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German Pages 121 [122] Year 2003
Währung als Instrument zur Einheitsbildung
Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung Band 86
Währung als Instrument zur Einheitsbildung
Herausgegeben von Spiridon Paraskewopoulos
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-11141-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die Geschichte der Währungen zeigt, dass sie immer mehr waren als nur ein Tausch- und Zahlungsmittel. Sie waren und sind immer auch ein Stück Identität und ein Gradmesser politischer, wirtschaftlicher und nicht zuletzt sozialer Stabilität. Das gerade abgelaufene fünfzigjährige Leben der D M bestätigt diese Aussage in einer, wie ich meine, besonders eindrucksvollen Weise. Der mittlerweile fast vier Jahre alte EURO hatte am 01.01.02 seinen ersten öffentlichen Auftritt als bares Transaktionsmittel und ist sofort auszeichnungswürdig geworden. Er wurde nämlich mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen 2002 ausgezeichnet. Der Internationale Karlspreis gehört zu den bedeutendsten europäischen Auszeichnungen und wird seit 1950 an Persönlichkeiten und Institutionen verliehen, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben. Diese Auszeichnung erhält der EURO für seine vereinende Rolle in Europa und noch konkreter für seinen Beitrag zum Zusammenwachsen der Völker Europas. Der EURO trägt zu einer gemeinsamen europäischen Identität bei, stabilisiert die Gemeinschaft und hat damit eine friedensstiftende Wirkung. Der EURO unterstützt die zukünftige gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik und bildet die Basis für eine europäische Arbeits-, Sozial- und Gesundheitspolitik. So jedenfalls lautet denn auch die Begründung des Sprechers des Direktoriums der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen. Diese optimistische Erwartung über die zukünftige Rolle der gemeinsamen europäischen Währung resultiert meines Erachtens aus der Tatsache, dass der Prozess der europäischen Integration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Erfolgsgeschichte ist. Der europäische Integrationsprozess hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Kalte Krieg und die Teilung Deutschlands und damit Europas überwunden wurden. Heute stehen wir kurz davor, trotz aller Probleme, die noch zu lösen sind, dass die Europäische Union fast den ganzen europäischen Kontinent umfassen wird. Erfolge werden aber oft zu Routine und machen manchmal müde. Dies scheint gegenwärtig ein wenig sichtbar bei den Europäern zu werden. Denn obwohl die Zustimmung der europäischen Bevölkerung zur europäischen Einigung nach wie vor groß ist, so scheint sie doch momentan abnehmend zu sein. Vermutlich empfinden die Menschen den europäischen Alltag nicht als ihre eigene Sache. Der Mangel an Transparenz, Effizienz und demokratischer Legitimation werden als Ursachen für die Verlangsamung des europäischen Einigungsprozesses vorgebracht. Reformen der alten und Kreierung von neuen In-
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Vorwort
stitutionen sollen Innovationen und eine beschleunigende Dynamik des europäischen Integrationsprozesses bringen. Ist die Währungsunion eine solche Innovation? Die Jahrestagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung (GfD) vom März 2002 im Roten Rathaus zu Berlin stellt den Versuch dar, darauf eine kompetente Antwort zu geben. Gemäß diesen Anspruchs kann es sich bei den einzelnen Beträgen natürlich „nur" um ausgewählte Teilbereiche des währungspolitischen Integrationsprozesses Europas handeln. Die Bedeutung der Währungsunion speziell für den deutschen Einigungsprozess beleuchtet aus ökonomischer Sicht der Beitrag von H. J. Thieme, sowie aus politischer und soziologischer Sicht derjenige von H. Brezinski. Den Blick auf den historisch bisher einmaligen Fall der Wiedervereinigung Deutschlands im Zusammenhang mit dem Integrationsprozess Europas erachte ich als überaus wertvoll, weshalb auch in meiner Abhandlung über eine Währungsunion als Krönung oder Initialzündung eines Einigungsprozesses Parallelen zu den deutschen Erfahrungen gezogen werden. Allen Beiträgen gemein ist die Erkenntnis, dass von der Europäischen Währungsunion nur in dem Maße ein Integrationsschub ausgehen wird, in welchem sie funktioniert bzw. Probleme für andere Wirtschaftsbereiche oder Politikfelder bereitet. Insofern sei hier der Hinweis erlaubt, dass G. Rübel in seinem Eingangsreferat zur Veränderung der industriellen Agglomeration in Europa durch die Einheitswährung besonders auch auf das im Vorfeld gern diskutierte Gefahrenpotenzial einer Währungsunion eingeht. U. Vollmer indes untersucht in seinem Beitrag zum Thema Einheitswährung versus Währungswettbewerb die bestmögliche Erfüllung der Integrationsaufgabe sowohl unter dem Gesichtspunkt der Integrationsmethode als auch der Integrationssequenz. Die Abhandlungen von Th. Apolte und R. Hasse haben ebenfalls Gesamteuropa im Blick. Sie widmen sich zum einen dem Einfluss der Europäischen Währungsunion auf den Prozess der ökonomischen Integration Europas. Zum anderen wird die wirtschafts- und währungspolitische Konvergenz in der EU als ausreichendes Mittel für eine (weitere) Vertiefung der Integration untersucht. Abschließend möchte ich auf die überaus interessanten und bisweilen sogar emotional geführten Diskussionen im Anschluss eines jeden Redebeitrages hinweisen, die in der hier vorliegenden schriftlichen Fassung leider nur erahnt werden können. An dieser Stelle sei zuvorderst allen Referenten ganz herzlich gedankt, die mit ihren Ausarbeitungen den maßgeblichen Teil zum Entstehen des vorliegenden Bandes beigetragen haben. Mein besonderer Dank gebührt auch dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) fur seine großzügige finanzielle Förderung dieser Veröffentlichung. Danken möchte ich auch meinem Wissenschaftlichen Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Volksw. Soz.Wiss.R. Andreas Mikoleizik, für seine sorgfältige Arbeit bei der Erstellung dieses Werkes. Leipzig, im Juni 2003
Spiridon Paraskewopoulos
Inhaltsverzeichnis Gerhard Rübel Veränderung der industriellen Agglomeration in Europa durch die Einheitswährung? Uwe Vollmer Einheitswährung versus Währungswettbewerb in Integrationsprozessen? Hans Jörg Thieme Die Bedeutung der Währungsunion für den deutschen Einigungsprozess aus ökonomischer Sicht Horst Brezinski Die Währungsunion und ihr Einfluss auf den deutschen Einigungsprozess aus politikwissenschaftlicher und soziologischer Sicht Thomas Apolte Der Einfluss der Europäischen Währungsunion auf den Prozess der ökonomischen Integration Europas Rolf H. Hasse Währungs- und wirtschaftspolitische Konvergenz in der EU: Ausreichende Mittel für eine Vertiefung der Integration? Spiridon Paraskewopoulos Währungsunion als Krönung oder Initialzündung eines Einigungsprozesses? Verfasser und Herausgeber.
Veränderung der industriellen Agglomeration in Europa durch die Einheitswährung? Von Gerhard Rübel
I. Einleitung Mit dem Beschluss zur Verwirklichung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, Anfang der 90er Jahre, begann eine intensive und kontrovers geführte Diskussion über die ökonomische Sinnhafitigkeit dieses Projekts. Dabei stand auch wieder die Theorie optimaler Währungsräume auf der Tagesordnung, eine Theorie, die auf einen Beitrag von Mundell aus dem Jahr 1961 zurückgeht (Mundell, 1961) und die bereits bei der Kontroverse um feste und flexible Wechselkurse in den 60er und 70er Jahren im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion stand. (Vgl. ζ. B. Matthes / Italianer, 1991; Menkhoff / Seil, 1992; Aschinger, 1993; Ohr, 1993; Weifens, 1994.) In nahezu vollkommener Übereinstimmung kommen alle Autoren zu dem Ergebnis, dass das Gebiet der heutigen Europäischen Union keinen optimalen Währungsraum darstellt und dass mit jedem neuen Mitglied die Erfüllung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen weiter sinkt. Bei der grundsätzlichen Frage der ökonomischen Geeignetheit eines Währungszusammenschlusses stehen sich Vor- und Nachteile gegenüber.
I I . Transaktionskostenargument Güteraustausch zwischen Ländern setzt in der Regel den Tausch von Währungen voraus, wobei sich das Tauschverhältnis in der Zeit ändern kann. Hierdurch entstehen Kosten des Geldumtauschs, der Informationsbeschaffung über die zukünftige Wechselkursentwicklung und von Kurssicherungsgeschäften. Bei einer einheitlichen Währung fallen diese Kosten weg. Weitere Vorteile werden durch eine Erhöhung der Handelsintensität innerhalb eines Währungsraums und durch die Vermeidung einer Fehlallokation von Kapital, die durch erratische Wechselkursschwankungen hervorgerufen werden könnte, erwartet (vgl. Ohr, 1993). Die Europäische Kommission beziffert die durch eine Europäische Währungsunion induzierte Kostenersparnis auf jährlich zwischen 13
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Gerhard Rübel
und 19 Milliarden ECU, das entspricht etwa 0,5% des europäischen BIP (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 1991). Die Verteilung auf die einzelnen EU-Länder ist jedoch sehr unterschiedlich. Kleine, offene Volkswirtschaften profitieren stärker als größere, weniger offene Länder. So werden für die Bundesrepublik Deutschland nur relativ geringe Vorteile von 0,1% des Bruttoinlandsprodukts erwartet, während etwa für Belgien 0,9% prognostiziert werden. Der weitaus größte Teil der erwarteten Ersparnis resultiert aus dem Wegfall von Geldwechsel- und Überweisungskosten, wovon vor allem private Wirtschaftssubjekte profitieren dürften. Den zweifellos vorhandenen Vorteilen einer Währungsunion stehen - neben den enormen Umstellungskosten, die lange Zeit deutlich unterschätzt wurden auch ökonomische Nachteile gegenüber. Hier gibt es zunächst die eher spekulativen Argumente wie die Befürchtung einer mangelnden Stabilitätsorientierung der Europäischen Notenbank oder einer fehlenden Akzeptanz der neuen Währung auf den Weltfinanzmärkten. Vor allem aber steht das Problem der Überwindung asymmetrischer Schocks im Mittelpunkt, da in einer Währungsunion der Wechselkurs als Ausgleichsinstrument wegfällt.
I I I . Stabilisierungsargument Durch exogene Schocks, d. h. durch eine internationale Konjunkturübertragung, durch Weltmarktpreissteigerungen, durch internationale Nachfrageverschiebungen u. a. m. werden verschiedene Länder in unterschiedlicher Weise getroffen. Dies gilt auch für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Dadurch entsteht aber eine Anpassungsnotwendigkeit, für die prinzipiell verschiedene Instrumente zur Verfügung stehen. Eines dieser Instrumente ist, zumindest kurzfristig, der nominale Wechselkurs. Das wirtschaftlich schwächere Land müsste zur Verbesserung der Wettbewerbssituation seine Währung gegenüber dem wirtschaftlich stärkeren Land abwerten. Da neben dem Wegfall des nominalen Wechselkurses auch eine unterschiedliche Geldpolitik in einer Währungsunion nicht mehr möglich ist, verbleiben im Wesentlichen folgende Anpassungsmechanismen (vgl. z. B. Rübel, 1996; Siebert, 1996). Güterpreisflexibilität: Ungleiche reale Entwicklungen erfordern eine Veränderung des realen Wechselkurses. Wenn der nominale Wechselkurs als Anpassungsinstrument nicht mehr zur Verfügung steht, ist eine Veränderung des realen Wechselkurses nur durch eine Veränderung der Relation der Güterpreisniveaus zwischen den beiden Ländern möglich. Da aber durch den gemeinsamen Markt die Handelsintensität innerhalb der Europäischen Union gestiegen ist, hat sich auch der Anteil handelbarer Güter an den BIPs der einzelnen Länder erhöht. Dies und die bessere Vergleichbarkeit der Güterpreise, die zu einer verstärkten Arbitragetätigkeit führt, schränkt die Flexibilität der Güterpreisrelation
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zweier Länder innerhalb einer Währungsunion erheblich ein (vgl. Feldstein, 1991; Vaubel, 1993). Fiskalpolitik: Eine divergierende Fiskalpolitik zum Ausgleich einer unterschiedlichen realen Entwicklung ist, neben dem generellen Zweifel an der Tauglichkeit dieses Instrumentes zur Konjunktursteuerung, auch aufgrund der vereinbarten Staatsschuldenplafondierung kaum mehr möglich. Transferzahlungen: Ungleichgewichtssituationen sind durch einen umfassenden Finanzausgleich im Rahmen eines Systems interregionaler Transfers abzubauen. In der Währungsunion USA, die aber auch eine politische Union darstellt, wie sie es in Europa auf absehbare Zeit nicht geben wird, existiert ein solcher Finanzausgleich als Schockabsorber. Wenn das Einkommen in einem Bundesstaat um einen Dollar sinkt, wird es mit 0,35 bis 0,44 Dollar über fiskalpolitische Aktivitäten aufgestockt, zum größten Teil durch geringere Abführungsverpflichtungen, aber auch durch direkte Transferzahlungen der Bundesregierung (vgl. ζ. B. Berthold, 1993; Rhein, 1994). Ein solch umfassendes Finanzausgleichssystem in einer Währungsunion politisch selbständiger Staaten gefährdet jedoch aufgrund dann fehlender Anreize nicht nur die Anpassungsmöglichkeiten über die Märkte, es macht auch eine glaubhafte Gelddisziplin der Europäischen Notenbank erheblich schwieriger (vgl. Berthold, 1992; Ohr 1993). Außerdem ist von erheblichen Akzeptanzproblemen der Bevölkerung auszugehen. Faktormarktflexibilität: Damit verbleibt zum Ausgleich einer ungleichgewichtigen Entwicklung nur eine verstärkte Flexibilität auf den Faktormärkten. Ist durch eine reale Ungleichgewichtssituation die Arbeitslosenquote in einem Land gestiegen, so könnte diese durch eine Abwanderung des Faktors Arbeit und / oder eine Zuwanderung von Kapital gesenkt werden. Der Faktor Arbeit ist jedoch in Europa deutlich weniger mobil als etwa in den USA. Ein Vergleich der regionalen Nettowanderungsbewegungen in 64 Regionen der EG mit den 50 Staaten der sprachlich und kulturell integrierten USA in den 80er Jahren zeigt, dass die innergemeinschaftliche Arbeitsmobilität nur etwa ein Drittel des US-Niveaus erreicht (vgl. Eichengreen, 1990). Unterschiedliche Sprachen, aber auch ein ausgeprägteres Nationalbewusstsein sind Gründe hierfür. Die Mobilität des Produktionsfaktors Kapital ist zwar gegeben, seine Wanderung in wirtschaftlich schwächere Regionen setzt jedoch Anreize voraus. Da sich der Zins innerhalb einer Währungsunion zwischen den einzelnen Ländern nicht mehr unterscheidet, ist c. p. eine Lohndifferenzierung als Voraussetzung einer Wanderung des Faktors Kapital erforderlich. Dem Lohnbildungsprozess auf den nationalen Arbeitsmärkten wird also innerhalb einer Währungsunion eine erheblich gestiegene Bedeutung zur Bestimmung der makroökonomischen Rahmenbedingungen eines Landes zukommen, damit für seine Möglichkeit im Wettbewerb der Regionen um Arbeitsplätze bestehen zu können und somit
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Gerhard Rübel
letztlich auch fur die Frage, ob von der Währungsunion die europäische Integration positiv beeinflusst werden kann. Um eine Prognose über die langfristige Stabilität der Europäischen Währungsunion geben zu können, ist also zu untersuchen, ob das Auftreten asymmetrischer Schocks in der Europäischen union als wahrscheinlich anzusehen ist und, wenn ja,
Währungs-
ob die europäischen Arbeitsmärkte in der Lage sein werden, ihrer dann zunehmenden Bedeutung gerecht werden zu können.
IV. Thesen zur Wahrscheinlichkeit asymmetrischer Schocks Bei der Frage der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten asymmetrischer Schocks stehen sich zwei Thesen gegenüber. Auf der einen Seite steht etwa die europäische Kommission, die die Auffassung vertritt, das Auftreten asymmetrischer Schocks in einer bestehenden Europäischen Währungsunion sei unwahrscheinlich, da nur solche Länder Mitglied der Währungsunion geworden seien, deren Kerndaten sich angeglichen hätten. Der bisherige Integrationsprozess in Europa habe den Unternehmen Möglichkeiten eröffnet, Skalenerträge der Produktion in großem Umfang zu nutzen. Dies habe zu einer umfangreichen Produktdiversifikation und damit zu einem Anstieg des intra-industriellen Handels geführt. Die Wirtschaftsstrukturen der an der Europäischen Währungsunion beteiligten Länder seien also mittlerweile so ähnlich, dass die Gefahr asymmetrischer Schocks vernachlässigt werden könne. „Komparative Vorteile alten Stils, wobei die Länder ihre Produktion auf ganz bestimmte Erzeugnisse spezialisieren, spielen eine immer weniger wichtige Rolle" (Kommission der Europäischen Gemeinschaft, 1991, S. 25). Eine ähnliche Meinung vertritt auch Bofinger (Bofinger, 1994). Bereits Kenen (Kenen, 1969) habe ein hohes Maß an Produktdiversifikation als Kriterium eines optimalen Währungsraums charakterisiert. Der Behauptung, die Wirtschaftsstrukturen der europäischen Länder hätten sich im Verlauf des bisherigen Integrationsprozesses weitgehend angeglichen und asymmetrische Schocks seien deshalb zu vernachlässigen, wird jedoch auch widersprochen. So hat Tichy (Tichy, 1993) anhand verschiedener Kriterien wie den politischen Zielvorstellungen, den Inflationsraten oder den realen Wechselkursen festgestellt, dass die Heterogenität zwischen den EUMitgliedern, trotz jahrzehntelanger Mitgliedschaft in einer Zollunion, noch erheblich ist. Dies haben auch die EWS-Krisen von 1992/93 gezeigt. Die Länder der Europäischen Union haben einen unterschiedlichen Produktmix, sind unterschiedlich von Rohstoffimporten abhängig und besitzen unterschiedliche Produktions- und Exportstrukturen sowie unvollkommene Güter- und Faktor-
Veränderung der industriellen Agglomeration durch die Einheitswährung?
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märkte (Berthold, 1992). Es ist also mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass auch in Zukunft in einem Gebiet, das so groß, kulturell so stark diversifiziert und geographisch so unterschiedlich ist wie die Europäische Union, mit beträchtlichen asymmetrischen realen Schocks zu rechnen ist (vgl. ζ. B. Berthold, 1992, 1993; Issing, 1994). In einer vergleichenden Schockanalyse der EU-Staaten mit den USRegionen wurde gezeigt, dass die Stärke und die Asymmetrie von Störungen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite in Europa wesentlich größer ist als in den USA (Bayoumi / Eichengreen, 1992). Auch wurde nachgewiesen, dass in Europa asymmetrische Schocks auf regionalem Niveau, d. h. innerhalb eines bereits heute bestehenden Währungsgebietes, häufiger vorkommen als zwischen Ländern mit verschiedenen Währungen (De Grauwe / Vanhaverbeke, 1993). Dies kann auf den stärkeren Integrationsgrad innerhalb eines Währungsgebietes zurückgeführt werden. Überträgt man diese Tatsache auf eine Europäische Währungsunion, so folgt daraus, dass durch die Integrationseffekte der gemeinsamen Währung die Häufigkeit asymmetrischer Schocks nicht ab-, sondern zunimmt. Die Vorgehensweise der zitierten Autoren wird von Frankel und Rose (Frankel / Rose, 1998) kritisiert. Sie werfen den bisherigen Untersuchungen vor, sie seien rein statischer Natur. Sie benützten Vergangenheitsdaten, um aus ihnen Aussagen über die Optimalität eines Währungsraums abzuleiten. Dies sei jedoch ungeeignet. Ihre These lautet, dass nicht der Zustand vor Eintritt in die Währungsunion, sondern die Mitgliedschaft in der Währungsunion selbst die Voraussetzung für die Optimalität eines Währungsraums schaffe, die Kriterien also nicht ex ante sondern ex post erfüllt sein müssen. Die Optimalität eines Währungsraums sei also eine endogene Größe, sie werde durch die Währungsunion selbst geschaffen. Nun ist auch ein Ökonom kein Prophet, der die Entwicklungen in einer Währungsunion vorhersagen könnte. Nach Frankel und Rose schränken sich die Möglichkeiten jedoch ein. Es sei unbestritten, dass durch die Integrationskraft der Mitgliedschaft in einer Währungsunion die Handelsintensität zwischen den beteiligten Ländern steige. Dies kann zu zwei möglichen Zuständen führen. Alternative
1:
Die zunehmende Handelsintensität führt zu einer verstärkten industriellen Spezialisierung eines Landes, da sich im Zuge der Integration jedes Land auf solche Güter spezialisiert, für die es einen komparativen Vorteil besitzt. Diese in Heckscher- Οhl in- Tradition geführte Argumentation führt zu einer verstärkten Anfälligkeit der Länder gegenüber industriespezifischen Schocks und reduziert damit die Optimalität des Währungsraums.
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Gerhard Rübel Alternative 2:
Die zunehmende Handelsintensität führt zu einer verstärkten Ausnutzung von Skalenerträgen der Produktion und damit zu einem Anstieg des intraindustriellen Handels. Im Zuge dieses Prozesses gleichen sich die industriellen Strukturen der beteiligten Länder an und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Schocks symmetrisch verlaufen, was die Optimalität der Währungsunion erhöht. Frankel und Rose halten die Alternative 2 für die stichhaltigere. Sie stellen eine Untersuchung von 20 Industrieländern über einen Zeitraum von 30 Jahren vor, in der sie zu dem Ergebnis kommen, dass es eine positive Korrelation zwischen der Handelsintensität und der Gleichgerichtetheit von wirtschaftlichen Zyklen gibt. Sie argumentieren dabei über die Zunahme des intra-industriellen Handels im Sinne der Alternative 2. Das Ergebnis erinnert an die Prognose der EU-Kommission, die sich ja ebenfalls auf eine Angleichung der Wirtschaftsstrukturen berufen hatte. Diese Argumentation steht jedoch in Widerspruch zur These etwa von Paul Krugman (Krugman, 1991), der die Alternative 1 für wahrscheinlicher hält. In seiner Analyse verglich Krugman, in einer allerdings nur wenige Sektoren umfassenden Betrachtung, die räumliche Industriekonzentration in den USA und Europa. Er stellte einen signifikanten Unterschied fest. Der durchschnittliche Agglomerationsgrad war in den 70er Jahren in den USA wesentlich höher als in Europa. Krugman begründete dies mit dem zum damaligen Zeitpunkt noch relativ hohen Maß an Protektion innerhalb Europas und sagte eine Zunahme der Agglomeration im Falle steigender Integration voraus. Die Länder Europas würden sich dann im Sinne der Alternative 1 stärker auf solche Güter spezialisieren, für die sie komparative Vorteile besitzen. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten asymmetrischer Schocks nehme damit zu und die Optimalität Europas als Währungsraum ab. Es stehen sich also zwei Meinungen über die Entwicklung der industriellen Strukturen und damit über die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten asymmetrischer Schocks gegenüber, die sich in den beiden genannten Alternativen widerspiegeln. Beide berufen sich auf die Entwicklung der industriellen Strukturen in Europa. Es soll deshalb im Folgenden untersucht werden, wie sich diese in der Zeit nach der Untersuchung von Krugman aus den 70er Jahren verändert haben.
V. Industrielle Agglomeration in Europa Es soll die räumliche Konzentration der europäischen Industrie im Zeitraum von 1972 bis 1996 gemessen werden. Dies geschieht anhand von 52 Sektoren
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in 13 Ländern, Messgröße sind die Beschäftigtenzahlen. (Vgl. zu dieser Untersuchung Klüver / Rübel, 2001.) Die Vorgehensweise soll am Beispiel der Schuhindustrie für das Jahr 1992 verdeutlicht werden. Zunächst wird der Anteil der Gesamtbeschäftigung eines Landes an der Gesamtbeschäftigung in Europa (in den 52 betrachteten Sektoren) bestimmt. Man erhält damit die relative Größe der einzelnen Länder. Gleiches geschieht für den jeweils betrachteten Sektor. Man setzt also die Beschäftigtenzahl in der Schuhindustrie eines Landes in Beziehung zur Gesamtbeschäftigtenzahl dieses Sektors in Europa. Wenn keine Agglomeration existieren würde, dann müsste der Beschäftigtenanteil in dem betreffenden Sektor mit dem Anteil des Landes in Europa übereinstimmen. Übersicht 1
Beschäftigungszahlen und Spezialisierung in der Europäischen Schuhindustrie im Jahr 1992
Land
Gesamtbeschäftigung
in %
Austria
800 000
2,613
Belgium
750 000
2,390
Denmark
497 074
1,584
Finland
398 000
1,268
France
4 348 400
13,855
Germany
8 902 000
28,364
Greece Italy
317 439 4 853 200
1,011 15,464
952 000
3,033
Portugal
1 081 900
3,447
Spain
2 710 000
8,635
793 400
2,528
Netherlands
Sweden United Kingdom
4 961 250
15,808
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Gerhard Rübel (Fortsetzung
Land
Beschäftigte im
Übersicht 1)
in %
Schuhsektor
Spezialist rungsgrad
Austria
7 663
1,777
0,680
Belgium
1 600
0,371
0,155
Denmark
1 734
0,402
0,254
Finland
2 558
0,593
0,468
France
46 600
10,804
0,780
Germany
33 329
7,727
0,272
6 002
1,392
1,377
175 229
40,626
2,627
4 529
1,050
0,346
Portugal
63 186
14,650
4,250
Spain
43 755
10,144
1,175
981
0,214
0,085
44 200
10,253
0,649
Greece Italy Netherlands
Sweden United Kingdom
Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten der OECD (OECD 1987, 1997)
Setzt man den Sektoranteil eines Landes ins Verhältnis zum gesamten Länderanteil, so erhält man den relativen Spezialisierungsgrad des Landes. Ist dieser Anteil gleich Eins, so liegt keine Agglomeration vor. Bei einem überproportionalen Anteil des Sektors im betrachteten Land ist der Quotient größer als Eins, bei einem unterproportionalen Anteil kleiner als Eins. Ist ein Sektor in einem Land überhaupt nicht vertreten, so liegt der relative Spezialisierungsgrad bei Null. Nun trägt man die beiden Beschäftigungsanteile in ein Koordinatensystem ein, in dem auf der Ordinate der sektorspezifische Anteil und auf der Abszisse der Länderanteil abgetragen ist. Dabei geht man in der Reihenfolge des Spezialisierungsgrades von oben nach unten vor. Im Falle der Schuhindustrie beginnt man also mit Portugal, dann folgt Italien, Griechenland und Spanien. Verbindet man die dadurch erreichten Punkte, so erhält man eine Kurve, deren Steigung abnimmt, da ja der Sektoranteil von Land zu Land kleiner wird. Dies
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ist die relative Konzentrationskurve des betrachteten Sektors für ein bestimmtes Jahr. Je weiter eine solche Kurve nach oben hin gekrümmt ist, umso ungleicher ist die Verteilung der betreffenden Industrie in den europäischen Ländern. Das exakte Ausmaß der Konzentration kann man mit Hilfe eines GiniKoeffizienten bestimmen. Dieser misst die Fläche zwischen der Konzentrationskurve und der Diagonalen, bezogen auf die gesamte Fläche oberhalb der Diagonalen. Wenn ein Sektor gleichverteilt wäre, d. h. in jedem Land entspräche der Sektoranteil der relativen Bedeutung des Landes, so wäre die relative Konzentrationskurve die Diagonale und der Gini-Koeffizient hätte einen Wert von Null. Je größer die räumliche Konzentration eines Industriezweiges ist, umso näher liegt der Gini-Koeffizient bei einem Wert von Eins. Ein Wert des Gini-Koefflzienten von Eins würde bedeuten, dass die gesamte Aktivität eines Sektors sich auf ein einziges Land konzentriert.
Übersicht 2 Relative Konzentrationskurven der europäischen Schuhindustrie in den Jahren 1972,1982 und 1992
1972:
Footwear: 0,284
Kum. reg. Anteil an der Gesamtbeschäftigung
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Gerhard Rübel 1982:
Footwear: 0,364
Kum. reg. Anteil an der Gesamtbeschäftigung
1992:
Footwear: 0,4867
Kum. reg. Anteil an der Gesamtbeschäftigung
Quelle: Eigene Darstellung nach Daten der OECD (OECD 1987, 1997)
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Den größten Gini-Koeffizienten in Europa weist 1992 die Schuhindustrie mit einem Wert von 0,4867 auf. Deshalb auch das Beispiel. Wenn man sich für diesen Sektor die relativen Konzentrationskurven der Jahre 1972, 1982 und 1992 im Vergleich anschaut, so sieht man, dass die Agglomeration dieses Sektors deutlich zugenommen hat. Die gleiche Aussage erhält man, wenn man die Betrachtung auf alle Sektoren ausdehnt. Es ist im untersuchten Zeitraum eine kontinuierliche Zunahme der räumlichen Konzentration zu verzeichnen. Für die gröbere Unterteilung in neun Sektorgruppen kann man dies bis 1996 feststellen, für die Feingliederung in 52 Sektoren ist die Darstellung wegen Datenlücken nur bis 1992 möglich. Übersicht 3
Durchschnitt der Gini-Koeffizienten von 1972 bis 1996 a) Grobgliederung der Sektoren 0,19
Jahr
b) Feingliederung der Sektoren 0,23
p-
0,22
-
0.21
_
Jahr
Quelle: Eigene Berechnungen aus Daten der OECD (OECD 1987, 1997)
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Gerhard Rübel
Die Größe der Veränderungsrate weist allerdings signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren auf. Um diese Unterschiede genauer analysieren und um damit eine Aussage über die Ursachen der zunehmenden Agglomeration erhalten zu können, besteht die Notwendigkeit einer geeigneten Klassifizierung der Industriesektoren. Hierzu wird eine Systematik der OECD benutzt, die die Sektoren nach dem jeweils bedeutendsten Produktionsfaktor ordnet und die Industriesektoren in die vier Gruppen arbeitsintensive, forschungsintensive, skalenintensive und rohstoffintensive Sektoren gliedert (OECD 1987, 1997). Zur besseren Vergleichbarkeit wird im Folgenden die Feingliederung der Sektoren benutzt, bei der die Analyse wegen Datenlücken auf die Zeit bis 1992 begrenzt bleiben muss. Übersicht 4 Industrielle Agglomerationsentwicklung in Europa
1972
1992
Alle Industriesektoren
0,1771
0,2187
23,53
Arbeitsintensive Sektoren
0,1743
0,3029
73,81
Forschungsintensive Sektoren
0,1510
0,2293
51,83
Skalenintensive Sektoren
0,1691
0,1858
9,84
Rohstoffintensive Sektoren
0,2183
0,2256
3,34
rei. % Veränderung 1972 - 1992
Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten der OECD (OECD 1987,1997)
Arbeits- und forschungsintensiv kennzeichnen dabei den intensiven Einsatz von einfacher und von hochqualifizierter Arbeit, rohstoffintensiv den Einsatz von Bodenschätzen bzw. natürlichen Ressourcen, skalenintensiv sind Sektoren, die primär aufgrund der Möglichkeit, Größeneffekte der Produktion zu nutzen, ihren Standort gewählt haben.
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Man sieht nun, dass sich die Zunahme der industriellen Agglomeration zwischen den einzelnen Sektoren deutlich unterscheidet. Während das prozentuale Wachstum des durchschnittlichen Gini-Koeffizienten zwischen 1972 und 1992 23,5% beträgt, ist es bei den arbeitsintensiven Sektoren 73,8%, bei den forschungsintensiven 51,8%, bei den skalenintensiven 9,8% und bei den rohstoffintensiven nur 3,3%. Aus den (hier nicht aufgeführten) Einzeldaten wird auch deutlich, dass die hohe Zunahme der Agglomeration im arbeitsintensiven Sektor tendenziell auf die südlichen Länder Europas entfällt, während die Zunahme in forschungsintensiven Sektoren eher die Länder im nördlichen Teil Europas betrifft. Aus Daten der OECD ist wiederum bekannt, dass die nördlichen Länder Europas eher reichlich mit dem Faktor „gelernte Arbeit" ausgestattet sind, die südlichen Länder eher mit dem Faktor ungelernte bzw. billige Arbeit. Dieses Ergebnis klingt nun ganz nach klassischer Heckscher-OhlinArgumentation. Aufgrund des fortschreitenden europäischen Integrationsprozesses kam es seit 1972 zu einer Verminderung der Handelsbarrieren, zu einer Offenlegung der komparativen Vorteile und damit zu einer Intensivierung der Handelsbeziehungen zwischen den einzelnen Ländern. Dabei konnten offensichtlich Produktionsvorteile aufgrund unterschiedlicher Faktorausstattungen ausgenutzt werden, d. h. die südlichen Länder haben sich tendenziell auf die Produktion arbeitskostenintensiver Produkte, die nördlichen Länder auf die Produktion forschungsintensiver Produkte spezialisiert. Aufgrund der fortschreitenden Integration Europas sind weitere Agglomerationsbewegungen dieser Industriesektoren zu erwarten. Skalenintensive Sektoren weisen ein relativ geringes Wachstum ihres durchschnittlichen Gini-Koeffizienten auf. Man kann daraus den Schluss ziehen, dass Skalenerträge im Wesentlichen bereits vor 1972 genutzt wurden und bei der weiteren Integration Europas meist kein Grund mehr für einen besonders starken Anstieg der Agglomeration sind. Empirische Untersuchungen scheinen dies zu bestätigen. Danach ist der intra-industrielle Handel in Europa in den 50er, 60er und in der ersten Hälfte der 70er Jahre deutlich gestiegen und hatte Ende der 70er Jahre einen Anteil von über 50% des europäischen Gesamthandels erreicht. Seit dieser Zeit bleibt der Anteil jedoch rei. konstant. (Vgl. z. B. Greenaway / Hine, 1991; Brülhart / Eliott, 1998.) Die Gruppe der rohstoffintensiven Industriesektoren weist schon 1972 einen überdurchschnittlich hohen Wert ihres Gini-Koeffizienten auf. Das prozentuale Wachstum ist aber das geringste der vier betrachteten Gruppen. Auch das verwundert nicht, denn die ungleiche Verteilung der Bodenschätze, die bereits in der Vergangenheit zu einer stark ausgeprägten räumlichen Verteilung der
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betreffenden Sektoren geführt hat, wird durch die europäische Integration nicht verändert. Zusammengefasst ergibt sich aus diesen Ergebnissen die Schlussfolgerung, dass der europäische Integrationsprozess deutliche Auswirkungen auf die industriellen Strukturen der einzelnen Länder hatte und hat. Es zeigt sich jedoch, dass die Ausnutzung von Skalenerträgen und der Ausbau des intra-industriellen Handels im Wesentlichen bereits vor 1972 stattfand. Seit dieser Zeit ist der Grad der industriellen Agglomeration und parallel hierzu auch die Inhomogenität der Industriestrukturen der einzelnen europäischen Länder ständig weiter gestiegen und wird im Zuge der Ausnutzung des Binnenmarktprogramms sowie der Wirtschafts- und Währungsunion noch weiter zunehmen. Es ergibt sich dabei das Ergebnis, dass dieser Prozess primär nicht auf eine weitere Ausnutzung von Skalenerträgen zurückzuführen ist, sondern durch eine klassische Heckscher-Ohlin-Argumentation erklärt werden kann. Durch den Abbau von Hemmnissen jeder Art werden die relativen Vorteile der einzelnen Länder in stärkerem Maße sichtbar, was zu einer Spezialisierung gemäß der relativen Faktorausstattung führt. Dabei sind vor allem die ungelernten billigen sowie die gut ausgebildeten Arbeitskräfte die entscheidenden Faktoren für den weiteren Agglomerationsprozess in Europa. Als Schlussfolgerung für die Optimalität Europas als Währungsraum ergibt sich damit die Aussage, dass durch die zunehmende sektorale Spezialisierung und der damit steigenden Inhomogenität der einzelnen Länder die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten asymmetrischer Schocks zunimmt. Die fortlaufende Vertiefung der Integration hat die Optimalität Europas als Währungsraum also nicht erhöht, sondern, im Gegenteil, vermindert. Die Aussage von Frankel und Rose, dass es sich beim Optimalitätskriterium für einen Währungsraum um eine endogene Größe handelt, wurde zwar bestätigt, die hier abgeleitete Schlussfolgerung ist aber die genau entgegengesetzte, sie entspricht der Krugman-Position, also der Alternative 1. Mit der größeren Wahrscheinlichkeit für das Auftreten asymmetrischer Schocks wird aber auch die Existenz von Instrumenten zur Überwindung dieser Asymmetrien notwendiger. Wie oben diskutiert, sind es vor allem die europäischen Arbeitsmärkte, die verstärkt die Funktion als Ausgleichsinstrument übernehmen müssen.
VI. Implikationen für die europäischen Arbeitsmärkte Zur Frage, ob die Arbeitsmärkte der Europäischen Union in der Lage sein werden, ihrer gestiegenen Bedeutung gerecht werden zu können, ist auf eine
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intensive und kontrovers geführte Diskussion über das zu erwartende lohnpolitische Verhalten von Arbeitnehmern und Gewerkschaften innerhalb der Währungsunion zu verweisen (vgl. hierzu Belke, 1996; Kösters, 1996). Die optimistische Seite baut auf eine gestiegene Einsicht von Arbeitnehmern und ihren Vertretern und sagt eine verantwortungsbewusstere Lohnpolitik voraus. Den Gewerkschaften sei bewusst, dass überhöhte Lohnabschlüsse nicht mehr durch Abwertungen kompensiert werden können, sie brauchten auf der anderen Seite aber auch nicht zu befürchten, dass lohnpolitische Zurückhaltung durch Aufwertungen bestraft würde. Es komme also sowohl zu einer Erhöhung der beschäftigungspolitischen Verantwortung der Lohnpolitik als auch zu einer Steigerung ihrer beschäftigungspolitischen Wirksamkeit (Pohl, 1992; Matthes, 1992). Außerdem würden Nominallohnerhöhungen direkt auf die Lohnkosten und damit auf die Beschäftigung durchschlagen. Die Verantwortung für bschäftigungsinkonforme Lohnabschlüsse würde dadurch transparenter und könne weder auf die Notenbank noch auf den Staat abgewälzt werden. Die monetären Aktivitäten der Europäischen Notenbank seien glaubwürdiger als die einer nationalen Notenbank, wodurch Inflationserwartungen abgebaut und damit auch die Möglichkeit eingeschränkt werde, die negativen Folgen überhöhter Lohnabschlüsse über inflationäre Entwicklungen zu externalisieren (Matthes, 1992; Berthold, 1993). Auch der Staat könne nicht mehr in die Verantwortung gezogen werden, da durch die „no-bail-out" Klausel eine expansive Fiskalpolitik praktisch unmöglich geworden sei. Es könne dadurch sogar europaweit zu einer steigenden Lohnzurückhaltung kommen, da Regionen mit relativ schwach ausgeprägten Gewerkschaften durch Wettbewerbsmechanismen die Lohnpolitik in ganz Europa bestimmen könnten. Ein weiteres Argument ist der Wegfall des Schleiers unterschiedlicher Währungen und damit das Sichtbarwerden von Lohndifferenzen. Damit steige die Bereitschaft der Arbeitnehmer in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit oder negativer wirtschaftlicher Entwicklung, auch Lohneinbußen zu akzeptieren. Dies stärke die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und schaffe damit die Voraussetzung der wirtschaftlichen Erholung und des Rückgangs der Arbeitslosigkeit. Eine Währungsunion erhöhe also auch auf diesem Wege die Flexibilität der Arbeitsmärkte und gewährleiste so einen Ausgleich unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklungen. Dieser Erwartung einer höheren lohnpolitischen Disziplin in einer Währungsunion stehen jedoch auch gegenteilige Prognosen gegenüber. Die Vorstellung, Gewerkschaften würden von heute auf morgen einer größeren Lohnflexibilität zustimmen, um Produktivitätsunterschiede abzugleichen, sei eine Illusion. Es würde einen in Jahrzehnten entstandenen industrie- und sozialpolitischen Konsens untergraben. Die Gewerkschaften würden durch ein solches Verhalten zur Differenzierung von Einkommens- und Lebensbedingungen in
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einem sich ansonsten vereinheitlichenden Raum beitragen (Altvater / Mahnkopf, 1993). Dies werde mitunter deshalb nicht der Fall sein, weil es im Gegensatz zu oben dargestellter Erwartung auch innerhalb einer Währungsunion Möglichkeiten zur Abwälzung überhöhter Lohnabschlüsse gebe. Eine strikt stabilitätsorientierte Politik der Europäischen Notenbank sei fraglich, ebenso, ob sie jemals eine ähnliche Reputation wie die der Deutschen Bundesbank erreiche. Damit würden die Tarifpartner aber zunächst ihr Verhalten nicht ändern, sondern den Druck auf die Europäische Notenbank erhöhen, sich stärker an den Beschäftigungsproblemen zu orientieren. Die Zweifel an der strikten Stabilitätsorientierung der Europäischen Notenbank werde von den Tarifpartnern antizipiert und führe zu höheren Lohnabschlüssen. Auch die fiskalischen Konvergenzkriterien und die anderen verschuldungsrelevanten Bestimmungen und Vereinbarungen auf europäischer Ebene ließen Zweifel an der dauerhaften fiskalpolitischen Disziplin und der „no-bail-out" Klausel aufkommen. Länderspezifische Risikoprämien seien deshalb unwahrscheinlich. Wenn die Gewerkschaften dies als fiskalpolitischen Spielraum interpretierten, um beschäftigungspolitische Maßnahmen zu realisieren, so würde ein wesentlicher Anreiz zur Lohnzurückhaltung und damit zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit entfallen. Auch sei wenig plausibel, dass im bisherigen europäischen Währungsfaum mit seinen im Durchschnitt geringen Wechselkursschwankungen ein Ländervergleich der Entlohnungssätze nicht ebenso möglich war wie in einer Währungsunion. War dies der Fall und waren die Arbeitnehmer in Ländern mit relativ hoher Arbeitslosigkeit nicht bereit, einen Rückgang ihrer Löhne zu akzeptieren, weshalb sollten sie es dann in einer Währungsunion sein? Im Gegenteil werde durch die gestiegene Transparenz der Anreiz zu lohnnivellierenden europaweiten Lohnverhandlungen erhöht und führe in den ärmeren Ländern zu dem Wunsch nach rascher Angleichung der Löhne mit dem Argument der gleichen Entlohnung für gleiche Arbeit. Vernachlässigt werde dabei, ob gleichartige Leistungen auch gleiche Wertschöpfungen entstehen lassen. Sei dies nicht der Fall, so führe die Lohnangleichung unmittelbar zu Beschäftigungsproblemen (Fröhlich u. a., 1994; vgl. auch Rübel, 1998). Auch alle bisherigen Erfahrungen zeigten, dass Arbeitnehmer nicht bereit seien, auf Lohnzuwächse zu verzichten, wenn die Löhne in anderen Unternehmen steigen (Berthold, 1993). Auch die Gewerkschaften selbst hätten keinen Anreiz zur Lohndifferenzierung. Sie würden stets höher entlohnte Referenzgruppen als Basis für eigene Lohnforderungen heranziehen, um in den Augen ihrer Mitglieder als erfolgreich zu gelten (Molitor, 1995). So ist selbst bei betriebsspezifischen Lohnverhandlungen, wie etwa in den USA, zu beobachten, dass sehr schnell Interdependenzen zwischen den Abschlüssen in verschiedenen Unternehmen entstehen. Die grundsätzlich erforderliche Lohndifferenzierung wird damit als unwahrscheinlich angesehen, eher sei mit einer Änderung des wirt-
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schaftspolitischen Verhaltens von Regierungen für den Fall zu rechnen, dass Tarifparteien zu hohe Löhne ausgehandelt hätten und die Arbeitslosigkeit damit über ein gesellschaftlich zu tolerierendes Maß hinaus gestiegen sei. Es werde entweder zu einem politischen Druck auf die Europäische Notenbank kommen, eine expansivere Geldpolitik zu betreiben, oder - ungeachtet aller fiskalischen Vereinbarungen - zu einer stärkeren Verschuldung, um damit Beschäftigungsprogramme zu finanzieren.
V I I . Schlussfolgerungen Aufgrund der wegen der gestiegenen industriellen Agglomeration erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten asymmetrischer Entwicklungen in einer Europäischen Währungsunion und wegen des Fehlens geeigneter Ausgleichsmechanismen ist mit verstärkten Forderungen nach Ausgleichszahlungen zwischen den einzelnen Ländern zu rechnen. Neben der mangelnden Akzeptanz eines umfangreichen Finanzausgleichssystems in der Bevölkerung käme ein solches System auch einem Beschäftigungsversprechen in Europa gleich. Auch letzte Anreize für Lohnverhandlungsparteien, notwendige reale Anpassungen durchzuführen, würden damit verhindert und gleichzeitig würde die Orientierung der Arbeitnehmer an den Löhnen für vergleichbare Tätigkeiten in anderen Ländern gestärkt. Außerdem liegt in einem solchen Fall eine Lohnangleichung in Europa sowohl im Interesse der Arbeitnehmer in „ärmeren" wie in „reicheren" Ländern. Die ärmeren Länder werden versuchen, eine Angleichung der Pro-KopfEinkommen zu erreichen, gleichzeitig sehen die Arbeitnehmer in den reicheren Ländern in einer Lohnangleichung einen Schutz vor ausländischer Niedriglohnkonkurrenz (vgl. Belke, 1996). Ein innereuropäisches Transfersystem wäre damit nicht nur der Tausch marktkonformer Anpassungsmechanismen, wie Wechselkursflexibilität oder divergierende Geldpolitik gegen einen staatlichen Umverteilungsinterventionismus, auch der Zusammenhang zwischen Löhnen und Beschäftigung würde grundlegend verzerrt. Auch sollten die bisherigen Erfahrungen mit Regionalpolitik in Europa zu denken geben. In Italien ist es seit der Währungsunion von 1961 nicht gelungen, den Süden des Landes durch Transferzahlungen wirtschaftlich an den Norden heranzuführen (Altvater / Mahnkopf, 1993). Ähnliche, wenn auch noch nicht abschließend zu beurteilende Erfahrungen macht Deutschland mit den neuen Bundesländern. Der Hauptgrund liegt sicher in der Tatsache, dass durch Fördermaßnahmen vor allem einzelne Unternehmen in den weniger entwickelten Regionen finanziert werden, um sie an den Weltstandard heranzuführen. Damit entstehen jedoch noch keine „vernetzten Industriestrukturen" in den betreffenden Regionen.
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Wenn aber keine Mechanismen zum Abbau regionaler Unterschiede innerhalb einer Währungsunion existieren, so besteht die Gefahr, dass beim ersten größeren asymmetrischen Schock der gesamte europäische Integrationsprozess zum Stocken kommt.
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Einheitswährung versus Währungswettbewerb in Integrationsprozessen ? Von Uwe Vollmer
I. Alternative Wege in eine Währungsunion Zum 1. Januar 1999 haben elf der fünfzehn Mitgliedsstaaten der Europäischen Union den EURO per Dekret als gemeinsame Währung eingeführt, und inzwischen ist der EURO auch als Bargeld in Umlauf gesetzt worden. Griechenland ist Anfang 2001 als zwölftes Land der Europäischen Währungsunion beigetreten. Seither ist in diesen Ländern das Eurosystem mit der Konzeption und Durchführung der Geld- und Währungspolitik beauftragt und hat gemäß Artikel 105 EG-Vertrag das vorrangige Ziel, die Preisniveaustabilität zu gewährleisten; soweit dieses Ziel nicht beeinträchtigt wird, soll das Eurosystem ferner die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft unterstützen, um zur Realisierung der in Artikel 2 EG-Vertrag genannten Gemeinschaftsziele beizutragen. Diese bestehen darin, eine „harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, ein beständiges, nicht-inflationäres und umweltverträgliches Wirtschaftswachstum, einen hohen Grad der Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz; die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten zu fordern." Damit hat die monetäre Integration nach dem Willen der Gründungsväter der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion subsidiär auch eine realwirtschaftliche Integrationsaufgabe und dient dazu, die Wohlfahrt in den beteiligten Ländern zu stärken. Ob die gewählte Integrationsstrategie diese Aufgabe aber erfüllen kann, ist im Schrifttum umstritten: Bereits im Zusammenhang mit dem Anfang der 70er Jahre konzipierten Werner-Plan wurde die Integrationssequenz diskutiert und gefragt, ob die Währungsintegration am Anfang („Sockeltheorie") oder am Ende („Krönungstheorie") einer realwirtschaftlichen Integration stehen sollte. Darüber hinaus wurde im Vorfeld der jetzt begonnenen Europäischen Währungsintegration die geeignete währungspolitische Integrationsmethode diskutiert; dabei standen als Alternativen zur Diskussion die Schaffung einer Währungsunion durch politischen Akt oder die Vorgabe eines wäh-
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rungspolitischen Ordnungsrahmens, der den Wettbewerb zwischen verschiedenen nationalen Währungen oder zwischen diesen und einer zusätzlich zu schaffenden Gemeinschaftswährung ermöglicht (Überblicke bei Gros / Thygessen 1994, S. 328-342). Mit der Einfuhrung des EURO haben die zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion zwar diese Fragen nach Methode und Sequenz der Integration im Sinne der politischen Lösung vor Abschluss der güterwirtschaftlichen Integration beantwortet. Damit ist die Problematik der zu wählenden optimalen währungspolitischen Integrationsstrategie aber noch lange nicht vom Tisch, sondern stellt sich eventuell im Zuge der in den nächsten Jahren geplanten Osterweiterung der Europäischen Union erneut. Darüber hinaus existieren neben der EU weltweit noch weit über 140 regionale präferentielle Integrationsabkommen (PIA*s), zumeist als Freihandelszonen, seltener als Zollunionen (Überblick bei Langhammer / Wößmann 2002), für deren Mitgliedsländer sich eines Tages auch die Frage stellen könnte, ob die güterwirtschaftliche Integration durch eine monetäre Integration ergänzt und auf welchem Wege die monetäre Integration verwirklicht werden soll. Aus diesem Grund wird nachfolgend versucht, die beiden alternativen Wege einer monetären Integration - politische Integration durch Schaffung einer Einheitswährung oder Marktintegration durch institutionellen Wettbewerb zwischen Währungen - miteinander zu vergleichen. Die Beurteilungskriterien hierfür liefert die Theorie optimaler Währungsräume. Sie soll deshalb zunächst vorgestellt und es soll gefragt werden, worin die Nutzen und die Kosten einer durch politischen Akt geschaffenen Einheitswährung liegen (II.). Hieran anschließend wird der Vorschlag eines Währungswettbewerbs vorgestellt und gefragt, ob und unter welchen Bedingungen ein institutioneller Wettbewerb zwischen verschiedenen Währungen möglich ist (III.). Der letzte Abschnitt vergleicht die beiden Integrationsstrategien miteinander und endet mit einem vorläufigen Fazit (IV.).
I I . Theorien optimaler Währungsräume: Nutzen und Kosten einer Währungsunion Die Einführung einer gemeinsamen Währung bedeutet für die beteiligten Länder die Preisgabe von Wechselkursänderungen als Anpassungsmechanismus an asymmetrische gesamtwirtschaftliche Störungen und den Verzicht auf eine an nationalen Zielsetzungen orientierte Geldpolitik. Dies verursacht gesamtwirtschaftliche Kosten, hat aber auch volkswirtschaftliche Vorteile, die beide Gegenstand der Theorie optimaler Währungsräume (Mundeil 1961; McKinnon 1963; Kenen 1969) sind. Während die Kosten eher makroökonomischer Natur sind, haben die Nutzen einer gemeinsamen Währung eher mikro-
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ökonomische Ursachen (Überblick bei De Grauwe 2000, S. 58 ff.): Sie bestehen in der Ersparnis von Transaktionskosten, die durch Wegfall der Umtauschkosten begründet ist, Wohlfahrtsgewinnen durch verminderte Preisänderungsrisiken, einem innerhalb der Union intensivierten Wettbewerb und schließlich in einer steigenden weltweiten Nachfrage nach einer internationalen Transaktionsund Anlagewährung, die die Gewinne der Notenbank aus der Basisgeldproduktion („Seignorage") erhöht. Es ist zu vermuten, dass alle vier Nutzenkategorien mit steigendem Offenheitsgrad und wachsender Außenhandelsverflechtung zwischen den beteiligten Länder ansteigen. Erfasst man den Offenheitsgrad durch den Anteil des intragemeinschaftlichen Außenhandels am BIP der beteiligten Länder, ergibt sich zwischen beiden Größen ein positiver Zusammenhang, wie er nachfolgend in Abbildung 1 dargestellt ist (Krugman 1990). Je intensiver die Länder miteinander verflochten sind, desto größer sind die Vorteile einer gemeinsamen Währung. Nutzen und Kosten
Quelle: Angelehnt an De Grauwe (2000, S. 81)
Abbildung 1 : Nutzen und Kosten einer Währungsunion
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Ein ähnlicher, wenn auch negativer Zusammenhang lässt sich auch zwischen dem Offenheitsgrad der beteiligten Volkswirtschaften und den Kosten der Währungsunion vermuten. Diese sind begründet vor allem durch den Verzicht auf Wechselkursanpassungen bei Auftreten asymmetrischer gesamtwirtschaftlicher Störungen, die Volkswirtschaften unterschiedlich treffen. Sie bewirken gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte in den beteiligten Ländern, sofern die Nominallöhne nicht hinreichend flexibel oder die Arbeitsmärkte nicht hinreichend integriert sind {Willms 1995, S. 201 ff.; De Grauwe 2000, S. 5 ff.): Kommt es beispielsweise in Europa zu einer Nachfrageverschiebung von französischen zu in Deutschland produzierten Gütern, erfährt Frankreich eine Verschlechterung seiner Leistungsbilanz und (bei nach unten rigiden Preisen) steigende Arbeitslosigkeit, während es in Deutschland zu einer Verbesserung der Leistungsbilanz und einem Druck nach oben auf das Preisniveau kommt. Ohne die Möglichkeit einer Wechselkursanpassung können diese Ungleichgewichte nur beseitigt werden durch eine Nominallohnanpassung mit in Frankreich sinkenden und in Deutschland steigenden Nominallöhnen oder - sofern die Nominallöhne rigide sind - durch eine Arbeitskräftemigration von Frankreich nach Deutschland mit der Folge einer in Frankreich sinkenden und in Deutschland steigenden Güterproduktion. Sofern jedoch die Nominallöhne nicht hinreichend flexibel und die Arbeitskräfte nicht hinreichend mobil sind, führen asymmetrische makroökonomische Nachfrageschocks zu dauerhaften gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten in den an der Währungsunion beteiligten Ländern. Kontrovers ist, welche Bedeutung solche asymmetrischen makroökonomischen Schocks in einer Währungsunion haben können (Überblick bei Belke / Kösters 2000): Für Europa argumentiert die EU-Kommission, dass der größte Teil des innereuropäischen Außenhandels intrasektoral sei; aufgrund von Skaleneffekten und unvollständigem Wettbewerb werden sehr ähnliche Produkte gehandelt (Frankreich exportiert Automobile nach Deutschland und importiert zugleich Automobile aus Deutschland), so dass die Nachfrageschocks in den Mitgliedsstaaten symmetrisch wirkten und alle europäischen Volkswirtschaften in gleicher Weise träfen. Mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes werde sich die Tendenz zum intrasektoralen Handel weiter verstärken. Dem entgegen steht die Position Krugman s (1991), der mit Vollendung des Binnenmarktprogramms eine Zunahme des intersektoralen Handels in Europa erwartet, weil Handelsintegration zu einer verstärkten regionalen Konzentration der Industrieproduktion führt. Ähnlich wie die amerikanische Automobilproduktion im mittleren Westen konzentriert ist, lässt eine fortschreitende Gütermarktintegration eine verstärkte regionale Konzentration der europäischen Automobilproduktion (oder der Produktion anderer Industriegüter) erwarten, so dass sektorspezifische Nachfrageverschiebungen zukünftig stärker mit regionalspezifischen Schocks korrelieren.
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Welche der beiden Positionen die Entwicklung korrekt beschreibt, ist letztlich eine empirische Frage. Einige Untersuchungen (Artis / Zhang 1995; Frankel/Rose 1998) deuten eher in Richtung auf die Position der EU-Kommission und zeigen eine abnehmende Bedeutung asymmetrischer makroökonomischer Schocks. Hinzu kommt, dass der Tertiärsektor eine immer größer werdende Bedeutung an der Gesamtproduktion einnimmt und hier eine regionale Konzentration eher unwahrscheinlich ist. In diesem Fall sinken die Kosten der Währungsunion (in % des BIP) mit steigendem Offenheitsgrad der beteiligten Volkswirtschaften und entwickeln sich wie in obiger Abbildung 1 durch die durchgezogen gezeichnete fallende Gerade dargestellt. Als Konsequenz ergibt sich ein kritischer Offenheitsgrad Γθ > ab dem es sich für ein Land lohnt, der Währungsunion beizutreten, weil die Nutzen die Kosten übersteigen. Ob und inwieweit Mitgliedsstaaten der EU diesen kritischen Wert erreicht haben und einen optimalen Währungsraum bilden, hängt von der Größe der betrachteten Ländergruppe ab: Empirische Untersuchungen (Eichengreen 1990; Neumann / Von Hagen 1991; Bayoumi / Eichengreen 1993, Bayoumi / Eichengreen 1997; Klüver / Rübel 2001) deuten
daraufhin, dass die 15 EU-Mitgliedsländer keinen optimalen Währungsraum bilden und damit links von Tq liegen. Aus ökonomischer Sicht wäre damit eine Währungsunion zwischen diesen Ländern eine schlechte Idee. Demgegenüber dürfte eine kleinere Gruppe stärker miteinander verflochtener Länder (Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande und Luxemburg: EU-5) einen optimalen Währungsraum bilden und rechts von To liegen. Unklar ist, ob die jetzigen 12 Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion links oder rechts von Γο liegen. Damit liegt heute in Europa eine Situation vor, bei der ein Teilnehmerkreis an der Währungsunion aus politischem Kalkül a priori festgelegt wurde, ohne zu wissen, ob diese Ländergruppe tatsächlich einen optimalen Währungsraum bildet. Sofern dies noch nicht der Fall ist und auch die EU-12 links von ^q liegen, besteht die wirtschaftspolitische Aufgabe darin, die Kosten der Währungsunion zu senken und in Abbildung 1 nach links in die Position 1 zu verschieben, um damit den kritischen Offenheitsgrad auf T\ zu reduzieren (De Grauwe 2000, S. 81 f.). Um dies zu erreichen, müssen entweder die Divergenzen in den makroökonomischen Entwicklungen der Mitgliedsländer beseitigt oder die Flexibilität der Arbeitsmärkte erhöht werden. Da der Grad der Außenhandelsspezialisierung kaum innerhalb der Entscheidungsdiskretion der Wirtschaftspolitik liegt, besteht die vorrangige Aufgabenstellung darin, die nationalen Arbeitsmärkte institutionellen Reformen zu unterwerfen und Unterschiede in der Ausgabenentwicklung der öffentlichen Haushalte zu beseitigen, die eine wesentliche Ursache für national unterschiedliche makroökonomische Entwicklungen darstellen.
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I I I . Ist ein Währungswettbewerb möglich? Eine denkbare Alternative zu dem in der Europäischen Union begangenen Weg der Schaffung einer Einheitswährung durch politischen Akt stellt die Idee des Währungswettbewerbs dar. Sie geht ursprünglich auf Hayek (1976) zurück, der eine Währungsverfassung konzipierte, bei der die Geldproduktion ausschließlich privaten, miteinander im Wettbewerb stehenden Geschäftsbanken überlassen bleibt und staatlichen Zentralnotenbanken entzogen wird. Diese Geschäftsbanken emittieren unterscheidbare, in unterschiedlichen Recheneinheiten nominierte Banknoten, die in kein Außengeld einlösbar sind.1 Jede Geschäftsbank wählt einen Kundenkreis als Zielgruppe und versucht mit Hilfe ihrer Kreditvergabe, das Preisniveau eines Güterbündels („Warenkorbs") konstant zu halten, das möglichst weitgehend mit dem von der anvisierten Zielgruppe konsumierten Güterbündel übereinstimmt. Beispielsweise verspricht die „Α-Bank" das Preisniveau eines Warenkorbs zu stabilisieren, der von eher ökologisch orientierten Haushalten konsumiert wird, während die „B-Bank" ankündigt, das Preisniveau höherwertiger Konsumgüter zu stabilisieren, die typischerweise von „Besserverdienenden" verbraucht werden. Die einzelne Bank konkurriert um potenzielle Geldnutzer und muss bei fehlender Preisniveaustabilität befürchten, Kunden an den Anbieter anderer Währungsstandards zu verlieren. Damit kann der Wettbewerbsmechanismus disziplinierend auf die Geldproduzenten wirken und eine monetäre Überexpansion und somit Inflationsprozesse verhindern. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Banken ihre Kunden täuschen, indem sie die Produktion eines wertstabilen Geldes ankündigen, dann aber den Geldumlauf sehr stark ausweiten, hohe Inflationsraten herbeiführen und dann aus dem Markt ausscheiden; dazu besteht für sie ein Anreiz, sofern der erwartete Gewinn aus der Geldproduktion bei einer Hyperinflation größer ausfällt als die abdiskontierten erwarteten Gewinne aus der Geldproduktion bei Verbleiben im Markt (Seigin / White 1994, S. 173f.). Solch eine „Endgame-Situation" ist allerdings bei der privaten Geldproduktion nicht wahrscheinlicher als bei der privaten Produktion jedes anderen Gutes; schließlich könnte beispielsweise auch ein privater Automobilproduzent für die Qualität seines Erzeugnisses werben und dann ein minderwertiges Produkt auf dem Markt bringen. Entgegen diesem ursprünglichen Vorschlag Hayeks gehen Anhänger eines als praktikabel angesehenen institutionellen Währungswettbewerbs nicht so 1 Insofern unterscheidet sich das Konzept des Währungswettbewerbs von den historischen Free Banking-Perioden, in denen Banken in derselben Recheneinheit nominierte, aber in Gold oder ein anderes Außengeld einlösbare Banknoten emittierten. Zum Free Banking vgl. Dowd( 1992), White (1995) oder Vollmer (1996), S. 200 ff.
Einheitswährung versus Währungswettbewerb in Integrationsprozessen?
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weit, die vollständige Privatisierung der Basisgeldproduktion zu fordern, sondern möchten den Geldhaltern lediglich erlauben, zwischen verschiedenen (weiterhin von staatlichen Zentralnotenbanken produzierten) Währungen zu wählen. Dies setzt aber auch einige wichtige institutionelle Reformen in den geltenden Währungsverfassungen voraus, wie die Aufhebung des Annahmezwangs der nationalen Währung als das gesetzliche Zahlungsmittel sowie die Zulassung von Außenseiterkonkurrenz und damit die Möglichkeit, Geldeinheiten in anderer Wertbezeichnung als der nationalen Währung als Zahlungsmedium herzustellen und verwenden zu dürfen ( Vaubel 1990, S. 940). Da in Europa der freie und unbeschränkte Wettbewerb zwischen allen nationalen Währungen als politisch undurchführbar angesehen wird, wurde in der Vergangenheit ein Parallelwährungsansatz als alternative Integrationsstrategie vorgeschlagen. Der Plan sah vor, in jedem der beteiligten Ländern neben der nationalen Währung noch eine Korbwährung (wie bislang die ECU) umlaufen zu lassen, die dann mit der nationalen Währung im Wettbewerb um die Gunst der Geldverwender steht. Dabei sollen die Gewichte der einzelnen Währungen im Währungskorb von den Marktanteilen der nationalen Währungen (bewertet zu laufenden Wechselkursen) abhängen und regelmäßig (beispielsweise jährlich) angepasst werden. Das Gewicht einer Währung im Korb wird geringer, sofern diese Währung in ihrem Heimatland durch die Korbwährung ersetzt wird und an Marktanteil verliert; da hiervon wahrscheinlich die schwächeren Währungen betroffen sind, führt die „Gewichtsanpassung" zu einer Aufwertung der Korbwährung gegenüber den verbliebenen nationalen Währungen. Sobald die Korbwährung alle bis auf die stabilste Währung ersetzt hat, hört sie auf, eine Korbwährung zu sein und stimmt mit der attraktivsten nationalen Währung überein. Das Ergebnis wäre eine Währungsunion, die aber durch Wettbewerb und nicht per politischem Dekret herbeigeführt würde ( Vaubel 1990, S. 941). Damit allerdings solch ein Parallelwährungsansatz funktionsfähig ist, müssen die Wechselkurse zwischen den parallel umlaufenden Währungen flexibel sein, weil ansonsten „Gresham^s Law" wirkt und das „schlechte Geld" das „gute Geld" vom Markt verdrängt. Weist beispielsweise eine nationale Währung eine höhere Inflationsrate als die Korbwährung auf, werden Konsumenten ihre Konsumgüter oder Steuerzahler ihre Steuern in dieser Währung bezahlen, sofern der Wechselkurs zwischen beiden Währungen fixiert ist. Währungswettbewerb erfordert also, dass Preise in jeder Währung notiert werden und der Wechselkurs zwischen den parallel laufenden Währungen flexibel ist (De Grauwe 1994, S. 177 ff.). In Konsequenz entstehen hohe Transaktionskosten. Die Funktionsweise eines Währungswettbewerbs wird darüber hinaus durch die Tatsache erschwert, dass Geld ein Netzwerkgut ist, dessen Wert für einen einzelnen Nutzer auch davon abhängt, wie viele andere Personen dieselbe
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Währung verwenden (Dowd / Greenaway 1993): Selbst wenn es einer einzelnen Person sinnvoll erscheint, beispielsweise den USD als Zahlungsmittel zu verwenden, hängt ihre Entscheidung für den Dollar davon ab, wie viele andere Personen ihn ebenfalls als Zahlungsmedium verwenden. Umgekehrt kann es für eine andere Person zweckmäßig sein, beispielsweise den Rubel nicht mehr als Zahlungsmittel zu verwenden, aber ihre Entscheidung wird dadurch beeinflusst, dass andere Personen weiterhin den Rubel als Tauschmedium verwenden. Solche Netzwerkeffekte machen den Wechsel von einer Währung zur anderen schwierig und haben zur Konsequenz, dass es in der Vergangenheit sehr hoher Inflationsraten bedurfte, damit Wirtschaftssubjekte von einer Währung in die andere wechselten. Allerdings wurde solch ein Wechsel in der Vergangenheit auch dadurch erschwert, dass die nationale Währung als gesetzliches Zahlungsmittel fungierte und ein Verwendungsmonopol für bestimmte Zahlungsvorgänge (Steuerzahlungen) existierte.
IV. Realwirtschaftliche Integration durch Schaffung einer Währungsunion oder durch Währungswettbewerb? Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die im Titel gestellte Frage nach der richtigen währungspolitischen Integrationsmethode nicht abschließend zu beantworten ist: Der in Europa in der jüngeren Vergangenheit begangene Weg der Schaffung einer Währungsunion durch politischen Akt birgt die Gefahr in sich, dass zu große Ländergruppen ausgewählt werden, für die aus der Sicht der Theorie optimaler Währungsräume die Verwendung einer gemeinsamen Währung zu hohe Kosten verursacht. Deshalb muss die monetäre Integration baldmöglichst von einer politischen und wirtschaftlichen Integration begleitet werden, um die Kosten der Währungsintegration zu senken. Im Unterschied zur politischen Währungsintegration kann ein Währungswettbewerb als Entdeckungsverfahren wirken, durch das der Kreis von Ländern / Regionen ermittelt wird, für den es zweckmäßig ist, eine gemeinsame Währung zu verwenden. Der Währungswettbewerb stellt sicher, dass die monetäre Integration mit Abschluss der realwirtschaftlichen Integration erfolgt. Allerdings können wegen des Vorliegens von Netzwerkeffekten Zweifel an der Funktionsweise des Währungswettbewerbs angemeldet werden. Als Fazit läßt sich festhalten, dass die Schaffung einer Währungsunion durch politischen Akt damit besonders problematisch ist, wenn institutionelle Reformen insbesondere auf den Arbeitsmärkten nur schwer durchsetzbar sind. Auf jeden Fall wäre es aus ökonomischer Sicht immer vorteilhaft, anstelle einer Kunstwährung eine der bestehenden Währungen als gemeinsame Währung einzuführen, um zumindest einer Gruppe innerhalb der Währungsunion die Umstellungskosten zu ersparen (Dowd/ Greenaway 1993; Goodhart 2001, S. 4).
Einheitswährung versus Währungswettbewerb in Integrationsprozessen?
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Die Bedeutung der Währungsunion für den deutschen Einigungsprozess aus ökonomischer Sicht Von Hans Jörg Thieme
I. Währungsunion oder Ausweitung des Währungsgebietes? 1. Währungen sind entstanden, damit Tauschprozesse kostengünstiger abgewickelt werden können. Sie haben deshalb die Arbeitsteilung intensiviert und die Effizienz von Märkten verbessert. Sie haben insofern auch immer die Integration von Märkten unterstützt, Wirtschafts- und Lebensregionen von Menschen verknüpft und damit sicherlich auch Einigungsprozesse zwischen Menschen oder gar Völkern gefördert. Die Geschichte von Währungen und Staaten belegt das eindrucksvoll. Die Geschichte zeigt aber ebenso deutlich, dass eine einheitliche Währung keineswegs geeignet ist, vorhandene psychologische, soziologische oder politische Unterschiede zwischen Menschengruppen oder Regionen dauerhaft zu überdecken. Dies wurde in der jüngsten Geschichte beim Auseinanderbrechen der Staatengebilde Jugoslawien, Sowjetunion oder der CSSR sichtbar. In diesen Fällen sind immer neue Währungen entstanden; sie wurden auch als Instrument der politischen Trennung eingesetzt, wie die Gründung Sloweniens gut belegt (Thieme, 2002). Eine gemeinsame Währung aufzugeben ist somit immer verknüpft mit den Zielen einer Desintegration politischer oder ökonomischer Prozesse. Währungsunionen dürfen in ihrer ökonomischen und politischen Bedeutung also weder über- noch unterschätzt werden. 2. In Deutschland begann das „Disaster" (Pohl, 1990) mit der sogenannten Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 1.7.1990, die sehr schnell nach der friedlichen Revolution in der DDR und dem Mauerfall politisch vereinbart wurde. Einen Tag später wurden die Mark-Bestände der DDR sowie die Kredite zu den bekannten, ökonomisch falschen Preisen in DM getauscht (Thieme, 1994): Der Wechselkurs von durchschnittlich 0,55 DM je DDR-Mark für die Passivseite und 0,50 DM je DDR-Mark für die Aktivseite der Kreditbilanz der DDR (Deutsche Bundesbank, 1990a, 1990b) war - gemessen an Schwarzmarktkursen oder den Kursen im innerdeutschen Handel (1 DM = 4,4 Mark DDR) - eindeutig zu hoch (die Wechselkursdifferenz zwischen Aktiv- und
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Passivtausch in Höhe von 26,4 Mrd. DM wurde dabei als Ausgleichsforderung an den Staat verbucht). Wurde mit dieser Umtauschaktion tatsächlich eine Währungsunion etabliert? 3. Eine Währungsunion im Sinne des Entstehens einer neuen Währung in bislang separierten Währungsräumen mit unterschiedlichen Währungen, die durch ein System flexibler oder fester Wechselkurse miteinander verbunden waren, ist 1990 in Deutschland nicht entstanden. Es wurden nicht in bilateralen Verträgen ökonomische Konvergenzkriterien vereinbart, die nach einer Übergangs- und Anpassungsphase von beiden Vertragspartnern hätten erfüllt werden müssen und die dann zu einer Fixierung der auf den Devisenmärkten gebildeten (freien) Wechselkurse fuhren. Vielmehr wurde das Geltungsgebiet einer vorhandenen Währung (DM in Westdeutschland) durch politischen Beschluss auf ein anderes Gebiet (Ostdeutschland) ausgeweitet. Und dieser Beschluss wurde durch Druck der Menschen in der DDR (nicht deren Politiker!) ausgelöst. Die Androhung einer zügigen und umfangreichen Wanderungsbewegung nach Westdeutschland („Kommt die DM nicht zu uns, gehen wir zu ihr!") hat den zügigen Währungstausch erzwungen. Nicht das Krönungsmodell, also die Anpassung der ökonomischen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen und abschließendem Währungstausch, wurde verwirklicht, sondern die umgekehrten Abläufe wurden installiert und die DM als Instrument der Integration in Deutschland eingesetzt. 4. Mit dem zügigen Übergang zur gemeinsamen Nutzung der DM im vereinigten Deutschland sollten also verschiedene ökonomische, soziale und politische Ziele verwirklicht werden: -
Die Lebensaussichten der Menschen in der DDR sollten zügig verbessert werden; wirtschaftliche Leistungen - in DM bezahlt - sollten schnell wieder lohnenswert sein und dadurch eine dynamische Aufholjagd zum Abbau der ökonomischen und sozialen Unterschiede gegenüber Westdeutschland auslösen.
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Damit die notwendige, sehr kostenintensive Transformation des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems schnell gelingen und die marode Infrastruktur zügig erneuert werden konnten, bedurfte es massiver Anreize fur den Zustrom privaten Geldvermögens aus Westdeutschland und anderen kapitalstarken Marktwirtschaften. Die seit Jahrzehnten weltweit anerkannte DM-Währung bildete hierfür die beste Voraussetzung.
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Die DM sollte zudem den bereits seit dem Mauerfall eingesetzten Prozess der Abwanderung insbesondere der dynamischen, flexiblen und besser ausgebildeten Arbeitskräfte aus Ostdeutschland möglichst schnell abbremsen, weil ohne sie eine wirtschaftliche Aufholjagd unmöglich gewesen wäre.
Währungsunion und deutscher Einigungsprozess aus ökonomischer Sicht
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Schließlich galt es auch, den angestrebten und bereits eingeleiteten politischen Einigungsprozess unumkehrbar zu machen, was zum damaligen Zeitpunkt international keineswegs gesichert schien.
Es waren also recht unterschiedliche Motive und Ziele, die direkt oder indirekt mit der offiziellen Nutzung der DM in den neuen Bundesländern seit 1990 verfolgt wurden. 5. Aus der Sicht der DDR-Bürger handelte es sich um einen Währungsschnitt, bei dem die Sparer, Einkommensbezieher und Rentner allerdings nicht - wie 1948 bei der Währungsreform in Westdeutschland - drastische Währungsverluste hinnehmen mussten. Gemessen an den realen Kaufkraftpotenzialen konnten sie vielmehr - wegen des faktischen Wechselkurses - erhebliche Einkommens- und Vermögensgewinne realisieren. Aus der Sicht Westdeutschlands war es eine komplizierte Ausweitung des Währungsgebietes, die für die Deutsche Bundesbank damals erhebliche Risiken einer notwendigen geldwertneutralen Ausweitung der Tauschgeldbestände geschaffen hat. Faktisch hat sie diese Risiken hervorragend bewältigt. 6. Um die ökonomische Bedeutung der Entscheidung für eine gemeinsame DM-Währung für die politische Einheit Deutschlands beurteilen zu können, soll zunächst gefragt werden, welche alternativen währungspolitischen Handlungsmöglichkeiten hätten realisiert werden können und wie sie gewirkt hätten (II.). Vor dem Hintergrund dieser Effekte fällt die Beurteilung der Konsequenzen der Einheitswährung in Deutschland leichter (III.).
I I . Alternative währungspolitische Handlungsoptionen und ihre ökonomischen Effekte Will man die ökonomischen Effekte der deutschen Einheitswährung verstehen, empfiehlt es sich, über alternative währungspolitische Handlungsoptionen und deren Auswirkungen nachzudenken. Dadurch wird es möglich, die durch die Einheitswährung entstandenen Effekte einordnen und bewerten zu können. Die wichtigste Alternative zum eingeschlagenen Weg wäre die Beibehaltung der nationalen Währungen Mark in Ostdeutschland und Deutsche Mark in Westdeutschland gewesen - eine Alternative, die in den vergangenen Jahren immer mal wieder von jenen Sozialismus-Theoretikern in den neuen Bundesländern formuliert wird, die eine marktwirtschaftliche Neuorientierung auf Basis der DM heftig kritisiert haben. Nicht selten werden dabei gerade der DMEinführung jene ökonomischen Probleme angelastet, die in der Transformationsphase bis heute relevant sind.
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Hans Jörg Thieme /. Nationale Währungen und unterschiedliche
Wechselkurssysteme
Wären in Ostdeutschland die Mark und in Westdeutschland die DM beibehalten, also von getrennten Währungs- und Wirtschaftsgebieten ausgegangen worden, wäre das System der Wechselkurse und die faktische Höhe der Tauschkurse das zentrale Problem für die eintretenden ökonomischen Effekte. In einem System fester Wechselkurse (mit oder ohne Bandbreiten) und offenen Grenzen mit freiem Leistungsaustausch bestünde das Kernproblem in der Fixierung des Wechselkurses, ähnlich wie bei der tatsächlich durchgeführten Währungsunion: Eine ökonomisch begründete, auf Devisenangebot und nachfrage beruhende Tauschrelation bestand nicht. Die in der DDR offiziell festgelegten unterschiedlichen Tauschpreise (1 M : 1 DM; 4,4 M : 1 DM) jedenfalls erfüllten diese Anforderungen nicht. Auch die häufig als Orientierungsgröße herangezogenen Schwarzmarktpreise (West-Berlin) dürften wegen der fehlenden Marktbreite kaum die richtigen ökonomischen Relationen widerspiegeln, wenngleich sie noch am ehesten geeignet sind (Streit, 1998; Wingender, 1989). Der in der Literatur vertretenen Auffassung (Sinn, 1993, 65 ff.), die offiziellen Wechselkurse repräsentierten die langfristigen Kaufkraftparitäten und könnten deshalb ohne negative ökonomische Konsequenzen als Basis dienen, kann jedenfalls nicht zugestimmt werden. Die in den sozialistischen Planwirtschaften aufgestauten Geldüberhänge haben sich bei staatlichen Festpreisen nicht in Preisinflationsprozessen abgebaut, sondern einen systematischen Anstieg der Kassenhaltung bewirkt (Kassenhaltungsinflation). Dies galt auch für die DDR, wenngleich das Ausmaß der bei Festpreisen „zurückgestauten" Inflation geringer war als in einigen anderen sozialistischen Ländern (Thieme, 1998). Bei einer notwendigerweise nach dem Mauerfall in der DDR einsetzenden Transformation des Wirtschaftssystems und der damit verbundenen Dezentralisierung der Entscheidungsprozesse hätten auch die Preise freigegeben werden müssen. Dadurch wäre der Überhang an Mark-Beständen sehr schnell in Preisinflation umgewandelt worden. Das Ausmaß des dadurch induzierten Abwertungsdrucks der Mark-Währung wäre bestimmt gewesen durch die Höhe des Ausgangswechselkurses sowie die Geschwindigkeit der Preisinflation. Bei der schon vor der Wende bekannten chronischen Devisenknappheit hätte die Staatsbank der DDR nicht am Devisenmarkt intervenieren können, um die Abwertung der Mark zu verhindern. Die Interventionslast am Devisenmarkt hätte voll bei der Deutschen Bundesbank gelegen, die Mark-Bestände hätte kaufen müssen, um die drohende Markabwertung abzuwehren. Die MarkBestände - zumindest des privaten Sektors in Ostdeutschland - wären auf diesem Wege über den Devisenmarkt in DM getauscht worden, der Anteil von wenig werthaften - Mark-Beständen an den Währungsreserven der Deutschen Bundesbank wäre gestiegen und in Westdeutschland schrittweise ein Inflati-
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onspotenzial aufgebaut worden. Ob und inwieweit ein solches Szenario für Bundesregierung und Bundesbank tragbar gewesen wäre, ist sehr fraglich, selbst wenn man berücksichtigt, dass die quantitativen Effekte wegen der Größenrelationen der beiden Länder nicht dramatisch gewesen wären. Wäre als Alternative 1990 sofort ein System freier Wechselkurse vereinbart worden, hätte die Mark deutlich und schnell gegenüber der DM und anderen westlichen Währungen abgewertet. Berücksichtigt man mögliche overshootings als Folge einer hohen DM-Nachfrage des privaten Sektors (ζ. B. aus Furcht vor weiteren Markabwertungen), hätte die Exportnachfrage möglicherweise einen deutlichen expansiven Impuls für Nachfrage und Produktion in der DDRWirtschaft auslösen können und es wäre eine ähnliche Situation wie nach Kriegsende in Westdeutschland entstanden. Fraglich ist allerdings, ob Zustand und Organisation der DDR-Wirtschaft 1990 tatsächlich eine dynamische wirtschaftliche Aufholjagd erlaubt hätten. Häufige realignments des Festkurses, Erweiterung der Bandbreiten im Festkurssystem oder Freigabe des Wechselkurses wären die Folge gewesen. Eine Abwertung der Mark wäre dann nicht zu verhindern. Dies hätte verschiedene Konsequenzen gehabt, wobei die kurz- und mittelfristigen Produktions-, Beschäftigungs- und Einkommenskonsequenzen von den Einflüssen auf die institutionellen Anpassungen und damit die langfristigen Effekte zu unterscheiden sind.
2. Faktormobilität
bei Arbeit und Kapital
Unabhängig vom Wechselkurssystem wäre es also zu einer schnellen (freie Wechselkurse) oder verzögerten Abwertung (feste Wechselkurse) der MarkWährung gekommen, die den Abbau von Produktionskapazitäten und Arbeitsplätzen erheblich langsamer gestaltet hätte als bei der faktischen Einheitswährung. Da die Kaufkraft der Mark-Währung drastisch gesunken wäre, hätten viele Wirtschaftssubjekte aus Entwicklungs- und insbesondere aus den Transformationsländern preisgünstig Güter im Mark-Währungsgebiet kaufen können: Beispielsweise wären Trabant und Wartburg - mit marginalen Produktverbesserungen - wegen dieser Absatzchancen viel länger produziert worden. Sowohl die gesamtwirtschaftliche Produktion als auch die Beschäftigung wären bei einer solchen zeitlichen Streckung des Transformationsprozesses kurzfristig nicht so stark wie in der Realität eingebrochen. Dadurch wären auch die staatlichen Belastungen für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit kurzfristig geringer gewesen. Andererseits hätte die Reduktion der internationalen Kaufkraft der Mark die Güterimporte drastisch verteuert, was angesichts der lebensnotwendigen Rohstoff- und Investitionsgüterimporte eine deutliche Einkommensreduktion bei den DDR-Bürgern verursacht hätte. Ob und inwieweit sie dies ange-
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Hans Jörg Thieme
sichts des aufgestauten Nachholbedarfs bei Auslandsgütern und - insbesondere - Auslandsreisen akzeptiert hätten, ist sehr fraglich. Die Weiterexistenz der Mark hätte in einer schrittweise demokratisierten DDR mit dauerhaft offenen Grenzen bei drastischer Währungsabwertung aber besonders die Faktorwanderung beeinflusst. Dadurch wären die kurzfristig positiven Produktions- und Beschäftigungseffekte einer verzögerten Anpassung bereits mittelfristig überkompensiert worden: Zwar hätte die Abwertung unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen den Kapitalimport begünstigt, der ja für die Finanzierung der notwendigen Infrastruktur- und Unternehmensinvestitionen dringend erforderlich war. Politische Unsicherheiten in einer solchen Transformationsphase, aber auch ungeklärte Eigentumsrechte sowie fehlende Geld- und Kapitalmarktinstitutionen und ein nicht funktionierendes Bankensystem hätten ebenso wie die Unsicherheit über die zukünftige Währungsentwicklung sehr hohe Barrieren für einen Import privaten Kapitals gesetzt. Auf der anderen Seite wäre eine zügige Abwanderung des Faktors Arbeit sehr wahrscheinlich gewesen (Heering, 1998, 28 f.). Dies vor allem wegen der sehr niedrigen Mark-Einkommen, deren Beibehaltung ja Voraussetzung für positive Abwertungseffekte bei Produktion und Beschäftigung gewesen wären. Die dynamischen, flexiblen und qualifizierten Arbeitskräfte wären deshalb zügig in westliche Marktwirtschaften abgewandert, weil sie über ein international kaufkräftiges Einkommen an Wachstum und Wohlstand entwickelter Länder teilhaben wollten. Aus räumlichen, sprachlichen, soziologischen und kulturellen Gründen wären die Menschen besonders nach Westdeutschland gewandert. Gerade in einer Transformationsphase, in der diese Fähigkeitspotentiale besonders benötigt werden, um wirtschaftliche Stagnation oder gar Rückfall in die alten Lenkungs- und Leitungsstrukturen des administrativen Sozialismus zu vermeiden, wäre der Bestand an Humanvermögen schnell und drastisch reduziert worden. Unabhängig vom Wechselkurssystem sprechen also viele ökonomische Argumente dagegen, dass eine Beibehaltung der - wenngleich deutlich abgewerteten - Markwährung kurz- und mittelfristig vorteilhaft für die Bevölkerung in Ostdeutschland gewesen wäre.
3. Planungs-, Eigentums- und Unternehmensformen
Diese Argumentation wird bestärkt, wenn die institutionellen Konsequenzen einer - von vielen ehemaligen DDR-Politikern präferierten - Kooperation zweier selbstständiger Staaten mit je eigener Währung bedacht werden. Die zeitliche Streckung des Transformationsprozesses, der ja von der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung gewollt war, hätte die politisch unheilvolle und
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ökonomisch wenig effizienten Organisationsstrukturen der politischen und wirtschaftlichen Ordnung prolongiert. Die zentralistischen Planungs- und Entscheidungsstrukturen besonders in den sozialistischen Betrieben und Konzernen wären ebenso wie die Eigentumsverhältnisse konserviert worden. Die Demokratisierung politischer Prozesse und die notwendige Dezentralisierung ökonomischer Entscheidungsprozesse wären unterblieben - auch und gerade deshalb, weil die sozialistischen Führungskader in Partei, Politik und Wirtschaft gestärkt worden wären. Sie jedoch wollten die politische Unabhängigkeit und wirtschaftliche Selbstständigkeit der DDR ebenso erhalten wie die eigene Währung. Insofern wären die für eine zügige Marktorientierung notwendigen institutionellen Veränderungen verzögert und behindert worden, möglicherweise wären sie ganz unterblieben. Dies wird deutlich und einsichtig, wenn die Transformationsprozesse in den anderen ehemals sozialistischen Ländern betrachtet werden, in denen auch nach mehr als einem Jahrzehnt wichtige Institutionen fehlen, wie ζ. B. eindeutig definierte private Eigentums- und Verfügungsrechte oder funktionierende Geld- und Kapitalmärkte sowie Banken. Unter solchen Voraussetzungen wäre es nicht möglich gewesen, die Sanierung der maroden Infra- und Industriestrukturen zufinanzieren und die Überschuldungskrise des Staatshaushaltes in der DDR abzuwenden. Und dies wiederum war (und ist!) die zentrale Voraussetzung dafür, einen dramatischen Abwanderungsprozess der Menschen zu verhindern. Industrie- und Agrarbrachen und entvölkerte Sanierungsregionen wären das wahrscheinliche Ergebnis dieser Erhaltungsstrategie einer postsozialistischen Gesellschaft gewesen. Eine solche ökonomisch ineffiziente Lösung hätte das Trennende zwischen beiden Gesellschaftsformen betont und wäre bei offenen Grenzen politisch keinesfalls für eine längere Frist realisierbar. Die währungspolitischen Alternativen zur faktisch verwirklichten Einheitswährung waren also keineswegs ökonomisch effiziente Handlungsoptionen. Den politischen Einigungsprozess hätten sie sicherlich verzögert.
I I I . Die Einheitswährung in Deutschland und ihre Konsequenzen Mit dem Währungsumtausch im Jahre 1990 wurde sicherlich auch aus diesen ökonomischen Gründen ein anderer Weg eingeschlagen. Der Geltungsbereich der DM wurde auf Ostdeutschland ausgeweitet und damit eine Einheitswährung für Deutschland etabliert. Die Höhe des Wechselkurses wurde nicht nach ökonomischen, sondern nach politischen Kriterien festgelegt und hat deshalb zahlreiche Diskussionen - nicht zuletzt auch mit der Deutschen Bundesbank - ausgelöst (Streit, 1998, 692 ff.). Ein ökonomisch falscher Wechselkurs war auch bei der Einführung der DM im Jahre 1948 fixiert worden (4,20 DM je US-Dollar). Nach den Kaufkraftpa-
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ritäten wäre ein Wechselkurs von ca. 3,00 DM / US-Dollar ökonomisch angemessen gewesen. Diese drastische Unterbewertung der DM, die sich bis zur Aufgabe des Bretton-Woods-Systems fester Wechselkurse im März 1973 durch mehrmalige Aufwertungen der DM zurückbildete, hat den Aufschwung der westdeutschen Wirtschaft in den fünfziger und sechziger Jahren außenwirtschaftlich induziert. Die relativ niedrigen Preise der Inlandsgüter in Auslandswährung haben die Exportnachfrage über Jahre stimuliert, den deutschen Wirtschaftsaufschwung wesentlich bestimmt und zugleich die Exportlastigkeit der deutschen Volkswirtschaft begründet. Nicht ein „Wirtschaftswunder", sondern der ökonomisch falsche, für ein kleines, offenes Land sehr wichtige Wechselkurs hat die Nachkriegsentwicklung in Deutschland geprägt. Hätte man ein solches außenwirtschaftlich günstiges Startklima 1990 auch für die ostdeutschen Länder schaffen wollen, wäre - wie bereits erwähnt - ein Tauschkurs von ca. 8 Mark je DM angemessen gewesen. Bei einem geschätzten Kaufkraftparitätskurs von 5 Mark je DM wäre das Ausmaß der „Unterbewertung" ähnlich wie 1948 gewesen. Die tatsächlich gewählten Umtauschsätze für Bestands- und Stromgrößen entsprachen statt dessen faktisch einer deutlichen Überbewertung der Mark-Bestände, die Gläubiger begünstigte und Schuldner benachteiligte. Das deutliche Abweichen von den ökonomisch begründbaren Tauschrelationen hat - völlig unabhängig von der politischen Notwendigkeit einer solchen Lösung - den wirtschaftlichen Integrationsprozess wesentlich beeinflusst, wobei durchaus nicht alle Effekte positiv auf Intensität und Geschwindigkeit der Einigung gewirkt haben.
/. Zerschlagung des administrativen
Planungs- und Lenkungssystems
Der zügige und aus der Sicht der Deutschen Bundesbank technisch weitgehend problemlose Austausch der Mark-Währung gegen die Deutsche Mark war - ökonomisch interpretiert - ein massiver exogener Schock für die Organisation der DDR-Wirtschaft. In jahrzehntelangem Bemühen war eine die gesamte Volkswirtschaft umfassende Planungs-, Lenkungs- und Kontrollhierarchie aufgebaut, verändert, verfeinert worden mit dem Ziel, die Gesamtwirtschaft bis ins Detail zentral zu steuern. Ausgehend von den Zielen der politischen Führung (Zentralkomitee der SED) war es Aufgabe der staatlichen Plankommission, in Zusammenarbeit mit den Ministerien, den Vereinigungen volkseigener Betriebe (Sozialistische Konzerne), den volkseigenen Betrieben und allen gesellschaftlichen Organisationen (z. B. Arbeiter- und Bauerninspektionen, Ministerium für Staatssicherheit) einen jährlichen Volkswirtschaftsplan zu erarbeiten. Hatte dieser nach seiner Verabschiedung im Parlament Gesetzeskraft, waren die Plankennziffern verbindliche Planauflagen für die sozialistischen Konzerne, für die volkseigenen Betriebe sowie deren Abteilungen und Brigaden. Betrieb-
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licher und individueller Erfolg wurde am Grad der Zentralplanerfüllung gemessen und nicht an der Marktakzeptanz der produzierten Waren und Dienstleistungen. Die jeweils übergeordneten Instanzen bestimmten in diesem System auch die Quartals- und Jahresprämien, die einen nicht unerheblichen Teil der Einkommen ausmachten (Gutmann, 1983; Wagner, 1968). In diesem System konnten ökonomische Interessen dann gut verwirklicht werden, wenn sie in das differenzierte Beziehungsnetz zwischen betrieblichen, politischen und bürokratischen Institutionen integriert waren. Der exogene Schock der Währungsumstellung hat diese Netzwerke einzelwirtschaftlicher Vorteilsnahme bei gesamtwirtschaftlicher Ineffizienz zerstört. Ohne den massiven Druck, der durch die neue Währung und deren Konsequenzen für die betrieblichen Bilanzierungen, für die Marktorientierung der Produktion, für die innerbetrieblichen Leistungsmessungen und -bewertungen entstanden ist, wären die das alte System repräsentierenden Beharrungskräfte in den Betrieben, Betriebsorganisationen, sozialistischen Konzernen, Ministerien, Planungsämtern noch lange Zeit aktiv geblieben. Dies belegen eindrucksvoll die politischen und ökonomischen Entwicklungen in anderen Transformationsländern (ζ. B. Polen, Tschechien, Ungarn, Russland oder Bulgarien), die noch heute nach mehr als einem Jahrzehnt der Wende durch einen teilweise heftigen Kampf zwischen alten Partei- und Bürokratiekadern einerseits und marktwirtschaftlich orientierten Reformern andererseits geprägt sind. Der Währungsdruck hat diese ökonomisch ineffizienten Beharrungstendenzen in Ostdeutschland schnell und wirkungsvoll abgebaut. Hierin lag möglicherweise der wichtigste Vorteil der einheitlichen Währung.
2. Beschäftigungs-, Produktions-,
Einkommens- und Produktivitätseffekte
Der exogene Schock der Währungsumstellung hat sehr abrupt die tatsächliche Wettbewerbssituation der ostdeutschen Wirtschaft freigelegt. Um nicht missverstanden zu werden: Nicht die Einführung der DM, sondern die Ineffizienz des administrativen Sozialismus hat die DDR-Wirtschaft ruiniert! Entgegen den Statistiken, die noch Ende der achtziger Jahre in der DDR aufbereitet und auch von einigen westdeutschen Forschungsinstituten (ζ. B. dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung; siehe zu den statistischen Manipulationen auch von der Lippe, 1994) verbreitet wurden, zeigten bereits die ersten tatsächlichen wirtschaftlichen Kennziffern nach der Wende, dass die Infrastrukturausstattung in der DDR desolat, die technischen Rückstände in den Betrieben enorm, die Schuldenstände in den Staatsbetrieben und im Staatshaushalt sehr groß und die Konsumgüterversorgung der Bevölkerung unzureichend waren. Der Währungsschock hatte die Nachfrage nach Industriegütern drastisch reduziert und zahlreiche Betriebsschließungen wegen fehlender Aufträge oder
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Hans Jörg Thieme
wegen Liquiditätsmangel ausgelöst. Auch die Unkenntnis der Bevölkerung liber das Funktionieren marktwirtschaftlicher Prozesse begünstigte die krisenhafte Entwicklung. Die praktizierte umfangreiche Soforthilfe durch Zuwanderung von Humanvermögen aus Westdeutschland bewirkte nicht in allen Fällen die erhofften Lerneffekte, sondern löste häufig Abwehrreaktionen aus und baute Vorurteile auf oder bestätigte sie. Als Folge der mauerbedingten Trennung existierten umgekehrt auch keine Kenntnisse und Erfahrungen über das Funktionieren administrativer Planwirtschaften und die massiven Probleme einer radikalen Systemtransformation, wodurch auch ohne Sprachbarrieren erhebliche Verständnisschwierigkeiten bestanden. Weil auch die Nachfrage aus dem sozialistischen Ausland wegen des Währungsschocks und der Transformationsprozesse wegbrach, kam es zu einem dramatischen Produktionsrückgang in Ostdeutschland: Wie Abb. 1 zeigt, ist die Industrieproduktion bis 1991 in Ostdeutschland um mehr als 20 ν Η. gesunken. Da die wirtschaftliche Entwicklung 1991 / 1992 auch in Westdeutschland - wie in den USA, in Japan und anderen Industrieländern - deutliche Rezessionsmerkmale aufwies (negative Änderungsrate des realen Bruttoinlandsprodukts), konnten die währungs- und transformationsbedingten Produktionsausfälle nicht annähernd kompensiert werden. Sichtbar wird in Abb. 1 auch, dass die positiven Wachstumsraten der Industrieproduktion in dem ausgeprägten Wirtschaftsaufschwung in Ostdeutschland zwischen 1993 und 1995 deutlich über jenen in Westdeutschland lagen. in v.K
Jahr Datenquelle: EcoWin 2002
Abbildung 1 : Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland
Währungsunion und deutscher Einigungsprozess aus ökonomischer Sicht
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Seit der Währungsumstellung ist es zunächst zu einem deutlichen Anstieg der offenen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland gekommen (Corker, 1995, 21 ff.). Sie konnte zwar im folgenden Wirtschaftsaufschwung wieder bis auf ca. 1 Mio. Arbeitslose reduziert werden (Abb. 2). Seit 1995 ist jedoch ein anhaltender Anstieg der Arbeitslosigkeit auf ca. 1,4 Mio. Arbeitslose zu diagnostizieren, wobei besonders der steigende Anteil der Langzeitarbeitslosen (auf ca. 500.000) auffällt. Gleichzeitig ist die Zahl der Kurzarbeiter, die 1991 mit über 2 Mio. einen Rekord erreichte, bis 1993 auf ca. 100.000 zurückgegangen und stagniert seit 1995 auf diesem Niveau (Abb. 3). Diese Zahlen verschleiern aus verschiedenen Gründen das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit: in Tsd.
Jahr Datenquelle: EcoWin 2002
Abbildung 2: Arbeitslose in Ostdeutschland
Erstens haben zahlreiche Frühpensions-, Umschulungs- und Arbeitsbeschaffungsprogramme der Bundesanstalt für Arbeit, aber auch der Landesregierungen, die offiziellen Arbeitslosenmeldungen reduziert - ein Verfahren, das seit Jahren auch in Westdeutschland praktiziert wird. Zweitens schlug der dramatische Beschäftigungsrückgang nicht voll auf die Zahl der Arbeitslosen durch, weil insbesondere junge, qualifizierte Arbeitskräfte vor oder nach der Entlassung vorübergehend oder dauerhaft nach Westdeutschland oder auch ins Ausland ab- oder auswanderten.
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InTtaL 2100,0
9 1 9 2 9 3 9 4 9 5 Θ 6 9 7 9 Θ 9 Θ 0 0 0 1 0 2 Jahr Datenquelle: EcoWin 2002
Abbildung 3: Kurzarbeiter in Ostdeutschland
Drittens dürfte das Ausmaß halblegaler oder illegaler Arbeit in der second economy in einer solch turbulenten Transformationsphase besonders hoch und damit das statistisch ausgewiesene Beschäftigungsniveau deutlich niedriger sein als die tatsächliche Beschäftigung des Faktors Arbeit. Dieses Phänomen der Schwarzarbeit verfälscht - allerdings nicht aus währungs- oder transformationsbedingten Gründen - auch die Beschäftigtenzahlen in Westdeutschland erheblich (Smeets / Thieme, 2002). Viertens schließlich ist die offizielle Arbeitslosigkeit systematisch auch deshalb in Ostdeutschland angestiegen, weil es einzelwirtschaftlich durchaus sinnvoller war, Arbeitslosenunterstützung zu beantragen als einen Arbeitsplatz zu suchen oder anzunehmen. Begründet war dies in der unterschiedlichen Währungsumstellung der Löhne für Arbeit im offiziellen Sektor einerseits und der Sozialtarife andererseits. Die Löhne wurden als differenzierte VonhundertProzentsätze der DM-Tariflöhne vergleichbarer Branchen in Westdeutschland berechnet. Da die Sozialtarife aus sozialen Gründen nahezu 1 : 1 umgestellt wurden, war der absurde Fall denkbar, dass Arbeit ein geringeres verfügbares Einkommen erbrachte als staatlich finanzierte Nichtarbeit. In diesem Fall erhöhte ein gravierender ordnungspolitischer Defekt der Transformationspolitik die offizielle Arbeitslosigkeit: Nicht „entfesselte kapitalistische Gesetzmäßigkeiten", also Marktversagen auf dem Arbeitsmarkt, sondern schlichtes Staats-
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versagen aus sozialen Motiven waren die Ursachen dieses Beschäftigungseffektes. Auch und gerade bei den Beschäftigungseffekten in Ostdeutschland gilt es, Missverständnissen vorzubeugen: Unabhängig davon, ob die für Ostdeutschland statistisch ausgewiesene, offene Arbeitslosigkeit der tatsächlichen entspricht, ist sie weder durch die Währungsumstellung noch durch die weitgehende Preisfreigabe auf Güter- und Faktormärkten verursacht worden. Die über Jahrzehnte in den volkseigenen Betrieben und sozialistischen Konzernen entstandene, verdeckte Arbeitslosigkeit (Leisure on the job-Problem) ist vielmehr durch die Transformation des Wirtschaftssystems in offene Arbeitslosigkeit umgewandelt worden. Die sehr niedrigen Kennziffern der Arbeitsproduktivität in den früheren DDR-Betrieben sowie ihr systematischer Anstieg seit 1991 belegen diese Zusammenhänge empirisch (Abb. 4). Index 96*100 7010 60,0 500 40,0 300 -
2D0 , mo 000 900 800 -
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4Q0 300 200 -
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1" 94
I 96
I 96Jahr 97
1 1 1 1 9699000102 Datenquelle: EcoWin 2002
Abbildung 4: Output je Beschäftigten in Ostdeutschland
3. Volatilität
und realwirtschaftliche
Synchronisation
Die Zeitreihen zeigen eindrucksvoll die Produktions- und Beschäftigungseffekte, die nach dem monetären Schock der Währungsumstellung entstanden sind. Sie verdeutlichen auch, dass der Anpassungsprozess der ostdeutschen Wirtschaft an westdeutsche Produktivitäts-, Produktions- und Beschäftigungsniveaus bereits seit Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts
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zügig eingesetzt hat. Dies gilt auch für die durchschnittliche Lohnentwicklung, wenngleich ein völliger Gleichstand in einigen Branchen bislang noch aussteht. Angesichts der dort noch vorhandenen Produktivitätsunterschiede ist dies auch notwendig, wenn ein weiterer Arbeitsplatzabbau verhindert werden soll. In den ersten Jahren nach der Währungsumstellung war die realwirtschaftliche Volatilität - gemessen an den Produktions-, Einkommens- und Beschäftigungsindikatoren der Abbildungen 1 bis 4 - eindeutig höher als in Westdeutschland, was angesichts der fundamentalen Systemtransformation einschließlich der Währungsumstellung und der hierdurch bewirkten strukturellen Anpassung nicht verwundern kann. Bereits seit Mitte der neunziger Jahre sind die Schwankungen in Ostdeutschland deutlich zurückgegangen. Die Synchronisation der wirtschaftlichen Entwicklung in Ost- und Westdeutschland ist angestiegen. Das gilt auch für die Produktivitätsentwicklung (Abb. 4). Allerdings haben sich die neuen Produktionsstrukturen in den ostdeutschen Regionen nicht jenen in den westdeutschen Regionen und auch nicht an die alten Strukturen in der DDR angepasst. Dies wäre natürlich auch nicht wünschenswert gewesen, obwohl vielfach in Ostdeutschland heute noch gefordert wird, die „alte Industriestruktur in neuem Gewände" wieder aufzubauen, um dadurch die „alten" Fähigkeitspotenziale weiter nutzen und Arbeitslosigkeit ohne Anpassung des Humanvermögens leichter abbauen zu können. Diese Argumentation verkennt jedoch, dass gerade in zahlreichen westdeutschen Regionen (z. B. Ruhrgebiet) gegenwärtig schmerzvolle Anpassungsprozesse von der Industriestruktur hin zur Dienstleistungsgesellschaft angelaufen sind. Insofern wäre es äußerst fatal und ökonomisch unsinnig, solche Strukturen jetzt - möglicherweise durch Staatssubventionen finanziert - in Ostdeutschland aufzubauen, die in wenigen Jahren nur noch als modernes Industriemuseum touristisch genutzt werden könnten. Insoweit ist der Transformationsprozess in Ostdeutschland gerade wegen der gemeinsamen Währung viel schneller abgelaufen als in anderen Transformationsländern. Die realwirtschaftliche Volatilität hat bereits nach fünf Jahren abgenommen; es ist insofern eine Art „Normalität" in den wirtschaftlichen Aktivitätsschwankungen in Ost und West eingetreten.
4. Finanzierungsnotwendigkeiten
Bei dem Währungsumtausch in 1990 sind zwei Probleme gesamtwirtschaftlicher Finanzierung entstanden, die strikt zu unterscheiden sind: Erstens war die Erstausstattung Ostdeutschlands mit DM entsprechend dem festgelegten Tauschkurs zu finanzieren, wobei Bestands- und Stromgrößen gleichermaßen betroffen waren. Zweitens mussten alle Kredittilgungen, betriebliche und infrastrukturelle Investitionen sowie staatliche Transferleistungen finanziert werden.
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Die erste Finanzierungsaufgabe hatte die Deutsche Bundesbank zu bewältigen, die alle mit dem Währungstausch verbundenen technischen und organisatorischen Probleme hervorragend gelöst hat (Streit, 1998). Für das geldpolitische Steuerungskonzept der Deutschen Bundesbank ergaben sich ökonomische Risiken in zweifacher Hinsicht (Thieme, 1994): Geldangebotspolitisch bestand das Problem einer inflationsneutralen Geldmengenausweitung einerseits im faktischen Wechselkurs, zu dem Bestandsund Stromgrößen in DM getauscht wurden. Die Höhe des Wechselkurses wurde zuständigkeitshalber von der Bundesregierung - nicht von der Deutschen Bundesbank - aus den genannten Gründen falsch festgelegt. Andererseits bestanden erhebliche Unsicherheiten über die Höhe des ostdeutschen Güterbündels, das dem westdeutschen hinzugefügt wurde und als gesamtdeutsches Bruttoinlandsprodukt mit der gesamtdeutschen Geldmenge zu finanzieren war. Beide Probleme wurden durch die Größenverhältnisse zwischen ost- und westdeutschen Wirtschaftsregionen relativiert und von der Bundesbank gelöst. Der von der Bundesbank seit Anfang 1989 praktizierte geldpolitische Restriktionskurs wurde erst 1992 nach Abschluss der Währungsunion durch eine moderate und von der Bundesbank aus gesamtwirtschaftlichen Gründen beabsichtigte Geldmengenexpansion abgelöst. Unsicherheiten bestanden für die Bundesbank ferner bei der Prognose des Geldnachfrageverhaltens der ostdeutschen Bevölkerung. Wie sich empirisch schnell zeigte, entstanden keine außergewöhnlichen Einflüsse auf das gesamtwirtschaftliche Kassenhaltungsverhalten, so dass die Bundesbank auch für Gesamtdeutschland von einer längerfristig stabilen, jährlich geringfügig (0,5 - 1,0 v. H.) sinkenden Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des Geldes ausgehen konnte. Weder beim Geldangebots- noch beim Geldnachfrageverhalten wurde die Deutsche Bundesbank vor unlösbare Aufgaben gestellt; auch der faktische Wechselkurs hat nicht die befürchteten expansiven Geldmengenimpulse induziert. Die zweite Finanzierungsaufgabe war schwieriger und ist bis heute keineswegs gelöst. Auch hierfür hatte der Umtauschkurs eine entscheidende Bedeutung, weil u. a. -
hohe, von den Steuerzahlern zu finanzierende Verbindlichkeiten der staatlichen Betriebe entstanden sind
-
die Staatshaushaltsdefizite übernommen werden mussten
-
alle unmittelbar und umfangreich eingeleiteten Aus- und Aufbauarbeiten der desolaten Infrastruktur über Transferleistungen der Staatshaushalte und Unternehmen Westdeutschlands zu finanzieren waren; und schließlich
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-
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die vollständige Übernahme der sozialen Verpflichtungen einen hohen Finanzbedarf hat entstehen lassen.
Diesem in jedem Jahr erneut auftretenden Bedarf bei der Finanzierung zusätzlicher Ausgaben in Bundes- und Länderhaushalten standen reduzierte Steuereinnahmen gegenüber: In den neuen Bundesländern fehlten in den ersten Jahren nach der Wende transformationsbedingt die Steuereinnahmen fast vollständig. Beim Bund und in den alten Bundesländern sanken die Einkommensteuereinnahmen sehr drastisch wegen zahlreicher Steuersparmodelle für private Investitionen in den neuen Bundesländern (Rückgang der Einkommensteuereinnahmen von ca. 41,5 Mrd. DM in 1991 auf ca. 11,1 Mrd. DM in 1998). Schließlich sind die Subventionszahlungen an Unternehmen drastisch angestiegen. Insgesamt sind in den Länderhaushalten und im Bundeshaushalt erhebliche Finanzierungslücken entstanden. Wie so häufig in der Geschichte, wurden sie sehr schnell zu deutlichen Steuersatzerhöhungen (z.B. Solidaritätszuschlag zur Lohn- und Einkommensteuer in Höhe von 10 v. H.) genutzt, die entgegen den politischen Ankündigungen noch heute bestehen. Mit dieser Finanzierungsstrategie ist ein Kardinalfehler begangen worden, der möglicherweise resultierte aus der - politisch gestützten - Vorstellung, ein sehr dynamischer Aufholprozess in Ostdeutschland würde die Transformationsphase in wenigen Quartalen beenden. Gerade die angewendeten Finanzierungslösungen haben wesentlich dazu beigetragen, dass daraus eine Utopie wurde. Alternative Finanzierungsvorschläge wurden damals belächelt und verworfen: So hätte beispielsweise der Bund zur politischen Wiedervereinigung eine niedrigverzinsliche Staatsanleihe (Zinssatz 1 v. H.; Laufzeit 30 Jahre; Betrag 100 Mrd. Euro) mit Zweckbindung für Infrastrukturinvestitionen in den neuen Bundesländern auflegen können, die von den Bundesbürgern mit Sicherheit gekauft worden wäre. Gleichzeitig hätten 1990 auf breiter Front Privatisierungen von Staatsvermögen in Westdeutschland vorgenommen werden müssen. Dadurch wären damals nicht nur hohe Finanzierungsbeiträge für die Bewältigung des Wiederaufbaus in Ostdeutschland zur Verfügung gestellt, sondern gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur immer wieder (nur) geforderten Deregulierung und Reduktion der Staatsquote in Westdeutschland geleistet worden. Gleichzeitig hätten die hohen, von der Deutschen Bundesbank verwalteten nationalen Dollar- und Goldreserven auf ein Minimum reduziert und systematisch sowie möglichst geräuschlos auf den internationalen Devisen- und Goldmärkten verkauft werden können. Die Erlöse hätten als Anstoß für deutliche Einkommensteuersatzsenkungen eingesetzt werden können. Dadurch wären nicht nur Leistungsanreize im Inland entstanden, sondern zugleich über die Steigerung des verfügbaren Einkommens Konsumimpulse ohne drastische Erhöhungen der Tarifeinkommen ausgelöst worden. Schließlich wären Einkommens-
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Steuersenkungen ein wesentlicher Anreiz für ausländisches Kapital gewesen, aus Rentabilitätsgründen und ohne staatliche Subventionen in (Ost-) Deutschland zu investieren. Diese und andere intelligente, ökonomisch begründete Vorschläge zur Finanzierung der deutschen Einheit, die Anfang der neunziger Jahre den ordnungspolitischen Reformprozess in Westdeutschland angestoßen hätten, sind verworfen und nicht genutzt worden. Dadurch sind die heute sichtbaren, fatalen Staatshaushaltsdefizite bei hohen Steuersätzen und hoher Staatsquote entstanden, die wesentlich zur anhaltenden Wachstumsschwäche beigetragen und die wirtschaftlichen Standortfaktoren in Gesamtdeutschland verschlechtert haben.
IV. Ergebnis Die als Währungsunion bezeichnete Ausweitung des Geltungsbereichs der Deutschen Mark auf Ostdeutschland im Jahre 1990 hat - so lässt sich zusammenfassen - den Einigungsprozess in Deutschland aus ökonomischer Sicht maßgeblich beeinflusst: Erstens hat die von den ostdeutschen Bürgern erzwungene, zügige Währungsunion wegen des Tauschkurses der beiden Währungen erhebliche realwirtschaftliche Effekte gehabt, die kurzfristig als massive Insolvenzwelle sozialistischer Betriebe sichtbar wurden und einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge hatten. Zweitens hat die schnelle Einheitswährung den Zusammenbruch des administrativen Sozialismus und seiner bürokratischen Strukturen in der gesamten ostdeutschen Wirtschaft beschleunigt. Drittens hat der falsche Tauschkurs den Finanzierungsaufwand, der bei der Transformation des zentralistischen, administrativen Sozialismus in eine marktwirtschaftliche Ordnung entstanden ist, erheblich erhöht. Viertens hat die Deutsche Bundesbank die deutsche Währungsunion technisch, organisatorisch und vor allem aus der ökonomischen Sicht einer dauerhaften Inflationsvermeidung hervorragend umgesetzt. Fünftens hätten intelligentere Lösungen zur Finanzierung des hohen Kapitalbedarfs, der bei der Transformation der ostdeutschen Wirtschaft entstanden ist, angewendet werden können, wodurch die ökonomischen Ergebnisse des Transformationsprozesses verbessert worden wären. Sechstens schließlich wären der ökonomische Erfolg größer und damit auch die Einigungsqualität in Deutschland besser gewesen, wenn parallel mit der Währungsunion unmittelbar jene ordnungspolitischen Reformen (ζ. B. Steuer-,
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Arbeitsmarktreformen, Reformen der sozialen Sicherungssysteme) in Westdeutschland unverzüglich eingeleitet und umgesetzt worden wären. Dies unterlassen zu haben, hat die anhaltende Wachstumsschwäche und die Standortprobleme der deutschen Wirtschaft im vergangenen Jahrzehnt begründet.
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Die Währungsunion und ihr Einfluss auf den deutschen Einigungsprozess aus politikwissenschaftlicher und soziologischer Sicht Von Horst Brezinski
I. Einleitende Bemerkungen Mit der Einfuhrung des EURO als sichtbarem äußeren Zeichen der Vollendung der europäischen Währungsunion ist ein Faktum geschaffen worden, das in der Geschichte in dieser Dimension seinesgleichen sucht. Denn erstmals ist eine nationenübergreifende Währung von verschiedenen Staaten geschaffen worden, die nicht durch einen starken inflationären Prozess, durch eine wirtschaftliche Krise oder einen fundamentalen Strukturbruch verursacht worden ist. Der EURO hat Währungen abgelöst, die voll funktionsfähig waren, d.h. innere als auch äußere Stabilität aufwiesen (Isengard, Schneider 2001, S. 1). Der vorliegende Beitrag versucht sich der Problematik dieser Währungsunion bewusst nicht aus ökonomischer Perspektive anzunehmen, sondern die Währungsunion und ihre Auswirkungen auf den deutschen Einigungsprozess aus politikwissenschaftlicher und soziologischer Sicht zu beleuchten. Will man diesen Aspekten gerecht werden, so sind die Augenmerke auf die nichtökonomischen Funktionen einer Währung zu richten. Eine Währung ist eben nicht nur ein „technisches" Medium, dessen Benennung und Gestaltung gerade im soziologischen Sinne eine Rolle spielt. Neben rein ökonomischen Funktionen verkörpert eine nationale Währung auch immer eine Symbolik, wie ζ. B. die Identifikation mit einer Nation (Isengard, Schneider 2001 und Servet et al., 1997). Die Deutsche Mark wurde allgemein als ein Symbol des Wohlstands, Zeugnis des Wirtschaftswunders im westlichen Nachkriegsdeutschland und seit der Wiedervereinigung auch der deutschen Einheit angesehen. Das Euroland verkörpert nicht von vornherein den für eine Einheitswährung erforderlichen einheitlichen nationalen Raum und schafft daher Schwierigkeiten bei der Identifikation des Euros mit einem derartigen einheitlichen Raum (Herz 2001).
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Der EURO kann aus optimistischer Sicht1 erst zukünftig, zu einer gemeinsamen europäischen Identität beitragen, die Gemeinschaft stabilisieren und folglich auch eine friedensstiftende Wirkung haben. Zu fragen und zu untersuchen ist daher in diesem Beitrag, warum in Deutschland keine einheitliche Wahrnehmung des EURO im Ost- und Westteil vorhanden ist, und inwieweit die Diskrepanz in der Wahrnehmung des EURO zwischen Ost und West Probleme für den Fortgang des deutschen Vereinigungsprozesses aufwerfen könnte. Bevor wir dieser Fragestellung aus soziologischer und politologischer Sicht nachgehen, soll ein Blick auf die empirischen Daten geworfen werden, die etwas über die Wahrnehmung in der Bevölkerung widerspiegeln.
I I . Die Zustimmung zum EURO in Deutschland und den Mitgliedsstaaten der EU Die im folgenden vorgestellten Daten beruhen auf den Meinungsumfragen der Europäischen Union in Brüssel, die im Rahmen des Eurobarometers in den letzten Jahren regelmäßig erhoben und veröffentlicht wurden. Dabei ist speziell hervorzuheben, dass der Euro schon vor zwei Jahren eingeführt wurde, allerdings noch keine Noten und Münzen ausgegeben wurden, aber die nationalen Währungen in einem festen und nicht mehr korrigierbaren Verhältnis zum Euro festgelegt wurden (Welteke 2001). Während dieser Zeit reduzierte sich der Außenwert des Euro gegenüber dem US $ um ca. 25% (Hoevels 2002, S. 5). Die Tabelle 1 zeigt deutlich, dass die Zustimmung in Deutschland gerade den EU15 Mittelwert erreichte. Jedoch, wenn man das Vereinigte Königreich, Dänemark und Schweden ausklammert, lag der Wert unter dem EURO-Durchschnitt von 66 % im ersten Halbjahr 2001.2 Noch gravierender ist aber die Tatsache, dass die Zustimmung in Ostdeutschland mit 49 % weit unter dem EU-12 Durchschnitt lag.3 Allerdings ist festzuhalten, dass die Zustimmung zum EURO im Westen von 51 % im Herbst
1 Die Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises sah es so und hat daher am 9. Mai 2002 den EURO mit dem Internationalen Karlspreis im Jahr 2002 ausgezeichnet. 2 Eurobarometer 55 (2001), S. 46. 3 Die Befragungen der EU, die in Deutschland durch das EMNID-Institut durchgeführt werden, basieren auf Befragungen von weniger als 2000 Personen.
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2000 auf 62 % im Herbst 2001 gestiegen ist und in Ostdeutschland von 36 % auf 49 % in diesem Zeitraum sich erhöht hat.4 Die geringen Werte für Ostdeutschland, die mit denen Finnlands vergleichbar sind, stimmen nachdenklich. Diese Nachdenklichkeit wird noch größer, wenn man sich vor Augen hält, dass im Rahmen der Befragungen zum Eurobarometer sich immerhin 46 % der Ostdeutschen bezüglich des EURO gut bis sehr gut informiert fühlen, im Gegensatz zu nur 40 % unter den Westdeutschen.5 Hinzu kommt auch, dass mit 47 % der befragten Ostdeutschen ein genauso hoher Prozentsatz wie im Westen die Erweiterung der EU befürwortet und dies ist immerhin ein Problem, das gerade die Bevölkerung in den neuen Bundesländern mit eher größerer Besorgnis sieht. Es ist zwar zu konstatieren, dass das Meinungsbild im Osten gegenüber dem EURO sich schrittweise in eine positivere Richtung gewendet hat, jedoch gibt es noch einen erheblichen Abstand. Mit der Einführung des EURO als dingliches Geld dürften die Zustimmungsraten in sehr starken Maße nach oben gehen, wie die Januar/Februar gemachten Befragungen des Gallup-Institutes belegen. Jedoch sind diese Befragungen noch nicht nach Ost und West differenziert. Immerhin fühlten sich danach 56,2 % in Deutschland glücklich mit dem EURO. Als praktische Konsequenzen wurden in der EU von 95,7 % der Befragten gesehen, dass das Leben der Reisenden erleichtert wird, 91,2 % meinten, dass die Käufe in der EURO-Zone vereinfacht werden (European Commission 2002, S. 43), 87,4 % sahen, dass man die Preise leichter vergleichen kann, und immerhin 79,8 % glauben, dass die Überweisungskosten sinken bzw. 77,5 %, dass die Kosten der Nutzung von Scheckkarten reduziert würden. Es scheint, dass spezielle Vorteile des Übergangs zu einer Einheitswährung erkannt werden. Die Preisanstiege gerade zu Beginn des Jahres für einzelne Produkte, wie Gemüse und Obst aber auch im Dienstleistungsbereich, haben dann aber nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien und Griechenland zu massiven Protesten in der Bevölkerung geführt, da sich die Befürchtungen bezüglich eines Ansteigens der Inflationsrate beim dinglichen Übergang zum Euro zu bestätigen schienen. Die Proteste fielen aber in Deutschland in Ost und West nicht unterschiedlich stark aus, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre, da letztlich keine Alternative zum Euro mehr existiert. Trotz dieser Anzeichen für eine weitere Konvergenz in den Einschätzungen bezüglich des Euro zwischen Ost und West soll in den folgenden Abschnitten nach den Gründen für die unterschiedliche Wahrnehmung des EURO in Ost- und Westdeutschland gefragt werden. Beginnen wir
4 5
Eurobarometer 56 (2002), S. 11. Eurobarometer 55 (2001), S. 31.
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zunächst mit Erklärungsversuchen aus soziologischer und psychologischer Sicht.
I I I . Soziologische und psychologische Erklärungen für die unterschiedliche Zustimmung zum EURO in Ost- und Westdeutschland Aus soziologischer Sicht ist Geld ein Mittel, das einerseits kulturelle und soziale Barrieren und auch Bindungen auflöst, andererseits Menschen voneinander abhängig werden lässt. „Kollektivgefühle sind mit der gemeinsamen Währung und der Wirtschaftsverflechtung verbunden."6 Der Übergang zum EURO wird weithin als „ein äußerst komplexer sozialer Übergang mit - ökonomischen, kulturellen und anderen Verflechtungen, der in der Wechselwirkung zu anderen Prozessen und Systemen des sozialen Lebens steht", wahrgenommen (Vicente Pérez Plaza 1997). Aus soziologischer Sicht kann dementsprechend der Wegfall nationaler Währungen und die Übernahme des EURO nicht auf rein technische Probleme und ökonomische Fragen reduziert werden. „Eine Währung produziert globale Werte einer Gesellschaft und ist zugleich ihr Ausdruck."7 So zitiert etwa der Soziologe Klaus Feldmann in seiner Einführung in die Soziologie einen Artikel des Spiegels aus dem Jahre 1998: „Die Deutsche Mark ist zum Mark der Deutschen geworden. Nach dem Missbrauch aller kulturellen und moralischen Werte und nationalen Traditionen durch die Nazis war die harte westdeutsche Nachkriegswährung eine Art identitätsbildendes Merkmal der neuen Republik und ihrer Bürger geworden."8 Für die Ostdeutschen trifft diese gefühlsmäßige Einstellung gegenüber der DM noch stärker zu, denn sie wurde 1990 sowohl als Zeichen des Wohlstands als auch als Merkmal der deutschen Einheit gesehen. Die Währung hat gerade in Ostdeutschland Solidaritätsbeziehungen geschaffen. Mit der Aufgabe der DM, ohne einen einheitlichen gewünschten politischen Raum zu haben, ist die Zustimmungsquote geringer bzw. die Ablehnungsquote höher. Letztere wird nur von der Finnlands unter den EU-12 übertroffen. Die Befürchtungen werden deutlich, wenn man sich die Angst vor dem Missbrauch bei der Preisumstellung im Frühjahr 1991 in der Tabelle 2 anschaut. Dieser Wert ist mit 79 % eindeutig der höchste von den EU-12 Staaten. Er beruht auf * Feldmann, K. (2001), S. 209. 7 Servet, J.-M. (2001), S. 3. 8 Spiegel, 1998, Nr. 30, S. 32 zitiert nach Feldmann, K. (2001), S.209.
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den Erfahrungen, die man nach der Wende 1990 gemacht hat. Und einige Wirtschaftssektoren scheinen dies auch nach dem 1.1.2002 zu bestätigen. Die Europäische Zentralbank nimmt dazu in ihrem Monatsbericht vom Juli 2002 wie folgt Stellung: „Die Preise bestimmter Dienstleistungen (Restaurant-, Frisörbesuch, chemische Reinigung ) zogen allerdings im ersten Halbjahr stärker als üblich an, was möglicherweise auf die Einführung des Euro-Bargelds zurückgehen könnte." (EZB 2002, S. 20). Die Angst vor Realeinkommensverlusten war weit verbreitet. Konsequenterweise haben die Ostdeutschen auch die Vorteile der Einführung des EURO als europäische Währung im Frühjahr 2001 wesentlich zurückhaltender beurteilt, wie die Tabelle 3 verdeutlicht. Insbesondere die Abwertung des EURO gegenüber dem US-Dollar schien diese Befürchtungen zu bestätigen. Da die aufgezeigten Determinanten aber wichtig sind für die Schaffung von Vertrauen in die neue Währung, die die alten nationalen Währungen abgelöst hat,9 und auch erst ein neuer Kodex im Umgang mit dem Geld erlernt werden muss,10 sind die Besorgnisse auch als ein Ausdruck der Risikoaversion zu verstehen. Die DM war immer ein besonders begehrtes Gut für viele Bürger zu Zeiten der DDR.11 Bezüglich der Inflationsängste der ostdeutschen Bevölkerung muss allerdings gesagt werden, dass die Situation mit der Währungsunion nach der Wende nur bedingt mit der Situation zu Beginn der europäischen Währungsunion vergleichbar ist. Es ist auch anzumerken, dass Preisvergleiche vereinfacht werden, was mittlerweile die meisten Bürger sehen. Die spezifischen Ost-Westunterschiede hängen zum einen mit den immer noch latent vorhandenen alten Einkaufsgewohnheiten zusammen, nämlich aus einer Welt, in der es nur Einheitspreise gab, bzw. mit den geringeren Möglichkeiten in Grenzgebieten einzukaufen, in denen der EURO schon eingeführt worden ist. Die Skepsis gegenüber dem Argument der arbeitsplatzschaffenden Wirkung lässt sich ebenfalls nur aus den bisherigen Erfahrungen erklären ebenso wie der Glaube an eine international bedeutsame Währung, da ja gerade der Außenwert des EURO seit dem 1.1.1999 permanent gesunken ist. Erklärt werden die Unterschiede aber auch durch die unterschiedlichen Bildungssysteme bzw. -grade sowie die Altersstruktur. Empirische Analysen bele9
Vgl. Servet, J.-M. (2001), S. 1. Letzteres bedeutet, dass eine neue Wert- und Preisskala für Güter und Dienstleistungen sich entwickeln muss und eine Zunahme der Anzahl der Münzen und Geldscheine mit teilweise höheren Wertbezeichnungen vonstatten geht, so dass ein neues Preisgedächtnis bei den privaten Wirtschaftssubjekten aufgebaut werden muss. n Vgl. Wolff (200\). 10
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gen, dass je höher der Bildungsgrad und je jünger die Personen sind, desto positiver ist die Einschätzung des EURO bezüglich seiner Funktionalität (Servet 1998, S. 137ff.). Ostdeutschland weist aber eine von Westdeutschland abweichende Altersstruktur auf, die durch eine stärkere Überalterung gekennzeichnet ist. Die Abwanderungsströme der letzten zehn Jahre werden gerade durch den Wegzug junger, gut ausgebildeter Leute gekennzeichnet. Auch der Besitz an Vermögen in Form von Immobilien und Wertpapieren erklärt das Ost-West-Gefälle. Immobilienbesitzer sorgen sich weniger, da ihr Geld in inflationsgeschützte Kapitalanlagen transferiert wurde.12 Auch bei Wertpapierbesitzern ist der Anteil der sich sorgenden Personen geringer, da Geldanlagen in Wertpapieren einen hohen Informationsgrad bezüglich wirtschaftlicher Fragen erfordern. Wertpapierbesitzer, die zahlreicher im Westen als im Osten sind, sind offensichtlich besser über die wirtschaftlichen Chancen informiert, die der EURO eröffnet. Des weiteren ist zu bedenken, dass Personen mit einem höheren Einkommen nicht so starke Realeinkommensverluste hinsichtlich ihrer Konsumausgaben erleiden wie Personen mit niedrigerem Einkommen, deren Konsumquote fast 100% beträgt. Angesichts des immer noch bestehenden Gefälles in den Einkommensniveaus zwischen Ost und West treffen höhere Inflationsraten die ostdeutsche Bevölkerung härter. Insgesamt wird also verständlich, warum Ostdeutsche zu größerer Skepsis bezüglich der Perspektiven des EURO neigen. In dem Ausmaß, wie sich der interne als auch externe Wert des EURO positiv entwickelt und die neu zu erlernenden Fähigkeiten internalisiert worden sind, dürfte sich eine Konvergenz der Einschätzungen in Ost und West ergeben, da dann das Vertrauen in die neue gemeinsame Währung, das man nicht von oben herab dekretieren kann, in gleichem Maße in beiden Landesteilen sich einstellen wird.
IV. Ein Erklärungsansatz aus politologischer Sicht Während also die soziologischen Erklärungsansätze sehr stark von psychologischen und mikroökonomischen Aspekten geprägt sind, sind politikwissenschaftliche Erklärungsansätze eher von ganzheitlichen Erklärungsansätzen geprägt. Im folgenden Verlauf soll dabei mit Hilfe der synoptischen Integrationstheorie, wie sie Klaus Busch präsentiert hat (Busch 2001), der europäische Integrationsprozess erklärt werden und gleichzeitig auch eine Erklärung für das divergierende Zustimmungsverhalten zum Euro in Deutschland vorgestellt werden. 12
Isengard, B. / Schneider, Tk (2001), S. 7.
Währungsunion aus politikwissenschaftlicher und soziologischer S i c h t 6 5
Das von Busch verwendete Integrationsmodell unterscheidet sich von den herkömmlichen politikwissenschaftlichen Integrationstheorien, der neoftinktionalistischen Integrationstheorie, die die Vertiefung der Integrationsprozesse erklären soll, sowie dem liberalen Intergouvernementalismus, innerhalb dessen die supranationalen Institutionen die Interessen der Nationalstaaten verkörpern sowie des Institutionalismus und des policy network-Ansatzes dadurch, dass es sieben Hauptvariablen identifiziert, die die Integrationsdynamik, Ausmaß und Niveau des Integrationsprozesses erklären sollen. Wichtig für die Erklärung im Rahmen dieses synoptischen integrationstheoretischen Ansatzes (Abbildung l 1 3 ), mit dem das bisherige abweichende Zustimmungsniveau der Ostdeutschen erklärt werden soll, ist der Ausgangspunkt, dass drei neofunktionalistische Hintergrundfaktoren, nämlich ökonomische, politische und gesellschaftliche Hintergrundvariablen den Integrationsprozess zu einem Teil zu erklären vermögen. Die ökonomischen Hintergrundvariablen wie die Liberalisierung des Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehrs gelten als ökonomische Triebkräfte der Integration. Sie können jedoch nicht die Tiefe der Integrationsprozesse allein erklären und damit die Frage beantworten, zu welchem Zeitpunkt es zu einer Wirtschafts- und Währungsunion kommt. Hier kommen die zusätzlichen politischen und gesellschaftlichen Variablen ins Spiel. Die politischen Faktoren sind in Europa zu sehen in der gewollten Überwindung des nationalstaatlichen Chauvinismus, der Selbstbehauptung Westeuropas gegenüber den USA sowie dem Streben in Westeuropa sich als Bollwerk gegen den Kommunismus zu stärken. Die gesellschaftlichen Hintergrundvariablen beinhalten die Herausbildung eines Gemeinschaftssinns, einer regionalen Identität als entscheidende gesellschaftliche Voraussetzung für den Erfolg des Integrationsprozesses. Dieser Gemeinschaftssinn beinhaltet nach Karl Deutsch eine gegenseitige Sympathie und Loyalität der Individuen, eines Zusammengehörigkeitsgefühls und Vertrauens sowie einen gegenseitigen Respekt. Der Integrationsprozess setzt einen umfangreichen Wandel der politischen und sozialen Gewohnheiten voraus. Ein Prozess des „habit-breaking" muss sich vollziehen. Eine Vereinigung ehedem unabhängiger politischer Einheiten muss erfolgen. Für niedere Formen der ökonomischen Integration wie etwa einer Zollunion oder der Integration einzelner Sektoren ist ein Loyalitätstransfer nicht erforderlich. Es wird als ausreichend angesehen, dass die politischen Eliten der beteiligten Staaten gemeinsame Werte entwickeln. Mindestvoraussetzung für das Gelingen dieser Integrationsprojekte ist ein Wertkodex der Eliten der Mitgliedsstaaten, der auf Liberalisierung, ökonomischen Wettbewerb und Kooperation ausgerichtet ist, d.h. den herkömmlichen Formen des
13
Vgl. Busch, K. (2001), S. 264.
66
Horst Brezinski
Protektionismus, des ökonomischen Kampfes mit politischen Waffen entsagt. Solange das Ganze kein Nullsummenspiel ist, reicht die passive Loyalität der Bevölkerung aus. Nur wenn die politische Union bzw. die Währungsunion angestrebt werden soll, ist ein tiefgreifender Loyalitätstransfer erforderlich. Es muss also aktiv etwas geschehen. Der Transfer von der Loyalität muss von der nationalen Ebene auf die supranationale Einheit stattfinden. Um also die Überwindung der Nationalstaatlichkeit erreichen und erklären zu können, sind die in dem Schaubild aufgeführten Einwirkungen der weiteren Determinantengruppen erforderlich. Die Wirtschafis- und Währungsunion impliziert letztlich eine Konvergenz der Geld-, Finanz- und Lohnpolitik. Dies kann letztlich nur in einem föderalen Staat erreicht werden, der einen umfangreichen Souveränitätsverzicht der Nationalstaaten und ein neues Rollenverständnis der Tarifvertragsparteien impliziert (Busch 2001, S. 273). Betrachtet man den EURO als einen Schritt auf diesem Weg zur letztlich politischen Union, so wird verständlich, warum in Ostdeutschland die Zurückhaltung gegenüber den Vorzügen der Union wesentlich größer als in anderen Staaten ist. Man müsste seine gerade gewonnene bzw. auch erkämpfte Position in Deutschland an eine noch höhere Instanz abgeben. Die Erfahrungen der DDR mit dem RGW und dem Warschauer Pakt und den geringen Segnungen aus diesen Integrationsformen lassen verständlicherweise Zurückhaltung erkennen. Das Vertrauen der Ostdeutschen in die Europäische Kommission ist mit 37 % am niedrigsten in der ganzen Union (im Durchschnitt 53 %). Nur 44 % der Ostdeutschen halten die Mitgliedschaft in der Europäischen Union für eine gute Sache gegenüber 54 % im Durchschnitt und 57 % im Westen Deutschlands. Nur 38 % der Ostdeutschen sehen Vorteile in der EUMitgliedschaft (52 % im Westen). Diese Ergebnisse belegen, dass man in Ostdeutschland noch längst nicht in der Europäischen Union angekommen ist. Allerdings kann man feststellen, dass in den letzten Jahren die Zustimmung rapide gestiegen ist. Man kann aber davon ausgehen, dass noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Die unterschiedlichen politischen Erfahrungen der Vergangenheit, die vagen Versprechungen bezüglich der Segnungen einer europäischen Integration, die Schwierigkeiten mit der Förderpolitik im regional- und strukturpolitischen Bereich wirken sich hier ebenso aus, so dass die verhaltene Zurückhaltung auch vor dem Hintergrund der angestrebten Integrationsziele verständlich wird. Nur wenn sich der EURO positiv entwickelt und gegenüber dem US-Dollar behauptet, wird er das Kollektivbewusstsein der EU-Bürger stärken und auch die Ostdeutschen mit „in das Boot" ziehen. Insbesondere wird man als einen positiven Hinweis Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sowie bezüglich Wachstum und Stabilität werten.
gesellschaftliche
A3
politische
A2
1
ökonomische
cl
NationalStaaten
Europäische Institutionen
D2
£j
Zusätzliche Politikvariablen
Determinantengrappe E
aktuelle
Determinantengrappe D
DJ — Europäischer Rat |
Nationalstaaten und nichtstaatliche europäische Akteure
Determinantengrappe C
Leitbildfilter
Determinante F
Verhandlungen
Determinante G
Abhängige Variable
Determinante H
Abbildung 1 : Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Determinanten des Integrationsprozesses
Ministeirat politische L___l / Umbrüche \ ^ _______ Wirtschafts-u. I / in der EU \ p Q h 1 Währungsunion / L___J \ „L „ T ..... D3 f > LeitbildVerhandEntwicklungsfllter I Kommission ^ i "" lungsprozess — dynamik: IX / scope u. level B 3 Ι \ E2 / der Integration Politische Ι \ aktuelle Ver- / Ultion I Europäisches 1 änderungen ' im I C2 Parlament intematioI ι nalen System B4 nichtstaatliche Ι _ europäische D5 SystemAkteure — Europäischer variable Gerichtshof
I B2
Binnenmarkt
Ti
Logik des IntegrationsProzesses
Hintergrundvariablen
Al
Determinantengrappe B
Determinanteng ruppe A
Währungsunion aus politikwissenschaftlicher und soziologischer Sicht 67
68
Horst Brezinski
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die alleinige Analyse und Vermittlung ökonomischer Aspekte einer Integration nicht ausreichend sind, um einen Integrationsprozess erfolgreich zu implementieren. Der bewusst gewollte gesellschaftliche Konsens ist erforderlich, um tatsächlich zu einem Loyalitätstransfer zu gelangen.
V. Gibt es Auswirkungen auf die Fortführung des deutschen Einigungsprozesses? Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Bewertung der Einfuhrung des Euro in Stoffgeldform in Ost- und Westdeutschland sind auf den deutschen Wiedervereinigungsprozess zwar nicht als gravierend einzuschätzen. Sie machen aber klar, dass angesichts der Unsicherheit bezüglich zu erwartetender positiver Ergebnisse, die aus der vollständigen Einführung des EURO resultieren können, der Loyalitätstransfer hin zu einer föderalen Regierung innerhalb Deutschlands und schlussendlich zur Europäischen Union sich eher abschwächen könnte und neue virtuelle Hürden sich aufbauen könnten, die die Angleichung der Lebensverhältnisse, damit ist eine Angleichung der Chancengleichheit gemeint, hinauszögern könnten. Daraus könnte dann eine noch weitere Polarisierung der politischen Parteienlandschaft resultieren. Der innerdeutsche Integrationsprozess wäre damit erschwert und würde noch befangener vonstatten gehen.
V I . Welche Schlussfolgerungen sind zu ziehen? Daraus lassen sich nur dringend als Schlussfolgerungen der Ausbau aktiver Informationsstrukturen bezüglich der Funktionsweise des EURO bzw. über den europäischen Integrationsprozess ziehen. Zudem könnte die relativ rasche Umsetzung der Osterweiterung der EU Ostdeutschland von seiner peripheren Lage stärker ins Zentrum der Europäischen Union rücken. Information darf nicht nur verteilt werden, sondern Informationsbedürfnisse müssen auch geweckt werden. Der Inhalt dieser Informationen muss sowohl detaillierte Aspekte als auch allgemeinere Aspekte der Funktionsweise wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse zum Inhalt haben. Informationen über die kulturellen als auch die politischen Aspekte parallel zu den praktischen, technischen Aspekten der Einführung des EURO sind notwendig. Die Übergangskosten sind eher individueller Natur, während die Vorteile eher kollektiver Natur sind. Es muss vermittelt werden, dass der EURO nicht nur als Konnotation zu Freiheit, Freihandel, Modernisierung, wirtschaftlicher Rationalität zu sehen ist, sondern auch als Konnotation zu sozialen Werten, Gleichbehandlung und Teilhabe. Die Infor-
Währungsunion aus politikwissenschafìtlicher und soziologischer Sicht
69
mationen sind den nationalen und lokalen Besonderheiten anzupassen. Den Problemen spezifischer Bevölkerungsgruppen ist Rechnung zu tragen, z. B. der großen Gruppe der Arbeitslosen, Vorruheständler etc. Nur wenn es gelingt, eine differenziertere Informationspolitik zu betreiben, die an die unterschiedlichen Erfahrungen und Traditionen anknüpft, kann der für den Erfolg erforderliche Loyalitätstransfer auch stattfinden. Es scheint, dass in Ostdeutschland hier sehr viele Versäumnisse begangen worden sind. Noch ist es nicht zu spät, diese zu eliminieren.
Anhang Tabelle 1 Zustimmung zum EURO in den Ländern der £U im Herbst 2001 (in %) dafür
V1
Dagegen
V1
weiß nicht
V1
60
+7
31
-7
10
+1
West
62
+6
28
-7
10
+1
Ost
49
+5
41
-6
11
+1
72
-3
22
+4
6
-1
Dänemark
47
+7
48
-8
5
0
Frankreich
63
-4
30
+2
7
+2
Deutschland
Belgien 2
Finnland
49
0
47
+1
4
-1
Griechenland
79
+7
16
-6
6
0
Irland
73
+1
15
-1
12
0
Italien
79
-4
14
+2
6
0
-1
3
-1
Luxemburg
84
+3
14
Niederlande
71
+5
23
-7
6
+2
Österreich
68
+9
25
-7
8
0
67
+8
24
-6
9
-2
Schweden
51
+22
42
-20
7
-2
Spanien
69
+1
22
0
9
1
UK
27
+2
58
+1
15
-3
EU-15
61
+2
30
-3
9
0
Portugal 2
1
Veränderung gegenüber dem Frühjahr 2001
2
Nicht der EU-Währungsunion beigetreten
Quelle: Europäische Kommission (2002)
Horst Brezinski Tabelle 2 Anteil derjenigen, die sich vor Missbrauch bei der Preisumstellung sorgen (in %) - Frühjahr 2001
Deutschland
72
West
70
Ost
79
Belgien
62
Frankreich
74
Finnland
69
Griechenland
62
Irland
63
Italien
74
Luxemburg
54
Niederlande
66
Österreich
55
Portugal
66
Spanien
69
EU-12
70
Quelle: Europäische Kommission 2001
Währungsunion aus politikwissenschaftlicher und soziologischer S i c h t 7 1 Tabelle 3 Anteile der Personen, die folgende Vorteile von der Einführung des Euro als europäische Währung erwarten (in %) - im Frühjahr 2001 Vereinfachung Internat. Wähder Preisver- rungsvergleiche gleiche mit US-Dollar
Preisstabilität
Wirtschafts- Schaffung von wachstum Arbeitsplätzen
Belgien
85
71
68
59
29
Deutschland
79
55
51
52
22
West
81
57
52
53
23
Ost
74
47
44
40
19
Frankreich
72
56
56
56
25
Finnland
75
66
52
43
23
Griechenland
68
62
52
53
27
Irland
89
77
74
68
48
Italien
77
56
70
65
42
Luxemburg
87
74
64
54
27
Niederlande
80
72
56
56
26
Österreich
81
58
48
48
25
Portugal
76
52
55
55
24
Spanien
70
58
56
58
29
EU-12
76
58
57
56
29
Quelle: Europäische Kommission 2001
72
Horst Brezinski
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Der Einfluss der Europäischen Währungsunion auf den Prozess der ökonomischen Integration Europas Von Thomas Apolte
I. Einleitung Von der europäischen Währungsunion wird vielfach nicht nur eine Vertiefung der politischen, sondern vor allem auch eine Vertiefung der ökonomischen Integration in Europa erwartet. Die Begründungen dafür setzen sowohl an den Gütermärkten als auch an den Faktormärkten an. Inwieweit diese Begründungen indes schlüssig und damit tatsächlich auch zu erwarten sind, ist nicht unumstritten. Aus ökonomischer Sicht lässt sich hierzu zwar eine Reihe von möglichen Wirkungskanälen ausmachen, inwieweit sich hierüber allerdings auch empirisch relevante Effekte ausbreiten, ist drei Jahre nach dem Start der gemeinsamen Währung noch nicht absehbar. Noch weniger klar ist, ob die Einführung des gemeinsamen Bargeldes im Januar 2002 ökonomische Integrationswirkungen entfalten wird, denn abseits von möglicherweise psychologisch fundierbaren Effekten lassen sich aus ökonomischer Sicht hierzu kaum sinnvolle Wirkungskanäle ausmachen. Neben den wirtschaftlichen Integrationswirkungen im engeren Sinne hat die Währungsunion aber schon heute eine Reihe von deutlich erkennbaren wirtschaftspolitischen Integrationswirkungen entfaltet. Diese wirtschaftspolitischen Integrationswirkungen beinhalten einerseits natürlich die Geldpolitik, innerhalb derer es keine Autonomie seitens der Mitgliedstaaten mehr gibt. Darüber hinaus wurden aber bekanntlich auch weitreichende Vereinbarungen über die mitgliedstaatlichen Fiskalpolitiken getroffen mit dem Ziel, einer möglichen Gefährdung der Preisniveaustabilität in der Folge zu hoher Staatsverschuldung zu begegnen. Weitergehende Vorkehrungen zur Koordination der Stabilitätspolitik - etwa mit dem Ziel einer gemeinsamen Konjunkturpolitik - wurden bisher allerdings nicht getroffen, wenngleich es Stimmen gibt, die eine solche weitergehende Koordination für notwendig halten. Schließlich dürfte es indirekte Wirkungen auf die wirtschaftliche Integration geben, die von der vertieften geld- und fiskalpolitischen Integration ausgehen. Die einheitliche Geldpolitik sowie eine verstärkte Koordinierung der Fiskalpo-
74
Thomas Apolte
litik und möglicherweise - ob sinnvoll oder nicht - auch eine verstärkte Koordinierung anderer Politikbereiche werden tendenziell zu einer Vereinheitlichung vieler wirtschaftlicher Rahmendaten in Europa führen. Auf diesem Wege könnte sich auch die wirtschaftliche Integration verstärken. Dies hat allerdings nicht nur Vorteile. Der wichtigste Nachteil dürfte sein, dass durch eine überzogene Vereinheitlichung die Voraussetzungen für einen fruchtbaren Trial and-error-Prozess in der Wirtschaftspolitik ausgehöhlt werden. In diesem Beitrag wird erstens die Frage untersucht, inwieweit eine Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen im Gefolge der Währungsunion mittelfristig zu erwarten ist und welches die möglichen Wirkungskanäle sind, über die sich eine solche Vertiefung vollziehen könnte. Zum zweiten wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Währungsunion eine über die bisherige fiskalpolitische Kooperation hinausgehende Vertiefung der wirtschaftspolitischen Integration notwendig macht. Drittens wird der Frage nach möglichen indirekten Integrationswirkungen auf die Wirtschaft im Wege einer stärkeren Vereinheitlichung der Wirtschaftspolitik nachgegangen.
I I . Wirtschaftliche Integration und Europäische Währungsunion Wenn es eine Vertiefung der wirtschaftlichen Integration im Gefolge der Europäischen Währungsunion geben sollte, so wird diese immer auf Effekten beruhen, die mit der endgültigen Fixierung der Wechselkurse zusammenhängen. Daran, dass dies - vor allem angesichts des zuvor bereits seit 20 Jahren bestehenden Europäischen Währungssystems (EWS) - eine vergleichsweise unspektakuläre Veränderung des wirtschaftlichen Umfeldes in Europa darstellt, dürfte bereits deutlich werden, dass die direkten Wirkungen der Währungsunion auf die wirtschaftliche Integration in der Öffentlichkeit wohl eher überschätzt werden dürften. Mit der Bedeutung des Binnenmarktes werden die ökonomischen Integrationswirkungen der Währungsunion insofern auch nicht vergleichbar sein. Die möglichen ökonomischen Integrationswirkungen werden im Folgenden zunächst für den Gütermarkt und dann auch für die Faktormärkte skizziert.
1. Gütermarktintegration
Mit der endgültigen Fixierung der Wechselkurse zum 1. Januar 1999 war die Währungsunion aus ökonomischer Sicht praktisch vollzogen. Von diesem Tag an entfiel für alle Akteure an den Gütermärkten das Risiko einer künftigen Wechselkursänderung - jedenfalls insoweit, wie die Währungsunion insgesamt als ein stabiles institutionelles Umfeld angesehen wurde. Relevant sind Wech-
Europäische Währungsunion und ökonomische Integration Europas
75
selkursänderungsrisiken an den Gütermärkten allerdings nur insofern, wie es erstens dabei um Kontrakte geht, die in die Zukunft gerichtet sind, und zweitens die Akteure an den Gütermärkten risikoavers sind. Denn Risikoaversion veranlasst die Akteure, bei gleicher Rendite einer sicheren gegenüber einer unsicheren Transaktion die sichere vorzuziehen. Im Gegenzug werden riskante Transaktionen nur dann akzeptiert, wenn ihre Rendite über der Rendite sicherer Transaktionen liegt. Im Beispiel internationaler Gütermarkttransaktionen bedeutet dies, dass internationaler Handel bei Wechselkursunsicherheit - sofern er denn mit Kontrakten verbunden ist, die in die Zukunft reichen - nur insofern stattfindet, wie die damit verbundenen Renditen oberhalb der Renditen vergleichbarer inländischer Gütermarktaktivitäten liegen. In Abbildung 1 wird anhand von Importpreisen graphisch verdeutlicht, um wieviel das internationale Geschäft an den Gütermärkten attraktiver sein muss als das rein inländische, wenn zwischen dem In- und Ausland ein Wechselkursrisiko besteht und es dennoch zu internationalem Handel kommen soll (siehe ausfuhrlich: Zweifel / Eisen, 2001, S. 42ff.). Auf der Abszisse ist der Preis eines Importgutes P M in Auslandswährung, umgerechnet mit dem Wechselkurs in der Preisnotierung e, abgetragen. Auf der Ordinate steht der „Risikodisnutzen" der Importpreise, also der von den Händlern unter Risiko empfundene Disnutzen der Zahlung eines Preises für Importgüter. Angenommen wird dabei, dass das Importgeschäft in Auslandswährung fakturiert wird. Das Beispiel lässt sich entsprechend auf alle Gütermarkttransaktionen übertragen, bei denen ein Wechselkursrisiko besteht. Hier wurden Importgeschäfte gewählt, weil diese üblicherweise eher in Auslandswährung fakturiert werden als Exportgeschäfte. Die „Risikodisnutzenfunktion" zeigt einen typischen Verlauf risikoaversen Verhaltens. Dies lässt sich folgendermaßen nach vollziehen: Eine wechselkursbedingte Veränderung der Importpreise in jeweils gleicher Höhe führt zu unterschiedlichen Veränderungen des Risikodisnutzens. Wenn sich beispielsweise die Importpreise, ausgehend v o n M ^ ' Pq* » gleichem Maße auf entweder e - P x verringern oder auf e · P 2 erhöhen, so ist die damit verbundene Veränderung des Disnutzens nicht gleich. Vielmehr führt die Verteuerung der Importpreise zu einem Anstieg des Disnutzens in Höhe von DU(e ) — DU(e · P 0 M ) , während die gleich hohe Verringerung der Importpreise den Disnutzen nur um DU(e · P 0 ) - D U ( e ' P\ ) a b s e n k t · Würde eine wechselkursbedingte Verteuerung des Importgutes gleich stark gewichtet wie eine gleich hohe Verbilligung, so würde sich der Risikodisnutzen entlang der Geraden bewegen. Entsprechend lässt sich die Differenz, um die die Importpreise unter (Wechselkurs-)Risiko günstiger sein müssen als ohne Risiko, unmittelbar an der Graphik ablesen. Es handelt sich um die Spanne zwischen e · P^ 1 und DU{e · P^ 1) auf der Ordinate. Diese Spanne sorgt tendenziell für eine Ab-
76
Thomas Apolte
schottung der Märkte mit unterschiedlichen Währungen, weil Außenhandelsvorteile innerhalb dieser Spanne nicht genutzt werden. Dabei kommt es nicht auf tatsächliche Wechselkursänderungen an, sondern vielmehr auf das Risiko, dass solche Wechselkursänderungen auftreten können. Mündet ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse schließlich in eine Währungsunion, so fällt das Wechselkursrisiko definitiv weg. Damit entfällt auch der erwähnte Abschottungseffekt. DU(eP M)
Abbildung 1 : Risikodisnutzen bei Importpreisschwankungen
Man kann allerdings auch argumentieren, dass das Wechselkursrisiko selbst jene zusätzlichen Gewinne produziert, die notwendig sind, damit Außenhandel auch unter Risiko zustande kommt. Diese Argumentation lässt sich anhand von Abbildung 2 nachvollziehen. Die linke Seite zeigt einen Anbieter, der bei einem konstanten in ausländischer Währung definierten Preis P, aber einem schwankenden Wechselkurs e im Mittel zum Inlandspreis e0 · Ρ anbietet. Hierbei ist angenommen, dass das Produkt in ausländischer Währung (aus der Sicht des Anbieters) fakturiert wird. Schwankt der Wechselkurs nun in gleicher Spanne um den Wechselkurs e0, so verändert sich die Produzentenrente. Der springende Punkte ist nun, dass die Produzentenrente bei einem Anstieg des Wechselkurses in größerem Maße zunimmt (und zwar um die senkrecht schraf-
Europäische Währungsunion und ökonomische Integration E u r o p a s 7 7
fierte Fläche) als sie bei einem sinkenden Wechselkurs abnimmt (und zwar um die waagerecht schraffierte Fläche). Im Mittel ist die Produzentenrente damit größer als in einer Währungsunion, in der immer der gleiche Kurs e0 gilt und insofern keine Abweichung von der bei diesem Wechselkurs entstehenden Produzentenrente auftritt. Das gleiche gilt für die Konsumenten, deren Situation auf der rechten Seite der Graphik nachgezeichnet ist, wobei in diesem Falle angenommen wird, dass das Gut aus der Sicht der Konsumenten zu Auslandspreisen fakturiert wird. Steigt der Wechselkurs von seinem Mittelwert e0 auf eu so sinkt die Konsumentenrente um die senkrecht schraffierte Fläche. Sinkt der Wechselkurs hingegen auf e2, so steigt die Konsumentenrente um die waagerechte Fläche. Auch hier ist der Gewinn bei einem sich aus der Sicht der Konsumenten günstig entwickelnden Wechselkurs größer als der Verlust im Falle einer ungünstigen Entwicklung. e-P
e-P
Abbildung 2: Wohlfahrtseffekte von Wechselkursvolatilität1
Der Grund für diese asymmetrische Entwicklung ist, dass mit den wechselkursbedingten Änderungen der jeweiligen Inlandspreise auch die Mengen reagieren. Anbieter und Nachfrager begrenzen nämlich im jeweils für sie ungünstigen Falle durch eine Reduktion der Mengen ihre Verluste, während sie im Falle einer günstigen Entwicklung ihre Chance nutzen und die Mengen ausdehnen. Die Voraussetzung dafür, dass sich eine solche asymmetrische Verteilung von Verlusten und Gewinnen ergibt und damit positive Wohlfahrtseffekte
1
Siehe De Grauwe (2001), S. 62f. zu dieser Darstellung.
78
Thomas Apolte
entstehen, ist allerdings, dass die Akteure an den Märkten mit ihren Mengen stets flexibel reagieren (können). Wenn sie umgekehrt beispielsweise festen Liefer- oder Abnahmeverpflichtungen unterliegen, so können sie die Mengen nicht ändern. Die Verluste sind dann im Falle einer ungünstigen Entwicklung ebenso groß wie die Gewinne im Falle einer günstigen Entwicklung. Ob nun dieser Effekt schwankender Wechselkurse überwiegt oder derjenige, der sich aus der Risikoaversion der Marktakteure ergibt, lässt sich auf theoretischer Ebene nicht klären. Daher muss auf dieser theoretischen Ebene auch ungeklärt bleiben, inwiefern die mit einer Währungsunion verbundene definitive Fixierung der Wechselkurse zu einer Vertiefung der Handelsbeziehungen führt. Über diese rein mengenmäßige Dimension hinaus drängt sich im Anschluss aber auch die Frage auf, inwiefern eine ggf. als Nettoeffekt resultierende Intensivierung der Handelsbeziehungen auch die inländische Wohlfahrt verbessert. Dies wäre dann der Fall, wenn die Ursachen als handelsschaffende und nicht als handelsumlenkende Effekte einzustufen sind. Denn nur handelsschaffende Effekte erhöhen auch die Wohlfahrt. Sofern dagegen eine definitive Wechselkursfixierung die Transaktionskosten des Handels gegenüber Unionsländern senkt, solche gegenüber Drittländern jedoch nicht, muss damit gerechnet werden, dass zumindest ein Teil der zusätzlichen Handelsaktivitäten innerhalb der Union auf handelsumlenkende Effekte zurück zu führen ist. Handelsumlenkende Effekte vermindern aber die inländische Wohlfahrt (siehe ausführlich: Pelkmans, 2000, S. 6Iff.). Insofern ist die Wohlfahrtswirkung der Währungsunion mit Blick auf den Handel eher unbestimmt. Was die empirische Bedeutung dessen angeht, was als Saldo der gegenläufigen Effekte verbleibt, so dürften diese aber vermutlich nicht übermäßig hoch zu veranschlagen sein. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu den Effekten des europäischen Binnenmarktprogramms.
2. Integration der Faktormärkte
Für die Faktormärkte gilt im Prinzip das Gleiche wie für die Gütermärkte. Kennzeichen von Faktormärkten ist allerdings, dass Kontrakte dort praktisch immer in die Zukunft reichen und insofern auch immer von potenziellen Wechselkursschwankungen betroffen sind. Ob ein Wegfall dieser Schwankungen zu einer verstärkten Wanderung von Arbeit und Kapital führt, ist auch im Falle der Faktormärkte grundsätzlich nicht eindeutig zu beantworten. Auch für die Produktionsfaktoren gelten die Argumente zur Risikoaversion, so dass sich nach Maßgabe des Grades an Risikoaversion selbst bei freier Wanderung innerhalb des Binnenmarktes ein mehr oder weniger deutlicher homecountry bias ergeben dürfte. Aber auch hier gilt das Gegenargument, dass Wechselkursschwankungen eine Chance für zusätzliche Einkommen eröffnen,
Europäische Währungsunion und ökonomische Integration Europas
79
wenn die Marktakteure in der Lage sind, bei für sie günstigen Entwicklungen die jeweiligen Mengen auszudehnen und bei ungünstigen zwecks Schadensbegrenzung einzuschränken. Im Ergebnis eröffnet sich dadurch auch hier die Chance insgesamt höherer Faktoreinkommen. Die Tatsache, dass dies aber nur dann gilt, wenn die Mengen hinreichend flexibel sind, dürfte hier eine besondere Rolle spielen. Denn Arbeitskräftewanderungen sind ihrer Natur nach eher langfristig angelegt, so dass die Akteure am Arbeitsmarkt wohl kaum durch kurzfristige Mengenreaktionen in der Lage sein werden, Zusatzgewinne zu erzielen. Das Gleiche gilt für längerfristig angelegtes Kapital oder für Realkapital. In diesem Sinne dürfte für die Arbeitsmärkte und für den Bereich des längerfristigen Kapitals der Effekt aus der Risikoaversion überwiegen, so dass im Umkehrschluss eine Währungsunion mit ihrer endgültigen Fixierung der Wechselkurse tendenziell eher zu einer Intensivierung der Integration führen wird. Im Bereich des kurzfristigen Kapitalverkehrs ergeben sich erstens in stärkerem Maße Möglichkeiten, durch Mengenreaktionen zusätzliche Anbieter- und Nachfragerrenten zu erzielen. Für solche Anleger indes, die ein größeres Maß an Risikoaversion auszeichnet, bietet sich die Möglichkeit von Kurssicherungsgeschäften. Letzteres allerdings ist mit Kosten verbunden, so dass das Problem, dass die Risikoaversion bei volatilen Wechselkursen zu einer tendenziellen Abschottung der Märkte führt, nicht grundsätzlich gelöst wird. In Höhe der Kurssicherungskosten verbleibt insofern ein Potenzial für internationale Renditedifferenzen, die auch beifreiem Kapitalfluss nicht abgeschmolzen werden. Die Integration der Kapitalmärkte wird dann durch das Risiko künftiger Wechselkursschwankungen gehemmt.2 Empirische Befunde zur Kapitalmobilität stützen die These, dass Wechselkursschwankungen die Kapitalmobilität hemmen. Tests nach dem FeldsteinHorioka-Ansatz deuten darauf hin,3 dass bis in die jüngere Vergangenheit erhebliche Hemmungen in der Mobilität des Kapitals in der EU zu verzeichnen sind. Beim Feldstein-Horioka-Test wird eine Regressionsgerade geschätzt, wobei die nationalen Investitionsquoten als abhängige Variable und die nationalen Sparquoten als unabhängige Variable fungieren. Ein enger Zusammenhang deutet dabei auf eine hohe Abhängigkeit der inländischen Investitionen von der inländischen Ersparnis hin, während ein schwacher Zusammenhang auf einen integrierten Kapitalmarkt hinweist. Dies gilt deshalb, weil zusätzliche Nachfrage nach Finanzierungsmitteln für Investitionen sich an einen weltweiten oder jedenfalls unionsweiten Kapitalmarkt richtet und nicht über zusätzliche inländi2 3
Zu einer empirischen Betrachtung siehe Bender / Lamar (1999). Siehe zum Ansatz: Feldstein / Horioka (1980).
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sehe Ersparnisse finanziert werden muss. Die Höhe der Investitionen kann also unabhängig von der Höhe der inländischen Ersparnis schwanken. Umgekehrt richtet sich die inländische Ersparnis an einen internationalen Kapitalmarkt und muss nicht über zusätzliche inländische Investitionen absorbiert werden. Auch die Ersparnis entwickelt sich daher bei einem integrierten Kapitalmarkt unabhängig von den inländischen Investitionen. Feldstein und Horioka hatten für die 1960er und 1970er Jahre erstaunlich hohe Regressionskoeffizienten für die OECD-Länder ermittelt. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe neuerer Untersuchungen, die alle das ursprüngliche Ergebnis mehr oder weniger bestätigten (Überblick bei Apolte, 1999, S. 140ff). Neuere Schätzungen zur Europäischen Union weisen teilweise auf eine gewisse Zunahme der Kapitalmobilität in der EU hin, doch beziehen sich diese Ergebnisse noch nicht auf Erfahrungen aus der Währungsunion (siehe: Buch, 1999; Stirböck / Heinemann, 1999). Hinzu kommt, dass auch diese Daten mit Vorsicht zu interpretieren sind. Umgekehrt zeigen Schätzungen für die Einzelstaaten der USA schon in den 1950er Jahren keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Spar- und Investitionsquoten mehr, so dass innerhalb der USA schon zu dieser Zeit eine offenbar recht hohe Kapitalmobilität vorherrschend war (siehe Sinn, 1992, S. U6SU Apolte, 1999, S. 148ff.). Inwiefern die bereits damals praktisch nicht mehr vorhandene Korrelation zwischen Spar- und Investitionsquoten in den USA auf einen vollständig integrierten Kapitalmarkt hinweist, hängt davon ab, wie zuverlässig der FeldsteinHorioka-Test die Kapitalmobilität widerspiegelt. Letzteres ist keineswegs unumstritten. Wenn es so ist, dass die Kapitalmobilität damit hinreichend zuverlässig abgebildet werden kann, so wäre weiterhin zu fragen, inwiefern der in den USA offensichtlich höhere Integrationsgrad auf den dort einheitlichen Währungsraum zurück zu führen ist. Sofern dies der Fall ist, dürfte auch für den EURO-Währungsraum eine künftig höhere Kapitalmobilität zu erwarten sein. Im Augenblick ist das allerdings noch nicht absehbar, weil der Zeitraum für eine zuverlässige Schätzung noch viel zu kurz ist. Was die Arbeitsmärkte betrifft, so sind die notwendigen Voraussetzungen für eine stärkere Integration sehr viel weitreichender als für eine Integration der Kapitalmärkte. Zwar gilt der Binnenmarkt bekanntlich auch für den Produktionsfaktor Arbeit, doch gibt es hier eine ganze Reihe von Wanderungshemmnissen, die teilweise in staatlichen Regulierungen, zum Teil aber auch in der Sprache und in sozialen Bindungen ihre Ursache finden. Insofern dürfte der Wegfall des Wechselkursrisikos hier nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zusammenfassend für die Faktormärkte kann man deshalb festhalten, dass die Währungsunion am ehesten im Bereich des Kapitalverkehrs zu einer stärkeren Integration führen wird. Konkret betrifft dies vor allem den langfristigen Verkehr von Realkapital, denn hier sind weder Kurssicherungsgeschäfte, noch
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kurzfristig gewinnbringende Mengenreaktionen auf Wechselkursschwankungen möglich. Die Wohlfahrtswirkungen einer solchermaßen verstärkten Integration im Bereich des Realkapitals wären wohl ausschließlich positiv, denn das vor der Währungsunion bestehende Kursrisiko dürfte wohl wegen des im langfristigen Bereiches kaum möglichen kurzfristigen Arbitrage kaum zusätzliche Einkommenschancen geboten haben. Ob es allerdings durch die Währungsunion zu einer signifikant sich verstärkenden Integration des langfristigen Kapitalverkehrs kommt, ist empirisch noch nicht eindeutig zu beantworten.
I I I . Wirtschaftspolitische Integration und Europäische Währungsunion Wie wir gesehen haben, ist die Frage, ob die Währungsunion die wirtschaftliche Integration im engeren Sinne signifikant vertieft, nicht eindeutig zu beantworten. Vieles spricht dafür, dass bestenfalls im langfristigen Kapitalverkehr mit erheblichen Effekten zu rechnen ist. Insofern wäre vor allzu großen Erwartungen zu warnen. Ein etwas anderes Bild ergibt sich allerdings, wenn wir nicht nur die wirtschaftliche Integration im engeren Sinne betrachten, sondern die wirtschaftspolitische Integration mit in die Betrachtung einbeziehen. Die im Zuge der Europäischen Währungsunion vorangetriebene Integration der Wirtschaftspolitik bezieht sich naheliegenderweise auf die Stabilitätspolitik. Dabei lässt die Geldpolitik nur noch eine gemeinsame Strategie für den EUROWährungsraum zu. Was die geldpolitische Strategie anbetrifft, so ist die EZB im Rahmen ihrer Zielvorgaben weitestgehend frei, so dass sie sich grundsätzlich sowohl für eine diskretionäre als auch für eine regelgebundene Geldpolitik entscheiden kann (Leschke, 2001). Bei der Fiskalpolitik ist das nicht ganz so eindeutig. Einerseits bleibt die Fiskalpolitik auf der nationalstaatlichen Ebene verankert, andererseits aber wird die Auswahl der fiskalpolitischen Strategie durch den Maastrichter Vertrag sowie den im Anschluss an den Amsterdamer Vertrag vereinbarten „Stabilitäts- und Wachstumspakt" zumindest erheblich eingeschränkt, auch wenn bis heute noch nicht klar ist, wie glaubwürdig die fiskalpolitischen Regeln innerhalb der Währungsunion sind (Sutter , 2000). Im Ergebnis ist die Stabilitätspolitik damit durch die EWU recht weitreichend integriert. Bedeutsam daran ist, dass diese Integration den Spielraum für eine differenzierte diskretionäre Stabilitätspolitik spürbar eingeschränkt hat. Im Rahmen der Geldpolitik ist sie ohnehin nur noch für den EURO-Währungsraum insgesamt möglich. Möglicherweise unterschiedlich verlaufenden monetären Transmissionsprozessen kann insofern nicht mehr durch differenzierte Maßnahmen begegnet werden (Theurl, 1999). Das Gleiche gilt für asymmetrische konjunkturelle Schocks von außen. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit, als Ersatz für die fehlende Differenzierungsmöglichkeit der Geldpolitik auf ei-
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ne nach Ländern ausdifferenzierte Fiskalpolitik zurück zu greifen, zwar grundsätzlich noch besteht, sie aber durch die fiskalpolitischen Regeln in ihrem Ausmaß beschränkt wird. Es hängt nun von der jeweiligen stabilitätspolitischen Sichtweise ab, ob die fiskalpolitischen Beschränkungen erstens für die Sicherung der Preisniveaustabilität notwendig sind und ob sie zweitens zu einem stabilitätspolitischen Problem werden könnten. Auf der Basis einer traditionell monetaristischen Sicht folgt aus einer hohen Staatsverschuldung grundsätzlich noch keine Gefahr für die Preisniveaustabilität, solange die Notenbank den stabilitätsorientierten Kurs der Geldmengensteuerung nicht verlässt. Ob die Notenbank allerdings dazu in der Lage sein wird, mag bei einer hohen Staatsverschuldung zweifelhaft sein. Denn die damit verbundene makroökonomische Kreditexpansion kann in ihrer geldmengentreibenden Wirkung unter Umständen nur unter Inkaufnahme einer gravierenden Kreditkontraktion im privaten Sektor ausgeglichen werden. Auch eine formal unabhängige Notenbank wird einem damit verbundenen Druck möglicherweise nicht standhalten können (Sargent / Wallace, 1981). Ob die im Maastrichter Vertrag verankerten und inzwischen in einer breiten Öffentlichkeit als Grenze des Vertretbaren interpretierte Nettoneuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nun wirklich eine Grenze markiert, oberhalb derer längerfristig keine preisniveaustabilisierende Geldpolitik mehr betrieben werden kann, mag man zu Recht bezweifeln. Tatsächlich hat die Deutsche Bundesbank über Jahrzehnte unter höheren Verschuldungsraten des Staatshaushalts arbeiten müssen und - alles in allem - auch erfolgreich gearbeitet (Abbildung Haushaltsdefizite in Deutschland). Andererseits lässt sich kein zuverlässiges Kriterium für diejenige jährliche Neuverschuldung definieren, oberhalb derer der Notenbank eine preisniveaustabilisierende Geldpolitik unmöglich gemacht würde. Aus diesem Grunde hat man sich für diejenige Rate entschieden, die unter einigermaßen realistischen Bedingungen zu einer Stabilisierung des Gesamtschuldenstandes von damals durchschnittlich 60 Prozent führt - und das war die nun zur alles entscheidenden Größe avancierte DreiProzent-Marke. Es erscheint nach Abwägung aller Gesichtspunkte durchaus vernünftig, eine solche Grenze zu formulieren. Denn mit der im Zuge der EWU gestiegenen Zahl der unter einem geldpolitischen Dach vereinigten fiskalpolitischen Instanzen sinkt tendenziell auch der Anreiz für jede einzelne Instanz, sich stabilitätspolitisch verantwortlich zu zeigen. Ob sich dabei die heute gültige DreiProzent-Markte auf der Basis stabilitätspolitischer Erfordernisse als trennscharfes Stabilitätskriterium rechtfertigen lässt, ist solange zweitrangig, wie unter den Beteiligten Konsens darüber besteht, dass die Staatsverschuldung unter konjunkturpolitisch normalen Bedingungen grundsätzlich auf null herabge-
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senkt werden sollte. Denn dadurch wird - gewissermaßen als List der Vernunft - eine Regelung in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union getragen, die abseits stabilitätspolitischer Erfordernisse ein Problem lösen könnte, welches die modernen Steuerstaaten seit Jahrzehnten plagt: die auf der politischen Dynamik beruhende Tendenz zu einer Staatsverschuldung, welche sich mit ökonomischen Argumenten nicht rechtfertigen lässt. So mag die Drei-ProzentMarke aus der Sicht der Stabilitätspolitik manchen Beobachtern als willkürlich gegriffen und möglicherweise auch überzogen erscheinen. Mit Blick auf den Bedarf nach Regeln, die die Staatsverschuldung aus ordnungspolitischen Gründen vermindern, könnte sie an ganz anderer Stelle zu einem unbeabsichtigten Erfolg führen.
Bis 1991: West-Deutschland Quelle: Statistisches Bundesamt; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Abbildung 3: Haushaltsdefizite in Deutschland
Letzteres gilt allerdings nur, wenn die aus ordnungspolitischer Sicht begrüßenswerte Verschuldungsgrenze in stabilitätspolitischer Hinsicht keine untragbaren Nebenwirkungen zeigt (Heise, 1999). Sofern es den Staaten aber gelingt, sich längerfristig in konjunkturpolitisch „normalen" Zeiten an einen völligen Verzicht auf staatliche Haushaltsdefizite zu halten, dürften von der Schuldenobergrenze keine negativen Wirkungen in stabilitätspolitischer Hinsicht ausgehen. Denn bereits ohne dass der Ministerrat im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspakts offiziell „außergewöhnliche Ereignisse" feststellt, ergäbe sich - ausgehend von einem ausgeglichenen Haushalt - ein beträchtlicher Spiel-
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räum für ein staatliches Defizit zur Abwehr einer drohenden Rezession. In Deutschland hätte dieser Spielraum im Jahre 2000 bei einem nominalen Bruttoinlandsprodukt von 2026 Mrd. EUR bei immerhin 61 Mrd. EUR gelegen. Das entspricht einem stattlichen Konjunkturprogramm; vorausgesetzt allerdings, dass der Staat mit einem ausgeglichenen Haushalt von der konjunkturellen Normalsituation in die drohende Rezession geraten ist. Sollte es allerdings trotz dieses Programms zu einer tiefen Rezession kommen, so eröffneten sich weitere Spielräume. Bei einem Rückgang des BIP zwischen 0,75 und zwei Prozent entscheidet zunächst der Ministerrat, ob „außergewöhnliche Ereignisse" vorliegen und die Drei-Prozent-Marke damit sanktionsfrei überschritten werden darf. Liegt ein Rückgang von mehr als zwei Prozent vor, so gilt der Fall außergewöhnlicher Ereignisse generell, und die Staaten können auch ohne Zustimmung des Ministerrates über die Drei-Prozent-Grenze hinausgehen. Aus stabilitätspolitischer Sicht kann also kaum ernsthaft von einer gefahrlichen Einengung des fiskalischen Verschuldungsspielraums gesprochen werden. Was verbleibt, ist eine erhebliche Beschränkung der finanzpolitischen Autonomie in normalen Zeiten, denn in diesen normalen Zeiten bleibt heute fast kein Spielraum mehr für Staatsverschuldung. Denn über die Drei-ProzentMarke hinaus verlangt die Europäische Union von ihren Mitgliedern dokumentierte und veröffentliche Stabilitätsprogramme, mit deren Hilfe ein ausgeglichener Staatshaushalt erreicht und erhalten werden kann. Diese Programme mussten im Jahre 1999 erstmals vorgelegt und seither jährlich aktualisiert werden. Liegen dem Ministerrat Zweifel an der Realisierbarkeit der dort angestrebten fiskalpolitischen Ziele oder an den Bemühungen der Staaten vor, diese Ziele auch zu erreichen, so kann er Empfehlungen (den sogenannten „blauen Brief) an die betroffenen Regierungen senden mit dem Ziel, so rechtzeitig Abhilfe zu schaffen, dass es nicht zu einem Verfehlen der Defizitobergrenzen in der Zukunft kommt. Zusammengenommen verbleibt den Staaten zwar ein recht weitgehendes Maß an potenziellen staatlichen Defiziten. Doch gilt dies nur für den Fall einer Rezession, so dass sich der Spielraum für Defizite in normalen Zeiten praktisch bis auf null einengt. Auch wenn dies mit Blick auf die Möglichkeit der EZB, eine preisniveaustabilisierende Politik zu betreiben, mitunter als übertrieben erscheinen mag: Aus ordnungspolitischer Perspektive ist es in jedem Falle zu begrüßen. Allerdings sind auch ordnungspolitische Regeln anfallig für zeitliche Inkonsistenzen und eine sich daraus möglicherweise ergebende mangelhafte Glaubwürdigkeit. Daran gemessen weist der Stabilitätspakt einen Konstruktionsfehler auf, der allerdings die ganzen Entscheidungsstrukturen der Europäischen Union durchzieht und der im Februar 2002 zum ersten großen Sündenfall im Rahmen der fiskalpolitischen Regeln geführt hat (Berschens, 2002; ο. K, 2002). Die Finanzminister selber entscheiden im ECOFIN-Rat darüber, welches Land sich in welchem Maße stabilitätswidrig verhält. Dies muss im Falle
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des Verdachts stabilitätswidrigen Verhaltens die für die EU typische Verhandlungs- und Drohdiplomatie in Gang setzen, sofern es nur irgendeinen Interpretationsspielraum gibt. Dass im Februar 2002 nun ausgerechnet jenes Land auf diesem Wege einen „blauen Brief abwendete, welches fünf Jahre zuvor die hierzu nötigen Regelungen durchgesetzt hatte, mag in besonderem Maße verdeutlichen, dass die Entscheidungsbefugnis des ECOFIN-Rates über die Feststellung eines übermäßigen Defizits ein Konstruktionsfehler ist. Die Integration der Wirtschaftspolitik verlangt insofern mehr als freiwillige Absprachen oder solche, die sich jedenfalls nur mit dem fallweisen Einverständnis aller Beteiligten durchsetzen lassen. Denn hierüber sind Regeln nur für den Fall reiner und konfliktfreier Koordination durchzusetzen. Wenn es darüber hinaus aber auch darum geht, Regeln unter nicht-kooperativen Bedingungen im Sinne der Spieltheorie durchzusetzen, bedarf es einer Instanz, die unabhängig ist von denen, die zur Kooperation und damit zum Einhalten der Regeln bewegt werden sollen. Hätte beispielsweise die Kommission unabhängig vom Ministerrat die Entscheidung über den „blauen Brief 1 an Deutschland zu treffen gehabt, so wäre dieser auch verschickt worden; und zwar ohne dass die Bundesregierung dies im Wege der EU-Verhandlungsdiplomatie hätte verhindern können. Ob es bei diesem Sündenfall bleibt, oder ob es - wie nun vielfach befürchtet wird - auch bei den nächsten Problemfällen wiederum zu einem Aufweichen der Regeln im Wege der Verhandlungsdiplomatie kommt, muss die Zukunft zeigen. Sollten sich allerdings Erwartungen diesbezüglich stabilisieren, so wäre der Stabilitätspakt als gescheitert zu betrachten. Ob dies wiederum stabilitätspolitisch negative Rückwirkungen zeitigen würde, hängt davon ab, inwieweit das Defizitkriterium des Maastrichter Vertrages als unbedingte Voraussetzung für eine stabilitätsgerechte Geldpolitik begriffen wird oder nicht. Ordnungspolitisch wäre es allerdings ein herber Rückschlag, weil mit dem Stabilitätspakt leicht auch das Defizitkriterium selbst unterspült werden könnte. Sollte es allerdings bei der ersten - und grundsätzlich ja noch eher harmlosen - „Sünde" im Februar 2002 bleiben, so könnten die Regeln des Maastrichter Vertrages und des Stabilitätspakts zu einem erfolgreichen Stück wirtschaftspolitischer Integration in Europa werden. Über die stabilitätspolitische Integration in ihrem bisherigen Maße hinaus wird allerdings bisweilen eine weitergehende wirtschaftspolitische Integration gefordert. Die Notwendigkeit hierzu wird in dem durch die Währungsunion veränderten Umfeld gesehen.4 Überzeugen können diese Argumente allerdings 4 Stellvertretend für viele: Reimann (1999); Costa / DeGrauwe (1999); Conrad (2001); Joly/Wolter (2001); Ohr (2001).
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nicht. Wenn die Währungsunion - wie oben gezeigt - über die Integrationswirkungen des Binnenmarktes hinaus keine durchschlagenden wirtschaftlichen Integrationswirkungen entfalten wird, so kann sich auch die Notwendigkeit zu einer verstärkten wirtschaftspolitischen Integration daraus kaum ableiten lassen. Sicherlich existiert im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt noch eine Reihe von offenen Fragen, etwa im Zusammenhang mit der Steuerpolitik und der Sozialpolitik, vor allem, wenn es um sozialpolitische Migrationsanreize oder um die Transferierbarkeit von Ansprüchen auf Sozialleistungen geht. Aber wie immer man zu diesen jeweiligen Fragen steht, so hängen sie doch alle in erster Linie mit dem Binnenmarkt zusammen und nicht mit der Währungsunion. Diejenige wirtschaftspolitische Integration, die sich im Zusammenhang mit der Währungsunion ergibt, liegt neben der Geldpolitik vor allem in der Verschuldungspolitik; und wie gesagt ist letztere ganz unabhängig von ihrer stabilitätspolitischen Notwendigkeit in jedem Falle zu begrüßen, sofern sie nicht einer möglichen Unglaubwürdigkeit zum Opfer fallen wird. Sofern dies nicht der Fall sein sollte und sofern auch die Geldpolitik in der Europäischen Union dauerhaft auf stabilitätsgerechtem Kurs bleibt, könnte allerdings ein Umfeld entstehen, welches in dieser Hinsicht durchaus neu wäre: ein Binnenmarkt mit einem verlässlichen stabilitätspolitischen Umfeld, innerhalb dessen die Wirtschaftsakteure auf Dauer weder Inflation noch überbordende staatliche Defizite mit allen ihren negativen Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Prosperität fürchten müssen.
IV. Tiefere wirtschaftliche Integration durch tiefere wirtschaftspolitische Integration? Möglicherweise liegt in dem zuletzt angedeuteten Szenario eine wesentlich höhere wirtschaftliche Integrationskraft als in den unmittelbaren Wirkungen der Währungsunion selbst. Sollte sich nämlich das stabilitätspolitische Umfeld im ganzen EURO-Währungsgebiet als gleichermaßen stabil erweisen, so werden mit internationalen Transaktionen verbundene Risiken vermindert, so dass ein intensiverer internationaler Austausch das Ergebnis sein könnte. Eine Tendenz dazu ist seit über einem Jahrzehnt deutlich zu erkennen. So haben sich die Inflationsraten im EURO-Währungsgebiet nicht nur einander angenähert, sondern sie sind auch insgesamt spürbar gesunken. Das Gleiche gilt für die Nettoneuverschuldung sowie den Schuldenstand. Diese Form der Vereinheitlichung des wirtschaftspolitischen Umfeldes ist zu begrüßen, weil mit ihr destruktive Tendenzen nicht-stabilitätsgerechten Verhaltens gebrochen werden können. Weiter oben wurde bereits gezeigt, dass bei aller Vereinheitlichung im Bereich der Fiskalpolitik ausreichend Spielraum zur
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Abwehr von Konjunkturkrisen verbleiben dürfte, sofern sich die Staaten in normalen Zeiten an die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes halten. Es wäre allerdings falsch, aus der begrüßenswerten stabilitätspolitischen Konvergenz den Schluss zu ziehen, dass auch andere Bereiche der Wirtschaftspolitik idealerweise konvergieren oder gar vereinheitlicht werden sollten. Eine Harmonisierung der Wirtschaftspolitik lässt sich nämlich ökonomisch nur rechtfertigen, wenn die nicht-harmonisierte Politik in einem signifikanten Maße zu ineffizienten Politikgleichgewichten führt und wenn diese Ineffizienzen durch eine Harmonisierung spürbar vermindert werden können. Dies trifft zweifellos zu im Bereich der Protektionismusbekämpfung auf den Güter- und Faktormärkten, dem Subventionsabbau, teilweise auch im Bereich des Umweltschutzes. Schließlich scheint es so, dass auch der Abbau der Staatsverschuldung im Rahmen eines supranationalen Überwachungssystems zumindest hilfreich flankiert werden kann. Wenn die Steuer- und Sozialpolitik diskutiert wird, so sind die Diagnosen dazu aber bereits umstritten. Denn sofern es nicht darum geht, ineffiziente Politikgleichgewichte im Wege europaweiter Regeln zu vermeiden, bieten unterschiedliche Politikangebote zwischen den Mitgliedstaaten Chancen, die sich bei einer vereinheitlichten Politik nicht ergäben. Herauszuheben ist die damit vergeeignete wirtbundene Chance, im Wege eines Trial-and-error-Prozesses schaftspolitische Konzeptionen zu erarbeiten und ständig zu verbessern. Dezentrale Prozesse verbessern auf Grund ihrer Vielfalt die Informationsbasis und setzen die Politiker über die Vergleichsmöglichkeit durch die Wähler unter Handlungsdruck (Besley / Case, 1995). Daher verbleibt als eine schwierige ordnungspolitische Aufgabe in Europa die Entscheidung darüber, inwieweit und an welcher Stelle die Vielfalt unterschiedlicher Politiken mehr Wohlfahrt für die Bürger verspricht als ein einheitlicher Handlungsrahmen. Im Bereich der Stabilitätspolitik sind die Würfel hierzu im Wesentlichen gefallen. In vielen anderen Bereichen stehen die Entscheidungen noch aus.
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Währungs- und wirtschaftspolitische Konvergenz in der E U : Ausreichende Mittel für eine Vertiefung der Integration? Von Rolf H. Hasse
I. Problemstellung Das Kennzeichen vieler Diskussionen über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) in der Politik und auch in der Wissenschaft ist eine unzureichende Systematisierung des Analyse- bzw. Streitgegenstandes. Deshalb ist es zweckmäßig, die angestrebten Kernaussagen vorab zu umreißen. Der folgende Analysegegenstand ist die währungs- und wirtschaftspolitische Konvergenz. Das zu prüfende Ziel ist die Vertiefung der Integration mittels der währungs- und wirtschaftspolitischen Konvergenz. Das Mittel ist die Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Gerade das letzte Element scheint eine Nähe zur Sachzwangstrategie zu haben: Dieser Eindruck täuscht aber, weil mit der währungs- und wirtschaftspolitischen Konvergenz keine Mechanismen verbunden sind, sondern originäre und zu wiederholende politische Entscheidungen über die Konzeption und den Einsatz der Instrumente der Währungs- und Wirtschaftspolitik. Auch reicht dieses Problemfeld in den Bereich des Wettbewerbs der Politiken, wem ζ. B. die letzte Verantwortung für die Wirtschaftspolitik auf der nationalen Ebene verbleibt. Da die währungs- und wirtschaftspolitische Konvergenz nicht nur auf die Ergebnisse dieser Politikbereiche abstellt, sondern die politischen Entscheidungsbereiche als vorgelagerte und entscheidende Ebenen betrachtet, umfaßt sie sowohl die Ordnungs- als auch die Prozesspolitik. Ferner führen diese Betrachtungsrahmen folgerichtig dazu, mehr als die ökonomische Integration zu beachten. Darüber hinaus sind einige Erläuterungen zweckmäßig, um die Inhalte der Begriffe wirtschaftliche Konvergenz und wirtschaftspolitische Konvergenz nicht zu verwechseln: Wirtschaftliche Konvergenz ist der Begriff des EGVertrages; sie umfaßt die Vorgabe von Zielen, läßt aber den Bereich der Umsetzung - der Prozesspolitik (teilweise auch der ordnungspolitischen Konzeption) - relativ ungeklärt. Die wirtschaftspolitische Konvergenz reicht weiter; sie
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umfasst politische Entscheidungen über Ziele und Formen der Wirtschaftspolitik. Damit ist zu klären, welche -
Bereiche der Wirtschaftspolitik (Währungspolitik) zentral (auf Gemeinschaftsebene) und welche dezentral (auf der Ebene der Mitgliedstaaten) entschieden werden sollen;
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Zielsetzungen sollen gelten, wie werden sie entschieden, und wie werden Koordinierungsverfahren gestaltet, um Konvergenz zu erreichen;
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wirtschaftspolitischen Instrumente sind konform mit der ordnungspolitischen Grundmaxime in der Gemeinschaft; hat die Gemeinschaft für ihren Binnenmarkt und ihre Wirtschafts- und Währungspolitik ein ökonomisch konsistentes Paradigma?
Ausgeklammert werden durch die Ausrichtung auf die währungs- und wirtschaftspolitische Konvergenz die Aspekte der nominalen bzw. realen Konvergenz. Ebenso soll bei der stärkeren Beachtung der politischen Entscheidungen die Frage ausgeklammert bleiben, ob eine Politische Union am Anfang/am Ende gegeben sein sollte oder ob sie durch eine originäre politische Entscheidung oder durch einen Prozess als Folge der zunehmenden währungs- und wirtschaftspolitischen Konvergenz entstünde.1
I I . E W W U - Ziel und Integrationshemmungen Im Zusammenhang mit der Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) sind seit 1969 massive Konflikte und Schwierigkeiten aufgetreten. 2 Die Kenntnisse über die ökonomischen und politischen Rückwirkungen dieses Integrationszieles waren nicht unbekannt, aber der politische Wille, sie zu akzeptieren, reichte lange nicht aus. Die fortschreitende wirtschaftliche Integration erhöhte die wirtschaftliche Interdependenz, sie verkleinerte die nationalen Gestaltungsspielräume und verlangte nach zusätzlichen Koordinierungen oder sogar nach Zentralisierung der Entscheidungskompeten1 Vgl. u.a. Hasse, Rolf //., Verknüpfung von politischer Union und WWU oder wieviel politische Union braucht eine WWU?, in: Hasse, Rolf H. / Schenk, Karl Ernst / Wass von Czege, Andreas, Hrsg., Herausforderungen der Europäischen Währungsunion, Schriftenreihe des Europa-Kollegs Hamburg zur Integrationsforschung, Band 22, Baden-Baden 1999, S. 35 - 49. 2 Vgl. u.a. Willgerodt, Hans / Domsch, A. / Hasse, R. / Merx, V., Wege und Irrwege zur Europäischen Währungsunion, Freiburg i.Br. 1972; Hasse, Rolf The European Central Bank: Perspectives for a Further Development of the European Monetary System, Gütersloh 1990; Rolf Caesar and Hans-Eckhart Scharrer, eds., European Economic and Monetary Union: Regional and Global Challenges, Baden-Baden 2001.
Konvergenz in der EU Mittel für eine Vertiefung der I n t e g r a t i o n ? 9 1
zen. Allmählich reichten die entstehenden Notwendigkeiten in die Bereiche der wirtschaftspolitischen Souveränität der Mitgliedstaaten hinein - zuerst bei den Mitgliedsländern, die eine ausgeprägte Neigung zugunsten staatlicher Interventionen in der Wirtschaftspolitik, Fiskalpolitik sowie in der Geldpolitik praktizierten. Erschwerend trat hinzu, dass der institutionelle Rahmen dieser Politikbereiche in den Mitgliedsländern stark unterschiedlich ausgestaltet war, so dass Änderungsvorschläge sofort auf staatsrechtliche Barrieren stießen. Die Vertiefung der Integration verlangte Änderungen in den wirtschaftspolitischen Paradigmen, in der Verteilung der wirtschaftspolitischen Entscheidungsrechte und damit eine Neugestaltung des institutionellen Rahmens (vgl. Abb. 1).
1. Ebenen der Währungs- und Wirtschaftsunion
Eine Antwort auf die Frage, inwieweit eine EWWU ein Mittel zur Vertiefung der Integration sei, läßt sich nurfinden, wenn man -
die Bereiche der EWWU klärt und abgrenzt,
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die Alternative zur Gestaltung des Ordnungsrahmens und der Prozeßpolitik umreißt,
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die Lösung in den Verträgen von Maastricht/Amsterdam analysiert und
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mögliche Inkonsistenzen und ihre Folgen analysiert.
Eine EWWU umfasst zwei Integrationsbereiche, für die jeweils eigene und abweichende Entscheidungen über Gestaltung des Ordnungsrahmens und der Prozesspolitik zu treffen sind. -
Eine Währungsunion umfasst als Märkte die Finanzmärkte sowie den Devisenmarkt. Der Politikbereich der währungspolitischen Konvergenz kann grundsätzlich dezentral oder zentral geordnet werden (vgl. Abb. 2).
-
Die Wirtschaftsunion umfaßt im Marktbereich den Gemeinsamen Binnenmarkt mit dem Güter- und Dienstleistungsmarkt und den Arbeitsmarkt. Auch für die Wirtschaftsunion stehen im Politikbereich prinzipiell zwei Lösungsalternativen zur Verfügung: Zentral durch Transfer der Kompetenzen auf die Gemeinschaftsebene oder dezentral, indem die Entscheidungen in der Wirtschaftspolitik national bleiben. Dann sind aber Koordinierungsverfahren erforderlich, um in einem Binnenmarkt Störungen auf makroökonomischer (unterschiedliche Prozesspolitiken) und mikroökonomischer Ebene (Verzerrungen der Marktallokation) zu vermeiden.
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Rolf H. Hasse 2. Die Konzeption von Maastricht
Für die währungspolitische Konvergenz ist der Vertrag von Maastricht dem vorherrschenden Paradigma gefolgt und hat die zentrale Lösung gewählt. Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) hat zwar dezentrale Elemente, aber die Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen sind eindeutig zentralisiert worden: In der Geldpolitik beim ESZB bzw. dem Europäischen Zentralbankrat (Art. 106 ff.) sowie für die Entscheidungen über das Wechselkursregime und mögliche Wechselkursanpassungen beim Rat der Europäischen Wirtschafts- und Finanzminister - ECOFIN (Art. 111). Darüber hinaus sind zwei weitreichende ordnungspolitische Rahmenbedingungen kodifiziert worden: 1. Das ESZB ist von politischen Weisungen unabhängig und das primäre Ziel seiner Politik ist die Preisstabilität. 2. Mit der Neufassung des Kapitels 4 „Der Kapital- und Zahlungsverkehr" (Art. 56 - 60) ist die konditionierte Konvertibilität für den Kapitalverkehr des EWG-/EGVertrages umgewandelt worden in eine generelle Konvertibilitätsgarantie. Im Bereich der Finanzmärkte und der Devisenmärkte gelten die Prinzipien der Offenheit und des Wettbewerbs. Für die Realisierung der wirtschaftspolitischen Konvergenz wurde im Vertrag von Maastricht eine Lösung beschlossen, die in den Zielen und Grundlagen übereinstimmt mit derjenigen der währungspolitischen Konvergenz - die Wirtschaftspolitik in der EU ist dem Grundsatz „einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet" (Art. 4 Absatz 1). Gänzlich anders ist der institutionelle Rahmen für die Prozesspolitik, indem eine dezentrale Lösung gewählt worden ist. Art. 99 gibt den Rahmen vor, der eine Fortführung, Erweiterung, Konkretisierung und Präzisierung der Regelungen ist, die bereits im EWG-Vertrag die Grundlage für die Wirtschaftspolitik im Integrationsraum darstellte. „Die Mitgliedstaaten betrachten ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamen Interesse und koordinieren sie im Rat nach Maßgabe des Artikels 98". Dadurch verbleibt die Kompetenz für die Wirtschaftspolitik auf nationaler Ebene. Diese dezentrale Gestaltung wird fortgeführt, indem die für das Ergebnis (wirtschaftspolitische Konvergenz) wichtige Koordinierung als Verpflichtung und Bemühungszusage formuliert wird. Dennoch gibt es gewichtige Veränderungen auf die geachtet werden muß, um eine angemessene Antwort auf die Frage zu finden, ob der zunehmenden Integration durch den Binnenmarkt und damit der gewachsenen Integrationstiefe bzw. wirtschaftlichen Interdependenz im Bereich der nationalen Wirtschaftspolitiken Rechnung getragen worden ist. Einmal haben die nationalen Wirtschaftspolitiken einen ordnungspolitisch bedeutsamen Katalog an Orientierungen und Restriktionen erhalten. Zum zweiten muß festgestellt werden, dass
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die Konzeption des Binnenmarktes unzureichend gewesen ist, weil die nationalen Arbeitsmärkte ausgeklammert worden sind. Der Vertrag von Maastricht hat diese Lücke bestehen lassen, der Vertrag von Amsterdam sowie die beschäftigungspolitischen Initiativen danach haben diesen Mangel nur teilweise behoben. Vor allem scheint nicht klar genug, dass der Arbeitsmarkt - hier in Form des eingefugten „Titel VIII, Beschäftigung" (Art. 125 - 130) ebenso wie die Wirtschaftspolitik den allgemeinen Orientierungen und Restriktionen unterliegt. Der Arbeitsmarkt genießt keinen Sonderstatus, für ihn gelten Art. 2 EU-V und Art. 2 EG-V und damit auch die Vorgaben der Art. 3 und 4 des EGV (vgl. Art. 125 EG-V), also die Verpflichtung für den Grundsatz „einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb". Für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes und damit auch des Arbeitsmarktes sind die Prinzipien für den Anpassungsprozess an wirtschaftliche Datenänderungen ausschlaggebend. Grob kann man dafür zwei Lösungswege unterscheiden: -
Den funktionellen Ansatz: Das Schwergewicht der Anpassung liegt bei den Marktmechanismen. Die staatliche Aufgabe ist es hierbei, diese Anpassungsprozesse auf den Märkten zu stärken und zu unterstützen.
-
Den staatlich-kompensatorischen Ansatz: Ungleichgewichte auf den Märkten führen häufiger zu staatlichen Interventionen, mit denen versucht wird, die Ungleichgewichte zu beheben.
Während der funktionelle Ansatz prinzipiell von der Fähigkeit der Marktteilnehmer und damit des Marktprozesses ausgeht, endogen zum Gleichgewicht zurückzufinden, unterstellt der staatlich-kompensatorische Ansatz generell oder eher, dass der Marktprozess durch Marktversagen geprägt ist und exogene Korrekturen benötigt. Der staatlich-kompensatorische Ansatz unterliegt dem Risiko des Staatsversagens, das in der Regel nicht zur Aufgabe dieser Art Politik führt, sondern zur Verstärkung oder zum Wechsel bzw. zur „Ergänzung" der interventionistischen Maßnahmen (Interventionskette). Der Vertrag von Maastricht enthält eine klare Priorität zugunsten des funktionellen, des marktwirtschaftlichen Ansatzes: 1. Der Wirtschaftspolitik wird aufgegeben, „... im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird ...", zu stehen. 2. Dieser Grundsatz wird in Art. 4 Absätze 1 und 2 wiederholt („Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb"). 3. Die EZB verfolgt ihr prioritäres Ziel - Preisstabilität - der Geldpolitik ebenfalls „... im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit
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freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird" (Art. 105 Abs. 1). Diese Grundsätze werden ergänzt durch die weitreichenden Vorgaben für die Währungspolitik: 4. Die Freiheit des Zahlungs- und Kapitalverkehrs wird „erga omnes" durch den Vertrag von Maastricht kodifiziert (Art. 56-60). Damit wird die Konditionierung der Freiheit des Kapitalverkehrs, wie sie seit 1958 existierte („... soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist..." - Art. 67 Abs. 1 EWG-V), aufgehoben. 5. Der Rat wird für seine währungspolitischen Entscheidungen und für seine wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf das Ziel der Preisstabilität verpflichtet. Art 111 Absätze 1 und 2 legen ihm auf, bei Entscheidungen zur Wechselkurspolitik „... die Preisstabilität zu gewährleisten". 6. Noch deutlicher in die Wirtschaftspolitik hinein reicht Art. 116. In diesem Artikel werden einmal die Mitgliedstaaten einzeln auf „... die für die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion notwendige dauerhafte Konvergenz, insbesondere hinsichtlich der Preisstabilität und gesunder öffentlicher Finanzen ..." verpflichtet. Ferner wird der Rat gleichfalls auf dieselben Grundsätze verpflichtet („insbesondere hinsichtlich der Preisstabilität und gesunder öffentlicher Finanzen"). 7. Die Konvergenzkriterien und die Überwachungsaufgaben der Art. 99 und 104 sowie der Stabilitäts- und Wachstumspakt ergänzen diesen dezentralen Ansatz und seine klare ordnungspolitische Ausrichtung. 8. Abgerundet wird die Priorität zugunsten des funktionellen Ansatzes, indem auf der Gemeinschaftsebene ausdrücklich Elemente des staatlichkompensatorischen Ansatzes ausgeschlossen oder stark eingeschränkt werden: Durch die „no bail-out Regel" gemäß Art. 103 sowie durch die strengen Auflagen bei dem „Finanziellen Beistand" gemäß Art. 100.3 Als Zwischenfazit kann festgehalten werden: Der Vertrag von Maastricht hat bewußt unterschiedliche institutionelle Lösungen für die währungspolitische und für die wirtschaftspolitische Konvergenz gewählt.
3
Dieser Beistand kann auf Gemeinschaftsebene im Normalfall nur einstimmig aktiviert werden. Bei „gravierenden Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren"; wenn „außergewöhnliche Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen", einen Mitgliedstaat treffen; kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit über einen finanziellen Beistand beschließen.
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Die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik ist primär in nationaler Verantwortung belassen worden, sie hat allerdings einen gemeinschaftlichen Handlungsrahmen erhalten. Es wurde dezidiert ein funktioneller Ansatz für die Anpassungsprozesse vorgegeben und eine gemeinschaftliche, staatlichkompensatorische Strategie ausgeschlossen. Der Gemeinschaftsebene werden Aufgaben zugewiesen, innerhalb dieses Rahmens Orientierungen zu geben und die Anpassungsprozesse zu überwachen - notfalls mit dem Druck von Sanktionen (Art. 104). Dennoch enthält diese Lösung offene Flanken, die zu Spannungen führen können. Der funktionelle Ansatz folgt der Binnenmarktstrategie mit seiner Ausrichtung zugunsten offener Märkte und freiem Wettbewerb. Der Binnenmarkt ist aber noch unvollständig. Auf dem Gütermarkt fehlen weiterhin substantielle Vertiefungen. Der Arbeitsmarkt wurde in Maastricht ganz ausgeblendet und durch die Ergänzung von Amsterdam nur höchst unzureichend der Binnenmarktkonzeption angenähert, obwohl er ökonomisch einen entscheidenden Anteil an einem funktionsfähigen Binnenmarkt hat. Es darf sein politisches Störpotential nicht übersehen werden, das den Marktansatz des Vertrages berühren kann. Ein weiteres Problem verlangt eine klärende Diskussion. Welche wirtschaftspolitischen Instrumente sind kompatibel mit dem so definierten Binnenmarkt; welche dürfen eingesetzt, welche sollten ausgeklammert werden, um die Bedingung des Art. 99 zu erfüllen - eine Wirtschaftspolitik „von gemeinsamem Interesse" national zu führen. 4
I I I . Vorstellungen zur wirtschaftspolitischen Konvergenz in den Vorläufern des Vertrages von Maastricht Die Lösung für die „wirtschaftspolitische Konvergenz", wie sie im Vertrag von Maastricht in den Ergänzungen von Amsterdam und durch die Praxis der Überwachung umrissen wird, weicht entscheidend von allen Vorschlägen ab, die seit 1970 diskutiert worden sind - unerheblich ob sie von Monetaristen oder Ökonomisten entwickelt worden sind. Stellvertretend sollen nur die Vorstel-
4 Brüssel's Initiative, Convergence - Coherence - Adjustment. The need for the convergence in the area of economic policy and coherence in terms of the mentalities of the EU Member States with a view to future cooperation and adjustment in the EMU, Brüssel 1998. Die „Brussels Initiative" ist eine Gruppe europäischer Ökonomen, die die Wirtschaftspolitik der EU begleiten. Zu beziehen durch: Konrad Adenauer Foundation, Ave de 1' Yser 11, B-1040 Brussels.
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lungen des WERNER-Berichts (1970) und der DELORS-Kommission (1989) skizziert werden.5 Der WERNER-Bericht plädierte für wirtschaftspolitische Kompetenzen auf der Gemeinschaftsebene - also für eine zentrale Lösung. Er schlug vor, zwei Institutionen zu errichten: Eine für die Geldpolitik - eine Europäische Zentralbank - und eine Institution für die Wirtschaftspolitik, die das Recht haben sollte, Höhe, Entwicklung der nationalen Haushaltssalden, die Finanzierung der Budgetdefizite, die Verwendung von Budgetüberschüssen sowie den Einsatz des Budgets für die Konjunkturpolitik zentral festzulegen bzw. zu beeinflussen. Die DELORS-Kommission empfahl 1989 ebenfalls eine Europäische Zentralbank. Als zweites makroökonomisches Gestaltungselement wurde vorgeschlagen, dem ECOFIN bindende Kompetenzen vor allem im budgetären Bereich zu übertragen. In Zusammenwirken mit dem Europäischen Parlament sollten die nationalen Haushaltspolitiken direkter gesteuert werden können. Der Vertrag von Maastricht folgte diesen Vorstellungen nicht. Ist er dadurch unvollständig oder wurde bewußt eine ordnungspolitisch abweichende Konzeption gewählt? Wenn die zweite Möglichkeit bejaht wird, müsste geklärt werden, wie die nationalen Wirtschaftspolitiken dieser Konzeption entsprechen sollen und gleichzeitig der gewollten Vertiefung der Integration dienen können. Dieses Problem ist bisher nicht vollständig gelöst.
IV. Der Vertrag von Amsterdam, europäische Beschäftigungspolitik und offene Koordinierung - Wege zu mehr wirtschaftspolitischer Konvergenz? Der Gipfel von Amsterdam hat im Bereich der „wirtschaftspolitischen Konvergenz" zwei Ergebnisse gebracht, deren ordnungspolitische Qualitäten sehr unterschiedlich eingeschätzt werden können. Darüber hinaus hat ein Prozeß begonnen, durch ein System der „offenen Koordinierung" die wirtschaftlichen Anstrengungen in der EU wirksamer zu koordinieren und die Ergebnisse zu verbessern. Positiven Elementen stehen problematische Elemente gegenüber. Positiv an diesen Prozessen ist jedoch, dass die Anstrengungen verstärkt worden sind, die Formeln „von gemeinsamem Interesse" und „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird" in der praktischen Wirtschaftspolitik mit Inhalt zu füllen. Die 5
Vgl. Willgerodt, H. /Domsch, A. /Hasse, R. /Merx, V.\ Wege und Irrwege zur Europäischen Währungsunion, a.a.O., S. 94 ff.; Hasse, Rolf, The European Central Bank, a.a.O., S. 179 ff.
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wirtschaftlichen Bedingungen in der EU zwingen auch zu größeren Anstrengungen, da die Wettbewerbsfähigkeit vieler Zweige in den Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsländer schwächelt und die Wachstumsraten sinken. Im Vertrag von Amsterdam wurden zwei Ergänzungen bzw. Änderungen des Konzepts von Maastricht beschlossen: -
Es wurde ein Stabilitäts- und Wachstumspakt verabschiedet,
-
und es wurde das Ziel der Beschäftigung herausgehoben in den Vertrag aufgenommen sowie eine eigene Beschäftigungskommission eingerichtet.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt präzisiert den Art. 104. Er kann durchaus im Sinne einer Kontinuität der Konzeption des Vertrages von Maastricht verstanden werden. Denn er schränkt staatlich-kompensatorische Strategien der Wirtschafts- und Budgetpolitiken der Mitgliedstaaten ein. Diese Einschätzung verliert auch nicht dadurch an Aussagekraft, dass in seiner ersten großen Bewährungsprobe 2002 die Mitgliedstaaten massive Versuche unternommen haben, die restriktiven Auflagen des Paktes aufzuweichen. Trotz der begrenzten Lockerung durch die Kommission (Verlängerung des Zeitraums, bis zu dem ausgeglichene Haushalte erreicht zu sein haben - von 2004 auf 2006) und trotz der Zustimmung durch die EZB hat das rechtliche und institutionelle Gerüst dieses Paktes Konvergenzeffekte erzeugt.6 Vor allem die Kommission hat relativ viel Standvermögen bewiesen. Allerdings müssen ihre Vorstellungen zugunsten größerer wirtschaftspolitischer Kompetenzen einzeln und sorgfältig abgewogen werden.7 Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Einschätzung der europäischen Beschäftigungspolitik. Unumstritten ist, dass gerade in den großen EWU-Ländern die nationalen Arbeitsmärkte in ihrer Anpassungsfähigkeit weder den Bedingungen des Binnenmarktes noch denen des Marktansatzes noch der Lösung für die wirtschaftspolitische Konvergenz noch den Herausforderungen der EUOsterweiterung entsprechen. Was ist in den Art. 2 EU-V und Art. 2, 3, 125-130 EG-V geregelt worden? Die EG vereinbarte -
die Förderung und Koordinierung der Beschäftigungspolitik,
-
die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie.
6 Vgl. Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 45, 4. Oktober 2002, passem. 7 Vgl. Wernicke / Prodi: Brüssel ist zu Machtverzicht bereit, Süddeutsche Zeitung vom 27. Februar 2002, abgedruckt in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 11, 1. März 2002, S. 13.
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Was fällt auf, wenn man die Regeln und Zielsetzungen analysiert? 1. Es besteht in Analogie zur allgemeinen Wirtschaftspolitik ein klarer Vorrang der nationalen Beschäftigungspolitik. 2. Es wird eine prioritäre Förderung der Humankapitalbildung und der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) angestrebt (Art. 125). 3. Es bestehen groß angelegte Berichtspflichten für die Mitgliedstaaten. 4. Leitlinien zur Beschäftigungspolitik kann der Rat auf der Grundlage der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit beschließen, „welche die Mitgliedstaaten in ihrer Beschäftigungspolitik berücksichtigen" (Art. 128 Abs. 2). Die Leitlinien sind Referenzmaße für die Beurteilung der Länderberichte. 5. Der Rat kann Empfehlungen formulieren. 6. Der Rat kann Anreizmaßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und Initiativmaßnahmen (Pilotprojekte) beschließen, um den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren zu entwickeln (Art. 129). 7. Die Sozialpartner werden fast gar nicht erwähnt. Lediglich der Beschäftigungsausschuss (Art. 130) hat diese Kontaktpflege als Auflage: „Bei der Erfüllung seines Auftrages hört der Ausschuß die Sozialpartner". Diese Gestaltung beschränkt sich also -
auf „vormarktliche" Maßnahmen,
-
auf staatliche Initiativen.
Darüber hinaus wird in Art 129 noch einmal der subsidiäre Charakter der europäischen Beschäftigungspolitik hervorgehoben: „Diese Maßnahmen schließen keinerlei Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ein". Damit werden auch die Regeln der nationalen Einkommenspolitik und der Tarifpolitik sowie der Tarifautonomie der Sozialpartner als Politikbereich auf der Gemeinschaftsebene ausgeklammert. Die bisherige Praxis der Beschäftigungspolitik soll in wenigen Zügen umrissen und beurteilt werden. Nachdem am Anfang die Politik verbal überschoss („absolute Priorität"), ist es nicht nur stiller und pragmatischer geworden, sondern auch wieder zu ruhig, wenn man die ungelösten Aufgaben auf den europäischen Arbeitsmärkten als Maßstab nimmt. Auch ist es dadurch unklar, welcher Lösungsansatz für den Arbeitsmarkt vorrangig gelten soll. Auf dem Sondergipfel von Lissabon (März 2000) und auf dem Treffen des Europäischen Rates in Stockholm (März 2001) wurde als Verfahren, um die
Konvergenz in der EU: Mittel f r eine Vertiefung der I n t e g r a t i o n ? 9 9
Konvergenz der Wirtschaftspolitik in den Ergebnissen und/oder in den Formen und Instrumenten zu fordern, die Methode der „offenen Koordinierung" als Begriff formuliert und in seinen Zielen und Mitteln definiert. Die „offene Koordinierung" basiert auf folgenden Verfahren: -
Vereinbarung kurz-, mittel- und langfristiger Ziele in Form von Leitlinien im Rat;
-
Festlegung quantitativer und qualitativer Indikatoren und Benchmarks für den Vergleich bewährter Praktiken;
-
Umsetzung der europäischen Leitlinien auf der Ebene der Mitgliedstaaten durch die Vorgabe konkreter Ziele und den Erlass entsprechender Maßnahmen sowie die
-
regelmäßige Überwachung, Bewertung und gegenseitige Prüfung („PeerReview"), Evaluierung der Fortschritte.
Die Methode der offenen Koordinierung scheint ideal zu sein, um das Prinzip der Subsidiarität in der Beschäftigungspolitik zu beachten. Denn eigene Kompetenzen werden der Kommission in der Beschäftigungspolitik nicht eingeräumt. Statt dessen werden Leitlinien, Überwachung, Indikatoren und Benchmarks empfohlen, um die nationalen Arbeitsmärkte flexibler und wettbewerbsfähiger zu gestalten. Mit diesen Instrumenten wird seit 1997 europäische Beschäftigungspolitik betrieben, ohne dass es zu nennenswerten Korrekturen der Arbeitsmarktregulierungen in den Ländern gekommen ist, deren Arbeitsmärkte als rigide, inflexibel und wettbewerbsbehindernd eingeschätzt werden (u. a. Deutschland, Frankreich, Italien). Darüber hinaus gibt es einen Bereich, der kritisch beachtet werden soll. Es sind Bündel von Indikatoren ausgewählt worden bzw. sollen für die Überwachung und Erfüllung von Leitlinien und Benchmarks entwickelt werden. Dabei ist eine starke Präferenz zugunsten quantitativer Indikatoren feststellbar. Die ureigensten Probleme der Arbeitsmärkte liegen aber nicht in Zahlen, die ohnehin nur ex post erfaßt werden. Der Kern der Schwierigkeiten liegt in den Regulierungen, die die Dynamik und Anpassungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt bremsen bis aufheben. Dies bewirken institutionelle und rechtliche Hemmnisse. Diese sind aber ebenso wenig Gegenstand dieser Beschäftigungskriterien, wie die Hauptakteure auf den Arbeitsmärkten - die Tarifpartner - in den Prozess eingebunden werden, der die marktliche Anpassungskapazität der Arbeitsmärkte verbessern soll. Kurzum, die europäische Beschäftigungspolitik ist gekennzeichnet durch gute Ansätze (Benchmark), ein hohes Maß an Aktivitäten und teilweise durch ordnungspolitische Vorstellungen, die eindeutig das Zentrum der Schwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten ausklammern (Tarifpartner, Lohn- und Verteilungspolitik, rechtliche Regeln der Arbeitsmarktbeziehungen, Tarifschutzge-
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setze ohne Öffnungsoptionen, Allgemeinverbindlichkeitsformeln und einseitige Regelungen des Günstigkeitsprinzips). Die europäischen Länder, die Erfolge seit 1990 auf dem Arbeitsmarkt erzielt haben (u.a. Dänemark, Niederlande, Irland), haben diese erst realisiert, als sie sich zu Reformen dieser Regelungsebenen im Sinne größerer Flexibilität und Marktkonformität durchgerungen haben. In diesen Ländern ist es gelungen -
die Verbindung zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Beschäftigung zu verbessern, während in den Ländern ohne Arbeitsmarktreformen und mit einem hohen Grad der Arbeitsmarktregulierung die Entkoppelung der Beschäftigung vom Wachstum seit 1990 teilweise dramatisch größer geworden ist;
-
zudem sind dort die Erwerbsquoten vielfach höher und die Arbeitslosenquoten niedriger (vgl. Tabelle 1).
Weil gerade in den großen Mitgliedsländern mit einem hohen Grad an Arbeitsmarktregulierungen und Beschäftigungsproblemen der politische Reformwille fehlt, werden Ersatzmaßnahmen ergriffen. Einmal werden nahezu ausschließlich staatliche Maßnahmen vorgeschlagen und eingeleitet; dadurch übernimmt der Staat Verantwortung für Probleme, die hauptsächlich von anderen Akteuren verursacht worden sind - den Tarifpartnern. Ferner werden Maßnahmen vorgeschlagen, die nur langfristig wirken können und eher als palliativ einzuschätzen sind, wenn man sie den existierenden Formen und der aktuellen Höhe der Arbeitslosigkeit gegenüberstellt (u.a. lebenslanges Lernen, Verbesserung der Qualität des Schulsystems, Beitrag der Sozialpartner zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsmöglichkeiten). Die europäische Arbeitsmarktpolitik folgt nicht dem funktionellen Lösungsansatz, sondern ist in ihrer jetzigen Form deutlich staatlich-kompensatorisch ausgerichtet. Sie ist damit weder binnenmarktkonform noch entspricht sie dem Grundsatz für die Wirtschaftspolitik, den der Vertrag von Maastricht vorgibt: eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Was die EU benötigt, ist eine Initiative auf Gemeinschaftsebene zugunsten von mehr Markt auf den nationalen Arbeitsmärkten - quasi eine Ergänzung der Strategie „Binnenmarkt '92", die die Güter- und Dienstleistungsmärkte liberalisierte und eine Wirtschaftsunion schuf, durch eine Strategie „Mehr Markt für die Arbeit". Dies ist auch für die Vertiefung der Integration erforderlich. Die Wirtschaftsunion ist elementare Voraussetzung für eine nachhaltig funktionierende Währungsunion. Nicht kongruent anpassungsfähige Güter- und Dienstleistungsmärkte auf der einen und der Arbeitsmarkt auf der anderen Seite signalisieren nicht nur, dass die Wirtschaftsunion noch unvollendet ist. Rigide Arbeitsmärkte können bei Strukturänderungen oder Rezessionen auch die Funkti-
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onsfähigkeit des Binnenmarktes sowie der Wirtschaftsunion hemmen und sogar zerstören - dann ist auch die Währungsunion gefährdet. Dies gilt vor allem, wenn auf dem Güter- und Dienstleistungsmarkt eine marktkonforme Anpassung durch die Unternehmen erzwungen und angestrebt wird, auf dem Arbeitsmarkt demgegenüber eine staatlich-kompensatorische Lösung praktiziert wird. Letztere hebt die Mengen-, Preisanpassung auf und damit auch den Marktanpassungsprozeß. In einem derartigen Aufeinanderprallen der beiden Lösungsansätze für die wirtschaftspolitische Konvergenz obsiegt in der Regel die marktinkonforme Variante der staatlich-kompensatorischen Politik, die eindeutig die Integrationsvorstellung der EWG von 1958 sowie die Integrationskonzeption des Vertrags von Maastricht missachtet.
V. Ein Zwischenfazit Der Vertrag von Maastricht kodifizierte für die wirtschaftspolitische Konvergenz deutlich den funktionellen Ansatz bzw. den Wettbewerbs- und marktorientierten Ansatz. Die Konzeption der Wirtschaftsunion blieb unvollständig, da der Arbeitsmarkt ausgeklammert worden ist. Im Vertrag von Amsterdam wurde die Beschäftigung als Ziel aufgenommen und auf dieser Grundlage eine europäische Beschäftigungspolitik eingeleitet. In der europäischen Beschäftigungspolitik wird das politische Dilemma sichtbar, dass gerade die großen Mitgliedsländer politisch nicht gewillt sind, den Arbeitsmarkt in seiner Anpassungsflexibilität an die des Güter- und Dienstleistungsmarktes anzugleichen. Stattdessen wird für die Arbeitsmärkte im kurz- und mittelfristigen Bereich eine staatlich-kompensatorische Politik präferiert. Die Inkongruenz der Anpassungsformen - Wettbewerbs- und marktorientiert
gegenüber staatlich-kompensatorisch - verschlechtert die Anpassungsfähigkeit auf dem Binnenmarkt insgesamt. Dadurch ist die Wirtschaftsunion gefährdet und als Folge davon auch die Funktionsfähigkeit der Währungsunion. Der Vertrag von Maastricht votiert durchgängig für die wirtschaftspolitische Konvergenz in Form der Wettbewerbs- und marktorientierten Lösung (funktioneller Ansatz). Diese Gestaltung der Wirtschaftspolitik in den Mitgliedsländern und der ernsthafte Wille, sie auf dieser Grundlage als Angelegenheit „von gemeinsamen Interesse" zu betrachten, sind tragfähige Fundamente, die Integration zu vertiefen. Die wirtschaftspolitische Fehlorientierung der europäischen Beschäftigungspolitik und insbesondere der Arbeitsmarktpolitiken in den drei großen EWU-Ländern gefährden eine wirtschaftspolitische Konvergenz und
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auch eine Vertiefung der Integration. Sie verletzen die Grundzüge des Vertrags von Maastricht. Sie gefährden auch die Osterweiterung der EU. Diese Länder können nur in eine markt- und wettbewerbsorientierte Wirtschaftsordnung integriert werden, wenn die Union Bestand haben soll. Denn eine EU mit zuviel staatlich-kompensatorischer Politik wird scheitern, weil der Binnenmarkt unterhöhlt wird und weil die dafür notwendige politische Solidarität (gleiche Paradigmen, Finanzierung) fehlt. In diesem Zusammenhang kann daran erinnert werden, dass auch der EWG-Vertrag eine Option zugunsten des funktionellen Ansatzes wählte, weil dieser einmal die Übernahme nationaler Ordnungskonzeptionen (Soziale Marktwirtschaft - Deutschland; Planifikation - Frankreich; Rahmenplanung mit staatlicher Einkommenspolitik - Niederlande; staatliche Industrie-Struktur-Politik - Italien) vermied. Ferner wurde anerkannt, dass die marktwirtschaftliche, wettbewerbsorientierte Gestaltung des Gemeinsamen Marktes allen Teilnehmern gleiche wirtschaftliche Chancen und Risiken bot sowie die existierende politische Solidarität nicht überstrapazierte.
Anhang
Erwerbstätige in Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren.
Bei Wachstum des realen BIP um 1 Prozent verändert sich die Zahl der Erwerbstätigen um χ Prozent.
3
4
Quelle: Institut der dt. Wirtschaft, Deutschland im globalen Wettbewerb 2000, Internationale Wirtschaftszahlen, Köln 2000, Tabellen 6.8 - 6.5, 6.11.
Stand Ende der 90er Jahre, ermittelt durch die OECD (Index: 0 = keine Regulierung, 6 = strenge Regulierung).
Nur Westdeutschland.
1
0,9 1,1 1,5 2,1 2,2 2,3 2,5 2,6 2,6 2,8 3,1 3,4 3,5 3/7
2
Vereinigtes Königreich Irland Dänemark Finnland Niederlande Österreich Belgien Schweden BR Deutschland Frankreich Spanien Italien Griechenland Portugal
Veränderung der Beschäftigung 1990 - 1999 (1990 = 100)
Veränderung (Ent-)Koppelung zwischen Wachstum der Erwerbstäund Beschäftigung4 3 tigenquote in 1980-1990 1990-1998 Prozentpunkten 1999 zu 1990 96,9 -0,8 0,25 -0,19 131,5 +7,5 -0,05 0,42 104,4 -0,1 0,25 0,17 88,6 -9,9 0,13 -1,15 117,5 +9,0 0,56 0,69 102,9 k. A. 0,09 0,14 101,6 +2,9 0,09 0,03 90,7 - 11,6 0,30 -1,38 98,32 -0,3 0,24 -0,48 102,0 -0,5 0,10 0,06 107,7 +1,0 0,31 0,30 95,6 -3,1 0,25 -0,49 104,2 k. A. 0,65 0,26 102,0 +1/3 0^43 0,05
Grad der Arbeitsmarktregulierung1
Tabelle 1: Kennziffern der Arbeitsmarktentwicklung in EG-Mitgliedstaaten 1990-1999 Konvergenz in der EU: Mittel für eine Vertiefung der Integration? 103
-
-
-
Politik Währ unpolitische Konvergenz
Devisenmarkt dezentral zentral gemeinschaftliches WechKoordinierung der Geld- und Vergemeinschaftung selkurssystem Wechselkurspolitik der Währung gemeinschaftliche Wechselder Geldpolitik (Status der EZB) kurspolitik des Wechselkurssystems Freiheit des Zahlungs- und der Wechselkurspolitik Kapitalverkehrs erga omnes klare Zielsetzung für die Geld- und (Konvertibilität) Währungspolitik (Preisstabilität)
Abbildung 2: Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) - Teilgebiet: Europäische Währungsunion
„Offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb"
Finanzmärkte Funktionsfähige Geldmärkte Kapitalmärkte Wettbewerb auf den Märkten
Markt Gemeinschaftliche(r)
104 Rolf H. Hasse
I
,
I
I
zentral
dezentral — —^^^
Abbildung 3: Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), Teilgebiet: Europäische Wirtschaftsunion (EWU)
„Offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb"
-
Arbeitsmarkt
Freiheit des Güter- " Freizügigkeit der Politische Union mit Rechtliche Einbindung Koordinierung der und DienstieisArbeitskräfte Gesetzgebungsbefugnis der Fiskal- und WirtWirtschafts- und Arüber die rdnun s und tungsverkehrs . Marktverfassung ° S " schaftspolitik sowie beitsmarktpolitiken = ,f fììr Hie natinnalpn Ablaufpolitik (WirtRahmenordnungspolitik Konsensbildung Niederlassung*KÄT schaftsverfassung der ftr die nationalen durch Konvergenztreiftei t Gemeinschaft) Arbeitsmärkte durch kriterien und KonGemeinschaftliche Vereinbarungen / vergenzverfahren bei WettbewerbspoliRichtlinien (z.B. Stabi„offener Marktwirttik und Kontrolle litäts- und Wachstumsschaft mit freiem 3 staatlicher BeihilP ^' Richtlinien über Wettbewerb" f en das wirtschaftspolitische Instrumentarium)
Güter- und Dienstleistungsmarkt
Politik Wirtschafts\politische Konvergenz
Markt
Gemeinsamer Binnenmarkt
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Literatur Brussels' Initiative, Convergence - Coherence - Adjustment. The need for the convergence in the area of economic policy and coherence in terms of the mentalities of the EU Member States with a view to future cooperation and adjustment in the EMU, Brüssel 1998. Die „Brussels Initiative" ist eine Gruppe europäischer Ökonomen, die die Wirtschaftspolitik der EU begleiten. Zu beziehen durch: Konrad Adenauer Foundation, Ave de Γ Yser 11, B-1040 Brussels. Caesar, Rolf / Scharrer, Hans-Eckhard (eds.) (2001): European Economic and Monetary Union: Regional and Global Challenges, Baden-Baden. Gröner, Helmut / Schüller, Alfred (Hrsg.) (1993): Die Europäische Integration als ordnungspolitische Aufgabe, Stuttgart, Jena, New York. Hasse, Rolf H. (1990): The European Central Bank: Perspectives for a Further Development of the European Monetary System, Gütersloh. - (1999): Verknüpfung von politischer Union und WWU oder wieviel politische Union braucht eine WWU?, in: Hasse, Rolf H. / Schenk, Karl Ernst / Czege, Graf Wass von (Hrsg.): Herausforderungen der Europäischen Währungsunion, Schriftenreihe des Europa-Kollegs Hamburg, Institut für Integrationsforschung, Band 22, BadenBaden. Hasse, Rolf H. / Kunze, Cornelie (Hrsg.) (2001): Europäische Integration. Vertiefung durch Erweiterung. Transformation, Leipziger Beiträge zu Wirtschaft und Gesellschaft, Band 10, Leipzig. Klemmer, Paul (Hrsg.) (1998): Handbuch der Europäischen Wirtschaftspolitik, München. Wagner, Helmut (1995): Europäische Wirtschaftspolitik. Perspektiven einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), Berlin / Heidelberg / New York. Willgerodt, Hans / Domsch, Alexander / Hasse, Rolf / Merx, Volker (1972): Wege und Irrwege zur Europäischen Währungsunion, Freiburg i. Br.
Währungsunion als Krönung oder Initialzündung eines Einigungsprozesses? Von Spiridon Paraskewopoulos
I. Einleitende Bemerkungen Bis heute ist das Medium Geld in allen Kulturen der Welt mehr als nur eine Währungseinheit. Das Spektrum der Betrachtung des Geldes ist sehr breit. Es erstreckt sich von einer Verteufelung bis hin zur quasi Vergöttlichung des Geldes. In vielen Legenden und Erzählungen wird es einmal als Mittel des Fluches und des Unheils und einmal als Mittel des Segens und der Glückseligkeit beschrieben. Bei den Ökonomen herrscht zunächst die nüchterne Vorstellung vor, dass das Geld nicht mehr und nicht weniger als ein Mittel ist, welches als Recheneinheit und als Mittel des Tausches und Zahlens von Sachgütern und Dienstleistungen dient. Seine Einfuhrung hat die Gütertransaktionen zwischen Menschen und den Volkswirtschaften erheblich erleichtert und somit zur enormen Transaktionskostensenkung bzw. zur Nutzensteigerung aller beteiligten Wirtschaftssubjekte beigetragen.1 Im Zusammenhang mit der empirischen Beobachtung, dass die Menschen auch bereit sind einen Teil ihres Vermögens in Geld zu halten, welches nicht unmittelbar für Transaktionen benötigt wird, entstanden aus geldnachfragetheoretischer Sicht hauptsächlich zwei Fragen: -
Warum halten die Menschen Geldvermögen bzw. warum fragen sie mehr Geld nach als sie für Transaktionen brauchen, obwohl dieses Geld, so lange es in der Kasse gehalten wird, keine Erträge bringt und
-
Welche Faktoren bestimmen eine volkswirtschaftlich optimale Höhe dieser Geldhaltung?
Bei der Formulierung dieser Fragen gehen die Ökonomen offensichtlich davon aus, dass es makroökonomisch eine Gesamtgeldmenge in jeder Volkswirt1
Zu den (ökonomischen) Geldfunktionen vgl. etwa Herr, H. (1992), S. 28 ff.
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schaft gibt, die das Nutzenniveau der Gesellschaft maximiert und dass die Herstellung politischer und geldinstitutioneller Rahmenbedingungen möglich ist, die dieses optimale Geldangebot bestimmen. Dieses wird dann von den Wirtschaftseinheiten (private Haushalte, Unternehmungen, Geschäftsbanken) genau in dieser Höhe nachgefragt. Deshalb ist es aus der gleichen ökonomischen Sicht in jedem Währungsgebiet notwendig, diejenigen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen (u. a. das Bankensystem) zu bestimmen und zu setzen, die die verantwortlichen Instanzen, in der Regel die Zentralbank, in die Lage versetzen, eine adäquate Geldpolitik zu formulieren und durchzuführen. Diese Geldpolitik soll es ermöglichen, die jeweilige reale gesamtwirtschaftliche Geldnachfrage zu berechnen, um dann das nominale Geldangebot exakt an diese reale Geldnachfrage anzupassen.2 Diese Art von Geldpolitik, die ein solches Gleichgewicht auf dem Geldmarkt anstrebt, ist aus ökonomischer Sicht für jede Volkswirtschaft deshalb notwendig, weil man sonst der Inflationsgefahr ausgesetzt ist und je nach Wechselkursregime ungewollte Abwertungs- bzw. Zahlungsbilanzprobleme mit negativen Auswirkungen auch auf die Währungsreserven entstehen können. Reibungsverluste im Wirtschaftsablauf, die die Entstehung eines optimalen Nutzen- bzw. Wohlstandsniveaus in der Volkswirtschaft verhindern, sind dann die Folge.3 Aus dieser ökonomischen Argumentationslinie ist erkennbar, dass eine solche Geldpolitik nur dann möglich ist, wenn für das betreffende Währungsgebiet annähernd einheitliche politische und geldpolitische Rahmenbedingungen sowie eindeutige Verantwortlichkeiten bestehen. Daraus wird auch die Forderung nach einer politischen Union ersichtlich, die eine solche einheitliche ökonomische Ordnungs- und Prozesspolitik (Geldpolitik) möglich macht, damit die Einführung einer gemeinsamen Währung überhaupt erst möglich wird. Die Schlussfolgerung aus dieser Argumentationslinie ist also eindeutig. Will man für mehrere einzelne Volkswirtschaften erfolgreich eine einheitliche Währung realisieren, dann ist zuerst die Vereinigung dieser Staaten als eine politische Union notwendig. Wenn diese Schlussfolgerung richtig wäre, dann müsste ich meinen Beitrag hier beenden, da damit die Frage meines Referatsthemas eindeutig beantwortet ist. Dass ich meine Ausführungen an dieser Stelle nicht beende verrät, dass ich zumindest einen ausführlicheren Klärungsbedarf für diese Argumentationslinie als erforderlich erachte. 2 3
Vgl. Siebke, J. (1985), S. 42 f. sowie Willms, M. (1985), S. 12 ff. Vgl. Willms, M , (1985), S. 13.
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I I . Die erforderlichen Rahmenbedingungen einer stabilen Währung Man kann heute mit einer gewissen Sicherheit davon ausgehen, dass von der Mehrheit der Ökonomen allgemein als gültig angesehen wird, dass die Funktionsfahigkeit einer marktwirtschaftlichen Ordnung maßgebend von der Stabilität der Währungsordnung abhängig ist. Walter Eucken, einer der geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft Deutschlands, sprach sogar vom „Primat der Währungspolitik" in der Marktwirtschaft. Unter einer stabilen Währung verstehe ich diejenige Währung, die eine relativ gleichbleibende reale Kaufkraft des Geldes im Zeitablauf sichert. Ein solches Ergebnis ist möglich, wenn es den verantwortlichen Institutionen in dieser Volkswirtschaft gelingt, wie oben kurz angedeutet, permanent das nominelle volkswirtschaftliche Geldangebot der tatsächlichen realen gesamtwirtschaftlichen Geldnachfrage anzupassen. Mit anderen Worten: Die verantwortliche Instanz, also in der Regel die Notenbank4, muss in der Lage sein, ständig die Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte (private Haushalte wie Unternehmer) im Zusammenhang mit ihrem Umgang mit dem Geld korrekt zu prognostizieren, um so die benötigte Geldmenge zur Verfügung zu stellen. Die Erfahrung nach dem zweiten Weltkrieg hat zumindest in Deutschland gezeigt, dass es eine notwendige Voraussetzung für die Bewältigung dieser Aufgabe ist, zum einen die Unabhängigkeit der Notenbank von politischen Weisungen zu gewährleisten und zum anderen, dass die Zentralbank staatlichen Institutionen keine Kredite geben darf. Diese notwendigen institutionellen Bedingungen sagen aber noch nichts darüber aus, wie die Zentralbank die genauen Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte hinsichtlich ihrer Geldnachfrage abschätzen kann. Diesbezüglich gibt es verschiedene theoretische Positionen, die der Zentralbank unterschiedliche Instrumenteneinsätze empfehlen. Grundsätzlich lässt sich hier sagen, dass man zwischen zwei Grundkonzeptionen hinsichtlich der Bestimmung der gesamtwirtschaftlichen Geldnachfrage unterscheidet. Die erste besagt, dass die Zentralbank von Fall zu Fall hauptsächlich mit zinspolitischen Instrumenten arbeiten sollte, um die Geldnachfrage in die gewünschte Richtung zu lenken. Die zweite empfiehlt der Zentralbank, eine jährliche und stetige Geldmengenangebotspolitik zu betreiben und es den Wirtschaftssubjekten zu überlassen, sich nachfragemäßig anzupassen.
4 Für die Institution Notenbank werden folgende Begriffe synonym verwendet: Zentralbank, Zentralnotenbank, Nationalbank, Währungsbank, Reservebank, Bundesbank sowie Staatsbank. Allerdings finden sich vereinzelt auch (staatliche oder private) Geschäftsbanken gleichlautenden Namens.
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Die Praxis der letzten Jahre vor der Entstehung der Europäischen Währungsunion hat gezeigt, dass die Zentralbanken innerhalb der Europäischen Union (EU) eine Mischung dieser beiden theoretischen Empfehlungen in ihrer praktizierten Politik, mit mehr oder weniger großem Erfolg hinsichtlich der Preisniveaustabilität, betrieben haben. Man kann heute davon sprechen, dass es einen Konkurrenzprozess zwischen den einzelnen Zentralbanken der EU um die Realisierung der stabilsten Geldpolitik in dieser Zeit gab. Dabei wurden unterschiedliche Gewichtungen der beiden Konzeptionen ausprobiert, mit fast ähnlichen positiven Ergebnissen. Diese Bemühungen haben dazu geführt, dass die Europäische Währungsunion mit einer sehr niedrigen durchschnittlichen Inflationsrate begonnen hat. Man kann sogar sagen, dass diese niedrige Inflationsrate in dieser Breite ein Novum in der europäischen Wirtschaftsgeschichte darstellt.
ΙΠ· Ist eine Währungsunion zwischen offenen Volkswirtschaften erforderlich? Aus ökonomischer Sicht wird in einer bestimmten Zeitperiode ein optimaler Nutzen bzw. ein optimaler Wohlstand in allen Volkswirtschaften, die miteinander Handelsbeziehungen betreiben, entstehen, wenn es gelingt, sämtliche zu dieser Zeit vorhandenen Produktionsmöglichkeiten in den von den Nachfragern gewünschten produktivsten Verwendungsrichtungen einzusetzen, damit sie diejenigen Gütermengen und Güterarten zeitlich und regional produzieren, die von den Menschen in diesen Volkswirtschaften auch gewünscht werden. Gelingt dies, dann erreichen diese Volkswirtschaften in der Sprache der Ökonomen die sogenannten „Produktions- und Tauschoptima". Dies bedeutet, dass die Menschen in diesen Volkswirtschaften bei der bestehenden Verteilungsstruktur ihre höchstmögliche Bedürfnisbefriedigung erreichen. Geht man zudem von der unrealistischen Annahme aus, dass in allen betrachteten Volkswirtschaften sowohl die relative Menge, Art und Qualität der Produktionsfaktoren und der produzierten Güter als auch die Bedürfnisse der Menschen gleich sind, dann würden selbst bei total offenen Grenzen keine nennenswerten Handelsbeziehungen zwischen diesen Volkswirtschaften entstehen. Dass Handelsbeziehungen zwischen offenen und wettbewerblich organisierten Volkswirtschaften entstehen, ist demgegenüber ein Zeichen dafür, dass es unterschiedliche Quantitäten und Qualitäten von Produktionsfaktoren und unterschiedliche Wertungen von Bedürfnissen in den verschiedenen Volkswirtschaften gibt. Der Produktions- und Handelsprozess findet dann anhand der Tauschrelationen zwischen den einzelnen Gütern, also anhand der realen Preise statt, die durch die Produktivität der Faktoren und durch die Güterbewertungen der Menschen auf den freien Märkten bestimmt werden. Mit anderen Worten:
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Der Preis eines Gutes ist die Relation zwischen den Kosten, d.h. der erforderlichen Menge an Produktionsfaktoren und ihrer Produktivität. Die Quantität und Qualität (Produktivität) der Produktionsfaktoren, die erforderlich für die Produktion der einzelnen Güter sind, bestimmen also ihren Preis. Ob diese Güter tatsächlich produziert und angeboten werden hängt davon ab, ob die potentiellen Nachfrager zu diesem Preis bereit sind diese Güter zu erwerben.5 Diese kurze analytische Erläuterung sollte zeigen, wie unter transparenten und wettbewerblichen Bedingungen der Produktions- und Austauschprozess von Gütern zwischen Menschen und Volkswirtschaften stattfindet. Theoretisch ist ein solcher Produktions- und Tauschprozess als Naturaltauschprozess möglich. Für die Praxis der heutigen modernen Welt, in der nunmehr über 15 Millionen Güterarten produziert und getauscht werden, ergäben sich allerdings über 200 Billionen Gütertauschrelationen die, falls realisierbar, kaum vergleichbar und zu überblicken und damit unbrauchbar würden. Hierin sieht man sehr plastisch und sehr deutlich, welche überragende Bedeutung in diesem geschilderten Prozess den Geldpreisen zukommt.6 Unter den Bedingungen einer Geldwirtschaft wird der Geldpreis eines Gutes, außer von den oben angesprochenen Mengen und Qualität (Produktivität) der erforderlichen Produktionsfaktoren, auch von der Höhe der Geldmenge sowie ihrer Umlaufgeschwindigkeit bestimmt. Somit bekommt auch das Geld, neben den realen Produktionsfaktoren, eine Schlüsselposition bei der Bestimmung der nominalen Höhe der Güterpreise. Die verantwortlichen Instanzen und Institutionen für die Geldproduktion und für die Bestimmung des Wechselkurses der einzelnen Währungen, haben über diesen Weg zudem die Möglichkeit, die Preise der Güter und damit ihre internationale Konkurrenzfähigkeit mitzubestimmen. Denn es sind nicht allein die Kosten der Produktionsfaktoren und ihre Produktivitäten für die Höhe der Preise international handelbarer Güter bestimmend, sondern auch die Höhe des Wechselkurses der Währungen. Vereinbart man nun beispielsweise feste Wechselkurse, dann können Volkswirtschaften mit relativ niedrigen Produktivitäten bzw. niedrigen Leistungsfähigkeiten auf Kosten der Volkswirtschaften mit höheren Produktivitäten Güter erwerben, die sie leistungsmäßig so nicht hätten erwerben können.7 Auch
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Diese volkswirtschaftlichen Zusammenhänge sind in mannigfaltiger Basisliteratur dokumentiert und bedürfen an dieser Stelle keiner weiteren Quellenangabe. 6 Zu den Geldfunktionen siehe grds. ζ. B. Issing,, O. (1998), Jarchow, H.-J. (1998) oder Boßnger, P. (1996). 7 Zur Kontroverse „feste vs. flexible Wechselkurse" sei hier lediglich auf Issing, O. (1991), S. 19 ff. und das Werk von Sohmen, E. (1973) verwiesen, mit weiteren Literaturhinweisen.
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durch Abwertungen der Währungen können Wettbewerbsvorteile gegenüber den Konkurrenten erlangt werden, ohne zugleich die entsprechenden realen Leistungen zu erbringen. Bei freien Wechselkursen fallen allerdings diese Manipulationsmöglichkeiten weg, da die freien Märkte dafür sorgen, dass die Wechselkurse und damit die Preise der Güter den Produktivitätsverhältnissen entsprechen. Gerade diese Tatsache veranlasst (je nach Zielsetzungen) die leistungsschwächeren bzw. die leistungsstärkeren Volkswirtschaften, wie die bisherige Praxis zeigt, offene oder versteckte tarifäre und nicht tarifäre Handelshemmnisse zu Lasten der Stärkeren bzw. der Schwächeren einzuführen. All dies sind nichts anderes als Abwehrmaßnahmen gegen den Wettbewerb und damit gezielte gegenseitige Verhinderungen des freien Handels, die letztlich zur Trennung und Entfremdung der Völker führen. Will man dagegen Gesellschaften mit einem gemeinsamen kulturellen Hintergrund, wie beispielsweise die Europäischen Staaten, ökonomisch und politisch enger zusammenführen, dann sollten Möglichkeiten auch im Rahmen der Wirtschaftsordnung gesucht werden, die einen solchen Prozess erleichtern. Eine solche Möglichkeit - wenn man sich, aus welchen Gründen auch immer, für eine sofortige politische Union nicht für reif hält - bietet sich zunächst in einer schrittweisen Bindung mittels einer Wirtschafts- und Währungsunion8 an. Durch sie werden nicht nur alle angesprochenen ökonomischen Trennungshindernisse zwischen Volkswirtschaften und Menschen wegfallen. Überdies spart man auch sämtliche Kosten (Transaktionskosten), die die einzelnen wirtschaftspolitischen und speziell die währungspolitischen Institutionen sowie die Tauschvorgänge zwischen den Währungen verursachen. Die einzelnen partikularen und kostspieligen politischen Kompromisse werden allerdings erst bei der Realisierung einer Politischen Union endgültig beseitigt. In diesem Zusammenhang ist dem Präsidiumsmitglied der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing, zuzustimmen, wenn er sagt: „Ein Europa, das den Schritt in die Währungsunion wagt, kann sich nicht vor der Entscheidung über die Gestalt der Politischen Union drücken (...). Von jetzt an muss sich der Wille, die Europäische Integration weiter voran zu treiben, im Schwerpunkt auf das Feld staatsbildender Institutionen verlagern." 9 Nach wie vor bleibt allerdings die Prioritätsfrage hinsichtlich des Integrationsweges offen. Strebt man letztendlich eine Politische Union an, dann ist es
8 Eine gute Übersicht der Nutzen und Kosten einer Währungsunion findet sich in Auria , L. (1997), S. 21 ff. mit weiteren Literaturverweisen. 9 Issing, O., zitiert bei Rinsche, G. (1997), S.17.
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legitim die Prioritätsfrage zu stellen, nämlich ob der Weg des wirtschaftlichen Integrationsprozesses billiger und schneller innerhalb einer politischen Union zu haben wäre. Mit anderen Worten: Ist die Politische Union die Voraussetzung für eine erfolgreiche und kostensparende Einführung einer Wirtschaftsund Währungsunion oder ist die Wirtschafts- und Währungsunion eine Vorbedingung für eine rasche und störungsfreie Vollendung einer Politischen Union? In Europa ist man in den fünfziger Jahren den zweiten, in Deutschland 1990 mit der Entscheidung für eine sofortige Wiedervereinigung den ersten Weg gegangen. Beide gegangenen Wege sind aus heutiger Sicht wahrscheinlich irreversibel. Die Zeit wird zeigen welcher Weg rascher, billiger und damit erfolgreicher war.
IV. Kann die Währungsunion ein integrationspolitisches Mittel sein? 1. Der integrationspolitische
Weg Deutschlands
Anfang des Jahres 1990 stand die ehemalige DDR vor der Frage, ob sie ein selbständiger Staat bleiben, oder eine Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland eingehen sollte. Die Wahlen vom 18. März 1990 haben eindeutig signalisiert, dass die ostdeutsche Bevölkerung die Vereinigung mit Westdeutschland wollte. Drei Monate vor der Wiedervereinigung Deutschlands (03.10.1990), ist man eine deutsch-deutsche Währungsunion eingegangen (01. 07.1990). Das politische Ziel, welches man mit der einheitlichen Wirtschaftsund Währungspolitik verfolgt, ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der neuen an die der alten Bundesländer heranzuführen. In diesem Experiment dienten und dienen die Politische und die Wirtschafts- und Währungsunion als eine Art Initialzündung eines Einigungsprozesses, der als Krönung die Vollendung der wirtschaftlichen Integration Gesamtdeutschlands zum Ziele hat. Hätte allerdings der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl auf die Vorschläge der Mehrheit der deutschen Ökonomen gehört, dann hätte man heute wahrscheinlich weder eine Währungsunion noch ein wiedervereinigtes Deutschland. Die Ökonomen verhielten sich mit ihren gut gemeinten Ratschlägen wie jene Verfassungsexperten einiger deutscher Kleinstaaten des Deutschen Bundes im frühen 19. Jahrhundert, die, angeblich aus den Souveränitätsvorteilen, ihren Fürsten empfohlen haben Zollschranken, Staatsgrenzen und die eigenen Währungen aufrechtzuerhalten. Hätte man damals diesen Empfehlungen entsprochen, dann würden vielleicht heute noch 38 souveräne Staaten auf deutschem
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Boden existieren, die die Volkswirtschaften und Bürger völlig von einander isoliert hätten.10 Die ökonomischen Bedenken gegen eine deutsch-deutsche Währungsunion wurden in aller Kürze wie folgt begründet: Im Jahre 1990 betrug die durchschnittliche Produktivität der DDRWirtschaft ca. ein Drittel der westdeutschen Produktivität. Dies bedeutete, dass die DDR-Wirtschaft mit der westdeutschen Wirtschaft nur dann hätte konkurrieren können, wenn die ostdeutschen Löhne durchschnittlich höchstens ein Drittel der westdeutschen Löhne betragen hätten. Gesetzt den Fall, dass auch eine selbständige DDR-Wirtschaft produktivitätsmässig die gleiche Entwicklung gehabt hätte wie die heutigen neuen Bundesländer, dann hätte die DDR-Wirtschaft heute zwei Drittel der westdeutschen Produktivität erreicht. Bei der gleichen Produktivitätsentwicklung wären mindestens noch fünf Jahre erforderlich, damit die DDR-Wirtschaft produktivitätsmäßig das westdeutsche Niveau erreicht 11. Erst dann wäre es nach dieser theoretischen Vorstellung ökonomisch sinnvoll eine politische Union einzugehen und erst dann als notwendige Krönung dieser Entwicklung die einheitliche Währung einzuführen. Dieses hypothetische Beispiel zeigt, dass das Handeln nach rein ökonomischen Kriterien die angestrebte politische Einheitsbildung verzögert, wenn nicht sogar völlig verhindert hätte. Würde man das angeführte deutsche Beispiel nicht nur aus ökonomischer Sicht betrachten, dann sind auch andere Entwicklungen realistisch und sehr wahrscheinlich einheitsfördernd. Geht man nämlich nach wie vor davon aus, dass die ostdeutsche und westdeutsche Bevölkerung die Politische Union wollten, dann ist es realistisch anzunehmen, dass bei offenen Grenzen und bei einem Drittel des westdeutschen Wohlstandsniveaus und mit der Kaufkraft der damaligen Ostmark, man keinen Menschen in der DDR hätte halten können. Die Menschen hätten durch massive Abwanderung die Währungs- und die politische Union wahrscheinlich erzwungen. Eine andere Alternative wäre gewesen, die Grenzen wieder zu schließen und erst einmal die politische, institutionelle und ökonomische Entwicklung abzuwarten. Unter demokratisch-freiheitlichen Verhältnissen allerdings, war eine solche Alternative mit einer relativ homogenen deutschen Bevölkerung unrealistisch. Insofern trug und trägt die Politische und die Währungsunion zur einer Beschleunigung der deutschen Einheit bei. Der bisher gegangene Weg scheint mir unter den gegebenen Rahmenbedingungen die einzig realistische und damit 10 11
Vgl. Rinsche, G. (1997), S. 18. Eigene Berechnungen.
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die richtige Alternative für das deutsche Beispiel gewesen zu sein. Eine berechtigte und interessante Frage ist allerdings, ob das deutsche Beispiel auch auf die Entwicklung der Europäischen Union anwendbar ist.
2. Der integrationspolitische
Weg Europas
Zunächst ist auch für Europa festzuhalten, dass die sechs europäischen Gründerstaaten von Anfang an mit den Römischen Verträgen das politische Ziel verfolgten, die politische Integration Europas parallel über den Weg der wirtschafts- und währungspolitischen Integration zu erreichen. Alfred MüllerArmack, einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft Deutschlands und engagierter Befürworter der politischen Integration Europas, sagte 1971 fast prophetisch für das was heute Realität geworden ist folgendes: „Die Verwirklichung der Währungsunion ist ein eminent politisches Ziel. Allein die politische Bereitschaft zur Koordinierung und Harmonisierung entscheidet über die Chancen, es zu erreichen. Von ihr hängt die Zentralisierung von Instrumenten bei einem gemeinsamen Entscheidungsgremium, die Abstimmung der Prioritäten einzelner Ziele und die Art der Regelungen von unvermeidlich auftauchenden Konflikten ab. Die optimale Voraussetzung für die Realisierung einer Währungsunion ist daher das Bestehen einer politischen Union. Solange dies nicht existiert, muss die politische Bereitschaft so groß sein, dass die Währungspolitischen Kompromisse sich nicht zu weit vom ökonomischen Optimum einer Stabilitätsgemeinschaft entfernen. Die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion muss also von parallelen Fortschritten zur Erreichung einer politischen Union begleitet sein."12
Um die Bedeutung der Europäischen Union hinsichtlich der politischen Bemühungen um die Vollendung einer Politischen Union angemessen beurteilen zu können, müssen wir zunächst mit den Aufgaben der Union, denen sich die Gemeinschaft vertraglich stellt, beginnen. Artikel 2 des EG-Vertrages verlangt von den Mitgliedstaaten der Union folgendes: Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung gemeinsamer Politiken oder Maßnahmen, die im Vertrag insbesondere im Artikel 3 festgelegt sind, folgende Ziele zu verfolgen: 1. eine harmonische und ausgewogenen Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft 2. ein beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum 3. einen hohen Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen
12
Müller-Armack,
A. (1971), S. 127 f.
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4. ein hohes Beschäftigungsniveau 5. ein hohes Maß an sozialem Schutz 6. die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität 7. den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Insbesondere die Zielsetzung eine harmonische und ausgewogene Entwick-
lung des Wirtschaftslebens innerhalb demokratisch organisierten Gesellschaften anzustreben bedeutet, dass die Menschen die in dieser Gemeinschaft leben, mehrheitlich die bestehende Wirtschafts- und Sozialordnung wollen, weil durch die wirtschaftlichen integrativen Leistungen der bestehenden Wirtschafts- und Währungsunion alle relativ besser versorgt sind als ohne sie. Die allgemeine soziale Akzeptanz einer bestehenden Ordnung muss außerdem auch das Ergebnis der ausgewogenen wirtschaftlichen Entwicklung sein, die in den verschiedenen Regionen und Sektoren der bestehenden Gemeinschaft stattgefunden hat und permanent stattfindet. Würde nämlich eine bestehende Wirtschafts- und Sozialordnung große wirtschaftliche und soziale Disparitäten erzeugen, dann wird eine solche Ordnung in demokratisch regierten Gemeinschaften politisch nicht akzeptiert. Mit anderen Worten: Eine harmonische und ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung bedeutet, dass die wirtschaftlich Stärkeren mit den wirtschaftlich Schwächeren zusammen leben können, weil beide der Auffassung sind voneinander zu profitieren. Die Zielsetzung eines beständigen, nichtinflationären und umweltfreundlichen Wirtschaftswachstums bedeutet, dass in dieser Gemeinschaft, die politisch Verantwortlichen und die Ordnungsbedingungen permanent dafür sorgen sollen, dass - die Menschen von Geldentwertungen und Kaufkraftminderungen, die die materielle Sicherheit besonders der wirtschaftlich Schwächeren gefährden, geschützt sind und - dass darauf zu achten ist, dass die natürlichen Ressourcen, die die Basis für das physische und das wirtschaftliche Leben nicht nur der gegenwärtigen, sondern auch der zukünftigen Generationen sind, so beansprucht werden, dass eine Regenerierung nicht gefährdet wird. Insbesondere Umweltproblematiken können größere und überregionale Gemeinschaften besser bewältigen, als kleine und isolierte Volkswirtschaften. Ein hoher Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen kann nur erreicht werden, wenn zunächst die wirtschaftlich Starken nicht nur aus sozialen, sondern auch aus stabilitätspolitischen Erwägungen bereit sind, für eine bestimmte Zeit einige Umverteilungsmaßnahmen zu akzeptieren, bis die groben Leistungsdifferenzen behoben sind. Die Europäische Union praktiziert bereits eine
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solche Politik mit den verschiedenen Fonds (Sozial-, Struktur-, Regional- und Landwirtschaftsfonds). Auch das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus, ist in einer großen Gemeinschaft aus vielerlei Gründen leichter zu erreichen als in kleinen Volkswirtschaften. Insbesondere sind hierbei hervorzuheben: - Erstens die Freizügigkeit und die Mobilität der Menschen und des Geldkapitals innerhalb größerer Regionen, die eine effizientere Ausnutzung der vorhandenen Arbeitsplätze ermöglichen. - Zweitens werden Ausbildungen und Spezialisierungen jeglicher Art durch große Gemeinschaften mehr beansprucht, ein Tatbestand der volkswirtschaftlich mehr Beschäftigung bedeutet. - Drittens die Angebotsmöglichkeiten, die Kreierung neuer Ideen und Produkte, die Nachfragemöglichkeiten, die Vielfalt und die Intensität des Wettbewerbs und nicht zuletzt die Möglichkeiten der Finanzierung von Umstrukturierungsmaßnahmen (insbesondere in Krisenzeiten). Sie werden von großen Gemeinschaften leichter bewältigt als von einzelnen Volkswirtschaften. Darin also liegen hauptsächlich vom Standpunkt der Beschäftigungspolitik die Vorteile großer Gemeinschaften. In der relativ großen Gemeinschaft der Europäischen Union ist es auch relativ leicht ein hohes Maß an sozialer Sicherheit zu garantieren, da die sozialen Lasten auf eine breite Basis verteilt werden können. Auf diese Weise werden sie von den einzelnen Leistungsträgern nicht so stark und damit leistungsdemotivierend empfunden. Dies sichert nicht nur die Leistungsfähigkeit der Leistenden, sondern auch die Akzeptanz der bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ordnung und damit ihren Fortbestand. Alle diese angesprochenen Möglichkeiten eröffnen der einzelnen Person eine Fülle und eine Vielfalt von Spielräumen für ihre Lebensgestaltung. Das Ergebnis ist ein hohes Maß an Lebensqualität. Betrachtet man die über 40jährige Geschichte der Europäischen Gemeinschaft etwas genauer, dann werden wir feststellen, dass diese Periode eine Einmaligkeit im europäischen Leben darstellt denn: - Niemals zuvor gab es in der Europäischen Geschichte eine so lange Periode ohne Krieg. - Zum ersten Mal haben die Europäer in diesen 40 Jahren erreicht, dass sie autark an Nahrungsmitteln sind. - Niemals zuvor hat es in der Europäischen Geschichte einen so hohen Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten gegeben.
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- Keine vorherige europäische Generation hat absolut und relativ so viele Reisemöglichkeiten gehabt wie die Generationen der letzten 40 Jahre. - Keine Europäische Generation vor dieser Zeit genoss so viele demokratische Freiheiten mit so vielen Entscheidungsspielräumen für den einzelnen Bürger. All dies zeigt, dass man in der Europäischen Union den Weg zur Politischen Union über die wirtschaftliche Integration freiwillig und relativ erfolgreich gegangen ist und noch geht. Dieser Weg war bisher nicht leicht und hat eine Zeit von über 40 Jahren beansprucht, bis man endlich alle Hindernisse beseitigt und die Wirtschafts- und Währungsunion vollendet hat. Die Währungsunion war meines Erachtens der letzte - aber vielleicht der bedeutendste - Mosaikstein dieses mühevollen aber letztlich erfolgreichen wirtschaftlichen Integrationsweges. Die Währungsunion bringt die Europäer nicht nur ökonomisch, sondern auch in vielen anderen Bereichen des Lebens enger zusammen. Wie dieser vorerst letzte Schritt am 01.01.2002 zeigte, erfuhr der politische Einigungsprozess, wie die Begeisterung der Menschen europaweit bei der Einführung des Euro zeigte, eine unübersehbare Beschleunigung. Die Verabschiedung des Vertrags über die Europäische Union am 7. Februar 1992 in Maastricht, war der bedeutendste Auslöser dieser erfolgreichen Entwicklung. Seit Maastricht läuft in ganz Europa eine Diskussion, die vielschichtig und engagiert geführt wird und wie dieser Band auch zeigt, noch immer anhält. An der Diskussion sind Wissenschaftler fast aller Fachgebiete, Politiker und die breite Öffentlichkeit über die Medien beteiligt. Dieses breite und intensive Interesse an der Europäischen Union und ihrem Weg lässt vermuten, dass es sich hier um etwas sehr Wichtiges das die Menschen bewegt, handeln muss. Auch ich möchte die Behauptung aufstellen, dass diese Wertung richtig ist. Der Maastricht-Vertrag hat eine Bewegung im Europäischen Raum in Gang gesetzt, die seit der Existenz des Römischen Reiches ein Novum in der Europäischen Geschichte darstellt und auf eine beschleunigte Entwicklung zu einer Politischen Union Europas abzielt. Zur Zeit leben in den fünfzehn Staaten der Europäischen Union ca. 390 Millionen Menschen, die sich in einer völlig integrierten wirtschaftlichen und teilweise politischen Gemeinschaft innerhalb Europas zusammen geschlossen haben. In dieser Gemeinschaft gibt es keine Zölle und teilweise auch keine Grenzen mehr. Die Wirtschaftssubjekte der fünfzehn Europäischen Staaten genießen in einem vollendeten Binnenmarkt Freizügigkeit und freie Niederlassungsmöglichkeiten. Ein Meilenstein für diese erfolgreiche Entwicklung war das ehemalige Europäische Währungssystem von 1979. Der Vorläufer der heutigen Währungsunion wurde von vielen deutschen Ökonomen damals heftig kritisiert und zum Scheitern verurteilt. Entgegen ihrer Hoffnung hat das Europäische Währungssystem schrittweise, mit seinen Höhen und Tiefen, zur heutigen Wäh-
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rungsunion gefuhrt. Die vertraglichen Vereinbarungen von Maastricht (1992) haben das Maßgebliche dazu beigetragen, dass am Ol. Ol. 2002 die Wirtschafts- und Währungsunion vollendet wurde. Auch gegen die Währungsunion haben viele Ökonomen Position bezogen. Im Juni 1992 haben 60 Ökonomen ein Manifest gegen Maastricht unterzeichnet und im Februar 1998 plädierten 155 deutsche Ökonomen für eine Verschiebung der Einführung des EURO13. Sie zweifelten vor allem an der Bereitschaft der Politiker die stabilitätspolitischen Bedingungen des Maastrichter Vertrages einhalten zu wollen. Der damalige französische Staatspräsident Mitterand revanchierte sich mit der Bemerkung: Einige Kritiker der Europäischen Währungsunion leben in der Vergangenheit. Noch schärfer gegen die Kritiker der Europäischen Union ging der Europapolitiker Rinsche vor, wenn er sagt: „Der sarkastische Aphorismus jeder Experte ist von gestern' ist eine unzulässige Überspitzung; als Warnung vor Dogmatismus und rückwärts gewandter Betrachtung ist er aber berechtigt. Mit den Begriffen von gestern kann man die Probleme von morgen nicht hinreichend beschreiben (...). Man kann aus der Geschichte lernen, aber man darf die Vergangenheit nicht zum Programm für die Zukunft machen."14. Wie diese Zitate andeuten, ist hinsichtlich der Interpretation und der Realisierbarkeit des Maastrichter Vertrags eine lebhafte und kontroverse Diskussion, die abgeschwächt immer noch anhält, entstanden15. Die Euroskeptiker begründen ihre Position nicht nur mit ökonomischen Argumenten. Es wird auch die fehlende Politische Union angemahnt, die eventuell nach ihrer Auffassung zum Misserfolg der Währungsunion führen könnte16. Die Realität der Europäischen Union zeigt aber, dass die Union auch im politischen Sektor Erfolge erzielt hat. Nach meinem Verständnis will und ist die Europäische Union mehr als nur eine Wirtschafts- und Währungsunion. Sie ist vor allem eine politische und demokratische Wertegemeinschaft, die seit 1986 die europäische politische Arbeit in einen vertraglichen Rahmen gelegt hat. Durch die Beschlüsse von Maastricht, die die Grundlagen für eine künftige gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sind, wurde der Grundstein auch für eine Politische Union gelegt. Die Währungsunion leistet hierzu den entscheidenden Vollendungsbeitrag.17 13
Vgl. hierzu Thiel, E. (1999), S.197. Rinsche, G.(1997), S. 18. 15 Vgl. hierzu Hrbek, R. (1992). 16 Vgl. hierzu Wessels, W. (1994). 17 In diesem Sinne auch W. Fuhrmann der davon spricht, dass gewisse geld- und währungspolitische Arrangements „... erzwingen die internationale Integration der nati14
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onalen Systeme und Märkte." Fuhrmann, W. (2001), S. 3; Hervorhebungen durch den Verfasser.
Verfasser und Herausgeber Prof. Dr. Thomas Apolte Institut für Ökonomische Bildung, Universität Münster; Scharnhorststr. 100, 48151 Münster Prof. Dr. Horst Brezinski Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftsbeziehungen, TU-Bergakademie Freiberg, Lessingstr. 45; 09596 Freiberg Prof. Dr. Rolf H. Hasse Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Leipzig; Marschnerstr. 31, 04109 Leipzig Prof. Dr. Spiridon Paraskewopoulos Institut für Theoretische Volkswirtschaftslehre, MakroÖkonomik; Universität Leipzig, Marschnerstr. 31, 04109 Leipzig Prof. Dr. Gerhard Rübel Lehrstuhl für Geld und Außenwirtschaft, Universität Passau; Innstr. 27, 94032 Passau Prof. Dr. Hans Jörg Thieme Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Universität Düsseldorf; Universitätsstr. 1 ; 40225 Düsseldorf Prof. Dr. Uwe Vollmer Institut für Theoretische Volkswirtschaftslehre, Geld und Währung; Universität Leipzig, Marschnerstr. 31, 04109 Leipzig