Oktober 2011, BGBl. I, S. 1986. 61 Dazu näher S. Schlacke, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 21 (23 ff.). 62 Diese Einschränkung übersieht die Bewertung von F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 89 ff.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder103
den vollständigen Neufassungen der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern sowie die rechtsbereinigten und angepassten Wassergesetze von Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein eine erste Bewertung der Verfassungsreform. Vorangestellt seien zunächst einige grundlegende Überlegungen zur Anpassung des Landesrechts (nachstehend sub 1.). Daran schließt sich ein kursorischer Überblick über die einzelnen Länder (nachstehend sub 2.) und eine resümierende Stellungnahme an (nachstehend sub 3.). 1. Überlegungen zur Einpassung und Neufassung des Landesrechts Bis zur Einführung des Art. 75 Abs. 3 GG a. F. durch die Verfassungsreform 1994 wurde eine Pflicht der Bundesländer, die rahmenrechtlichen Vorgaben des Bundes auszufüllen, überwiegend abgelehnt.63 Stattdessen bestand seinerzeit bereits die Obliegenheit, das Landesrecht an eine geänderte Rechtslage anzupassen.64 Das „Recht der Gesetzgebung“ in Art. 70 Abs. 1 GG bzw. die „Befugnis zur Gesetzgebung“ in Art. 72 Abs. 1 GG sprechen indessen gegen eine allgemeine Pflicht der Länder zur Gesetzgebung.65 Neben Verfassungsaufträgen oder sich aus dem Grundrechtskatalog ergebenden Schutzpflichten lässt sich dem Prinzip der Rechtsklarheit zusammen mit dem Gebot der Bundestreue zumindest eine verfassungsrechtliche Verpflichtung entnehmen, den Bestand der Staatsakte zu bereinigen.66 Das Wasserhaushaltsgesetz 2010 führt nur in Ausnahmefällen dazu, dass das jeweilige Bundesland tatsächlich eine echte Rechtsetzungspflicht trifft.67 Ein Regelungsbedarf besteht jedenfalls insoweit, als die Länder das Bundesrecht vollzugstauglich ausgestalten müssen. 63 Ehedem W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. IV, 1. Aufl. 1990, § 100 Rn. 258; T. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994, S. 102 f. Abweichend M. Kaltenborn, AöR Bd. 128 (2003), S. 412 (441). 64 So BVerfGE 66, 270 (281). 65 J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 18. 66 Dahin gehend A. Rittmann/A. v. Komorowski, in: Kloepfer/Bohne (Hg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, 2009, S. 107 (110). Ausführlich zu den methodischen Fragen der Rechtsbereinigung auch D. Wyduckel, SächsVBl. 1997, S. 285 ff. 67 Mit diesem Standpunkt zum vielfach identischen Entwurf eines Umweltgesetzbuches A. Rittmann/A. v. Komorowski, in: Kloepfer/Bohne (Hg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, 2009, S. 107 (111).
104 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
Den Ländern boten sich zur Anpassung ihres Rechts an bzw. in das neue Normprogramm des Bundes verschiedene Instrumente an:68 eine vollständige Neufassung, die Anpassung des bestehenden Landesrechts oder die Einpassung mittels einer Vorschaltgesetzgebung. Eine Neufassung schafft ein Regelwerk, welches sich weitgehend vom Bestand und der Systematik der Vorgängerregelung löst. Eine Anpassungsgesetzgebung wird zumeist bei wiederkehrenden Änderungen der Rechtslage vorgenommen und knüpft an das bestehende Reglement an.69 Dabei behält das dabei entstehende Normprogramm die inhaltliche und sprachliche Struktur der bestehenden Regelungen bei.70 Ein Vorschaltgesetz ist hingegen kein finaler Rechtsakt, sondern eine vorläufige Rechtsgrundlage. Hierdurch bleibt das Normprogramm vollzugsfähig und provoziert keine oder nur geringere Konflikte. Aufgrund der zeitlichen Begrenzung und des normlegitimierenden Zwecks einer solchen Interimslösung ist das Gebot der Rechtsklarheit auf diese Regelwerke nur eingeschränkt anwendbar.71 Wie das Bundesverfassungsgericht72 mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes hervorhebt, ist, selbst wenn noch Lücken bestehen, zu berücksichtigen, dass ein „Vorschaltgesetz als vorläufiges Gesetz konzipiert wurde. Dem muß bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips Rechnung getragen werden. Angesichts der Übergangssituation […] und mit Rücksicht auf die allgemein übliche Einräumung einer gewissen ‚Karenz‘frist, innerhalb der dem Gesetzgeber Gelegenheit zur rechtsförmigen Regelung zu geben ist, kann ein solcher Mangel für eine beschränkte Zeit hingenommen werden.“ Neben diesen Instrumenten stehen der Landesexekutive weitere Maßnahmen zur Verfügung. Dazu zählen Anwendungserlasse an die nachgeordneten Vollzugsbehörden sowie rechtlich unverbindliche ‚Hinweise‘ an die Rechtsunterworfenen.73 Zu Recht gingen die Bundesländer gemeinsam von der Weitergeltung ihrer Landeswassergesetze aus, sie lassen sich mit Blick auf ihre Anpassungsmaßnahmen wie folgt einteilen: Länder, die 68 Die Impulse zur Rechtsetzung nimmt H. Hill, DÖV 1981, S. 487 (489 ff.) näher in Augenschein. 69 F. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 30. 70 M. Böckel, Instrumente der Einpassung neuen Rechts in die Rechtsordnung, 1993, S. 56. 71 M. Böckel, Instrumente der Einpassung neuen Rechts in die Rechtsordnung, 1993, S. 59 f. und BVerfGE 45, 400 (420 f.); 41, 251 (266 f.). 72 BVerfGE 45, 400 (420). 73 Die methodische Bewältigung von Rechtsänderungen durch den Norminterpreten nimmt D. Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 151 ff. in den Blick.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder105
– eine fristgerechte oder leicht verspätete Novellierung durchführten, – fristgerecht oder verspätet Vorschaltgesetze zumeist als Rechtsbereinigungs- und Anpassungsgesetze verabschiedeten, – sich längere Zeit lediglich mittels eines Anwendungserlasses behalfen. 2. Anpassungen und Abweichungen des Landeswasserrechts Die Inanspruchnahme der Befugnisordnung und die Verfahrensweise der Anpassungen des Landesrechts an einen geänderten Legislativrahmen gehören traditionell zu den rechtswissenschaftlichen Prüfsteinen, wenn es gilt, eine Verfassungsänderung im Bereich der konkurrierenden Kompetenzordnung zu bewerten. Ohne die teilweise stereotypen Vorbehalte gegen eine Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Gebiet des Wasserwirtschaftsrechts zu wiederholen, sei an ein Gutachten von Werner Wiedemann erinnert. Dieser untersuchte 1971 im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheitswesen vor dem Hintergrund der seinerzeit bereits bestehenden Vereinheitlichkeitsbestrebungen die Landeswassergesetze danach, ob und warum diese heterogen ausgeformt waren.74 Nach dem Befund von Wiedemann sei das Landesrecht mitunter tatsächlich sehr unterschiedlich ausgestaltet. Die vorgefundenen Divergenzen seien jedoch nicht auf regionale Besonderheiten oder sonstige tatsächliche Voraussetzungen zurückzuführen, sondern Ausfluss der jeweiligen politischen Präferenzen.75 An diesen Befund anknüpfend wird nachfolgend ein erster Überblick über die unterschiedliche Verfahrensweise gegeben. Dabei wird thematisiert, inwieweit die Länder bisher abweichende Regelungen erließen. Nach der Vorstellung des verfassungsändernden Gesetzgebers soll die Abweichungsgesetzgebung den unterschiedlichen strukturellen Voraussetzungen der Länder Rechnung tragen. Demgemäß wird nachstehend versucht, die Abweichungen danach zu klassifizieren, inwieweit die Dispositionen die Gewässerbewirtschaftung im engeren Sinne betreffen. Dies etwa, wenn die Abweichungen Anforderungen statuieren, die den Schutzstandard ändern oder die Abweichungen ‚lediglich‘ verfahrens- bzw. organisationsrechtlichen Charakter aufweisen bzw. eine Ausgleichs-, Schadensersatz- und Kostentragungspflicht betreffen. Freilich unterscheiden sich letztgenannte Tatbestände strukturell nicht von anderen Bestimmungen. Eine solche Differenzierung ist indessen ein gangbarer Weg, um einen ersten groben Überblick über die Abweichungen zu gewinnen und bestimmen zu können, inwieweit diese mit 74 W. Wiedemann, 75 W. Wiedemann,
in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 12 (1971), S. 5 ff. ebda., S. 51.
106 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
landesspezifischen hydromorphologischen Eigenschaften der Wasserkörper in Verbindung stehen. a) Baden-Württemberg Von den Flächenländern novellierte Baden-Württemberg sein Wasserrecht (zitiert als BadWttbgWG) als eines der letzten. Bis zum Inkrafttreten des Wassergesetzes für Baden-Württemberg vom 3. Dezember 201376 befanden sich auf der Internetpräsenz des zuständigen Ministeriums „Hinweise zu den Auswirkungen des neuen WHG nach dessen Inkrafttreten am 1. März 2010 auf das WG ab März 2010“.77 Das Hinweisblatt enthielt eine Synopse der geltenden Bundes- und Landesregelungen. Die Neufassung des Wassergesetzes mit seinen 128 Paragrafen führte insbesondere die Vorgaben zur Gewässereinteilung, zu den Eigentumsverhältnissen der Gewässer, zur Benutzung und Bewirtschaftung von Gewässern, zur Schifffahrt, zur Abwasserbeseitigung, zur Unterhaltung und zum Ausbau der Gewässer, zum Hochwasserschutz, zur wasserwirtschaftlichen Planung und Dokumentation und zu den Wasserbenutzungsabgaben fort.78 Soweit ersichtlich, enthält das Gesetz nur eine auf Art. 72 Abs. 3 GG gestützte Abweichung bezüglich des Gewässerschutzbeauftragten. § 52 BadWttbgWG betrifft den bisherigen § 45 h BadWttbgWG a. F. und weicht von den §§ 64 bis 66 WHG ab.79 b) Bayern Im Freistaat Bayern kam es im Zuge der Anpassung zu heftigen Kontroversen. Der Gesetzesentwurf der Staatsregierung wurde am 8. Dezember 2009 in den Landtag eingebracht. Stein des Anstoßes war unter anderem die Art der Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens, denn die Sachverständigenanhörung erfolgte zeitlich erst nach der abschließenden Beratung und Beschlussfassung des federführenden Ausschusses und den mitberatenden Ausschüssen.80 Überdies verabschiedete der Bayerische Landtag am 24. Fe76 Verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Wasserrechts in Baden-Württemberg vom 3. Dezember 2013, GBl., S. 389. 77 http://www.um.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/5800/ (zuletzt abgerufen am 22. Januar 2013). 78 So die Begründungserwägung in Landtag Baden-Württemberg, Drucks. 15/3760, S. 2. 79 Ebenda, S. 147. 80 Aufgrund des nach ihrer Auffassung zu hastig durchgeführten Verfahrens verließen am 21. Januar 2010 alle Oppositionsparteien den Sitzungssaal des Umweltausschusses, vgl. Protokoll der 22. Sitzung des Ausschusses für Umwelt und Ge-
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder107
bruar 2010 das neu geordnete Bayerische Wassergesetz (BayWG), ohne eine inhaltliche Plenardebatte abgehalten zu haben.81 Die 81 Vorschriften wurden am 26. Februar 2010 verkündet und traten damit fristgerecht zum 1. März 2010 in Kraft.82 Das Gesetz war bis zum 29. Februar 2012 befristet. Mit den am 16. Februar 2012 beschlossenen Änderungen wurde das Gesetz zum 29. Februar 2012 nochmals angepasst und erneut in Kraft gesetzt. Dabei nahm der Gesetzgeber zwei kleinere Anpassungen vor,83 indem er in den Art. 31 und 73 BayWG zwei von § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG abweichende Regelungen betreffend die Wasserschutzgebiete schuf. Im Übrigen wurden die Vorgaben für Ausgleichsleistungen in Wasserschutzgebieten nach Art. 32 Satz 1 Nr. 2 BayWG übernommen. Der Freistaat Bayern meldete 18 auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG und eine auf Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG beruhende abweichende Regelungen:84 – Art. 1 BayWG (Anwendungsbereich) weicht von § 2 Abs. 2 WHG ab, „weil das Regelbeispiel Straßenseitengräben nicht wegen ihrer wasserwirtschaftlich untergeordneten Bedeutung ausgenommen wird“;85 – Art. 15 BayWG (beschränkte Erlaubnis) weicht von § 10 Abs. 1 WHG und § 15 WHG ab; er führt in Absatz 1 eine andere Begrifflichkeit ein und schließt die Anwendung der besonderen Voraussetzungen der gehobenen Erlaubnis nach § 15 WHG aus; Absatz 2 bestimmt, unter welchen Prämissen eine beschränkte Erlaubnis zu erteilen ist;86 – Art. 17 BayWG (Umsetzung durch Rechtsverordnung); die Ermächtigung weicht u. a. von § 23 WHG ab, soweit sie eine landesrechtliche Ermächtigung geschaffen hat;87 – Art. 19 BayWG (Benutzung zu Zwecken der Fischerei) entkoppelt den Benutzungstatbestand abweichend von § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG vom Gemeingebrauch und stellt einen eigenständigen Befreiungstatbestand dar; sundheit vom 21. Januar 2010, S. 2 ff. und auch Bayerischer Landtag, Drucks. 16/2868. 81 Das Bayerische Wassergesetz vom 25. Februar 2010, Bay. GVBl. 2010, S. 66. 82 Näher dazu U. Drost u. a., BayVBl. 2013, S. 33 ff.; U. Drost, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 103 ff.; A. Széchényi/ D. Hopf, BayVBl. 2011, S. 357 ff. 83 Bayerischer Landtag, Drucks. 16/9902, S. 1 ff.; BGBl. I (2012), S. 2176. 84 BGBl. I (2012), S. 2176; BGBl. I (2010), S. 275 ff. 85 U. Drost u. a., BayVBl. 2013, S. 33 (34).11. 86 U. Drost u. a., BayVBl. 2013, S. 33 (36). 87 U. Drost u. a., BayVBl. 2013, S. 33 (37); Bayerischer Landtag, Drucks. 16/2868, S. 41: „Die Regelung ist abweichend, da in der Ermächtigungsregelung des Wasserhaushaltsgesetzes zu Gunsten des Bundes eine Sperrwirkung für Landesrecht zu sehen ist.“
108 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
– Art. 21 BayWG (Ausweisung von Gewässerrandstreifen) sieht abweichend von § 38 Abs. 2 bis 5 WHG eine vertragliche Begründung der Gewässerrandstreifenschutz vor; – Art. 23 BayWG (Übertragung der Unterhaltungslast) weicht von § 40 Abs. 2 WHG ab, indem eine differenziertere Regelung zur Übertragung (u. a. durch Vertrag) getroffen wird; – Art. 25 BayWG (Besondere Pflichten im Interesse der Unterhaltung); abweichend von § 41 Abs. 4 WHG werden zusätzliche Anforderungen für den Interessenausgleich mit anderen Gewässernutzern, Anliegern und Eigentümern statuiert; – Art. 27 BayWG (Festsetzung der Kostenbeiträge, des Kostenersatzes und der Kostenvorschüsse) weicht von § 42 Abs. 2 WHG ab, indem die dort angesprochene behördliche Festsetzung strittiger Kostenbeiträge konkretisiert wird; – Art. 30 BayWG (Erdaufschlüsse); abweichend von § 49 WHG werden ergänzende Vorgaben für die erforderlichen Unterlagen, die Beteiligung Dritter und die Ersetzung der Anzeige vorgesehen;88 – Art. 31 Abs. 3 und 4 BayWG (Öffentliche Wasserversorgung, Wasserund Heilquellenschutzgebiete); abweichend von § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG können Wasserschutzgebiete auch für die private Wassergewinnung ausgewiesen werden;89 – Art. 32 Satz 1 Nr. 2 BayWG (Ausgleich für schutzgebietsbedingte Belastungen) erweitert den Kreis der Anspruchsberechtigten für eine Ausgleichszahlung abweichend von § 52 Abs. 5 WHG; – Art. 38 BayWG (Gewässerschutzbeauftragte bei Körperschaften) weicht von der Bestellpflicht des § 64 Abs. 1 WHG ab, indem eine gesetzliche Bestellung vorgesehen ist; – Art. 46 Abs. 4 BayWG (Überschwemmungsgebiete an oberirdischen Gewässern) sieht abweichend von § 78 Abs. 1 Nr. 8 WHG eine Zulassungsmöglichkeit von Dauergrünlandumbruch vor; – Art. 62 Abs. 1 BayWG (Besondere Pflichten im Interesse der technischen Gewässeraufsicht) sieht eine von § 91 Satz 1 WHG abweichende Duldungspflicht und eine andere Ausgestaltung dieser Pflicht vor; – Art. 64 Satz 1 BayWG (Besondere Zuständigkeit bei integrierten Verfahren); gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG wird abweichend von § 18 Abs. 2 88 Der Gesetzgeber stützt sich dabei auf die Öffnungsklausel in § 49 Abs. 4 WHG, Bayerischer Landtag, Drucks. 16/2868, S. 43. 89 Vgl. Bayerischer Landtag, Drucks. 16/9902, S. 3.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder109
WHG die Geltung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Freistaates angeordnet;90 – Art. 69 Satz 1 und 2 BayWG (Verfahrensbestimmungen) sieht abweichend von §§ 18 Abs. 2, 21 Abs. 1, 70 Abs. 1 WHG vor, das Verwaltungsverfahrensgesetz des Freistaates Bayern und u. a. die für Planfeststellungen geltenden Verfahrensbestimmungen anzuwenden. Von den als abweichend deklarierten Bestimmungen sehen die Art. 1, 17, 23, 27, 32, 38, 62, 64, 69 BayWG Abweichungen vor, die überwiegend verfahrens- oder organisationsrechtlicher Natur sind oder die Schadensersatz-, Ausgleichs- und Kostentragungspflichten anbelangen, jedoch keine Standardveränderungen vorsehen. Das Bayerische Wassergesetz wirft einige kompetenzrechtliche Diskussionspunkte auf. Der Freistaat ging bei der Kennzeichnung abweichender Regelungen äußerst großzügig vor und vermeldete von allen Ländern im Bundesgesetzblatt die zahlreichsten abweichenden Vorgaben. Hingegen ist die Klassifizierung einiger Vorschriften als „abweichend“ sehr zweifelhaft. Tatsächlich weichen einige der Vorschriften wohl nicht vom korrespondierenden Bundesrecht ab oder bewegen sich wie Art. 15 BayWG in einem Spannungsverhältnis zu abweichungsfesten Bundesregelungen.91 Allgemein erheben sich gegen die Art. 15, 17, 30, 58 BayWG kompetenzielle Bedenken. Verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnet zudem die Verordnungsermächtigung des Art. 17 BayWG, die wohl keine abweichenden Vorgaben enthält.92 Gleiches gilt für Art. 30 BayWG, der als abweichend dokumentiert ist, tatsächlich aber wohl allein auf der einfachgesetzlichen Öffnungsklausel nach § 40 Abs. 5 WHG beruht.93 Ferner stellt Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG wohl eine unzulässige wortgleiche Wiederholung der Bundesregelung dar.94 c) Brandenburg Das Land Brandenburg (zitiert als BbgWG) nahm zum 19. Dezember 2011 eine einstufige Anpassung durch eine Rechtsbereinigung und Neufassung 90 Insoweit handelt es sich bei dem Verweis auf § 19 Abs. 2 WHG in BGBl. I (2010), S. 277 um ein Redaktionsversehen. 91 Nachstehend Kapitel 5 sub I. 2. b) bb) und Kapitel 7 sub II. 1. 92 Zu diesen Grundfragen und namentlich zu Art. 17 BayWG nachstehend in Kapitel 8 sub III. 93 So U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Stand Juli 2010, Art. 30 BayWG Rn. 3. 94 Darüber in Kapitel 5 sub I. 2.
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vor.95 Es verzichtete auf jedwede Abweichung und wirft auch sonst keine kompetenziellen Zweifelsfragen auf.96 Nicht frei von Bedenken war der Verzicht des Landes, nach dem Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes zumindest einen Hinweis auf die geänderte oder geltende Rechtslage zu veröffentlichen.97 d) Bremen Das novellierte Bremische Wassergesetz (zitiert als BremWG) trat am 29. April 2011 in Kraft.98 Soweit dies möglich war, enthält der Entwurf die bisherigen Regelungen des Bremischen Wassergesetzes.99 Innerhalb der 106 Vorschriften des Gesetzes weichen drei Bestimmungen nach Art. 72 Abs. 3 GG von vier Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes ab:100 – § 21 BremWG (Gewässerrandstreifen) bestimmt in den Absätzen 1 und 2 die Breite der Gewässerrandstreifen abweichend von § 38 Abs. 3 WHG101 sowie in Absatz 3 ein Verbot von Düngemitteln;102 – § 55 BremWG (Planfeststellung, Plangenehmigung) bestimmt das Außerkrafttreten eines Planes abweichend von § 70 WHG103 und 95 Zweites Gesetz zur Änderung wasserrechtlicher Vorschriften vom 19. Dezember 2011, GVBl. I, Nr. 33; Landtag Brandenburg, Drucks. 5/3021, 2. Neudruck, S. 1: „Von dem in Artikel 72 des Grundgesetzes festgeschriebenen (eingeschränkten) Abweichungsrecht der Länder wird im Sinne der bundesweiten Rechtsvereinheitlichung kein Gebrauch gemacht.“ 96 Mit umfassender Erörterung des Gesetzes C. Baum, LKV 2012, S. 207 (208 ff.). 97 Vielmehr ließen sich dem Internetauftritt des Ministeriums unter der Rubrik Wasser/Recht im April 2011 nähere Informationen über die „geltende“ Rahmengesetzgebung des Wasserhaushaltsgesetzes a. F. entnehmen. Auf Anfrage wurde dem Ratsuchenden mitgeteilt, das Land helfe sich übergangsweise mit regelmäßigen Schulungen der Wasserbehörden und einer nicht veröffentlichten Synopse, so die Antwort des Brandenburgischen Umweltministeriums vom 25.03.2010 auf eine Anfrage des Verfassers. 98 Das Gesetz wurde verkündet als Art. 1 Gesetz zur Anpassung des bremischen Rechts an das WHG vom 12. April 2011, Brem. GBl., S. 262. 99 Bremische Bürgerschaft, Mitteilung des Senats vom 15. Februar 2011, Drucks. 17/1650, S. 1. 100 Vgl. BGBl. I (2011), S. 1010 und S. 1047. 101 Abweichend von § 38 WHG sind diese innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) fünf Meter, im Außenbereich (§ 35 BauGB) mit Ausnahme von Be- und Entwässerungsgräben zehn Meter breit. 102 Zu der kritikwürdigen Praxis, dass manche landesgesetzlichen Vorschriften als abweichend deklariert wurden, obwohl sie auf Art. 72 Abs. 1 GG beruhen, vgl. in Kapitel 5 sub III. 103 Für den Fall, dass mit der Durchführung des Plans nach § 68 WHG nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen wird, kann
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder111
– § 96 BremWG (Verfahrensbestimmungen) weicht gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG von § 18 Abs. 2 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 2, § 70 Abs. 1 WHG ab, indem es die Geltung des Landesverfahrensrechts anordnet. Neben der Vorgabe zu Gewässerrandstreifen beschränkt sich das Bremische Wassergesetz allein auf verfahrens- bzw. organisationsrechtliche Bestimmungen und wirft bis dato keine erkennbaren Zweifelsfragen auf. e) Hessen Das Land Hessen novellierte sein Wassergesetz104 (zitiert als HessWG) in einem einstufigen Verfahren. Das Gesetz schreibt die bekannten Reglungen des Hessischen Wassergesetzes fort. Die 77 Paragraphen des Gesetzes traten am 24. Dezember 2010 in Kraft und weichen in drei Vorschriften von zwei Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes ab:105 – § 6 HessWG (Duldungspflichten bei Benutzungen der Gewässer) sieht eine abweichende Geltung der Duldungspflichten bei Benutzungen der Gewässer gemäß § 4 Abs. 4 WHG vor; – § 8 Abs. 1 HessWG (Verwaltungsverfahren) ordnet abweichend von § 70 Abs. 1 WHG die Geltung des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes an; – § 43 Abs. 1 HessWG (Planfeststellung und Plangenehmigung) ordnet abweichend von § 70 Abs. 1 WHG die Geltung des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes an. Abgesehen von § 6 HessWG sieht das Gesetz allein verfahrens- oder organisationsrechtliche Abweichungen vor und wirft soweit ersichtlich bisher keine kompetenziellen Zweifelsfragen auf.106 Mitunter wird auch die hessische Regelung zur Breite der Gewässerrandstreifen als nach Art. 72 Abs. 3 GG abweichend erachtet.107 Doch kann sich der Landesgesetzgeber hierzu auf Art. 72 Abs. 1 GG stützen, weil § 38 Abs. 3 WHG eine entsprechende Öffnungsklausel enthält.108 das Außerkrafttreten des Plans um höchstens weitere fünf Jahre auf Antrag verschoben werden. 104 Hessisches Wassergesetz (HessWG) vom 14. Dezember 2010, Hess. GVBl. I, S. 548. 105 BGBl. I (2011), S. 607. Teilweise abweichend der Befund bei H.-P. Schneider, Der neue deutsche Bundesstaat, 2013, S. 642 f. 106 Vgl. jedoch zu der eher abseitigen Frage einer Abweichung von Vorgaben des Gemeingebrauchs in Kapitel 7 sub II. 3 a). 107 So H.-P. Schneider, Der neue deutsche Bundesstaat, 2013, S. 642 f., der in der Öffnungsklausel des § 38 Abs. 3 Satz 2 WHG ein Redaktionsversehen erkennen will. 108 Näher zu den Öffnungsklauseln in Kapitel 5 sub II.
112 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
Übergangsweise wohl kaum vermeidlich, gleichwohl aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich, war der bis zur Neufassung gültige „Anwendungshinweis“ vom 2. Februar 2010.109 Diesem Anwendungshinweis ließ sich etwa zu § 4 Abs. 1 HessWG (Maßnahmenprogramm und Bewirtschaftungsplan) entnehmen, dass „§ 4 Abs. 1 HessWG weitgehend durch § 7 Abs. 2 bis 4 und §§ 82, 83 WHG“ ersetzt sei und dass § 5 HessWG (Information und Anhörung der Öffentlichkeit) „weitestgehend“ durch §§ 83 Abs. 4, 85 WHG verdrängt werde. Dem Rechtsanwender blieb es überlassen, durch eine differenzierte Auslegung zu ergründen, wie „weitgehend“ bzw. „weitestgehend“ das Landesrecht überlagert wurde. f) Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern führte ein zweistufiges Gesetzgebungsverfahren durch. Zunächst wurde für den Bereich des Wasserhaushalts am 23. Februar 2010 in einer Dringlichkeitssitzung ein Gesetz zur Bereinigung des Landeswasserrechts110 (zitiert als MecklVorpWG) als Vorschaltgesetz in Form eines reinen Rechtsbereinigungs- und Anpassungsgesetzes verabschiedet. Mit diesem Gesetz wurde fristgerecht das ab 1. März 2010 fortgeltende Landesrecht festgestellt,111 wobei vorerst auf Abweichungen verzichtet wurde. g) Niedersachsen Fristgerecht zum 1. März 2010 trat in Niedersachsen ein neu geordnetes Niedersächsisches Wassergesetz (zitiert als NdsWG) in Kraft.112 Das Gesetz umfasst 133 Paragraphen, wobei vom Bundesrecht abweichende landesrechtliche Regelungen explizit als „abweichend von …“ bezeichnet werden. Es übernimmt die nach dem neugefassten Wasserhaushaltsgesetz maximal noch möglichen Regelungen, die lediglich entsprechend der neuen Systematik angepasst und angeordnet wurden. Niedersachsen meldete acht nach 109 Der Anwendungshinweis war nicht speicherbar und eine nähere Begründung oder Erläuterung fehlte, jedoch wurden gleichsam kompensatorisch auf Seite 1 zwei Telefonnummern des Ministeriums angegeben. 110 Wassergesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LWaG) vom 30. November 1992, GVOBl. M-V, S. 669. 111 Gesetz zur Bereinigung des Landeswasserrechts vom 23. Februar 2010, GVOBl. M-V, S. 101. 112 Niedersächsischer Landtag, Drucks. 16/1900; Gesetz zur Neuregelung des Niedersächsischen Wasserrechts vom 19. Februar 2010, Nds. GVBl., S. 64. Dazu J. Schwind, NdsVBl. 2010, S. 345 ff.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder113
Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG abweichende Regelungen, davon bezogen sich eine auf das UVPG und sieben auf das Wasserhaushaltsgesetz:113 – § 5 Abs. 2 NdsWG (Bewilligung), danach sind die Betroffenen abweichend von § 14 Abs. 4 Satz 1 WHG zu entschädigen; – § 61 Abs. 3 NdsWG (Gewässerunterhaltung) bestimmt von § 39 Abs. 3 WHG abweichende Gewässerunterhaltungspflichten; – § 77 Abs. 2 NdsWG (Besondere Pflichten bei der Gewässerunterhaltung) erweitert abweichend von § 41 Abs. 4 WHG den Kreis derjenigen, die Schadensersatz beanspruchen können; – § 92 NdsWG (Besondere Anforderungen in Wasserschutzgebieten) weicht von § 52 Abs. 1 Satz 1 WHG ab, indem die dort vorgesehene Rechtsverordnung auch Bestimmungen für alle oder mehrerer Gebiete treffen kann; – § 109 Abs. 1, 2 und 3 NdsWG (Anwendbare Vorschriften, Verfahren) ordnet abweichend von § 70 WHG die Geltung des Landesverfahrensrechts an; – § 117 Abs. 2 Satz 1 NdsWG (Maßnahmenprogramm) sieht von § 82 Abs. 5 WHG eine Abweichung für die im Maßnahmenprogramm festzusetzenden Zusatzmaßnahmen vor; – § 120 Abs. 3 Satz 2 NdsWG (Wasserbuch) sieht von § 87 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WHG abweichende Eintragungspflichten für Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen vor; – Nummer 14, Anlage 1, Nds-UVPG weicht von dem Schwellenwert in Nummer 13.18.2 Anlage 1 UVPG ab.114 Von den Vorgaben sehen allein die §§ 61 und 117 NdsWG eine abweichende Regelung vor, die nicht vordergründig verfahrens- oder organisa tionsrechtlicher Natur ist oder die Schadensersatz-, Ausgleichs- und Kostentragungspflichten betrifft. Allgemein räumen die Abweichungen weitere Entschädigungsmöglichkeiten ein. Im weiteren Untersuchungsgang erörterungswürdig ist § 117 NdsWG.115 h) Nordrhein-Westfalen Eine umfängliche Anpassung des Landeswassergesetzes NordrheinWestfalen (zitiert als NordrhWestWG) war angesichts der Landtagswahl 113 BGBl. I
(2010), S. 970. Anlage 1 UVPG ist nicht stoff- oder anlagenbezogen. Näher zur Zulässigkeit von abweichenden Schwellenwerten in Kapitel 9 sub III. 115 Dazu Kapitel 6 sub II. 3. 114 Nr. 13.18.2
114 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
im Mai 2010 in der laufenden Legislaturperiode nicht möglich gewesen.116 Am 10. März 2010 verabschiedete der Landtag Nordrhein-Westfalens ein Gesetz zur Änderung des Landesforstgesetzes, des Landeswassergesetzes117 und des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Nordrhein-Westfalen.118 Im Einzelnen enthält das Landeswassergesetz durch das Änderungsgesetz „abweichende bzw. ergänzende Regelungen […] zu insgesamt fünf Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes“,119 von denen das Land bisher keine als abweichend im Bundesgesetzblatt vermeldet hat: – § 48 NordrhWestWG (Anlagen zur Wassergewinnung und zur Aufbereitung) ergänzend zu § 50 WHG, – § 59 NordrhWestWG (Einleiten von Abwasser in öffentliche Abwasseranlagen) ergänzend zu § 55 WHG, – § 59a NordrhWestWG (Einleiten von Abwasser in private Abwasseranlagen) ergänzend zu §§ 58, 59 WHG, danach findet eine behördliche Vorkontrolle in Gestalt der Genehmigung bei den privaten Kanalisationsnetzen erst mit einer Entwässerungsfläche von mehr als 3 ha statt und wird eine Anzeigepflicht für den Fall begründen, dass ein wasserwirtschaftlich bedeutsamer Wechsel bei einem Gewerbebetrieb am betreffenden Industriestandort stattfindet; – § 61a Abs. 6 Satz 3 und 7 NordrhWestWG ergänzend zu § 61 WHG, statuierte Vorgaben hinsichtlich der Sachkunde zur Durchführung der Dichtheitsprüfung von privaten Abwasseranlagen, wurde jedoch im März 2013 wieder aufgehoben;120 – § 90a NordrhWestWG (Gewässerrandstreifen) legt fest, dass auch bei Gewässern der 1. Ordnung die Breite des Randstreifens 5 m beträgt, während Absatz 2 eine Verbotsregelung zu Pflanzenschutzmitteln vorsieht. 116 M.
Paus, NuR 2010, S. 402 f. für das Land Nordrhein-Westfalen (Landeswassergesetz – LWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juni 1995, GV. NRW, S. 926. Zuletzt geändert durch Art. 3 UmweltÄndG vom 16. März 2010, GV. NRW, S. 185. 118 Gesetz zur Änderung des Landschaftsgesetzes und des Landesforstgesetzes, des Landeswassergesetzes und des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Nordrhein-Westfalen vom 2. Dezember 2009, Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucks. 14/10149. 119 Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucks. 14/10149, S. 3. Zur Neugestaltung des Wasserrechts in NRW Westfalen H. Spillecke, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 123 ff. 120 Gesetz zur Änderung des Landeswassergesetzes vom 5. März 2013, GV. NRW, S. 133 f. 117 Wassergesetz
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder115
Nach einer überschlägigen Prüfung weicht allein § 90a Abs. 3 Nordrh WestWG ab, wobei die Vorschrift die Öffnungsklauseln des § 38 Abs. 4 WHG für sich in Anspruch nehmen kann. Daneben sieht das Land veränderte Schwellenwerte für die UVP-Pflichtigkeit vor, die von den wasserrechtlichen Vorgaben der Nummern 13.1.3 (Abwasserbehandlungsanlagen), 13.2.1.3 (Anlagen zur intensiven Fischzucht) und 13.18.2 (Gewässerausbauvorgaben) der Anlage 1 UVPG ausweislich des Begründungstextes abweichen.121 Das novellierte Landeswassergesetz und das UVPG NW in den Fassungen vom 10. März 2010 enthalten die bisher umstrittensten Vorschriften. Ein intensiver Streit entbrannte darüber, ob die zwischenzeitlich auf Verordnungsebene122 verlagerte Dichtheitsprüfung gemäß § 61a NordrhWestWG a. F. verfassungsgemäß ist. In Frage stand, ob die Regelung des § 61a Nordrh WestWG a. F. zur Dichtheitsprüfung privater Abwasseranlagen durch einen Gutachter neben § 61 WHG Anwendung finden kann. Während die Gutachten von Stefan Muckel123 und des Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienstes des Landestags Nordrhein-Westfalen124 § 61a NordrhWestWG a. F. als verfassungswidrig erachteten, kam das vom Landtag in Auftrag gegebene Gutachten von Wolfgang Durner zu einem gegenteiligen Ergebnis.125 Der ebenfalls um eine Stellungnahme gebetene Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Peter Altmaier äußerte sich ebenfalls. Danach sei das Gutachten des Beratungs- und Gutachterdienstes „mit Erstaunen zur Kenntnis genommen“ worden und gelange zu einer „nicht nachvollziehbaren Interpretation des § 61 WHG.“126 Die Frage nach 121 Landtag
Nordrhein-Westfalen, Drucks. 14/10149, S. 4. zur Selbstüberwachung von Abwasseranlagen – Selbstüberwachungsverordnung Abwasser – SüwVO Abw vom 17. Oktober 2013, GV. NRW, S. 601 f. 123 S. Muckel, NWVBl. 2012, S. 1 (5) der resümierend vermerkt, das Land nutze mit seiner Regelung „weder einen ihm nach Art. 72 Abs. 1 GG verbliebenen Regelungsspielraum noch stehe ihm gem. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG die Kompetenz zur Abweichung vom bundesrechtlichen Wasserhaushaltsgesetz zu.“ 124 K. Aalbers, u. a., Ist die Vorschrift des § 61a Landeswassergesetz NRW, nach der private Abwasserkanäle bis spätestens Ende 2015 durch zugelassene Sachkundige auf Dichtheit zu prüfen sind, nach Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes des Bundes mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vereinbar?, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 15/181. 125 W. Durner, Rechtliches Kurzgutachten zur Frage der Geltung des § 61a LWG NRW, Landtag NRW, Vorlage 16/43; abgedruckt in: ders., W+B 2012, S. 4 ff. 126 Antwortschreiben des Bundesministers Peter Altmaier an den Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen Johannes Remmel, abgedruckt in Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/158, Anlage 1. 122 Verordnung
116 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
der Zulässigkeit der landesgesetzlichen Dichtheitsprüfung ist im Kern keine Problemstellung des neuen Kompetenzzuschnitts, sondern gründet sich in einer allgemeinen interpretatorischen Zweifelsfrage. Die verfassungsgemäße Vorschrift stützt sich auf Art. 72 Abs. 1 GG, weshalb ihr hier keine weitere Beachtung geschenkt werden soll. Differenzierter beurteilt sich indessen die Zulässigkeit abweichender Schwellenwerte für die Umweltverträglichkeitsprüfung, die im Kontext des Verfahrensrechts näher beleuchtet werden.127 i) Rheinland-Pfalz Das Land Rheinland-Pfalz (zitiert als RhPfWG) entschied sich für ein zweistufiges Verfahren. In einem ersten Schritt wurden vier Vorschriften des Landeswassergesetzes128 mittels eines Vorschaltgesetzes geändert.129 Zeitgleich wurde auf der Internetpräsenz des Ministeriums für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz eine Arbeitshilfe für die Anwendung von Regelungen des geltenden Landeswassergesetzes (Synopse) eingestellt. Im Jahr 2014 legte die Landesregierung einen Entwurf für ein Landesgesetz zur Neufassung des Landeswassergesetzes und zur Änderung weiterer wasserrechtlicher Regelungen vor.130 Das Gesetz enthält nunmehr sechs nach Art. 72 Abs. 3 GG abweichende Regelungen: – § 14 Abs. 1 RhPfWG (Erlaubnis und Bewilligung) weicht von § 8 Abs. 1 WHG ab, indem er die Erlaubnisfreiheit für Probeentnahmen und Einrichtungen wasserwirtschaftlicher Behörden vorsieht; – § 33 RhPfWG (Gewässerrandstreifen) sieht eine Delegationsnorm und Abweichungen von § 38 Abs. 2, 3 und 4 WHG vor, hierdurch können die Behörden abweichende Breiten und weitere Verbote festsetzten; – § 35 Abs. 4 Satz 1 RhPfWG (Gewässerunterhaltung) statuiert abweichend von § 40 Abs. 1 Satz 1 WHG, dass die Unterhaltungspflicht unter bestimmten Umständen den zur Nutzung der Ufergrundstücke Berechtigten obliegt; – §§ 54 Abs. 2 RhPfWG (Wasserschutzgebiete) und 55 Abs. 3 RhPfWG (Heilquellenschutz) sehen ein Verbot von Tiefbohrungen unter Einsatz 127 Nachfolgend
in Kapitel 9 sub III. für das Land Rheinland-Pfalz (Landeswassergesetz – LWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 2004, GVBl., S. 54. Zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz zur Änderung des LandeswasserG und des LandesabwasserabgabenG vom 28. September 2010 (GVBl., S. 299). 129 Landesgesetz zur Änderung des Landeswassergesetzes und des Landesabwasserabgabengesetzes vom 28. September 2010, GVBl., S. 299. Dazu auch BGBl. I (2014), S. 12. 130 Die Verabschiedung steht noch aus. 128 Wassergesetz
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder117
von Fracking-Technologie in Wasserschutzgebieten und Heilquellenschutzgebieten vor und weichen von § 52 Abs. 1 bis 3 WHG bzw. § 53 Abs. 5 WHG ab; – § 66 RhPfWG (Gewässerschutzbeauftragte bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften) regelt die Zuständigkeit als Gewässerschutzbeauftragte, wenn keine besondere Bestellung eines Gewässerschutzbeauftragten erfolgt, abweichend von § 64 Abs. 1 WHG; – § 84 RhPfWG (Besondere Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete) untersagt abweichend von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WHG in festgesetzten Überschwemmungsgebieten auch die kurzfristige Lagerung und Ablagerung von Gegenständen; – § 107 RhPfWG (Verfahren für Planfeststellungen) normiert gestützt auf Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG verfahrensrechtliche Abweichungen von § 70 Abs. 1 WHG. Das Gesetz sieht in den §§ 33, 54, 55 und 84 RhPfWG insgesamt leichte Standardverschärfungen vor und trifft ansonsten vordergründig Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung. Von den Vorschriften sticht § 14 RhPfWG hervor, der die Erlaubnisfreiheit für Einrichtungen wasserwirtschaftlicher Fachbehörden sowie für das Entnehmen von Wasser- und Sedimentproben aus Gewässern und deren Wiedereinleiten oder Wiedereinbringen regelt. Die Vorschrift statuiert eine Erlaubnisfreiheit, obwohl das stoff- und anlagenbezogene Zulassungsregime allgemein als abweichungsfest erachtet wird.131 j) Saarland Im Saarland (zitiert als SaarlWG) wurde ein zweistufiges Anpassungsverfahren durchgeführt. Zunächst trat am 24. Dezember 2010 ein reines Rechtsbereinigungsgesetz132 in Kraft, mit dem überwiegend rein redaktionelle Anpassungen des Landesrechts – die Fortgeltung des Saarländischen Wassergesetzes133 – vorgenommen wurden. Im Jahr 2014 folgten weitere 131 Zur Abweichungsfestigkeit des Zulassungsregimes in Kapitel 7 sub II. 1. Dies wird auf S. 100 der Entwurfsbegründung damit verteidigt, dass sich die Regelung nicht spezifisch auf Anlagen oder Stoffe bezieht, „sondern auf die Notwendigkeit (bzw. Nicht-Notwendigkeit) einer wasserrechtlichen Zulassung für bestimmte Tätigkeiten der Wasserbehörden und wasserwirtschaftlichen Fachbehörden, von denen zudem keine Gefährdungen oder Belastungen der Gewässer ausgehen.“ 132 Gesetz zur Bereinigung des Landeswasserrechts vom 18. November 2010, Amtsbl. I, S. 2588. Vgl. Gesetzentwurf der Staatsregierung, Landtag Saarland, Drucks. 4/240-Neu. 133 Saarländisches Wassergesetz vom 28. Juni 1960 in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Juli 2004, Amtsbl., S. 1994.
118 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
kleinere Anpassungen.134 Eine Synopse wurde nur für den internen Dienstgebrauch angefertigt und nicht publik gemacht.135 k) Sachsen Der Freistaat Sachsen wählte ein zweistufiges Verfahren. Zunächst trat mit Wirkung vom 15. Mai 2010 ein Vorschaltgesetz als Anpassungs- und Rechtsbereinigungsgesetz in Kraft,136 dass das Sächsische Wassergesetz137 (SächsWG) weitestgehend an das Wasserhaushaltsgesetz anpasste. Daneben veröffentlichte das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft im März 2010 eine „nichtamtliche Zusammenschreibung des ab dem 1. März 2010 geltenden WHG und des fortgeltenden SächsWG“. Im Jahr 2012 legte die Staatsregierung den Entwurf für eine vollständige Novellierung des Landeswasserrechts vor, der als Gesetz zur Änderung wasserrechtlicher Vorschriften am 8. August 2013 in Kraft trat.138 Danach enthält das Landeswassergesetz neun abweichende Regelungen.139 Das wasserrechtliche Zulassungsregime wurde, soweit es kompetenziell möglich ist, zusammengestrichen. Insbesondere vom Institut der Bewilligung und gehobenen Erlaubnis macht der Freistaat Sachsen keinen Gebrauch, was sich im Gesetz wie folgt niederschlägt: – § 6 Abs. 1 Satz 1 SächsWG (Erlaubnis und Bewilligung) untersagt abweichend von § 14 Abs. 1 WHG die Bewilligungserteilung für bestimmte nicht stoff- oder anlagenbezogene Benutzungstatbestände; – § 6 Abs. 1 Satz 2 SächsWG (Erlaubnis und Bewilligung) untersagt abweichend von § 15 WHG die Erteilung einer gehobenen Erlaubnis für bestimmte nicht disponible Benutzungstatbestände; – § 24 Abs. 2 SächsWG (Ufer und Gewässerrandstreifen) sieht eine von § 38 Abs. 2 Satz 1 und 2 WHG abweichende Breite des Gewässerrandstreifens vor; 134 Siebtes Gesetz zur Änderung des Saarländischen Wassergesetzes vom 3. Dezember 2013, Amtsbl. (2014), S. 2. 135 Antwort des Saarländischen Umweltministeriums vom 23. März 2010 auf eine Anfrage des Verfassers. 136 Gesetz zur Vereinfachung des Landesumweltrechts vom 23. September 2010, SächsGVBl., S. 270; Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Landesumweltrechts an das neue Bundesrecht aufgrund der Föderalismusreform, Sächsischer Landtag, Drucks. 5/1357. 137 Sächsisches Wassergesetz (SächsWG) in der Fassung vom 18. Oktober 2004, SächsGVBl., S. 482. 138 Gesetz zur Änderung wasserrechtlicher Vorschriften vom 12. Juli 2013, SächsGVBl., S. 503 ff. dazu B. Dammert/G. Brückner, LKV 2014, S. 1 ff. mit umfassender Erörterung des Gesetzes. 139 Vgl. BGBl. I (2014), S. 112 ff.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder119
– § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SächsWG (Ufer und Gewässerrandstreifen) verbietet abweichend von § 38 Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 WHG auch das nur zeitweise Ablagern bestimmter Gegenstände; – § 32 Abs. 1 Nr. 4 und 5 SächsWG (Träger der Unterhaltungslast) bestimmt von § 40 Abs. 1 Satz 1 WHG abweichende Regelungen zu den Unterhaltungslastträgern im Hinblick auf Häfen und sonstige künstliche Gewässer (Betreiber bzw. Hersteller und nicht wie im WHG der Eigentümer); – § 33 Abs. 1 Satz 1 SächsWG (Übertragung der Unterhaltungslast), abweichend von § 40 Abs. 2 WHG gilt das Zustimmungserfordernis nicht, wenn der Freistaat Sachsen Träger der Unterhaltungslast ist; – § 47 Abs. 1 SächsWG (Heilquellenschutz), danach zählen Gasvorkommen abweichend in § 53 Abs. 1 WHG nicht als Heilquellen; – § 74 Abs. 3 Satz Nr. 1 und 2 SächsWG (Besondere Vorschriften für bauliche Anlagen in Überschwemmungsgebieten) sieht abweichend von § 78 Abs. 3 Satz 2 WHG weitergehende Anforderungen an bauliche Anlagen in Überschwemmungsgebieten vor; – § 101 Abs. 1 Satz 2 SächsWG (Enteignung), die enteignungsrechtliche Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses wird abweichend von § 71 Satz 1 WHG kraft Gesetzes angeordnet. Die Änderungen sind geprägt vom Ziel der Deregulierung und Verfahrensbeschleunigung. Eine Besonderheit stellen die strengeren Vorgaben an den Hochwasserschutz dar, die eine Reaktion auf die sächsischen Hochwasser der letzten Jahrzehnte sind. Von den abweichenden Bestimmungen sehen die §§ 24, 47 und 74 SächsWG leichte Standardverschärfungen vor. Die weiteren Abweichungen sind überwiegend verfahrens- oder organisationsrechtlicher Natur. Kritisiert wurde § 1 Abs. 3 SächsWG,140 der § 1 BremWG nachgebildet ist. Danach gelten die Vorschriften des Gesetzes „in Ergänzung oder Abweichung des Wasserhaushaltsgesetzes in der jeweils maßgebenden Fassung.“ Diese Formulierung wurde bereits deshalb kritisiert, da sie sich „nicht auf einzelne konkrete Abweichungen bezieht“. Überdies sei sie nicht mit der Abweichungskompetenz vereinbar, soweit sie sich auf eine landesrechtliche „Rückabweichung“ von späterem Bundesrecht erstrecke.141 Indessen liegt dieser Kritik des Absatzes offenbar ein Missverständnis der Kompetenzin anspruchnahme zugrunde. Diese nur deklaratorische Klausel gibt lediglich Selbstverständliches wieder, nämlich die kompetenzrechtliche Ausgangslage, 140 So
H.-P. Schneider, Der neue deutsche Bundesstaat, 2013, S. 648 f.
141 Ebda.
120 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
und soll dem Rechtsanwender die Gesetzesinterpretation erleichtern. Dies ist insbesondere deshalb sachgerecht, weil eine exakte Festlegung, ob eine landesrechtliche Vorschrift konkretisiert, ausfüllt oder abweicht, mitunter nur schwer möglich ist. Überdies kann der Landesgesetzgeber insbesondere im Rahmen von Öffnungsklauseln gestützt auf Art. 72 Abs. 1 GG abweichende Regelungen vorsehen. l) Sachsen-Anhalt Das Land Sachsen-Anhalt (zitiert als SachsAnhWG) entschied sich für ein einstufiges Verfahren mit einer vollständigen Neufassung,142 die gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SachsAnhWG am 1. April 2011 in Kraft trat.143 Das Land meldete sechs abweichende Bestimmungen: – § 17 SachsAnhWG in der Fassung bis zum 31.03.2013 (Umsetzung durch Rechtsverordnung) weicht von § 23 WHG ab, indem u. a. ein Landesministerium zum abweichenden Verordnungserlass ermächtigt wird; – § 20 Abs. 2 SachsAnhWG (Bewilligung), danach sind die Betroffenen abweichend von § 14 Abs. 4 Satz 1 WHG zu entschädigen; – § 52 Abs. 1 SachsAnhWG (Umfang der Gewässerunterhaltung) bestimmt von § 39 Abs. 1 WHG abweichende Gewässerunterhaltungspflichten; – § 52 Abs. 3 SachsAnhWG (Umfang der Gewässerunterhaltung) bestimmt von § 39 Abs. 3 WHG abweichende Gewässerunterhaltungspflichten für ausgebaute Gewässer; – § 66 Abs. 2 SachsAnhWG (Besondere Pflichten bei der Gewässerunterhaltung) erweitert abweichend von § 41 Abs. 4 WHG den Kreis der Schadensersatzanspruchsberechtigten; – § 74 SachsAnhWG (Besondere Anforderungen an Wasserschutzgebiete), weicht von § 52 Abs. 1 Satz 1 WHG ab, indem die RVO auch Bestimmungen für alle oder mehrere Gebiete treffen kann.144 Von den Vorgaben sieht wohl allein § 52 SachsAnhWG materielle Abweichungen vor, die nicht vordergründig verfahrens- oder organisationsrechtlicher Natur sind bzw. die Schadensersatz-, Ausgleichs- und Kostentragungspflichten anbelangen. Bis zur Anpassung existierten keine veröffentlichten 142 Landtag
von Sachsen-Anhalt, Drucks. 5/2875. für das Land Sachsen-Anhalt vom 16. März 2011, GVBl. LSA,
143 Wassergesetz
S. 492. 144 Vgl. den Hinweis vom 11. April 2011, BGBl. I, S. 567.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder121
Hinweise auf die geltende Rechtslage. Die nötigen Vollzugshilfen wurden auf dem Dienstweg weitergegeben und nicht veröffentlicht.145 m) Schleswig-Holstein Das Wassergesetz des Landes Schleswig-Holstein146 (zitiert als SchlHWG) wurde mittels eines Vorschaltgesetzes als Anpassungs- und Rechtsbereinigungsgesetz nur kurze Zeit nach Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes am 26. März 2010 sowie später am 28. Oktober 2012 und am 7. Oktober 2013 teilweise an die neue Rechtslage angepasst.147 Das Land meldete neun nach Art. 72 Abs. 3 GG abweichende Vorschriften.148 Dies betraf: – § 38a SchlHWG (Gewässerrandstreifen) sieht eine von § 38 Abs. 3 WHG abweichende Einrichtung von Gewässerrandstreifen im Rahmen von Maßnahmenprogrammen und durch Vertrag vor; – § 39 Satz 2 SchlHWG (Unterhaltungslast bei Gewässern erster Ordnung) sieht eine von § 40 Abs. 2 WHG abweichende Übertragungsmöglichkeit der Unterhaltungspflicht vor; – § 40 SchlHWG (Unterhaltungspflicht bei Gewässern zweiter Ordnung) differenziert die Zuteilung der Unterhaltungslast abweichend von § 40 Abs. 1 WHG; – § 45 SchlHWG (Übernahme der Unterhaltung) weicht von § 40 Abs. 2 WHG ab, indem er differenziertere Voraussetzungen für eine Übertragung der Unterhaltungslast normiert; – § 49 Abs. 4 SchlHWG (Behördliche Entscheidungen zur Gewässerunterhaltung) weicht von § 42 Abs. 2 WHG ab, indem das Verhältnis der Kostenbeteiligung nur in bestimmten Konstellationen festgesetzt werden muss; – § 104 SchlHWG (Ausgleich) sieht eine von § 99 Satz 2 WHG abweichende Ausgleichsregelung vor; 145 Antwort des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt vom 1. April 2010 auf eine Anfrage des Verfassers. 146 Wassergesetz des Landes Schleswig-Holstein (Landeswassergesetz – LWG) in der Fassung vom 11. Februar 2008, GVOBl. Schl.-H., S. 91. Dazu T. Mohr, NordÖR 2011, S. 426 ff. und 474 ff. 147 Gesetz zur Änderung des Landeswassergesetzes und anderer wasserrechtlicher Vorschriften vom 19. März 2010, GVOBl. Schl.-H., S. 365 und Gesetz zur Änderung des Landeswasserrechtes vom 28. Oktober 2012, GVOBl. Schl.-H., S. 712 und Gesetz vom 7. Oktober 2013, GVOBl. Schl.-H., S. 391. 148 BGBl. I (2010). S. 1501.
122 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
– § 119 SchlHWG (Verfahren) bestimmt, dass die Bewilligung aus den in § 117 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 des Landesverwaltungsgesetzes SchlH genannten Gründen abweichend von § 18 Abs. 2 Satz 2 WHG widerrufen werden kann; – § 126 Abs. 1 Satz 1 SchlHWG (Anwendbare Vorschriften bei Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren) ordnet abweichend von § 70 Abs. 1 Halbs. 2 WHG die entsprechenden Bestimmungen des Landesverwaltungsgesetzes SchlH an; – § 127 Abs. 1 Satz 1 SchlHWG (Enteignungsrechtliche Vorwirkung, Enteignungsverfahren) erweitert abweichend von § 71 Satz 1 WHG den Kreis derjenigen, zu deren Gunsten eine Enteignung bestimmt werden kann. Bis auf § 38a SchlHWG sind die Abweichungen überwiegend verfahrensbzw. organisationsrechtlicher Natur oder betreffen die Schadensersatz-, Ausgleichs- und Kostentragungspflichtigkeit. Besondere regionale hydromorphologische Anforderungen sind mit den Abweichungen nicht verbunden. Den besonderen Anforderungen der Deiche und Küsten wurde in den §§ 62 ff. SchlHWG Rechnung getragen, ohne dass es Abweichungen bedurfte, da das Wasserhaushaltsgesetz diesbezüglich kaum Regelungen enthält. n) Thüringen Die Landesregierung brachte am 14. März 2012 einen Gesetzesentwurf für ein Thüringer Vorschaltgesetz zur Anpassung an das Wasserhaushaltsgesetz und Gesetz zur Änderung umweltrechtlicher Vorschriften in den Landtag ein,149 der bis 2014 nicht verabschiedet wurde. Bis dahin enthielt ein Hinweisblatt eine Synopse der geltenden Bundes- und Landesregelungen: „Hinweis zur Anwendbarkeit des Thüringer Wassergesetzes ab 1. März 2010“.150 Nach dem Entwurf soll das Gesetz in Art. 1 ein Vorschaltgesetz mit zehn Vorschriften und in Art. 2 eine Änderung von § 60 Abs. 1 Nr. 4 des bestehenden (sic!) Thüringer Wassergesetzes ThürWG enthalten. In diesem Vorschaltgesetz sollen ausweislich des Begründungstextes zwei abweichende Regelungen enthalten sein: – § 6 Abs. 2 ThürWG (Gewässerunterhaltung) abweichend von § 39 WHG; – § 7 Abs. 3 ThürWG (Schutz der oberirdischen Gewässer, der Ufer und der Gewässerrandstreifen) abweichend von § 38 WHG. 149 Thüringer
Landtag, Drucks. 5/4173.
150 http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmlnu/themen/wasser/hinweise
whg-th__rwg.pdf (zuletzt abgerufen am 22. Januar 2012).
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder123
o) Berlin und Hamburg Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg vermochten es als einzige Bundesländer bis zum Jahr 2014 nicht, ihr Landeswasserrecht anzupassen bzw. diesbezügliche Gesetzesentwürfe vorzulegen. 3. Der Meinungs- und Sachstand zur Dispositionsbefugnis im Wasserhaushaltsrecht im Überblick In den nachfolgenden Kapiteln wendet sich die Untersuchung den einzelnen Themenfragen und einfachgesetzlichen Vorschriften zu. Ihr soll deshalb zunächst eine Zusammenfassung derjenigen Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes vorangestellt werden, bei denen das Wasserhaushaltsgesetz ganz oder zumindest partiell indisponibel ist. Eine solche Abweichungsfestigkeit kann dabei aus nationalen Kompetenzbeschränkungen oder Bindungen an das Recht der Europäischen Union resultieren. Nachstehende Übersicht gibt ohne eine tiefer auslotende Bewertung die Kommentierung von Konrad Berendes151 und die bisher als abweichend gemeldeten oder gekennzeichneten Rechtsakte der Länder wieder.152 Nachstehende Übersicht soll nur einen vorbereitenden Überblick über die Abweichungsresistenz des Regelwerks vermitteln, dabei ist die verfassungsrechtliche Bewertung einzelner Vorschriften als abweichend mitunter zweifelhaft.153 Zudem gibt sie keine abschließende Auskunft über potentielle Abweichungsmöglichkeiten, weil einzelne Vorschriften lediglich partiell abweichungsfest sind. Die Übersicht zeigt gleichwohl jenes enge abweichungsfeste Korsett, in das die Länder eingebunden sind. Danach kann der Landesgesetzgeber über circa 28 Vorschriften vollständig disponieren, ist aber durch weitere verfassungsrechtliche und europäische Vorgaben beschränkt.154 Dabei verfügen die Länder für einen Großteil der Vorschriften über zumindest partielle Abweichungsmöglichkeiten. 151 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, C 10 E: bei den einzelnen Normen wurde die Randnummer am Ende der jeweiligen Kommentierung herangezogen. 152 Freistaat Bayern, BGBl. I (2010), S. 275, BGBl. I (2012), S. 2176; Freie Hansestadt Bremen, BGBl. I (2011), S. 1047; Land Hessen, BGBl. I (2011), S. 607 Land Niedersachsen, BGBl. I (2010), S. 970; Freistaat Sachsen, BGBl. I (2011), S. 842; Land Sachsen-Anhalt, BGBl. I (2011), S. 567; Land Schleswig-Holstein, BGBl. I (2010), S. 1501. Für das Land Rheinland-Pfalz wurde die entsprechende Drucksache des Landtags herangezogen, Landtag Rheinland-Pfalz, Drucks. 15/4568, S. 7 und 8. 153 Darüber später in den Kapiteln 6 und 7. 154 Zu den Anforderungen an eine Abweichungsgesetzgebung in den Kapiteln 3 und 4.
124 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform Nachfolgende Vorschriften unterliegen zumindest partiell: 1. einem stoff- oder anlagenbezogenen Anwendungsbereich, 2. einer indisponiblen Kompetenz des Bundes nach Art. 73, 74 GG, 3. supranationalen Vorgaben und sind insoweit limitiert disponibel, 4. einer abweichenden Regelung durch die Länder.
1.
2.
3.
4.
§ 1 Zweck § 2 Anwendungsbereich
§ 3 Begriffsbestimmungen
§ 4 Gewässereigentum, Schranken des Grundeigentums
156
§ 5 Allgemeine Sorgfaltspflichten
§ 6 Allgemeine Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung
§ 7 Bewirtschaftung nach Flussgebietseinheiten
§ 8 Erlaubnis, Bewilligung
§ 9 Benutzungen
§ 10 Inhalt der Erlaubnis und der Bewilligung
§ 11 Erlaubnis-, Bewilligungsverfahren § 12 V oraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis und der Bewilligung, Bewirtschaftungsermessen
155
157
158
§ 13 Inhalts- und Nebenbestimmungen der Erlaubnis und der Bewilligung § 14 Besondere Vorschriften für die Erteilung der Bewilligung
159
§ 15 Gehobene Erlaubnis
160
§ 16 Ausschluss privatrechtlicher Abwehransprüche
§ 17 Zulassung vorzeitigen Beginns
§ 18 Widerruf der Erlaubnis und der Bewilligung
§ 19 Planfeststellungen und bergrechtliche Betriebspläne
161 162
15 6 7 8 9 0 1 2
155 Art. 1
Abs. 1 Nr. 2 BayWG. HessWG. 157 § 14 Abs. 1 RhPfWG. 158 Art. 15 BayWG von § 10 Abs. 1 WHG. 159 § 5 Abs. 2 NdsWG; § 20 Abs. 2 SachsAnhWG; § 6 Abs. 1 Satz 1 SächsWG. 160 Art. 15 BayWG; § 6 Abs. 1 Satz 2 SächsWG. 161 Art. 69 Satz 1 und 2 BayWG; § 96 Abs. 1 BremWG. 162 Art. 64 Abs. 1 BayWG; § 96 Abs. 1 BremWG. 156 § 6
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder125 Nachfolgende Vorschriften unterliegen zumindest partiell: 1. einem stoff- oder anlagenbezogenen Anwendungsbereich, 2. einer indisponiblen Kompetenz des Bundes nach Art. 73, 74 GG, 3. supranationalen Vorgaben und sind insoweit limitiert disponibel, 4. einer abweichenden Regelung durch die Länder.
1.
2.
3.
4.
§ 20 Alte Rechte und alte Befugnisse § 21 Anmeldung alter Rechte und alter Befugnisse
§ 22 Ausgleich zwischen konkurrierenden Gewässerbenutzungen
163
164
§ 23 Rechtsverordnungen zur Gewässerbewirtschaftung § 24 Erleichterungen für EMAS-Standorte § 25 Gemeingebrauch
§ 26 Eigentümer- und Anliegergebrauch
165
§ 27 Bewirtschaftungsziele für oberirdische Gewässer
§ 28 Einstufung künstlicher und erheblich veränderter Gewässer
§ 29 Fristen zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele
§ 30 Abweichende Bewirtschaftungsziele
§ 31 Ausnahmen von den Bewirtschaftungszielen
§ 32 Reinhaltung oberirdischer Gewässer
§ 33 Mindestwasserführung
§ 34 Durchgängigkeit oberirdischer Gewässer
§ 35 Wasserkraftnutzung
§ 36 Anlagen in, an, über und unter oberirdischen Gewässern
§ 37 Wasserabfluss
§ 38 Gewässerrandstreifen
§ 39 Gewässerunterhaltung 163 4 5 7
163 Art. 69
166 167
(Fortsetzung nächste Seite)
Satz 1 und 2 BayWG; § 96 Abs. 1 BremWG. BayWG; § 17 SachsAnhWG in der Fassung bis zum 31.03.2013. 165 Art. 19 BayWG. 166 Art. 21 BayWG; § 38a SchlHWG; § 33 RhPfWG; § 21 BremWG; § 24 SächsWG. 167 Art. 23 BayWG; § 52 Abs. 3 SachsAnhWG; § 61 Abs. 3 NdsWG. 164 Art. 17
126 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform Tabelle (Fortsetzung) Nachfolgende Vorschriften unterliegen zumindest partiell: 1. einem stoff- oder anlagenbezogenen Anwendungsbereich, 2. einer indisponiblen Kompetenz des Bundes nach Art. 73, 74 GG, 3. supranationalen Vorgaben und sind insoweit limitiert disponibel, 4. einer abweichenden Regelung durch die Länder.
1.
2.
3.
4.
§ 40 Träger der Unterhaltungslast
168
§ 41 Besondere Pflichten bei der Gewässerunterhaltung
169
§ 42 Behördliche Entscheidungen zur Gewässerunterhaltung
170
§ 43 Erlaubnisfreie Benutzungen von Küstengewässern § 44 Bewirtschaftungsziele für Küstengewässer § 45 Reinhaltung von Küstengewässern
§ 45a Bewirtschaftungsziele für Meeresgewässer171
§ 45b Zustand der Meeresgewässer
§ 45c Anfangsbewertung
§ 45d Beschreibung des guten Zustands der Meeresgewässer
§ 45e Festlegung von Zielen
§ 45f Überwachungsprogramme
§ 45g F ristverlängerungen; Ausnahmen von den Bewirtschaftungszielen
§ 45h Maßnahmenprogramme
§ 45i Beteiligung der Öffentlichkeit
§ 45j Überprüfung und Aktualisierung
§ 45k Koordinierung
§ 45l Z uständigkeit im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels
168 9 70
168 §§ 39 Satz 2, 40, 45 SchlHWG; §§ 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 SächsWG; Art. 23 BayWG; § 35 Abs. 4 Satz 1 RhPfWG. 169 Art. 25 BayWG; § 66 Abs. 2 SachsAnhWG; § 77 Abs. 2 NdsWG. 170 Art. 27 BayWG; § 49 Abs. 4 SchlHWG. 171 Die Bestimmungen wurden mit dem Gesetz zur Umsetzung der Meeresstrategierahmenrichtlinie sowie zur Änderung des Wasserstraßengesetzes und des KrW- / AbfG vom 6. Oktober 2011 eingefügt, BGBl. I, S. 1986.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder127 Nachfolgende Vorschriften unterliegen zumindest partiell: 1. einem stoff- oder anlagenbezogenen Anwendungsbereich, 2. einer indisponiblen Kompetenz des Bundes nach Art. 73, 74 GG, 3. supranationalen Vorgaben und sind insoweit limitiert disponibel, 4. einer abweichenden Regelung durch die Länder.
1.
§ 46 Erlaubnisfreie Benutzungen des Grundwassers
§ 47 Bewirtschaftungsziele für das Grundwasser
2.
3.
4.
§ 48 Reinhaltung des Grundwassers
§ 49 Erdaufschlüsse
§ 50 Öffentliche Wasserversorgung
§ 51 Festsetzung von Wasserschutzgebieten
172
173
§ 52 Besondere Anforderungen in Wasserschutzgebieten
174
§ 53 Heilquellenschutz
175
§ 54 Abwasser, Abwasserbeseitigung
§ 55 Grundsätze der Abwasserbeseitigung
§ 56 Pflicht zur Abwasserbeseitigung § 57 Einleiten von Abwasser in Gewässer
§ 58 Einleiten von Abwasser in öffentliche Abwasseranlagen
§ 59 Einleiten von Abwasser in private Abwasseranlagen
§ 60 Abwasseranlagen
§ 61 S elbstüberwachung bei Abwassereinleitungen und Abwasser anlagen
§ 62 A nforderungen an den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen
§ 63 Eignungsfeststellung
§ 64 Bestellung von Gewässerschutzbeauftragten
176
§ 65 Aufgaben von Gewässerschutzbeauftragten 172 3 4 5 6
172 Art. 30
(Fortsetzung nächste Seite)
BayWG. Abs. 3 und 4 BayWG. 174 Art. 32 BayWG; § 74 SachsAnhWG; § 92 NdsWG; § 54 Abs. 2 RhPfWG. 175 § 47 Abs. 1 SächsWG; § 55 Abs. 3 RhPfWG. 176 Art. 38 BayWG; § 66 RhPfWG. 173 Art. 31
128 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform Tabelle (Fortsetzung) Nachfolgende Vorschriften unterliegen zumindest partiell: 1. einem stoff- oder anlagenbezogenen Anwendungsbereich, 2. einer indisponiblen Kompetenz des Bundes nach Art. 73, 74 GG, 3. supranationalen Vorgaben und sind insoweit limitiert disponibel, 4. einer abweichenden Regelung durch die Länder.
1.
2.
3.
4.
§ 66 Weitere anwendbare Vorschriften § 67 Grundsatz, Begriffsbestimmung
§ 68 Planfeststellung, Plangenehmigung
§ 69 Abschnittsweise Zulassung, vorzeitiger Beginn
177
§ 70 Anwendbare Vorschriften, Verfahren § 71 Enteignungsrechtliche Vorwirkung
§ 72 Hochwasser
178
§ 73 Bewertung von Hochwasserrisiken, Risikogebiete
§ 74 Gefahrenkarten und Risikokarten
§ 75 Risikomanagementpläne
§ 76 Überschwemmungsgebiete an oberirdischen Gewässern § 77 Rückhalteflächen § 78 B esondere Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete
179
§ 79 Information und aktive Beteiligung
§ 80 Koordinierung
§ 81 Vermittlung durch die Bundesregierung § 82 Maßnahmenprogramm
§ 83 Bewirtschaftungsplan
§ 84 Fristen für Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne
180
17 8 9 0
177 Art. 69 Satz 1 und 2 BayWG; §§ 55 und 96 BremWG; § 109 Abs. 1, 2 und 3 NdsWG; §§ 8 und 43 HessWG; § 126 Abs. 1 Satz 1 SchlHWG; § 107 RhPfWG. 178 § 127 Abs. 1 Satz 1 SchlHWG; § 101 Abs. 1 Satz 2 SächsWG. 179 Art. 46 Abs. 4 BayWG; § 84 Abs. 1 RhPfWG; § 74 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 SächsWG. 180 § 117 Abs. 2 Satz 1 NdsWG.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder129 Nachfolgende Vorschriften unterliegen zumindest partiell: 1. einem stoff- oder anlagenbezogenen Anwendungsbereich, 2. einer indisponiblen Kompetenz des Bundes nach Art. 73, 74 GG, 3. supranationalen Vorgaben und sind insoweit limitiert disponibel, 4. einer abweichenden Regelung durch die Länder.
1.
2.
§ 85 Aktive Beteiligung interessierter Stellen
3.
4.
§ 86 Veränderungssperre zur Sicherung von Planungen
§ 87 Wasserbuch
§ 88 Informationsbeschaffung und -übermittlung
§ 89 Haftung für Änderungen der Wasserbeschaffenheit
181
§ 90 Sanierung von Gewässerschäden
§ 91 Gewässerkundliche Maßnahmen
§ 92 Veränderung oberirdischer Gewässer
182
§ 93 Durchleitung von Wasser und Abwasser § 94 Mitbenutzung von Anlagen
§ 95 Entschädigung für Duldungs- und Gestattungsverpflichtungen § 96 Art und Umfang von Entschädigungspflichten
§ 97 Entschädigungspflichtige Person
§ 98 Entschädigungsverfahren § 99 Ausgleich
§ 100 Aufgaben der Gewässeraufsicht § 101 Befugnisse der Gewässeraufsicht § 102 G ewässeraufsicht bei Anlagen und Einrichtungen der Verteidigung § 103 Bußgeldvorschriften
§ 104 Überleitung bestehender Erlaubnisse und Bewilligungen
§ 105 Überleitung bestehender sonstiger Zulassungen
§ 106 Überleitung bestehender Schutzgebietsfestsetzungen 18 2 3
181 § 120
Abs. 3 Satz 2 NdsWG. Abs. 1 BayWG. 183 § 104 SchlHWG. 182 Art. 62
183
130 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
Schließt man sich der Bewertung von Berendes – einem der Verfasser des neuen Wasserhaushaltsgesetzes – an, so lassen sich bei circa 48 der 106 Paragraphen des Wasserhaushaltsgesetzes indisponible stoff- oder anlagenbezogene Regelungsgehalte feststellen.184 Diese weitreichende Indisponibilität des Normprogramms resultiert unter anderem aus dem Querschnittscharakter zahlreicher Vorschriften, vgl. dazu nur die §§ 1 bis 24 WHG.185 Den vorbezeichneten Bestimmungen liegt oftmals ein stoff- oder anlagenbezogener Vorgang zugrunde.186 Überdies stützt sich der Bundesgesetzgeber auf weitere Kompetenztitel, für die das Grundgesetz keine Abweichungsbefugnisse einräumt.187 Die kompetenz-188 oder europarechtlich zumindest partiell abweichungsresistenten Vorschriften summieren sich somit auf nahezu drei Viertel des Gesamtregelwerks. Die Länder sind also stark und pfadabhängig an die bundesgesetzlichen Vorgaben gebunden. Dieses nur rechtstatsächliche Bild des abweichungsfesten Bereichs gibt jedoch keinen abschließenden Aufschluss darüber, wie weit die landesrechtliche Gestaltungsbefugnis im Bereich des Wasserhaushaltsrechts insgesamt reicht. Gleichwohl bestätigt sich diese Feststellung in den bislang novellierten Landeswassergesetzen, die von der Abweichungsbefugnis nur zurückhaltend Gebrauch machen. Die im Überblick dargestellte Disponibilität des Regelwerks ist für einige Vorschriften noch eingehend zu prüfen. Der wenig differenzierte Befund ist jedoch für die Bewertung der Verfassungsreform 2006 durchaus von Bedeutung. Denn einige der seither debattierten verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen und der darauf beruhenden Lösungsmodelle stellen sich zumindest für den Bereich des Wasserhaushaltsrechts in praxi letztlich nicht. Demgegenüber wäre es ein Zirkelschluss, aus der rechtstatsächlichen Inanspruchnahme des Kompetenzregimes und der dabei auftretenden Konflikte Rückschlüsse auf die dogmatischen Grundlagen der Abweichungskompetenz zu ziehen.
184 Siehe dazu die Ausführungen von K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, C 10 E. Das vorbenannte Ergebnis resultiert aus einer Zusammenführung der Kommentierung zu den jeweiligen Paragraphen. 185 Den Vorgaben mit Querschnittscharakter widmet sich Kapitel 7 sub I. 1. 186 Paradigmatisch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 10/13, § 72 WHG Rn. 7 – zum Begriff des Hochwassers, der nur hinsichtlich des stoff- oder anlagenbezogenen Hochwasserrechts abweichungsresistent ist. 187 Siehe nachstehend unter Kapitel 4 sub III. 188 Hierzu zählen etwa Vorgaben, die auf der Kompetenz zur Regelung des Bürgerliche Rechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG beruhen.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder131
4. Resümierende Stellungnahme Die Darstellung der Anpassungsverfahren und die kursorische Zusammenfassung der abweichenden Regelungen erlauben es, drei im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geäußerte Erwartungen zu überprüfen. Einerseits wurde prognostiziert, die sechsmonatige Karenzzeit des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG sei deutlich zu kurz bemessen (nachstehend sub 1.) und andererseits ganz allgemein die Erwartung geäußert, eine intensiv betriebene Abweichungsgesetzgebung werde zu einem normativen ‚Flickenteppich‘189 führen (nachstehend sub 2.). Überdies eröffne Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG Räume zu einem ‚Dumpingwettbewerb‘ um die niedrigsten Umweltstandards (nachstehend sub 3.). a) Die zu kurz bemessene Karenzzeit Den Ländern oblag es, innerhalb von nur sechs Monaten bis zum 1. März 2010 ihr vollzugsbewährtes Landesrecht an ein weitgehend neues Regelwerk anzupassen. Vielfach behalfen sich die Länder mit Vorschaltgesetzen in Form von Rechtsbereinigungs- und Anpassungsgesetzen. Eine Generalbereinigung in einem geordneten Verfahren war aufgrund der unterschiedlichen Legislaturperioden und der damit verbundenen Diskontinuität190 nicht realisierbar, so etwa in Nordrhein-Westfalen und im Freistaat Sachsen, die am 9. Mai 2010 bzw. am 30. August 2009 ihre Landesparlamente wählten. Es ist auch aus rechtsstaatlichen Aspekten sachgerecht, die Anpassung an das neue Bundesrecht zweistufig erfolgen zu lassen. Die zeitnahe Anpassung und Rechtsbereinigung sichert die Kontinuität des Vollzugs und bewährter landesrechtlicher Umweltstandards.191 Vielfach war indessen selbst eine solche Vorschaltgesetzgebung nicht sogleich möglich. Das Vorgehen der meisten Länder, sich mit Vorschaltgesetzen zu behelfen, resultierte nicht aus mangelnder Leistungsfähigkeit der Ministerialverwaltungen als vielmehr aus dem Willen des Bundesgesetzgebers, das Wasserhaushaltsgesetz in kürzester Zeit bis zum 1. Januar 2010 zu verabschieden.192
189 So die Diktion von F. Kirchhof, Anhörung zur Föderalismusreform am 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 10. 190 Darüber anschaulich N. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 208 ff. 191 Vgl. das Gesetz zur Neuregelung des Niedersächsischen Wasserrechts vom 19. Februar 2010, Nds. GVBl., Nr. 5/2010 vom 25. Februar 2010, S. 64 mit seinen 133 Vorschriften. 192 Gemäß Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG vermögen es die Länder, „spätestens ab dem 1. Januar 2010“ abweichende Regelungen nach Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG zu erlassen.
132 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
Anwendungserlasse oder Vorschaltgesetze werden auch weiterhin zu erwarten sein. Dies etwa dann, wenn der Bundesgesetzgeber europäischen Transformationspflichten nachkommt und die Länder nicht sogleich ihre Vorschriften anpassen können. Aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich ist in diesem Zusammenhang die Vorgehensweise eines potentiell ‚leistungsstarken‘ Bundeslandes wie Baden-Württemberg. Dieses verzichtete auf eine Anpassung und Rechtsbereinigung des Landeswassergesetzes, was angesichts der wasserrechtlichen Vollregelung für einen kurzen Zeitraum noch vertretbar war. Fragwürdig ist indessen der Umgang mit dem Rechtsunterworfenen hinsichtlich des Zeitraums von vier Jahren, in denen er auf der Internetpräsenz des Ministeriums lediglich „Hinweise zu den Auswirkungen des neuen WHG nach dessen Inkrafttreten am 1. März 2010 auf das WG“ vorfand. Darin heißt es: „Zur Übersicht, welche Regelungen des geltenden WG durch das neue WHG verdrängt werden und welche weiterhin – bis zu einer umfassenden Neuregelung des WG – anzuwenden sind, enthält der nachstehende Text des WG Hinweise mittels durchgestrichenem Text (wird durch das neue WHG verdrängt), unverändertem Text (ist weiterhin anzuwenden) und Kursivdruck (stimmt mit neuen WHG-Regelungen im Wesentlichen überein). Im Falle der inhaltlich im Wesentlichen gleichen Regelungen haben die Vorschriften des WHG Vorrang; aus dem WG können sich jedoch Konkretisierungen ergeben.“193
Damit wird die Aufgabe der exakten Normtextermittlung bzw. des Rechtsanwendungsbefehls gleichsam externalisiert. Dem Rechtsanwender oblag die Aufgabe, das Normgefüge auf „Konkretisierungsmöglichkeiten“ zu überprüfen und im Wasserhaushaltsgesetz 2010 die Vorschriften aufzuspüren, auf die das Landesrecht mit Blick auf das Wasserhaushaltsgesetz 2002 verwies. Dem Gesetzgeber obliegt es, den Normtext zeitnah rechtsförmlich festzustellen und sich nicht allein auf die Erstellung eines Hinweisblattes zurückzuziehen. Zudem sind keine sachlichen Gründe dafür ersichtlich, zumindest den Anpassungs- und Rechtsbereinigungsprozess derart zu verzögern.194 Diese praktischen Umsetzungsdefizite wurden bereits im Rahmen der Verfassungsreform thematisiert: „In vielen Fällen werden die Länder nicht in der Lage sein, innerhalb dieser 6 Monate ein Gesetz zu erlassen, erst recht, wenn Landtagswahlen und Regierungsneubildung anstehen. Deshalb wird in der Praxis das Bundesgesetz trotz dieser Frist in Kraft treten und erst anschließend von einem Abweichungsgesetz verdrängt werden.“195 193 http://www.um.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/1800/Hinweise_WHG_WG. pdf (abgerufen am 1. März 2013. 194 Die Problematik bestand bereits in Ansehung des Wasserhaushaltsgesetzes von 1959, vgl. P. Gieseke, in: ders. (Hg.), RdWWi, Bd. 9 (1961), S. 7 (8 f.). 195 J. Ruthig, Stellungnahme anlässlich der Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 215.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder133
Mit Blick auf die Karenzzeit des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG äußerte ein mit dem Hessischen Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz196 befasster Referatsleiter prägnant: „Angesichts der Beteiligungsfristen ist ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren mit einem Gesetzentwurf der Landesregierung in Hessen insoweit ausgeschlossen.“197
Es erschließt sich deshalb nicht vollständig, weshalb der Bundesgesetzgeber das Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 nicht in Abstimmung mit den Ländern und mit Rücksicht auf die zu erlassende Ergänzungs- bzw. Abweichungsgesetzgebung verschob. Bereits bei Erlass des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27. Juni 1957 wurde der Termin des Inkrafttretens durch ein am 19. Februar 1959 verabschiedetes Änderungsgesetz vom 1. März 1959 auf den 1. März 1960 verlegt.198 Trotz der Verschiebung gelang es seinerzeit weder dem Freistaat Bayern noch dem Land Nordrhein-Westfalen, ihre Landeswassergesetze fristgerecht zu verabschieden, weshalb sie sich mit Übergangsgesetzen behalfen.199 Diese Übergangsgesetze legten fest, welche Vorschriften des bisher geltenden Rechts in Kraft blieben und welche durch das Wasserhaushaltsgesetz vom 27. Juni 1957 zu ersetzen waren. Gleichwohl ließ der Reformgesetzgeber des Jahres 2009 diese Erfahrung unberücksichtigt. Als Alternative bot sich etwa an, den vorläufigen Fortbestand des Landesrechts im Wasserhaushaltsgesetz mittels einer Klausel festzuschreiben, wie sie durch den Bundesrat eingebracht worden war.200 Im Rückblick erscheint die seinerzeit ablehnende Antwort der Bundesregierung unschlüssig.201 Im Gegensatz zum ebenfalls neu geordneten Bereich der Raumordnung hielt die Bundesregierung eine solche Klausel für das Wasserhaushaltsgesetz für entbehrlich, da das bestehende Landesrecht auch ohne eine vom Bundesrat geforderte einfachgesetzliche Klausel bereits gemäß Art. 72 Abs. 1 GG gilt.202 Eine solche Klausel hätte es immerhin ver196 Art. 1
des Gesetzes vom 20. Dezember 2010, HessGVBl. I, S. 629. LKRZ 2011, S. 401 (402). 198 Vgl. BGBl. I (1959), S. 37. 199 In Bayern durch das Gesetz vom 22. Februar 1960 (GVBl., S. 15). In Nordrhein-Westfalen durch Gesetz vom 24. Februar 1960 (GVBl., S. 17), zu diesem trat ein Ministerialerlass vom 8. März 1960. 200 Vgl. BR-Drucks. 280/1/09, S. 71 f.: „§ 107 Anwendungsvorschrift für Landesrecht Am …. [einsetzen: Datum des Tages des Inkrafttretens dieses Gesetzes nach Artikel 24 Absatz 2 Satz 1] geltendes Landesrecht, das die Vorschriften dieses Gesetzes, insbesondere die §§ 8, 20, 32 bis 35, 37 bis 42, 49 bis 51, 53, 54 Absatz 2, §§ 55 bis 57, 60 bis 63, 67, 73 bis 76, 78, 80, 82, 83, 87, 88, 91 bis 94, 99, 101 ergänzt, bleibt unberührt.“ 201 BT-Drucks. 16/13306, S. 33. 202 Raumordnungsgesetz vom 22. Dezember 2008, BGBl. I, S. 2986, das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 geändert worden ist, BGBl. I, S. 2585. 197 M. Baum,
134 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
mocht, die ergänzende Weitergeltung des Landesrechts neben verdrängenden abschließenden Bundesvorschriften anzuordnen und ein erhöhtes Maß an Rechtsklarheit zu schaffen. b) Die ‚exzessiv‘ gebrauchte Dispositionsbefugnis Die bis dato vorliegenden Abweichungen offenbaren einen sehr verantwortungsbewussten Umgang der Länder mit der erweiterten Rechtsgestaltungsmacht. Die vielfach vorgetragene Besorgnis eines ‚exzessiven‘ Gebzw. Missbrauchs der Dispositionsmacht203 sowie eines „Flickenteppichs“204 zwischen den Ländern im Umweltbereich bestätigt sich jedenfalls für das Wasserwirtschaftsrecht nicht. Werden im Verlauf dieser Untersuchung bezüglich einzelner Vorschriften verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, so sind diese wohl weniger auf eine Fehlinterpretation des Kompetenzrahmens als vielmehr auf den Zeitdruck zurückzuführen, in dem sich die Rechtsetzung vollzog. Die Länder setzten ihre zum Wasserhaushaltsgesetz a. F. ergangenen Landeswassergesetze in weiten Teilen lediglich erneut in Kraft und passten sie an die neue Systematik des Wasserhaushaltsgesetzes an. Eine grundlegende abweichende Neukonzeption des Landeswasserrechts ist in keinem Bundesland auszumachen. Der mitunter eingeschlagene Weg, das Landesrecht so weitgehend wie irgend möglich zu erhalten, beruht zumeist weniger auf fachlichen Aspekten der Gewässerbewirtschaftung als auf politischen Präferenzen. Gelegentlich wurde prognostiziert, lediglich die „relativ wohlhabenden und leistungsstarken süd- sowie westdeutschen“ Bundesländer mit einer entsprechend leistungsfähigen Ministerialverwaltung würden die Abweichungskompetenz in Anspruch nehmen.205 Ein solcher Zusammenhang lässt 203 Mit dieser prognostischen Kritik noch H.-J. Koch/S. Krohn, NuR 2006, S. 673 (678); A. Scheidler, UPR 2006, S. 423 (426) und M. Stock, ZG Bd. 21 (2006), S. 226 (237 ff.). Mit dieser Prognose weiterhin für den Naturschutz, E. Krüsemann, in: Czybulka (Hg.), Das neue Naturschutzrecht des Bundes, 2011, S. 27 (38): „Insgesamt besteht die Gefahr, dass die Länder ihre Abweichungsgesetze verfassungsrechtlich ‚auf Kante‘ nähen und die tatsächlichen bzw. vermeintlichen Grenzen der abweichungsfesten Kerne maximal ausnutzen werden.“ Dieses Argumentationsmuster scheint auch in der Untersuchung von M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 110 gelegentlich auf. 204 Mit dieser Befürchtung R. Breuer, NuR 2006, S. 614 (617); ders. in: Grote u. a. (Hg.), Fests. Starck, 2007, S. 165 (180); M. Möstl, ZG Bd. 18 (2003), S. 297 (304); F. Kirchhof, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Kommissionsdrucks. 0011, S. 6; L. Knopp, NVwZ 2006, S. 1216 (1220); H.-J. Papier, in: Uhle (Hg.), Dresdner Vorträge zum Staatsrecht, Bd. 2, S. 18 befürchtet ein „beispielloses Normenwirrwarr“. 205 Dahin gehend M. Stock, ZG Bd. 21 (2006), S. 226 (237). Ähnlich auch M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (268) und C. Heitsch, JöR n. F. Bd. 57
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder135
sich im Lichte der vorliegenden Rechtsakte jedoch nicht herstellen. Daneben liefert das angepasste Landesrecht auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, „gerade stark industrialisierte Länder“ würden sich möglicherweise einen besonders hohen Schutzstandard leisten.206 Hinsichtlich der Abweichungen lässt sich resümierend vermerken: 1. „Daß Bestimmungen der Landeswassergesetze auf den besonderen geografischen Verhältnissen oder ähnlichen Naturgegebenheiten des Landes beruhen, wird nur an wenigen Stellen erkennbar […].“ 2. „Auch die wirtschaftlichen Verschiedenheiten zwischen den Ländern haben in deren Wassergesetzen kaum einen Niederschlag gefunden […].“ 3. „Stärker haben sich die wasserrechtliche Tradition und die verschiedene Verwaltungsorganisation der einzelnen Länder auf die wasserwirtschaftlichen Vorschriften ausgewirkt […].“
Vorstehender Befund erging nicht zur Inanspruchnahme der Abweichungskompetenz nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG, sondern ist die Bewertung der „Landeswassergesetze im Lichte des Art. 75 GG“ a. F. durch das im Jahr 1971 erstellte Gutachten von Werner Wiedemann207. Dieser Bewertung des Landesrechts gibt es auch Dekaden später wenig hinzuzufügen.208 Die erste Auswertung der novellierten und neu geordneten Landesgesetze bestätigt den vorstehenden Befund von Wiedmann. Die vorliegenden Abweichungen beziehen sich überwiegend auf verfahrens- oder organisationsrechtliche Materien, wie die Ausgestaltung der Duldungspflichten, der Unterhaltungsträger und des Zulassungsverfahrens, bzw. die Schadensersatz-, Ausgleichs- und Kostentragungspflichten. Die Tragweite dieses Befunds für die verfassungsrechtliche Bewertung des Abweichungsmodells ist aufgrund der bewussten gesetzgeberischen Enthaltsamkeit des Bundesgesetzgebers limitiert. Das Wasserhaushaltsgesetz 2010 gestaltet sich äußerst schlank und ist mit zahlreichen Öffnungsklauseln versehen. Das Regelwerk entzieht sich damit weitergehender Rückschlüsse darauf, ob landesseitig die Notwendig(2008), S. 333 (349) sowie Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Deutscher Bundestag und Bundesrat (Hg.), Die Beratungen und ihre Ergebnisse, 2008, S. 281. 206 So etwa die Vermutung von S. Heselhaus, in: Hansmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kap. 1 Rn. 129. 207 W. Wiedemann, in: Gieseke (Hg.), RdWWi, Bd. 12 (1971), S. 5 (51 f.) (Hervorhebungen im Original); ders., in: Salzwedel (Hg.), RdWWi, Bd. 16 (1969), S. 7 ff. 208 Dieser Befund gilt sinngemäß wohl auch für den Naturschutz und die Landschaftspflege nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GG. Vgl. J. Schumacher, in: Czybulka (Hg.), Das neue Naturschutzrecht des Bundes, 2011, S. 39 (41): „In Wahrheit spielen beim Naturschutz und Landschaftspflege regionale Besonderheiten kaum eine Rolle […]“.
136 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
keit bestehen könnte, die Abweichungskompetenz in den nicht vom Wasserhaushaltsgesetz erfassten Sachbereichen zu nutzen. Entgegen der verschiedentlich geäußerten Kritik sind abschließend zwei Aspekte zu vermerken, welche die landesrechtliche Dispositionsbefugnis als geeignetes Instrument erscheinen lassen. Einerseits befähigt sie die Länder über Art. 84 Abs. 1 GG hinaus, auf die verschiedenen Organisationsstrukturen zu reagieren und den Vollzug entsprechend der jeweiligen Präferenz auszugestalten.209 Sofern bisher von der Dispositionsbefugnis Gebrauch gemacht wurde, so erhielten bzw. erhöhten diese Änderungen den vorgefundenen Schutzstandard des Wasserhaushaltsgesetzes.210 Insofern gilt wiederum, was Paul Gieseke bereits im Jahre 1957 konstatierte: „Mag man Rechtseinheit auch noch so sehr für erwünscht halten, so ist doch sicher nichts gegen Verschiedenheit einzuwenden, wenn der Verwaltungsaufbau in einem Lande eine andere Regelung erfordert als in einem anderen.“211 Andererseits trägt das Abweichungsmodell gleichwohl dem nachstehend noch zu betrachtenden Gedanken des Wettbewerbsföderalismus Rechnung und setzt Anreize zu eigenen Regelungsvarianten. Ein solcher Wettbewerb um eigene Regelungsmodelle ist beispielshalber in Sachsen212 mit Blick auf den Hochwasserschutz oder in Bayern213 und Schleswig-Holstein214 in Ansehung des vertraglichen Gewässerschutzes auszumachen.
209 Mit Blick auf die unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen warb bereits W. Gerhards, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 7 für die Abweichungsgesetzgebung. 210 Exemplifikatorisch: Art. 23 BayWG (Übertragung und Aufteilung der Unterhaltungslast); Art. 64 BayWG (Besondere Zuständigkeit bei integrierten Verfahren); Art. 69 BayWG (Verfahrensbestimmungen); § 109 NdsWG (Anwendbare Vorschriften, Verfahren (zu § 70 WHG); § 120 NdsWG (Wasserbuch (zu § 87 WHG); § 8 HessWG (Verwaltungsverfahren); § 43 HessWG (Planfeststellung und Plangenehmigung); § 20 SachsAnhWG (Bewilligung); § 66 SachsAnhWG (Besondere Pflichten bei der Gewässerunterhaltung); § 6 SächsWG (Erlaubnis und Bewilligung); § 32 SächsWG (Träger der Unterhaltungslast); § 33 SächsWG (Übertragung der Unterhaltungslast); § 107 SächsWG (Enteignung). Ferner seien Abweichungen in § 74 SachsAnhWG und § 92 NdsWG benannt, wonach es das zuständige Ministerium vermag, Schutzbestimmungen nicht nur für ein Schutzgebiet, sondern auch für alle oder mehrere Wasserschutzgebiete zu statuieren. 211 P. Gieseke, in: ders. (Hg.), RdWWi, Bd. 4 (1957), S. 29 (33). 212 Bspw. § 75 SächsWG, der eine ausdifferenzierte Regelung zu den überschwemmungsgefährdeten Gebieten vorsieht. 213 Vgl. zu den Gewässerrandstreifen Art. 21 BayWG. 214 Vgl. zu den Gewässerrandstreifen § 38 a SchlHWG.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder137
c) ‚Dumpingwettbewerb‘ oder ‚Wettbewerbsföderalismus‘ im Wasserhaushaltsrecht Dem häufig kritisierten Abweichungsmodell wird vorgeworfen, einen Unterbietungswettbewerb in den Schutzstandards zu fördern,215 während dessen Befürworter auf die Vorteile eines konzeptionellen Regelungswettbewerbs verweisen.216 Ein Blick auf die vorliegenden Landesgesetze bestätigt die Bedenken nicht, wonach die Änderungsbefugnis zwischen den Ländern ein umweltpolitisches „race to the bottom“ protegiere.217 Bereits die Diktion eines ‚Wettlaufs‘ erscheint fragwürdig, ist sie doch dem Wettbewerbsföderalismus zwischen den Bundesstaaten der USA entlehnt, der insgesamt zwar zu niedrigen Steuersätzen führte, jedoch in jüngerer Zeit auch zu strengeren Immissionsgrenzwerten.218 Demgemäß ist ebenso ein Wettbewerb um Umweltqualitätsstandards im Sinne eines „race to the top“ möglich.219 Zurückblickend offenbart die nationale Gesamtrechtsordnung überdies bisher bereits Gegenteiliges. Oft führten die Länder eigenständig und erfolgreich Regelungen im Bereich des Umweltschutzes ein. Beispielsweise erließen 215 Zur grundsätzlichen Kritik am Abweichungsmodell bereits in vorstehendem Kapitel 1 sub II 2. a). Zu den Bedenkenträgern zählte namentlich der Sachverständigen Rat für Umweltfragen, Stellungnahme vom 8. Februar 2006: Der Umweltschutz in der Föderalismusreform und das Umweltgutachten 2004, wiedergegeben in der BT-Drucks. 15/3600, S. 172. M. Stock, ZG Bd. 21 (2006), S. 226 (240 ff.); ders., ZUR 2006, S. 113 (119); H.-J. Koch/S. Krohn, NuR 2006, S. 673 (677); A. Epiney, NuR 2006, S. 403 (411). W. Köck/C. Ziehm, ZUR 2006, S. 337 (337 f.): „prospektiv spricht wenig dafür, dass die Länder in Zeiten eines verschärften Regionenwettbewerbs ihre Abweichungsrechte für Schutzverstärkungen oder kreative Umweltinnovationen nutzen werden.“ Zurückhaltender H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (350): ein negativer Wettbewerb sei zumindest nicht ausgeschlossen. Demgegenüber positiv E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (287). 216 A. Benz, Verw Arch Bd. 97 (2006), S. 318 (324 f.); P. M. Huber, in: Durner/ Peine (Hg.), Reform an Haupt und Gliedern, 2009, S. 25 (35 f.); Anschaulich L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (327 ff.), der gleichwohl die Auswahl der Regelungsmaterien für verfehlt erachtet. 217 Befürchtungen in dieser Hinsicht etwa bei H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (350). 218 Mit diesem Hinweis H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (53 ff.) mit Verweis auf V. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, 2005, S. 80 f. Instruktiv dazu L. Gerken, Der Wettbewerb der Staaten, 1999, S. 68. 219 Instruktiv zum Regulierungswettbewerb im Umweltschutz K. Holzinger/T. Sommerer, „Race to the Bottom“ oder „Race to the Top“? Regulierungswettbewerb im Umweltschutz, in: Jakob u. a. (Hg.), Sonderheft Recht und Umwelt, Politische Vierteljahresschrift Sonderhefte, Bd. 39 (2007), S. 177 (178 ff.).
138 Kap. 2: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Föderalismusreform
die Länder Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eigene Abfallgesetze, bevor der Bundesgesetzgeber tätig wurde.220 Ein oft bemühtes Beispiel ist die Gründung des Bayerischen Umweltministeriums im Jahre 1970,221 während ein solches auf Bundesebene erst im Jahre 1986222 geschaffen wurde. Die Idee des Wettbewerbs- oder Konkurrenzföderalismus223 und des vielfach ausgelobten Leistungswettbewerbs im „experimentellen Bundesstaat“224 entzieht sich gerade im Sektor des Umweltrechts aufgrund der heterogenen hydromorphologischen, klimatischen und geographischen Voraussetzungen einer exakten Bewertung. Gleichwohl bleibt zu vermerken, dass das vorliegende Landesrecht die Annahme eines Dumpingwettbewerbs um niedrige Umweltschutzstandards nicht bestätigt. Soweit ersichtlich fiel kein Bundesland in seinem Schutzstandard hinter den Status quo ante zurück. Die abweichenden Regelungen, die keinen vordergründig verfahrens- oder organisationsrechtlichen Charakter aufweisen bzw. die Ausgleichs-, Schadensersatz- und Kostentragungspflichten betreffen, hoben den Schutzstandard entweder über den des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 oder führten den Standard wieder ein, der unter Geltung des Wasserhaushaltsgesetzes 2002 galt.225 Eine schutzgutbezogene Analyse des bis dato vorliegenden Landesrechts zeichnet mit Blick auf die Kompetenzinanspruchnahme des Art. 72 220 Zu den Rechtsetzungsaktivitäten der Länder näher M. Bothe, NVwZ 1987, S. 938 ff. Kritisch zum Föderalismus im Umweltrecht L.-A. Versteyl/G. A. Wolf, in: Brandt/ Smeddinck (Hg.), Grundgesetz und Umweltschutz, 2004, S. 77 (85). 221 Gesehen bei P. März, Ministerpräsidenten, in: Wehling/Schneider (Hg.), Landespolitik in Deutschland, 2006, S. 148 (155). 222 Das Ministerium wurde mit dem 6. Juni 1986 als unter Leitung eines Ministers der CDU als Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eingerichtet, nach M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 4., 2012, S. 524, Anm. 145. 223 Instruktive U. Münch, Konkurrenzföderalismus für die Bundesrepublik: Eine Reformdebatte zwischen Wunschdenken und politischer Machbarkeit, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung, Jahrbuch des Föderalismus 2001, 2001, S. 115 (120 ff.); differenzierend H. Bauer, DÖV 2002, S. 837 (840); A. Benz, Verw Arch Bd. 97 (2006), S. 318 (320 ff.). 224 Mit dieser Diktion L. Michael, JZ 2006, S. 884 (887). 225 Abweichende Regelungen, die am Standard des Wasserhaushaltsgesetzes a. F. festhalten: § 61 NdsWG (entspricht § 98 Abs. 1 Satz 1 und sowie Abs. 2 und 3 NdsWG a. F.); gleichsinniges gilt für § 52 SachsAnhWG (siehe auch in nachstehendem Kapitel 5 sub I. 2. b) bb); Art. 46 BayWG (entspricht Art. 61i Abs. 1 Satz 2 BayWG a. F.); Art. 19 BayWG (dazu nachstehend Kapitel 5 sub III. 3. b). Eine abweichende Regelung, die zu einer Verschärfung des Standards führte, ist etwa in § 89 RhPfWG enthalten, der besondere Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete statuiert.
II. Das Wasserhaushaltsrecht der Länder139
Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG ein überwiegend positives Bild. In Ansehung des weitreichenden supranationalen Harmonisierungsstandes und der zu erwartenden weiteren europarechtlichen Überformung des Wasserwirtschaftsrechts ist die Prognose erlaubt, dass sich auch künftig kein Dumpingwettbewerb zeigen wird und landesgesetzliche Dispositionen über das Bundesrecht die Ausnahmen bleiben werden. Daneben ist das Wasserhaushaltsgesetz 2010 ein profundes Beispiel für die Idee des Regelungswettbewerbs bzw. des Wettbewerbsföderalismus, denn das seinerzeit bestehende Landesrecht dient für zahlreiche neue Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 als Blaupause.226 Soweit es die Länder unter Geltung des Art. 75 GG a. F. vermochten, eigenes Wasserrecht zu etablieren, bildeten sich unterschiedliche Konzepte heraus, die der Bundesgesetzgeber teilweise vollständig rezipierte oder zusammenführte, indem er sich ihrer gleich einem Baukasten bediente.227
226 Dem Landesrecht entlehnt sind beispielshalber § 33 WHG (§ 42a SächsWG a. F.); § 34 WHG (vgl. BT-Drucks. 16/12275, S. 61); § 35 WHG (vgl. BT-Drucks. 16/12275, S. 62); § 37 WHG (vgl. BT-Drucks. 16/12275, S. 62); § 38 WHG (vgl. nur § 50 SächsWG a. F.). 227 Dazu nur einige exemplarische Auszüge aus den Begründungserwägungen zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz BT-Drucks. 16/12275, S. 55: zu § 8 WHG „in Anlehnung an landesrechtliche Vorschriften“, S. 57: zu § 15 WHG „in Anlehnung an bewährte landesrechtliche Regelungen“, S. 58: zu § 22 WHG „in Anlehnung an entsprechende landesrechtliche Bestimmungen“, zu § 23 WHG „lehnt sich eng an entsprechende bestehende Verordnungsermächtigungen nach Landesrecht an“, S. 59: zu § 25 WHG „entsprechend einer Reihe landesrechtlicher Vorschriften“, S. 61: zu § 33 WHG „in weitgehender Anlehnung an die bestehenden landesrechtlichen Vorschriften“, S. 62: zu § 35 WHG „in Anlehnung an bestehende landesrechtliche Vorschriften“, S. 63: zu § 39 WHG „in Anlehnung an landesrechtliche Vorschriften“ usf.
Kapitel 3
Die Bedeutung der Bundestreue und des Rechts der Europäischen Union für die Abweichungsbefugnis der Länder Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG bestimmt explizit keine materiellen Anforderungen, denen die Länder bei Ausübung ihrer Rechtsänderungsbefugnis unterliegen. Mit Blick auf die normtextliche Gestaltung markiert einzig die abweichungsresistente Bereichsausnahme eine inhaltliche Grenze der Rechtsetzungsmacht.1 Gleichwohl wird im Schrifttum häufig das Postulat der Bundestreue genannt, um daraus besondere Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung abzuleiten und diese weitreichend zu beschränken.2 Daher soll die Wirkungsweise dieses Prinzips im Lichte des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG untersucht werden. Neben dem Bundesstaatsprinzip und den Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips werden von Kritikern der Dispositionsbefugnis einige weitere Leitsätze und Strukturmerkmale des Grundgesetzes benannt, die durch Abweichungen konterkariert werden könnten, etwa das ‚Leitbild gleichwertiger Lebensverhältnisse‘3 oder das ‚Gebot der rechtlichen Widerspruchsfreiheit‘4. Während den letztgenannten Prinzipien für den Bereich des Wasserwirtschaftsrechts allgemein geringe Tragweite zugeschrieben wird,5 erachten einige Autoren zumindest das Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen gemäß Art. 20a GG für geeignet, die Rechtsänderungsbefugnis wahrnehmbar zu begrenzen.6 Vorliegende Untersuchung beschränkt sich insofern auf die potentiell für das Wasserwirtschaftsrecht bedeutsamen Themen, weil sie etwa im Rahmen der einfachgesetzlichen Normsetzung thematisiert wurden oder, wie mit Blick auf das Europarecht, von erheblicher praktischer Relevanz sind. 1 So der allgemeine Standpunkt im Schrifttum, siehe nur C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1213); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80g; A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 2 Zur Diskussion näher L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (327 ff.). 3 Zu diesem Thema weitergehend P. Selmer, ZG Bd. 24 (2009), S. 33 ff. 4 L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (329). 5 P. Selmer, ZG Bd. 24 (2009), S. 33 (49 f.). 6 W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (357).
I. Geltungsanspruch und Reichweite der Bundestreue141
Hierbei sollen zunächst das Bundesstaatsprinzip (hierzu sub I.) und das Verhältnis zwischen dem supranationalen Recht der Europäischen Union und dem Abweichungsmodell (hierzu sub II.) einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden. Die Staatszielbestimmung des Umweltschutzes (hierzu sub III.) wird hingegen lediglich einer kursorischen Betrachtung unterworfen, ehe das Kapitel mit einer resümierenden Stellungnahme (hierzu sub IV.) abschließt.
I. Geltungsanspruch und Reichweite der Bundestreue im Bereich der Abweichungsgesetzgebung Das Gebot des länder- und bundesfreundlichen Verhaltens wird regelmäßig hervorgehoben, um der Rechtsänderungsbefugnis aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ihre Grenzen aufzuzeigen.7 Die Maxime der Bündnistreue lässt sich auf Rudolf Smend8 zurückführen, wird in Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommen und aus der Bundesstaatlichkeit gemäß Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitet.9 Sie gebietet Bund und Ländern bei der Ausübung ihres Regelungsmandates, „die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaats und auf die Belange der Länder zu nehmen“.10 Zu 7 Paradigmatisch B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (755); M. Nierhaus/S. Rademacher, LKV 2006, S. 385 (390); L. Mammen, DÖV 2007, S. 376 (378): „Eine Schranke für die Kompetenzausübung dürfte freilich im Grundsatz der Bundestreue liegen, der einem bloßen Neuerlass der ursprünglichen Regelung durch den Bund entgegensteht.“ H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 94 ff.; H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (254); M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 164, 174. Dahin gehend lässt sich die Begr. des RegE zum 52. GGÄndG interpretieren, BT-Drucks. 16/813, S. 8. Für den Bereich der Raumordnung W. Spannowsky, UPR 2007, S. 41 (46 f.). Dies betonen allgemein W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356); H. SchulzeFielitz, NVwZ 2007, S. 249 (254); M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (489) und F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 55 hinsichtlich des Europarechts. Zu Recht kritisch gegenüber den Bemühungen die Abweichungsrechte einzuschränken C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1215) und auch V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (856); L. Michael, JöR NF Bd. 59 (2011), S. 321 (327 ff., 331). Instruktiv F. Wittreck, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. I, 2012, § 18 Rn. 54. Andere Autoren sehen in der Bundestreue hingegen kein eigenständiges Korrektiv, vgl. K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, S. 7; W. Beyer, Die Bundestreue, 1961, S. 91 in Anm. 53. 8 Dort unter der Bismarck’schen Reichsverfassung R. Smend, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl. 1994, S. 37 (51 f.). 9 Bereits BVerfGE 12, 205 (254 f.) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf R. Smend. 10 BVerfGE 92, 203 (230); siehe näher H. Bauer, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 GG Rn. 38 ff. und ausführlich ders., Die Bundestreue, 1992, S. 195, 243 ff.
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
vermerken ist zunächst ein latentes Spannungsverhältnis zwischen der Befugnis der Länder zur ergänzenden, ausfüllenden, konkretisierenden und abweichenden Rechtsetzung und den Geboten widerspruchsfreier Normgebung sowie europarechtlicher Konvergenz. Deshalb wird dem Grundsatz der Bundestreue im Zusammenhang mit der Dispositionsbefugnis eine vielfältige Bedeutung beigemessen:11 Im europäischen Kontext sichere das Prinzip die innerstaatliche Konvergenz mit dem europarechtlichen Primär- und Sekundärrecht.12 Aus Perspektive des Bundes ließe sich aus der Maxime der Bundestreue in Verbindung mit dem Postulat widerspruchsfreier Normgebung zudem ein Verbot etwaig ausufernder Abweichungen ableiten. Daneben könne die Bundestreue einen Wettlauf zwischen dem Bundesgesetzgeber und den Landesgesetzgebern im Sinne alternierender Anwendungsbefehle verhindern. Zunächst sollen die Grundzüge der Bundestreue (hierzu sub 1.) benannt, alsdann soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Bundestreue dem Bundesgesetzgeber für das Gebiet des Abweichungsmodells besondere Pflichten auferlegt (hierzu sub 2.). Schließlich erscheint erörterungswürdig, ob die Bundestreue ständig wechselnde Rechtsanwendungsbefehle verhindern kann,13 die aus der Dispositionsbefugnis erwachsen könnten (hierzu sub 3.). 1. Grundzüge des Gebots bundesfreundlichen Verhaltens Dem Leitsatz der Bundestreue misst das Schrifttum für den Untersuchungsgegenstand der Abweichungsbefugnis eine ganz unterschiedliche Steuerungskraft zu, weshalb es geboten ist, die Grundzüge der Bundestreue aufzuzeigen. Die Maxime ist nur als ungeschriebener Verfassungsgrundsatz anerkannt14 und nach höchstrichterlicher Judikatur akzessorisch zu einer bestehenden bundesstaatlichen Rechtsbeziehung.15 Wegen dieser Abhängigkeit können die 11 Statt anderer M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 164, 174; L. Mammen, DÖV 2007, S. 376 (378). 12 Paradigmatisch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (489) und F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 55. 13 Mitunter als „Ping-Pong-Gesetzgebung“ apostrophiert. 14 Zu normativen Begründung des Gebots H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 4 ff. und zur Funktion ungeschriebenen Verfassungsrechts H. A. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, 2000, S. 196 ff. 15 Aus dem Schrifttum nur J. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 162. Nur exemplifikatorisch BVerfGE 13, 54 ff. (75); 21, 312 ff. (326); 42, 103 ff. (117); 81, 310 ff. (337 f.); 84, 25 ff. (33); 95, 250 ff. (266); 103, 81 ff. (88); 104, 238 ff. (247).
I. Geltungsanspruch und Reichweite der Bundestreue143
beteiligten Rechtsträger aus dem Bundesstaatsprinzip allein keine eigenständige Handlungsermächtigung herleiten. Vielmehr werden die jeweiligen Gesetzgebungskompetenzen von der Bundestreue vorausgesetzt.16 Soweit ersichtlich, kam dem Gebot der Bundestreue in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur selten eine entscheidungstragende Bedeutung zu.17 Einige dieser Judikate, die aus dem Gebot Informations-, Rücksichtnahme und Mitwirkungspflichten ableiteten, sind auch für den vorliegenden Kontext bedeutsam. Dies betrifft zunächst das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Verhältnis zur Europäischen Union.18 Wie Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG belegt, sind die Gliedstaaten vollwertig in den europäischen Einigungsprozess eingebunden.19 Folgerichtig erstreckte sich das Gebot mit seinen damit verbunden Verpflichtungen auf Gesetzesvorhaben, die innerhalb des europarechtlichen Handlungsrahmens Verpflichtungen schaffen.20 Verkürzt lässt sich die Rechtsprechung dahingehend zusammenfassen, dass zunächst der Bund verpflichtet wurde, die Länder intensiver in die supranationale Rechtsetzung einzubeziehen.21 Gleiches gilt für die Verpflichtung der Länder gegenüber dem Bund.22 Diese sind durch das Prinzip der Bundestreue in seiner europarechtlichen Ausprägung in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 GG dazu verpflichtet, den supranationalen Transformationspflichten nachzukommen, sofern diesen die Regelungsverantwortlichkeit zukommt.23 Gleiches ergibt sich primärrechtlich aus Art. 4 Abs. 3 EUV.24 Neben dieser Abstimmungspflicht lässt sich dem Prinzip der Bundestreue eine Kompetenzausübungsschranke entnehmen.25 Eine solche Ingebrauch16 BVerfGE
12, 205 (255); 34, 9 ff. (44); 95, 250 (266). wurden bisher keine positiven Handlungspflichten bezüglich einzelner Kompetenznormen zuerkannt. Siehe zum Ganzen H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 239 mit weiteren Nachweisen in Anm. 22; ders., DÖV 2002, S. 239 (240 f.). 18 BVerfGE 92, 203 (230 f., 245, 255 f.) und H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 195 (243). Ausführlich J. Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip, 2004, S. 300 ff. 19 A. Puttler, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 142 Rn. 1 und zu den Rechten der Länder C. Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 23 GG Rn. 42. 20 Näher BVerfGE 92, 203 (230 f.). 21 Die Rechtsprechung wurde durch den seinerzeit neu gefassten Art. 23 GG positiviert. 22 Ausführlich R. Streinz, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2012, § 218 Rn. 59 ff. 23 R. Streinz, Europarecht, Rn. 541; H.-W. Rengeling, DVBl. 1995, S. 945 (950); weitreichend E. Grabitz, AöR Bd. 111 (1986), S. 1 (13 ff., 29 ff.), für die Inanspruchnahme des Bundeszwangs. 24 R. Streinz, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2012, § 218 Rn. 14. 25 Für den Bund BVerfGE 31, 314 (355); 43, 291 (348); 61, 149 (205) und für die Länder BVerfGE 4, 115 (140). 17 So
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
nahme des Gebots ist nur in engbegrenzten Konstellationen zulässig und sollte nur mit äußerster Zurückhaltung erwogen werden.26 Jedes Bundesland verfügt über grundgesetzlich verbriefte Zuständigkeiten, derer es sich prinzipiell souverän und frei von Einflussnahmen des Bundes oder anderer Bundesländer bedienen kann.27 In Ansehung der in den Art. 70 ff. GG abschließend aufgeführten Kompetenzverteilung gewährleistet die spezifische Ausprägung der Bundestreue als allgemeines Missbrauchsverbot allein die Einhaltung „äußerster Grenzen“28 und erfasst Sachverhalte rücksichtsloser Verwirklichung eigener Interessen29 und Egoismen30.31 Lediglich unter diesen restriktiven Voraussetzungen kann die Bündnistreue die Dispositionsbefugnis des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG limitieren. Die Maxime der Bundestreue darf die geschlossene Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes auch im Rahmen der Abweichungsrechte nicht überspielen, die Regelungsmodelle mit heterogenen Ausformungen zugesteht. Zu Recht weißt Fabian Wittreck Überlegungen zurück, „bei der Abweichungsgesetzgebung […] oder der ausnahmsweisen Regelung des Verwaltungsverfahrens […] besondere Rücksichtnahme walten zu lassen“, und vermerkt mit Blick auf die Bundestreue, „dass namentlich die Abweichungsgesetzgebung das gezielte Gegeneinander erlaubt; diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers heischt Respekt“.32 26 So zu Recht J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Abs. 1 GG Rn. 20; L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (330 f.). 27 Näher zu den einzelnen Facetten H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 24 ff. und H. Bauer, Die Bundestreue, S. 151, 289. 28 BVerfGE 4, 115 (140). 29 BVerfGE 31, 314 (355). 30 BVerfGE 43, 291 (348). 31 Vgl. statt anderer die Darstellung bei M. Kloepfer/T. K. Bröcker, DÖV 2001, S. 1 (5). 32 F. Wittreck, in: Härtel (Hg.), Handbuch Föderalismus – Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt, Bd. I, 2012, § 18 Rn. 54. Ebensinnig C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1213 (1209): „Es sei gegenüber einer erweiternden Auslegung etwa der nach wie vor punktuellen Umweltkompetenzen des Bundes ebenso Zurückhaltung geboten wie gegenüber dem Versuch, die Ausübung neuer ausschließlicher Zuständigkeiten der Länder aus dem Grundsatz der Bundestreue einzuschränken.“ und auch V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (856); M. Kloepfer/T. K Bröcker, DÖV 2001, S. 1 (5). Kritisch L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (327 ff., 331): Es sei im Ansatz schon fragwürdig, „der Abweichungsgesetzgebung den ungeschriebenen Grundsatz der Bundestreue grundsätzlich entgegenzustellen“. Dies spiegelt sich auch in der zurückhaltenden Funktionsbeschreibung des Bundesverfassungsgerichtes wider, das wiederholt konstatiert (BVerfGE 42, 103 [117]; 13, 54 [75 f.]; 103, 81 [88], 106, 225 [243]): „Die Regel vom bundesfreundlichen
I. Geltungsanspruch und Reichweite der Bundestreue145
2. Die Pflicht des Bundesgesetzgebers zur ‚Bereinigungsfreundlichkeit‘ Das Bundesverfassungsgericht entnimmt der Maxime der Bündnistreue sowohl Anforderungen an den Bund als auch an die Länder. Im Lichte des Art. 72 Abs. 3 GG werden dem Gebot ganz überwiegend an die Länder gerichtete Ausübungsvoraussetzungen entnommen. Nachstehend wendet sich die Untersuchung zunächst einem Standpunkt zu, der die Gestaltungsmacht des Bundesgesetzgebers nachhaltig zugunsten der Länder einschränkt. a) Meinungsstand Dieser Standpunkt zieht die Bundestreue heran, um den Bundesgesetzgeber zu verpflichten, die indisponiblen Bereiche ‚bereinigungsfreundlich‘ auszugestalten.33 Der Bundesgesetzgeber müsse die abweichungsresistenten Bereiche dergestalt kennzeichnen, dass sich die indisponiblen anlagen- oder stoffbezogenen Vorgänge ohne Weiteres von dem abweichungsoffenen Reglement unterscheiden lassen.34 Anderenfalls habe es der Bund in der Hand, den Ländern in gleichsam rechtsmissbräuchlicher Weise ihre Abweichungsbefugnis zu entwinden. In eine ähnliche Richtung weist Lothar Michael, der aus dem Gebot der Normklarheit35 eine Klarstellungspflicht des Bundesgesetzgebers ableitet. Dieser habe zu dokumentieren, welche Vorgaben abweichungsfest seien.36 b) Stellungnahme Für eine praxisnahe Bewertung der vorbezeichneten Anforderungen ist das korrespondierende Fachgesetz in den Blick zu nehmen. Eine Betrachtung des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 und des Wasserhaushaltsgesetzes a. F. lässt die Schwächen eines Gebots der ‚Bereinigungsfreundlichkeit‘ erkennen. Der Bundesgesetzgeber übernahm vielfach lediglich die rahmenrechtlich geprägten Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes 2002, wozu Verhalten [kann, d. Verf.] Bedeutung gewinnen, indem sie diese anderen Rechte und Pflichten moderiert, variiert oder durch Nebenpflichten ergänzt.“ 33 So L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 96 f. (97). 34 Diese Forderung wurde im Schrifttum vielfach erhoben F. Ekardt, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 137 (141) und für den Naturschutz W. Löwer, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch – Ziele und Wirkungen, S. 101 (108). Allgemein L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (336), der diese Obliegenheit aus dem Postulat der Normenklarheit ableitet. 35 Zum Gebot der Normklarheit sogleich unter sub II. 1. 36 L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (336).
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
namentlich zahlreiche Querschnittsklauseln gehören. Die bedenkenswerte Überlegung, die abweichungsfesten Vorschriften von den disponiblen zu trennen oder auch nur zu kennzeichnen, ist unter Berücksichtigung der tradierten Struktur des Wasserhaushaltsrechts undurchführbar. Zudem ist folgendes zu bedenken: Die grundlegende Struktur des Wasserhaushaltsgesetzes 2002 enthielt in nahezu allen Abschnitten stoff- oder anlagenbezogene Vorgaben. In zahlreichen Vorschriften finden sich miteinander verflochtene disponible als auch indisponible Tatbestände.37 Diese Ordnung war im Zeitpunkt der Verfassungsreform 2006 jedenfalls den mit dem Umweltrecht vertrauten Beteiligten bekannt. Dessen ungeachtet wurde das Konzept der Abweichungsbefugnis befürwortet. Zurückblickend nunmehr eine Trennung der Zuständigkeitsbereiche zu fordern, lässt sich nicht auf den Verfassungstext stützen oder mit Sachgesetzlichkeiten der Gewässerbewirtschaftung belegen.38 Die Feststellung der Abweichungsfestigkeit einzelner Tatbestände ist zudem oftmals schwierig39 und der subkonstitutionelle Gesetzgeber nicht zur authentischen Interpretation des Klammerzitats berufen. Für eine verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Bundesgesetzgebers zur Restrukturierung seines einfachgesetzlichen Regelwerks sind deshalb keine überzeugenden Anhaltspunkte ersichtlich. Insoweit läuft die gelegentlich erhobene Forderung nach einem festgelegten Regelungskonzept des Bundes dem Charakter der unkonditionierten konkurrierenden Gesetzgebung zuwider, die dem Bund in Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG eine weitgehende Rechtsetzungsautonomie gewährt. Das Gebot der Bündnistreue verlangt, bei der Ausübung der eigenen Kompetenzen berechtigte Schutzpositionen des Bundes bzw. der Länder zu achten. Vor dem Hintergrund des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 und der bislang vorliegenden abweichenden Regelungen lässt sich bisher keine besondere Schutzposition bzw. eine besondere Schutzbedürftigkeit feststellen.40 Kompetenziellen Zweifelsfragen über die Abweichungsresistenz einer einfachgesetzlichen Vorschrift ist nicht mit dem Verdikt einer Treuwidrigkeit zu begegnen, sondern mit einer schutzzweckbezogenen Auslegung, die überwiegend zu sachgerechten Ergebnissen führt.41
37 Vgl.
dazu etwa die Zusammenfassung in Kapitel 2 sub II. 3. zur Struktur des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 im vorstehenden Kapitel 2 sub I. 39 Ausführlich zur stoff- oder anlagenbezogenen Bereichsausnahme in den Kapiteln 6 und 7. 40 In diesem Sinne etwa J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (26 f.). 41 Vgl. dazu die Stellungnahmen in Kapitel 6 sub III. und Kapitel 7 sub IV. 38 Näher
I. Geltungsanspruch und Reichweite der Bundestreue147
3. Die Bundestreue und alternierende Rechtsanwendungsbefehle Der Abweichungsgesetzgebung wird vorgehalten, beständig wechselnden Rechtsanwendungsbefehlen zwischen Bund und Ländern im Sinne eines Legislativwettstreits Vorschub zu leisten.42 Realiter stellt sich die Besorgnis für das Wasserwirtschaftsrecht aufgrund der engen Abstimmung zwischen Bund und Ländern als „Phantomrisiko“ dar.43 Dieses enge und häufig kritisierte Zusammenspiel44 lässt tatsächlich keinen Regelungswettstreit erwarten. Gleichwohl besteht die Besorgnis, dass die Abweichungsbefugnis oft wechselnde Regelungsanordnungen erzeugt, weshalb im Schrifttum besondere Anforderungen an die Kompetenzausübung diskutiert werden. a) Meinungsstand Verschiedentlich wird erwogen, den Ländern einen schlichten Neuerlass ihres suspendierten bzw. derogierten Normbestandes zu verwehren. Die Länder wären damit dazu angehalten, ihr bisheriges Reglement umzugestalten.45 Mit dieser Maßgabe soll ein als inopportun empfundener Wettlauf 42 Von vielen nur B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (755); W. Erbguth, in: Ipsen/ Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (55); D. Grimm, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Kommissionsdrucks. 0018, S. 4; V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (856 f.); W. Hoppe, DVBl. 2007, S. 144 (147); M. Nierhaus/S. Rademacher, LKV 2006, S. 385 (390); M. Schulte, JöR n. F. Bd. 55 (2007), S. 303 (310 ff.); H. SchulzeFielitz, NVwZ 2007, S. 249 (255); M. Stock, ZG Bd. 21 (2006), S. 226 (235); M. Ruttloff, UPR 2007, S. 333 (334). 43 Mit dieser Diktion O. Klein/K. Schneider, DVBl. 2006, S. 1549 (1553). Bereits M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (255); S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 127; A. Rittmann/A. v. Komorowski, in: Kloepfer/Bohne (Hg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, 2009, S. 107 (116); B. Zypries, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 323 (330 f.). Das wasserrechtliche Schrifttum erachtet einen solchen Wettstreit unisono für unrealistisch, vgl. K. Kibele, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 53 (77); H.-H. Munk, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 1 (15 f.); M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (490 f.). Gleiches soll für den Naturschutz und die Landschaftspflege nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GG gelten. Dazu E. Krüsemann, in: Czybulka (Hg.), Das neue Naturschutzrecht des Bundes, 2011, S. 27 (37). 44 Siehe zur Kritik die Nachweise in vorstehendem Kapitel 2 sub I. 4. 45 So das Ansinnen von L. Mammen, DÖV 2007, S. 376 (378). Ähnlich wohl auch die Sichtweise von M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (484 f.): „Die neue bayerische Vorschrift entspricht jedoch inhaltlich ihrer Vorläuferregelung aus der Zeit der Rahmengesetzgebungskompetenz gemäß Art. 72 alter Fassung und kann schon begrifflich keine Abweichungsgesetzgebung i. S. des neuen Art. 72 Abs. 3 GG sein; maßgeblich ist erneut der wirkliche Regelungswille des Landesgesetzgebers ungeachtet tatsächlich oder vermeintlich anders gerichteten Bundesrechts.“
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
alternierender Rechtsanwendungsbefehle unterbunden werden. Ein solcher sei zu besorgen, wenn die Länder ihre Regelwerke möglicherweise unverändert wieder in Kraft setzten. Ein anderer Standpunkt sieht die Maxime der Bündnistreue hingegen erst beeinträchtigt, wenn es dem Bundesgesetzgeber allein darauf ankomme, ein als inadäquat empfundenes abweichendes Landesrecht wieder zu suspendieren, indem er einzelne Vorschriften nochmals wiederholend erlässt.46 Demgegenüber sehen andere keine Veranlassung, aus dem Gebot der Bundestreue neuartige Restriktionen abzuleiten. Die Länder bedürfen eines solchen Schutzes nicht, denn sie könnten innerhalb der Karenzzeit nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG auf die Anordnung des Bundes mit einer abweichenden Regelung reagieren.47 b) Stellungnahme Wie bereits Thomas de Maizière hervorhob, sahen sich die Länder im Bereich des Umweltrechts bereits vor der Verfassungsreform 2006 wechselnden Rechtsanwendungsbefehlen des Bundes gegenüber.48 So passte der Bundesgesetzgeber das Bodenschutzgesetz einige Zeit nicht an, woraufhin einige Länder eigene Bodenschutzgesetze erließen. Anschließend novellierte wiederum der Bund sein Bodenschutzgesetz und die Länder nahmen zahlreiche Änderungen vor. Insoweit ist zu vermerken, dass einer föderativen Rechtsordnung ein Wechsel von Rechtsanwendungsbefehlen inhärent ist. Auch im Bereich ergänzender, konkretisierender oder ausfüllender Landesvorgaben besteht die Möglichkeit wechselnder Rechtsanwendungsbefehle, auch in diesem Bereich muss sich der Rechtsunterworfene auf den gehäuften Wechsel des Normprogramms einstellen. Dies gilt besonders, wenn Änderungen der bundesgesetzlichen Vorschriften vorgenommen werden, die landesseitig einen Anpassungsprozess auslösen. In der Gesetzgebungspraxis ist die Gefahr ständig wechselnder inhaltsgleicher Rechtsanwendungsbefehle von Bund und Ländern mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen wenig realistisch.49 Gleichwohl 46 Vgl. die Argumentation von J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (28); V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (856); M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (660); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80r. 47 L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (331 f.). 48 Mit diesem Einwand gegen die artikulierten Bedenken und zu nachfolgendem Text Thomas de Maizière, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, 9. Sitzung, 14. Oktober 2004, Stenografischer Bericht, S. 230. 49 Bereits M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (255); A. Rittmann/A. v. Komorowski, Die künftige Rechtsetzung im Umweltrecht auf Länderebene, in: Kloepfer/
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könnten kurzzeitig wechselnde Regelungen mit Blick auf die zu knapp bemessene Karenzzeit des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG problematisch sein.50 Zugleich ist es den Ländern nicht verwehrt, an vollzugsbewährten Normprogrammen festzuhalten.51 Anderenfalls würde der Rechtsunterworfene ohne erkennbaren Grund mit neuen Rechtssätzen konfrontiert, die gegebenenfalls einen identischen Inhalt wie die vormaligen Regelungen aufweisen. Es wäre überdies widersprüchlich, den Ländern eine Rechtsänderungskompetenz zu geben und die Regelungsmacht über den Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 GG hinaus an eine bestimmte normtextliche Gestaltung zu binden. Ein formulierungsidentisches erneutes Inkraftsetzen von Landesrecht, wie dies durch die Länder vielfach praktiziert wurde, ist demnach auch als abweichende Regelung zulässig. Davon zu unterscheiden ist freilich die Zulässigkeit einer landesrechtlichen Übernahme von Bundesrecht.52 Aus dem Gebot der Bündnistreue eine Begrenzung der Kompetenzausübung abzuleiten erscheint allein in der unwahrscheinlichen Konstellation erwägenswert, in der die Zielvorstellung des Bundesgesetzgebers allein dahingeht, kompetenzgemäße Landesgesetzgebung außerhalb der Bereichsausnahmen zu suspendieren.53 Die Karenzzeit des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG bietet jedenfalls nur einen eingeschränkten Schutz der Länder, um auf eine Rechtsetzung des Bundes zu reagieren.54 Von daher dürfte es sich als unzulässig erweisen, das Posterioritätsprinzip als ein allgemeines Rückholrecht zu interpretieren, mit dessen Hilfe der Bundesgesetzgeber durch einen Neuerlass mit den Ländern in einen Regelungswettlauf55 eintreten könnte.56 Die Idee eines echten föderalen Gestaltungswettbewerbs würde ad absurdum Bohne (Hg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, 2009, S. 107 (116); B. Zypries, Die Föderalismusreform, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 323 (330 f.). 50 Es besteht die Gefahr mehrerer hintereinander geschalteter Anpassungen und unklarer Rechtslagen, hierzu unter Kapitel 2 sub II. 4. a). 51 In diesem Sinne wohl M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (484 f.). 52 Dies betrifft die Frage, wann im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht eine „abweichende Regelung“ vorliegt, dazu vgl. Kapitel 5 sub I. 2. 53 Ausdrücklich zur Gefahr alternierender Rechtsanwendungsbefehle M. Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011 Rn. 118: „Zudem kann der Grundsatz der Bundestreue offensichtlichen Rechtsmissbrauch in diesem Zusammenhang verhindern.“ So auch J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (25) und R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80r. Abweichend L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 94 f., der ein weiteres Verständnis im Sinne von „Zweckmäßigkeitserwägungen“ anlegt. 54 Näheres in Kapitel 2 sub II. 4. a). 55 Dazu U. Häde, JZ 2006, S. 930 (932). 56 In diesem Sinne auch J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (25).
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
geführt, wenn sich der mit der Reform intendierte Wettstreit auf die Geschwindigkeit des Gesetzgebungsverfahrens erstrecken würde.57 Insoweit darf sich das Gestaltungsbedürfnis des Bundes nach Erlass des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 nicht allein in der Wiederherstellung einer vormaligen Rechtslage erschöpfen, in dem er abweichendes Landesrecht durch einen Neuerlass suspendiert.58 Unbenommen bleibt dabei das Recht, im Zuge einer zielgerichteten Neuordnung eines Normenbestandes oder einzelner Vorschriften eine vormalige, weiterhin präferierte Rechtslage wiederherzustellen. Zusammenfassend lassen sich dem Gebot der Bundestreue lediglich in engbegrenzten Konstellationen Ausübungsverbote wechselseitiger Rechtsanwendungsbefehle entnehmen, was indessen in der Gesetzgebungspraxis wohl kaum zum Tragen kommen wird.
II. Die Abweichungsbefugnis im europäischen Harmonisierungsrahmen Neben die erweiterte Rechtsgestaltungsverantwortlichkeit der Länder tritt die fortschreitende Harmonisierung durch wasserrechtliche Vorgaben der Europäischen Union.59 Im Lichte dieser Entwicklung ist das Verhältnis zwischen der Abweichungsbefugnis für das Wasserhaushaltsrecht zum supranationalen Recht der Europäischen Union zu prüfen.60 1. Verbesserung der Transformationsfähigkeit Die Verfassungsreform 2006 sollte die Transformationstauglichkeit des Grundgesetzes erhöhen,61 um der fortwährenden Verfristung europäischer Transformationsvorgaben Einhalt zu gebieten.62 Insoweit wurde die AbweiM. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 259 (490 f.). weitgehend und schwer begründbar scheint der Standpunkt, das Postulat der Bündnistreue allgemein in den Kompetenzkonflikten des Art. 72 Abs. 3 GG unangewendet zu lassen, so aber wohl letztlich L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 94 f. 59 Siehe hierzu den Überblick in Kapitel 1 sub I. 3. und A. Epiney, NuR 2006, S. 403 ff. 60 Eingehend zur Einbindung in der europäische Union A. Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 117 ff. und G. Vitzthum, AöR Bd. 115 (1990), S. 281 (285 ff.). 61 Vgl. nur B. Zypries, in: Hufen (Hg.), Fest. H.-P. Schneider, 2008, S. 323 (333), die die Europatauglichkeit des Grundgesetzes als das dritte Ziel der Föderalismusreform erachtet. Siehe zudem Bundesregierung, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Positionspapier der Bundesregierung vom 9. April 2003, S. 1. 62 Entschließung des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, BR-Drucks. 180/06, S. 1. Vgl. auch die prognostische Einschätzung zur Europatauglichkeit von P. M. Huber, ZG Bd. 21 (2006), S. 354 ff. 57 Vgl. 58 Zu
II. Die Abweichungsbefugnis151
chungsgesetzgebung vielfach kritisiert und die Reform als Rückschritt erachtet.63 In Ansehung des noch neuartigen Kompetenzzuschnitts und in Ermangelung langjähriger Erfahrungswerte kann die erste Bewertung der Transformationstauglichkeit nur eine prognostische sein. Dennoch ist eine erste, nach allen Seiten offene Auswertung der vorliegenden Transforma tionsmaßnahmen möglich. Die Novellierung des Wasserrechts fand auf Bundesebene mit Verabschiedung des Wasserhaushaltsgesetzes am 31. Juli 2009 und dessen endgültigem Inkrafttreten am 1. März 2010 ihren vorläufigen Abschluss. Im gesamten Zeitraum des Normsetzungsprozesses bestanden zahlreiche supranationale Umsetzungspflichten. Bis zum 16. Januar 2009 war die Grundwasserschutzrichtlinie RL (EG) Nr. 2006 / 11864 umzusetzen, zum 26. November 2009 betraf dies die Hochwasserrisikomanagementrichtlinie RL (EG) Nr. 2007 / 6065 und zum 13. Juli 2010 war die Richtlinie über prioritäre Stoffe RL (EG) Nr. 2008 / 10566 sowie zum 15. Juli 2010 die Meeresstrategierahmenrichtlinie RL (EG) Nr. 2008 / 5667 zu überführen.
63 R. Breuer, in: Grote u. a. (Hg.), Fests. Starck, 2007, S. 165 (180) es drohe die „Verfehlung der propagierten Reformziele, nämlich […] einer Stärkung der Europatauglichkeit“; C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1215): „eher kontraproduktiv“; W. Erbguth, in: Ipsen/Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (55) vermerkt mit Blick auf Abweichungsrecht, „von Europatauglichkeit kann nicht gesprochen werden […]“; M. Rossi, in: Brandner u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (98): „Nichts ist gewonnen, wenn an die Stelle der verfassungsrechtlichen Verzahnung durch die Rahmengesetzgebung eine politische Verklammerung bei der Abweichungsgesetzgebung tritt.“ Positiv hingegen der Befund E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (287), der den Bund von der Zwickmühle befreit sieht, das Grundgesetz oder Recht der Europäischen Union zu verletzen. W. Frenz, NVwZ 2006, S. 742 (746), „die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht [ist, d. Verf.] sichergestellt.“ 64 Richtlinie 2006/118/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Schutz des Grundwassers vor, ABl. EU Nr. L 372, S. 19, ber. ABl. EU 2007 Nr. L 53, S. 30, ber. ABl. EU Nr. L 139, S. 40. Die Schwellenwerte waren gemäß Art. 5 Nr. 5 RL zum 22. Dezember 2008 festzulegen. 65 Richtlinie 2007/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken, ABl. EU Nr. L 288, S. 27 (33). 66 Richtlinie 2008/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien des Rates 82/176/EWG, 83/513/EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und 86/280/EWG sowie zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG vom 16. Dezember 2008, ABl. EU Nr. L 348, S. 84 (93). 67 Richtlinie 2008/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, vom 17. Juni 2008 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt, ABl. EU Nr. L 164, S. 19 (27).
152
Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
Zweifellos bewährte sich die Befugnisordnung für den Wasserhaushalt bei der Umsetzung der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie RL Nr. 2007 / 60 (EG).68 Dieser Vorgabe ist der Bundesgesetzgeber mit den Bestimmungen der §§ 73, 74 und 75 WHG über die Bewertung von Hochwasserrisiken, die Gefahren- und Risikokarten sowie die Hochwasserrisikomanagement-Pläne nachgekommen. Demgegenüber ist der Normsetzungsprozess näher zu beleuchten, wenn die Transformation mittels Rechtsverordnungen vorgenommen wird. Hierfür sieht § 23 WHG eine weitreichende Ermächtigung der Exekutive vor, wobei die Wirksamkeit der Verordnungen an die Zustimmung des Bundesrates gekoppelt ist.69 Das weiterhin komplizierte Zusammenwirken von Bund und Ländern lässt sich anhand der Grundwasserrichtlinie verdeutlichen, die bis zum 16. Januar 2009 zu transformieren war.70 Die Novellierung der Verordnung zum Schutz des Grundwassers (Grundwasserverordnung – GrwV) war inhaltlich zunächst durch die Diskussionen um die Einführung eines in der Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser erarbeiteten Geringfügigkeitsschwellenkonzeptes erheblich belastet.71 Das Schwellenwertkonzept sollte ursprünglich in das Wasserhaushaltsgesetz integriert werden, wurde jedoch letztlich von den Ländern abgelehnt.72 Die Grundwasserverordnung trat zum 24. September 2010 nach Zustimmung des Bundesrates in Kraft. Zuvor setzten sich die Länder mit ihren zahlreichen Änderungswünschen durch.73 Nach Ansicht eines Verfahrensbeteiligten74 führten die Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten zu verschiedenen Änderungen unmittelbar vor Verabschiedung der Verordnung, weshalb einige ihrer Bestimmungen keinen Anknüpfungspunkt fanden und ins Leere liefen. Ferner sei das vom Bundesrat durchgesetzte Flächenkriterium derart großräumig bemessen, dass es den supranationalen Anforderungen nicht mehr genüge.75 Vor dem Hintergrund dieser Streitfragen wird die Grundwasserverordnung im Rahmen des Erlasses 68 Nachfolgende wasserrechtlichen Ausführungen orientieren sich strukturell an H.-H. Munk, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 1 (4 ff.). 69 Ausführlich zum Verordnungsrecht in Kapitel 8 sub I. 70 Ausführlich L. Keppner, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 31 ff. und mit Blick auf die grundrechtliche Spannungslage (Art. 12 Abs. 1 GG) J. Salzwedel/W. Schwetzel, NuR 2009, S. 760 ff. 71 Zur Konzeption vgl. L. Luckner, WuA 5/2009, S. 23 ff. 72 Siehe dazu J. Salzwedel, in: Dolde/Hansmann/Peatow/Schmidt-Aßmann (Hg.), Fests. Sellner, 2010, S. 299 (305 ff.). 73 Vgl. BR-Drucks. 500/10 (Beschluss). 74 L. Keppner, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 31 (34). 75 Ähnlich S. R. Laskowski, in: Czybulka (Hg.), Das neue Naturschutzrecht des Bundes, 2011, S. 277 (283), die das Schutzkonzept als ‚wohl europarechtswidrig‘ erachtet.
II. Die Abweichungsbefugnis153
einer Mantelverordnung, Ersatzbaustoffverordnung und einer Novelle der Bundes-Bodenschutzverordnung nochmals angepasst werden.76 Auch die am 26. Juli 2011 in Kraft getretene Oberflächengewässerverordnung77 verfehlte die Frist des 13. Juli 2010 gemäß Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie über Umweltqualitätsnormen für prioritäre Stoffe.78 Die Verfristung soll darin begründet gewesen sein, dass der Bund deutlich über die von der Umwelt ministerkonferenz angemahnte „arbeits- und kosteneffiziente“ obligatorische Transformation (sogenannte Eins-zu-Eins-Umsetzung)79 des europäischen Sekundärrechts hinausgehen wollte.80 Gleiches gilt für die bundesgesetzliche Umsetzung der Meeresstrategierahmenrichtlinie in den §§ 45a ff. WHG. Diesbezüglich warf Sabine Schlacke die Frage auf, „ob die durch den Gesetzesentwurf angestrebte 1:1 Umsetzung insgesamt betrachtet nicht zu einer unzureichenden Transformation der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie in das deutsche Recht führen wird.“81 Die Meinungsverschiedenheiten über die Erforderlichkeit der einzelnen Umsetzungsmaßnahmen auf Verordnungsebene lässt sich anschaulich aus den zumeist unveröffentlichten Protokollen der Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) entnehmen.82 Die bisherige Verordnungsgebung wirft einige Schatten auf den Erfolg der Verfassungsreform. Möglicherweise wirken die Verflechtungskonflikte im Bereich des Wasserhaushaltsrechts in Form der Zustimmungsrechte der 76 Gesehen bei M. Petersen, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 45. 77 Oberflächengewässerverordnung (OGewV) vom 20. Juli 2011, BGBl. I, S. 1429. 78 Richtlinie 2008/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien des Rates 82/176/EWG, 83/513/EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und 86/280/EWG sowie zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG vom 16. Dezember 2008, ABl. EU Nr. L 348, S. 84. 79 Unter der obligatorischen bzw. „Eins-zu-Eins-Umsetzung“ wird eine Beschränkung des Regelungsgehalts auf das europarechtlich zwingend Gebotene verstanden. Siehe dazu im Einzelnen K. Hansmann, in: Dolde/Hansmann/Peatow/ Schmidt-Aßmann (Hg.), Fests. Sellner, 2010, S. 107 (115). 80 Vgl. 64. Umweltministerkonferenz (UMK) vom 19./20. Mai 2005, Ergebnisprotokoll, S. 20. Siehe zudem die zahlreichen Änderungswünsche des Bundesrates den Beschluss vom 24. September 2010, BR-Drucks. 500/10. 81 S. Schlacke, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 21 (24 f.). 82 Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA), statt anderer Beschlussprotokoll vom 25./26. Mai 2009, S. 4 TOP 3.1.: „Nach Auffassung der LAWA geht die Aufnahme – von […] in die Rechtsverordnung über eine 1:1 Umsetzung der EGRichtlinie 2008/105/EG hinaus“; „Die LAWA bittet den BLAK UQN [Bund-Länder Arbeitskreis Umweltqualitätsnormen, d. Verf.], Regelungen in der Rechtsverordnung, die über eine 1:1 Umsetzung hinausgehen, – eindeutig zu benennen, – klar darzustellen, und fachlich überzeugend zu begründen, warum solche Regelungen im Range einer Rechtsverordnung erforderlich sind.“
154
Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
Länder fort. Die von der Verordnungsermächtigung des § 23 WHG erfassten Sachbereiche betreffen vielfach stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge, weshalb die Länder ihre Zustimmung – soweit ersichtlich – nur äußerst zögerlich erteilen. Soweit eine Zustimmung des Bundesrates nach § 23 Abs. 1 WHG erforderlich ist, steht für den Bereich der Verordnungsgebung weiterhin ein schwieriger Umsetzungsprozess bzw. möglicherweise gelegentlich eine defizitäre Umsetzung zu erwarten. Als positiver Aspekt der Kompetenzneuordnung wird gelegentlich vermerkt, der Bundesgesetzgeber könne die supranationalen Anforderungen nunmehr eigenständig und europarechtskonform umsetzen. Die Länder könnten sich deshalb nunmehr einheitlich an den europarechtlich zu beachtenden Standards orientieren.83 Tatsächlich erscheint dieser Standpunkt zweifelhaft, denn regelmäßig wird über die Reichweite des belassenen Transmissionsrahmens heftig gerungen. Zumeist beschränkt sich die Transformationsgesetzgebung auf die obligatorische Übernahme des Sekundärrechts,84 indessen besteht auf Seiten des Bundes die Tendenz, überobligatorische Transformationsmaßnahmen gegen den Willen der Länder vorzunehmen.85 Ungeachtet der bestehenden Zweifel für den Bereich der untergesetzlichen Vorgaben ist eine signifikante Verbesserung der Transformationstauglichkeit der föderalen Gesamtrechtsordnung festzustellen, soweit die Überführung mittels formellen Gesetzesrechts vorgenommen wird.86 2. Europarechtswidrig abweichendes Landesrecht Während eine Verbesserung der Transformationstauglichkeit mitunter als positives Ergebnis der Verfassungsreform 2006 vermerkt wird,87 so werden aus europarechtlicher Perspektive zugleich zahlreiche Bedenken geäußert. 83 In diesem Sinne P.-C. Müller-Graff, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 705 (726). 84 Mit dieser Feststellung etwa zur Umsetzung der Industrieemissionsrichtlinie K. Berendes, ZfW 2014, S. 1 (23). 85 Berichtend über die anhaltenden interpretatorischen Abgrenzungsunsicherheiten statt vieler H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 3 f.; aus dem Schrifttum siehe auch L.-A. Versteyl/G. A. Wolf, in: Brandt/ Smeddnick (Hg.), Grundgesetz und Umweltschutz, 2004, S. 77 (85). 86 So auch B. Zypries, in: Hufen (Hg.), Fest. H.-P. Schneider, 2008, S. 323 (327), welche die Transformationsprobleme „vollständig gelöst“ sieht. Mit entgegengesetzter Bewertung W. Erbguth, in: Ipsen/Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (55), der die Föderalismusnovelle aus Perspektive des Umweltbereichs als gescheitert erachtet. Kritisch zudem F. Ekardt/R. Weyland, NVwZ 2006, S. 737 (738 ff.). 87 Siehe die Nachweise vorstehend sub III. 1.
II. Die Abweichungsbefugnis155
Zwar ist die Abweichungsbefugnis keinesfalls europarechtswidrig.88 Die Zulässigkeit folgt aus der Verfassungsautonomie der Mitgliedstaaten, deren Wahrung Ausfluss sowohl des Demokratieprinzips als auch von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV ist.89 Doch führt die Kompetenzverteilung außerhalb der indisponiblen Bereiche zu einer ebenbürtigen Rechtsetzungsbefugnis von Bund und Ländern, weshalb im verfassungsrechtlichen Diskurs oftmals über europarechtswidriges Abweichungsrecht diskutiert wird.90 Dabei wird mit unterschiedlichen Überlegungen begründet, ob und inwieweit das europarechtswidrig abweichende Landesrecht derogiert oder nur suspendiert wird. Die Rechtsfolgen einer solchen landesrechtlichen Abweichung sind angesichts der dokumentierten Meinungsverschiedenheiten91 über die Transformationsanforderungen durchaus von erheblicher Bedeutung. Eine Klärung dieser Fragen erfolgt über eine Auseinandersetzung mit der Grundstruktur und Funktionsbeschreibung des Europarechts im Lichte der deutschen Kompetenzordnung (nachstehend sub a)). Daran anknüpfend werden die verschiedenen Standpunkte zu den Rechtsfolgen einer europarechtswidrigen Abweichung aufgezeigt (nachstehend sub b)) und es wird ein kompatibler Mittelweg gesucht (nachstehend sub c)).
88 So gemeinhin das Schrifttum, paradigmatisch J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (24); W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356); H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (254). Entgegen aller F. Ekardt/R. Weyland, NVwZ 2006, S. 737 (741) und A. Epiney, NuR 2006, S. 410 f. 89 BVerfGE 123, 267 (Rn. 229 f., 240, 244) sowie R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Bd. IV, 56. Erg.-Lfg. Oktober 2009, Art. 23 GG Rn. 95. Aus europarechtlicher Perspektive EuGH, Rs. C-302/97 (Konle/Republik Österreich), Slg. 1999, I-3099, Rn. 62 f. „das Gemeinschaftsrecht [verpflichtet, d. Verf.] die Mitgliedstaaten nicht dazu, die Aufteilung der Zuständigkeit und der Haftung auf die öffentlichen Körperschaften in ihrem Gebiet zu ändern.“; (Haim/Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein), Slg. 2000, I-5123, Rn. 30: „Für bundesstaatlich aufgebaute Mitgliedstaaten hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, daß ein solcher Mitgliedstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen auch erfüllen kann, wenn nicht der Gesamtstaat […] sicherstellt […]“. A. v. Bogdandy/S. Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hg.), Bd. I, Stand 51. Erg.-Lfg. September 2013, Art. 4 EUV Rn. 80 ff. 90 M. Bothe, in: Führ/Wahl/v. Wilmowsky (Hg.), Fests. Rehbinder, 2007, S. 15 (29 f.); M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (110); M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (492); S. Oeter, in: Starck (Hg.) Föderalismusreform, 2007, Einf. Rn. 46. 91 Vorbefindlich sub III. 1.
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
a) Nationale Gesetzgebung und europäische Sekundärrechtsetzung Allseits wird eine eigenständige Pflicht der Bundesländer angenommen, den europäischen Transformationsbefehlen nachzukommen.92 Wobei hier der Streitstand dahin stehen kann, ob sich diese Obliegenheit unmittelbar aus Art. 288 Abs. 3 AEUV bzw. ergänzend mit Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 und 3 AEUV (ex Art. 10 EGV) oder aus der jeweiligen Richtlinie ergibt.93 Nach überwiegender Ansicht nimmt das Unionsrecht dabei allein die Bundesrepublik als Gesamtstaat in den Blick und ist – um die Diktion von Hans Peter Ipsen aufzugreifen – „mit Landes-Blindheit geschlagen“.94 Die Bundesrepublik kann sich im Falle einer verstrichenen Transformationsfrist oder einer defizitären Umsetzung nicht auf ihre komplexe Legislativverteilung berufen. Aus nationalstaatlicher Perspektive verbrieft Art. 23 GG den Geltungs- sowie Vorranganspruch des europäischen Primär- und Sekundärrechts, nachdem das Zustimmungsgesetz zu den Unionsverträgen ergangen ist.95 Im Normsetzungsprozess zur Verfassungsreform 2006 bestand zwischen Bund und Ländern Einigkeit, dass im Bereich des Wasserhaushaltsrechts die Voraussetzungen für eine europarechtskonforme Ausgestaltung der Abweichungsgesetzgebung gegeben sein müssen. Die Begründung zum 52. Änderungsgesetz hebt diesbezüglich hervor: „Die Länder sind bei ihrer Abweichungsgesetzgebung an verfassungs-, völkerund europarechtliche Vorgaben in gleicher Weise gebunden wie der Bund.“96
Implementiert der Bundesgesetzgeber europäisches Sekundärrecht, so ist dieses im Rahmen der obligatorischen Transformationsanforderungen indis92 Näher R. Streinz, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2012, § 218 Rn. 63. 93 Zum unionsrechtlichen Rechtsgrund siehe nur die Ausführungen und Nachweise bei A. Funke, Umsetzungsrecht, 2011, S. 122 ff. 94 Bereits H. P. Ipsen, in: Caemmerer/Schlochauer/Steindorff (Hg.), Fests. Hallstein, 1966, S. 248 (256); näher zu den en détail divergierenden Standpunkten A. Funke, Umsetzungsrecht, 2011, S. 153 ff. 95 Vgl. zu Art. 24 Abs. 1 GG a. F. BVerfGE 73, 339 (374 f.); 89, 155 (190) und zum Vertrag von Lissabon BVerfGE 123, 267 (321 ff.; 348 f.). Siehe zudem P. M. Huber, VVDStRL Bd. 60 (2001), S. 194 (214 ff.). Zur Kritik an diesem Standpunkt C. D. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Abs. 1 GG Rn. 13. Aus europäischer Perspektive ergibt sich der Anwendungsvorrang nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes aus den europäischen Verträgen, seit Slg. 1963, 1, 24 f., Rs. 26/62 (van Gend & Loos/Niederlande); Slg. 1964, 1251, 1269 ff., Rs. 6/64 (Costa/ENEL). Zum Streitstand und Interpretation der Rechtsprechung U. Hufeld, in: Isensee/ Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2012, § 215 Rn. 5 f. 96 BT-Drucks. 16/813, S. 11.
II. Die Abweichungsbefugnis157
ponibel, soweit etwaiges Landesrecht hinter dem supranational vorgege benen Schutzstandard zurückbleiben würde.97 Die Abweichungsfestigkeit resultiert in einer solchen Konstellation aus dem Postulat der Bündnistreue in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 GG.98 Die Länder haben alles zu unterlassen, was die Bundespflicht zur Rechtsharmonisierung beeinträchtigen könnte.99 Ihnen obliegt freilich weiterhin, darüber zu befinden, wie sie supranationale Vorgaben umsetzen, die keine unmittelbare Wirkung entfalten.100 Ausgangspunkt der Diskussion ist Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG, der den Anwendungsvorrang des jeweils späteren Gesetzes anordnet.101 Von daher ist der Prüfung bedürftig, was gilt, wenn eine Landesregelung gestützt auf Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG europarechtswidrig abweicht. Dabei ist den Besonderheiten der supranationalen Rechtsordnung und namentlich dem europäischen Anwendungsvorrang Rechnung zu tragen.102 Dieser Anwendungsvorrang derogiert eine europarechtswidrige nationale Norm nicht, sondern 97 Paradigmatisch K. Berendes, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (133); C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (494); M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (266 f.); H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (257 f.). Davon geht ersichtlich auch die Begründung zum Regierungsentwurf, vgl. BT-Drucks. 16/813, S. 11. Mitunter – etwa B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (755) – ist auch der etwas grobe Standpunkt anzutreffen, die Länder vermögen es nicht, von europarechtsunterlegtem Bundesrecht abzuweichen, „ohne das umgesetzte Gemeinschaftsrecht zu verletzen“. Eine Abweichung von binnenstaatlichen Umsetzungsakten wird zumeist für unwahrscheinlich erachtete, so A. Rittmann/A. v. Komorowski, in: Kloepfer/Bohne (Hg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, 2009, S. 107 (116 f.). 98 So etwa bei Richtlinien EuGH vom 4. Oktober 2001, Rs. C-438/99 (Marie Luisa Jiménez Melgar/Ayuntamiento de Los Barrios), Slg. 2001, I-6915, Rn. 34 ff. Im Schrifttum gehen die Ansichten auseinander, ob sich der Rechtsanwendungsbefehl aus dem Grundsatz der Bundestreue ergibt, näher C. Hillgruber, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 23 GG Rn. 48. Ausführlich zur Rechtsetzungsbefugnis E. Grabitz, AöR Bd. 111 (1986), S. 1 (13 ff.). Vgl. auch die vorstehenden Nachweise sub I. 1. 99 Dazu H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 198 ff. Vgl. EuGH vom 26. Oktober 2006, Rs. C 102/06 (Kommission/Republik Österreich), Slg. 2006, I-111, (nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) Rn. 9: „Ferner kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung einschließlich solcher, die sich aus seinem bundesstaatlichen Aufbau ergeben, berufen, um damit die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen [mit weit. Nachw., d. Verf.]“. 100 P. M. Huber, ZG Bd. 21 (2006), S. 354 (375); L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (330). 101 H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 184. 102 Zur Grundlegung A. Demleitner, NVwZ 2009, S. 1525 ff.
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
führt lediglich zu deren Unanwendbarkeit im konkreten supranationalen Sachverhalt.103 b) Meinungsstand Einige Autoren schlussfolgern aus einer Kollision abweichender Regelungen mit europäischen Vorgaben, dass das kollidierende Landesrecht nichtig sei.104 Dementgegen wird überwiegend angenommen, dass das suspendierte Bundesrecht anzuwenden sei, weil diesem europarechtskonformen Bundesrecht aufgrund der Bündnistreue ein Anwendungsvorrang zukomme.105 Nach anderer Auffassung, werde das europarechtswidrige Landesrecht von den Vorgaben des Europarechts suspendiert,106 weshalb das Bundesrecht anzuwenden sei. Letztgenannter Ansicht ähnelt der Standpunkt, Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG sei europarechtskonform auszulegen.107 Anwendungsvorrang treffe auf Anwendungsvorrang, weshalb der nationale Anwendungsvorrang zurückstehe 103 Aus der Spruchpraxis EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal II), Slg. 1978, 629, Rn. 17 f., 21, 23; EuGH, Rs. C-10/97 bis C-22/97 (Ministero delle Finanze), Slg. 1998, I-6307 ff., Rn. 21: „Die Unvereinbarkeit einer später ergangenen Vorschrift des innerstaatlichen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht führt nicht dazu, daß diese Vorschrift inexistent ist“. Statt vieler M. Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, 1969, S. 136 ff., R. Streinz, Europarecht, Rn. 200; S. Beljin, EuR 2002, S. 351 (353). Für den Geltungsvorrang klassisch E. Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966, S. 113. Für eine temporale Differenzierung des Anwendungsvorrangs hingegen S. Beljin, NVwZ 2008, S. 156 (158 ff.). 104 Mit diesem vereinzelt gebliebenen Standpunkt M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (492) und C. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 72 GG Rn. 26. 105 Dahin gehend I. Härtel, in: dies. (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. I, § 19 Rn. 49; H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (54 f.) mit Verweis auf H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (348); ders. NVwZ 2007, S. 249 (254): Eine europarechtswidrige Ausübung der Abweichungsgesetzgebung verstoße gegen den Grundsatz der Bundestreue, „insoweit hat die bundesgesetzliche Regelung stets Vorrang“; dem folgend W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356); C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (496). 106 M. Bothe, in: Führ/Wahl/v. Wilmowsky (Hg.), Fests. Rehbinder, 2007, S. 15 (30); L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (330 f.); S. Oeter, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 126; ders., in: Starck (Hg.) Föderalismusreform, 2007, Einf. Rn. 46; ebensinnig W. Frenz, Jura 2007, S. 165 (167) und aus dem wasserrechtlichen Schrifttum wohl auch H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2009, 344 (348). Zudem S. Otto/J. Sanden, NuR 2007, S. 802 (805): das Bundesrecht „verkörpert“ insofern den Anwendungsvorrang des Europarechts; M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (489): „Über den Grundsatz der Bundestreue wird die Ausübung des Abweichungsrechts auch verfassungsrechtlich unzulässig, wenn bundesgesetzliche Bestimmungen der Umsetzung des europäischen Gewässerschutz- und Umweltrechts dienen“. 107 M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 200 f.
II. Die Abweichungsbefugnis159
und das Bundesrecht anzuwenden sei. Nur vereinzelt wird bisher versucht, den etwaigen Konflikt allein über das Europarecht aufzulösen.108 Nach dieser Sichtweise bleibt das durch die Abweichung suspendierte Bundesgesetz unanwendbar und der supranationale Anwendungsvorrang setzt sich durch. Demgemäß sei innerhalb des jeweiligen Landes unmittelbar die europarechtliche Vorgabe und nicht etwa das suspendierte Bundesrecht anwendbar. c) Stellungnahme aa) Die Nichtigkeit divergierenden Landesrechts Die Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes fördert Regelungsvielfalt und toleriert divergierendes Landesrecht.109 Unter einigen Prämissen engt das Gebot der Bundestreue die jeweilige Rechtssetzungsmacht von Bund und Ländern ein.110 Dabei darf dieser ungeschriebene Grundsatz nicht die in der Zuständigkeitsordnung artikulierten föderalstaatlichen Wertungen überformen.111 Diesem allgemein anerkannten Grundsatz liefe es zuwider, wenn man der Ansicht von Michael Kotulla112 und Christian Seiler113 folgt, wonach im Falle von unionswidrigem Landesrecht der Anwendungsbereich des Art. 31 GG eröffnet und das Landesrecht nichtig sei. Weder wies die Föderalismusnovelle 2006 dem Bundesgesetzgeber eine Auffangkompetenz zu,114 108 So M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109 f.); ders., in: Möllers/Voßkuhle/Walter (Hg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 163 (173 f.). Im Ergebnis wohl auch K. Berendes, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (133) und A. Glaser, Die Abweichungskompetenz der Länder am Beispiel der Landesjagdgesetze, in: Deutscher Jagdrechtstag XIX, 2009, S. 30 (49). 109 So zu Recht M. Kloepfer/T. K. Bröcker, DÖV 2001, S. 1 (5); L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (325 ff.); J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), 2. Bd., Art. 70 Abs. 1 GG Rn. 20. Ausführlich L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (329 ff.). Siehe zudem C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 70 GG Rn. 65; ders., DÖV 2010, S. 422 (427); M. Führ, KJ 1998, S. 503 (513); R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 70 GG Rn. 35. 110 Siehe sub I. 1. 111 Gleichsinnig zur Wirkmächtigkeit des Gebots der Bundestreue L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 ff. und auch R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 70 GG Rn. 41. 112 M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (492); ders., Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, Einf. Rn. 36. 113 C. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 72 GG Rn. 26. 114 Für eine Bundeskompetenz zur Ersatzvornahme wegen Pflichtenverstoßes vgl. ehedem noch E. Grabitz, AöR Bd. 111 (1986), S. 1 (32 ff.) und C. Trüe, EuR 1996, S. 179 (193).
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
wie sie beispielshalber die österreichische Bundesverfassung in Art. 23d Abs. 5 B-VG115 vorsieht,116 noch gab der verfassungsändernde Gesetzgeber den Forderungen nach,117 die Einhaltung der europarechtlichen Vorgaben durch eine entsprechende Klausel in Art. 72 Abs. 3 GG abzusichern.118 Vielmehr hält das Grundgesetz für den vorstehend benannten Konflikt ein Instrumentarium bereit, das keinen unmittelbaren Anwendungsvorrang des Bundesrechts vorsieht. Zu denken ist zunächst an den Bund-Länder-Streit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG119 und möglicherweise auch an den haftungsrechtlichen Ausgleich im Innenverhältnis nach Art. 104a Abs. 6 GG.120 Zudem kann an die Instrumentarien der Bundesaufsicht nach den Art. 84 Abs. 3 bis 5 und 85 Abs. 3 bis 4 GG sowie des Bundeszwangs gedacht werden.121 Vorstehende Erwägungen lassen es insgesamt als nicht sachgerecht erscheinen, dass das europarechtswidrige abweichende Landesrecht nichtig ist.122
115 Art. 23d Abs. 5 B-VG: „Die Länder sind verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die in ihrem selbständigen Wirkungsbereich zur Durchführung von Rechtsakten im Rahmen der europäischen Integration erforderlich werden; kommt ein Land dieser Verpflichtung nicht rechtzeitig nach und wird dies von einem Gericht im Rahmen der Europäischen Union gegenüber Österreich festgestellt, so geht die Zuständigkeit zu solchen Maßnahmen, insbesondere zur Erlassung der notwendigen Gesetze, auf den Bund über. […]“ (Österreichische Bundesverfassung in der Fassung des BGBl. I, Nr. 43/2011). 116 Mit diesem Hinweis C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (494). 117 Vgl. etwa die Stellungnahme des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, Stellungnahme vom 10. Februar 2006, S. 13 f. 118 Mit diesem Hinweis G. Lübbe-Wolff, Föderalismusreform und Entwicklung des Umweltrechts, in: Koch/Hey (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik, 2009, S. 45 (57). 119 Bereits D. H. Scheuing, EuR 1985, S. 229 (242) und A. Fishan, DÖV 2002, S. 239 (241) mit weit. Nachw. 120 Zu Art. 104a GG BVerwGE 128, 342 ff. Nach M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (266) ist die Lastentragungspflicht der Länder zumindest kein wirkungsloses Sanktionsinstrument. Nach A. Rittmann/A. v. Komorowski, in: Kloepfer/Bohne (Hg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, 2009, S. 107 (116 f.) gehe von den finanziellen Risiken eine disziplinierende Wirkung aus. Zum Bund-Länder-Regress M. Böhm, JZ 2000, S. 382 (383). 121 P. M. Huber, in: Durner/Peine (Hg.), Verfassungsreform in Deutschland und Europa, 2009, S. 25 (30). Dagegen kritisch zu diesen Instrumentarien T. Groß, VVDStRL Bd. 66 (2007), S. 152 (169). 122 So aber M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (492) und C. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 72 GG Rn. 26. Näher zum Geltungsverlust von Normen D. Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 18 ff., 49 f.
II. Die Abweichungsbefugnis161
bb) Die Anwendung des Bundes- oder des Europarechts Zunächst ist zu prüfen, ob das Bundesrecht bereits deshalb zur Anwendung gelangt, weil das Landesrecht unter den Maßgaben des Gebots der Bundestreue verdrängt wird. Eine missbräuchliche Nutzung des Kompetenzregimes, die zur Anwendung des Gebots führt, verlangt nach der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts eine unvertretbare Schädigung bzw. Beeinträchtigung123 oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung elementarer Belange des Bundes durch die Länder bzw. der Länder durch den Bund.124 Eine europarechtswidrige Landesregelung tangiert bundesstaatliche Belange, nämlich die sich aus den Verträgen sowie der jeweiligen Richtlinie ableitende Transformationspflicht.125 Nach dem Funktionsmodell des europäischen Anwendungsvorrangs haben die mitgliedstaatlichen Vollzugsbehörden bzw. die Gerichte zu entscheiden, ob eine entscheidungserhebliche nationale Norm europarechtswidrig und die konfligierende Vorschrift des Europarechts unmittelbar anzuwenden ist.126 Demgegenüber ist die Verwerfungskompetenz von formellen Gesetzen aus bundesstaatlicher Sicht allein den Verfassungsgerichten vorbehalten.127 In der Praxis entstehen Bedenken gegen die Europarechtskonformität zumeist dann, wenn die konkreten Ziele und Mittel einer Transformation strittig sind.128 In derartigen Konstellationen wird man eine abweichende Landesregelung schwerlich mit dem Verdikt der missbräuchlichen Inanspruchnahme der Abweichungsbefugnis belegen können.129 Beide Kompe123 BVerfGE
34, 9 (44); 76, 1 (77). 61, 149 (205). 125 Dabei ist die Verortung der Transformationspflicht strittig vgl. H. D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, S. 52 und R. Streinz, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2012, § 218 Rn. 63 ff. 126 Zur Kompetenz der Gerichte EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal II), Slg. 1978, 629, Rn. 17 f., 21, 23; EuGH, Rs. C-10/97 bis C-22/97 (Ministero delle Finanze), Slg. 1998, I-6307 ff., Rn. 21 und zur Befugnis der Verwaltung EuGH, Rs. 103/88 (Fratelli Costanzo/Stadt Mailand), Slg. 1989, 1839, Rn. 28 ff.; EuGH, C-224/97, (Erich Ciola/Land Vorarlberg), Slg. 1999, I-2517, Rn. 29 f. Aus dem Schrifttum nur G. Hirsch, NJW 2000, S. 1817 (1819); J. Isensee, in: Burmeister (Hg.), Fest. Stern, 1997, S. 1239 (1261 ff.); mit Blick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz R. Streinz/C. Hermann, BayVBl. 2008, S. 1 ff. 127 BVerfGE 2, 124 (128 ff.); 31, 145 (174 f.). 128 Die interpretatorischen Abgrenzungskonflikte wurden im Schrifttum gegen das Abweichungsmodell in Stellung gebracht, H. J. Koch/S. Krohn, NuR 2006, S. 673 (679) und J. Schwarze, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 167 (175). 129 Kritisch zur Missachtung des parlamentarischen Gesetzgebers durch die Fachgerichtsbarkeit D. Hummel, NVwZ 2008, S. 36 (37 f.). 124 BVerfGE
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
tenzträger verfügen im Bereich des Art. 72 Abs. 3 GG über eigenständige Gesetzgebungskompetenzen, die nur als ultima ratio zu suspendieren sind. Die Transformationspflicht bzw. das Gebot europarechtstreuen Verhaltens kann das föderale Kompetenzgefüge nicht umgestalten. Dies gilt gerade auch deshalb, weil die Bundestreue nur kompetenzlimitierend wirkt.130 Das Grundgesetz sieht hingegen mit dem Postulat der Bundestreue und als ultima ratio dem Bundeszwang nach Art. 37 GG Möglichkeiten zur Durchsetzung der Transformationspflichten vor. Bei einer Meinungsverschiedenheit über verfassungsrechtliche Pflichten eines Landes gegenüber dem Bund wird diese im Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 7 BVerfGG ausgefochten.131 Im Ergebnis ist die Inanspruchnahme der Bundestreue zur unmittelbaren Suspendierung europarechtswidrig abweichenden Landesrechts abzulehnen.132 Der Anwendungsvorrang des Europarechts führt zur Suspendierung des Landesrechts, was nach wohl vorherrschender Ansicht das Bundesrecht hervortreten lässt.133 Dies erscheint als kompatibler Mittelweg, bei dem es des Gebots der Bundestreue nicht bedarf. Indessen erheben sich Bedenken, da dieser Standpunkt den Anwendungsvorrang des Europarechts verkennt. Der Vorrang des Europarechts führt zur unmittelbaren Anwendung der supranationalen Norm auf den konkreten Sachverhalt und lässt die nationalstaatliche Kompetenzzuordnung grundsätzlich unberührt. So bleibt zweifelhaft, ob die Anwendung des zuvor gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG suspendierten Bundesgesetzes der Kompetenzordnung hinreichend Rechnung trägt. Das suspendierte Bundesrecht ist binnenstaatlich nur dann erneut anzuwenden, wenn das jeweilige abweichende Landesrecht durch einen neuen Gesetzgebungsakt oder durch die Verfassungsge130 Vgl. U. J. Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs nach dem Grundgesetz, 2007, S. 231. 131 So ehedem W. Rengeling, DVBl. 1995, S. 945 (951) und M. Kaltenborn, AöR Bd. 128 (2003), S. 412 (449). 132 Zu Recht F. Wittreck, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. I, 2012, § 18 Rn. 54, der zu Recht vermerkt, besondere Rücksichtsnahmen „wären Paradebeispiele für das unzulässige Überspielen des geschriebenen Verfassungstextes durch Treue spekulationen; den genannten Bestimmungen mag eine Maxime des Miteinander zugrunde liegen, die allerdings nichts daran ändert, dass namentlich die Abweichungsgesetzgebung das gezielte Gegeneinander erlaubt; diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers heischt Respekt.“ 133 M. Bothe, in: Führ/Wahl/v. Wilmowsky (Hg.), Fests. Rehbinder, 2007, S. 15 (30); L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (330 f.); S. Oeter, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 126; ders., in: Starck (Hg.) Föderalismusreform, 2007, Einf. Rn. 46; ebensinnig W. Frenz, Jura 2007, S. 165 (167) und aus dem wasserrechtlichen Schrifttum wohl auch H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2009, 344 (348).
II. Die Abweichungsbefugnis163
richte aufgehoben wird. Einem solchen Rechtsakt steht der europarechtliche Anwendungsvorrang nicht gleich, der nur die Suspendierung im Einzelfall vorsieht. Zudem würde den Ländern eine potentiell weiterreichende Bundesregelung aufgezwungen, wenn der Bundesgesetzgeber mit seiner Rechtsetzung über das supranational Erforderliche hinausgeht.134 Als ein die Kompetenzverteilung aufrechterhaltendes Instrument ist allein der Anwendungsvorrang des Europarechts anzuwenden. Es ist sachgerecht, bei Kollision einer landesrechtlichen Norm mit europäischen Vorgaben im konkreten Einzelfall allein das Europarecht anzuwenden und nicht das nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG suspendierte Bundesrecht.135 Eine solche Funktionsbeschreibung bietet eine verlässliche Absicherung der Transformationspflichten. 3. Die Transformationserfordernisse im Wasserhaushaltsrecht Während sich der Konflikt europarechtswidrigen Abweichungsrechts mit dem Instrumentarium des Anwendungsvorrangs lösen lässt, bestehen im Schrifttum mitunter grundsätzliche Bedenken, ob das Abweichungsmodell des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG im Bereich des Wasserwirtschaftsrechts dem supranationalen Erfordernis einer einheitlichen Transformation Rechnung trägt. a) Meinungsstand Während Christoph Degenhart136 konstatiert, dass „auch […] im Zuge europäischer Richtlinien innerhalb eines durch sie eröffneten Umsetzungsspielraums kein erhöhtes Maß an Gleichförmigkeit der Gesetzgebung gefordert“ werde, erheben Astrid Epiney137 und Walter Frenz138 grundlegende 134 Das Postulat der Bündnistreue nicht Raum greifen zu lassen kommt damit der von den Ländern geforderten obligatorischen Transformation des europäischen Sekun därrechts entgegen. Dazu die 64. Umweltministerkonferenz (UMK) vom 19./20. Mai 2005, Ergebnisprotokoll, S. 20. 135 Wie hier auch M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109 f.). Wohl auch K. Berendes, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (133), der mit Blick auf die Abweichung von supranationalem Recht vermerkt: „Diese Möglichkeit ist auch insofern von Bedeutung, als verfassungswidriges Landesrecht nichtig ist, während EG-rechtswidriges Landesrecht grundsätzlich nur nach den Modalitäten eines von der Europäischen Kommission einzuleitenden Vertragsverletzungsverfahrens zu korrigieren ist.“ 136 C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (427). 137 A. Epiney, NuR 2006, S. 403 (408 f.). Siehe auch F. Ekardt/R. Weyland, NVwZ 2006, S. 737 (741), wonach „die Föderalismusreform insoweit mit dem europäischen Verwaltungsrecht unvereinbar [ist, d. Verf.], wie sie die Umsetzung europäischer Rechtsakte erschwert“. 138 W. Frenz, NVwZ 2006, S. 742 (744 ff.).
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
Bedenken. Epiney verweist auf die Prämissen des Europäischen Gerichtshofes, wonach die Transformation „klar und eindeutig“ und „jeglicher Zweifel über die unbedingte Verbindlichkeit“ ausgeräumt sein muss.139 Eine weitreichende Einschränkung der Landesbefugnisse befürwortet Frenz, der die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG einer „Reduktion“ unterziehen will, „wenn trotz der verbliebenen Gestaltungsspielräume die entsprechende europäische Richtlinie von ihrer Anlage her eine bundesweit einheitliche Konzeption verlangt.“ Dies solle etwa „für länderübergreifende Managementsysteme“ wie bei den „gebietsübergreifenden Flussläufen“ gelten.140 Auch Christian Starck weist auf anstehende Konflikte hin. Fehle es nach einer Abweichung an der „geforderten Eindeutigkeit und Bestimmtheit des Rechtszustandes, wird der Bund in Pflicht genommen, ohne dass ihm verfassungsrechtliche Instrumente zur Verfügung stehen, die erforderliche Eindeutigkeit zu garantieren.“141 Ein weiteres Diskussionsfenster bildet die Vollständigkeit der Umsetzungsmaßnahme. Der Transformationspflicht ist erst Genüge getan, wenn der europarechtlich begründete Normanwendungsbefehl im gesamten Bundesgebiet Geltung beansprucht. So bezweifelt Wilfried Erbguth142 die Europatauglichkeit des Abweichungsmodells, „wenn aufgrund der im Prinzip unendlichen Ping-Pong Abläufe und der angesprochenen Heterogenität des Länderverhaltens nie sicher gesagt werden kann, welcher Gesetzesvorrang denn nun den abschließenden Umsetzungsakt von Europarecht […] darstellt bzw. darstellen soll“. b) Stellungnahme Für die europäischen Vorgaben sowie deren Überführung in die nationale Rechtsordnung gilt die Widerspruchsfreiheit der Regelungen in der Sache.143 Das Landesrecht steht damit unter der Prämisse, den Vorgaben des Europäi schen Gerichtshofes für eine Transformation zu genügen. Dem Postulat der 139 Hierzu verweist Epiney auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. C-131/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991, I-825, Rn. 19 ff. Mit ähnlichen Zweifeln und weiteren Nachweisen U. Häde, JZ 2006, S. 930 (937): „Es scheint fraglich, ob er [der EuGH, d. Verf.] die Umsetzung durch Bundesgesetz, von dem jedes Land jederzeit abweichen darf, für ausreichend ansehen wird.“ 140 Die gleichen Überlegungen stellte W. Frenz, ZfW 2002, S. 222 (235) bereits zur abgeschafften Rahmengesetzgebung an. 141 C. Starck, Verfassungen, 2009, S. 74. 142 W. Erbguth, in: Ipsen/Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (55); gleichsinnig R. Grandjot, UPR 2006, 97 (99). 143 M. Nettesheim, in: Randelshofer/Scholz/Wilke (Hg.), Gedächtnisschrift Grabitz, 1995, S. 447 (454 ff.); W. Schroeder, AöR Bd. 129 (2004), S. 3 (15 ff.).
II. Die Abweichungsbefugnis165
Eindeutigkeit144 wird bereits entsprochen, wenn sich die Länder an die obligatorischen Anforderungen des europäischen Sekundärrechts halten. Ein „Regress auf europarechtlich aufgeladene Effektivitätsgesichtspunkte“ würde die föderale Kompetenzverteilung in weiten Teilen auflösen,145 da supranationale Vorgaben in nahezu allen Lebensbereichen auszumachen sind. Der Europäische Gerichtshof statuierte anhand verschiedener gewässerschützender Richtlinien einige grundlegende Transformationserfordernisse. Stark verknappt ausgedrückt müssen die innerstaatlichen Maßnahmen einen rechtsverbindlichen Rahmen bilden,146 der eine kohärente Umsetzung innerhalb des gesamten Hoheitsgebietes gewährleistet.147 Sofern die Umsetzung mit einer Planung verbunden ist, erfordere dies von den föderal verfassten Mitgliedstaaten eine „angemessene Koordination“.148 Das Europarecht fordert von den Mitgliedstaaten keine umfassende Identität der Umsetzungsmaßnahmen, sondern fordert einen kohärenten, rechtsverbindlichen Rahmen. Das Europarecht limitiert insoweit auch nicht die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder.149 Für den Untersuchungsgegenstand des Wasserhaushaltsrechts ist ein Spannungsverhältnis zu den europarechtlichen Anforderungen zu vermerken. Die einheitliche Implementierung der Wasserrahmenrichtlinie ist von zentraler Bedeutung für eine die Ländergrenzen übergreifende Gewässerbewirtschaftung nach Flussgebietseinheiten.150 Die hierfür europarechtlich notwendigen Bewirtschaftungspläne waren bis zum Dezember 2009 zu ver144 „Die Umsetzung muß der Eindeutigkeit und Bestimmtheit des Rechtszustandes voll gerecht werden“, vgl. EuGH, Rs. 102/79 (Kommission/Belgien), Slg. 1980, S. 1473, Rn. 11. 145 Mit diesem Resümee J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 10. 146 EuGH, Rs. C 131/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991, S. 825, Rn. 71: „Es steht jedem Mitgliedstaat frei, die Kompetenzen innerstaatlich so zu verteilen, wie er es für zweckmäßig hält, und eine Richtlinie mittels Maßnahmen durchzuführen, die von regionalen oder örtlichen Behörden getroffen werden. Diese Kompetenzverteilung entbindet ihn jedoch nicht von der Verpflichtung, sicherzustellen, daß die Richtlinienbestimmungen uneingeschränkt und genau in innerstaatliches Recht umgesetzt werden.“ Zum Uniformitätsprinzip vgl. EuGH, verb. Rs. C-143/88 und 92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, S. 415, Rn. 26. 147 EuGH, Rs. C 207/97 (Kommission/Belgien), Slg. 1999, S. 275, Rn. 40: „Der spezifische Charakter der fraglichen Programme besteht darin, daß diese ein kohärentes Gesamtkonzept darstellen müssen, das den Charakter einer konkreten, gegliederten Planung für das gesamte nationale Hoheitsgebiet hat […].“ 148 EuGH, Rs. C-58/89 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991, S. 4983, Rn. 25. 149 Gleichsinnig C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (427). 150 Näher dazu K. Berendes, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 389 (398 f.).
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Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
öffentlichen und hatten unter anderem die „künstlichen“ und „erheblich veränderten“ Gewässer auszuweisen.151 Erste Auswertungen der durch die einzelnen Bundesländer vorgenommenen Ausweisungen deuten auf eine dysfunktionale Vielfalt der dabei durch die Länder verwendeten Kriterien und damit der Gewässerklassifizierung hin.152 So wird ein Gewässer in einem Bundesland als natürlich und in einem anderen als erheblich verändert klassifiziert. Solche Defizite sind indessen keine Besonderheit der Abweichungsgesetzgebung.153 Gleichwohl zeugt das Beispiel von einer teilweise inkonsistenten Ausgestaltung der Umsetzungsmaßnahmen. Insofern diktieren die europäischen Vorgaben den Ländern durchaus ein erhöhtes Maß an Gleichförmigkeit innerhalb des belassenen Transmissionsrahmens.154 Daneben bestehen unterschiedliche Standpunkte, ob bzw. zu welchem Zeitpunkt eine vollständige Transformation erreicht wird. Ausdrücklich soll das Institut der Abweichungsgesetzgebung einen Beitrag zur Reduktion der Transformationsakte und Verfristungen liefern.155 Nach nahezu einmütiger Auffassung kann der Bundesgesetzgeber den supranationalen Anforderungen nunmehr genügen.156 Wird hingegen ein endgültiger Abschluss aller damit verbundenen Rechtsetzungstätigkeiten bzw. ein Verzicht der Länder auf eine weitere Rechtsetzung gefordert157 oder die Abweichungsgesetzge151 Zu
den Zielen und Instrumenten der Wasserrahmenrichtlinie Kapitel 1 sub 3. Anlehnung an F. Bathe/B. Klauer/J. Schiller, WuA 12/2010, S. 40 (41 ff.) und dies., WuA 1-2/2011, S. 10 (11 ff.), die eine umfassende Erörterung vornehmen; siehe auch D. Borchardt/S. Richter/J. Willecke, Vorgehen und Methoden bei der Bestandsaufnahme nach Artikel 5 der Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland, 2006. dort die Zusammenfassung S. I f. Abweichend ist hingegen der Standpunkt der Bundesregierung vgl. BT-Drucks. 17/360, S. 2: „Maßstab der Arbeiten der Bundesländer ist die fristgerechte Umsetzung der Anforderungen der WRRL. Eine von diesem Ziel abweichende Herangehensweise der Bundesländer ist nicht zu erkennen.“ 153 Auch S. Möckel/F. Bathe, ZUR 2012, S. 651 (652 ff., 656) haben erhebliche Zweifel an der europarechtskonformen Ausweisung der Gewässer. Insoweit stelle die unvollständige Begründung eine Rechtsverletzung durch die Länder dar, wobei sie auf fehlenden „rechtlichen Möglichkeiten des Bundes zur Durchsetzung von Bundesrecht hinweisen.“ 154 Demgegenüber erscheint der Standpunkt von C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (427) etwas grobmaschig. 155 Positionspapier der Ministerpräsidenten, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CDROM, Kommissionsdrucks. 0045, S. 1 ff. 156 Statt anderer K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/13, Einl. Rn. 46. 157 Mit diesen Anforderungen R. Grandjot, UPR 2006, 97 (99), danach müssen die Länder zuvorderst einer Abänderung im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG entsagen oder alle angekündigten divergierenden Regelungen in Kraft treten. 152 In
III. Resümierende Stellungnahme167
bung insgesamt in Zweifeln gezogen,158 ist dies nicht überzeugend. Ein demokratisch legitimierter Gesetzgeber kann sich seiner verfassungsrechtlich verbrieften Gestaltungsmacht zukunftsgerichtet nicht entledigen. Vielmehr sind der Rechtsordnung spätere Rechtsänderungen innewohnend. Sowohl für die Gesetzgebung des Bundes als auch der Länder besteht die Besorgnis einer späteren europarechtswidrigen Novellierung.
III. Resümierende Stellungnahme Aus den Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes werden für das einfachgesetzliche Normprogramm des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG verschiedene Grenzen der Kompetenzausübung hergeleitet. Diese Restriktionen gelten zumeist für die Länder. Dabei überwiegt die Tendenz, den Ländern ihr Gestaltungsinstrument der Abweichung durch besondere Anforderungen teilweise zu versagen.159 Indessen sollte der neue Kompetenzzuschnitt keinen weiteren Restriktionen unterliegen, als sie im Verfassungstext bereits angelegt sind. Besondere Bedeutung in der verfassungsrechtlichen Diskussion findet das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens. Indessen kommt ihm tatsächlich nur eine graduelle Steuerungskraft auf die Abweichungsbefugnis zu. Insgesamt gemahnt der Wille des Verfassungsgebers zur Zurückhaltung bei neuen Restriktionen. Dieser führte die Dispositionsbefugnis gegen die seinerzeit vorgetragenen Bedenken vor einer „Verkomplizierung“160 und eines „Flickenteppichs“161 ein. Insoweit verbietet es sich, die Abweichungsbefugnisse im Nachhinein und ungeachtet der rechtstatsächlichen Entwicklung einzuschränken. Potentiell ließe sich aus dem Gebot bundesfreundlichen Verhaltens möglicherweise eine Vereitelung des als ‚Ping-Pong-Gesetzgebung‘ apostrophierten Wechsels alternierender Rechtsanwendungsbefehle herleiten. Ein solches Wechselspiel ist mit Blick auf das enge Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern für den Bereich des Wasserwirtschaftsrechts nicht zu erwarten. Daneben kann die Maxime der Bundestreue weder die föderale Zuständigkeitsverteilung überspielen. Noch hält ein solches Gebot den Bundesgesetzgeber dazu an, sein Normprogramm ‚bereinigungsfreundlich auszugestalten‘. 158 W. Erbguth,
in: Ipsen/Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (55). L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (327 ff.). 160 Statt anderer nur E. Schmidt-Jortzig, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 23. 161 F. Kirchhof, Anhörung zur Föderalismusreform am 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 10. 159 Gleichsinnig
168
Kap. 3: Die Bedeutung der Bundestreue
Namentlich im abweichungsbedingten Kollisionsfall mit den Vorgaben der Europäischen Union gelangt nach der hier vertretenen Ansicht das Postulat der Bundestreue nicht zur Anwendung. Dieses gebietet den Ländern, die supranationalen Vorgaben kohärent zu überführen. Indessen sollte davon Abstand genommen werden, das Gebot kompetenzlimitierend einzusetzen. Richtigerweise ist der Weg über den Anwendungsvorrang des Europarechts zu suchen. Indem der nationale Anwendungsvorrang suspendiert wird, ist eine Anwendung des Bundesrechts oder unmittelbar des europäischen Rechts möglich. Die Frage nach der Bedeutung des europäischen Rechts birgt weitere Aspekte. So ließen sich keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür finden, weshalb an die Dispositionsbefugnis besondere Anforderungen zu stellen sind, um eine einheitliche Transformation der supranationalen Vorgaben zu gewährleisten, die über die bekannten Anforderungen hinausreichen. Die thematische Annäherung an das Europarecht bestätigt eine signifikante Erhöhung der Transformationstauglichkeit der föderativ verfassten Gesamtrechtsordnung auf einfachgesetzlicher Ebene. Indessen ist die Umsetzungsfähigkeit der Bundesrepublik weiterhin defizitär, sofern sie durch Verordnungsrecht erfolgt. Mit Blick auf die noch zu erwartenden Verordnungen, die auf europäischen Transformationspflichten beruhen, ist für einen abschließenden Befund eine weitere Auswertung der Transformationsaktivitäten erforderlich.
Kapitel 4
Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen im Bereich des Wasserwirtschaftsrechts Die Standpunkte zu den Gestaltungsmöglichkeiten der Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 GG divergieren erheblich.1 Insbesondere der Bereich stoffoder anlagenbezogener Regelungen wird unterschiedlich bewertet. Anlass zur Verfassungsreform 2006 waren insbesondere die als dysfunktional empfundenen Verflechtungen der Zuständigkeitssphären. Zugleich intendierte die Reform jedoch auch eine Stärkung der Länder. Diesen wird in der Begründung die Perspektive eröffnet, in den aufgeführten Sachbereichen „eigene Konzeptionen zu verwirklichen“.2 Dessen ungeachtet wird im begleitenden Schrifttum vielfach festgestellt, die Dispositionsbefugnis stehe lediglich „auf dem Papier“.3 Andere Autoren erkennen hingegen Raum für eine konzeptionelle Replik der Länder auf die Vorgaben des Bundes.4 Unterschiedlich bewertet wird ferner, welche Ebene sich in der neu gefassten Kompetenzverteilung im Bereich des Umweltrechts letztendlich durchzusetzen vermochte. Einerseits heißt es, dass „die Kompetenzen des Bundes zur Umweltrechtssetzung […] eine deutliche Stärkung“ erfuhren.5 Andererseits wird „ein außerordentlicher Zuwachs an Regelungsmacht der Länder“ konstatiert.6 Die dogmatische Fundierung und Bewertung der mit dem Wasserwirtschaftsrecht korrespondierenden Befugnisordnung verlangt eine mehrschichtige Betrachtung. Die konkurrierende Gesetzgebung ist im Allgemeinen (hierzu sub I.) und unter den verschiedenen systematischen Aspekten des Abweichungsmodells zu würdigen (hierzu sub II.). Die Gestaltungsmacht der Länder reicht soweit, wie sich der Bund nicht auf eine eigene Kompe1 Zur
Kritik bereits unter Kapitel 1 sub II. 2. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 3 H.-J. Koch/S. Krohn, NuR 2006, S. 673 (678); im Ergebnis auch M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 4 J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2804). 5 G. Lübbe-Wolff, in: Koch/Hey (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik, 2009, S. 45 (53); gleichsinnig C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1213): „die Gewichte innerhalb der föderalen Ordnung zu Lasten der Länder“ verschoben. 6 W. Frenz, NVwZ 2006, S. 742 (742) „erhebliche Stärkung der Länderrechte“. 2 Begründung
170
Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
tenz berufen kann oder ein abweichungsfester Bereich betroffen ist. Dieser Gesichtspunkt gebietet es, die sachgegenständlich gleichfalls einschlägigen Kompetenztitel des Bundes und deren Verflechtung mit Art. 72 Abs. 3 GG näher zu erörtern (hierzu sub III.).
I. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz Mit der Zuständigkeit für den Vollzug des Wasserhaushaltsgesetzes und der Dispositionsbefugnis wurde den Ländern eine besondere Verantwortung anheimgegeben. Für Lücken und Unklarheiten oder eine Inkompatibilität in der Rechtsanwendung sind diese unmittelbar verantwortlich.7 Den Ländern obliegt es, zu prüfen, ob ein absichtsvoller Regelungsverzicht oder beredtes Schweigen des Bundesgesetzgebers vorliegt.8 Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis bildet stets Art. 72 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem einschlägigen Titel aus Art. 74 Abs. 1 GG den Ausgangspunkt der Betrachtung.9 Die Länder sind normierungsbefugt, „solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat“. Die Länder müssen deshalb zunächst prüfen, inwieweit der Bundesgesetzgeber von seiner Vorranggesetzgebung Gebrauch gemacht hat. Erst die Rechtsetzung durch den Bundesgesetzgeber führt zum Verlust der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder im Sinne einer Sperrwirkung.10 Ein solcher Schluss, der Bund habe abschließend von seiner Zuständigkeit Gebrauch gemacht, ist ausweislich der Begründung11 zur seit 1994 geltenden Neufassung des Art. 72 Abs. 1 GG nur bei entsprechenden Anhaltspunkten zulässig.12 Der Bund nimmt seine Legislativbefugnis in Anspruch, wenn seine Regelung abschließend ist.13 Die Länder bleiben im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung regelungsbefugt, in 7 Für die Perspektive der Länder F.-J. Kunert, in: Köck (Hg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch nach der Föderalismusreform, 2009, S. 143 ff. 8 BVerfGE 109, 272 (283). A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 19. In dieser Konstellation tritt eine Sperrwirkung ein, wenn sich der parlamentarische Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren mit einer Frage auseinandersetzt, die er dann aber nicht weiter verfolgt bzw. letztlich nicht geregelt hat. 9 Weiterführend R. Wagner, Die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern, 2011, S. 41 ff. 10 Vgl. die Darstellung bei S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 49. 11 BT-Drucks. 12/6633, S. 8. 12 Prägnant und mit weiteren Aspekten H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1044 ff.). 13 Statt anderer BVerfGE 102, 99 (114 ff.); 109, 190 (229 f.) und A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 13 ff.
I. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz171
denen Bundesrecht nicht oder nicht abschließend normiert ist und somit einer ausfüllenden, ergänzenden oder konkretisierenden Regelung zugänglich bleibt.14 Die Sperrwirkung erfasst nicht nur widersprüchliche, sondern auch gleichlautende15 oder das bundesgesetzliche Reglement ergänzende landesrechtliche Vorschriften.16 Im Anschluss ist durch Auslegung zu ergründen, ob und wieweit eine beabsichtigte landesrechtliche Vorgabe von einer Vorschrift des Bundes abweicht, nur ergänzt, ausfüllt oder konkretisiert. Inwieweit die Länder normierungsbefugt sind, erschließt sich zumeist unmittelbar aus dem jeweiligen Regelwerk, etwa wenn der Bundesgesetzgeber bestimmte regelungsfähige Sachmaterien nicht erwähnt, ausdrücklich auf Landesrecht verweist oder solches unberührt lässt.17 Letztgenannte Vorbehalte zugunsten einer Landesregelung erlauben für den jeweiligen Regelungszusammenhang grundsätzlich die Annahme, dass im Übrigen landesrechtliche Regelungen ausgeschlossen sind.18 Die zahlreichen Länderöffnungsklauseln des Wasserhaushaltsgesetzes zeichnen ein beredtes Bild von der Situation des Bundesgesetzgebers.19 Dieser sah sich vor der Herausforderung, einerseits bewährtes Landesrecht nicht vollständig in Frage zu stellen und andererseits einheitliche Vollregelungen zu schaffen. Einige normierungsbedürftige Sachbereiche des Wasserhaushaltsrechts griff der Bund nicht auf, dies gilt etwa für Wasserentnahme14 Siehe wiederum nur BVerfGE 102, 99 (114 ff.); 109, 190 (229 f.); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 23. 15 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gilt für Landesverfassungsrecht in Anlehnung an Art. 142 GG eine andere Beurteilung, BVerfGE 36, 342 (363 f.); 96, 345 (364). Eine Übertragung dieses Judikats auf das subkonstitutionelle Recht ließ das Gericht ausdrücklich offen und wird vom Schrifttum überwiegend abgelehnt. So auch BVerfGE 36, 342 (363 f.); 37, 191 (200) und R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 23; C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 30 und Art. 71 GG Rn. 3; zum Ganzen näher J. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2008, § 134 Rn. 60 mit weit. Nachw. und zu den gegenteiligen Standpunkten. 16 BVerfGE 102, 99 (115); 109, 190 (229 f.). 17 Beziehungsweise wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Spruchpraxis zusammenfassend formuliert, folgt die Ausschöpfung aus einer „Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes“ vgl. BVerfGE 1, 283 (296); 67, 299 (324); 98, 265 (301). 18 Vgl. R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 51. Auf das Risiko eines sich aus einer überbordenden Fülle solcher Klauseln resultierender Umkehrschluss weist K. Berendes, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (130 f.) hin. 19 Siehe in Kapitel 5 sub II.
172
Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
abgaben oder Hochwasserentstehungsgebiete20. Für Stauanlagen stellte der Bund in § 34 WHG Anforderungen hinsichtlich der Durchgängigkeit von Fließgewässern auf. Er verzichtete jedoch auf betriebsspezifische anlagenbezogene Vorgaben.21 Ebensolches gilt für die Wasserkraftnutzung, die in § 35 WHG nur kursorisch und ohne Anlagenbezug geregelt ist.22 Gemeinhin wird für die Regelungsmaterie des öffentlichen Wasserrechts nicht davon auszugehen sein, der Bund habe einen Regelungsbereich der gesellschaftlichen Selbstregulierung überlassen.23 Lässt man diesen Gedanken Platz greifen, so wird ein Regelungsverzicht auch im Sachbereich der indisponiblen stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen oftmals nicht mit einer abschließenden und damit die Länder ausschließenden Regelung einhergehen. Die praktische Relevanz dieses Befunds beweist die Debatte zur Verfassungsmäßigkeit des § 61a NordrhWestWG a. F., der Vorgaben zur Selbstüberwachung vorsah und dessen Vorgaben nunmehr auf Verordnungsebene verortet sind. In Zweifel stand, ob das Wasserhaushaltsgesetz insoweit insgesamt, namentlich § 61 WHG, eine Sperrwirkung entfaltet. Während einige Gutachter in den Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes zum Abwasserrecht eine abschließende Regelung erblickten, erachteten andere § 61a NordrhWestWG a. F. als gemäß Art. 72 Abs. 1 GG zulässige ergänzende Regelung.24 Letztgenannter Standpunkt korrespondiert mit der Gesetzesbegründung, wonach das vollzugsbewährte Landesrecht nur soweit verdrängt werden sollte, „soweit ein Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung besteht“.25 Würde der Bundesgesetzgeber indisponible stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge abschließend, aber aus fachlicher Sicht nur unzureichend ausgestalten, könnte dies zu erheblichen Konflikten mit staatlichen Schutzpflichten führen.26
20 Dies
war bisher eine sächsische Besonderheit vgl. § 100b SächsWG a. F. etwa in Niedersachsen §§ 44 ff. NdsWG, das anders als etwa das Bayerische Wassergesetz detaillierte Vorgaben zu Stauanlagen enthält. 22 Darüber näher in Kapitel 7 sub II. 3. b) und c). 23 Diesen Umstand hebt zu Recht M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (478) hervor, der auf das überragende Interesse an der öffentlichen Bewirtschaftung und auf BVerfGE 58, 300 (341 ff.) verweist. 24 Dazu bereits in Kapitel 2 sub II. 2. h). 25 So BT-Drucks. 16/12275, S. 1. Ebensinniges äußert einer der Verfasser K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, Einl. Rn. 30: Von der Legislativkompetenz wurde „moderat Gebrauch gemacht und ein schlankes WHG geschaffen.“ 26 Mit dieser Besorgnis bereits R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80k. 21 Vgl.
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis 173
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis Die Diskussion der wasserwirtschaftsrechtlichen Gestaltungsbefugnis der Länder wird durch die Auslegung der stoff- und anlagenbezogenen Bereichs ausnahme geprägt. Die Rahmengesetzgebung des Bundes sah vor, den Ländern eine verfassungsrechtlich verbriefte Ausfüllungsmöglichkeit zu überlassen.27 Nunmehr wird im Schrifttum mit verschiedenen Begründungsmodellen eine Restriktion der Abweichungsbefugnis befürwortet.28 Sowohl die allgemeinen interpretatorischen Zweifelsfragen der Abweichungskompetenz als auch die besonderen des abweichungsfesten Klammerzitats geben den weiteren Untersuchungsgang vor. Aufbauend auf einer kurzen Zusammenfassung der allgemeinen Auslegungskriterien (1.) wird die regelungstechnische Ausgestaltung (2.) und die systematische Verortung des Klammerzitats (3.) betrachtet. Eine resümierende Stellungnahme führt die Resultate schließlich zusammen (4.). 1. Die Interpretationskriterien der Kompetenzordnung Die Auslegung der Kompetenztitel erfolgt – ungeachtet der im Einzelnen divergierenden Positionen29 – mittels der grammatikalischen, historischgenetischen, systematischen und teleologischen Auslegung.30 Daneben lassen sich spezifische Prinzipien der Verfassungsinterpretation, wie die Einheit der Verfassung,31 die verfassungs-32 oder europarechtskonforme33 Aus27 BVerfGE 91, 367 (388); BVerfGE 93, 319 (341): „Rahmenvorschriften sind im Zweifel auf Ausfüllung hin angelegt und sollen die Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht weiter einschränken, als dies ihr Wortlaut zwingend erfordert.“ 28 Handgreiflich werden die Bemühungen die Abweichungsrechte einzuschränken mit Blick auf die Forderung nach einer restriktiven Interpretation der Abweichungsrechte. Vgl. dazu insoweit E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282); P. FischerHüftle, NuR 2007, S. 78 (81); M. Gellermann, NVwZ 2010, S. 73 (74); V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (856 f.); H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (256). So auch C. Heitsch, JöR n. F. Bd. 57 (2008), S. 333 (346); I. Kesper, NdsVBl. 2006, S. 145 (150); W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356), die auf H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 ff. verweisen. Im Ergebnis für die Grundsätze des Naturschutzes auch M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (264). 29 Instruktiv und mit weiteren Nachweisen R. Wagner, Die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern, 2011, S. 63 ff. 30 BVerfGE 1, 299 (312); 11, 126 (130); H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Einl. Rn. 7; H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 32; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, § 37 sub II 4 c. Zu den unterschiedlichen Akzentuierungen A. Gern, VerwArch Bd. 80 (1989), S. 415 (422 f.). 31 Vgl. aus der ständigen Rechtsprechung statt anderer BVerfGE 1, 12 (32); zudem BVerfGE 19, 206 (220); 55, 274 (300 f.) und 99, 1 (12) sowie P. Badura, in:
174
Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
legung 32 heranziehen.3 Eine eindeutige Rangfolge der Kriterien etablierte sich bisher nicht.34 Sie sind nebeneinander anzuwenden und ergänzen einander. Ausgangspunkt und Grenze jedweder Ausdeutung bleiben die Sprache und die Satzsemantik des Normtextes.35 Innerhalb des Wortlautes ist dabei eine gewisse Interpretationsbreite erlaubt, wobei der spezielleren Diktion der Vorrang gebührt.36 Im Anschluss an den Wortlaut wird häufig zunächst auf den systematischen Zusammenhang der Norm innerhalb des Gesetzes rekurriert,37 um sich im Anschluss deren Telos zu widmen.38 Die teleologische Ausdeutung knüpft dabei sowohl an die Regelungsintention als auch an den historischen Hintergrund an.39 Die Ausdeutung der föderalen Kompetenzzuordnung mit ihren einzelnen Titeln erfährt im Schrifttum zumeist eine eigene Gewichtung. Danach wird der historisch-genetischen Argumentation zumeist ein herausgehobener Stellenwert beigelegt.40 Starck (Hg.), Festgabe BVerfG, Bd. 2, 1976, S. 1 (2 ff.). Ablehnend F. Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 225 ff. 32 Instruktiv A. Voßkuhle, AöR Bd. 125 (2000), S. 177 (180 ff.). Kritisch zu dieser Leitlinie hingegen K. A. Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 24 ff. 33 Zu den Grenzen der Auslegung nationalen Rechts ausführlich BVerfG, Beschl. v. 26. September 2011, Az.: 2 BvR 2216/06 Rn. 47 ff.: „die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege [findet, d. Verf.] zugleich ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten.“ 34 Eine Auswertung der Judikate nahm A. Gern, VerwArch Bd. 80 (1989), S. 415 (422 f.) vor und gewann keinen konsistenten Befund. Nach A. Bleckmann, JuS 2002, S. 942 (942) „hat das BVerfG in zahlreichen Entscheidungen die Gesetzesauslegung durch die Fachgerichte eingehend überprüft und dabei strikte Regeln für die Gesetzesauslegung, insbesondere für die Rangfolge dieser Methoden festgelegt.“ 35 Das Bundesverfassungsgericht nimmt keinen weiteren Rückgriff im Falle der textualen Eindeutigkeit vor, statt vieler BVerfGE 19, 147 (251); 21, 305; 23, 305; 63, 148; 78, 357. A. Voßkuhle, AöR Bd. 125 (2000), S. 177 (185 ff., 197 f.); K. F. Röhl/H. C. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2008, S. 613 ff. weisen auf die (S. 612) Konturlosigkeit der Wortlautgrenze hin. Kritisch zur Konsequenz des Postulats H.-U. Erichsen, VerwArch Bd. 65 (1974), S. 219 ff. 36 Zur wörtlich-grammatikalischen Interpretationsmethode C. Lüscher, Rechtstheorie Bd. 43 (2012, S. 45 (55) und zur Wortlautgrenze S. Pötters/R. Christensen, JZ 2011, S. 387 (389 f.). 37 Nur exemplarisch BVerfGE 15, 312 und 32, 244. Nach BVerfGE 68, 319 (328) ergibt sich die gegenseitige Abgrenzung aus dem Gesamtgefüge der grundgesetzlichen Kompetenzvorschriften. 38 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 322. 39 Vgl. A. Bleckmann, JuS 2002, S. 942 (945), wonach das Bundesverfassungsgericht „das Ziel der Norm der Entstehungsgeschichte entnimmt.“ 40 Mit diesem Befund A. Blankenagel, Tradition und Verfassung, 1987, S. 126 Rn. 270; J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 Abs. 1 GG Rn. 51. In diese Richtung auch BVerfGE 3, 407 (415); 7, 29 (40); 33, 125 (152 f.).
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis 175
Jedoch wird diesbezüglich auf die Gefahr verwiesen, die Kompetenzvorschriften versteinert zu interpretieren und den Wandel des Normverständnisses auszublenden.41 Zu den Interpretationskriterien bezog das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Altenpflegegesetz nochmals Stellung.42 Danach sei dem Merkmal des „Traditionellen“ oder „Herkömmlichen“ eine „wesentliche Bedeutung“ beizumessen. Der Entstehungsgeschichte und der sie konkretisierenden Staatspraxis komme bei der Interpretation ein „besonderes Gewicht“ zu. Andererseits stellt das Bundesverfassungsgericht regelmäßig fest, dass die Entstehungsgeschichte nur insoweit bedeutungsvoll sei, wie sie die Richtigkeit einer nach anderen Interpretationskriterien gewonnenen Auffassung bestätigt oder zumindest noch vorhandene Zweifel behebt.43 Um dem historischen Regelungswillen eigenständige Bedeutung zuzumessen,44 habe sich dieser im Gesetz selbst niederzuschlagen.45 Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG umschließt tradierte Kompetenztitel, die zugleich neu verortet und teilweise mit Bereichsausnahmen versehen wurden. Für den Titel des Wasserhaushalts ist dem Aspekt des ‚Traditionellen‘ deshalb vorerst nur eine untergeordnete und der Zuordnungsentscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers eine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen.46 Die Einbeziehung historischer Intentionen birgt auch vor dem Hintergrund des großen Theorienstreits47 der subjektiven und der objektiven Auslegung48 41 M. Kennter, DVBl. 2003, S. 259 (260); siehe auch W. Hassemer, Rechtstheorie, Bd. 39 (2008, S. 1 (12) – „Der Wille des Gesetzgebers läßt sich mit dem Wortlaut der Norm oft nicht vereinbaren, und beidem widerspricht der heutige Zweck der Norm, das ist juristischer Alltag.“ 42 Vgl. BVerfGE 106, 62 (105) und die Bewertung von W. Höfling/S. Rixen, GewArch 2008, S. 1 (2). 43 Statt anderer BVerfGE 1, 117 (127, 138); 8, 274 (307); 10, 244; 11, 126 (130 ff.). 44 Gleichwohl betont W. Hassemer, Rechtstheorie Bd. 39 (2008), S. 1 (12) zu Recht, dass sich der Wille des Gesetzgebers oft nicht mit dem Wortlaut der Norm vereinbaren lässt, und beidem der heutige Zweck der Norm widerspricht. 45 BVerfGE 54, 277 (298 ff.), daneben BVerwGE 81, 175; 81, 329; 91, 140. 46 J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 52; R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 70 GG Rn. 29 a. E. Auf einem gleichsinnigen Standpunkt steht M. Kenntner, VBlBW 1999, S. 289 (292 ff.) zur Verfassungsreform 1994 mit Blick auf den novellierten Art. 72 Abs. 2 GG. 47 Dazu W. Hassemer, Rechtstheorie Bd. 39 (2008), S. 1 ff., 10 f. und mit der Kritik D. Gruschke, Rechtstheorie, Bd. 41 (2010), S. 35 (40 ff. und passim). 48 Vgl. K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 9. Aufl. 1997, S. 108 ff.; G. Schwalm, in: Lüttger/Blei/Hanau (Hg.), Fests. Heinitz, 1972, S. 47
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
hinsichtlich der Abweichungsgesetzgebung Unsicherheiten. Gegen eine subjektive Ausdeutung wird vorgebracht, dass die Besorgnis einer ‚Versteinerung‘ aufgrund einer zeitnahen Heranziehung der Materialen nicht durchgreifen würde.49 Indessen kann gerade die Auslegung des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats nicht einschränkungslos anhand der Materialien erfolgen, weil die Ausnahme ursprünglich eine integrierte Vorhabengenehmigung des gescheiterten Umweltgesetzbuchs kompetenzrechtlich absichern sollte.50 Es verwundert deshalb nicht, dass die Stellungnahmen dem Bund eine sehr weitereichende Befugnis für alle mit dem Projekt eines Umweltgesetzbuches zusammenhängenden Regelungsmaterien einräumten.51 Im Lichte des gescheiterten Kodifikationsvorhabens wird die subjektive Ausdeutung des gesetzgeberischen Willens wohl zu Recht kritisiert.52 Die objektive Auslegungsmethode, die einen vom historischen Normzweck losgelösten und unabhängigen ‚Willen des Gesetzes‘ postuliert,53 sieht sich hingegen einem unkontrollierbaren richterlichen Subjektivismus ausgesetzt.54 Teleologisch bleibt letztlich die Effektivität und die Widerspruchsfreiheit der kompetenziellen Zuordnung des Fachrechts zu berücksichtigen.55 Insofern ist die Interpretationsmethodik des Bundesverfassungsgerichts56 eines Rekurses auf den im Gesetz zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers ein kompatibler Mittelweg. Der objektive Sinn und Zweck einer Regelung ist für die Interpretation eines neu eingeführten bzw. umgebildeten Kompetenztitels von besonderer Bedeutung.57 (47 f.) und den Überblick bei G. Hassold, ZZP Bd. 94 (1981), S. 192 (193 ff.) sowie B. Rüthers, JZ 2006, S. 53 (57): „Die Vertreter der sog. objektiven Methode täuschen sich und die von ihren Entscheidungen Betroffenen über die Verantwortlichen für die Entscheidungsinhalte.“ 49 In diese Richtung noch W. Löwer, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 101 (106) vor dem Scheitern des Umweltgesetzbuches. 50 Zu den Kodifikationsbemühungen zuletzt B. Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2010, S. 62 ff., besonders 69 ff. und bereits in Kapitel 1 sub II. 3. 51 Statt anderer E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (284). 52 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999, Rn. 3 c. 53 Namentlich G. Radbruch, Rechtsphilosophie, Schneider/Wolf (Hg.), 8. Aufl. 1973, S. 206 ff. 54 C. Hillgruber, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 52. Erg.-Lfg. Mai 2008, Art. 97 GG Rn. 59. 55 Die teleologische Gesetzesauslegung in mancher Hinsicht missbilligend R. D. Herzberg, NJW 1990, S. 2525 (2529), der auf die Gefahr einer unrichtigen Deskription des Normzwecks verweist. 56 Spruchpraxis seit BVerfGE 8, 275 (307); 11, 126 (130); 15, 160 (162). Anschaulich K. Muscheler, in: Bohnert/Gramm/Kindhäuser/Lege/Rinken/Robbers (Hg.), Fests. Hollerbach, 2001, S. 99 ff. 57 In diese Richtung W. Höfling/S. Rixen, GewArch 2008, S. 1 (2) und M. Kenntner, VBlBW 1999, S. 289 (291 f.) sowie in Ansehung der Föderalismusreform J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 52.
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis 177
2. Die Ausformung ‚stoff- oder anlagenbezogener Regelungen‘ im Grundgesetz Mitunter findet sich im Schrifttum der Hinweis, die abweichungsfesten stoff- und anlagenbezogenen Vorschriften ließen sich vom Stand der zwischen Bund und Ländern aufgeteilten wasserwirtschaftlichen Gesetzgebung – und damit aus dem Wasserhaushaltsgesetz 2002 – ohne Weiteres nachvollziehen.58 Zur Prüfung dieses Standpunktes ist die normtextliche Ausgestaltung des Kompetenztitels näher zu betrachten. Tatsächlich ergibt sich der Anwendungsbereich eines Kompetenztitels zumeist unmittelbar aus dem Normtext. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet hier zwischen Kompetenztiteln, die ‚faktisch-deskriptiv‘ oder ‚normativ-rezeptiv‘ ausgestaltet sind. Bei der Verteilung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse wird die jeweilige Kompetenzmaterie „entweder faktisch-deskriptiv durch Benennung der zu regelnden Lebenssachverhalte oder normativ-rezeptiv durch Aufnahme eines vorgefundenen Normbereichs als zu regelnde Materie der Kompetenznorm zugeordnet“. „Hat der Verfassungsgeber eine normativ ausgeformte Materie vorgefunden und sie als solche gleichsam nachvollziehend benannt, so ist davon auszugehen, dass die einfachgesetzliche Ausformung in der Regel den Zuweisungsgehalt auch der Kompetenznorm bestimmt […].59 Sinn und Zweck der Umschreibung eines vom Verfassungsgeber bereits vorgefundenen Normbereichs in einer Kompetenzvorschrift sprechen dafür, dass der vorgefundene Normbereich von ihr erfasst werden soll.“60
Das Bundesverfassungsgericht schränkt die Verwendung eines vorgefundenen normativen Begriffs jedoch ein. Dieses Auslegungsleitlinie gelte nur, wenn sich eindeutig feststellen lasse, dass der „gesamte, als einheitliches Regelwerk konzipierte Normenkomplex“ in die Kompetenzvorschrift aufgenommen wurde.61 Eine normativ-rezeptive Vorgehensweise findet sich etwa in den Bereichen des Urheber- und Verlagsrechts in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG oder des Bürgerlichen Rechts und Strafrechts mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Der dem Bund vorbehaltene Bereich der „stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen“ wird jedoch nicht – wie in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG die Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung – durch Benennung des zu regelnden Sachgebiets, also ‚faktisch-deskriptiv‘ beschrieben.62 Der 58 J. Salzwedel/W. Durner, in: Hansmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kap. 8 Rn. 6. 59 So BVerfGE 109, 190 (218); zudem C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 70 GG Rn. 44, 47. 60 BVerfGE 109, 190 (218). 61 BVerfGE 109, 190 (218). 62 Instruktiv zum Verständnis der Raumordnung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 31, 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GG, W. Erbguth, in: Ipsen/Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (47), der diesen Titel als normativ-rezeptiv einordnet.
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
Gesetzgeber umschrieb einen Normenkomplex des einfachen Rechts im Klammerzitat, nämlich Normen, die sich auf stoffliche oder anlagenbezogene Vorgänge beziehen. Da das Wasserhaushaltsrecht bereits zuvor stoff- oder anlagenbezogene Regelungen enthielt, spricht der Begriff der ‚Regelung‘ für eine Anknüpfung an ein bestehendes Reglement. Das Klammerzitat knüpft damit an das Wasserhaushaltsrecht des Bundes und der Länder an. Das spricht dafür, dass der Verfassungsreformgesetzgeber mit dem Klammerzitat normativ-rezeptiv vorging. Der Zweck des Klammerzitats erschöpft sich jedoch nicht allein darin, dem Bundesgesetzgeber die wirtschaftsrelevanten stoff- und anlagenbezogenen Vorgaben des Wasserhaushaltsrechts allein zu überantworten. Vielmehr soll die Bereichsausnahme eine integrierte Vorhabengenehmigung flankieren. Der Anwendungsbereich einer solchen Genehmigung sollte über die vordergründig technisch zu interpretierenden Anlagen des Wasserhaushaltsgesetzes 2002 hinausreichen.63 Die beteiligten Akteuren der Verfassungsreform 2006 legten dem Klammerzitat einen eigenständigen Gehalt bei. Es nimmt zwar das vorgefundene einfachgesetzliche Normprogramm auf, dieses bildet jedoch keinen normativen Rahmen der Bereichsausnahme. Diese lässt sich deshalb nicht ohne Weiteres aus der vorgefundenen Aufteilung der wasserwirtschaftlichen Verantwortung zwischen Bund und Ländern – und damit aus dem Wasserhaushaltsgesetz 2002 – ableiten.64 3. Leitlinien zur Auslegung des Artikels 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG Den Sachbereich des in Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG verorteten Wasserhaushalts entnahm der verfassungsändernde Gesetzgeber ohne erkennbaren Umgestaltungswillen aus Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG a. F.65 Demnach ist dort niedergelegte Kompetenztitel zunächst so auszulegen, wie er dort verstanden wurde.66 Aus dem beigefügten Klammerzitat ergeben sich nunmehr zahlreiche Abgrenzungsunsicherheiten, weil die indisponiblen Tatbestände über das gesamte Wasserhaushaltsgesetz verstreut und schwer auszumachen sind.67 63 Siehe zur Entstehungsgeschichte oben Kapitel 1 sub II. 3. a) und später die in Kapitel 6 sub II. 1. Und zu den wasserrechtlichen Bezügen einer integrierten Vorhabengenehmigung, B. Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2010, S. 88 ff. 64 Abweichend J. Salzwedel/W. Durner, in: Hansmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kap. 8 Rn. 6. 65 Mit diesem Befund M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (467). 66 So auch C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 43. 67 Zum Wasserhaushaltsgesetz vorstehend Kapitel 2 sub I.
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis 179
Als Interpretationskriterien werden für die indisponiblen stoff- oder anlagenbezogenen Vorgaben im Wesentlichen drei übergeordnete Leitlinien genannt: Systematisch sei die Abweichungsgesetzgebung in ein mehrstufiges Regel-Ausnahme-Verhältnis eingebunden, das sich im Rahmen der Auslegung der Bereichsausnahme niederschlagen soll (nachstehend sub a)). Eine weitere systematische Erwägung stellt auf eine Funktionsanalyse von Klammerzusätzen ab (nachstehend sub b)). Einen Anknüpfungspunkt bildet schließlich die in der Begründung angelegte Möglichkeit der Länder, sich ‚konzeptionell‘ entfalten zu können (nachstehend sub c)). a) Die Abweichungsbefugnis als ‚eng‘ zu interpretierende ‚Ausnahme‘ Die Kompetenzverteilung nimmt ihren Ausgangspunkt in Art. 70 Abs. 1 GG, der ein rechtstechnisches Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Länder eröffnet.68 Dieses Gefüge teilt die Befugnisse zwischen Bund und Ländern auf.69 Auf das Regel-Ausnahme-Prinzip wird die These gestützt, Ausnahmen seien eng auszulegen. Im Schrifttum lassen sich mit Blick auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG vielfältige systematische Erwägungen finden, welche die geänderte Zuständigkeitsordnung in dieses Regel-Ausnahme-Prinzip einbinden. aa) Meinungsstand Aus der Stellung des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG innerhalb des Kompetenzgefüges wird oftmals eine weite Auslegung der abweichungsresistenten Klammerzitate abgeleitet.70 Eine Ansicht stellt die Residualkompetenz des Art. 70 Abs. 1 GG in den Mittel- und Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen.71 68 BVerfGE 111, 226 (247); J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 2; A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 2. 69 Prägnant A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 2. 70 Eine einschränkende Ausdeutung der Länderbefugnisse befürworten etwa E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282); M. Gellermann, NVwZ 2010, S. 73 (74); H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (256); W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356). Abweichend hingegen C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (494); V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (856 f.), M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 259 (482); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hoffmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80j. 71 O. Hendrischke, NuR 2007, S. 454 (454); O. Klein/K. Schneider, DVBl. 2006, S. 1549 (1552); H.-J. Papier, NJW 2007, S. 2145 (2147), der indessen keine Rückschlüsse auf die Interpretation der einzelnen Zuordnungsbereiche zieht.
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
Danach seien die Art. 30, 70 Abs. 1 GG die ‚Regel‘ und der Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung des Art. 74 GG als ‚Ausnahme‘ zu betrachten. Die Unterwerfung unter die Erforderlichkeitsklausel sowie die disponiblen Bereiche der Absätze 2 und 3 des Art. 72 GG seien die ‚Rückausnahme‘. Die indisponiblen Sektoren seien die ‚Ausnahme von der Rückausnahme‘ und damit die Grundregel innerhalb des Art. 72 Abs. 3 GG. Demgegenüber wird mitunter die „vorrangige Regel der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes“ nach den Art. 72 Abs. 1 und 74 GG als ‚Regel‘ interpretiert und die Abweichungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 GG als deren ‚Ausnahme‘.72 Die indisponiblen Klammerzitate seien deshalb „eher ausdehnend“ zu interpretieren.73 Eine weitere Ansicht sieht in den Art. 30 und 70 Abs. 1 GG ebenfalls die für das Abweichungsmodell bedeutsame „Regel“. Sie erachtet die indisponiblen Klammerzitate als tendenziell eng auszulegende Ausnahme von dieser Regelzuständigkeit der Länder.74 Andere Autoren betonen die Eigenständigkeit des Abweichungsmodells nach Art. 72 Abs. 3 GG als ‚Regel‘ und erachten die indisponible Bereichs ausnahme als ‚Ausnahme‘.75 Die Befugnisordnung des Grundgesetzes erkenne in den Art. 30, 70 Abs. 1 GG die Zuständigkeit der Länder als ‚Regelfall‘ an, weshalb die Klammerzitate eine Ausnahme von der Länderzuständigkeit zugunsten des Bundes seien.76 Demnach spreche die Systematik für eine weite Auslegung der disponiblen Bereiche und eine enge Interpre72 C. Heitsch, JöR n. F. Bd. 57 (2008), S. 333 (345 f.). W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356). H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (62); ders., NVwZ 2007, S. 249 (256). Diesem folgend H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 170. Auch P. Selmer, ZG Bd. 24 (2009), S. 33 (35), der die abweichungsfesten Bereiche als „Rückausnahme“ versteht, jedoch keine Rückschlüsse auf die Interpretation der einzelnen Zuordnungsbereiche zieht. 73 In dieser Diktion H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (256); D. MeyerRavenstein, in: Deutscher Jagdrechtstag XIX, S. 105 (107). Mit Verweis auf H. Schulze-Fielitz, C. Heitsch, JöR n. F. Bd. 57 (2008), S. 333 (346); I. Kesper, NdsVBl. 2006, S. 145 (150); W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356). Im Ergebnis für die Grundsätze des Naturschutzes M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (264). 74 A. Glaser, NuR 2007, S. 439 (442 f.); V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (855); W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (716). 75 M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (104); gleichsinnig L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 ff.; ders., JZ 2006, S. 884 (889). 76 So M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (104), „die Abweichungsbefugnis [ist] die Regel und deren Beschränkung die Ausnahme“; D. Meyer-Ravenstein, Offene Fragen der Föderalismusreform in der Gesetzgebung, in: Deutscher Jagdrechtstag XIX, 2009, S. 105 (107).
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis 181
tation des Klammerzitats.77 Aus der textlichen Gestaltung des Gesetzgebungstitels in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG: „Wasserhaushalt (ohne stoffoder anlagenbezogene Regelungen)“ folge eine grundsätzliche Gestaltungsmacht der Länder und deren Indisponibilität als Ausnahme.78 bb) Stellungnahme Die Funktion und Reichweite des römisch-rechtlichen Grundsatzes singularia non sunt extenda lässt sich nicht nur für den Bereich der Kompetenz ordnung schwierig bestimmen. Die juristische Methodenlehre kennt keinen so allgemein gefassten Grundsatz, dass „Ausnahmevorschriften stets eng auszulegen sind“.79 Franz Bydlinski konstatiert, es sei „längst mit Recht anerkannt, daß auch Ausnahmeregeln (im Rahmen ihrer engeren „ratio legis“) der ausdehnenden Auslegung und auch der Analogie fähig sind.“80 Nach Claus-Wilhelm Canaris habe „kaum eine verfehlte Regel […] soviel Unheil gestiftet“.81 Das „Prinzip“ stützt sich auf die Überlegung, der ‚Regel‘ komme eine durchgreifende Steuerungskraft zu, die nicht durch weiträumige Ausnahmen konterkariert werden soll.82 Richtigerweise ist die jeweilige Vorschrift strikt, also anhand ihres normativen Gehalts sowie der ihr innewohnenden Regelungsintention auszudeuten. Nur in Grenzfällen ist auf ein Regel-AusnahmeVerhältnis zurückzugreifen.83 Das vorstehend skizzierte Meinungsbild unter77 Dahin gehend auch W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (716); A. Glaser, NuR 2007, S. 439 (442 f.); L. Michael, JZ 2006, S. 884 (889). 78 D. Meyer-Ravenstein, Offene Fragen der Föderalismusreform in der Gesetzgebung, in: Deutscher Jagdrechtstag XIX, 2009, S. 105 (107). 79 N. Achterberg, AöR Bd. 86 (1961), S. 63 (82). 80 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 440 mit weiteren Nachweisen in Anm. 61. Auch K. Engisch erachtet den Satz als nicht gesichert, so ders., Einführung in das juristische Denken, 7. Aufl. 1977, S. 104. 81 C.-W. Canaris, Schriften zur Rechtstheorie, 2. Aufl. 1983, in: Gesammelte Schriften, Grigoleit/Neuner (Hg.), Bd. 1, 2012, S. 155, mit zahlreichen Nachweisen in Anm. 34. 82 Aus der Rechtsprechung bereits RGZ 65, 175 (176); 65, 361 (362); BGHZ 107, 315 (319 f.); BVerwGE 3, 186 (190); 16, 74 (77); 28, 174 (177). Kritisch zu der Direktive eines Regel-Ausnahme-Verständnisses für die Ausdeutung C.-W. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 181 f. und die Sondervoten der Richter Schlabrendorff, Geiger und Rinck in BVerfGE 37, 363 (401, 405): „Der Charakter einer Ausnahmevorschrift verbietet nur, sie über ihren eindeutigen Inhalt und Sinn hinaus auszulegen; mehr gibt die Formel ‚Ausnahmevorschriften seien eng auszulegen‘ nicht her“. 83 Im Kontext des Art. 75 GG a. F. D. Merten, in: Wilken (Hg.), Fests. zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 431 (447 f.):
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
streicht die wenig konsistenzstiftende Wirkung und Direktionskraft eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses innerhalb des Kompetenzregimes. Je nachdem, welche Verteilungsnorm, welchen Absatz oder Halbsatz der Verfassungsinterpret als eröffnende ‚Regel‘ für das Verhältnis wählt, erhält er unterschiedliche Leitlinien. Art. 70 Abs. 1 GG begründet ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Länder.84 Gelegentlich wird eine ‚Zuständigkeitsvermutung‘ zu ihren Gunsten angenommen.85 Im rechtstechnischen Sinne lässt sich aus den Art. 30 und 70 Abs. 1 GG eine solche Vermutung jedoch nicht herleiten.86 Die rechtstechnische Gestaltung erlaubt folglich keinen Schluss auf eine allgemeine Richtschnur, wonach Bundes- oder Länderzuständigkeiten als Ausnahmen eng auszulegen seien. Systematisch unterscheidet das Grundgesetz die Gesetzgebungsbefugnis der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG und gemäß Art. 70 Abs. 2 GG die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Damit ruht das Gebäude der Gesetzgebungskompetenzen auf „drei Grundformen“.87 Die Dispositionsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 GG ist der konkurrierenden Kompetenz nach Art. 70 Abs. 2 GG zugeordnet, wobei die drei Erscheinungsformen selbständig nebeneinanderstehen.88 Eine Ausdehnung des Regel-Ausnahme-Prinzips auf die Klammerzusätze oder eine Interpretation, die sich auf Art. 72 Abs. 3 GG oder die konkurrierende Gesetzgebung der Art. 72 Abs. 1 und 74 Abs. 1 GG beschränkt, führt zur Konturlosigkeit des Regel-Ausnahme-Prinzips. Bei Ausdehnung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses besteht die Besorgnis einer unübersichtlichen Gemengelage sich gegenseitig ausschließender In„Ausnahmevorschriften sind weder eng noch weit, sondern richtig zu interpretieren.“ Dezidiert kritisch zur Anwendung des Regel-Ausnahme-Prinzips zuletzt W. Löwer, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch – Ziele und Wirkungen, 2008, S. 101 (105 f.) und C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (426). 84 A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 2. 85 BVerfGE 26, 281 (297); 42, 20 (28); J. Vogel, in: Benda/Maihofer/ders. (Hg.), Hdb. d. VerfR., 2. Aufl. 1994, § 22 Rn. 26; R. Mönch, DVBl. 1979, S. 462 (463 f.). 86 So richtigerweise J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 14; W. Erbguth, in: Ipsen/Rengeling/Mössner/Weber (Hg.), Festschrift Heymanns Verlag, 1995, S. 551; H.-J. Rinck, in: Ritterspach/Geiger (Hg.), Fests. Müller, 1970, S. 289 ff.; R. Scholz, in: Starck (Hg.), 25 Jahre BVerfG II, S. 252 (554); R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 70 GG Rn. 40. 87 Im Anschluss an A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 25 ff. Unrichtig ist die gelegentlich geäußerte Ansicht, durch das 52. Änderungsgesetz des Grundgesetzes sei ein fünfter Kompetenztyp in das Grundgesetz eingeführt worden. Vgl. zudem das BT-Plenarprotokoll 16/23, S. 1776. 88 Die dogmatische Grundstruktur nimmt vorstehend Kapitel 1 sub II. 2. in Blick.
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis 183
terpretationsdirektiven, die letztlich den Blick auf die vom Bundesverfassungsgericht postulierte ‚strikte Auslegung‘ von Kompetenznormen verstellt.89 Das Gebot einer solchen strikten Interpretation gebietet keine das Resultat vorzeichnende enge Interpretation von Kompetenznormen.90 Eine Zurückführung des Kompetenzgefüges auf ein mehrstufiges Regel-Ausnahme-Verhältnis mit einer Grundzuständigkeit der Länder kann dann Platz greifen, wenn sich der Kompetenzordnung keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, wem die Gesetzgebungsbefugnis für eine Sachmaterie zusteht.91 Das Grundgesetz verlangt weder nach einer ‚engen‘ noch nach einer ‚weiten‘ Auslegung, sondern verlangt eine sach- und kontextspezifische Interpretation.92 Eine solche Auslegung der Kompetenznormen verlangt Zurückhaltung gegenüber einer erweiternden Auslegung zugunsten des Bundes wie der Länder.93
89 Zur ‚strikten Auslegung‘ vgl. grundlegend BVerfGE 12, 205 (228 f.); 26, 281 (297 f.); 42, 20 (28); 61, 149 (174); 106, 62 (136). Diese Sichtweise wird im Schrifttum ganz überwiegend geteilt, vgl. statt anderer M. Heintzen, in: Dolzer/Waldhoff/ Graßhoff (Hg.), Bonner Kommentar, Stand Dezember 2003, Art. 70 GG Rn. 57; A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 33. Kritisch zum Regel-Ausnahme-Verständnis bereits H.-J Rinck, in: Ritterspach/ Geiger (Hg.), Fests. Müller, 1970, S. 289 ff. (299 f.) und P. Lerche, in: Geis/Lorenz (Hg.), Fests. Maurer, 2001, S. 205 ff. 90 Eingehend und mit weiteren Nachw. A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 2 und H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 33. 91 Ebenso W. Erbguth, in: Sachs (Hg.), Art. 30 GG Rn. 7 f.; J. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 134 Rn. 15; C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 70 GG Rn. 7 f. 92 Eingehend H.-J. Rinck, in: Ritterspach/Geiger (Hg.), Fests. Müller, 1970, S. 289 ff. (299 f.); dies aufgreifend auch BVerfGE 36, 193 (209); A. Uhle, in: Maunz/ Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 33; R. Scholz, in: Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Bd. II, 1976, S. 252 ff. (254 f.); zudem J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 14. Zu Recht weisen C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (18) auf die „Ambiguität dieser systematischen Einordnung“ hin. 93 So auch C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1215); zu den allgemeinen Grundsätzen der Naturschutzgesetzgebung O. Hendrischke, NuR 2007, S. 454 (454); W. Löwer, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 101 (105 f.); wohl auch M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (104); M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 39; ders., AöR Bd. 135 (2010), S. 259 (482); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80j.
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
b) Die Regelungstechnik des ausgrenzenden Klammerzusatzes Einen weiteren Zugriff auf die wasserrechtliche Abweichungsbefugnis bietet die Regelungstechnik innerhalb des Kompetenztitels. In Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG bedient sich der Verfassungsreformgesetzgeber der Technik eines Klammerzusatzes. Einen ausgrenzenden Klammerzusatz kennt das Grundgesetz seit dem 42. Änderungsgesetz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG.94 Nach dessen Begründung bringt der verfassungsändernde Normgeber hierin zum Ausdruck, eine bestimmte abgrenzbare und überschaubare Materie vom Kompetenztitel auszunehmen.95 Die Terminologie der „Regelungen“ im Begründungstext zu Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG – ebensolches gilt für den Begriff der „Materie“ in den Erwägungen zum 42. Änderungsgesetz – ist indessen nicht als umfassende Rezeption eines spezifischen einfachgesetzlichen Normbestandes zu interpretieren.96 Im Mittelpunkt steht vielmehr die Beschreibung eines normativ geordneten Sachgebietes. Der den Ländern vorenthaltene stoff- und anlagenbezogene Bereich ist normativ festzustellen.97 Im Gegensatz zu anderen Materien, wie der des Ladenschlusses, des Rechts der Gaststätten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) oder des Heimrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG), bei denen sich der Gesetzgeber dieser Regelungstechnik bedient, war die Ordnung des Wasserhaushalts Bund und Ländern gemeinsam überantwortet.98 Das Klammerzitat dokumentiert einen eigenständigen neuen Funktionsgehalt. Eine Orientierung am Wasserhaushaltsgesetz 200299 würde die Reichweite des Klammerzusatzes folglich verkennen. Der Klammerzusatz erfasst über das Wasserhaushaltsgesetz 2002 hinaus Materien, die ehedem sowohl im Bundes- als auch im Landesrecht niedergelegt waren.100 c) Das Abweichungsmodell zur ‚Konzeptbildung‘ Nach den Begründungserwägungen bietet der Kompetenzzuschnitt des Art. 72 Abs. 3 GG den Ländern als Kompensation für die nicht weiterge94 Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG „das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge)“. 95 Vgl. die Begründung zur Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/8423, S. 9. 96 Vgl. die vorstehenden Überlegungen unter sub 2. 97 Im Ergebnis auch C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 70 GG Rn. 54 a. E. 98 Nämliches gilt für das Jagdwesen Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GG sowie den Naturschutz und die Landschaftspflege nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG. 99 BGBl. I (2002), S. 1914, 2711. 100 Mit einem vergleichbaren Blick auf das Naturschutzrecht W. Löwer, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 101 (106).
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis 185
führte Rahmengesetzgebung die Möglichkeit, eigene gesetzgeberische Konzeptionen zu entwickeln.101 Mit den vorliegenden einfachgesetzlichen Regelwerken der Länder ist nunmehr der Weg frei, die Gestaltungsmacht zur Konzeptbildung erstmals zu bewerten. Der Begriff der ‚gesetzgeberischen Konzeption‘ wurde vor der Föderalismusreform des Jahres 2006 bereits in der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts verschiedentlich verwandt.102 Eine Auseinandersetzung darüber, unter welchen Prämissen ein Regelwerk als ‚Konzept‘ zu qualifizieren sei, fand – soweit ersichtlich – bisher nicht statt.103 Ein ‚Konzept‘ lässt sich als eine klar umrissene Grundvorstellung, ein Leitprogramm oder ein gedanklicher Entwurf104 und als normatives System charakterisieren. Ein ebensolches System ist der traditionelle Gegenstand dogmatischer Betrachtungen und Beschreibungen.105 Die System- bzw. Konzeptbildung ist insoweit Ziel und Referenzgebiet der rechtswissenschaftlichen Dogmatik. Dazu zählt es, aus dem Normprogramm, der gerichtlichen Praxis und der dogmatischen Arbeit ein fiktives Gebäude entstehen zu lassen. Ein solches Gebäude setzt sich in aller Regel nicht nur aus einzelnen dogmatischen Figuren und Theorien zusammen, sondern enthält darüber hinaus Leitprinzipien, Grundbegriffe und Anwendungsgrundsätze.106 Die ‚konzeptionelle‘ Entfaltungsmöglichkeit der Länder ist durch das Wasserhaushaltsgesetz einfachgesetzlich stark beschnitten.107 Die indisponiblen stoff- und anlagenbezogenen Regelungsgehalte finden sich in allen Abschnitten des Wasserhaushaltsgesetzes. Zusammen mit den europarechtlich vorgegebenen Regelungen bleibt für eine eigene konzeptionelle Ausbildung des Landesrechts nur sehr wenig Raum. In Betracht kommen beispielsweise vom Wasserhaushaltsgesetz ausgenommene Sachmaterien und Abweichungen mit verfahrens- und organisationsrechtlichem Charakter oder 101 Darauf wird noch verschiedentlich zurückzukommen sein, vgl. etwa Kapitel 5 sub I. 3. Eine solche Entfaltungsmöglichkeit der Länder war mit der Rahmengesetzgebungskompetenz ausgeschlossen, darüber bereits M. Bullinger, DÖV 1970, S. 761 (764 f.). 102 Paradigmatisch BVerfGE 106, 310 (330): „Aus dieser Konzeption des Grundgesetzes für den Bundesrat […]“; 98, 106 (120): „[…] das Umweltrecht in der Konzeption des Bundesgesetzgebers […]“; 110, 274 (275): „Dem Gesetz liegt das Konzept zugrunde […]“. 103 Nachfolgend in Anlehnung an C. Bumke, Der Staat Bd. 49 (2010), S. 77 (91 f.). 104 Duden, Deutsche Rechtschreibung, 25. Aufl. 2010. 105 Zum folgenden erschöpfend J. C. Schuhr, Rechtsdogmatik als Wissenschaft, 2006, S. 16 und 96 ff. 106 In Anlehnung an C. Bumke, Der Staat Bd. 49 (2010), S. 77 (92). 107 Siehe dazu den Überblick unter Kapitel 2 sub II. 3.
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
etwa der unterschiedliche Umgang mit dem Gewässerschutz durch Gewässerrandstreifen.108 Doch werden die Länder durch die ihnen zugänglichen Sachmaterien kaum zu einer eigenständigen ‚Systembildung‘ befähigt. Abgesehen von diesem nur rechtstatsächlichen Befund soll die Abweichungsbefugnis im Sinne des Wettbewerbsföderalismus eigene sachlich ausdifferenzierte Vorstellungen der Länder ermöglichen. Wird diese Intention als wichtig erachtet, so verbleibt den Ländern eine in Tiefe und Breite beträchtliche Gestaltungsbefugnis. Diese Gesetzgebungsbefugnis darf sich nicht lediglich in der Ausgestaltung von verfahrens- und organisationsrechtlichen Bestimmungen oder etwa des Gemeingebrauchs erschöpfen. Deshalb ist es mit Blick auf die Entstehungsgeschichte unzutreffend, den Ländern ausschließlich partielle Abweichungen zu zubilligen.109 Sofern eine solche Analyse überhaupt sachgerecht ist,110 sprechen die Begründungserwägungen des 52. Änderungsgesetzes tendenziell und unbenommen der einzelnen Titel des Art. 72 Abs. 3 GG für eine restriktive Auslegung der Klammerzitate.111 4. Resümierende Stellungnahme Die Überführung des Wasserwirtschaftsrechts von Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG a. F. in die konkurrierende Legislativbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 GG ruft nach dem Vorstehenden bisher keine Konflikte hervor, die sich nicht mit der hergebrachten juristischen Methodik auflösen lassen. Das mit dem Wasserwirtschaftsrecht korrespondierende Verfassungsrecht zeichnet im Lichte der Reformziele des Jahres 2006 und der einfachgesetzlichen Regelwerke ein ambivalentes Bild. Insbesondere die aus der Verfassungsreform 2006 hervorgegangene Regelungstechnik der Abweichungsbefugnis mit ausgrenzendem Klammerzusatz wird im Schrifttum oftmals dazu genutzt, um daraus Auslegungsleitlinien abzuleiten und die vielfach als inadäquat empfundene Abwei108 Die Reglementierung der Gewässerrandstreifen wird zur Exemplifizierung der divergierenden Regelungsansätze im nachstehenden Kapitel 7 sub II. 3. d) und Kapitel 6 sub II. 2. d) beleuchtet. 109 Gleichsinnig C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (426). 110 Zur Kritik an solchen Direktiven vorstehend sub II. 3. a) bb). 111 Damit ist den Betrachtungen entgegenzutreten, die auf einer extensiven Interpretation der abweichungsfesten Regelungsmaterien insistieren. Zu Recht M. Kloep fer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (264). Demgegenüber E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282); M. Gellermann, NVwZ 2010, S. 73 (74); H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (256); W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356). Die verfassungsrechtliche Absicherung des UGB I war eine maßgebliche Besorgnis im Rahmen der Anhörung zur Föderalismusreform im Umweltbereich. Vgl. E. Schmidt-Jortzig, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 16; C. Ziehm, ebenda, S. 19; C. Schrader, ebenda, S. 33.
II. Zur Interpretation der Abweichungsbefugnis 187
chungsbefugnis einzuschränken. Dem Umgang mit den Interpretationskriterien haftet noch eine gewisse Unsicherheit an, die sich namentlich mit Blick auf die historisch-genetische Auslegung dokumentieren lässt. In Ansehung des Neuzuschnitts der Kompetenzverteilung und der Begründungserwägungen zum 52. Änderungsgesetz ist den Aspekten des ‚Traditionellen‘ und ‚Herkömmlichen‘ für den Untersuchungsgegenstand des Wasserwirtschaftsrechts eine nur nachgeordnete Bedeutung beizumessen. Ein weiteres Thema betrifft die Technik der Rechtsetzung. So ist der besonderen Regelungstechnik des ausgrenzenden Klammerzusatzes bei der Auslegung von Kompetenztiteln entsprechend Rechnung zu tragen. Für den indisponiblen Bereich der stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen ist die Bedeutung der Regelungstechnik jedoch nur von minderem Gewicht. Der mit dem Klammerzusatz ausgeschlossene Bereich des Wasserwirtschaftsrechts war Bund und Ländern vor der Reform bereits gemeinsam überantwortet. Die stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen des Bundes waren mit den landesrechtlichen Vorgaben zur Gewässerbewirtschaftung weitreichend verzahnt. Demgemäß existierte weder ein Stoff- oder Anlagengesetz noch ein abschließendes Normprogramm, dessen kompetenzielle Zuordnung der Reformgesetzgeber vollständig in ein Klammerzitat hätte überführen können. Diese Folgerung gilt gleichermaßen für eine Ausgestaltung als normativ-rezeptiver Kompetenztitel. Obwohl sich der abweichungsresistente Bereich aus den seinerzeit vorgefundenen Regelwerken des Bundes und der Länder ableiten lässt, beschränkt er sich nicht auf dieses Reglement, sondern geht darüber hinaus. Auf erhebliches Interesse im begleitenden Schrifttum stieß die Einbindung der Dispositionsbefugnis in ein durch die Art. 70 ff. GG eröffnetes Regel-Ausnahme-Verhältnis. Die entgegengesetzten Standpunkte über die Funktionsweise eines solchen Prinzips und die Einordnung der Abweichungsgesetzgebung lassen nach dem hier vertretenen Standpunkt keine tragfähigen Anhaltspunkte für eine konsistente Grenzziehung erkennen. Eine solche Systematisierung droht vielmehr eine höchstrichterlich eingeforderte sach- und kontextspezifische strikte Interpretation zu erschweren. Die kompetenziellen, einfachgesetzlichen und fachlichen Zweifelsfragen wurden bereits in den verschiedenen Etappen der Reformbemühungen vorgetragen. Dies betrifft den Posterioritätsgrundsatz des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG und die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG niedergelegte Karenzzeit im Allgemeinen und den Bereich des Umweltverfassungsrechts im Besonderen. Insoweit ist ersichtlich, dass der Reformgesetzgeber etwaige interpretatorische Abgrenzungsunsicherheiten bewusst hinnahm. Demgemäß sind solche verfassungsrechtlichen Inkonsistenzen nicht nachträglich mittels Praktikabilitätserwägungen und Auslegungsdirektiven einzuebnen, die nach der jewei-
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
ligen Präferenz entweder dem Regelungsmandat des Bundes oder dem der Länder mehr Raum einräumen. Vielmehr ist der Begründungstext zum Reformgesetz zu würdigen, der den Ländern eine substantielle, nämlich eine konzeptionelle Rechtsgestaltungsmacht zuspricht. Zusammen mit dem Reformanliegen einer Stärkung der Parlamente stützt die Genese keine enge Auslegung der Länderbefugnisse.112 Dieser Befund hat sich auch in der Interpretation der stoff- oder anlagenbezogenen Bereichsausnahme niederzuschlagen. Wird im Schrifttum eine restriktive Auslegung der den Ländern zugänglichen Vorgaben befürwortet, so wird dies der kompetitiv-föderativen Zielsetzung der Abweichungsbefugnis nicht gerecht.113
III. Die Abweichungskompetenzim Wasserhaushaltsrecht im Geflecht bundesstaatlicher Zuständigkeitsverteilung Unter der Geltung der abgelösten Rahmengesetzgebung wurde es dem Bundesgesetzgeber vielfach verwehrt, unterschiedliche Kompetenztypen, wie die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis, mit der Rahmengesetzgebung dergestalt zu kombinieren, dass eine kompetenzielle Grenzziehung nicht mehr möglich war.114 Entsprechende kompetenzrechtliche Überlegungen sind auch mit Blick auf die Abweichungsbefugnis angezeigt. Die der Dispositionsbefugnis unterliegenden Vorschriften des Wasserwirtschaftsrechts entziehen sich einer strikten Trennung, die sich an den unterschiedlichen Kompetenzsphären orientiert, sondern zeigen zahlreiche kompetenzrechtliche Überschneidungen. Zunächst ist nachfolgend zu analysieren, auf welche Kompetenztitel sich der Bundesgesetzgeber beim Erlass des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 stützte (nachstehend sub 1.). Alsdann ist das Verhältnis der Abweichungsgesetzgebung zum Recht der Wirtzu Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG C. Franzius, ZUR 2010, S. 346 (348). hier auch J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (26 ff.); V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (856). Mit einer Stärkung der Länder wurde das Abweichungsmodell auch seinerzeit im Rahmen der öffentlichen Anhörung verbunden W. Gerhards, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 7; M. Kloepfer, ebenda, S. 10: „Die innovative Kraft des Föderalismus hat sich insbesondere im Umweltrecht bewährt.“; J. Ruthig, ebenda, S. 15: „Im materiellen Umweltrecht halte ich ein Abweichungsrecht der Länder dagegen für sinnvoll.“; E. Schmidt-Jortzig, ebenda, S. 16: „Die Stärkung der Rechte der Länder ist richtig und gut […].“ 114 In diesem Sinne zu Art. 75 GG a. F. etwa W. R. Beyer, NJW 1957, S. 1348 (1349); T. Maunz, in: Maunz/Dürig, Bd. V., 25. Erg.-Lfg., Art. 75 GG Rn. 38; ders., BayVBl. 1955, S. 2 (5); T. Schneider, Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes, 1994, S. 82; R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. 2007, Art. 70 GG Rn. 32. Demgegenüber T. P. Streppel, Die Rahmenkompetenz, 2005, S. 168. 112 Gleichsinnig 113 Wie
III. Die Abweichungskompetenz189
schaft im Allgemeinen und zum Recht der Energiewirtschaft im Besonderen zu beleuchten, da beide Materien weiterhin der Erforderlichkeitsklausel unterliegen (nachstehend sub 2. und 3.). Namentlich für den Bereich des Hochwasserschutzes ist die Befugnis zur Regelung des Boden- und Küstenschutzes bedeutungsvoll (nachstehend sub 4. und 5.). 1. Die kompetenziellen Grundlagen des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 Ausweislich des Begründungstextes zum Wasserhaushaltsgesetz 2010 stützt sich der Bundesgesetzgeber für dessen Erlass neben Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG auf zwei weitere Kompetenztitel.115 Dies betrifft zunächst das Bürgerliche Recht116 nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, dem die Vorschriften über das Gewässereigentum (§ 4 WHG), die Haftung (§§ 41 Abs. 4, 89 und 91 Satz 2 und 3 WHG) und die Bestimmungen über die Ordnungswidrigkeiten (§ 103 WHG) zuzuordnen sind. Ferner sollen sich einige Vorgaben für die Überschwemmungsgebiete in § 78 WHG auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG (Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse) und des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG (Bodenrecht) gründen lassen.117 Der in der Begründung dokumentierte gesetzgeberische Wille, sich für einen geordneten Lebenssachverhalt auf einen explizit benannten Kompetenztitel zu stützen, ist ein wichtiges Indiz für die jeweilige Kompetenzinanspruchnahme. Dies entbindet jedoch nicht von einer kompetenzrechtlichen Zuordnung der jeweiligen Vorschriften.118 Neben der Abgrenzung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG (Wasserhaushalt) zum Recht der Wirtschaft bzw. der Energiewirtschaft gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, zum Bodenrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG und zum Küstenschutz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG lassen sich weitere Kompetenztitel nennen, die im Kern wasserrechtliche Regelungsfragen beinhalten, etwa die konkurrierende Kompetenz zur Regelung der Bundeswasserstraßen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG) oder auch den Infektionsschutz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG). Die Grenzziehung zu letztgenannten Titeln liefert für den Untersuchungszweck indessen keine weiterführenden Erkenntnisse und darf insoweit dahinstehen. 115 BT-Drucks.
16/12275, S. 41. Kompetenztitel des Bürgerlichen Rechts näher Kapitel 7 sub I. 5. 117 Vgl. BT-Drucks. 16/12275, S. 41; dies aufgreifend S. Caßor-Pfeiffer, ZfW 2010, S. 1 (4). 118 BVerfGE 70, 251 (264): „Über die Zuordnung einer Norm zu einer Gesetzgebungsmaterie entscheiden weder der äußere Regelungszusammenhang noch der Wille des Gesetzgebers. Maßgebend ist allein der Gehalt der Regelung.“ 116 Zum
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
2. Das Recht der Wirtschaft und die Ordnung des Wasserhaushalts Im Zuge der Verfassungsreform 2006 wurden zentrale umweltrechtliche Sachmaterien von dem Erfordernis des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG entbunden, wonach eine bundeseinheitliche Rechtsetzung dem Gebot der Erforderlichkeit genügen musste. Indessen bleibt dieses gesamtstaatliche Interesse an der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder an der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit für andere Kompetenztitel weiterhin Ausübungsvoraussetzung. Für letztgenannte normierungsbedürftige Regelungsbereiche kann sich der Bundesgesetzgeber auf niedergeschriebene oder gegebenenfalls stillschweigend mitgeschriebene119 Kompetenzen stützen. Eine solche ungeschriebene Kompetenz ist etwa kraft Sachzusammenhangs gegeben, wenn der Bund eine ihm ausdrücklich zugewiesene Materie verständlicherweise nur ordnen kann, wenn er eine ihm nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitregelt.120 Bei den Annexkompetenzen, die zu einer Kompetenzerweiterung auf Stadien der Vorbereitung und Durchführung führen,121 entsteht vielfach ein Kompetenzmix, aus dem sich weitere Abgrenzungsfragen ergeben.122 Namentlich nach Helmuth Schulze-Fielitz123 bestehe „für querschnittsorientierte Aufgabenfelder wie z. B. Klimaschutz, Recht der erneuerbaren Energien, Gentechnik oder die Chemikalienregulierung […] nach wie vor nur ein ‚Kompetenzmix‘ “, weshalb die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG gegebenenfalls bei der Rechtsetzung im Wasserhaushaltsrecht durch den Bundesgesetzgeber zu beachten sei. Die Bundeskompetenz über das ‚Recht der Wirtschaft‘ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ist als solche nicht explizit im Begründungstext des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes genannt. Dennoch soll dieser Kompetenztitel nach Michael Kotulla weiterhin „namentlich für das anlagenbezogene Wasserrecht 119 Dazu N. Achterberg, AöR Bd. 86 (1961), S. 63 (84 ff.), wonach die Befugnisse kraft Sachzusammenhangs und Natur der Sache keine ungeschriebenen, sondern „stillschweigende Kompetenzen“ seien. 120 Ausführlich dazu A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 67 ff. Siehe dazu auch unter Kapitel 7 III. 3. d). 121 A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 71 ff. 122 Kritisch der Sachverständigenrat für Umweltrecht, Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, Stellungnahme, 2006, Rn. 5, 17 f.; F.-J. Peine, in: Kloepfer (Hg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 109 (110 f.). 123 H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (46.).
III. Die Abweichungskompetenz191
(§§ 62 f.) Bedeutung“ erlangen.124 Das Wasserhaushaltsrecht ist als Recht der Gewässernutzung insbesondere mit seinen Zulassungspflichten bei Einleitungen und Entnahmen sowie für Energieerzeugungsanlagen wirtschaftlich geprägt.125 Der Titel des Rechts der Wirtschaft wird sehr weit interpretiert126 und beschränkt sich nicht auf die in dem Klammerzusatz aufgeführten Wirtschaftszweige.127 Die umweltbezogenen Regelungen unterfallen dem Recht der Wirtschaft, soweit sie der Gefahrenvorsorge in spezifischen Wirtschaftsbereichen dienen und wirtschaftsabhängig für jedermann gelten.128 Die Normierungsbereiche des Wasserhaushaltsrechts mit unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen Auswirkungen sind mannigfaltig.129 Hervorzuheben ist dabei die grundlegende Differenzierung von emissions- und immissionsbezogenen Anforderungen, welche die Kompetenzinanspruchnahme bis zur Föderalismusnovelle 2006 prägten. Nach wie vor bedürfen die Anforderungen an die Emission von Stoffen, Anlagen und deren Betrieb einer bundesweit einheitlichen Gestaltung und Durchsetzung. Mit dieser Erwägung wurde dem Bund nach Art. 75 Abs. 2 in Verbindung mit 72 Abs. 2 GG a. F. die Befugnis zugesprochen, ins Einzelne gehende bundeseinheitliche Regelungen zu erlassen.130 Dies waren etwa Vorgaben zur Abwassereinleitung (§ 7a WHG a. F.), das Reglement zu den verschiedenen gewässerrelevanten Anlagen (§§ 18b, 18c, 19a ff., 19g ff. WHG a. F.) oder die Regelung des Betriebsbeauftragten für den Gewässerschutz (§§ 21a ff. WHG a. F.).131 124 M. Kotulla,
Wasserhaushaltsgesetz, 2011, Einf. Rn. 46. M. Reinhardt, in: ders. (Hg.), Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 9 (15 ff.) und zu den Entwicklungslinien in Kapitel 1 sub I. 2. 126 BVerfGE 3, 25 (25, 28 f.); 55, 274 (308); 68, 319 (330); 116, 205 (215 f.); C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 74 GG Rn. 44; B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 74 GG Rn. 19; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, in: Friauf/Höfling (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Rn. 29 ff.; Kritisch S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Rn. 61 ff. 127 So die vorherrschende Interpretation C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 74 GG Rn. 44; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, in: Friauf/Höfling (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Rn. 29 ff.; R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 74 GG Rn. 57 f. Abweichend hingegen H. D. Jarass/B. Pieroth, in: dies. (Hg.), Art. 74 GG Rn. 19/22. 128 Vgl. für die Reglementierung von Rohrleitungsanlagen beispielsweise die Begründung zum Regierungsentwurf des Siebten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes, BT-Drucks. 14/7755, S. 13. 129 Nachfolgend in Anlehnung an R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004 Rn. 3. 130 Vgl. R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 3. 131 M. Oldiges, in: ders. (Hg.), Aktuelle Probleme des Gewässerschutz und Abwasserrechts, 1998, S. 51 (57 f.). Zum Ganzen auch C. Fischer, Zur von Gesetzgebungskompetenzen im Umweltschutz, 2001, S. 56 ff., 232 ff. 125 Ausführlich
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
Vielfach wurden die aufgeführten Bereiche mit kleinen redaktionellen Änderungen in das Wasserhaushaltsgesetz 2010 bzw. in darauf beruhendes Verordnungsrecht überführt. In Ansehung dessen wären große Teile des Wasserhaushaltsrechts nach wie vor der Erforderlichkeitsklausel aus Art. 72 Abs. 2 GG unterworfen und einer anderweitigen Gestaltung nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG entzogen. Noch offensichtlicher erscheint die vermeintliche Vereinnahmung durch den Bund, wenn mit Helmuth SchulzeFielitz auf eine Kompetenz zum Klimaschutz abgestellt wird. Der Klimaschutz hält zusehends Einzug in das Umwelt- und Technikrecht und gilt nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 WHG als allgemeiner Grundsatz für die öffentlich verantwortete Gewässerbewirtschaftung.132 Es ließe sich deshalb folgern, zusammen mit den bereits aufgeführten wirtschaftlich determinierten Bereichen sei der Kompetenztitel des Wasserwirtschaftsrechts in Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG lediglich ein Teil des Rechts der Wirtschaft nach Art. 72 Abs. 1 Nr. 11 GG.133 Indessen führt die Begründung des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes Art. 72 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht auf. Der Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft tritt als lex generalis hinter die speziellere Gesetzgebungsbefugnis zurück.134 Demnach gelangt die Erforderlichkeitsklausel im Regelungsbereich des Wasserhaushalts grundsätzlich nicht zur Anwendung.135 Ferner unterliegen die eingangs benannten wasserrechtlichen Vorgaben der landesgesetzlichen Abweichungsbefugnis, wenngleich sie vereinzelt dem Recht der Wirtschaft zugeordnet werden könnten.136 Eine gegenteilige Meinung ließe das Ziel der Verfassungsreform 2006, nämlich der Entflechtung der normierungsbedürftigen Regelungsbereiche und einer eindeutigeren Kompetenzzuordnung, unerreichbar werden. Dabei ist zu vermerken, dass die wirtschaftlich geprägten Materien oftmals zugleich indisponible stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge sind. Deshalb ist auch dem Standpunkt von Eberhard Bohne entgegenzutreten, wonach sich das Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln (Wasch- und Reinigungsmittelgesetz – WRMG)137 als 132 Mit diesem bedenkenswerten Hinweis und allgemein kritisch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (480 f.). Zu den fachspezifischen Herausforderungen des Klimawandels: Umweltbundesamt, Rechtlicher Handlungsbedarf für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Auf die ökologischen Nachteile des Klimaschutzes weist K.-F. Gärditz, DVBl. 2010, S. 214 ff. hin. 133 So explizit M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (481). 134 S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Rn. 96; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, in: Friauf/Höfling (Hg.), Bonner Kommentar, XX Erg.-Lfg. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Rn. 70. 135 Wohl auch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (481). 136 Anders hingegen M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, Einf. Rn. 46. 137 Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln (Wasch- und Reinigungsmittelgesetz – WRMG) vom 29. April 2007, BGBl. I, S. 600.
III. Die Abweichungskompetenz193
stoffbezogenes Regelwerk auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG stützen lässt und damit der Erforderlichkeitsnachweis gemäß Art. 72 Abs. 2 GG bedeutungslos wäre.138 Das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz regelt mittelbar Belastungen des Wasserhaushalts, indem es Anforderungen an das Inverkehrbringen und die Kennzeichnung von Wasch- und Reinigungsmitteln statuiert, und ist ein spezielles Regelwerk des Gewässerschutzrechts.139 Ließe sich die Ermächtigung zum Wasch- und Reinigungsmittelgesetz unmittelbar auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG stützen, würde dies dem Bundesgesetzgeber eine Kompetenz zubilligen, die deutlich über das Recht zur Ordnung des Wasserhaushalts hinausreicht. Die indisponiblen stoffbezogenen Regelungen steuern Vorgänge des Wasserhaushalts. Die Bereichsausnahme gibt hingegen keine umfassende Kompetenz für weitere stoff- oder anlagenbezogene Sachmaterien, die den Schutz des Wasserhaushalts nur mittelbar zum Regelungsgegenstand haben. Demgemäß stützte auch der Bundesgesetzgeber das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz nach der Verfassungsreform 2006 allein auf die Kompetenztitel der konkurrierenden Gesetzgebung aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft), Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG (Recht der Bedarfsgegenstände) und Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Strafrecht).140 3. Die Vorgaben zur Wasserkraftnutzung und das Recht der Energiewirtschaft Einen weiteren erörterungswerten Aspekt liefert das Verhältnis der Befugnis zur Ordnung des Wasserhaushalts zum Recht der Energiewirtschaft aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Das Recht der Energiewirtschaft unterfällt dem Titel des Rechts der Wirtschaft und demgemäß der Erforderlichkeitsklausel nach Art. 72 Abs. 2 GG.141 Mit § 35 WHG enthält das Wasserhaushaltsrecht eine Bestimmung, die an die „Nutzung von Wasserkraft“ besondere Anforderungen stellt,142 und deren kompetenzielle Beurteilung erörterungswürdig ist. Nach Michael Reinhardt gilt diesbezüglich für die „wasserwirtschaftliche Ebene der Wasserkraftnutzung“ Art. 72 Abs. 3 GG und „für die energie138 Mit
diesem Ansinnen E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (286). in: v. Lersner/Berendes/ders. (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 5/10, C 9,
139 M. Reinhardt,
II, 5. c). 140 Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Umweltverträglichkeit von Waschund Reinigungsmitteln (Wasch- und Reinigungsmittelgesetz – WRMG) vom 30. Juni 2006, BT-Drucks. 16/3654, S. 10. 141 Näher H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 228. 142 Zu § 35 WHG nachstehend Kapitel 7 sub II. 3. c).
194
Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
wirtschaftliche Dimension“ der indisponible Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.143 Die Vorschrift trägt den widerstreitenden Belangen des Klimaschutzes durch die Nutzung der Wasserkraft zur Energiegewinnung einerseits und des Gewässerschutzes durch die Linderung der gravierenden Auswirkungen von Querbauwerken auf aquatische Ökosysteme und die Hydromorphologie andererseits Rechnung. Insbesondere sollen die Anlagenbetreiber geeignete Maßnahmen zum Schutz der Fischpopulation ergreifen. Die europarechtlich unterlegte144 Vorgabe weist eine unmittelbar gewässerschutzbezogene Schutzrichtung auf und regelt ergänzende Zulassungsvoraussetzungen für bestimmte Gewässernutzungen.145 Obwohl die Regelungsintention des § 35 WHG auch durch Bemühungen geprägt ist, die Potentiale der Wasserkraft zur Energieerzeugung nutzbar zu machen, so bleibt der Schutz- und Regelungszweck im Kern allein ein solcher der Wasserwirtschaft. Diese Absicht wird aus der ersten Entwurfsfassung des § 35 WHG erkennbar.146 Der Bundesgesetzgeber unternahm in dieser Fassung den Versuch, möglichst restriktive Vorgaben an die Wasserkraftnutzung zu stellen und den Belangen der Gewässerbewirtschaftung einen höheren Stellenwert beizumessen. § 35 WHG bezweckt in Absatz 1 den Schutz des Wasserhaushalts. Dasselbe gilt für Absatz 3, dessen behördlicher Prüfauftrag im Kern wasserwirtschaftlichen Gesichtspunkten unterliegt. Diese Regelung korrespondiert mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG)147, welches den Vergütungsanspruch des Betreibers in § 23 Abs. 4 EEG an die Erfordernisse des Wasser143 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 35 WHG Rn. 5; D. Riedel, in: Giesberts/ Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. April 2010, § 35 WHG Rn. 3. 144 Aus der Wasserrahmenrichtlinie ergibt sich kein Verbot von Querbauwerken, jedoch das Ziel, die Durchgängigkeit der Oberflächengewässer zu gewährleisten. Vgl. zu diesen hydromorphologischen Anforderungen Kapitel 1 sub I. 3. 145 Näher K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 35 WHG Rn. 1 f. 146 BT-Drucks. 16/12275, S. 13: „§ 35 Wasserkraftnutzung (1) Die Nutzung von Wasserkraft darf nur zugelassen werden, wenn geeignete Maßnahmen zum Schutz der Fischpopulation ergriffen werden. Im Übrigen sind die Erfordernisse des Klimaund Naturschutzes und der Landschaftspflege zu berücksichtigen. Eine Nutzung durch Laufwasserkraftanlagen soll darüber hinaus nur zugelassen werden, wenn die Anlage 1. im räumlichen Zusammenhang mit einer ganz oder teilweise bereits bestehenden oder vorrangig zu anderen Zwecken als der Erzeugung von Strom aus Wasserkraft neu zu errichtenden Staustufe oder Wehranlage oder 2. ohne durchgehende Querverbauung errichtet wird.“ 147 Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (Erneuerbaren-Energien-Gesetz – EEG) vom 25. Oktober 2008, BGBl. I, S. 2074. Zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vom 28. Juli 2011, BGBl. I, S. 1634.
III. Die Abweichungskompetenz195
haushaltsgesetzes bindet. Danach muss die Wasserkraftnutzung neben den Anforderungen der §§ 33 bis 35 WHG und § 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 WHG den weiteren wasserwirtschaftlichen Prämissen entsprechen.148 Gegen den Standpunkt Reinhardts, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG für § 35 WHG Platz greifen zu lassen, erheben sich im Anschluss an die vorangegangenen Betrachtungen zu den gesonderten Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG Bedenken.149 Nicht nur, dass sich der Bundesgesetzgeber ausweislich des Begründungstextes nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG stützt.150 Wäre § 35 WHG partiell indisponibel, so müsste sich die Vorgabe an dem strengen Erforderlichkeitsmaßstab des Art. 72 Abs. 2 GG messen lassen.151 Danach ist eine Regelung des Bundes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nur erforderlich, „wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet“.152 Eine solche Situation ist für den Regelungsgegenstand des § 35 WHG erst darzulegen, damit sich dessen wasserrechtliche Vorgaben einer Regelung durch die Länder nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG entziehen.153 4. Das Wasserwirtschaftsrecht und die Befugnis zum Bodenrecht Neben dem Recht der Wirtschaft sind weitere Kompetenztitel zu prüfen, auf die sich Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes möglicherweise stützen lassen. Der Titel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG über das Bodenrecht enthält verteilungs- und wohnungsbaupolitische Komponenten. Er ist nicht umfassend angelegt und gibt dem Bundesgesetzgeber keine selbständige Umweltkompetenz.154 Der Bundesgesetzgeber kann sich jedoch auf die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG berufen,155 sofern er 148 Ähnliche Vorgaben enthielten bereits die Vorgängerregelungen, vgl. § 6 EEG in der Fassung vom 21. Juli 2004, BGBl. I, S. 1918 und § 23 EEG in der Fassung vom 25. Oktober 2008, BGBl. I, S. 2074. 149 Siehe mit Blick auf die Erforderlichkeitsklausel vorstehend sub a). 150 Siehe oben sub 1. 151 Zur Erforderlichkeitsklausel auch in Kapitel 1 sub I. 2. a) und b). 152 BVerfGE 106, 62 (144); 111, 226 (253); 112, 226 (244). 153 Näher und mit weiteren Nachw. zur Kompetenzinanspruchnahme nach Art. 72 Abs. 2 GG im Bereich der Energiewirtschaft M. Schulte/D. Apel, DVBl. 2011, S. 862, (866 ff.). 154 H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 259. 155 Detailliert zur Abgrenzung von Bundes-Bodenschutzgesetz und Wasserrecht ist die Ausarbeitung der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz (LABO) in
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Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
innerhalb des Wasserhaushaltgesetzes Bestimmungen zu baulichen Anlagen trifft.156 Wesentlich für die Schnittstelle zwischen Wasser und Boden ist die Entscheidung, wann das noch zum Gewässerbett zählende Ufer zu Boden im Sinne des § 2 Abs. 1 Bundesbodenschutzgesetz157 wird.158 Damit bestimmt die Uferlinie über die Geltung einer der beiden Kompetenzsphären.159 Diese orientiert sich zumeist an der Linie des mittleren Wasserstandes und ist von den zuständigen Vollzugsbehörden der Länder festzustellen. Das Gewässerbett selbst zählt zum Oberflächengewässer. Es besteht aus der Sohle, dem vom Wasser bedeckten Boden und dem Ufer.160 Das Grundwasser verbleibt damit grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Wasserhaushaltsgesetzes überlassen,161 wobei die genaue Abgrenzung zum Grundwasserkörper Fragen aufwirft.162 Nach überwiegender Auffassung findet das Bundesbodenschutzgesetz seine Rechtfertigung in der konkurrierenden Legislativbefugnis.163 Einschlägig ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG. Unter Berücksichtigung der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind von diesem Zusammenarbeit mit der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) aus dem Jahre 2000. 156 Dies betrifft etwa die Verbote nach § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 als auch in den Absätzen 2 und 3 WHG, dazu unter Kapitel 7 sub II. 2. b). 157 Bundes-Bodenschutzgesetz vom 17. März 1998 (BGBl. I S. 502), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 30 des Gesetzes vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212) geändert worden ist. 158 Nachfolgende Ausführungen orientieren sich an W. Frenz/P. Sieben, ZfW 2001, S. 152 (155). 159 Näher dazu die Ausführungen und Nachweise bei K. Berendes, in: ders./Frenz/ Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 3 WHG Rn. 5. 160 Vgl. V. Nies, in: Landmann/Rohmer (Hg.), Umweltrecht Bd. II, 30. Erg.-Lfg. 1998, § 2 BodSchG Rn. 5. 161 Siehe etwa im RegE zum BBodSchG, BT-Drucks. 13/6401, S. 28. 162 Näher J. Salzwedel/W. Durner, in: Hansmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kap. 8 Rn. 147 ff. mit umfassender Erörterung der Thematik und weiteren Nachw. 163 Ausführlich U. v. Buch, NVwZ 1998, S. 822 ff. und zur Abgrenzung des Bodenschutzrechts F.-J. Peine, UPR 1999, S. 361 ff. Das Verhältnis von Wasser- und Forstrecht zeichnet T. Cosack, ZfW 2008, S. 61 ff. anschaulich nach. Die Rechtsetzungsbefugnis für das Bodenschutzgesetz ist nicht unumstritten. Namentlich nach C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 74 GG Rn. 77 geht das Gesetz über die verteilungs- und wohnungsbaupolitische Komponente hinaus und lässt sich nur auf verschiedene Titel des Art. 74 GG stützen. Demgegenüber für die wohl überwiegende Ansicht nur L. Knopp, DÖV 2001, S. 441 (443) mit weiteren Nachw. und aus der Rechtsprechung BVerwG, NVwZ 2000, S. 1179 (1181): „Lässt sich mithin das Bundesbodenschutzgesetz eindeutig dem Kompetenztitel des Art. 74 I Nr. 18 GG zuordnen – und kann daher offen bleiben, ob auch andere Kompetenztitel (ergänzend) vom Bund in Anspruch genommen werden können […]“ mit Anm. von C. Bickel, NVwZ 2000, S. 1133 ff. und BVerwGE 126, 1 ff.
IV. Resümierende Stellungnahme197
Kompetenztitel nur Regelungen erfasst, „die den Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand haben, also die rechtliche Beziehung des Menschen zum Grund und Boden regeln“.164 Für die in § 1 Satz 2 BBodSchG vorgesehene Sanierung bestimmter Gewässerverunreinigungen ist dementsprechend auf die Kompetenz des Wasserhauhalts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG zurückzugreifen.165 Auf die Normsetzungskompetenz für das Bodenrecht wird nachfolgend nochmals einzugehen sein.166 5. Regelungen des Küstenschutzes und Wasserhaushaltsrecht Ein weiterer Regelungsbereich mit kompetenziellen Schnittmengen zur Ordnung des Wasserhaushaltsrechts betrifft den Küstenschutz.167 Die Bestimmungen zum Küstenschutz stützt der Bund auf die bestehende konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG. Der Küstenschutz umfasst insbesondere Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit an den Küsten der Nord- und Ostsee sowie an den fließenden oberirdischen Gewässern im Tidegebiet gegen Sturmfluten.168 In Ermangelung einer entsprechenden Erwähnung in Art. 72 Abs. 3 GG vermögen es die Länder nicht, über materielle Vorgaben des Bundes für den Küstenschutz zu disponieren. In Anbetracht der Zurückhaltung des Bundesgesetzgebers bleibt den Ländern die Befugnis zur Normsetzung nach Art. 72 Abs. 1 GG,169 vgl. etwa § 68 Abs. 2 Satz 2 WHG. Unbenommen bleiben zudem abweichende Regelungen des Verwaltungsverfahrens nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG.
IV. Resümierende Stellungnahme Die Kompetenz zur Ordnung des Wasserhaushalts wirft mit Blick auf die Reichweite landesrechtlicher Normierungsbefugnisse vielfältige Abgren164 BVerfGE 3, 407 (414, 424); näher W. Ewer, in: Landmann/Rohmer (Hg.), Umweltrecht, Bd. II, 48. Erg.-Lfg. 2006, Bodenschutzrecht, Vorb. Rn. 136 ff. 165 Zur Zwecksetzung M. Schulte, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand: 1. Oktober 2012, § 1 BBodSchG Rn. 18 und J. Sanden, in: Koch (Hg.), Umweltrecht, § 8 Rn. 16. 166 Kapitel 7 sub III. 2. b). 167 Dazu instruktiv B. Probst, NordÖR 2002, S. 143 ff. und J. Bovet, NordÖR 2011, S. 1 ff. 168 So die einfachgesetzliche Definition in § 1 Abs. 1 Nr. 6 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK-Gesetz – GAKG), in der Fassung der Bek. vom 21. Juli 1988, BGBl. I, S. 1055. Zuletzt geändert durch Art. 9 Bundesrecht-Anpassungsgesetz im Zuständigkeitsbereich des BMELV vom 9. Dezember 2010, BGBl., S. 1934. 169 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 67 WHG Rn. 49 f. hebt hervor, dass die Vorschrift wortgleich aus dem Rahmenrecht überführt wurde.
198
Kap. 4: Auslegungsleitlinien und Kompetenzverflechtungen
zungsfragen auf. Diese schlagen sich zunächst in den unterschiedlichen Standpunkten zur Auslegung der Kompetenzzuordnung nieder. Der Aspekt des ‚Traditionellen‘ tritt bei Interpretationsunsicherheiten im Rahmen des Klammerzitats hinter die Zuordnungsentscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers zurück. Die Bereichsausnahme der „stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen“ lehnte der verfassungsändernde Gesetzgeber weitgehend ‚normativ-rezeptiv‘ an das vorgefundene Bundes- und Landesrecht an. Gleichwohl weist bereits die Genese der Föderalismusnovelle 2006 auf eine weitergehende und vom früheren einfachgesetzlichen Regelwerk losgelöste Interpretation der Bereichsausnahme hin. Eine Funktionsbeschreibung des Klammerzitats als ‚faktisch-deskriptiv‘ oder ‚normativ-rezeptiv‘ führt deshalb vorliegend nicht zu einer genaueren Konturierung der Bereichsausnahme. Die systematische Einbettung der Abweichungsbefugnis in die Kompetenzvorschriften der Art. 70 ff. GG könnte für ein interpretationsleitendes Regel-Ausnahme-Verhältnis sprechen, in das die Abweichungsbefugnis und deren indisponibles Klammerzitat eingebunden sind. Die Auswertung des Schrifttums hierzu ergibt ein widerspruchsvolles Bild. Die Stellungnahmen basieren auf ähnlichen systematischen Erwägungen und bevorzugen eine teils ‚enge‘ teils ‚weite‘ Auslegung der landesgesetzlichen Dispositionsbefugnis. Diese Annahme eines Regel-Ausnahme-Prinzips droht die Intention der Verfassungsreform 2006 zu negieren und eine funktions- und sachgerechte Interpretation zu beeinträchtigen. Einerseits besteht die Besorgnis, dass eine bei Art. 70 GG beginnende Fortführung des Regel-AusnahmePrinzips nicht dem eigenständigen Charakter des Art. 72 GG gerecht wird. Andererseits liefe es einer sach- und funktionsgerechten Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zuwider, einen Kompetenzbereich ‚eng‘ oder ‚weit‘ auszulegen. Letztlich finden sich weder in der Systematik noch im Wortlaut oder in der sonstigen Rechtsetzungstechnik tragfähige Anhaltspunkte für eine restriktive Interpretation der landesrechtlichen Gestaltungsmacht. Die Befassung mit der Zuständigkeitsordnung zeigt eine enge Verflechtung mit einigen weiteren Kompetenztiteln. Zurückhaltung ist bei der kompetenziellen Zuordnung von Sachbereichen angezeigt, deren Titel weiterhin der Erforderlichkeitsklausel nach Art. 72 Abs. 2 GG unterliegen. Ein Rückgriff auf die Befugnis muss sich in diesem Bereich an den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts messen lassen, die es an eine Kompetenzausübung nach Art. 72 Abs. 2 GG stellt. Das Erforderlichkeitsgebot verlangt für die Vorgaben des Wasserhaushaltsrechts, die der Klausel des Art. 72 Abs. 2 GG unterliegen, eine differenzierte Begründung. Dabei bleiben Verschränkungen von Regelungen weiterhin möglich, die kompetenzrechtlich unterschiedlichen Anforderungen unterliegen. Ein solcher ‚Kompetenzmix‘ gewährt dem Bundesgesetzgeber allein eine Rechtsetzungsmacht, wie sie durch die einzelnen Titel gewährt wird.
Kapitel 5
Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme abweichender Landesgesetzgebung Neben den systematischen und teleologischen Erwägungen zur Einbindung des Abweichungsmodells in das Kompetenzregime bergen die materiellen Anforderungen an abweichendes Landesrecht erhebliches Konflikt potential. Nachfolgend wird die Reichweite der Dispositionsbefugnis im Rückgriff auf das Wasserhaushaltsrecht näher beleuchtet.1 Der Gestaltungsspielraum der Länder wird im begleitenden Schrifttum durch zahlreiche Anforderungen eingeschränkt. Dabei spiegeln sich in den aufgestellten Ausübungsvoraussetzungen die weitreichenden Vorbehalte gegenüber der Abweichungsgesetzgebung wider.2 Die Standpunkte im Schrifttum über die Reichweite und die normativen Voraussetzungen füllen ein breites Spektrum. Nachfolgend werden ausgewählte Standpunkte im Rückgriff auf die einfachgesetzlichen Regelwerke nachgezeichnet. Dabei werden Standpunkte mit Blick auf die gebotene Rationalität und Funktionalität der Maßgaben für den Bereich des Wasserhaushaltsrechts auszugsweise geprüft (nachfolgend sub I.). Mit den Ausübungsvoraussetzungen eng verknüpft ist die Einbindung der zahlreichen Länderöffnungsklauseln in das Kompetenzregime. Die Optionsvorbehalte haben einen doppelten Aspekt: Einerseits werden ihnen ganz unterschiedliche Funktionen beigemessen. Andererseits werden sie mit Blick auf die stoff- oder anlagenbezogene Bereichsausnahme gelegentlich als verfassungswidrig erachtet (nachfolgend sub II.). Daneben rückt mit den Landeswassergesetzen der Umgang mit der vielfach eingeforderten Kennzeichnung abweichender Regelungen in den Blickpunkt (nachstehend sub III.). Sodann führt eine zusammenfassende Stellungnahme die verschiedenen Anforderungen zusammen (nachstehend sub IV.).
1 Die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme wird in den Kapiteln 6 und 7 beleuchtet. 2 Zur Entwicklung des Begriffs im deutschen Staatsrecht W. Kewenig, AöR Bd. 93 (1968), S. 433 ff.
200 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung Die Wortgruppe der ‚abweichenden Regelung‘ war dem Grundgesetz bereits vor der Föderalismusnovelle bekannt. Es verwendete sie in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 143 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG. Mit dem 47. Änderungsgesetz zum Grundgesetz erhielt Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG eine Einschränkung der Auslieferungsfreiheit.3 Danach kann „durch Gesetz […] eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.“ Soweit ersichtlich, warf die Wortgruppe der ‚abweichenden Regelung‘ hinsichtlich ihrer Anforderungscharakteristik im Schrifttum und vor dem Bundesverfassungsgericht keine Fragen auf.4 Voraussetzung war der Status eines förmlichen Parlamentsgesetzes.5 Die ausgelaufenen Bestimmungen des Art. 143 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG befähigten das Beitrittsgebiet, für eine Übergangszeit von Verfassungsnormen des Grundgesetzes abzuweichen. Abweichungsfest waren dabei die Grundprinzipien des Grundgesetzes, wie sie sich aus den Art. 19 Abs. 2 und 79 Abs. 3 GG ergaben. Die Abweichungen mussten sich durch die unterschiedlichen Verhältnisse in den beiden Teilen Deutschlands rechtfertigen lassen.6 Eine Auseinandersetzung über die Begriffsinterpretation der ‚Abweichung‘ vom Grundgesetz fand – soweit ersichtlich – nicht statt. Im Mittelpunkt des Diskurses standen vielmehr einzelne Sachmaterien des Finanzverfassungs-7 oder Besoldungsrechts.8 Einfachgesetzlich fand der Terminus der Abweichung seinerzeit – neben vielen anderen Bereichen9 – etwa in der Umsetzung des Rahmenrechts nach Art. 75 GG a. F. Verwendung.10 3 Dazu näher A. Uhle, NJW 2001, S. 1889 ff. Vgl. BT-Drucks. 14/2668, S. 5; der Bundesgesetzgeber hat mit dem Europäischen Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006, BGBl I, S. 1721, davon Gebrauch gemacht. 4 F. Schorfkopf, Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, 2006, S. 142 ff. und BVerfGE 113, 273 ff. 5 Dazu näher und zur Bewertung aus verfassungsrechtlicher Sicht A. Uhle, NJW 2001, S. 1889 (1892). 6 M. Sachs, in: Ipsen/Rengeling/Mössner/Weber (Hg.), Festschrift Heymanns Verlag, 1995, S. 193 (205). 7 R. Wendt, in: Stern (Hg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. I, S. 213 f. 8 Vgl. BVerfGE 84, 133 (145); 85, 360 (371); 107, 218 (235 f.). 9 Siehe nur § 34 BauGB und § 15 BImSchG. 10 § 21 g WHG a. F. „Die Länder können für Abwassereinleitungen von Gebietskörperschaften, aus Gebietskörperschaften gebildeten Zusammenschlüssen und öffentlich-rechtlichen Wasserverbänden eine von den §§ 21a bis 21f abweichende Regelung [Hervorhebung durch d. Verf.] treffen. Diese Regelung muss eine mindes-
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 201
Mitunter wird das Abweichungsmodell als Art Modellgesetzgebung erachtet. Damit könnten die Länder die bundesgesetzlichen Vorgaben akzeptieren oder modifizieren, ohne besonderen materiellen Prämissen zu unterliegen.11 Gleichwohl entwickelte das Schrifttum anhand der Wortfügung ‚abweichende Regelungen‘ vielfältige Anforderungen, denen die Landesgesetzgebung genügen muss. Untersuchungswürdig ist die mitunter vorgenommene Beschränkung der Dispositionsbefugnis auf den Regelungsbereich des Bundesrechts und die Konzeption des Wasserhaushaltsgesetzes (nachstehend sub 1.). Von hoher praktischer Bedeutung ist die Zulässigkeit der formulierungsidentischen Inkorporation und inhaltsgleichen Rezeption bundesrechtlicher Vorschriften durch den Landesgesetzgeber (nachstehend sub 2.). Der näheren Überprüfung bedarf in diesem Zusammenhang zudem, ob und inwieweit es den Ländern mit Art. 72 Abs. 3 GG gestattet ist, Vorgaben des Bundes zu negieren (nachstehend sub 3.). 1. Die Einschränkungen der Abweichungsrechte Vereinzelt wurde die Reichweite der Dispositionsbefugnis aus einem Rückgriff auf das Institut der Ersetzung abgeleitet.12 Mittlerweile darf als gesichert gelten,13 dass der gebrauchte Terminus der ‚Abweichung‘ in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG strikt von dem der ‚Ersetzung‘14 nach Art. 72 Abs. 4 GG zu trennen ist.15 Die Befähigung aus Art. 72 Abs. 3 GG ist insoweit ein flexibleres Instrument, das partielle Dispositionen zulässt. tens gleichwertige Selbstüberwachung und Verstärkung der Anstrengungen im Interesse des Gewässerschutzes gewährleisten.“ 11 Mit diesem allgemein gehaltenen Befund und statt vieler V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (854); U. Häde, ZG Bd. 24 (2009), S. 1 (7); P. M. Huber, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 595 (608); J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2804); L. Michael, JöR NF Bd. 59 (2011), S. 321 (327 ff.); B. Zypries, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 323 (329). 12 So die Argumentation von H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 170; ders.; Protokoll der 45. Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Öffentliche Anhörung zum „Gesetzentwurf zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes und weiterer Vorlagen“, S. 32: „Es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass das Abweichungsrecht bedeutet, dass beliebig vom Bundesrecht abgewichen werden kann. Die Verfassung differenziert zwischen Ersetzung von Bundesrecht durch Landesrecht und Abweichung von Bundesrecht. Das Abweichen bedeutet, dass man in Detailfragen abweichen, aber die Struktur der Bundesregeln nicht konterkarieren darf.“ 13 Statt vieler C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (424 ff.); V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (854 f.); P. Selmer, ZG Bd. 24 (2009), S. 33 (35) und instruktiv zur Ersetzungsbefugnis A. Uhle, Maunz/Dürig, Bd. XI, 43. Erg.-Lfg. März 2006, Art. 125a GG Rn. 7 f. 14 Dazu BVerfGE 111, 10 (29 f.).
202 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
a) Die Beschränkung der Länder auf die bundesgesetzlich geordneten Bereiche Es obliegt dem Bundesgesetzgeber,15 lediglich Abschnitte eines normierungsbedürftigen Sachbereichs zu ordnen, den Ländern normierungsbedürftige Sachmaterien anheimzugeben oder regelungsfähige Lebenssachverhalte dem Gemeinwesen zur Selbstregulierung zu überlassen.16 Insoweit und unter Berücksichtigung der unkonditionierten Abweichungsbefugnis17 wäre es problematisch, wenn die Länder mit ihrer Abweichungsbefugnis an die Regelwerke des Bundes gebunden wären. aa) Meinungsstand Nach einer Ansicht, die im Detail Unterschiede aufweist, ist die Landesgesetzgebung samt ihren Abweichungen an die Breite und Tiefe des mit der Landesregelung korrespondierenden Bundesgesetzes gebunden.18 Das Bundesrecht sei damit gleichsam die Grenze der Dispositionsbefugnis. Dieser Standpunkt stützt sich zumeist auf eine restriktive Interpretation des Art. 72 Abs. 3 GG. Den Ländern sei ihre Befugnis zur Abweichung dann verwehrt, wenn der Bundesgesetzgeber zum Ausdruck bringe, eine abschließende Regelung getroffen zu haben und ein ‚absichtsvolles Schweigen‘ der Legislative durch die abweichende Gesetzgebung durchbrochen werde.19 Sollte ein Landesgesetzgeber ein abschließendes Normprogramm des Bundes ergänzen, ausfüllen oder konkretisieren, dann halte sich dieser nicht mehr 15 P. Selmer, ZG Bd. 24 (2009), S. 33 (35); A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 53; H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 184. 16 Zur legislatorischen und kompetenziellen Erschließung H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1044). 17 Zur Abgrenzung bereits in Kapitel 1 sub II. 2. d). 18 Mit diesem Standpunkt P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (81); ders., in: Schumacher/ders. (Hg.), Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2011, vor § 1 Rn. 25; C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (494): „Abweichen können die Länder nur von positiven Regelungen“. Auch R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 52, wonach eine Abweichung nicht darin bestehen kann, „daß das ‚absichtsvolle Schweigen‘ des Bundesgesetzgebers durch eine Abweichungsregelung durchbrochen wird.“ Ähnlich P. Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hg.), Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Bd. 2, Erg.-Lfg. IV 2010, L vor §§ 1–29 ROG Rn. 60; H. Schmitz/C. Müller, RuR 2007, S. 456 (458 f.). Im Ergebnis wohl auch H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 170: „Am einfachsten ist die quantitative Grenze, dass die Länder nicht das ganze Regelungsprogramm des Bundesgesetzes sollen konterkariert können.“ 19 Etwa R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 52.
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 203
innerhalb der vom Bundesgesetz vorgegebenen Schranke.20 Dieses Verständnis beruft sich auf die Begründungserwägungen zur Verfassungsreform 2006. Hiernach könnten die Länder ‚lediglich‘ in den „genannten Bereichen“ ein abweichendes Reglement etablieren.21 Im Falle einer konkretisierenden landesrechtlichen Regelung, die mit einer abschließenden Bestimmung des Bundes korrespondiert, weiche der Landesgesetzgeber nicht ab. Eine solche Regelung lasse sich demnach nicht auf Art. 72 Abs. 3 GG stützen.22 Ferner wird argumentiert, der landesgesetzliche Rechtsanwendungsbefehl lasse sich anderenfalls nicht mehr immer eindeutig feststellen. Dies etwa dann, wenn der Bund eine Regelung auf einem Gebiet treffe, zu dem er zuvor absichtsvoll schwieg. Ein Anwendungsvorrang würde im Falle einer späteren Novelle des Bundesrechts ins Leere gehen, weil das gleichsam sachgegenständlich danebenliegende abweichende Landesrecht nicht erfasst werden würde.23 bb) Stellungnahme Vielfach disponieren die Länder über bundesrechtliche Vorschriften, indem sie einen Tatbestand konkretisieren oder lediglich eine andere Akzentuierung vornehmen. So etwa, wenn der Vorschrift des Bundes weitere Regelbeispiele beigegeben oder landesrechtlich bestimmte Sachverhalte aus- bzw. eingeschlossen sowie weitere Anforderungen an einen bundesgesetzlich geordneten Sachbereich gestellt werden.24 Regelmäßig stützen sich solche auf Art. 72 Abs. 1 GG. Dessen ungeachtet bedarf es für eine Normsetzung einer Inanspruchnahme des Art. 72 Abs. 3 GG, wenn der Bundesgesetzgeber sein Regelwerk abschließend gestaltet hat.
20 H. Schmitz/C. Müller, RuR 2007, S. 456 (458); P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (81): „Dem Ausnahmecharakter widerspräche es, die Abweichungsbefugnis derart weit auszulegen, dass der Bund durch sie das seiner Befugnis innewohnende Recht zum bewussten Nichtregeln verliert.“ 21 Vgl. die Begr. zum RegE des 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 22 Dazu vgl. H. Schmitz/C. Müller, RuR 2007, S. 456 (458) und R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 52, der ausführt: „Abgesehen davon, dass in einem solchen Fall nicht ‚abgewichen wird‘, würde damit das prinzipiell weiterbestehende Kodifikationsprinzip des Art. 72 I (‚solange und soweit‘) außer Kraft gesetzt werden.“ 23 So P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (81). 24 Exemplarisch § 90a Abs. 2 LWG NW: „Das Verbot des Umgangs mit wassergefährdenden Stoffen nach § 38 Absatz 4 Nummer 3 des Wasserhaushaltsgesetzes umfasst auch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, soweit nicht die Anwendungsbestimmungen für das Pflanzenschutzmittel einen Einsatz in diesem Bereich ausdrücklich zulassen.“ Zu einzelnen Beispielen auch unter sub 4. c).
204 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
Nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bis zur Verfassungsreform 2006 waren Landesgesetze ausgeschlossen, wenn die bundesrechtlichen Vorschriften erschöpfend waren und die Sachmaterie abschließend geregelt war.25 Eine in diesem Sinne abschließende Vorgabe lag zudem vor, wenn überdies ergänzendes Landesrecht ausgeschlossen sein sollte, das der Sache nach kompetenziell möglich gewesen wäre.26 Nach dieser Spruchpraxis durfte sich die Abweichung eines Landes nicht zum objektivierten Willen des Bundesgesetzgebers in Widerspruch setzen, eine abschließende Regelung zu treffen.27 Mit der Neuordnung des Kompetenzregimes gestaltete sich die beschriebene Legislativlage tiefgreifend um. Eine landesrechtliche Vorgabe neben einer detaillierten abschließenden Bundesregelung disponiert über deren Regelungsprogramm.28 Der sächsische Gesetzgeber bezeichnet eine solche Abweichung explizit als „über § … BNatSchG hinaus, […] wenn zusätzlich zu einer abschließenden bundesrechtlichen Regelung Landesrecht gelten soll.“29 Wird von der Beschränkung einer ‚Regelung‘ und einer ‚Abweichung‘ einmal abgesehen, so fehlen Art. 72 Abs. 3 GG explizite materielle Ausübungsvoraussetzungen. Insofern ist ein Verbot abweichender ergänzender Regelungen widersprüchlich. Nach dem Begründungstext können die Länder „eigene Konzeptionen“ verwirklichen. Für eine Bindung der Länder an das bundesgesetzliche Normprogramm finden sich keine belastbaren Anhaltspunkte. Damit ist der obengenannten Auffassung entgegenzutreten, wonach die Länder einer starren Bindung an die Regelungsbreite und -tiefe der bundesrechtlichen Ausgangkonzeption unterliegen. Vielmehr sind die Länder nach Art. 72 Abs. 3 GG befugt, ergänzende und ausfüllende sowie konkretisierende Regelungen zu erlassen, wenn der Bundesgesetzgeber hierzu absichtsvoll schweigt und keine stoff- oder anlagenbezogenen Vorgänge normiert. Für diese Beurteilung sprechen im Übrigen rechtspraktische Erwägungen. Das Wasserhaushaltsgesetz 2010 überantwortet den Ländern zahlreiche normierungsbedürftige Sachverhalte und ist auf vielfältige Aus- und Auffüllung angewiesen, um die Vollzugsfähigkeit innerhalb des jeweiligen Landes herzustellen.30 Zudem verfängt das Argument einer zu erwartenden 25 Stetige
Spruchpraxis BVerfGE 20, 238 (248); 32, 319 (327); 109, 190 (229). 24, 367 (386). 27 Bereits BVerfGE 2, 232 (236) und statt anderer nur 109, 190 (229). 28 Vgl. nur exemplarisch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 2 WHG Rn. 4 oder Erg.-Lfg. 8/10, § 10 WHG Rn. 13. 29 Vgl. die Begründung zum Gesetz zur Bereinigung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, Sächsischer Landtag, Drucks. 5/10657, S. 3 und § 4 SächsNatSchG neue Fassung. 30 Beispielhaft sei das Niedersächsische Wassergesetz vom 19. Februar 2010 mit seinen 133 Vorschiften genannt. 26 BVerfGE
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 205
Unübersichtlichkeit nicht, welche hervorgerufen werde, wenn der Bund nachträglich eine Regelung zu einem Bereich trifft, zu dem er zunächst absichtsvoll schwieg und in dem zwischenzeitlich ein Land abweichendes Rechte erlassen hat. Jedwede spätere Bundesregelung setzt die Landesgesetzgeber potentiell unter einen Novellierungszwang, um die Vollzugs- und Funktionsfähigkeit des Landesrechts aufrechtzuerhalten. Das Erfordernis einer Anpassung ist kein normstrukturelles Novum des absichtsvollen Regelungsverzichts, sondern der Legislativverteilung des Art. 72 Abs. 3 GG mit ihrem Posterioritätsgrundsatz immanent.31 b) Die Bindung der Länder an die ‚Konzeption‘ des Bundesgesetzes Neben dem bereits diskutierten Verbot, mittels abweichender Vorgabe einen absichtsvollen Regelungsverzicht des Bundesgesetzgebers zu unterlaufen, wird im Schrifttum gelegentlich eine weitere Einschränkung vorgenommen. aa) Meinungsstand Nach Walter Frenz32 sind die Länder gehalten, sich mit ihrer Rechtsetzung innerhalb der Konzeption des bundesgesetzlichen Regelwerks zu bewegen. Die Länder dürften dieses Konzept nicht konterkarieren. Eine solche Beschränkung ließe sich namentlich auf das Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung stützen. Ähnliches nimmt Bernd Becker an,33 der sich auf die Bedeutung des Begriffs ‚abweichend‘ stützt. Die Synonyma für Abweichung würden Inhalte wie ‚abkommen‘, ‚den Weg verlieren‘, ‚vom Kurs abkommen‘ usf. erfassen.34 Demgemäß benötige eine abweichende landesgesetzliche Gestaltung einen Maßstab, der im legislatorischen Finalprogramm zu erblicken sei. Das Finalprogramm als die eingeschlagene Richtung markiere den Rahmen der landesrechtlichen Dispositionsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG. Dieser Befund lasse sich zudem mit der Bedeutung des Anwendungsvorranges untermauern. Der Anwendungsvorrang stellt auf Schnittmengen beider Rechtssätze ab. Im Falle einer weitreichenderen Abweichung würden die jeweils späteren Gesetze nicht vor-, sondern aneinander vorbeigehen. Im Ergebnis verbleibe den Ländern eine Regelungstiefe, die mit der rahmenrechtlichen Rechtsgestaltungsmacht nach Art. 75 GG a. F. weitestgehend deckungsgleich sei.35 Befund übersieht P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (81). Jura 2007, S. 165 (168). 33 B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (756); W. Frenz, Jura 2007, S. 165 (168). 34 B. Becker, Das neue Umweltrecht, 2010, Rn. 45. 35 Mit dieser Bewertung B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (756). 31 Diesen
32 W. Frenz,
206 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
bb) Stellungnahme Für das Sachgebiet des Wasserhaushaltsrechts wurde bereits auf das indisponible stoff- und anlagenbezogene Korsett hingewiesen.36 Eine umfangreiche abweichende Systematisierung und Konzeptbildung des Landeswasserrechts ist damit bereits von Verfassungs wegen verwehrt. Andererseits überantwortet das Wasserhaushaltsgesetz 2010 zahlreiche normierungsbedürftige Vorgänge den Ländern und ist auf eine Konkretisierung und Ergänzung sowie Ausfüllung angewiesen, um die Vollzugsfähigkeit innerhalb der jeweiligen Länder herzustellen.37 Dieser rechtstatsächliche Befund steuert kein durchschlagendes Argument zur verfassungsrechtlichen Grundlegung des Abweichungsmodells bei. Gleichwohl hat eine Funktionsbeschreibung die praxisgerechte Inanspruchnahme der Legislativbefugnis abzusichern. Wären die Länder an die Reichweite des Bundesrechts gebunden, wäre es ihnen unter Umständen verwehrt, ein fachlich gebotenes Reglement zu erlassen, obwohl ihr Recht an die Systematik des Bundesgesetzes gebunden und in diese eingebunden ist. Eine weitergehende Restriktion der Disposi tionsbefugnis bedarf folglich gewichtiger Gründe. Soweit Becker auf den Wortlaut „abweichend“ rekurriert und aus dessen Synonymisierung weitergehende Schlüsse zieht, ist dies bedenklich. Wenngleich der Wortlaut Ausgangspunkt der Kompetenzabgrenzung ist,38 bestehen Zweifel, dass der Verfassungsreformgesetzgeber seinerzeit alle Synonyme und die damit verbundenen Ausdeutungsvarianten erfasst sah. ‚Abweichen‘ lässt sich auch im Sinne von „verschieden sein, sich unterscheiden“ interpretieren.39 Dies spricht dagegen, aus dem Begriff der Abweichung ein Gebot der Konvergenz oder identischen Finalität beider Regelwerke abzuleiten. Mit Blick auf die beschriebene restriktive Ausdeutung des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ist an seine systematische Verortung zu erinnern. Die Kompetenzabgrenzung nimmt ihren Ausgang in Art. 70 GG. Dieser wirkt mit den Art. 71 und 72 GG daraufhin, jeden Kompetenzbereich des Grundgesetzes in eine abschließende Ordnung einzubinden.40 Die Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG ist in dieser Ordnung ein Sonderfall benannter Gesetzgebungsbefugnisse für enumerierte Titel der konkurrierenden Gesetzgebung aus Art. 74 Abs. 1 GG. Die Grenze der Dispositionsbefugnis ist 36 Vorstehend
Kapitel 2 sub I. und sub II. 3. sowie später in den Kapiteln 6 und 7. bereits Kapitel 2 sub I. 4. 38 Zu den Interpretationskriterien siehe vorstehend Kapitel 4 sub II. 1. 39 Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl. 2011. 40 Instruktiv zur Kompetenzaufteilung A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 26 ff. 37 Darüber
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 207
durch die kompetenzielle Zuordnung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG abzüglich der abweichungsfesten Bereiche zu bestimmen. Eine Sichtweise, nach der sich der landesrechtliche Normsetzungsprozess an dem korrespondierenden Bundesgesetz auszurichten habe und beide Regelwerke „ähnlich sein“ müssen,41 führt kaum zu einer verlässlichen Kompetenzabgrenzung. Zudem mutet es widersprüchlich an, einen Zuständigkeitskomplex konstitutionell zur landesgesetzlichen Disposition zu stellen und eben jene Gestaltungsmacht auf die Regelungsbreite des Bundesrechts zu beschränken. Der Standpunkt Beckers stellt das Abweichungsrecht letztlich in das Ermessen des Bundesgesetzgebers. Dieser könnte mit seiner Rechtsetzung die Konzeption eines Landes und die Reichweite der Dispositionsbefugnis vorgeben.42 Für eine solche Restriktion lässt sich auch nicht der Posterioritätsgrundsatz ins Feld führen. Ein in Regelungsbreite und -tiefe streckenweise lückenhaftes Bundesrecht – wie es im Wasserhaushaltsgesetz beispielshalber im Bereich des Küstenschutzes und der Stauanlagen zu finden ist – bietet wenig Anlass für abweichende Regelungen. Der Anwendungsvorrang gibt deshalb nur begrenzt Auskunft darüber, in welcher Regelungstiefe und -breite sich eine Rechtsetzung der Länder vollziehen kann.43 Demnach werden den Ländern durch die Abweichungsbefugnis weitergehende Rechte zugewiesen, als sie unter Geltung der Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art. 75 GG a. F. bestanden.44 2. Inhaltsgleiches und wortlautidentisches Bundes- und Landesrecht Höchst unterschiedlich wird bewertet, ob der Landesgesetzgeber Normierungen des Bundes ganz oder teilweise formulierungsidentisch oder inhaltsgleich übernehmen kann.45 Unter Geltung des Art. 75 GG a. F. war es die Forderung von B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (756). der in den Begründungserwägungen zur Verfassungsreform 2006 angesprochenen gesetzgeberischen „Konzeption“ vgl. zuvor in Kapitel 4 sub II. 3. c). 43 In Gesetzgebungspraxis stimmen sich Bund und Länder über die gesetzgeberische Konzeption im Rahmen formaler und informaler Verhandlungen in den Bund/ Länder-Arbeitsgemeinschaften ab, zu diesem Aspekt K. Berendes, in: v. Lersner/ders./ Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, Einf. Rn. 28 ff. und in Kapitel 2 sub I. 3. 44 Anders der Standpunkt von B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (756). 45 Statt vieler C. Degenhart, DÖV 2010, 422 (424) und A. Uhle, in: Kluth (Hg.) Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 Rn. 51. Abweichend C. Seiler, in: Epping/ Hillgruber (Hg.), Art. 72 GG Rn. 24.2, der dem Diskurs eher akademische Natur beimisst. Gleichsinnig M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (485 Anm. 153): „überwiegend theoretische Problematik“. 41 So
42 Zu
208 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
allseits anerkannte Praxis, den auf Art. 75 GG a. F. basierenden bundesrechtlichen Rahmen im Landesgesetz zu wiederholen.46 Mit der in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG eingeführten Prämisse einer ‚Regelung‘ wird den Ländern diese Befugnis nunmehr oftmals abgesprochen. Die Zulässigkeit einer landesrechtlichen Übernahme von Vorgaben des Bundesrechts ist besonders geeignet, die durch die unerprobte Zuständigkeitsordnung hervorgerufenen verfassungsrechtlichen Unsicherheiten zu veranschaulichen. Nachfolgend ist sich zunächst den Auffassungen zur Zulässigkeit der formulierungsidentischen und inhaltsgleichen Übernahme zu widmen (nachstehend sub a)). Alsdann wird sich dem Thema anhand von Praxisbeispielen genähert (nachstehend sub b)), die in eine resümierende Stellungnahme einfließen (nachstehend sub c)). a) Meinungsstand Orientiert am Wortsinn einer „abweichenden Regelung“ wird zumeist die Unzulässigkeit der landesrechtlichen Rezeption bundesgesetzlicher Regelungsgehalte vermerkt.47 Dem Verbot der wortlautidentischen Übernahme wird zudem die inhaltsgleiche Wiederholung gleichgestellt. Demgemäß wird 46 Zur alten Rechtslage bereits in Kapitel 1 sub I. 2. b) und T. Maunz, in: ders./ Dürig, Bd. V, 25. Erg.-Lfg., Art. 75 GG Rn. 15; dazu instruktiv J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 75 GG Rn. 31. 47 C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (424); S. Detterbeck, Öffentliches Recht, 8. Aufl. 2011, Rn. 142; K. Faßbender, ZUR 2010, S. 181 (184); W. Durner, Rechtliches Kurzgutachten zur Frage der Geltung des § 61a LWG NRW, Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorlage 16/43, S. 14; C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (494); H. P. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 125b GG Rn. 4; W. März, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck(Hg.), Bd. 2, Art. 31 GG Rn. 60; M. Knauf, Der Regelungsverbund, 2010, S. 128; E. Lütkes/W. Ewer, BNatSchG, 2011, Einl. Rn. 34; T. Mayen, DRiZ 2007, S. 51 (54); H.-W. Rengeling, DVBl. 2006, S. 1537 (1542); R. Sannwald, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80i; E. SchmidtJortzig, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. I, 2012, § 20 Rn. 23; H. Schmitz/C. Müller, RuR 2007, S. 456 (459); R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 51; A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. Gleichsinniges wird ganz überwiegend auch zu Art. 84 Abs. 1 GG vertreten S. Broß/K.-G. Mayer, in: v. Münch/Kunig (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 84 GG Rn. 15; A. Dittmann, in: Sachs (Hg.), Art. 84 GG Rn. 16; M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 87; G. Hermes, in: Dreier (Hg.), Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 84 GG Rn. 34 a. E.; W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (713); F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 106; J. Suerbaum, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 84 GG Rn. 39; H.-H. Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 84 Rn. 23. Differenzierend P. Fischer-Hüftle, in: Schumacher/ders. (Hg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, vor § 1 Rn. 27 f.
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 209
im Folgenden zwischen einer „formulierungsidentischen“ und „inhaltsgleichen“ Übernahme bundesrechtlicher Regelungen differenziert.48 Für das Verbot wird zumeist die Regelungsintention des verfassungsändernden Gesetzgebers angeführt, einen Wettbewerb um die ‚beste‘ Rechtsetzung anzustoßen. Darüber hinaus ließe sich einem Verbot landesrechtlicher Wiederholungen die textliche Ausgestaltung der Kompetenzzuweisung in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG zur Seite stellen.49 Das Grundgesetz gebe keine Befugnis zu ‚eigenen‘, sondern allein zu ‚abweichenden‘ Regelungen.50 Im Falle einer formulierungsidentischen oder inhaltsgleichen Übernahme würden regelmäßig inhaltlich identische Rechtsfolgen gesetzt. Demnach liege im Ergebnis keine den Anwendungsvorrang des Art. 72 Abs. 3 GG auslösende Normenkollision vor.51 Nach gegenteiliger Anschauung52 setzt die den Ländern in Art. 72 Abs. 3 GG eingeräumte Abweichungsmöglichkeit keine inhaltliche Divergenz voraus. Um „abweichende Regelungen“ handele es sich auch dann, wenn überhaupt ein Landesgesetz auf dem betreffenden Rechtsgebiet erlassen werde. Die „inhaltliche Schrankenlosigkeit“ stärke die „Transparenz und Klarheit“ der Gesetzgebung und „die systematische Nachvollziehbarkeit und 48 So die treffende Terminologie bei C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (424); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80i; R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 49 R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 51; G. Hermes, in: Dreier (Hg.), Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 84 GG Rn. 34 a. E.; A. Uhle, in: Kluth, Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 50 Mit diesem Hinweis zu Recht A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51; E. Lütkes, in: ders./Ewer (Hg.), BNatSchG, 2011, Einl. Rn. 34. 51 Statt anderer C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (424). 52 W. Frenz, Jura 2007, S. 165 (167); A. Glaser, Die Abweichungskompetenz der Länder am Beispiel der Landesjagdgesetze, in: Deutscher Jagdrechtstag XIX, 2009, S. 30 (37); A. Haratsch, in: Sodan (Hg.), 2. Aufl. 2011, Art. 72 GG Rn. 27; J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2804); ders., Staatsrecht I, 22. Aufl. 2010 Rn. 582; P. Kunig, in: v. Münch/ders. (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 29; M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 161 f.; B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 71 GG Rn. 30; P. Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky (Hg.), Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Bd. 2, Erg.-Lfg. IV 2010, L vor §§ 1–29 ROG Rn. 61; M. Stegmüller, DVBl. 2013, S. 1477 (1480); H. A. Wolff, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 125b Abs. 1 GG Rn. 17, „da der unterschiedliche Rang für Normkonflikte wesentlich sein kann.“ Und gleichsinnig zum Abweichungsrecht aus Art. 84 Abs. 1 GG A. Haratsch, in: Sodan (Hg.), 2. Aufl. 2011, Art. 84 GG Rn. 8; D. Hömig, in: ders. (Hg.), 2. Aufl. 2013, Art. 84 GG Rn. 7; H. Maurer, JuS 2010, S. 945 (950); J. Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 27.
210 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
Kohärenz des Landesrechts“.53 Die Bundesgesetzgebung werde deshalb einer „Modellgesetzgebung“ gerecht, wie sie bisher auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrens bekannt sei.54 Namentlich mit Blick auf den Rechtsschutz sollen die unterschiedlichen Rechtsfolgen für die Zulässigkeit der inhaltlichen Wiedergabe bundesrechtlicher Regelungsgehalte im Landesrecht sprechen.55 Gelegentlich wird zur Begründung dieses Standpunktes eine „historische Auslegung“ bemüht und auf die Kenntnis des Verfassungsreformgesetzgebers im Jahre 2006 abgestellt.56 Dem Bundesgesetzgeber war „die Kodifikationstechnik einiger Länder bekannt“, „die Vorschriften des WHG in den Text des Landeswassergesetzes zu integrieren.“ Aufgrund der Abgrenzungsschwierigkeiten, die ein Verbot inhaltsgleicher Regelungen hervorruft, wird mitunter ein kompatibler Mittelweg gesucht. Danach sei eine wortlautgetreue Wiedergabe unzulässig. Gleichwohl führe jeder abweichende Normtext losgelöst von einer materiellen Abweichung zur Geltung des Anwendungsvorrangs nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG. Nur eine solche Grenzziehung führe zur erforderlichen Rechtssicherheit und Klarheit.57 Verschiedentlich wird ferner dafür votiert, der Landesgesetzgeber solle sich dafür entscheiden, „die Bundesregelungen nachrichtlich zu wieder holen“58 bzw. „neben abweichendem Landesrecht das unverändert bleibende Bundesrecht im Landesgesetz“ zu wiederholen.59 Den Forderungen zur nachrichtlichen Übernahme des bundesrechtlichen Regelungsprogramms gleichsam entgegen läuft die Überzeugung, den Ländern für ‚abweichende Regelungen‘ nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG eine „Inbezugnahme des bun53 M. Hahn-Lober,
Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 161 f. bei J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2804). 55 W. Frenz, Jura 2007, S. 165 (167); A. Glaser, Die Abweichungskompetenz der Länder am Beispiel der Landesjagdgesetze, in: Deutscher Jagdrechtstag XIX, 2009, S. 30 (37); H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 165; P. Kunig, in: v. Münch/ders. (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 29; B. Pieroth, in: Jarass/ ders., Art. 72 GG Rn. 30. 56 T. Gößl, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp (Hg.), WHG/AbwAG, 41. Erg.Lfg. Mai 2011, § 100 WHG Rn. 8, der auf das zahlreiche Schrifttum zur Zulässigkeit inhaltsgleichen Landesrechts verweist. 57 Mit dieser Differenzierung P. Fischer-Hüftle, in: Schumacher/ders. (Hg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, vor § 1 Rn. 27 f. 58 C. Schrader, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Niedersächsischen Wasserrechts, Drucks. 16/1900 neu, Anhörung des Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz des Niedersächsischen Landtags am 8. Januar 2010 (unveröffentlicht), S. 3. 59 So K. Gerstenberg, Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen, 2009, S. 262. Im Ergebnis wohl auch P. M. Huber, in: Durner/Peine (Hg.), Reform an Haupt und Gliedern, 2009, S. 25 (35). 54 Hervorhebung
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 211
desgesetzlichen Normenbestandes“ zu verwehren.60 Infolgedessen sei es den Ländern nicht möglich, statische oder dynamische Verweisungen vorzunehmen.61 b) Staatspraxis Für die Übernahme bundesrechtlicher Vorgaben durch den Landesgesetzgeber ist zwischen der Inbezugnahme von Regelungen (nachfolgend sub aa)) sowie der formulierungsidentischen und der inhaltsgleichen Übernahme (nachfolgend sub bb)) zu unterscheiden. aa) Die Inbezugnahme von Vorschriften Es sind mehrere Varianten der ‚Wiederholung‘ oder ‚Inbezugnahme‘ möglich. Die Inbezugnahme eines Normenbestandes ist ein bekanntes gesetzgeberisches Instrument.62 Die formulierungsidentische Übernahme ist von einer Inbezugnahme abzugrenzen. Fügt etwa der Landesgesetzgeber den in § 38 Abs. 4 WHG (Gewässerrandstreifen) niedergelegten Untersagungstatbeständen weitere hinzu (vgl. etwa § 33 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 RhPfWG), dann sind diese Untersagungstatbestände landesgesetzliche Bestimmungen. Der Befreiungsvorbehalt des § 38 Abs. 5 WHG gilt jedoch allein für die bundesrechtlichen Vorgaben. Für die Geltungsanordnung des in § 38 Abs. 5 WHG niedergelegten Befreiungsvorbehalts ist deshalb eine landesrechtliche Vollzugsanordnung zu treffen, die § 38 Abs. 5 WHG den Rechtsanwendungsbefehl erteilt. Dies ist in § 33 Abs. 3 Satz 2 RhPfWG geschehen, indem der Landesgesetzgeber die bundesrechtliche Regelung des § 38 Abs. 5 WHG für entsprechend anwendbar erklärt. Ebensolches lässt sich zu § 122 NdsWG63 (Anschluss von Stauanlagen) ausführen. Dieser erklärt die Bestimmung zur Entschädigungspflicht aus § 95 WHG dann für entsprechend anwendbar, wenn ein Grundstückseigentümer eine Stauanlage 60 K. Faßbender, ZUR 2010, S. 181 (184); M. Kallerhoff, Die Übergangsrechtliche Fortgeltung von Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 117 (118). 61 Mit diesem Befund M. Kallerhoff, Die Übergangsrechtliche Fortgeltung von Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 117 (118). Zu den Typen und Abgrenzungen von Verweisungen allgemein T. Clemens, AöR Bd. 111 (1986), S. 63 (67 ff.). 62 Näher A. G. Debus, Verweisungen in deutschen Rechtsnormen, 2008, S. 35 ff.; zu den verfassungsrechtlichen Konflikten anschaulich W. Brugger, VerwArch Bd. 78 (1987), S. 1 ff. 63 § 122 Satz 1 NdsWG Anschluss von Stauanlagen „Will ein Anlieger aufgrund einer Erlaubnis oder einer Bewilligung eine Stauanlage errichten, so können die Eigentümer der gegenüberliegenden Grundstücke verpflichtet werden, den Anschluss zu dulden; § 95 WHG gilt entsprechend.“
212 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
landesrechtlich zu dulden hat. Gleiches gilt für Art. 21 BayWG, der mit seinem abweichenden Konzept zur Ausweisung von Gewässerrandstreifen an vielfältige Normen des Wasserhaushaltsgesetzes anknüpft.64 Die Inbezugnahme bundesrechtlicher Vorgaben ist vielfach notwendig, um die Abweichungsbefugnis zu flankieren. Insoweit sind die konstitutive Anwendbarkeitserklärung von Bundesregelungen und die Aufnahme in den Willen des Landesgesetzgebers für den Regelungsbereich des Art. 72 Abs. 3 GG ein taugliches Instrument der Normsetzung. Die in Bezug genommene Vorschrift des Bundes wird dabei in einen weiteren landesrechtlichen Regelungszusammenhang gestellt. bb) Die formulierungsidentische und inhaltsgleiche Übernahme Tritt man der Auffassung bei, dass die Übernahme von Bundesrecht unzulässig ist, so erfasst der Posterioritätsgrundsatz65 des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG lediglich Übernahmen bzw. Wiederholungen, die nur Ausschnitte der bundesgesetzlichen Vorschrift übernimmt und ihnen jeweils eine abweichende Rechtsfolgenanordnung beigibt. Eine abweichende Wiederholung ergibt sich aus der weitgehend wortgleichen Übernahme von Bundesvorschriften, etwa indem einzelne Sätze bzw. Vorgaben verändert werden. Problematisch ist das postulierte Verbot der formulierungsidentischen und inhaltsgleichen Übernahmen mit Blick auf konkretisierende Vorschriften. Eine exakte Unterscheidung von ‚konkretisierenden‘, ‚ergänzenden‘, ‚ausfüllenden‘ und ‚abweichenden‘ sowie ‚inhaltsgleichen‘ Normen ist mitunter sehr schwierig.66 Wird dem Landesgesetzgeber zugestanden, zumindest Teile des suspendierten Bundesrechts wiederzugeben und in eine eigene Norm einfließen zu lassen, löst dies Abgrenzungsfragen aus, wann eine solche zulässige Übernahme in eine unzulässige Wiederholung umschlägt. Eine inhaltsglei64 Art. 21 Abs. 1 BayWG Gewässerrandstreifen (Abweichend von § 38 Abs. 2 bis 5 WHG) „Gewässerrandstreifen können an Gewässern erster und zweiter Ordnung durch Verträge mit den Grundstückseigentümern festgelegt werden, soweit dies im Rahmen der Gewässerunterhaltungspflicht nach § 39 Abs. 1 Satz 1 WHG erforderlich ist. Diese Erforderlichkeit ist nicht gegeben, wenn die Fläche in eine Fördermaßnahme einbezogen ist, die auch dem Schutz des jeweiligen Gewässers dient. Bestehen zum Ende des zweiten Bewirtschaftungsplans gemäß § 83 WHG weder Verträge nach Satz 1 noch förderrechtliche Verpflichtungen nach Satz 2 oder sind zu diesem Zeitpunkt die Bewirtschaftungsziele nach §§ 27 bis 31 WHG nicht erreicht, können die Kreisverwaltungsbehörden Gewässerrandstreifen und deren Bewirtschaftung durch Anordnung im Einzelfall oder durch Rechtsverordnung festsetzen. Privatrechtliche Verpflichtungen der Grundstückseigentümer zum Gewässerschutz bleiben unberührt.“ 65 Dazu vorstehend Kapitel 1 sub II. 2. b). 66 Diesen Aspekt übergeht C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (424).
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 213
che Übernahme liegt vor, wenn die textlich abweichend gestalteten Vorgaben des Bundesrechts der Sache nach unverändert im Landesrecht erscheinen. Obwohl das Thema im Schrifttum vielfältige Beachtung findet, gibt das Wasserwirtschaftsrecht nur wenige Abgrenzungsfragen Preis. Erörterungswürdig ist zunächst die von § 39 WHG abweichende Regelung in § 61 NdsWG,67 gleiches gilt für die identische Norm des § 52 Abs. 1 Sachs AnhWG.68 Nach § 61 Abs. 1 Satz 4 NdsWG suspendiert § 61 Abs. 1 NdsWG die Vorschrift des § 39 Abs. 1 WHG.69 § 61 Abs. 1 NdsWG entspricht der niedersächsischen Vorgängerregelung in § 98 NdsWG a. F. Mit der Abweichung beabsichtigt der Landesgesetzgeber eine Änderung der Prämissen. Die niedersächsischen Verbände der Wasserwirtschaft hegten Bedenken, § 39 WHG führe eine Verschärfung der Anforderungen herbei.70 Während sich § 63 NdsWG weiterhin am ordnungsgemäßen Abfluss des Gewässers ausrichtet, rückt § 39 Abs. 1 WHG die ökomorphologisch determinierte Pflege und Entwicklung der Gewässer in den Vordergrund.71 Inhaltlich gibt § 61 Abs. 1 NdsWG der Gewässerbewirtschaftung indessen weitgehend gegenstandsgleiche Vorgaben vor. So heißt es in § 61 Abs. 1 NdsWG etwa: „Die Unterhaltung umfasst auch die Pflege und Entwicklung“, statt die „Unterhaltung eines oberirdischen Gewässers umfasst seine Pflege und Entwicklung als öffentlich-rechtliche Verpflichtung (Unterhaltungslast)“. Oder gibt das NdsWG vor, die „Unterhaltung eines Gewässers umfasst […] an schiffbaren Gewässern die Erhaltung der Schiffbarkeit“, statt zur „Gewässer unterhaltung gehören insbesondere […] die Erhaltung der Schiffbarkeit von 67 Niedersächsisches Wassergesetz (NdsWG) vom 19. Februar 2010 (Nds. GVBl., S. 64), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. Dezember 2010 (Nds. GVBl., S. 631). „§ 61 NdsWG Gewässerunterhaltung (zu § 39 WHG) (1) Die Unterhaltung eines Gewässers umfasst seinen ordnungsgemäßen Abfluss und an schiffbaren Gewässern die Erhaltung der Schiffbarkeit. Die Unterhaltung umfasst auch die Pflege und Entwicklung. Maßnahmen der Gewässerunterhaltung sind insbesondere 1. die Reinigung, die Räumung, die Freihaltung und der Schutz des Gewässerbetts einschließlich seiner Ufer 2. die Erhaltung und Anpflanzung standortgerechter Ufergehölze, 3. die Pflege von im Eigentum des Unterhaltungspflichtigen stehenden Flächen entlang der Ufer, soweit andernfalls eine sachgerechte Unterhaltung des Gewässers nicht gewährleistet ist, 4. die Unterhaltung und der Betrieb der Anlagen, die der Abführung des Wassers dienen. § 39 Abs. 1 WHG findet keine Anwendung.“ 68 Wassergesetz für das Land Sachsen-Anhalt (SachsAnhWG) vom 16. März 2011, GVBl. LSA, S. 492. 69 Vgl. den Schriftlichen Bericht zum Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung des Niedersächsischen Wasserrechts, Landtag Niedersachsen, Drucks. 16/2218, S. 5. 70 Näher zu den Beweggründen J. Schwind, NdsVBl. 2010, S. 345 (347 f.), welcher der Vorschrift lediglich eine „Akzentverschiebung“ beimisst. 71 Dies bereits seit der 7. Novelle (§ 28 WHG a. F.), vgl. BT-Drucks. 17/8668.
214 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
schiffbaren Gewässern […]“. Gleiches gilt für die „Erhaltung und Anpflanzung standortgerechter Ufergehölze“, statt der bundesgesetzlichen „Erhaltung und Neuanpflanzung einer standortgerechten Ufervegetation“. Bei solchen geringfügigen Unterschieden ist schwerlich darüber sicher zu befinden, ob die landesrechtliche Vorschrift einen im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG abweichenden Rechtsanwendungsbefehl enthält. Das heißt, ob sie etwa weitergehende oder niedrigere Standards setzen oder die bundesrechtlichen Vorgaben lediglich konkretisieren bzw. sogar inhaltsgleich sind. Die in § 61 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 NdsWG niedergelegten Pflichten der Gewässerunterhaltung scheinen insgesamt durch § 39 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WHG erfasst.72 Gleichwohl setzt sich der Landesgesetzgeber nicht dem Verdikt einer etwaig verfassungswidrigen inhaltsgleichen Vorgabe aus. Er setzt die enumerativ aufgeführten und zumeist inhaltsgleichen Vorgaben zur Gewässerunterhaltung in einen anderen Kontext. Statt des ökologischen Entwicklungsauftrags nach § 39 Abs. 1 Satz 1 WHG hält er an der überkommenen Zielvorstellung fest, die Bewirtschaftung habe vordergründig den Wasserabfluss und die Schiffbarkeit sicherzustellen.73 Das Verbot inhaltsgleicher Übernahmen ist im Lichte rechtsstaatlicher Konsistenzanforderungen verfassungsrechtlich bedenklich. Die Zweifel an dem Verbot lassen sich auch nicht zerstreuen, indem der Ausschluss inhaltsgleicher Übernahmen auf Wiederholungen beschränkt wird, die „völlig inhaltsgleich“ sind.74 Zieht man beispielshalber die differenzierten Ausführungen Michael Reinhardts75 zu § 39 Abs. 1 Satz 2 WHG heran, so wird ersichtlich, wie komplex, wenn nicht undurchführbar eine Beurteilung einer inhaltlichen Wiederholung ist. Die Grenzen zwischen einer Abweichung und Konkretisierung sind oftmals fließend. Über das Thema inhaltsgleicher Vorgaben lässt sich überdies anhand von Art. 15 BayWG76 diskutieren. § 15 BayWG übernimmt die im bayerischen Landesrecht tradierte Bezeichnung der ‚beschränkten Erlaubnis‘ anstelle der in § 10 WHG als ‚Erlaubnis‘ niedergelegten wasserrechtlichen Gestattungsform. 72 Vgl. im Einzelnen die Ausführungen von K. Berendes, in: v. Lersner/ders./ Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 39 WHG Rn. 6 sowie M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 39 WHG Rn. 23 ff. 73 Zum wasserrechtlichen Hintergrund siehe K. Berendes, in: v. Lersner/ders./ Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 39 WHG Rn. 2. 74 Mit dieser Einschränkung A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 75 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 39 WHG Rn. 23 ff. 76 Zum Bayerischen Wassergesetz vom 25. Februar 2010 bereits vorstehend Kapitel 2 sub II. 2. b).
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 215 „Art. 15 Beschränkte Erlaubnis (Abweichend von § 10 Abs. 1 und § 15 WHG) (1) Eine Erlaubnis im Sinn des § 10 Abs. 1 WHG (beschränkte Erlaubnis) kann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 WHG nicht vorliegen oder nur eine beschränkte Erlaubnis beantragt wird. […]“
Die amtliche Begründung führt dazu aus:77 „Art. 15 BayWG führt für die Erlaubnis im Sinn des § 10 WHG die im Landesrecht bisher gebräuchliche Bezeichnung ‚Beschränkte Erlaubnis‘ (beschränkt in ihren Rechtswirkungen für Dritte) ein und übernimmt hierfür im Wesentlichen die Regelungen des Art. 17 BayWG (alt). Das WHG bezeichnet die Erlaubnis, die keine gehobene Erlaubnis ist, nicht gesondert. Insoweit wird von den Vorgaben des WHG abgewichen.“
Die bayerische Vorschrift führt für die allgemein als abschließend erachtete Vorschrift des § 10 WHG78 eine abweichende Bezeichnung der Erlaubnis ein und stützt sich ausweislich ihrer Begründung auf Art. 72 Abs. 3 GG.79 Folgt man dem Begründungstext, dann steht dem Landesgesetzgeber für die Änderung der Bezeichnung allein die Kompetenz aus Art. 72 Abs. 3 GG zur Verfügung. Eine lediglich abweichende Kennzeichnung als im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG abweichende Regelung zu erachten, vermag nicht zu überzeugen. Dem Ansinnen, den bayerischen Inhabern einer wasserrechtlichen Genehmigung die vertraute Terminologie zu belassen, ist das Leitbild der Verfassungsreform 2006 für den Bereich des Gestattungsregimes entgegenzuhalten. Auf den Bereich des Umweltrechts wurde im Rahmen der Föderalismusnovelle besonderes Augenmerk verwandt, um die kompetenziellen Voraussetzungen für ein einheitliches und abschließendes Gestattungsregime im Sinne einer integrierten Vorhabengenehmigung zu schaffen.80 Obwohl das nicht stoff- oder anlagenbezogene Verfahrensrecht des Wasserhaushaltsgesetzes disponibel ist, trägt es den Gedanken der Vereinheitlichung in sich und steht einer bloßen abweichenden Etikettierung entgegen.81 Soweit die bayerische Regelung überdies von § 15 WHG abweichende Voraussetzungen statuiert,82 ist dies in Ansehung des indisponiblen stoff77 Bayerischer Landtag, Drucks. 16/2868, S. 41. Dazu auch U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. 2, Erg.-Lfg. Juli 2010, § 15 BayWG Rn. 2. 78 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 15 WHG Rn. 5; allgemeiner M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 259 (476 f.). 79 Vgl. die diesbezügliche Darstellung bei U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. 2, Erg.-Lfg. Juli 2010, Art. 15 BayWG Rn. 2 und die Ausführung zu Art. 1 Rn. 6. 80 Dazu bereits in Kapitel 1 sub II. 3. b). 81 Vgl. dazu auch die Begründung zum RegE, BT-Drucks. 16/12275, S. 40 sowie M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (477). 82 U. Drost u. a., BayVBl. 2013, S. 1 (36).
216 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
oder anlagenbezogenen Zulassungsregimes zweifelhaft.83 Gewichtige systematische und teleologische Erwägungen sprechen gegen die Zulässigkeit einer auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG gestützten Umetikettierung oder von Abweichungen innerhalb des Zulassungsregimes mit seinen stoff- und anlagenbezogenen Benutzungstatbeständen.84 Damit verdichtet sich der Eindruck, dass die Vorgabe des Art. 15 BayWG insoweit nicht nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG suspendierend wirkt. Am Rande sei auf Art. 58 BayWG85 und auf die gleichbedeutende Vorschrift des § 89 Satz 2 BremWG aufmerksam gemacht: Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG „Zuständigkeit und Befugnisse (Zu § 100 WHG): Sie ordnen nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen an, die im Einzelfall notwendig sind, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen oder die Erfüllung von Verpflichtungen nach § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG sicherzustellen.“
Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG trifft Vorgaben zur Gewässeraufsicht und ist mit der korrespondierenden Norm des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG weitestgehend identisch: § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG „Aufgaben der Gewässeraufsicht: Die zuständige Behörde ordnet nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen an, die im Einzelfall notwendig sind, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen oder die Erfüllung von Verpflichtungen nach Satz 1 sicherzustellen.“
Die bayerische Eingriffsregelung entfaltet insoweit keinen eigenständigen Gehalt, da sich die Ermächtigung bereits unmittelbar aus dem Wasserhaushaltsgesetz ergibt.86
83 Zu den stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen später in den Kapiteln 6 und 7. 84 Zum Zulassungsregime und den Benutzungstatbeständen im nachstehenden Kapitel 7 sub II. 1. 85 Allgemein zu den Regelwerken der Länder Kapitel 2 sub II. 2. 86 Mit diesem Hinweis A. Széchényi/D. Hopf, BayVBl. 2011, S. 357 (363): „§ 100 Abs. 1 Satz 2 WHG enthält nunmehr […] eine Eingriffsbefugnis für die Gewässeraufsichtsbehörden. Die beinahe identisch lautende Eingriffsbefugnis des Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG dürfte demgegenüber keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr haben.“ Ohne diese Unterscheidung VG Ansbach, Urteil vom 7. August 2011, Az.: AN 15 K 11.01010: „§ 100 Abs. 1 Satz 2 WHG und Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG sind anwendbar […].“ Abweichend hingegen T. Gößl, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp (Hg.), WHG/ AbwAG, 41. Erg.-Lfg. Mai 2011, § 100 WHG Rn. 8.
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 217
c) Stellungnahme Inkorporiert der Landesgesetzgeber bestehendes Bundesrecht, so entsteht Landesrecht. Zulässig ist die Überführung von Passagen des korrespondierenden Bundesrechts zur Klarstellung, sofern dem Norminterpreten die Inbezugnahme ‚als‘ Bundesrecht offenkundig wird.87 Bedenken bestehen hingegen, wenn das überführte Bundesrecht als Landesrecht erscheint, denn dann bestehen auf Seiten des Rechtsschutzes erhebliche Zweifelsfragen.88 Das Recht wäre möglicherweise irrevisibel und der Rechtsweg zu den Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen und den Landesverfassungsgerichten zu beschreiten. Die Debatte um die Zulässigkeit der Übernahmen lässt sich im Kern auf die unterschiedliche Normqualität zurückführen. Dem Landesgesetzgeber sei die Befugnis zur Überführung von Bundesrecht einzuräumen, weil die übernommenen Vorschriften vor den Bundesgerichten irrevisibel seien und das Landesverfassungsrecht Anwendung finde.89 Dieser Standpunkt steht im Zusammenhang mit den Vorbehalten gegen die Abweichungsgesetzgebung im Bereich der Grundrechtsausübung. Probleme entstünden dann, wenn die Vorschrift nicht zweifelsfrei als Bundes- oder Landesrecht zu identifizieren und deshalb der Rechtsweg zweifelhaft sei.90 Vorstehender allein formaler Zugriff auf die Zulässigkeit inhaltsgleicher oder formulierungsidentischer Wiedergaben überzeugt näher besehen nicht. Die föderale Gesamtrechtsordnung gesteht divergierende Rechtswege und Prüfungsmaßstäbe (Landes- oder Bundesverfassungsrecht) dem Grund nach zu. Zahlreiche Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts widmeten sich unter der Geltung des Art. 75 GG a. F. der Überlegung, inwieweit irrevisible ausfüllende oder vor dem Bundesverwaltungsgericht revisible rahmenrechtliche Vorgaben verfahrensgegenständlich waren.91 Insoweit steht der 87 Demgegenüber erhebt C. Schulze Harling, Das materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 132 den Einwand, für eine nachrichtliche Übernahme fehle die Gesetzgebungsbefugnis. Dies ist verfehlt, denn die „nachrichtliche“ Wiedergabe ist keine Gesetzgebung im Sinne der Art. 70 ff. GG. 88 Diesen Umstand hebt W.-D. Dallhammer, Strategie des Freistaates Sachsen zur Umsetzung des neuen Wasserhaushaltsgesetzes, Vortrag vom 21. Januar 2010 (unveröffentlicht), Leipziger Gespräche zum Umwelt- und Planungsrecht, hervor. 89 A. Glaser, Die Abweichungskompetenz der Länder am Beispiel der Landesjagdgesetze, in: Deutscher Jagdrechtstag XIX, 2009, S. 30 (37): „Diese [die Wiederholungen ablehnende] Ansicht überzeuge nicht, da es etwa im Hinblick auf die Berufung auf Grundrechte aus der Landesverfassung erheblich ist, ob sich ein Rechtsanwendungsbefehl aus einem Bundesgesetz oder einem Landesgesetz ergibt.“ Gleichsinnig zu Art. 84 GG H. Maurer, JuS 2010, S. 945 (950). 90 So explizit und zutreffend O. Klein/K. Schneider, DVBl. 2006, S. 1549 (1553). 91 Siehe die Nachweise bei M. Eichberger, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hg.), Bd. 2, 7. Erg.-Lfg. Januar 2002, § 137 VwGO Rn. 45.
218 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
Norminterpret nunmehr vor gleichartigen Herausforderungen, nämlich die betreffende Norm mittels der bekannten Zuordnungskriterien zu qualifizieren. Ein übereinstimmendes Landesgesetz allein wegen des jeweiligen Legislativorgans als abweichende Vorschrift zu betrachten, lässt sich überdies nur schwerlich mit dem Erfordernis der „abweichenden Regelung“ in Einklang bringen. Der Regelungsgehalt darf sich insoweit nicht allein in einer anderweitigen Rechtswegzuweisung erschöpfen, sondern muss materiell eine andere Rechtsfolge auslösen, etwa die Befreiung von einer bundesgesetzlichen Vorgabe.92 Wie Christoph Degenhart zu Recht hervorhebt, gehe anderenfalls der Anwendungsvorrang des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG ins Leere.93 Im Ergebnis ist es zweifelhaft, bei identischen Rechtsanwendungsbefehlen eine Irrevisibilität der Vorgaben anzunehmen und sie als abweichende Regelung zu klassifizieren. Ferner sprechen teleologische Erwägungen gegen die Zulässigkeit einer Wiederholung.94 Das Abweichungsmodell soll die Länder befähigen, eigene Konzeptionen zu verwirklichen und auf ihre unterschiedlichen strukturellen Gegebenheiten zu reagieren.95 Vor diesem Ziel ist eine inhaltsgleiche landesrechtliche Übernahme von Bundesrecht unzureichend, um die bestehenden Bedenken zu zerstreuen. Zudem greift der mitunter anzutreffende Vergleich mit der Modellgesetzgebung im Rahmen des Verwaltungsverfahrensrechts im hiesigen Kontext nicht durch.96 Einerseits steht für Auslegungsfragen über das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht der Rechtsweg zum Bundesverwaltungsgericht offen (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 GG). Andererseits gründet die Befugnis zur Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens in der Verantwortung der Länder für die Ausführung der Bundesgesetze (Art. 30 und 84 GG).97 Das Bild einer ‚Modellgesetzgebung‘ zusammen mit der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens praktizierten intraföderalen Zusammenarbeit zeichnet die Dispositionsbefugnis des Art. 72 Abs. 3 GG insoweit nur unzureichend nach. Im Ergebnis spricht Überwiegendes gegen die Zulässigkeit einer landesrechtlichen Übernahme von Bundesrecht.98 92 Zu Recht W. März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 31 GG Rn. 60 und A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 93 C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (424). 94 A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 95 Darüber in Kapitel 1 sub II. 1. und 3. 96 Mit dieser Argumentation J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2804); ders., Staatsrecht I, 22. Aufl. 2010 Rn. 582 und B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 72 GG Rn. 30. 97 Näher zur Verwaltungszuständigkeit J. Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 2. 98 So auch A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreform, 2007, Art. 72 GG Rn. 51, R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 51;
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 219
Mit den vorstehenden Erwägungen ist auch der Ansicht entgegenzutreten, die inhaltsgleiche Wiedergabe zuzulassen und jeden Wortlaut ausreichen zu lassen.99 Weder erfüllt die inhaltsgleiche Wiedergabe die Bedingung einer „abweichenden Regelung“ noch wird sie den vorstehenden teleologischen Erwägungen zum Abweichungsmodell gerecht. Somit ist sowohl die wortlautidentische als auch die inhaltsgleiche Kongruenz im Rahmen des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG dem Grunde nach unzulässig. 3. Die negierende landesrechtliche Deregulierung Während das Verbot der inhaltsgleichen oder wortlautidentischen Wiederholung von Bundesrecht weiterhin Konflikte aufwirft, ergab sich zur Zulässigkeit negierender Regelungen ein weitgehend einheitliches Meinungsbild. In Frage stand, ob und inwieweit sich der Regelungswille eines Landes stets in der Setzung einer alternativen Rechtsfolge zu artikulieren habe oder eine überlegte Abstandnahme von einer bundesrechtlichen Regelung im Sinne einer Deregulierungsabweichung zulässig sei. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG beinhaltet das Erfordernis der abweichenden Regelung. In der korrespondierenden Literatur wird aus dieser Prämisse zu Recht vielfach das Verbot einer „Abschaffungsgesetzgebung“100 abgeleitet, die eine bundesgesetzliche Vorgabe lediglich ausschalte. Vielmehr ist grundsätzlich eine positive Regelung in der Sache erforderlich.101 Damit ist die Anordnung der Nichtanwendung von Teilen des Bundesrechts im Sinne einer Deregulierung zulässig.102 W. März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 31 GG Rn. 60; T. Mayen, DRiZ 2007, S. 51 (54); M. Knauf, Der Regelungsverbund, 2010, S. 128; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80i. 99 So die Anregung von P. Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, Schumacher/ders. (Hg.), 2. Aufl. 2011, vor § 1 Rn. 27 f. 100 Mit dieser Terminologie P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (81). 101 W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (356); K. Meßerschmidt, UPR 2008, S. 361 (365); H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 182. Zudem grundsätzlich P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (80 f.); differenzierend nunmehr ders., in: Schumacher/ders. (Hg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, vor § 1 Rn. 34 f.; C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 43 a. E.; differenzierend nunmehr ders., DÖV 2010, S. 422 (425). Auch C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (495); bejahend nunmehr ders., ZUR 2010, S. 346 (350 f.). 102 L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 60; J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 26; K. Gerstenberg, Gesetzgebungsund Verwaltungskompetenzen, 2009, S. 261; A. Haratsch, in: Sodan (Hg.), 2. Aufl. 2011, Art. 72 GG Rn. 27; V. Haug, DÖV 2008, S. 851 (854); M. Kloepfer, Verfas-
220 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
Den bisher ergangenen Rechtsakten der Länder103 lässt sich für den Bereich des Wasserwirtschaftsrechts keine weitreichende Negierung eines gesamten bundesgesetzlichen Regelungsabschnitts entnehmen. Negierende Regelungen lassen sich jedoch in zwei verschiedenen Ausprägungen identifizieren. Zunächst sind Negierungen in einem engeren Sinne zu benennen. Eine Negierung sieht § 6 HessWG104 vor: „§ 6 (zu § 4 Abs. 4 des Wasserhaushaltsgesetzes) Duldungspflichten bei Benutzungen der Gewässer § 4 Abs. 4 Satz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes gilt nicht für 1. Talsperren und Wasserspeicher nach § 43 Abs. 2 und 2. oberirdische Gewässer, die in Hofräumen, Betriebsgrundstücken, Gärten und Parkanlagen liegen und im Eigentum der Anliegerinnen und Anlieger stehen.“
Die hessische Vorschrift disponiert über das bundesgesetzliche Duldungsgebot, ohne es gänzlich zu negieren. Daneben sind Negierungen in einem weiteren Sinne vorzufinden. So befreit Art. 46 Abs. 4 BayWG die bayerischen Landwirte vom Grünlandumbruchsverbot aus § 78 Abs. 1 Nr. 8 WHG und sieht sogleich eine Ermächtigung vor, den Grünlandumbruch durch eine Verordnung unter einen Genehmigungsvorbehalt zu stellen:105 „Art. 46 Überschwemmungsgebiete an oberirdischen Gewässern (Zu § 76, abweichend von § 78 Abs. 1 Nr. 8 WHG) […] (3) Überschwemmungsgebiete im Sinn des § 76 Abs. 2 WHG und Wildbachgefährdungsbereiche müssen, die sonstigen Überschwemmungsgebiete können von der Kreisverwaltungsbehörde durch Rechtsverordnung festgesetzt werden. Nach früherem Recht festgesetzte Überschwemmungsgebiete gelten fort und sind gemäß Abs. 2 zu aktualisieren. (4) In der Rechtsverordnung kann für die Umwandlung von Dauergrünland in Ackerland ein Genehmigungsvorbehalt angeordnet werden, soweit dies zum Schutz vor Hochwassergefahren erforderlich ist; § 78 Abs. 1 Nr. 8 WHG ist nicht anzuwenden. […]“ sungsrecht Bd. I, 2011 Rn. 125; M. Kallerhoff, Die übergangsrechtliche Fortgeltung von Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 117; M. Knauff, Der Regelungsverbund, 2010, S. 128 f.; M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 162; E. Lütkes, in: Lütkes/Ewer (Hg.), BNatSchG, 2011, Einl. Rn. 34; T. Mayen, DRiZ 2007, S. 51 (54); B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 72 GG Rn. 30; P. Reiff, NuR 2011, S. 90 (93); M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (485 f.); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80i; E. Schmidt-Jortzig, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. I, 2012, § 20 Rn. 9; C. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 72 GG Rn. 24.2.; A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 103 Zu den Rechtsakten der Länder bereits vorstehend in Kapitel 2 sub II. 104 Hessisches Wassergesetz vom 14. Dezember 2010, GVBl. I, S. 548. 105 Dazu auch unter Kapitel 7 sub II. 2. b).
I. Die Ausübungsvoraussetzungen der Abweichungsgesetzgebung 221
Beide landesgesetzlichen Vorschriften statuieren eine abweichende Regelung,106 indem sie auf eine Handlungspflicht bzw. auf ein Regelungsinstrument des Wasserhaushaltsgesetzes verzichten. Das Hessische Wassergesetz lässt die korrespondierende Regelung unberührt und schränkt lediglich den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 4 WHG ein. Die bayerische Vorschrift negiert § 78 Abs. 1 Nr. 8 WHG vollständig und sieht eine anderweitige Gestaltung vor. Aufgrund der Sachbereichsregelung sind vorgenannte Modifizierungen eine zulässige Zurückweisung des bundesgesetzlichen Normprogramms.107 Dessen ungeachtet bleiben Unsicherheiten bestehen, wenn sich die Frage nach der Reichweite dieser Deregulierungsbefugnis stellt. Degenhart, Munk und wohl auch Uhle sehen die zulässige negierende landesrechtliche Regelung auf einzelne bundesgesetzliche Vorgaben begrenzt. Damit bleibt den Ländern die Negierung ganzer Regelungsabschnitte verwehrt.108 Die Kriterien für eine Abgrenzung, wann die Außerkraftsetzung eines Regelungskomplexes in eine unzulässige Negierung umschlägt, sind indessen nur schemenhaft auszumachen. Gegen die Befugnis zur Negation wird vorgebracht, im Falle einer nur punktuellen Gesetzesänderung durch den Bundesgesetzgeber würde dieser Bestandteil des Gesetzes „keinen sinnvollen Regelungszusammenhang mehr ergeben“. Dies namentlich dann, wenn ein Bundesland den betreffenden Regelungsabschnitt des Bundesgesetzes zuvor negierte.109 Dieser Gedanke verfängt wohl nicht, denn das Risiko einer späteren Dysfunktionalität der punktuell geänderten Bundesnorm stellt sich ebenso, wenn ein Landesgesetzgeber abweichende positive oder zahlreiche negierende Regelungen erlässt. Die geltend gemachte Unsicherheit ist deshalb kein besonderes Charakteristikum einer negierenden Regelung.110 Dem Abweichungsmodell des Art. 72 Abs. 3 GG ist das Risiko immanent, dass der Rechtsanwender nach einer punktuellen Novellierung des Bundesrechts zunächst keine geschlossene und stimmige Ordnung vorfindet. Die Abweichungsbefugnis nimmt Zusammenhangskonflikte dem Grunde nach zumindest vorübergehend in Kauf.111 Nach der Vorstellung des Verfassungsgebers 106 Beide Vorschriften sind als abweichend im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG im BGBl. I (2011), S. 607 (HessWG) bzw. BGBl. I (2010), S. 277 (BayWG) veröffentlicht. 107 In besonderer Klarheit insoweit bereits A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 108 Bejahend hingegen L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 60 f. 109 So C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (425). 110 Demgegenüber C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (425). 111 Zu diesem Aspekt bereits in Kapitel 2 sub II. 1. und 4.
222 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
wird den Ländern in dieser Situation mit der in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG niedergelegten Karenzzeit geholfen. Unsicherheiten bestehen, wenn der Bundesgesetzgeber nicht zuverlässig feststellen kann, ob sich die Länder ihrer Abweichungsermächtigung tatsächlich bedient haben, ohne dies explizit ausgewiesen zu haben. Insoweit ist er künftig möglicherweise unab hängig von einer hier in Rede stehenden bekanntgemachten Negierung angehalten, von punktuellen Gesetzesänderungen abzusehen und Vorschriften bzw. zusammenhängende Regelungskomplexe lückenlos neu zu gestalten oder erneut in Kraft zu setzen. Die Frage, wann eine allein zulässige deregulierende Negierung vorliegt, bedarf im hier interessierenden Zusammenhang nicht der weiteren Befassung. Für das Wasserrecht trägt nicht allein der für die parlamentarische Entscheidung rechtlich unverbindliche Konsens in der Bund / Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser die Gewähr dafür, dass sich Negierungen lediglich auf einzelne Regelungsinhalte beschränken. Vielmehr ist das Wasserhaushaltsgesetz mit einem Netz indisponibler stoff- oder anlagenbezogener Regelungen und weitgehend europarechtlich unterlegt. Überdies lassen sich die disponiblen Tatbestände des Wasserwirtschaftsrechts aus fachlicher Sicht nur selten der gesellschaftlichen Selbstregulierung anvertrauen.112 Zwar sind disponible Abschnitte des Wasserhaushaltsgesetzes, wie etwa die Duldungs- und Gestattungspflichten (Abschnitt 9), die Gewässeraufsicht (Kapitel 9) oder die Entschädigungs- und Ausgleichsmaßnahmen (Kapitel 4) weitgehend disponibel, sie lassen sich jedoch in praxi nicht vollständig negieren.113 Mit der Zulässigkeit einer zumindest partiellen Negierung verfügen die Länder jedenfalls über die Rechtsgestaltungsmacht zur Deregulierung und ein Instrument zur anwenderfreundlichen und präzisen Gestaltung ihres Rechts.
II. Charakterisierung und Bewertung von Öffnungsklauseln Das Wasserhaushaltsgesetz 2010 und das Bundesnaturschutzgesetz 2010114 räumen den Ländern durch zahlreiche Vorbehalte weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten ein. Solcher Länderoptionsklauseln bedient sich der Gesetzgeber, wenn er bundesweit einheitliche Vorgaben statuieren und klarstellen will, „dass aus seiner fachpolitischen Sicht nur ein eingeschränk112 Näher zu dem engen indisponible Korsett, in das die Länder eingebunden sind, überblicksartig vorstehend in Kapitel 2 sub II. 3. und ausführlich nachstehend in Kapitel 6 sub II. 113 Gleichsinnig C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (425) das Naturschutzrecht. 114 Vgl. J. Schumacher, in: Czybulka (Hg.), Das neue Naturschutzrecht des Bundes, 2011, S. 39 ff.
II. Charakterisierung und Bewertung von Öffnungsklauseln 223
tes Bedürfnis für eine bundeseinheitliche Regelung besteht“.115 Diese Rechtsetzungstechnik gesteht einer bestehenden oder späteren Landesvorschrift den Vorrang zu und befähigt die Länder, ihre unterschiedlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Ebensolche Sachmaterien sind namentlich im weitgehend föderal ausgebildeten Recht der Gewässerbewirtschaftung vorzufinden.116 So verwundert es nicht, dass die Klauseln im Normsetzungsprozess oft streitgegenständlich waren, wie die Debatte im Bundesrat seinerzeit dokumentiert: „Die größten Bauchschmerzen haben wir bei Änderungsempfehlungen, die zahlreichen Forderungen nach Öffnungs- und Unberührtheitsklauseln beinahe zu jeder substantiellen Vorschrift des Wasserrechts […]. Diese Öffnungsklauseln widersprechen dem Geist und dem Buchstaben der Föderalismusreform. Man muss sich die Frage stellen: warum haben wir 2006 mit großem Aufwand eine Neuordnung der Umweltkompetenzen beschlossen, wenn wir jetzt Gesetze schaffen, mit denen die bestehende Rechtszersplitterung sogar noch vergrößert und das Umweltrecht für die Anwender noch komplizierter und intransparenter würde?“117
Optionsvorbehalte sind ein hergebrachtes Instrument der Gesetzgebungstechnik.118 Eine übermäßige Fülle an Öffnungsklauseln ist geeignet, beim Rechtsanwender Zweifel über die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten hervorzurufen. In der Gesamtschau können solche Klauseln innerhalb eines differenzierten Regelungskomplexes eines Gesetzes ein Indiz dafür sein, dass Vorschriften ohne Klauseln abschließend und nicht ergänzungsfähig sind.119 Ein solcher Rückschluss geht dennoch mitunter fehl, wie mit Blick auf § 61 WHG ein Gutachten des Beratungs- und Gutachterdienstes des Landtags Nordrhein-Westfalen erwies.120 115 So die Begründung zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz, BT-Drucks. 16/12275, S. 41. Näher zum Thema M. Böckel, Instrumente der Einpassung neuen Rechts in die Rechtsordnung, 1992, S. 70 ff. mit umfassender Erörterung von Unberührtheitsklauseln und H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 158 sowie C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 27. 116 Anschaulich zur Entwicklung des Wasserrechts P. Nisipeanu, NuR 2008, S. 87 (93 f.). 117 So aus Perspektive des Bundes A. Klug, Bundesrat vom 15. Mai 2009, Ple narprotokoll 858, S. 202 zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts. 118 Hingegen sind dem Bundes-Immissionsschutzgesetz abgesehen von den §§ 2 Abs. 2 Satz 2 und 21 Abs. 5 BImSchG und dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Ländervorbehalte weitgehend fremd. 119 Vgl. paradigmatisch aus der Kommentarliteratur R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 42 und für das Wasserhaushaltsgesetz K. Berendes, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (131). 120 K. Aalbers u. a., Ist die Vorschrift des § 61a Landeswassergesetz NRW, nach der private Abwasserkanäle bis spätestens Ende 2015 durch zugelassene Sachkundi-
224 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
Die Länderoptionsvorbehalte des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 stießen in den begleitenden Publikationen auf reges Interesse. Die Klauseln erhielten im Schrifttum eine abweichende Funktionsbeschreibung und verfassungsrechtliche Bewertungen. Im Lichte des Art. 72 Abs. 3 GG ist daher auszuloten, wie die Öffnungsklauseln kompetenzrechtlich zu beurteilen und inwieweit sie im indisponiblen Bereich der „stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen“ zulässig sind. Wie sich aus dem Gesagten ergibt, gründet die Kontroverse zunächst in der unterschiedlichen Einordnung der Klauseln (hierzu sub 1.). Daran anknüpfend werden sie nach ihrer kompetenzrechtlichen Qualität näher spezifiziert (hierzu sub 2.) und hinsichtlich ihrer Einbindung in das föderale Kooperationsmodell des Art. 72 Abs. 3 GG untersucht. 1. Das Erscheinungsbild der Öffnungsklauseln in der Staatspraxis Die Öffnungsklauseln werden als Unberührtheitsklauseln121 sowie als Abweichungs- und sonstige Öffnungsklauseln122 inkorporiert, wobei die Klauseln als beschränkte oder unbeschränkte Vorbehalte vorzufinden sind. ge auf Dichtheit zu prüfen sind, nach Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes des Bundes mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vereinbar?, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information15/181, der auf Seite 14 des Gutachtens mit Blick auf die Öffnungsklauseln des Wasserhaushaltsgesetzes vermerkt: „Deshalb spricht das Fehlen von Vorbehalten bzw. Öffnungsklauseln in der Reglung des § 61 WHG bereits für eine in sich geschlossene Regelung.“ Näher dazu bereits in Kapitel 2 sub II. 2. h). 121 „Weitergehende Rechtsvorschriften der Länder bleiben unberührt.“ (§ 41 Abs. 1 Satz 3 WHG; § 62 Abs. 5 WHG, § 58 Abs. 1 Satz 3 WHG); „sofern das Landesrecht dies bestimmt“ (§ 40 Abs. 4 Satz 1 WHG); „wie dies nach Landesrecht als Gemeingebrauch zulässig ist“ (§ 25 S. 1 WHG); „nach landesrechtlichen Vorschriften bestehen“ (§ 100 Abs. 1 Satz 1 WHG); „soweit durch Landesrecht nicht etwas anderes bestimmt ist“ (§§ 20 Abs. 1, 26 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 4 Nr. 3, 40 Abs. 1 Satz 1, 76 Abs. 2 Satz 2 WHG); „richtet sich nach den landesrechtlichen Vorschriften“ (§§ 3 Nr. 2, 79 Abs. 2 a. E. WHG); „Im Übrigen gelten die landesrechtlichen Vorschriften.“ (§§ 4 Abs. 5, 36 Satz 3 WHG). 122 „Die Länder können: […] ausnehmen“ (§ 2 Abs. 2 Satz 1 WHG); „durch Gesetz regeln“ (§ 7 Abs. 5 Satz 3 WHG); „erstrecken auf“ (§§ 25 Abs. 1 Satz 3, 26 Abs. 1 Satz 3 WHG); „abweichende Regelungen erlassen“ (§§ 38 Abs. 3 Satz 2, 49 Abs. 4 WHG); „bestimmen“ (§§ 43, 56 Satz 2, 68 Abs. 2 Satz 2, 73 Abs. 3, 40 Abs. 1 Satz 3 WHG); „regeln, dass […]“ (§ 60 Abs. 4 Satz 1 WHG); „zuordnen“ (§ 73 Abs. 3 Satz 2 WHG); „Durch Landesrecht kann bestimmt werden, dass […]“ (§ 46 Abs. 3 WHG); „durch Rechtsverordnung der Landesregierung oder durch Entscheidung der zuständigen Behörde können […]“ (§ 50 Abs. 5 Satz 1 WHG); „kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung […] festsetzen“ (§§ 51 Abs. 1, 53 Abs. 4 Satz 1 WHG); „die Landesregierung setzt durch Rechtsverordnung […] fest“
II. Charakterisierung und Bewertung von Öffnungsklauseln 225
Die Vorschrift des § 38 WHG veranschaulicht die Vielgestaltigkeit der benannten Klauseln: „§ 38 WHG Gewässerrandstreifen […] (3) Der Gewässerrandstreifen ist im Außenbereich fünf Meter breit. Die zuständige Behörde kann für Gewässer oder Gewässerabschnitte […]. Die Länder können von den Sätzen 1 und 2 abweichende Regelungen erlassen. (4) […] Im Gewässerrandstreifen ist verboten: […] 3. der Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, ausgenommen die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln, soweit durch Landesrecht nichts anderes bestimmt ist, […].“123
Die Vorschrift enthält in Absatz 3 Satz 3 zunächst eine Abweichungsklausel und in Absatz 4 Satz 2 Nr. 4 eine Unberührtheitsklausel. Der Bund verwendet zwei unterschiedliche Formulierungen, die divergierende Rechtsfolgen vermuten lassen. Aus den Öffnungsklauseln lassen sich neben der Zweiteilung von Unberührtheitsklauseln und Dispositionsvorbehalten weitere Eigenschaften ableiten. So nehmen sie die Gestalt von Entschärfungsklauseln, Verschärfungsklauseln und neutralen Klauseln an.124 Als Entschärfungsklausel lässt sich eine Bestimmung typisieren, nach welcher die Länder kleine Gewässer von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung sowie Heilquellen von den Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes ausnehmen können.125 Dagegen lässt sich die Ermächtigung als Verschärfungsklausel einordnen, nach der eine bundesgesetzlich nicht vorgesehene Zulassungspflicht statuiert werden kann.126 Zumeist enthält das Wasserhaushaltsgesetz neutrale Klauseln, die den Landesgesetzgeber sowohl zur Standardverschärfung als auch zur Absenkung der bundesgesetzlichen Vorgaben befähigen. So etwa die Befugnis in § 38 Abs. 3 Satz 3 WHG, wonach die Länder über einzelne Tatbestände oder Vorschriften vollständig disponieren können.127
(§ 76 Abs. 2 WHG); „zur […] kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung […] festlegen“ (§ 86 Abs. 1 Satz 1 WHG). 123 Hervorgehoben durch den Verfasser. 124 Gesehen bei A. Rittmann/A. v. Komorowski, in: Kloepfer/Bohne (Hg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, 2009, S. 107 (112 f.). 125 § 2 Abs. 2 Satz 1 WHG. 126 Vgl. § 60 Abs. 4 Satz 1 WHG und zum Regelungsgehalt der Vorschrift K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 10/13, § 60 WHG Rn. 7. 127 Näher zu dieser Vorschrift in Kapitel 7 sub II. 3. d).
226 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
2. Die verfassungsrechtliche Grundstruktur der Optionsvorbehalte Ermächtigt das Bundesgesetz die Länder zur abweichenden Rechtsgestaltung mittels Öffnungsklauseln, so führt deren Gebrauch zu divergierendem Bundes- und Landesrecht. Derartige Klauseln sind dem Grunde nach allseits anerkannt.128 Bereits das Wasserhaushaltsgesetz in der Fassung vom 19. August 2002 enthielt unter Geltung des Art. 75 GG a. F. zahlreiche Länderöffnungsklauseln.129 Aus kompetenzrechtlicher Sicht bedarf es der Unterscheidung, ob sich die auf den Öffnungen beruhende Landesgesetzgebung nach Art. 72 Abs. 1 GG oder gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG vollzieht.130 Das Schrifttum und die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts erkennen in derlei Vorbehalten keine Übertragung der Legislativbefugnis.131 Der Bund habe insoweit seine Kompetenz lediglich nicht vollständig genutzt (Art. 72 Abs. 1 GG). Die Länder können deshalb ihre Befugnis aus Art. 72 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem jeweiligen Titel des Art. 74 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen. Einige Autoren machen die Zulässigkeit von Öffnungsklauseln von der Ausgestaltung des zugrundeliegenden einfachen Rechts abhängig. Sie unterscheiden ‚deklaratorische‘ und ‚konstitutive‘ Vorbehalte.132 Erstere weisen lediglich auf einen unvollständigen Gebrauch der Gesetzgebungsbefugnis 128 Bereits das Reichsgericht nahm in seiner Entscheidung vom 30. Juni 1882, Az.: III 245/82, RGZ 7, 346 (347 f.) eine weitergehende Änderungsbefugnis der Länder an. Näher M. Böckel, Instrumente der Einpassung neuen Rechts in die Rechtsordnung, 1992, S. 74 ff. Vgl. jedoch die divergierenden Standpunkte in sub 3. 129 Exemplarisch nur §§ 1 Abs. 2, 8 Abs. 4, 15 Abs. 1 und 3, 24 Abs. 1 Satz 2, 25, 29 Satz 2 und 3, 32a WHG 2002. 130 R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 35 ff. 131 So die höchstrichterliche Spruchpraxis BVerfGE 11, 192 (200); 20, 238 (251); 35, 65 (74); 75, 40 (73); 83, 24 (30); 98, 265 (361) und zuletzt BVerfGE, 109, 190 (195 f., 231). C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 27; H.-W. Rengeling, in: Isensee/ Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 158; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 35; R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 39. 132 Vgl. die Differenzierung von H. Grziwotz, AöR Bd. 116 (1991), S. 588 (598 ff., 601), der die Zulässigkeit von Ländervorbehalten innerhalb von Art. 72 Abs. 1 GG im Grundsatz anerkennt. Indessen erachtet dieser einen einfachen Vorbehalt als unzulässig, der keinen Verzicht auf die legislative Zuständigkeit enthält und der lediglich auf eine Regelung durch Gesetz verweist. Siehe auch Schmidt-Bleibtreu/Klein, 7. Aufl. 1990, Art. 71 GG, Anm. IV. 8 und v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, 3. Aufl. 1996, Art. 72 GG Rn. 277. Wohl auch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (492 f.).
II. Charakterisierung und Bewertung von Öffnungsklauseln 227
im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG hin. Im Rahmen einer erschöpfenden einfachgesetzlichen Regelung seien Öffnungsklauseln, denen insoweit eine konstitutive Wirkung zukomme, verfassungswidrig. Erlasse der Bundesgesetzgeber eine abschließende Regelung, könne er nicht zugleich Öffnungsklauseln vorsehen.133 Michael Reinhardt erblickt eine solche Einschränkung innerhalb der abweichungsresistenten Bereiche.134 Dem Bund sei es konstitutionell verwehrt, Vorschriften mit Landesoptionsvorbehalten zu versehen, wenn diese indisponible stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge zum Gegenstand haben. Auch die einfachgesetzlichen Funktionsbeschreibungen der Abweichungsund sonstigen Öffnungsklauseln einerseits sowie der Unberührtheitsklauseln andererseits gehen im Einzelnen auseinander. Mitunter wird im Rahmen von Öffnungsklauseln allgemein auf die Abweichungsbefugnis aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG rekurriert.135 Andere Autoren sehen zumindest in Abweichungsvorbehalten bloße Hinweise auf die bestehende Befugnis aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG.136 Den Klauseln werden gelegentlich einige weitere Bedeutungsgehalte zugemessen. Sei der Wortlaut der Klausel im Bundesgesetz allein zukunftsgerichtet – „Regelungen erlassen“, „die Länder können bestimmen“ –, so wäre das bestehende Landesrecht in diesem Bereich zunächst verdrängt.137 Demgegenüber bleibe bestehendes Landesrecht bei einer bundesrechtlichen Öffnungsklausel erhalten, wenn diese zukunftsgerichtet und offen formuliert 133 Nach S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 59 ff. ist eine „deklaratorische“ Beschränkung im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG möglich, jedoch keine „(konstitutive) Delegation der Rechtssetzungsermächtigung“. 134 Explizit mit Blick auf die Öffnungsklauseln im Wasserhaushaltsgesetz M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (492 f.), dazu sogleich sub c). 135 DNotI-Report 8/2010 April 2010, S. 64 ff.; diesem folgend J. Hecht, DNotZ 2010, S. 323 (327). 136 H.-P. Schneider, Der neue deutsche Bundesstaat, 2013, S. 642 f.: Der zur Klausel „Länder können von … abweichende Regelungen erlassen“ vermerkt, diese Regelung sei „im Hinblick auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG selbstverständlich“; J. Schumacher, in: Czybulka (Hg.), Das neue Naturschutzrecht des Bundes, 2011, S. 39 (40); U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 49 WHG Rn. 24, der mit Blick auf die Klausel des § 49 Abs. 4 WHG auf dem Standpunkt steht, „die vom Bundesrat zur Einführung empfohlene und übernommene Regelung ist als einfachgesetzliche Wiederholung der grundgesetzlichen Abweichungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 GG zu verstehen.“ Vgl. auch P. Kothe, VBlBW 2012, S. 58 (59 f.) sowie M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (492 f.), dazu siehe unten sub b). 137 S. Heselhaus, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 43 WHG Rn. 18, 20; P. Nisipeanu, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 58 WHG Rn. 30.
228 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
sei.138 Ferner wird vertreten, eine ‚Abweichungsklausel‘ lasse keine ergänzende, sondern lediglich eine abweichende Regelung zu.139 Die verschiedenartig gestalteten und interpretierten einfachgesetzlichen Vorbehalte geben Veranlassung zu erörtern, ob die aufgestellten Thesen und ihre Begründungen ein widerspruchsloses Bild ergeben. Neben der Typisierung und den damit einhergehenden Bedeutungsgehalten (nachstehend sub a)) wird das Augenmerk auf der Zulässigkeit von Vorbehalten im Bereich stoff- oder anlagenbezogener Vorgänge liegen (nachstehend sub b)). a) Unberührtheits- und Abweichungsklauseln Festzuhalten ist zunächst, dass Abweichungsklauseln auch dann zulässig und wirksam sind, wenn die Norm im Übrigen erschöpfend und abschließend ist.140 Nach der gegenteiligen Ansicht würden die Vorbehalte letztlich allein auf die Befugnis aus Art. 72 Abs. 3 GG hinweisen.141 Wie das Schrifttum auf dem Boden der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Recht konstatiert, zeigen die Vorbehalte allein eine durch den Bundesgesetzgeber nicht abschließend ausgeübte Gesetzgebungsbefugnis an. Die Länder sind insoweit befähigt, gestützt auf Art. 72 Abs. 1 GG eigenes Recht zu erlassen.142 Dies gilt unabhängig von einer im Übrigen erschöpfenden Regelung, womit der Rechtsnatur solcher Klauseln als rechtsbegründend oder rechtsbezeugend wohl keine weitergehende Funktion beizumessen ist. Eindeutig scheinen die Rechtsfolgen der Unberührtheitsklauseln. Nach diesen lässt die jeweilige Vorschrift des Bundes (1) anderweitige, (2) weitergehende oder (3) abweichende landesrechtliche Bestimmungen unberührt. In allen Konstellationen gilt neben dem Bundesgesetz bereits bestehendes Landesrecht fort. Zudem kann der Landesgesetzgeber das bestehen138 Vgl. etwa § 38 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 WHG: „soweit durch Landesrecht nichts anderes bestimmt ist“. 139 F. Niesen, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 38 WHG Rn. 25. 140 H. Grziwotz, AöR Bd. 116 (1991), S. 588 (598 ff., 601), mit vielfachen Rekurs auf W. Rudolf, AöR Bd. 88 (1963), S. 159 (162 ff.); S. Oeter, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 59 ff. Wohl auch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (492 f.). 141 Explizit so M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (493). 142 BVerfGE 20, 238 (251): „Auch bei umfassender und erschöpfender Regelung eines Gegenstandes der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund sind landesrechtliche Regelungen jedoch insoweit zulässig, als das Bundesrecht Vorbehalte zugunsten der Landesgesetzgebung enthält.“; BVerfGE 29, 125 (137); 33, 224 (229); C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 28; P. Kunig, in: v. Münch/ ders. (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 13.
II. Charakterisierung und Bewertung von Öffnungsklauseln 229
de Reglement ändern oder neu erlassen.143 Solche Öffnungsklauseln zeigen an, dass die Bundesregelung nicht nach Art. 72 Abs. 1 GG abschließend ist.144 Ausgehend vom Normtext scheinen ‚Abweichungsklauseln‘ einen anderen Sinngehalt aufzuweisen. Dem Wortlaut nach „können“ die Länder „abweichende Regelungen“ erlassen. Das erlaubt den Gedanken, davon seien allein Vorgaben der Länder erfasst, die nach dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes erlassen wurden.145 Indessen führen nach Auffassung der am Rechtsetzungsverfahren beteiligten Kreise alle Öffnungsklauseln zur Fortgeltung des bestehenden korrespondierenden Landesrechts.146 Dieser Standpunkt fügt sich in die beschriebene Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 GG a. F. ein. Demnach gilt jegliches bestehende Landesrecht dem Grunde nach fort, weil der Bund in den betroffenen Bereichen keine abschließende Regelung traf.147 Diese dokumentiert der Rechtsanwendungserlass des Umweltministeriums Baden-Württemberg:148 „In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Bundesumweltministeriums ist eine Regelung mit Öffnungsklausel nicht so zu verstehen, als ob der Bund den Ländern die Gesetzgebungskompetenz erst nimmt und dann wieder gibt; vielmehr trifft er von vornherein keine abschließende Regelung. Insoweit verbleibt es bei der Regelungsbefugnis der Länder aus Artikel 72 Abs. 1 GG. […] Auch wo das WHG ausdrücklich ‚abweichende Regelungen‘ der Länder zulässt, hat der Bund 143 Vgl.
BVerfGE 11, 192 (200); 65, 359 (375). statt anderer H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1044); F. Ossenbühl, DVBl. 1996, S. 19 (22); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 38; H.-H. Munk, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 1 (14 f.). 145 So S. Heselhaus, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 43 WHG Rn. 18, 20; P. Kothe, VBlBW 2012, S. 58 (59 f.); P. Nisipeanu, in: Berendes/ Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 58 WHG Rn. 30. 146 W.-D. Dallhammer, Strategie des Freistaates Sachsen zur Umsetzung des neuen Wasserhaushaltsgesetzes, Vortrag vom 21. Januar 2010 (unveröffentlicht), Leipziger Gespräche zum Umwelt- und Planungsrecht; P. Berghoff/K. Steg, NuR 2010, S. 17 (19). Abweichend S. Heselhaus, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 43 WHG Rn. 18, 20; P. Nisipeanu, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 58 WHG Rn. 30; J. Schumacher, in: Czybulka (Hg.), Das neue Naturschutzrecht des Bundes, 2011, S. 39 (40). 147 Explizit K. Rebholz, Vom UGB zum WHG – Verfassungsrechtliche Grundlagen – Überblick über das neue WHG, Informationsveranstaltung des Umweltministeriums Baden-Württemberg zum Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts am 2. Februar 2010. 148 Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg, Hinweise zu den Auswirkungen des neuen Wasserhaushaltsgesetzes nach dessen Inkrafttreten am 1. März 2010 auf das WG, zeitweilig auf der Internetpräsenz veröffentlicht, zuletzt abgerufen am: 1. Februar 2013. 144 Siehe
230 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme insoweit keine eigene abschließende Regelung im Sinne des Artikels 72 Abs. 1 GG getroffen, sondern dies für Landesregelungen offen gelassen.“
Diese Lesart schlägt sich in den Begründungen zu § 2 WHG149 und § 38 WHG nieder.150 Der Bundesgesetzgeber gibt mit dem Vorbehalt abweichender Landesregelungen vor, keine abschließende Regelung getroffen zu haben. Zu § 46 Abs. 3 WHG – „Durch Landesrecht kann bestimmt werden […]“ – stellt die Begründung klar, „dass bestehende oder künftige landesrechtliche Vorschriften die erlaubnis- und bewilligungsfreien Benutzungstatbestände limitieren oder ausweiten können.“151 Auch bei den Abweichungsklauseln liegt die Dispositionsbefugnis unabhängig von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG bereits dann vor, wenn der Bundesgesetzgeber eine Regelung erlässt und die Länder zugleich zur anderweitigen Gestaltung ermächtigt. Für diese durch den Bundesgesetzgeber nicht abschließend geordneten Sachmaterien bleibt das Landesrecht maßgeblich.152 Dabei steht es dem Bundesgesetzgeber stets frei, die Öffnung auf bestimmte Regelungsinhalte zu beschränken, etwa indem er vorgibt, allein „weitergehende Rechtsvorschriften der Länder bleiben unberührt“.153 149 Die Begründung in der BT-Drucks. 16/12275 führt dazu auf Seite 53 aus: „Soweit die Länder von der durch § 1 Absatz 2 WHG eingeräumten Regelungsbefugnis bereits Gebrauch gemacht haben, gelten entsprechende landesrechtliche Vorschriften nach Inkrafttreten des neuen WHG fort.“ 150 Dazu BT-Drucks. 16/12275, S. 62: „Nach Satz 3 können die Länder abweichende Rechtsvorschriften zu […] erlassen oder entsprechende schon bestehende Vorschriften beibehalten. Die Regelung stellt klar, dass der Bund insoweit die ihm zustehende Gesetzgebungszuständigkeit nicht in vollem Umfang ausschöpft (Artikel 72 Absatz 1 GG).“ 151 BT-Drucks. 16/12275, S. 65. Zweideutig erscheint hingegen die Begründung zu § 26 WHG (BT-Drucks. 16/12275, S. 59), wonach die Bundesregelung „unter dem Vorbehalt abweichender bestehender und künftiger landesrechtlicher Regelungen“ steht. Oder auch die Begründung (BT-Drucks. 16/12275, S. 63) zu § 39 WHG („insbesondere“), wenn das Landesrecht weitergehende Unterhaltungsverpflichtungen vorsieht, bleiben diese unberührt. 152 Wie hier auch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/13, Einl. Rn. 37; P. Berghoff/K. Steg, NuR 2010, S. 17 (19); W.-D. Dallhammer, Strategie des Freistaates Sachsen zur Umsetzung des neuen Wasserhaushaltsgesetzes, Vortrag vom 21. Januar 2010 (unveröffentlicht), Leipziger Gespräche zum Umwelt- und Planungsrecht; K. Rebholz, Vom UGB zum WHG – Verfassungsrechtliche Grundlagen – Überblick über das neue WHG, Informationsveranstaltung des Umweltministeriums Baden-Württemberg zum Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts am 2. Februar 2010. Ungenau ist es, wenn mitunter vermerkt wird, die Statuierung ergänzender Regelungen im Rahmen solcher Optionsvorbehalte sei von sonstigen ergänzenden Regelungen zu unterscheiden, denn der kompetenzielle Handlungsrahmen der Länder ist schlicht identisch. Demgegenüber B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 105, 153 §§ 41 Abs. 1 Satz 3; 58 Abs. 1 Satz 3; 62 Abs. 5 WHG.
II. Charakterisierung und Bewertung von Öffnungsklauseln 231
b) Landesvorbehalte im Bereich stoff- oder anlagenbezogener Regelungen Einen drastischen Vorwurf birgt die im Folgenden näher zu erörternde Position, wonach die Öffnungsklauseln des Wasserhaushaltsgesetzes teilweise verfassungswidrig sind. aa) Meinungsstand Namentlich nach Michael Reinhardt sind Optionsvorbehalte kompetenzwidrig, wenn diese den Ländern eine anderweitige Gestaltungsbefugnis für stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge einräumen.154 Dabei unterscheidet Reinhardt verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenkliche ‚deklaratorische‘ Vorbehalte und unzulässige ‚konstitutive‘ Öffnungsklauseln. Deklaratorische Öffnungsklauseln seien solche, bei denen der Bundesgesetzgeber auf die Ermächtigung aus Art. 72 Abs. 1 GG rekurriere und diese nur vereinzelt zum Einsatz bringe. Ebensolches soll gelten, „wenn und soweit der Bund selbst eine abschließende Regelung getroffen hat, die nicht stoffoder anlagenbezogen ist, und diese dann ausdrücklich unter den Vorbehalt landesrechtlicher Regelungen stellt.“155 In solchen Konstellationen weise der Bundesgesetzgeber die Länder nur auf deren bestehende Änderungsbefugnis aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG hin. Demnach seien Vorbehalte zugunsten der Länder außerhalb der abweichungsfesten Bereiche und innerhalb eines im Übrigen abschließenden Regelungskomplexes bloße deklaratorische Hinweise auf die Befugnis aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG. Den Gegenentwurf bilden nach der Anschauung Reinhardts konstitutive Landesvorbehalte im Sachbereich der indisponiblen Klammerzitate. Der subkonstitutionelle Gesetzgeber sei nicht legitimiert, „über die Kompetenzstruktur“ zu verfügen und „das verfassungsrechtliche Abweichungsverbot des Art. 72 Abs. 3 S. Nr. 5 GG auf einfach-gesetzlicher Ebene“ zu durchbrechen.156 Seine Vorbehalte stützt Reinhardt unter anderem auf die Funktion des indisponiblen Klammerzitats, das seiner „normativen Leitfunktion“ beraubt würde.
154 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (492 f.); ders., NVwZ 2014, S. 484 (485 f.). 155 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (493); ders., NVwZ 2014, S. 484 (485 f.). 156 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (493); ders., NVwZ 2014, S. 484 (485 f.).
232 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
bb) Stellungnahme Würden die vorstehenden Positionen Reinhardts Platz greifen, so wären wichtige Ländervorbehalte, wie der des § 2 WHG, gegenstandslos, wonach die Länder wasserwirtschaftlich unbedeutende, kleinere Gewässer selbst vom abweichungsfesten Anwendungsbereich des Wasserhaushaltsgesetzes ausnehmen können. Gleiches gilt für die Landesvorbehalte in den §§ 20, 25, 36, 38, 43, 46, 49, 58 und 60 WHG, bei denen jeweils ein stoff- oder anlagenbezogener Vorgang erkennbar ist.157 Vorstehendes Argumentationsmodell rückt zunächst die Rechtsnatur der Klauseln in den Vordergrund. Während ebensolche Vorbehalte nach Konrad Berendes schlechthin rechtsbegründender Natur sind,158 sprechen ihnen andere Autoren lediglich eine rechtsbezeugende Funktion zu.159 Der Standpunkt Reinhardts enthält Anleihen bei der vereinzelt gebliebenen Lehrmeinung, wonach der Erlass von Ländervorbehalten im Falle einer erschöpfenden Bundesregelung unzulässig sei.160 Tatsächlich erscheint es zunächst schlüssig, deklaratorische und konstitutive Vorbehalte zu identifizieren und diese einer gesonderten Betrachtung zu unterwerfen. Eine solche rechtsbegründende Qualität ließe sich einer Klausel beimessen, die den Ländern lediglich einen begrenzten Handlungsrahmen vorgibt und die Bestimmung des Bundesgesetzes anderenfalls als abschließend und erschöpfend oder abweichungsfest zu klassifizieren wäre.161 Daneben bestehen systematische und teleologische Bedenken gegen den Vorwurf, der Sachgesetzgeber untergrabe die Intention des verfassungsändernden Gesetzesgebers, der die Regelung der stoff- und anlagenbezogenen Vorgänge allein dem Bund habe zuordnen wollen. Sofern sich innerhalb des 157 Im
Einzelnen zur Bereichsausnahme in den Kapiteln 6 und 7. in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, Einl.
158 K. Berendes,
Rn. 37. 159 D. Riedel, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2011, § 38 WHG Rn. 5; wohl auch K. Faßbender, ZUR 2010, S. 181 (184): „Sie geben lediglich Auskunft darüber, in welchem Umfang der Bundesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat.“ 160 Näher S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 63 und zum Ganzen H. Grziwotz, AöR Bd. 116 (1991), S. 588 (596 ff., 598 f.). 161 Etwa § 43 WHG, der die erlaubnisfreie Benutzung von Küstengewässern regelt: „Die Länder können bestimmen, dass eine Erlaubnis nicht erforderlich ist 1. für das Einleiten von Grund-, Quell- und Niederschlagswasser in ein Küstengewässer, 2. für das Einbringen und Einleiten von anderen Stoffen in ein Küstengewässer, wenn dadurch keine signifikanten nachteiligen Veränderungen seiner Eigenschaften zu erwarten sind.“
II. Charakterisierung und Bewertung von Öffnungsklauseln 233
Art. 72 GG überhaupt eine ‚leitende‘162 Systematik erblicken lässt, dann die des „Gebrauchmachens“ in Absatz 1, mit dem Absatz 3 verknüpft ist.163 Die Kompetenzen in den Absätzen 2 und 3 knüpfen an die Inanspruchnahme durch den Bundesgesetzgeber an. Die Bereichsausnahme in Absatz 3 Satz 1 Nr. 5 GG verhält sich zur originären Kompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG neutral und beschränkt allein die Dispositionsbefugnis der Länder. Der einfache Sachgesetzgeber kann insoweit nicht über die Indisponibilität der ‚stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen‘ und die Kompetenzordnung bestimmen, da sich dieser für eine Normierung auf den Titel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 GG stützt. Eröffnet er den Ländern stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge mittels eines Vorbehalts zur abweichenden Gestaltung, so gilt allein das bereits Gesagte. Der Bundesgesetzgeber nimmt seine Kompetenz gemäß Art. 72 Abs. 1 GG insoweit nicht in Anspruch, sondern belässt den Ländern ihr Regelungsmandat.164 Es wäre folgewidrig, dem Bundesgesetzgeber, der über eine konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis verfügt und gänzlich auf eine normative Ordnung stoff- und anlagenbezogener Vorgänge verzichten kann, Öffnungsvorbehalte zugunsten der Länder zu verwehren. Dieser Gedanke erhält im Lichte des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 zusätzlich Kontur. Dem Subsidiaritätsgedanken165 Rechnung tragend, überließ der Bund den Ländern weiterhin die Ausgestaltung anlagenbezogener Vorgänge.166 Ferner spricht gegen eine solche Ausdeutung der indisponiblen Bereichsausnahme ein Vergleich mit Art. 71 GG. Der Bundesgesetzgeber kann die Länder nach Art. 71 GG auch zur Rechtsetzung innerhalb seiner ausschließlichen Gesetzgebung ermächtigen.167 Es wäre widersprüchlich, wenn der Bundesgesetzgeber die Länder in allen Kompetenzarten zur Gesetzgebung befähigen kann, lediglich nicht innerhalb der abweichungsfesten Bereiche.168 Letztlich 162 Dazu M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (493) anzuknüpfen: „Nicht die Verfassung entscheidet, wer zur Gesetzgebung befugt ist, sondern das einfache Bundesgesetz. Art. 72 Abs. 3 würde von seiner normativen Leitfunktion zu einer subsidiären Aushilfsklausel abgewertet […]“. 163 Sinnfällig zur Systematik A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 13 ff. 164 Ausführlich M. Böckel, Instrumente der Einpassung neuen Rechts in die Rechtsordnung, 1992, S. 70 ff. 165 Über dieses Leitprinzip bereits vorstehend Kapitel 1 sub I. 1. 166 Zur Regelungsdichte des Wasserhaushaltsgesetzes in Kapitel 2 sub I. 3. 167 Die Ermächtigung nach Art. 71 GG unterscheidet sich signifikant von der nach Art. 72 Abs. 1 GG, dazu grundlegend H. Grziwotz, AöR Bd. 116 (1991), S. 588 (596 ff.) und A. Uhle, in: Maunz/Dürig, 49. Erg.-Lfg. März 2007, Art. 71 GG Rn. 44 ff. 168 Ähnlich M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 37.
234 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
enthalten alle Vorbehalte des Wasserhaushaltsgesetzes den einheitlichen Regelungsgehalt, dem Landesgesetzgeber die Rechtsgestaltungszuständigkeit gemäß Art. 72 Abs. 1 GG sachgegenständlich „soweit“ zu erhalten, wie es in der jeweiligen Klausel vorgesehen ist.169
III. Verfassungsrechtliche Kennzeichnungs- und Dokumentationspflichten: Staatspraxis, Funktionalität und Rationalität im Wasserwirtschaftsrecht Mit besonderer Schärfe wurde im Rahmen der Verfassungsreform um Kennzeichnungs- und Dokumentationspflichten der Bundesländer für abweichendes Landesrecht gerungen. Bundestag und Bundesrat befassten sich intensiv mit der Frage, wie der Normanwender die für ihn maßgebliche Rechtslage und den Urheber der Vorgabe erfahren kann. Zahlreiche Stellungnahmen sprachen sich seinerzeit sowohl dafür als auch dagegen aus, die Abweichungsbefugnis formal mit einem grundgesetzlichen Zitiergebot zu verbinden.170 Der Reformgesetzgeber hat sich eindeutig gegen ein abgesichertes Zitiergebot entschieden. Nach einer Entschließung von Bundestag und Bundesrat gewährleisten Bund und Länder gemeinsam, „dass abweichendes Landesrecht (Art. 72 Abs. 3, Art. 84 Abs. 1 GG) fortlaufend gemeinsam mit dem Bundesrecht, von dem abgewichen wird, in einer für die Rechtsanwender zugänglichen Weise dokumentiert wird.“171 1. Die Kennzeichnungspraxis Ob und wie minutiös die Länder aus Gründen der Rechtsklarheit ihr abweichendes Reglement kennzeichnen und dokumentieren müssen, wird sowohl im Schrifttum als auch in der Praxis höchst unterschiedlich beurteilt. Dabei lassen sich verschiedene Varianten identifizieren. Im Landesgesetz wird 1. auf die korrespondierende Norm des Wasserhaushaltsgesetzes und auf die Ingebrauchnahme des Art. 72 Abs. 3 GG in einem Klammerzitat A. Uhle, in: Maunz/Dürig, 69. Erg.-Lfg. Mai 2013, Art. 72 GG Rn. 91. C. Pestalozza, Anhörung zur Föderalismusreform am 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 11; P. M. Huber, ebenda, S. 68. Demgegenüber ablehnend J. Wieland, ebenda, S. 64: „Es ist sehr schwer, wenn eine gesetzliche Regelung den Vorgaben der Verfassung materiell genügt, diese dann scheitern zu lassen, weil man sagt: Das Zitiergebot ist nicht beachtet worden. – Es würde sich in Zukunft um relativ komplexe Fragen handeln.“; gleichsinnig H. Meyer, ebenda, S. 64; F. Kirchhof, ebenda, S. 67. 171 BT-Drucks. 16/2052, S. 9 und BR-Drucks. 462/06, S. 14 f. 169 Näher
170 Affirmativ
III. Verfassungsrechtliche Kennzeichnungspflichten235
(„abweichend von §… WHG“) hingewiesen, ohne dies im Normtext nochmals explizit zu kennzeichnen;172 2. in einem Klammerzitat („zu § … WHG“) lediglich auf die korrespondierende Vorschrift des Wasserhaushaltsgesetzes hingewiesen, während die Abweichung173 im Normtext mit „abweichend von“ oder eine sächsische Besonderheit im Naturschutzgesetz „über § … BNatSchG hinaus“174 kenntlich gemacht wird; 3. die entsprechende Bestimmung des Wasserhaushaltsgesetzes in einem Klammerzitat aufgeführt, wobei die Abweichung im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG nicht als solche („abweichend“) benannt wird, sich die Divergenz jedoch aus dem Normtext ergibt.175 Nach dieser rechtstatsächlichen Annäherung an die Thematik ist die Dokumentation der abweichenden Regelungen im Bundesgesetzblatt näher zu 172 So etwa der Freistaat Bayern statt anderer Art. 30 BayWG Erdaufschlüsse (Abweichend von § 38 Abs. 2 bis 5 WHG); siehe zudem die §§ 55 und 96 BremWG. 173 SachsAnhWG: „§ 52 Gewässerunterhaltung (zu § 39 WHG) (1) Abweichend von § 39 Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes umfasst […]“. RhPfWG: „§ 84 Besondere Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete (1) Abweichend von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Wasserhaushaltsgesetzes […]“. NdsWG: „§ 5 Bewilligung (zu den §§ 10 und 14 WHG) […] ist der Betroffene abweichend von § 14 Abs. 4 Satz 1 WHG zu entschädigen […]“; SchlHWG: „§ 49 Behördliche Entscheidungen zur Gewässerunterhaltung (zu § 42 Abs. 1 und abweichend von § 42 Abs. 2 WHG) […] Abweichend von § 42 Abs. 2 WHG […]“. 174 Der sächsische Gesetzgeber bezeichnet eine solche Abweichung als „über § … BNatSchG hinaus“, „wenn zusätzlich zu einer abschließenden bundesrechtlichen Regelung Landesrecht gelten soll.“ Vgl. die Begründung zum Gesetz zur Bereinigung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, Sächsischer Landtag, Drucks. 5/10657, S. 3 und § 4 SächsNatSchG neue Fassung. 175 Etwa das Land Niedersachsen: „§ 61 NdsWG Gewässerunterhaltung (zu § 39 WHG) (1) Die Unterhaltung eines Gewässers umfasst […] § 39 Abs. 1 WHG findet keine Anwendung.“ Siehe auch das HessWG: „§ 6 (zu § 4 Abs. 4 des Wasserhaushaltsgesetzes) Duldungspflichten bei Benutzungen der Gewässer § 4 Abs. 4 Satz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes gilt nicht für […].“ Die Hessische Vorschrift wurde im Bundesgesetzblatt (BGBl. I [2011], S. 607) als abweichend im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG veröffentlicht. Vgl. § 90a NordrhWestWG Gewässerrandstreifen (Zu § 38 WHG) und § 24 SächsWG Ufer und Gewässerrandstreifen (zu § 38 WHG). Gleichwohl hatten sich die zuständigen Vertreter aus dem Bereich der Wasserwirtschaft im Vorfeld für eine solche Kennzeichnung ausgesprochen hatten. So H. Spillecke, Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrheinwestfalen, auf dem 310. Kolloquium am 26. Februar 2010 des Instituts für das Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft an der Universität Bonn (unveröffentlicht). Dahin gehend auch W.-D. Dallhammer, Strategie des Freistaates Sachsen zur Umsetzung des neuen Wasserhaushaltsgesetzes, Vortrag vom 21. Januar 2010 (unveröffentlicht), Leipziger Gespräche zum Umwelt- und Planungsrecht.
236 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
betrachten. Unter dem Titel „Hinweis auf vom Bundesrecht abweichendes Landesrecht“176 wird zunächst das Bundesrecht aufgeführt, von dem abgewichen wird. Tabellarisch wird ihm das abweichende Landesrecht mit dem jeweiligen Veröffentlichungsmedium und einem Hinweis auf die in Anspruch genommene Kompetenz sowie dem Tag des Inkrafttretens der abweichenden Regelung gegenübergestellt.177 Daneben wurden den Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes in der Onlinedatenbank des Bundesministeriums der Justiz jeweils Anmerkungen beigefügt, in denen auf abweichende Landesvorschriften hingewiesen wird und die mit elektronischen Verweisen hinterlegt sind. Diese Praxis ist sicher geeignet, den Normanwender zuverlässig auf etwaige Abweichungen hinzuweisen. Wie noch zu zeigen sein wird, kann diese Praxis jedoch die bestehenden Vorbehalte gegen die Abweichungsgesetzgebung nicht zerstreuen. 2. Meinungsstand Ähnlich facettenreich wie die Umsetzung der Kennzeichnung in den Ländern ist die Meinungsvielfalt im Schrifttum. Am weitesten reicht der Standpunkt, wonach die Länder im Sinne eines „doppelten Zitiergebots“ bei der Abweichung kenntlich machen müssen, wovon, inwieweit, auf welcher 176 BayWG, BGBl. I (2010), S. 275; SächsWG, BGBl. I (2011), S. 844; HessWG, BGBl. I (2011), S. 67; SachsAnhWG, BGBl. I (2011), S. 567. 177 BGBl. I (2010), S. 275:
Hinweis auf von Bundesrecht abweichendes Landesrecht Nachstehend wird der Hinweis des Freistaates Bayern auf von Bundesrecht nach Artikel 72 Absatz 3 Satz 1 und Artikel 84 Absatz 1 Satz 2, Artikel 125b Absatz 1 Satz 3 oder Artikel 125b Absatz 2 des Grundgesetzes abweichendes Landesrecht mitgeteilt: Bundesrecht von dem abgewichen wird Gesetz / Verordnung (ggf. Einzelvorschrift)
Abweichendes Landesrecht a) Gesetz / Verordnung (ggf. Einzelvorschrift) b) Fundstelle c) Rechtsgrundlage der Abweichung d) Tag des Inkrafttretens
§ 2 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585)
a) Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Bayerischen Wassergesetzes (BayWG)*) b) Bayerisches Wassergesetz vom 25. Februar 2010 (GVBl. S. 66, BayRS 753-1-UG) c) Artikel 72 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 des Grundgesetzes d) Tag des Inkrafttretens *) Das Gesetz tritt gemäß Art. 78 Abs. 1 BayWG mit Ablauf des 29. Februar 2012 außer Kraft.
III. Verfassungsrechtliche Kennzeichnungspflichten237
Grundlage und zu welchem Zeitpunkt abgewichen werden soll.178 Vielfach wird hingegen geäußert, aus dem Gebot der Normenklarheit179 folge eine Klarstellungspflicht des Landesgesetzgebers. Die explizite Benennung der korrespondierenden bundesrechtlichen Norm sei deshalb Ausübungsvoraussetzung des Art. 72 Abs. 3 GG.180 Nach Christoph Degenhart führt eine Missachtung dieses Gebots zum Verlust des Anwendungsvorrangs.181 Auch der sich mit dem Wasserrecht befassende Michael Foerst182 und die Untersuchung von Marcus Hahn-Lober183 folgern aus dem Rechtsstaatsprinzip ein Zitiergebot, dessen Missachtung zur Nichtigkeit der jeweiligen Regelung führt. Nach wohl überwiegender Sichtweise ist der Hinweis auf eine Abweichung lediglich praktisch empfehlenswert.184 3. Stellungnahme a) Die Kennzeichnungspflicht Von Verfassungs wegen ergibt sich für abweichende Regelungen keine Kennzeichnungspflicht bzw. kein Zitiergebot.185 Ein solches Zitiergebot be178 In dieser zweifelhaften Diktion M. Kallerhoff, Die Übergangsrechtliche Fortgeltung von Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 109 (110) sowie zuvor H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 172. 179 Zu dieser Spruchpraxis BVerfGE 78, 214 (226); 115, 166 (190); 119, 331 (366). 180 Dahin gehend wohl B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (756); C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (423 f., 427); C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (495); Gerstenberg, Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz, 2009, S. 260 f.; P. Fischer-Hüftle, NuR 2007 S. 78 (80); E. Lütkes, in: ders./Ewer (Hg.), BNatSchG, 2011, Einl. Rn. 38; B. Pieroth, in: Jarass/ders. (Hg.), Art. 72 GG Rn. 30; H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (255); C. Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 72 GG Rn. 30. 181 So explizit C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (427). 182 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 80 ff. 183 M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 165, 219. 184 Siehe M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 38; ders., AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (470), mit Verweis auf die fehlende Befugnis des einfachen Gesetzgebers zur authentischen Interpretation. Zum Abweichungsrecht nach Art. 84 GG M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 86: „zweckmäßig, aber nicht geboten […]“. Zudem H. A. Wolff, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hg.), Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 125b Abs. 1 GG Rn. 17: „Die Abweichungsgesetzgebung ist eine Gesetzgebungskompetenz und es ist sachlich nicht zutreffend, sie gegenüber anderen Gesetzgebungskompetenzen erschwerten Bedingungen zu unterwerfen.“ 185 Ausdrücklich auch C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (423); C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (495); H. A. Wolff, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 125b Abs. 1 GG Rn. 17: „verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich geboten“. Dementgegen M. Kallerhoff, Die Übergangsrechtliche Fortgeltung von
238 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
darf einer Regelung im Grundgesetz, wie sie Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG vorsieht.186 Maßgeblich bleibt allein das Postulat des Rechtsstaatsprinzips.187 Dem Bestimmtheitsgebot genügt der Landesgesetzgeber, sobald sich der Rechtsanwendungsbefehl durch die gebotene Auslegung ermitteln lässt.188 Das Gebot der Normenklarheit verlangt ausreichende Klarheit hinsichtlich des Bestandes und des Inhalts der Gesetzgebungsakte.189 Sie fordert keine besondere Gestaltung des Normtextes, sondern im Rahmen einer Gesamtschau verschiedener Vorschriften die Verständlichkeit des Normprogramms.190 Bereits unter Geltung der Rahmengesetzgebung musste der Rechtsanwender zwischen dem oftmals unmittelbar geltendem Bundesrecht und dem rahmenausfüllenden Landesrecht den exakten Rechtsanwendungsbefehl herausarbeiten. In der föderalen Rechtsordnung mit ineinandergreifenden Regelungen tangiert die Dispositionsbefugnis das Gebot der Normenklarheit und eine eindeutige Darstellung des Gesamtreglements. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten wird zu Recht auf einer Kennzeichnung beharrt. Indessen wartet das geforderte Zitiergebot mit zahlreichen Abgrenzungsunsicherheiten auf. Der Bundesgesetzgeber gab nur selten zu erkennen, welche Vorgaben er als abschließend oder abweichungsfest erachtet.191 Wird den Ländern eine Kennzeichnungspflicht auferlegt, scheint die Forderung auf den ersten Blick konsequent, dass der Bundesgesetzgeber einer ebensolchen Pflicht unterliegt und seine indisponiblen Regelungen kennzeichnen muss.192 Grundsätzlich ist es der Einschätzung des Gesetzgebers Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 109 (110): „ein rechtsstaatliches begründetes ‚doppeltes Zitiergebot‘ “ sei „sachdienlich und angezeigt“. 186 Hierzu L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (334 f., 336), der zu Recht auf die zurückhaltende Spruchpraxis zu Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verweist. 187 Das Prinzip wird nur in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG explizit erwähnt und erfuhr durch die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts neben den Einzelgehalten in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG eine facettenreiche Ausgestaltung. Zum Ganzen vgl. nur E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 2 ff. und A. v. Arnauld, Rechtssicherheit, 2005, S. 101 ff., 167 ff. und passim. 188 H. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 20 GG Rn. 85. 189 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 GG Rn. 129. 190 Vgl. nur BVerfG, 2. Juni 2008, Az.: 1 BvR 349/04, 1 BvR 378/04 und H. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 GG Rn. 129. 191 Mitunter gab die Bundesregierung über ihre Auffassung zur Disponibilität einzelner Vorschriften im Rahmen ihrer Stellungnahme zu den Änderungswünschen des Bundesrates Auskunft. Siehe zum Legislativverfahren vorstehend Kapitel 2 sub I. 1. und exemplifikatorisch BT-Drucks. 16/13306, S. 29 zu Nr. 41, S. 31 zu Nr. 61, S. 33 zu Nr. 86. 192 Siehe überdies in Kapitel 3 sub I. 2. die Forderung, das Bundesrecht bereinigungsfreundlich auszugestalten.
III. Verfassungsrechtliche Kennzeichnungspflichten239
überlassen, darüber zu befinden, inwieweit er einen stoff- oder anlagenbezogenen Vorgang reglementiert.193 Dagegen spricht, dass allein der Verfassungsgesetzgeber zur authentischen Interpretation der grundgesetzlichen Bereichsausnahme berufen ist.194 Insoweit wäre eine etwaige Kennzeichnung im Norm- bzw. Begründungstext als ‚stoff- oder anlagenbezogen‘ für die Länder keine verlässliche Absicherung. Vor diesem Hintergrund lässt sich dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit schwerlich eine Kennzeichnungspflicht der Länder – „abweichend von § …“ – entnehmen, die im Falle ihrer Missachtung zur Nichtigkeit bzw. zum Verlust des Anwendungsvorranges führt. Erforderlich ist indessen ein Hinweis auf das mit der Landesvorschrift korrespondierende Bundesrecht – „zu § … WHG“. Eine Divergenz des Landesrechts mit dem Bundesrecht nach Art. 72 Abs. 1 oder 3 GG ist alsdann durch eine Auslegung der jeweiligen Vorschrift zu ermitteln. Soweit es bislang ersichtlich ist, werden diesen Anforderungen alle vollständig novellierten Landesgesetze gerecht.195 Unbenommen der Diskussion eines verfassungsrechtlichen Kennzeichnungsgebots ist jedenfalls eine „salvatorische Abwandlungsklausel“196 im Gesetzestext ungenügend, die lediglich allgemein darauf verweist, im Falle einer fehlenden Übereinstimmung von Bund- und Landesrecht von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG Gebrauch zu machen.197 Zulässig ist es hingegen, dem Gesetz neben der jeweiligen Kennzeichnung im Normtext eine deklaratorische Klausel voranzustellen. Von diesem Instrument haben Bremen198 und Sachsen Gebrauch gemacht: „Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten in Ergänzung oder Abweichung des Wasserhaushaltsgesetzes in der jeweils maßgebenden Fassung.“199 etwa C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (429) für das Naturschutzrecht. bekannten Einwand erheben L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (336) und H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 172 bedauerlicherweise nicht. Siehe auch K. J. Grigoleit, Bundesverfassungsgericht und deutsche Frage, 2004, S. 87 ff. allgemein und mit umfassender Erörterung des Topos „authentischer Interpretation“. BVerfGE 70, 251 (264): „Über die Zuordnung einer Norm zu einer Gesetzgebungsmaterie entscheiden weder der äußere Regelungszusammenhang noch der Wille des Gesetzgebers. Maßgebend ist allein der Gehalt der Regelung.“ 195 Siehe dazu in sub 1. 196 E. Schmidt-Jortzig, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. I, 2012, § 20 Rn. 19. 197 Abweichend M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 80 ff.; C. Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (495); P. Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 78 (80); M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 165, 219; weniger strikt C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1213). 198 § 1 BremWG. 199 § 1 Abs. 3 SächsWG. Dazu führt die Begründung des Referentenentwurfes auf Seite 7 aus: „Mit Absatz 3, der dem § 1 des Bremischen Wassergesetzes ent193 Darüber 194 Diesen
240 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
b) Ausgewählte Referenzbeispiele Nach vorstehender Grundlegung ist nunmehr auf ausgewählte Einzelfragen hinzuweisen. Zunächst seien Art. 19 BayWG und § 20 HessWG und § 31 SachsAnhWG hervorgehoben.200 Die Vorschriften überführen die dort niedergelegten Vorgaben an die Gewässerbenutzung zu Zwecken der Fischerei aus dem Rechtsinstitut des Gemeingebrauchs (§ 25 WHG) und setzen sie in einen neuen Regelungszusammenhang. Die abweichende Vorschrift wurde durch den Freistaat Bayern im Bundesgesetzblatt als abweichend deklariert. Die Länder Hessen und Sachsen-Anhalt klassifizierten die jeweilige Bestimmung indessen als nicht abweichend. Vieles spricht dafür, in dem eigenständigen Regelungszusammenhang eine Abweichung zu erblicken, weshalb alle landesrechtlichen Vorschriften als abweichend zu kennzeichnen sind. Zweifel erheben sich mit Blick auf weitere als abweichend im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG im Bundesgesetzblatt gemeldete und im Normtext ausgewiesene Vorschriften des Bayerischen Wassergesetzes. So überführt der im Verlauf der Untersuchung bereits in den Blick genommene Art. 15 BayWG die Vorschrift des Art. 17 BayWG a. F. und hält damit an der in Bayern gebräuchlichen Bezeichnung „Beschränkte Erlaubnis“ fest.201 Dessen Absatz 1 weicht allein insoweit ab, als er der „Erlaubnis“ im Sinne des § 10 WHG eine andere Terminologie zuweist.202 Inhaltlich sieht die Norm hingegen keine Divergenz vor. Vielmehr bringt sie lediglich zum Ausdruck, was § 15 Abs. 1 WHG für die gehobene Erlaubnis vorsieht, und ergänzt die im übrigen abschließenden Regelungen der §§ 15 und 10 WHG.203 Die Vorschrift ist insgesamt als abweichende Bestimmung gemeldet.204 Sofern mit der wohl herrschenden Interpretation des Abweichungsmodells eine materielle Rechtsänspricht, wird vor dem Hintergrund der mit dem Inkrafttreten des neuen WHG 2009 geänderten Rechtslage (Verhältnis Bundes- und Landesrecht) deklaratorisch festgestellt, dass die Vorschriften dieses Gesetzes entweder das Bundesrecht ergänzen oder, soweit keine stoff- oder anlagenbezogene Regelung vorliegt, zulässigerweise vom Bundesrecht abweichen.“ 200 Vgl. zu den Vorschriften zudem später in Kapitel 7 sub II. 3. a) cc). 201 Siehe bereits unter sub I. 2. b). 202 Ausdrücklich U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Stand Juli 2010, Art. 15 BayWG Rn. 2. 203 Das Zulassungsregime wird als weitgehend abschließend erachtet. Näher zur betreffenden Regelungsfähigkeit der Länder K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 10 WHG Rn. 13 und auch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (476 f.). Differenzierend B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 10 WHG Rn. 59. Siehe zudem später Kapitel 7 sub II. 1. und 2. 204 BGBl. I (2010), S. 276.
III. Verfassungsrechtliche Kennzeichnungspflichten241
derung verbunden wird,205 ist zu beleuchten, ob Art. 15 BayWG tatsächlich divergiert.206 Hinsichtlich der stoff- oder anlagenbezogenen Vorgänge ließe sich vertreten, die Vorschrift ergänze, konkretisiere oder fülle lediglich aus. Unbesehen einer möglicherweise kompetenziell zweifelhaften207 abweichenden Ergänzung bzw. Konkretisierung lässt sich eine bloß anderweitige Bezeichnung nicht auf Art. 72 Abs. 3 GG stützen. Wird diesem Standpunkt gefolgt, weicht Art. 15 BayWG nicht nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ab. Mit Blick auf eine konsistente Kennzeichnung abweichender Regelungen irritiert zudem Art. 30 BayWG.208 Die Vorschrift knüpft an § 49 WHG an, der bundesrechtliche Vorgaben zu Erdaufschlüssen209 statuiert. Art. 30 BayWG ist als „Abweichend von § 49 WHG“ gekennzeichnet und im Bundesgesetzblatt als nach Art. 72 Abs. 3 GG abweichend veröffentlicht.210 Indessen enthält § 49 Abs. 4 WHG eine Abweichungsklausel211 und gibt den Ländern die Vorschrift bereits auf Ebene des Art. 72 Abs. 1 GG vollständig frei.212 Anderenfalls wäre die Vorschrift mit ihrem Stoffbezug213 zumindest teilweise indisponibel.214 Auch die Begründung des Bayerischen Wasserge205 Zu den Anforderungen vgl. die Diskussion zum Verbot der formulierungsidentischen und inhaltsgleichen Kongruenz sowie zur Zulässigkeit negierender Abweichungen, vorstehend sub I. 2. und 3. 206 Zweifelnd auch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488): „Bei näherem Hinsehen erscheint sogar fraglich, ob die ausdrücklich als Abweichung etikettierte Vorschrift der Sache nach überhaupt eine Abweichung i. S. d. Art. 72 Abs. 3 GG enthält.“ 207 Sofern sich die Vorschrift auf stoff- oder anlagenbezogene Benutzungstatbestände bezieht und das korrespondierende Reglement als abschließend erachtet wird, scheint eine ebensolche abweichende Ergänzung verfassungswidrig. 208 Siehe BR-Drucks. 280/09, S. 25. 209 Erdaufschlüsse vermögen es grundsätzlich, die Funktionsfähigkeit des Wasserhaushalts zu beeinträchtigen. Näher M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 49 WHG Rn. 4 ff. 210 BGBl. I (2010), S. 276. 211 Zu den Optionsvorbehalten siehe vorstehend sub II. 212 Die Klausel wurde auf Initiative des Bundesrates (BR-Drucks. 280/09 S. 28) und Beschlussempfehlung des Ausschusses Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BT-Drucks. 16/13426, S. 40) eingefügt. Wie hier M. Böhme, in: Berendes/ Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 49 WHG Rn. 14. Abweichend hingegen H. Posser, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2011, § 49 WHG Rn. 12, wonach die Öffnungsklausel des Absatzes 4 mit Blick auf Absatz 1 Satz 2 „teleologisch zu reduzieren“ sei. 213 Vgl. etwa § 49 Abs. 1 Satz 2 WHG. 214 Näher K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 49 WHG Rn. 6. Mit abweichender Bewertung hinsichtlich des Instruments der Öffnungsklauseln U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 49 WHG Rn. 24 und auch M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (492 ff.). Dazu vorstehend sub II 2. b).
242 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
setzes stellt auf die Befugnis aus Art. 72 Abs. 1 GG ab,215 weshalb die Kennzeichnung letztlich im Dunkeln bleibt. Es ließen sich einige weitere als abweichend deklarierte Vorschriften betrachten, deren Kennzeichnung zweifelhaft ist. So etwa die Delegationsnormen des Art. 17 BayWG und des § 17 SachsAnhWG in der Fassung bis zum 31.03.2013, die am Posterioritätsgrundsatz des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG teilnehmen sollen.216 Gleiche gilt für Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayWG betreffend des Anwendungsbereiches des Bayerischen Wassergesetzes.217 Doch erlauben die erörterten Gesichtspunkte bereits den Schluss, dass die Notierungen im Bundesgesetzblatt und im Rechtsportal des Bundesministeriums der Justiz für den Rechtsuchenden gelegentlich von zweifelhaftem Gehalt sind. Sollte ein Bundesland seine Vorschrift nur fälschlicherweise als abweichend veröffentlicht haben, wird dies wohl zu keinen unüberbrückbaren Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung. c) Zusammenfassung Die reklamierten Konfliktpotentiale der Rechtsänderungsbefugnis reichen letztlich wohl nicht weiter als sie ehedem unter Geltung der Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG a. F. bestanden.218 Der Verzicht einiger Länder auf eine explizite Kennzeichnung ist auch mit Blick auf den Bundesgesetzgeber verständlich, der begrifflich indifferent mit dem Terminus der ‚Abweichung‘ umgeht. Dieser verwendet die Klausel, „dass die Länder abweichende Regelungen treffen können“ lediglich, um zum Ausdruck zu bringen, eine nicht abschließende getroffen zu haben.219 Es ist zweifelhaft, ob eine obligatorische Kennzeichnung von Abweichungen als „abweichend von“ die Suche nach dem Normanwendungsbefehl derart erleichtert, um ein solches Gebot als verfassungsrechtliches Postulat zu qualifizieren.220 Ein Hinweis auf die korrespondierende Vorschrift des Bundesgesetzes ist hinreichend, soweit die Abweichung aus dem Normtext eindeutig ersichtlich ist.221 Es ist eine Frage ‚guter Rechtsetzung‘, im Gesetzestext unmittelbar zu dokumentieren, für welche Vorschrift des bundesgesetzlichen Reglements eine abwei215 Bayerischer
Landtag, Drucks. 16/2868, S. 43. Einbindung von Verordnungsrecht in das Abweichungsmodell ist Kapitel 8 gewidmet. 217 Mit diesem Hinweis auch M. Reinhardt, NVwZ 2014, S. 484 (485). 218 Zu den Friktionen der Rahmengesetzgebungskompetenz bereits in Kapitel 1 sub I. 2. B). 219 Siehe vorstehend unter sub II. 2. 220 So jedoch der herrschende Standpunkt im Schrifttum vgl. vorstehend sub III. 2. 221 Beispielshalber ‚über § … WHG hinaus‘, ‚§ … WHG findet keine Anwendung‘, ‚§ … WHG findet mit der Maßgabe Anwendung‘ usf. 216 Der
IV. Resümierende Stellungnahme243
chende, ergänzende, konkretisierende oder ausfüllende Vorgabe getroffen wird.222 Vom Standpunkt des Rechtsunterworfenen ist ein Verzicht auf eine weiterreichende, von einigen Ländern praktizierte explizite Kennzeichnung als „abweichend von“ zumeist akzeptabel.223 Auch Abweichungen, Ergänzungen, Ausfüllungen und Konkretisierungen im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG ‚weichen‘ vom bundesrechtlichen Normprogramm ab, ohne eine Abweichung im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG zu intendieren. Für den Rechtsunterworfenen treten im Rahmen von ergänzenden oder ausfüllenden Regelungen ähnliche Fragen auf wie bei abweichenden Normen. Ebensolche Zweifelsfragen waren und sind der föderativ verfassten Staatlichkeit im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 GG inhärent. Ein grundgesetzliches Kennzeichnungsgebot ist mit der Kompetenzinanspruchnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG jedenfalls nicht verbunden.
IV. Resümierende Stellungnahme Werfen wir rückschauend einen Blick auf das ausgewertete Schrifttum, so lässt sich wiederholt vermerken,224 dass sich in den aufgestellten Anforderungen an abweichendes Landesrecht die Kritik niederschlägt, mit der das neue Instrument der Abweichungsgesetzgebung seit seiner Entstehung bedacht wurde.225 Weder führt ein Rückschluss auf die Ersetzungsbefugnis zur Beschränkung der Abweichungsbefugnis noch sind die Länder an den Regelungsbereich des einfachen Bundesrechts oder an das Finalprogramm des vorleistenden Bundesgesetzgebers gebunden (vorstehend sub I. 1.). Ein anderer Standpunkt findet weder im Normtext und in der systematischen Verortung 222 Dahin gehend H. Spillecke, MR im Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrheinwestfalen, auf dem 310. Kolloquium am 26. Februar 2010 des Instituts für das Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft an der Universität Bonn (unveröffentlicht). 223 Vgl. vorstehende sub 1. und für die Landesnaturschutzgesetze P. Schütte/ S. Kattau, ZUR 2010, S. 353 (355). 224 Vgl. die resümierenden Stellungnahmen am Ende der vorangegangenen Kapitel 4. 225 Exemplarisch nur B. Becker, Das neue Umweltrecht, 2010, Rn. 57, der vermerkt, dass die zahlreichen Anforderungen „den Schaden dieser Idee der sog. Föderalismusreform […] in Grenzen hält“, und die Ausführungen in Kapitel 1 sub I. 2. a). Resümierend zur Föderalismusreformkommission auch W. Gerhards, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 7: „Bei vielen Stellungnahmen […] hatte ich den Eindruck, dass es den Generalverdacht gegen die Länder gibt, dass sie nicht sachgerecht regeln könnten oder wollten und von vornherein nur darauf aus seien, die Umweltstandards der EU auszuhebeln.“
244 Kap. 5: Verfassungsrechtliche Einzelfragen und prozedurale Probleme
der Abweichungskompetenz einen tragfähigen Anknüpfungspunkt, noch lässt er sich mit Sachgesetzlichkeiten belegen. Wird ferner mitunter der Versuch unternommen, die Länder an die Regelungsbreite und -tiefe des Bundesgesetzgebers zu binden, so lässt sich eine solche dogmatische Grundlegung nicht absichern. Es fehlen wiederum gesicherte Anhaltspunkte dafür, den Begriff der ‚Abweichung‘ mit dem geringstmöglichen Sinngehalt auszulegen. Gleiches gilt für die Bemühungen, die Länder auf das ‚Regelungskonzept‘ des Bundes zu beschränken. Wären die Länder an die Breite und Tiefe des Bundesrechts gebunden, so könnte der Bundesgesetzgeber durch seine Rechtsetzung Regelungen der Länder selbst für normierungsbedürftige Lebenssachverhalte verhindern, die nicht stoff- oder anlagenbezogen sind. Die Länder können sich weitgehend vom Regelungsprogramm des Bundes lösen. Insoweit zieht das Erfordernis abweichender Regelungen der Landesrechtsetzung im Rahmen des jeweiligen Kompetenztitels im Allgemeinen keine räumliche Grenze, sondern statuiert inhaltliche Anforderungen an eine Disposition im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG.226 Komplexer ist die Charakterisierung der materiellen Ausübungsvoraussetzungen hinsichtlich der Mindestanforderungen einer anderweitigen Rechtsetzung, nämlich in Ansehung des Verbots inhaltsgleicher bzw. formulierungsidentischer Übernahmen (vorstehend sub I. 4.) und negierender Abweichungen (vorstehend sub I. 5.). Für den Bereich des Wasserwirtschaftsrechts birgt die teils defizitäre Konturierung, wann eine unzulässige Abbedingung bundesgesetzlicher Regelungsgehalte oder eine zulässige Deregulierung vorliegt, bis dato kein offenkundiges Konfliktpotential. Die bisherige Staatspraxis lässt keine Konfliktlagen erkennen, die auf das Instrument einer schlichten Negierung bundesgesetzlicher Vorgaben zurückzuführen sind.227 Die Landeswassergesetze enthalten entweder mit einer Negierung korrespondierende positive Regelungsgehalte oder sachlich begrenzte Deregulierungen. Überdies bieten die selten anzutreffenden vollständig abweichungsoffenen Abschnitte bzw. Regelungskomplexe des Wasserhaushaltsgesetzes nur wenig Raum, dem freien Spiel der Selbstregulierung überlassen zu werden. Erachtet man mit der überwiegenden Ansicht eine deregulierende Abstandnahme als zulässig, so verfügen die Landesgesetzgeber für das Wasserwirtschaftsrecht über ein ausreichend funktionales Instrumentarium, um ihr Landeswasserrecht ihren Präferenzen entsprechend zu gestalten. Abgrenzungsunsicherheiten bestehen angesichts des Verbots einer formulierungsidentischen oder inhaltsgleichen Kongruenz von Bundes- und Lan226 Die Länder sind freilich anderweitigen konstitutionellen oder supranationalen Restriktionen unterworfen. 227 Eine Sonderstellung nimmt hingegen der Umgang mit dem Verordnungsrecht ein, dazu in Kapitel 8.
IV. Resümierende Stellungnahme245
desrecht. Die formulierungsidentische oder inhaltsgleiche Übernahme wird bisher zumeist gemieden. Nur in Einzelfällen und dann in einem sehr unscharfen Grenzbereich steht eine inhaltsgleiche Kongruenz in Rede. Insoweit darf die Hypothese gewagt werden, dass die Übereinstimmungen wohl lediglich auf ‚Startschwierigkeiten‘ im Umgang mit dem neuen Kompetenzmodell zurückzuführen sind. Fernerhin ist ein erster Gedanke zum Prüfungsumfang des Bundesverwaltungsgerichts erlaubt. Wie ehedem zu Art. 75 GG a. F. wird es sich für das Modell des Art. 72 Abs. 3 GG an bestimmten Schnitt- und Soll-Bruchstellen zwischen Bundes- und Landesrecht einen signifikanten Prüfumfang hinsichtlich der kompetenziellen Vereinbarkeit beider Regelwerke vorbehalten.228 Ein widerspruchsvolles Bild geben die Thesen zu den zahlreichen Länderoptionsvorbehalten innerhalb des Wasserhaushaltsgesetzes sowie zur Kennzeichnung und Dokumentation abweichender Regelungen. Beide Themen werfen verschiedene verfassungs- und wasserrechtliche Zweifelsfragen auf. Die Länderöffnungsklauseln lassen sich ganz unterschiedlich kategorisieren. Insgesamt geben sie lediglich einen Hinweis auf eine nicht abschließende und erschöpfende Bundesrechtsetzung. Abzulehnen ist der Standpunkt, wonach die Öffnungsklauseln im Gebiet der stoff- oder anlagenbezogenen Bereichsausnahmen nichtig sind. Es bleibt dem Bundesgesetzgeber bereits nach Art. 72 Abs. 1 GG anheimgestellt, darüber zu befinden, ob er den Ländern stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge zur Regelung überlässt. Aus der Abweichungsfestigkeit stoff- oder anlagenbezogener Vorgaben lässt sich zudem kein allgemeines Gebot der Bundeseinheitlichkeit ebensolcher Vorgaben entnehmen. Länderöffnungsklauseln sind für alle normierungsbedürftigen Lebenssachverhalte des Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG zulässig. Die mit unterschiedlicher Akzentuierung im Schrifttum geforderte Kennzeichnungspflicht als „abweichend von § … WHG“ sieht sich im Lichte der Gesetzgebungspraxis erheblichen Bedenken ausgesetzt. Diese gründen einerseits in den gelegentlichen Zweifeln, ob die von den Ländern im Bundesgesetzblatt gemeldeten Vorschriften tatsächlich abweichen. Andererseits hilft eine solche Kennzeichnung dem Normanwender nur sehr begrenzt, da Abweichungen ebenso auf den zahllosen Öffnungsklauseln beruhen können. Überdies verzichtete der Reformgesetzgeber darauf, ein formelles Zitiergebot im Grundgesetz zu statuieren. Mit Blick auf die wenig konsistenzstiftende Wirkung einer Kennzeichnung und die stark divergierende Kennzeichnungspraxis ist ein Hinweis auf die jeweilige korrespondierende Vorschrift des Bundesrechts und ein eindeutiger Normtext hinreichend. 228 Beispielshalber im Falle ergänzenden, konkretisierenden oder ausfüllenden Landesrechts zu stoff- oder anlagenbezogenen Vorgaben des Bundes.
Kapitel 6
Funktionen und Grundstrukturen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme Die vorstehenden Kapitel zu ausgewählten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Landesrechtsetzung bilden den Ausgangspunkt, um nunmehr die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Wie bereits im Rahmen der Analyse der mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG verbundenen Ausübungsvoraussetzungen geschildert,1 bedarf es zunächst der Beschäftigung mit den verschiedentlich formulierten ‚besonderen‘ Auslegungsleitlinien für die Nummer 5 des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG (nachstehend sub I.). Solche spezifischen Leitlinien werden im Schrifttum aus der zugrundeliegenden Regelungsmaterie und namentlich aus der Zweckbestimmung des Wasserhaushaltsgesetzes entnommen. Daran anknüpfend wendet sich die Untersuchung den „stoffoder anlagenbezogenen Regelungen“ zu, die unter verschiedenen abstrahierenden Blickwinkeln ausgeleuchtet werden (nachstehend sub II.).2
I. Die mit dem Klammerzitat verbundenen spezifischen Zielvorstellungen und Auslegungsleitlinien Verschiedentlich wird etwas knapp vermerkt, die Interpretation des Klammerzitats in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG sei weniger komplex als im Naturschutzrecht3 und sei „vom überkommenen Stand der Abgrenzung der wasserrechtlichen Verantwortung zwischen Bund und Ländern ohne Weiteres nachzuvollziehen“.4 Dementgegen zeigt ein Blick auf das vielfältige Meinungsbild im korrespondierenden Schrifttum ein differenzierteres Bild. Das Kompetenzgefüge lässt mannigfaltige Abgrenzungsfragen erkennen. Mitunter wird erwogen, die Bereichsausnahme ergebe sich aus „der 1 Vgl.
zur Auslegung des Kompetenzgefüges in Kapitel 4 sub II. konkrete Befassung mit einzelnen Tatbeständen erfolgt in Kapitel 7. 3 Mit dieser Einlassung C. Heitsch, JöR n. F. Bd. 57 (2008), S. 333 (348). 4 J. Salzwedel/W. Durner, in: Hansmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kapitel 8 Rn. 6. In diesem Sinne auch C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (430), der indisponible Bereich „ergibt sich aus der Begrifflichkeit des Wasserhaushaltsrechts“. 2 Die
I. Die mit dem Klammerzitat verbundenen Zielvorstellungen247
Begrifflichkeit des Wasserhaushaltsgesetzes“.5 Auch wird geprüft, ob die in Rede stehende Anlage einem Anlagentyp des WHG a. F. nahekomme, der „dem Anlagenbegriff des Art. 72 II Nr. 5 GG Pate gestanden“6 hat. Diesen Vorstellungen ist eine verfassungsautonome Begriffsbildung entgegenzustellen.7 Der Anlagenbegriff ist nicht aus dem Regelwerk des Wasserhaushaltsgesetzes sowie des darauf beruhenden Verordnungsrechts abzuleiten. Dies verwehrt das Gebot des Vorrangs der Verfassung aus Art. 1 Abs. 3 GG für den Katalog der Grundrechte in Verbindung mit der allgemeinen Fassung in Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 100 GG.8 Die Zuordnung einer normierungsbedürftigen Sachmaterie zu einem konkreten einfachgesetzlichen Normprogramm durch die jeweilige Legislative ist zudem unverbindlich und lediglich von indizieller Bedeutung. Dem Grundgesetz sind in anderen Abschnitten keine ‚stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen‘ bekannt. Stoff- und anlagenbezogene wasserwirtschaftliche Vorgänge waren im Wasserhaushaltsgesetz niedergelegt und die enthaltenen tradierten Begrifflichkeiten sprechen für ein weitgehend normativ-rezeptives Vorgehen des verfassungsändernden Gesetzgebers. Demgemäß lässt sich das einfachgesetzliche Reglement zur verfassungsrechtlichen Beschreibung hinzuziehen, die im einfachen Recht oftmals ihren Anknüpfungspunkt findet.9 Die einfachgesetzliche Zuordnung stoff- oder anlagebezogener Vorgänge durch den Bundesgesetzgeber beschränkt die Zulässigkeit landesrechtlicher Normierungen jedoch dann nicht, wenn sich die Vorgaben einer genauen Subsumtion unter die grundgesetzlichen Wertungen entziehen. Stets ist zu prüfen, ob die Interpretation des einfachgesetzlichen Stoff- und Anlagenbegriffs sowie diesbezüglicher Vorgänge der Terminologie, dem Zweck und der Entstehungsgeschichte der Bereichsausnahme hinreichend Rechnung trägt. Dabei darf nicht am Wortlaut der Bereichsausnahme und an den bekannten Begriffsinhalten gehaftet werden.10 Vielmehr ist den Wertungen und 5 In diesem Duktus C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (430), der dann freilich auf die differenzierten Erläuterungen von H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 ff. verweist. 6 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 195. 7 Siehe auch P. Heuser, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 143. Zu den Einzelnen Merkmalen und Inhalten der Bereichsausnahme in sub II. 8 Eine anschauliche Betrachtung des Verfassungsvorranges vor dem einfachen Recht nimmt R. Wahl, Der Staat Bd. 20 (1981), S. 485 (488 ff.) vor. Aus der Rechtsprechung nur BVerfGE 2, 1 (75); 31, 58 (72). 9 In diesem Sinne P. M. Huber, NVwZ 2009, S. 1513 (1548) zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. 10 Mit entgegengesetzter Bewertung etwa W. F. Spieth, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2013, § 39 WHG Rn. 2: „Es ist nicht zu erkennen,
248 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Zielen der Verfassungsreform 2006 unter Beachtung der Entwicklungslinien des Wasserwirtschaftsrechts zur Wirksamkeit zu verhelfen.11 Die einfachgesetzlich vorgeprägten Begrifflichkeiten entfalten im Grundgesetz einen eigenständigen Inhalt.12 Gleichwohl bleibt einzuräumen, dass sich in den Ausdeutungsbemühungen Rückbindungen und Anknüpfungen an das subkonstitutionelle wasserwirtschaftliche Reglement finden lassen, die sich nicht immer in gänzlicher rechtsmethodischer Klarheit von der im Kern verfassungsrechtlichen Interpretation unterscheiden lassen. Die mit den ‚stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen‘ vermittelte indisponible Normsetzungsbefugnis für die Sphäre des Wasserhaushalts erstreckt sich – soviel darf vorwegnehmend vermerkt werden – nicht allein auf die ehedem im Wasserhaushaltsgesetz a. F. verwendeten Begriffsinhalte. In Rahmen der „Gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung des Bundesstaates“ wurde mit Blick auf die Bereichsausnahme konstatiert:13 „zwar werden die Begriffe ‚Anlagen‘ und ‚Produkt‘14 in den unterschiedlichen Fachgesetzen jeweils unterschiedlich definiert. Jedoch wird man einen eigenen verfassungsrechtlich definierten Anlagen- und Produkt-Begriff finden können, der als ausreichendes verfassungsrechtliches Abgrenzungskriterium für die Bundes bzw. Landeskompetenzen dienen könnte.“
Die stoff- oder anlagenbezogenen Vorgänge reichen über den Anwendungsbereich des Wasserhaushaltsgesetzes a. F. hinaus, das insoweit keine authentischen Anhaltspunkte für eine Auslegung der verfassungsrechtlichen Bereichsausnahme liefert.15
dass mit der Föderalismusreform ein neuer, erweiterter Anlagenbegriff in das WHG eingeführt werden sollte.“ Zu den Wertungen und Entwicklungen bereits in Kapitel 1 sub II. 3. und die nachstehenden Erörterungen in Kapitel 7. 11 Zu Recht auch J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 52: „soweit im Zuge der Föderalismusreform 2006 tradierte Kompetenztitel in ihrem Zuschnitt verändert worden sind, hat die jeweilige Kompetenznorm neue normative Grenzen erhalten, die zu beachten sind.“ 12 Allgemein R. Zippelius/T. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl. 2008, S. 53. 13 W. Gerhards, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0002, S. 3. 14 Der Produktbegriff entfiel später, ausführlich zum Werdegang des Klammerzitats in Kapitel 1 sub II. 3. 15 Zur Definitionskompetenz im Rahmen des Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG vgl. C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (429); gleichsinnig zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG P. M. Huber/F. Wollenschläger, NVwZ 2009, S. 1513 (1518 f.). Wobei die Gesetzesbegründung hinsichtlich der bundesrechtlichen Definitionskompetenz im Rahmen des Naturschutzes eindeutiger ist. Siehe dazu die Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11.
I. Die mit dem Klammerzitat verbundenen Zielvorstellungen249
1. Die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme als ‚Kernbereich‘ des Wasserhaushaltsrechts Folgt man dem Urteil des Reformgesetzgebers, so zeichnet das stoff- und anlagenbezogene Klammerzitat den ‚Kernbereich‘ des Wasserhaushaltsrechts nach.16 Im wasserwirtschaftlichen Schrifttum wird diesem Reservatrecht des Bundes sowohl von einigen Verfahrensbeteiligten der Länder als auch des Bundes eine nur geringe sinnstiftende Wirkung und Konsistenz zugesprochen. Nach dieser Einschätzung bedürfen weitere normierungsbedürftige Sachverhalte bundeseinheitlicher Vorgaben.17 Die entstehungsgeschichtlichen Motive für das Klammerzitat im Verein mit den wasserwirtschaftlichen Regelwerken zeichnen ein ambivalentes Bild von der Bereichsausnahme als Kernbereich des Wasserrechts. Namentlich die nunmehr bundeseinheitliche Ordnung der Abwasserbeseitigung mit deren Vorgaben zu Abwasseranlagen, zur Indirekteinleitung sowie mit den stofflich orientierten Vorgaben der Abwasserverordnung und ähnlichen Vorgängen ist bereits aus europarechtlicher Perspektive geboten. Die stoff- und anlagenbezogenen Vorgänge sind eng mit der supranationalen Zielvorstellung eines guten chemischen und ökologischen Zustands der Gewässer bzw. eines guten ökologischen Potentials bei künstlichen oder erheblich veränderten Gewässern verknüpft.18 Doch bereits die begriffliche Verengung des Klammerzusatzes durch den Begründungstext auf einen „Kernbereich“ wird überwiegend als unpassend empfunden. Ein Blick auf die von der Bereichsausnahme erfassten Materien offenbart, weshalb vielfach bezweifelt wird,19 dass die Bereichsausnahme den ‚Kernbereich‘ des Gewässerschutzes dokumentiert.20 Beispielhaft wird hierzu auf den dispo16 BT-Drucks.
16/813, S. 11. Seiten der Länder H.-H. Munk, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 2 ff. und für den Bund K. Berendes, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (132). Für grundsätzlich verfehlt erachtet die Auswahl L. Michael, JöR n. F. Bd. 59 (2011), S. 321 (327). 18 Näher zur Wasserrahmenrichtlinie Kapitel 1 sub I. 3. 19 Im Schrifttum werden die abweichungsresistenten Klammerzitate dezidiert abschlägig beurteilt C. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209 (1213): „Tatsächlich handelt es sich um abweichungsfeste Sektoren der jeweiligen Materien.“; M. Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. I, § 21 Rn. 122: „Dabei handelt es sich allerdings mehr um abweichungsfeste Bereiche als um Kerne im inhaltlichen Sinne.“; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80k: „unscharf als abweichungsfeste Kerne bezeichnet“. Nach A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 49 seien die Bereichsausnahmen „der Sache nach weniger […] unverrückbare Kerne […]“ als vielmehr „[…] abweichungsfeste Sektoren des jeweiligen Kompetenztitels […].“ 20 In Anlehnung an H.-H. Munk, in: BMU (Hg.), Quo Vadis – Wasserrecht, 2009, S. 2 f. 17 Von
250 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
niblen Hochwasserschutz mit seiner Oberlieger- und Unterliegerproblematik verwiesen.21 Wenngleich die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie Nr. 2007 / 60 (EG) aufgrund der unterschiedlichen Ursachen bzw. Hochwasserarten, wie Sturmfluten, Sturzfluten oder Flussüberschwemmungen, keine verbindlichen Ziele festsetzt, so gibt sie doch zahlreiche verbindliche Handlungsanweisungen vor.22 Deshalb drängt sich die Frage auf, weshalb diese Sachmaterie disponibel ausgestaltet wurde, obwohl sie eine die Ländergrenzen übergreifende Problematik beinhaltet. Daneben wird kritisiert, dass die Vorgaben zur Hydromorphologie sowie zur Gewässerbiologie disponibel sind.23 Nach Konrad Berendes vermochten es die Länder, sich mit ihren Vorstellungen über die Kompetenzverteilung im Bereich des Wasserhaushaltsrechts zu behaupten.24 Aus der Sicht des Bundes sei es ehedem erstrebenswert gewesen, außerdem die allgemeinen Grundsätze, den Hochwasserschutz und die Erhebung von Wassernutzungsabgaben abweichungsfest auszugestalten.25 Aus diesen Erwägungen ließe sich mit Recht resümieren, die „stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen“ des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG erfassten nur einen unvollständigen Ausschnitt der Gewässerbewirtschaftung. Hiergegen spricht, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit dem Kompetenzzuschnitt der föderal verfassten Gewässerbewirtschaftung Rechnung trägt. Er hielt weitestgehend an der Aufteilung zwischen dem Bund und den Ländern fest und bereitete zugleich den Boden für eine Kodifikation des Zulassungsregimes in einem Umweltgesetzbuch I. In den Argumentationen zeigen sich erneut die widerstreitenden Standpunkte zur kompetenziell verschränkten Gewässerbewirtschaftung. Der Gedanke des Wettbewerbsföderalismus, die Beachtung regionaler Unterschiede und divergierende politische Präferenzen treffen dabei auf eine mit europarechtlichen und fachlichen Effektivitätsgesichtspunkten abgestützte Forderung nach Vereinheitlichung der Gewässerbewirtschaftung.26 Losgelöst von einer unitaristi21 Mit der Kritik bereits H. Frh. v. Lersner, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 14, 57 f. Demgegenüber M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (265), der sich für eine Kooperation der Länder beim Hochwasserschutz ausspricht. 22 Zur Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie K. Berendes, ZfW 2005, S. 197 ff. und instruktiv zum Rechtsregime des Hochwasserschutzes A. Guckelberger, UPR 2012, 361 ff. 23 Dies betrifft beispielshalber Vorgaben zur Mindestwasserführung (§ 33 WHG) oder zur Durchgängigkeit (§ 34 WHG). 24 K. Berendes, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (132). 25 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte und zu den gegenteiligen Sichtweisen unter Kapitel 1 sub II. 3. 26 Darüber bereits in Kapitel 2 sub II. 4. b), c), Kapitel 1 sub I. 1. sowie Kapitel 3 sub II. 3.
I. Die mit dem Klammerzitat verbundenen Zielvorstellungen251
schen oder föderalistischen Präferenz lässt sich die Bereichsausnahme als zentraler Regelungszusammenhang bzw. Kern der Gewässerbewirtschaftung darstellen.27 Einerseits beschreibt das Klammerzitat die wichtigsten Vorgaben der wirtschaftsrelevanten wasserwirtschaftlichen Betätigung.28 Andererseits unterstreicht ein Blick auf das Klammerzitat die mit ihm verbundene gesetzgeberische Motivation. Werden die verschiedenen Revisionen des Wasserhaushaltsgesetzes übereinandergelegt,29 so weisen die Gesetzesänderungen trotz erkennbarer Divergenzen eine Übereinstimmung auf. Die Mehrzahl der sukzessiv in das Wasserhaushaltsgesetz aufgenommenen Bestimmungen reglementieren stoffliche und anlagenbezogene Vorgänge30 oder weisen einen europarechtlichen Hintergrund auf.31 Wenngleich sich der Zuschnitt der Bereichsausnahme mitunter wohlerwogener Kritik ausgesetzt sieht, lässt sich vermerken, dass das Klammerzitat nicht allein Versatzstücke, sondern Kernelemente der wasserwirtschaftlichen Rechtsentwicklung der zurückliegenden Jahrzehnte wiedergibt. Lediglich die Vorgaben der Europäischen Union klammerte die Bereichsausnahme weitestgehend aus. Namentlich diese Abweichungsoffenheit des europäischen Rechts wird im Lichte der weitreichenden Harmonisierungserfolge vielfach beanstandet. Sie steht jedoch mit den Transformationsanforderungen im Einklang und ist angesichts der Entscheidung für eine föderale Gesamtrechtsordnung folgerichtig.32 Andererseits sind die Vorschriften und Abschnitte des Wasserhaushaltsrechts nahezu vollständig von indisponiblen Vorgängen durchzogen. Insoweit reicht das Klammerzitat über die dafür im Schrifttum etablierte Bezeichnung des ‚Bereichs‘ bzw. ‚Sektors‘ hinaus. Beide Begriffe suggerieren dem Betrachter einen abgrenzbaren Raum, ein Arbeitsgebiet oder einen Ausschnitt usf.33 Wird die Abwasserbeseitigung einmal ausgenommenen, 27 Dieser Befund wird auch im Schrifttum oftmals anerkannt vgl. M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (493). 28 K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (182). Weiterführend zur Entstehungsgeschichte in Kapitel 1 sub II. 3. 29 Einzelheiten hierzu in Kapitel 1 sub I. 2. c) und P. Nisipeanu, NuR 2008, S. 87 (91 f.). 30 2. Änderungsgesetz: §§ 19a bis f WHG a. F.; 4. Änderungsgesetz: §§ 7a, 18a, 18b, 19g bis 19l WHG a. F.; 5. Änderungsgesetz: §§ 7a, 19g WHG a. F.; 6. Änderungsgesetz: §§ 7a, 18a, 18b, 19h WHG a. F. 31 6. Änderungsgesetz: § 7a WHG a. F.; 7. Änderungsgesetz: §§ 1, 1b, 25a bis d, 32c, 33a, 36b, 36 WHG a. F. 32 Zur europarechtlichen Zulässigkeit des Art. 72 Abs. 3 GG vorstehend Kapitel 3 sub II. 33 Vgl. auch die weiteren Synonyma Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl. 2011 sowie Duden, Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl. 2010.
252 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
lässt sich ein solcher konsistent abgrenzbarer ‚Bereich‘ innerhalb des Wasserhaushaltsgesetzes nicht darstellen.34 Obgleich es die Bezeichnung des ‚Kerns‘ nicht vermag, ein konturiertes Bild des Klammerzitats nachzuzeichnen, fasst die Bereichsausnahme doch den wesentlichen rechtlichen Grundstock der Gewässerbewirtschaftung zusammen.35 2. Die Bedeutung der fachgesetzlichen Ziel- und Zweckbestimmungen für die Interpretation der Bereichsausnahme Nach allseitiger Sichtweise orientiert sich die Interpretation des einfachgesetzlichen Stoff- oder Anlagenbegriffs zunächst am Zweck des jeweiligen Fachgesetzes.36 Die Interpretation der Bereichsausnahme nimmt ihren Ausgangspunkt und ihre Maßstabsetzung im Schutzzweck des Wasserhaushaltsrechts.37 Aus der Beschreibung, welche Anforderungen und Vorgaben der Schutzzweck im Einzelfall intendiert, werden unterschiedliche Schlussfolgerungen für die Bereichsausnahme gezogen.38 Das Wasserhaushaltsgesetz 200239 enthielt mit § 1a Abs. 3 WHG a. F. eine Grundsatzbestimmung, die gemäß § 42 Abs. 1 WHG a. F. mit Ausnahme des Absatzes 3 eine Vorschrift mit unmittelbarer Wirkung war.40 Die Vorschrift diente dem Landesgesetzgeber als Leitlinie. Die Bundesländer mussten die Zwecke, Ziele und Grundsätze des rahmenrechtlich geprägten Wasserhaushaltsgesetzes a. F. im Zuge ihrer Vollzugs- und Ausfüllungsgesetzgebung zur Geltung bringen. Damit nachteilige Auswirkungen stoffoder anlagenbezogener Vorgänge auf den Wasserhaushalt vermieden werden, 34 Näher zu den einzelnen Tatbeständen nachstehend in Kapitel 7 und die Zusammenschreibung in vorstehendem Kapitel 2 sub II. 3. 35 Diesem Befund steht eine abweichende Beurteilung im Schrifttum gegenüber M. Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. I, § 21 Rn. 122; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80k; A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 49. 36 H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (346); M. Ruttloff, UPR 2007, S. 333 ff., daran anknüpfend K. Lauer, NuR 2010, S. 692 (694). 37 M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. für Scholz, 2007, S. 651 (664). Demgegenüber weitergehend B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758), der überdies den Schutz der Anlagen vor Wasser erfasst sieht. 38 Dieses Themenfeld skizziert nachstehend sub II. b). 39 Näher und mit weiteren Nachw. K. Schober, Der Zweck im Verwaltungsrecht, 2007, S. 74 f., 115 f., 123 f. 40 Siehe die diesbezügliche Darstellung bei J. Nusser, Zweckbestimmungen in Umweltschutzgesetzen, 2007, S. 162; M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 25. Erg.-Lfg. September 2002, § 1a WHG (a. F.) Rn. 3.
I. Die mit dem Klammerzitat verbundenen Zielvorstellungen253
sind die stoff- und anlagenbezogenen Vorgaben des Wasserhaushaltsgesetzes weit auszulegen.41 Die Ausrichtung der Zwecksetzung des Fachgesetzes lässt sich nicht zweifelsfrei als anthropozentrisch oder ökomorphologisch einordnen.42 Ohne Einzelheiten aufgreifen zu können, darf für den Untersuchungsgang eine zunehmende Betonung des ökomorphologischen Gewässerschutzes konstatiert werden. Diese Erkenntnis galt für § 1a WHG a. F.43 und wird in § 1 WHG 2010 umso eindeutiger erkennbar.44 Es mag an dieser Stelle offenbleiben, ob das Wasserhaushaltsgesetz mit § 1 WHG weiterhin an seiner ursprünglich vordergründig anthropozentrischen Ausrichtung festhält45 oder ob die verschiedenen Schutzziele ohne eine Rangvorgabe nebeneinanderstehen.46 Die Ausrichtung der Zwecksetzung des Wasserhaushaltsgesetzes ist vielgestaltig und nimmt verschiedene Aspekte auf, die nicht ohne Rückwirkung auf die Ausdeutung der nachfolgend normierten stoff- oder anlagenbezogenen Vorgänge bleiben. Indessen sieht sich eine Auslegung Zweifeln ausgesetzt, die sich der Zwecksetzung des Fachgesetzes zur kompetenzabgrenzenden Interpretation der Bereichsausnahme bedient. Die Länder und der Bund können den Zweck- und Zielbestimmungen eine anderweitige Akzentuierung oder gar Gestalt geben.47 Eine sich auf einer abweichenden Zwecksetzung gründende 41 Statt vieler H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (346 ff.). Siehe auch M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (493 ff.), der den Stoff- oder Anlagenbezug jedoch in Gänze überzeichnet und den Ländern realiter keine Rechtsgestaltungsmacht zu billigt. 42 Siehe K. Schober, Der Zweck im Verwaltungsrecht, 2007, S. 140 f. mit umfassender Erörterung. Zur Kritik an einer anthropozentrischen und ökozentrischen Einordnung und näher M. Kloepfer, Anthropozentrik versus Ökozentrik als Verfassungsproblem, 1995, S. 1, 2 und passim. 43 Die Bestimmung des § 1a WHG a. F. wurde um zahlreiche Formulierungen ergänzt. So wurde im Zuge des 6. Änderungsgesetzes vom 11. November 1996 „jede Beeinträchtigung“ durch „vermeidbare Beeinträchtigung ihrer ökologischen Funktionen“ ersetzt. Die Entwicklungslinien stellt vorstehendes Kapitel 1 sub I. 2. c) dar. Siehe insoweit wiederum K. Schober, Der Zweck im Verwaltungsrecht, 2007, S. 142 in Anm. 331. 44 Näher K. Berendes in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 1 WHG Rn. 4 ff. 45 M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, § 1 WHG Rn. 3: keine „Abkehr von einem prinzipiell anthropozentrischen Ansatz.“ 46 In diesem Sinne der wohl herrschende Standpunkt K. Berendes in: ders./ Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 1 WHG Rn. 4 ff.; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 1 WHG Rn. 8. Wohl auch J. Salzwedel/W. Durner, in: Hansmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kap. 8 Rn. 35. 47 Die verfassungsrechtliche Bewertung einzelner Bestimmungen nimmt Kapitel 7 vor, zur Zwecksetzung dort sub I. 1. a).
254 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Ausdeutung der im Gesetz nachstehend beschriebenen stoff- oder anlagenbezogenen Vorgaben ließe sich etwaig anderweitig akzentuieren. Namentlich die Zweckbestimmung des § 1 WHG wird im Schrifttum zu Recht als nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG disponibel erachtet.48 Demgemäß ist eine Änderung der Zwecksetzung nicht ausgeschlossen. Erhielte § 1 WHG beispielshalber eine ökozentrischere Ausrichtung, ließe sich eine engere Auslegung des Stoff- oder Anlagenbegriffs erwägen. Ebensolches gilt hinsichtlich einer ökonomischeren Akzentuierung, wenn etwa der Wasserkraft ein weitergehender Belang eingeräumt würde. Inwieweit eine solche anderweitige Ausgestaltung in der wasserwirtschaftlichen Praxis aus nationalen, europäischen oder anderen fachlichen Aspekten zulässig wäre, bedarf für den Untersuchungsgegenstand nicht der näheren Befassung. Resümierend bleibt mit Blick auf die weitgehend normativ-rezeptive Vorgehensweise des verfassungsändernden Gesetzgebers zu vermerken, dass die einfachgesetzlich determinierte Begriffsinterpretation durch die Zwecksetzung des Fachrechts geleitet wird. Die vorstehende Differenzierung weist überdies auf das interpretatorische Wechselspiel zwischen dem einfachen Gesetzes- und dem Verfassungsrecht hin, indem künftig eine Änderung des einfachgesetzlichen Verständnisses der abweichungsfesten Materien eintreten kann. 3. Die beiden Elemente des Klammerzitats Bisweilen wurde im Schrifttum darüber nachgedacht, ob die zwei Elemente des Klammerzitats, nämlich der Stoff- und der Anlagenbezug, ein voneinander zu trennendes ‚aliud‘ seien.49 Dies ist insofern erwähnenswert, als sich einige Regelungskomplexe auf verschiedene Kompetenztitel gründen lassen.50 Einen Anhaltspunkt für diesen Standpunkt bietet die Konjunktion ‚oder‘.51 Indessen wird demgegenüber vielfach zu Recht auf die Emissionsgrenzwerte hingewiesen.52 Die Grenzwerte für Abwassereinleitungen aus Industrieanlagen erscheinen sowohl als stoff- ‚und‘ als anla48 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 1 WHG Rn. 7; ders., in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 1 WHG Rn. 15; G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 41. Erg.Lfg. Mai 2011, § 1 WHG Rn. 33. 49 So etwa E. Bohne, EurUP 2009, S. 276 (282). 50 Zu den Kompetenzüberschneidungen des Wasserhaushaltsgesetzes bereits Kapitel 4 sub III. 51 Diesen Umstand hebt E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282) hervor. 52 Siehe etwa H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (348) und sinngemäß wohl auch K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (191) und C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (41 f.).
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats255
genbezogene Vorgaben. Zugleich normiert das Wasserhaushaltsgesetz anlagenunabhängige Gewässergütewerte, die stoffbezogene Regelungen enthalten und keinen Anlagenbezug aufweisen. Wie sich im Fachgesetz keine Trennung der beiden Komponenten des Klammerzitats durchführen lässt, bilden gleichermaßen auch die grundgesetzlichen Elemente der Bereichsausnahme kein voneinander zu scheidendes ‚aliud‘.53
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats Das Wasserhaushaltsgesetz dokumentiert keine Bestimmungen ausdrücklich als indisponibel. Gleichwohl signalisiert das Gesetz die Befugnis zu weiteren Regelungen, indem es Öffnungsklauseln vorsieht oder in den Begründungserwägungen teilweise zu erkennen gibt, dass das Wasserhaushaltsgesetz keine abschließende Regelung trifft. Obgleich dieses Vorgehen verschiedentlich kritisiert wird, ist die Zurückhaltung des Gesetzgebers folgerichtig. Der einfache Bundesgesetzgeber ist weder zur konstitutiven Beschreibung der stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen noch zu ihrer authentischen Interpretation berufen.54 Die im Gesetzgebungsverfahren des Wasserhaushaltsgesetzes durch den Bundesrat eingebrachten 116 Änderungsvorschläge zielten zumeist darauf ab, den Ländern unmittelbar im Gesetz oder zumindest in der Begründung eine Regelungs- bzw. Abweichungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 1 GG einzuräumen. Dies veranlasste den Bundesgesetzgeber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, den mitunter mehrdeutigen Gesetzes- und Begründungstext hinsichtlich der Befugnis einer ergänzenden, ausfüllenden oder konkretisierenden sowie abweichenden Landesregelung zu präzisieren.55 In einer ersten Stellungnahme des Sachverständigenrats für Umweltfragen zu Art. 72 Abs. 3 GG wurde die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme anhand der Begrifflichkeiten des Wasserhaushaltsgesetzes nachgezeichnet und das indisponible Reglement im engsten Wortsinn ausgedeutet.56 Danach hätte es der Bundesgesetzgeber lediglich vermocht, das 53 Eine
ähnliche Fragestellung wirft der Stoffbezug auf dazu sub II. 2. DÖV 2010, S. 422 (429). 55 Siehe dazu auch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, Einl. Rn. 23 und die nähere Darstellung in Kapitel 2 sub I. 1. 56 Vgl. die diesbezügliche Stellungnahme durch den Sachverständigenrat für Umweltfragen, Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, Stellungnahme Nummer 10, Februar 2006, S. 13 f. Ebenfalls eine restriktive technische Interpretation des Anlagenbegriffs nimmt weiterhin W. F. Spieth, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2013, § 39 WHG Rn. 2 vor. 54 C. Degenhart,
256 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Normprogramm der Zulassung, der Errichtung und des Betriebes von Abwasseranlagen, Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährlicher Stoffe und Anlagen zum Umgang mit wassergefährlichen Stoffen sowie das Ableiten von Abwässern einheitlich und abweichungsfest zu gestalten. Dieser Interpretation des Klammerzitats trat Michael Kloepfer bereits im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz zu Recht entgegen.57 Die disponiblen Sachbereiche werden nachstehend unter Zuhilfenahme der Gesetzgebungsmaterialien und anhand des Wasserhaushaltsrechts näher konkretisiert. Dabei wendet sich die Untersuchung zunächst dem Anlagebezug (nachstehend sub 1.) und alsdann dem Stoffbezug zu (nachstehend sub 2.). 1. Die anlagenbezogene Bereichsausnahme Die Konturierung des Anlagenbegriffs setzt zunächst eine Begriffsanalyse voraus (nachstehend sub a)). Bei dieser besteht aufgrund der weitgehend normativ-rezeptiven Vorgehensweise58 des verfassungsändernden Gesetzgebers stets die Besorgnis, den konstitutionellen Terminus der ‚Anlage‘ dem einfachen Gesetzesrecht zu entnehmen. Ein vielfältiges Meinungsbild entstand zu der Frage, inwieweit von den Anlagen Einwirkungen auf den Wasserhaushalt auszugehen haben und wie die Anlagen beschaffen sein müssen, damit der anlagenbezogene Vorgang der Bereichsausnahme unterliegt (nachstehend sub b)). Daneben verlangt das Kriterium des ‚Bezugs‘ der Regelungen auf einen Stoff oder eine Anlage eine nähere Betrachtung. Zu prüfen ist, ob und inwieweit der ‚Bezug‘ auf das Klammerzitat begrenzend wirkt (nachstehend sub c)). a) Begriffsbildung und -inhalt Die Begriffsbestimmungen in den Fachgesetzen dienen dazu, den jeweiligen Formulierungen einen eindeutig definierten Inhalt zuzuordnen. Dass Anlagen nicht vorgefunden werden, sondern künstlich angelegt sind oder entsprechend genutzt werden,59 spiegelt das grundlegende gemeinsame Ver57 Dazu M. Kloepfer, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 50: „Es geht nicht nur um die §§ 19 a ff. Wasserhaushaltsgesetz, also um Regelungen zu wasserspezifischen Anlagen, sondern sicherlich um alle Regelungen, die einen Bezug auf wasserrechtliche Anlagengenehmigungen […], die den Wasserhaushalt als Maßstab haben.“ Dessen Ausführungen schloss sich alsdann der Rechtsausschuss an, vgl. BT-Drucks. 16/2069, S. 13. 58 Darüber bereits in Kapitel 4 sub II. 3. b). 59 Bereits 1968 E. Weichhaus, Der Begriff der Anlage in § 22 Abs. 2 WHG im Vergleich zur sonstigen Verwendung des Begriffes „Anlage“, S. 28 ff. Zum verfas-
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats257
ständnis einer Anlage in den verschiedenen Fachgesetzen des Umweltrechts wider. Anlagen werden zudem sowohl stationär als auch nicht stationär betrieben.60 aa) Ausdifferenzierungen des einfachgesetzlichen Anlagenbegriffs Die Fachbereiche des Umweltrechts verwenden den Terminus der ‚Anlage‘ ohne ein deckungsgleiches Begriffsverständnis.61 In das Wasserrecht zogen spezifische anlagenbezogene Regelungen, abgesehen von Stauanlagen und Dammbauten, erst in der jüngeren Rechtsentwicklung ein.62 Dieser Umstand resultiert aus der sich ändernden Ausrichtung des Rechts gebiets. Tradiert stellt die öffentlich verantwortete Bewirtschaftung der Gewässer deren Nutzbarkeit in den Mittelpunkt. Mit dieser Richtschnur regelte der Gesetzgeber die Errichtung und den Betrieb von wasser wirtschaftlichen Anlagen. Das Wasserhaushaltsgesetz kannte bis zur Verfassungsreform 2006 Anlagen zur Aufstauung, Absenkung und Umleitung von Grundwasser (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 WHG a. F.), Wasserbenutzungsanlagen (§ 7 Abs. 2 WHG a. F.), Abwasseranlagen (§§ 18b, 18c WHG a. F.), Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (§ 19g WHG a. F.), Hafenanlagen (§ 25b Abs. 2 Nr. 1 lit. b WHG a. F.), Ölheizungsanlagen (§ 31b Abs. 2 Satz 7 Nr. 1 WHG a. F.), bauliche Anlagen (§ 31b Abs. 4 Satz 3 WHG a. F.). Mit der Neuordnung kamen Stauanlagen (§ 34 WHG), Anlagen in, an, über und unter oberirdischen Gewässern (§ 36 WHG), Wassergewinnungsanlagen (§ 50 Abs. 4 WHG), Messanlagen (§ 91 Satz 1 WHG) und Grundstücksbewässerungsanlagen (§ 94 Abs. 3 WHG) hinzu. Die ehedem noch enthaltenen Rohrleitungsanlagen (§ 19a WHG a. F.)63 wurden ausgegliedert und unterliegen allein dem Gesetz über die Umweltverträgsungsrechtlichen Anlagenbegriff J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (31); M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 60 B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758); M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 61 Statt anderer H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (346) und T. Gößl, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp (Hg.), WHG/AbwAG, 34. Erg.-Lfg. 2007, § 19g WHG 2002 Rn. 63 ff., 70. Diese interpretatorische Unsicherheit war dem verfassungsändernden Gesetzgeber bewusst, dazu bereits Kapitel 1 sub II. 3. a) und vorstehend sub I. Zur Diskussion statt anderer B. Becker, Das neue Umweltrecht, 2010, Rn. 55 und allgemein P. Salje, in: Schulte/Schröder (Hg.), Hdb. d. TechnikR, 2. Aufl. 2011, S. 281 (282). 62 Nachstehend in Anlehnung an die Ausführungen von M. Reinhardt, NuR 2011, S. 833 (834 ff.) zum einfachgesetzlichen Anlagenbegriff des Wasserrechts. 63 Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes diese Vorgaben im Wasserhaushaltsgesetzes niederzulegen war stark umstritten, dazu in Kapitel 1 sub I. 2. c).
258 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
lichkeitsprüfung (UVPG)64. Daneben sind Deich- und Dammbauten (§ 31 Abs. 2 Satz 1 WHG a. F.) als Anlage zu interpretieren. Dem Begriff der ‚Anlage‘ wird im Wasserhaushaltsgesetz eine mannigfache Funktion beigemessen,65 ohne einen einheitlichen Anlagenbegriff erkennen zu lassen.66 Die Interpretation richtet sich neben dem allgemeinen Sprachgebrauch zunächst nach dem Gesetzeszweck.67 Demgemäß wird der Begriff nach dem technischen Gepräge sowie der räumlichen Gestalt der Anlage und in den unterschiedlichen Regelungskomplexen unterschiedlich ausgelegt.68 Im Normprogramm zu den wassergefährdenden Stoffen ist die Festlegung, was eine wasserrechtliche Anlage ist und wie sie sich gegenüber benachbarten Anlagen abgrenzt, beispielsweise ausschlaggebend für die Festlegung des Volumens bzw. der Masse an wassergefährdenden Stoffen in dieser Anlage.69 Nach § 2 Abs. 1 der Muster-Anlagenverordnung der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) über Anlagen für wassergefährdende Stoffe und Fachbetriebe (VAwS) vom 8. / 9. November 1990 sind Anlagen „selbständige und ortsfeste oder ortsfest benutzte Funktionseinheiten. Betriebliche verbundene unselbständige Funktionseinheiten bilden eine Anlage“.
Nach § 2 Abs. 9 AwSV70 der 2014 erlassenen Verordnung des Bundes über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen sind Anlagen „1. selbständige und ortsfeste oder ortsfest benutzte Einheiten, in denen wassergefährdende Stoffe gelagert, abgefüllt, umgeschlagen, hergestellt, behandelt oder im Bereich der gewerblichen Wirtschaft oder im Bereich öffentlicher Einrichtungen verwendet werden, sowie 2. Rohrleitungsanlagen nach § 62 Absatz 1 Satz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes. Als ortsfest oder ortsfest benutzt gelten Einheiten, wenn sie länger als ein halbes Jahr an einem Ort zu einem bestimmten betrieblichen Zweck betrieben werden; Anlagen können aus mehreren Anlagenteilen bestehen.“ 64 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I, S. 94), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 17. August 2012 (BGBl. I, S. 1726) geändert worden ist. 65 Ausführlich zum Anlagenbegriff des Wasserhaushaltsgesetzes C. Poncelet, Der wasserrechtliche Anlagenbegriff, 1995, S. 17 ff. 66 H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (346); M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (177 f.). 67 Bereits E. Weichhaus, Der Begriff der Anlage in § 22 WHG im Vergleich zur sonstigen Verwendung des Begriffes „Anlage“, 1968, S. 98 ff. 68 F. Baum, Umweltschutz in der Praxis, 1995, S. 334; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 62 WHG Rn. 18. 69 Aus technischer Sicht D. Rottgardt/H.-P. Lühr, Überlegungen zum wasserrechtlichen Anlagenbegriff hinsichtlich des Anlagenvolumens und der Bestimmung der Gefährdungsstufen gemäß § 6 Muster-VAwS, Berlin 1. März 1999, S. 3. 70 Die Verordnung wurde in früheren Entwürfen auch als VAUwS oder VUmwS abgekürzt.
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats259
Daneben werden durch die AwSV unter anderem Jauche-, Gülle- und Silagesickersaftanlagen (JGS-Anlagen) (Nr. 11), Anlagen zur Gewinnung von Biogas (Nr. 12), Rückhalteeinrichtungen (Nr. 14), Abfüllflächen (Nr. 15) oder auch Rohrleitungen (Nr. 16) benannt, die ebenfalls unter den konstitutionellen Anlagenbegriff zu subsumieren sind. In der Debatte um die Reichweite des grundgesetzlichen Anlagenbegriffs wird mitunter auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz Bezug genommen.71 Das Immissionsschutzrecht weist traditionell einen umfassenden Anlagenbegriff auf, der die Zulassungsbedürftigkeit an dem jeweiligen Gefährdungspotential einer Anlage ausrichtet.72 Für die Erfassung der indisponiblen Bereichs ausnahme ist der historische Hintergrund des Immissionsschutzrechts durchaus aufschlussreich. Die Geschichte des Immissionsschutzrechts nimmt ihre Anfänge in der Preußischen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845.73 Danach war die Errichtung gewerblicher Anlagen genehmigungsbedürftig und etwa Dampfkessel waren einer regelmäßigen Prüfung unterworfen.74 Einige Standpunkte halten ersichtlich an dieser technisch orientierten Prägung des Anlagenrechts fest.75 In einer solchen Anlage werden entsprechende technische Tätigkeiten ausgeführt und ihre Teile vom Bundes-Immissionsschutzgesetz erfasst.76 Anlagen im Sinne des § 3 Abs. 5 BImSchG sind Betriebsstätten und sonstige ortfeste Einrichtungen, Maschinen und Geräte und sonstige ortsfeste Einrichtungen sowie Fahrzeuge und Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder abgelagert sowie Arbeiten durchgeführt werden. Der Betriebsbegriff nach § 3 Abs. 5a BImSchG umfasst eine räumliche, betriebstechnische und personale Komponente und erfasst die organisatorische Zusammenfassung verschiedener Anlagen sowie die damit in Verbindung stehenden Stoffe.77 Bereits das rahmenrechtlich geprägte Wasserhaushaltsgesetz verzichtete auf eine Einengung des Anlagenbegriffs, wie sie § 3 Abs. 5 BImSchG vornimmt. Der weite Anlagenbegriff des Wasserhaushaltsgesetzes78 wurde 71 Statt anderer E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282); H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (346); M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 72 Siehe dazu die Ausführungen von M. J. Henkel, Der Anlagenbegriff des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, 1989, S. 26 ff. 73 Zum Ganzen M. Vec, in: Schulte/Schröder (Hg.), Hdb. d. TechnikR, 2. Aufl. 2011, S. 3 (24 ff., 34 f.). 74 Näher C. Staats, Die Entstehung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 15. März 1974, S. 12 ff. 75 Dazu sogleich sub b) und c). 76 Vgl. zu Einzelheiten M. Schulte, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. April 2012, § 3 BImSchG Rn. 71 ff. 77 M. Schulte, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. April 2012, § 3 BImSchG Rn. 85 ff. 78 P. Salje, in: Schulte/Schröder (Hg.), Hdb. d. TechnikR, 2. Aufl. 2011, S. 281 (283 f.).
260 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
durch die Rechtsprechung näher ausgestaltet.79 Neben baulichen Anlagen, technischen Einrichtungen usf. wird jedwede mobile und immobile Einrichtung erfasst.80 Demnach lassen sich die gegenstandsgleich beanspruchten Grundstücke, Wasserfahrzeuge,81 Tankfahrzeuge82 usf. unter die immis sionsschutzrechtlichen Anlagen subsumieren.83 Die Rechtsprechung beschränkte den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Anlagen ‚von gewisser Dauer‘.84 Nach der Abhandlung von Claudia Poncelet weisen Anlagen folgende Gemeinsamkeiten auf:85 Sie seien als Sache oder Sachgesamtheit vom tatsächlichen Verhalten zu unterscheiden und bedürften einer gewissen Selbständigkeit von menschlichem Handeln. Unmaßgeblich sei, ob sie mobil, immobil, künstlich oder natürlich86 beschaffen seien. Zudem soll die nähere Ausgestaltung der Anlage (Abmaß, technische Beschaffenheit, Zweck, Betriebsdauer usf.) grundsätzlich unerheblich sein. Werden die verschiedenen Auslegungen zusammengeführt, so erfasst der Anlagenbegriff alle geschaffenen ortsfesten oder ortsbeweglichen Vorkehrungen, Vorrichtungen oder künstlich geschaffene Zustände von einiger Dauer, die etwaig auf die Gewässereigenschaft, den Zustand des Gewässers, die Wasserbeschaffenheit oder den Wasserabfluss einwirken können.87 Zentral für den europäischen Anlagebegriff ist die Richtlinie Nr. 2008 / 1 vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung.88 Die Richtlinie enthält einen anlagenbezogenen Anwendungsbereich und beschreibt die ‚Anlage‘ in Art. 2 Nr. 3 IVU-RL 2008 als: 79 BGH,
Urteil vom 29. April 1966, Az.: V ZR 147/63 noch zu § 22 PrWassG. E. Weichhaus, Der Begriff der Anlage in § 22 Abs. 2 WHG im Vergleich zur sonstigen Verwendung des Begriffes „Anlage“, 1968, S. 28 ff. 81 BGH, Urteil vom 14. Juli 1969, Az.: III ZR 216/66 (zitiert nach Juris). 82 BGH, Urteil vom 23. Dezember 1966, Az.: V ZR 144/63 (zitiert nach Juris). 83 Näher M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 62 WHG Rn. 14 ff. 84 Vgl. hierzu die Nachweise bei M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 62 WHG Rn. 16. 85 Siehe dazu das Resümee von C. Poncelet, Der wasserrechtliche Anlagenbegriff, 1995, S. 105 f. 86 Dazu verweist C. Poncelet, ebenda auf die Möglichkeit, Stoffe in unterirdischen Gesteinskavernen u. ä. zu lagern. 87 In Anlehnung an M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 36 WHG Rn. 4 und § 62 WHG Rn. 16; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 36 WHG Rn. 9; F. Niesen, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 36 WHG Rn. 5; K. Berendes/ A. Janssen-Overath, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 62 WHG Rn. 10. Dazu auch OVG Schleswig, Urteil vom 23. Juni 2011, Az.: 4 LB 2/10 (zitiert nach juris). 88 Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. EU, Nr. L 024 vom 29. Januar 2008, S. 8 ff. 80 Bereits
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats261 „eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit den an diesem Standort durchgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können.“
Es ließen sich sowohl weitere supranationale und nationale als auch wasserrechtliche Facetten des Anlagenbegriffs darstellen. Indessen führt dies insoweit nicht zu einer weiteren Konturierung, als das Grundgesetz einen vom bisherigen einfachgesetzlichen Anlagenbegriff losgelösten Begriff statuiert. Dessen unbenommen darf bereits vermerkt werden, dass sich im wasserrechtlichen Schrifttum und der Rechtsprechung ganz überwiegend ein denkbar weites Begriffsverständnis etabliert hat. bb) Grundzüge eines verfassungsrechtlichen Anlagenbegriffs Bis zum 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 28. August 2006 verbanden sich mit dem Anlagenbegriff des Wasserrechts zumeist technische Anlagen wie solche zur Abwasserbeseitigung, zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen oder Rohrleitungsanlagen. Demgemäß vermerkte bereits die zuständige Projektgruppe 4 der Bundesstaatskommission, das Begriffspaar der ‚anlagenbezogenen Regelung‘ sei eine neue verfassungsrechtliche Begrifflichkeit.89 Für eine restriktive Neuinterpretation bestehen somit keine tragfähigen Anhaltspunkte. Vielmehr reicht der Anlagenbegriff über die ehedem bekannten Anlagentypen hinaus. Dies gilt namentlich, soweit der Begriff für eine grundgesetzliche Flankierung der integrierten Vorhabengenehmigung in einem Umweltgesetzbuch notwendig gewesen wäre.90 Die indisponible Normierung anlagenbezogener Vorgänge sichert nicht allein eine integrierte Vorhabengenehmigung, sondern trägt dem allgemein von Anlagen ausgehenden besonderem Gefährdungspotential Rechnung. Im Schrifttum entfaltet sich deshalb zu Recht ein weites Begriffsverständnis.91 Näher besehen offenbart die Interpretation des Anlagenbegriffs 89 Vgl. W. Gerhards, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0002, S. 3. 90 Vgl. K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (189). Mehrdeutig E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282), der neben den Bemühungen um ein Umweltgesetzbuch die europäische Zielsetzung der Verfassungsreform 2006 für die Begriffsausdeutung als belangvoll erachtet. 91 Von einem weiten Verständnis des Anlagenbegriffs getragen sind die Standpunkte von K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (189); K. Berendes, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (132 f.); E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282); J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (31 f.); M. Kloepfer, in:
262 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
zahlreiche Unsicherheiten.92 Überwiegend werden unter den grundgesetzlichen Anlagenbegriff auch nichttechnische Anlagen gefasst.93 Unter Zugrundelegung des wasserwirtschaftsrechtlichen Anlagenbegriffs sind zunächst Vorschriften über: – das anlagenbezogene Zulassungsregime (§§ 8 ff. WHG), – die normative Ordnung betreffend die Abwasseranlagen (§§ 58 bis 60 WHG) sowie und über den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und damit im Zusammenhang stehender Anlagen (§§ 62 und 63 WHG), – Wassergewinnungsanlagen (§ 50 Abs. 4 WHG), – Hafenanlage (§ 28 Nr. 1 lit b) WHG), – Stauanlagen (§ 34 WHG) und – Grundstücksbewässerungsanlagen (§ 94 Abs. 3 WHG) überwiegend indisponibel.94 Damit verfügt der Bund jedoch über keine Generalklausel, das gesamte Anlagenrecht abweichungsfest auszugestalten. Vielmehr bedarf es stets eines Bezugs zur Ordnung des Wasserhaushalts.95 Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664); H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 181; ähnlich, wenn auch weniger eindeutig M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488 f.) und H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (67 f.). Dazu ferner C. Graf, Zuständigkeiten und Befugnisse der Länder im Bereich der Gesetzgebung nach der Föderalismusreform, 2007, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 14/523, S. 35. Eine äußerst extensive Interpretation der Bereichsausnahme etabliert M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, passim; M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494); der sich B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (757 f.) und C. Schulze Harling, Das materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 114 f. anschließen. Dementgegen läuft die vereinzelt gebliebene sehr restriktive Sichtweise von G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 35. Erg.-Lfg. Juni 2008, Vorb. WHG Rn. 3g; ders., Das neue Wasserhaushaltsrecht, 2010 Rn. 100; ähnlich W. F. Spieth, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2013, § 39 WHG Rn. 2. 92 Siehe nachstehend sub b) und in Kapitel 7. 93 Paradigmatisch H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (346); H. SchulzeFielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (66 f.). Abweichend hingegen G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/ AbwAG, 35. Erg.-Lfg. Juni 2008, Vorb. WHG Rn. 3g; ders., Das neue Wasserhaushaltsrecht, 2010, Rn. 100; ähnlich W. F. Spieth, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2013, § 39 WHG Rn. 2. Mitunter erfolgt im Schrifttum eine Einengung auf „technische Anlagen“. Soweit ersichtlich, erfolgt dabei indessen keine nähere Auseinandersetzung mit dieser Restriktion, vgl. etwa E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282) und W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (716). 94 Zu den einzelnen Tatbeständen näher in Kapitel 7. 95 M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, Einf. Rn. 42; M. Reinhardt, Czychow ski/ders., Einl. Rn. 39; M. Ruttloff, UPR 2007, S. 333 (333).
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats263
Der Anlagenbegriff umfasst ortsfeste und bewegliche Einrichtungen, wie Wasserfahrzeuge oder Tankfahrzeuge, von denen Einwirkungen auf den Wasserhaushalt ausgehen können.96 Mit Rücksicht auf die Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers ist eine Einschränkung vorzunehmen. Neben den bekannten technisch geprägten Anlagen gilt auch „der gewachsene Boden, ein Erdloch oder eine unterirdische Gesteinskaverne“ als wasserwirtschaftliche Anlage, sofern der Bereich als Lagerraum wassergefährdender Stoffe dient.97 Dieser Gesichtspunkt erfordert eine Vertiefung. Einerseits flankiert die Bereichsausnahme eine integrierte Vorhabengenehmigung und soll ein bundeseinheitliches Anlagenrecht gewährleisten. Andererseits darf die Interpretation des Anlagenbegriffs nicht dazu führen, jedwede Vorschrift als indisponibel zu erachten. Ebendies ist zu besorgen, wenn als Lager genutzte natürliche Umgebungen bzw. Hohlräume als Anlage im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG interpretiert werden würden.98 Insofern ist tatbestandlich zumindest eine gewillkürte Veränderung des Terrains vorauszusetzen, die etwaig einer wasserwirtschaftlichen Zulassung oder Anlagengenehmigung bedarf. Ausgeklammert bleibt bei dieser Bewertung, dass ein solches Vorhaben bereits aus stofflicher Sicht eine Zulassung erfordert und die damit verbundenen Regelungen insoweit von Verfassungs wegen abweichungsfest sind. Für eine Funktionsbeschreibung des Anlagenbegriffs ist eine solche Differenzierung indessen angezeigt, um den denkbar weit zu interpretierenden Begriff einzugrenzen. Interpretatorische Unsicherheiten treten bei den in § 36 WHG aufgezählten Anlagen und Regelungen mit allgemeinem bzw. abschnittsübergreifendem Charakter auf. Diese spiegeln sich namentlich innerhalb der divergierenden Standpunkte zu den „Anlagen in, an, über und unter oberirdischen Gewässern“ nach § 36 WHG wieder.99 Bezweifelt wird die Abweichungsfestigkeit der nur exemplarisch aufgezählten baulichen Anlagen sowie von Verkehrswegen wie Brücken, Stege, Unterführungen, Hafenanlagen und Anlegestellen als auch der Gebäude, Leitungsanlagen und Fähren. Diese erste Betrachtung der anlagenbezogenen Bereichsausnahme ist nachfolgend zu vertiefen. Der grundgesetzliche Anlagenbegriff umfasst damit im Rahmen der Ordnung des Wasserhaushalts zunächst alles, was künstlich angelegt und nicht Schutzgut des Wasserhaushaltsrechts ist.100 96 So auch die einfachgesetzliche Ausprägung in § 36 Satz 2 Nr. 3 WHG und insoweit zutreffend M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, Einf. Rn. 42. 97 C. Poncelet, Der wasserrechtliche Anlagenbegriff, 1995, S. 86. Vgl. zudem M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 62 WHG Rn. 17. 98 Zur ähnlichen Problematik künstlicher oder erheblich veränderter Gewässer in Kapitel 7 sub I. 4. 99 Hierzu nachfolgend unter sub b). 100 Verfehlt erscheint es indessen, wenn M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 179 schlussfolgert, „Wesentliches Begriffsmerkmal der Anlage i. S. v. Art. 72
264 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
b) Die Prämisse der ‚Einwirkung‘ auf den Wasserhaushalt Eine Unschärfe ist in der Beschreibung des Klammerzitats dort auszumachen, wo sich auf den ersten Blick nicht zweifelsfrei feststellen lässt, ob und inwieweit die normierten stoff- oder anlagenbezogenen Vorgänge auf die Gewässereigenschaft bzw. den Wasserhaushalt ‚einwirken‘. aa) Meinungsstand Im Schrifttum kristallisieren sich zu dieser Frage drei Positionen heraus. Nach dem Standpunkt von Günther-Michael Knopp ist die anlagenbezogene Indisponibilität nicht dahin gehend zu interpretieren, „dass alle wasserwirtschaftlich bedeutsamen Anlagen, wie z. B. Anlagen in oder an Gewässern, Stau- und Hochwasserschutzanlagen oder Talsperren darunter fallen.“101 Es sei zu berücksichtigen, dass die Gewässerbewirtschaftung in Flussgebietseinheiten mittels einer abgestimmten Gesetzgebung der Länder erfolge.102 In eine ähnliche Richtung weist die Überlegung von Johannes Dietlein.103 Danach seien Anlagen im Umfeld von Gewässern (beispielsweise Brücken oder Stege) keine integralen Bestandteile der Gewässer. Möglicherweise würden demnach teleologische Erwägungen zu einer restriktiven Interpretation des Anlagenbegriffes anhalten. Brücken, Stege und Mauern würden in diesem Sinne regelmäßig keine anlagenbezogene Regelung erfordern, über die stoffliche Gefährdungen gesteuert werden. Einer ähnlichen Argumentation bedienen sich Christian Calliess und Dana Burchardt.104 Diese insistieren auf „die Anknüpfung an eine mögliche Gefahr nachteiliger Gewässereinwirkungen, die von der Einrichtung ausgeht.“ Nach deren Lesart sei „eine stoffliche Einwirkung negativer oder positiver Art“ bei einigen Maßnahmen ausgeschlossen. Selbiges soll etwa bei kleinräumigen Verrohrungen, der Verlegung von Straßengräben, der Umsetzung von Kiesbänken oder „für die Aspekte der eingeschränkten Gewässerdurchgängigkeit bzw. Gewässerausdehnungsmöglichkeit, wie sie […] durch Brücken oder Mauern bewirkt werden kann“, gelten. Dieses Verständnis der anlagenbezogenen Bereichsausnahme orientiert sich erkennbar an III 1 Nr. 5 GG ist die Gefahr, die von ihr für die Gewässer ausgeht.“ Eine solche Einschränkung sieht der Verfasungstext nicht vor. Eine solche Beschreibung anhand der bestehenden Interpretation verwischt zudem den Primat des Verfassungstextes. 101 G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 35. Erg.Lfg. Juni 2008, Vorb. WHG Rn. 3g. 102 G.-M. Knopp, Das neue Wasserhaushaltsrecht, 2010, Rn. 100. 103 J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (31 f.). 104 C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (33 ff., 36 f.).
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats265
einem Kriterium der ‚Nachteiligkeit‘ der Einwirkung auf Gewässer und stellt erhöhte Anforderungen.105 Mit teilweise gegenläufigen Argumenten wird das Kriterium der ‚Nachteiligkeit‘ der Einwirkung von Autoren in Stellung gebracht, die eine Extension der Bereichsausnahme fordern.106 Namentlich Michael Kotulla und Bernd Becker legen das stoff- und anlagenbezogene Klammerzitat in einem weitest möglichen Sinne aus.107 Der Terminus der Anlage erfasse als „gemeindeutscher Begriffsinhalt des Öffentlichen Rechts“ alles, was nicht vorgefunden werde, sondern künstlich angelegt sei. Demnach seien nicht nur anlagenbezogene Regelungen unter die Bereichsausnahme zu subsumieren, die dem Schutz der Gewässer vor nachteiligen Einflüssen dienen. Vielmehr seien alle Vorgaben indisponibel, die sich auf Anlagen beziehen, die sich am, auf, beim, im, längs, nahe, neben, über, unter und zum Wasser hin befinden. Dies betreffe zudem anlagenbezogene Vorgänge, die etwaig gewässerneutral seien, dazu zählen etwa Brücken oder Hochwasserschutzanlagen. Diese Ansicht sieht die Schutzrichtung anlagenbezogener Regelungen überdies darin, den Schutz vor dem Wasser zu bezwecken.108 Eine vermittelnde Lesart nimmt schließlich wiederum das Kriterium der Einwirkung in den Blick. Nach Harald Ginzky und Jörg Rechenberg sowie Helmuth Schulze-Fielitz und wohl auch Michael Reinhardt unterfallen Vorgaben zu Anlagen in und an Gewässern der indisponiblen Bereichsausnahme. Hierzu zählen etwa Stege, Brücken, Mauern, gegebenenfalls auch Grundstücke. Die Bereichsausnahme erfasst alle anlagenbezogenen Vorgänge, die eine irgendwie geartete Einwirkung auf den Wasserhaushalt aufweisen.109 Hinsichtlich der vorbenannten Anlagentypen ist diese Lesart mit dem 105 J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (32) rekurriert auf ein stoffliches Gefährdungspotential. Siehe zudem F.-J. Peine, in: Bosecke/Kersandt/Täufer (Hg.), Festg. Czybulka, 2010, S. 207 S. 210: Danach seien die Vorgaben abweichungsfest, „soweit sie […] durch sie verursachte negative Gewässerauswirkungen zum Gegenstand haben.“ 106 M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494); M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664). 107 M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494); B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (757 f.). Gleichsinnig C. Schulze Harling, Das materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 114 f. und wohl auch H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 181. 108 B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758). 109 H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347); M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488 f.) und H. Schulze-Fielitz, (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (67). Wohl auch M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664). Gleichsinnig C. Graf, Zuständigkeiten und Befugnisse der Länder im Bereich der Gesetzgebung nach der Föderalismusreform, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 14/523, S. 35.
266 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Standpunkt Beckers und Kotullas deckungsgleich. Im Gegensatz zu deren extensivem Verständnis bleibt die Schutzrichtung der Bereichsausnahme hingegen allein auf den Wasserhaushalt beschränkt. bb) Stellungnahme Die unterschiedliche Lesart der Begründung zum Klammerzitat bestimmt die Disponibilität zahlreicher Vorschriften und damit die Rechtsetzungsbefugnis der Länder. Die Interpretation der ‚Einwirkung auf den Wasserhaushalt‘ ist somit für die Auslegung und die Reichweite der Bereichsausnahme von besonderer Bedeutung. (1) Normtext und Entstehungsgeschichte Dem Wortlaut des Klammerzitats und den Begründungserwägungen110 zu Art. 72 Abs. 3 GG ist ein denkbar weites Verständnis zu entnehmen. Die Begründung fordert keine ‚nachteilige‘, ‚negative‘ oder ‚stoffliche‘ Einwirkung111 bzw. eine „Gefahr“ für Gewässer.112 Demzufolge spricht einiges dafür, jedwede Einwirkung auf den Wasserhaushalt mittels einer Anlage zu erfassen. Damit sind beispielsweise Mauern oder Brücken als Anlage im Sinne der Bereichsausnahme zu klassifizieren. Obendrein stützt die Entstehungsgeschichte einen solchen Standpunkt. Der Vorschlag der Länder, das Klammerzitat des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG innerhalb der GesetzesbeÄhnlich M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 187, der jedoch an ein Kriterium der „Gefahr“ anknüpft. 110 BT-Drucks, 16/813, S. 11: „Auf Stoffe oder Anlagen „bezogen“ sind alle Regelungen, deren Gegenstand stoffliche oder von anderen Anlagen ausgehende Einwirkungen auf den Wasserhaushalt betreffen.“ Zur Entstehungsgeschichte in Kapitel 1 sub II. 3. 111 Siehe aber C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (33 ff., 36 f.). Gleichsinnig J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, S. 19 (32) und G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hrsg), WHG/AbwAG, 35. Erg.-Lfg. Juni 2008, Vorb. WHG Rn. 3g. F.-J. Peine, in: Bosecke/Kersandt/Täufer (Hg.), Festg. Czybulka, 2010, S. 207 (210): „negative Gewässerauswirkungen“. R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 58: „nachteilige Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Wassers und seine Güte“. M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664): „Damit sind Anlagen alle technischen Einrichtungen, die geeignet sind, nachteilige Einwirkungen auf die Gewässer zu verursachen.“ Abweichend ders., in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. III, 2012, § 69 Rn. 38. Offener E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282): Erfasst seien „alle technischen Einrichtungen, die geeignet sein, die Gewässerbeschaffenheit zu beeinträchtigen“. 112 So M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 188 f., der mit dieser Prämisse letztlich zum gleichen Ergebnis gelangt.
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats267
gründung einzuengen und auf die „von Anlagen ausgehende stoffliche Belastungen“ zu beschränken, setzte sich nicht durch. Demgemäß enthielt der Begründungstext keine Einschränkung auf ‚nachteilige‘ oder ‚stoffliche‘ Einwirkungen. (2) Der Schutzzweck des Klammerzitats Mit vorstehendem Rückgriff auf den Begründungstext öffnet sich ein Erörterungspunkt, der in der Beschreibung des Klammerzitats bis dato wenig Beachtung findet. Hierzu ist zunächst der Schutzzweck der Bereichsausnahme näher zu beleuchten, wenn der „Einwirkung“ über den Norm- und Begründungstext hinaus im Schrifttum mitunter die Qualifizierungen als „negativ“, „nachteilig“ oder „stofflich“ beigegeben werden.113 Der nicht definierte Begriff der ‚Nachteiligkeit‘ war in der Urfassung des Wasserhaushaltsgesetzes 1957 und gleichermaßen in der Fassung des Jahres 2002 enthalten.114 Die Begrifflichkeit findet sich etwa in der Semantik unverändert in § 5 Abs. 1 Nr. 1 WHG wieder, wonach „nachteilige Veränderungen der Gewässereigenschaft zu vermeiden“ sind. Eine Veränderung ist gegeben, „wenn das Gewässer oder ein Teil des Gewässers als Element der Natur und des Wasserhaushalts im Vergleich zum vorherigen Zustand qualitativ eine Wertminderung erfährt, und sei es auch nur graduell in geringsten Ausmaß“.115 Eine solche nachteilige Änderung der Gewässereigenschaft ist eine nachteilige Einwirkung auf den Wasserhaushalt.116 Abzugrenzen ist die Nachteiligkeit mit der in § 3 Nr. 10 WHG eingeführten „schädlichen Gewässerveränderung“.117 Eine „nachteilige“ Veränderung führt nämlich nur dann zu einer schädlichen Veränderung, wenn die Nachteiligkeit im Wasserhaushaltsgesetz – wie in § 48 WHG – ausdrücklich als Standard niedergelegt ist. Dies vorausgeschickt, ist sich der Bereichsausnahme zuzuwenden. Das Grundgesetz und die korrespondierenden Begründungserwägungen zum 113 Siehe
vorstehende Anmerkung. Abs. 2, 24 Abs. 1, 26 Abs. 2 und 34 WHG 2002. 115 K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 5 WHG Rn. 9 dort mit Verweis auf OVG Münster, Urteil vom 26. März 1963, Az.: 7 A 471/62 und OLG Celle, Urteil vom 11. Februar 1986, Az.: 1 Ss 435/86; ders., in: v. Lersner/ ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 5 WHG Rn. 4. Siehe auch BVerfGE 58, 300 (339 ff.); BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1970, Az.: IV C 90/69 (zitiert nach Juris); BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1975, Az.: IV C 8 bis 11/74 (zitiert nach Juris). 116 K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 5 WHG Rn. 9. 117 Siehe dazu und mit weit. Nachw. zu den gegenteiligen Ansichten K. Berendes, ZfW 2014, S. 1 (10). 114 §§ 1a
268 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Klammerzitat verzichten auf die Prämisse der Nachteiligkeit und lassen jedwede Einwirkung genügen. Darüber hinaus greift ein weiteres Argument für die hier vorgenommene Interpretation Platz, die beispielshalber Brücken und Mauern erfasst. Wie gesehen, ist die Prämisse der nachteiligen Veränderung ein besonderes Tatbestandsmerkmal des Wasserhaushaltsgesetzes und knüpft einfachgesetzlich an die Gewässereigenschaft des § 3 Nr. 7 WHG an. Sie betrifft damit die Wasserbeschaffenheit, die Wassermenge, die Gewässerökologie und die Hydromorphologie.118 Damit erhellt sich, weshalb nicht allein chemische oder biologische Belastungen bzw. stoffliche Belastungen im engeren Sinne abweichungsfest sind. Eine solche Lesart der Bereichsausnahme wird der zunehmenden ökomorphologischen Ausrichtung und dem europäischen Harmonisierungsstand des Wasserwirtschaftsrechts gerecht, wonach anthropologische Einflüsse zu minimieren sind. Unbenommen der Frage, ob der Verfassungsreformgesetzgeber es letztlich intendierte,119 so zeichnet die Bereichsausnahme die Entwicklungslinien des Wasserwirtschaftsrechts nach.120 Wie zu Recht hervorgehoben wird, zielt der indisponible Bereich auf einen vorgefundenen europäischen Harmonisierungsstand.121 Den harmonisierten Rechtsrahmen enthält namentlich die Wasserrahmenrichtlinie mit ihren Tochterrichtlinien.122 Als Qualitätskomponenten sind neben der Gewässerflora und -fauna sowie spezifischen Schadstoffen explizite physikalisch-chemische Parameter (Temperatur, Sauerstoff usf.) und hydromorphologische Parameter ausschlaggebend. Beispielsweise erfassen letztere Kennziffern die Abflussdynamik, die Durchgängigkeit und die Morphologie (Gestalt der Uferzone, Tiefen- und Breitenverhältnisse).123 Auch Mauern, Brücken, die Umsetzung von Kiesbänken sowie Einschränkung der Gewässerdurchgängigkeit oder der Gewässerausdehnungsmöglichkeit wirken ‚nachteilig‘ auf das ökologische Potential, indem sie beispielsweise die limnologische Funktion der Flachwasserzone beeinträchtigen.124 Dieser 118 Vgl.
U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 3 WHG Rn. 10. M. Reinhardt, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. III, 2012,
119 Zweifelnd
§ 70 Rn. 6. 120 Zur Entwicklung des Wasserwirtschaftsrechts mit seiner zunehmend ökozentrischen Ausrichtung Kapitel 1 sub I. 2. c). 121 S. Kadelbach, VVDStRL Bd. 66 (2007), S. 7 (21) in Anm. 55. 122 Siehe zur Wasserrahmenrichtlinie bereits in Kapitel 1 sub I. 3. 123 Mit einer umfassenden Erörterung der Prämissen statt vieler C. Port, Die Umweltziele der Wasserrahmenrichtlinie, 2011, S. 90 ff. 124 Anschaulich VGH Mannheim, Beschl. vom 10. Juli 2012, Az.: 3 S 231/11 zur Zulässigkeit eines Badestegs und VGH Mannheim, Urteil vom 20. Mai 2010, Az.: 3 S 1253/08 zur Zulässigkeit von vier Bootsanbindungspfählen (jeweils zitiert nach juris).
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats269
Befund wird im wasserrechtlichen Schrifttum weitgehend anerkannt und ist auch im Rahmen der Interpretation der Bereichsausnahme zu berücksichtigen.125 Anlagen in oder an Gewässern sind allgemein geeignet, die Strömungs- und Abflussverhältnisse zu ändern. Bereits Brücken, deren Pfeiler einige Meter entfernt von der Uferlinie in deren Randzone gründen, beeinflussen die wasserführende Beschaffenheit des Ufers und die Gewässerökologie.126 Beispielsweise beschatten solche Anlagen den Uferbereich oder rufen Sedimentverwirbelungen hervor.127 (3) D ie Einbeziehung von Hochwasserschutzbauten in die Bereichsausnahme Für eine Disponibilität von Bestimmungen zu Talsperren, Stau- und Hochwasserschutzanlagen oder auch Brücken ließe sich die allgemeine Abweichungsoffenheit des Hochwasserschutzes anführen.128 Demgegenüber ist die Gleichstellung der Stau- und Dammbauten mit dem Gewässerausbau zu beachten.129 Die Gleichstellung begründet sich in den Auswirkungen solcher Bauten auf den Hochwasserabfluss und damit auf den Wasserhaushalt als Bestandteil des Naturhaushalts.130 Diese Erkenntnis berücksichtigte der Bundesgesetzgeber bereits im Jahr 1957. Bezüglich der Deiche führte der Begründungstext zum Wasserhaushaltsgesetz vom 27. Juli 1957 aus: „Deich- und Dammbauten werden dem Ausbau gleichgestellt, weil sie durch ihre Einwirkungen auf den Wasserhaushalt von ähnlicher Bedeutung sind.“131
Demgemäß und entgegen der mitunter geäußerten Sichtweise gründet sich die Einbeziehung von solchen Schutzbauten in die Bereichsausnahme 125 Abweichend hingegen C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (35 ff., 36). 126 Näher zur Thematik U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 36 WHG Rn. 7. 127 Vgl. zudem VG Berlin, Urteil vom 07. August 2012, Az.: VG 10 K 46/10 (zitiert nach juris) zur Zulässigkeit eines Bootsstegs. 128 Dazu bereits in Kapitel 6 sub II. 1. a). 129 Vgl. § 67 Abs. 2 Satz 3 WHG und dazu M. Maus, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 67 WHG Rn. 61 ff. Dazu auch VGH München, Urteil vom 30. August 2011, Az.: 8 B 11/172 (zitiert nach juris): „Aufgrund der Erkenntnis, dass Deich- und Dammbauten in ihren Auswirkungen auf den Wasserhaushalt von ähnlicher Bedeutung sind wie Herstellung, Beseitigung oder wesentliche Umgestaltung eines Gewässers, sollen sie in gleicher Weise unter Kontrolle gehalten werden wie der Ausbau eines Gewässers.“ 130 Hierzu die diesbezügliche Darstellung von M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 67 WHG Rn. 45. 131 Siehe im Entwurf eines Wasserhaushaltsgesetzes, BT-Drucks. 2/2072, S. 12, 34.
270 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG nicht in einer weitergehenden bzw. anderweitigen ‚Schutzrichtung‘ der stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen, sondern in der Wirkung von Schutzbauten auf das Abflussverhalten bzw. den Wasserhaushalt.132 Nicht zu überzeugen vermag auch der Standpunkt von Knopp, wonach die Gewässerbewirtschaftung zu berücksichtigen sei, die in länderübergreifende Flussgebietseinheiten erfolge.133 Einerseits sind die Länder gehalten, ihre Regelwerke unbenommen der Indisponibilität einzelner Vorgaben an das novellierte Wasserhaushaltsgesetz anzupassen. Andererseits obliegt die Bewirtschaftung der Gewässer, welche sich gemäß § 39 Abs. 5 WHG an den Bewirtschaftungszielen ausrichtet, nach § 40 Abs. 1 WHG regelmäßig den Ländern oder ist Verbänden des öffentlichen Rechts (Wasser- und Bodenverbände) überantwortet.134 Insoweit liefert die Zuordnung der föderalstaatlich verantworteten Bewirtschaftung insgesamt kein tragfähiges Indiz für die kompetenzrechtliche Zuordnung einer stoffoder anlagenbezogenen Sachmaterie.135 (4) Resümee Die häufig anzutreffende Konkretisierung auf „nachteilige“ Einwirkungen ist interpretationsbedürftig und im Ergebnis abzulehnen. Die Einwirkungen erfassen nicht lediglich chemische und biologische Veränderungen, sondern zudem mengenmäßige, ökologische, hydrologische bzw. hydromorphologische Einwirkungen als anthropologische Beeinträchtigungen.136 Das Kriterium einer ‚Nachteiligkeit‘ der Einwirkung auf den Wasserhaushalt lässt sich weder dem Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG noch dem Begründungstext entnehmen.137 Insoweit wird die Interpretation der Bereichsausnahme nicht durch die Prämisse einer ‚Nachteiligkeit‘ geprägt. Als indisponibel gelten demnach die von § 36 WHG erfassten Anlagen und auch Hochwasserschutzanlagen.138 Letztere nicht, weil solche Anlagen vor den Auswirkungen von übergetretenen Gewässern geschützt werden sollen, son132 Abweichend B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758) und auch M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 133 So G.-M. Knopp, Das neue Wasserhaushaltsrecht, 2010, S. 32. 134 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 40 WHG Rn. 3. 135 Ähnl. zu den europäischen Transformationsanforderungen in Kapitel 3 sub II. 3. 136 Mit diesem Resümee auch M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 137 Vgl. die Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 138 K. Berendes, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (133); ders., in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 78 WHG Rn. 17; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 72 WHG Rn. 11.
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats271
dern weil sie aufgrund ihrer Beschaffenheit und Lage auf den Wasserhaushalt einwirken können.139 c) Die auf Anlagen ‚bezogenen‘ Regelungen Vorstehend wurde zunächst auf einer gleichsam ersten Ebene ein schutzzweckbezogenes weites Begriffsverständnis der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme etabliert. Auf einer zweiten Stufe erfährt das Klammerzitat nunmehr eine Eingrenzung. Der ‚Bezug‘ auf Anlagen schließt Vorgänge aus, die nur einen irgendwie entfernten Regelungszusammenhang zu einer Anlage aufweisen. Nach den Begründungserwägungen sind: „auf […] Anlagen „bezogen“ […] alle Regelungen, deren Gegenstand […] von anderen Anlagen ausgehende Einwirkungen auf den Wasserhaushalt betreffen, z. B. das Einbringen und Einleiten von Stoffen.“140
Der weit gefasste Begründungstext erfasst alle Lebenszyklen einer Anlage. Die Regelung muss einen Bezug zu einer Anlage, das heißt mit ihr sachlich verbunden bzw. verknüpft141 sein. Soweit die Benutzung, Errichtung, Änderung oder der Rückbau einer Anlage im Raum steht, so sind darauf bezogene Vorgaben indisponibel. Unscharf ist der Standpunkt Foersts und Kotullas, wonach der ‚Anlagenbezug‘ „alle Vorschriften erfasst, die eine sonstige nachteilige Veränderung des Gewässerzustandes betreffen, also ebenso in Bezug auf wassermengenmäßige, ökologische, hydro- oder morphologische sich nachteilig auswirkende Einwirkungen.“142 Vorgaben, die vordergründig einen Medienbezug aufweisen, sind dem Grunde nach nicht anlagenbezogen.143 Anderenfalls wären nicht nur Qualitätsnormen abweichungsresistent,144 sondern überdies Vorgaben, die im Kern allein an die Nutzungen der Gewässer anknüpfen, ohne einen konkreten Anlagenbezug aufzuweisen.145 Derartige Nutzungsregelungen und Qualitätsstandards stellen mittelbare Anforderungen an den Lebenszyklus, namentlich an den Betrieb einer Anlage, ohne an deren spezifisches Gefährdungspotential anzuknüpfen. Diese Einschränkung bietet die Gewähr dafür, dass die Abweichungsbefugnis der Länder aufgrund der interpretatorischen Weite des AnB. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758). die Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 141 Mit diesen Synonyma Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl. 2011. 142 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 194; M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 143 So explizit und zutreffend H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347). 144 H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347) verweisen diesbezüglich auf Qualitätsstandards, die aus der Transformation der Gewässerschutzrichtlinie (EG) Nr. 2006/11 resultieren. 145 Dazu exemplarisch nachstehend in Kapitel 7 sub II. 2. und III. 3. b), c). 139 Abweichend 140 Vgl.
272 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
lagen- und Stoffbegriffs nicht gänzlich ausgehöhlt wird. Bund und Länder benötigen verlässliche Kriterien, mit denen sich feststellen lässt, ob ein Regelungszusammenhang disponibel bzw. indisponibel ausgestaltet ist. Diese Frage aktualisiert sich dann, wenn der Bundesgesetzgeber Sachzusammenhänge normieren kann, indem er hierzu entweder an die Nutzung des Gewässers oder an den Gebrauch einer etwaig dabei genutzten Anlage anknüpft. Der Bundesgesetzgeber kann insoweit entscheiden, auch anlagenbezogene Vorgänge den Ländern zur Abweichung zu überlassen. Ein Anlagenbezug ist somit bei allen Vorgaben auszumachen, die die Errichtung, die Unterhaltung, die Stilllegung, die Beseitigung und den Betrieb von wasserwirtschaftlich relevanten Anlagen betreffen.146 Umfasst sind dem Grunde nach zudem alle Arbeitsschritte, die mit den genannten Vorgängen zusammenhängen.147 Als solche gelten zunächst Emissionsstandards. Daneben gehören dazu „Arbeits-, Betriebs-, Bewirtschaftungs-, Unterhaltungs-, (Aus-) Bau- und Sicherheitstechniken“148 als auch die dazugehörigen Anforderungen an die Überwachung.149 Diese Vorgaben lassen sich der Bereichsausnahme zuordnen, sofern die intendierte Schutzwirkung des jeweiligen Tatbestandes auf den Wasserhaushalt zielt und nicht etwa vordergründig dem Arbeitsschutz dient.150 2. Die stoffbezogene Bereichsausnahme Dem Grundgesetz waren bis zur Verfassungsreform 2006 bereits Sprengstoffe und radioaktive Stoffe bekannt, vgl. Art. 73 Abs. 1 Nrn. 12 und 14 GG. Die neu hinzugekommene Fügung der ‚stoffbezogenen Regelungen‘ kannte hingegen keinen Vorläufer und birgt einige Abgrenzungsfragen. Zuvorderst sind der Beschreibung grundsätzliche Erwägungen zur Funktion der stoffbezogenen im Verhältnis zur anlagenbezogenen Bereichsaus146 K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (189); K. Berendes, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (132); M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664). 147 Statt anderer H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (348); M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 148 Mit dieser Erwägung wohl zu Recht M. Kotulla, NVwZ 2007, 489 (494); siehe zudem H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (67 f.). 149 Demgegenüber wollen M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 169 f. und M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494) auch die Überwachungs‚modalitäten‘ erfasst sehen, was auch die Art und Weise des Verfahrens im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG erfassen würde. 150 Eine solche Grenzziehung scheint M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494) nicht vorzunehmen.
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats273
nahme vorangestellt (hierzu sub a)). Die Annäherung an die verfassungsrechtliche Terminologie erfolgt alsdann über das vom verfassungsändernden Gesetzgeber seinerzeit vorgefundene supranationale und nationale Stoffrecht (hierzu sub b)). Daran schließt sich die Betrachtung von ausgewählten Themenkomplexen an, die mit der stoffbezogenen Bereichsausnahme in einem engeren Zusammenhang stehen (hierzu sub c)). Alsdann werden die praxisrelevanten Vorgaben zur Abgabenerhebung und zum passiven Schutz der Gewässer vor Stoffeinträgen näher beleuchtet (hierzu sub d)). a) Grundsätzliche Überlegungen Etwas verkürzt formuliert sollen die stoffbezogenen Vorgaben Emissionen von Anlagen unterbinden, die mehr Schadstoffe beinhalten, als dies für die Qualität des jeweiligen Gewässers akzeptabel ist.151 Dem Schutzzweck und besonderen Gefährdungspotential stofflicher Einwirkungen wird Rechnung getragen, indem der Stoffbegriff eine weite Auslegung erfährt. Diese extensive Interpretation ermöglicht eine fachliche Abstimmung von emissions- und immissionsbezogenen Werten, wenn sie für die Gewässerqualität bedeutsam sind.152 Die Bereichsausnahme der „stoffbezogenen Regelungen“ umfasst mehr als nur anlagenbezogene Vorgänge.153 Sie zielt auf Vorgaben ab, die stoffliche Belastungen der Gewässer reglementieren. Entstehungsgeschichtlich wurden zunächst chemische Belastungen in den Blick genommen. Das Zusammenspiel von Chemikalien- und Gewässerschutzrecht ist entscheidend für den Abbau anthropogener Spurenstoffe in der Umwelt.154 Demgegenüber ist es unvollständig, die stoffbezogene Bereichs ausnahme mit dem „Chemikalienrecht“ zu beschreiben.155 Die Begründung zur Verfassungsreform 2006 beschreibt den Stoffbezug mit „stoff lichen Einwirkungen auf den Wasserhaushalt“. Es ließe sich deshalb er wägen, darunter allein emissionsbezogene Vorgaben zu fassen. Indessen erfasst das indisponible Klammerzitat des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG auch immissionsbezogene Vorgaben. Emissions- und immissionsbezogene Anforderungen greifen ineinander und stehen zueinander in einer Wechselbeziehung. Wie Harald Ginzky und Jörg Rechenberg prägnant festhalten, bestehe anderenfalls die Besorgnis, dass die Emittenten mehr Schadstoffe austragen, als die Gewässer immissionsseitig im Stande sind aufzunehmen. anderer H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (348). hier auch M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664). 153 H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347). 154 Dazu anschaulich die Antwort der BReg auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 17/11234, S. 1 ff. 155 Ausdrücklich so I. Kesper, NdsVBl. 2006, S. 145 (151). 151 Statt 152 Wie
274 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Ohne die Einbeziehung von immissionsschutzrechtlichen Anforderungen wäre der Stoffbezug zudem mit dem Anlagenbezug weitgehend deckungsgleich.156 Vor der Föderalismusreform setzte der Bundesgesetzgeber in Einzelheiten gehendes Anlagenrecht, das er auf Art. 75 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG a. F. stützen konnte.157 Die Abweichungsfestigkeit stoffbezogener Vorgänge erfordert es, auch immissionsbezogene Regelungen zu erfassen. Diese Lesart des Klammerzitats korrespondiert mit dem Befund, dass die Befugnis zur Ordnung des Wasserhaushalts aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG Ausgangspunkt für jedwede wasserrechtliche Vorgabe mit gewässerschützendem Charakter ist. Statt sich, wie bis zur Verfassungsreform 2006, auf den Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft zu stützen, rekurriert der Bundesgesetzgeber für emissions- und immissionsrechtliche Vorgänge nunmehr auf die Vollkompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG. Übereinstimmung158 besteht im Schrifttum hinsichtlich der Indisponibilität von Einleitungsverboten oder Einleitungsbegrenzungen,159 stoffbezogenen Benutzungs- und Bewirtschaftungstatbeständen160 sowie der qualitätsorientierten Vorgaben an Stoffeinträge in Gewässer.161 Dieser allgemeine Standpunkt gibt freilich keine abschließende Auskunft über die Abweichungsfestigkeit einzelner Normen. Vielmehr ist die Gestaltungsmacht der Länder bei jeder Vorgabe gesondert zu prüfen.162 b) Der einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Stoffbegriff Die normative Ordnung stoffbezogener Vorgänge wurde durch die Harmonisierungsmaßnahmen des supranationalen Rechts tiefgreifend umgestaltet. So erfuhr das Chemikalienrecht durch die Verordnung (EG) Nr. 1907 / 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer 156 Näher auch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, Einl. Rn. 15. 157 Siehe bereits unter Kapitel 1 sub I. 2. 158 K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (192); K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, Einl. Rn. 15; E. Bohne, EurUP 2006, S. 267 (282); C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (44); H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347); M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494); M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 39. 159 Beispielshalber im Regime des Abwasserrechts (§ 57 WHG) und im Recht der wassergefährdenden Stoffe (§ 62 WHG). 160 Etwa § 9 Nr. 3 und 4 WHG. 161 Dazu näher in sub c) aa). 162 Vgl. die Ausführungen zu den einzelnen Bestimmungen in Kapitel 7.
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats275
Stoffe (REACH) eine grundlegende Neuordnung.163 Daneben enthält die Verordnung (EG) Nr. 1272 / 2008 vom 16. Dezember 2008 Vorgaben zur Einstufung, Kennzeichnung und zur Verpackung von Stoffen und Gemischen (GHS-Verordnung) sowohl eine eigene Stoffdefinition als auch ein Register gefährlicher Stoffe.164 Die GHS-Verordnung ist von Interesse, da sie im Gegensatz zur REACH-Verordnung nicht nur Stoffe, sondern darüber hinaus Erzeugnisse sowie Gemische erfasst und nicht an Mengenschwellen gebunden ist.165 Die GHS-Verordnung gilt generell für Erzeugnisse und bietet für den europäischen Handlungsrahmen die weitreichendste Definition. Vorstehender Rechtsrahmen bezieht sich allgemein auf Stoffe, während es zahlreiche weitere genuin gewässerschützende Regelwerke gibt. Diese lassen sich als Richtlinien zum: – Schutz der Oberflächengewässer,166 – Schutz des Grundwassers,167 163 Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 793/93 (EWG) des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie (EWG) Nr. 76/769 des Rates sowie der Richtlinien (EWG) Nr. 91/155, (EWG) Nr. 93/67, (EG) Nr. 93/105 und (EG) 2000/21 der Kommission, ABl. EU Nr. L 396 vom 30. Dezember 2006, S. 1. Dazu ausführlich E. Rehbinder, in: Hansmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kap. 11 Rn. 3 ff. 164 Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien (EWG) Nr. 67/548 und (EG) Nr. 1999/45, ABl. EU Nr. L 396/Nr. 353 vom 31. Dezember 2008. 165 Umweltbundesamt, Das neue Einstufungs- und Kennzeichnungssystem für Chemikalien nach GHS – kurz geklärt –, 2007, S. 9. 166 Richtlinie über die Ableitung gefährlicher Stoffe in die Gewässer 2006/11/ EG mit dem Ziel, durch die Festlegung einheitlicher Emissionsgrenzwerte die Belastung bestimmter gefährlicher Stoffe zu beseitigen (Liste I) bzw. weitere Stoffe durch nationale Programme zu verringern (Liste II). In mehreren Folgerichtlinien wurden europaweite Regelungen für 18 Stoffe getroffen. Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser (Kommunalabwasserrichtlinie 91/271/EWG); Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie 2008/1/EG). 167 Richtlinie zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (Nitratrichtlinie 91/676/EWG) und Richtlinie über das in Verkehr bringen von Pflanzenschutzmitteln (Pflanzenschutzrichtlinie 91/414/ EWG, Änderungsrichtlinie für 2009 zu erwarten); Richtlinie zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung (Grundwasserrichtlinie 2006/118/ EG).
276 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
– Schutz der Trinkwasserqualität,168 – Schutz vor unfallbedingten Gefahren169 oder als – nutzungsbezogene Immissionsrichtlinien170 klassifizieren. Hinsichtlich stofflicher Gewässerbelastungen zentral ist die Wasserrahmenrichtlinie171 mit ihren Tochterrichtlinien.172 Nicht nur der zu erreichende gute chemische Zustand, auch der gute ökologische Zustand umfasst dabei Anforderungen an höchstzulässige Schadstoffkonzentrationen.173 Nach Art. 10 Abs. 1 WRRL müssen die Mitgliedstaaten Stoffeinträge nach einem kombinierten Ansatz aus Emissionsbegrenzungen und immissionsseitigen Qualitätsstandards begrenzen. Hinsichtlich der prioritären Stoffe enthält Art. 4 Abs. 1 lit. a iv WRRL als Umweltziel eine Minderung sowie angesichts der prioritär gefährlichen Stoffe die Unterbindung aller Austräge. Die Richtlinie enthält harmonisierte Umweltqualitätsnormen für nunmehr 45 prioritäre und prioritär gefährliche Stoffe, die für bzw. durch die aquatische Umwelt für Menschen ein erhebliches Risiko begründen. Konkretisiert werden die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie durch die Richtlinie (EG) 2008 / 115 über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik, die durch Richtlinie (EU) 2013 / 39 maßgeblich geändert und erweitert wurde. Das Richtlinienregime verfolgt mit den verschiedenen Anhängen, die Grenzwerte und Listen prioritärer und prioritär gefährlicher Stoffe enthalten, einen kombinierten Ansatz aus Emissionsgrenzwerten und Qualitätsstandards. Mit der Änderungsrichtlinie (EU) 2013 / 39 wurde der stoffrechtliche Bezug weiter verfeinert. Die Stoff- bzw. Produktzulassung wird noch enger mit dem Gewässerschutzrecht verzahnt und verknüpft.174 168 Richtlinie über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserrichtlinie 98/83/EG). 169 Richtlinie zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-Richtlinie 2003/105/EG); Richtlinie über Bauprodukte (89/106/EWG). 170 Qualität der Badegewässer und deren Bewirtschaftung (Richtlinie 76/160/ EWG, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/7/EG und aufgehoben zum 31. Dezember 2014), Qualität von Süßwasser, um das Leben von Fischen zu erhalten (78/659/ EWG, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/44/EG), Qualitätsanforderungen an Muschelgewässer (79/923/EWG, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/113/EG). 171 Zur Wasserrahmenrichtlinie bereits in Kapitel 1 sub I. 3. 172 Richtlinie zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung 2006/118/EG und die Richtlinie 2013/39/EU zur Änderung der Richtlinien 2000/60/EG und 2008/105/EG in Bezug auf prioritäre Stoffe im Bereich der Wasserpolitik. 173 Vgl. die Begriffsdefinition in Art. 2 Nr. 21 WRRL, in dem auf den Anhang V WRRL verwiesen wird. 174 Zu den Einzelheiten anschaulich K. Kern, NVwZ 2014, S. 256 (258 f.).
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats277
Sowohl im nationalen Fachrecht als auch im Recht der Europäischen nion wurden Stoffe definiert. Zieht man das spezifische Fachrecht hinzu, so U sticht das Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz – ChemG) und das harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien mit der GHS-VO175 hervor.176 Beide liefern ein profundes Bild zur Beschreibung dessen, was als Stoff zu erfassen ist. § 3 Nr. 1 ChemG und Art. 2 Nr. 7 GHS-VO177 beschreiben einen „Stoff“ als: „chemisches Element und seine Verbindungen in natürlicher Form oder gewonnen durch ein Herstellungsverfahren, einschließlich der zur Wahrung seiner Stabilität notwendigen Zusatzstoffe und der durch das angewandte Verfahren bedingten Verunreinigungen, aber mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stabilität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können.“
Wiewohl diese Begriffsbestimmung nicht mit den gewichtigen europäischen Vorgaben deckungsgleich ist,178 so zeichnet sie doch ein erstes und nach allen Seiten hin offenes Bild des verfassungsrechtlichen Stoffbegriffs.179 Das Chemikaliengesetz enthält eine umfassende Stoffinterpretation. Es erfasst Stoffe, die aufgrund ihrer Eigenschaft potentiell eine Gefahr für Menschen und die Umwelt darstellen. Auch das Kreislaufwirtschaftsgesetz und die Vorgaben über die Beförderung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen im Gefahrgutbeförderungsgesetz i. V. m. der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt beinhalten ein ähnlich extensives Begriffsverständnis. Demgegenüber erfassen die medienbezogenen Vorgaben des Wasserhaushaltsgesetzes und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes180 zuvörderst bestimmte Kategorien von Umweltchemikalien.181 175 Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/ EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, ABl. EU Nr. L 353, S. 1 vom 31. Dezember 2008. 176 Chemikaliengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3498, 3991). 177 Die GHS-Verordnung nimmt B. Becker, NVwZ 2009, S. 1011 ff. näher in den Blick. 178 W. Mahlmann, Chemikalienrecht, 2000, S. 27 ff. 179 Daneben existieren verschiedene Stoffgesetze: Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, Futtermittelgesetz, Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, Pflanzenschutzgesetz, Düngemittelgesetz, Wasch- und Reinigungsmittelgesetz, Sprengstoffgesetz, Gefahrgutbeförderungsgesetz sowie medienbezogene Gesetze wie das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Atomgesetz, Bundes-Immissionsschutzgesetz und eben das Wasserhaushaltsgesetz. 180 Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 2. Juli 2013 (BGBl. I S. 1943) geändert worden ist.
278 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Als Stoffe18 gelten auch Gemische oder Lösungen, die aus mehreren Stoffen bestehen.182 Ohne den Versuch einer abschließenden Aufzählung zu unternehmen, können radioaktive Stoffe sowie nicht isolierte Zwischenprodukte, Verbindungen mehrerer Stoffe, nicht in den Verkehr gebrachte Stoffe der Forschung, Arzneimittel, Tierarzneimittel, Medizinprodukte und medizinische Geräte, kosmetische Mittel, Lebensmittel und Futtermittel sowie Tierfutter als auch Abfall als Stoffe benannt werden.183 All diese Stoffe sind geeignet, die natürliche Wasserbeschaffenheit hinsichtlich chemischer, biologischer und physikalischer Parameter zu beeinträchtigen. Wie bereits bei der Interpretation des Anlagebezugs haben die Stoffe bzw. Gemische auf den Wasserhaushalt ‚einzuwirken‘. Der Schutz des Wasserhaushalts betrifft nicht lediglich chemische, biologische und physikalische Eigenschaften, sondern auch die Gewässerökologie, sofern diese nicht bereits durch die benannten Parameter erfasst wird. Die Anerkennung eines solchen Schutzzwecks zeichnet letztlich die Entwicklung der rechtlich geordneten Gewässerbewirtschaftung und den europäischen Harmonisierungsstand nach.184 c) Konturen einer stoffbezogenen Bereichsausnahme Vielfach sind die Vorgaben mit Stoffbezug von solchen mit Anlagenbezug nicht oder nur schwerlich zu trennen.185 Beispielsweise unterfallen der indisponiblen Bereichsausnahme: – Gewässergüteanforderungen, auch außerhalb des Einwirkungsbereichs von Anlagen, namentlich die stoffbezogenen Bewirtschaftungsziele für Gewässer (§§ 27 bis 31, 44, 45a, 47 WHG), – das Reglement der wassergefährdenden Stoffe (§§ 62 und 63 WHG), – Einleitungsregelungen (vgl. etwa die Düngemittel- und Grundwasserver ordnung),186 – Abwassereinleitungen (§ 57 WHG), gegebenenfalls auch anlagenunabhängig (beispielshalber im Rahmen des § 25 Satz 3 Nr. 1 WHG), – stoffbezogene Bewirtschaftungstatbestände (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 und 4 WHG) H.-W. Rengeling, Europäisches Stoffrecht, 2009, S. 18 ff. auch das Chemikalienrecht in § 3 Satz 1 Nr. 4 ChemG. 183 Im Anschluss an B. Becker, Das neue Umweltrecht, 2010, Rn. 55. 184 Die stärkere Beachtung ökologischer Parameter hielt mit der Wasserrahmenrichtlinie Einzug in das nationale Bewirtschaftungsregime. Dazu bereits in Kapitel 1 sub 2. und 3. 185 Vgl. dazu bereits unter sub I. 3. 186 Siehe auch E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282); Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347 f.); M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664); H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (258). 181 Näher 182 So
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats279
sowie die in § 23 WHG vorgesehenen zahlreichen stoffbezogenen Verordnungen, wie der Grundwasserverordnung, Oberflächengewässerverordnung, Abwasserverordnung, Industriekläranlagen-Zulassungs- und Überwachungsverordnung und der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen. Für die stoffbezogenen Regelungen gelten die zur Anlagenbezogenheit gemachten Ausführungen vielfach sinngemäß.187 Ein bestimmter Grad der Nachteiligkeit der Einwirkung auf den Wasserhaushalt ist von Verfassungs wegen nicht vorgesehen, wohingegen der ‚Bezug‘ eine sachliche Verknüpfung der Regelung mit einem Stoff verlangt. aa) Die Bewirtschaftungsziele und Qualitätsnormen In Transformation der Wasserrahmenrichtlinie wurden Bewirtschaftungsziele für die oberirdischen Gewässer (§ 27 WHG), die Küstengewässer (§ 47 WHG) und das Grundwasser (§ 44 WHG) sowie in Umsetzung der Meeresstrategierahmen-Richtlinie für die Meeresgewässer (§ 45a WHG) in das Wasserhaushaltsgesetz aufgenommen. Im Kern gibt das Wasserhaushaltsgesetz vor, eine Verschlechterung des auf den Wasserkörper bezogenen Gewässerzustandes zu vermeiden (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 WHG) und einen bestehenden guten Zustand zu erhalten. Befindet sich der Wasserkörper nicht in einem ökologischen und chemischen Zustand, ist dieser so zu bewirtschaften, dass ein solcher Zustand erreicht wird (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 WHG). Die Bewirtschaftungsziele und Verschlechterungsverbote für Gewässer und die damit zusammenhängenden Vorschriften werden über wiegend als stoffbezogene Vorgaben klassifiziert und abweichungsfest erachtet.188 Wenngleich die Qualitätsvorgaben weitreichend europäisch harmonisiert sind, gibt es Veranlassung, die Indisponibilität der Qualitätsvorgaben näher zu untersuchen. Nach Michael Foerst189 sind auch die Ziele des materiellen Gewässerschutzes indisponibel, da anderenfalls die Konzeption der Verfassungsreform beeinträchtigt werden würde, die den Kernbereich des Gewäs187 Vorstehend
sub II. b) und c). Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282); H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (348); S. Heselhaus, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 44 WHG Rn. 7; M. Kloepfer, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. II, 2012, § 68 Rn. 38; M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494), M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 39; Lauer, NuR 2010, S. 692 (693). Abweichend hingegen K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 27 WHG Rn. 11; differenzierend W. Durner, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 65. Erg.-Lfg. April 2012, Vorb. zu den §§ 27–31 WHG Rn. 13. 189 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 288 f. 188 E.
280 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
serschutzes abweichungsresistent gestalten will. Diese Ansicht verkennt die Entstehungsgeschichte des Klammerzitats und die Systematik des Kompetenztitels. Die Vorgaben gelten als abstrakt gefasste Grundregeln für die Gewässerbewirtschaftung190 bzw. den zu erhaltenden wasserwirtschaftlichen Standard191 und prägen die Gewässerbewirtschaftung insgesamt.192 So besehen wirken die Qualitätsziele als allgemeines Ziel bzw. allgemeiner Grundsatz des Wasserhaushaltsrechts. Dieser Befund ist rückblickend zumindest begründungsbedürftig, denn im Gegensatz zur Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG (Naturschutz und Landschaftspflege) sind sowohl die allgemeinen Grundsätze als auch die Ziele der Gewässerbewirtschaftung für die Länder disponibel, obwohl die Vertreter des Bundes seinerzeit auch für deren Einbeziehung in die wasserrechtliche Bereichsausnahme geworben hatten.193 Damals wurde darüber diskutiert, ob die „Ziele und Grundsätze (später: Ziele und Aufgaben) der Wasserwirtschaft, die Bewirtschaftung in Flussgebieten (später: Qualitäts- und Mengenziele für die Bewirtschaftung in Flussgebietseinheiten)“ dem indisponiblen Klammerzitat zuzuschlagen sind.194 Wie aus der Entstehungsgeschichte hervorgeht, war sich der verfassungsändernde Gesetzgeber der Bedeutung und Funktion der Ziel- und Zweckbestimmungen wohl bewusst. Indessen sah er offenbar keinen Handlungsbedarf, weil diese weitgehend europarechtlich vorgegeben sind. Hinsichtlich der Zielbestimmungen besteht jedenfalls insoweit Einigkeit, dass der stoffbezogene Bereich zumindest auch immissionsrechtliche Vorgaben umfasst.195 Übereinstimmend wird der grundgesetzliche Stoffbezug auch nicht auf das Schutzgut ‚Gewässer‘ erstreckt.196 Betrachtet man die Bewirtschaftungsziele im Lichte der vorstehenden Ausführungen näher, so wird deutlich, dass diese über die grundgesetzliche Bereichsausnahme hinausreichen.197 Insbesondere das Erreichen und Erhalten eines guten ökologischen Gewässerzustandes, das heißt einer anthro pogen gering beeinflussten Gewässerökologie, wird im wasserrechtlichen 190 M. Reinhardt,
Czychowski/ders., § 27 WHG Rn. 7. ZfW 2002, S. 197 (217). 192 Zur Gewässerunterhaltung unter der Ägide der Wasserrahmenrichtlinie M. Reinhardt, NVwZ 2008, S. 1048 (1050 ff.). 193 Ausführlich bereits in Kapitel 1 sub II. 3. 194 So K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, S. 175 (183). 195 Siehe soeben unter sub II. 2. a). 196 Dazu sogleich unter sub II. 2. c) bb). 197 Insoweit übereinstimmend M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 208 ff., 286 ff. 191 K. Berendes,
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats281
Schrifttum allseits als Paradigmenwechsel apostrophiert.198 Entspricht die Bewirtschaftung den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie, so bedarf es der Beachtung ökologischer und hydromorphologischer Anforderungen.199 Insofern kann gegebenenfalls aus kompetenzrechtlicher Sicht eine Einengung dahingehend angezeigt sein, ob die in Rede stehenden Ziele greifbare Anforderungen an die ‚stoffliche‘ Qualität der Gewässer statuieren.200 Indisponible stoffbezogene Vorgaben sind beispielsweise die konkret einzuhaltenden stofflichen Qualitätsziele der Wasserrahmenrichtlinie sowie der Tochterrichtlinien (prioritäre Stoffe, prioritäre gefährliche Stoffe und die Parameter der Grundwasserqualität). Abweichendes ließe sich mit Blick auf die ökologischen Anforderungen und Maßnahmen erwägen. Qualitätsparameter, beispielsweise eine eigendynamische Fließgewässerentwicklung oder Verbesserung des Geschiebehaushalts, wie sie durch die Revitalisierung einzelner Ökosystem-Bausteine erreicht werden sollen, werden nur mit Mühe als ‚stoffbezogene‘ Vorgaben zu klassifizieren sein. Die Zielvorgaben sind wohl ‚noch‘ stoffbezogene materielle Regelungen, indessen ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass die Länder durch eine anspruchsvolle Normierungstechnik disponible Bereiche herausarbeiten können. Zu beachten sind die Entstehungsgeschichte und die Systematik des Klammerzitats, die abweichende allgemeine Ziele und Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung zulässt.201 bb) Das ‚Wasser‘ im Gefüge stoffbezogener Regelungen Der Stoffbegriff des Wasserhaushaltsrechts ist mit Blick auf den Schutzzweck weit auszulegen. Die kompetenzielle Funktionsbeschreibung und Auslegung dürfen dabei jedoch keine Prämissen aufstellen, die eine funktionsgerechte Kompetenzaufteilung und -abgrenzung vereiteln. Die ‚Gewässer‘ selbst sind demnach nicht unter den Stoffbegriff des Klammerzitats zu fassen. Ein anderweitiger Standpunkt würde das Wasserwirtschaftsrecht der 198 Aus der Fülle des Schrifttums und mit kritischen Tönen M. Reinhardt, in: ders. (Hg.), Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 9 (24 ff.) und zum qualitätsorientierten Umweltschutz J. Albrecht, Umweltqualitätsziele, 2007, passim. 199 Paradigmatisch C. Port, Die Umweltziele der Wasserrahmenrichtlinie, 2011, S. 93 ff. 200 So zu Recht K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, Einl. Rn. 15; noch weiter ders., in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 27 WHG Rn. 8. Wie hier wohl auch W. Durner, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 65. Erg.Lfg. April 2012, Vorb. zu den §§ 27–31 WHG Rn. 13: „Stoffbezogen sind in den §§ 27 bis 31 WHG vor allem die Regelungen über den chemischen Gewässerzustand.“ 201 Näher hierzu vorstehend in Kapitel 1 sub II. 3.
282 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Rechtsänderungsbefugnis der Länder nahezu vollständig entziehen.202 Die Begründung zur Föderalismusreform 2006 führte explizit „das Einbringen und Einleiten von Stoffen“ auf, welches bundeseinheitlich normiert werden soll.203 Überprüfungsbedürftig bleibt indessen, ob und inwieweit ‚Wasser‘ unter den Stoffbegriff des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG subsumiert werden kann. Als chemisches Element lässt sich Wasser aus naturwissenschaftlicher Sicht grundsätzlich als Stoff bezeichnen. In der DIN 4049 Teil 1 Nr. 1.10 wird es einschließlich seiner mitgeführten, gelösten, emulgierten und suspendierten Bestandteile erfasst. ‚Wasser‘ erfüllt in jedweder Form, nämlich als Grundwasser, Niederschlagswasser, Brackwasser, Schmutzwasser, Abwasser oder Wasser aus oberirdischen Gewässern, den stoffbezogenen Tatbestand des Einleitens von Stoffen in Gewässer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 WHG.204 So unterfällt dem Benutzungsregime das einem Gewässer zuvor entnommene Wasser oder erschrotene Grundwasser.205 Das Wasserhaushaltsgesetz unterscheidet Wasser von Gewässern.206 Dabei wird das Gewässer als funktionale Einheit von Wasser und Bett betrachtet.207 Das Vorhaben einer eindeutigen Aufteilung der Kompetenzsphären macht in Ansehung vorbenannter Differenzierungen eine schutzzweckbezogene Abschichtung des Stoffbegriffs erforderlich. Sofern ‚Wasser‘ Schutz- und Regelungsgegenstand des Wasserhaushaltsgesetzes und Teil des zu bewirtschaftenden Wasserhaushalts ist, scheidet es als indisponibler Stoff im Sinne der Bereichsausnahme aus. Es existieren daneben Konstellationen, in denen das Wasser etwa als gesammeltes Niederschlagswasser eine gegebenenfalls vom Schutzgut zu trennende Materie ist. Diesbezüglich ist es folgerichtig, auch ‚Wasser‘ unter den Stoffbegriff der Bereichsausnahme zu subsumieren.208 Daneben ist auf erhitztes Wasser hinzuweisen, welches aus dem Kühlturm eines Kraftwerks kommend wieder in ein Gewässer eingeleitet wird. Jedwedes erhitzte Wasser zeitigt unabhängig von einer bestimmten Schadstofffracht signifikante Auswirkungen auf das aquatische Ökosystem. Mit einer Zuordnung des Wassers zum Stoffbegriff der Bereichsausdiesem Hinweis bereits E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282). des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 204 Vgl. die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 35. 205 So auch das OVG Schl.-H., Beschl. v. 6. Dezember 1995, Az.: 2 L 188/95, abgdr. in ZfW 1997, S. 125: „Stoff i. S. von § 3 I Nr. 5 WHG ist auch das dem Grundwasser zuvor selbst entnommene Wasser.“ 206 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 3 WHG Rn. 7. 207 BGH, Urt. v. 1. März 1984, Az.: ZR 3/83, abgdr. in ZfW 1984, S. 352 ff. 208 Ähnlich M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 206 f. 202 Mit
203 Begründung
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats283
nahme wird der interpretatorischen Unsicherheit aus dem Weg gegangen, wann Wasser nicht in seiner Funktion als Schutzgut, sondern als eine potentiell belastete Substanz in Rede steht. Demgemäß sind alle Einleitungstatbestände als stoffbezogene Regelungen zu erachten. Bestimmendes Kriterium zur Unterscheidung des Stoffbegriffs ist insoweit der Schutzzweck der jeweiligen Vorgabe. d) Die auf Stoffe ‚bezogenen‘ Regelungen Der ‚Bezug‘ auf einen stofflichen Vorgang stellt sich weniger kompliziert dar als hinsichtlich der anlagenbezogenen Regelungen. Dessen ungeachtet sind zwei Themenfelder intensiver zu beleuchten. Dies betrifft die Disponibilität des Abgabenrechts (nachstehend sub aa)) und die von Vorgaben, die den indirekten Schutz vor Stoffen bezwecken (nachstehend sub bb)). aa) Die Zuständigkeit zur Erhebung von Abgaben Zu den Instrumenten der indirekten Verhaltenssteuerung gehören die Regelungen über die Abwasser- und Wasserentnahmeabgaben.209 Namentlich das Abwasserabgabenrecht zählt zu den wichtigsten Elementen der Verhaltenssteuerung wirtschaftsrelevanter Tätigkeiten, die Auswirkungen auf die Umwelt haben. Das noch rahmenrechtlich210 geprägte und mehrfach novellierte Abwasserabgabengesetz vom 1. Januar 1978 gilt nach Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort.211 Es wurde durch das Wasserrechtsneuregelungsgesetz lediglich redaktionell an das Wasserhaushaltsgesetz 2010 angepasst, ohne einer Vollregelung zugeführt zu werden. Demgemäß bleibt erörterungswürdig, wie sich die Zuständigkeitsverteilungsklausel des Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG auf das Regelungsmandat zur Erhebung der Abgaben auswirkt. Soweit aus den Materialien ersichtlich ist, maß man dem Komplex des Abgabenrechts im Rahmen der Verfassungsreform keine Konfliktträchtigkeit zu. So bietet nur die Stellungnahme des bayerischen Vertreters in der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatJ. Salzwedel, WuA 3/2006, S. 14 (16 ff.). Abs. 1 Nr. 4 GG a. F. 211 Zur rahmenrechtlichen Prägung des Abwassergesetzes P. Nisipeanu, Abwasserrecht, 1991, S. 525 ff.; anschaulich ders., ZfW 2006, S. 125 ff.; H. Köhler/C. C. Meyer, Abwasserabgabengesetz, 2. Aufl. 2006, Einl. Rn. 16 ff. und zur Fortgeltung M. Kallerhoff, Die Übergangsrechtliche Fortgeltung von Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 98 ff. 209 Näher
210 Art. 75
284 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
lichen Ordnung einen unverbindlichen Anhaltspunkt zur Sichtweise des verfassungsändernden Gesetzgebers: „Das Abgabenrecht müsse der Ebene zugeordnet werden, die die jeweilige Gesetzgebungskompetenz besitze.“212
Mit diesem Standpunkt korrespondiert die überwiegende Ansicht im Schrifttum, wonach das Recht zur Erhebung der Abwasserabgaben zum indisponiblen Klammerzitat des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG gehört.213 Die Finanzverfassung enthält keine abschließende Enumeration zulässiger Abgabentypen und lässt solche nicht-steuerliche Abgaben neben den in Art. 105 ff. GG niedergelegten Finanzierungsquellen zu.214 Dabei knüpfen die nicht-steuerlichen Abgaben an die jeweilige Sachkompetenz an.215 Die Föderalismusreform intendierte, die Zuständigkeitsordnung zu entflechten und eine eindeutigere Zuordnung der verschiedenen Sachmaterien vorzunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Zuordnung der mittelbaren Steuerungsinstrumente an denjenigen Gesetzgeber, der die weiterreichende Gestaltungsmacht aufweist, folgerichtig. Der Bund verfügt insoweit über die indisponible Normsetzungskompetenz für die stoffbezogenen Vorgaben des Abwasserabgabenrechts und die Länder für die Wasserentnahmeabgaben.216 Erste Abgrenzungsfragen stellen sich im Bereich des Abwasserabgabenrechts, wenn Erhebungs- und Bemessungsmodalitäten der Abwasserabga212 So W. Schön, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsgruppe 1, 3. Sitzung vom 11. März 2004, Protokollvermerk, S. 24. 213 E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (278); K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, Einl. Rn. 15. Abweichend D. Zöllner, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp (Hg.), WHG/AbwAG, 36. Erg.-Lfg. August 2008, Vorb. AbwAG Rn. 7a: „Da hierunter nach dem Wortlaut und der bisherigen Regelungssystematik aber nur die unmittelbar dem Gewässerschutz dienenden Vorschriften (des Wasserhaushaltsgesetzes und der Landeswassergesetze) über den ordnungsgemäßen Umgang mit Gewässern und wassergefährdenden Stoffen bzw. Anlagen zu verstehen sind […], gehört das Abwasserabgabenrecht mit seinem nur indirekt verhaltenssteuernden Wirkungsmechanismus zu den (wenigen) wasserhaushaltsrechtlichen Sachmaterien, in denen die Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 GG n. F. abweichende Vorschriften erlassen können […].“ Sachverständigenrat für Umweltfragen, Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, Stellungnahme vom 10. Februar 2006, S. 13 f. 214 BVerfGE 78, 249 (266 f.); 82, 159 (178); P. Kirchhof, in: Isensee/ders. (Hg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 119 Rn. 13. 215 Vgl. BVerfGE 98, 93 ff.; 98, 106 ff. und A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2010, Art. 70 GG Rn. 87. 216 Die Wasserentnahme gehört nicht zu der Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 1 Nr. 5 GG, K. Berendes, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 129 (132).
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats285
benerhebung in Rede stehen. Nach § 10 Abs. 4217 in Verbindung mit Absatz 3218 AbwAG lassen sich investive Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen mit der Abwasserabgabe verrechnen, soweit die Maßnahmen zu einer Verringerung der Schadstofffracht führen. In zwei Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts stellte sich der beklagte Freistaat Sachsen auf den Standpunkt,219 dass sich Aufwendungen für den Bau eines Niederschlagswasserkanals nicht mit der geschuldeten Abwasserabgabe verrechnen lassen. Einerseits stand in Frage, ob der Niederschlagswasserkanal, der das Wasser direkt in ein Gewässer und nicht in eine Zentralkläranlage einleitet, mit dem Schmutzwasserkanal bzw. den Vorrichtungen der Kläranlage eine einheitliche Anlage bildet. Andererseits wurde in Zweifel gezogen, inwieweit die Trennung des Niederschlagswassers zu einer Verminderung der Schadstofffracht führt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht anschloss, bildet der Schmutzwasser- und Niederschlagswasserkanal eine einheitliche Anlage.220 Die gesamten Aufwendungen für den Bau des Schmutzwasser- sowie des Niederschlagswasserkanals sind demgemäß nach § 10 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 AbwAG verrechenbar.221 Folgt man den Erwägungen von Rüdiger Breuer, so können die Länder die Verrechnungsmöglichkeiten für die Errichtung von Niederschlagswasserkanälen abweichend vom Bundesrecht regeln. Dafür spreche, dass „diese Investitionen keine Verringerung der Schadstofffracht bewirken 217 § 10 Abs. 4 AbwAG: „Für Anlagen, die das Abwasser vorhandener Einleitungen einer Abwasserbehandlungsanlage zuführen, die den Anforderungen des § 60 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes entspricht oder angepasst wird, gilt Absatz 3 entsprechend mit der Maßgabe, dass bei den Einleitungen insgesamt eine Minderung der Schadstofffracht zu erwarten ist.“ 218 § 10 Abs. 3 AbwAG: „Werden Abwasserbehandlungsanlagen errichtet oder erweitert, deren Betrieb eine Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen in einem zu behandelnden Abwasserstrom um mindestens 20 vom Hundert sowie eine Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer erwarten lässt, so können die für die Errichtung oder Erweiterung der Anlage entstandenen Aufwendungen mit der für die in den drei Jahren vor der vorgesehenen Inbetriebnahme der Anlage insgesamt für diese Einleitung geschuldeten Abgabe verrechnet werden. […]“ 219 OVG Bautzen, Beschl. v. 8. April 2011, Az.: 4 A 40/09, Rn. 5 ff., 10, 12 und Beschl. v. 17. Mai 2011, Az.: 4 A 41/09, Rn. 5 ff. 220 So die Rechtsprechung des BVerwG, Urt. v. 26. Juni 2008, Az.: 7 C 2/08, Rn. 20 ff.; OVG Bautzen, Beschl. v. 8. April 2011, Az.: 4 A 40/09, Rn. 5 und Beschl. v. 17. Mai 2011, Az.: 4 A 41/09, Rn. 7 (jeweils zitiert nach juris). Anderes will R. Breuer, NVwZ 2012, S. 200 (201 f.) aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts herauslesen, wonach nicht von einer einheitlichen Anlage auszugehen sei. 221 Vgl. a.a.O, abweichend R. Breuer, NVwZ 2012, S. 200 (201 ff.).
286 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
und von den Abwasserbehandlungsanlagen und der Abwasserreinigung abgetrennt sind“. Die Motive für eine solche Maßnahme folgen allein wasserwirtschaftlichen Prämissen wie des Wasserabflusses oder des Hochwasserschutzes. „Diese Motive sind gerade nicht stoff- oder anlagenbezogen, sondern auf den mengen- und flächenbezogenen Wasserhaushalt ausge richtet.“222 Gegen diesen Standpunkt sprechen gewichtige Aspekte. Eine kompetenzielle Betrachtung muss auch eine generalisierende Maßstabbildung berücksichtigen. Die Ordnung des Abwasserabgabenrechts ist dem Bund als abweichungsresistente Materie zugewiesen. In Rede steht die Einleitung von Niederschlagswasser aus einer wasserwirtschaftlichen Kanalanlage. Die Vorgabe ist demnach grundsätzlich stoff- und anlagenbezogen. Inwieweit die Trennung der Niederschlagswassereinleitung zu einer signifikanten Verringerung der Schadstofffracht und Verbesserung der Abwasseraufbereitung führt, beurteilt sich in Abhängigkeit der jeweiligen örtlichen und technischen Gegebenheiten. Das Niederschlagswasser lässt sich als ein auf den Wasserhaushalt einwirkender Stoff in eine abgabenrechtliche Regelung des Abwasserrechts einbeziehen. Im Ergebnis wird man § 10 AbwAG insgesamt als abweichungsfest erachten müssen. bb) Der passive Stoffschutz als Gegenstand der Bereichsausnahme Das Wasserhaushaltsgesetz enthält verschiedene Bestimmungen, die den Wasserhaushalt vor dem Eintrag von Stoffen schützen sollen, indem sie Vorgaben an die Gestaltung und die Bewirtschaftung von Räumen neben dem Gewässerbett aufstellen. Hierzu gehört etwa die Bestimmung zu Gewässerrandstreifen. Nach § 38 Abs. 1 WHG dienen sie „der Erhaltung und Verbesserung der ökologischen Funktionen oberirdischer Gewässer, der Wasserspeicherung, der Sicherung des Wasserabflusses sowie der Verminderung von Stoffeinträgen aus diffusen Quellen.“ Ähnliche Vorgaben finden sich in § 78 Abs. 1 Nr. 6 und 8 WHG, die in festgesetzten Überschwemmungsgebieten „das Erhöhen oder Vertiefen der Erdoberfläche“ bzw. „die Umwandlung von Grünland in Ackerland“ untersagen.223 Fest steht immerhin der Schutzzweck, die Gewässer vor Schadstoffeinträgen und den Wasserabfluss zu schützen. Einer Klärung bedarf, ob solche Vorgaben auf Stoffe ‚bezogen‘ sind.
222 R. Breuer, 223 Vgl.
NVwZ 2012, S. 200 (205). auch § 38 Abs. 4 Nr. 1 WHG.
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats287
(1) Meinungsstand Verschiedentlich wird festgestellt, die Bestimmung zu den Gewässerrandstreifen sei weder eine stoff- noch eine anlagenbezogene Regelung.224 Der Gewässerrandstreifen diene im Kern der Erhaltung und der Verbesserung der ökologischen Funktion oberirdischer Gewässer. Die Vorschrift sei eine Regelung des Wasserhaushalts und umfänglich von der Befugnis zur Abweichung erfasst. Die intendierte Steuerungs- und Schutzwirkung vor diffusen Stoffeinträgen führe nicht zu einer stoffbezogenen Vorgabe im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GG. Nach dieser Lesart sind explizite Anforderungen an bestimmte Stoffe zu stellen, um eine landesrechtliche Divergenz auszuschließen. Zwar wird anerkannt, § 38 Abs. 4 Nr. 3 WHG weise einen solchen Stoffbezug auf, doch habe dieser keine Folgewirkung auf die Indisponibilität der Vorschrift. Nach gegenteiligem Standpunkt lässt sich in § 38 WHG ein indisponibler Stoffbezug erblicken, wobei die Auffassungen im Einzelnen divergieren. In besonderer Klarheit erkennt ein Standpunkt bereits in der allgemeinen Zielrichtung des Schutzes vor diffusen Quellen einen grundgesetzlichen Stoffbezug.225 Daneben wird hinsichtlich der Absätze 2 bis 5 differenziert.226 Vorliegend soll das Augenmerk jedoch auf den Grundtatbestand des Absatzes 1 gelegt werden. Ein ähnliches Meinungsbild wird mitunter zu § 78 Abs. 1 Nr. 6 und 8 WHG vertreten.227 Die Vorgaben seien indisponibel stoffbezogen, weil die Verbote der Erosionsneigung von Ackerland Rechnung tragen würden. Aus Erosionen erwachse die Gefahr von Abschwemmungen und des Eintrags von Schadstoffen in Gewässer.
224 U. Drost,
WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 38 WHG Rn. 8. Abweichungskompetenz, 2012, S. 273; wohl auch M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 38 WHG Rn. 3. Im Ergebnis offengelassen F. Niesen, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 38 WHG Rn. 23. 226 So rekurriert K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, § 38 WHG Rn. 10 allein auf diese einzelnen Untersagungstatbestände, ohne den Grundtatbestand als abweichungsfest zu erachten. Ähnlich D. Riedel, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. April 2014, § 38 WHG Rn. 3. Kritisch zur Klassifizierung als disponible Norm H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 4 f. 227 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 320 f. 225 M. Foerst,
288 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
(2) Stellungnahme Die unterschiedlichen Standpunkte lassen sich auf die Frage zurückführen, ob die Zwecksetzung des § 38 Abs. 1 WHG, Stoffeinträge aus diffusen Quellen zu minimieren, hinreichend konkret ist, damit die Vorgabe abweichungsfest ist. Die von Ulrich Drost postulierte Prämisse, eine Norm müsse explizite Anforderungen an bestimmte Stoffe stellen,228 erscheint zu weitreichend. Dem Gesetzgeber sollte es möglich sein, in abstrahierender Weise eine landesrechtliche Abweichung auszuschließen, ohne minutiös Anforderungen an bestimmte Stoffe im Normtext vorzugeben. Zu Recht weist Drost darauf hin, dass für einen indisponiblen Tatbestand eine nähere Verknüpfung mit einem stoffbezogenen Vorgang erforderlich ist.229 Der Gesetzgeber begründet das Erfordernis der Vorschrift wie folgt: „Die nach der Wasserrahmenrichtlinie vorgelegte Bestandsaufnahme zum Zustand der Gewässer hat gezeigt, dass gerade bei den diffusen Verschmutzungsquellen erhebliche Defizite bestehen, die durchgreifend nur mit der in § 38 vorgesehenen bundesweiten Regelung behoben werden können.“
Zieht man die Begründung zum Klammerzitat hinzu, so sind auf Stoffe ‚bezogen‘ all diejenigen Vorgaben, deren Gegenstand stoffliche Einwirkungen auf den Wasserhaushalt betreffen. § 38 WHG intendiert einen passiven Schutz. Dennoch ist der Stoffbezug im Norm- und Begründungstext zu § 38 WHG nur schemenhaft auszumachen. Die stofflichen Vorgänge in dem angrenzenden Gelände finden regelmäßig außerhalb des Anwendungsbereichs des Wasserhaushaltsgesetzes im Rahmen der Landwirtschaft durch ausgebrachte Dünge- und Pflanzenschutzmittel statt. Insoweit ließe sich erwägen, einen engeren Zusammenhang mit den wasserrechtlichen Vorgaben zu verneinen. Aus fachlicher Sicht230 mindert die Festsetzung von Gewässerrandstreifen die stofflichen Einwirkungen auf den Wasserhaushalt und wird damit dem grundgesetzlichen Begründungstext gerecht. Ferner stützt die Entstehungsgeschichte der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG eine Abweichungsfestigkeit von Regelungen des passiven Stoffschutzes, denn die Länder konnten den Stoffbezug im zugehörigen Begründungstext nicht auf die von Anlagen ausgehenden stofflichen Belastungen begrenzen.231 228 U. Drost,
WHG, Bd. I, Stand Juli 2010, Art. 21 BayWG Rn. 6. den Anforderungen bereits Kapitel 6 sub II. 1. c). 230 Vgl. R.-D. Dörr/A.-B. Walter, WuA 7-8/2009, S. 44 ff.; Landesumweltamt Brandenburg, Ausweisung von Gewässerrandstreifen, Studie zur Erarbeitung von Grundlagen für die Ausweisung von Gewässerrandstreifen, Bd. 10, S. 10 ff. und H. Patt/P. Jüring/W. Kraus, Naturnaher Wasserbau: Entwicklung und Gestaltung von Fließgewässern, 4. Aufl. 2011, S. 279 ff. 231 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der Bereichsausnahme Kapitel 4 sub II. 2. 229 Zu
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats289
Da sich zu zahlreichen Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes erwägen lässt, dass diese zumindest passiv vor Stoffen schützen und damit indisponibel sind, bedarf eine abweichungsfeste Vorgabe einer eindeutigen Anknüpfung des passiven Schutzes an einen stofflichen Vorgang. Die Errichtung eines Gewässerrandstreifens mindert zwar unter bestimmten Voraussetzungen den stofflichen Eintrag in das Gewässer,232 er selbst bezieht sich jedoch nicht auf Stoffe oder stoffliche Vorgänge. Im Vordergrund steht die Erhaltung und Verbesserung der ökologischen Funktionen oberirdischer Gewässer, die Wasserspeicherung, die Sicherung des Wasserabflusses sowie der Verminderung von Stoffeinträgen aus diffusen Quellen. Ein Gewässerrandstreifen bezieht sich – um in der Terminologie des Begründungstextes233 zu bleiben – nicht dergestalt auf Stoffe, indem er ein Regelungsgegenstand mit ‚stofflichen Einwirkungen auf den Wasserhaushalt‘ ist. Eindeutig ist der Stoffbezug hingegen, wenn der Gesetzgeber in § 38 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 WHG in Gewässerrandstreifen den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen untersagt. Die komptenzielle Zuordnung der Vorschrift wirft einige Fragen auf. Die Betrachtung des Fachrechts und die wasserwirtschaftlichen Untersuchungen weisen auf den ökologischen Zugewinn von Gewässerrandstreifen hin. Insoweit bleibt der stoffliche Bezug der Vorschrift ‚diffus‘. Neben dem Ziel einer besseren ökologischen Funktionsfähigkeit von Gewässerrandstreifen stand der Schutz des Gewässers vor diffusen Stoffeinträgen im Mittelpunkt des Gesetzgesetzgebungsverfahrens. Die Bestimmung des § 38 WHG ist dem Grunde nach eine spezielle Ausgestaltung der Gewässerunterhaltung, die verschiedene Funktionen erfüllt.234 Die darin enthaltenen stoffbezogenen Vorgaben sind für die Länder grundsätzlich indisponibel. Zwar bringt bereits die Öffnungsklausel in § 38 Abs. 3 Satz 2 WHG zum Ausdruck, der 232 Der Effekt von begrünten Filterstreifen hängt von vielen Parametern ab, die sich hier kaum abbilden lassen. Im Zeitpunkt des Eintritts des Oberflächenabflusses in den Filterstreifen sind die Fließgeschwindigkeit und die Wassermenge maßgeblich für die Schutzfunktion des Streifens. Kritik an dieser Maßnahme zum Schutz von Oberflächengewässern kommt unter anderem von M. Bach, Gewässerrandstreifen – Aufgaben und Pflege, in: Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege, Stand 1. Erg.-Lfg. 3/00, Gewässerrandstreifen VIII-7.15.1. Danach sei der flächenhafte Eintritt von Oberflächenabfluss Voraussetzung für eine effektive Filterleistung. Bei Gewässern mit einem flächenhaften Eintrag von 6 % des Oberflächenabflusses betrage der Stoffrückhalt durch die Uferstreifen nur noch rund 5 % der gesamten diffusen Stoffeinträge aus dem Einzugsgebiet. 233 Vgl. die Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 234 Vgl. Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. Im Ergebnis auch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, § 38 WHG Rn. 10. Kritisch zur Klassifizierung als disponible Norm H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 4 f.
290 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
Bund habe „die ihm zustehende Gesetzgebungskompetenz nicht in vollem Umfang ausgeschöpft“, unbenommen dessen sind die Länder insgesamt befugt, über die Vorschrift zu disponieren.235 Ebensolche Erwägungen gelten auch mit Blick auf die Verbote in § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 8 WHG. Beispielhaft sei das Grünlandumbruchsverbot nach Nummer 8 benannt. Ausweislich des Begründungstextes wurde das Verbot aufgestellt, „um der Bodenerosion zu begegnen. Außerdem werden die Gewässer durch die bei der Überschwemmung von Ackerflächen entstehenden Verschlammungen im Vergleich zum Grünland erheblich stärker mit […] belastet und in ihrem Sauerstoffgehalt beeinträchtigt.“ Das Grünlandumbruchsverbot und die dadurch etwaig bewirkte Verminderung einer Schadstofffracht ist nicht bzw. zu unbestimmt auf einen Stoff ‚bezogen‘.236 Dem Bundesgesetzgeber steht es frei, stoffliche Vorgaben bzw. Untersagungstatbestände abweichungsfest auszugestalten, etwa indem er das Ausbringen von Düngemitteln in bestimmten Bereichen untersagt. Der Regelungsgegenstand des Grünlandumbruchverbots ist auf Böden und nicht auf Stoffe oder stoffliche Vorgänge bezogen. Wiederum bedarf die indisponible Bereichsausnahme eines konkreten Bezugs zu einem Stoff bzw. zu einem stofflichen Vorgang. Ein solcher Bezug ist notwendig, wenn sich die stoffund anlagenbezogene Bereichsausnahme nicht jeglicher Kontur entledigen soll. Dies insbesondere deshalb, weil der überwiegende Teil der materiellen Vorgaben des Wasserhaushaltsgesetzes neben anderen Zielen – wie dem der Wassermengenbewirtschaftung – letztlich der Verbesserung der stofflichen Gewässerbeschaffenheit dient.237 3. Die Disponibilität des Planungsrechts Ein zentrales Element des Bewirtschaftungsregimes bildet die Fachplanung mit den europarechtlich unterlegten Maßnahmenprogrammen und Bewirtschaftungsplänen gemäß §§ 82 ff. WHG.238 Die Umsetzung und Durchsetzung der Programme obliegt den Ländern. Das Wasserhaushaltsgesetz sieht daneben weitere Instrumente vor. Dazu gehören das Planfeststellungsverfahren und die Plangenehmigung, vgl. §§ 19, 39, 68 f. WHG sowie im Hochwasserschutz Risikomanagementpläne, § 75 WHG. Das in seinen 235 Siehe
dazu den Begründungstext in der BT-Drucks. 16/12275, S. 62. zur Bewertung des Schutzes vor diffusen Einträgen nachfolgend in sub III. 2. c). 237 Ähnlich U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 38 WHG Rn. 8. 238 Instruktiv zu den europäischen Planungsinstrumentarium K. F. Gärditz, Europäisches Planungsrecht, 2009, S. 48 ff. und W. Durner/R. Ludwig, NuR 2008, S. 457 ff. 236 Näher
II. Strukturelemente des stoff- und anlagenbezogenen Klammerzitats291
Einzelheiten diffizile und umstrittene Planungsrecht ist zumindest dahingehend zu untersuchen, ob und inwieweit die Länder hierüber disponieren können. a) Meinungsstand Im Schrifttum bildeten sich bisher zwei Standpunkte heraus, die beide zwischen den verschiedenen Instrumenten differenzieren. Dabei werden die planungsrechtlichen Vorgaben insgesamt als abweichungsresistent erachtet, soweit sie anlagenbezogen sind.239 Nach einer Ansicht sind zudem die Vorgaben für die Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne gemäß §§ 82, 83 WHG indisponibel. Diese würden die indisponiblen stoffbezogenen Bewirtschaftungsziele gemäß §§ 27 bis 31, 44 und 47 WHG konkretisieren. Überdies seien die festzulegenden Maßnahmen in den Maßnahmenprogrammen in Entsprechung des Art. 11 WRRL schwerpunktmäßig stoffoder anlagenbezogen.240 Gleiches gelte für die Bewirtschaftungspläne, die gemäß Anhang VII A. 2. der WRRL beispielsweise eine Zusammenfassung der signifikanten Belastungen enthalten müssen. Berendes und Drost stehen demgegenüber auf dem Standpunkt, dass sowohl die Vorgaben für die Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne als auch die Risikomanagementpläne disponibel sind.241 Von den Vorgaben zu den Maßnahmenprogrammen abweichendes Landesrecht findet sich bislang in § 117 Abs. 2 Satz 1 NdsWG,242 der ausweislich seines Wortlauts von § 82 Abs. 5 WHG243 abweicht.244 239 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 67 Rn. 7, § 68 Rn. 8, § 69 Rn. 4, § 70 Rn. 6; M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 313 ff. 240 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 326 ff. 241 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 10/13, § 75 Rn. 11, § 82 Rn. 12, § 83 Rn. 14; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand September 2011, § 82 WHG Rn. 6. 242 § 117 Abs. 2 NdsWG: „Beruhen die Ursachen für das Nichterreichen der Bewirtschaftungsziele auf Umständen natürlicher Art oder höherer Gewalt, die außergewöhnlich sind oder nach vernünftiger Einschätzung nicht vorhersehbar waren, so kann abweichend von § 82 Abs. 5 WHG festgestellt werden, dass Zusatzmaßnahmen in der Praxis nicht durchführbar sind; § 31 Abs. 1 WHG bleibt unberührt. Die Nichtdurchführbarkeit ist aktenkundig zu machen.“ 243 § 82 Abs. 5 WHG: „Ergibt sich aus der Überwachung oder aus sonstigen Erkenntnissen, dass die Bewirtschaftungsziele nach Maßgabe der §§ 27 bis 31, 44 und 47 nicht erreicht werden können, so sind die Ursachen hierfür zu untersuchen, die Zulassungen für Gewässerbenutzungen und die Überwachungsprogramme zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen sowie nachträglich erforderliche Zusatzmaßnahmen in das Maßnahmenprogramm aufzunehmen.“ 244 Dazu bereits M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 335 f.
292 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
b) Stellungnahme Im Verlauf der Untersuchung wurde bereits auf die Abweichungsoffenheit der wasserhaushaltsrechtlichen Ziele und Grundsätze245 und des Verfahrensrechts hingewiesen.246 Im Rahmen der Vorarbeiten zur Föderalismusreform wurde das Planungsrecht allgemein als disponibel erachtet.247 Doch bereits die Disponibilität der Bestimmungen über die Planfeststellung nach den §§ 67 ff. WHG werfen angesichts der Entstehungsgeschichte der Bereichsausnahme Zweifelsfragen auf. Die Anordnung eines bestimmten Verfahrens für die in Rede stehenden Deich-, Damm- und Küstenschutzbauten ist als stoff- oder anlagenbezogener Vorgang abweichungsfest. Das betrifft in der Folge auch die materiellen Entscheidungsmaßstäbe der §§ 68 Abs. 3, 69 und 70 WHG. Differenzierter beurteilt sich dies mit Blick auf die Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne. Allein die Umsetzung von indisponiblen Vorgaben macht die planungsrechtlichen Bestimmungen nicht abweichungsresistent. Zudem richten sich die Vorgaben als Binnenrecht allein an die Vollzugsbehörden und weisen einen äußerst umstrittenen Rechtscharakter auf.248 Unbenommen ihres Charakters unterfallen Maßnahmenprogramme dem Handlungsinstrument der Planung. Diese entzieht sich mit ihrer Rechtsformenvielfalt einem spezifischen Planbegriff.249 Planung ist jedenfalls eine administrative Handlungsform, deren prägender Kern die Zukunftsgerichtetheit ist.250 § 82 Abs. 2 und 3 WHG verweist hinsichtlich der aufzunehmenden Maßnahmen auf Art. 11 WRRL. Der dort niedergelegte Katalog enthält sowohl zahlreiche stoff- und anlagenbezogene als auch sonstige Maßnahmen. Das Ziel und die verwandten Mittel der Zielerreichung sind gleichermaßen teilweise abweichungsfest. Dessen ungeachtet bleiben die Vorgaben an den 245 Vorstehend 246 Zur
sub 2. c) aa). Abweichungsresistenz des Verfahrensrechts nachfolgend unter Kapitel 9
sub II. 2. 247 Vgl. dazu nur in Kapitel 1 sub II. 3. und statt anderer die Stellungnahme des BMU, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0008, S. 14: „Nach den Vorstellungen des Saarlandes soll die Regelungskompetenz für die Umweltplanung insgesamt den Ländern zugewiesen werden; Bayern und Nordrhein-Westfalen möchten zumindest die Abfallwirtschaftsplanung der ‚Leitgesetzgebung‘ zuordnen (PAU-4/0004).“ 248 Dazu ausführlich W. Durner, NuR 2009, S. 77 (78 ff.); K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 82 Rn. 5; K. Faßbender, NVwZ 2001, S. 241 (248); G.-M. Knopp, NVwZ 2003, S. 275 (249). 249 Instruktiv R. Schröder, Verwaltungsrechtsdogmatik im Wandel, 2007, S. 99 ff. und M. Schulte, in Erbguth u. a. (Hg.), Fests. Hoppe, 2000, S. 153 ff. 250 Näher aus europäischer Perspektive K. F. Gräditz, Europäisches Planungsrecht, 2009, S. 13 ff.
III. Resümierende Stellungnahme293
Planungsprozess selbst, in dem die Zielvorgaben konkretisiert werden, abweichungsoffen. Die Maßnahmenprogramme führen planende und ausführende Elemente zusammen, ohne die normativen Planvorgaben zu vollziehen.251 Die konkreten Maßnahmen sind nach wohl überwiegender Auffassung aus dem Bewirtschaftungsplan abzuleiten,252 wobei zwischen den Maßnahmenprogrammen und den Bewirtschaftungsplänen keine Planungshierarchie besteht.253 Abschließend bleibt festzuhalten, dass Vorgaben hinsichtlich des Planungsprozesses dem Grunde nach disponibel sind, soweit keine expliziten stoff- oder anlagenbezogenen Vorgaben aufgestellt werden. Demgemäß ist die Vorgabe in § 117 Abs. 2 NdsWG, die den Wortlaut von Art. 11 Abs. 5 Satz 2 WRRL wiedergibt, verfassungsgemäß.254
III. Resümierende Stellungnahme Die abweichungsresistente Bereichsausnahme umfasst wesentliche Elemente der öffentlich verantworteten Gewässerbewirtschaftung und zeichnet die Gesetzgebung der zurückliegenden Dekaden nach. Wenngleich die im Begründungstext verwandte Bezeichnung des ‚Kerns‘ nur begrenzt sinnstiftend und nicht im strengen Wortsinne zu verstehen ist. Gegen die im Schrifttum eingeführte Bezeichnung des ‚Bereichs‘ lassen sich hingegen ähnliche Erwägungen vorbringen. Die beiden Teile des Klammerzitats, nämlich der Stoff- als auch der Anlagenbezug, greifen ineinander und interferieren miteinander. Zu einer funktionsgerechten Abgrenzung der wasserrechtlichen Befugnisordnung gelangt der Rechtsuchende bereits anhand einer schutzzweckbezogenen Interpreta tion. Dabei ist stets der diskursive Prozess der Entstehungsgeschichte im Blick zu behalten. Anderenfalls besteht die Gefahr einer Ausweitung des Klammerzitats. Zurückhaltung ist insoweit auch bei einer Übertragung bekannter einfachgesetzlicher Begrifflichkeiten angezeigt. Das Klammerzitat erlaubt es dem Bundesgesetzgeber, den „Kern wirtschaftsrelevanter Betätigung in Deutschland [für das Wasserwirtschaftsrecht, d. Verf.] bundeseinheitlich“ zu normieren.255 Dem Leitgedanken des indisponiblen Klammer 251 M. Oldiges, in: ders. (Hg.), Umweltqualität durch Planung, 2006, S. 115 (117 ff.); W. Durner/R. Ludwig, NuR 2008, S. 457 (458). 252 Statt anderer nur M. Reinhardt, ZfW 1999, S. 300 (305) und demgegenüber R. Breuer, NuR 2007, S. 503 (508). 253 M. Appel, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 82 Rn. 11 mit weit. Nachw. 254 Abweichend M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 335 f. 255 K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (182).
294 Kap. 6: Funktionen der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme
zitats folgend, verfügt der Bund über das Instrumentarium, alle zulassungspflichtigen Benutzungstatbestände indisponibel auszugestalten, die auf anlagenmäßige oder stoffliche Vorgänge Bezug nehmen.256 Bereits die Entstehungsgeschichte der Bereichsausnahme weist auf einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Anlagenbegriff hin.257 Ohne sich auf technische Anlagen zu beschränken, reicht der grundgesetzliche Begriff über die seinerzeit vorgefundenen wasserrechtlichen Anlagenbestimmungen hinaus. Ein gegenteiliger Standpunkt würde die Funktion der Bereichsausnahme verkennen, die eine integrierte Vorhabengenehmigung in einem Umweltgesetzbuch abweichungsfest absichern sollte. Eine ebensolche Vorhabengenehmigung sollte alle Vorhaben erfassen und sich nicht lediglich auf originär technische Anlagen beschränken.258 Ein ‚Gewässer‘ selbst unterfällt als Schutzgut des Wasserhaushaltsgesetzes in keiner erkennbaren Konstellation dem Anlagenbegriff. Der Anlagenbegriff ist nach allen Seiten hin offen. Die Begrifflichkeit erfasst zumindest jede geschaffene ortsfeste oder ortsbewegliche Vorkehrung, Vorrichtung oder einen künstlich geschaffenen Zustand von einiger Dauer, der bzw. die auf die Gewässereigenschaft, den Zustand des Gewässers, die Wasserbeschaffenheit oder den Wasserabfluss einwirken kann. Aufgrund der Vielzahl von erfassten Anlagen wird die weitere Konturierung des Anlagenbegriffs im Verlauf der Untersuchung über eine negative Abgrenzung zu erfolgen haben. Hinreichend ist jedwede Einwirkung der Anlage auf den Wasserhaushalt. Die mitunter vorgenommene Verengung der Einwirkung auf eine besondere Schadstofffracht oder eine spezifische Nachteiligkeit wird weder dem Normtext noch seinen Begründungserwägungen gerecht. Dieses Ergebnis korrespondiert mit der Entwicklung des Wasserrechts, die zunehmend einen ökomorphologischen Verlauf nimmt. Der Bezug auf eine Anlage ist ebenfalls weit zu interpretieren. Die in Rede stehende Vorschrift hat allerdings einen konkreten Bezug zu einem stofflichen Vorgang oder zum Betrieb einer Anlage herzustellen. Dies ist erforderlich, damit die Abweichungsbefugnis nicht gänzlich ausgehöhlt und eine eindeutige Grenzziehung ermöglicht 256 Vgl. auch P. Müller, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsunterlage 0040, S. 2. 257 Mit diesem Befund ausdrücklich K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (182 f.). Vgl. zudem die W. Gerhard, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0002, S. 3. Näher zur Genese der Bereichsausnahme Kapitel 1 sub II. 3. 258 Einzelheiten zu der materiell-rechtlichen Struktur einer solchen Genehmigung bei B. Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2011, S. 81 ff. und 124 ff.
III. Resümierende Stellungnahme295
wird. Überzeugende Belege für eine weitere Eingrenzung der Begrifflichkeiten lassen sich nicht erkennen. Die indisponiblen stoffbezogenen Vorgaben werfen ähnliche interpretatorische Abgrenzungsfragen auf. Der Begriff des ‚Stoffs‘ ist weit und vielfältig. Eine Aufzählung der zahllosen einzelnen Stoffe, wie sie die nationaleund supranationale Rechtsordnung liefert, führt zu keiner weiteren Konturierung des grundgesetzlichen Stoffbegriffs. So lässt sich überdies ‚Wasser‘ unter die Bereichsausnahme subsumieren, sofern es eine vom Schutzgut zu trennende Materie ist. Bei näherem Hinsehen ist klärungsbedürftig, dass die Klassifizierung der Zielbestimmungen und Bewirtschaftungsgrundsätze allgemein als indisponibel erachtet werden, obwohl die ‚allgemeinen Ziele und Grundsätze‘ des Wasserhaushaltsrechts disponibel sind. Beide Vorgaben werden im weiteren Untersuchungsverlauf noch näher beleuchtet. Im engen Zusammenhang mit dem stofflichen Gewässerschutz steht zudem das Abgabenrecht, das kompetenzrechtlich der jeweiligen Sachgesetzgebungsbefugnis folgt. Demnach könnten die Länder über Vorgaben zur Erhebung von Wasserentnahmeabgaben disponieren, während ihnen dies hinsichtlich des Abwasserabgabenrechts versagt ist. Zweifel bestehen hinsichtlich der Abweichungsfestigkeit von Bestimmungen, die dem passiven Stoffschutz dienen, wie dem Verbot des Grünlandumbruchs oder dem Gebot, einen Gewässerrandstreifen vorzusehen. Nach dem hier vertretenen Standpunkt fehlt solchen Vorgaben der hinreichend konkrete Bezug auf einen stofflichen Vorgang. Will man der Bereichsausnahme eine handhabbare Kontur verleihen, so bedarf es einer konkreteren Anknüpfung an einen stofflichen Vorgang. Resümierend lässt sich vermerken, dass der Schutzzweck des Wasserwirtschaftsrechts die von Anlagen oder Stoffen ausgehenden Einwirkungen auf den Wasserhaushalt erfasst.259 Demnach ist jeweils eine schutzzweckbezogene Interpretation der Vorgänge und Vorgaben vorzunehmen.260 Wie Michael Reinhardt konstatiert,261 führt nicht allein die Aufnahme einer „Anlage“ durch den Normgeber in den Gesetzeswortlaut zur Abweichungsfestigkeit der Vorschrift. Vielmehr ist stets im Rahmen einer fallweisen Betrachtung die jeweilige Vorschrift dahingehend zu untersuchen, ob der betreffende Tatbestand nach den dargestellten Maßstäben einer Abweichung zugänglich ist. 259 Wie hier auch K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (183). 260 Ebensinnig M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (474). 261 M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 39.
Kapitel 7
Die Dispositionsbefugnisse der Länder über das Wasserhaushaltsgesetz: Präzisierung und Zusammenführung Nachdem die abweichungsfeste Bereichsausnahme zunächst mit Blick auf die Begrifflichkeiten und übergreifenden Regelungsinstrumente betrachtet wurde, bedürfen einige ausgewählte Vorschriften und Regelungskomplexe der tieferen Analyse. Anhand der ausgewählten Bestimmungen werden einige Grenzen der Bereichsausnahme herausgearbeitet. Der Untersuchungsverlauf folgt dabei der Gesetzesstruktur nach. Kapitel 1 des Wasserhaushaltsgesetzes enthält „Allgemeine Bestimmungen“ und Kapitel 2 die zentralen Vorgaben zur „Bewirtschaftung von Gewässern“. Die Vorschriften der ersten Abschnitte des Wasserhaushaltsgesetzes weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Beide Kapitel enthalten in den Abschnitten 1 und 2 überwiegend Bestimmungen, die für das anschließende Regelwerk insgesamt gelten. Für den Anwendungsbereich dieser Vorschriften lässt sich häufig ein stoff- oder anlagenbezogener Vorgang identifizieren, der zur teiloder abschnittsweisen Indisponibilität der Regelungen führt. Abweichende Gestaltungen verlangen den Ländern in den ersten Abschnitten eine filigrane und eloquente Gesetzgebungstechnik ab. Eine solche Technik ist überwiegend möglich, wie erste Abweichungen belegen. Dieser zunächst noch flüchtige Befund prägt den weiteren Untersuchungsgang. Vorweg werden einige Einzelmaterien betrachtet, die das Wasserhaushaltsgesetz überspannen (nachstehend sub I.), bevor die oftmals miteinander verflochtenen Vorgaben der Gewässerbewirtschaftung untersucht werden, die im zweiten Kapitel des Wasserhaushaltsgesetzes niedergelegt sind (nachstehend sub II.). Im Anschluss werden Vorschriften mit besonderen Abgrenzungsfragen in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt (nachfolgend sub III.). Eine resümierende Stellungnahme führt die wesentlichen Erkenntnisse zusammen. Hierbei wird ein erster Versuch unternommen, Kriterien zur Charakterisierung der stoff- und anlagenbezogenen Bereichsausnahme herauszuarbeiten (nachstehend sub IV.).
I. Allgemeine und gemeinsame Bestimmungen297
I. Allgemeine und gemeinsame Bestimmungen 1. Die Zwecksetzung und allgemeine Bestimmungen (§§ 1, 5 und 6 WHG) Die §§ 1, 5 und 6 WHG statuieren allgemeine Anforderungen und Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung.1 Namentlich aufgrund der divergierenden Bereichsausnahmen innerhalb der verschiedenen Titel des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG sind die Normen näher zu betrachten. Denn in Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 wurden die „allgemeinen Grundsätze“ für den Bereich des Naturschutzes durch den Verfassungsreformgesetzgeber explizit abweichungsfest ausgestaltet,2 während dies für die Materie des Wasserhaushalts unterblieb. a) Die Zweckbestimmung des Wasserhaushaltsgesetzes Nach § 1 WHG besteht der Zweck des Wasserhaushaltsgesetzes darin, „durch eine nachhaltige Gewässerbewirtschaftung die Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts, als Lebensgrundlage des Menschen, als Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie als nutzbares Gut zu schützen“.3 Aus der Zwecksetzung folgen keine unmittelbaren rechtlichen Pflichten.4 Überdies enthält sie keine Leitlinie für den Vollzug des Wasserhaushaltsgesetzes.5 Der materielle Gehalt der Zweckbestimmungen dient etwa zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und findet im Rahmen der Ermessensausübung Beachtung.6 Die Zwecksetzung zielt auf das gesamte Bewirtschaftungsregime ab und steuert keine stofflichen oder von Anlagen ausgehenden Einwirkungen. Die Vorschrift des § 1 WHG ist ergänzenden Bestimmungen zugänglich 1 Eingehend zur Zweckbestimmung J. Nusser, Zweckbestimmung im Umweltrecht, 2007, S. 27 ff., mit Blick auf das WHG S. 209 ff. 2 Dazu näher E. Krüsemann, in: Czybulka (Hg.), Das neue Naturschutzrecht des Bundes, 2011, S. 27 ff. und W. Löwer, in: Durner (Hg.), Das Umweltgesetzbuch, 2009, S. 101 (107 f.), der ebenda zutreffend darauf hinweist, dass „die Konnotation von „allgemein“ und „Grundsatz“ an sich redundant“ sei. 3 Inwieweit von der Vorschrift tatsächlich ein steuernder Impuls ausgeht, wird unterschiedlich beurteilt. Vgl. dazu und mit weiteren Nachw. K. Berendes, in: ders./ Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 1 WHG Rn. 1. 4 M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, § 1 WHG Rn. 4; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 1 WHG Rn. 4. 5 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 1 WHG Rn. 2. Kritisch hierzu M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 1 WHG Rn. 2: „gesetzgebungstechnisch entbehrlich“. 6 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 1 WHG Rn. 2.
298
Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
und unterliegt vollständig der Dispositionsbefugnis.7 Demgemäß können die Länder dem Zweck des Wasserhaushaltsgesetzes eine andere Akzentuierung geben. Würde die Zwecksetzung etwa eine ökozentrischere Ausrichtung erhalten, so ließe sich etwaig eine engere Interpretation der sich anschließenden stoff- oder anlagenbezogenen Vorgaben erwägen.8 Gleiches würde für anthropozentrischere Ausrichtung gelten, wenn etwa der Energiegewinnung mittels Wasserkraft ein weitergehender Belang eingeräumt werden würde. Eine solche abweichende Zwecksetzung ist aufgrund europarechtlicher Vorgaben freilich nur begrenzt zulässig.9 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist die Möglichkeit einer mittelbaren Steuerung10 der stoff- oder anlagenbezogenen Vorgänge immerhin erwähnenswert. Während Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GG die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes von der Abweichungsbefugnis ausnimmt,11 finden diese im Klammerzitat des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG keine Erwähnung. Der Bund vermochte es im Rahmen der Vorarbeiten zur Föderalismusreform nicht, sich mit seinen Vorstellungen durchzusetzen, die Ziele und Grundsätze (später: Ziele und Aufgaben) der Wasserwirtschaft indisponibel auszugestalten.12 Diese Entscheidung des Reformgesetzgebers gebietet Zurückhaltung, übergreifende, allgemein gehaltene Vorgaben als abweichungsfest zu klassifizieren, nur weil ihnen ein mittelbarer Stoff- oder Anlagenbezug anhaftet.13 b) Die allgemeinen Sorgfaltspflichten und Grundsätze Gleichsinniges wie zur Zweckbestimmung lässt sich über § 5 WHG „Allgemeine Sorgfaltspflichten“ und § 6 WHG „Allgemeine Grundsätze der 7 So auch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/13, § 1 WHG Rn. 7. Dies korrespondiert in Teilen auch mit obiger Feststellung, dass die allgemeinen Grundsätze des Wasserhaushaltsrechts abweichungsfrei sind. 8 Dies wäre „eine Abkehr von einem prinzipiell anthropozentrischen Ansatz“. Mit dieser Beschreibung des § 1 WHG M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, § 1 WHG Rn. 3. 9 Zu den europäischen Vorgaben bereits in Kapitel 1 sub I. 3. 10 Die Funktion solcher Öffnungsklauseln ist umstritten, dazu Kapitel 5 sub II. 2. 11 Näher M. Gellermann, NVwZ 2010, S. 73 (74 f.); W. Köck/R. Wolf, NVwZ 2008, S. 353 (357 ff.); F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 175 ff. 12 Ausführlich zum Gesetzgebungsverfahren unter Kapitel 1 sub II 3. b) und in Anlehnung an K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (182 f.). 13 Ähnlich, aber im Ergebnis weitergehend M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (487).
I. Allgemeine und gemeinsame Bestimmungen299
Gewässerbewirtschaftung“ feststellen. Zu beachten bleibt, dass § 6 WHG wiederum teilweise europarechtlich unterlegt ist,14 weshalb der landesrechtliche Gestaltungsrahmen insgesamt beschränkt ist. aa) Meinungsstand Im Gegensatz zur Zweckbestimmung des § 1 WHG divergieren die Standpunkte dazu, ob bei den §§ 5 und 6 WHG ein stoff- oder anlagenbezogener Vorgang zu identifizieren sei und die Vorgaben der §§ 5 und 6 WHG abweichungsfest seien. Die bis dato vorliegenden Rechtsakte der Länder sehen keine ergänzenden oder abweichenden Vorgaben von diesen Bestimmungen vor.15 Nach Michael Reinhardt sind die §§ 1, 5 und 6 WHG „dem Grunde nach disponibel“.16 Andere Autoren nehmen hinsichtlich der §§ 5 und 6 WHG eine Differenzierung vor. Danach seien die Vorschriften dem Grunde nach abweichungsoffen, soweit sich die Sorgfalts- und Vorsorgepflichten bzw. Grundsätze und Pflichten nicht auf stoff- oder anlagenbezogene Tatbestände beziehen.17 Ein solcher Tatbestand sei etwa im Vermeidungsgebot von nachteiligen Veränderungen der Wasserbeschaffenheit gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 WHG oder für Fragen der Abwasserbeseitigung in § 6 Abs. 1 Satz 2 WHG zu erblicken.18 Die Koalitionsarbeitsgruppe von CDU / CSU und SPD, die für die letzten Vorbereitungen der Föderalismusreform vor dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren verantwortlich war, vermerkte zum vorliegenden Sachbereich, dass die Länder ihre „wasserhaushaltsrechtlichen Grundsätze“ an die Stelle der bundesgesetzlichen Vorgaben setzen können.19 bb) Stellungnahme § 5 WHG verpflichtet unmittelbar „jede Person […], bei Maßnahmen, mit denen Einwirkungen auf ein Gewässer verbunden sein können, die nach den 14 Eingehend K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 6 WHG Rn. 8 ff. 15 Dazu bereits Kapitel 2 sub II. 2. und 3. 16 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (487). 17 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 5 WHG Rn. 9 und § 6 WHG Rn. 15; ders., in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 5 WHG Rn. 19 und § 6 WHG Rn. 38; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 5 WHG Rn. 22. Im Ergebnis auch M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 214 f. 18 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 5 WHG Rn. 22. 19 Ergebnisse der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform (Stand: 7. November 2005) Neuordnung der Umweltkompetenzen (unveröffentlicht), S. 5.
300
Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
Umständen erforderliche Sorgfalt anzuwenden […]“.20 Die Vorgaben sind ‚dem Grunde nach‘ indisponibel, da sie sich auf zahlreiche stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge erstrecken.21 Gleiches lässt sich zu § 6 WHG erwägen, der „Allgemeine Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung“ statuiert. § 6 WHG bezieht sich auf alle Gewässerarten, knüpft an § 1 WHG an und ist eine Auslegungs- und Ermessensdirektive für die weiteren Bestimmungen. Damit reicht die Norm über den Programmcharakter des § 1a WHG a. F. hinaus22 und gilt namentlich für stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge. Indessen lässt sich den allgemeinen Vorgaben wohl nur ein mittelbarer und letztlich unpräziser Stoff- oder Anlagenbezug entnehmen. Während § 5 6 WHG WHG unmittelbare Sorgfaltspflichten statuiert,23 abstrahiert § gleichsam die öffentlich verantwortete Gewässerbewirtschaftung.24 Die Vorschrift ist in Absatz 1 eine Auslegungshilfe sowie Leitlinie für den staatlichen Bewirtschaftungsauftrag und geht auch in Absatz 2 nicht über einen objektivrechtlichen Gehalt hinaus.25 Der Bund konnte sich mit der Indisponibilität der Ziele und Aufgaben nicht durchsetzen. Eine Abweichungsfestigkeit der allgemeinen Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung würde damit letztlich die Entstehungsgeschichte des Klammerzitats ausblenden. Insoweit scheinen die Grundsätze im Sinne des § 6 WHG auch hinsichtlich der stoff- oder anlagenbezogenen Vorgänge disponibel. Eine weitergehende Abschichtung der Grundsätze ist regelungstechnisch kaum durchführbar, da diesen ein hoher Abstrahierungsgrad innewohnt und sie sich auf das gesamte Regelwerk erstrecken. Dem stehen auch die Begründungserwägungen zum Wasserhaushaltsgesetz nicht entgegen. Der Begründungstext vermerkt zu § 6 Abs. 1 Nr. 7 WHG beispielsweise, dass der Aspekt des Schutzes der Meeresumwelt etwa im Rahmen der Zulassung von Stoffeinträgen in oberirdische Gewässer zu beachten sei.26 Dieser Hinweis führt jedenfalls noch nicht dazu, die Vorschriften als indisponibel zu klassifizieren. Wie Reinhardt pointiert kommentiert, sind die dieser Interpretation M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 5 WHG Rn. 3. Bedeutung und den stoff- oder anlagenbezogenen Vorgängen K. Faßbender, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 63. Erg.-Lfg. Dezember 2011, § 5 WHG Rn. 6 ff., Rn. 15 ff. 22 Ausführlich U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 6 WHG Rn. 8 f.; M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, § 6 WHG Rn. 4. 23 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 5 WHG Rn. 8. 24 Vgl. M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 6 WHG Rn. 2 und in der BT-Drucks. 16/12275, S. 55. 25 Näher K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 6 WHG, Rn. 5; M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 6 WHG Rn. 3 bis 6. 26 BT-Drucks. 16/12275, S. 55. 20 Mit 21 Zur
I. Allgemeine und gemeinsame Bestimmungen301
etwaigen Folgen für die Meeresumwelt unabhängig von dieser Konkretisierung in die Entscheidung der Wasserbehörde einzustellen.27 Letztlich sprechen die wohl überwiegenden entstehungsgeschichtlichen und teleologischen Aspekte des Kompetenzregimes dafür, dass die §§ 5 und 6 WHG disponibel sind.28 Anderenfalls wäre einzig die in ihrer Steuerungswirkung begrenzte Zweckbestimmung einer Abweichung zugänglich, die zentralen Ziele und Aufgaben in den §§ 5, 6, 27, 44 und 45a WHG hingegen weitgehend indisponibel.29 2. Der Anwendungsbereich nach § 2 WHG Der Geltungsbereich des Wasserhaushaltsgesetzes wird durch seine Beschränkung auf oberirdische Gewässer (§§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 Nr. 1 WHG), Küstengewässer (§§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 Nr. 2 WHG) und Grundwasser (§§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 3 Nr. 3 WHG) vorgezeichnet. Daneben sieht § 2 Abs. 2 WHG die Möglichkeit landesrechtlicher Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Wasserhaushaltsgesetzes vor. § 2 WHG führt in weiten Teilen die Vorschrift des § 1 WHG a. F. fort. Ob die vorgefundene Typisierung der Gewässer in § 1 Abs. 1 WHG tatsächlich „unzweifelhaft“ abschließend und keiner anderen oder zusätzlichen Typologie zugänglich ist,30 mag für die Praxis letztlich dahingestellt bleiben. Eine solche Beurteilung ist gleichwohl insofern bedenklich, als eine abweichende Typisierung der Gewässer durch die Länder für nicht stoff- oder anlagenbezogene Vorgaben stets zulässig ist. Die Einführung zusätzlicher Typologien für das Wasserhaushaltsgesetz scheint nicht notwendig und wäre unzulässig, sofern hierdurch dessen Anwendungsbereich eingeschränkt würde.31 Nach der Begründung zu § 2 Abs. 2 WHG können die Länder kleine Gewässer von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung vom Anwendungsbereich des Wasserhaushaltsgesetzes suspendieren. Der Optionsvorbe27 M. Reinhardt,
Czychowski/ders., § 6 WHG Rn. 55 a. E. einem ähnlichen Resultat gelangt M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 214 f. 29 Ähnlich M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 208 ff. mit teilweiser anderer Herleitung. 30 Mit diesem Standpunkt M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (474 f.). 31 K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 2 WHG Rn. 10. In den Landeswassergesetzen werden zumindest für deren Anwendungsbereiche abweichende Regelungen getroffen. So führt § 1 SachsAnhWG einen Gewässerbegriff ein, der die Küstengewässer aus dessen Anwendungsbereich entnimmt, während andere Länder den Geltungsbereich ihrer Landeswassergesetze auf das nicht aus Quellen wild abfließende Wasser erweitern, vgl. § 1 Satz 1 MecklVorpWG und Art. 1 Satz 1 BayWG. 28 Zu
302
Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
halt gilt unabhängig von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG auch für stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge.32 Sofern von ihm kein Gebrauch gemacht wird, erfasst das Wasserhaushaltsgesetz auch kleine Gewässer mit wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung und Heilquellen.33 Ferner lässt sich der Anwendungsbereich für die aufgeführten Gewässer hinsichtlich einzelner Tatbestände des Wasserhaushaltsgesetzes ausschließen.34 Den Ländern ist es indessen nach Art. 72 Abs. 1 oder 3 GG verwehrt, die Geltung des Wasserhaushaltsgesetzes für wasserwirtschaftlich bedeutsame Gewässer auszuschließen.35 Eine diesem Grundsatz widersprechende Regelung durch die Länder erzeugt einen nach Art. 31 GG aufzulösenden Normenkonflikt.36 Demgemäß enthalten die Landeswassergesetze zumeist ein konstitutives Tatbestandsmerkmal, wonach allein Gewässer mit wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung ausgenommen werden.37 Daneben ist es den Ländern unbenommen, über § 2 Abs. 2 WHG weitere Sachmaterien auszuklammern, wenn keine stoff- oder anlagenbezogenen Vorgaben betroffen sind und sich der Bund auf einen anderen indisponiblen Kompetenztitel stützt.38 32 Begr. des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes, BT-Drucks. 16/12275, S. 53 und U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 2 WHG Rn. 6. 33 A. Guckelberger, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Januar 2014, § 2 WHG Rn. 8. Nach der Begr. des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes, BTDrucks. 16/12275, S. 53 behalten entsprechende landesrechtliche Vorschriften nach Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes ihre Gültigkeit. 34 So zu Recht M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 2 WHG Rn. 8. 35 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 2 WHG Rn. 15. 36 K. Faßbender, in: Landmann/Rohmer (Hg.), Umweltrecht, 63. Erg.-Lfg. Dezember 2011, § 2 WHG Rn. 43 f. M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 2 WHG Rn. 9; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 2 WHG Rn. 15. Abweichend K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 2 WHG Rn. 12, danach sei auf Verwaltungsebene jeweils im Einzelfall über die wasserwirtschaftliche Bedeutung zu entscheiden. Dieser Standpunkt lässt indessen nicht erklärlich werden, welcher Entscheidungsspielraum der Vollzugsbehörde überlassen bleibt, wenn die benannten Gewässer bereits durch Landesgesetz vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. 37 Verfassungsrechtlich problematisch sind insoweit die Regelungen in § 1 Abs. 2 BadWttbgWG, § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SachsAnhWG, § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchlHWG, § 1 Abs. 1 Nr. 2 NdsWG, die ähnlich formuliert sind und Grundstücke weitgehend einschränkungslos vom Anwendungsbereich des Wasserhaushaltsgesetzes ausschließen, die zur Fischzucht oder zur Fischhaltung oder zu anderen Zwecken unter Wasser gesetzt werden und mit einem Gewässer nur durch künstliche Vorrichtungen zum Füllen oder Ablassen verbunden sind. 38 In diesem Sinne etwa K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 2 WHG Rn. 4. Mit entgegengesetzter Bewertung M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 2 WHG Rn. 9.
I. Allgemeine und gemeinsame Bestimmungen303
3. Die Indisponibilität von Legaldefinitionen Die zentralen Begrifflichkeiten des Wasserhaushaltsgesetzes lassen sich aus § 3 WHG entnehmen. Die Vorschrift übernimmt dabei Definitionen des Wasserhaushaltsgesetzes a. F. und ergänzt sie um neu eingeführte Begriffsbestimmungen. Daneben werden Begriffe, deren Bedeutung sich weitestgehend auf einzelne Normprogramme des Gesetzes beschränkt, in den betreffenden Abschnitten niedergelegt.39 a) Meinungsstand Nach Bernd Becker40 und Franz-Josef Peine41 sind die Legaldefinitionen insgesamt abweichungsfest. Sie dienen der Definition dessen, was Schutzgut des Wasserhaushaltsgesetzes sei. Insofern seien sie eine unerlässliche Bedingung der Bereichsausnahme. Ferner soll für diesen Standpunkt der weitreichende und mit § 3 WHG rezipierte europarechtliche Harmonisierungsstand der Definitionen sprechen. Folgt man Konrad Berendes, so sind die Begriffsbestimmungen insoweit indisponibel, soweit sie „stoff- oder anlagenbezogene Vorschriften des WHG steuern“.42 Nach der Untersuchung von Michael Foerst43 enthalte allein die Definition des Standes der Technik nach § 3 Nr. 11 WHG einen hinreichen konkreten Stoff- oder Anlagenbezug. b) Stellungnahme Es verbietet sich ein holzschnittartiges Modell, das allgemein auf die europäischen Vorgaben Bezug nimmt. Obwohl sich die Begriffe „künstliche Gewässer“ (Nr. 4), (Nr. 5). „erheblich veränderte Gewässer“ (Nr. 5), „Wasserkörper“ (Nr. 6) und „Gewässerzustand“ (Nr. 8) eng an der Wasserrahmenrichtlinie orientieren,44 sind auch die europarechtlich determinierten Definitionen nicht a priori indisponibel. Die Länder können grundsätzlich eine anderweitige Terminologie einführen, sofern die Transformationsanforderungen nicht unterschritten werden. Vorstehender Befund spricht für eine 39 Siehe
§§ 36 Satz 2, 53 Abs. 1, 54 und 71 WHG. B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758). 41 F.-J. Peine, in: Bosecke/Kersandt/Täufer (Hg.), Festg. Czybulka, 2010, S. 207 (210). 42 K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, § 3 WHG Rn. 49. 43 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 220 f. 44 Siehe Art. 2 Nrn. 8, 9, 10 und die Zusammenschau der Nrn. 17 und 19 der WRRL. 40 Vgl.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
grundsätzliche Disponibilität der Definitionsbestimmungen. Die Länder können den Anwendungsbereich der indisponiblen Bereichsausnahmen dort vorbestimmen, wo das Wasserhaushaltsgesetz lückenhaft ist.45 Demgegenüber sind die Definitionen indisponibel, soweit sie den Inhalt und die Auslegung der nachfolgenden stoff- oder anlagenbezogenen Vorschriften bestimmen. Es ist eine allseits anerkannte Normsetzungstechnik, Begriffe, die sich im Gesetz mehrfach wiederfinden, vor die Klammer zu ziehen. Foerst übersieht zwei erhebliche Aspekte. Einerseits führt diese Regelungstechnik allein nicht dazu, dass damit die nachfolgenden disponiblen Bestimmungen abweichungsfest werden. Andererseits ist auch seine Interpretation der einzelnen Definitionen von zweifelhafter Überzeugungskraft. Die Abweichungsfestigkeit der Begriffsbestimmungen bestimmt sich mit Blick auf die damit verbundenen weiteren Regelungen. Die Definitionen sind hinsichtlich der korrespondierenden stoff- oder anlagenbezogenen Vorgaben abweichungsresistent. Damit sind jedenfalls die Bestimmungen des § 3 Nrn. 1 (Oberirdische Gewässer),46 2 (Küstengewässer),47 3 (Grundwasser),48 7 (Gewässereigenschaften),49 9 (Gewässerzustand),50 10 (Wasserbeschaffenheit)51 und 11 (Stand der Technik)52 WHG dem Grunde nach indisponibel. Hinsichtlich der übrigen Vorgaben gilt das bereits Gesagte. Sie sind zumeist bereits aus europäischer Sicht abweichungsresistent. Überdies ist nicht auszuschließen, dass sich diesbezüglich weitere stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge identifizieren lassen.53
45 So
etwa § 1 Abs. 3 MecklVorpWG zu § 3 Nr. 2 WHG. bspw. mit den stoffbezogenen Tatbeständen in § 25 Satz 2 und 3 WHG. 47 Korrespondiert bspw. mit dem stoffbezogenen Tatbestand in § 43 Nr. 2 WHG. 48 Korrespondiert bspw. mit dem anlagenbezogenen Tatbestand in § 9 Abs. 2 Nr. 1 WHG. 49 Korrespondiert bspw. mit dem stoffbezogenen Tatbestand in § 9 Abs. 1 Nr. 3 WHG. 50 Korrespondiert bspw. mit dem stoffbezogenen Tatbestand in § 32 Abs. 2 WHG. 51 Korrespondiert bspw. mit dem anlagenbezogenen Tatbestand in § 36 Satz 1 WHG. 52 Korrespondiert bspw. mit dem anlagenbezogenen Tatbestand in § 57 Abs. 1 Nr. 1 WHG. 53 Ähnlich K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, § 3 WHG Rn. 49. Anderer Auffassung B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758); M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 220 f.; F.-J. Peine, in: Bosecke/Kersandt/Täufer (Hg.), Festg. Czybulka, 2010, S. 207 (210). 46 Korrespondiert
I. Allgemeine und gemeinsame Bestimmungen305
4. Das ‚Gewässer‘ als abweichungsfester Regelungsgegenstand Das Wasserhaushaltsgesetz enthält keine Legaldefinition des Gewässers. Es erfasst in § 2 Abs. 1 WHG gleichermaßen nur Teile von Gewässern.54 Dabei wird der Begriff in zahlreichen Abschnitten des Gesetzes vorausgesetzt. Anhaltspunkte bietet die hydrologische Definition. Die Hydrologie interpretiert Gewässer in der DIN 4049 Teil 155 als „fließendes oder stehendes Wasser“, das in Zusammenhang mit dem Wasserkreislauf steht, einschließlich des Gewässerbetts und der Grundwasserleiter. Im wasserrechtlichen Schrifttum wird zunächst eine Eingrenzung vorgenommen,56 nach der Gewässer „alle nicht völlig unbedeutenden Teile der Erdoberfläche sind, die nach ihrer natürlichen Beschaffenheit oder aufgrund von künstlichen Vorkehrungen nicht nur vorübergehend mit Wasser bedeckt sind, ferner Wasser, das unterhalb der Erdoberfläche“ fließt. Gewässer sind gekennzeichnet durch ihr äußeres Erscheinungsbild, indem sie in den natürlichen Wasserkreislauf eingebunden sind und ihnen ein Anteil an den Gewässerfunktionen zukommt.57 Für die kompetenzrechtliche Betrachtung bedeutsam sind die künstlichen bzw. erheblich veränderten Gewässer sowie Straßenseitengräben und Kanäle. Diesbezüglich bleibt erörterungsbedürftig, ob und unter welchen Prämissen sich ‚Gewässer‘ dem Klammerzitat zuordnen lassen. a) Meinungsstand ‚Gewässer‘ werden nicht angelegt, sondern vorgefunden.58 Dem Grund nach sind darauf bezogene Vorgaben disponibel. Das Wasserhaushaltsgesetz unterscheidet in § 3 WHG weitere Gewässertypen, nämlich „Oberirdische Gewässer“ (Nr. 1), „Küstengewässer“ (Nr. 2), „Grundwasser“ (Nr. 3), „Künstliche Gewässer“ (Nr. 4) und „Erheblich veränderte Gewässer“ (Nr. 5). Gegen die überwiegende Sichtweise,59 wonach Gewässer nicht unter den Anlagenbegriff zu subsumieren sind, wenden sich Michael Kotulla60 und 54 U. Drost,
WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 2 WHG Rn. 2. 4049 Teil 1 Nr. 1. 11. 56 BVerwGE 49, 293 (298 f.); M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 2 WHG Rn. 6. 57 Diese Kriterien zieht die Rechtsprechung – BVerwG, Urt. vom 27. Januar 2011, Az.: 7 C 3/10 (zitiert nach Juris) und neuere Literatur J. Salzwedel/W. Durner, in: Hansmann/Sellner (Hg.), Umweltrecht, 4. Aufl. 2012, Kap. 8 Rn. 22 und M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 2 WHG Rn. 7 heran. 58 Siehe zur Auslegung J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das neue WHG 2010, 2010, S. 19 (31 f.). 59 C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (35 ff.); H. Ginzky/ J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347); H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Doku55 DIN
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wohl60 auch Bernd Becker61. Diese erachten sämtliche Gewässer als ‚Anlage‘ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG, die aufgrund ihrer technischen Veränderung nicht mehr als naturnah im Sinne von § 6 Abs. 2 WHG anzusehen sind. Damit würde im Einzelfall letztlich auch das ‚Gewässer‘ dem Anlagenbegriff unterfallen. Nach Kotulla62 sei für den konstitutionellen Anlagenbegriff eine wasserrechtliche Anlage ausreichend, bei der es sich lediglich um eine „angelegte“ im Sinne einer künstlich hergestellten und nicht auf natürlichem Wege entstandenen stationären Einrichtung handeln muss. Diese Prämisse sei bei nicht mehr naturnahen Gewässern durch die anthropologischen Einflüsse stets der Fall und soll daneben bei Aufschüttungen, Abgrabungen, Dämmen oder Gräben gelten. Indisponibel seien Vorgaben, die sich auf „von Menschenhand geschaffene oberirdische [künstliche, d. Verf.] Gewässer“ sowie „durch den Menschen in ihrem Wesen physikalisch erheblich veränderte oberirdische Gewässer oder Küstengewässer“ beziehen. Im Ergebnis ähnlich argumentiert Michael Foerst, wenn er Straßenseitengräben als Gewässer und kanalisierte Gewässer in den Anlagenbegriff einbeziehen will.63 Straßenseitengräben als Bestandteile von Straßen seien in § 2 Abs. 2 WHG als „Gewässer“ erfasst und würden zugleich als Abwasseranlage klassifiziert, was dafür spreche, sie als Gewässer mit Anlageneigenschaft einzuordnen. Gleiches gelte für Wasserläufe, „die faktisch in die Ortskanalisation einbezogen“ wurden. Diese seien nach der sog. Zwei-Naturen-Theorie Gewässer mit Vorfluterfunktion und zugleich Bestandteil der Kanalisation.64 b) Stellungnahme Der anlagenbezogenen Bereichsausnahme liegt ein weites Begriffsverständnis zugrunde, die den Wasserhaushalt vor Einwirkungen schützen soll. Der in § 6 Abs. 2 WHG aufgestellte Grundsatz, den natürlichen oder naturmentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (66 ff.); W. F. Spieth, in: Giesberts/ Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Januar 2013, § 39 WHG Rn. 2. 60 M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 61 Der sich ausdrücklich der restriktiven Auslegung der abweichungsoffenen Bereiche von Kotulla anschließt. Vgl. B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758) in Anm. 50. Gleichsinnig C. Schulze Harling, Das materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 114 f. 62 M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, Einf. Rn. 43; ders., NVwZ 2007, S. 489 (494). 63 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 189 ff. 64 Etwas inkonsistent stellt Foerst an anderer Stelle fest, Straßenseitengräben könnten als Abwasseranlagen nicht zugleich eine Gewässereigenschaft aufweisen. Siehe M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 218.
I. Allgemeine und gemeinsame Bestimmungen307
nahen Zustand der Gewässer zu erhalten, steht in unmittelbarem Bezug zum Bewirtschaftungsgrundsatz nach § 6 Abs. 1 WHG. Der Grundsatz geht über die Zuordnung als künstlich oder erheblich verändertes Gewässer hinaus und gilt mit § 6 Abs. 2 WHG unabhängig von den Bewirtschaftungszielen. Naturnahe Gewässer zeichnen sich durch wechselnde Gefälle mit unterschiedlichen Fließgeschwindigkeiten, verschiedenartig geformten Gewässerbetten mit variierendem Querschnitt und unterschiedlichen Neigungen, schwankendem Wasserstand, fluktuierenden Lichtverhältnissen, Ufergehölzen, abwechselnder Uferbeschaffenheit und ufergerechten Auen aus.65 Nicht im Sinne von § 67 WHG ausgebaute (natürliche oder naturnahe) oberirdische Gewässer sind keine Anlagen. Angenommen, weitere Gewässertypen wären nach ihrer Umgestaltung eine ‚Anlage‘, so gehörten auch Vorgaben zum Gewässerausbau und zur Gewässerunterhaltung nach den §§ 28 ff. WHG zur Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG.66 Einer solchen Lesart ist jedoch nicht nur deshalb entgegenzutreten, weil es sich bei dem ‚Gewässer‘ nicht um eine angelegte Einrichtung handelt.67 Vielmehr trägt die von Kotulla in Anspruch genommene Gesetzesbegründung dessen extensives Verständnis nicht, soweit er namentlich auf das Kriterium des Einwirkens auf den Wasserhaushalt rekurriert. Eine solche Ausdeutung bzw. Ausdehnung würde das ebendort niedergelegte Ziel der Bereichsausnahme gleichsam auf den Kopf stellen. Mit den stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen soll ein „Kernbereich des Gewässerschutzes“ bundeseinheitlich normiert werden.68 Der Mensch wirkt seit Jahrhunderten auf die Gewässer und deren Verläufe in vielfältiger Weise ein. Folglich lassen sich heute nur selten die eingangs beschriebenen natürlichen oder naturnahen Gewässer antreffen.69 Würden alle nicht rein natürlich entstandenen Regelungsmaterien unter den Anlagebegriff subsumiert, so wäre der ganz überwiegende Teil des Wasserhaushaltsgesetzes indisponibel. Die schutzzweckorientierte weite Interpretation des wasserrechtlichen Anlagebegriffs bedarf einer Einschränkung, um ihn vom Schutzgut zu trennen. Die Anlagen bzw. darauf bezogene Vorgaben müssen deshalb auf den Wasser65 OVG Koblenz, ZfW 2001, S. 253; dazu näher H. Patt et al., Naturnaher Wasserbau, 2010, S. 265 ff. 66 M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494). 67 Hierzu vgl. die Argumentation von J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das neue WHG 2010, 2010, S. 19 (32). Zuvor bereits H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347). 68 Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 69 Eine Bestandsaufnahme der Gewässer förderte zutage, dass in den Ländern Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen circa 51 bis 63 % der Gesamtfließstrecke erheblich verändert sind. Vgl. F. Bathe/B. Klauer/ J. Schiller, WuA 12/2010, S. 40 (41).
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
haushalt ‚einwirken‘. Mit dieser Prämisse scheiden künstliche bzw. erheblich veränderte Gewässer aus, da sie Schutzgut der Bereichsausnahme sind. Bedenken bestehen im Übrigen auch, wenn funktional eingebundene Gewässer wie Straßenseitengräben und kanalisierte Gewässer dem grundgesetzlichen Anlagenbegriff zugeordnet werden. Dienen die Straßenseitengräben als Bestandteil des Straßenkörpers allein deren Entwässerung, so unterfallen sie nicht dem Wasserhaushaltsrecht.70 Sofern sie im Einzelfall als Abwasseranlage klassifiziert werden können,71 unterfallen sie dem grundgesetzlichen Anlagenbegriff. Sofern ein Regelungsgegenstand den grundgesetzlichen Begriff einer Anlage erfüllt und einfachgesetzlich als Gewässer klassifiziert wird, verändert dies die grundgesetzliche Einordnung nicht. Nämliches gilt für oberirdische Gewässer, die in Ortskanalisationen eingebunden werden.72 Nach der vom Bundesverwaltungsgericht judizierten Zwei-Naturen-Theorie unterfällt ein Gewässer weiterhin der wasserwirtschaftlichen Benutzungsordnung und zugleich dem kommunalrechtlichen Benutzungsregime.73 Die Zuordnung des Gewässers zum kommunalen Benutzungsregime und zur wasserwirtschaftlichen Benutzungsordnung bleibt wiederum ohne Auswirkung auf den verfassungsrechtlichen Anlagebegriff. Dieser knüpft insoweit an eine künstlich geschaffene Umgebung an, wie Gräben, Verrohrungen usf. Das Gewässer selbst wird auch in solchen Konstellationen nicht zur Anlage im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG.74 5. Bürgerliches Recht im Wasserhaushaltsgesetz Der Erörterung der Allgemeinen Bestimmungen des Kapitels 2 Abschnitt 1 bleibt ein Blick auf die bürgerlich-rechtlichen Vorgaben des Wasserwirtschaftsrechts anzufügen. Dazu zählen die Bestimmungen zum Ge70 Vgl. OVG Münster, Urteil v. 12. Dezember 2006, Az.: 15 A 2175/04 (zitiert nach juris) und die Begr. zum Bayerischen Wassergesetz, Bayerischer Landtag, Drucks. 16/2868, S. 6: „Nach bayerischem Verständnis sind Straßen mit all ihren Bestandteilen technische Anlagen und keine Gewässer. Deshalb ist das Wasserrecht auf Straßenseitengräben, die Bestandteile von Straßen sind, überhaupt nicht anwendbar.“ 71 Ausführlich R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 148, 149 und U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 2 Rn. 23. 72 Dazu R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 131. 73 BVerwG, Beschl. v. 28. April 2008, Az.: 7 B 16/08 und unter teilweiser Abkehr von seiner Spruchpraxis Urteil v. 27. Januar 2011, Az.: 7 C 3/10 (jeweils zitiert nach juris). 74 Dementgegen M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 193.
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wässereigentum in § 4 WHG, die Regelungen über Ansprüche auf Schadensersatz75 nach den §§ 17 Abs. 1 Nr. 3, 41 Abs. 4, 89 Abs. 1 und 2 und 91 Satz 2 und 3 WHG oder die Vorschrift zum Wasserabfluss in § 37 WHG. Bedeutungsvoll ist namentlich § 4 WHG, der die bisherigen landesrecht lichen Bestimmungen über das Eigentum an Gewässern ablöst.76 Die Regelung war nötig, da mit Art. 13 des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes gegen den Willen der Bundesländer die Kompetenzgrundlage der landesrechtlichen Vorgängerbestimmungen in Art. 65 EGBGB77 zum 31. Juli 2010 aufgehoben wurde.78 Nach Ablösung der Rahmengesetzgebung und Überführung des Wasserwirtschaftsrechts in die konkurrierende Vollkompetenz ist es folgerichtig, die Ordnung der Eigentumsverhältnisse der Legislativverteilung folgen zu lassen. Demgegenüber belässt es § 4 Abs. 5 WHG bei der landesrechtlichen Ausgestaltung der gewachsenen Strukturen. Mit Aufhebung des Art. 65 EGBGB ist der Bund aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Bürgerliches Recht) nunmehr umfassend befugt, im Bereich des Wasserhaushaltsrechts privatrechtliche Regelungen zu statuieren.79 Den Ländern verbleibt mit der Öffnungsklausel jedoch weiterhin die Befugnis, das Eigentum an Gewässern zu ordnen.80 In Ansehung des vorstehenden Ergebnisses lässt sich wiederholt vermerken, dass pauschalierende Betrachtungen auch hinsichtlich der Regelungsbefugnis des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht angezeigt sind. Das untersuchte Schrifttum gibt eine sehr unterschiedliche Beurteilung der auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützten Tatbestände des Wasserhaushaltsgesetzes preis. So wird zu § 37 WHG vermerkt, die Vorschrift sei in Ermangelung eines Stoff- oder Anlagenbezugs disponibel.81 Die Vorschrift regelt den 75 Wie hier K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 96 WHG Rn. 2. 76 Die Regelung beschränkt sich auf die Bundeswasserstraßen. Zu den damit zusammenhängenden Kompetenzfragen näher M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 4 WHG Rn. 4 ff. 77 Artikel 65 a. F.: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche dem Wasserrecht angehören, mit Einschluß des Mühlenrechts und des Flötzrechts sowie der Vorschriften zur Beförderung der Bewässerung und Entwässerung der Grundstücke und der Vorschriften über Anlandungen, entstehende Inseln und verlassene Flußbetten.“ 78 Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009, BGBl. I, S. 2585. 79 Ausführlich zum Vorbehalt für das Wasserrecht in Art. 65 EGBGB F. Wilhelms, NVwZ 2008, S. 624 ff. 80 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 4 WHG Rn. 2. Zur Duldungspflicht des § 4 Abs. 4 WHG nachstehend in sub III. 4. 81 Mit diesem Befund F. Niesen, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 37 WHG Rn. 4.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
Wasserabfluss und enthält Vorgaben zur Wasserführung oberirdischer Gewässer, weshalb sie systematisch dem öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftungsregime oberirdischer Gewässer zuzuordnen ist.82 Sie ist im Jahre 2009 neu in das Wasserhaushaltsgesetz aufgenommen worden und enthält privates Nachbarrecht im Sinne der §§ 910 ff. BGB.83 Ausgenommen des Absatzes 3 enthält § 37 WHG schwerpunktmäßig eine nachbarrechtliche Regelung. Als bürgerlich-rechtliche Vorschrift des Nachbarrechts ruht § 37 WHG auf der Befugnis für das Bürgerliche Recht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Die Vorschrift ist hinsichtlich des bürgerlichen Nachbarrechts keiner abweichenden Landesregelung zugänglich, wohingegen die Bestimmung in Absatz 3 eine öffentlich-rechtliche Handlungsermächtigung enthält, die weder nach der Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG noch nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG indisponibel ist.84 Gleiches ließe sich über das unterschiedliche Meinungsbild zur Abweichungsfestigkeit des § 91 WHG85 (Gewässerkundliche Maßnahmen) und zu § 4 WHG86 dokumentieren. Für die kompetenzrechtliche Betrachtung des Wasserhaushaltsgesetzes lässt sich vermerken, dass es stets einer genauen Abschichtung der indisponiblen privatrechtlichen Vorgaben bedarf.
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung Im Anschluss an die vorstehenden Betrachtungen rücken nunmehr einige Einzelmaterien des Wasserhaushaltsgesetzes in den Vordergrund. Die Aus82 M. Reinhardt,
Czychowski/ders., § 37 WHG Rn. 2. die Begr. des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes in der BT-Drucks. 16/12275, S. 62 und U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 37 WHG Rn. 11. 84 Gleichsinnig U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 37 WHG Rn. 11; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 37 WHG Rn. 3. Zu weitreichend wohl G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/ AbwAG, 40. Erg.-Lfg. August 2010, § 37 WHG Rn. 5, der nicht zwischen den Absätzen differenziert. 85 Näher M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 91 WHG Rn. 3 sowie U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 91 WHG Rn. 3. Demgegenüber ungenau D. Riedel, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2011, § 91 WHG Rn. 7: „§ 91 WHG [unterfällt, d. Verf.] (da es sich weder um eine stoff-, noch um eine anlagenbezogene Regelungen handelt) der Befugnis der Länder zur sog Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 GG.“ 86 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 4 WHG Rn. 19 erachtet § 4 Abs. 2 WHG und K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 4 WHG Rn. 28 klassifiziert § 4 Abs. 3 und 4 WHG als disponibel. Zu weitreichend wohl hingegen T. Gößl, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp (Hg.), WHG/AbwAG, 39. Erg.-Lfg. März 2010, § 4 WHG Rn. 1 und K. Faßbender, in: Landmann/Rohmer (Hg.), Umweltrecht, 63. Erg.-Lfg. Dezember 2011, § 4 WHG Rn. 2, 23, 34. 83 Vgl.
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung311
wahl der einzelnen Sachmaterien thematisiert die Vielfalt der interpretatorischen Zweifelsfragen nur schlaglichtartig und konzentriert sich auf Themenbereiche, die wie der Gemeingebrauch, die Wasserkraftnutzung oder der Hochwasserschutz mitunter entweder als disponibel oder indisponibel klassifiziert werden. Dabei werden zusammenhängende Regelungskomplexe gemeinsam beleuchtet. 1. Das wasserrechtliche Gestattungsregime der §§ 8 ff. WHG Die §§ 8 bis 18 WHG enthalten die zentralen Vorschriften zur öffentlichrechtlichen Benutzungsordnung und überführen die Vorgaben der §§ 2 bis 13 WHG a. F. modifiziert in das Wasserhaushaltsgesetz 2010. Mit diesem Reglement wurde die im Referentenentwurf eines Umweltgesetzbuches I im Jahre 2009 noch enthaltene integrierte Vorhabengenehmigung aufgegeben.87 Zugleich wurde damit ein mit der Bereichsausnahme verbundenes Ziel insoweit verfehlt, als das Klammerzitat die Vereinheitlichung des umweltrechtlichen Gestattungsinstrumentariums absichern sollte.88 In § 8 Abs. 1 WHG werden die in § 9 WHG erfassten Benutzungen am Gewässer einem vorhergehenden Erlaubnis- bzw. Bewilligungsvorbehalt unterworfen.89 Neben die überkommene Zweiteilung der Gestattungsformen einer grundsätzlich frei widerruflichen Erlaubnis (§§ 10 Abs. 1, 18 Abs. 1 WHG) und einer nur eingeschränkt widerruflichen Bewilligung (§§ 10 Abs. 1, 18 Abs. 2 WHG) trat die gehobene Erlaubnis (§ 15 Abs. 1 WHG) als bundeseinheitliches Instrument. Die neue Dreiteilung ist für einige Länder ein Novum. Die gehobene Erlaubnis war dem rahmenrechtlich geprägten Landesrecht einiger Bundesländer zuvor bereits bekannt, wobei die Terminologie gelegentlich voneinander abwich.90 Die gehobene Erlaubnis räumt dem Rechteinhaber eine stärkere Position ein und wird nach § 15 Abs. 1 WHG erteilt, sofern ein öffentliches oder berechtigtes Interesse des Gewässerbenutzers besteht.91 In § 11 WHG sind grundsätzlich abweichungsoffene 87 Vgl. die Begr. zum RegE des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes, BT-Drucks. 16/12275, S. 54 f. 88 Statt anderer C. Sangenstedt, in: Kloepfer (Hg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 91 ff. und ausführlich B. Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2011, passim. Siehe zudem die Ausführungen zur Intention Kapitel 1 sub II. 3 b). 89 Zum Regelungsmandat der Länder für das Benutzungsregime nachstehend sub 2. 90 Vgl. Art. 16 BayWG, die §§ 11 BremWG, 71 HessWG, 11 NdsWG, 25a NordrhWestWG, 27 RhPfWG, 15 SaarlWG, 12 SachsAnhWG und 20 ThürWG in ihren rahmenrechtlich geprägten Abfassungen. 91 Instruktiv zur gehobenen Erlaubnis A. Guckelberger, VerwArch Bd. 101 (2010), S. 139 (151 ff.).
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
verfahrensrechtliche Vorgaben normiert.92 § 12 Abs. 1 WHG enthält Versagungsgründe, wobei in Absatz 2 nunmehr das wasserwirtschaftliche Bewirtschaftungsermessen ausdrücklich niedergelegt ist.93 Komplettiert wird das Normprogramm durch ausführliche Vorgaben für die Erteilung der Bewilligung (§ 14 WHG), den Ausschluss privater Abwehrrechte (§ 16 WHG) und des vorzeitigen Beginns (§ 17 WHG) sowie der Widerruflichkeit der Erlaubnis und Bewilligung (§ 18 WHG). Nach der Entwurfsbegründung zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz soll „das derzeit geltende System behördlicher Zulassungsinstrumente für wasserwirtschaftliche Vorhaben […] harmonisiert [werden] (§ 8 ff.). Dazu gehört auch eine bundeseinheitliche Regelung zur sog. gehobenen Erlaubnis.“94 Damit stellt der Bundesgesetzgeber unmissverständlich klar, trotz des gescheiterten Projekts eines Umweltgesetzbuchs 2009 an einer Vereinheitlichung des Zulassungsinstrumentariums festzuhalten.95 Eine Abweichung vom Zulassungsregime der §§ 8 ff. WHG ist jedenfalls ausgeschlossen, soweit sie stoff- oder anlagenbezogene Benutzungstatbestände betrifft.96 Das Schrifttum erachtet Abweichungen innerhalb des Zulassungsinstrumentariums ganz überwiegend als unzulässig. Danach würden die Länder, die für die Bewirtschaftungsordnung geltende Typologisierung der Zulassungen konterkarieren, wenn sie weitere Zulassungstypen statuieren oder bestehende umgestalten.97 Überdies würden einer pauschalen Regelung mit Blick auf die Vielfalt von Benutzungstatbeständen potentiell abweichungsfeste Vorgänge entgegenstehen.98 Demgegenüber arbeitete der Sächsische Landesgesetzgeber in § 6 Abs. 1 SächsWG die bestehenden Lücken zwischen disponiblen und indisponiblen Tatbestände heraus und erließ abweichende Regelungen. So darf die Bewilligung nach § 14 WHG gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 SächsWG nur für die stoff- oder anlagenbezogene Gewässerbenutzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 WHG erteilt werden. Das Instrument der gehobenen Erlaubnis kann erteilt werden, soweit eine Gewässerbenutzung im Sinne des § 9 92 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 11 WHG Rn. 5. 93 Kritisch dazu M. Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 ff. 94 Begr. zum RegE des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes, BT-Drucks. 16/ 12275, S. 40. 95 Mit dieser Interpretation M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (476 f.). 96 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 8 WHG Rn. 12; B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 8 WHG Rn. 36. 97 B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 8 WHG Rn. 36. 98 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 15 WHG Rn. 5.
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung313
Abs. 1 Nr. 3 und 4 oder Abs. 2 Nr. 1 WHG in Rede steht. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Abweichung von den benannten Benutzungstatbeständen des § 9 WHG ist im Schrifttum höchst umstritten und wird sogleich zu vertiefen sein. Es darf bereits vermerkt werden, dass eine Abweichung innerhalb des Zulassungsregimes entgegen der gesetzgeberischen Intention durchaus möglich ist. 2. Die Indisponibilität der Benutzungstatbestände nach § 9 WHG Mit der Grundnorm des § 8 WHG ist § 9 WHG verzahnt, der bestimmt, wann eine zulassungspflichtige Gewässerbenutzung vorliegt. Die Vorschrift überführt die Benutzungstatbestände des § 3 WHG a. F. in eine Vollregelung. Neu hinzu trat der Tatbestand des Einbringens fester Stoffe in das Grundwasser nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 WHG. § 9 Abs. 1 WHG erfasst die echten Benutzungen, denen ein gleichsam finales Element zugrunde liegt. Diesen stellt § 9 Abs. 2 WHG unechte Benutzungen gleich, die geeignet sind, nachteilige Veränderungen der Wasserbeschaffenheit herbeizuführen. „§ 9 Benutzungen (1) Benutzungen im Sinne dieses Gesetzes sind 1. das Entnehmen und Ableiten von Wasser aus oberirdischen Gewässern, 2. das Aufstauen und Absenken von oberirdischen Gewässern, 3. das Entnehmen fester Stoffe aus oberirdischen Gewässern, soweit sich dies auf die Gewässereigenschaften auswirkt, 4. das Einbringen und Einleiten von Stoffen in Gewässer, 5. das Entnehmen, Zutagefördern, Zutageleiten und Ableiten von Grundwasser. (2) Als Benutzungen gelten auch 1. das Aufstauen, Absenken und Umleiten von Grundwasser durch Anlagen, die hierfür bestimmt oder geeignet sind, 2. Maßnahmen, die geeignet sind, dauernd oder in einem nicht nur unerheblichen Ausmaß nachteilige Veränderungen der Wasserbeschaffenheit herbeizuführen. (3) Keine Benutzungen sind Maßnahmen, die dem Ausbau eines Gewässers im Sinne des § 67 Absatz 2 dienen. Das Gleiche gilt für Maßnahmen der Unterhaltung eines Gewässers, soweit hierbei keine chemischen Mittel verwendet werden.“
a) Meinungsstand Die Abweichungsfestigkeit der einzelnen Benutzungstatbestände des § 9 WHG wird sehr unterschiedlich beurteilt. Die Benutzungstatbestände werden gemeinhin als durch die Länder ergänzungsfähig erachtet, womit sich die bisher schon bekannten landesrechtlichen Benutzungstatbestände fort-
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
führen lassen.99 Nach einem Standpunkt unterfallen die Benutzungstatbestände vollständig der Bereichsausnahme,100 was mit dem Einfluss jedweder Nutzung des Wasserhaushalts auf die Beschaffenheit bzw. mit der Verknüpfung an das Genehmigungsregime des § 8 WHG begründet wird. Im Gegensatz dazu steht die vereinzelte Auffassung, die Benutzungstatbestände des § 9 WHG vollständig der Abweichungsbefugnis zu eröffnen.101 Die Benutzungen seien nicht anlagenbezogen, sondern verhaltensbezogen. Zudem werde „das Vorliegen einer Benutzung gerade nicht von dem Einsatz bestimmter Stoffe, sondern von dem, dem jeweiligen Verhalten innewohnendem, Wirkungspotential abhängig gemacht“.102 Das wohl überwiegende Schrifttum differenziert hingegen zwischen den Tatbeständen des § 9 WHG. Übereinstimmend werden die Tatbestände des § 9 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 sowie Abs. 2 Nr. 1 WHG als indisponibel erachtet,103 da diese direkt an dem Gefährdungspotential einer Anlage bzw. eines Stoffes anknüpfen. Differenzierter beurteilt sich dies hinsichtlich der Tatbestände in § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 5 sowie Abs. 2 Nr. 2 WHG. Der Normtext dieser Tatbestände rekurriert weder auf eine Anlage noch auf einen Stoff. Gleichwohl wird an solchen Vorgängen regelmäßig eine Anlage beteiligt sein. In Ansehung eines etwaigen Anlagenbezugs erachtet Ulrich Drost die Vorgabe des § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und Abs. 2 Nr. 2 WHG als indisponibel.104 Michael Rein99 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 9 WHG Rn. 19; B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 103. 100 M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494); G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 41. Erg.-Lfg. Mai 2011, § 9 WHG Rn. 21 f. erachtet „ein Herausschneiden einzelner Kategorien des § 9 WHG durch Landesrecht“ als unzulässig, „da sonst den Grundsätzen des § 8 Abs. 1 WHG zuwidergehandelt wird“. Wohl auch E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (282) und H. Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (68) – „Benutzungsund Bewirtschaftungstatbestände und Begleitregelungen“ wie § 3 WHG (a. F., d. Verf.). Mehrdeutig U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 9 WHG, der in Rn. 10 zwischen den Tatbeständen differenziert, jedoch in Rn. 53 festhält: „Benutzungen nach § 9 WHG sind sämtlich stoff- oder anlagenbezogen und damit der Abweichungsgesetzgebung entzogen.“ 101 K. A. Pape, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 59. Erg.-Lfg. September 2010, § 9 WHG Rn. 96. 102 K. A. Pape, ebenda. 103 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 9 WHG Rn. 10; K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 9 WHG Rn. 15; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 107 zitiert zwar § 9 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 WHG, wie ich sich aus dem weiteren Text ergibt, ist dies jedoch offenbar ein Redaktionsversehen. B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 106. 104 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 9 WHG Rn. 10, 53.
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung315
hardt verweist hinsichtlich § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 5 WHG ebenfalls auf den regelmäßigen Einsatz von Anlagen, wobei er eine nähere Klassifikation offen lässt.105 Bernhard Schmid zieht überdies § 9 Abs. 2 Nr. 2 WHG und die übrigen Tatbestände als stoff- oder anlagenbezogene Regelungen in Betracht,106 während dies Konrad Berendes für § 9 Abs. 2 Nr. 2 WHG vermerkt.107 Die Frage ist von hoher praktischer Relevanz. Der Freistaat Sachsen erließ mit § 6 Abs. 1 SächsWG zu den aus seiner Sicht disponiblen Benutzungstatbeständen des § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 5 sowie Abs. 2 Nr. 2 WHG inhaltlich abweichende Regelungen. b) Stellungnahme Eine umfassende Abweichungsresistenz der Benutzungstatbestände lässt sich jedenfalls nicht allgemein aus einem Zulassungsvorbehalt und der Einwirkung der Gewässerbenutzungen auf den Wasserhaushalt herleiten.108 Eine solche Sichtweise würde dem Klammerzitat jegliche Kontur nehmen und lässt sich kaum stringent begründen. Die Benutzungstatbestände sind dem Grunde nach einer anderweitigen Gestaltung zugänglich, sofern sich die Tatbestände nicht konkret auf einen stoff- oder anlagenbezogenen Vorgang erstrecken. Andererseits folgt aus dem Umstand, dass die Tatbestände die Benutzung des Gewässers regeln, nicht deren vollständig Disponibilität.109 Soweit etwa eine Benutzungsregelung unvermittelt an das Gefährdungspotential anknüpft, ist diese Bestimmung auf eine Anlage bezogen und indisponibel. Nach dieser ersten Grundlegung sind die einzelnen Tatbestände in den Blick zu nehmen, weshalb zunächst die Benutzungen von Anlagen sowie Handlungen in und mit Anlagen unter Absatz 1 zu subsumieren sind.110 § 9 Abs. 1 Nr. 1 WHG betrifft die Entnahme und das Ableiten von Wasser. Während die Entnahme regelmäßig eine Anlage voraussetzt,111 wird bei Ableitungen die Schwerkraft des Wassers nutzbar gemacht. Das Wasser wird dabei oftmals mittels Rohrleitungen, Kanälen usf. fortgelei105 M. Reinhardt, 106 B. Schmid,
Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 107. in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG
Rn. 106. 107 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 9 WHG Rn. 19. 108 So wohl die Erwägungen von M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494) und G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 41. Erg.-Lfg. Mai 2011, § 9 WHG Rn. 21 f. 109 K. A. Pape, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 59. Erg.-Lfg. September 2010, § 9 WHG Rn. 96. 110 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 9. 111 Beispielsweise Schöpfvorrichtungen oder Pumpen.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
tet.112 Ein Stoffbezug wird bei diesen Vorgängen regelmäßig nicht auszumachen sein. Wie Drost diesbezüglich ausführt, falle weder das Schutzgut Wasser noch das Gewässer unter den konstitutionellen Stoffbegriff.113 Indessen wird an den in Rede stehenden Vorhaben regelmäßig eine Anlage beteiligt sein. Gleiches gilt für die Tatbestände der Nummern 2 (Aufstauen und Absenken) und 5 (Entnehmen, Zutagefördern, Zutageleiten). Das Aufstauen wird regelmäßig mittels Anlagen, Wehren oder Mauern vorgenommen, während das Absenken auch mittels Verbreiterung oder Vertiefung des Gewässerbettes durchgeführt werden kann.114 In Ansehung dessen erachten Drost und Reinhardt die Tatbestände der Nummern 1 und 2 als indisponibel.115 In Frage steht, ob die nur etwaige Nutzung einer Anlage zur Abweichungsfestigkeit des jeweiligen Tatbestandes führt. Ganz allgemein ist zu beleuchten, inwieweit der Bundesgesetzgeber über die Disponibilität von Vorgabe bestimmen kann. Dies Frage stellt sich bei den Tatbeständen, die sich im Normtext nicht unmittelbar auf Stoffe oder Anlagen beziehen, deren normativ geordneter Sachverhalt jedoch oftmals einen indisponiblen Vorgang enthält. Ebensolche Erwägungen sind zu § 35 WHG angezeigt. Die Bestimmung reglementiert die Wasserkraft‚nutzung‘, ohne die dafür unabdingbaren Anlagen zu erwähnen.116 Das Verständnis Reinhardts setzt für diesen Kontext am Vorrang der Verfassung an. Danach kann es der einfacher Bundesgesetzgeber nicht über die verfassungsrechtlich vorgegebene Bereichsausnahme verfügen.117 Im Verlauf der Untersuchung wurde bereits vermerkt, dass der Sachgesetzgeber mit der hier in Rede stehenden Rechtsetzungstechnik nicht über die grundgesetzliche Kompetenzaufteilung disponiert, sondern verfassungsgemäß lediglich die einzelnen Sachmaterien voneinander trennt und verschiedene Anknüpfungspunkte wählt. Das Wasserhaushaltsgesetz unterwirft die Benutzungen des Wasserhaushalts im Sinne des § 9 WHG dem Erlaubnis- bzw. Bewilligungsvorbehalt. 112 M. Kotulla,
Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 9 WHG Rn. 6. WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 9 WHG Rn. 10. 114 Strikter hingegen U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 9 WHG Rn. 10, danach seien die genannten Benutzungen ohne Anlagennutzung „undenkbar“. 115 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 9 WHG Rn. 10; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 107. Ähnlich B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 106. Abweichend wohl K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, § 9 WHG Rn. 15. 116 Zu § 35 WHG nachstehend sub II. 3. c). 117 Mit dieser bedenkenswerten Anregung im Kontext des § 35 WHG M. Reinhardt, NuR 2011, S. 833 (835) und ders., NVwZ 2011, S. 1089 (1090 f.); weniger eindeutig M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 107. Ähnlich K. Lauer, Das Konfliktverhältnis Wasserkraft contra Umweltschutz, 2012, S. 199 und zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (492 ff.). 113 U. Drost,
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung317
Erlaubnis- und Bewilligung haben dabei jedoch keine Anlagengenehmigung zum Inhalt.118 Abgesehen von § 9 Abs. 2 Nr. 1 WHG wird allseits aner kannt,119 dass neben der Gestattung der Gewässerbenutzung eine Anlagengenehmigung erforderlich ist. Die Benutzungsregelungen knüpfen an das Gefährdungspotential bestimmter Verhaltensweisen bzw. Vorhaben an.120 Der Gesetzgeber kann konkret an das Gefährdungspotential eines Stoffes bzw. einer Anlage oder allein an einer potentiell gefährlichen Veränderung des Gewässers bzw. an ein ebensolches Verhalten anknüpfen.121 Statuiert er schutzzweckbezogene Anforderungen an die Gewässerbewirtschaftung, die an das Gefährdungspotential von Anlagen oder Stoffen anknüpfen, so sind diese Vorgaben abweichungsresistent. Mit dieser Maßgabe lassen sich die indisponiblen Tatbestände zumeist konturenscharf abgrenzen.122 Demgemäß lässt sich den Benutzungstatbeständen von § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 5 WHG kein konkreter indisponibler Anlagenbezug entnehmen. Vielmehr beziehen sich die Tatbestände auf das Wasser bzw. Gewässer, ohne tatbestandlich an Stoffe oder Anlagen anzuknüpfen. Näher befragt zu werden verdient daneben, vor welcher Einwirkung der Wasserhaushalt geschützt werden soll. Insoweit rücken die Tatbestände den Schutz des Wasserhaushalts vor den Einwirkungen einer Entnahme, Ableitung, Aufstauung oder Absenkung in den Mittelpunkt statt des Gefährdungspotentials einer dabei etwaig genutzten Anlage. Die Tatbestände des § 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 WHG sind auch schutzzweckbezogen disponibel, während die Nummern 3 und 4 stoffbezogen und Absatz 2 Nr. 1 anlagenbezogen sind.123 118 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 9 WHG Rn. 4; R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 189 f.; G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 31. Erg.-Lfg. Juli 2006, § 3 WHG [2002, d. Verf.] Rn. 2; B. Schmid, in: Berendes/Frenz/ Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 92 ff. 119 So der Standpunkt von B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 94. Für das ganz überwiegende Schrifttum U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 9 WHG Rn. 14; G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 31. Erg.-Lfg. Juli 2006, § 3 WHG [2002, d. Verf.] Rn. 27; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 76. 120 Insoweit wie hier K. A. Pape, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 59. Erg.Lfg. September 2010, § 9 WHG Rn. 96. 121 Abweichend K. A. Pape, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 59. Erg.-Lfg. September 2010, § 9 WHG Rn. 96. 122 Dies betrifft auch die Klassifizierung der §§ 33, 34 und 35 WHG in sub 3. b) und c) und der §§ 72 ff. WHG in sub III. 2. oder auch Vorgaben des passiven Stoffschutzes in vorstehendem Kapitel 6 sub II. 2. d) bb). 123 Gleichsinnig der Befund bei K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 9 WHG Rn. 19.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
Differenzierter beurteilt sich der Auffangtatbestand des § 9 Abs. 2 Nr. 2 WHG, der nur zur Anwendung gelangt, wenn kein Tatbestand nach Absatz 1 bzw. keine speziellere Vorschrift124 einschlägig ist.125 § 9 Abs. 2 Nr. 2 WHG ist denkbar weit formuliert und erfordert lediglich ein zweckgerichtetes Verhalten.126 Ein solches Verhalten liegt gegebenenfalls im Gefährdungspotential eines Stoffes127 oder einer Anlage.128 Der Begriff der Maßnahme erfasst anlagen- oder stoffbezogene Vorgänge und erscheint damit indisponibel. Indessen ist der Tatbestand nicht auf einen Stoff oder eine Anlage bezogen. Für eine konsistente verfassungsrechtliche Abgrenzung stoff- oder anlagenbezogener Vorgaben ist ein Tatbestand zu unbestimmt, der allgemein „Maßnahmen“ erfasst, „die geeignet sind […] nachteilige Veränderungen der Wasserbeschaffenheit zu bewirken“. Würde man den Tatbestand als stoff- oder anlagenbezogen klassifizieren, so ließen sich schwerlich handhabbare Abgrenzungskriterien für die Kompetenzzuordnung herausarbeiten. Im Ergebnis sind die Tatbestände des § 9 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 sowie Absatz 2 Nrn. 1 WHG indisponibel. Ebensolches gilt für die benannten Tatbestände auch im Rahmen des Absatzes 3, der die Benutzung, die Unterhaltung und den Ausbau voneinander abgegrenzt.129 Vor diesem Hintergrund sind auch die in § 6 Abs. 1 SächsWG niedergelegten Abweichungen verfassungskonform, weil die vorbenannten Tatbestände von den Abweichungen ausgenommen sind.130 Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, soweit mit Art. 15 BayWG für alle erlaubnis- oder bewilligungspflichtigen Gewässerbenutzun124 Etwa
die §§ 62, 63 WHG über den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen. Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 82. 126 Näher dazu B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 72 ff. 127 Siehe dazu die Exempel bei M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 88 ff. 128 Vgl. zur Kasuistik G.-M. Knopp, in: Sieder/Dahme/Zeitler/ders. (Hg.), 31. Erg.-Lfg. Juli 2006, § 3 WHG [a. F., d. Verf.] Rn. 29. 129 Wie hier wohl M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 107. Ähnlich K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 9 WHG Rn. 19, der jedoch zu § 9 Abs. 2 Nr. 2 WHG vermerkt „Maßnahmen nach Nr. 2 können auch stoff- oder anlagenbezogen sein“. Anders hingegen U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 9 WHG Rn. 10; M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 224; B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 106. 130 Der sächsische Gesetzgeber statuierte in § 6 SächsWG abweichende Regelung zu den Benutzungstatbeständen des § 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5, Abs. 2 Nr. 2 WHG. Hierzu vermerkte er: „Aus verfassungsrechtlichen Gründen (abweichungsfeste bundesrechtliche Normen) kann jedoch nur im Rahmen des § 6 die gehobene Erlaubnis bzw. Bewilligung ausdrücklich ausgeschlossen werden.“ (Sächsischer Landtag, Drucks. 15/10658, S. 9 der Begründung). 125 M. Reinhardt,
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung319
gen die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen der gehobenen Erlaubnis nach § 15 Abs. 2 WHG aufgebrochen und abweichend gestaltet werden.131 Die amtliche Begründung ist insoweit wenig aussagekräftig, um die Bedenken zu zerstreuen.132 Die Genehmigungsvoraussetzungen für stoff- und anlagenbezogene Benutzungstatbestände im Sinne des § 9 WHG lassen sich jedenfalls nicht abweichend normieren.133 3. Das Reglement der Bewirtschaftung oberirdischer Gewässer (§§ 25 ff. WHG) In Kapitel 2 Abschnitt 2 des Wasserhaushaltsgesetzes sind die Vorgaben zur Bewirtschaftung oberirdischer Gewässer niedergelegt. Einige erörterungswürdige Neuerungen enthalten der Gemein-, Eigentümer- und Anliegergebrauch (hierzu sub a)), die Vorgaben zur Mindestwasserführung und zur Durchgängigkeit (hierzu sub b)) sowie zur Wasserkraftnutzung (hierzu sub c)). Ein anschauliches Beispiel für die konfligierenden Interessen zwischen Bund und Ländern ist die Vorgabe zu den Gewässerrandstreifen. Die Bestimmung des § 38 WHG regt dazu an, die Hintergründe für die divergierenden Bestrebungen näher zu betrachten (hierzu sub d)). Eine Zusammenfassung der übrigen Vorschriften zur Bewirtschaftung der oberirdischen Gewässer rundet die Betrachtung ab (hierzu sub e)). a) Gemein-, Eigentümer- und Anliegergebrauch (§§ 25, 26 WHG) Wiewohl die Regelungen des Gemein-, Eigentümer- und Anliegergebrauchs allgemein als Abweichungsmaterie gelten,134 verbleiben bei näherem Hinsehen doch einige klärungsbedürftige Themen. Namentlich die Rechtsnatur des Gemeingebrauchs sowie sein Verhältnis zum Fischereirecht und zum Abweichungsmodell sind erörterungswürdig.
diesem Standpunkt wohl U. Drost u. a., BayVBl. 2013, S. 33 (36). bereits in Kapitel 5 sub I. 2. b) bb) und Bayerischer Landtag, Drucks. 16/2868, S. 41: „Das Wasserhaushaltsgesetz bezeichnet die Erlaubnis, die keine gehobene Erlaubnis ist, nicht gesondert. Insoweit wird von den Vorgaben des Wasserhaushaltsgesetzes abgewichen. Abs. 2 übernimmt die Regelung des derzeit geltenden Art. 17 Abs. 2 und 3; auch insofern liegt eine Abweichung vor.“ 133 Mit diesen Bedenken auch K. Berendes, ZfW 2014, S. 1 (8). 134 Statt anderer K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, § 25 WHG Rn. 8 und § 26 WHG Rn. 8; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 25 WHG Rn. 24. Demgegenüber M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, Einf. Rn. 4. 131 Mit
132 Dazu
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
aa) Die Grundstruktur des Gemein-, Eigentümer- und Anliegergebrauchs Das Reglement des Gemein-, Eigentümer- und Anliegergebrauchs an oberirdischen Gewässern, wie es in den §§ 25 und 26 WHG niedergelegt ist, gehört zur historisch gewachsenen und teilweise regionalen Besonderheiten unterliegenden Domäne der Länder.135 In § 25 WHG wird die öffentlich-rechtliche Inanspruchnahme eines oberirdischen Gewässers ohne behördliche Gestattung als Gemeingebrauch gebilligt. Die Neufassung des Wasserhaushaltsgesetzes trägt dieser landesrechtlichen Prägung Rechnung,136 indem die Norm des § 23 WHG a. F. aufrechterhalten und den Ländern zur weiteren Konkretisierung überlassen wurde. Die Länder können den Gemeingebrauch unter bestimmten Prämissen auf das Einleiten von Niederschlagswasser und das Einbringen von Stoffen in oberirdische Gewässer für Zwecke der Fischerei erstrecken, § 25 Satz 3 Nrn. 1 und 2 WHG. Das Einleiten von Niederschlagswasser muss schadlos erfolgen und das Einbringen von Stoffen für Zwecke der Fischerei darf „keine signifikanten nachteiligen Auswirkungen auf den Gewässerzustand“ erwarten lassen.137 Damit führt der Gesetzgeber die Regelungen der §§ 23 und 25 WHG a. F. sowie des § 23 Abs. 2 WHG a. F. zusammen, wie sie bis zum sechsten Änderungsgesetz vom 11. November 1996 bestanden.138 Gleiches gilt für den Eigentümer- und Anliegergebrauch gemäß § 26 WHG. Eine landesrechtliche Ausgestaltung und Begrenzung des Gemeingebrauchs ist zulässig und mitunter geboten.139 Ein Charakteristikum des Gemeingebrauchs ist seine begrenzte rechtliche Wirksamkeit. So tritt der Gemeingebrauch im Konfliktfall hinter die Rechte anderer und des Eigentümer- und Anliegergebrauchs zurück.140 Der Gemeingebrauch ist ein Institut im Recht der öffentlichen Sachen und wird als solcher institutionell gewährleistet.141 Die Gewähr für den Gemeingebrauch bietet neben grundgesetzlichen Verbriefungen auch 135 Siehe dazu die Begr. zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz, BT-Drucks. 16/12275, S. 59 und monografisch F. Sinn, Das Rechtsinstitut des Gemeingebrauchs im Wasserhaushaltsrecht, 2013, S. 49 ff.und passim. 136 Vgl. nur Art. 24 BayWG, § 73 NdsWG, § 34 Abs. 1 Satz 3 SächsWG a. F. 137 Näher zu den Voraussetzungen M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 25 WHG Rn. 24 ff. 138 BGBl. I (1996), S. 1690. 139 Beispiele liefert das Landerecht in Art. 18 BayWG; § 29 SachsAnhWG; § 32 NdsWG. 140 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 25 WHG Rn. 13. 141 Vgl. G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 23. Erg.-Lfg. November 2001, Vorb. WHG Rn. 14 sowie 19. Erg.-Lfg. August 1997, § 23 WHG Rn. 4; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 25 WHG Rn. 10.
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung321
landesrechtliche Bestimmungen wie Art. 141 Abs. 3 Bayerische Verfassung.142 Es darf vermerkt werden, dass jedenfalls eine landesrechtliche Negation des Gemeingebrauchs unzulässig wäre.143 bb) Indisponible Vorgaben des Gemeingebrauchs Die weitere Ausgestaltung des Gemeingebrauchs wird den Ländern gemäß § 25 Satz 1 WHG bereits auf Ebene des Art. 72 Abs. 1 GG weitgehend überlassen. Daneben besteht grundsätzlich eine Dispositionsmacht nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG.144 Doch entwickelten sich um die stoffbezogenen Tatbestände des § 25 Satz 2 WHG einige verfassungsrechtliche Zweifelsfragen. Ausweislich des Normtextes umfasst der Gemeingebrauch „nicht das Einbringen und Einleiten von Stoffen in oberirdische Gewässer“. Nach § 25 Satz 3 Nrn. 1 und 2 WHG können die Länder den Gemeingebrauch auf „das schadlose Einleiten von Niederschlagswasser“ und das „Einbringen von Stoffen in oberirdische Gewässer für Zwecke der Fischerei, wenn dadurch keine signifikanten nachteiligen Auswirkungen auf den Gewässerzustand zu erwarten sind“ „erstrecken“. Einige Länder legten fest, dass jedermann unter bestimmten Voraussetzungen „Grund-, Quellund Niederschlagswasser“ einleiten könne, sofern keine nachteiligen Veränderungen des Wasserhaushalts zu besorgen sind.145 Der Freistaat Bayern verzichtet in Art. 18 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BayWG überdies auf letztgenannte Einschränkung und ordnet jedwede Einleitung von Grund- und Quellwasser dem Gemeingebrauch zu. Mitunter werden die genannten landesrechtlichen Vorgaben als teilweise verfassungswidrige stoffbezogene Abweichungen klassifiziert, sofern der Gemeingebrauch einschränkungslos auf das Einleiten von Grund- und 142 Art. 141 Abs. 3 BV: „Der Genuß der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur, insbesondere das Betreten von Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung wildwachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang ist jedermann gestattet. Staat und Gemeinde sind berechtigt und verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Seen, Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkungen des Eigentumsrechts freizumachen sowie Wanderwege und Erholungsparks anzulegen.“ 143 Siehe dazu nur die Ausführungen und Nachweise bei R. Breuer, Öffentlichesund privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 264. 144 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 25 WHG Rn. 8 und F. Sinn, Das Rechtsinstitut des Gemeingebrauchs im Wasserhaushaltsrecht, 2013, S. 87 f. 145 Vgl. § 32 Abs. 1 Satz 2 NdsWG; § 29 Abs. 1 Satz 2 SachsAnhWG; § 16 Abs. 1 Satz 1 SächsWG, § 19 Abs. 1 Nr. 2 HessWG, § 21 Abs. 2 Nr. 3 Meckl VorpWG.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
Quellwasser erstreckt wird bzw. nicht den Vorgaben des § 46 Abs. 1 WHG genüge.146 Diese Ansicht stützt sich auf den Normtext und die Begründungserwägungen zur Öffnungsklausel in § 25 Abs. 1 Satz 3 WHG, die allein eine Abweichung für die stoffbezogenen Regelungen des Satzes 2 vorsieht.147 Zugleich weist diese Ansicht daraufhin, dass hinsichtlich des Grund- und Quellwassers die Vorgaben der §§ 43 Nr. 1 und 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 WHG zu beachten seien. Danach können die Länder die Einleitung von „Grund-, Quell- und Niederschlagswasser in ein Küstengewässer“ erlaubnisfrei stellen (§ 43 Nr. 1 WHG). Beziehungsweise ist die Einleitung von „Wasser aus der Bodenentwässerung in ein oberirdisches Gewässer“ erlaubnis- oder bewilligungsfrei (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG), wobei „§ 25 Satz 2 WHG keine Anwendung“ findet. Der Normtext des § 25 WHG verwehrt es den Ländern, den Gemeingebrauch auf stoffbezogene Einleitungstatbestände zu erstrecken.148 Soweit Art. 18 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BayWG hinsichtlich der Einleitung von Grundund Quellwasser keine Beschränkung auf dessen Schadlosigkeit vorsieht, setzt sich die Bestimmung in Widerspruch zu § 25 Satz 2 WHG bzw. § 46 Abs. 1 Satz 1 WHG. Zu weitreichend ist jedoch die Einschätzung, wonach eine unzulässige Abweichung bereits darin zu erblicken sei, dass die Länder149 den Gemeingebrauch auch auf Grund- und Quellwasser erstrecken, das nicht allein aus der Bodenentwässerung stammt.150 Für diese Erweiterung können sich die Länder auf die Regelung des § 46 Abs. 1 WHG stützen. Es wäre widersprüchlich, den Ländern zu verwehren, den Gemeingebrauch auf das schadlose Einleiten von Grund- und Quellwasser erstrecken zu können, während sie das Einleiten von schadlosem Niederschlagswasser dem Gemeingebrauch zuordnen können und die Einleitung von schadlosem Wasser aus der Bodenentwässerung erlaubnisfrei ist.
146 So der Gedankengang bei B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 25 WHG Rn. 74 und M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 25 WHG Rn. 33. 147 Vgl. die Begründung zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz BT-Drucks. 16/12275, S. 59: „Satz 3 eröffnet für die stoffbezogene Regelung des Satzes 2 die Möglichkeit abweichender Landesregelungen […].“ 148 Wohl auch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, § 25 WHG Rn. 8. 149 Vgl. etwa § 16 Abs. 1 Satz 1 SächsWG. 150 B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 25 WHG Rn. 74 und M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 25 WHG Rn. 33. Im Ergebnis wohl auch P. Cormann, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2012, § 25 WHG Rn. 17.
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung323
cc) Der Dispens vom Gemeingebrauch als konstitutionelle Abweichung Der Bundesgesetzgeber intendierte mit der Überführung der stoffbezogenen Vorschrift des § 25 WHG a. F. in den § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG bzw. in den Gemeingebrauch keine Verschärfung der Anforderungen.151 Indessen ist der Fischereiberechtigte im Anwendungsbereich der Erstreckung nach § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG den Restriktionen unterworfen, die mit dem Institut des Gemeingebrauchs verbunden sind. Als eine solche Restriktion gilt etwa das Rücksichtnahmegebot nach § 25 Satz 1 WHG.152 Insofern wurde § 25 WHG a. F. materiell in einen anderen Regelungszusammenhang gestellt. Mit Blick auf die Landesgesetzgebung ist zu erörtern, inwiefern die Zuordnung des Tatbestandes zum Gemeingebrauch durch den Bundesgesetzgeber und eine anschließende landesrechtliche Entbindung des Tatbestandes vom Gemeingebrauch zu einer kompetenziellen Abweichung nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG führt. Das Wasserhaushaltsgesetz ordnet in § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG eine Regelung der Binnenfischerei dem Gemeingebrauch zu.153 Insoweit ist die Bestimmung des Art. 19 BayWG von Interesse.154 Abweichend von § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG ordnet Art. 19 BayWG155 die stoffbezogene Regelung des Einbringens von Stoffen in oberirdische Gewässer zu Zwecken der Fischerei nicht dem Gemeingebrauch zu. Das Bayerische Wassergesetz entkoppelt die stoffbezogene Regelung vom Gemeingebrauch und statuiert sie als eigenständige Befreiungsregelung. Mit dieser Modifikation wird der Einbringende von den Restriktionen entbunden, die sich etwaig aus dem Gemeingebrauch gemäß § 25 WHG in Verbindung mit den korrespondierenden landesrechtlichen Vorschriften ergeben. Nach Ulrich Drost156 handelt es sich bei § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG um eine stoffbezogene abweichungsfeste Regelung des Wasserhaushaltsrechts. Indessen gelte die Abweichungsfestigkeit nur hinsichtlich des Gewässerschutzes und umfasse nicht die systematische 151 BT-Drucks. 16/12227, S. 59: „wobei die Nummer 2 dem geltenden § 25 WHG entspricht.“ 152 Paradigmatisch M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 25 WHG Rn. 13. 153 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 25 WHG Rn. 6. 154 Bay GVBl. Nr. 4/2010, S. 71. 155 Art. 19 BayWG: „Benutzung zu Zwecken der Fischerei (Abweichend von § 25 S. 3 Nr. 2 WHG) Das Einbringen von Stoffen in oberirdische Gewässer zu Zwecken der Fischerei bedarf keiner Erlaubnis, wenn dadurch keine signifikanten nachteiligen Auswirkungen auf den Gewässerzustand zu erwarten sind.“ 156 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 25 WHG Rn. 24.
324
Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
Zuordnung zum Gemeingebrauch. Die Bundesländer Hessen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen entkoppelten ihre Bestimmungen ebenfalls vom Rechtsinstitut des Gemeingebrauchs, jedoch ohne hierfür Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG in Anspruch zu nehmen.157 Die Zuordnung des § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG enthält mit seinen Bezügen zur Fischerei einen weiteren Aspekt föderaler Legislativzuständigkeit. Das Fischereirecht ist Domäne der Länder und weist von Verfassungs wegen einen weitergehenden Gewährleistungsgehalt auf.158 Anders als der Gemeingebrauch zieht dieses Recht seine Gewähr aus der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 GG.159 Die Vorgabe in § 25 WHG ist eine wasserwirtschaftliche Regelung, die den Ländern mit Blick auf deren Befugnisse zur Ausgestaltung der Binnenfischerei den erforderlichen Freiraum belässt. Obwohl der wasserwirtschaftliche Bezug diskutabel ist,160 durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die aus der gewerblichen Fischhaltung erwachsenden Gefahren durch unverwertetes Futter, Ausscheidungen und Arzneimittelrückstände eine solche Regelung und deren Verortung im Gemeingebrauch erfordern. Die Überführung des § 25 WHG a. F. in den Gemeingebrauch nach § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG führte eine inhaltliche Änderung herbei.161 Dem Grunde nach unterliegen die Ausgestaltung des Gemeingebrauchs und die Zuordnung einzelner Sachmaterien zum Gemeingebrauch der Abweichungsbefugnis. Lässt man diesen Befund Platz greifen, so weicht eine landesrechtliche Regelung ab, wenn sie die Vorgabe des § 25 Satz 3 Nr. 2 WHG dem Gemeingebrauch zuweist.162 Insoweit erhebt sich die Frage, ob die Länder über die systematische Verortung einer stoff- oder anlagenbezogenen Regelung disponieren können. 157 Vgl.
§ 35 NdsWG, § 20 HessWG und § 31 SachsAnhWG. Ermangelung eines einschlägigen Kompetenztitels unterliegt das Recht der Binnenfischerei der Legislativmacht der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG. Ausführlich am Beispiel Bayerns R. Kössinger/S. Grimm, MittBayNot 2012, S. 270 ff. 159 Näher G.-M. Knopp, Das neue Wasserhaushaltsrecht, Rn. 261 und aus der Spruchpraxis BGH, Urteil v. 31. Mai 2007, Az.: III ZR 258/06, Rn. 12 ff. (zitiert nach juris) und BVerwG, Urteil v. 30. Mai 2011, Az.: 7A9/09, Rn. 26 (zitiert nach juris). 160 Wie hier einerseits M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 25 WHG Rn. 37 und andererseits kritischer U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Stand Juli 2010, Art. 18 BayWG Rn. 4. 161 Siehe dazu nur die Ausführungen bei U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Stand Juli 2010, Art. 19 BayWG Rn. 3 ff. und G.-M. Knopp, Das neue Wasserrecht, Rn. 261. 162 Zutreffend U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 25 WHG Rn. 23 f. und ders., Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Stand Juli 2010, Art. 19 BayWG Rn. 3 f. 158 In
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung325
Michael Foerst erachtet die bayerische Abweichung als „kompetenzlos“,163 soweit Art. 19 BayWG die Regelung des Einbringens von Stoffen in oberirdische Gewässer aus dem Gemeingebrauch herauslöst. Gleichwohl sei die Abweichung aus teleogischen Gründen „noch zulässig“, weil die stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen „ihrer inhaltlichen Aussage nach für die Länderabweichung unzugänglich sind.“164 Dem kann nicht gefolgt werden, denn ein solcher Standpunkt würde die Abweichungsfestigkeit insgesamt untergraben, wenn die Länder die Zuordnung stoff- oder anlagenbezogener Tatbestände nach ihrem Belieben umstellen könnten, solange sie nur den bundesgesetzlichen Schutzstandard erhalten. Einen gangbaren Weg gibt hingegen die Kompetenzordnung selbst vor. Bereits in der Begründung des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27. Juli 1957 erkannte der Bundesgesetzgeber das Recht der Länder an, die Belange der Fischerei selbst zu regeln, weil diese für die Binnenfischerei kompetenzrechtlich zuständig sind.165 Wie Günther-Michael Knopp zur Neufassung des § 25 WHG zu Recht vermerkt, „wurde nicht berücksichtigt, dass die genannte Tätigkeit zur fischereirechtlichen Bewirtschaftung gehört.“166 Die Länder durchbrechen insoweit nicht „kompetenzlos“167 die bundesgesetzliche Zuordnungsentscheidung einer stoffbezogenen Regelung. Sondern sie stützen sich einerseits auf Art. 72 Abs. 1 GG, soweit sie den Fischereiberechtigten das Einbringen von Stoffen in oberirdische Gewässer für Zwecke der Fischerei gestatten, da § 25 Satz 3 WHG eine Öffnungsklausel vorsieht. Andererseits stützen sich die Länder auf ihre Kompetenz zur Regelung der Binnenfischerei, soweit sie diese erlaubnisfreie fischereirechtliche Gewässerbenutzung nicht dem Institut des Gemeingebrauchs unterfallen lassen wollen. Auch die einzelnen Bundesländer beurteilen die Vorschrift unterschiedlich. Während der Freistaat Bayern Art. 18 BayWG als abweichende Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG kennzeichnete und meldete, stützen die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz ihre nahezu identischen Regelungen in § 20 HessWG bzw. § 24 RhPfWG offensichtlich allein auf Art. 72 Abs. 1 GG. Wiederholt stellt dieser Befund den Sinn einer Kennzeichnung als ‚abweichend von‘ und die Dokumentation der landesrecht lichen Vorschriften im Bundesgesetzblatt in Frage.168 163 M. Foerst,
Abweichungskompetenz, 2012, S. 263. Abweichungskompetenz, 2012, S. 265 f. 165 Vgl. dazu die Begründung zum Entwurf der Bundesregierung zur Urfassung des Wasserhaushaltsgesetzes, BT-Drucks. 2072, S. 32. 166 G.-M. Knopp, Das neue Wasserrecht, Rn. 261. 167 So aber M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 263. 168 Die Klassifizierung als Abweichung wirkt sich auch auf die Kennzeichnungsobliegenheit aus, dazu vorstehend Kapitel 5 sub III. 164 M. Foerst,
326
Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
b) Die Vorgaben zur Mindestwasserführung und Durchgängigkeit (§§ 33, 34 WHG) Die Paragraphenfolge der §§ 33 bis 38 WHG wurde mit dem Wasserrechtsneuregelungsgesetz neu strukturiert und ergänzt. Sie knüpft an die zentralen Bestimmungen der §§ 27 bis 32 WHG an, welche die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie in nationales Recht und die indisponiblen Bestimmungen zur Reinhaltung oberirdischer Gewässer in das neue Wasserhaushaltsgesetz überführen.169 Sowohl die Direktive zur Mindestwasserführung gemäß § 33 WHG als auch zur Durchgängigkeit nach § 34 WHG zielen auf die vorgegebenen Qualitätskomponenten der Wasserrahmenrichtlinie.170 Wie sich dem Begründungstext entnehmen lässt, ist § 33 WHG im Zusammenhang mit den Vorgaben zur Durchgängigkeit in § 34 WHG zu interpretieren. Dort heißt es diesbezüglich: „In Verbindung mit geeigneten technischen Einrichtungen und sonstigen Maßnahmen an der Stauanlage gehört der Mindestwasserabfluss auch zum wesentlichen Bestandteil der Durchgängigkeit eines Gewässers.“ aa) Meinungsstand Für den Untersuchungsgegenstand lässt sich zunächst unterstreichen, dass die Regelung zu Stauanlagen in § 34 WHG abweichungsfest ist.171 Weniger eindeutig ist die kompetenzielle Zuordnung der Vorgaben zur Mindestwasserführung in § 33 WHG. Die Bestimmung greift die Benutzungstatbestände des § 9 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 WHG auf.172 Nach einer Ansicht steuert die Vorschrift weder stoff- noch anlagenbezogene Vorgänge und ist danach disponibel.173 Hiergegen wird vorgebracht,174 dass sich § 33 WHG in der Vollzugspraxis häufig auf Querbauwerke oder Wasserentnahmeanlagen und somit auf eine Anlage im Sinne der Bereichsausnahme bezieht. Ferner wer169 M. Kotulla,
Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 33 WHG Rn. 5. die Vorgaben zur Durchgängigkeit von Flüssen in Anhang V Nr. 1.2.1 der Wasserrahmenrichtlinie und M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 34 WHG Rn. 2 und § 32 WHG Rn. 2. 171 Wie hier K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, § 34 WHG Rn. 7; F.-J. Peine, in: Bosecke/Kersandt/Täufer (Hg.), Festg. Czybulka, 2010, S. 207 (217). 172 M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 33 WHG Rn. 4; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 33 WHG Rn. 7. 173 D. Riedel, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Juli 2010, § 33 WHG Rn. 5; M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 39. 174 K. Faßbender, in: Landmann/Rohmer (Hg.), Umweltrecht, 67. Erg.-Lfg. November 2012, § 33 WHG Rn. 10; M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 268 f.; M. Reinhardt, Rechtsgutachten UBA, Gewässerdurchgängigkeit, 2012, S. 8. 170 Siehe
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung327
den die Entnahmen und Ableitungen häufig im Rahmen des Betriebs von Anlagen vorgenommen. bb) Stellungnahme Die vorstehenden Überlegungen gleichen den bereits erörterten Standpunkten zu § 9 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 WHG.175 Mitunter werden die Benutzungstatbestände des Aufstauens und Absenkens sowie des Ableitens als auch der Entnahme von Wasser aus oberirdischen Gewässern nach § 9 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 WHG als indisponibel erachtet. Hier wie dort wird die reglementierte Handlung gewöhnlich mittels Anlagen vorgenommen. Ebenso wären die Vorgaben in § 33 WHG wie auch die Tatbestände in § 9 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 WHG indisponibel, da auch ihnen möglicherweise die Verwendung einer Anlage zugrunde liegen. Einem solchen Ansinnen ist mit den zu § 9 WHG entwickelten Erwägungen entgegenzutreten. § 33 WHG bezweckt weniger den Schutz des Gewässers vor einer konkreten Anlage als vielmehr vor den Auswirkungen einer Aufstauung, Entnahme oder Ableitung auf die Funktionsfähigkeit des Gewässers, etwa auf die aquatischen Ökokulturen. Die etwaige Nutzung einer Anlage führt nicht zur Abweichungsfestigkeit einer Vorschrift, die allgemeine Prämissen an die Gewässerbewirtschaftung statuiert.176 Vielmehr muss die indisponible Regelung konkret an einen anlagen- oder stoffbezogenen Vorgang anknüpfen. Eine andere Interpretation der Bereichsausnahme droht einer Abweichungsgesetzgebung der Länder das Wasser abzugraben. Finden die Länder in der Vorschrift keinen verlässlichen Anknüpfungspunkt im Sinne eines Stoffes oder einer Anlage für eine Norminterpretation vor, dürfen sie regelmäßig eine Disponibilität unterstellen. c) Die Voraussetzungen der Wasserkraftnutzung (§ 35 WHG) Die Vorschrift des § 35 WHG zur Nutzung der Wasserkraft ruft einige weitere Abgrenzungsfragen auf. Die Wasserkraftnutzung darf nach den Absätzen 1 und 2 zugelassen werden, sofern geeignete Maßnahmen zum Schutz der Fischpopulation vorgenommen bzw. in angemessenem Umfang durchgeführt werden. In Absatz 3 scheint das Ziel auf, die Nutzung der Wasserkraft stärker zu etablieren und zugleich den Zielen der Wasserrahmenrichtlinie zu entsprechen.177 175 Vorstehend
sub I. 6. b). M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 268 f. 177 Näher M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, § 35 WHG Rn. 14 f. 176 Abweichend
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
Die Vorschrift gab im Verlauf der Untersuchung bereits Anlass zur näheren Erörterung,178 inwieweit sich der Bundesgesetzgeber auf sein Recht zur Ordnung der Energiewirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG stützt.179 Nunmehr bleibt zu beleuchten, inwieweit die Norm der Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG zuzuschlagen ist. Die Bundesregierung äußerte auf einen Änderungsvorschlag der Länder, dass „§ 35 des Gesetzesentwurfs ergänzende, auf eine Gewässernutzung bezogene Zulassungsvoraussetzungen regelt.“180 aa) Meinungsstand Vielfach wird vertreten, dass es sich bei den Vorgaben zur Wasserkraftnutzung „um anlagenbezogene Regelungen des Wasserhaushaltsrechts i. S.v Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG“ handele.181 Eine Nutzung der Wasserkraft sei ohne die Nutzung einer Anlage nicht vorstellbar, weshalb eine Disponibilität der Vorgabe gegen die verfassungsrechtlich vorgegebene Abweichungsresistenz solcher Vorschriften verstieße.182 „Der bloße Verzicht des Gesetzeswortlauts auf den Begriff der Anlage“ nehme der Vorschrift ihren Anlagenbezug nicht.183 Andere erachten die Norm hingegen als grundsätzlich disponibel. Sie sei lediglich „faktisch“184 abweichungsresistent, da es den Ländern verwehrt sei, die zusätzlichen Anforderungen für die Zulassung von Wasserkraftnutzungen durch Wasserkraftanlagen abweichend zu gestalten.185
178 Zur
Kompetenzinanspruchnahme und -abgrenzung Kapitel 4 sub III 1. diesem Befund M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488); ders., Czychowski/ders., § 35 WHG Rn. 8 und D. Riedel, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2012, § 35 WHG Rn. 3. 180 BT-Drucks. 16/13306, S. 27. 181 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 271; K. Lauer, Das Konfliktverhältnis Wasserkraft contra Umweltschutz, 2012, S. 199; M. Reinhardt, NuR 2011, S. 833 (835) und ders., NVwZ 2011, S. 1089 (1090 f.); D. Riedel, in: Giesberts/ Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Juli 2010, § 35 WHG Rn. 3. 182 Ausdrücklich mit diesem Standpunkt M. Reinhardt, NuR 2011, S. 833 (835) und ders., NVwZ 2011, S. 1089 (1090 f.); ders., Rechtsgutachten UBA, Gewässerdurchgängigkeit, 2012, S. 8. 183 K. Lauer, Das Konfliktverhältnis Wasserkraft contra Umweltschutz, 2012, S. 199; M. Reinhardt, NuR 2011, S. 833 (835) und ders., NVwZ 2011, S. 1089 (1090 f.). 184 F. Niesen, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 35 WHG Rn. 35. 185 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 35 WHG Rn. 7; F. Niesen, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 35 WHG Rn. 35. 179 Mit
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung329
bb) Stellungnahme Wie ein Blick auf den Norm- und Begründungstext ersichtlich macht, versuchte der Bundesgesetzgeber, eine Abweichungsfestigkeit der Vorschrift zu vermeiden, indem er nicht an einen stoff- oder anlagenbezogenen Vorgang anknüpft.186 Es obliegt der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, schutzzweckbezogen darüber zu befinden, ob er einen Tatbestand mit dem Gefährdungspotential eines Stoffes bzw. einer Anlage verknüpft. Er kann sich auch dafür entscheiden, nutzungsbezogene Vorgaben für die Gewässer nutzung zu statuieren, die ohne einen konkreten Anlagenbezug gelten. Einerseits ist es ihm damit möglich, innerhalb von stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen Öffnungsklauseln vorzusehen.187 Andererseits ist er auch befugt, von einer Abweichungsfestigkeit Abstand zu nehmen, indem er die jeweilige Regelung eindeutig nicht mit einem Stoff- oder Anlagenbezug versieht. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn der Gesetzgeber offensichtlich an Anlagen zur Wasserkraftnutzung, beispielsweise an eine Laufwasserkraftanlage, anknüpfen kann, wie es der Gesetzesentwurf der Bundesregierung seinerzeit zunächst vorsah.188 Auch der Änderungsvorschlag des Bundesrates war noch anlagenbezogen.189 Weil sich die Bundesländer weigerten, der sehr restriktiv ausgestalteten Entwurfsfassung des Bundes zu folgen, verständigten sich die beteiligten Akteure letztlich auf die geltende Fassung, die allein den Schutz der Fischpopulation im Rahmen der Wasserkraftnutzung bundeseinheitlich regelt.190 Der Normtext statuiert damit nutzungsspezifische Vorgaben und bezieht sich nicht unmittelbar auf die Zulassung der jeweiligen Anlage, sondern auf 186 So die allseitige Sichtweise G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 40. Erg.-Lfg. August 2010, § 35 WHG Rn. 4; K. Lauer, Das Konfliktverhältnis Wasserkraft contra Umweltschutz, 2012, S. 199; pointiert bezeichnet M. Reinhardt, NVwZ 2011, S. 1089 (1091) diese regelungstechnische Eloquenz des Bundesgesetzgebers als „begriffsequilibristische Übung“. 187 Mit dieser Beurteilung bereits vorstehend Kapitel 5 sub II. 2. b); mit entgegengesetzter verfassungsrechtlicher Bewertung M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (494). 188 BR-Drucks. 280/09, S. 33: „Eine Nutzung durch Laufwasserkraftanlagen soll darüber hinaus nur zugelassen werden, wenn die Anlage 1. im räumlichen Zusammenhang mit einer ganz oder teilweise bereits bestehenden oder vorrangig zu anderen Zwecken als der Erzeugung von Strom aus Wasserkraft neu zu errichtenden Staustufe oder Wehranlage oder 2. ohne durchgehende Querverbauung errichtet wird. […] errichtet wird.“ 189 BR-Drucks. 16/13306, S. 7: „Die Nutzung von Wasserkraft ist zulässig, wenn die Anlage nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik errichtet und betrieben wird […].“ 190 Zur Entstehungsgeschichte U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 35 WHG Rn. 4 ff.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
die Nutzung des Gewässers. Insofern spricht einiges dafür, die Vorgaben zur „Nutzung von Wasserkraft“ der Gewässer dem Grunde nach für disponibel zu erachten.191 Wohl zu Recht soll jedoch ein indisponibler Anlagenbezug mit Blick auf die landesrechtliche Genehmigungsentscheidung für die Errichtung, den Betrieb oder die Änderung einer Wasserkraftanlage vorliegen.192 d) Die Bestimmung zu den Gewässerrandstreifen (§ 38 WHG) An der Vorschrift zu den Gewässerrandstreifen, die von zahlreichen Ländern modifiziert wurde,193 entzündeten sich verschiedene Kontroversen.194 Niedergelegt sind die Bestimmungen zu den Gewässerrandstreifen in § 38 WHG. Dessen Absatz 1 regelt die Zweckbestimmung von Gewässerrandstreifen, die Absätze 2 und 3 betreffen die räumliche Ausdehnung der Gewässerrandstreifen, während die in den Gewässerrandstreifen geltenden Verbote in den Absätzen 4 und 5 niedergelegt sind. Im Gegensatz zu § 50 SächsWG a. F., an den sich die Vorschrift anlehnt, wurde auf eine ausdrückliche Inbezugnahme des Hochwasserschutzes durch Gewässerrandstreifen verzichtet. Der Gesetzgeber erblickt die Funktion der Gewässerrandstreifen vordergründig in der Verlangsamung des Wasserflusses, in der Verbesserung der aquatischen Ökokultur, der Wasserspeicherung sowie in der Schutzfunktion vor diffusen Stoffeinträgen,195 während ihre Funktion als Überschwemmungszone eher nachrangig ist.196 Die Vorschrift führt eine sehr heteroge191 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 35 WHG Rn. 7. 192 Mit diesem Standpunkt K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 35 WHG Rn. 7 und F. Niesen, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 35 WHG Rn. 35. 193 Zu den Landesregelungen siehe oben Kapitel 2 sub II. 2. 194 Zum Diskurs R.-D. Dörr/A.-B. Walter, WuA 7-8/2009, S. 44 ff.; K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 38 WHG Rn. 2; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 38 WHG Rn. 2 ff.; H. Wendenburg, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 113 (114 f.). Die Vorgaben zu den Gewässerrandsteifen dominierten zudem die Anhörungen in den Landtagen. Statt anderer Bayerischer Landtag, Anhörung zum Gesetzesentwurf der Staatsregierung für ein Bayerisches Wassergesetz (Bayerischer Landtag, Drucks. 16/2868), von den Rednern nicht autorisiertes Wortprotokoll vom 11. Februar 2010; Niedersächsischer Landtag, Bericht des Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz, Drucks. 16/2218, S. 1. 195 Instruktiv zur Untersuchung der Oberflächengewässer auf prioritäre und flussgebietsbezogene Schadstoffe am Beispiel Niedersachsens D. Steffen, WuA 3/2011, S. 18 ff. 196 Näher zur Funktion M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 38 WHG Rn. 6 ff.
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung331
ne landesrechtliche Regelungslandschaft197 zusammen. Ganz allgemein gründet sich die zumeist vorgebrachte Kritik an der Vorschrift in der einfachgesetzlichen Öffnungsklausel des § 38 Abs. 3 Satz 2 WHG. Die Öffnung befähigt die Länder bereits gemäß Art. 72 Abs. 1 GG, vollständig auf Schutzstreifen zu verzichten.198 Gleichwohl liefert eine Betrachtung des Stoff- und Anlagenbezugs der Bestimmung einige weitere Anhaltspunkte für die weitere Grundlegung der Bereichsausnahme. aa) Meinungsstand Zweifelsfrei unterfällt der Gewässerrandstreifen als Naturbestandteil nicht den stoff- oder anlagenbezogenen Vorschriften im konstitutionellen Sinne,199 weshalb die Länder dem Grunde nach zum Erlass abweichender Vorgaben befugt sind.200 Der Gewässerrandstreifen dient zuvorderst der Erhaltung und der Verbesserung der ökologischen Funktion oberirdischer Gewässer. Die allgemeine Zielrichtung des Schutzes vor diffusen Quellen in Absatz 1 hebt die Bestimmung nicht in den Rang einer stoffbezogenen Regelung. Anders beurteilt sich dies hinsichtlich der verschiedenen Untersagungstatbestände.201 Nach überwiegender Ansicht sind die enumerierten Verbotstatbestände des § 38 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 und 4 WHG indisponibel.202 Das betrifft den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, insbesondere auch im Zusammenhang mit zugelassenen Anlagen, sowie das Verbot der nicht nur zeitweisen Ablagerung von Gegenständen.
197 Auf diesen Umstand wies H. Wendenburg, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 113 (114 f.) hin. Während Mecklenburg-Vorpommern (§ 81 Abs. 3 MecklVorpWG a. F.) teilweise eine Breite von 1m vorsah, räumte Baden-Württemberg (§ 68b BadWttbgWG a. F.) dem Randstreifen 10 m ein. 198 Näher zu den Öffnungsklauseln des § 38 WHG in vorstehendem Kapitel 5 sub II. 199 U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Stand Juli 2010, Art. 21 BayWG Rn. 6. 200 Weiteres in Kapitel 6 sub II. 2. d) und ähnlich U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 38 WHG Rn. 8. 201 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 273; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 38 WHG Rn. 3. Im Ergebnis offen gelassen F. Niesen, in: Berendes/Frenz/ Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 38 WHG Rn. 23. 202 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 38 WHG Rn. 10; M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 274; ähnlich D. Riedel, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Juli 2011, § 38 WHG Rn. 3. Kritisch zur Klassifizierung als disponible Norm H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 4 f.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
bb) Stellungnahme Die Verbote des Umgangs mit wassergefährdenden Stoffen nach § 38 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 WHG oder die anlagenbezogene Bestimmung des § 38 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 WHG werden zu Recht als indisponible stoff- bzw. anlagenbezogene Vorgabe erachtet.203 Weniger offenkundig beurteilt sich dies bei dem Verbot nach § 38 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 WHG. Der Tatbestand untersagt die nur zeitweise Ablagerung von Gegenständen, die den Abfluss verhindern oder fortgeschwemmt werden können.204 Dieses Verbot wird gelegentlich als indisponibler Tatbestand identifiziert, weil es einen stofflichen Vorgang steuere.205 Von dem insoweit gleichlautenden Verbotstatbestand für festgesetzte Überschwemmungsgebiete traf das Land Rheinland-Pfalz eine abweichende Regelung.206 Die Untersagungstatbestände dienen dem Schutz von Brücken, Häusern usf. vor im Wasser treibenden Gegenständen und sollen zudem einen ordnungsgemäßen Abfluss des Hochwassers sichern.207 Die erfassten abgelagerten Gegenstände verhalten sich gegenüber der Gewässerqualität regelmäßig neutral. Anderenfalls werden sie bereits von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WHG reglementiert, der das Aufbringen und Ablagern von abschwemmbaren, wasserlöslichen oder jedenfalls schwimmfähigen wassergefährdenden Stoffen zum Gegenstand hat.208 Die Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG sichert einen bundeseinheitlichen Schutz des Wasserhaushalts vor stoff- und anlagenbezogenen Vorgängen. Es ist gleichwohl bedenklich, unter die Bereichsausnahme Tatbestände zu subsumieren, deren intendierte Schutzrichtung nicht auf eine bestimmte Schadstofffracht, sondern auf den Wasserabfluss oder andere Sachgüter bezogen ist.209 Von daher ist der Stoffbegriff näher zu beleuchten, der im Ausgangspunkt weit auszulegen ist. Nach der wohl überwiegenden Ansicht erfasst der Begriff ‚feste Stoffe‘ nicht jede Materie, 203 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 38 WHG Rn. 10; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 38 WHG Rn. 8 und M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 38 WHG Rn. 8. 204 Dazu vorstehend sub II. 2. b). 205 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 38 WHG Rn. 10; M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 274. 206 Dazu nachstehend in sub III. 2. c). 207 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 78 WHG Rn. 16. 208 Demgegenüber subsumiert M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 78 WHG Rn. 14 mit Verweis auf seine Kommentierung von § 38 WHG Rn. 40 auch Chemikalien unter den Tatbestand. 209 Zu den einzelnen Tatbeständen auch G. Hünnekens, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 62. Erg.-Lfg. Juli 2011, § 78 WHG Rn. 13 ff.
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung333
die vor dem Einbringen in das Gewässer nicht vorhanden war.210 Erfasst werden nur solche Stoffe, die zur Auflösung und zu anderer wasserwirtschaftlich erheblicher Verbindung mit dem Wasser in das Wasser eingebracht werden.211 Dieser Standpunkt bietet jedoch keinen tragfähigen Anhaltspunkt für die verfassungsrechtliche Bereichsausnahme. Gleichwohl wird damit ein restriktiveres Verständnis des Stoffbezugs vermittelt.212 Auf einfachgesetzlicher Ebene sind Stoffe schutzzweckbezogen von Gegenständen zu unterscheiden. Vieles spricht im Ergebnis dafür, Regelungen als disponibel zu erachten, die das Ablagern von ‚Gegenständen‘ betreffen, „die den Wasserabfluss behindern können oder die fortgeschwemmt werden können“.213 Einer solchen Lesart folgt wohl auch das Land RheinlandPfalz mit § 89 RhPfWG. e) Die Indisponibilität der §§ 36 ff. WHG Einige Bestimmungen aus dem Normprogramm zur Bewirtschaftung oberirdischer Gewässer wurden vorstehend bereits thematisiert. Uneinheitlich ist die Klassifikation der Vorgaben in § 36 WHG zu Anlagen in und an Gewässern mit Blick auf Anlagen wie Mauern, Stege und Brücken. Gelegentlich wird ihnen die kompetenzielle Indisponibilität abgesprochen.214 Diese restriktive Interpretation erblickt in bestimmten Anlagentypen wie Brücken und Mauern keine Regelungsgegenstände mit stofflichen oder von Anlagen ausgehenden Gefährdungen. Daneben wurde vorstehend bereits 210 So der VGH München, Urteil vom 16. Dezember 1999, Az.: 22 B 97/1171423 (zitiert nach juris) zum Befahren von Gewässern mit Modellbooten und auch U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 9 WHG Rn. 26. 211 VGH Mannheim, Urteile vom 20. Mai 2010, Az.: 3 S 1253/08 und vom 08. November 2005, Az.: 3 S 538/05 (zitiert nach juris); M. Reinhardt, Czychowski/ ders., § 9 WHG Rn. 3 ff.; B. Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 9 WHG Rn. 41 ff.; wohl auch G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 41. Erg.-Lfg. Mai 2011, § 9 WHG Rn. 37. 212 Siehe dazu auch die Ausführungen zum normativ-rezeptiven Vorgehen des verfassungsändernden Gesetzgebers unter Kapitel 4 sub II. 2. 213 Demgegenüber M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 320. Das Verständnis der Rechtsprechung zum einfachgesetzlichen Stoffbegriff illustriert M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 9 WHG Rn. 28. 214 Eine Abweichungsresistenz bejahend H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347); B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (757); im Ergebnis auch Schulze-Fielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (67 ff.); M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 39. Abweichend C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (36); G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 35. Erg.-Lfg. Juni 2008, WHG Vorb. 4a.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
§ 37 WHG beleuchtet, der nur partiell disponibel und ganz überwiegend privat-rechtlicher Natur ist.215 Die Ordnung der Gewässerunterhaltung in § 39 WHG wird gemeinhin als Regelungsmaterie erachtet, die weder stoff- noch anlagenbezogen ist und regionalen Besonderheiten unterliegt.216 Wie im Verlauf der Untersuchung bereits ausgeführt, erhielt die Vorschrift in ihrer Neufassung eine ökomorphologische Ausrichtung, die beispielsweise von den Ländern Niedersachsen und Sachen-Anhalt sogleich kassiert wurde.217 Die beiden Länder halten für die Gewässerunterhaltung an der überkommenen Zielvorstellung fest, die zuvörderst den Gewässerabfluss und die Schiffbarkeit zu gewährleisten habe. Gegen die Zulässigkeit einer solchen Einschränkung wendet sich Michael Reinhardt.218 Danach seien Länder „berechtigt, § 39 auszuweiten, dürften ihn aber (wie bisher) nicht einschränken“. Nach dieser Lesart ist die Zulässigkeit der benannten, kompetenzrechtlich abweichenden Landesregelungen zweifelhaft. Indessen sollte dieser Standpunkt überdacht werden, der seine Berechtigung aus der Rahmengesetzgebung aus Art. 75 GG a. F. erhielt. Im Gegensatz zur Vorgängerregelung ist der Bundesgesetzgeber nicht mehr befähigt, den Ländern für diesen Regelungszusammenhang einen indisponiblen Mindeststandard aufzugeben.219 Letztlich wird eine konstitutionelle Abweichungsoffenheit des § 39 WHG und die kompetenzielle Zulässigkeit der abweichenden Landesvorgaben anzunehmen sein.220 Die Vorgaben zu den ‚besonderen Pflichten der Gewässerunterhaltung‘ nach § 42 WHG und zu den ‚behördlichen Entscheidungen zur Gewässerunterhaltung‘ gemäß § 43 WHG sind als Vorschriften der Gewässerunterhaltung disponibel. Allein der auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG basierende Schadensersatzanspruch gemäß § 42 Abs. 4 WHG ist den Ländern entzogen. Hingegen wird zu § 40 WHG Unterschiedliches vertreten. Die Vorschrift bestimmt den Kreis der Träger der Gewässerunterhaltung. Ganz überwiegend wird angenommen, sie sei bereits gemäß Art. 72 Abs. 1 GG einer ergänzenden Landes215 Vorstehend
sub I. 5. aller K.-U. Benneter/A. Poschmann, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 175 (191); H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (349); G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 35. Erg.-Lfg. Juni 2008, WHG Vorb. 4a. 217 § 61 NdsWG; § 52 Abs. 1 SachsAnhWG. 218 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 39 WHG Rn. 4. 219 M. Reinhardt verweist diesbezüglich auf seine Ausführungen in ders., NWVBl. 1994, S. 85 (85), denen der rahmenrechtlich geprägt § 28 WHG a. F. zugrunde lag. 220 Damit ist nicht besehen, inwieweit solche Abweichungen etwaig gegen europarechtliche Anforderungen verstoßen. Näher zur ökologischen Gewässerunterhaltung M. Reinhardt, NVwZ 2008, S. 1048 ff. 216 Statt
II. Vorgaben an die Gewässerbewirtschaftung335
regelung zugänglich und umfänglich disponibel.221 Demgegenüber klassifiziert sie Michael Reinhardt als anlagenbezogene Vorgabe.222 Mit Blick auf die Abweichungsbefugnis ließe sich für diese Lesart § 40 Abs. 1 Satz 2 WHG bemühen. Danach sind die Eigentümer von „Anlagen, die aus der Unterhaltung Vorteile haben oder die Unterhaltung erschweren, verpflichtet, sich an den Kosten der Unterhaltung zu beteiligen,“ sofern der Gewässereigentümer Träger der Unterhaltungslast ist. Fragt man nach der Intention dieser Vorgaben, erhellt sich, dass die Direktiven zwar anlagenbezogen sind. Indessen sollen die Vorgaben schutzzweckbezogen nicht die von Anlagen ausgehenden Einwirkungen minimieren, sondern statuieren eine Kostentragungspflicht und Vorteilsabschöpfung, wiewohl Anlagen regelmäßig zu erhöhten Ablagerungen bzw. Einwirkungen führen, die einen erhöhten Unterhaltungsaufwand nach sich ziehen.223 Die Vorgaben zur Kostentragungspflicht lassen sich nur schwerlich als ausnahmsweise abweichungsfeste Regelung der Gewässerunterhaltung interpretieren. Sie normieren keine besonderen Zulassungsanforderungen an die Errichtung, den Betrieb oder die Beseitigung einer Anlage.224 Insofern ist es sachgerecht, die Kostentragungspflichtigkeit sowie das diesbezügliche Reglement den Ländern anheimzugeben und im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG als disponibel zu erachten. Die weiteren Vorschriften des Kapitels 1 (§§ 41 bis 49 WHG) bergen, soweit dies bis dato ersichtlich ist, keine evidenten interpretatorischen Zweifelsfragen. Sie sind teilweise abweichungsoffen (§§ 41, 42 WHG), enthalten stoff- oder anlagenbezogene Regelungen (§§ 43, 45, 46 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, 48, 49 Abs. 1 Satz 2225 WHG) oder sind weitgehend europarechtlich unterlegt (§§ 44, 47 WHG sowie die §§ 45a bis 45l WHG).226 221 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 40 WHG Rn. 6; K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 40 WHG Rn. 10; Spieth, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand Juli 2010, § 40 WHG Rn. 4. 222 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488); ders., Czychowski/ders., Einl. Rn. 39; ebenso K. Lauer, NuR 2010, S. 692 (694). 223 Siehe dazu die Beispiele bei M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 40 WHG Rn. 15. 224 Vgl. auch H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (349); H. SchulzeFielitz, in: GfU (Hg.), Dokumentation zur 30. Fachtagung 2006, 2007, S. 35 (68 f.). Entgegen aller erachtet M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494) die Unterhaltungsvorschriften für erheblich veränderte oder künstliche Gewässer als indisponibel. 225 Hinsichtlich § 49 Abs. 1 Satz 2 WHG ist zu vermerken, dass dieser stoffbezogene Tatbestand von der Öffnungsklausel des § 49 Abs. 4 WHG erfasst wird. Abweichend H. Posser, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2011, § 49 WHG Rn. 12, wonach die Öffnungsklausel des Absatzes 4 mit Blick auf Absatz 1 Satz 2 „teleologisch zu reduzieren“ sei. 226 Vgl. dazu die jeweils zutreffenden Kommentierungen von K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, am Ende der jeweiligen Vorschriften.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
III. Besondere wasserwirtschaftliche Bestimmungen Nachfolgend werden exemplarisch drei weitere Regelungskomplexe näher beleuchtet, die für die Kompetenzabgrenzung und Beschreibung weitere Erkenntnisse liefern. Dies betrifft zunächst die Vorgaben zu den Wasserschutzgebieten (nachstehend sub a)) und des Heilquellenschutzes (nachstehend sub b)) sowie das Reglement des Hochwasserschutzes (nachstehend sub c)). Ein kursorischer Blick auf das Abweichungsmandat über Entschädigungs- und Ausgleichsregelungen sowie den Rechtsweg rundet die Auswertung ab (nachstehend sub d)). 1. Die Vorgaben zu Wasserschutzgebieten (§§ 51 f. WHG) Die §§ 51 und 52 WHG normieren die Festsetzung und den Schutz von Wasserschutzgebieten. § 51 WHG regelt die Wasserschutzgebiete im Allgemeinen, ihre Festsetzung und die dabei zu beachtenden Regeln der Technik. § 52 WHG schafft die Grundlage für die jeweiligen Ge- und Verbote in Wasserschutzgebieten und die korrespondierenden Handlungs- und Duldungspflichten. § 51 Festsetzung von Wasserschutzgebieten „Soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, 1. Gewässer im Interesse der derzeit bestehenden oder künftigen öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen, 2. das Grundwasser anzureichern oder 3. das schädliche Abfließen von Niederschlagswasser sowie das Abschwemmen und den Eintrag von Bodenbestandteilen, Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln in Gewässer zu vermeiden, kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung Wasserschutzgebiete festsetzen. […]“
Die Disponibilität dieses Regelungskomplexes wird höchst unterschiedlich beurteilt.227 Aus dem allgemeinen Ziel der Vorgaben, vor stofflichen Belastungen zu schützen, lässt sich jedenfalls keine allgemeine Indisponibilität der Vorschriften ableiten.228 In Frage steht jedoch, ob die Bestimmungen im Einzelnen mit einem stoff- oder anlagenbezogenen Vorgang hinrei227 Eine solche ablehnend hinsichtlich der Wasserschutzgebiete M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494); mit Blick auf den Heilquellenschutz M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488); differenzierend K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 51 WHG Rn. 8 und § 52 WHG Rn. 14. 228 So aber letztlich M. Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (494); ders., Wasserhaushaltsgesetz, Einf. Rn. 41.
III. Besondere wasserwirtschaftliche Bestimmungen337
chend präzise verknüpft bzw. auf einen solchen bezogen sind und eine diesbezügliche Schutzrichtung aufweisen. Nach einem Standpunkt sind die Vorschriften der §§ 51, 52 WHG disponibel, da „die Regelungen über Wasserschutzgebiete nicht zu den stoff- und anlagenbezogenen Kernkompetenzen des Bundes gehören“229 bzw. sie nicht unmittelbar auf die Beschaffenheit des Gewässers oder auf Anlagen bezogen seien.230 Andere erkennen zwar eine Stoff- bzw. Anlagenbezogenheit in § 51 Abs. 1 Nr. 1 und 3 WHG. Die Vorschrift werde dadurch „aber als Bestimmung zur Widmung eines abgegrenzten Gebietes als Wasserschutzgebiet nicht abweichungsfest.“231 Andere rekurrieren auf eine abweichungsfeste Schutzrichtung der einzelnen Tatbestände. Danach seien § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 WHG stoff- bzw. anlagenbezogen232 bzw. darüber hinaus § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG stoffbezogen.233 Wenngleich die Bestimmung nicht unmittelbar stoffliche oder anlagenbezogene Vorgänge steuert, fehlen tragfähige Anhaltspunkte, weshalb die Voraussetzungen für die Festsetzung keine indisponiblen Tatbestände enthalten können sollen.234 Dem steht auch nicht entgegen, dass erst die Umsetzung in der landesrechtlichen Verordnung den eigentlichen Schutz gewährt, denn für die Festsetzung müssen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 WHG erfüllt sein, die ihrerseits anlagen- oder stoffbezogene Vorgänge beschreiben können. Eindeutig ist § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WHG indisponibel und dient dem Schutz vor stofflichen Einwirkungen. Doch bereits § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG ist tatbestandlich nicht auf Stoffe oder Anlagen ‚bezogen‘, wenngleich er regelmäßig stoffliche Gefährdungen betrifft. Gleiches wird zur Anreicherung des Grundwassers im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG zu erwägen sein. Fehl geht es, eine Abweichungsfestigkeit aus dem Umstand herzuleiten, dass dem Wasserhaushalt zuvor entzogenes Wasser zur Anreicherung zugeführt werden könnte.235 Weder ist vorgegeben, wie die Anreicherung zu erfolgen hat, noch soll der Tatbestand den Wasserhaus229 T. Gößl, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp (Hg.), WHG/AbwAG, 21. Erg.Lfg. August 2011, § 51 WHG Rn. 11. 230 Vgl. J. Schwind, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, Vorb. zu §§ 51–53 WHG Rn. 16. 231 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Oktober 2013, § 51 Rn. 97. 232 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 51 WHG Rn. 8 und M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 296 f. 233 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 296 f. 234 So aber J. Schwind, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, Vorb. zu §§ 51–53 WHG Rn. 16 und U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Oktober 2013, § 51 Rn. 97. 235 Anders hingegen M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 297 f.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
halt vor den Einwirkungen eines stoff- oder anlagenbezogenen Vorgangs schützen. Wie auch einige Benutzungstatbestände, denen nur möglicherweise ein stoff- oder anlagenbezogener Vorgang zugrunde liegt,236 sind auch die übrigen Tatbestände des § 51 Abs. 1 WHG disponibel.237 Ähnliche Erwägungen gelten auch mit Blick auf § 52 WHG, der besondere Festsetzungen für die Wasserschutzgebietsverordnung vorgibt. Namentlich die Möglichkeit, nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG in einer Verordnung ‚bestimmte Handlungen‘ zu verbieten oder ‚für nur eingeschränkt zulässig‘ zu erklären, ist in Ermangelung eines Stoffbezugs disponibel.238 Die Vorgabe wird nicht allein deshalb stoff- oder anlagenbezogen, weil es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, ein Wasserschutzgebiet zum Schutze vor stofflichen Verunreinigungen festzusetzen oder weil es zum Schutze vor stofflichen Einwirkungen gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 3 WHG festgesetzt wurde, denn § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG ermangelt es an einem konkreten Bezug zu einem Stoff oder einer Anlage. 2. Die Vorschrift zum Heilquellenschutz (§ 53 WHG) Hinsichtlich der Disponibilität der Schutzvorgaben zu Heilquellen in § 53 WHG variieren die Beurteilungen ebenfalls. Die Vorschrift stellt eine vollständige Neuregelung im Rahmen des WHG 2009 dar. Absatz 1 führt den herkömmlichen Begriff der Heilquelle in das Bundesrecht ein, während Absatz 2 die staatliche Anerkennung regelt. Nach Absatz 3 können die Behörden den Betreibern besondere Betriebs- und Überwachungspflichten vorschreiben. Während einige Autoren die Vorschrift insgesamt als disponibel erachten,239 macht Michael Reinhardt in Absatz 3 eine abweichungsfeste anlagenbezogene Vorgabe aus.240 Zu § 53 WHG lässt sich ähnliches ausführen wie zu den §§ 51 und 52 WHG. Die abstrakte Unterschutzstellung von Heilquellen richtet sich jedenfalls zu unbestimmt auf einen stoff- oder anlagenbezogenen Vorgang. In Betracht kommt insoweit immerhin § 53 Abs. 3 Satz 1 WHG, wonach den 236 Vorstehend
sub II. 2. K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/10, § 51 WHG Rn. 8 und § 52 WHG Rn. 14; M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 296 f. 238 Demgegenüber M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 300 f. 239 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 53 WHG Rn. 6; J. Schwind, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, Vorb. zu §§ 51–53 WHG Rn. 16. 240 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488). 237 Abweichend
III. Besondere wasserwirtschaftliche Bestimmungen339
Betreibern einer Heilquelle durch die zuständige Behörde besondere Betriebs- und Überwachungspflichten auferlegt werden können. Mit diesen Pflichten sollen die Quellen in ihrem Bestand und die Beschaffenheit des Quellwassers gewährleistet werden.241 Indessen ergeben sich hiergegen Bedenken. Die Befugnis, den Betreibern besondere Betriebs- und Überwachungspflichten auferlegen zu können, statuiert keine materiellen Pflichten, sondern sichert und flankiert das Verfahren der Gewässeraufsicht.242 Solche Befugnisnormen, um Maßnahmen der Eigenüberwachung anordnen zu können, sind dem Grunde nach disponibel.243 3. Das Reglement zum Hochwasserschutz (§§ 72 ff. WHG) Trotz verschiedener Bemühungen gelang es dem Bund im Zuge der Föderalismusreform seinerzeit nicht, den Hochwasserschutz in das Klammerzitat des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG einzubeziehen.244 Demgemäß wird dieses Reglement allgemein als eine Regelungsmaterie der Länder hervorgehoben, bei der sich abweichende Gestaltungen vornehmen lassen.245 Ungeachtet dieses Ausgangsbefunds lassen sich an den Bestimmungen des Hochwasserschutzes die Verflechtungen der Kompetenzzuordnung belegen. Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens zur Föderalismusnovelle 2006 wurde Besorgnis über die Konturlosigkeit der Kompetenzabgrenzung geäußert und hinterfragt, ob auch Regelungen über Deiche und Talsperren oder Hochwasserrückhaltebecken indisponibel seien.246 241 M. Reinhardt,
Czychowski/ders., § 53 WHG Rn. 18. Recht K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/10, § 53 WHG Rn. 6; mit einer ähnlichen Argumentation zu den Befugnissen der Gewässeraufsicht T. Gößl, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp (Hg.), WHG/ AbwAG, 46. Erg.-Lfg. September 2013, § 100 WHG Rn. 10. Im Ergebnis auch J. Schwind, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, Vorb. zu §§ 51–53 WHG Rn. 16. 243 Dazu näher unter sub 4. Anderer Ansicht M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488); M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 302 f. 244 Vgl. die diesbezügliche Stellungnahme des BMU, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 4/0008, S. 17 und auch K. Berendes, in: Kloepfer (Hg.), Hochwasserschutz, 2009, S. 121 (129). 245 Nur exemplarisch M. Kloepfer, ZG Bd. 21 (2006), S. 250 (265); G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 35. Erg.-Lfg. Juni 2008, Vorb. WHG Rn. 4a; H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 (258). 246 Siehe Stanislaw Tillich, „Pingpong-Gesetzgebung“ – Sächsischer Umweltminister warnt vor Föderalismusreform, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Mai 2006, S. 6. 242 Zu
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
a) Strukturelemente des Hochwasserschutzrechts Kapitel 3 Abschnitt 6 des Wasserhaushaltsgesetzes überführt die Regelungen zum Hochwasserschutz aus dem Wasserhaushaltsgesetz a. F.247 Das Reglement war durch das Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes vom 3. Mai 2005 weitreichend novelliert worden.248 Der Bundesgesetzgeber stützte sich zunächst auf seine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Nrn. 17, 18 und 21 GG, mit der er Änderungen im Baugesetzbuch (Art. 2 HWSG), im Bundeswasserstraßengesetz (Art. 3 HWSG), im Gesetz über den Deutschen Wetterdienst (Art. 5 HWSG) und im Wasserhaushaltsgesetz (Art. 1 Nr. 4 HWSG) vornahm.249 Für die Neuerungen im Raumordnungsgesetz (Art. 3 HWSG) und für den Erlass der dem ‚Wasserhaushalt‘ zuzuordnenden Hochwasserschutzregelungen (Art. 1 Nr. 4 HWSG) stützte er sich auf die abgeschaffte Befugnis zum Erlass von Rahmenvorschriften gemäß Art. 75 GG a. F. Unter diesen Vorzeichen wurde der rahmenrechtliche Charakter der Vorschriften und deren Zuordnung zu den Kompetenztiteln des Art. 74 Nrn. 17, 18, 21 GG vielfach bezweifelt,250 was einige Länder im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auch zu Protokoll gaben.251 Die novellierte Kompetenzzuordnung hindert den Bund nicht mehr daran, Vollregelungen zum Hochwasserschutz zu erlassen. Gleichwohl haben sich die kompetenziellen Überlegungen nicht historisch überlebt, sondern sind für die nachfolgende Betrachtung der Zuständigkeitsverteilung weiterhin bedeutsam. Das Normprogramm nimmt in § 72 WHG seinen Ausgangspunkt, der den Begriff des Hochwassers definiert. § 73 WHG forderte die Bewertung von Hochwasserrisiken bis zum 22. Dezember 2011. Die Bewertung wird mit der Vorgabe verbunden, Gebiete mit signifikantem Hochwasserrisiko zu bestimmen, die sich an den Flussgebietseinheiten orientieren, § 73 Abs. 1, 2 und 3 WHG. Für diese Risikogebiete sind Gefahren- und Risikokarten sowie Risikomanagementpläne aufzustellen, vgl. § 74 f. WHG. Zentrales Instrument des Hochwasserschutzes ist die daran anknüpfende Feststellung von Überschwemmungsgebieten an oberirdischen Gewässern nach § 76 WHG, für die in § 78 WHG besondere Schutzvorgaben enumeriert sind und mit denen sich verschiedene kompetenzrechtliche Fragestellungen verbinden. 247 §§ 31a
bis d WHG 2002 sowie auch § 32 WHG 2002. vom 3. Mai 2005, BGBl. I, S. 1224. 249 BT-Drucks. 15/3168, S. 14. 250 Zur Diskussion vgl. K. Berendes, ZfW 2005, S. 197 ff.; D. Blasberg, NWVBl. 2005, S. 205 (206 ff.); R. Breuer, NuR 2006, S. 614 (615 ff.); H. Jekel, ZUR 2005, S. 393 (395 f.); M. Paul/J. Pfeil, NVwZ 2006, S. 505 (507). 251 Vgl. die Protokollerklärung der Bundesländer Freistaat Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt, BR-Prot. 809, S. 103 f. (Anlage 1); näher D. Blasberg, NWVBl. 2005, S. 205 (206 ff.). 248 Gesetz
III. Besondere wasserwirtschaftliche Bestimmungen341
b) Die besonderen Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete Mit den Vorgaben des § 78 WHG sind bekannte kompetenzrechtliche Abgrenzungsfragen verbunden.252 Die Norm scheint auf den ersten Blick mit verschiedenen indisponiblen stoff- und anlagenbezogenen Tatbeständen versehen.253 Die Vorgaben des § 78 WHG ergänzen und konkretisieren die Bestimmungen der §§ 76 und 77 WHG mittels besonderer Schutzanordnungen. „§ 78 Besondere Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete (1) In festgesetzten Überschwemmungsgebieten ist untersagt: […] 1. die Ausweisung von neuen Baugebieten in Bauleitplänen oder sonstigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch […] 2. die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen nach den §§ 30, 33, 34 und 35 des Baugesetzbuchs, 3. die Errichtung von Mauern, Wällen oder ähnlichen Anlagen quer zur Fließrichtung des Wassers bei Überschwemmungen, 4. das Aufbringen und Ablagern von wassergefährdenden Stoffen auf dem Boden, es sei denn, die Stoffe dürfen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Land- und Forstwirtschaft eingesetzt werden, 5. die nicht nur kurzfristige Ablagerung von Gegenständen, die den Wasserabfluss behindern können oder die fortgeschwemmt werden können 6. das Erhöhen oder Vertiefen der Erdoberfläche, 7. das Anlegen von Baum- und Strauchpflanzungen, […], 8. die Umwandlung von Grünland in Ackerland, 9. die Umwandlung von Auwald in eine andere Nutzungsart. […] (2) Die zuständige Behörde kann abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 die Ausweisung neuer Baugebiete ausnahmsweise zulassen, wenn […] 3) Die zuständige Behörde kann abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die Errichtung oder Erweiterung einer baulichen Anlage genehmigen, wenn im Einzelfall das Vorhaben 1. die Hochwasserrückhaltung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt und der Verlust von verloren gehendem Rückhalteraum zeitgleich ausgeglichen wird, 2. den Wasserstand und den Abfluss bei Hochwasser nicht nachteilig verändert, 3. den bestehenden Hochwasserschutz nicht beeinträchtigt und 4. hochwasserangepasst ausgeführt wird 252 Soweit sich der Bund auf eine nicht in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG enthaltene konkurrierende Befugnis stützt, ist eine Abweichung a priori ausgeschlossen. 253 Zu den unterschiedlichen Standpunkten einerseits K. Berendes, in: v. Lersner/ ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 78 WHG Rn. 17 und andererseits U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 78 WHG Rn. 8.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
oder wenn die nachteiligen Auswirkungen durch Nebenbestimmungen ausgeglichen werden können. Bei der Festsetzung nach § 76 Absatz 2 kann die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen auch allgemein zugelassen werden, wenn sie 1. in gemäß Absatz 2 neu ausgewiesenen Gebieten nach § 30 des Baugesetzbuchs den Vorgaben des Bebauungsplans entsprechen oder 2. ihrer Bauart nach so beschaffen sind, dass die Einhaltung der Voraussetzungen des Satzes 1 gewährleistet ist. In den Fällen des Satzes 2 bedarf das Vorhaben einer Anzeige. (4) Die zuständige Behörde kann Maßnahmen nach Absatz 1 S. 1 Nummer 3 bis 9 zulassen, wenn […].“
aa) Die Kompetenzinanspruchnahme des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 18 GG Für Überschwemmungsgebiete besteht ein Verbot, mittels Bauleitplänen neue Baugebiete auszuweisen, sofern diese nicht Häfen und Werften betreffen (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 WHG) oder ein Ausnahmetatbestand nach § 78 Abs. 3 WHG vorliegt. Nach diesem Ausnahmetatbestand sind die Errichtung und die Erweiterung baulicher Anlagen nach den §§ 30, 33, 34 und 35 BauGB nur dann zu genehmigen, wenn das Vorhaben im Einzelfall keine nachteiligen bzw. durch Auflagen und Bedingungen ausgleichbare Auswirkungen auf den Hochwasserschutz aufweist.254 § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG ergänzt diese Maßgabe durch ein Verbot einzelner Bauvorhaben. Kompetenziell beruhen die Bestimmungen zur Zulässigkeit der Ausweisung neuer Baugebiete und einzelner baulicher Vorhaben auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG (Bodenrecht).255 Demnach ist abweichendes Landesrecht unzulässig, wenn und soweit der Bund seine konkurrierende Befugnis zur Regelung des Bauplanungsrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) umfassend und abschließend in Anspruch nimmt.256 Trotz dieses eindeutig anmutenden Befunds ist die Reichweite der Abweichungsfestigkeit im Einzelnen diskutabel. So lassen sich die kompetenzielle Zulässigkeit des § 71 MecklVorpWG257 und des 254 Die Vorschrift ist auch mit Blick auf das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG nicht unproblematisch, dazu näher M. Pfau, VBlBW 2013, S. 201 (204 ff.). 255 BT-Drucks. 15/3168, S. 9; dazu H. Jekel, ZUR 2005, S. 359 (397); K. Berendes, ZfW 2005, S. 197 (202). 256 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 79 WHG Rn. 4; K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 78 WHG Rn. 5. 257 § 71 MecklVorpWG: „Die Sicherung des Hochwasserabflusses, die dem Wohl der Allgemeinheit dient, ist eine öffentliche Aufgabe. Sie begründet keinen Rechtsanspruch Dritter.“
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ähnlichen § 60 Abs. 2 Satz 2 BremWG258 bezweifeln. Die Vorschriften schließen den Rechtsanspruch Dritter auf Hochwasserschutzmaßnahmen aus. Beide Vorgaben stützen sich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG und weichen etwaig vom Regime der §§ 76 ff. WHG ab. Diesbezüglich wäre überprüfungsbedürftig, ob und inwieweit das Regelwerk des Wasserhaushaltsgesetzes eine drittschützende Wirkung entfaltet.259 Nimmt man eine solche an, so ist jedenfalls eine Regelung wie § 79 Abs. 1 Satz 2 SächsWG zulässig, die den Drittschutz allein für die öffentlichen Hochwasserschutzanlagen des Landes ausschließt.260 Die Debatte um die Zulässigkeit einer solchen Landesregelung konzentriert sich allein auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, weshalb ihr hier nicht weiter nachzugehen ist. Die kompetenzielle Abgrenzung der wasserrechtlichen Befugnisordnung ist insoweit unabhängig von der Abweichungsbefugnis weiterhin schwierig. bb) Die Kompetenzinanspruchnahme des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 17 GG Weniger eindeutig als die kompetenzrechtliche Zuordnung der bauplanungsrechtlichen Tatbestände beurteilen sich die weiteren Vorgaben des § 78 WHG. Ausweislich des Begründungstextes wurde für die Norm der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG in Anspruch genommen.261 Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG überantwortet die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz, soweit die Förderung der landwirtschaftlichen Tätigkeit dient. Demgemäß sind darauf beruhende Vorgaben abweichenden Regelungen entzogen. Vor 258 § 60 Abs. 2 BremWG: „Der dem Wohl der Allgemeinheit dienende Schutz vor Hochwasser und Sturmflut sowie die Sicherung des Hochwasserabflusses sind öffentliche Aufgaben. Sie begründen keinen Rechtsanspruch Dritter.“ 259 Die Rechtsprechung hierzu ist uneinheitlich, so bejaht der VGH BadenWürttemberg, Urteil v. 15. Februar 1996, Az.: 3 S 1914/95 einen solchen, während ihn das Sächsische OVG, Urteil v. 9. Juni 2011, Az.: 1 A 504/09 (jeweils zitiert nach juris) ablehnt. Einen solchen bejahend K. Faßbender/A.-C. Gläß, NVwZ 2011, S. 1094 ff. (1098 f.); ausführlich M. Reinhardt, DÖV 2011, S. 135 (140).; einen Drittschutz ablehnend T. Elgeti/J. P. Lambers, BauR 2011, S. 204 ff.; C. Jermin/J. Praml, NVwZ 2009, S. 1079 (1081 f.). 260 § 79 Abs. 1 Satz 1 und 2 SächsWG: „Öffentliche Hochwasserschutzanlagen sind so zu planen, zu errichten, zu betreiben und zu unterhalten, wie dies zum Schutz der Allgemeinheit vor Hochwasser erforderlich ist. Es handelt sich hierbei um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, die keinen Rechtsanspruch Dritter begründet.“ 261 Vgl. die Begründungen zu den Reg-E, BT-Drucks. 15/3168, S. 9 und BTDrucks. 16/12275, S. 41 und S. Caßor-Pfeiffer, ZfW 2010, S. 1 (4).
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diesem Hintergrund gibt das Grünlandumbruchsverbot gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 8 WHG Anlass für eine nähere Betrachtung. Der Kompetenzbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG erfasst „die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr landund forstwirtschaftlicher Erzeugnisse.“ Nach allgemeiner Lesart begründet der Titel keine allgemeine Kompetenz für die Agrar- und Forstwirtschaft.262 Vielmehr räumt er lediglich die Befugnis ein, zur „Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung“ positiv gestaltete Maßnahmen zu ergreifen. Die Maßnahmen erfassen beispielsweise finanzielle, organisatorische oder marktlenkende Steuerungsinstrumente.263 Folgt man diesem Standpunkt, so trägt weder der Normtext noch der Zweck des Kompetenztitels ein Grünlandumbruchsverbot, wie es in § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 WHG niedergelegt ist.264 Auch alle weiteren Varianten des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG bleiben für einen sich etwaig mit § 78 WHG überschneidenden und normierungsbedürftigen Lebensbereich außer Betracht. Der Freistaat Bayern entschied die Diskussion um die Normierungsbefugnis für sich mit dem rahmenrechtlich geprägten Art. 61i Abs. 1 Satz 2 BayWG a. F. und nunmehr mit Art. 46 Abs. 4 BayWG.265 Für die Regelung des Art. 46 Abs. 4 BayWG rekurriert der bayerische Gesetzgeber auf das Regelungsmandat aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG.266 Dies ist zumindest erwähnenswert, denn der Bundesgesetzgeber beruft sich hinsichtlich dieser Bestimmung weiterhin auf seine Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 und 18 GG.267 262 Ausführlich S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG Rn. 119. 263 BVerfGE 18, 315 (329); 37, 1 (17); 88, 366 (379); 122, 1 (21). 264 Mit diesem Resümee zu § 31b WHG a. F. D. Blasberg, NWVBl. 2005, S. 205 (206 ff.). 265 Vgl. Art. 46 Abs. 4 BayWG: „In der Rechtsverordnung kann für die Umwandlung von Dauergrünland in Ackerland ein Genehmigungsvorbehalt angeordnet werden, soweit dies zum Schutz vor Hochwassergefahren erforderlich ist; § 78 Abs. 1 Nr. 8 WHG ist nicht anzuwenden.“ 266 Dazu die Kommentierung von U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Stand Juli 2010, Art. 46 BayWG Rn. 48 f. 267 Dies ergibt sich aus der Zusammenschau der BT-Drucks. 16/12275, S. 41 und der BT-Drucks. 15/3168, S. 9. Mit weiteren Erwägungen U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Stand Juli 2010, Art. 46 BayWG Rn. 48 f.; ähnlich auch K. Berendes, in: v. Lersner/ ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 78 WHG Rn. 17, der Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG nicht benennt. Abweichend wohl R. Breuer, NuR 2006, S. 614 (616), wonach die kompetenziellen Bedenken von „von Anfang an nicht zu überzeugen“ konnten.
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c) Die Indisponibilität einzelner Untersagungstatbestände Über die Abweichungsfestigkeit der einzelnen Direktiven des § 78 WHG gehen die Auffassungen stark auseinander. aa) Sachstand Bisher liegen zwei von § 78 WHG abweichende Landesregelungen vor. Das Land Rheinland-Pfalz legte in § 89 RhPfWG (Besondere Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete) fest: „Abweichend von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585) ist in festgesetzten Überschwemmungsgebieten auch die kurzfristige Lagerung und Ablagerung von Gegenständen, die den Wasserabfluss behindern können oder die fortgeschwemmt werden können, verboten […].“268
Der Freistaat Sachsen erweiterte in § 74 SächsWG den engen Rahmen des § 78 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 WHG: „Soweit in einer Rechtsverordnung, durch die das Überschwemmungsgebiet festgesetzt oder die gemäß § 72 Abs. 4 Satz 2 zu dem Überschwemmungsgebiet erlassen wurde, nichts anderes geregelt ist, ist die Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen abweichend von § 78 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 WHG wasserrechtlich allgemein zulässig, wenn sie 1. in gemäß § 78 Abs. 2 WHG neu ausgewiesenen Gebieten nach § 30 des Baugesetzbuches (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414) das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Juni 2013 (BGBl. I S. 1548) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, oder 2. im Geltungsbereich eines bestehenden Bebauungsplans, welcher durch Änderung oder Ergänzung in einem Bauleitplanverfahren an die Anforderungen des § 78 Abs. 2 WHG angepasst worden ist, den Vorgaben des Bebauungsplans entsprechen. Das Vorhaben ist in diesen Fallen anzuzeigen.“
bb) Meinungsstand In Anbetracht des Normtextes überrascht zunächst ein Standpunkt, der das in § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WHG statuierte Verbot des Aufbringens und Ablagerns wassergefährdender Stoffe sowie die Vorgabe zum hochwasserangepassten Umgang mit wassergefährdenden Stoffen in § 78 Abs. 5 Nr. 5 WHG als disponibel erachtet.269 Nach Ulrich Drost270 seien diese stoffbezogenen Tatbestände des § 78 WHG „nur bei Gelegenheit des Hochwasser268 Vgl.
Landtag Rheinland-Pfalz, Drucks. 15/4568, S. 8. in: Kloepfer (Hg.), Hochwasserschutz, 2009, S. 121 (129). 270 So der Befund von U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 78 WHG Rn. 8. 269 K. Berendes,
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
schutzes“ getroffene Bestimmungen. Folglich können die Länder über § 78 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 WHG unbenommen der stoffbezogenen Vorgaben disponieren. Der Bundesgesetzgeber müsse die Regelungen mittels eines breiteren Regelungsansatzes ausgestalten, damit diese der Bereichsausnahme zuzuweisen seien. Ein ebensolches indisponibles Konzept sei etwa in Abschnitt 2 mit den Vorschriften zur Abwasserbeseitigung nach den §§ 54 bis 64 WHG zu erblicken. Ähnlich resümiert Michael Reinhardt, die §§ 72 bis 81 WHG seien abgesehen von den Vorgaben zu Schutzbauten271 weitgehend weder stoff- noch anlagenbezogen.272 Andere Autoren erachten § 78 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2, Absatz 2 und 3 WHG mit Blick auf die Kompetenz des Bundes für das Bodenschutzrecht bzw. zudem § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5, Abs. 3, Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5, Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 und 6 WHG hinsichtlich der stoffund anlagenbezogenen Vorgaben als indisponibel.273 cc) Stellungnahme Das vielfältige Meinungsbild ist unter verschiedenen Aspekten prüfungsbedürftig. Die kompetenzielle Zuordnung einer stoff- oder anlagenbezogenen Sachmaterie in Abhängigkeit zur Regelungstiefe und Breite der legislativen Erschließung zu stellen, ruft möglicherweise neue Abgrenzungskonflikte hervor. Ließe man das Argumentationsmodell Drosts Platz greifen, so würde der Bundesgesetzgeber künftig beständig vor der Herausforderung stehen, ein möglichst detailliertes und umfängliches stoff- oder anlagenbezogenes Normprogramm zu statuieren, dass etwaig über das aus Sicht des Bundes wasserwirtschaftlich Erforderliche hinausreicht. Einerseits führt die schlichte Erwähnung einer stoff- oder anlagenbezogenen Begrifflichkeit nicht zur Indisponibilität der Vorschrift.274 Andererseits benötigt der Bundesgesetzgeber die Gewissheit, indisponible Vorgaben in einzelnen Tatbeständen einer Vorschrift verorten zu können. Die methodische Barriere, der Bund müsse detailreiche oder ausgreifende Regelungen schaffen, würde einer anwenderfreundlichen Rechtsetzung zuwiderlaufen. Von vorstehender Frage zu trennen ist die Disponibilität einer einzelnen stoff- oder anlagenbezogenen Vorgabe. Drosts Ansatz kann etwa angezeigt 271 Deich-,
Damm- und Küstenschutzbauten gemäß § 67 Abs. 2 WHG. Czychowski/ders., § 72 WHG Rn. 11; ders., AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488). 273 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 78 WHG Rn. 17; G. Hünnekens, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 62. Erg.-Lfg. Juli 2011, Vorb. §§ 72 bis 81 WHG Rn. 16. 274 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (487). 272 M. Reinhardt,
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sein, wenn der Schwerpunkt des zu regelnden Sachbereichs erkennbar und nahezu vollständig den Ländern anheimgestellt ist. Zugleich muss eine schutzzweckbezogene Auslegung einen vom stoff- oder anlagenbezogenen Normtext abweichenden Befund, nämlich eine Disponibilität, tragen.275 Folgt man diesem Standpunkt, so sind folgende Untersagungstatbestände des § 78 WHG indisponibel, weil sie mit einem stoff- oder anlagenbezogenen Vorgang verknüpft sind: Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, Absatz 3, Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sowie Absatz 5 Satz 1 Nummer 5 WHG.276 Für die gelegentlich als abweichungsresistent erachteten Tatbestände des § 78 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 5 WHG sowie des § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 WHG ist ein differenzierter Begründungsgang angezeigt. § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WHG untersagt die Errichtung von Mauern, Wällen oder ähnlichen Anlagen quer zur Fließrichtung des Wassers bei Überschwemmungen. Derartige Vorhaben sind mit Blick auf die verwandte Anlage grundsätzlich abweichungsfest. Es ist gleichwohl zu prüfen, ob und inwieweit der Anlagenbezug zur Abweichungsfestigkeit führt. § 78 WHG entlehnt sich § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 des SächsWG a. F. und reicht über § 36 WHG hinaus.277 Diese Mauern und Wälle quer zur Fließrichtung stehen einem raschen Wasserabfluss entgegen und werden dann nicht erfasst, wenn sie auf den Abfluss keine Auswirkungen zeitigen. Wird ein weites Begriffsverständnis zugrunde gelegt, dann erfasst die Bestimmung eine Anlage im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG.278 Die Vorschrift betrifft nicht nur Anlagen im Sinne des § 36 WHG und bauliche Anlagen nach § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG, sondern alle Anlagen im landseitigen Überschwemmungsgebiet.279 Anlagen in Überschwemmungsgebieten lassen sich indessen wohl regelmäßig nicht mehr als wasserwirtschaftliche Anlage klassifizieren. Man denke etwa an die quer zur Fließrichtung befindliche Befestigung eines Parkplatzes, der einige hundert Meter entfernt von einem fließenden Gewässer in einem Überschwemmungsgebiet belegen ist. Bei einem Hochwasser beeinflussen benannte Anlagen zweifellos den Wasserabfluss und das Strömungsverhalten. Demgegenüber traf der verfassungsändernde Gesetzesgeber bewusst die Entscheidung, die Rechtsetzungskompetenz für den Hochwasserschutz den Ländern anheimzugeben. Zudem werden bauliche Anlagen bereits von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG erfasst. Im 275 Vgl.
sub 1.
beispielhaft vorstehend die Überlegungen zu den Wasserschutzgebieten
276 Insoweit zutreffend K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 78 WHG Rn. 17. 277 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 78 WHG Rn. 13. 278 Näher zur Interpretation der Bereichsausnahme in Kapitel 6 sub II. 1. b). 279 M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, § 79 WHG Rn. 13.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
Ergebnis spricht Überwiegendes dafür, § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WHG als disponibel zu klassifizieren.280 Damit ist sich der Disponibilität des Untersagungstatbestandes in § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WHG zuzuwenden. Die Bestimmung untersagt das nicht nur kurzfristige Ablagern von Gegenständen, die den Wasserabfluss behindern oder fortgeschwemmt werden können. Im Gegensatz zu § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WHG wird weniger der Schutz des Gewässers vor dem Gefährdungspotential eines bestimmten Stoffes oder einer Anlage intendiert. Dieser Untersagungstatbestand ist nicht anders zu beurteilen als das gegenstandsgleiche Verbot in den Gewässerrandstreifen gemäß § 38 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 WHG.281 Der Schutzzweck des Ablagerungsverbots richtet sich vielmehr gegen die Gefahren, die von fortgeschwemmten festen Stoffen für Brücken und sonstige Bauten ausgehen.282 Richtigerweise sind zudem die Untersagungstatbestände des Erhöhens oder Vertiefens der Erdoberfläche nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 und das Grünlandumbruchsverbot gemäß Absatz 1 Satz 1 Nr. 8 disponibel. Wie bereits vermerkt, reicht ein etwaiger Schutz vor diffusen Einträgen nicht. Die Maßgabe ist nicht bzw. unspezifisch auf eine Anlage oder einen Stoff ‚bezogen‘.283 Damit rückt § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 WHG in den Vordergrund, der die Maßgabe enthält, in der Verordnung nach § 76 Abs. 2 WHG Vorgaben niederzulegen, die „zur Vermeidung von Störungen der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung“ erforderlich sind. Die Vorschrift stellt auf den Schutz der Versorgungsanlagen ab. Sowohl die Trinkwassergewinnung und die Wasseraufbereitung als auch die Abwasserbeseitigung werden durch ein Hochwasser potentiell beeinträchtigt. Während bei den Trinkwasseranlagen deren Schutz in Rede steht, ließe sich über den Wortlaut hinaus erwägen, dass die Vorschrift an die Errichtung und den Betrieb von Abwasseranlagen besondere Anforderungen richtet. Eine Überschwemmung der Abwasseranlage birgt die Gefahr einer Ausspülung von unaufbereitetem Abwasser in den Wasserhaushalt.284 Indessen sorgen bereits die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die festlegen, wie die Wassergewinnungs- und Abwasseranlagen zu errichten und zu betreiben sind, für einen ausreichenden 280 Siehe nur § 100 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 4 bis 8 SächsWG a. F., die § 78 WHG als Vorbild dient, so die Begründung zum Regierungsentwurf des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes, BT-Drucks. 16/12275, S. 76. 281 Vgl. dort in sub II. 3. d) bb). 282 Zum Anlagenbezug bereits in Kapitel 6 sub II. und III. 283 Über den Schutz vor diffusen Einträgen bereits in Kapitel 6 sub II. 2. d) bb). 284 Diesen Umstand hebt M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2011, § 78 WHG Rn. 76.
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Hochwasserschutz, siehe § 50 Abs. 4 WHG und § 60 Abs. 1 WHG.285 Nach § 78 Abs. 5 Nr. 6 WHG sind in einer Rechtsverordnung Regelungen „zur Vermeidung von Störungen der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung“ vorzusehen. Die Vorschrift trägt etwas undifferenziert den „Störungen der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung“ Rechnung. Vorstehend wurde bereits beleuchtet,286 dass ein abweichungsresistenter Tatbestand einen Stoff oder eine Anlage bestimmt in Bezug nehmen und einen stoff- oder anlagenbezogenen Schutzzweck aufweisen muss. Obwohl sich ein solcher Schutzzweck darstellen lässt, scheint es mit dem vorstehenden Erfordernis vorstellbar, ‚Störungen‘ der ‚Wasserversorgung‘ und ‚Abwasserbeseitigung‘ einen solchen eineindeutigen abweichungsfesten Zusammenhang abzusprechen.287 Zudem bleibt stets die Entscheidung des Verfassungsgebers zu beachten, die Regelungen des Hochwasserschutzes abweichungsoffen auszugestalten. d) Die Vorgaben zu den Überschwemmungsgebieten im abweichungsfesten Sachzusammenhang Die den Ländern entzogenen besonderen Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete in § 78 WHG knüpfen unmittelbar an die nach § 76 Abs. 2 WHG durch die Länder festzusetzenden Überschwemmungsgebiete an. Dieser enge Regelungszusammenhang regt dazu an, über einen untrennbaren Sachzusammenhang zwischen der Ausweisung von Überschwemmungsgebieten und den einzelnen indisponiblen Prämissen des § 78 WHG nachzudenken.288 285 So der Standpunkt von M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 78 WHG Rn. 85 und die Empfehlungen der Bundesratsausschüsse, vgl. BR-Drucks. 280/1/09, S. 63 Nr. 98, wonach die Regelung überflüssig sei. Mit Blick auf § 60 Abs. 1 Satz 2 WHG ließe sich einwenden, dass die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ nur für die Anlage „im Übrigen“ gelten. Indessen wird man die hochwassersichere Errichtung und einen ebensolchen Betrieb bereits unter die einzuhaltenden Anforderungen nach § 60 Abs. 1 Satz 1 WHG subsumieren können. Näher dazu M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, § 60 WHG Rn. 6 ff. 286 Vgl. nur die vorstehenden Ausführungen in Kapitel 6 sub III. und in Kapitel 7 sub II. 2. b). 287 Abweichend K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/10, § 78 WHG Rn. 17. 288 So die bedenkenswerte Anregung bei K. Faßbender, ZUR 2010, S. 181 (187). Ähnlich auch W. Frenz, NVwZ 2006, S. 742 (744): „Eine Kompetenz kraft Sachzusammenhang wird etwa auch für den im Zusammenhang mit Bodenbeeinträchtigungen stehenden Gewässerschutz angenommen […].“ Sowie H. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249 (255 f.): „Die Abweichungsgesetzgebung setzt Bund und Länder gleichermaßen ins Gesetzgebungsrecht; dennoch wird man den alten Gedanken der Kompe-
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Die bauplanungsrechtlichen Vorgaben des § 78 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 WHG sind für die Länder jedenfalls indisponibel. Gleichsinniges gilt für die stoffbezogene Vorgabe des § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WHG. Kurt Faßbender289 wies diesbezüglich auf die bestehende Gefahr hin, dass die Bundesländer den auferlegten bauplanungsrechtlichen sowie stoff- oder anlagenbezogenen Verpflichtungen entgehen, indem sie die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten unterlassen oder lediglich Hochwasserrisikogebiete ausweisen. Unter diesem Blickwinkel will Faßbender290 das Normprogramm zu den Überschwemmungsgebieten „zumindest insoweit kraft Sachzusammenhangs dem Kompetenztitel Bodenrecht zuschlagen […], als deren Geltung notwendige Voraussetzung für die Anwendung der ‚eigentlichen‘ bodenschutzrechtlichen Vorschriften ist.“ Gleiches soll überdies mit Blick auf die Bereichsausnahme des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG zu konstatieren sein. Gegen eine solche Auffassung erheben sich Bedenken. Obwohl sich der Gesetzgeber ausweislich des Begründungstextes für bestimmte Festsetzungen in den Überschwemmungsgebieten explizit auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG stützt, sollte der Bereich des Hochwasserschutzes den Ländern weiterhin zur Gestaltung eröffnet bleiben. Ein untrennbarer Sachzusammenhang mit einer Gesetzgebungsbefugnis des Bundes besteht lediglich dann, „wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mit geregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerläßliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesene Materie.“291 Ein solcher Sachzusammenhang wird durch eine Verfassungsauslegung gewonnen.292 Solche ungeschriebenen Gesetzgebungsbefugnisse werden nur sehr zurückhaltend bemüht.293 Anderenfalls besteht die Gefahr einer Ausweitung der tenz kraft Sachzusammenhangs […], in gleicher Weise hinsichtlich der verschiedenen Teilmaterien bzw. gegenständlichen Differenzierungen von abweichungsfesten und abweichungsfreien Teilen […] anwenden müssen. K ritisch dazu S. Otto/J. Sanden, NuR 2007, S. 802 (804). 289 K. Faßbender, DVBl. 2007, S. 926 (930). 290 K. Faßbender, DVBl. 2007, S. 926 (930). 291 Ständige Spruchpraxis statt anderer BVerfGE 3, 407 (427 f.); 12, 205 (237) und 106, 62 (115); bereits N. Achterberg, AöR Bd. 86 (1961), S. 63 (89 ff.). Zur Kritik im Schrifttum, das dieses Institut teilweise für entbehrlich erachtet: R. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 428 f. Monografisch U. J. Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs nach dem Grundgesetz, 2007, S. 121 ff. 292 H. D. Jarass, NVwZ 2000, S. 1089 (1090) mit weiteren Nachw. 293 Darüber M. Bullinger, AöR Bd. 96 (1971), S. 237 (241 ff.).
III. Besondere wasserwirtschaftliche Bestimmungen351
Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes, welche die niedergeschriebene Kompetenzzuordnung gleichsam zu überspielen droht.294 Die Überschwemmungsgebiete gemäß § 76 WHG knüpfen unmittelbar an die Risikogebiete nach § 73 WHG an. Diese wiederum sind eng verzahnt mit der Definitionsbestimmung des § 72 WHG und den Gefahren- und Risikokarten nach § 74 WHG. Unbenommen der europäischen Transforma tionspflichten und der stoff- oder anlagenbezogenen Tatbestände in § 76 WHG können die Länder von Vorgaben des Hochwasserschutzes abweichen. Zwischen den Vorgaben des § 76 WHG und den bodenrechtlichen bzw. stoff- oder anlagenbezogenen Bestimmungen des § 78 WHG besteht jedoch kein derartiger Sachzusammenhang, der es erlaubt, den Ländern die Abweichung von zentralen Instrumenten des Hochwasserschutzes zu versagen. Der Kompetenztitel des Bodenrechts birgt insoweit kein Regelungsmandat für die im Kern wasserwirtschaftlichen Vorgaben. 4. Das Regelungsmandat für Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche In Kapitel 4 des Wasserhaushaltsgesetzes werden die im Gesetz vorgesehenen Entschädigungsansprüche295 und Ausgleichspflichten296 näher ausgestaltet. § 96 WHG normiert die Art und den Umfang der Entschädigung, § 97 WHG die entschädigungspflichtige Person. Das korrespondierende Entschädigungs- und Ausgleichsverfahren ist in den §§ 98 und 99 WHG niedergelegt. Die Standpunkte zur Disponibilität der Vorgaben über die Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche gehen auseinander. Nach Michael Reinhardt297 beurteilt sich die Abweichungsresistenz „differenziert“ „zu den anspruchbegründenden Einzelbestimmungen des WHG im jeweiligen Regelungskontext“. Demgegenüber konstatiert Konrad Berendes298 deren grundsätzliche Indisponibilität, sofern die Vorgaben nicht die Enteignungsregelungen299 betreffen. Dem Standpunkt Reinhardts ist zuzugeben, dass die Rege294 Zu den Voraussetzungen, in denen eine solche Erweiterung angenommen werden kann, A. Uhle, in: Maunz/Dürig, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 67 ff. 295 Ein solcher befindet sich beispielshalber in § 52 Abs. 5 WHG. 296 Siehe etwa § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG. 297 M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 96 WHG Rn. 7. 298 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 96 WHG Rn. 11. 299 Die Vorgaben zur Enteignung stützen sich auf Art. 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 14 GG, für die keine Abweichungsrechte vorgesehen sind.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
lungen zur Entschädigung mitunter an einen anlagenbezogenen Vorgang anknüpfen. Im Lichte einer schutzzweckbezogenen Interpretation der Bereichsausnahme begegnen einer solchen Beurteilung gleichwohl Bedenken. Über die Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen werden keine „stofflichen oder von Anlagen ausgehenden Einwirkungen auf den Wasserhaushalt“300 gesteuert. Insofern ist es folgerichtig, dass das Reglement der Ausgleichsund Entschädigungsbestimmungen abweichungsoffen ist, soweit keine anderweitigen Bundeskompetenzen betroffen sind.301 5. Regelungen mit organisatorischem Charakter, Befugnisnormen und Duldungspflichten (§§ 4 Abs. 4 Satz 2 WHG, 65, 64, 93, 94, 101 WHG) Mit Unschärfen ist die Interpretation von Vorschriften versehen, die der organisatorischen Umsetzung und Durchsetzung von wasserwirtschaftlichen Maßnahmen dienen. Hierzu zählt beispielsweise die Befugnis der Gewässeraufsicht nach den §§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 6 sowie 53 Abs. 3 Satz 2 WHG, „Betriebsgrundstücke“ und „Anlagen“ betreten zu dürfen, oder die Auferlegung besonderer Betriebs- und Überwachungspflichten. In diesen Kontext gehören zudem die verschiedenen Duldungspflichten. Mit § 93 Satz 1 WHG kann die Behörde von den Eigentümern bzw. Nutzungsberechtigten von Grundstücken und oberirdischen Gewässern unter anderem die Duldung des ‚Durchleitens‘ von ‚Wasser‘ und ‚Abwasser‘ oder der „Errichtung und Unterhaltung der dazu dienenden Anlagen“ verlangen. Nach § 94 Abs. 1 WHG kann die zuständige Behörde die „Betreiber einer Grundstücksentwässerungs-, Wasserversorgungs- oder Abwasseranlage“ dazu verpflichten, unter bestimmten Voraussetzungen „deren Mitbenutzung einer anderen Person zu gestatten“. In einem ähnlichen Regelungskontext bewegt sich § 4 Abs. 4 Satz 2 WHG, wonach der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte eines Gewässers keine „Entnahmen fester Stoffe“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 WHG zu dulden braucht. Umstritten sind zudem die Bestimmungen über die Gewässerschutzbeauftragten. Nach § 64 WHG haben bestimmte Gewässernutzer Gewässerschutzbeauftragte zu bestellen; diesen obliegt gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 1 WHG beispielsweise die „Kontrolle“ und „Wartung“ der „Abwasseranlagen“.
300 BT-Drucks.
18/813, S. 11. K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/10, § 96 WHG Rn. 11 und C. Esser, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 96 WHG Rn. 5. 301 Zutreffend
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a) Meinungsstand Nach Michael Foerst sind auch solche Bestimmungen überwiegend abweichungsfest. So diene das Duldungsgebot in § 93 WHG „der Ermöglichung der Verbesserung der Abwasserbeseitigung“,302 während die Befugnisse der Gewässeraufsicht nach § 101 WHG „den Schutz der Gewässer vor Gefahren bezwecken, die von Anlagen und Stoffen ausgehen“.303 Ferner sei der Gewässerschutzbeauftragte nach § 64 WHG dazu da, „Gefahren, die von Anlagen für die Gewässer ausgehen, zu vermindern oder zu verhindern“.304 Im weiteren Schrifttum gehen die Auffassungen im Einzelnen auseinander. Nach Konrad Berendes sind die Vorgaben zum Gewässerschutzbeauf tragten,305 zu den Duldungspflichten306 und die Befugnisse der Gewässeraufsicht307 abweichungsoffen. Hingegen sei § 4 Abs. 4 Satz 2 WHG, wonach der Eigentümer bzw. Nutzungsberechtigte keine Entnahmen fester Stoffe zu dulden brauche, abweichungsfest,308 während andere § 4 WHG insgesamt als indisponibel erachten.309 Das Land Hessen wich von der Duldungspflicht des § 4 Abs. 4 Satz 1 WHG ab, in dem § 6 HessWG die Duldungspflicht u. a. für Talsperren ausschloss. Auch hinsichtlich § 94 WHG, der die Mitbenutzung von Anlagen regelt, divergieren die Auffassungen.310 Obwohl in dessen Überschrift ein Anlagen302 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 355 f. zu § 93 WHG. Abweichend erachtet Foerst jedoch die etwaig stoffbezogene Duldungspflicht in § 4 Abs. 4 Satz 2 WHG hingegen als abweichungsoffen, vgl. dens., ebenda, S. 221. 303 M. Foerst, ebenda, S. 358 f. zu § 101 WHG. 304 M. Foerst, ebenda, S. 310 ff. zu den §§ 64 bis 66 WHG. 305 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 10/13, § 64 WHG Rn. 10. 306 K. Berendes, ebenda, § 93 WHG Rn. 4. 307 K. Berendes, ebenda, § 101 WHG Rn. 7 und § 53 WHG Rn. 6. 308 K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK zum WHG, § 4 WHG Rn. 28. 309 So M. Reinhardt, Czychowski/Reinhardt, § 4 WHG Rn. 30. Mit einer weite ren Bewertung wartet K. Faßbender, in: Landmann/Rohmer (Hg.), Umweltrecht, 63. Erg.-Lfg. Dezember 2011, § 4 WHG Rn. 32 ff. auf, der § 4 Abs. 4 WHG allein auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt sieht. Indessen regelt § 4 Abs. 4 WHG nicht die Eigentumszuordnung, sondern den Ausgleich zwischen verschiedenen wasserwirtschaftlichen Nutzungsrechten. 310 Die Abweichungsfestigkeit bejahen K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 94 WHG Rn. 5; M. Reinhardt, Czychowski/ ders., § 94 WHG Rn. 4; M. Weber, in: Berendes/Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 94 WHG Rn. 3.
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bezug augenfällig ist,311 wird die Norm als disponibel erachtet. Danach ergebe eine „historische Auslegung […], dass der verfassungsändernde Gesetzgeber bei Schaffung dieses abweichungsfesten Kerns allein den Schutz vor Anlagen und gerade nicht deren (Mit-)Nutzung im Blick hatte.“312 Dies lasse sich zudem aus den Begründungserwägungen zur Föderalismusnovelle 2006 ableiten, die „von Anlagen ausgehende Einwirkungen auf den Wasserhaus halt“313 in den Blick nehmen.314 Foerst differenziert zwischen den Anlagentypen.315 Danach dienen die Anlagen zur Entwässerung und Wasserversorgung nicht dem Gewässerschutz, während ein solcher bei Abwasseranlagen zu erblicken sei. Allein insoweit sei die Vorschrift indisponibel. b) Stellungnahme Die Auslegung der genannten Vorschriften muss sich mit zwei Gemeinsamkeiten auseinandersetzen. Einerseits knüpfen ihre Tatbestände bereits im Wortlaut an eine Anlage oder einen stoff- bzw. anlagenbezogenen Vorgang an. Andererseits statuieren sie keine expliziten inhaltlichen Anforderungen an die Gewässernutzung. Die materiellen Anforderungen werden jeweils bereits im Rahmen der Zulassungsentscheidung geprüft bzw. vorgegeben und durch andere Vorschriften abgesichert. Allein die in den Tatbeständen verwandten Begriffe fester Stoff, Abwasser und Anlage führen für sich noch nicht zur Abweichungsfestigkeit. Deshalb versagt eine begriffsanalytische Auslegung ihren oftmals sicheren Dienst. Vielmehr gelangt der Norminterpret erst im Rahmen einer schutzzweckbezogenen Auslegung zu einer hinreichend eindeutigen Klassifizierung. In Frage steht stets, ob und inwieweit der jeweilige Regelungsgegenstand im Sinne des grundgesetzlichen Begründungstextes „stoffliche oder von anderen Anlagen ausgehende Einwirkungen auf den Wasserhaushalt“ betrifft.316 Unter dieser Maßgabe sind zunächst die Duldungspflichten und behörd lichen Eingriffsbefugnisse zu beleuchten. Die jeweilige Schutzrichtung betrifft nicht die von Anlagen oder Stoffen ausgehenden Einwirkungen, son311 Siehe dazu nur „§ 94 Mitbenutzung von Anlagen (1) Die zuständige Behörde kann Betreiber einer Grundstücksentwässerungs-, Wasserversorgungs- oder Abwasseranlage verpflichten, deren Mitbenutzung einer anderen Person zu gestatten, wenn […].“ 312 D. Riedel, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2011, § 94 WHG Rn. 3. 313 Begründung des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 314 Mit dieser Überlegung D. Riedel, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, Stand 1. Oktober 2011, § 94 WHG Rn. 3.1. 315 So M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 356 f. 316 BT-Drucks. 16/813, S. 11.
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dern die Bestimmungen haben „das Verhalten von Personen und deren Inpflichtnahme für öffentliche Zwecke zum Inhalt“.317 Damit sind Bestimmungen über Duldungspflichten von Eigentümern und Nutzungsberechtigten oberirdischer Gewässer sowie die Befugnisse der Gewässeraufsicht abweichungsoffen. Ein nur möglicher Anlagenbezug reicht nicht aus, um die Vorgaben der §§ 101 Abs. 1, 53 Abs. 3 Satz 2 und 93 WHG als abweichungsresistent zu erachten.318 Diffiziler beurteilt sich dies mit Blick auf § 4 Abs. 4 Satz 2 WHG. Der Regelungsgegenstand der Vorschrift betrifft stoffliche Einwirkungen. Demgegenüber ist die intendierte Schutzrichtung eine andere. Die Bestimmung bezweckt nicht die Minimierung der mit der Entnahme fester Stoffe verbundenen Einwirkung auf den Wasserhaushalt, hierzu ist die Entnahme bereits nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 WHG zulassungspflichtig. Vielmehr versucht sie, eine im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG unverhältnismäßige Inanspruchnahme des Eigentümers bzw. Nutzungsberechtigten zu verhindern.319 Die Bestimmung ist disponibel.320 Differenzierter beurteilt sich dies hinsichtlich des Normprogramms zum Gewässerschutzbeauftragten nach den §§ 64 ff. WHG.321 Dieses begründet keine öffentlich-rechtlichen Pflichten des Beauftragten, sondern bezeichnet betriebsinterne Aufgaben und Abläufe.322 Im Außenverhältnis bleibt allein der Betreiber der Anlage bzw. Inhaber der jeweiligen Bewilligung, Erlaubnis oder Genehmigung verpflichtet.323 Wie im Schrifttum zu Recht vermerkt wird, ist die gesetzliche Ausgestaltung des Gewässerschutzbeauftragten organisationsrechtlicher Natur.324 Nach Gertrude Lübbe-Wolff sind „Eigen317 So zu Recht D. Zöllner, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp (Hg.), WHG/Abw AG, 44. Erg.-Lfg. September 2012, § 93 WHG Rn. 10. 318 Wie hier K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/10, § 93 WHG Rn. 4, § 101 WHG Rn. 7. 319 K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK zum WHG, § 4 WHG Rn. 25 ff. 320 So zu Recht M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 4 WHG Rn. 30; ohne vorstehenden Begründungsgang auch U. Drost, WHG, Bd. I, Stand September 2011, § 4 WHG Rn. 17; M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 221. Anderer Ansicht K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK zum WHG, § 4 WHG Rn. 28; die Disponibilität noch bejahend ders., in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 4 WHG Rn. 15; ablehnend auch K. Faßbender, in: Landmann/Rohmer (Hg.), Umweltrecht, 63. Erg.-Lfg. Dezember 2011, § 4 WHG Rn. 32. 321 Ausführlich zur Einführung dieses Instruments H. Rehborn/M. Rehborn, ZfW 1999, S. 363 ff. und zur Novelle J. Nagel, ZfW 2012, S. 71 ff. (75 f.). 322 W. Frenz, in: Berendes/ders./Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 65 Rn. 1. 323 Bereits H. Rehborn/M. Rehborn, ZfW 1999, S. 363 (372 f.). 324 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 10/13, § 64 WHG Rn. 10; U. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Bd. II, Erg.-Lfg. Juli 2010, Art. 83 BayWG Rn. 3.
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überwachungspflichten der Umweltnutzer“ bereits als Teile des Verwaltungsverfahrens nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG disponibel.325 Der Gewässerschutzbeauftragte bildet als Instrument zur regulierten Selbstkontrolle die Schnittstelle zwischen betrieblichem Organisationsrecht und der öffentlich verantworteten Gewässerbewirtschaftung.326 Die Bestimmungen zur Bestellung und zu den Aufgaben der Gewässerschutzbeauftragten nach den §§ 64 ff. WHG betreffen weitestgehend keine von Anlagen ausgehenden Einwirkungen auf die Gewässer. Vielmehr wird dem Inhaber der Nutzungserlaubnis die Entscheidung genommen, ob und in welcher Form er freiwillig Kontrollmaßnahmen vornimmt. Eine weitergehende staatliche Kontrolle innerbetrieblicher Vorgänge verbindet sich damit nicht. Das Instrument der betrieblichen Selbstüberwachung ist allein binnenorganisatorischer Natur zur Einhaltung der zumeist indisponiblen Regelungen und insoweit dem Grunde nach disponibel.327 Anderes lässt sich möglicherweise zum Pflichtenkatalog des § 65 Abs. 1 Nr. 1 WHG erwägen. Damit ist zum Abschluss noch § 94 WHG näher zu beleuchten. Ein Anlagenbezug der Vorschrift scheint offensichtlich,328 insofern steht einmal mehr die Reichweite der anlagenbezogenen Bereichsausnahme in Rede. Die mit § 94 Satz 1 WHG in Bezug genommenen Grundstücksentwässerungs-, Wasserversorgungs- und Abwasseranlagen und die damit verbundenen Vorgänge sind allgemein geeignet, auf den Wasserhaushalt ‚einzuwirken‘. Für die schutzzweckbezogene Auslegung ist das Gefährdungspotential der gegenständlichen Anlagen von Bedeutung. Auf derartige Anlagen bezogen sind beispielsweise nicht allein spezifische technische Standards, sondern namentlich die hier betroffenen Benutzungsregelungen.329 Entgegen der oben benannten Interpretation stützt die angeführte Begründungserwägung allein eine Abweichungsresistenz. Im Gegensatz zu den bereits benannten Duldungsgeboten will § 94 WHG nicht allein die teilweise widerstreitenden Eigentumsinteressen der Anlagenbetreiber in Einklang bringen und dem Vollzug materieller Vorgaben dienen, sondern weist eine eigene medienbezogene Schutzrichtung auf. Einerseits soll die in der Vorschrift vorgesehene Verpflichtungsmöglichkeit eine effiziente und wirtschaftliche Aufgabenerfüllung ermöglichen.330 325 G. Lübbe-Wolff, in: Koch/Hey (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik, 2009, S. 45 (60). 326 Grundlegend zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft E.-H. Ritter, AöR Bd. 104 (1979), S. 389 (393 ff.). 327 Demgegenüber erachtet M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 310 ff. die betreffenden Regelungen als indisponibel. 328 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 94 WHG Rn. 5; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 94 WHG Rn. 4. 329 Zum Anlagenbezug bereits vorstehend Kapitel 6 sub II. 1. c). 330 So die Begründungserwägungen in der BT-Drucks. 16/12275, S. 78.
IV. Resümierende Stellungnahme357
Andererseits verhindert sie die wasserwirtschaftlich potentiell unerwünschte Errichtung mehrerer Anlagen in einem Einzugsgebiet und den sicheren Betrieb der Anlagen. Insoweit ist auch keine Differenzierung zwischen den Anlagentypen angezeigt. Entwässerungsanlagen und Wasserversorgungsanlagen wirken ebenfalls etwaig auf den Wasserhaushalt ein. Wie auch Abwasseranlagen bedürfen diese einer bestimmen Menge von Niederschlagswasser bzw. Rohwasser, um sachgerecht sowie dauerhaft funktionieren zu können, ohne sich nachteilig auf ein Schutzgut im Sinne des § 1 WHG auszuwirken. Die Vorschrift enthält einen expliziten Schutzgehalt und ist nach alledem abweichungsfest.331
IV. Resümierende Stellungnahme 1. Grundsätzliche Überlegungen Ganz überwiegend lassen sich die Tatbestände trotz vereinzelter Unsicherheiten anhand verschiedener Abgrenzungskriterien in eine stimmige Ordnung bringen. Betrachtet man die Abweichungspraxis genauer, so bleiben die im Vorfeld der Reform prognostizierten Unsicherheiten aus. Wenngleich die Auffassungen zu fast jeder Vorschrift auseinandergehen, rechtstatsächlich sind die Abgrenzungsfragen nur in wenigen Fällen auf die Abweichungsgesetzgebung zurückzuführen. In den bekannten Zweifelsfällen wird zumeist allein darüber diskutiert, ob sich eine Landesregelung332 auf Art. 72 Abs. 1 GG stützen lässt, weil eine bestehende Öffnungsklausel genutzt wird, die jeweilige Vorschrift tatsächlich nicht abweicht oder sich der Bundesgesetzgeber auf einen weiteren Befugnistitel stützen kann.333 Dagegen wirft die Bestimmung des Art. 15 BayWG im Lichte von Art. 72 Abs. 3 GG erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel auf. Möglicherweise steht sie zu den abweichungsfesten Benutzungstatbeständen in § 9 WHG in Konflikt, denn das darauf bezogene Zulassungsregime ist abweichend.334 Eine nachprüfbare auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG gestützte Absenkung des Schutzstandards lässt sich wohl allein mit Blick auf § 61 NdsWG und § 52 SachsAnhWG erwägen.335 331 Ohne diesen Begründungsgang auch K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 94 WHG Rn. 5; M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 94 WHG Rn. 4. Abweichend M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 356 f. 332 Siehe nur die Debatte zu § 61a NordrhWestWG in Kapitel 2 sub II. 2. h) oder sub I. 2. 333 Vgl. bspw. das Normprogramm zum Hochwasserschutz, vorstehend sub III. 3. b). 334 Hierzu vorstehend sub II. 1. 335 Dazu auch in Kapitel 5 sub I. 2. b).
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
Losgelöst von dieser rechtstatsächlichen Bewertung weisen die abweichungsfesten Materien auf eine feste Bindung der Länder an die Regelungsstruktur und -technik des Wasserhaushaltsgesetzes. Zahlreiche abweichungsfeste Bereiche in Verbindung mit den zurückhaltend ausgeübten Abweichungsrechten bilden den Einstieg in ein bundeseinheitliches Wasserwirtschaftsrecht. Im Lichte dieses Befunds ist zu konstatieren, dass ein „Flickenteppich“336 gesetzlicher Regelwerke oder die Gefahr widersprüchlicher Regelungskonzepte unrealistisch ist. Die konzeptionelle Struktur des Wasserhaushaltsgesetzes lässt sich aufgrund der vielfältigen Verflechtungen der abweichungsfesten Bereichsausnahme nicht überspielen. Insofern ist die Begründungserwägung zur Verfassungsreform 2006, wonach die Länder befähigt werden, eigene Konzeptionen zu verwirklichen, in der Gesetzgebungspraxis nur eingeschränkt realisierbar.337 Eine Gesamtschau der Erwägungen bringt eine nachhaltige Stärkung der Normsetzungskompetenz des Bundes zum Ausdruck, die sich durch die Inanspruchnahme des Abweichungsmodells schwerlich aushebeln lässt. Werden die noch bestehenden verfassungsrechtlichen Abgrenzungsfragen bzw. Anlaufschwierigkeiten ausgeblendet, so ist die Abweichungskompetenz im Bereich des Wasserhaushaltsrechts – entgegen dem vorherrschenden Meinungsbild im Schrifttum338 – ein wirksames Instrument, um die widerstreitenden Interessen in Einklang zu bringen. Demgegenüber ist weiterhin eine Unübersichtlichkeit und Verschränkung des wasserrechtlichen Regelungsregimes zu konstatieren.339 Die für den Normanwender etwaig komplizierten Verschränkungen weisen indessen kaum Konflikte auf, die nicht bereits unter der Rahmengesetzgebung bestanden.340 2. Versuch einer Zusammenführung und Strukturbildung Ohne die einzelnen Betrachtungen nochmals nachzuzeichnen, wird im Anschluss an das Resümee des vorangegangenen Kapitels nunmehr versucht, die Prüfsteine der stoff- oder anlagenbezogenen Bereichsausnahme zu skizzieren. Eine allgemeine definitorische Abstraktion der Bereichsausnahme verbietet sich mit Blick auf das vielfältige Landesrecht und die kaum zu überblickenden Möglichkeiten der Abweichungsgesetzgebung. Werden die 336 Mit dieser Erwartung bereits J. Wieland, Anhörung zur Föderalismusreform am 15. und 16. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 12, S. 20. 337 Wie hier J. Dietlein, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 19 (33). 338 Siehe nur B. Becker, Das neue Umweltrecht, 2010, Rn. 41 und passim. 339 Mit diesem Befund nahezu das gesamte wasserrechtliche Schrifttum, vgl. H.-H. Munk, in: Reinhardt (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 1 (17). 340 Zu diesem Resümee kam bereits die Betrachtung der Ausübungsvoraussetzungen in Kapitel 5 sub IV.
IV. Resümierende Stellungnahme359
verschiedenen Anforderungen resümierend zusammengezogen, so ergibt sich folgendes vierstufiges Prüfraster: In einem ersten Schritt erfolgt eine sehr weite Begriffsinterpretation der Bereichsausnahme. Der verfassungsrechtliche Begriff der Anlage – erfasst zunächst alles, was angelegt ist;341 – geht über einen bloßen Technikbezug hinaus und erfasst etwa auch Grundstücke, sofern sie einen Einfluss auf den Wasserhaushalt aufweisen können,342 Hochwasserschutzbauten, Brücken, Stege usf.; – erfordert kein Merkmal des Betreibens, wie es zum Anlagenbegriff des Bundes-Immissionsschutzgesetzes343 debattiert wird;344 – verlangt jedoch von der Anlage eine gewisse Dauerhaftigkeit. – Der Stoffbegriff345 – reicht signifikant über das Verständnis des Chemikalienrechts hinaus und erfasst beispielsweise grundsätzlich auch Wasser.346 Die an dieser Stelle der Prüfung mitunter anzutreffende Eingrenzung auf eine bestimmte Nachteiligkeit der ‚Einwirkung‘ auf den Wasserhaushalt ist verfehlt, da das Kriterium der Einwirkung schutzzweckbezogen ebenfalls extensiv zu interpretieren ist. Das Kriterium ist nicht an eine bestimmte Schadstofffracht gebunden. So erfasst es auch hydromorphologische Veränderungen und damit die meisten anthropologischen Einflussnahmen. Von Verfassungs wegen ist kein Kriterium der ‚Nachteiligkeit‘ der Einwirkung im engeren Sinne vorgesehen. Alsdann ist gleichsam auf zweiter Ebene eine am Normtext anknüpfende Eingrenzung vorzunehmen. Die in Rede stehende Norm muss eine konkrete sachliche Verbindung bzw. Verknüpfung mit einem anlagen- oder stoffbezogenen Vorgang aufweisen und den Schutz des Wasserhaushalts vor stoff341 An dieser Stelle ließe sich etwa erwägen, auch künstliche oder erheblich veränderte Gewässer als Anlage zu interpretieren, die jedoch sogleich auf einer weiteren Prüfungsebene ausgeschieden werden. 342 Zutreffend M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664). 343 Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013, BGBl. I, S. 1274, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 2. Juli 2013, BGBl. I, S. 1943 geändert worden ist. 344 Ein solches Merkmal ablehnend M. Schulte, in: Giesberts/Reinhardt (Hg.), BeckOK, § 3 BImSchG Rn. 6; bejahend hingegen H. D. Jarass, BImSchG, 10. Aufl. 2013, § 3 Rn. 66. 345 Näher dazu bereits unter Kapitel 6 sub II. 2. 346 Die Einbeziehung von Wasser bedeutet keinesfalls, das Schutzgut Wasserhaushalt einzubeziehen, dazu sogleich.
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Kap. 7: Die Dispositionsbefugnisse der Länder
oder anlagenbezogenen Einwirkungen nicht lediglich als nur mögliche mittelbare Fernwirkung bezwecken.347 Darauf bezogene Vorgaben sind alle Bestimmungen, die Prämissen an die Errichtung, die Unterhaltung, die Stilllegung und die Beseitigung sowie den Betrieb von wasserwirtschaftlich relevanten Anlagen richten. Damit scheiden Vorgaben organisationsrechtlicher Art aus, beispielsweise die Gewässeraufsicht. Gleiches gilt für Regelungen, die den passiven Schutz des Wasserhaushalts vor Schadstoffeinträgen bezwecken, wie etwa Gewässerrandstreifen. Daneben sind mit Blick auf § 35 WHG Tatbestände auszuschließen, die der Bundesgesetzgeber ersichtlich gewillkürt indisponibel ausgestalten wollte, obwohl die geregelten Sachverhalte regelmäßig mit der Nutzung einer Anlage verbunden sind. Eine nur etwaige Anlagennutzung bzw. ein Stoffbezug der geregelten Vorgänge sind für die Abweichungsfestigkeit der Regelung unzureichend. Sofern der jeweilige Tatbestand nach der vorstehenden Prüfung abweichungsoffen ist, ist in einem dritten Schritt der Schutzzweckbezug zu betrachten.348 Zu prüfen ist, ob sich die Regelung nicht allein im Normtext auf einen Stoff oder eine Anlage bzw. einen solchen Vorgang bezieht, sondern auch eine solche Schutzrichtung aufweist.349 Nach einer solchen schutzzweckbezogenen Interpretation sind Vorgaben organisatorischer Art, Duldungs- und Ausgleichspflichten sowie Bestimmungen hinsichtlich einer Entschädigung grundsätzlich abweichungsoffen. Dies betrifft auch die Befugnisse der Gewässeraufsicht oder den betrieblichen Gewässerschutz. Mögen solche Vorgaben zwar begrifflich auf Anlagen bezogen sein, so statuieren sie doch selbst keine inhaltlichen Anforderungen, sondern dienen allein ihrer Durchsetzung. Zugleich hat der Bestimmung eine Regelungsmaterie zugrunde zu liegen, die ein vom Schutzgut Wasserhaushalt zu trennender Regelungsgegenstand ist.350 Liegt danach eine disponible anlagen- oder stoffbezogene Vorgabe vor, kann es gelegentlich geboten sein, gleichsam auf einer vierten Stufe zu 347 Demgegenüber steht B. Becker, DVBl. 2010, S. 754 (758) auf dem Standpunkt: „Die Finalität anlagenbezogener Regelungen muss nicht im Sinne eines damit direkt bezweckten Schutzes der natürlichen Eigenschaft des Wassers bestimmt werden, es können ja auch Regelungen gemeint sind, die den Schutz vor dem Wasser bezwecken.“ Wie hier C. Calliess/D. Burchardt, UTR 105 (2011), S. 7 (36), die aus der Prämisse gleichwohl zu weitreichende Schlüsse ziehen. Ähnlich zuvor M. Ruttloff, UPR 2007, S. 333 (333), der diesbezüglich „anlagenspezifische Festlegungen“ und einen „unmittelbaren Anlagenbezug“ fordert. 348 Für einen solchen Schutzzweckbezug bereits H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347); M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488); ders., Czychowski/ders., Einl. Rn. 39; M. Ruttloff, UPR 2007, S. 333 (333). 349 M. Reinhardt, AöR Bd. 135 (2010), S. 459 (488). 350 Damit scheiden Wasser und bestimmte Gewässertypen als Bestandteile des Schutzguts Wasserhaushalt aus, vgl. bereits in sub I. 4.
IV. Resümierende Stellungnahme361
prüfen, ob das Ergebnis historisch-genetisch mit dem Prozess der Verfassungsreform 2006 und sonstigem Verfassungsrecht im Einklang steht. Die Einbeziehung bestimmter stoff- oder anlagenbezogener Regelungen in die Bereichsausnahme wurde im Zuge der Verfassungsreform diskutiert, jedoch im Ergebnis verworfen. Danach sind die Vorgaben hinsichtlich der „Ziele und Grundsätze“ der Wasserwirtschaft, der Bewirtschaftung in Flussgebiets einheiten, der Vorgaben des Hochwasserschutzes, der Anforderungen an die Benutzung von Gewässern (ohne die stoff- oder anlagenbezogenen Anforderungen), der Regelungen des Ausbaus und der Unterhaltung der Gewässer sowie der Planung und des Verfahrens351 dem Grunde nach disponibel. Vorstehende Abschichtung spiegelt die jeweiligen Erwägungen zu den im Untersuchungsgang exemplarisch beleuchteten Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes wider. Abgesehen von der schwierigen Einordnung des Art. 15 BayWG352 sind bisher keine verfassungswidrigen Abweichungen zu erkennen.353
351 Einzelheiten zum anlagen- und stoffbezogenen Verfahrensrecht in Kapitel 9 sub II. 352 Dazu siehe Kapitel 2 sub II. 2. b) und Kapitel 7 sub II. 2. 353 Vgl. demgegenüber die weite Begriffsinterpretation von M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 364, der zumeist von den hier gefundenen Ergebnissen abweicht und den überwiegenden Teil des Wasserhaushaltsgesetzes als indisponibel erachtet.
Kapitel 8
Die Einbindung der Verordnungsgebung in die Abweichungskompetenz Die Einbindung der Rechtsverordnungen in die Gesamtrechtsordnung ist nicht erst seit der Verfassungsreform 2006 eine besondere Herausforderung.1 So nimmt es nicht wunder, dass diese auch die Abweichungsgesetzgebung in besonderer Weise vor Herausforderungen stellt. Die Aufhebung des Superioritätsprinzips im Rahmen des Art. 72 Abs. 3 GG verlangt nach einer weiteren Funktionsbeschreibung und Grundlegung des Verhältnisses zwischen materiellem Verordnungsrecht und formellem Gesetzesrecht.2 Die zunehmende Dominanz des Verordnungsrechts ist auch im neu geordneten Wasserhaushaltsgesetz gut zu erkennen. So weist die Verordnungsermächtigung des § 23 WHG weite und gewichtige Regelungsbereiche der exekutiven Rechtsetzung zu.3 Diese Ermächtigung soll namentlich der Transformation bindender Rechtsakte der Europäischen Union dienen. In einer der ersten Novellen des Wasserhaushaltsgesetzes wurde der Katalog der stoff- und anlagenbezogenen Ermächtigungen in § 62 Abs. 4 WHG von 4 auf 7 erweitert und differenzierter ausgestaltet. Besonders mit Blick auf die weitreichende Verlagerung der Rechtsetzung auf Verordnungsebene muss den Ländern die Möglichkeit eröffnet bleiben, über ebensolche Umsetzungsakte zu disponieren, wenn diese über die europarechtliche Implementationspflicht hinausreichen und sich die abweichungswilligen Bundesländer auch sonst innerhalb ihres Regelungsmandates bewegen.4 Nachfolgend widmet sich die Untersuchung zunächst der neuen Verordnungsermächtigung des Wasserhaushaltsgesetzes und dem bislang ergangenen Verordnungsrecht (hierzu sub I.). Daran anknüpfend ergeben sich im Zusammenhang mit Rechtsverordnungen verschiedene verfassungsrechtliche Streitfragen. Während des Gesetzgebungsverfahrens ent1 Ausführlich und instruktiv zur Verordnungsgebung A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, passim. 2 Mit diesem Hinweis und kritisch bereits DAV, AnwBl. 2006, S. 614 (616); M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109 f.). 3 Vgl. zu diesem Bereich bereits die Ausführungen zur Verbesserung der Europatauglichkeit unter Kapitel 3 sub II. 1. Siehe ferner die berechtigte Kritik von M. Reinhardt, ders. (Hg.), Das WHG 2010, S. 79 (82). 4 Zur Thematik U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 23 WHG Rn. 4 f.
I. Der Erlass untergesetzlicher Regelwerke363
brannte zunächst die bekannte Diskussion, ob bereits die bloße Delegationsnorm Landesrecht sperrt und ob Verordnungsrecht der Länder erhalten bleibt, wenn dessen Ermächtigungsgrundlage wegfällt (hierzu sub II.). Von grundsätzlicher Bedeutung ist das Verhältnis der Abweichungsbefugnis zum Verordnungsrecht. Das Verhältnis ist angesichts des außer Kraft gesetzten lex-superior Prinzips für das „jeweils spätere Gesetz“ einer genaueren Bewertung zu unterziehen. So erhebt sich die Frage, inwieweit bzw. unter welchen Prämissen einem Land abweichende Vorgaben möglich sind. Im Einzelnen bedarf es der näheren Überprüfung, ob zu diesem Zweck ein formelles Landesgesetz erforderlich ist, das die Abweichung unmittelbar enthält, oder die Abweichung an die Exekutive delegiert werden kann5 (hierzu sub III.). Sodann führt eine Stellungnahme die Betrachtungen zusammen (hierzu sub IV.).
I. Der Erlass untergesetzlicher Regelwerke zur Ordnung des Wasserhaushalts Nach Erlass des Wasserhaushaltsgesetzes am 31. Juli 2009 wurden zunächst die Grundwasserverordnung, die Verordnung zum Umgang mit Oberflächengewässer und die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (VAwS) auf den Weg gebracht. Das im Regierungsentwurf zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz noch angelegte Geringfügigkeitsschwellenkonzept wurde von den Ländern abgelehnt und der Diskurs auf die Verordnungsebene verlagert.6 1. Die Delegationsnorm des § 23 WHG Zur Vereinfachung des Wasserhaushaltsrechts des Bundes soll maßgeblich die umfassende Delegation an die Bundesregierung in § 23 WHG beitragen.7 Die Bundesregierung verfügt mit § 23 WHG „insbesondere“ über die Befähigung zu näheren Regelungen über: „1. Anforderungen an die Gewässereigenschaften, 2. die Ermittlung, Beschreibung, Festlegung und Einstufung sowie Darstellung des Zustands von Gewässern, 3. Anforderungen an die Benutzung von Gewässern, insbesondere an das Einbringen und Einleiten von Stoffen, 5 Mit dieser Überlegung M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109). 6 Vgl. § 48 Abs. 1 WHG und dazu BR-Drucks. 208/1/09, S. 33 Nr. 48 sowie BT-Drucks. 16/12275, S. 65 f. 7 Begr. des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes, BT-Drucks. 16/12275, S. 56.
364
Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
4. Anforderungen an die Erfüllung der Abwasserbeseitigungspflicht, 5. Anforderungen an die Errichtung, den Betrieb und die Benutzung von Abwasseranlagen und sonstigen in diesem Gesetz geregelten Anlagen, 6. den Schutz der Gewässer gegen nachteilige Veränderungen ihrer Eigenschaften durch den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, 7. die Festsetzung von Schutzgebieten sowie Anforderungen, Gebote und Verbote, die in den festgesetzten Gebieten zu beachten sind, 8. die Überwachung der Gewässereigenschaften und die Überwachung der Einhaltung der Anforderungen, die durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes erlassener Rechtsvorschriften festgelegt worden sind, 9. Messmethoden und Messverfahren einschließlich Verfahren zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit von Bewertungen der Gewässereigenschaften im Rahmen der flussgebietsbezogenen Gewässerbewirtschaftung (Interkalibrierung) sowie die Qualitätssicherung analytischer Daten, 10. die durchzuführenden behördlichen Verfahren, 11. die Beschaffung, Bereitstellung und Übermittlung von Informationen sowie Berichtspflichten, 12. die wirtschaftliche Analyse von Wassernutzungen, die Auswirkungen auf Gewässer haben.“
Die Vorschrift führt verschiedene Verordnungsermächtigungen des Wasserhaushaltsgesetzes a. F. zusammen und autorisiert den Bund, sowohl die verbindlichen Transformationspflichten der Europäischen Union als auch die sonstigen im Katalog aufgeführten Regelungsbereiche untergesetzlich umzusetzen. Sie konkretisiert „die im Ganzen schlank gehaltenen gesetz lichen Vorgaben“.8 Die Voraussetzungen für den Erlass der unterschiedlichen Verordnungen werden vielfach erst im Rahmen der entsprechenden Vorschriften konkretisiert (§§ 48 Abs. 1 Satz 1, 75 Abs. 2, 58 Abs. 1 Satz 2, 61 Abs. 3, 62 Abs. 4, und 63 Abs. 2 Satz 2 WHG), die in Verbindung mit § 23 WHG zu interpretieren sind. Danach ist die Bundesregierung nach Anhörung der „beteiligten Kreise“ (§ 23 Abs. 2 WHG) und mit Zustimmung des Bundesrates (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 WHG) zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Gewässerbewirtschaftung ermächtigt. Der Bund kann nunmehr bundesweit einheitliche stoff- und anlagenbezogene Verordnungen erlassen.9 Bereits die Vorgängervorschrift des § 6a WHG a. F. war aufgrund ihrer weiten Fassung heftig umstritten.10 Hingegen soll die Verfassungsmäßigkeit 8 So die Begr. zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz, BT-Drucks. 16/12275, S. 58. 9 Vgl. BT-Drucks. 16/12275, S. 58. 10 R. Breuer, Stellungnahme anlässlich der Anhörung des Umweltausschusses des Bundestages am 25. September 1995 hinsichtlich der Novellierung des Wasser-
I. Der Erlass untergesetzlicher Regelwerke365
des § 23 WHG während des Normsetzungsprozesses nicht in Zweifel gezogen worden sein.11 Gleichwohl wird die Delegation im Schrifttum weithin kritisiert.12 Im Hintergrund schwelt die Debatte weiter, welchen Anforderungen die Ermächtigungsnormen im Rahmen von europarechtlichen Verpflichtungen unterliegen müssen, um dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gerecht zu werden.13 Demgegenüber sind Zweifel hinsichtlich des Bestimmtheitserfordernisses kein durch die Kompetenzneuordnung bedingtes Novum. 2. Ausgewähltes Verordnungsrecht Landesrechtliches Verordnungsrecht, das von Rechtsverordnungen des Bundes abweicht oder diese ergänzt, liegt bisher nicht vor. Demgemäß wird die untergesetzliche Rechtsetzung für die weitere kompetenzielle Betrachtung nur grob skizziert.14 Die „Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen“ wurde zunächst in Form einer ‚Vorschaltverordnung‘ vom 26. März 2010 aufrechterhalten.15 Die Verordnung deckte den Übergangszeitraum zwischen dem vollständigen Inkrafttreten des Wasserhaushaltsgesetzes 2009 am 1. März 2010 und dem Inkrafttreten der Verordnung zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen im Jahr 2015 ab. Diese Interimslösung war notwendig geworden, da am 1. März 2010 die Regelungen der §§ 19i, 19k haushaltsgesetzes, abgedruckt in der Ausschussdrucksache des Bundestages 13/119, Teil 4, S. 9 ff.; G.-M. Knopp, in: Sieder/Zeitler/Dahme/ders. (Hg.), WHG/AbwAG, 24. Erg.-Lfg. März 2002, § 6a WHG Rn. 6 bis 8b; G. Lübbe-Wolff, ZUR 1997, S. 61 (61 f.); S. Weihrauch, NVwZ 2001, S. 265 (266). 11 Berichtend K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/13, § 23 WHG Rn. 7. 12 Zu Recht M. Reinhardt, in: ders. (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 79 (82); ders., Czychowski/ders., § 23 WHG Rn. 8 ff.; B. Becker, Das neue Umweltrecht, 2010, S. 50 f. Zum Umweltrecht D. H. Scheuing, EuR 1985, S. 229 (234 f.); A. Weber, Rechtsfragen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts in der Bundesrepublik, 1998, S. 24 ff.; K. Berendes, ZfW 1996, S. 363 (367); ders., in: Oldiges (Hg.), Aktuelle Probleme des Gewässerschutz- und Abwasserrechts, 1998, S. 13 (17 f.); M. Czychowski, ZUR 1997, S. 71 (72 f.). Allgemein H. Bauer, in: H.-J. Cremer u. a. (Hg.), Fests. Steinberger, 2002, S. 1061 (1075 ff.); allgemein und mit weiteren Nachw. A. Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 80 GG Rn. 54. 13 Zur Kritik zuletzt M. Reinhardt, NVwZ 2014, S. 484 (486). 14 Zum Stand der Rechtsverordnungen zum Wasserhaushaltsgesetz die Antwort der BReg, BT-Drucks. 17/8298. 15 BR-Drucks. 82/10.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
und 19l des Wasserhaushaltsgesetzes a. F. entfielen, ohne dass dafür eine entsprechende Regelung im neuen Wasserhaushaltsgesetz vorgesehen ist. Die Verordnung stützt sich auf § 23 Abs. 1 Nr. 6 WHG und konkretisiert die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben des Wasserhaushaltsgesetzes (§§ 62 und 63 WHG). Sie enthält überwiegend indisponible Regelungen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen sowie zu Sachverständigenorganisationen, zu Güte- und Überwachungsgemeinschaften und zu Fachbetrieben.16 Die Verordnung zum Schutz des Grundwassers (Grundwasserverordnung – GrwV) wurde am 9. November 2010 verabschiedet.17 Die auf § 23 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 und Nrn. 8 bis 12 WHG gestützte Verordnung18 trat am 16. November 2010 in Kraft. Sie enthält in Anlage 2 als wichtigstes Element die Festsetzung einheitlicher Schwellenwerte für die Beschreibung und Bewertung des guten Grundwasserzustandes, vgl. §§ 4 ff. GrwV. Mit der auf § 23 Abs. 1 Nr. 2 WHG gestützten Verordnung zum Schutz der Oberflächengewässer (Oberflächengewässerverordnung – OGewV)19 vom 20. Juli 2011 wurden die Vorgaben der Umweltqualitätsnormrichtlinie (EG) 2008 / 10520 umgesetzt und auf Landesebene bereits bestehende Rechtsverordnungen zur Umsetzung der Anhänge II und V der Wasserrahmenrichtlinie integriert. Sie soll den Umgang mit neuen Stoffen für die Wasserbehörden vollzugstauglich ausgestalten. Wie bereits mit Blick auf die europäischen Transformationspflichten vermerkt wurde, ist das Zusammenwirken von Bund und Ländern auf Verordnungsebene weiterhin problematisch. Schließlich soll noch ein kurzer Blick auf das bestehende Verordnungsrecht der Länder geworfen werden. Auf Grundlage des Wasserhaushaltsgesetzes a. F. und auf Grundlage des Sächsischen Wassergesetzes in der Fassung vom 18. Oktober 200421 erließ beispielsweise der Freistaat Sachsen insgesamt achtzehn wasserwirtschaftliche Rechtsverordnungen.22 Auch künftig 16 Vgl.
die Begr. zum Reg-E. der VAUwS vom 24. November 2010, S. 1. (2010), S. 1513. 18 BR-Drucks. 500/10, S. 1. 19 BGBl. I (2011), S. 1429. 20 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien des Rates 82/176/EWG, 83/513/ EWG, 84/156/EWG, 84/491/EWG und 86/280/EWG sowie zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG, ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 84. 21 SächsGVBl. 2004, S. 482 ff. 22 F.-J. Kunert, in: Köck (Hg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch nach der Föderalismusreform, 2009, S. 143 (148); zum Zeitpunkt der WHG-Novelle 2010 zählten dazu unter anderem die SächsVAwS (Anlagenverordnung Sachsen); 17 BGBl. I
II. Die Ermächtigungsnorm im Normsetzungssystem367
sind die Bundesländer auf zahlreiche Landesverordnungen angewiesen. Einerseits wenden sich zahlreiche Verordnungsermächtigungen unmittelbar an die Länder.23 Andererseits ist ergänzendes, ausfüllendes und konkretisierendes Verordnungsrecht der Länder zu erwarten, welches das Verordnungsrecht des Bundes flankiert. So sei auf das Niedersächsische Wassergesetz verwiesen, das in 23 Vorschriften24 Verordnungsermächtigungen enthält.
II. Die Ermächtigungsnorm im Normsetzungssystem – Funktionsbeschreibung und Rekonstruktion Im Zuge des Normsetzungsprozesses25 und während der ersten Novellierung26 des Wasserhaushaltsgesetzes im Jahr 2011 trat zunächst die tradierte und verfassungsrechtlich nicht abschließend geklärte Problematik nach der Sperrwirkung einer bundesgesetzlichen Verordnungsermächtigung27 sowie der Fortgeltung des Landesrechts bei Wegfall der Ermächtigungsgrundlage zutage.28 Eine Sperrwirkung hätte zur Unwirksamkeit zenLöschwasser-RückhalteRLm; SächsDuSVO (Sächsische Dung- und Silagesickersaftanlagenverordnung); EigenkontrollVO (Eigenkontrollverordnung); SächsKomAbwVO (Sächsische Kommunalabwasserverordnung); SächsBadegewV (Sächsische Badegewässer-Verordnung); SächsFischgewV (Sächsische Fischgewässerverordnung) SächsTWGewVO (Trinkwassergewinnungsverordnung (zwischenzeitlich aufge hoben); WasserZuVO (Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Wasserrechts und der Wasserwirtschaft); SächsGewVVO (Gewässerverschmutzungsverringerungsverordnung); HeilquellenV (Heilquellenverordnung); SächsWRRLVO (Sächsische Wasserrahmenrichtlinienverordnung); Kleinkläranl (Kleinkläranlagenverordnung); SächsWabuV (Sächsische Wasserbuchverordnung); ErlFreiVO (Erlaubnisfreiheits-Verordnung). 23 §§ 50 Abs. 5 Satz 3 (Übertragung der öffentlichen Wasserversorgung), 51 Abs. 1 Satz 1 (Festsetzung von Wasserschutzgebieten), 53 Abs. 4 (Festsetzung von Heilquellenschutzgebieten), 76 Abs. 2 (Festsetzung von Überschwemmungsgebieten), 86 Abs. 1 (Veränderungssperren) WHG. 24 §§ 3 Abs. 6, 28 Abs. 5, 32 Abs. 5, 34, 36, 39, 51, 59, 60, 64, 77, 78 Abs. 3, 79 Abs. 3, 82, 84 Abs. 1, 86 Abs. 1 und 3, 87 Abs. 1 und 2, 90, 92, 95 Abs. 1, 115 Abs. 1 und 2, 125, 129 NdsWG. 25 Dazu K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 23 WHG Rn. 14; F.-J. Kunert, in: Köck (Hg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch nach der Föderalismusreform, 2009, S. 143 (146) als auch A. Rittmann/ A. v. Komorowski, in: Bohne/Kloepfer (Hg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, 2009, S. 107 (113). 26 Vgl. BT-Drucks. 17/6055, S. 27 und die Stellungnahme des Bundesrates in der BR-Drucks. 217/11, S. 5. 27 C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 26; ausführlich H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1045 ff.). 28 Siehe allgemein M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 80 GG Rn. 76 und nachstehend sub 2.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
traler wasserwirtschaftlicher Regelungen der Länder geführt. Dazu gehörten die für den wasserrechtlichen Vollzug hoch bedeutsamen Anlagenverordnungen der Länder (VAwS).29 1. Die Sperrwirkung von Ermächtigungsnormen Für den weiteren Untersuchungsgang ist zunächst eine weitere Grundlegung der mit der Verordnungsgebung verbundenen Kompetenzordnung erforderlich. Nach Art. 72 Abs. 1 GG wird von der Legislativzuständigkeit „durch Gesetz Gebrauch gemacht“. Der hier verwandte grundgesetzliche Begriff des Gesetzes30 ist aus dessen Verwendungszusammenhang, seiner systematischen Stellung und dem Zweck der jeweiligen Bestimmung zu ermitteln. Die Bedeutung des Vorbehalts „durch Gesetz“ wird im Grundrechtekatalog gelegentlich aufgebrochen und der Begriff ‚Gesetz‘ im Grundgesetz unterschiedlich verwendet.31 Demgegenüber enthält der VII. Abschnitt des Grundgesetzes für das Gesetzgebungsverfahren gemäß den Art. 70 ff. GG ersichtlich einen einheitlichen formellen Gesetzesbegriff.32 Auch die Föderalismusreform bzw. das 52. Grundgesetzänderungsgesetz führte hier zu keiner Änderung.33 Der formelle Gesetzesbegriff in den Art. 70 ff. GG ist zentral für die Einbindung des Verordnungsrechts und ihrer Ermächtigungsnormen in die Abweichungsgesetzgebung. Dem Grunde nach können die Länderparlamente ihre Gesetzgebungsbefugnis auch delegieren. Unter Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips gestatten sowohl Art. 80 Abs. 1 GG als auch das korrespondierende Landesverfassungsrecht diese Delegation der Rechtsetzungsbefugnisse.34 Die Ermächtigung hat im Rah29 Vgl. zur Diskussion während des Gesetzgebungsverfahrens H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 13 f.; R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 761. 30 Der Begriff des Gesetzes wird im Grundgesetz nicht definiert M. Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. I, 2011, § 21 Rn. 23. 31 Zum Gehalt der Maßgabe ‚durch Gesetz‘ im Grundrechtskatalog C. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 21 ff. Zu nennen ist etwa das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, das sich nicht nur durch förmliche Gesetze, sondern auch durch materielles Recht einschränken lässt, dazu H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Bd. II, 59. Erg.-Lfg. Juli 2010, Art. 14 GG Rn. 339. Ausführlich zu den verschiedenen Facetten des Terminus im Grundgesetz H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 12 ff. (27 ff.). 32 Statt anderer im Einzelnen A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 35 und auch mit Blick auf Art. 72 GG F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. 5, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 71. 33 Paradigmatisch M. Martini, AöR Bd. 133 (2008), S. 155 (181) und auch mit Blick auf Art. 72 GG F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 72.
II. Die Ermächtigungsnorm im Normsetzungssystem369
men eines formellen Gesetzes zu erfolgen, das Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung34 eindeutig bestimmt.35 Art. 72 Abs. 1 GG lässt sich keine explizite Aussage zur Sperrwirkung bloßer Verordnungsermächtigungen entnehmen. Die Länder verlieren mit Erlass einer Bundesrechtsverordnung in deren Anwendungsbereich ihre normative Gestaltungsmöglichkeit. Mit Blick auf die Verordnungsermächtigungen wird im Schrifttum darüber debattiert, ob die Delegationsnormen bereits vor oder erst nach Erlass der betreffenden Rechtsverordnungen eine Sperrwirkung im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG entfalten.36 Soweit ersichtlich, existiert zur Frage der Sperrwirkung durch Verordnungsermächtigungen keine abschließende verfassungsgerichtliche Spruchpraxis37 und kein abschließendes Meinungsbild im Schrifttum. Der Bundesgesetzgeber macht nur vereinzelt deutlich, dass mit der jeweiligen Ermächtigungsnorm eine Sperrwirkung einhergehen soll, wobei die Rechtsetzungstechnik je nach Regelungsmaterie wechselt.38 In den einzelnen Fachgesetzen stellt er die Weitergeltung des bestehenden Verordnungsrechts oftmals fest.39 Zuletzt wurde im Zuge der Verfassungsreform 1994 intensiv über eine Sperrwirkung von Verordnungsermächtigungen debattiert. Die Novelle schärfte den Wortlaut des Art. 72 Abs. 1 GG. In diesem Zuge wurde die Fügung „Gebrauch machen“ zu „Gebrauch gemacht hat“ konkretisiert. Wie der Berichterstatter Heribert Benz in der Plenardebatte ausführte, sei trotz der Umgestaltung des Art. 72 Abs. 1 GG davon auszugehen, „dass die Gesetzgebungs34 Darüber näher F. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 103 Rn. 2 f. und zur Rechtsnatur A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 152. 35 Vgl. die diesbezügliche Darstellung bei K. Stern, Staatsrecht II, S. 815 und A. Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 80 GG Rn. 31 ff. Aus der Judikatur nur BVerfGE 34, 9 (29); 55, 7 (21). 36 Für eine Sperrwirkung etwa F. Ossenbühl, DVBI. 1996, S. 19 (20 f.); D. C. Umbach/T. Clemens, in: Umbach/Clemens (Hg.), Art. 72 GG Rn. 12; M. Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 (83); M. Rolfsen, NuR 2009, S. 765 (769); H. Ryback/H. Hofmann, NVwZ 1995, S. 230 (230 f.); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 19; R. Stettner, in: Dreier (Hg.), Bd. II, 2. Aufl. Suppl. 2007, Art. 72 GG Rn. 38. Differenzierend C. Degenhart, in: Sachs (Hg.), Art. 72 GG Rn. 26 a. E. Besonders weitgehend die (älteren) Standpunkte von H.-J. Fonk, DÖV 1958, S. 20 (22 ff.); R. Zippelius, NJW 1958, S. 445 (448), die sich gegen den Eintritt einer Sperrwirkung bereits mit Erlass der Delegationsnorm aussprechen. 37 Die bisherigen Entscheidungen in BVerfGE 9, 3 (12); 12, 341 (347) sind zu vorkonstitutionellen Verordnungen ergangen. Näher H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1045 ff.) mit weiteren Nachweisen. 38 Begr. zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz, BT-Drucks. 16/12275, S. 58. 39 Vgl. etwa § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
zuständigkeit der Länder endet, […] wenn von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden ist.“40 Letztlich ist eine Sperrwirkung zu bejahen, sofern sich Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Länder dokumentieren lassen. Der Bundesgesetzgeber kann die von den Ermächtigungen erfassten Sachmaterien auch freigeben. Im Schrifttum werden mit gewichtigen Argumenten ganz unterschiedliche Standpunkte vertreten. Neben der Ansicht, die eine Sperrwirkung allgemein befürwortet,41 bildeten sich zunehmend eine vermittelnde Ansicht heraus, die eine solche Sperrwirkung mit verschiedenen Erwägungen und Prämissen ablehnt.42 Verknappt formuliert ist danach ein Ausschluss der Sperrwirkung nur anzunehmen, wenn das ermächtigende „Gesetz“ explizit oder implizit zum Ausdruck bringt, eine inhaltliche, landesrechtliche Regelung auszuschließen.43 Dieser Standpunkt wird den unterschiedlichen Interessen von Bund und Ländern als auch der Vielfalt von ganz unterschiedlichen Ermächtigungsnormen gerecht. Der Bundesgesetzgeber behält es in der Hand, die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG von der Rechtsetzung auszuschließen. Die Länder hingegen erhalten die Möglichkeit, in den jeweiligen Sachbereichen Recht zu setzen bzw. beizubehalten. 2. Die Fortgeltung des Landesverordnungsrechts In § 23 WHG werden die bekannten Ermächtigungsnormen zum Erlass F. wasserrechtlicher Rechtsverordnungen44 sowie die auf Art. 75 GG a. 40 Siehe Blens in BT-Prot. 12/241 vom 6. September 1994, S. 21278 f. zu den BT-Drucks. 12/6633, 12/8165,12/8399 und 12/8423. 41 Vgl. dazu die Nachw. in Fn. 37 und A. Uhle, in: Maunz/Dürig, 69. Erg.Lfg. Mai 2013, Art. 72 GG Rn. 96 ff. 42 Gegen eine Sperrwirkung, soweit diese unausgefüllt ist und sich die fehlende Sperrwirkung durch Auslegung ermitteln lässt M. Böhm, DÖV 1998, S. 234 (236 f.); M. Bothe, NVwZ 1987, S. 938 (945); H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1045 ff.); B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 72 GG Rn. 12; M. Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. I, 2011, § 21 Rn. 100; H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhoff (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 160; E. Schmidt-Jortzig, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. I, 2012, § 20 Rn. 15; T. Stohlmeier, Die inhaltliche und zeitliche Reichweite der Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG, 1989, S. 58; A. Uhle, in: Maunz/Dürig, 69. Erg.-Lfg. Mai 2013, Art. 72 GG Rn. 99. Wohl auch D. Czybulka/K. Rodi, LKV 1995, S. 377 (379). 43 Gleichsinnig H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1045 ff.); B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 72 GG Rn. 12; H.-W. Rengeling, in: Isensee/Kirchhoff (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 160. Für den Kontext zu Recht auch M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 150 ff. Mit Blick auf das Wasserhaushaltsgesetz K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 23 WHG Rn. 14; ders., in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 23 WHG Rn. 39 ff. 44 Vgl. §§ 6a, 7a Abs. 1 Satz 3, 21 Abs. 4, 36 WHG a. F.
II. Die Ermächtigungsnorm im Normsetzungssystem371
beruhenden und seinerzeit an die Länder adressierten Regelungsaufträge zusammengeführt.45 Um die Sperrwirkung des § 23 WHG entstand zwischen dem Bund und einigen Ländern ein intensiver Diskurs. Das Wasserhaushaltsgesetz in der Fassung des 31. Juli 2009 gab zunächst keine unmittelbare Auskunft über eine Sperrwirkung gemäß Art. 72 Abs. 1 GG und eine etwaige Fortgeltung des Landesrechts. Der Bundesrat brachte in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Wasserrechtsneuregelungsgesetzes einen diesbezüglichen Änderungsantrag ein. Danach sollte § 23 WHG ein Absatz 3 angefügt werden, der die Landesregierungen wie zuvor in § 23 Abs. 2 BImSchG und § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG ermächtigt hätte, bis zu einem Tätigwerden der Bundesregierung selbst von der Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen.46 Bundestag und Bundesregierung sind diesem Begehren indessen nicht gefolgt. Die Länder wurden auf die Entwurfsbegründung verwiesen, der diesbezüglich zu entnehmen ist: „Bis zum Inkrafttreten der entsprechenden Bundesverordnungen gelten in den Regelungsbereichen des § 23 die bestehenden und künftigen landesrechtlichen Vorschriften, soweit sie den Vorgaben dieses Gesetzes entsprechen.“47
a) Die Regelungsbefugnis nach Wegfall der Ermächtigungsgrundlage Mit dem Inkrafttreten des § 23 WHG wurde im Schrifttum vereinzelt angenommen, die wasserwirtschaftlichen Verordnungen der Länder seien unwirksam geworden.48 Demgegenüber folgt aus dem Wegfall der Ermächtigungsgrundlage nach höchstrichterlicher Judikatur und der überwiegenden Ansicht im Schrifttum grundsätzlich nicht die Unwirksamkeit der darauf beruhenden Verordnungen.49 Die Rechtsverordnungen der Länder behalten ihre Wirksamkeit, sofern sie weiterhin einen sinnvollen Regelungs45 Siehe
nur §§ 25a Abs. 2 und 3, 25b Abs. 1 Satz 2, 32c Abs. 2 WHG a. F.
46 Vgl. Beschluss des Bundesrates, BR-Drucks. 280/09, S. 12 f. Siehe zu den Einzelheiten zudem U. Drost, WHG, Bd. I, Stand
März 2010, § 23 WHG Rn. 4 f. 47 Begr. zum Wasserrechtsneuregelungsgesetz, BT-Drucks. 16/12275, S. 58. 48 So M. Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 (83); ders., NVwZ 2000, S. 1263 (1264) und M. Rolfsen, NuR 2009, S. 765 (769). 49 Bereits BVerfGE 9, 3 (12); nachfolgend BVerfGE 12, 341 (347); 78, 179 (198) sowie mit w. Nachw. A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 198 f.; H. Bauer, in: Dreier (Hg.), Bd. II., Art. 80 GG Rn. 54; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 80 GG Rn. 51. Abweichend M. Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 (83); ders., NVwZ 2000, S. 1263 (1264) sowie N. Rütz, Jura 2005, S. 821 (823 f.); D. Wilke, AöR Bd. 98 (1973), S. 196 (235 ff.).
372
Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
gehalt aufweisen.50 Die wasserrechtlichen Verordnungen der Länder enthalten zumeist ein eigenständiges Normprogramm und materielle Vorgaben, beispielsweise die Länderverordnungen über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und über Fachbetriebe (Anlagenverordnung – VAwS)51 oder die Indirekteinleiterverordnungen.52 Letztlich lässt sich dem Bundesgesetzgeber nicht pauschal unterstellen, er gehe im Allgemeinen von einer Sperrwirkung der Delegationsnorm aus. Eine Sperrwirkung ist vielmehr bei jeder Delegationsnorm gesondert festzustellen.53 Vorliegend ist kein gesetzgeberischer Wille ersichtlich, Landesrecht im Bereich des § 23 WHG zu suspendieren oder zu unterbinden.54 Einmal mehr brachte der Gesetzgeber damit zum Ausdruck,55 ausgewählte Sachmaterien sukzessive auf materiell-rechtlicher Ebene zu normieren.56 b) Die Standpunkte der Länder und die Bundesratsinitiative vom 27. Mai 2011 Die divergierenden Standpunkte im Schrifttum zur Sperrwirkung schlagen sich beredt in der Gesetzgebung nieder.57 Einige Länder schufen eigene 50 Mit dieser Differenzierung M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 80 Rn. 76; F. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 103 Rn. 71; A. Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 80 GG Rn. 8. 51 Siehe nur die Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (Sächsische Anlagenverordnung – SächsVAwS) vom 18. April 2000, SächsGVBl. 2000, S. 223 ff.; zuletzt geänd. am 5. Dezember 2001, SächsGVBl. 2001, S. 73. 52 Vgl. die Verordnung über das Einleiten oder Einbringen von Abwasser mit gefährlichen Stoffen in öffentliche Abwasseranlagen (Indirekteinleiterverordnung – VGS das Landes Hessen vom 12. November 2001, HE GVBl. I, S. 474 ff., zul. geänd. durch Art. 26 Zweites Verwaltungsverfahrensrechts-ÄndG vom 21. März 2005, HE GVBl. I 2005, S. 218 f. 53 Zweifelnd F.-J. Kunert, in: Köck (Hg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch nach der Föderalismusreform, 2009, S. 143 (147). 54 Vgl. ferner K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/13, § 23 WHG Rn. 14; H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 13. Demgegenüber nehmen M. Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 (83); ders., NVwZ 2000, S. 1263 (1264) sowie M. Rolfsen, NuR 2009, S. 765 (769) an, den Ländern sei jegliche Rechtsgestaltungsmacht entzogen und die bestehenden Regelwerke seien außer Kraft. 55 Dazu bereits H. D. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041 (1045 ff.) mit umfassender Erörterung. 56 Siehe K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, § 23 WHG Rn. 14. 57 Vgl. auch U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 23 WHG Rn. 10.
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen373
Ermächtigungsnormen, die den Delegationsbereich des § 23 WHG nachzeichneten und von denen bis zum Verordnungserlass des Bundes Gebrauch gemacht werden sollte.58 Hingegen erblickten die Länder Rheinland-Pfalz und Brandenburg in § 23 WHG eine Sperrwirkung.59 So überraschte der neuerliche Versuch der Länder nicht, im Rahmen der ersten Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes eine formell-gesetzliche Absicherung in das Wasserhaushaltsgesetz aufzunehmen. Die zur Transformation der Meeresstrategierahmen-Richtlinie durchgeführte Anpassung sollte nach der Vorstellung des Bundesrates einen § 117 WHG einführen,60 der schließlich mit § 23 Abs. 3 WHG verwirklicht wurde. Insoweit bleibt zu vermerken, dass einige Länder, die in der Begründung eindeutig dokumentierte Auffassung des Bundesgesetzgebers als unerheblich erachteten, wonach von der Ermächtigungsnorm des § 23 WHG keine Speerwirkung ausgehe.
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen in die Abweichungsgesetzgebung Die vorstehende Betrachtung zu den untergesetzlichen Regelwerken und zur Delegationsnorm des § 23 WHG zeigt bekannte Konfliktlagen auf, die sich nicht auf die geänderte Kompetenzverteilung zurückzuführen lassen. Demgegenüber ist die Einbindung des Verordnungsrechts in das Abweichungsmodell von handgreiflicher Bedeutung für die Praxis der Länder.61 Für die Grundlegung ist zunächst das Kompetenzgefüge zu betrachten, namentlich die Einbindung der Abweichungskompetenz in das Gefüge der Art. 70 ff. GG, die Voraussetzungen einer abweichenden Regelung und die Anforderungen an eine Delegationsnorm gemäß Art. 80 Abs. 1 GG. 58 So folgten der Freistaat Bayern und das Land Sachsen-Anhalt dem in der Begründung eindeutig dargelegten Standpunkt des Bundesgesetzgebers. Beide Länder zeichneten die Ermächtigung des Bundes landesgesetzliche nach, dazu sogleich unter sub III. 1. 59 Berichtend und eine Sperrwirkung aus Perspektive des Landes NordrheinWestfalen ablehnend H. Spillecke, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 123 (129 f.). 60 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrates vom 27. Mai 2011 zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes, BR-Drucks. 217/11, S. 4 f. dort Nr. 5. 61 Nachzuvollziehen ist dies etwa anhand der Debatte anlässlich des Gesetzes zur Neuordnung des Naturschutzrechts (Landtag Niedersachsen, Drucks. 16/1902). Diesbezüglich vgl. den Bericht des zuständigen Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz, Landtag Niedersachsen, Drucks. 16/2216 neu, S. 4 f. Aufgegriffen von F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 79 ff., 217 ff. Die wasserrechtliche Untersuchung M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 95 ff., 234 ff. liefert hierzu keine konsistente Funktionsbeschreibung, dazu sogleich im Text.
374
Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
Art. 72 Abs. 3 GG ist in das Kompetenzgefüge der Art. 70 bis 74 GG integriert, dem ein formeller Gesetzesbegriff zugrunde liegt.62 Rein materielle Gesetze wie Rechtsverordnungen genügen den konstitutionellen Anforderungen eines formellen Gesetzes nicht.63 Die Abweichungsbefugnis der Länder nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 GG knüpft gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 GG an die ausgeübte Gesetzgebung des Bundes an. Danach hat der Bund zunächst von seiner „Gesetzgebungszuständigkeit“ Gebrauch zu machen. Diese Gesetzgebung wird nach Art. 72 Abs. 1 GG durch ein parlamentarisches Verfahren ausgeübt.64 Ein hierbei erzeugter Rechtsakt benötigt nicht nur eine formell-gesetzliche, sondern nach dem überwiegenden Standpunkt auch eine materiell-rechtliche Qualität, sofern er die Länder von der Rechtsetzung aussperren soll.65 Dem Bundesgesetzgeber ist es ferner anheimgestellt, von seiner „Gesetzgebungszuständigkeit“ mittels einer Delegation auf Verordnungsebene Gebrauch zu machen.66 Die Länder sind im Anschluss daran befugt, über die ausgeübte „Gesetzgebungszuständigkeit“ gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG zu disponieren, indem sie „durch Gesetz abweichende Regelungen treffen“. Dem jeweils späteren Gesetz gebührt nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG ein Anwendungsvorrang, soweit Bundes- und Landesrecht kollidieren. Die Abweichungsbefugnis unterliegt nach überwiegender Auffassung bestimmten inhaltlichen und formalen Voraussetzungen, die im Einzelnen höchst umstritten sind. So darf sich das Landesrecht nach überwiegender Ansicht grundsätzlich nicht allein in einer inhaltsgleichen oder wortlau t identischen Wiederholung des Bundesrechts verlieren, sondern muss inhaltlich eine andere Rechtsfolge herbeiführen.67 Darüber hinaus wird den Ländern die Befugnis zu einer Negativgesetzgebung überwiegend nur im 62 Zur Inanspruchnahme der Art. 70 ff. GG statt anderer BVerfGE 55, 7 (21); 114, 96 (235); J. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 70 GG Rn. 24; A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 42. 63 A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 42. 64 A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 35. Dieser allseits anerkannten Differenzierung ging eine lange Diskussion voraus W. Anderssen, AöR Bd. 32 (1914), S. 82 ff.; näher zur Unterscheidung bereits F. v. Martitz, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 36 (1880) S. 207 (223 ff.). 65 S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 70 ff.; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 18. 66 R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80d. 67 Ausführlich dazu bereits in Kapitel 5 sub I. 2.
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen375
Rahmen einer Deregulierung einzelner bundesgesetzlicher Anordnungen zugesprochen.68 Damit sind die rechtstaatlichen Anforderungen an den Erlass einer Rechtsverordnung in den Blick zu nehmen. Gemäß Art. 80 Abs. 1 GG muss die Ermächtigung im Gesetz enthalten sein, welches ihren Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt. Die in dieser Norm enthaltenen Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigungsvorschrift stellen sicher, dass sich der Gesetzgeber seiner Kompetenzen nicht entledigt. Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts hat zu den Einzelkriterien des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG drei Konkretisierungsformeln herausgebildet.69 Danach muss der Gesetzgeber in dem Gesetz selbst darüber eine Entscheidung herbeiführen, welche Fragen durch Rechtsverordnung geregelt werden sollen. Dabei hat er die Grenzen einer solchen Regelung festzusetzen und anzugeben, welchem Ziel die Regelung dienen soll, sog. Selbstentscheidungsformel.70 Ferner muss aus dem Gesetz hervorgehen, welches „Programm“ durch die Verordnung erreicht werden soll, das heißt, wie die gegenständlichen Konflikte zu lösen sind, sog. Programmformel.71 Schließlich soll sich aus der Sicht des betroffenen Bürgers vorhersehen lassen, wie der Verordnungsgeber von seinem Regelungsspielraum Gebrauch macht und welchen Inhalt die von ihm erlassenen Regelungen haben können, sog. Vorhersehbarkeitsformel.72 Auf Landesebene existieren zumeist weitgehend identische landesverfassungsrechtliche Bestimmungen.73 Auf diese lassen sich die Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 GG nicht unmittelbar oder analog übertragen. Indessen gebietet es das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, bestimmte Grundsätze des Art. 80 Abs. 1 GG auf Landesebene anzuwenden, etwa die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung sowie das Bestimmtheitsgebot.74 Die Delegationsnorm ermächtigt ihren Adressaten innerhalb des aufgeführten Rahmens zur Verordnungsgebung. Die Rechtsnatur der Delegationsnorm ist umstritten.75 Die Ermächtigung befähigt allein den jeweiligen 68 Näher
vorstehend in Kapitel 5 sub I. 3. A. Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 80 GG Rn. 17 ff. 70 BVerfGE 2, 307 (334); 19, 354 (361 f.); 23, 62 (72). 71 BVerfGE 1, 14 (60); 56, 1 (12). 72 Statt anderer BVerfGE 1, 14 (60); 2, 307 (334) 41, 246 (266); 56, 1 (12). 73 Vgl. Art. 75 SächsVerf; Art. 43 NdsVerf; Art. 70 Verf NRW; Art. 118 HessVerf; Art. 61 Abs. 1 Verf BW. 74 BVerfGE 73, 388 (400); H. Bauer, in: Dreier (Hg.), Bd. 2, Art. 80 GG Rn. 18; A. Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hg.), 2011, Art. 80 GG Rn. 3. 75 Instruktiv zur Rechtsnatur und zu nachstehendem A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 152. 69 Anschaulich
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
Empfänger, dieser wird berechtigt, nicht der rechtsunterworfene Bürger.76 Wohl überwiegend wird die Ermächtigungsnorm als Organisationsvorschrift mit Rechtssatzcharakter beschrieben, weshalb ihr die Qualität eines förm lichen Gesetzes zukomme.77 Die normative Wirkung der landesrechtlichen Delegation erschöpft sich vielmehr darin, binnenorganisatorisch die normativen Voraussetzungen für die Kompetenzinanspruchnahme nach Art. 80 GG bzw. nach dem korrespondierenden Landesverfassungsrecht zu schaffen. Wie Arnd Uhle konsequent ausführt, ist die Delegationsnorm kein Rechtssatz mit Außenwirkung, der den Normunterworfenen unmittelbar zur Rechtsbefolgung des Verordnungsrechts anhält. Die Rechtsbefolgungspflicht erwachse vielmehr aus der Verordnung selbst.78 Insoweit delegiert § 23 WHG die enumerativ konkretisierten Bereiche binnenorganisatorisch zunächst allein an die Exekutive des Bundes, ohne materielle Rechtswirkungen gegenüber Dritten zu entfalten. Damit ist der verfassungsrechtliche Rahmen für die Einbindung des Verordnungsrechts skizziert.79 Gleichwohl wirft das Zusammenspiel einige praxisrelevante Fragen auf,80 die sich auf einem noch unzureichend erschlossenen Terrain bewegen und die der schrittweisen Annäherung bedürfen. Zunächst wird die für den Kontext bedeutsame Staatspraxis der Länder in Augenschein genommen (nachstehend sub 1.) und der Meinungsstand im Schrifttum skizziert (nachstehend sub 2.). Daran anknüpfend werden die Praxisbeispiele und Standpunkte anhand der vorstehend beschriebenen verfassungsrechtlichen Anforderungen bewertet und einer eigenen Funktionsbeschreibung zugeführt (nachstehend sub 3.).
76 Zu den daraus resultierenden Rechten des Delegaten M. Brenner, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 80 GG Rn. 70. 77 Dazu M. Bullinger, Die Unterermächtigung zur Rechtsetzung, 1955, S. 28 ff.; ausführlich zur Rechtsnatur der Übertragung H.-C. Kersten, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt unter Zustimmungsvorbehalten, 1964, S. 34 ff. mit weiteren Nachw., insb. 37. 78 A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 152. 79 P. Kunig, in: v. Münch/ders. (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 28; instruktiv zum Kompetenzregime A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 156 f.; F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 30 f., 79 f.; teilweise abweichend M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 148 ff.Zur teilweise abweichenden Funktionsbeschreibung sogleich im Text. 80 Darüber und zu nachfolgendem P. Cancik, NdsVBl. 2011, S. 177 (182); M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 148 ff.; M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109); F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 30 f., 79 f.
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen377
1. Staatspraxis Mit Blick auf die Zulässigkeit einer Dispositionsbefugnis ‚durch‘ Verordnungsrecht sei auf das Bundesgesetzblatt hingewiesen, in dem auf abweichendes Landesrecht hingewiesen wird. Das Bundesgesetzblatt sieht nicht allein eine Abweichung der Länder ‚von‘ einem Bundesgesetz und von einer Bundesrechtsverordnung vor, sondern überdies eine Abweichung durch ein Landesgesetz oder eine Landesverordnung.81 Dieses wenig aussagekräftige Indiz zum Meinungsstand über die Zulässigkeit einer Abweichung ‚von‘ und ‚durch‘ Verordnungsrecht wird durch die Staatspraxis der Länder bestätigt. Es lassen sich innerhalb der Länder verschiedene Typen von Delegationsnormen identifizieren, die ausweislich des Normtextes die Landesexekutive zu einer abweichenden Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ermächtigen. Dabei sind im Landeswasser- und Landesnaturschutzrecht im Wesentlichen drei verschiedene Delegationsnormen zu identifizieren. a) Die Verdrängung der bundesgesetzlichen Ermächtigungsnorm und Delegation der Abweichungsentscheidung Während der überwiegende Teil der Bundesländer in seinen Wassergesetzen bislang auf eine weitreichende Ermächtigung zur Abweichung verzichtet,82 sehen Art. 17 BayWG und § 17 SachsAnhWG in der Fassung bis zum 31.03.201383 eine Ermächtigung zum Erlass abweichenden Landesverordnungsrechts vor. „Art. 17 BayWG Umsetzung durch Rechtsverordnung (Abweichend von § 23 WHG) Das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit wird vorbehaltlich des Satzes 2 ermächtigt, im Umfang der Ermächtigungen der Bundesregierung zum Erlass von Rechtsverordnungen gemäß […] Rechtsverordnungen zu erlassen. Die Staatsregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Landtags Rechtsverordnungen zum Schutz des Grundwassers […], zum Schutz der Gewässer vor prioritären Stoffen nach […] und zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen nach […] zu erlassen.3 […]“
81 Näheres zur Kennzeichnung und zur Dokumentation abweichenden Landesrechts im Bundesgesetzblatt im vorstehenden Kapitel 5 sub III. 82 Beispielshalber sieht das Hessische Wassergesetz in § 18 HessWG lediglich eine Delegation zur Transformation supranationaler Verpflichtungen vor, wobei es an den enumerierten Katalog des § 23 WHG anknüpft. 83 Wassergesetz für das Land Sachsen-Anhalt (SachsAnhWG) vom 16. März 2011, GVBI. LSA, S. 492.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
Dazu führt die amtliche Begründung aus: „Im Wege der Abweichungsgesetzgebung soll die Möglichkeit eröffnet werden, zeitnah abweichende Regelungen durch Verordnung im Landesrecht zu erlassen. Diese sieht Art. 17 vor. Die Regelung ist abweichend, da in der Ermächtigungsregelung des Wasserhaushaltsgesetzes zu Gunsten des Bundes eine Sperrwirkung für Landesrecht zu sehen ist.“84
Während der Entwurf85 des Wassergesetzes von Sachsen-Anhalt in dem hier interessierenden Passus mit Art. 17 BayWG identisch war, erhielt er im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens in der bis zum 31.03.2013 gültigen Fassung eine abgewandelte Formulierung: „Das für die Wasserwirtschaft zuständige Ministerium wird ermächtigt, auch abweichend im Umfang der Ermächtigungen der Bundesregierung zum Erlass von Rechtsverordnungen gemäß […] durch Verordnungen Regelungen zu erlassen.“
Art. 17 BayWG und § 17 SachsAnhWG in der Fassung bis zum 31.03.2013 lehnen sich an die Delegationsvorschrift des Bundes an und übertragen die Abweichungsentscheidung auf die Exekutive. Eine vergleichbare Vorschrift enthält zudem Art. 8 Abs. 3 BayNatSchG. b) Die Entscheidung zur Abweichung in der Ermächtigungsnorm bei Delegation der Ausgestaltung Neben der vollständigen Delegation zur Abweichung ist ein weiterer Typus von Ermächtigungsnormen zu identifizieren. So ermächtigt § 8 Naturschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt86 die Exekutive zum abweichenden Verordnungserlass87 von § 15 Abs. 7 BNatSchG,88 wobei die Vorschrift einen engeren Handlungsrahmen für die Abweichung zieht: 84 Vgl. dazu die Begründung zu Art. 17 BayWG, Bayerischer Landtag, Drucks. 16/2868, S. 41. 85 Vgl. Landtag Sachsen Anhalt, Drucks. 5/2875, S. 15. 86 Gesetz zum Schutz der Natur (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG) vom 24. Februar 2010 GVOBl., S. 301. Vgl. auch Landtag Sachsen-Anhalt, Drucks. 17/108, S. 12. 87 Landtag Sachsen Anhalt, Drucks. 5/2875, S. 90. 88 § 15 Abs. 7 BNatSchG: „Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wird ermächtigt, […] durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere 1. zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich von Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, 2. die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung. Solange und soweit das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit von seiner Ermäch-
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen379 „Das für Naturschutz zuständige Ministerium wird ermächtigt, auch in Abweichung zu § 15 Abs. 7 Nr. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes durch Verordnung das Erhebungsverfahren, die Berechnung der Höhe, die Verwendung und die Verwaltung der Mittel aus den Ersatzzahlungen näher zu regeln.“
Im Gegensatz zu den bereits betrachteten Ermächtigungen ist mit Blick auf die Einschränkungen zu konstatieren, dass die eigentliche Beschlussfassung über die Abweichung bereits im Landesgesetz angelegt ist. Deutlich offener gefasst ist § 9 Abs. 6 Landesnaturschutzgesetz Schleswig-Holstein:89 „Die Landesregierung wird ermächtigt, hinsichtlich der folgenden Nummern 2 und 3 auch abweichend von einer Verordnung nach § 15 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG, durch Verordnung das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere 1. abweichend von § 15 Abs. 2 Satz 3 BNatSchG zur Bestimmung des maßgeblichen Naturraums, 2. abweichend von § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich von Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, und 3. abweichend zu § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung.“
§ 9 Abs. 6 LNatSchG SchlH zeichnet die in der Verordnungsermächtigung des Bundes delegierten Sachbereiche vollständig nach. Eine Besonderheit enthält das rheinland-pfälzische Landeswassergesetz.90 Die zunächst als § 15a Abs. 1 RhPfWG novellierte und nunmehr in § 33 Abs. 1 RhPfWG niedergelegte Vorgabe sieht eine delegierte Abweichung vor, ohne an eine Verordnungsermächtigung des Bundes anzuknüpfen: „§ 15a – Gewässerrandstreifen (1) Abweichend von § 38 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585) können für bestimmte Gewässer oder Gewässerabschnitte Gewässerrandstreifen durch Rechtsverordnung festgesetzt werden, soweit dies für die in § 38 Abs. 1 WHG genannten Zwecke erforderlich ist. Abweichend von § 38 Abs. 2 WHG ist die räumliche Ausdehnung des Gewässerrandstreifens in der Rechtsverordnung festzulegen.“ tigung keinen Gebrauch macht, richtet sich das Nähere zur Kompensation von Eingriffen nach Landesrecht, soweit dieses den vorstehenden Absätzen nicht widerspricht.“ 89 Gesetz zum Schutz der Natur (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG) vom 24. Februar 2010, GVOBl. Schleswig-Holstein, S. 301. 90 Wassergesetz für das Land Rheinland-Pfalz (Landeswassergesetz – LWG) in der Fassung vom 22. Januar 2004, GVBl., S. 53. Zuletzt geänd. durch Gesetz vom 28. September 2010, GVBl. Rheinland-Pfalz, S. 299.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
Ausweislich der Gesetzesbegründung wird für § 15a Abs. 1 RhPfWG die Abweichungsbefugnis aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG in Anspruch genommen.91 Hinsichtlich § 38 Abs. 3 Satz 1 und 2 WHG sind die Länder befähigt, sich grundsätzlich auf ihre Kompetenz aus Art. 72 Abs. 1 GG zu berufen.92 Eine von § 38 Abs. 2 WHG abweichende Bestimmung der räumlichen Ausdehnung der Gewässerrandstreifen durch Rechtsverordnung weicht hingegen nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG ab. Während hinsichtlich der Erforderlichkeit von Gewässerrandstreifen auf den Zweck des § 38 Abs. 1 WHG abgestellt wird,93 ist die von § 38 Abs. 2 WHG abweichende endgültige Entscheidung über die räumliche Ausdehnung des Gewässerrandstreifens der Exekutive anheimgegeben. Davon ist nicht etwa allein die von § 38 Abs. 3 Satz 1 WHG vorgegebene Breite erfasst, sondern die Begriffsdefinition und die Festlegung der wasserseitigen Grenze des Randstreifens.94 Eine solche Regelungstechnik belässt die Entscheidung über eine Abweichung dem Grunde nach der Legislative und überantwortet der Exekutive lediglich deren nähere Ausgestaltung. c) Sonderfall: Die Verdrängung der bundesgesetzlichen Ermächtigungsnorm Nur im Rande ist auf die besondere negierende Vorschrift des § 6 Abs. 2 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz (zitiert als NdsAGBNatSchG) hinzuweisen:95 § 6 Abs. 2 NdsAGBNatSchG Ersatzzahlung; Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen (zu § 15 BNatSchG) „§ 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG findet keine Anwendung.“
Während des Gesetzgebungsverfahrens wurde intensiv über die negierende niedersächsische Vorschrift debattiert.96 Der Regierungsentwurf sah zu91 Begr. zum Landesgesetz zur Änderung des Landeswassergesetzes und des Landesabwasserabgabengesetzes, Landtag Rheinland-Pfalz, Drucks. 15/4568, S. 7. 92 Vgl. BT-Drucks. 16/12275, S. 63 und K. Berendes, in: v. Lersner/ders./ Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 8/10, § 38 WHG Rn. 10 und M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 38 WHG Rn. 33. 93 So die Begr. zum Landesgesetz zur Änderung des Landeswassergesetzes und des Landesabwasserabgabengesetzes, Landtag Rheinland-Pfalz, Drucks. 15/4568, S. 7. 94 Dazu M. Reinhardt, Czychowski/ders., § 38 WHG Rn. 17 f. 95 Gesetz zur Neuordnung des Naturschutzrechts vom 19. Februar 2010, Nds. GVBl., S. 104. 96 Diesbezüglich vgl. den Bericht des zuständigen Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz, Landtag Niedersachsen, Drucks. 16/2216 neu, S. 4 f.
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen381
nächst eine Abweichungsermächtigung vor.97 Diese Ermächtigung wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wieder gestrichen,98 weil die Besorgnis bestand, „eine Art ‚vorsorgliche Abweichungsbefugnis‘ “ sei mit Blick auf eine spätere Bundesverordnung zu risikoreich. Insoweit könnte sie „im Hinblick auf Artikel 72 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach das jeweils spätere Gesetz vorgeht, auch ‚ins Leere gehen‘ “. In dieser Besorgnis begründet sich die seltsam anmutende negierende Vorschrift in § 6 Abs. 2 NdsAGBNatSchG, die sich unmittelbar auf die Verordnungsermächtigung selbst bezieht.99 2. Meinungsstand Nahezu unisono wird es für zulässig erachtet, gestützt auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG von Rechtsverordnungen des Bundes abzuweichen.100 Der Bundesgesetzgeber könne seine „Gesetzgebungszuständigkeit“ nach Art. 72 Abs. 1 GG mittels Rechtsverordnungen ausüben. Aus dem Zusammenspiel von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 mit Absatz 1 folge, dass „dieselben Anforderungen und Auslegungskriterien gelten, wie in Absatz 1, insbesondere auch Rechtsverordnungen erfasst“ sind.101 Demgegenüber gehen die Standpunkte darüber auseinander, ob die Länder mittels Verordnungsrecht abweichen können, wenn Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG eine Abweichung „durch Gesetz“ verlangt. Folglich wird für eine ‚abweichende‘ Vorschrift in formeller Hinsicht zumeist ein förmliches Landesgesetz für erforderlich erachtet, damit die abweichende landesrechtliche Bestimmung am Anwendungsvorrang teilnimmt. Rechtsverordnungen seien für eine abweichende Regelung grundsätzlich unzureichend.102 Diese Auf97 Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Naturschutzrechts, Landtag Niedersachsen, Drucks. 16/1902. § 6 Abs. 2: „Die oberste Naturschutzbehörde wird ermächtigt, durch Verordnung das Nähere zur Kompensation von Eingriffen abweichend von einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG zu regeln.“ 98 Darüber bereits P. Cancik, NdsVBl. 2011, S. 177 (181 f.). 99 Siehe dazu den Bericht des zuständigen Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz, Landtag Niedersachsen, Drucks. 16/2216 neu, S. 4 f. Ausführlich F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 221 ff. 100 Paradigmatisch K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 23 Rn. 39; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 23 WHG Rn. 9; W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (713); M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109); R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80d. 101 R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80d. 102 A. Dittmann, in: Gornig/Kramer/Volkmann (Hg.), Fests. Frotscher, 2007, S. 253 (260); M. Kallerhoff, Die übergangsrechtliche Fortgeltung von Bundesrecht nach dem Grundgesetz, 2010, S. 116; auch mit Blick auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
fassung stützt sich auf den formellen Gesetzesbegriff, der dem Kompetenzgefüge der Art. 70 bis 75 GG zugrunde liegt.103 Danach ist die konkrete Abweichungsentscheidung unmittelbar in der Verordnungsermächtigung des Landes niederzulegen. Von diesem Standpunkt ausgehend wird versucht, die Interessen der abweichungswilligen Länder mit dem restriktiven Verfassungstext in Einklang zu bringen. Danach wird den Ländern die Kompetenz zur Abweichung mittels Rechtsverordnungen zugebilligt, sofern die „eigentliche Abweichungsentscheidung“ von der Legislative getroffen werde.104 Hinsichtlich dem „Kriterium der Bestimmtheit nach Inhalt, Zweck und Ausmaß“ habe die Delegationsnorm „strenge Anforderungen“ zu genügen.105 Nach der wasserrechtlichen Untersuchung von Michael Foerst sei es ausreichend, den bundesgesetzlichen Delegationsrahmen landesgesetzlich zu wiederholen.106 Ungeachtet der bestehenden Systematik des Art. 70 ff. GG wird dem Landesgesetzgeber mitunter allgemein eine Delegationsmöglichkeit seiner Rechtsänderungsbefugnis zugebilligt.107 Diese Ansicht beruft sich auf eine F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V., 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 72; P. Kunig, in: v. Münch/ders. (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 29; M. Martini, AöR Bd. 133 (2008), S. 155 (181 in Anm. 110); H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 172 f.; S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 127; B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 72 GG Rn. 29; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80f; A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. Der Meinungsstand zu Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG lässt sich nicht restlos auf Art. 72 Abs. 3 GG übertragen. So erkennen A. Dittmann, in: Sachs (Hg.), Art. 84 GG Rn. 16; F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 72 und M. Martini, AöR Bd. 133 (2008), S. 155 (181 in Anm. 110) die Zulässigkeit einer Abweichung durch Rechtsverordnung im Rahmen des Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG aufgrund der systematischen und teleologischen Divergenz zu Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG an. Bejahend auch W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (713). 103 M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109). 104 C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (423); mit dieser Differenzierung und wohl auch mit Blick auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 70: Die grundsätzliche Unzulässigkeit einer Abweichung allein durch Rechtsverordnung „ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut, aber aus dem systematischen Zusammenhang zwischen Art. 84 Abs. 1 S. 4 i. V. m. Art. 72 Abs. 3 GG. Auf der Grundlage der landesgesetzlichen Regelung können allerdings auch untergesetzliche Regelungen getroffen werden.“; M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 149 ff. 105 C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (423). 106 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 239 f. 107 L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 54 f., 56; U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 23 WHG Rn. 14; P. Fischer-Hüftle, in:
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen383
etwaige Widersprüchlichkeit, wenn dem Landesgesetzgeber lediglich zugebilligt werde, mittels eines formellen Gesetzes abzuweichen. Daneben wird auf die Besorgnis verwiesen, der Bund könne sich der landesrechtlichen Gestaltungsmacht entziehen, indem er seine Rechtsetzung auf Verordnungsebene verlagert. Insgesamt würde ein anderer Standpunkt „im Kompetenzbereich des Art. 72 Abs. 3 GG auf die völlige Wirkungslosigkeit von Landesverordnungen hinauslaufen“.108 Diese Sichtweise wird in unterschiedlichen Schattierungen vertreten. So weichen die Auffassungen voneinander ab, wie die Abweichungsentscheidung im Gesetzesrang mit dem Verordnungsrecht konkret zu verbinden ist. Nach einer Ansicht109 ist an Art. 72 Abs. 1 GG anzuknüpfen. Danach können die Länder von ihrer Gesetzgebungszuständigkeit durch Gesetz Gebrauch machen (Art. 72 Abs. 1 GG), was auch eine Delegation beinhalte. „Die Ermächtigungsgrundlage ist dabei das von Art. 72 Abs. 3 GG geforderte Gesetz.“110 Andere verneinen das Zusammenspiel mit Art. 72 Abs. 1 GG hingegen gänzlich.111 Nach einer weiteren Lesart sind die Länder dazu befugt, ‚von‘ der formell-gesetzlichen Ermächtigungsnorm des Bundes nach Art. 72 Abs. 3 GG abzuweichen.112 Sofern die Länder von Rechtsverordnungen des Bundes abweichen, werde teilweise zugleich die jeweilige Ermächtigung suspendiert. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG differenziere „nicht danach, ob das Bundesrecht, von dem abgewichen wird, seinerseits unmittelbare inhaltliche Vorgaben macht oder lediglich Hülle und Vehikel für die Inhalte untergesetzlichen Verordnungsrechts ist“.113 Nach Martin Stegmüller sind die jeweiligen Ermächtigungsnormen danach auszulegen, ob sie „lediglich eine spätere Abweichung durch den Landesverordnungsgeber vorbereiSchumacher/ders. (Hg.), BNatschG, 2. Aufl. 2011, vor § 1 BNatSchG Rn. 26: „Eine Verordnungsermächtigung reicht aus, wenn das Bundesgesetz seinerseits eine Verordnungsermächtigung enthält, und der Landesgesetzgeber eine Landesbehörde ermächtigen will, von der Bundesverordnung abzuweichen.“; F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 34 ff., 79 f., 217 ff.; ausführlich M. Stegmüller, DÖV 2013, S. 221 (222 ff.). 108 M. Stegmüller, DÖV 2013, S. 221 (222). 109 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 23 WHG Rn. 14. 110 M. Stegmüller, DÖV 2013, S. 221 (223). 111 Vgl. F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 79 f. 112 Mit diesem Standpunkt C. Schulze Harling, Das materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 198 f.; M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 95 ff., 238 ff.; ähnlich F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 222; M. Stegmüller, DÖV 2013, S. 221 (223 f.); offengelassen U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 23 WHG Rn. 14. 113 F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 222.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
ten und ermöglichen wollen“ oder „auch eine im Außenverhältnis wirkende Regelung“ treffen.114 Nach diesem Standpunkt kann die Abweichung in der Verordnung selbst niedergelegt sein oder die Ermächtigung des Bundes insgesamt suspendiert werden. Hinsichtlich der bayerischen Verordnungsermächtigung führt Ulrich Drost aus, die Abweichung erschöpfe sich in der geänderten Zuordnung der Regelungskompetenz für die in der Ermächtigung erfassten Sachbereiche. „Inhaltliche Abweichungen“ seien sodann innerhalb der Rechtsverordnung des Landes vorzunehmen.115 3. Stellungnahme Der aufgerufene Themenkreis ist äußerst vielschichtig. Im Anschluss an die Staatspraxis und das Meinungsbild stellen sich folgende Fragen: 1. Können die Länder vom Verordnungsrecht des Bundes abweichen, wenn die Gesetzgebungszuständigkeit formell-gesetzlich auszuüben ist? 2. Ist eine Abweichung vom Verordnungsrecht des Bundes aufgrund der Formulierung „durch Gesetz“ lediglich konkret und unmittelbar formellgesetzlich vorzunehmen oder reicht es aus, die Abweichungsbefugnis für einen Sachbereich allgemein oder bestimmt auf die Exekutive der Länder zu delegieren? 3. Welche Auswirkungen zeitigt abweichendes Landesverordnungsrecht im Verhältnis zur Ermächtigungsnorm des Bundes bzw. können die Länder unmittelbar von Delegationsvorschriften des Bundes abweichen? 4. Wie verhält sich eine delegierte Abweichungsermächtigung zu einer bisher nicht ausgeübten Verordnungsermächtigung des Bundes, wenn im Abweichungsmodell nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG das jeweils „spätere Gesetz“ vorgeht? Während sich die erste Frage, nämlich die Zulässigkeit einer Abweichung von Rechtsverordnungen, nachvollziehbar bestimmen lässt (nachstehend sub a)), bedarf es für die Bewertung der Zulässigkeit einer Disposition über die bundesgesetzliche Ermächtigungsnorm durch Verordnungsrecht einer differenzierten Betrachtung (nachstehend sub b)).
114 M. Stegmüller, 115 U. Drost,
DÖV 2013, S. 221 (223 f.). WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 23 WHG Rn. 14.
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen385
a) Die Abweichung ‚vom‘ Verordnungsrecht Wie dem Landesrecht zu entnehmen ist, wollen einige Länder über Bundesverordnungsrecht disponieren. Systematik, Wortlaut und Telos des Art. 72 Abs. 1 und 3 GG stützen eine solche Lesart des Kompetenzregimes. Die „Gesetzgebungszuständigkeit“ des Bundes lässt sich durch eine Delegation auf Verordnungsebene ausüben,116 auf die sich die Befugnis zur Abweichung alsdann bezieht.117 Es wäre widersprüchlich, der Dispositionsbefugnis das weniger stark legitimierte Exekutivrecht vorzuenthalten.118 Dem Bund wäre es bei gegenteiliger Lesart anheimgeben, sich der landesrechtlichen Gestaltungsbefugnis zu entziehen, indem er strittige Regelungen auf die untergesetzliche Ebene verlagert.119 b) Die Abweichung ‚durch‘ Verordnungsrecht Bereits vor Einführung des Kompetenzmodells in Art. 72 Abs. 3 GG wurde eine mögliche Befugnis der Länder moniert, die Exekutive zur ‚verordnungsrechtlichen Abweichung‘ zu ermächtigen.120 Im Zentrum der Debatte steht die Frage, ob eine Abweichung vom Verordnungsrecht aufgrund der Fügung „durch Gesetz“ lediglich unmittelbar formell-gesetzlich vorzunehmen ist oder es möglicherweise ausreicht, die Abweichungsentscheidung für einen bestimmten Sachbereich allgemein oder konkret bestimmt auf die Exekutive zu delegieren. Im Schrifttum bildeten sich zu der Thematik zwei Ansichten heraus. In Ansehung des formellen Gesetzesbegriffs will ein Begründungsgang die Abweichungsentscheidung unmittelbar und im Sinne des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt im formellen Gesetz treffen. Folgt man einer restriktiven Lesart, so ist die Abweichung ausschließlich und abschließend im formellen Gesetz zu treffen.121 Dem differenzierenden Ansatz Degenharts zufolge ist die „Abweichungsentscheidung“ im formellen Gesetz zu verorten, 116 R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80d. 117 Abweichend die Überlegungen von M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109). 118 Dahingehend M. Rossi, in: Brander u. a. (Hg.), Liber Discipulorum Kloepfer, 2008, S. 95 (109), der aufgrund dieser Erwägung letztlich eine grundsätzliche Rechtsänderungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG über Verordnungen anerkennt. 119 So zu Recht auch U. Drost, WHG, Bd. 1, Stand März 2010, § 23 WHG Rn. 9, der daraus jedoch letztlich zu weitreichende Schlüsse zieht. 120 DAV, AnwBl. 2006, S. 614 (616). 121 Hierzu die Nachweisführung vorstehend in sub 2.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
der inhaltlich abweichende Rechtsanwendungsbefehl lässt sich indessen der Exekutive übertragen.122 Eine andere Position erkennt hingegen die Befugnis der Landesgesetzgeber an, ihr Abweichungsrecht gleichsam vollständig zu delegieren, wozu eine formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ausreiche.123 Diese Ansicht setzt mit der Abweichung unmittelbar an einer insoweit suspendierten Ermächtigungsnorm des Bundes an. Diesem Standpunkt folgen offenbar der Freistaat Bayern sowie die Länder Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Das Meinungsbild reduziert sich damit auf zwei Grundfragen. Nämlich, ob die Länder über die Regelungsbefugnis verfügen, unmittelbar von der bundesgesetzlichen Ermächtigungsnorm abzuweichen und welche Anforderungen an eine Abweichung auf formell-gesetzlicher Ebene konkret zu stellen sind. aa) Historische und systematische Überlegungen Soweit aus den Materialen zur Verfassungsreform 2006 ersichtlich ist, wurde weder im Rahmen der Bundesstaatskommission noch im Legislativverfahren über die Einbindung der Rechtsverordnungen in das Institut der Abweichungsgesetzgebung debattiert. Bereits das erste veröffentlichte Modell einer solchen Kompetenzzuweisung ließ eine landesrechtlich abweichende Regelung allein „durch Gesetz“ zu.124 Im Schrifttum wird gelegentlich auf die Materialen der Bundesstaatskommission zur Neufassung des Art. 84 Abs. 1 GG zurückgegriffen. Dort wurde über das Schicksal allgemeiner Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen bei Verankerung von Zugriffsrechten der Länder in Art. 84 GG diskutiert.125 Indessen ist eine Übertragung der dort geführten Diskussion nur eingeschränkt möglich, da sie im Bereich des Art. 84 Abs. 1 GG in einem anderen Kontext verlief, der die Besonderheit des formellen Gesetzesbegriffs nicht aufweist.126 122 C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (423); so auch M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 148 ff. 123 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 23 WHG Rn. 9; P. FischerHüftle, in: Schumacher/ders. (Hg.), BNatSchG, 2. Aufl. 2011, vor § 1 BNatSchG Rn. 26; F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 79 ff., 217 ff.; M. Stegmüller, DÖV 2013, S. 221 (222 ff.). 124 Vgl. den Vorschlag vom 27. September 2004 von J. Stünker/N. Röttgen, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage 1/0017. 125 F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 80. 126 Näher dazu F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 72; siehe auch M. Martini, AöR Bd. 133 (2008), S. 155 (181 in Anm. 110).
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen387
Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG „können die Länder durch Gesetz“ vom Reglement des Bundes „abweichende Regelungen treffen“. Die Vorgaben „durch Gesetz“ sowie „aufgrund eines Gesetzes“ gehören zu den überkommenen Begrifflichkeiten des deutschen Verfassungsrechts.127 Eine Abweichung „durch Gesetz“ verlangt nach einer Regelung innerhalb eines formellen Gesetzes, während sich eine abweichende Regelung „aufgrund eines Gesetzes“ auf Verordnungsebene niederlegen ließe.128 Die Nutzung der tradierten grundgesetzlichen Begrifflichkeiten lässt darauf schließen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber der Terminologie „durch Gesetz“ in Art. 72 Abs. 3 GG keinen anderen Bedeutungsgehalt beigemessen hat.129 Insoweit markiert der eindeutige Wortlaut die Grenze der landesrechtlichen Normsetzungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 GG.130 Wird für den Bereich der Kompetenzzuordnung in den Art. 70 ff. GG mit der herrschenden Ansicht ein formelles Gesetz verlangt,131 so nehmen rein materielle Normprogramme der Länder nicht am Anwendungsvorrang des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG teil. bb) Teleologische Aspekte Ferner ist zu prüfen, ob sich gewichtige Gründe identifizieren lassen, die geeignet sind, eine vom Normtext abweichende Sichtweise zu tragen.132 Den Begründungserwägungen des 52. Grundgesetzänderungsgesetzes lässt sich entnehmen, dass die Dispositionsbefugnis den Landesparlamenten überantwortet ist:133 „Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird […], unterliegt der verantwortlichen politischen Entscheidung des jeweiligen Landesgesetzgebers.“134 Eine ausführliche verfassungsrechtliche Betrachtung der Abweichung durch Rechtsverordnungen im Rahmen von Art. 84 Abs. 1 GG nimmt der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Vorschriften über Verordnungen und Zuständigkeiten sowie zur Rechtsbereinigung vor, Landtag Niedersachsen, Drucks. 17/1468, S. 10 ff. 127 Die Formulierungen „durch Gesetz“ und „auf Grund eines Gesetzes“ finden sich im Grundgesetz 27 bzw. 13-mal, siehe nur Art. 19 Abs. 1 GG. 128 Bereits C. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 21 ff. 129 Demgegenüber M. Stegmüller, DÖV 2013, S. 221 (222 f., 223). 130 Zum umstrittenen Argumentationswerkzeug der ‚Wortlautgrenze‘ statt anderer M. Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, 2004, S. 40 ff. 131 Dazu näher A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 35 mit weit. Nachw. und ders., in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 132 Darüber M. Stegmüller, DÖV 2013, S. 221 (222). 133 So zu Recht auch M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 150; M. Martini, AöR Bd. 133 (2008), S. 155 (181 in Anm. 110). 134 Siehe dazu die Begr. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
Am gewichtigsten ist das Argument, ohne eine extensive Interpretation des Begriffs ‚durch Gesetz‘ sei es den Ländern generell verwehrt, ihre Rechtsetzungsbefugnis zu delegieren.135 Indessen verfangen diese Bedenken bereits deshalb nicht, weil kein Standpunkt die Delegationsbefugnis dem Grunde nach bezweifelt. Der Erörterung bedarf allein die Verortung der Abweichungsentscheidung. Für eine Befugnis zur Disposition ‚durch‘ Verordnungen wird fernerhin angeführt, der Bund wäre anderenfalls befähigt, sich der Abweichung durch die Länder zu entziehen, indem er strittige Vorgaben auf die Ebene des Verordnungsrechts verlagert.136 Bei näherer Betrachtung überzeugt auch dieser Gesichtspunkt nicht. Die Dispositionsbefugnis der Länder unterliegt ‚allein‘ der Prämisse, alle Abweichungen formell-gesetzlich niederzulegen bzw. entsprechend konkret vorzubestimmen. Der Bundesgesetzgeber kann sich der landesgesetzlichen Abweichung durch Delegation der wasserwirtschaftlichen Vorgaben nicht abschließend entziehen. Es soll freilich nicht verhehlt werden, dass der Bund durch die Voraussetzungen einer konkreten formell-gesetzlichen Abweichungsentscheidung einen legislatorischen ‚Wettbewerbsvorteil‘ erhält. Dieser Gesichtspunkt erhält seine Brisanz aus der bestehenden Fülle wasserwirtschaftlichen Verordnungsrechts. Insoweit ist es in der Gesetzgebungspraxis schwerlich möglich, jede Abweichung zeitgleich mit dem Verordnungsrecht des Bundes formell-gesetzlich zu statuieren. Zumeist wird es den Landesgesetzgebern schlicht an der hierzu notwendigen Zeit mangeln. Namentlich das Wasserhaushaltsrecht wurde als überwiegend technisches Recht mit § 23 WHG und den nachfolgenden Ermächtigungsnormen weitreichend auf Verordnungsebene delegiert.137 Einfachgesetzlich besteht zumindest insoweit ein Ausgleich, als das Wasserhaushaltsgesetz den Erlass von Bundesverordnungen an die Zustimmung des Bundesrates knüpft. cc) Einzelfragen zur Abweichung mittels Rechtsverordnungen Wird mit der vorherrschenden Auffassung eine Abweichung nur innerhalb des formell-gesetzlichen Landesrechts als zulässig erachtet, so ist der Anknüpfungspunkt der Abweichung zu beleuchten. 135 Ausdrücklich L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 54 (56 f.). 136 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand März 2010, § 23 WHG Rn. 9 und die Erwägungen im Bericht des Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz, Landtag Niedersachsen, Drucks. 16/2216 neu, S. 4 f. 137 Diese Abstufung kritisiert zu Recht M. Reinhardt, Die Bewirtschaftung des Grundwassers, in: ders. (Hg.), Das WHG 2010, 2010, S. 79 (82).
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen389
(1) Die Abweichung durch und von Delegationsnormen Zunächst ist zu klären, wie sich landesrechtliche Abweichungen auf die korrespondierende Delegationsnorm des Bundes auswirken. Die Delegationsnormen des Art. 17 BayWG und des § 17 SachAnhWG sind beide als „abweichend“ deklariert und stützen sich ausweislich des jeweiligen Begründungstextes auf Art. 72 Abs. 3 GG.138 Demnach stehen diese Länder auf dem Standpunkt, dass bereits der bloße Erlass von Ermächtigungsnormen zu einer Abweichung nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG führt. Diese Ansicht wird auch im Schrifttum vertreten, wonach „zutreffender Anknüpfungspunkt für die Abweichung […] die bundesrechtliche Verordnungsermächtigung selbst“ sei.139 Demgegenüber verweisen andere Autoren darauf, dass eine Ermächtigung an den Bundesverordnungsgeber ohnehin nur auf Bundesebene und nicht auf Landesebene ‚anwendbar‘ ist. „Ausschließen könnte man doch allenfalls das Ergebnis der Befugnis, also die Anwendung der beschlossenen Rechtsverordnung.“140 Damit ist zu erörtern, ob der Landesgesetzgeber eine Ermächtigung des Bundes suspendieren kann. Eine negierende Suspendierung sieht die Vorschrift des § 6 Abs. 2 NdsAGBNatSchG vor, die festlegt, „§ 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG findet keine Anwendung.“ Womöglich ließe sich eine Abweichung in der unterschiedlichen kompetenzrechtlichen Zuordnung eines Sachbereichs identifizieren. Für eine Sachmaterie wird zunächst formellgesetzlich die Bundesexekutive und alsdann hiervon abweichend die Landesexekutive ermächtigt.141 Dahin gehend müssen wohl die beiden Vorgaben des Art. 17 BayWG und § 17 SachsAnhWG in der Fassung bis zum 31.03.2013 interpretiert werden.142 Ein solcher Standpunkt birgt ein schlagendes Argument, denn er wird dem formellen Gesetzesbegriff gerecht und lässt der Landesexekutive einen weiten Raum für abweichendes Verordnungsrecht. Auch die Bundesregierung folgt möglicherweise dem Standpunkt, die Länder würden von den Ermächtigungsnormen abweichen. Zur 138 Vgl. Begr. zum Landesgesetz zur Änderung des Landeswassergesetzes und des Landesabwasserabgabengesetzes, Landtag Rheinland-Pfalz-Drucks. 15/4568, S. 7 sowie die Begründung zu Art. 17 BayWG, Bayerischer Landtag-Drucks. 16/2868, S. 41. 139 F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 222; so im Ergebnis auch M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 245, wonach aus dem späteren Erlass einer Bundesverordnung die Nichtigkeit der landesgesetzlichen Ermächtigungsnorm resultiere. 140 P. Cancik, NdsVBl. 2011, S. 177 (182). 141 Mit diesem Standpunkt F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 221 ff. 142 Gleichsinnig wohl die Überlegungen C. Schulze Harling, Das materielle Abweichungsrecht der Länder, 2011, S. 198 f.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
Abweichung vom Verordnungsrecht im Rahmen des Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG vermerkte sie: „Nach dem neuen Artikel 84 Abs. 1 GG können Regelungen des Verwaltungsverfahrens und damit auch die hier in Rede stehenden Ermächtigungen zustimmungsfrei getroffen werden, solange darauf verzichtet wird, das Abweichungsrecht der Länder auszuschließen. In diesem Fall können die Länder allerdings nicht nur von der gesetzlichen Ermächtigung selbst, sondern auch von dem auf ihrer Grundlage geschaffenen Verordnungsrecht abweichen, da beide als normative Einheit anzusehen sind.“143
Indessen erheben sich gegen diesen Standpunkt Bedenken. Die Übertragung der Regelungsbefugnis auf die Bundesexekutive führt allein noch nicht zu einer „unmittelbaren Auswirkung“ auf die Rechtslage innerhalb der Länder.144 Umgekehrt führt die landesrechtliche Delegationsnorm binnenorganisatorisch zur Übertragung der Rechtsetzungsbefugnis einer identischen Sachmaterie auf die Landesexekutive zu keiner abweichenden Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG. Das Kriterium einer Regelung wird ganz überwiegend als Verpflichtung interpretiert, eine eigene Sachentscheidung zu treffen. Daneben wird zu Recht allein eine deregulierende Negierung bundesrechtlicher Vorgaben als zulässig erachtet.145 Demnach müsste die Ermächtigung zur Regelung einer abweichenden Regelung funktional ebenbürtig sein. Für die Ermächtigung und eine inhaltlich abweichende Vorschrift gilt die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG. Mithin kann Landesgesetzgeber seine Kompetenz aus Art. 72 Abs. 1 GG zu ergänzenden, konkretisierenden und ausfüllenden Regelungen delegieren. Wie bereits dargelegt ist die Verordnungsermächtigung selbst demgegenüber allein formell-rechtlicher Natur, soweit mit ihr keine weiteren inhaltlichen Vorgaben verbunden sind, die etwaig zu einer Sperrwirkung führen. Wie beispielsweise § 23 Abs. 3 WHG unterstreicht, ist mit der De143 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht über die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Vorbereitung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung und das Gesetzgebungsverfahren, BR-Drucks. 651/06, S. 14. 144 So zumindest das Bundesverfassungsgericht zur Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 84 Abs. 1 GG, BVerfGE 55, 274 (326): „Zwar hat die bloße Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen selbst noch keine unmittelbare Auswirkung auf das von den Ländern zu gestaltende Verwaltungsverfahren. Das bedeutet indessen nicht, daß ein zum Erlaß verfahrensregelnder Rechtsverordnungen ermächtigendes Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrates ergehen kann, erst recht nicht, wenn das Gesetz – wie hier – die vorgesehene verwaltungsverfahrensregelnde Verordnung noch nicht einmal an die Zustimmung des Bundesrates bindet.“ 145 Näher zur Thematik A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51 und unter Kapitel 5 sub II. 2. und 3. Dies konzedieren auch die Standpunkte, welche eine Wiederholung für zulässig erachten B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 84 GG Rn. 8: „jede inhaltliche und formell andere Regelung“.
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen391
legation bis zur Ausübung der Ermächtigung keine Sperrwirkung verbunden.146 Auch Drost, der eine Befugnis der Länder zur weitgehenden Delegation der Abweichungsentscheidung als zulässig erachtet, erkennt an, dass die Frage der Abweichungsfestigkeit auf Ebene der „reinen formellen Ermächtigungsregelungen“ keinen Anknüpfungspunkt findet.147 Soweit mit der Befugnis zu einer abweichenden Regelung das Erfordernis einer inhaltlichen Änderung der Rechtslage verbunden wird, ist die Suspendierung von Ermächtigungsnormen höchst fraglich. Die Ermächtigung gilt binnenorganisatorisch allein für die jeweilige Rechtssphäre des Bundes oder des jeweiligen Landes.148 Unterstellt man ein Wechselspiel von sich suspendierenden Ermächtigungsnormen, würde die Bundesexekutive vom delegierten Sachbereich in den jeweiligen Ländern ausgesperrt. Der Bundesgesetzgeber müsste seine Delegationsnorm zunächst neu erlassen, was wiederum die korrespondierende Ermächtigung des Landes ausschließen würde.149 Dies wird nicht im Interesse der Länder sein, die ihrerseits unter Umständen lediglich partielle Abweichungen treffen wollen. Zudem lässt sich der Bundesexekutive nicht die Ermächtigung zur Ordnung stoff- oder anlagenbezogener Vorgänge entziehen. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die landesgesetzliche Delegation eines Regelungsbereichs auf die Verordnungsebene noch keine Abweichung herbeiführt. Demnach nimmt der von der Delegation betroffene Regelungsbereich noch nicht am Anwendungsvorrang des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG teil. Der Anwendungsvorrang des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG gilt sowohl für Bundesgesetze wie Bundesverordnungsrecht. Eine spätere Verordnungsnorm des Bundes würde die betreffende Sachregelung des Landes suspendieren. Eine abweichende Regelung des Landes oder eine spätere Regelung des Bundes lässt die Ermächtigung der jeweiligen Exekutive unberührt.150 Nicht ganz eindeutig ist die Festlegung, wann eine ‚spätere‘ Verordnungsnorm im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG vorliegt. Die Vorschrift knüpft allein an das jeweilige Gesetz an. Es ist sachgerecht, die
146 Eingehend K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 9/13, § 23 WHG Rn. 14; ders., in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, 2011, § 23 WHG Rn. 39 ff. 147 U. Drost, WHG, Bd. I, Stand Februar 2012, § 23 WHG Rn. 14. 148 Ähnlich P. Cancik, NdsVBl. 2011, S. 177 (182). 149 Mit diesem Gedankengang F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 224 ff. 150 Ähnlich M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 192 f., wonach allein die „sachlichen Rechtsfolgen“ der Ermächtigung verdrängt werden.
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
darin liegende Wertung zu übertragen. Damit bestimmt sich der Vorrang nach dem Verkündigungszeitpunkt der jeweiligen Verordnungsnorm.151 (2) D ie Voraussetzungen für eine formell-gesetzliche Abweichungsentscheidung Dem gleichsam vermittelnden Standpunkt folgend152 ist es den Bundesländern gestattet, Abweichungen mittels Rechtsverordnungen vorzunehmen, sofern die eigentliche Abweichungsentscheidung vom parlamentarischen Gesetzgeber getroffen wird. An die Delegationsnorm sind insoweit strenge Anforderungen zu richten. Die Ermächtigung selbst darf sich nicht darauf beschränken, den Sachbereich der korrespondierenden Bundesverordnung oder einer Bundesnorm nachzuzeichnen, sondern hat die Abweichung gemäß den Wertungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nach Inhalt, Zweck und Ausmaß vorzuzeichnen.153 Wie detailliert die Abweichung bereits in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ausgestaltet sein muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Insoweit ist zu fordern, dass der Gesetzgeber zumindest die Umschreibung der in Rede stehenden Abweichung selbst wahrnimmt. Dies setzt voraus, dass die Verordnungsermächtigung das „Ob“ der Abweichung sowie deren Inhalt skizziert. Innerhalb dieses Rahmens weicht der Landesgesetzgeber ab. In Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Landesgesetzgeber die Grenzen einer Abweichung festzusetzen und anzugeben, welchem Ziel die Abweichung dienen soll. Der Rechtsunterworfene muss erkennen können, wie der Verordnungsgeber von der ihm zugestandenen Abweichungsbefugnis Gebrauch macht und welchen abweichenden Inhalt die von ihm erlassenen Regelungen haben können. Die Abweichung bleibt damit auf Ebene des förmlichen Gesetzes verortet, wobei die korrespondierenden Verordnungsvorschriften den Anwendungsvorrang auslösen.
151 Mit dieser bedenkenswerten Überlegung M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 192. 152 C. Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (423); M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 151 f.; mit dieser Differenzierung und wohl auch mit Blick auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 70: die grundsätzliche Unzulässigkeit einer Abweichung allein durch Rechtsverordnung „ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut, aber aus dem systematischen Zusammenhang zwischen Art. 84 Abs. 1 S. 4 i. V. m. Art. 72 Abs. 3 GG. Auf der Grundlage der landesgesetzlichen Regelung können allerdings auch untergesetzliche Regelungen getroffen werden.“ 153 Anderer Ansicht M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 239.
III. Die Einbindung von Rechtsverordnungen393
c) Eine erste Bewertung des Landesrechts Auf Seiten des Bundes wie der Länder ist ein legitimes Bedürfnis anzuerkennen, ihre Rechtsetzungsbefugnis auf Verordnungsebene auszuüben.154 Gleichwohl verwehren es die unzweideutige Systematik und der Wortlaut, die Abweichungsentscheidung außerhalb des formellen Landesgesetzes zu treffen.155 Die Gesetzgebungsbefugnis der Länder unterliegt damit einer weiteren Beschränkung. Eine Stärkung der Landesparlamente, Verbesserung der Transformationstauglichkeit und eine klarere Rechtsetzung lassen sich damit schwerlich verbinden. Während der Bund die supranationalen Vorgaben vereinfacht mittels Verordnungsrecht transformieren kann, sind die Länder auf ein langwierigeres Gesetzgebungsverfahren verwiesen. Zudem erscheint die vorgegebene Regelungstechnik auf vier Ebenen, nämlich jeweils auf der Gesetzes- und Verordnungsebene des Bundes und des abweichungswilligen Landes höchst komplex und erschwert die Rechtsanwendung. Wird versucht, den eindeutigen Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG im Rahmen einer ‚Gesamtbetrachtung‘ zu überwinden,156 so hält dieser Standpunkt einer verfassungsrechtlichen Bewertung nicht stand. Mit dieser Grundlegung ist das Landesrecht zu bewerten.157 Die genannten Ermächtigungen in Art. 17 BayWG und § 17 SachsAnhWG in der Fassung bis zum 31.03.2013 weichen unausgefüllt noch nicht von § 23 WHG ab. Nach den beschriebenen Maßstäben bilden sie zudem keine Grundlage für eine abweichende Rechtsetzung durch die Landesexekutive. Sie sind überdies insoweit problematisch, als die korrespondierende Ermächtigung des § 23 WHG stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge delegiert. Konrad Berendes158 und Michael Foerst159 erachten beide Vorschriften als „nichtig“, soweit sie zur Abweichung von stoff- oder anlagenbezogenen Sachmaterien ermächtigen. Diese Auffassung verkennt indessen den Binnencharak154 C. Degenhart,
DÖV 2010, S. 422 (423). in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 72 GG Rn. 80f; A. Uhle, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 72 GG Rn. 51. 156 Bedenklich in dieser Hinsicht L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 54 f. (56) und M. Stegmüller, DÖV 2013, S. 221 (222 ff.). 157 Zu einer gänzlich anderen Bewertung des Landesrechts als nachfolgend im Text gelangt F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 217 ff. M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 246 ff., 259. Deren Bewertungen scheinen insoweit inkonsistent, soweit sie auf C. Degenhart, DVBl. (sic!) 2010, S. 422 (423) verweisen und ausdrücklich vermerken, an die Anforderungen von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung seien besonders strenge Maßstäbe zu stellen. 158 K. Berendes, in: ders./Frenz/Müggenborg (Hg.), BK, § 23 WHG Rn. 43. 159 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 246 ff., 259. 155 R. Sannwald,
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Kap. 8: Einbindung der Verordnungsgebung
ter von Delegationsnormen. Die Bestimmungen sind wirksam. Sie bilden ‚lediglich‘ keine taugliche Rechtsgrundlage für abweichendes Recht. Unwirksam wäre jedoch eine abweichende Landesverordnungsnorm, da es der Exekutive an einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage zur Ausgestaltung einer formell-gesetzlichen Abweichung fehlt. Unbestimmt ist § 9 Abs. 6 LNatSchG SchlH, der ebenfalls lediglich die Ermächtigung des Bundes nachzeichnet, ohne konkrete Hinweise über die Abweichung zu liefern. Gleiches gilt wohl auch für § 8 NatSchG SachsAnh. Danach wird die Exekutive ermächtigt, „auch in Abweichung zu § 15 Abs. 7 Nr. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes durch Verordnung das Erhebungsverfahren, die Berechnung der Höhe, die Verwendung und die Verwaltung der Mittel aus den Ersatzzahlungen näher zu regeln.“ Der Rechtsuchende erfährt zumindest formell-gesetzlich, von welchen Regelungskomplexen abgewichen werden soll, indem nur einige Sachbereiche der Verordnungsermächtigung des Bundes benannt werden. Indessen geht aus ihr nicht hervor, in welcher Weise von der Abweichungsbefugnis Gebrauch gemacht wird. Frei von Bedenken ist eine Ermächtigung, wie sie § 33 Abs. 2 RhPfWG vorsieht. Aus ihr geht der explizite Handlungsrahmen hervor. Überdies ist sie mit einer klaren Zweckbestimmung versehen. Hingegen verknüpfen sich mit § 6 Abs. 2 NdsAGBNatSchG besonders zahlreiche Streitfragen.160 Nach der hier vertretenen Ansicht können sich die Landesgesetzgeber nicht auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG stützen, um auf die Binnenorganisation des Bundes Zugriff zu nehmen und dessen Exekutive die Ermächtigung zu entziehen. Daneben ist zweifelhaft, ob in der Vorschrift tatsächlich noch eine zulässige negierende Deregulierung zu erblicken ist.161
IV. Resümierende Stellungnahme Wie gesehen, birgt die Verlagerung der Normsetzung auf die untergesetzliche Ebene ein erhebliches Konfliktpotential. Das Ziel, die Legislativbefugnisse zu entflechten und die Transformationstauglichkeit der föderativ verfassten Gesamtrechtsordnung zu erhöhen, wurde mit Blick auf die Einbindung der Verordnungsgebung nur eingeschränkt erreicht.162 In Anbetracht der systematisch und terminologisch eindeutigen Anforderungen des Art. 72 160 „§ 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG findet keine Anwendung.“Siehe dazu den Bericht des zuständigen Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz, Landtag Niedersachsen, Drucks. 16/2216 neu, S. 4 f. 161 Eine solche bejahend F. Frhr. v. Stackelberg, Abweichungsgesetzgebung der Länder im Naturschutz, 2012, S. 223. 162 Vgl. die diesbezügliche Darstellung zur Transformation europäischer Vorgaben auf Verordnungsebene Kapitel 3 sub II. 1.
IV. Resümierende Stellungnahme395
Abs. 3 Satz 1 GG, wonach etwaige Abweichungen formell-gesetzlich niederzulegen sind, birgt das Verordnungsrecht für die Länder eine Herausforderung. Vorstehende Annäherung und Funktionsbeschreibung der Einbindung von Rechtsverordnungen in die Abweichungskompetenz führen zu einer ersten dogmatischen Grundlegung. Die Betrachtung enthüllte dabei ein vielgliedriges Spektrum neuer Gesichtspunkte. Namentlich die Ermächtigungsnorm mit ihrem Charakter als Organisationsvorschrift, die Wechselwirkung zwischen etwaig konkurrierenden Delegationsnormen und die Auswirkungen abweichenden Verordnungsrechts auf die Delegationsnormen des Bundes- oder Landesgesetzgebers bedürfen der weiteren Befassung. Wird dem wohl vorherrschenden Standpunkt gefolgt, ist es dem Landesgesetzgeber verwehrt, seine Abweichungsentscheidung zu delegieren. Einige der Verordnungsermächtigungen sind bisher funktionslos, soweit sie zu einer abweichenden Regelung ermächtigen sollen. Da allein die Deklarierung der bis dato vorliegenden Ermächtigungen als „abweichend von“ noch nicht zu einer Suspendierung der korrespondierenden bundesgesetzlichen Regelung führt, sind sie weiterhin wirksam. Dies gilt auch mit Blick auf die stoff- oder anlagenbezogene Sachmaterien des § 23 WHG.
Kapitel 9
Die Zuständigkeitsverteilung für das wasserwirtschaftliche Verfahrensrecht Über das Regelungsmandat für das Umweltverfahrensrecht wurde im Rahmen der Föderalismusreform lange gerungen.1 So nimmt es nicht wunder, dass es vordergründig die Überführung des wasserrechtlichen Zulassungsregimes in eine integrierte Vorhabengenehmigung war, die das Projekt einer Gesamtkodifikation des Umweltrechts scheitern ließ und dem Zulassungsrecht während der Verhandlungen zum Wasserrechtsneuordnungsgesetz besondere Bedeutung zu kam.2 Das materielle und das formelle Recht korrespondieren und korrelieren miteinander. Einerseits wirkt das Verfahren auf die materiell-rechtliche Entscheidung. Andererseits wirken die materiellrechtlichen Vorgaben auf den Verfahrensgang.3 Für den Bereich des Wasserwirtschaftsrechts wirft die Rechtsetzungsbefugnis zum Verfahrensrecht bisher wohl weit weniger Streitstände auf, als dies im Rahmen der materiellen Befugnis zu vergegenwärtigen ist. Gleichwohl treten etwa im Bereich von Verschränkungen zwischen Verfahrensrecht und materiellen Bestimmungen erste Konfliktlagen auf, beispielsweise im Rahmen der Schwellenwerte der Umweltverträglichkeitsprüfung. Damit ist der weitere Untersuchungsgang vorgezeichnet. Die thematische Annäherung erfolgt zunächst mit einer Grundlegung des Art. 84 Abs. 1 GG (nachstehend sub I.). Alsdann widmet sich die Untersuchung den Wechselbeziehungen der beiden Abweichungsbefugnisse im Lichte der stoff- oder anlagenbezogenen Bereichsausnahme (nachstehend sub II.). Sodann wird die Indisponibilität von Vorgaben untersucht, die im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsprüfung stehen (nachstehend sub III.). Eine resümierende Stellungnahme führt die wesentlichen Ergebnisse der Betrachtung zusammen (nachstehend sub IV.). 1 Einzelheiten bei N. Röttgen/H. J. Boehl, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 17 (31) und kritisch F. Kirchhof, in: Pitschas/ Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 636 (638 ff.). Zur Entwicklung der Verwaltungskompetenzen H.-H. Trute, in: in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. II, 2012, § 28 Rn. 2. 2 Zur Entstehungsgeschichte bereits in Kapitel 1 sub I. 1. und 2. c). 3 M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (333 ff., 386 f.).
I. Die Dispositionsbefugnis über das Verfahrensrecht397
I. Die Dispositionsbefugnis über das Verfahrensrecht Das neu geordnete Verfahrensrecht gemäß Art. 84 Abs. 1 GG tritt neben die kompetenziellen materiellen Vorgaben des Art. 72 Abs. 3 GG.4 Dieses neu justierte und mitunter kritisierte5 Zusammenspiel beider Regelungssphären musste sich nunmehr in der Praxis bewähren. 1. Grundzüge des Artikels 84 Abs. 1 GG Gemäß den Art. 83, 84 GG führen die Länder das Wasserhaushaltsgesetz als eigene Angelegenheit aus und sind Adressaten der wasserrechtlichen Bewirtschaftungspflicht.6 Bis zur Verfassungsreform 2006 forderte Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG die Zustimmung des Bundesrates zu einem Bundesgesetz im Bereich der Landeseigenverwaltung gemäß Art. 83 GG, wenn das Bundesgesetz Regelungen über das Verwaltungsverfahren oder die Behördeneinrichtung traf.7 Damit war die Bestimmung für einen Großteil der zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze8 verantwortlich.9 Art. 84 Abs. 1 GG hindert den Bund nicht mehr, für den Bereich der Länder verfahrensbezogene Vorgaben zu erlassen.10 Im Gleichlauf mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG können die Länder jedoch gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG von den bundesrechtlichen Vorgaben abweichende Regelungen treffen. Nach Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG gilt in demjenigen Land eine sechsmonatige Karenzzeit für das Inkrafttreten eines Bundesgesetzes, das eine abweichende verfahrens- oder organisationsrechtliche Landesregelung erlasdazu H. Risse, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 271 (273 ff.). JöR n. F. Bd. 55 (2007), S. 303 (315) konstatiert hinsichtlich des Verwaltungsverfahrensrechts, „statt Sektoralisierung droht Fragmentierung“. 6 Vgl. G.-M. Knopp, ZfW 1988, S. 261 (269); M. Reinhardt, Czychowski/ders., Einl. Rn. 40. 7 Einzelheiten hierzu C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 210 ff. und passim sowie M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (390 ff.). Bereits M. Lepa, DVBl. 1974, S. 399 ff. spricht von einem verfassungsrechtlichen Evergreen. 8 Ausführlich K. Haghgu, Die Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 GG, 2007, S. 78 f., zur Einheitsthese S. 178 ff. und zur Kritik C. Gramm, AöR Bd. 124 (1999), S. 212 (221 ff.). 9 Statt aller C. Hillgruber, JZ 2004, S. 837 (837 f.): „ins Visier der Kritik ist vor allem der Bundesrat mit seinen Beteiligungsrechten geraten“. 10 Vgl. H.-H. Trute, in: Starck (Hg.), Föderalismusreform, 2007, Rn. 156. Kritisch K. Stern, in: Spannowsky (Hg.), Fests. Püttner, 2006, S. 169 (180), der wegen vieler unbestimmter Begriffe in Art. 84 Abs. 1 GG ein Ausgangspunkt für Streitigkeiten sieht. 4 Siehe
5 M. Schulte,
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Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
sen hat, auf das sich das Bundesgesetz bezieht.11 Es sei denn, der Bundesrat hat seine Zustimmung für ein früheres Inkrafttreten erteilt. Insoweit besteht hier eine Abweichung zu Art. 72 Abs. 3 GG, da die Frist nicht in den Ländern – „in diesem Land“ – greift, die keine abweichenden Regelungen getroffen haben. Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG ordnet die entsprechende Geltung des Anwendungsvorrangs gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG an. Der Bundesgesetzgeber kann die Dispositionsbefugnis der Länder für das Verwaltungsverfahren unter den engen Voraussetzungen des Art. 84 Abs. 1 Satz 4, 5 GG ausschließen. Wie bereits beim materiellen Abweichungsrecht nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ist die Reichweite der Dispositionsbefugnis der Länder nicht an besondere tatbestandliche Prämissen geknüpft.12 Die bereits zu Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG beleuchteten Ausübungsvoraussetzungen gelten weitestgehend auch für das Abweichungsrecht aus Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies betrifft insbesondere die inhaltliche Reichweite der Abweichungen, die Zulässigkeit negierender, inhaltsgleicher und wortlautidentischer Regelungen sowie der Kennzeichnungspflicht. Insoweit wiederholen sich hier die bekannten Streitstände des Art. 72 Abs. 3 GG. Auf einige Besonderheiten der Abweichungsbefugnis des Art. 84 Abs. 1 GG wird gleichwohl noch näher einzugehen sein. Erstmalig wurde die Regelungstechnik durch die Abgeordneten Norbert Röttgen und Joachim Stünker in den Normsetzungsprozess eingeführt.13 Deren Vorschlag fand sich wenig später auf den Sprecherzetteln der Kommissionsvorsitzenden wie folgt wieder:14 „Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Sofern Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. [Regelungen der Länder gehen den Regelungen des Bundes nach Satz 2 vor.] In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.“
Aufschlussreich ist die Umstellung des Satzes 3 der vorgeschlagenen in die Verweisungstechnik der geltenden Fassung. Nach Auffassung des wohl 11 Zu den Möglichkeiten BMJ, Hdb. der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl. 2008 Rn. 437. 12 Vgl. G. Hermes, in: Dreier (Hg.), Art. 84 GG Rn. 56; M. Nierhaus/S. Rademacher, LKV 2006, S. 385 (392 f.). Zu den verwaltungspolitischen Aspekten des Wettbewerbsföderalismus A. Benz, VerwArch Bd. 97 (2006), S. 318 (320 ff.). 13 J. Stünker/N. Röttgen/R. Steenblock/R. Funke, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Projektgruppenarbeitsunterlage vom 9. Juni 2004, PAU-1/0002, S. 3. 14 F. Müntefering/E. Stoiber, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, Arbeitsunterlage 0104 – neu –, S. 2.
I. Die Dispositionsbefugnis über das Verfahrensrecht399
überwiegenden Schrifttums folgt aus dem Zusammenspiel von Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG eine Rechtsfolgenverweisung.15 Das Zusammenspiel etabliert jedenfalls einen regelungstechnischen Gleichlauf mit der materiell-rechtlichen Dispositionsbefugnis. Während das Dispositionsrecht der Länder über die Einrichtung der Behörden unabdingbar ist, eröffnet Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit der Länder zu statuieren. Die Ausübung dieser Absicherung ist an Ausnahmefälle, materiell an ein besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung, gebunden und setzt die Zustimmung des Bundesrates voraus.16 In den Begründungserwägungen zu Art. 84 GG wurde explizit festgeschrieben, Umweltverfahrensrecht sei regelmäßig ein Sonderfall für eine bundeseinheitliche Regelung.17 Im Anschluss an die Koalitionsvereinbarung fassten Bundestag und Bundesrat einen gleichlautenden Beschluss,18 wonach Regelungen des Umweltverfahrensrechts regelmäßig ein Ausnahmefall im Sinne des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG seien. Der Ausnahmefall eines besonderen Bedürfnisses birgt einige Zweifelsfragen,19 die für den Kompetenztitel des Wasserhaushaltsrechts indessen nicht der näheren Befassung bedürfen. Wenngleich der Bundestagsbeschluss rechtlich unverbindlich ist,20 darf von dessen Beachtung durch die Beteiligten ausgegangen werden. Für die Disponibilität der verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 ist zudem Folgendes zu beachten. Der Bundesrat hat in seinem Beschluss vom 10. Juli 2009 dem Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts „gemäß Artikel 72 Absatz 3 Satz 2, Artikel 84 Absatz 1 Satz 5 und 6“ des Grundgesetzes zugestimmt. Dennoch ist das Verfahrensrecht des Wasserhaushaltsgesetzes 2010 abweichungsoffen,21 weil es das Verfahrensrecht nicht explizit als abweichungsfest deklariert.22 Dafür 15 Näher F. Kirchhoff, Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2010, Art. 84 GG Rn. 113. 16 Eingehend zur Zustimmungsbedürftigkeit H. Ginzky, ZUR 2007, S. 513 ff. 17 Begr. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 15 unter Bezugnahme auf die Koalitionsvereinbarung. 18 BT-Drucks. 16/2052, S. 2; BR-Drucks. 462/06, S. 3. 19 E. Bohne, EurUP 2006, S. 276 (286 f.); F. Kirchhoff, Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2010, Art. 84 GG Rn. 128 ff. 20 Ergebnisse der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform (7. November 2005) Neuordnung der Umweltkompetenzen (unveröffentlicht), S. 6 f. 21 Vgl. überdies K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.Lfg. 8/10, § 11 WHG Rn. 5 und H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 10. 22 So auch die Rechtsauffassung der BReg, BR-Drucks., 651/06 S. 10: „In rechtsförmlicher Hinsicht ist der Ausschluss einer Abweichungsmöglichkeit der Länder entweder in der betreffenden Norm selbst oder – wenn mehrere Normen betrof-
400
Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
streiten der Bestimmtheitsgrundsatz und der Grundsatz der Normenklarheit.23 Im Gegensatz zum gescheiterten UGB I enthält das Wasserhaushaltsgesetz keine dem § 140 UGB I oder eine mit § 24a UVPG24 vergleichbare Regelung.25 Letztlich birgt das Zustimmungsmodell für das Wasserhaushaltsrecht aktuell kein Konfliktpotential. Das Verfahrensrecht sieht in Art. 84 Abs. 1 Sätze 4 bis 6 GG keine Bereichsausnahmen vor, wie sie für den materiellen Teil in Art. 72 Abs. 3 GG normiert sind. Insoweit können der nach wie vor ungeklärte Begriff des Verwaltungsverfahrens und das Verhältnis von materiellen und formellen Gesetzgebungskompetenzen im Einzelfall Unsicherheiten und Konflikte hervorrufen. 2. Die Einbindung von Rechtsverordnungen in Abweichungsgesetzgebung Wie bereits zur Dispositionsbefugnis des Art. 72 Abs. 3 GG ist im Kontext des Art. 84 Abs. 1 GG erörterungsbedürftig, wie sich Rechtsverordnungen in die Befugnis zur Abweichung einbinden lassen. Konkret ist der Wortlaut des Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG zu interpretieren. Im Gegensatz zu Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG erhielt der Normtext des Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG an der hier interessierenden Stelle einen anderen Wortlaut. Während Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG eine Abweichung „durch Gesetz“ verlangt, bedarf es für eine Disposition gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG lediglich einer „Regelung“.
fen sind – in einer Schlussbestimmung des Stammgesetzes zu regeln. Soll ein Abweichungsrecht nur für einen Teil der Verfahrensbestimmungen ausgeschlossen werden, sind in der Schlussbestimmung die maßgeblichen Vorschriften, von denen nicht abgewichen werden darf, konkret zu nennen (‚Von den in den §§ … getroffenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens kann durch Landesrecht nicht abgewichen werden.‘) […].“ Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl. 2008, Rn. 435. 23 Zudem A. Dittmann, in: Sachs (Hg.), Art. 84 GG Rn. 26a. 24 So hält § 24a UVPG in der Fassung ab dem 3. März 2010 fest: „Von den in diesem Gesetz und aufgrund dieses Gesetzes getroffenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens kann durch Landesrecht nur in dem durch die §§ 4 und 14e bestimmten Umfang abgewichen werden.“ 25 § 140 Ref-E UGB I (Bestimmungen zum Verwaltungsverfahren) „Von den in diesem Buch und auf Grund dieses Buches getroffenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens kann durch Landesrecht nicht, von den in Kapitel 1 Abschnitt 2 getroffenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens nur in dem durch § 6 Abs. 4 bestimmten Umfang abgewichen werden.“
I. Die Dispositionsbefugnis über das Verfahrensrecht401
a) Meinungsstand Wohl überwiegend wird der Wortlaut des Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG dahin gehend erweiternd interpretiert, den Landesgesetzgeber für seine Regelungen allein auf formelle Gesetze zu verweisen.26 Für diese Sichtweise lässt sich der Begründungstext anführen:27 „Da es um eine Abweichung von gesetzlichen Regelungen des Bundes geht, können die Länder auch nur durch Gesetz von ihrer Abweichungsbefugnis Gebrauch machen.“
Vereinzelt wird zudem der actus-contrarius-Gedanke als Argument herangezogen, der sich aus der Begründung gleichsam herauslesen lasse.28 Daneben wird über Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG ein systematischer Zusammenhang mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG hergestellt.29 Oder es werden die Aspekte der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hervorgehoben. Danach lasse sich eine abweichende Regelung lediglich durch eine gleichrangige Bestimmung zuverlässig dokumentieren.30 Andere Autoren sehen die Befugnis zur Abweichung hingegen – im Unterschied zu Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG – nicht auf formell-gesetzliche Regelungen begrenzt.31 Dies ergebe sich einerseits aus dem Wortlaut des Grundgesetzes, der den Ländern die Kompetenz zur Abweichung undifferenziert zuweise.32 Andererseits stelle die Abweichungsbefugnis für den Bereich der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens die 26 S. Broß/K.-G. Mayer, in: v. Münch/Kunig (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 84 GG Rn. 15; M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 70; H.-G. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 84 GG Rn. 4; D. Hömig, in: ders. (Hg.), 2. Aufl. 2013, Art. 84 GG Rn. 7; differenzierend H. Mauer, JuS 2010, S. 945 (949 f.); H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 110 f.; J. Oebbecke, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 27; B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 84 GG Rn. 8; H. Risse, in: Hufen (Hg.), Fests. Schneider, 2008, S. 271 (274); J. Suerbaum, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 84 GG Rn. 34; H.-H. Trute, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hg.), Art. 84 GG Rn. 23. 27 Begründung des Reg-E zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 15. 28 B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 84 GG Rn. 8; J. Suerbaum, in: Epping/Hillgruber (Hg.), Art. 84 GG Rn. 34. 29 Mit diesem Standpunkt M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 70. 30 H. Mauer, JuS 2010, S. 945 (949 f.). 31 L. Beck, Die Abweichungsgesetzgebung der Länder, 2008, S. 105; A. Dittmann, in: Sachs (Hg.), Art. 84 GG Rn. 16; K. Gerstenberg, Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz, 2009, S. 282; M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 238 f.; W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (713); F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 72. 32 A. Dittmann, in: Sachs (Hg.), Art. 84 GG Rn. 16.
402
Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
Rechtslage gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG wieder her. Diese Befugnis aus Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG beschränke die Rechtsetzungsbefugnis der Länder nicht auf bestimmte Handlungsformen.33 Zudem liege den Art. 83 ff. GG nicht ausschließlich der formelle Gesetzesbegriff zugrunde, weshalb selbst ein Rekurs auf den Verweis des Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG auf Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG zu keinem anderen Ergebnis führe. Die Wahl der Begrifflichkeiten innerhalb des Art. 84 Abs. 1 GG sei eher zufällig.34 Das Land Niedersachsen schloss sich letztgenannter Sichtweise an und unterstellt für die Verordnungsermächtigung in § 5 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über Verordnungen und Zuständigkeiten (NVOZustG) eine solche Befugnis zur Abweichung durch Rechtsverordnungen. Dazu teilen die Begründungserwägungen mit: „Die Verordnungsermächtigung ermöglicht Abweichungen durch Verordnung unabhängig davon, ob der Bund die Zuständigkeitsregelung in einem Gesetz oder in einer Rechtsverordnung getroffen hat. Artikel 84 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes lässt Abweichungen von Gesetzen und Rechtsverordnungen zu; der Begriff „Bundesgesetze“ erfasst in den Artikeln 83 bis 85 des Grundgesetzes nicht nur Parlamentsgesetze, sondern auch Rechtsverordnungen als Gesetze im materiellen Sinne […].“35
b) Stellungnahme Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG ist eng mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG verknüpft. Hervorzuheben ist deshalb zunächst der Gleichlauf mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG. Nach den Begründungserwägungen nehmen formelle Gesetze am Anwendungsvorrang des Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG teil. Demgegenüber ist der Begründungstext undifferenziert, soweit er die Länder insgesamt allein zu formell-gesetzlichen Abweichungen verpflichtet. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG, der zeitgleich statuiert wurde und die materiell-rechtlichen Vorgaben erfasst, enthält die explizite Voraussetzung einer Regelung „durch Gesetz“.36 Hinsichtlich der Handlungsform enthält die Landeskompetenz in Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG hingegen keine Voraussetzungen. Wenn das Bedürfnis eines formellen Gesetzes für eine abweichende Regelung gelegentlich mit dem actus-contrarius-Gedanken begründet wird, ist W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (713). diesem Gedankengang F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 71. 35 Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Vorschriften über Verordnungen und Zuständigkeiten sowie zur Rechtsbereinigung, Landtag Niedersachsen, Drucks. 17/1468, S. 10 f. 36 Vgl. bereits vorstehend Kapitel 8 sub II. 1. 33 Dazu 34 Mit
I. Die Dispositionsbefugnis über das Verfahrensrecht403
dies jedenfalls nicht durchgreifend. Zwar ist die Forderung einer identischen Normqualität zwischen dem abweichenden Rechtsakt und dem korrespondierenden Bundesrecht sach- und funktionsgerecht, doch sprechen gewichtige Aspekte gegen einen solchen Standpunkt. Aus der Ausgangsvermutung einer Regelung durch ‚Bundesgesetz‘ in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GG folgt nicht, dass auch die Länder nur mittels eines Parlamentsgesetzes von der Bundesregelung abweichen dürfen. Der Anwendungsbereich des actuscontrarius-Gedankens beschränkt sich darauf, den jeweiligen Normgeber auf die gleiche Handlungsform zu verweisen, wenn dieser einen von ihm erlassenen Rechtsakt ändert oder aufhebt.37 In der vorliegenden Konstellation handeln hingegen zwei unterschiedliche Rechtsträger und ist das Verhältnis zwischen den Normen zu bestimmen. Sofern das Grundgesetz ein bestimmtes Rangverhältnis festschreibt oder Abweichungsrechte eröffnet, ist diese Entscheidung unabhängig von der zugrundeliegenden Norm des Bundes anzuerkennen. Der Wortlaut des Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG, der statt einer Abweichung durch Gesetz lediglich eine Regelung verlangt, spricht dagegen, den Landesgesetzgeber grundsätzlich auf ein formell-gesetzliches Verfahren zu verpflichten. Art. 84 Abs. 1 GG weist deshalb kein undifferenziertes „Durcheinander“ auf, wie es mitunter vermerkt wird.38 Bereits vor der Neufassung des Art. 84 Abs. 1 GG wurde der Gesetzesbegriff der Vorschrift unterschiedlich interpretiert. Das Bundesgesetz nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG ist danach unbestritten ein formelles Parlamentsgesetz, was aus dessen Natur eines Zustimmungsgesetzes nach Art. 77 GG resultiert.39 Insofern liegt Art. 84 Abs. 1 GG ein formelles Gesetz zugrunde. Hingegen sind die als eigene Angelegenheit auszuführenden „Bundesgesetze“ des Art. 84 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GG im Anschluss an Art. 83 GG als durch den Landesvollzug auszuführende Normen zu interpretieren.40 Auch Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG rekurriert auf ein formelles Gesetz. Das Gesetz ist zunächst der temporale und funktionale Anknüpfungspunkt für den Anwendungsvorrang. Die Regelung beschreibt sachlich die Abschnitte des jeweiligen Gesetzes, die am Anwendungsvorrang teilnehmen.
37 Bereits K. Gerstenberg, Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz, 2009, S. 282. In diesem Sinne verstand ihn zuletzt auch das BVerfG, Beschluss v. 4. Mai 2010, Az.: 2 BvL 8/07, Rn. 154: Verfassungsmäßigkeit der Zuverlässigkeitsprüfung für Luftfahrer. 38 So F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 72. 39 Bereits P. Lerche, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 24. Erg.-Lfg., Art. 84 GG Rn. 65 ff. 40 F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 54. Erg.-Lfg. Januar 2009, Art. 83 GG Rn. 122 und M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (357 f.).
404
Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
Erhellend ist hierzu ein Blick auf Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach die Länder befähigt sind, abweichende Regelungen durch Gesetz zu treffen. Dabei führt das spätere Gesetz nicht dazu, das frühere Gesetz insgesamt zu suspendieren. Die Regelungen des früheren Gesetzes bleiben als ergänzendes Recht erhalten. Landesrecht wird nur insoweit suspendiert, wie der Bundesgesetzgeber abschließende Regelungen statuiert hat.41 Auch in Zusammenschau mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG sowie mit Art. 84 Abs. 1 Sätze 5 bis 7 GG birgt der Terminus der Regelung allein wohl noch keinen Hinweis auf die Handlungsform, sondern betrifft nur einen Abschnitt des Normprogramms. Soweit an die Verweisungstechnik des Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG auf Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG angeknüpft wird, um die Länder an die formell-gesetzliche Handlungsform zu binden, greift dies nicht Platz, da sie allein eine Rechtsfolgenverweisung ist.42 Eine Stütze findet die Zulässigkeit von Abweichungen durch Verordnungsrecht in der Entstehungsgeschichte. Die Ursprungsfassung des Verfassungstextes enthielt eine Vorgabe, die nicht an ein Gesetz anknüpfte.43 Auch die durch den Koalitionsvertrag von CDU / CSU und SPD in Bezug genommenen Ergebnisse der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform enthielten zunächst keinen Anwendungsvorrang.44 Der Verweis wurde erst relativ spät hinzugefügt,45 ohne, soweit ersichtlich, den Vorgaben des Art. 84 Abs. 1 GG einen anderen Inhalt zuweisen zu wollen.
41 Vgl. zum Bedeutungsgehalt des Posterioritätsgrundsatzes bereits Kapitel 1 sub II. 2. b) bb). 42 M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 238 f.; F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2011, Art. 84 GG Rn. 72. Abweichend M. Germann, in: Kluth (Hg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 84, 85 GG Rn. 70. 43 Siehe bereits vorstehend sub I.: „Regelungen der Länder gehen den Regelungen des Bundes nach Satz 2 vor.“ 44 Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit, 2005, passim. 45 Näher dazu N. Röttgen/H. J. Boehl, in: Holtschneider/Schön (Hg.), Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 17 (31 ff.).
II. Verflechtungen formeller und materieller Abweichungsbefugnisse405
II. Verflechtungen formeller und materieller Abweichungsbefugnisse 1. Die Befugnis zur Einrichtung der Behörden und zur Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens Die Einrichtung von Behörden ist im organisatorischen Sinne die Einrichtung, Ausgestaltung sowie die Aufgaben- und Befugniszuweisung.46 Nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts47 normiert ein Bundesgesetz jedenfalls dann die Einrichtung der Behörden für die betroffene Aufgabe, wenn es diese Aufgabe für den Bereich eines jeweiligen Landes einer bestimmten vorhandenen oder neu zu errichtenden Behörde oder nur einer einzelnen Behörde zuweist oder den Ländern diesbezügliche Regelungen vorgibt.48 Schwieriger als die Einrichtung der Behörden ist die Abgrenzung und Interpretation des Verwaltungsverfahrens, bei der verschiedene Ansätze bemüht werden.49 Gemeinsam ist ihnen eine eigenständige verfassungsrechtliche Begriffsbildung, die über das Verwaltungsverfahrensgesetz50 hinausreicht.51 Vorgaben, die das Verwaltungsverfahren regeln, sollen „jedenfalls“ Bestimmungen sein, „die die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden im Blick auf die Art und Weise der Ausführung der Gesetze einschließlich ihrer Handlungsformen, die Formen der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie die verwaltungsinternen Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge“ betreffen.52 Diese Abgrenzungsformel liefert indessen keine konsistenten Abgrenzungskriterien. Nahezu jede verfahrensrechtliche Vorgabe 46 BVerfGE
75, 108 (149 f.); BVerfGE 105, 313 (331). Beschluss v. 4. Mai 2010, Az.: 2 BvL 8/07, Rn. 131 und 132; bereits BVerfGE 75, 108 (150, 151 f.). 48 Zu weiteren Einzelheiten M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (361 ff.). 49 Ausführlich und mit weit. Nachw. M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (363 ff.). 50 § 9 VwVfG Begriff des Verwaltungsverfahrens „Das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlichrechtlichen Vertrags ein.“ 51 F. Kirchhoff, Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2010, Art. 84 GG Rn. 87 f. 52 Ständige Spruchpraxis BVerfGE 114, 196 (224); 75, 108 (152); 55, 274 (320 f.); mit Verweis auf BVerfGE 37, 363 (385, 390). 47 BVerfG,
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Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
beeinflusst die materiellen Maßstäbe der Entscheidung.53 Als Gegenstand des Verwaltungsverfahrens werden Festlegungen über Antragserfordernisse, die Wahl der Handlungsform, Vorschriften über die Beweiserhebung, die Form- und Fristerfordernisse, die Verwaltungsgebühren sowie die Zustellung erachtet.54 Nicht unter das Verwaltungsverfahren fällt die gesetzliche Festlegung von Rechtsansprüchen, das zum Handeln der Behörden zwingt, nicht aber das „Wie“ hierfür festlegt. Daneben fallen die gesetzliche Begründung von Anzeigepflichten, Vorschriften über die Rücknahme, Widerruf oder eine Befristung von Verwaltungsakten und Auflagen nicht unter Art. 84 Abs. 1 GG, sondern sind grundsätzlich materiell-rechtliche Bestimmungen.55 2. Die Abweichungsoffenheit des stoff- und anlagenbezogenen Verfahrensrechts Losgelöst von der Problematik einer Abgrenzung von materiellen und verfahrensrechtlichen Regelungen vollzieht sich die Betrachtung der stoffund anlagenbezogenen Bereichsausnahme. Unbezweifelt knüpft das Verfahrensrecht des Wasserhaushaltsgesetzes an stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge an. In Frage steht, ob das stoff- oder anlagenbezogene Verfahrensrecht der Bereichsausnahme aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG unterfällt. a) Meinungsstand Ein Teil des Schrifttums erstreckt die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme auch auf das stoff- oder anlagenbezogene Verfahrensrecht.56 Diese Sichtweise beruht auf der Annahme, der ‚Anlagenbezug‘ 53 M. Antoni,
AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (386). in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 84
54 H.-H. Trute,
GG Rn. 14. 55 Zum Ganzen H.-G. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hg.), 12. Aufl. 2012, Art. 84 GG Rn. 16. 56 C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (39 ff.); M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 105 ff. Nach W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (716) seien „die abweichungsfesten Kerne der Art. 72 III 1 Nrn. 2, 5 GG insoweit extensiv auszulegen, als dass sie ausnahmsweise verfahrensrechtliche Regelungen mit umfassen, die auf zwingende funktional-sachliche Weise mit der materiellen Regelung verknüpft sind (untrennbarer Sachzusammenhang).“; F.-J. Peine, in: Bosecke/ Kersandt/Täufer (Hg.), Festg. Czybulka, 2010, S. 207 (210). Mehrdeutig M. Kloepfer, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 651 (664), der im Kontext des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG das anlagenbezogene Verfahrensrecht als indisponibel erachtet, zugleich indessen ebenda in Anm. 61 auf H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347) verweist. Letztgenannte legen lediglich dar, dass bei anlagenbezogenem Verfahrensrecht regelmäßig ein besonderes
II. Verflechtungen formeller und materieller Abweichungsbefugnisse407
schließe das Verfahrensrecht ein, da dieses schließlich auf Anlagen bezogen sei. Die verfahrensrechtlichen Regelungen seien indisponibel, sofern diese funktional-sachlich mit der materiellen Regelung verknüpft seien.57 Nach Dana Burchardt und Christian Calliess sprächen zudem teleologische Erwägungen für eine Indisponibilität des Verfahrensrechts, „da durch die Neugestaltung der Art. 72 ff GG die Bundesumweltkompetenz (zur Schaffung eines Umweltgesetzbuches) gestärkt werden sollte.“ Diesem Standpunkt ähnelt die Auffassung von Michael Foerst, der das Verfahrensrecht als Annexkompetenz für den Bereich der indisponiblen Klammerzitate erachtet.58 Der Bund könne stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge nicht sinnvoll regeln, wenn nicht die diesbezüglichen verfahrensrechtlichen Regelungen abweichungsfest seien. Wohl überwiegend wird hingegen auf das Zusammenspiel der Art. 72 Abs. 3 und 84 Abs. 1 GG rekurriert. Dabei wird mit Blick auf Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG konstatiert, dieser sei gegenüber dem indisponiblen Klammerzitat des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG lex specialis und der abweichungsfeste Kern erstrecke sich allein auf die materiellen Anforderungen.59 Überdies sei der Wortlaut des Art. 84 Abs. 1 GG nicht auf bestimmte Verfahrensrechte beschränkt.60 b) Stellungnahme Einmal mehr ruft die Diskussion um die Abweichungsrechte ein Thema auf, das bereits im Rahmen der abgeschafften Rahmengesetzgebung diskutiert wurde, nämlich die Ausweitung der Sachgesetzgebungsbefugnis auf das Verfahrensrecht. Im rahmenrechtlichen Kontext wurde überwiegend vertreten, das Recht, nach Art. 75 Abs. 2 GG a. F. unmittelbar wirkendes Rahmenrecht zu setzen, erfasse auch den Erlass von Verfahrensvorschriften.61 Bedürfnis nach einer abweichungsfesten Regelung im Sinne des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG bestehe und die verfahrensrechtlichen Vorgaben nach einer diesbezüglichen Zustimmung des Bundesrates indisponibel seien. 57 C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (39 ff.); W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (716), 58 M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 105 ff. 59 B. Becker, ZUR 2010, S. 528 (531); H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, 344 (347); H. Ginzky, ZUR 2007, S. 513 (516); zudem H.-H. Munk, Das neue Wasserhaushaltsgesetz aus Sicht der Länder, 2009, S. 10: „Die im Wasserhaushaltsgesetz enthaltenen Verfahrensregelungen sind der Abweichungsgesetzgebung übrigens zugänglich.“ 60 H. Ginzky, ZUR 2007, S. 513 (516). 61 Dazu die Ausführungen und Nachw. bei T. P. Streppel, Die Rahmenkompetenz, 2005, S. 190 ff.
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Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
Der Norm- oder Begründungstext zu Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG gibt keine Auskunft darüber, ob das Verfahrensrecht von der Bereichsausnahme erfasst wird. Verfehlt ist es, zur Begründung einer verfahrensrechtlichen Abweichungsfestigkeit die Begründung zu Art. 84 GG heranzuziehen,62 wonach auch die verfahrensbezogenen Anforderungen „an die Planung, Zulassung und Überwachung von Anlagen und Vorhaben“ einen „Kernbereich des wirtschaftsrelevanten Umweltrechts“ bilden.63 Der Begründungstext legt lediglich dar, weshalb der Bundesgesetzgeber in bestimmten Bereichen der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Ein Indiz für die Indisponibilität des stoffund anlagenbezogenen Verfahrensrechts lässt sich daraus nicht ableiten. Wenngleich sich das Verfahrensrecht unter den Wortlaut des zu Art. 72 Abs. 3 GG ergangenen Begründungstextes fassen lässt, sprechen überdies gewichtige Argumente gegen eine solche Interpretation. Das Grundgesetz teilt die Verantwortung in die materiell-rechtliche Gesetzgebung des Bundes nach den Art. 70 ff. GG und die formell-gesetzliche Ausführung derselben nach den Art. 83 ff. GG, die den Ländern als landeseigener Vollzug oder als Landesverwaltung im Auftrag des Bundes und dem Bund als bundeseigene Verwaltung anheimgegeben wird. Die in Art. 84 Abs. 1 GG enthaltene Dispositionsbefugnis ist mit der des Art. 72 Abs. 3 GG verknüpft. Beide unterliegen indessen ganz unterschiedlichen Anforderungen. Dies betrifft das Zustimmungserfordernis und auch den formellen Gesetzesbegriff, der den Art. 70 ff. GG zugrunde liegt. Daneben muss die Interpretation der materiell-rechtlichen Bereichsausnahme die Bedeutung des Art. 84 Abs. 1 GG für die föderal verfasste Staatlichkeit beachten. Das bundesstaatliche Prinzip beruht insbesondere auf der Aufgabenverteilung zugunsten der Länder. Art. 83 GG konkretisiert hierzu Art. 30 GG dahin gehend, dass die Ausführung der Gesetze im Regelfall den Ländern als landeseigene Verwaltung zusteht. Vorgaben des Bundes über das Verwaltungsverfahren und die Einrichtung der Behörden berühren im Bereich des landeseigenen Vollzugs von Bundesgesetzen in besonderem Maße die Eigenstaatlichkeit der Länder.64 Die grundgesetzliche Systematik unterscheidet den Art. 83 ff. GG und den Art. 70 ff. GG. Diese Aufteilung wie auch der Normsetzungsprozess während der Verfassungsreform 200665 sprechen dagegen, dass die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausaber M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 106. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 11. 64 Zuletzt BVerfG, 4. Mai 2010, Az.: 2 BvL 8/07, 2 BvL 9/07, Rn. 137 ff. und bereits A. Köttgen, DÖV 1953, S. 422 (424): „Hausrecht der Länder im Bereich der Verwaltung“. Näher zur Entwicklung T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hg.), BK, 2011 zum Grundgesetz, 20. Erg.-Lfg. IV/07; Art. 84 GG Rn. 1; M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (350 ff.) und zu den Art. 83 ff. GG B. Becker, ZUR 2010, S. 528 (529 ff.) und H. Maurer, JuS 2010, S. 945 ff. 65 Zum Gesetzgebungsverfahren bereits Kapitel 1 sub II. 1. und 3. 62 So
63 Begr.
II. Verflechtungen formeller und materieller Abweichungsbefugnisse409
nahme auch das Verfahrensrecht erfasst. Die zuletzt unmittelbar vor dem Legislativverfahren eingesetzte Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform vermerkte mit Blick auf das Verfahrensrecht und den insoweit nicht geänderten Normtext:66 „Die integrierte Vorhabengenehmigung ist nicht abweichungsfest. Von den naturschutzrechtlichen Anforderungen des Bundes an Anlagen und sonstige Vorhaben können die Länder uneingeschränkt abweichen; im Wasserrecht sind nur die anlagenbezogenen Bundesvorschriften abweichungsfest. Von den verfahrensrechtlichen Anforderungen des Bundes an Vorhabenzulassungen können die Länder nach Art. 84 Abs. 1 im Einzelfall abweichen; diese Möglichkeit wird auch durch den dazu abgestimmten Begleittext nicht sicher ausgeschlossen.“
Diese Auffassung spiegelt sich im Sach- und Diskussionsstand während der öffentlichen Anhörung wider. Die zahlreichen Stellungnahmen zum Umweltverfassungsrecht befassten sich ganz überwiegend mit der Frage, ob der Bund die seinerzeit avisierte Vorhabengenehmigung bundeseinheitlich ausgestalten kann.67 Diesbezüglich stand allein Art. 84 Abs. 1 GG im Mittelpunkt, der durch gesonderte gleichlautende politische Entschließungen68 von Bundestag und Bundesrat flankiert wurde.69 Festzuhalten bleibt, dass der Begleittext zu Art. 84 GG das Umweltgesetzbuch verfahrensrechtlich absichert,70 wonach Umweltverfahrensrecht regelmäßig ein Ausnahmefall bundeseinheitlichen Verfahrensrechts ist und nicht etwa die stoff- und anlagenbezogene Bereichsausnahme.71 Das indisponible Klammerzitat verbürgt hingegen die Einhaltung materiell-rechtlicher Standards stofflicher oder anlagenbezogener Vorgänge. Zu Recht wird aus dem Begründungstext und der zusätzlichen gleichlautenden Entschließung von Bundestag und Bundesrat der Schluss gezogen, der Bundesgesetzgeber habe insofern die abweichungsresistenten Sektoren des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG nicht als ausreichende Kompetenzgrundlage erachtet, das umweltbezogene Verfahrensrecht zu vereinheitlichen.72 Diese 66 Ergebnisse der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform (7. November 2005) – Neuordnung der Umweltkompetenzen (unveröffentlicht), S. 2 ff. und passim. 67 Näher K. U. Benneter, in: Zur Sache 1/2005, Beilage: CD-ROM, Arbeitsunterlage 0113, S. 4. 68 Gemeinsame Entschließung von Bundestag und Bundesrat (BR-Drucks. 462/06 und BT-Drucks. 16/2052). 69 Paradigmatisch W. Grimm, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 6 f.; H.-J. Koch, ebda., S. 11; C. Schrader, ebda., S. 23. 70 Begr. des RegE zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 15. 71 Entspricht Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG in der Fassung des 52. Änderungsgesetzes vom 28. August 2006. 72 H. Ginzky, ZUR 2007, S. 513 (516).
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Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
Interpretation spiegelte sich bereits zuvor im Rahmen der öffentlichen Anhörung zur Verfassungsreform 2006 wider. Seinerzeit wurde kritisiert, die Bereichsausnahme ziele nur auf die „Anlagen sowie ihre einheitliche Implementierung und Überwachung ab“, die darauf bezogene Vorhabengenehmigung sei indessen dem Grunde nach einer Abweichung zugänglich.73 Abzulehnen sind Versuche, teleologische Erwägungen für die Indisponibilität des stoff- oder anlagenbezogenen Verfahrensrechts anzuführen.74 Ein solcher Standpunkt lässt sich weder mit dem Norm- und Begründungstext noch mit der Entstehungsgeschichte der Bereichsausnahme in Einklang bringen. Solche Umdeutungsversuche verkennen den offensichtlichen Willen des Verfassungsgebers, der sich in Kenntnis der bestehenden Kritik an der Disponibilität des Verfahrensrechts für den Weg des Zustimmungsmodells nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG entschied. Ebenso zweifelhaft ist die Auffassung, wonach mit dem anlagebezogenen Verfahrensrecht insbesondere die Zulassung, das Recht zum Erlass nachträglicher Anordnungen und das Überwachungsrecht von der Abweichungskompetenz ausgenommen seien.75 Dieser Gedankengang findet sich erstmalig bei Harald Ginzky und Jörg Rechenberg.76 Indessen ist die dort beleuchtete Indisponibilität des anlagenbezogenen Verfahrensrechts zu Recht an die Zustimmung des Bundesrates geknüpft. Etwas holzschnittartig mutet zudem die Beurteilung von Gertrude Lübbe-Wolff an, wonach „Genehmigungserfordernisse“ und „Eigenüberwachungspflichten der Umweltnutzer“ als Teile des Verwaltungsverfahrens nach Art. 84 Abs. 1 GG zu erachten sind.77 Das Zulassungsregime innerhalb des Wasserhaushaltsgesetzes enthält zumeist materiell-rechtliche Voraussetzungen zur Sachentscheidung und auch die Vorgaben zur Anlagenüberwachung78 statuieren oftmals zugleich inhaltliche Vorgaben. Beide Sachmaterien betreffen nicht allein das ‚Wie‘, nämlich die Art und Weise des Vollzugs, sondern das gleichsam materiell-rechtliche ‚Ob‘. Gleiches wird zur Befugnis zum Erlass nachträglicher Anordnungen als auch zum 73 Statt anderer H.-J. Koch, Stellungnahme Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 176. 74 C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (39 ff.); M. Foerst, Abweichungskompetenz, 2012, S. 106. 75 So W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (716). 76 H. Ginzky/J. Rechenberg, ZUR 2006, S. 344 (347). Zwar stimmte der Bundesrat dem WHG 2010 zu, jedoch nur hinsichtlich des vorzeitigen Inkrafttretens nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG. 77 G. Lübbe-Wolff, in: Koch/Hey (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik, 2009, S. 45 (60). 78 Siehe etwa zur Selbstüberwachung von Abwasseranlagen § 61 Abs. 2 WHG; zur Abweichungsresistenz K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 10/13, § 61 WHG Rn. 5.
II. Verflechtungen formeller und materieller Abweichungsbefugnisse411
Widerruf und zur Rücknahme zu thematisieren sein.79 Das Recht zum Erlass nachträglicher Anordnungen – wie Inhalts- und Nebenbestimmungen – betrifft die materiell-rechtliche Beziehung und nicht allein die Festlegung der Handlungsweise oder damit einhergehender verfahrensrechtlicher Schritte. Resümierend bestehen keine tragfähigen Anhaltspunkte für eine Durchbrechung der grundgesetzlichen Systematik, die zwischen der formellen Rechtsetzung nach den Art. 84 ff. GG und der Aufteilung der Sachgesetzgebungsbefugnis in den Art. 70 ff. GG differenziert. Angesichts der Entscheidung des Verfassungsreformgesetzgebers für das Zustimmungsmodell ist im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung insbesondere nicht auf eine Annexkompetenz des Bundes für das stoff- oder anlagenbezogene Verfahrensrecht zurückzugreifen.80 Sollte die materiell-rechtliche Sachgesetzgebung nach den Art. 70 ff. GG ausnahmsweise das Verfahrensrecht im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG erfassen, so hätte es hierzu einer Manifestation des gesetzgeberischen Willens bedurft. 3. Die Abweichungsbefugnis bei doppelgesichtigen Normen Als ausgesprochen schwierig wird das Verhältnis der beiden Abweichungsrechte der Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG in An sehung doppelgesichtiger Normen erachtet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann auch ein materieller Gesetzesbefehl eine Ausgestaltung erhalten, die zugleich das ‚Wie‘ des Verwaltungshandelns verfahrensmäßig bindend festlegt.81 Aus dem materiellen Regelungsinhalt erwachsen insoweit verfahrensrechtliche Vorgaben.82 Die Rechtsprechung lässt bislang keine einheitliche Linie erkennen, wann eine solche Doppelgesichtig79 Näher zur strittigen Klassifizierung des Widerrufs und der Rücknahme eines Verwaltungsaktes als Teil des Verwaltungsverfahrens M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (405). 80 Ausführl. A. Uhle, in: Maunz/Dürig, Bd. V, 53. Erg.-Lfg. Oktober 2008, Art. 70 GG Rn. 73, 74 mit weit. Nachw. 81 Dazu BVerfGE 55, 274 (320 f.); 75, 108 (152). 82 B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 84 GG Rn. 4a. Anschaulich für den Umgang mit dem Abweichungsrecht der Länder nach Art. 81 Abs. 1 GG von doppelgesichtigen Normen ist die Stellungnahme der Bundesregierung zur Änderung des Tierschutzgesetzes, vgl. BT-Drucks 16/6233, S. 9: „Die Regelung über den Ausschluss abweichenden Verfahrensrechts erscheint ebenfalls bedenklich. Es stellt sich die Frage, ob die Annahme des Bundesrates zutrifft, es handele sich um eine sog. doppelgesichtige Norm, die sowohl materielle Vorgaben enthält (u. a. Aufstellung des Nachweiserfordernisses) als auch zugleich korrespondierendes verfahrensmäßiges Verhalten der Verwaltung festlegt (Festlegung des Umgangs mit dem vorgelegten Nachweis)“.
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Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
keit gegeben ist.83 Die betreffende Norm müsse jedenfalls nicht irgendein Verhalten des Vollzugs betreffen, sondern „ein verfahrensmäßiges Verhalten der Verwaltung“.84 Nach der kontrovers diskutierten Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 84 Abs. 1 GG a. F. lösten ebensolche doppelgesichtigen Normen die Zustimmungspflicht des Bundesrates aus.85 Mit der Neufassung des Art. 84 Abs. 1 GG hat sich zumindest die Zustimmungsproblematik bei solchen doppelgesichtigen Normen entschärft.86 Im Rahmen des Abweichungsmodells kann der Bund gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GG Regelungen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens erlassen, ohne dafür die Zustimmung des Bundesrates einzuholen.87 Gleichwohl hat die Reform des Grundgesetzes durch das 52. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 28. August 2006 die Problematik der doppelgesichtigen Normen nicht beseitigt,88 sondern nur verlagert.89 Im Kontext vorliegender Untersuchung stellt sich die Frage, inwieweit das Abweichungsrecht nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG bei doppelgesichtigen Normen auch den materiellen Teil umfasst.90 Im Wasserrecht können das etwa Bestimmungen sein, welche die Zulassungsbedürftigkeit von bestimmten Vorhaben und zugleich die Modalitäten der Antragsunterlagen oder des Beteiligungsverfahrens normieren. Keine ‚doppelgesichtige Regelung‘ liegt in den bereits benannten Konstellationen vor, in denen die Nutzung eines Gewässers an eine Genehmigung gebunden wird. Ein solcher Vorbehalt legt inhaltlich das Recht auf eine Gewässerbenutzung fest, ohne den behördlichen Entscheidungsprozess zu bestimmen.91
83 Mit dieser Beurteilung H.-H. Klein, in: Starck (Hg.), Festgabe BVerfG, Bd. 2, 1976, S. 277 ff. (294). Etwa wurden Antragserfordernisse BVerfGE 24, 184 (195); 37, 363 (385 ff.) und Form- und Fristvorschriften BVerfGE 24, 184 (195) als verfahrensrechtliche Regelungen beurteilt, zwischenbehördliche Akteneinsichts- und Auskunftsrechte BVerfGE 10, 20 (49) hingegen nicht. 84 BVerfGE 75, 108 (152). 85 Eingehend und mit weiteren Nachweisen G. Britz, DÖV 1998, S. 636 ff. 86 F. Kirchhof, Die Beeinflussung der Organisationsautonomie der Länder, in: Pitschas/Uhle (Hg.), Fests. Scholz, 2007, S. 637 (639). 87 Begründung des Reg-E zum 52. GGÄndG, BT-Drucks. 16/813, S. 15. 88 So im Ergebnis L. Beck, Abweichungsgesetzgebung, 2006, S. 121 (122), der die Problematik auf das Zustimmungserfordernis reduziert. 89 Diesen Umstand hebt W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (713) hervor. 90 Vgl. W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (713); mit Blick auf das Raumordnungsrecht H. Schmidt/P. Jornitz, DVBl. 2013, S. 741 (743 ff.). 91 Explizit so H. Ginzky, ZUR 2007, S. 513 (516); zum Ganzen M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (390 ff.).
II. Verflechtungen formeller und materieller Abweichungsbefugnisse413
a) Meinungsstand Im Schrifttum wird vielfach der Frage nachgegangen, ob die Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG auch von einer doppelgesichtigen Norm abweichen können, für die materiell-rechtlich keine Abweichungsbefugnis besteht. Nach einem Vermerk der Bundesregierung92 soll eine Abweichung nach Art. 84 Abs. 1 GG nur möglich sein, sofern der verfahrensrechtliche Teil abtrennbar ist: „Keine Abweichungsmöglichkeit – jedenfalls hinsichtlich des materiell-rechtlichen Regelungsgehalts – besteht auch bei den sog. doppelgesichtigen Normen (materiell-rechtliche Regelungen, die zugleich ein korrespondierendes verfahrensmäßiges Verhalten der Verwaltung festlegen, BVerfGE 37, 363, 386 f., 389), da insoweit nach wie vor uneingeschränkt der Vorrang des Bundesrechts nach Artikel 31 GG gilt.“
Ein Vorrang des Art. 84 Abs. 1 GG vor der korrespondierenden Sachgesetzgebungskompetenz wird jedenfalls im Bereich doppelgesichtiger Normen zumeist als unzulässig erachtet,93 wenn das verfahrensrechtliche Element nicht sachgerecht von der materiell-rechtlichen Regelung zu trennen ist. Es bestehe anderenfalls die Möglichkeit einer Unterwanderung der Sachgesetzgebungskompetenz des Bundes.94 Ein anderer Gedankengang will gänzlich auf das Konstrukt der doppelgesichtigen Normen verzichten, da sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets als verfahrensrechtliche Bestimmungen im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG erachtet werden. Der Begriff der ‚Regelung‘ in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG sei im Sinne einer teleologischen Reduktion allein auf verfahrensrechtliche Regelungen zu begrenzen.95 Dementgegen wird den Ländern vereinzelt eine Abweichungsbefugnis von doppelgesichtigen Vorschriften zugesprochen.96 Dabei werden eine 92 Unterrichtung des Bundesrates durch die Bundesregierung, Bericht über die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Vorbereitung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung und das Gesetzgebungsverfahren vom 31. August 2006, BRDrucks. 651/06, S. 12. 93 So die vorherrschende Ansicht A. Dittmann, in: Sachs (Hg.), Art. 84 GG Rn. 15; H. Ginzky, ZUR 2007, S. 513 (516); J. Oebbecke, in: Isensee/Kirchhoff (Hg.), HStR, Bd. VI., 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 27; B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 84 GG Rn. 4a; H. Risse, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. 2, 2012, § 44 Rn. 23; H. Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 84 GG Rn. 24. 94 R. Lehmann-Brauns, in: Härtel (Hg.), Hdb. Föderalismus, Bd. I, 2012, in: § 23 Rn. 24; H. Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 84 GG Rn. 24. 95 B. Pieroth/A. Meßmann, in: Fachverbände der Behindertenhilfe (Hg.), Föderalismusreform und Behindertenhilfe, 2008, S. 9, 42 ff. 96 Dahin gehend aber G. Hermes, in: Dreier (Hg.), Bd. II, Art. 84 GG Rn. 53.
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Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
Ausdehnung der abweichungsoffenen Bereiche und eine „Vermutung zugunsten der Abweichungsbefugnis der Länder“ erwogen. Dieser Standpunkt beruft sich auf das Ziel der Föderalismusreform und die Funktion des neuen Kooperationsmodells, demzufolge die Länder nicht mit interpretatorischen Abgrenzungsunsicherheiten belastet werden dürften. Ferner wird eingewandt, dass der Bundesgesetzgeber ohne ein Abweichungsrecht der Länder von doppelgesichtigen Vorgaben die Dispositionsbefugnis der Länder unter Umständen hintertreiben könne, indem er versuche, strittige verfahrensrechtliche Regelungen in materiell-rechtliche Vorgaben einzubinden.97 b) Stellungnahme Zunächst ist festzuhalten, dass der gesetzgeberischen Intention, bundesweit einheitliche Standards im Bereich des Stoff- oder Anlagenrechts zu setzen, weiterhin Rechnung zu tragen ist. Andererseits müssen die Länder ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf verfahrensrechtliche Eigengestaltung nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG ausüben können. Im Rahmen der abweichungsoffenen unkonditionierten konkurrierenden Gesetzgebung entstehen insoweit keine Konfliktlagen. Schwieriger zu beurteilen ist dies jedoch, wenn die Regelung stoff- oder anlagenbezogen ist. Setzt man für die Abweichung eine Kompetenz nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG voraus, hätte es der Bundesgesetzgeber möglicherweise einerseits in der Hand, das Verwaltungsverfahren unter Umgehung der Zustimmungspflicht von Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG durch den Erlass doppelgesichtiger Normen zu umgehen und nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG abweichungsfest zu normieren.98 Andererseits besteht für den Bund die Besorgnis, seine indisponiblen Regelungen könnten durch verfahrensrechtliche Abweichungen konterkariert werden.99 Ein Vorrang des Art. 84 Abs. 1 GG vor der korrespondierenden Sachgesetzgebungskompetenz entfällt jedenfalls im Bereich doppelgesichtiger Normen,100 wenn das verfahrensrechtliche Element nicht zu trennen ist, 97 Mit dieser Überlegung: W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (713 f.); dazu mit weiteren Differenzierungen F. Kirchhoff, Maunz/Dürig, Bd. V, 61. Erg.-Lfg. Januar 2010, Art. 84 GG Rn. 85 f. 98 Dazu W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (714) und auch H. Ginzky, ZUR 2007, S. 513 (516). 99 Mit diesem Hinweis B. Pieroth, in: Jarass/ders., Art. 84 GG Rn. 4a. 100 So die wohl vorherrschende Ansicht in der Literatur A. Dittmann, in: Sachs (Hg.), Art. 84 GG Rn. 15; J. Oebbecke, in: Isensee/Kirchhoff (Hg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 27; H.-H. Trute, in: Starck (Hg.), Föderalismusreform, 2007, Rn. 158.
III. Die Abgrenzung von formellem und materiellem Recht415
zumal auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes keine konsistenten Prämissen zur Abgrenzung der Bereiche erkennen lässt.101 Abzulehnen ist jedenfalls sowohl eine Ausdehnung der abweichungsfesten Bereiche als auch eine „Vermutung zugunsten der Abweichungsbefugnis der Länder“.102 Vielmehr ist eine Grenzziehung zwischen Art. 72 Abs. 3 und Art. 84 Abs. 1 GG vorzunehmen. Es muss von Fall zu Fall untersucht werden, ob eine verfahrensrechtliche Vorschrift untrennbar mit einer materiellen Regelung verknüpft ist.103 Liegt eine solche Verknüpfung vor, ist allgemein davon auszugehen, dass die Länder eine materiellrechtliche Kompetenz nach Art. 72 Abs. 3 GG aufweisen müssen. Sie können dann von verfahrensrechtlichen Vorgaben abweichen, sofern der materiell-rechtliche Gehalt der bundesrechtlichen Regelung erhalten bleibt.
III. Die Abgrenzung von formellem und materiellem Recht anhand der Indisponibilität wasserwirtschaftlicher Schwellenwerte Das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)104 transformiert insbesondere die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten105 sowie die Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (Strategische Umweltprüfung – SUP).106 Die Umweltverträglichkeits101 Mit dieser Beurteilung H.-H. Klein, in: Festgabe BVerfG, Bd. 2, 1976, S. 277 ff. (294). Etwa wurden Antragserfordernisse BVerfGE 24, 184 (195); 37, 363 (385 ff.) und Form- und Fristvorschriften BVerfGE 24, 184 (195) als verfahrensrechtliche Regelungen beurteilt, zwischenbehördliche Akteneinsichts- und Auskunftsrechte BVerfGE 10, 20 (49) hingegen nicht. 102 Dahin gehend aber G. Hermes, in: Dreier (Hg.), Bd. II, Art. 84 GG Rn. 53. 103 Mit diesem Befund W. Kahl, NVwZ 2008, S. 710 (716). 104 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94), das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2749) geändert worden ist. 105 Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. EG Nr. L 175 vom 5. Juli 1985, S. 40, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2009/31/EG, ABl. EU, Nr. L 140 vom 5. Juni 2009, S. 114; umgesetzt durch das Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie, der Deponierichtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz (Artikelgesetz) vom 27. Juli 2001, BGBl. I, S. 1950. 106 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. EG Nr. L 197 vom 21. Juli 2001, S. 30. Eingeführt durch das Gesetz zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG (SUPG), BGBl. I (2005), S. 1746.
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Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
prüfung ist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG kein eigenständiges Verwaltungsverfahren, sondern ein unselbständiger Bereich des Planfeststellungsverfahrens. Als verfahrensrechtliches Instrument dient sie dazu, die Umweltbelange für die abschließende Entscheidung aufzubereiten.107 Im Gegensatz zur Rechtsprechung,108 die dem Grunde nach vom Primat des jeweiligen Fachrechts ausgeht, wird der Umweltverträglichkeitsprüfung im Schrifttum teilweise und in unterschiedlichen Schattierungen ein materiell-rechtlicher Charakter zugesprochen.109 1. Meinungsstand Die wasserwirtschaftlichen Regelungen des UVPG lassen sich zumeist auf die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG stützen.110 Mit Wirkung zum 1. März 2010 diktiert das UVPG in Anlage Nummer 13 bundeseinheitliche Schwellenwerte für eine obligatorische UVP oder eine allgemeine bzw. standortbezogene Vorprüfung.111 Dabei wurden teilweise Schwellenwerte heraufgesetzt, die als zu niedrig erachtet wurden. Insgesamt fand eine weitreichende Harmonisierung statt. Die UVP-Pflichtigkeit richtet sich gemäß § 3b UVPG nach der Art, Größe und Leistung des Vorhabens, für die auf die Anlage 1 verwiesen wird. Die kompetenzielle Einordnung der Schwellenwerte ist von Praxisrelevanz und war bereits im Normsetzungsprozess zur Verfassungsreform 2006 mit Zweifeln belegt. Die Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform hielt bezüglich noch bestehender Unsicherheiten fest: „Beim Wasserrecht sind zwar die anlagenbezogenen Regelungen abweichungsfrei, nicht aber die Regelungen, die sich auf sonstige Vorhaben beziehen. Unklar ist ferner, inwieweit hier bestehende Abweichungsmöglichkeiten der Länder auch auf die UVP durchschlagen würden.“112
Die Unsicherheiten zeigen sich nunmehr, wenn die Länder Schwellenwerte der Anlage 1 des UVPG für wasserwirtschaftliche Vorhaben abweichend 107 BVerwGE
127, 272 (274). 100, 238 (243 f.); W. Appold, in: Hoppe/Beckmann (Hg.), 4. Aufl. 2012, § 1 UVPG Rn. 26; E. Gassner, § 1 UVPG Rn. 7. 109 T. Bunge, UVPG, in: ders./Storm (Hg.), HdUVP, Bd. 1, Erg.-Lfg. 5/13 Stand XI/13., § 1 UVPG Rn. 15; W. Erbguth/A. Schink, § 12 UVPG Rn. 19 ff. Differenzierend M. Beckmann, in: Hoppe/ders. (Hg.), 4. Aufl. 2012, § 12 UVPG, Rn. 1 ff., 55. 110 Gesetz zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 11. August 2009, (Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt – RGU), BGBl. I (2009), S. 2723. 111 K. Berendes, in: v. Lersner/ders./Reinhardt (Hg.), HDW, Erg.-Lfg. 9/13, Einl. Rn. 52. 112 Ergebnisse der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform (7. November 2005) – Neuordnung der Umweltkompetenzen (unveröffentlicht), S. 14. 108 BVerwGE
III. Die Abgrenzung von formellem und materiellem Recht417
gestalten. Bisher liegen zwei abweichende Regelungen vor, die stoff- oder anlagenbezogen sind. Nach Nr. 13.1.3 Anlage 1 UVPG ist eine standortbezogene Umweltprüfung bei der Errichtung und dem Betrieb einer Abwasserbehandlungsanlage vorzunehmen, die ausgelegt ist für organisch belastetes Abwasser von 120 kg / d bis weniger als 600 kg / d biochemischen Sauer stoffbedarfs in fünf Tagen (roh) oder anorganisch belastetes Abwasser von 10 m3 bis weniger als 900 m3 Abwasser in zwei Stunden (ausgenommen Kühlwasser). Nach Nr. 1 Anlage 1 des UVPG Nordrhein-Westfalen ist eine solche Prüfung bei anorganisch belastetem Abwasser erst ab 100 m3 vorzunehmen.113 Gemäß Nr. 13.2.3 Anlage 1 UVPG ist bei der Errichtung und dem Betrieb einer Anlage zur intensiven Fischzucht in oberirdischen Gewässern oder Küstengewässern oder verbunden mit dem Einbringen oder Einleiten von Stoffen in oberirdische Gewässer oder Küstengewässer mit einem Fischertrag je Jahr von 50 t bis weniger als 100 t eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls vorzunehmen. Nr. 2 Anlage 1 UVPG NRW verzichtet hingegen auf diese Schwelle und sieht eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls erst ab einem Fischertrag je Jahr von 100 t bis weniger als 1.000 t vor. Zum Thema führte der im Bundesland Nordrhein-Westfalen mit der Anpassung betraute Hermann Spillecke aus:114 „Die Frage, ob namentlich die Abweichung von den Schwellenwerten für die Abwasserbehandlungsanlagen landesrechtlich möglich ist, ist nicht abschließend geklärt. Entscheidend für die Abweichungsgesetzgebung ist, was unter den stoffoder anlagenbezogenen Regelungen zu verstehen ist. […] Ob hierzu auch technische Kriterien zu Anlagengrößen gehören, die lediglich die Funktion haben, die Frage nach einem ja oder nein der UVP zu beantworten, dürfte zweifelhaft sein. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die UVP als unselbständiger Bestandteil des Verwaltungsverfahrens selbst keine materiellen Maßstäbe als Anforderungen beinhaltet. Im Falle der Abwasserbehandlungsanlage ergeben sich diese Maßstäbe aus den insofern abweichungsfesten Regelungen für die Abwasseranlagen (hier: § 60 WHG) bzw. aus der Verordnung nach § 23 WHG. Nach Einschätzung des Verfassers haben UVP-bezogene Kriterien / Schwellen nicht den Charakter einer anlagen- oder stoffbezogenen Regelung im Sinne des Artikel 72 Abs. 3 Nr. 5 GG.“
Nach der tiefergehenden Analyse von Christian Calliess und Dana Burchardt wohnt den ‚Schwellenwerten‘ ein materiell-rechtlicher und auf113 Veröffentlicht durch Art. 1 d. Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie d. Rates v. 27. Juni 1985 ü.d. Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentl. u. privaten Projekten (85/337/EWG) im Lande NW v. 29. April 1992 (GV. NW. 1992 S. 175); in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 16. März 2010, GV NRW, S. 185 ff. 114 H. Spillecke, in: Durner (Hg.), Wasserrechtlicher Reformbedarf in Bund und Ländern, 2011, S. 123 (125 f.).
418
Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
grund ihrer Verknüpfung mit den §§ 3b und 3c UVPG ein verfahrensrechtlicher Regelungsgehalt inne,115 weshalb sich die Frage nach dem Umgang mit doppelgesichtigen Normen stelle. Nach Calliess und Burchardt kann der Bundesgesetzgeber mit § 24a UVPG116 nicht das Abweichungsrecht der Länder für doppelgesichtige Vorschriften ausschließen, bei denen eine Dispositionsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG besteht.117 Fernerhin sei das stoff- oder anlagenbezogene Verfahrensrecht bereits gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG indisponibel.118 Überdies klassifizieren sie die Vorprüfung entgegen der Rechtsprechung119 als materiell-rechtliche und damit als doppelgesichtige Regelungen. 2. Stellungnahme Die Erwägungen von Calliess und Burchardt weichen in vielfacher Hinsicht von den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung ab. Disponiert ein Land nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG über eine Regelung des Bundes, so liegt insoweit kein Bundesgesetz vor, an das Art. 84 Abs. 1 GG anknüpfen kann.120 Höchst fragwürdig bleibt zudem der Standpunkt, wonach die Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5, 6 GG zu § 24a UVPG bei doppelgesichtigen Normen nicht zum Abweichungsausschluss nach Art. 72 Abs. 3 GG führt. Würde dieser Standpunkt durchgreifen, so hätte die Föderalismusreform eines ihrer zentralen Ziele im Bereich des Umweltrechts verfehlt, nämlich die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Vereinheitlichung des Zulassungsregimes im Umweltrecht zu schaffen. Die Länder könnten trotz einer Zustimmung im Sinne des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG in den disponiblen Bereichen weiterhin stets eigenes Verfahrensrecht schaffen. Dennoch lässt sich nicht belegen, dass die 115 C. Calliess/D. Burchardt,
UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (30 ff.). UVPG „Von den in diesem Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes getroffenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens kann durch Landesrecht nur in dem durch die §§ 4 und 14e bestimmten Umfang abgewichen werden.“ 117 C. Calliess/D. Burchardt, UTR Bd. 105 (2011), S. 7 (21 f.). Siehe zudem vorstehend sub II. 3. 118 Dazu bereits sub II. 2. 119 Beispielhaft BVerwGE 100, 238 (242 ff.) und im gleichen Band 370 ff.: „Das Umweltrecht hat durch die UVP-Richtlinie keine materielle Anreicherung erfahren. Die gemeinschaftsrechtliche Regelung enthält sich materiellrechtlicher Vorgaben. Sie beschränkt sich auf verfahrensrechtliche Anforderungen im Vorfeld der Sachentscheidung, zu der ein Bezug nur insoweit hergestellt wird, als das Ergebnis der UVP gem. Art. 8 ‚im Rahmen des Genehmigungsverfahrens‘ zu berücksichtigen ist.“ Dazu E. Hien, NVwZ 1997, S. 422 (423 ff.) und über die differenzierte Kritik des Schrifttums A. Scheidler, NVwZ 2005, S. 863 ff. mit weit. Nachw. 120 M. Hahn-Lober, Parallele Gesetzgebungskompetenzen, 2012, S. 252. 116 § 24a
IV. Resümierende Stellungnahme419
Bereichsausnahme für die Sachgesetzgebungskompetenz auf das damit verbundene Verfahrensrecht übergreift.121 Es stellt sich indessen die Frage, ob die Lösung der aufgeworfenen Streitstände überhaupt notwendig ist. Die Schwellenwerte sind im Kern als materiell-rechtliche Vorgaben zu klassifizieren. Die Schwellenwerte bestimmen, ‚ob‘ das Verwaltungsverfahren, nämlich die Umweltverträglichkeitsprüfung als unselbständiger Bestandteil des Verwaltungsverfahrens, durchzuführen ist und noch nicht das ‚wie‘ des Verfahrens. Durch die Schwellenwerte wird zwar ein Verwaltungshandeln der Behörde ausgelöst, das Verwaltungsverfahren selbst wird jedoch nicht geregelt.122 Ohne es explizit zu benennen, steht auf einem solchen Standpunkt wohl auch der Bundesgesetzgeber. Der führt im Entwurf zum Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt zu den forstwirtschaftlichen Schwellenwerten aus: „Zu beachten ist zudem, dass Nummer 17 der Anlage 1 zum UVPG eine materielle Regelung mit der Folge darstellt, dass ein eventuelles Abweichungsrecht der Länder nach Artikel 72 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes nicht durch § 24a UVPG ausgeschlossen werden kann.“123 Demgemäß können die Länder von den Schwellenwerten abweichen, die nicht an stoff- oder anlagenbezogene Vorgänge anknüpfen.124 Die Pflicht, ein bestimmtes Prüfprogramm vorzunehmen, ist im Kern materiell-rechtlicher Natur, während das Prüfprogramm selbst formell-rechtlich zu klassifizieren ist. Damit sind namentlich die Schwellenwerte zur Abwasserbeseitigung Nummern 13.1 ff. der Anlage 1 UVPG oder zu Fischzuchtanlagen Nummern 13.2 ff. der Anlage 1 UVPG indisponibel, während die Vorgabe gemäß Nummer 13.18.2 der Anlage 1 UVPG zum naturnahen Ausbau von Bächen, Gräben, Rückhaltebecken und Teichen disponibel ist.125
IV. Resümierende Stellungnahme Nach den vorstehenden Erwägungen ist das Wasserhaushaltsrecht einmal mehr prädestiniert, die durch die Verfassungsreform aufgeworfenen Abgrenzungsfragen und hervorgerufenen Unsicherheiten kenntlich zu machen. Indessen lässt sich das Dickicht der Debatte um die gescholtenen Art. 72 Abs. 3 und 84 Abs. 1 GG, wie bereits bei der Untersuchung der materiell121 Vorstehend
sub II. 2. b). Ganzen instruktiv M. Antoni, AöR Bd. 113 (1988), S. 329 (381 ff., 388). 123 BT-Drucks. 16/12277, S. 11. 124 Vgl. dazu die Zusammenfassung in Kapitel 7 sub IV. 125 Mit anderer Argumentation, aber im Ergebnis ebenso C. Calliess/D. Burchardt, UTR 105 (2011), S. 7 (38 ff.). Siehe dazu jedoch auch die Erwägungen in Kapitel 6 sub II. 1. b). 122 Zum
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Kap. 9: Die Zuständigkeitsverteilung
rechtlichen Dispositionsbefugnis, oftmals mit einem Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte lichten. Die Zweifelsfragen der Abweichungsbefugnisse ähneln sich erkennbar, was auf die wortgleiche Formulierung ‚abweichende Regelungen‘ in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG zurückzuführen ist. Besonderheiten treten hinsichtlich der fehlenden Prämisse eines ‚Gesetzes‘ auf. Insoweit ist strittig, ob die Länder mittels untergesetzlicher Regelungen über die Bundesgesetze disponieren können. Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG stellt letztlich keine Vorgabe an eine bestimmte Handlungsform, weshalb die Länder über bundesgesetzliche Vorgaben des Verfahrensrechts grundsätzlich durch Verordnungsrecht disponieren können. Das Zusammenspiel der beiden Abweichungsrechte offenbart seine Komplexität mit Blick auf das stoff- und anlagenbezogene Verfahrensrecht sowie doppelgesichtige Vorschriften. Das stoff- oder anlagenbezogene Verfahrensrecht ist jedenfalls nicht bereits nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG indisponibel. Für eine Durchbrechung der grundgesetzlichen Unterscheidung zwischen der Sachgesetzgebungsbefugnis und der Kompetenz zur Regelung des Verfahrens sind keine wissenschaftlich tragfähigen Indizien ersichtlich. Vielmehr spricht der Normsetzungsprozess gegen einen solchen Standpunkt. Nach Auffassung der Beteiligten der Verfassungsreform 2006 sicherte jedenfalls erst das Zusammenspiel mit dem Abweichungsausschluss in Art. 84 Abs. 1 Satz 4 und 5 GG eine ehedem avisierte Vereinheitlichung des Umweltverfahrensrechts ab. In Ansehung der doppelgesichtigen Normen gilt, dass die Länder lediglich befugt sind, von ihnen abzuweichen, wenn sie sowohl über die Kompetenz zur abweichenden Sachgesetzgebung als auch über die Befugnis zur abweichenden Verfahrensgesetzgebung verfügen. Stimmen die Länder einem Abweichungsausschluss nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG zu, so verlieren sie die Normsetzungsbefugnis auch für doppelgesichtige Normen. Damit wird der Bundesgesetzgeber dem Grunde nach befähigt, das Umweltverfahrensrecht umfassend indisponibel zu vereinheitlichen. Bedeutsam wird vorstehender Themenkreis insbesondere bei Abweichungen von Schwellenwerten der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Klassifizierung der Schwellenwerte ruft zunächst den bekannten Streitstand hervor, ob und inwieweit die Regelungen der Umweltverträglichkeitsprüfung materiell-rechtlicher Natur sind. Indessen ist der Weg zu einer konsistenten Abgrenzung weniger schwierig, wenn man die UVP als unselbständigen Teil des Verwaltungsverfahrens erachtet und die Schwellenwerte materiell-rechtlich als ‚Ob‘ des Verfahrens einordnet. Folgt man dem, so sind die Vorgaben in Anlage 1 des UVPG im Kern materiell-rechtlicher Natur, weshalb sich ihre Abweichungsfestigkeit aus der Sachgesetzgebungskompetenz gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ergibt.
Kapitel 10
Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung Die Bewertung hat drei wichtige Aspekte zu berücksichtigen: So ist das als Untersuchungsmaterial zugrunde gelegte Landesrecht weiterhin unvollständig. Auch sechs Jahre nach der Vorbereitung und Verabschiedung des Wasserhaushaltsgesetzes im Jahre 2009 sind die Wassergesetze des Freistaates Thüringen sowie der Stadtstaaten Berlin und Hamburg nicht bzw. mit Blick auf das Land Nordrhein-Westfalen nur teilweise novelliert. Einige Länder nahmen zunächst keine umfängliche Novellierung vor, sondern erließen Vorschaltgesetze, die sich einer abschließenden Bewertung entziehen. Zum Zweiten ist das Wasserhaushaltsgesetz 2010 kein umfassendes Regelwerk, sondern vielfach auf eine mitunter weitreichende landesrechtliche Ergänzung, Ausfüllung und Konkretisierung angelegt. Einerseits ist dieses Charakteristikum für die im Schrifttum aufgestellten Anforderungen bedeutsam, die die Abweichungsgesetzgebung auf das Regelwerk des Bundes beschränken wollen. Andererseits geht der Bundesgesetzgeber abweichenden Regelungen durch diese bewusste Enthaltsamkeit absichtsvoll aus dem Weg. Deshalb kann auch keine umfassende Überprüfung erfolgen, ob und inwieweit die Länder bestimmte Regelungen als so wichtig einschätzen, dass sie von ihnen abgewichen wären. Drittens sind einige der thematisierten Zweifelsfragen wohl vor allem auf die denkbar kurze Zeitspanne zurückzuführen,1 in der die Gesetzgebungspraxis im Jahr 2010 das Landeswasserrecht novellieren musste, nachdem das Umweltgesetzbuch im Jahr 2009 gescheitert war. Unbenommen dieser Einschränkungen geben die Landesgesetze aber ein beredtes Bild der Abweichungsgesetzgebung und der damit einhergehenden Konflikte preis.
I. Der verfassungsrechtliche Rahmen der Gewässerbewirtschaftung 1. Die Länder sind keinen besonderen Restriktionen unterworfen, die über den Normtext und das sonstige Verfassungsrecht hinausreichen. Es besteht keine Bindung an die legislative Erschließung der Sachmaterie 1 Das Umweltgesetzbuch scheiterte im Frühjahr 2009 und das Wasserrechtsneuregelungsgesetz wurde am 31. Juli 2009 verabschiedet.
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Kap. 10: Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung
durch das Wasserhaushaltsgesetz. Namentlich lassen sich die vielzitierten Gebote der Bundestreue und der Rechtsstaatlichkeit nicht als Hebel nutzen, um das in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG austarierte gesetzgeberische Wechselspiel einzuschränken. Soweit etwa der Bund zu einer besonders bereinigungsfreundlichen Normsetzung angehalten oder im Falle einer europarechtswidrigen Abweichung die Anwendung des Bundesrechts gefordert wird, ist dies äußerst bedenklich. Diese Standpunkte drohen die Reichweite des kompetenzmoderierenden und -modifizierenden Gebots der Bundestreue zu überdehnen. 2. Schwer auflösbare Konflikte bergen die im Schrifttum aufgestellten Verbote des mit Bundesrecht formulierungsidentischen und inhaltsgleichen abweichenden Landesrechts. Zu Recht wird angenommen, dass der Normtext des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG eine schlichte Rezeption bundesgesetzlicher Regelungsgehalte verwehrt. Jedoch ruft namentlich das Verbot der inhaltsgleichen Wiedergabe kaum handhabbare Abgrenzungsunsicherheiten hervor. Auch eine konkretisierende oder ausfüllende Abweichung enthält zumeist Inhalte des suspendierten Bundesrechts oder Passagen des Normtextes. Inwieweit hier künftig nachvollziehbare und verlässliche Kriterien aufgestellt werden können, bedarf der weiteren rechtswissenschaftlichen Durchdringung. 3. Die Abweichung erfordert grundsätzlich eine positive Sachregelung, wobei partielle Deregulierungen möglich bleiben. Die Länder werden dieser Prämisse bisher gerecht und beschränken sich allein auf die negierende Abbedingung einzelner Tatbestände. 4. Im Lichte der wasserrechtlichen Gesetzgebungspraxis läuft das in der verfassungsrechtlichen Literatur geforderte Kennzeichnungsgebot abweichender Regelungen vielfach leer. Einerseits steht in Frage, ob der Bundesoder Landesgesetzgeber zur authentischen Interpretation der Bereichsausnahme berufen ist. Andererseits variieren die Gesetzgebungstechnik und die Kennzeichnungspraxis innerhalb der Bundesländer sehr stark. Einige Landesgesetzgeber kennzeichnen landesrechtliche Regelungen derart großzügig als im Sinne des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG abweichend, dass mitunter eine Abweichung signalisiert wird, die tatsächlich auf Art. 72 Abs. 1 GG beruht. 5. Der Verfassungsreformgesetzgeber statuierte mit der sechsmonatigen Karenzzeit des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG ein weiteres Charakteristikum der Abweichungsgesetzgebung. Wie bereits im Rahmen der Verfassungsreform prognostiziert wurde, waren und sind die wenigsten Bundesländer befähigt, innerhalb einer solchen kurzen Zeitspanne eine umfassende Rechtsanpassung durchzuführen, die den rechtsstaatlichen Anforderungen an ein parlamentarisches Verfahren vollständig genügt. Deshalb behalfen sich zahlreiche Länder in den ersten Jahren nach der Neufassung des Wasserhaushaltsgeset-
I. Der verfassungsrechtliche Rahmen der Gewässerbewirtschaftung423
zes im Jahr 2009 mit Vorschaltnovellen oder bloßen Rechtsanwendungshinweisen. 6. Als problematisch erweist sich die Einbindung des Verordnungsrechts in die Dispositionsbefugnis aus Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG, der eine abweichende Regelung „durch Gesetz“ verlangt. Nach dem hier aufgezeigten Lösungsmodell ist allein eine formell-gesetzliche Abweichung zulässig. Gleichwohl lässt sich die nähere Ausgestaltung der Abweichung auf die Verordnungsebene delegieren. Eine Abweichung zeitigt dabei jedoch keine Auswirkungen auf die jeweiligen Ermächtigungsnormen des Bundes bzw. des jeweiligen Landes. Die vorliegenden Ermächtigungsnormen der Länder zur Abweichung genügen diesen Anforderungen ganz überwiegend nicht. Zumeist zeichnen sie lediglich den Sachbereich des § 23 WHG nach und ermächtigen vereinzelt lediglich pauschal zur Abweichung im delegierten Bereich. 7. Anzufügen bleibt ein Blick auf die geforderte ‚enge‘ oder auch ‚weite‘ Auslegung der abweichungsfesten Bereiche, weil diese in ein Regel-Ausnahme-Verhältnis eingebunden seien. Soweit ein solcher Grundsatz überhaupt als Interpretationselement dienen kann, führt er im hiesigen Kontext zu neuen Abgrenzungsfragen. Ein vielgliedriges Regel-Ausnahme-Verhältnis erleichtert eine zuverlässige verfassungsrechtliche Grenzziehung nicht und wirkt der gebotenen strikten sachlich-funktionalen Grenzziehung entgegen. 8. Die stoff- oder anlagenbezogene Bereichsausnahme entzieht sich einer abstrahierenden und endgültigen Funktionsbeschreibung. Zur Beschreibung der Bereichsausnahme können jedoch verschiedene entstehungsgeschichtliche und terminlogische sowie teleologische Aspekte herangezogen werden. Ein für die Auslegung zentraler Befund ist der Umstand, dass die Bereichs ausnahme dem Grunde nach vor jedweder ‚Einwirkung‘ in den Wasserhaushalt durch Stoffe oder Anlagen schützt. Dieser Ausgangspunkt führt keineswegs zur Aushöhlung der landesrechtlichen Dispositionsbefugnis, sondern bereitet den Boden für ein vierstufiges Prüfmuster. Danach folgt nach einer äußerst weiten Begriffsinterpretation auf zweiter Ebene eine am Normtext anknüpfende Restriktion, wonach die in Rede stehende Norm eine konkrete sachliche Verbindung bzw. Verknüpfung mit einem anlagen- oder stoffbezogenen Vorgang aufzuweisen hat. Alsdann sind in einem dritten Schritt schutzzweckbezogene Erwägungen anzustellen. Den Schlussstein liefert eine historisch-genetische Betrachtung der Bereichsausnahme. Insoweit wird der gut dokumentierten Entstehungsgeschichte gelegentlich zu wenig Augenmerk gewidmet, obwohl sie dem Klammerzitat einige wichtige Grenzen aufzeigt. Die beispielhafte Darstellung ausgewählter Tatbestände lässt die Breite und Tiefe der Abgrenzungsfragen deutlich werden. Dabei bleibt die Debatte um die Abweichungsfestigkeit einzelner Bestimmungen bisher oft-
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Kap. 10: Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung
mals ein künstliches Szenario, weil sich die Rechtsetzung der Länder ganz überwiegend auf Art. 72 Abs. 1 GG stützt. 9. Das Abweichungsrecht aus Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG birgt im Lichte des Wasserwirtschaftsrechts wenig Friktionen. Als konfliktträchtig erweist sich bisher allein die Abweichung von Schwellenwerten, die ein besonderes Verfahren auslöst. Nach dem hier vertretenen Lösungsmodell richtet sich die Disponibilität der wasserwirtschaftlichen Schwellenwerte allein nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG. Das Verfahrensrecht ist für die Länder vollständig abweichungsoffen, dies gilt auch für stoff- oder anlagenbezogenes Verfahrensrecht. Soweit Verfahrensrecht untrennbar mit materiellen Anforderungen verknüpft ist, bedarf es zur Abweichung der Sachgesetzgebungsbefugnis. Im Gegensatz zu Art. 72 Abs. 3 GG ist es den Ländern im Rahmen von Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG gestattet, unmittelbar auf der Verordnungsebene abzuweichen.
II. Das Landeswasserrecht im föderativen System 10. Die abweichungsresistenten stoff- und anlagenbezogenen sowie europarechtlich determinierten Vorgaben durchziehen das gesamte Wasserhaushaltsgesetz und zwingen die Landesgesetzgeber in ein festes Korsett. Eine eigene ‚konzeptionelle‘ Entfaltungsmöglichkeit der Länder, die über einzelne Tatbestände oder Abschnitte hinausreicht, ist deshalb kaum möglich und auch nicht zu erwarten. 11. Mit ihren Dispositionsmöglichkeiten gehen die Länder quantitativ und qualitativ sehr zurückhaltend bzw. verantwortungsbewusst um. Einige Länder weichen überhaupt nicht im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG ab. Der überwiegende Teil will lediglich den status quo ante wiederherstellen und änderte einzelne Tatbestandsmerkmale ab. Eine signifikante Standardabsenkung durch abweichendes Recht lässt sich bei keiner Vorschrift vermerken. Sofern überhaupt eine Standardabsenkung im Raum steht, sehen die abweichenden Länder alternative Lösungsmodelle vor. Im arithmetischen Mittel sehen die abweichungswilligen Länder jeweils circa fünf abweichende Regelungen vor. Dabei melden einige Bundesländer mehr Abweichungen im Bundesgesetzblatt, als die jeweiligen Vorschriften tatsächlich nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG abweichen. 12. Im Untersuchungsverlauf konnten lediglich zwei Zuständigkeitskonflikte nicht ausgeräumt werden, die tatsächlich einen engeren Zusammenhang mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG aufweisen. Das betrifft einmal eine bayerische Abweichung innerhalb des Gestattungsregimes, zum anderen die nordrhein-westfälische Disposition über die wasserwirtschaftlichen Schwellenwerte im Anhang 1 des UVPG. Die überwiegenden Streitfragen
III. Eine abschließende Bewertung425
entzünden sich in der Gesetzgebungspraxis an der Interpretation des Bundesrechts. Hier steht im Lichte des Art. 72 Abs. 1 GG in Frage, welcher Spielraum den Ländern beispielsweise im Rahmen der zahlreichen Öffnungs-, Unberührtheits- und Abweichungsklauseln verbleibt. 13. Ergründet man die Motive zu den abweichenden Landesregelungen unter Hinzuziehung älterer Untersuchungen zum Wasserrecht rahmenrechtlicher Prägung, lässt sich eine starke Kontinuität des Landesrechts vermerken. Die abweichenden Bestimmungen tragen in hergebrachter Weise weniger den besonderen hydrologischen Verhältnissen oder sonstigen Naturgegebenheiten der jeweiligen Länder Rechnung, sondern sind Ausdruck der jeweiligen wasserrechtlichen Tradition, den politischen Präferenzen und der unterschiedlichen Verwaltungsorganisation. 14. In der Gesetzgebungspraxis wurden die mit der Abweichungsbefugnis verbundenen Probleme ganz überwiegend sachgerecht gelöst. Im Untersuchungsverlauf wurden einige Landesvorschriften erkannt, die als abweichend deklariert wurden, den vorbenannten kompetenziellen Ausübungsprämissen jedoch nicht genügen. Gleichwohl stellen sie das Instrument der Abweichungsgesetzgebung nicht dadurch in Frage, dass sie zu unüberbrückbaren Widersprüchen führen. Vielmehr weichen einige Regelungen schlicht deshalb nicht ab, weil sie etwa den bundesgesetzlichen Regelungsgehalt weitgehend wiederholen, oder mit Blick auf das Verordnungsrecht keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für untergesetzliche Abweichungen bieten. 15. Im Hinblick auf die europäischen Transformationsbefehle ist eine signifikante Erhöhung der Transformationstauglichkeit im Rahmen des Wasserwirtschaftsrechts zu vermerken, sofern die Überführung durch ein formelles Gesetz vorgenommen wird. Demgegenüber lässt sich ein erhebliches Konfliktpotential auf Ebene des Verordnungsrechts feststellen, denn die wasserwirtschaftlichen Vorgaben wurden zu einem erheblichen Teil auf die untergesetzliche Ebene delegiert. Das Verordnungsrecht des Bundes ist jedoch stets an die Zustimmung des Bundesrates geknüpft, was ein erhebliches Blockadepotential birgt.
III. Eine abschließende Bewertung 16. Das tradierte föderale Zusammenspiel im Bereich des Wasserhaushaltsrechts erhielt mit der Bereichsausnahme einen bundeseinheitlichen Kern. Trotz der neuen Möglichkeiten brachte die Reform einfachgesetzlich sowohl auf der Ebene des Bundes als auch der Länder nur vereinzelt neue Sachregelungen hervor, wenngleich der ausgelöste Anpassungsdruck erheblich war.
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Kap. 10: Zusammenfassung der Ergebnisse und Bewertung
17. Die in der Sachverständigenanhörung zur Verfassungsreform 2006 und in den Publikationen oftmals prognostizierten Komplikationen mit der Abweichungsgesetzgebung sind ganz überwiegend ausgeblieben. Unbenommen der anfänglichen Schwierigkeiten mit diesem neuen Instrument der Abweichungsbefugnis erkennt man im Konfliktpotential des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG im Rückblick auf die Rahmengesetzgebung ein vertrautes Bild mit lediglich neuen Facetten. Die Abweichungsgesetzgebung mit ihren Bereichsausnahmen enthält Elemente der Rahmengesetzgebung und wird letztlich von ähnlichen interpretatorischen Unsicherheiten begleitet.2 Im Kern lässt sich zusammenfassen, dass sie kein übersichtlicheres, sondern „einfach ein anderes Lösungsmodell“ für die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen ist.3 18. Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern bleiben stark miteinander verwoben. Eine nachhaltige Stärkung der Länderparlamente ist im Bereich des Wasserhaushaltsrechts nicht zu erkennen, insoweit gilt das vorstehend bereits zur Rahmengesetzgebung Gesagte. Problematisch ist die Einbindung des Verordnungsrechts in das Kompetenzmodell. Für eine Abweichung vom Bundesverordnungsrecht müssen die Länder jeweils wohl zumeist den Weg des Parlamentsgesetzes beschreiten. 19. Den zahlreichen Kritikern ist zuzugeben, dass die Befugnis zur Abweichungsgesetzgebung von den Ländern tendenziell als politisches Druckmittel bei der Gestaltung des Bundesrechts eingesetzt wird. Statt dieses Instrument zu nutzen, um die eigenen politischen Vorstellungen auf Landesebene durchzusetzen, dient es zumeist der kompromisshaften Interessenberücksichtigung. Zieht man aus dem Bisherigen die Summe und vergleicht die verschiedenen Ergebnisse, so wurde mit der neuen Kompetenzaufteilung und den darauf beruhenden Regelwerken der Grundstein zu einem bundeseinheitlichen Wasserwirtschaftsrecht unter Beibehaltung der föderalen Struktur gelegt.
2 Zu diesem Befund kamen auch die Teilnehmer des Umweltrechtstage Nordrhein-Westfalen, wiedergegeben bei P. Heuser, in: Durner (Hg.), Umweltgesetzbuch, 2009, S. 113. W. Erbguth, in: Ipsen/Stüer (Hg.), Fests. Rengeling, 2008, S. 35 (40); S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 GG Rn. 126, der zu Recht darauf verweist, dass das „Nebeneinander von Bundes- und Landesgesetzgebung […] auch dem bisherigen System der Rahmengesetzgebung nicht fremd [war, d. Verf.], ja nicht einmal dem System der konkurrierenden Gesetzgebung.“ 3 Zutreffend M. Kloepfer, Anhörung zur Föderalismusreform am 18. Mai 2006, Deutscher Bundestag, Rechtsausschussprotokoll 15, S. 33.
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Sachverzeichnis Abschaffungsgesetzgebung 219 AbwAG 51, 84, 99, 210, 216, 252, 254, 257, 262, 264, 266, 284–286, 310, 314, 315, 317, 320, 329, 333, 334, 337, 339, 355, 365 Abwandlungsklausel 239 Abwasser –– Anlagen 262, 308, 348, 352, 356, 357, 417 –– Beseitigung 43, 251, 299 –– Einleitung 278 –– Verordnung 279 Abwasserabgaben 283 Abweichungsgesetzgebung –– Abweichungsgründe. siehe Stoffoder anlagenbezogene Regelungen –– allgemeine Einschränkungen und Ausübungsvoraussetzungen 200 –– Anwendungsvorrang 65 –– Bedeutung des einfachgesetzlichen Regelungsbereichs 202 –– Bereinigungsfreundlichkeit des Bundesrechts 145 –– Doppelgesichtige Normen. siehe Verfahrensrecht –– Entstehungsgeschichte 62 –– Ergebnisse 137 –– Europarecht. siehe Europarecht –– im abweichungsfesten Sachzusammenhang 349 –– inhaltsgleiche und wortlautidentische Regelungen 207, 245, 398 –– Karenzzeit. siehe Karenzzeit –– Kennzeichnung. siehe Kennzeichnungspflicht –– Kritik 63 –– Motive der Länder 134 –– Ping-Pong-Gesetzgebung 167
–– Rechtsweg 217 –– Revisibilität der Regelungen 217 –– Struktur 61 –– von und durch Rechtsverordnungen. siehe Rechtsverordnungen –– Zitiergebot 236 –– zur Deregulierung 219 –– zur Konzeptbildung 184 Abweichungsklauseln 228 actus contrarius 401, 403 AEUV 156 Allgemeine Grundsätze 298 Allgemeine Sorgfaltspflichten 298 Anlagen –– bauliche 260, 342 –– in, an, über und unter oberirdischen Gewässern 263, 333 –– Nutzungsregelungen 271 –– technische 259 –– Überwachung 410 –– wasserwirtschaftliche 360 Anlagenverordnung 372 Annexkompetenz 407, 411 Antragserfordernisse. siehe Verwaltungsverfahren Anwendungsbereich 301 Arbeitsgruppe Föderalismus 81 Auslegung 169, 173, 177 –– Bedeutung des Klammerzusatzes 186, 249 –– Klammerzusatz 184 –– Kriterien 173 –– Regel-Ausnahme-Prinzip 179, 423 Bauplanungsrecht 342 Befugnisnormen 352 Begriffe 303
480 Sachverzeichnis Benutzungstatbestände 313 Betriebs- und Überwachungspflichten 352 Bewilligung 48, 92, 93, 98, 113, 116, 118, 120, 122, 136, 211, 235, 311, 312, 317, 318, 355 Bewirtschaftungspläne 43, 128, 165, 290–292 Bewirtschaftungsziele 278–280, 291 BImSchG 259 Binnenfischerei 325 Binnenschiffahrtsaufgabengesetz 46 Bodenrecht 350 Brücken 263–266, 268, 269, 332, 333, 348, 359 Bundesaufsicht 160 Bundesgesetzblatt 235, 240 Bundesnaturschutzgesetz 25, 222 Bundesrat 21, 23, 27, 58, 59, 61, 64, 65, 71, 73, 77, 80, 82, 84, 93, 100, 133, 135, 148, 152, 185, 223, 227, 234, 255, 283, 371, 397–399, 409, 410, 412 Bundestreue 71, 72, 103, 140–145, 147, 149, 150, 157–159, 161, 162, 167, 168, 422 –– Grundlagen 142 Bundeswasserstraßengesetz 37 Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser 95, 101 Bürgerliches Recht 308 Chemikaliengesetz 277 Definitionen. siehe Begriffe Deiche 269 Doppelgesichtige Normen. siehe Verfahrensrecht Duldungsgebote 356 Dumpingwettbewerb 137, 138 Durchgängigkeit 268, 326 EGBGB 309 Eigentumsgarantie 324 Einleitungsregelungen 274, 278
Einwirkungen, nachteilige 264, 266, 267, 289, 299 Emschergenossenschaft 35 Enquete-Kommission Verfassungsreform 63 Entschädigungs- und Ausgleichsmaßnahmen 351 Entwässerungsanlagen 357 Erforderlichkeitsgebot 44, 195 Erlaubnis 48, 49, 92, 98, 107, 116, 118, 136, 211, 214, 215, 232, 240, 311, 312, 316, 318, 319, 323, 355 Europarecht 53, 150 –– Abweichungsgesetzgebung 150, 251 –– Anwendungsvorrang 163 –– Transformationsdefizite 50 –– Transformationserfordernisse 163 –– Transformationstauglichkeit 150, 154 –– Verfristung 52 –– Verordnungsrecht 153 Finanzverfassung 284 Flussgebietseinheiten 165 Föderalismusreform –– Abweichungsgesetzgebung 62 –– Anpassungsgesetzgebung der Länder 103 –– Ausgangslage im Wasserrecht 48 –– Grundzüge 59 –– Koalitionsvereinbarung 399 –– Umsetzung durch die Länder 131 –– Umweltverfassungsrecht 85 –– Ziele 61 Form- und Fristerfordernisse. siehe Verfahrensrecht Gefahrenabwehrrecht 40 Gefahrgutbeförderungsgesetz 277 gehobene Erlaubnis 311 Gemeingebrauch 31, 99, 107, 125, 224, 240, 320, 321, 322, 323, 324, 325 Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 59, 77, 248
Sachverzeichnis481 –– Stellungnahme 410 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen 46 Gewässer 305 –– Aufsicht 216, 353, 360 –– Ausbau 307, 361 –– Begriff 281 –– Benutzung 34, 51, 240, 312, 313, 317, 325, 412 –– Bewirtschaftung 87, 297, 310 –– Eigenschaften 304 –– Eigentum 309 –– erheblich veränderte 166, 303, 305 –– hydrologische Betrachtung 305 –– Hydromorphologie 250, 268 –– künstliche 166, 303, 305 –– naturnahe 307 –– oberirdische 301, 304, 305 –– Ökologie 269, 278, 280 –– Randstreifen 100, 108, 110, 111, 114, 116, 118, 119, 121, 122, 125, 136, 186, 211, 212, 225, 230, 235, 286–289, 295, 319, 330, 331, 348, 360, 379, 380 –– Unterhaltung 56, 99, 113, 116, 120–122, 125, 126, 136, 213, 235, 280, 289, 307, 334, 361 –– Zustand 304 Gewässerbett 196 Gewässerkundliche Maßnahmen 310 Gewässerrandstreifen 286 Gewässerschutzbeauftragte 43, 352, 355 GHS-Verordnung 275 Grundstücksbewässerungsanlagen 257, 262 Grundwasser 257, 282, 301, 304, 322 Grundwasserverordnung 152, 278, 279, 363, 366 Grünlandumbruch 220, 290, 344, 348 Hafenanlagen 262, 263 Handlungsform. siehe Verfahrensrecht
Heilquellenschutz 302, 338 Hochwasserrisikomanagementrichtlinie 151 Hochwasserschutz 87, 250, 269, 270, 286, 359, 361 Inbezugnahmen 211 Indirekteinleiterverordnung 372 Industriekläranlagen-Zulassungs- und Überwachungsverordnung 279 Informalisierung 102 integrierte Vorhabengenehmigung 311 Kanalanlagen 286, 305 Karenzzeit 70, 131, 397, 422 Kennzeichnungspflicht 109, 245, 398, 422 Koalitionsarbeitsgruppe 299, 409 Koalitionsvertrag 81 Kostentragungspflicht 335 Küstengewässer 301, 304, 305 Landeswassergesetze –– Baden-Württemberg 106, 229 –– Bayern 49, 106, 107, 109, 124–129, 136, 138, 212, 214–216, 220, 221, 235, 236, 240–242, 288, 301, 311, 318, 320–323, 325, 331, 344, 355, 357, 361, 377, 378, 389, 393 –– Berlin 123 –– Brandenburg 109 –– Bremen 110, 111, 119, 124, 125, 128, 216, 235, 239, 311, 343 –– Entwicklung 47 –– Hamburg 123 –– Hessen 111, 112, 124, 128, 136, 220, 221, 235, 236, 240, 311, 321, 325, 353, 377 –– Mecklenburg-Vorpommern 112 –– Niedersachsen 112, 113, 124–129, 136, 138, 172, 211, 213, 214, 235, 291, 293, 302, 311, 320, 321, 334, 357, 367 –– Nordrhein-Westfalen 51, 113, 114, 115, 172, 235, 311, 357
482 Sachverzeichnis –– Rheinland-Pfalz 116, 117, 124–128, 138, 211, 235, 311, 325, 333, 345, 379, 380, 394 –– Saarland 117 –– Sachsen 51, 68, 118, 119, 124–128, 136, 139, 172, 235, 236, 239, 312, 315, 318, 320, 321, 330, 343, 345, 347, 348 –– Sachsen-Anhalt 120, 124–127, 136, 138, 213, 235, 236, 240, 242, 301, 302, 311, 320, 321, 334, 357, 377, 378, 389, 393 –– Schleswig-Holstein 121, 122, 125, 126, 128, 129, 136, 235, 302 –– Thüringen 122 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch 46 Maßnahmenprogramme 98, 126, 128, 290–293 Meeresstrategierahmenrichtlinie 95, 102, 126, 151, 153 Mindestwasserführung 326 Mitbenutzung von Anlagen 353 Morpohologie. siehe Gewässerökologie Nachbarrecht 310 nachteilige Einwirkungen. siehe Einwirkungen Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz 380 Niedersächsisches Gesetz über Verordnungen und Zuständigkeiten 402 Niederschlagswasser 232, 282, 285, 286, 320–322, 336, 357 Normenklarheit 238 Normqualität 217 Oberflächengewässerverordnung 279, 366 Öffnungsklauseln 171, 222, 245 –– bei stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen 231 –– Staatspraxis 224 Ökologie 40, 42
Paradigmenwechsel 24, 44 Parlamentarischer Rat 39 Planung 290, 292, 361, 416. siehe auch Maßnahmenprogramme Positionspapier der Ministerpräsidenten 79 Posterioritätsgrundsatz 66 Rahmengesetzgebung 23, 25, 36, 38, 44, 45, 57, 60, 63, 65, 76, 88, 98, 102, 110, 151, 164, 173, 185, 188, 238, 242, 309, 334, 358, 407, 426 REACH-Verordnung 275 Rechtsanwendungserlass 229 Rechtsfolgenverweisung 399, 404 Rechtsklarheit 234 Rechtsverordnungen 373 –– Abweichung 423 –– Abweichung durch Verordnungen 385 –– Abweichung von Ermächtigungs normen 377 –– Abweichung von Verordnungen 385 –– Abweichungsvoraussetzungen 388 –– Bayerisches Wassergesetz 393 –– Einbindung in die Abweichungs gesetzgebung 362 –– Ermächtigungsnormen 362, 365, 367, 369, 370 –– Landesnaturschutzgesetz SchleswigHolstein 394 –– Landeswassergesetz Rheinland-Pfalz 394 –– Landeswassergesetz Sachsen-Anhalt 393 –– Sperrwirkung 369, 371 Regalienwesen 34 Regeln der Technik 336 Reichswassergesetz 35 Risikomanagementpläne 128, 290, 291, 340 Rohrleitungsanlagen 42 schädliche Gewässerveränderung. siehe Einwirkungen, nachteilige
Sachverzeichnis483 Schmutzwasserkanal 285 Schwellenwerte 115, 116, 151, 366, 396, 416, 419, 420, 424. siehe auch Verfahrensrecht Selbstregulierung 222 Selbstüberwachung 356 Sperrwirkung 69, 170, 172, 367, 368, 372, 378, 390. siehe auch Rechts verordnungen Stand der Technik 304 Stauanlagen 99, 172, 207, 211, 257, 262, 269, 326 Stege 264 Stoff- oder anlagenbezogene Regelungen –– Abgrenzung 423 –– Abgrenzungskriterien 359 –– als Kernbereich des Wasserhaushaltsrechts 249 –– anlagenbezogene Regelungen 256 –– Anlagenbezug 271 –– Auslegung, allgemein 173 –– Auslegung, schutzzweckbezogene 267, 307, 354 –– Begründungserwägungen 83 –– Einwirkungen, nachteilige 264 –– Funktionszusammenhang 254 –– Grundlagen und Entstehung 76 –– Ingebrauchnahme der Abweichungsbefugnis 424 –– passiver Schutz 289 –– stoffbezogene Regelungen 272, 278 –– stoffbezogene Regelungen, Grund lagen 273 –– stoffbezogenes Fachrecht 274 –– Verzicht des Gesetzgebers 328 –– Wasser und Gewässer 281 –– WHG im Überblick 123 –– Ziele, Grundsätze und Zweckbestimmungen 252 –– Ziele und Grundsätze 280, 361 Stoffe, wassergefährdende 262, 278, 289 Straßengräben 264 Straßenseitengräben 107, 305, 306, 308
Strategische Umweltprüfung 415 Superioritätsgrundsatz 66 Talsperren 269 Trennungsmodell 77, 80 Trinkwasserverordnung 46 Überschwemmungsgebiete 341, 345, 347, 349 Umweltgesetzbuch 86, 250, 311, 312, 400, 409 Umweltqualitätsnormen 276 Umweltverträglichkeitsprüfung 113, 115, 258, 400, 415–420, 424, 447 Unberührtheitsklauseln 228 Verfahrensrecht 396 –– Abweichung durch Rechtsverordnungen 400 –– Doppelgesichtige Normen 418 –– Grundlegung des Art. 84 Abs. 1 GG 397 –– Schwellenwerte. siehe Schwellen werte –– stoff- oder anlagenbezogenes Verfahrensrecht 406 –– UVPG 415 –– Verwaltungsverfahren 405 Verfassungsreform 1994 369 Verordnung des Bundes über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen 258, 279 Verschlechterungsverbote 279 Vollregelung 44, 98 vorhabenbezogene Regelungen 80 Wasch- und Reinigungsmittelgesetz 46 Wasser, hydrologisch 282 Wasserabfluss 310, 347 Wasserbeschaffenheit 304 Wassergewinnungsanlagen 257, 262 Wasserhaushalt als Regelungsgegenstand 37 Wasserhaushaltsgesetz 91
484 Sachverzeichnis –– Bodenrecht 195 –– Entstehungsgeschichte 92, 95 –– Entwicklung 31, 39 –– Gesetzgebungsverfahren WHG 2010 255 –– Kompetenzgrundlagen 189 –– Küstenschutz 197 –– Recht der Energiewirtschaft 193 –– Recht der Wirtschaft 190 –– Vereinheitlichung 97 Wasserkraftnutzung 316, 327, 329, 360
Wasserrahmenrichtlinie 24, 44, 51–56, 81, 165, 166, 194, 249, 268, 276, 278, 279, 280, 281, 288, 291–293, 303, 326, 327, 366 Wasserschutzgebiete 99, 336–338 Wettbewerbsföderalismus 137, 139, 250 Widerspruchsfreiheit 140, 164 Ziele und Grundsätze 253, 298 Zitiergebot. siehe Abweichungsgesetzgebung Zweckbestimmung 253, 297, 301 Zwei-Naturen-Theorie 308