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German Pages 489 Year 2007
CHEMNITZER EUROPASTUDIEN
Band 6
Der „Europäische Sozialkonsens“ als Instrument zur Stärkung des „Europäischen Sozialmodells“ Vom politischen Postulat zur eigenständigen sozialpolitischen Säule
Von
Regine Prunzel
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
REGINE PRUNZEL
Der „Europäische Sozialkonsens“ als Instrument zur Stärkung des „Europäischen Sozialmodells“
Chemnitzer Europastudien Herausgegeben von Frank-Lothar Kroll und Matthias Niedobitek
Band 6
Der „Europäische Sozialkonsens“ als Instrument zur Stärkung des „Europäischen Sozialmodells“ Vom politischen Postulat zur eigenständigen sozialpolitischen Säule
Von Regine Prunzel
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität Chemnitz hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1860-9813 ISBN 978-3-428-12533-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern in dankbarer Erinnerung
Vorwort Die vorliegende Veröffentlichung wurde 2006 von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz als juristische Dissertation angenommen. Die Verfasserin hat zahlreiche Erfahrungen in ihrer langjährigen Tätigkeit auf europäischer Ebene zum Anlass genommen, diese Arbeit zu erstellen. Dabei war von entscheidender Bedeutung, dass immer wieder der – bisher – unwiderlegte Eindruck entstanden war, eine eigenständige soziale Säule sei zwar notwendiger und wünschenswerter Bestandteil der weiteren europäischen Integration, ließe sich aber aufgrund der Primärrechtslage nicht verwirklichen. Es galt daher zunächst nachzuweisen, dass sehr wohl die bestehende Vertragsgrundlage ausreicht, um einer eigenständigen sozialen Säule zum Durchbruch zu verhelfen. Im Weiteren war der „Europäische Sozialkonsens“ als neuer Ansatz zu entwickeln, um die praktische Umsetzbarkeit sicherzustellen. Der „Europäische Sozialkonsens“ erschließt neue Wege, dem sozialen Europa zu einer höheren Wertigkeit zu verhelfen. Schon seit den Anfängen der Europäischen Gemeinschaft entwickelte sich die Tendenz, das soziale Europa traditionell den wirtschaftlichen Ansätzen unterzuordnen. Die Arbeit hat es sich zum Anliegen gemacht aufzuzeigen, dass das „Europa der 27“ sich nur dann gedeihlich weiterentwickeln kann, wenn die sozialen Komponenten in den Vordergrund gestellt werden. Sie bleibt dabei aber nicht bei der Theorie und politischen Forderungen stehen, sondern definiert die wesentlichen Eckpunkte des Europäischen Sozialmodells und untersucht mögliche Umsetzungswege, wie z. B. über die Offene Methode der Koordinierung. Mit dem „Europäischen Sozialkonsens“ schafft sie dann erstmals die Grundlagen für ein gestärktes soziales Europa, das denselben Stellenwert hätte wie die wirtschaftliche Säule. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Matthias Niedobitek, Professur für Europäische Integration mit dem Schwerpunkt Europäische Verwaltung an der TU Chemnitz, der mir einerseits die zeitliche Möglichkeit eröffnet hat, die Arbeit neben meiner beruflichen Tätigkeit in Brüssel zu verfassen, und mich andererseits mit nicht nachlassender Geduld auch über die räumliche Entfernung betreute. Ich verdanke ihm zahlreiche wesentliche Hinweise bei der Erstellung der Arbeit. Das mir von ihm entgegengebrachte Vertrauen hat mich während der Erstellung der Dissertation stets von Neuem motiviert.
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Vorwort
Gleichermaßen gilt mein Dank auch Herrn Prof. Dr. Ludwig Gramlich als Zweit- und Herrn Prof. Dr. Stephan Breitenmoser als Drittkorrektor, die mir zusätzliche wertvolle Anregungen zur Vorbereitung dieser Veröffentlichung gegeben haben. Brüssel, im August 2007
Regine Prunzel
Inhaltsverzeichnis I. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Grundlagen des sogenannten aktuellen „Europäischen Sozialmodells“ . . . . . . .
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1. Entwicklung der europäischen Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
2. Sozialmodelle auf nationalstaatlicher Ebene und ihr Einfluss auf das „Europäische Sozialmodell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Entwicklung des Europäischen Sozialmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Begriffliche Abgrenzung des „Europäischen Sozialmodells“ . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Soziale Dimension Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Europäischer Sozialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Europäische Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
d) Europäische Sozialunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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e) Europäischer Sozialraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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f) Sozialer Sockel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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g) Europäisches Gesellschaftsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Definitionen der Wissenschaft und von Interessenvertretern . . . . . . . . . . . .
80
b) Ansatz der Europäischen Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
c) Aktuelle Komponenten des „Europäischen Sozialmodells“ . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Inhaltliche Eckpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Kompetenzielle Eckpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Verfahrensbezogene Eckpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Rechtliche Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
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Inhaltsverzeichnis b) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 d) Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 e) EuGH-Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Finanzielle Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Strukturfondsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Förderprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 c) Haushaltslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 d) Ausschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Empfehlungen und Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 c) Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 d) Grünbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 e) Weißbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 f) Offene Methode der Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 g) Sozialer Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 h) Netzwerkbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 i) Dialog mit der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 j) Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 k) „Mainstreaming-Ansätze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 l) Daseinsvorsorge und Dienstleistungsrichtlinie als Beispiel für die inhaltliche Beeinflussung der sozialen Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Liberalisierung versus soziale Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Vorrang für den sozialen Grundbestand der Daseinsvorsorge . . . . . 136 V. Rechtliche Möglichkeiten der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ auf der Grundlage des EG-Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Unterscheidung zwischen Zielen und Befugnisnormen als Grundprinzip des EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Präambeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Inhaltsverzeichnis
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b) Allgemeine Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Art. 2 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 d) Art. 2 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 e) Art. 3 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 f) Art. 10 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 g) Art. 33 Abs. 1 b EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 h) Art. 39 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 i) Art. 43 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 j) Art. 49 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 k) Art. 125 bis Art. 127 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 l) Art. 136 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 m) Art. 149 Abs. 1 und 2 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 n) Art. 150 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 o) Art. 152 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 p) Art. 158 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 q) Art. 160 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Sonstige sozialpolitische Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Europäische Sozialcharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Abkommen über die Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 d) Charta der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 e) Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5. Zusammenfassung der sozialpolitischen Ziele und ihrer Bedeutung . . . . . . . . . 168 6. Kompetenznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Verbindung zwischen Zielen und Kompetenznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Art. 2 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Art. 3 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 c) Kompetenznormen im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Art. 12 und 13 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Art. 14 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 cc) Art. 18 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
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Inhaltsverzeichnis dd) Art. 40 – 42 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 ee) Art. 44 – 47 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 ff) Art. 71 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 gg) Art. 94 – 96 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 hh) Art. 128 – 129 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 ii) Art. 137 – 140 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 jj) Art. 141 – 145 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 kk) Art. 146 – 148 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 ll) Art. 149 – 150 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 mm) Art. 152 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 nn) Art. 159 und 161 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 oo) Art. 308 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 7. Sonstige Kompetenz- und Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Implied powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Uneigentliche Ratsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 c) Konkurrenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
VI. Die Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH für das „Europäische Sozialmodell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 VII. Gestaltung des Europäischen Sozialmodells durch „soft law“ und sonstige Instrumente und Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Soziale Grundrechte und Unionsbürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 b) Soziale Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Unionsbürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Sozialer Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Begriff und Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 3. Sozialpolitische Agenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
Inhaltsverzeichnis
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b) Inhalte und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 4. Offene Methode der Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Entstehung der OMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Ziel der OMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 d) Erscheinungsformen der OMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 e) Wesentliche Merkmale und Verfahren der OMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 f) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 aa) Argumente für die Anwendung der OMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) Argumente gegen die Anwendung der OMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 g) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 5. Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) und Nationale Aktionspläne (NAP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a) Ziel der Europäischen Beschäftigungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Entwicklung der Europäischen Beschäftigungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 6. Lissabon-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a) Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Methode und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 c) Zwischenbilanz der Lissabon-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 d) Neustart der Lissabon-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 e) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 7. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Aufgaben und Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 8. Rolle der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Konsultationsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
14
Inhaltsverzeichnis 9. Corporate Social Responsibility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Begriff der CSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) Entwicklung der CSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 c) Schwerpunkte und Verfahren der CSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 10. Lobbying . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 a) Ziel und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
VIII. Erfordernis neuer Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 IX. Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ in der Wissenschaft und durch sonstige Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 1. Ansatz nach Weinstock (1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 2. Ansatz nach Däubler (1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 3. Ansatz nach Scharpf (2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 4. Ansatz nach Lang (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 5. Ansatz nach Pitschas (1991) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 6. Ansatz der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte Österreichs (2002) 342 7. Ansatz nach Fischer (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 8. Ansatz nach Berghman / Sakellaropoulos (2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 9. Ansatz der Nutzung der OMK nach Schulte und Gerlinger / Urban (2004) . . . 348 10. Ansatz nach Chapon / Euzéby (2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 11. Ansatz der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 X. Andere Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 1. Verankerung sozialpolitischer Kompetenzen in den Verträgen und der zu erwartenden Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 2. Intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten am Beispiel des Modells der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 3. Modell der „Verstärkten Zusammenarbeit“ i. S. d. Art. 43 EUV . . . . . . . . . . . . . 369 4. Ausbau der sozialen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Inhaltsverzeichnis
15
XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 1. Notwendigkeit der Entwicklung des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . 374 2. Ausgangslage eines „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 3. Konstrukt eines „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 b) Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 aa) Elemente der 1. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . 385 bb) Kompetenzgrundlage des Konsenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 cc) Vorteile des Konsensverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 dd) Verfahren in der 1. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . 388 ee) Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 c) Festlegung der entsprechenden Instrumente und des angewandten Verfahrens in der 2. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . 391 aa) Elemente der 2. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . 391 bb) Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 cc) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 dd) Prüfschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erforderlichkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Europäischer Mehrwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Angemessenheit und Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Folgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
394 394 394 395 396 398
4. Konkrete Umsetzung der im Konsensweg vereinbarten sozialpolitischen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 a) Elemente der 3. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . . 399 b) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“ als Instrument zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 1. Sozialpolitik als gleichwertige Politik neben der Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . 402 2. Rechtliche Grundlage im Vertrag und rechtliche Sicherheit des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 3. Institutionalisierung des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 4. Ausreichende Berücksichtigung der nationalen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 a) Berücksichtigung nationaler Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 b) Gefahr neuer Kompetenzbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
16
Inhaltsverzeichnis 5. Vermeidung der „Asymmetrie zwischen ökonomischer und sozialer Integrationswirkung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 6. Hoher Grad an Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
XIII. Zukunft des „Europäischen Sozialmodells“ und des „Europäischen Sozialkonsenses“ im Licht des Verfassungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 XIV. Kompetenzverteilung im Rahmen des Europäischen Sozialkonsenses zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 XV. Abschließende Beurteilung des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . . 425 XVI. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Dokumentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
Verzeichnis der Schaubilder Schaubild 1: Entwicklung der europäischen Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
Schaubild 2: Typen des Wohlfahrtsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
Schaubild 3: Gegenwärtiger Druck, dem der Wohlfahrtsstaat ausgesetzt ist . . . . . . . . . . .
66
Schaubild 4: Begriff der Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
Schaubild 5: Faktoren, die das Sozialmodell geprägt haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Schaubild 6: Sozialrechtlich relevante Ziele und Normen des EUV / EGV . . . . . . . . . . . . 217 Schaubild 7: Vergleich der Koordinierungsformen im Bereich der sozialen Sicherheit nach Reker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Schaubild 8: Modell des „Europäischen Sozialkonsenses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
Abkürzungsverzeichnis ABl.
Amtsblatt
Abs.
Absatz
Abt.
Abteilung
AdR
Ausschuß der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften
AEIP
European Association of Paritarian Institutions
a. F.
alte Fassung
AK
Arbeiterkammer
a.M.
am Main
AMV
Arbeitsmarktverwaltungen
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AWO
Arbeiterwohlfahrt
BA-EWR
Beratenden Ausschusses des Europäischen Wirtschaftsraums
BayGT
Bayerischer Gemeindetag
BDI
Bundesverband der Deutschen Industrie
BIP
Bruttoinlandsprodukt
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
CAP
Centrum für angewandte Politikforschung
CASE
Center for Social and Economic Research
CBO
Community-Based Organisation
CEEP
European Center of Enterprises with Public Participation and of Enterprises of General Economic Interest
CES
Confédération européen des syndicates
CPAS
Centre public d’aide sociale de Bruxelles
CSR
Corporate Social Responsibility
DGB
Deutscher Gewerkschaftsbund
d. h.
das heißt
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
dtsch.
Deutsch
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
DVPW
Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft
EAG
Europäische Atomgemeinschaft
Abkürzungsverzeichnis EAGFL
Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft
EAGV
Europäische Atomgemeinschaft Vertrag
eapn
european anti-poverty network
EAS
Europäisches Arbeits- und Sozialrecht
EBO
Europäisches Beschäftigungsobservatorium
EBS
Europäische Beschäftigungsstrategie
ECOFIN
Economic and Financial Affairs Council
eds.
editors
EEA
Einheitliche Europäische Akte
EES
European Employment Strategy
EESC
European Economic and Social Comittee
EFRE
Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
EG
Europäische Gemeinschaft
EGB
Europäischer Gewerkschaftsbund
EGI
Europäisches Gericht 1. Instanz
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGKSV
Vertrag zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGV
EG-Vertrag
EMPL
Employment
EMRK
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte
EMS
European Multi-Stakeholder Forum
EMS
European Monetary System
EMU
European Monetary Union
endg.
endgültig
EP
Europäisches Parlament / European Parliament
EPC
European Policy Centre
EPC
Economic Policy Committee
ERF
Europäischer Regionalfonds
ESF
Europäischer Sozialfonds
ESM
European Social Model
etc.
et cetera
ETUC
European Trade Union Confederation
EU
Europäische Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EUI
European University Institute (Florence)
EuR
Europarecht
EUV
EU-Vertrag
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
19
20
Abkürzungsverzeichnis
ev.
eventuell
e.V.
eingetragener Verein
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWSA
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuß
EZA
Europäisches Zentrum für Arbeitnehmerfragen
EZFF
Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung
f.
folgende
ff.
fortfolgende
FU
Fachuniversität
GASP
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
GDP
Gross Domestic Product
GG
Grundgesetz
ggf.
gegebenenfalls
IAB
Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung
ICTU
Irish Congress of Trade Unions
ICWS
International Council on Social Welfare
IEE
Institut d’Études Européennes
i.e.S.
im engeren Sinne
ifo
Institut für Wirtschaftsforschung
IIRA
International Industrial Relations Association
ILO
International Labour Organization
INCL
Inclusion
Intern. / Int.
International
IPP
Institut für Praxisforschung und Projektberatung
ISG
Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik
ispw
Institut für angewandte Sozial- und Politikwissenschaften
i.V.m.
in Verbindung mit
KMU
Kleine und mittlere Unternehmen
KOM
Kommission
Lta.
Limitada
Ltd.
Limited
MISEP
Mutual Information System on Employment Policies
MISSOC
Mutual Information System on Social Security
MPIfG
Max-Planck-Institute for the Study of Societies
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
NAP
Nationaler Aktionsplan
NDV
Niederschriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
n.F.
neue Fassung
Abkürzungsverzeichnis NJW
Neue Juristische Wochenschrift
No.
Numero
NRO
Nichtregierungsorganisation
OMC
Open method of co-ordination
OMK
Offene Methode der Koordinierung
ONPTS
Office National des Pensions pour Travailleurs Salariés
PJZS
Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
Rdnr.
Randnummer
RESNET
Research Network
RIA
Regulatory Impact Assessment
RI / IR
Relations Industrielle / Industrial Relations
Rs.
Rechtssache
RWI
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.
S.
Seite / Satz
SA
Société anonyme
sc.
scilicet
SGI
Services of General Interest
Slg.
Sammlung
s. o.
siehe oben
SOC
social
sog.
sogenannte
SPC
Social Protection Committee
21
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschland
SRL.
Sociedad de Responsabilidad Limitada
SYSDEM
System of Documentation, Evaluation and Monitoring of Employment Policies
TLM.NET
Thematic Network Managing Social Risks trough Transitional Labour Markets
u.
und
u. a.
unter anderem
UEAPME
Union Européenne de l’Artisanat et des Petits et Moyennes Entreprises (Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe)
UNICE
Union of Industrial and Employer’s Confederations of Europe (Europäischer Arbeitgeber- und Industrieverband)
v.
von
VDR
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger
verb. Rs.
verbundene Rechtssachen
VerfO
Verfahrensordnung
vgl.
vergleiche
22
Abkürzungsverzeichnis
VO
Verordnung
WIP
Wirtschaft und Politik
WISO
Wirtschaft und Soziales
WRAMSOC
Welfare reform and the management of societal change
WS
Wintersemester
WSA
Wirtschafts- und Sozialausschuss
WSI
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung
WVRK
Wiener Vertragsrechtskonvention
WWU
Wirtschafts- und Währungsunion
WWZ
Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum
WZB
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
z. B.
zum Beispiel
ZBIJ
Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz
I. Thesen 1. These: Das „Europäische Sozialmodell“ bedarf einer Neuorientierung mit entsprechender rechtlicher Fixierung. 2. These: Die Entwicklung einer eigenständigen sozialen Dimension stand nicht im Vordergrund europäischer Integrationsbestrebungen. 3. These: Das „Europäische Sozialmodell“ steht in engem Zusammenhang mit den nationalen Sozialmodellen, die ihrerseits in unterschiedlichen Ausprägungen existieren. 4. These: Es existieren unterschiedliche Definitionen und ein unterschiedliches Verständnis eines „Europäisches Sozialmodells“. Das Modell ist weder abschließend definiert, noch europarechtlich verbindlich in seiner Gesamtheit verankert. 5. These: Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen „Europäischem Sozialmodell“, „Europäischer Sozialpolitik“, „Europäischem Sozialstaat“, „Sozialer Dimension Europas“, „Europäischem Sozialraum“, „Europäischer Sozialunion“ und „Europäischem Gesellschaftsmodell“ ist nicht möglich. 6. These: Das „Europäische Sozialmodell“ ist nicht definiert. Es kann aber über eine Festlegung seiner Eckpunkte konkretisiert werden. 7. These: Die zahlreichen Instrumente, die im Rahmen der Konkretisierung des „Europäischen Sozialmodells“ eingesetzt werden, sind nicht koordiniert. 8. These: Der EG-Vertrag enthält ein rechtliches Instrumentarium, das es ermöglicht, in unterschiedlichen Bereichen auf die Entwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ einzuwirken. 9. These: Der Europäische Gerichtshof hat entscheidend zur Gestaltung des „Sozialen Europas“ beigetragen. Da er aber lediglich Einzelentscheidungen trifft, kann er das „Europäische Sozialmodell“ zwar beeinflussen, nicht aber in seiner Gänze gestalten. 10. These: Das „Europäische Sozialmodell“ steht in Wechselwirkung mit anderen sozial-politischen Instrumenten und Akteuren, die es ausformen und bestimmen. Es folgt auch dabei keinen konsequenten politischen Vorgaben. 11. These: Die Verankerung von Grundrechten und die Schaffung der Unionsbürgerschaft haben zur Entwicklung der sozialen Dimension beigetragen, sind aber nur Teilaspekte des „Europäischen Sozialmodells“. 12. These: Der Soziale Dialog ist als Teil des „Europäischen Sozialmodells“ zu betrachten.
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I. Thesen
13. These: Die Sozialpolitische Agenda ist ein Fahrplan, dem es letztlich an Zielgenauigkeit und Verbindlichkeit fehlt, um zum „Europäischen Sozialmodell“ beitragen zu können. 14. These: Die Offene Methode der Koordinierung führt zu keiner klaren Kompetenzabgrenzung im Rahmen des „Europäischen Sozialmodells“ und läuft einer systematischen Zuordnung demokratischer Verantwortlichkeit in Europa zuwider. 15. These: Die Europäische Beschäftigungsstrategie und die Nationalen Aktionspläne dienen der Richtungsweisung, der Selbstdisziplin und der Selbstkontrolle der Mitgliedstaaten in der Beschäftigungspolitik. Sie sind aber mit Blick auf die Beschäftigungsstrategie wiederum zu stark wirtschaftspolitisch und mit Blick auf die Nationalen Aktionspläne zu stark national und zu wenig europäisch orientiert, um das „Europäische Sozialmodell“ zu entwickeln. 16. These: Der Lissabon-Prozeß ist zu einseitig auf die Erreichung beschäftigungspolitischer und wirtschaftspolitischer Ziele ausgerichtet, um zu einem „Europäischen Sozialmodell“ zu führen. 17. These: Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuß ist ein wichtiges Forum der Meinungsbildung und Interessenabstimmung in sozialen Fragen auf europäischer Ebene. Letztendlich fehlt es ihm aber an Repräsentativität, da er nicht alle Akteure einbezieht. Seine lediglich beratende Funktion verhindert eine echte Einflussnahme im Sinne der Fortbildung des „Europäischen Sozialmodells“. 18. These: Die Zivilgesellschaft kann nur ein „Meinungsbild“ reflektieren und damit in die Politik zur Schaffung eines „Europäischen Sozialmodells“ einbezogen werden. Aufgrund ihrer Heterogenität und mangelnden Repräsentativität spielt sie aber keine bestimmende Rolle. 19. These: Corporate Social Responsibility – CSR – als rein unternehmensbezogene Strategie kann keinen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ leisten. 20. These: Das Lobbying dient der Informationsbeschaffung und dem Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene zwischen Vertretern verschiedener Interessensgruppierungen und den europäischen Institutionen. Das „Europäische Sozialmodell“ kann auf der Grundlage des Lobbying wegen seiner Vielfalt, seiner fachinteressenorientierten Basis und seiner fehlenden Koordinierung nicht weiterentwickelt werden. 21. These: Es sind neue Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ erforderlich, wenn dieses Modell verfestigt und ausgebaut werden soll. 22. These: Die seitens der Wissenschaft vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ sind nicht tragfähig bzw. ausreichend, um die definierten Zielsetzungen zu erreichen.
I. Thesen
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23. These: Eine Verankerung weiterreichender sozialpolitischer Kompetenzen in der Verfassung ist wenig realistisch. 24. These: Die Intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf sozialem Gebiet ist zu unverbindlich, um das „Europäische Sozialmodell“ weiterzuentwickeln. 25. These: Das Modell der „Verstärkten Zusammenarbeit“ i. S. d. Art. 43 EUV führt zu einem stärkeren Auseinanderdriften der nationalen Sozialmodelle und damit auch zu einer Schwächung der sozialen Dimension generell in Europa. 26. These: Soziale Grundrechte sind ihrer Natur und ihrer Stellung in den Verträgen nach zu statisch, um den sich ständig ändernden Anforderungen des „Europäischen Sozialmodells“ gerecht zu werden. 27. These: Ein „Europäischer Sozialkonsens“ ist in der Lage, auf der rechtlichen Basis der Verträge das „Europäische Sozialmodell“ zu festigen und weiterzuentwickeln. 28. These: Der Konsens als erstes Element des Gesamtprozesses eines „Europäischen Sozialkonsenses“ dient der Willensbildung zwischen den Mitgliedstaaten. 29. These: Der „Europäische Sozialkonsens“ ermöglicht es in seiner zweiten Stufe, neben Zielen auch die geeigneten Instrumente und Methoden zur Erreichung der definierten Vorgaben festzulegen. 30. These: Der „Europäische Sozialkonsens“ ist das geeignete Mittel zur Umsetzung des „Europäischen Sozialmodells“ und eröffnet die nötigen nationalen Freiräume, um das soziale Europa auszubauen, bis hin zu einer eigenständigen sozialpolitischen Säule. Er kann Widersprüche auflösen und zu einer Institutionalisierung der europäischen Sozialpolitik auf der Grundlage des EG-Vertrages in der Fassung von Nizza führen. 31. These: Die Europäische Gemeinschaft verfügt schon heute über ausreichende Kompetenzen, um eine aktive Sozialpolitik zu praktizieren. Die Kompetenzen werden lediglich nicht optimal genutzt. 32. These: Im Rahmen des „Europäischen Sozialkonsenses“ muß die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Gemeinschaft genau beachtet sein. 33. These: Das neue Instrument des „Europäischen Sozialkonsenses“ schafft die Möglichkeit, auf der Grundlage des EG-Vertrages und unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten das „Europäische Sozialmodell“ zu stärken, auszubauen und zu einer eigenständigen sozialpolitischen Säule beizutragen.
II. Einleitung 1. THESE: Das „Europäische Sozialmodell“ bedarf einer Neuorientierung mit entsprechender rechtlicher Fixierung.
« L’Europe sera sociale ou elle ne sera pas ». Dieser Satz wird François Mitterand zugeschrieben.1 Würde er stimmen, dürfte es Europa eigentlich nicht geben, denn die Europäische Gemeinschaft hat sich in den nunmehr fast 50 Jahren ihres Bestehens zwar zu einer funktionierenden Wirtschaftsgemeinschaft entwickelt, von einem „Europäischen Sozialstaat“ oder einer „Europäischen Sozialunion“ ist sie weit entfernt.2 Die Konsequenzen aus dieser Politik der „Marginalisierung des Sozialen“ bekamen die Staats- und Regierungschefs und die europäischen Institutionen schmerzhaft mit den ablehnenden Referenden zum Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden zu spüren. Wenn auch nicht ausschließlich, so wird doch in vielen Analysen und Kommentaren die Fehlentwicklung der sozialen Dimension als einer der Hauptgründe des „Nein“ zu Europa gesehen.3 Unbestritten wächst Europa wirtschaftlich und politisch mit atemberaubender Dynamik zusammen. Was dabei allerdings fehlt, ist eine klare Vision des sozialen Fundaments dieses Integrationsprozesses. Es herrscht noch bei vielen die Illusion, das soziale Europa lasse sich im Nachhinein zimmern, sofern man überhaupt der Meinung ist, eines zu benötigen. Es wird beharrlich die Meinung verteidigt, die soziale Sicherung, der Beschäftigungsschutz und der Ausgleich von Benachteiligungen, kurz „das Soziale“, seien noch immer in erster Linie Sache der nationalen Politiken,4 da die unterschiedlichen Systeme historisch gewachsen seien und jeder Eingriff nachhaltige, insbesondere auch finanzielle Folgen habe5. Auf der Begg, Ian, EMU and employment, S. 43. Vgl. dazu Schulte, Bernd, Von Paris nach Nizza: 50 Jahre Europäische Sozialpolitik – Vom nationalen Sozialstaat zum Sozialstaat Europa?, S. 4; vgl. ferner Merten, Detlef, Entwicklungsperspektiven der sozialen Dimension in der EG: Funktionen sozialer Grundrechte, S. 63; Prunzel, Regine, Europa muss sich für eine echte Sozialpolitik öffnen, S. 28 – 32. 3 Eine gute Übersicht zu den Besorgnissen der Franzosen mit Bezug zum Thema „Soziales“ findet sich in Wagner, Markus, France and the Referendum on the EU Constitution. 4 Kaelble, Hartmut / Schmid, Günther, Das europäische Sozialmodell, Auf dem Weg zum transnationalen Sozialstaat, S. 12. 5 Vgl. dazu Lenoir, Rene, Le modèle social européen à l’épreuve, S. 3; vgl. dazu ferner Weidenfeld, Werner, Einführung: Die soziale Dimension des Binnenmarktes als Aufgabe europäischer Politik, S. 8 ff.; Weinstock, Ulrich, Europäische Sozialunion – historische Erfahrungen und Perspektiven, S. 17. 1 2
II. Einleitung
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anderen Seite gibt es, bedingt durch die Freizügigkeit und das Ziel der Schaffung gleicher Lebensbedingungen in Europa,6 ein immer größer werdendes Bedürfnis nach Rechtssicherheit in vielfältigen sozialen Bereichen, z. B. in Form von Harmonisierungen oder der Schaffung von Standards7, das bereits zu einer „Europäisierung“ der Sozialpolitik in den Mitgliedstaaten geführt hat8. Von der gegenseitigen Anerkennung der Berufsbildungsabschlüsse bis zur Frage der Portabilität von Rentenansprüchen9 mussten europaweite Regelungen gefunden werden, die die Freizügigkeit vom bloßen Programmsatz zur lebbaren Realität werden ließen. Dazu kam die Erkenntnis, dass die wirtschaftliche Dimension, insbesondere der verstärkte Wettbewerbsdruck, oft soziale Probleme schaffte, denen man begegnen musste.10 Und schließlich zeigte die Entwicklung der letzten Jahre, dass bedingt durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die in allen Staaten mehr oder weniger stark auftraten, dieselben Fragestellungen in allen Ländern – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung – auftauchten und zu lösen waren oder noch sind. Hohe Arbeitslosigkeit, Finanzierungsschwierigkeiten bei den Gesundheitssystemen im speziellen und den allgemein überlasteten Sozialleistungssystemen sind nur drei der zu bewältigenden Probleme.11 Als Folge davon erfolgte ein Umbau der sozialen Strukturen in fast allen Ländern der Europäischen Union, und die jeweiligen Sozialmodelle wurden auf den Prüfstand gestellt, mit zum Teil einschneidenden Folgen für die Bürger / innen12. Als übergeordnetes Element kam verstärkt die europäische Ebene ins Spiel, da die oben angesprochenen nationalen Probleme mehr und mehr eine europäische Dimension erlangten. Beispielhaft zu nennen sind insoweit u. a. Gesundheitsleistungen, die vermehrt im Ausland in Anspruch genommen werden, der grenzüberschreitende Transfer von Sozialleistungen und die Mobilität der Arbeitnehmer / innen mit allen sich daraus ergebenden Folgeproblemen. Bürger wechseln den Arbeitsplatz nicht mehr nur innerhalb eines Landes, sondern machen Gebrauch von ihrem Recht, sich im gesamten geographischen Gebiet der Europäischen Union niederzulassen13. Damit stellt sich die Frage nach Ansprüchen auf Präambel und Art. 2 des EG-Vertrags. Vgl. dazu Kunz, Harry, Soziales Europa, S. 33 ff. 8 Der Paritätische Wohlfahrtsverband, Die Freie Wohlfahrtspflege als Grundpfeiler der Daseinsvorsorge, S. 23. 9 Vgl. zu Renten Bittner, Claudia, Rentenversicherungsrechtlicher Generationenvertrag als Gesellschaftsvertrag (Sozialkontrakt?), S. 573 ff.; Bittner, Claudia, Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht: Grenzüberschreitende betriebliche Altersversorgung im Spannungsfeld von europäischem und internationalem Betriebsrentenrecht. 10 Vgl. dazu Fischer, Thomas, Europas Gesellschaftsmodell entwickeln – Solidarität im Wettbewerb sichern, S. 3; vgl. dazu ferner Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 97. 11 Vgl. dazu European Commission, Reconciling the Welfare State with sound public Finances and high Employment. 12 Zugunsten der besseren Lesbarkeit des Textes wurde auf die durchgängige Verwendung der jeweils korrespondierenden weiblichen Form im weiteren verzichtet. Es wird aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die weibliche Form stets impliziert ist. 6 7
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II. Einleitung
soziale Leistungen, wie z. B. Kindergeld, Krankenleistungen, Rentenansprüchen und vielem mehr. Die Portabilität von sozialen Leistungen gerät in den Fokus des Interesses, wenn Europa gelebte Wirklichkeit werden soll. Zusätzlich rückt in den letzten Jahren die Begrenzung der Neuverschuldung der Mitgliedstaaten in den Blickpunkt des Interesses, um die Stabilitätskriterien zu erfüllen. Eine Begrenzung der Sozialausgaben spielt dabei eine wichtige Rolle, um ausgeglichene Haushalte vorweisen zu können.14 Warum also nicht versuchen, auf diese Fragen europäische Antworten zu finden? Der bereits in der Präambel des EWG-Vertrags formulierte Auftrag, die „stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen . . .anzustreben“ – auf den später noch hinsichtlich seiner Bedeutung im einzelnen einzugehen sein wird – in Verbindung mit den sozialpolitisch einschlägigen Vorschriften der Art. 136 ff. EGV15 und die sich rein faktisch daneben nach und nach aufbauende europäische soziale Dimension führten letztlich dazu, dass unterschiedlichste Versuche unternommen wurden, die sozialen Defizite der Wirtschaftspolitik auszugleichen. Es entwickelte sich mehr und mehr ein eigenes europäisches soziales Profil, das vielfach beschrieben wird als „Europäisches Sozialmodell“, ohne dass es dafür allerdings eine explizite Definition oder eine zielgerichtete Politik gab oder gibt, die in eine tatsächliche, zwischen den Mitgliedstaaten abgestimmte „Sozialpolitik“ münden würde.16 Dieses Fehlen einer stringenten Politik ließ einem mehr oder weniger freien Spiel der Kräfte seinen Lauf. Als Konsequenz initiierte eine Vielzahl von Akteuren unterschiedlichste Maßnahmen auf der Grundlage verschiedener Verfahren und aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen. Zu nennen sind der Soziale Dialog oder die Beteiligung und Interaktion der immer stärker in Erscheinung tretenden Zivilgesellschaft, die nur schwer eindeutig zu definieren ist. Diese zur Zeit herrschende Vielfalt an Einflussnahmemöglichkeiten verschiedenster Akteure und Anwendung diverser, nicht miteinander koordinierter Verfahren, wie z. B. die Offene Methode der Koordinierung, kann nicht zukunftsweisend sein. Die aktuelle europäische Sozialpolitik entsteht unstrukturiert, vielfach geschaffen mit Hilfe unterschiedlichster Instrumente und Verfahren, die – mangels Einbindung aller Gruppen – nicht immer den wünschenswerten breiten Ansatz und die notwendige Transparenz aufweisen. 13 Zur Zeit gelten allerdings hinsichtlich der neuen Mitgliedstaaten insoweit noch teilweise unterschiedliche Regelungen; vgl. dazu auch Mau, Steffen, Soziale Ungleichheit in der Europäischen Union, S. 6. 14 Vgl. dazu Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 216 f.; vgl. dazu ferner Esping-Andersen, Gøsta, Challenges facing the provision of social services in Europe, S. 63. 15 Wegen der zahlreichen Neufassungen der Verträge und der damit verbundenen Veränderungen der Numerierung der Artikel wird im folgenden stets die aktuelle Fassung des Nizza-Vertrages aufgeführt. Etwaige Abweichungen werden deutlich gemacht. 16 Haack, Karl Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 9.
II. Einleitung
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Auf der anderen Seite steht demgegenüber die Vision eines „Europäischen Sozialmodells“. Ein klar definiertes und zwischen den Staats- und Regierungschefs abgestimmtes echtes „Europäisches Sozialmodell“ im Sinne einer „Europäischen Sozialpolitik“ existiert bislang noch nicht. Zur Zeit gibt es, geprägt von der Wirtschafts- und der Sozialwissenschaft, lediglich verschiedene Definitionen und Vorstellungen und aus dem politischen Umfeld unterschiedliche Forderungen dessen, was dieses Modell umfassen und leisten sollte. Neben der mangelnden Bestimmtheit des „Europäischen Sozialmodells“ fehlt es auch an einem schlüssigen Konzept zur Erreichung eines solchen Modells. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Entwicklung des „Europäischen Sozialkonsenses“ – einem vollständig neuen Ansatz, der es ermöglichen soll, auf den bereits vorhandenen primärrechtlichen Grundlagen der Europäischen Union ein „Europäisches Sozialmodell“ umzusetzen. Ein solcher Konsens wäre flexibel genug, die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten und Instrumente zu nutzen. Er würde auch die nötigen Freiräume schaffen, die erforderlich sind, um die nationalen Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen. Wie nachzuweisen sein wird, besteht ein einheitliches und damit „Europäisches Sozialmodell“ nur in Ansätzen.17 Der Begriff „Europäisches Sozialmodell“ findet sich nicht im Primärrecht. Andererseits werden zahlreiche Ansätze zu einem „Europäischen Sozialmodell“ in der wissenschaftlichen Literatur, aber auch von der Europäischen Kommission selbst angesprochen, was letztlich zu einem rechtlich diffusen, aber politisch nachvollziehbaren Bild der Erwartungen an eine europäische Sozialpolitik führt. Unbestreitbar folgt daraus auch die Notwendigkeit, im Gleichklang zum Binnenmarkt im Rahmen der vertieften europäischen Integration und der Erweiterung europaweit geltende Sozialvorschriften zu entwickeln. Dabei sind die zunächst entscheidenden Fragen diejenige nach dem „Ob“, gefolgt von dem „Wie“, dem durch „Wen“, dem „Wieweit“ und dem „Wann“. Um diese wesentlichen Fragen unter Beachtung der Heterogenität der sozialen Systeme in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf rechtlicher Grundlage ziel- und praxisorientiert zu beantworten, bieten die Verträge sowie auf diesen beruhende und aus ihnen entwickelte neue Instrumentarien die Möglichkeit, auch ohne ausdrückliche primärrechtliche Kompetenzübertragung zur Bildung eines „Europäischen Sozialmodells“ auf europäischer Ebene zu dem gewünschten Ergebnis im Sinne eines europaweiten sozialen Konsenses zu kommen. Der „Europäische Sozialkonsens“ dient der Umsetzung des – von den Staatsund Regierungschefs – zu formulierenden Auftrags, die Sozialpolitik stringent 17 Vgl. dazu Wuermeling, Joachim, Einleitungsreferat anlässlich der Podiumsdiskussion „Das Europäische Sozialmodell – Stärke durch Vielfalt“; vgl. dazu ferner Marin, Bernd, Kein „europäisches Sozialmodell?“; Krätke, Michael R., Hat das „europäische Sozialmodell“ noch eine Zukunft?; Homeyer, Josef / van Luyn, Adrianus / Simon, Hippolyte, Das europäische Sozialmodell stärken, Thesen für eine erneuerte Lissabon-Strategie der Europäischen Union, S. 1.
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II. Einleitung
weiterzuentwickeln. Dabei bleiben die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten einerseits unangetastet, andererseits kann das Ziel verbindlicher Regelungen auf der Grundlage mitgliedstaatlicher Übereinkünfte in einem strukturierten, rechtlich abgesicherten Verfahren erreicht werden. Diese als „Europäischer Sozialkonsens“ bezeichnete Vorgehensweise wird im Verlauf der Arbeit entwickelt werden. Dabei soll auch unter Beweis gestellt werden, dass die primärrechtlichen Grundlagen bereits vorhanden sind, die es erlauben, eine eigenständige sozialpolitische Säule aufzubauen. Bisher ist dieser Ansatz weder in der Theorie noch in der Praxis in Erwägung gezogen worden. Seine praxisorientierte und rechtlich abgesicherte Anwendbarkeit wird im weiteren nachzuweisen sein. Die vorliegende Arbeit versucht, die wesentlichen Komponenten eines „Europäischen Sozialmodells“ zu definieren und einen rechtlichen Rahmen, den „Europäischen Sozialkonsens“, vorzuschlagen, der sicherstellen könnte, dass das soziale Europa weniger als bislang den wirtschaftlichen Notwendigkeiten folgt und durch die Einflussnahme von Interessengruppen bestimmt wird und damit ein eigenes Profil entwickeln kann. Im Verlauf der Untersuchung wird das „Europäische Sozialmodell“ aus soziologischer, politikwissenschaftlicher, wirtschaftswissenschaftlicher und rechtlicher Sicht aufgearbeitet. Dieser Darstellung folgt die Erfassung der Mehrdimensionalität des „Europäischen Sozialmodells“ über Eckpunkte. Über die Gesamtschau und Analyse der unterschiedlichen Einflüsse auf das „Europäische Sozialmodell“ und die Zusammenstellung aller rechtlichen Ansätze führt die Arbeit letztlich zu einem praxisorientierten Vorschlag.
III. Grundlagen des sogenannten aktuellen „Europäischen Sozialmodells“ 2. THESE: Die Entwicklung einer eigenständigen sozialen Dimension stand nicht im Vordergrund europäischer Integrationsbestrebungen.
1. Entwicklung der europäischen Sozialpolitik Die Frage nach der rechtlichen Gestaltung des „Europäischen Sozialmodells“ erfordert, zunächst auf die Entwicklung des europäischen Sozialrechts im Allgemeinen einzugehen, da nur so deutlich wird, warum sich ein einheitliches „Europäisches Sozialmodell“ bis heute nicht entwickeln konnte. Befasst man sich mit der historischen Entwicklung des Sozialrechts der Europäischen Gemeinschaft,1 kann generell festgestellt werden, dass dieses Thema nicht im Vordergrund der Römischen Verträge gestanden hat.2 Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich zunächst sechs europäische Staaten zusammengeschlossen, um unter Achtung der nationalen und kulturellen Besonderheiten das friedliche Zusammenleben ihrer Völker zu garantieren.3 Die ursprüngliche Struktur der Gemeinschaftsverträge war von der Annahme geprägt, dass die beste Sozialpolitik eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik sei. Eine „Gemeinschaftssozialordnung“ sollte sich gewissermaßen automatisch als Folge des wirtschaftlichen Integrationsprozesses einstellen.4 Die Europäische Gemein1 Vgl. dazu generell Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 11; vgl. dazu ausführlich Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 69 ff. m. zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. dazu ferner Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 35 ff. 2 So Schulte, Bernd, Europäisches Sozialrecht als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung, S. 58; Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 84; auch Falkner, Gerda, EG-Sozialpolitik nach Verflechtungsfalle und Entscheidungslücke: Bewertungsmaßstäbe und Entwicklungstrends, S. 279 – 301; Windisch-Graetz, Michaela, Europäisches Krankenversicherungsrecht, S. 2. 3 Vgl. dazu Thalhofer, Stephan, Die Geschichte der europäischen Integration, S. 3 ff. 4 Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 20 Rdnr. 1; vgl. dazu ferner Mäder,
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
schaft ist, wie sich bereits aus der ursprünglichen Bezeichnung als „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ ergibt, anfänglich eine „societas oeconomica“ und keine „societas socialis“ gewesen. Die Dominanz der Wirtschaft in den Gemeinschaftsverträgen ist unbestritten5 und wird u. a. damit belegt, dass die entsprechenden Artikel in den Verträgen an prominenter Stelle stehen, weit in der Überzahl sind und auch inhaltlich überwiegen.6 Ziel war eine politische Befriedung und gleichzeitig die politische Integration Europas. Erreicht werden sollte dies zunächst mit Hilfe der Wirtschaft. Demgegenüber haben soziale Fragen, hat die soziale Dimension Europas, stets nur eine untergeordnete Rolle gespielt.7 Die Gründe für die Ausklammerung des „ens sociale“ bzw. eine gewisse „sozialpolitische Zurückhaltung“ reichen in die Gründungsphase der Gemeinschaft zurück.8 Von Anfang an gab es zwischen den Gründerstaaten Streit darüber, ob die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes eine umfangreiche Angleichung der Sozialkosten durch gezielte Gemeinschaftsaktionen voraussetze oder sich die „harmonische Entwicklung“ allmählich über das Spiel der Marktkräfte von selbst einstellen werde.9 Während der Aushandlung des EWG-Vertrages unter den ursprünglichen sechs Gründerstaaten sprach sich Frankreich für eine umfassende Angleichung der Sozialleistungssysteme im Hinblick auf die damit verbundenen sozialen Lasten der Unternehmen aus, weil es befürchtete, höhere Lohnnebenkosten würden sich im künftigen Gemeinsamen Markt als Nachteil erweisen. Von deutscher Seite wurde hingegen die Auffassung vertreten, der Sozialaufwand sei, wie etwa auch die steuerliche Belastung der Unternehmen sowie sonstige Standortfaktoren, als Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft – Entwicklungen auf dem Weg zur Sozialunion, S. 7 und 26. 5 Vgl. dazu Schulz-Nieswandt, Frank, Eine EU-Verfassung mit sozialen Grundrechten, S. 6; so auch Europäischer Gewerkschaftsbund, Entwurf eines Manifests für ein soziales Europa 2000; Clever, Peter, Soziale Sicherheit in der Europäischen Union – Gemeinschaftsrecht, Vorgaben und Ausblick, S. 283. 6 Vgl. dazu Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh oder Integration?, S. 31. 7 Vgl. zur untergeordneten Rolle der sozialen Dimension auch Heidenreich, Martin, Die Entwicklung eines „Sozialen Europa“, S. 1 ff., der den Beginn des „Sozialen Europas“ sogar erst 1993 sieht; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 96; Eichenhofer, Eberhard, Unionsbürgerschaft – Sozialbürgerschaft?, S. 12; Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 2; Wickham, James, The End of the European Social Model: Before it began?, S. 8; Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 17; Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, S. 5. 8 Vgl. dazu auch Kleinhenz, Gerhard: Die sozialpolitische Bedeutung der Verwirklichung des Binnenmarktes, S. 11; Weinstock, Ulrich, Europäische Sozialunion – historische Erfahrungen und Perspektiven, S. 17 f.; Rogowski, Ralf / Kajtár, Edit, The European Social Model and Coordination of Social Policy, S. 6 f. 9 Vgl. Oppermann, Thomas, Europarecht, S. 559.
1. Entwicklung der europäischen Sozialpolitik
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ein Kostenfaktor unter vielen im Wettbewerb des Gemeinsamen Marktes hinzunehmen, nicht aber im Wege einer umfassenden sogenannten sozialen Harmonisierung zu beseitigen.10 „Die Europäische Gemeinschaft kam mit dem Geburtsfehler, dass Sozialpolitik als Kostenpolitik zu verstehen ist, zur Welt.“11 Der damit verbundene Verzicht auf eine umfassende Regelung sozialpolitischer Fragen und insbesondere die Absage an eine umfassende soziale Harmonisierung in Gestalt (u. a.) einer Vereinheitlichung des Arbeits- und Sozialrechts der Mitgliedstaaten im EWG-Vertrag, welcher der damaligen Konzeption der deutschen „sozialen Marktwirtschaft“ entsprach, ist – so der seinerzeit geschlossene Kompromiß – nur in einzelnen Fällen durchbrochen worden, so insbesondere im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Gestalt der Verankerung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit in ex-Art. 119 EWGV (heute Art. 141 EGV) und im Zusammenhang mit der Durchführung der auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Schritte nach Maßgabe des ex-Art. 51 EWGV (heute Art. 42 EGV).12
Ein wichtiges Instrument für die Integration war die Schaffung eines gemeinsamen Marktes unter Verwirklichung der vier Grundfreiheiten eines freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gem. Art. 14 Abs. 2 EGV. Durch die immer stärkere Verzahnung der wirtschaftlichen Interessen hoffte man auf Wohlstand und Frieden. Zwar stand die Schaffung einer europäischen politischen Union stets als Oberziel fest, jedoch war man sich im Klaren darüber, dass es dazu zunächst der Stabilisierung und Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Grundlagen innerhalb der Gemeinschaft bedurfte. Damit traten hinter die wirtschaftliche Säule die Entwicklung der politischen Union und erst recht der Aufbau einer sozialen Gemeinschaftspolitik zurück. Bis zum heutigen Tage nimmt diese Zielsetzung des primären Gemeinschaftsrechts eine herausragende Stellung im Integrationsprozess ein. Selbst den beiden oben erwähnten Art. 141 und 42 EGV, die von Anbeginn einen festen und unbestrittenen Platz im Vertrag von Rom und die Übertragung von Kompetenzen auf 10 Vgl. dazu Koenig, Christian / Pechstein, Matthias, Die Europäische Union – Die Verträge von Maastricht und Amsterdam, S. 16, Rdnr. 27 ff.; vgl. dazu ferner Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 37; Weinstock, Ulrich, Europäische Sozialunion – historische Erfahrungen und Perspektiven, S. 16 f.; Ebsen, Ingwer, Europarechtliche Gestaltungsvorgaben für das deutsche Sozialrecht, Freizügigkeit, wirtschaftliche Grundfreiheiten und europäisches Wettbewerbsrecht als Grenzen sozialstaatlicher Souveränität, S. 5; Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 69 ff.; Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 21 ff. 11 Weinstock, Ulrich, Europäische Sozialunion – historische Erfahrungen und Perspektiven, S. 18. 12 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 35.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
die Gemeinschaft in diesen beiden Bereichen zum Gegenstand hatten, lagen wirtschaftliche Erwägungen zugrunde. Das auf Art. 42 EGV fußende „Regime“ der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, welches die einschlägigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten koordiniert, ist gleichsam „Annex“ zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 EGV) und damit einer der Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes, während der in Art. 141 EGV niedergelegte Grundsatz der Entgeltgleichheit für gleich(wertig)e Arbeit für Männer und Frauen aus Wettbewerbsgründen (nämlich wegen von Frankreich befürchteter Wettbewerbsnachteile aufgrund eines seinerzeit bereits höheren Grades der Lohngleichheit, praktiziert von französischen Unternehmen mit Blick auf die Schaffung eines künftigen Gemeinsamen Marktes) in den EWG-Vertrag Aufnahme gefunden hat13. Beiden Vorschriften ist ferner gemeinsam, dass sie Diskriminierungen verhindern sollen: Im Falle des Art. 42 EGV geht es um die Gleichbehandlung von EGWanderarbeitnehmern mit inländischen Arbeitnehmern auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und in diesem Zusammenhang um das Verbot von Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit, in Art. 141 EGV um die – namentlich durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – beanstandete Diskriminierung wegen des Geschlechts.14 Dabei ist der persönliche Anwendungsbereich allerdings unterschiedlich: Während der Grundsatz des Art. 141 EGV – und entsprechend auch die Richtlinien, die mittlerweile zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeits- und Sozialrecht erlassen worden sind –, für die Staatsangehörigen eines jeden EU-Mitgliedstaats gilt, mit der Folge, dass sich die Bürger der Mitgliedstaaten darauf unmittelbar gegenüber nationalen Behörden, Gerichten und sonstigen Dritten (z. B. Arbeitgebern) berufen können, betrifft der Grundsatz der Inländergleichbehandlung im Zusammenhang mit der Freizügigkeit lediglich abhängig Erwerbstätige – ursprünglich allein Arbeitnehmer und seit Anfang der 80er Jahre auch Selbständige –, die vom Recht der Freizügigkeit Gebrauch machen und zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit die Grenze überschreiten („wandern“).15 Der EWG-Gründungsvertrag aus dem Jahr 1957 enthielt weitere Artikel, die soziale Belange regelten (Art. 117 – 118 EWG-Vertrag, in denen auf die Bedeutung der Abstimmung der Sozialordnungen16 und die enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf den Gebieten: Beschäftigung, Arbeitsrecht und Arbeitsbedingungen, berufliche Aus- und Fortbildung,17 soziale Sicherheit, Verhütung 13 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 36. 14 Vgl. dazu Langer, Rose, Zukunftsperspektiven des europäischen Sozialrechts – Koordinierendes Sozialrecht und Gleichbehandlung von Männern und Frauen, S. 38 ff.; vgl. dazu ferner Haverkate, Görg / Weiss, Manfred / Huster, Stefan / Schmidt, Marlene, Casebook zum Arbeits- und Sozialrecht der EU, Rdnr. 46 ff. 15 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 36. 16 Art. 117 EWG-Vertrag.
1. Entwicklung der europäischen Sozialpolitik
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von Berufsunfällen und Berufskrankheiten, Gesundheitsschutz bei der Arbeit18, Koalitionsrecht und Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern19 hingewiesen wird). Ansatzpunkt in diesem noch jungen und im Zusammenwachsen begriffenen Europa der sechs Gründermitglieder war also zunächst die Verbesserung der Situation von Arbeitnehmern, die im Laufe ihres Berufslebens zwischen verschiedenen Staaten wechseln. Erreicht wurde zum Beispiel, dass bereits seit vielen Jahren die Beschäftigungs- und Versicherungszeiten zusammengerechnet werden können und einheimische Arbeitnehmer und Wanderarbeitskräfte sozialversicherungsrechtlich gleichgestellt wurden.20 Die Aufzählung der o. g. Vorschriften macht gleichzeitig deutlich, dass den europäischen Institutionen auf dem Gebiet der Sozialpolitik nur beschränkte Befugnisse zugestanden wurden. Kein Mitgliedstaat wollte in diesem sensiblen, kostenintensiven und historisch national heterogen entwickelten Bereich Souveränität aufgeben. Die verschiedenen Phasen, die die europäische Sozialpolitik bis 1993 durchlebte, werden beschrieben als: Neo-Liberalismus
(1957 – 1972)
Aktivismus
(1972 – 1980)
Stagnation
(1980 – 1986)
Optimismus
(1986 – 1993)21
Erst in den 70iger Jahren kann man einen Umdenkungsprozess erkennen. Schon die ersten Ansätze einer eigenständigen, unionsweiten Sozialpolitik waren dabei umstritten. Gleichzeitig mit dem Wunsch nach „mehr sozialem Europa“ wurde stets die Frage gestellt: „Wie weit soll die Sozialpolitik europaweit vereinheitlicht werden?“ Es ist interessant festzustellen, dass diese Frage bereits bei den Verhandlungen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 diskutiert wurde. Schon damals spielten bei ihrer Beantwortung wesentlich wirtschaftliche Erwä17 Vgl. zum Bereich der europäischen Bildungspolitik Niedobitek, Matthias, Kultur und Europäisches Gemeinschaftsrecht. 18 Vgl. dazu auch Windisch-Graetz, Michaela, Europäisches Krankenversicherungsrecht, S. 2 ff. 19 Art. 118 EWG-Vertrag. 20 Verordnung (EG) Nr. 883 / 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU L 166 / 1 vom 30. 04. 2004. 21 Europäisches Parlament, Auswirkungen der Arbeit des Europäischen Parlaments und seines Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten auf die Gemeinschaftsvorschriften im Sozialbereich (September 1994-Dezember 1998); vgl. dazu auch Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der EU, S. 50 ff.; vgl. dazu ferner Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 28 ff.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
gungen eine Rolle. Nicht unter dem Gesichtspunkt „Wie sozial soll Europa werden?“ wurde diskutiert, sondern unter Kostengesichtspunkten. Ins Feld geführt wurden Überlegungen wie die Erkenntnis, dass die kurzfristigen Kosten für Arbeitgeber und Staat höher sind, wenn den Bürgern eine hohe soziale Absicherung garantiert wird. In einer Wirtschaftsgemeinschaft sollten aber für alle Mitgliedstaaten gleiche wirtschaftliche Grundbedingungen geschaffen werden. Bestimmungen, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnten, wie zum Beispiel hohe Kosten für die Unternehmen durch die Sozialfürsorge, sollten angenähert werden. Es standen sich zwei Denkschulen gegenüber: Die Verfechter der so genannten „neoliberalen Wirtschaftspolitik“ plädierten für einen Wettbewerb, der nur durch ein Mindestmaß an Sozialvorschriften oder sonstige Bestimmungen beschränkt war, und erhofften sich dadurch maximalen Wohlstand. Für sie waren Sozialkosten nur einer unter vielen Kostenfaktoren für Unternehmen, die – je nach Wirtschaftslage – verändert werden können. Im Unterschied dazu sahen die „Gesellschaftsmodelle“ in Sozialausgaben Kosten, die erforderlich sind, um den sozialen Frieden einer Gesellschaft nicht zu gefährden. Europaweit identische Sozialstandards würden ihrer Ansicht nach verhindern, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, weil Unternehmen eher in Ländern investieren, in denen der Faktor „Arbeit“ billiger ist. Diese Modelle müssten in der aktuellen Situation eigentlich eine Renaissance erleben. Die Europäische Gemeinschaft hat unter Berücksichtigung der ihr zugewiesenen Kompetenzen versucht, mit ihrer Sozialpolitik einen Mittelweg zwischen diesen beiden Polen zu finden. Neuen Schwung erhielt die europäische Sozialpolitik 1972 auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Paris. Diese forderten die Gemeinschaftsorgane zu einem energischen Vorgehen im sozialpolitischen Bereich auf22. Als Folge dieses Gipfels begann 1974 die Umsetzung des ersten sozialpolitischen Aktionsprogramms.23 In ihm wurden konkrete Maßnahmen festgeschrieben, die einen ersten „Fahrplan“ für die Sozialpolitik bildeten. In der Folge erließ die Europäische Gemeinschaft zahlreiche Richtlinien. So hatten Unternehmen nunmehr europaweit bei Massenentlassungen identische Verfahren anzuwenden24 und den Erhalt von Arbeitnehmeransprüchen bei Unternehmensfusionen zu gewährleisten25. Die ArOsterroth, Franz / Schuster, Dieter, Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Vgl. dazu Entschliessung des Rates vom 21. Januar 1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm, ABl. EG C 13 / 1 vom 12. 02. 1974. 24 Richtlinie 75 / 129 / EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. EG L 48 / 29 vom 22. 02. 1975; aktuelle Fassung: Richtlinie 98 / 59 / EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. EG L 225 / 16 vom 12. 08. 1998. 25 Richtlinie 80 / 987 / EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit 22 23
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beit der nationalen Arbeitsmarktverwaltungen wurde besser koordiniert und Vorschläge zur Eingliederung von Jugendlichen, behinderten Menschen und Arbeitslosen in das Erwerbsleben gemacht. Es folgte nach einigen Jahren der „Stagnation“ die Phase des „Optimismus“, in der im Laufe der 80er Jahre auch die soziale Dimension in Europa immer mehr an Bedeutung gewann. Man erkannte die sozialen Regelungen zunehmend als ein Instrument an, das dazu beitragen konnte, den Zusammenhalt zwischen den europäischen Bürgern zu stärken.26 Ende der 80er Jahre erhielt das Arbeitsschutzrecht eine Verstärkung durch die „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“27 – heute ist es geregelt in Art. 137 EGV und gleichsam als „Neue Säule“ hinzugetreten zu den beiden erwähnten Schwerpunktbereichen der EG-Sozialpolitik. Auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes können seit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahr 1987 und der Einfügung des neuen Titels zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt (Art. 130 a EWGV)28 und mit dem im EG-Vertrag in der Fassung von Nizza wesentlich umgestalteten Art. 137 EGV Verbesserungen insbesondere der so genannten Arbeitsumwelt zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer in Gestalt von Mindestvorschriften gemeinschaftsweit eingeführt werden, wovon seither reger Gebrauch gemacht worden ist. Das Abkommen über die Sozialpolitik, das durch Art. 136 EGV in den Vertrag in der Fassung von Amsterdam integriert wurde, hat auch diesem Bereich der Sozialpolitik eine zusätzliche Dynamik verliehen. Das allgemeine Ziel der Förderung einer beschleunigten Hebung der Lebenshaltung in der Gemeinschaft im Sinne des Art. 2 EGV ist demgegenüber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „ein mit der Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verbundenes Ziel . . . , das aufgrund seiner Allgemeinheit und eines systematischen Zusammenhangs mit der Einrichtung eines Gemeinsamen Marktes und der fortschreitenden Annäherung der Wirtschaftspolitik weder rechtliche Pflichten der Mitgliedstaaten noch Rechte einzelner begründen kann“.29 des Arbeitgebers, ABl. EG L 283 / 23 vom 28. 10. 1980; aktuelle Fassung: Richtlinie 2001 / 23 / EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, ABl. EG L 82 / 16 vom 22. 03. 2001. 26 Vgl. dazu Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 3; vgl. dazu ferner Däubler, Wolfgang, Sozialstaat EG? Notwendigkeit und Inhalt einer Europäischen Grundrechtsakte, S. 41. 27 Europäischer Rat, Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer. 28 Einheitliche Europäische Akte, ABl. EG L 169 / 1 vom 29. 06. 1987. 29 Urteil des Gerichtshofs vom 29. September 1987, Rs. C-126 / 86, Fernando Roberto Giménez Zaera / Instituto Nacional de la Seguridad Social und Tesorería General de la Segurdidad Social, Slg. 1987, S. 3697, Rdnr. 11.
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Auch die zentrale Vorschrift des Art. 136 EGV enthält lediglich soziale Ziele programmatischer Natur, die auf der Erwartung fußen, die zunehmende wirtschaftliche Integration werde auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte verbessern und einander annähern. Dies bedeutet freilich nicht, dass diese Vorschriften keinerlei Rechtswirkungen haben – sie stellen vielmehr (so der EuGH) „wichtige Anhaltspunkte . . . für die Auslegung anderer Vorschriften des Vertrags und des sekundären Gemeinschaftsrechts im Sozialbereich dar“30 –, doch muss die Verwirklichung dieser Ziele das „Ergebnis einer Sozialpolitik sein, deren Festlegung Sache der zuständigen Stellen ist.“31 Soweit Art. 137 EGV der Europäischen Kommission die Aufgabe überträgt, in verschiedenen sozialrelevanten Bereichen die Tätigkeit der Mitgliedstaaten zu unterstützen und zu ergänzen, erkennt auch diese Bestimmung die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in sozialen Fragen an, soweit letztere nicht zu den bereits erwähnten Bereichen gehören, die durch andere Vorschriften des Vertrages, nämlich derjenigen über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die Freizügigkeit der Erwerbstätigen und den Arbeitsschutz geregelt werden und für die der Gemeinschaft ausdrücklich Kompetenzen eingeräumt worden sind. Die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft in den 80er Jahren hat seinerzeit zu einer Vergrößerung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Arbeitskosten im Verhältnis von bis zu 1:5 – etwa zwischen Deutschland und Portugal – geführt32. Zugleich rückte jeder Gedanke an eine Angleichung der Lebensverhältnisse und an eine europäische soziale Harmonisierung – etwa auch von Sozialabgaben- und Sozialleistungsniveaus – angesichts der Vertiefung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf wirtschaftlichen Entwicklungsstand, Einkommensentwicklung, Lebensstandards u. a. und ihre Auswirkungen im Bereich der sozialen Sicherheit in weite Ferne.33 Der Ruf nach einer Stärkung der „sozialen Dimension“ der Gemeinschaft führte schließlich bereits vor Wirksamwerden des Binnenmarktes zur Verabschiedung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer34 als (rechtlich unverbindlicher) politischer Erklärung. Sie wurde 1989 von den Staats- und Regierungschefs – mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs – verabschiedet als eine Erklärung, die den Arbeitnehmern in Europa den Weg zu konkreten, rechtsverbindlichen sozialen Mindeststandards ebnen sollte. Damit wurde trotz des Fehlens 30 Urteil des Gerichtshofs vom 29. September 1987, Rs. C-126 / 86, Fernando Roberto Giménez Zaera / Instituto Nacional de la Seguridad Social und Tesorería General de la Segurdidad Social, Slg. 1987, S. 3697, 2. Leitsatz. 31 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 37. 32 Vgl. dazu Scharpf, Fritz W., Demokratie in der transnationalen Politik, S. 9 m. w. N. 33 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 37. 34 Europäischer Rat, Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer.
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Großbritanniens der soziale Pfeiler in der EU gestärkt und die Absicht deutlich, die wirtschaftlichen und monetären Prozesse sozialverträglich zu gestalten und damit die Akzeptanz des Vertragswerkes zu erhöhen. Fast 50 neue Vorschläge wurden im Anschluss an diese Charta seitens der Europäischen Gemeinschaft durch die Europäische Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament vorgelegt.35 Die Verwirklichung des Binnenmarktes Anfang der 90er Jahre hat dann zum Wegfall zahlreicher Hindernisse auf den Güter- und Faktormärkten geführt, zugleich aber Befürchtungen – namentlich der Gewerkschaften – hinsichtlich einer Schwächung des sozialen Schutzes geweckt. Es folgte das Protokoll über die Sozialpolitik36, das 1992 dem Maastrichter Vertrag beigefügt und als Abkommen über die Sozialpolitik durch den Art. 136 EGV in den Vertrag integriert wurde. Es ermächtigte die restlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, rechtlich verbindliche Entscheidungen in bestimmten Bereichen zu treffen. Diese Bereiche waren in dem dem Protokoll beigefügten „Abkommen über die Sozialpolitik“ enthalten, welches wiederum vom Vereinigten Königreich nicht unterzeichnet worden war. Damit kann man feststellen, dass es der Europäischen Gemeinschaft bis 1993 vor allem um die Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschaft ging. Eine eigenständige, wirtschaftsunabhängige „positive Sozialpolitik“ war nicht dringend, da die Schaffung von Märkten und ihre positiven wirtschaftlichen Effekte durch die Zustimmung der Nationalstaaten hinreichend legitimiert schienen37. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union – Vertrag von Maastricht38 – am 1. November 1993 sind dann mit dem Abkommen39, welches auf der Grundlage des Protokolls über die Sozialpolitik abgeschlossen wurde, und welches als Bestandteil des Vertragswerks von Maastricht für ursprünglich 11, dann 14 Mitgliedstaaten galt, auch zusätzliche Kompetenzen (zunächst für die 14 Mitgliedstaaten) für den Sozialbereich begründet worden. Diese Kompetenzen gestatteten insbesondere durch eine – allerdings begrenzte – Ausweitung des Anwendungsbereichs des Mehrheitsprinzips eine intensivere arbeits- und sozialrechtliche EG-Rechtsetzung für die 14 Abkommensstaaten. Von den Möglichkeiten des Abkommens ist nur wenig Gebrauch gemacht worden.40 Dies bedeutet zugleich allerdings auch, dass die seit Inkrafttreten des AbEuropäisches Parlament, Kurzdarstellungen 4.8.1 Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Oetker, Hartmut / Preis, Ulrich, Europäische Rechtsvorschriften zum Arbeitsrecht, A 1102. 37 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung eines „Sozialen Europa“, S. 1; vgl. dazu auch Haverkate, Görg / Huster, Stefan, Europäisches Sozialrecht, Rdnr. 22 ff. 38 Vertrag über die Europäische Union. 39 Vertrag über die Europäische Union – Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über Sozialpolitik. 35 36
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kommens über die Sozialpolitik grundsätzlich gegebene Möglichkeit, EG-Sozialpolitik „à deux vitesses“ – einmal zum moderaten Tempo des EG-Vertrags (Art. 136 ff. EGV) und zum anderen mit der erhöhten Geschwindigkeit des Sozialabkommens – zu betreiben, zu keinem tiefen Graben zwischen den seinerzeit 14 Abkommensstaaten einerseits und dem Vereinigten Königreich andererseits geführt hat. Im Sozialabkommen hat der Übergang zum Mehrheitsprinzip lediglich in begrenztem Umfang stattgefunden: Während Arbeitsentgelt, Koalitionsrecht, Streik- sowie Aussperrungsrecht nämlich zur Gänze der ausschließlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben, beschließt der Rat nach wie vor mit Einstimmigkeit in den Bereichen Kündigungsschutz, kollektive Wahrnehmung und Vertretung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, Beschäftigungsbedingungen Drittstaatsangehöriger sowie auch soziale Sicherheit41 und sozialer Schutz der Arbeitnehmer und nur in den anderen arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten gilt das Prinzip der qualifizierten Mehrheit (Art. 251 EGV).
Damit wurde zugleich auch noch keine Möglichkeit für eine Vereinheitlichung des Arbeits- und Sozialrechtes der 14 bzw. später 15 und mittlerweile 27 Mitgliedstaaten oder gar ihrer Arbeits- und Sozialordnungen eröffnet, die das Etikett „Sozialunion“ verdient. Sozialpolitik ist nach wie vor in erster Linie Angelegenheit der Mitgliedstaaten.42 Dort, wo nach dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 Abs. 1 EGV der Europäischen Gemeinschaft Zuständigkeiten ausdrücklich eingeräumt worden sind, hat die Gemeinschaft durch Verordnungen und Richtlinien dem nationalen Recht vorgehendes europäisches Arbeits- und Sozialrecht geschaffen. In den übrigen Sozialpolitikbereichen haben die einschlägigen Aktivitäten der Gemeinschaftsorgane, namentlich der Europäischen Kommission, aber auch von Rat und Europäischem Parlament in rechtlicher Hinsicht durch Empfehlungen, Stellungnahmen, Mitteilungen etc. im Wesentlichen lediglich unverbindliches 40 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, Kapitel 5.1. 41 Vgl. zur sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten (Darstellung der rechtlichen Situation einschließlich der Kerndaten) den ausführlichen Bericht von Missoc, Soziale Sicherheit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, im Europäischen Wirtschaftsraum und in der Schweiz. 42 Schulte, Bernd, Europäisches Sozialrecht als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung, S. 45; vgl. dazu auch Giesen, Richard, Sozialversicherungsmonopol und EG-Vertrag: Eine Untersuchung am Beispiel der gesetzlichen Unfallversicherung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 101 ff.
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„soft-law“ produziert.43 Allerdings dürfen der damit verbundene Informationsund Erfahrungsaustausch auf vielfältigen Ebenen im Hinblick auf sozialpolitische Regelungen und ihre Auswirkungen, sowie für Beispiele von „best practice“ etc. und die damit einhergehenden politischen Einwirkungen auf die nationale Sozialpolitik, die nicht zuletzt auch in bestimmtem Umfang zu einer nachweisbaren „DeFacto-Konvergenz“ der Entwicklung der Sozialpolitiken der Mitgliedstaaten in wichtigen Punkten geführt haben, bereits für die Vergangenheit nicht unterschätzt werden. Im Weißbuch „Europäische Sozialpolitik“44 finden sich die Ergebnisse eines Konsultationsprozesses über die europäische Sozialpolitik, deren eindeutiger Schwerpunkt auf beschäftigungs- und berufsbildungspolitischen Vorschlägen liegt und einmal mehr die überragende Bedeutung der Wirtschaft betont. Diese Betrachtungsweise setzt sich bis heute fort. In der aktuellen sozialpolitischen Agenda, die die sozialen Ziele bis zum Jahr 2010 beschreibt, findet sich auf der ersten Seite der Satz: „Die Agenda spielt eine Schlüsselrolle bei der Förderung der sozialen Dimension des Wirtschaftswachstums.“45 In der Präambel des EU-Vertrages findet sich ferner ein durch den Vertrag von Amsterdam46 neu eingefügter Absatz 4, in dem ausdrücklich auf die Bedeutung hingewiesen wird, welche die Teilnehmer der Regierungskonferenz den sozialen Grundrechten beimessen, die „in der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Sozialcharta und in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 festgelegt sind.“ Wenn damit auch nicht ansatzweise die weitreichenden Vorschläge aufgegriffen worden sind, die der zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 1996 / 1997 eingesetzte „Ausschuss der Weisen“ in seinem Bericht „Für ein Europa der Bürgerrechte“47 im März 1996 unterbreitet hat, bringt doch die Präambel durch diese Ergänzung zum Ausdruck, dass die Europäische Union sich ausdrücklich auch zu sozialen Grundrechten bekennt. Darüber hinaus ist ein neuer Art. 13 in den EG-Vertrag eingeführt worden, demzufolge der Rat im Rahmen der Gemeinschaftszuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments geeignete Vorkehrungen treffen kann, um „Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse und der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder des Glaubens, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ zu bekämpfen. Dieser 43 Vgl. dazu auch Schmitz, Klaus, Der soziale Dialog als Element eines einheitlichen Sozialraums Europa – die Sicht der Gewerkschaften, S. 103 f. 44 Europäische Kommission, Weißbuch: Europäische Sozialpolitik, ein zukunftsweisender Weg für die Union, KOM (94) 333 endg. vom 27. 07. 1994. 45 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda KOM (2005) 33 endg. vom 9. 2. 2005; vgl. dazu auch Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission – Sozialpolitische Agenda“, ABl. EU C 294 / 14 vom 25. 11. 2005. 46 ABl. EG C 340 / 1 vom 10. 11. 1997. 47 Kommission der EG, Für ein Europa der Bürgerrechte und der sozialen Rechte, 1996.
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Katalog möglicher Maßnahmen, die allerdings Einstimmigkeit im Rat voraussetzen, ist geeignet, Ausgangspunkt für eine Antidiskriminierungspolitik der Gemeinschaft in den genannten Bereichen zu sein. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Politik der Gemeinschaft im Hinblick auf den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit für Männer und Frauen in Art. 141 EGV sowie in Zusammenhang mit den zahlreichen Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeits- und Sozialrecht48 nachdrücklich unter Beweis gestellt hat, dass – nicht zuletzt aufgrund der einschlägigen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – das Gemeinschaftsrecht in diesem Bereich in der Vergangenheit sehr viel effektiver gewesen ist als das einschlägige nationale Recht der Mitgliedstaaten. Ein Beispiel dafür ist die Rechtsprechung des EuGH zur Beweislast49, die 1997 Eingang in die Richtlinie 97 / 80 / EG fand und zur Beweislastumkehr führte. Das Glaubhaftmachen der Tatsache reicht danach aus, eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung vermuten zu lassen, die Nichtdiskriminierung muss dann vom Beklagten nachgewiesen werden.50 Allerdings stellt Art. 13 EGV lediglich eine Ermächtigung zum Handeln dar, er wirkt, anders als Art. 141 EGV, nach h. M. nicht unmittelbar.51 Zudem besitzt der Bereich der „Sozialpolitik“ ein zweifaches enormes „Beharrungsvermögen“: 48 So. z. B.: Richtlinie 76 / 207 / EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. EG L 39 / 40 vom 14. 2. 1976; Richtlinie 2004 / 113 / EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. EU L 373 / 37 vom 21. 12. 2004; Richtlinie 2002 / 73 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76 / 207 / EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABL. EG L 269 / 15 vom 5. 10. 2002; Richtlinie 79 / 7 / EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, ABl. EG L 6 / 24 vom 10. 1. 1979; Richtlinie 86 / 378 / EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, ABl. EG L 225 / 40 vom 12. 08. 1986; Richtlinie 75 / 117 / EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, ABL. EG L 45 / 19 vom 19. 2. 1975. 49 So z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 27. Oktober 1993, Rs. C-127 / 92, Dr. Pamela Mary Enderby / Frenchay Health Authority und Secretary of State for Health, Slg. 1993, S. I-5535. 50 Richtlinie 97 / 80 / EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABl. EG L 014 / 6 vom 20. 01. 1998; Butkus, Charlotte, Das europäische Antidiskriminierungsrecht, Rechtsgrundlagen: Das Antidiskriminierungsrecht der EU, 2004, Heft 3. 51 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 41; Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 13 EGV Rdnr. 17 m. w. N. zur Gegenansicht.
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zum einen ein „institutionelles Beharrungsvermögen“ dergestalt, dass Sozialstaaten eine ausgeprägte Pfadabhängigkeit52 besitzen und sich nur schwer politisch verändern lassen (Interessen am Sozialstaat, Sozialstaatsklientel, politische Reformkosten); zum anderen ein „nationalstaatliches Beharrungsvermögen“ dergestalt, dass Sozialstaaten tief verwurzelt sind in nationalen kulturellen, geschichtlichen, ökonomischen und politischen Kontexten.53
Nach Lamping54 ist Sozialpolitik zudem nach wie vor ein politisches Mittel zur Gesellschaftsstabilisierung, zur Parteibindung und zur Erhöhung politischer Popularität in der nationalen Wählerschaft. Deshalb hätten die nationalen Regierungen es bis heute erfolgreich vermocht, den Verantwortlichkeitsabfluss in sozialpolitischen Kernbereichen zu verhindern. Nehme man das institutionelle und das nationalstaatliche Beharrungsvermögen zusammen, komme man zu dem Schluß, dass es politisch schwerfallen dürfte, den Nationalstaat aus seiner tiefverwurzelten Pflicht zur kollektiven Sicherung „seiner Bürger“ zu entlassen und einen Transfer auf die europäische Ebene zu erreichen. Zudem seien sozialpolitische Verantwortungsverschiebungen in Richtung Europa mit großen Unwägbarkeiten verbunden – d. h. in letzter Konsequenz auch mit neuen Gewinner-Verlierer-Konstellationen. Auch kämen in den europäischen Sozialstaaten seit jeher unterschiedliche kulturelle Ideen von Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit, Solidarität, individueller Unabhängigkeit und kollektiver Verantwortlichkeit sowie der Rolle des Staates (ganz zu schweigen von den jeweiligen identitätsgenerierenden „heiligen sozialpolitischen Kühen“) zum Tragen.55 Das traditionelle Dreieck von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen und den ordnungspolitischen Funktionen staatlicher Institutionen erscheine in seiner europäischen Variante vielfach gebrochen. Keine der drei Seiten weise auf Gemeinschaftsebene eine geschlossene Position auf; unterschiedliche Zielsetzungen, Prioritäten und Strategien träfen aufeinander, und gewachsene Systeme der Arbeitsbeziehungen träten in eine Konkurrenz der Modelle ein.56 52 Unter „Pfadabhängigkeit„ versteht man in diesem Zusammenhang, dass bereits existierende Institutionen und Prozessabläufe sowohl formell als auch informell eine wichtige Rolle bei möglichen Umgestaltungen spielen, d. h., dass das historische institutionelle Erbe die Auswahl der Möglichkeiten und / oder Optionen bei der institutionellen Innovation begrenzt. Je ausgeprägter der „Pfad“, der in der Vergangenheit verfolgt wurde, bereits ist, umso schwieriger sind Änderungen zu erreichen. Vgl. zur Erläuterung des Begriffs der Pfadabhängigkeit Grusevaja, Marina, Formelle und informelle Institutionen im Transformationsprozess; Wetzel, Anne, Das Konzept der Pfadabhängigkeit und seine Anwendungsmöglichkeiten in der Transformationsforschung. 53 Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 92. 54 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 4 f. 55 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 5.
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In diesem Zusammenhang gibt es zwei Befürchtungen, die immer wieder angeführt werden: das „Sozialdumping“ und die Gefahr von „Abwärtsspiralen“ sowie den „Leistungsexport“ oder „Sozialtourismus“.57 Mit wegfallenden Binnengrenzen wurde die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Leistungsinanspruchnahme, insbesondere im Gesundheitsbereich, aber auch im Sozialversicherungsrecht und sonstigen sozialen Leistungen, zu einem Problem, das in einigen Fällen vom EuGH entschieden werden musste. Dieses – auch unter dem Schlagwort „Sozialtourismus“ bekannte – Problem umschreibt die Nutzung der Freizügigkeit, um sich im Ausland gesundheits- oder andere soziale Leistungen zu verschaffen, die dann von dem Leistungsträger des Herkunftslandes finanziert werden müssen.58 Am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang die Urteile Kohll und Decker59, Molenaar60, Leichtle61, Müller-Fauré / Riet62, Geraerts / Smits, Peerbooms63 und Hosse64. Im Molenaar-Urteil wurde das in § 34 Abs. 1 56 Weger, Hans-Dieter / Weidenfeld, Werner, Vorwort in: Däubler, Wolfgang, Sozialstaat EG? Die andere Dimension des Binnenmarktes, S. 5. 57 Vgl. dazu Zuleeg, Manfred, Die Europäische Gemeinschaft auf dem Weg zur Sozialgemeinschaft, NDV Heft 1 / 1991, S. 20; vgl. dazu auch Chapon, Séverine / Euzéby, Chantal, Towards a convergence of European social models?, S. 42 ff.; vgl. dazu Lindbeck, Assar, Improving the performance of the European Social Model – The Welfare State over the Life Cycle, S. 25 f. 58 Vgl. zum Sozialtourismus Richter, Gregor, Das Konzept der ,Économie Sociale‘ der Europäischen Kommission. Überlegungen zur Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege im europäischen Integrationsprozeß, S. 6; vgl. zur Krankenversicherung Neumann-Duesberg, Rüdiger, Krankenversicherung, S. 83 ff.; vgl. dazu ferner Sendler, Hans, Themenbereich Krankenversicherung, einführender Diskussionsbeitrag, S. 169 ff.; Bieback, Karl-Jürgen, Einführender Diskussionsbeitrag, S. 177 ff. 59 Urteil des Gerichtshofs vom 28. April 1998, Rs. C 120 / 95, Decker / Caisse de maladie des employés privés, Slg. 1998, S. I-1831; Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 1998, Rs. C 158 / 96, Kohll / Union des Caisses de maladie, Slg. 1998, S. I-1931; vgl. dazu auch Zuleeg, Manfred, Europarechtliche Probleme der gesetzlichen Pflegeversicherung – Leistungsexporte, Einordnung in das europarechtliche Leistungssystem, Koordinationsprobleme, S. 103 ff. 60 Urteil des Gerichtshofs vom 5. März 1998, Rs. C-160 / 96, Manfred Molenaar, Barbara Fath-Molenaar / Allgemeine Ortskrankenkasse Baden-Württemberg, Slg. 1998, S. I-843; vgl. dazu auch Sendler, Hans, Themenbereich Krankenversicherung, einführender Diskussionsbeitrag, S. 169 ff.; vgl. dazu ferner Bieback, Karl-Jürgen, Einführender Diskussionsbeitrag, S. 177 ff. 61 Urteil des Gerichtshofs vom 18. 03. 2004, Rs. C-8 / 02, Ludwig Leichtle / Bundesanstalt für Arbeit, Slg. 2004, S. I-2641. 62 Urteil des Gerichtshofes vom 13. Mai 2003, Rs. C-385 / 99, (Vorabentscheidungsersuchen des Centrale Raad van Berooep): V.G. Müller-Fauré / Onderlinge Waarborgmaatschappij OZ Zorgverzekeringen und E.E. van Riet / Onderlinge Waarborgmaatschappij ZAO Zorgverzekeringen, Slg. 2003, S. I-4509. 63 Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juli 2001, Rs. C 157 / 99, B.S.M. Geraerts-Smits / Stichting Ziekenfonds VGZ und H.T.M. Peerbooms / Stichting CZ, Slg. I 2001, S. 5473, vgl. dazu auch Kötter, Ute, Die Bedeutung der Entscheidung Geraerts-Smits / Peerbooms für das Gesundheitswesen der Niederlande.
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Nr. 1 SGB XI geregelte Verbot der Pflegegeldzahlung an Versicherte, die sich im Ausland aufhalten, als unvereinbar mit dem europäischen Sekundärrecht – VO (EWG) Nr. 1408 / 7165 – erachtet. In den Fällen Kohll und Decker leitete der EuGH unmittelbar aus dem EG-Vertrag für beide bei dem zuständigen nationalen luxemburgischen Krankenversicherungsträger Versicherten das Recht ab, sich auch ohne Genehmigung dieses Trägers eine Brille in Belgien bzw. eine zahnmedizinische Behandlung in Deutschland verschaffen zu können66. In der Rechtssache Müller-Fauré / Riet ging es um die Frage, ob eine vorherige Genehmigung für eine Behandlung im Ausland eingeholt werden muss. Der Europäische Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs einer Regelung wie der niederländischen entgegen stehe, wonach der Versicherte auch im Rahmen eines Sachleistungssystems bei einer Versorgung außerhalb eines Krankenhauses, die in einem anderen Mitgliedstaat durch einen nicht vertraglich gebundenen Leistungserbringer erfolge, eine vorherige Genehmigung einholen müsse. Im Fall Geraerts / Smits, Peerbooms wurde geklärt, dass die Übernahme der Kosten für die Versorgung in einer Krankenanstalt in einem anderen Mitgliedstaat von der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse abhängig gemacht werden kann. Diese Genehmigung unterliege aber einer doppelten Voraussetzung, dass zum einen die Behandlung als „in ärztlichen Kreisen üblich“ betrachtet werden kann, wobei dieses Kriterium auch dann angewandt werde, wenn es um die Frage gehe, ob die im Inland gewährte Krankenhauspflege gedeckt sei, und dass zum anderen die medizinische Behandlung des Versicherten es erfordere. Dies gelte allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Begriff der „Üblichkeit“ der Behandlung so ausgelegt werde, dass die Genehmigung ihretwegen nicht versagt werden könne, wenn es sich erweise, dass die betreffende Behandlung in der internationalen Medizin hinreichend erprobt und anerkannt sei und dass die Genehmigung nur dann wegen fehlender medizinischer Notwendigkeit versagt werden könne, wenn die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer Einrichtung erlangt werden könne, die eine vertragliche Vereinbarung mit der Krankenkasse geschlossen habe, der der Versicherte angehöre. In der Rechts64 Urteil des Gerichtshofs vom 21. Februar, Rs. C-286 / 03, Silvia Hosse / Land Salzburg 2006, Slg. 2006, S. I-1771. 65 Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl. EG L 149 / 2 vom 05. 07. 1971; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern und der Verordnung (EWG) Nr. 574 / 72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71, KOM (2005) 676 endg. vom 21. 12. 2005; Verordnung (EG) Nr. 883 / 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU L 166 / 1 vom 30. 04. 2004. 66 Vgl. dazu Jung, Eberhard, Versicherungspflicht und Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Unfallversicherung als europarechtliche Probleme, S. 67.
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sache Hosse schließlich wurde der Fall der Zahlung eines Pflegegeldes entschieden, das dem Familienangehörigen eines im Bundesland Salzburg beschäftigten Arbeitnehmers, der mit seiner Familie in Deutschland wohnt, zu gewähren war. Die Mitgliedstaaten möchten soziale Leistungen möglichst nur den eigenen Bürgern zugute kommen lassen, da diese sie in der Regel auch über Steuern, Beiträge, andere Abgaben etc. finanziert haben. Ebensowenig möchten sie, dass Gesundheitsleistungen im Ausland „konsumiert“ werden. Dieses unter dem Stichwort „Entterritorialisierung“ der Sozialleistungen bekannte Problem wird seitens der europäischen Institutionen in der Vielzahl der Fälle unter dem Gesichtspunkt des „Diskriminierungsverbotes“ und der „Freizügigkeit“ interpretiert, was dazu führte, dass sich ein sogenanntes „freizügigkeitsspezifischen Sozialrecht“ entwickelt hat.67 Die Beschränkung sozialer Leistungen auf das eigene Staatsgebiet hat zum Ziel, in diesen Grenzen den sozialen Frieden und die Sozialstaatlichkeit zu sichern. Damit verwirklicht sich im sozialversicherungsrechtlichen Territorialitätsprinzip der Grundsatz der sozialpolitischen Souveränität des Nationalstaates. Es findet sich ein Zusammenspiel aus dem zielorientierten Zusammenklang sozialer Gerechtigkeit, gleichheitsgebotener Umverteilung und individueller Eigenverantwortung, das auf den verfassungsgewährleisteten Solidar- und Sozialstaat bezogen ist.68 In diesem Zusammenhang spielt die Unionsbürgerschaft i.V.m. Art. 12 EGV eine entscheidende Rolle. Der EuGH hatte immer wieder in unterschiedlichsten Bereichen der Gewährung von Sozialleistungen die Frage zu klären, ob und unter welchen Bedingungen die Leistungsgewährung auf Angehörige des Nationalstaates beschränkt werden kann bzw. wann sich die Antragsteller auf die unionsbürgerschaftlichen Rechte berufen können.69 Die Diskussion um eine immer schrankenlosere Gewährung von Sozialleistungen hat sich noch durch die Einführung des Euro verschärft. Nicht nur können die jeweiligen Leistungen besser miteinander verglichen werden, es wird sogar die 67 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 98; vgl. dazu auch Richter, Gregor, Das Konzept der Economie Social der Europäischen Kommission, S. 6; vgl. dazu Tegtmeier, Werner, Wechselwirkungen zwischen dem Europäischen Sozialrecht und dem Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland – Erfahrungen und Vorstellungen aus deutscher Sicht, S. 29 ff.; vgl. dazu auch Schulte, Bernd, Europäisches Wirtschaftsrecht und die Grundfreiheiten in der EU als Rahmenbedingungen für die nationale Sozialgesetzgebung – Erfahrungen in der Vergangenheit, Perspektiven für die Zukunft, S. 29. 68 Pitschas, Rainer, Das Territorialitätsprinzip im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen sozialpolitischer Souveränität und Gemeinschaftsrecht, S. 84 f.; vgl. dazu auch Krahmer, Utz, Sozialgesetzbuch, § 1 Rdnr. 4 ff. 69 Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 20. September 2001, Rs. C-184 / 99, Rudy, Grzelczyk / Centre public d’aide sociale d’Ottignies-Louvain-la-Neuve, Slg. 2001, S. I-6193; Urteil des Gerichtshofs vom 23. März 2004, Rs. C-138 / 02, Brian Francis Collins / Secretary of State for Work and Pensions, Slg. 2004 / I-2703; Urteil des Gerichtshofs vom 5. Februar 2002, Rs. C-255 / 99, Anna Humer, Slg. 2002, S. I-1205; Urteil vom 15. März 2005, Rs. C-209 / 03, The Queen auf Antrag von Dany Bidar / 1. London Borough of Ealing und 2. Secretary of State for Education, Slg. 2005, S. I-2119.
1. Entwicklung der europäischen Sozialpolitik
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Ansicht vertreten, dass der Euro indirekt Einfluss auf die bestehenden Strukturen der Sozialversicherung nehmen werde. Er werde die Erosion politischer Lösungskompetenz bei den Nationalstaaten beschleunigen (wer einen starken Sozialstaat will, muss ihn auf europäischer Ebene neu begründen) und die sozialrechtliche Territorialität weitgehend obsolet werden lassen, er werde neue Märkte für verbraucherfreundliche Güter und Dienstleistungen schaffen, sozialrechtlich „Bewährtes“ müsse seinen „EU-Mehrwert“ unter Euro-Bedingungen erneut beweisen, die Sozialschutzsysteme würden in direkten Wettbewerb zueinander treten.70 Das zweite immer wiederkehrende Thema im Zusammenhang mit sozialen Regelungen war die Frage eines möglichen ruinösen Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt auf Kosten der sozialen Errungenschaften. Die mit dem Begriff des „Sozialdumping“ oder der „Abwärtsspirale“ bezeichnete Angst vor einer Ausnutzung des Lohngefälles zwischen den Mitgliedstaaten und der gleichzeitigen Eroberung von größeren Marktanteilen, verbunden mit den Befürchtungen, dass Betriebsteile oder ganze Betriebe ins Ausland verlagert werden könnten, kumulierte in der Sorge, dass es in der letzten Konsequenz zu einem generellen „Nivellierungsdruck nach unten“ kommen könnte.71 Um dies zu vermeiden, legte die Europäische Gemeinschaft wiederholt soziale Mindeststandards in Form von Richtlinien fest72, die von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden mussten. Das wiederum führte regelmäßig zu Besorgnissen des beschriebenen „Sozialdumpings“, da die Standards sich oft auf einem niedrigen Level bewegten, um in allen Mitgliedstaaten Akzeptanz zu finden.73 Letztlich verfehlten diese Richtlinien damit ihren Zweck. Die erreichten Ergebnisse waren stets der Ausfluss langer politischer Diskussionen, in die alle Mitgliedstaaten, aber auch seit einiger Zeit die im Sozialbereich 70 Terwey, Franz, Der Euro und die deutsche Sozialversicherung – Modernisierung des Sozialschutzes in Europa, europablätter 1998, S. 159 ff. 71 Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 177; vgl. dazu Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 55. 72 So z. B.: Richtlinie 2003 / 88 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU L 299 / 9 vom 18. 11. 2003. 73 Vgl. dazu Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, 15. Juli 2001, S. 55; vgl. dazu ferner Wickham, James, The End of the European Social Model: Before it began?, S. 9; Schmitz, Klaus, Der soziale Dialog als Element eines einheitlichen Sozialraums Europa, S. 103; vgl. Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 11 Rdnr. 45 f.; Falkner, Gerda, Zwischen Gestaltungslücke und integrativen Kooperationseffekten: Wohlfahrtsstaat und Integration aus Sicht des historischen Institutionalismus, S. 16; Asbeek Brusse, Wendy / Hemerijk, Anton, Deepening Social Europe in an Enlarged Union, S. 118; Däubler, Wolfgang, Sozialstaat EG?, S. 46 f.; Hemerijk, Anton / Berghman, Jos, The European social patrimony – deepening social Europe through legitimate diversity, S. 31; Fels, Gerhard, Die Sozialcharta ökonomisch gesehen, S. 163.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
tätigen Interessenvertretungen einbezogen waren und in deren Verlauf alle Beteiligten Kompromisse machen mussten. Letztendlich haben die bisher verabschiedeten Regelungen jedoch den Bürgern substantielle Verbesserungen ihrer Lebensund Arbeitsbedingungen gebracht. Zudem bestand stets die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten ein höheres Schutzniveau gesetzlich vorschreiben oder beibehalten konnten, wenn sie dies wünschten. Eine völlige Harmonisierung der Sozialstandards ist langfristig nicht geplant, jeder Mitgliedstaat soll weiterhin eigenständig auf seine ureigenen sozialen Probleme individuell reagieren können. Die EU versteht sich aber als sozial-politischer Vermittler, der Thesen und Ziele formuliert, Diskussionen anregt und versucht, Konsens herzustellen. Dabei handelt die Europäische Gemeinschaft nach drei Integrationsansätzen: Einzelstaatliche Sozialgesetze (rechtliche Dimension) werden zunehmend einander angenähert, nationale Sozialschutzsysteme (wirtschaftliche Dimension) besser aufeinander abgestimmt oder Politikziele im Sozialschutzsektor definiert.74 Die Entwicklung der europäischen Sozialpolitik von den 50er Jahren bis 2003 kann in Anlehnung an Hemerijk / Berghman in einer Übersicht zusammengefasst werden (siehe Schaubild 1).75 Trotz der Fortschritte, die man auf rechtlichem Gebiet feststellen kann, lässt sich nicht bestreiten, dass selbst heute noch die Sozialpolitik letztlich im Schatten der Wirtschaftspolitik steht.76 So erklärte Günter Verheugen, Mitglied der Europäischen Kommission, im November 2004 anlässlich einer Rede vor dem BDI: „Die Priorität der Prioritäten liegt auf der Wirtschaft. In den nächsten Jahren kann die Hauptaufgabe europäischer Politik nur lauten, für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung innerhalb der Europäischen Union zu sorgen.“77 Damit wird implizit auch deutlich, dass noch immer soziale Initiativen vornehmlich auf Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung bzw. auf die Angleichung der Arbeitnehmerrechte 74 Broschüre, Für ein soziales Europa (Europa in Bewegung); vgl. dazu auch Europäische Kommission, Entwurf zum Bericht über die soziale Eingliederung: Teil I – Die Europäische Union, KOM (2001) 565 endg., vom 10. 10. 2001; vgl. dazu ferner Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entwurf des gemeinsamen Berichts über Sozialschutz und soziale Eingliederung, KOM (2005) 14 endg. vom 27. 01. 2005. 75 Hemerijk, Anton / Berghman, Jos, The European social patrimony – deepening social Europe through legitimate diversity, S. 26. 76 Vgl. dazu Bourdieu, Pierre, Für einen neuen Internationalismus, S. 193 ff.; so auch Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 25; Zuleeg, Manfred, Die Europäische Gemeinschaft auf dem Weg zur Sozialgemeinschaft, in: NDV Heft 1 / 1991, S. 20; Chapon, Séverine / Euzéby, Chantal, Towards a convergence of European social models?, S. 37. 77 Verheugen, Günter, Mehr Wachstum, mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Innovation, S. 1; vgl. dazu auch Fellner, Gertrud, Konkurrenz und Solidarität: Neue Konturen des europäischen Sozialmodells, S. 5.
1. Entwicklung der europäischen Sozialpolitik
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Schaubild 1 Entwicklung der europäischen Sozialpolitik Periode 19501973
19741983
19841994
Nationale Europäische Europäisierung Ebene Ebene der Sozialpolitik Wirtschaftliche Europarat Freizügigkeit ModernisieEWG der Arbeitnehrung, Ausbau mer der WohlfahrtsGleiches Entstaaten, progelt für Männer aktiver Keyniaund Frauen nismus, modeGemeinschaftlirate Sozialpartche soziale Siner cherung für Wanderarbeitnehmer Europäischer Sozialfonds Europ. Sozialcharta
Methode
Erweiterungsfolgen Harmonisierung Die sechs getrieben durch Gründerstaaten kontinentale die innereuropäische Mobili- Wohlfahrtsstaaten und südeurotät der Arbeitnehmer und po- päisches Modell (Italien) litische Ambitionen einer marktgesteuerten sozialpolitischen Konvergenz Hohe Ambitionen für universelle soziale Rechte Stagflation Schutz der Dänemark, VerHarmonisieRechte der Ar- rungsbestrebun- einigtes KönigPolarisierung soziale Konbeitnehmer gen enden letzt- reich und Irland flikte Chancengleiendlich in „Eu- (1973) und Griecheit für Männationales Krirosklerose“ chenland senmanagement ner und Frauen (1981): Schutz und SiDas skandinavicherheit am Arsche, angelsächbeitsplatz sische und südliche Modell treten in den europäischen Raum ein Einheitliche Gesundheit und Minimumstan- Spanien und Neoliberalismus Europäische Sicherheit am dards, beschlos- Portugal (1986), Deregulierung Akte Arbeitsplatz sen mit qualifi- die die Präsenz wirtschaftliche Sozialproto- Sozialprotokoll zierter Mehrheit des südeuropäiInternationaliEntscheidung koll Britisches „Opt- schen Modells sierung verstärken Vertrag von des EuGH zum out“ MarktintegraMaastricht Getrieben durch Schutz der nation tionalen Solida- die Vertiefung ritätssysteme der Marktintegration und die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen Deregulierung der Märkte Budgetäre und Verschuldungszwänge durch die WWU
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Fortsetzung von Schaubild 1 Periode 19952003
Nationale Europäische Europäisierung Ebene Ebene der Sozialpolitik Sozialdemokra- Amsterdam Europäische tie Nizza BeschäftigungsSozialpakte strategie UnterschiedliSozialer Dialog che politische Grundrechte Antworten der Einführung der verschiedenen Offenen Meinstitutionellen thode der KoorSchauplätze dinierung im Rahmen des Lissabon-Prozesses zur Ergänzung der „governance“
Methode
Erweiterungsfolgen Sozialer Dialog Schweden, (grundlegende Finnland und Richtlinien in Österreich den Bereichen (1995): der BeschäftiVerstärkung der gung, der sozia- Anwesenheit len Inklusion der „high-stanund der Pensio- dard“ skandinanen) vischen und Offene Methode kontinentalen d. KoordinieWohlfahrtssysrung teme Getrieben durch strukturelle Arbeitslosigkeit, eine alternde Bevölkerung und die Zwänge der WWU (Stabilitäts- und Wachstumspakt) im Zusammenspiel mit starker Wohlfahrtsheterogenität
oder der Arbeitsbedingungen gerichtet sind. Adressaten der europäischen Sozialpolitik sind regelmäßig die Erwerbstätigen und „Erwerbsfähigen“, also Personen, die dem Arbeitsmarkt in der einen oder anderen Weise, als Arbeitnehmer oder Arbeitsuchender, zur Verfügung stehen.78 Erst mit der Erkenntnis, dass ein Umdenken aufgrund des demographischen Wandels erforderlich ist, änderte sich die Sichtweise. Eines der ersten Dokumente, das sich mit der alternden Gesellschaft beschäftigte, war eine Mitteilung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 1999 mit dem Titel „Ein Europa für alle Altersgruppen“.79 Es folgte 2002 eine weitere Mitteilung, die sich mit der Alterung der Weltbevölkerung befasste.80 Ferner wurde kürzlich ein Grünbuch zum demogra78 Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 213; vgl. dazu auch Franzmeyer, Fritz, Die Auswirkungen des Binnenmarktes auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung, S. 29 f. 79 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Ein Europa für alle Altersgruppen – Wohlstand und Solidarität zwischen den Generationen, KOM (1999) 221 endg. vom 21. 05. 1999. 80 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Reaktion Europas auf die Alterung der Weltbevölkerung – wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt in einer alternden Welt, Bei-
1. Entwicklung der europäischen Sozialpolitik
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fischen Wandel und der Solidarität zwischen den Generationen81 veröffentlicht, in dem nunmehr – im Gegensatz zu früheren Dokumenten – gefordert wird, dass ältere Menschen nicht frühzeitig in den Ruhestand entlassen werden, sondern die Lebensarbeitszeit deutlich verlängert wird, um die Rentenproblematik in den Griff zu bekommen.82 Gleichzeitig bestehen daneben die unterschiedlichen Sozialmodelle der Mitgliedstaaten viel länger als die Idee eines „Europäischen Sozialmodells“ und haben sich historisch von Land zu Land individuell entwickelt. „Europa“ hat weder den Anspruch noch die Aufgabe, die Sozialpolitik aller Mitgliedstaaten zu reformieren und letztlich „auf einen Nenner“ zu bringen, es soll lediglich dazu beitragen, dass die Lebensverhältnisse sich angemessen entwickeln. Im Zuge der wirtschaftlichen Aktivitäten und der Schaffung des Binnenmarktes wurde aber immer deutlicher, dass der soziale Aspekt eine wichtige und nicht zu negierende Rolle spielt. Arbeitslosigkeit hat nicht nur wirtschaftliche Auswirkungen auf eine Gesellschaft, sondern auch soziale Effekte, die wiederum Rückwirkungen auf die Wirtschaft zeigen können. Diesen zum Teil sehr komplexen Strukturen hat die Europäische Gemeinschaft aber ein nur scheinbar lückenhaftes Handlungsinstrumentarium entgegenzusetzen. Begründet ist dies in verschiedenen Faktoren: Das „soziale Europa“ war nicht der Ausgangspunkt der europäischen Idee, sondern entwickelte sich erst in den 70er Jahren. Damit mussten oft soziale Entscheidungen den wirtschaftlichen folgen und „nachbessern“, statt zukunftsweisend zu wirken. Soziale Regelungen kamen oftmals nur als „Annex“ zu wirtschaftlichen Problemen zustande.83 Die rechtlichen Grundlagen für eine echte Handlungskompetenz fehlten, die Gemeinschaft konnte lediglich „harmonisierend“ statt regelnd tätig werden.84 trag der Europäischen Kommission zur 2. Weltkonferenz über das Altern, KOM (2002) 143 endg. vom 18. 03. 2002. 81 Mitteilung der Kommission, Grünbuch: Angesichts des demografischen Wandels – eine neue Solidarität zwischen den Generationen, KOM (2005) 94 endg. vom 16. 03. 2005. 82 So z. B. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entwurf des gemeinsamen Berichts über Sozialschutz und soziale Eingliederung, KOM (2005) 14 endg. vom 27. 01. 2005, S. 10; vgl. dazu auch Bittner, Claudia, Rentenversicherungsrechtlicher Generationenvertrag als Gesellschaftsvertrag (Sozialkontrakt?), S. 575 ff. 83 Vgl. zur Interdependenz zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik z. B. Sozial Agenda Nr. 5, Wer bezahlt für mangelhafte Sozialpolitik?, Europäische Gemeinschaften, Brüssel, April 2003, S. 5 f.; vgl. dazu auch Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik nach Nizza, S. 3; Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 75. 84 Vgl. dazu Servais, Jean-Michel, Quelques réflexions sur un modèle social européen, S. 703.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Die sozialen Systeme der Mitgliedstaaten waren (und sind) so unterschiedlich, dass es großer Anstrengungen bedurfte, auf der Grundlage eines Minimalstandards an festgestellten Gemeinsamkeiten zu Regelungen, meist auf unterstem Level, zu kommen. Die Mitgliedstaaten selbst wollten keine zu weitreichenden europäischen Kompetenzen zulassen, da jeder Eingriff in die gewachsenen Wirtschafts- und Sozialsysteme zu enormen finanziellen Belastungen führen kann. Die Angst vor einem möglichen Sozialdumping war allgegenwärtig und wurde insbesondere von Interessenvertretern bei jedem Kommissionsvorschlag heraufbeschworen.85
Die Kumulation dieser Faktoren führte letztlich dazu, dass man heute einen „Flickenteppich“ sich gegenseitig beeinflussender sozialer Regelungen feststellt. Dieses „Sozialpuzzle“ ist nicht von einer stringenten europäischen Sozialpolitik geprägt, sondern den politischen Zufällen von Abstimmungsergebnissen unterworfen.86 Angesichts der zehn neuen Mitgliedstaaten und des bevorstehenden Beitritts weiterer Länder und der laufenden Verhandlungen mit Beitrittskandidaten 87 werden hohe Anforderungen an die Gemeinschaft gestellt. Ein von der Generaldirektion „Beschäftigung und soziale Angelegenheiten“ initiiertes Gutachten hat die Kosten einer Politik ohne ausreichende Berücksichtung des „Sozialen“ untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass Sozialschutz nicht als wirtschaftliche Bremse, sondern als produktiver Faktor gesehen werden sollte.88 So belief sich der Anteil der finanziellen Aufwendungen für den Sozialschutz innerhalb der Europäischen Union Ende der 90er Jahre auf durchschnittlich 28,5 % des Bruttoinlandsprodukts bei einer Spannweite von rund 16 % (Griechenland) bis zu rund 35 % (Finnland). Dabei bestand und besteht, wie aus dem folgenden Schaubild deutlich wird, innerhalb der „alten“ EU-Staaten eine deutliche Korrelation zwischen der Höhe des Bruttoinlandsprodukts einerseits und der Höhe der Sozialabgaben andererseits, wie auch zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Ausmaß und Grad der Sozialstaatlichkeit – Indiz dafür, dass der Sozialstaat nicht „belastende“, sondern durchaus „produktive“ Aspekte beinhaltet.89
85 Schmitz, Klaus, Der soziale Dialog als Element eines einheitlichen Sozialraums Europa, S. 103 ff. 86 Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 93; vgl. dazu auch, insbesondere hinsichtlich der sozialen Dienste Alfredson, Lisa, Social Services in Europe: Policy Issues and Current Debates, S. 306. 87 Zur Zeit Rumänien, Bulgarien (Beitritt 1. 1. 2007), Türkei und Kroatien (beitrittswillige Länder). 88 Fouarge, Didier, Costs of non-social policy: towards an economic framework of quality social policies – and the costs of not having them, S. 3. 89 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 77.
1. Entwicklung der europäischen Sozialpolitik
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Wenn Sozialpolitik nicht als die Wirtschaft hemmend – weil oft mit finanziellen Belastungen verbunden – betrachtet wird, sondern als eine Investition, die sich letztlich durch „well-being“ der Menschen auszahlt, kann sie durchaus auch „produktive Faktoren“ beinhalten, die dann ihrerseits wiederum positive Rückwirkungen auf die Wirtschaft haben. Damit kommt es zwangsläufig zu der Frage, wie viel soziales Europa gewollt und machbar ist. Bei der Beantwortung und Umsetzung dieser Frage kann das „Europäische Sozialmodell“ hilfreich sein. Dazu bedürfte es aber einer Definition seiner wesentlichen Komponenten und seiner rechtlichen Fixierung. Dies ist insbesondere unter dem Aspekt zu sehen, dass die Sozialpolitik grundsätzlich in besonderer Weise geeignet ist, die Distanz zwischen Unionsbürgern und Europäischer Union zu verringern und zugleich zur Stärkung der Akzeptanz der Gemeinschaft insgesamt beizutragen, da ihre Inhalte die Bürger unmittelbar betreffen. Dies wird reflektiert durch die Gemeinschaftskompetenz im Bereich der Sozialpolitik i. e. Sinne, die sich wie folgt darstellt: Eingedenk der sozialen Grundrechte, wie sie sich namentlich aus der Europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer90 von 1989 ergeben, verfolgen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten gemeinsam nach Maßgabe des Art. 136 Abs. 1 EGV folgende sozialpolitischen Ziele: die Förderung der Beschäftigung die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen einen angemessenen sozialen Schutz den sozialen Dialog die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaftes hohes Beschäftigungsniveau sowie die Bekämpfung von Ausgrenzungen
Gem. Art. 136 S. 2 EGV „führen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten Maßnahmen durch, die der Vielfalt der einzelstaatlichen Gepflogenheiten, insbesondere in den vertraglichen Beziehungen, sowie der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Gemeinschaft zu erhalten, Rechnung tragen.“ Im einzelnen bedeutet das gem. Art. 137 Abs. 1 EGV beispielhaft: im Hinblick auf die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt: Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, Arbeitsbedingungen, Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, 90
Vgl. dazu im Einzelnen noch V. 4.
54
III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
berufliche Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen, sowie Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt.
Es ist interessant festzustellen, dass im Rahmen der „Szenarien Europa 2010“91 – einem Projekt zur Reflektion über mögliche Entwicklungen Europas in Form unterschiedlicher Szenarien – die Sozialpolitik eine eher untergeordnete Rolle spielt und das Sozialmodell lediglich nebenbei in einem der Szenarien als „wenig realistisch“ erwähnt wird. Damit kann zunächst festgestellt werden, dass die Gemeinschaftskompetenzen im Bereich der Sozialpolitik auf den ersten Blick anscheinend begrenzt sind. Zweitens wird deutlich, dass diese Limitierung von den Mitgliedstaaten durchaus gewollt ist, da sie die Handlungsmacht in diesem Bereich nicht aus der Hand geben möchten. Angesichts dieser Ausgangslage ist im nächsten Schritt zu prüfen, welche Rolle das „Europäische Sozialmodell“ vor diesem Hintergrund spielt.
2. Sozialmodelle auf nationalstaatlicher Ebene und ihr Einfluss auf das „Europäische Sozialmodell“ 3. THESE: Das „Europäische Sozialmodell“ steht in engem Zusammenhang mit den nationalen Sozialmodellen, die ihrerseits in unterschiedlichen Ausprägungen existieren.
Im Zusammenhang mit dem „Europäischen Sozialmodell“ wird vielfach auf die national bestehenden Modelle Bezug genommen. Teilweise wird auch versucht, im Wege der Verschmelzung der nationalen Modelle ein „Europäisches Sozialmodell“ zu schaffen. Deshalb soll, bevor auf den Begriff eines „Europäischen Sozialmodells“ eingegangen wird, zunächst untersucht werden, was unter den verschiedenen Kategorien nationaler Sozialmodelle, die sich weitgehend unterschiedlich voneinander entwickelt haben, zu verstehen ist und in welcher Beziehung sie zum „Europäischen Sozialmodell“ stehen.92 Der „Wohlfahrts- oder Sozialstaat“ ist das Ergebnis einer politisch-ökonomisch geprägten Entwicklung und ursprünglich als Staat des sozialen Ausgleichs, der Hilfe für die Schwächeren und der gerechten Sorge für ihr menschenwürdiges Dasein zu begreifen.93 Die nationalen Modelle beruhen zwar auf vergleichbaren
91 Europäische Kommission, Gruppe für prospektive Analysen, Szenarien Europa 2010, Juli 1999, S. 14. 92 Vgl. dazu Black, Boyd, What is European in the European Social Model?, S. 2.
2. Sozialmodelle auf nationalstaatlicher Ebene
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Grundvorstellungen und Zielen und sind durchgehend geprägt von wohlfahrtstaatlichen Elementen. Bei der Ausgestaltung der Systeme gibt es aber deutliche Abweichungen unterschiedlicher Intensität und Genese bei der Finanzierung, der Verwaltung, der Qualität der Leistungen und dem Kreis der Empfänger, die regelmäßig historisch bedingt sind und sich verfestigt haben.94 Die Grundelemente des Sozialstaats sind:95 ein staatliches System, das auf einer demokratischen Grundlage aufbaut; ein Wirtschaftssystem, das überwiegend auf Privateigentum beruht und marktwirtschaftlich orientiert ist, wobei der Staat korrigierend eingreift; Staatsziele, die auf die Wohlfahrt der Bürger gerichtet sind; ein breites Feld gesellschaftspolitischer Aktivitäten, die den Abbau von Diskriminierungen und Chancenungleichheiten, die Schaffung von Entfaltungsmöglichkeiten und – allgemein – die Integration der Mitglieder der Gesellschaft in die Gesellschaft und deren einzelne Funktionsbereiche („Inklusion“) anstreben; ein ausgebautes System der sozialen Sicherung, welches darauf abzielt, das Auftreten sozialer Risiken (präventiv) zu verhüten und bei Eintreten derartiger Risiken kompensierend tätig zu werden; ein Rechtssystem, das die Teilhabe der Bürger an den sozialen Maßnahmen und Leistungen auf der Grundlage des Rechts in Gestalt individueller Rechtsansprüche verbrieft. Der unterschiedlichen Bedeutung und Rolle des Rechts für die Ausgestaltung der Sozialleistungssysteme kommt naturgemäß besonderes Gewicht zu für die spezifische nationale Prägung der jeweiligen Sozialrechtsordnung der Mitgliedstaaten.
Diese Prinzipien lassen sich mit Hilfe des von Döbler dargestellten „Kreismodell des Wohlfahrtsstaates“96 verdeutlichen: Den inneren Kreis stellt der „Fürsorgestaat II. Klasse“ dar, der die sozialen Dienste mit Zwangsverpflichteten und Migranten umfasst. Auf der nächsten Stufe 93 Schulte, Bernd, Von Paris nach Nizza: 50 Jahre Europäische Sozialpolitik – Vom nationalen Sozialstaat zum Sozialstaat Europa?, S. 3; vgl. dazu auch Kötter, Ute, Das niederländische Wohlfahrtsstaatsmodell – kein Vorbild mehr?, S. 12 ff. 94 Fels, Gerhard, Die Sozialcharta ökonomisch gesehen, S. 167; vgl. dazu Stevens, Yves, The meaning of „national social and labour legislation“ in directive 2003 / 41 / EC on the activities and supervision of institutions for occupational retirement provision, S. 5 ff.; so auch Schulte, Bernd, Von Paris nach Nizza: 50 Jahre Europäische Sozialpolitik – Vom nationalen Sozialstaat zum Sozialstaat Europa?, S. 4; Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 77, Clever, Peter, Soziale Sicherheit in der Europäischen Union – Gemeinschaftsrecht, Vorgaben und Ausblick, S. 283 ff. 95 Schulte, Bernd, Europäisches Sozialrecht als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung, S. 52. 96 Döbler, Joachim, Grundzüge europäischer Sozialpolitik, S. 29.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
findet sich der „Fürsorgestaat“ mit den Elementen der Sozialhilfe und der sozialen Dienste. Auf der dritten Stufe kommt man zum „Sozialversicherungsstaat“ mit der Kranken-, Alters-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung und die äußere Stufe stellt dann der „Daseinsvorsorgestaat“ dar mit u. a. Energieversorgung, Kommunikation, Verkehr und Sicherheit und Bildung. Bei der Bestimmung, um welche Art von Wohlfahrtsstaat es sich bei dem jeweiligen Mitgliedstaat handelt, stehen eine Vielzahl von Modellen, Klassifizierungen und Typologisierungen zur Verfügung, die von unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen erarbeitet worden sind.97 Da die nationalen Systeme nicht im Vordergrund dieser Untersuchung stehen, sei lediglich auf eine der bekanntesten Unterscheidungen Bezug genommen – die Unterscheidung zwischen den „Bismarck98-Systemen und den „Beveridge99-Systemen –, um die Diversität der auf europäischer Ebene (bezogen auf die bis zum 1. 5. 2004 vorhandenen 15 Mitgliedstaaten) bestehenden Systeme zu verdeutlichen. Dies geschieht vor allem vor dem Hintergrund, dass das Europäische Sozialmodell – wie auch immer man es definieren mag – sich vor allem dadurch von den Sozialsystemen außereuropäischer Länder (insbesondere auch der USA) unterscheidet, dass es stets „sozialstaatlichen und / oder wohlfahrtsstaatlichen“ Charakter aufweist. Dies ist zurückzuführen auf die beiden zugrunde liegenden – wenn auch inhaltlich unterschiedlichen – Systeme nach „Bismarck“ und „Beveridge“. Die Hauptmerkmale der beiden klassischen Wohlfahrtsstaatsmodelle, die sich in den meisten EU-Mitgliedstaaten wiederfinden lassen, sollen im folgenden kurz beschrieben werden. Während die „Bismarck-Systeme“ dadurch gekennzeichnet sind, dass sie im wesentlichen beitragsfinanziert, die daraus resultierenden Ansprüche im Prinzip aber leistungsorientiert sind, sind die „Beveridge-Systeme“ im wesentlichen steuerfinanziert und deren Leistungen bedarfsorientiert. In den „Bismarck-Systemen“ kommt zwar sozialstaatliches Denken zum Ausdruck, dem Einzelnen verbleiben jedoch bei Inanspruchnahme der Sozialleistungen gewisse Wahlfreiheiten und Äquivalenzen, da dieses System letztlich kausaler Natur ist. Die „Beveridge-Systeme“ tragen demgegenüber stärker wohlfahrtsstaatlichen Charakter mit finaler Ausrichtung. In ihnen ist der Äquivalenzgedanke zugunsten einer weitmöglichen Gleichbehandlung zurückgedrängt, wie das Schaubild verdeutlicht:100 97 Vgl. dazu auch Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 2 f. 98 Benannt nach dem Reichskanzler Otto von Bismarck (1815 – 1898), der das erste Sozialversicherungssystem in Deutschland einführte. 99 Benannt nach William Henry Beveridge, Baron Beveridge of Tuggal (1879 – 1963), britischer Ökonom und Politiker der liberalen Partei, dessen Theorien die Ausgestaltung der Sozialleistungssysteme in Großbritannien und den skandinavischen Staaten beeinflusst haben.
2. Sozialmodelle auf nationalstaatlicher Ebene
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Schaubild 2 Typen des Wohlfahrtstaates
Länder
Grundprinzip
Legitimationsprinzip
Organisation Leistungsumfang
Finanzierung
Gesicherte Personen
Typen des Wohlfahrtsstaats101 Beveridge Systeme Bismarck-Systeme Vor allem Deutschland, aber Vor allem das Vereinigte Königreich und Irland (wohl auch Belgien, Frankreich, Luxemburg und Österreich auch Dänemark, Finnland, Schweden, Island, Norwegen) Bedarfs- bzw. Fürsorgeprin- Leistungs-, Beitrags-, Äquivalenz- bzw. Versicherungszip (Bedürftigkeitsprüfung und dann Unterstützung un- prinzip (individuelle Absiabhängig von Vorleistungen) cherung nach versicherungstechnischem Risiko, Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen) Auch die Mittelschichten beArmenpflege, Gefahr der ziehen Leistungen und sind Abkoppelung der Mittelam Sozialstaat interessiert schichten vom Solidaritätsgedanken öffentlich z. T. privat, häufig paritätisch (Arbeitgeber / Arbeitnehmer) In Abhängigkeit vom Bedarf Leistungsorientiert, etwa Renten in Abhängigkeit von Beiträgshöhe Steuerfinanziert, höherer Beitragsfinanziert, in der ReAnteil öffentlicher Mittel an gel höhere Arbeitgeber- und Sozialausgaben Versicherungsbeiträge Gesamte Bevölkerung Erwerbstätige (Gruppe der versicherten Arbeitnehmer)
Während man die beiden Systeme in Deutschland, Benelux, Österreich und den nordischen Staaten, wie aus dem Schaubild hervorgeht, deutlich identifizieren kann, finden sich in den südlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wie z. B. Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien, eher Mischsysteme mit Elementen aus den „Bismarck“- und den „Beveridge“-Systemen (Mischung aus Bismarck’scher Sicherung der Altersversorgung und Einkommenssicherung und zunehmender Gesundheitsvorsorge nach dem Beveridge-Typ).102 100 Berié, Hermann / Fink, Ulf, Europas Sozialmodell – Die europäischen Sozialsysteme im Vergleich, S. 50; vgl. dazu auch Devetzi, Stamatia, Die Kollisionsnormen des Europäischen Sozialrechts, S. 116; Baldwin, Peter, Can we define a European Welfare State Model?, S. 31 ff.; Amoroso, Bruno, Welfare State and Development Models, S. 45 ff.; Ervik, Rune / Kuhnle, Stein, The Nordic Welfare Model and the European Union, S. 103. 101 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung eines „Sozialen Europa“. 102 Heise, Arne, Europäische Sozialpolitik: eine Einschätzung aus gewerkschaftlicher Sicht, Punkt 3.1 Typen wohlfahrtsstaatlicher Regulierung in Europa; vgl. dazu auch Hishow,
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Aus den beiden ursprünglichen Systemen entwickelten sich dann drei Typen wohlfahrtsstaatlicher Absicherung, die Heidenreich103 wie folgt beschreibt: Er stellt zunächst als Gemeinsamkeit fest, dass in allen drei Gruppen der Staat neben seinen Funktionen im Bildungs- und Gesundheitswesen auch eine soziale Mindestsicherung für Personen ohne andere Einkommensquellen gewährleistet. Darüber hinaus bestehen dann spezifische Besonderheiten zwischen den „liberalen“, den „christ-demokratischen“ und den „sozial-demokratischen“ Staaten, die im folgenden kurz skizziert werden: In den „angelsächsischen“ oder „liberalen“ Sozialstaaten wird die Absicherung mittlerer und höherer Einkommen im Prinzip der privaten Vorsorge überlassen. Der „liberale“ Wohlfahrtsstaat ist charakterisiert durch: marktkonformes Modell mit minimaler Staatstätigkeit Primat der privaten Vorsorge selektives Almosenprinzip in individuellen Notsituationen sehr niedriges Niveau der Leistungen.
In den kontinentaleuropäischen oder „christ-demokratischen“ Ländern dagegen hat der Staat zusätzlich die Verantwortung für aufwendigere Systeme der Sozialversicherung übernommen, die bei Arbeitslosigkeit, Invalidität und im Alter Leistungen in Annäherung an das zuvor erzielte Arbeitseinkommen gewähren sollen. Der „christ-demokratische“ Wohlfahrtstaat zeichnet sich aus durch: Absicherung der Erwerbsbevölkerung (Beitragssicherungssystem) Individuelle Ansprüche gemäß dem Leistungsprinzip Ergänzende Systeme zur Minimalabsicherung nach Bedürftigkeit Mittleres Leistungsniveau.104
In den skandinavischen oder „sozial-demokratischen“ Sozialstaaten gewährleistet der Staat auch ein breites Angebot professioneller sozialer Dienstleistungen für Familien mit Kindern, für Kranke und Behinderte und für ältere Menschen, die nicht – wie in den angelsächsischen und kontinentalen Ländern – nach den Regeln der Sozialhilfe auf Bedürftige beschränkt bleiben. Ognian, Erfolg der nordischen Wirtschafts- und Sozialmodelle im europäischen Vergleich, in: integration 1 / 06, S. 38 ff. 103 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung eines Sozialen Europa; vgl. dazu auch Hemerijk, Anton, The Self-transformation of the European Social Model(s), S. 6; vgl. dazu ferner Asbeek Brusse, Wendy / Hemerijk, Anton, Deepening Social Europe in an Enlarged Union, S. 120. 104 Hülsmann, Joachim / Schmid, Josef / Schöll, Sarah, Rentenreformen in sechs westeuropäischen Ländern, S. 7; vgl. dazu auch Lemke, Christiane, Sozialpolitik in der Europäischen Union: Zwischen nationalstaatlicher Politik und Europäisierung, S. 1.
2. Sozialmodelle auf nationalstaatlicher Ebene
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Der „sozial-demokratische“ Wohlfahrtsstaat ist gekennzeichnet durch folgende Stichworte: Umfassender sozialer Schutz auf hohem Niveau Kollektive Finanzierung (meist über Steuern) Hohe Umverteilungswirkung Guter Schutz vor Konjunktur- und Strukturkrisen (wegen Abkoppelung von der Erwerbstätigkeit).
Ausgehend von den beschriebenen beiden Grundtypen des Wohlfahrtsstaates über die sich daraus diversifizierenden drei Gruppen wohlfahrtsstaatlicher Absicherung entwickelten sich dann letztlich die heute zu identifizierenden vier Hauptformen von Sozialmodellen. Dabei lassen sich bei den nationalen Sozialmodellen in wirtschaftlicher Sicht Ländergruppen mit vergleichbaren Systemen unterscheiden. Ansatzpunkt ist das jeweils zugrunde liegende Sozialstaatsverständnis. Für Westeuropa werden vier Sicherungsmodelle unterschieden:105 Die südeuropäischen Staaten (Portugal, Spanien, Griechenland, und zum Teil Italien) werden in einem eigenen Sicherungsmodell zusammengefasst. Bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen weisen sie im Bereich der Mindestsicherung für jedermann typischerweise noch Lücken auf. Die Sicherungsmodelle sind eine Mischung aus betrieblichen und staatlichen Sozialversicherungssystemen. Das Niveau der Leistungen ist relativ niedrig und durch große Sicherungslücken gekennzeichnet. Die soziale Sicherung ist sehr stark auf den Erwerbstätigen hin orientiert und die Aufwendungen für die Alterssicherung sind sehr hoch. Es zeichnet sich bis heute durch einen unterdurchschnittlichen Ausbau und eine geringe Transferintensität der Sicherungssysteme aus. Die Familie hat hier als soziales Unterstützungssystem eine größere Rolle beibehalten als in den anderen europäischen Ländern. Flächendeckende Mindestsicherungssysteme existieren kaum. Während die Alterssicherung und die meist auf privilegierte Gruppen beschränkte Arbeitslosensicherung über Versicherungssysteme organisiert sind, verfügen diese Staaten jedoch über universelle, überwiegend steuerfinanzierte Gesundheitssysteme, durch die die Bevölkerung flächendeckend gegen Krankheitsrisiken geschützt ist. Zweifellos federt diese Art der Gesundheitsversorgung soziale Probleme, die aus dem hohen Anteil an Schwarzarbeitern und Personen in der mangelhaften Sicherung gegen Arbeitslosigkeit, im Alter und bei sonstiger Bedürftigkeit mit flexiblen Arbeitsformen entstehen, ab. Die Defizite bleiben jedoch vor allem sichtbar. Die gesellschaftliche Bedeutung familiärer Unterstützungssysteme hat mit dazu beigetragen, dass sich, trotz stark gesunkener Geburtenraten (vor allem in Italien und Spanien), zumindest in den ländlichen 105 Klammer, Ute, Auf dem Weg zu mehr Flexicurity in Europa, in: WSI Mitteilungen 5 / 2000, S. 314 f.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Räumen familiäre Strukturen vergleichsweise wenig gewandelt haben und die Frauenerwerbstätigkeit wie auch die Teilzeitquote bis heute niedrig liegt. Für Großbritannien und Irland gilt das „liberale“ angelsächsische Sicherungsmodell. Es zielt vor dem Hintergrund einer vergleichsweise eingeschränkten staatlichen Verantwortungsübernahme für das Soziale auf eine Grund- und Mindestsicherung ab. Wichtige Kennzeichen sind niedrige und zudem bedürftigkeitsgeprüfte staatliche Sozialleistungen und damit ebenfalls eine geringe Transferintensität. Die historischen Wurzeln der Armenfürsorge sind bis heute in der prioritären Verfolgung des Ziels der Armutsvermeidung spürbar, lebensstandardsichernde Leistungen bieten allenfalls betriebliche oder private Zusatzversicherungen. Da das Niveau der staatlichen Sozialleistungen ebenso wie die für die Systeme zu entrichtenden Beträge insgesamt vergleichsweise gering sind, dürfte sich auch der von ihnen ausgehende Druck auf eine Umgestaltung und Deregulierung von Arbeitsverhältnissen in Grenzen halten. Sofern eine solche Flexibilisierung der Erwerbsformen stattfindet, ist bei diesem Sicherungstyp zumindest dann, wenn sie mit einer Prekarisierung einhergeht, von einem Anstieg der Zahl der Leistungsempfänger auszugehen. Das gleiche ist bei prekärer werdenden Lebensformen zu erwarten; ein gleichermaßen verstärkter Rekurs auf den „income support“ war in der Vergangenheit in England z. B. bei der hohen Zahl alleinerziehender Mütter zu beobachten. Hierdurch wird das stabile Sicherungsziel allerdings nur dann nicht erreicht, wenn die Höhe der vorgesehenen Leistungen dem Ziel der Armutsvermeidung nicht gerecht wird. Diese spezifische Armenpolitik, die der Sozialhilfe einen großen Anwendungsbereich einräumt, spielt hier eine bedeutende Rolle. Es dominieren traditionelle, liberale, das Arbeitsethos betonende, selektive Leistungssysteme. Zugleich wird der Vorsorge des einzelnen und damit der privaten Wohlfahrt über den Markt, insbesondere für die wohlhabenderen Schichten der Bevölkerung, breiter Raum gegeben. Deutschland, Österreich, Frankreich und die Benelux-Staaten106 werden zu dem kontinentaleuropäischen „korporatistischen“ Sicherungsmodell gezählt. Hier herrschen der Versicherungsgedanke und eine enge Anbindung der Sozialversicherungen an die Erwerbsarbeit vor. Dementsprechend ist es charakterisiert durch die in öffentlicher Verantwortung durch eigenständige Träger durchgeführte erwerbsarbeitszentrierte Sozialversicherung. Die überwiegend beitragsfinanzierten Leistungen der Sozialversicherungen sind (bis auf Ausnahmen) an die Einkommensposition gekoppelt. Es basiert auf der „klassischen“ (ursprünglich Arbeiter-) Sozialversicherung, die einen Rechtsanspruch auf Leistungen aufgrund rechtlich fixierter Voraussetzungen – namentlich Beitragsvoraussetzungen – im Rahmen beitragsfinanzierter Sozialleistungssysteme gewährt und die aufgrund der Ausrichtung an sozio-ökonomischen Gruppen den vornehmlich durch die Teilnahme am Wirtschaftsleben erworbenen ökonomischen, be106 Vgl. insbesondere zum niederländischen Wohlfahrtsstaatsmodell Kötter, Ute, Das niederländische Wohlfahrtsstaatsmodell – kein Vorbild mehr?, S. 12 ff.
2. Sozialmodelle auf nationalstaatlicher Ebene
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ruflichen und gesellschaftlichen Status sozialrechtlich fortschreibt. Die Ausrichtung am Äquivalenzprinzip, d. h. die Gewährung einkommens- und beitragsbezogener Leistungen für ihrerseits wiederum einkommensbezogene Beiträge im Rahmen der Sozialversicherung soll Verdienern in „Normalarbeits“- bzw. „Normalerwerbsverhältnissen“ die Beibehaltung des früheren Lebensstandards bei der Realisierung sozialer Risiken – etwa im Alter nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben – garantieren und die Mehrzahl der Betroffenen, namentlich die „Normalerwerbstätigen“, im Regelfall der Notwendigkeit entheben, sich durch private Vorsorgemaßnahmen eine die Gewährleistung des notwendigen Lebensunterhalts übersteigende soziale Absicherung zu verschaffen. Als letztes Netz existieren steuerfinanzierte Fürsorgeleistungen. Diese bestehen als letzte Sicherungsnetze inzwischen überall in Form von Mindestsicherungssystemen, – in Deutschland in Form der Sozialhilfe. Sie treten allerdings nur ein, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gescheitert, bzw. nicht (mehr) möglich ist und auch andere Unterhaltsquellen erschöpft sind. Die Leistungen der vorwiegend beitragsfinanzierten Sozialversicherungen sind statuskonservierend, das Umverteilungspotential ist entsprechend gering. Ein hohes Niveau an Leistungen und ein hohes Schutzniveau für die Insider stellen gleichzeitig Zugangsbarrieren für Outsider dar. Zwar üben die hohen Kosten der obligatorischen Sicherungssysteme und ihr enger personeller Zuschnitt einerseits einen Druck zum Ausweichen in „kostengünstigere“ Arbeitsformen aus und forcieren damit die Flexibilisierung. Auf der anderen Seite sind z. B. eine Reduzierung der Arbeitszeit oder Lücken in der Erwerbsbiographie mit erheblich größeren Einbußen im sozialen Schutz verbunden als in Systemen, die an den Gedanken der Staats- oder Wohnbürgerschaft anknüpfen. Eine ähnliche strukturkonservierende Funktion geht von dem ausgebauten System abgeleiteter Ansprüche aus. Die beträchtliche Subventionierung bestimmter Lebensformen (Ehe, Nichterwerbstätigkeit von Frauen) senkt die Attraktivität anderer Lebensformen. Werden sie dennoch gewählt, so geschieht dies unter Inkaufnahme eines verminderten Niveaus an sozialem Schutz bzw. Einkommenseinbußen. Das „sozial-demokratische“ skandinavische Sicherungsmodell107 hat eine umfangreiche, staatlich verantwortete und durchgeführte soziale „Dimensionsleistungsproduktion“ hervorgebracht, die soziale Sicherheit für jedermann als Bürgerrecht begreift, das auf allgemeine Gleichheit – und insbesondere auf die Gleichbehandlung von Männern und Frauen – „setzt“, und in der Vergangenheit das soziale Staatsziel vielleicht am umfassendsten verkörpert hat. Bestimmungsfaktor ist, dass allen Bürgern gleiche steuerfinanzierte Sicherungsleistungen zustehen. Dabei beschränkt sich diese Gleichbehandlung nicht auf eine Grundund Mindestsicherung, sondern schließt eine gehobene (Regel-) Sicherung mit ein. Abhängig Beschäftigte erhalten zusätzliche einkommensbezogene Leistungen aus betrieblichen Systemen. Die wohlfahrtsstaatliche Solidarität wird ten107 Vgl. dazu ausführlich Ervik, Rune / Kuhnle, Stein, The Nordic Welfare Model and the European Union, S. 88 ff.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
denziell auf die gesamte Bevölkerung erstreckt, wobei Unterscheidungen sozioökonomischer Art, wie z. B. die zwischen Arbeiter und Angestellten sowie zwischen Arbeitnehmern der Privatwirtschaft und öffentlichen Bediensteten eine geringere Rolle spielen, als dies im korporatistischen Wohlfahrtsstaat der Fall ist. Die starke Rolle des Staates, der hohe Beschäftigungsgrad, insbesondere im Wohlfahrts- und Erziehungssektor, die Einheitlichkeit, sowie die verwaltungsmäßige und wirtschaftliche Effizienz der Sicherungssysteme, der vergleichsweise hohe Anteil von Sach- und Dienstleistungen gegenüber Geldleistungen, die aktive Beschäftigungspolitik und das hohe Sozialleistungsniveau sind die Charakteristika dieses Wohlfahrtsstaatstypus.108 Damit ist das System gekennzeichnet durch eine hohe Transfer- und Umverteilungsintensität. Es ist universell ausgerichtet und zielt, in Verbindung mit einem hohen Ausbau sozialer Infrastruktureinrichtungen (z. B. öffentlichen Kindergärten), auf eine Gleichheitspolitik, die auch den Gedanken der Geschlechteregalität betont. Kennzeichen sind eigenständige Leistungsansprüche für beide Geschlechter, die an den Gedanken der Staatsbürgerschaft anknüpfen, sowie eine überdurchschnittlich hohe Erwerbsquote von Frauen. Bei allen Schwierigkeiten, mit denen gerade auch der „soziale Musterstaat“ Schweden seit einigen Jahren zu kämpfen hat, bleibt doch festzuhalten, dass hier von der Grundkonzeption der sozialen Sicherung auf eine weitgehende Offenheit gegenüber veränderten Erwerbs- und Lebensformen geschlossen werden kann. Soziale Sicherungsansprüche werden mehrheitlich weder dadurch erheblich tangiert, dass sich die Form oder der Umfang der Erwerbsarbeit ändert, noch durch die Entscheidung, nicht zu heiraten, sich scheiden zu lassen, Kinder allein zu erziehen etc. Grundlage der nationalen Sozialmodelle war stets ein auf Solidarität beruhender Umverteilungsgedanke.109 Deshalb können weder die diversen nationalen sozialstaatlichen Traditionen noch eine Zusammenfassung von Teilen dieser Traditionen gemeinsam das „Europäische Sozialmodell“ bilden, sie können höchstens dazu dienen, ein historisch verankertes Leitbild abzuleiten.110 108 Hoffmann, Lutz / Meinhardt, Volker, Europäisches Sozialmodell als Produktivitätsfaktor, S. 15 f.; vgl. dazu auch Witte, Lothar, Europäisches Sozialmodell und Sozialer Zusammenhalt: Welche Rolle spielt die EU?, S. 4; Schulte, Bernd, Von Paris nach Nizza: 50 Jahre Europäische Sozialpolitik – Vom nationalen Sozialstaat zum Sozialstaat Europa?, S. 6; Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 6; Hemerijk, Anton / Berghman, Jos, The European social patrimony – deepening social Europe through legitimate diversity, S. 23 f.; Schulte, Bernd, Europäisches Sozialrecht als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung, S. 50 ff.; Lindbeck, Assar, Improving the performance of the European Social Model – The Welfare State over the Life Cycle, S. 2 f.; Wollmann, Hellmut, The ,local welfare state‘ in European countries – in comparative perspective, Concepts, patterns and trends; Abrahamson, Peter, Futures of the European Social Model, S. 7 ff. 109 Fellner, Gertrud, Konkurrenz und Solidarität: Neue Konturen des europäischen Sozialmodells, S. 3. 110 Steinbauer, Franz, Die Zukunft der Arbeit und das Europäische Sozialmodell, S. 1 f.; vgl. dazu auch Fellner, Gertrud, Konkurrenz und Solidarität: Neue Konturen des europäi-
3. Entwicklung des Europäischen Sozialmodells
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Unstreitig teilen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestimmte Wertevorstellungen und mittlerweile auch einen umfangreichen Kanon supranationalen Sozialrechts, ein gemeinsames „Europäisches Sozialmodell“ teilen sie damit aber noch nicht.111 Die meisten neuen Mitgliedstaaten waren nach ihrem Beitritt mit einer ernsten Herausforderung konfrontiert, was die soziale Eingliederung im Kontext der Umgestaltung ihrer Gesellschaften und der Umstrukturierung ihrer Wirtschaften zu Marktwirtschaften betraf.112 Sie sind aber im Begriff, das Europäische Sozialmodell zu übernehmen. Ungeachtet ihrer Unterschiede – sind alle 25 Mitgliedstaaten im Wesentlichen denselben sozialen Werten und Anliegen verhaftet und stehen vor denselben großen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Bevölkerungsalterung, der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und der notwendigen Reform der Renten- und Gesundheitssysteme113 Die neuen Mitgliedstaaten zeigen erste Entwicklungen in Richtung auf ein „Europäisches Sozialmodell“, haben aber noch Nachholbedarf bei der Entwicklung von Strukturen, wie z. B. der Etablierung von gewerkschaftlichen und Arbeitgeberorganisationen sowie der Einrichtung eines Sozialen Dialogs.114 Folglich kann man feststellen, dass die Vielfalt der nationalen Systeme es nicht erlaubt, eines oder ein Konglomerat aus mehreren verschiedenen Sozialmodellen zu „dem Europäischen Sozialmodell“ zu erklären, vielmehr muss das „Europäische Sozialmodell“ genuin formuliert werden.
3. Entwicklung des Europäischen Sozialmodells 4. THESE: Es existieren unterschiedliche Definitionen und ein unterschiedliches Verständnis eines „Europäischen Sozialmodells“. Das Modell ist weder abschließend definiert, noch europarechtlich verbindlich in seiner Gesamtheit verankert.
Der Ausdruck „Europäisches Sozialmodell“ wird seit den 90er Jahren von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat verwandt115 und hat seitdem auch in die offizielle Regierungssprache Eingang gefunden. Europäische Inschen Sozialmodells, S. 5; Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 4. 111 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 6. 112 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Soziale Eingliederung in den neuen Mitgliedstaaten – Eine Synthese der gemeinsamen Memoranden zur sozialen Eingliederung, SEK (2004) 848 vom 22. 06. 2004, S. 4. 113 Vgl. dazu Europäische Kommission, Die soziale Lage in der Europäischen Union 2004 – Kurzfassung, S. 20 ff. 114 Vgl. dazu Rode, Clemens, Die Rolle des Sozialen Dialogs in den neuen EU-Mitgliedsstaaten – Konsequenzen für Lohnpolitik und soziale Sicherung, S. 63 ff. 115 Kaelble, Hartmut, Das europäische Sozialmodell – eine historische Perspektive, S. 31.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
stitutionen nutzen ihn ebenso wie europäische Regierungschefs. Die belgische Regierung räumte ihm während ihrer Präsidentschaft 2001 sogar einen vorrangigen Platz ein. Der Begriff ist nach Schulte überaus facettenreich und weist ebenso historische wie ökonomische, gesellschaftspolitische, kulturelle, rechtliche und internationale Aspekte auf, um nur einige Punkte, die in seinem Rahmen diskutiert werden, aufzuzählen.116 Generell kann man drei Bedeutungen des „Europäischen Sozialmodells“ unterscheiden: Die erste und breiteste Bedeutung umfasst alle heutigen gesellschaftlichen Besonderheiten Europas, den Weg der europäischen Gesellschaften in die Moderne ebenso wie die gesellschaftliche Pfadabhängigkeit Europas. Dieses breite Verständnis des „Europäischen Sozialmodells“ bezieht die „europäische Familie“ ebenso ein, wie die europäische Arbeit, europäischen Konsum und europäische Werte, den europäischen Wohlfahrtsstaat ebenso wie die europäische Managementkultur, die europäische Stadt ebenso wie die europäische Bildung. In einem engeren Sinne bezieht es sich auf eine europäische Politik der Schaffung von Arbeitsplätzen, der sozialen Sicherung, der sozialen Umverteilung – mit einem Wort, eine Politik, die den Prinzipien der sozialen Umverteilung verpflichtet ist. Dieses Verständnis des „Europäischen Sozialmodells“ ist erst in letzter Zeit im Zuge der fortschreitenden Kompetenzentwicklung der Europäischen Union entstanden. Engt man den Begriff noch weiter ein, werden darunter die Besonderheiten des europäischen Wohlfahrtsstaats verstanden, der soziale Sicherung gegen Krankheit, Altersarmut, Invalidität und Arbeitslosigkeit gewährleistet und für die Grundsicherung des Wohnens und der Bildung Sorge trägt.117
Die drei unterschiedlichen Formen des Verständnisses des „Europäischen Sozialmodells“ sind keine sich gegenseitig ausschließenden Optionen, sondern bedingen und ergänzen einander. Gemeinsam ist ihnen der Bezug zu sozialstaatlichen Elementen. Hier setzt die Problematik einer allgemeingültigen Definition ein, denn das Verständnis des Begriffs „Sozialstaat“ divergiert – wie beschrieben – in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erheblich voneinander. Zwar sind die Sozialstaaten mit ähnlichen Herausforderungen und Problemstellungen konfrontiert,118 sie reagieren darauf allerdings unterschiedlich und verbleiben weitestgehend in der Logik des eigenen Systems. Etwaige Konvergenzen (und damit „Policy“-Transfers) betreffen in der Regel weniger die institutionelle Verfassung oder die Kultur eines Sozialstaats, sondern nach Lamping eher kleinteiligere Politikinhalte, die sich problemlos in bestehende institutionelle Arrangements einfügen lassen.119 116 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 75. 117 Kaelble, Hartmut, Das europäische Sozialmodell – eine historische Perspektive, S. 31. 118 Haack, Karl, Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 1.
3. Entwicklung des Europäischen Sozialmodells
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Das „Soziale Europa“ ist folglich gekennzeichnet durch ineinander sich immer stärker verschränkende und gleichzeitig hochgradig fragmentierte nationale Sozialsysteme, die auf unterschiedlichen Ebenen teilweise additiv, teilweise kompetitiv nebeneinander bestehen. Im Zuge dieser Verschränkung ist es zu drei Prozesstypen der Transformation nationaler Wohlfahrtstaaten infolge der europäischen Integration gekommen, die folgendermaßen zu unterscheiden sind, wobei die Bezeichnungen „positiv“ und „negativ“ nicht im Sinne einer Wertung von „gut“ oder „schlecht“ zu verstehen sind:120 Positive Integration: Hiermit sind jene Prozesse gemeint, die zu einer Verlagerung von sozialpolitischen Kompetenzen weg von den nationalen Entscheidungsträgern auf die Ebene der Gemeinschaftsorgane führen. Dazu zählen etwa die sozialpolitisch relevanten Bestimmungen des EG-Vertrages, die Entscheidungen des EuGH121 zum Sozialrecht und die zwar beschränkten, aber dennoch existierenden Finanzmittel, die der Europäischen Kommission für sozialpolitische Interventionen zur Verfügung stehen. Generell führen Prozesse „positiver Integration“ zu einer Ausweitung der Zuständigkeitsbereiche der EU mit einer konvergenzpolitischen Zielrichtung, nämlich einheitliche sozialpolitische Standards in Europa zu setzen und die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit anzugleichen. Negative Integration: Dieser Prozess umfasst alle diejenigen Entwicklungen in den nationalen Sozialstaaten, die mit den Bemühungen um die Herstellung von Marktkompatibilität in Europa zusammenhängen. Eine Schlüsselstellung nehmen hier die im europäischen Primärrecht formulierten wirtschaftlichen Grundfreiheiten „freier Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr, Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Niederlassungsfreiheit“ und zunehmend auch die Unionsbürgerschaft i.V.m. Art. 12 EGV ein. Sie tragen zu einer Transformation nationaler Wohlfahrtsstaaten insofern bei, als sie die rechtlichen, sozialen und 119 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 4. 120 Richter, Gregor, Das Konzept der ,Économie Sociale‘ der Europäischen Kommission. Überlegungen zur Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege im europäischen Integrationsprozeß, S. 4 f.; vgl. dazu auch Klinke, Sebastian, Nationale Mindestsicherung und Europäische Sozialpolitik – eine Analyse europäischer Perspektiven der Mindestsicherung, S. 4; Joerges, Christian / Rödl, Florian, „Social Market Economy“ as Europe’s Social Model?, S. 3; Falkner, Gerda, Zwischen Gestaltungslücke und integrativen Kooperationseffekten: Wohlfahrtsstaat und Integration aus Sicht des historischen Institutionalismus, S. 5 ff.; Thalacker, Patrick, EUSozialpolitik – Die Herausbildung eines neuen Politikfeldes in der EU, S. 11 ff.; Dauderstädt, Michael, The Enlarging Euroland: Deepening and Widening Unemployment and Inequality?, S. 12. 121 Das GEI des EuGH wird in diesem Zusammenhang nicht gesondert erwähnt, da es bislang noch nicht in demselben Maße richtungsweisende Urteile im Bereich der sozialen Themenstellungen gefällt hat. Bislang beziehen sich seine einschlägigen Urteile schwerpunktmäßig auf den Sozialfonds und mit ihm zusammenhängende Rechtsfragen.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
ökonomischen Rahmen für die Produktion von sozialen und Gesundheitsdienstleistungen betreffen. Unmittelbare Zwänge: Diese als „Restkategorie“ bezeichneten Prozesse stecken die Möglichkeiten und den Umfang nationaler Sozialpolitik ab. Dazu zählen etwa die Sparzwänge in den europäischen Staaten zur Erreichung der Konvergenzkriterien im Vorfeld der Währungsunion, die auch die Sozialhaushalte nicht unberührt ließen.
Auf die nationalen wohlfahrtsstaatlichen Modelle wird zudem aus verschiedenen Richtungen Druck ausgeübt, dem auf die eine oder andere Weise begegnet werden muss. Hay, Watson und Wincot122 haben dies in Schaubild 3 eindrucksvoll zusammengestellt: Schaubild 3 Gegenwärtiger Druck, dem der Wohlfahrtsstaat ausgesetzt ist
Global
European
National
Pressures for welfare retrenchment Perceived cost of capital flight in an era of heightened capital mobility; globalisation as a competitive imperative; welfare seen as a competitive burden on the economy
Pressures for welfare expansion Need to protect labour markets and the social sphere from the worst excesses of unfettered market competition; investors’ confidence dependent on perceived political stability / social harmony The European Single Market requiEffective veto power of member states in the negotiation of EU social res comprehensive social regulation; legislation resulting in negative inte- the „hollowing out“ of national social provision creates the potential gration; deregulatory and deflationary bias of EMU; independent Eu- institutional capacity for a trans-naropean monetary policy corrosive of tional European social model; the process of enlargement and the nanational wage-bargaining regimes ture of existing regional inequalities entails considerable redistributive activity at a European level With growing social inequality, dan- Potential contribution to human capigers of a taxpayers’ revolt; perceived tal formation; contribution to social stability in a time of rising labour „crowding out“ of investment; permarket insecurity; demographic ceived inefficiency of market prochange leading to escalating devision mand; escalating costs of the satisfaction of health care demand
Das Schaubild macht deutlich, dass der Druck von allen Ebenen ausgeht, und zeigt zugleich, dass es sowohl Faktoren gibt, die dafür sprechen, das Wohl122 Hay, Colin / Watson, Mathew / Wincot, Daniel, Globalisation, European Integration and the Persistence of European Social Models, S. 23.
3. Entwicklung des Europäischen Sozialmodells
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fahrtsmodell einzuschränken, als auch solche, die dafür sprechen, es auszudehnen. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um das „Europäische Sozialmodell“ zu verstehen; denn unabhängig davon, wie die Entscheidungen, mit diesem Druck umzugehen, im einzelnen auf nationaler Ebene ausfallen, ist die Forderung der Schaffung einer solidaritäts- und akzeptanzbasierten „europäischen Sozialunion“, gekennzeichnet durch weitreichende supranationale Kompetenzen, einhergehend mit einer Zunahme distributiver und redistributiver Prozesse, an sich unumstritten.123 Aufgrund der beschriebenen Entwicklungen spricht man heute sogar schon von „postsouveränen Wohlfahrtsstaaten in einem supranationalen Staatenverbund.“124 Unklar ist nur, was genau darunter verstanden wird und wie das Ziel dieser Sozialunion erreicht werden kann. Deshalb soll im folgenden der Frage nachgegangen werden, was unter dem „Europäischen Sozialmodell“ zu verstehen ist und in welchem Verhältnis es zu den ebenfalls in diesem Zusammenhang verwandten Begriffen wie „Europäischer Sozialraum“, „Europäisches Gesellschaftsmodell“ etc. steht. Die Idee eines „Europäischen Sozialmodells“ ist seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 auf dem gesamten europäischen Kontinent wiederzufinden, sei es als eine seit Jahrzehnten entfaltete und vielfältig gelebte, sei es als eine im Entstehen begriffene Wirklichkeit, jedenfalls als Leitbild einer umfassenden und tiefgreifenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtlichen Transformation.125 Das „Europäische Sozialmodell“ könnte allgemein beschrieben werden als „eine auf Marktfreiheiten gründende Wettbewerbsordnung mit ausgeprägter öffentlicher Vor- und Fürsorge, auf dass auch diejenigen am Markt teilhaben können, die dazu aus eigener Leistung nicht imstande wären.“126 Der soziale Schutz umfasst die Einrichtungen sozialer Vorsorge für die sozialen Risiken Krankheit und Mutterschaft, Alter und Invalidität, Arbeitsunfall und Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit, die Familienleistungen 127 sowie die Sozialhilfe – einerlei, ob diese durch Steuern oder Beiträge finanziert und durch Öffentliche oder Private verwaltet werden. 123 Vgl. dazu Ettwig, Sylvia, Freie Wohlfahrtspflege im Spannungsfeld nationaler Wohlfahrtsstaatlichkeit und fragmentierter europäischer Sozialpolitik, S. 200 ff. 124 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 83. 125 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 2 f.; vgl. dazu auch Wickham, James, The End of the European Social Model: Before it began?, S. 8 f. 126 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 1. 127 Vgl. zu den Familienleistungen allgemein Kaupper, Helmut, Familienleistungen, S. 133 ff.; vgl. dazu auch Igl, Gerhard, Themenbereich Familienleistungen, S. 207 ff.; vgl. dazu ferner Kummer, Peter, Einführender Diskussionsbeitrag, S. 214 ff.; Gagel, Alexander, Einführender Diskussionsbeitrag, S. 194 ff.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Beim Versuch einer genaueren Definition ist allerdings zum einen die Abgrenzung zu der Vielfalt ähnlich verwandter Begriffe zu treffen, zum anderen zu unterscheiden zwischen dem, was die Europäische Kommission unter dem „Europäischen Sozialmodell“ versteht, und sonstigen, von der Wissenschaft und Interessenvertretern erarbeiteten Definitionen.
4. Begriffliche Abgrenzung des „Europäischen Sozialmodells“ 5. THESE: Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen „Europäischem Sozialmodell“, „Europäischer Sozialpolitik“, „Europäischem Sozialstaat“, „Sozialer Dimension Europas“, Europäischem Sozialraum“, „Europäischer Sozialunion“ und „Europäischem Gesellschaftsmodell“ ist nicht möglich.
Nachdem die Gipfelkonferenz der EWG in Paris im Jahre 1972 der Entwicklung im sozialen Bereich die gleiche Bedeutung zuerkannt hat wie der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion,128 hat das soziale Europa stetig sein Gesicht verändert. Auch der EuGH geht bei der Auslegung des Vertrags und des Sekundärrechts von dem Modell der Europäischen Gemeinschaft als einer Sozialgemeinschaft aus und stellt diese Betrachtungsweise damit gleichberechtigt neben die ursprünglich im EWGV angelegte Konzeption der Gemeinschaft als Wirtschaftsgemeinschaft.129 In dem Defrenne II-Urteil130 nimmt der EuGH die auf dem Pariser Gipfel zum Ausdruck gebrachte Bewußtseinsänderung hinsichtlich der Sozialpolitik in seine Rechtsprechung auf. Gerade dadurch, dass er dem ursprünglich allein aufgrund wirtschaftlicher Interessen eingefügten ex-Art. 119 EWGV (heute 141 EGV) in diesem Urteil eine soziale Dimension zuspricht („aus dieser doppelten, wirtschaftlichen und sozialen Zweckbestimmung“131) und ihn sogar als Grundlage der Gemeinschaft bezeichnet, macht er deutlich, dass sich die Vorstellung von einer primär wirtschaftlich orientierten Gemeinschaft gewandelt hat und somit auch den sozialen Vorschriften eine andere Bedeutung zukommt. Der EuGH gibt mit dem 128 Ewert, Holm A., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts, dargestellt am Beispiel der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71, S. 233; so auch Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 29; Haverkate, Görg / Huster, Stefan, Europäisches Sozialrecht, Rdnr. 27. 129 Ewert, Holm A., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts, dargestellt am Beispiel der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71, S. 234. 130 Urteil des Gerichtshofs vom 8. April 1976, Rs. C-43 / 75, Gabrielle Defrenne / Société anonyme belge de navigation aérienne Sabena (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455. 131 Urteil des Gerichtshofs vom 8. April 1976, Rs. C-43 / 75, Gabrielle Defrenne / Société anonyme belge de navigation aerienne Sabena (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455, Rdnr. 12.
4. Begriffliche Abgrenzung
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Urteil zu erkennen, dass er der Präambel insoweit Rechtswirkung zuspricht, als sie für die Auslegung von Vertragsvorschriften von Bedeutung sein kann. Noch wichtiger als die Methodik sind jedoch die Konsequenzen für die Reichweite des Art. 141 EGV, die der EuGH aus seiner grundlegenden Aussage, dass die Gemeinschaft mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft ist, zieht. Zum einen spricht er Art. 141 EGV unmittelbare Wirkung zu und sichert durch die Möglichkeit der Bürger, sich vor nationalen Gerichten direkt auf Art. 141 EGV berufen zu können, dessen Beachtung seitens der Mitgliedstaaten. Zum anderen bejaht er ausdrücklich eine Gemeinschaftszuständigkeit für die Verwirklichung des Art. 141 EGV, obwohl sich dieser nach seinem Wortlaut nur an die Mitgliedstaaten richtet und selbst keine Rechtsgrundlage für den Erlass entsprechender Sekundärrechtsakte liefert. Der EuGH lässt insoweit einen Rückgriff auf die Generalermächtigungen der Art. 94 und 308 EGV zu, da Art. 141 EGV eines der sozialpolitischen Ziele der Gemeinschaft darstelle. Gleiches muss dann auch für die Vorschriften der Art. 136 und 137 EGV gelten, die ebenfalls sozialpolitische Ziele der Gemeinschaft zum Ausdruck bringen. Durch diesen Ansatz ermöglicht der EuGH diesen Artikeln eine über den Charakter einer Programmvorschrift hinausgehende rechtliche Wirkung. Abgerundet wird dies auch dadurch, dass der EuGH in der Rechtssache Zaera132 ebenfalls anerkennt, dass die in ex-Art. 117 (heute Art. 136 EGV) aufgezählten Ziele trotz des programmatischen Charakters nicht ohne Rechtswirkung und insbesondere für die Auslegung anderer Vorschriften des Vertrages heranzuziehen seien.133 Für Verwirrung und Unsicherheit beim Versuch der Definition des „Europäischen Sozialmodells“ sorgt allerdings die Vielzahl der in diesem Kontext verwendeten – oft auch synonym genutzten – Begriffe im Zusammenhang mit dem „Sozialen Europa“. Man spricht von „Europäischer Sozialpolitik“, „Sozialer Dimension Europas“, „Europäischem Sozialmodell“, „Europäischem Sozialraum“, „Sozialunion“ und „Europäischem Gesellschaftsmodell“. Die jeweiligen Definitionen sind nicht immer unumstritten und tragen damit weiter zu dem diffusen Bild bei.134 Eine präzise Abgrenzung zwischen diesen Begriffen könnte eine Standortbestimmung des „Europäischen Sozialmodells“ erleichtern.
a) Soziale Dimension Europas Der Begriff der „Sozialen Dimension Europas“ ist der weitreichendste. 135 Ihm lassen sich alle primär- und sekundärrechtlichen Konkretisierungen zuordnen. 132 Urteil des Gerichtshofs vom 29. September 1987, Rs. C-126 / 86, Fernando Roberto Giménez Zaera / Instituto Nacional de la Seguridad Social und Tesorería General de la Segurdidad Social, Slg. 1987, S. 3697. 133 Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 42 f. 134 So auch Weinstock, Ulrich, Europäische Sozialunion – historische Erfahrungen und Perspektiven, S. 25.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Ebenso fallen darunter die Entscheidungen des EuGH, bi- und multilaterale Abkommen zwischen einzelnen Mitgliedstaaten und das Sozialrecht der Mitgliedstaaten.
b) Europäischer Sozialstaat Der Begriff des „Europäischen Sozialstaates“ wird regelmäßig im selben Sinne wie die „Europäische soziale Dimension“ verwendet und soll den sozialen Grundbestand, die sozialpolitische Vielfalt der europäischen Mitgliedstaaten beschreiben.136 Er ist aber insofern unglücklich gewählt, als ein „Sozialstaat“ per definitionem auch sozialstaatliche Leistungen gewähren müsste. Dies ist aber bei der Europäischen Union gerade nicht der Fall. Sie gewährt keine Sozialleistungen, da sie dazu weder über die entsprechenden Kompetenzen noch das notwendige Budget verfügt. Damit ist dieser Begriff an sich missverständlich und irreführend und sollte besser keine Verwendung finden.
c) Europäische Sozialpolitik Der EG-Vertrag selbst enthält keine Definition des Begriffs der „Sozialpolitik“, obwohl man das Wort „Sozialpolitik“ sowohl in Art. 3 Abs. 1 lit. j EGV als auch in der Überschrift zum 3. Teil, Titel XI findet. Kahil weist zu Recht darauf hin, dass auch der Europäische Gerichtshof noch keine allgemeine Begriffsbestimmung getroffen hat, sondern lediglich Bezug auf die Abgrenzung der Reichweite sozialpolitischer Kompetenzen der Gemeinschaft nimmt.137 In der Wissenschaft ist schon der Begriff der „Sozialpolitik“ an sich äußerst umstritten. Versteht man „sozial“ im Sinne von „caritativ“, ist „Sozialpolitik“ identisch mit „Wohlfahrt“, „Hilfe gegen unverschuldete Armut“ etc., würde Sozialpolitik sich damit schwerpunktmäßig mit Maßnahmen für die Schwachen der Gesellschaft und der sozialen Sicherheit befassen. Übersetzt man es dagegen mit „gesellschaftlich“, wird der Begriff universeller, da „Sozialpolitik“ dann beschrieben werden kann als „Auswahl und Einsatz geeigneter Mittel zur Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, unter Anerkennung der Baugesetze des gesellschaftlichen Lebens, wie sie sich aus der Personenwürde und aus der sozialen Wesenslage des Menschen ergeben, und unter Berücksichtigung der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse“.138 Lampert139 hat dies eindrucksvoll dargestellt (siehe Schaubild 4) 135 Ervik, Rune / Kuhnle, Stein, The Nordic Welfare Model and the European Union, S. 102. 136 Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 91 m. w. N. 137 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 173.
4. Begriffliche Abgrenzung
71
Schaubild 4 Begriff der Sozialpolitik
Sozialpolitik
Internationale und supranationale Sozialpolitik
Nationale Sozialpolitik
Staatliche Sozialpolitik
Arbeitsweltorientierte Bereiche
Gruppenorientierte Bereiche
Betriebliche Sozialpolitik
Sonstige Bereiche
Arbeitnehmerschutz
Jugendpolitik
Wohnungspolitik
Sozialversicherung (Kranken-, Pflege, Unfall-, Renten-, Arbeitslosenversicherung)
Altenhilfepolitik
Vermögenspolitik
Familienpolitik
Bildungspolitik
Arbeitsmarktpolitik Betriebsverfassungs- und Unternehmensverfassungspolitik
Mittelstandspolitik (insb. Agrar- und Handwerkspolitik)
Sozialhilfepolitik
Andere sozialpolitisch besonders relevante Bereiche Wettbewerbspolitik
Verbraucherschutzpolitik Umweltschutzpolitik
Der Überblick spiegelt die national für die Sozialpolitik wichtigen Bereiche wider, die sich dann auch auf europäischer Ebene wiederholen, wenn auch nicht mit der gleichen Regelungsdichte. Bereits 1987 hat Ewert140 darauf hingewiesen, dass der Begriff „Europäische Sozialpolitik“ nicht unumstritten ist, und den Diskussionsstand dargestellt. Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh oder Integration?, S. 5 ff. Lampert, Heinz, Die europäische Sozialstaatskultur am Scheideweg, S. 112 ff. 140 Ewert, Holm A., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts, S. 2 f. mit den entsprechenden Einzelnachweisen. 138 139
72
III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Da sich letztlich die europäische Sozialpolitik im europäischen Sozialrecht verwirklicht, kann möglicherweise eine nähere Betrachtung des Begriffs „Europäisches Sozialrecht“ zur weiteren Klärung beitragen. Im Schrifttum werden nach Ewert danach unterschiedliche Definitionen verwendet:141 Die sozialrechtlichen Regelungen supranationalen Ursprungs würden von v. Maydell als „Europäisches Sozialrecht“ bezeichnet. Eine entsprechende Definition fände sich bei Ehlermann / Koch, die unter „Europäischem Sozialrecht“ das Sozialrecht der Europäischen Gemeinschaften verstehen. Der Begriff sei sogar noch weiter zu fassen, wobei darunter ein einheitliches materielles Sozialrecht zu verstehen sei, das nicht nur die kodifizierten Regelungen, sondern auch die durch den EuGH entwickelte Sozialrechtsprechung umfasse. Damit könne man nach Ewert den Ausdruck „Europäisches Sozialrecht“ definieren als „einen Überbegriff für die sozialrechtlichen Regelungsbereiche der EG“. Eichenhofer142 bezieht den Begriff auf das Recht der sozialen Sicherheit und der Sozialhilfe, die als „sozialer Schutz“ bezeichnet werden, und nimmt dabei Rückgriff auf die Empfehlung des Rates aus dem Jahr 1992 über die Annäherung und Ziele der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes.143 Der soziale Schutz umfasse die Einrichtungen sozialer Vorsorge für die sozialen Risiken Krankheit und Mutterschaft, Alter und Invalidität, Arbeitsunfall und Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit, die Familienleistungen sowie die Sozialhilfe – einerlei, ob diese durch Steuern oder Beiträge finanziert und durch die öffentliche Hand oder Private verwaltet würden. Coen144 schlägt vor, darunter „die Gesamtheit der Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen des Menschen“ zu fassen und WindischGraetz145 beschreibt den Begriff der „Sozialpolitik“ als „Summe der Bemühungen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger durch öffentliche Maßnahmen zu verbessern“, während nach Kahil146 Berié unter Sozialpolitik die „Ausrichtung politischer Handlungen auf die Verbesserung der Lebenslage gesellschaftlich schwacher Personenmehrheiten“ verstehe. Schulte147 dagegen nimmt zunächst eine Abstufung vor, wobei er die sozialrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaftsverträge und die sozialrechtlichen Ver141 Ewert, Holm A., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts, S. 2 f. mit den entsprechenden Einzelnachweisen. 142 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, S. 19. 143 Empfehlung des Rates 92 / 442 / EWG vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes, ABl. EG L 245 / 49 vom 26. 08. 1992. 144 Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Vorbemerkung zu Art. 136 – 145 EGV Anm. 1. 145 Windisch-Graetz, Michaela, Europäisches Krankenversicherungsrecht, S. 2. 146 Vgl. dazu Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 173 mit allen Einzelnachweisen.
4. Begriffliche Abgrenzung
73
ordnungen der EG als „Gemeinschaftssozialrecht“ oder „supranationales Sozialrecht“ bezeichnet. Von diesen seiner Meinung nach engen Begriffen hebt er den weiten Begriff des „Europäischen Sozialrechts“ ab und zieht ihn zur Bezeichnung des Rechts heran, das „aufgrund der Ausstrahlung des Gemeinschaftssozialrechts auf die Sozialrechtsordnungen der Mitgliedstaaten sowie aufgrund der wechselseitigen Beeinflussung und Befruchtung der Sozialrechtsordnungen der Mitgliedstaaten untereinander steht.“ Damit findet man bei ihm den weitesten Begriff, da Schulte darunter nicht nur die Vorschriften über die Sozialpolitik im europäischen Primärrecht, d. h. im EGVertrag nach seinen „Revisionen“ durch die Einheitliche Europäische Akte, den Vertrag über die Europäische Union von Maastricht sowie die EG-Verträge in den Fassungen von Amsterdam und Nizza versteht, sondern ebenso das vom Rat und dem Europäischen Parlament erlassene Sekundärrecht. Ferner zählt er dazu auch die, aus seiner Sicht gewichtigeren, mittelbaren Auswirkungen anderer Politiken und der in ihrem Rahmen erfolgten Rechtssetzungen auf die Wohlfahrtsstaatlichkeit der Mitgliedstaaten im weiteren Sinne. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass auch die nähere Betrachtung des Begriffs des „Europäischen Sozialrechts“ nicht zu einer weiteren Klärung des Begriffs der Europäischen Sozialpolitik beitragen kann.
d) Europäische Sozialunion Eine „Sozialunion“ war zunächst nicht Bestandteil des Integrationskonzepts des EWGV.148 Der Begriff tauchte erstmals auf in der Erklärung des damaligen deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt anlässlich der Pariser Gipfelkonferenz 1972. Brandt führte mit Blick auf den inneren Ausbau der Gemeinschaft aus, dass die Staats- und Regierungschefs beschlossen hätten, gleichrangig neben dem Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion erste Schritte zu dem zu stellen, was man die „Sozialunion“ nennen könnte.149 Eine genaue Definition des Begriffs wurde allerdings nie vorgenommen. Er blieb, wie die anderen in diesem Abschnitt beschriebenen Begriffe, ohne nähere Konkretisierung und den Interessen des jeweiligen Nutzers unterworfen. Die „Europäische Sozialunion“ wird heute verstanden als „der nächste logische Schritt nach der Wirtschafts- und Währungsunion“.150 Andere Definitionen sehen 147 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 75. 148 Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 12 Rdnr. 1; so auch Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 38. 149 Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 303 m. w. N.
74
III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
darin die „Koordination der nationalen Sozialpolitiken“ oder sprechen von „einer stärker zentral ausgerichteten Sozialpolitik Europas“, einem „Programm, das auf stärkere Koordinierung der nationalen Sozialpolitiken bis hin zu ihrer Harmonisierung151 (d. h. Vereinheitlichung auf der Gemeinschaftsebene) abzielt“, oder verstehen darunter eine „Sozialversicherungsunion“, also eine vollständige Angleichung der Sozialversicherungssysteme, ihrer Finanzierung, des Versicherungsniveaus, und ihrer Organisation.152 So schlägt Schulte153 auch vor, stattdessen den Begriff der „Sozialgemeinschaft“ zu verwenden, da „die soziale Dimension den Mitgliedstaaten größere Befugnisse belässt als in den Politikbereichen, die wie die Landwirtschafts-, die Wettbewerbs-, Handels- oder Wirtschafts- und Währungspolitik in höherem Maße der Gemeinschaftskompetenz zugewiesen sind und zu den zentralen Tätigkeitsfeldern der Europäischen Union gehören. Somit kann man von einer Sozialunion nicht in demselben Maße sprechen, wie von der Zoll-, Wirtschaftsund Währungsunion.“ Gleichzeitig wird diese „Europäische Sozialunion“ allerdings als wenig realistisch und realisierbar eingeschätzt: „. . . der historische Abriß der Entwicklung der europäischen Sozialpolitik . . . legt nahe, dass eine ,europäische Sozialunion‘ weder realistisch noch sinnvoll wäre. Es gibt allenfalls marginale Tendenzen (z. B. bei der strukturellen Entwicklung der Finanzierung vom Bismarck- zum Beveridge-Typ) der Harmonisierung der historisch gewachsenen Sozialsysteme. Es existiert weder die Grundlage einer ,europäischen Sozialunion‘ – die Solidarbereitschaft der Versicherten und die Legitimation einer europäischen Umverteilungsinstitution – noch wäre eine ,europäische Sozialunion‘ vor dem Hintergrund großer Entwicklungsunterschiede in den Teilwirtschaften einer Währungsunion ökonomisch sinnvoll“.154 Heise stellt fest: „Wer eine europäische Sozialunion als mittelfristige Perspektive der Koordination der Sozialpolitik in einer Währungsunion darstellt, baut einen Popanz auf, auf den sich komfortabel einschlagen lässt“.155 150 Sinn, Hans-Werner, Sozialunion, Migration und die europäische Verfassung, ifo Schnelldienst 13 / 2004, 57. Jahrgang, S. 13; vgl. dazu Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 30. 151 Vgl. dazu Clever, Peter, Soziale Sicherheit in der Europäischen Union – Gemeinschaftsrecht, Vorgaben und Ausblick, S. 288. 152 Vgl. dazu Heise, Arne, Europäische Sozialpolitik: eine Einschätzung aus gewerkschaftlicher Sicht m. w. N. 153 Schulte, Bernd, Europäisches Sozialrecht als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung, S. 87. 154 Schulte, Bernd, Europäisches Sozialrecht als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung, S. 86. 155 Heise, Arne, Europäische Sozialpolitik: eine Einschätzung aus gewerkschaftlicher Sicht, Punkt 4.3.2.; so im Ergebnis auch Sinn, Hans-Werner, Sozialunion, Migration und die europäische Verfassung, S. 13 f.; Skuban, Ralph, EU als Sozialunion; Schulte, Bernd, Von Paris nach Nizza: 50 Jahre Europäische Sozialpolitik – Vom nationalen Sozialstaat zum Sozialstaat Europa?, S. 4; Kunz, Harry, Soziales Europa, S. 33 f.
4. Begriffliche Abgrenzung
75
Dem entspricht auch die Tatsache, dass Einigkeit darüber besteht, was die „Europäische Sozialunion“ nicht sein soll, nämlich „der Raum einer einheitlichen Sozialgesetzgebung mit überall gleichen Beiträgen, Leistungen und Ausgestaltungen“.156 Letztlich kann man damit feststellen, dass der Begriff der „Europäischen Sozialunion“ zwar eine Vision, aber kein rechtsverbindliches Ziel der Gemeinschaft ist. Er taucht in keinem der Verträge auf, sondern findet sich lediglich in unverbindlichen programmatischen Absichtserklärungen im Sinne eines faktisch anzustrebenden Ziels wieder.157
e) Europäischer Sozialraum158 Der Begriff des Sozialraums bezieht sich auf einen zumeist institutionell definierten, sozialgeografisch abgegrenzten Lebensraum.159 Der Sozialraum ist der Ort, in dem Menschen leben, in dem sich ihr Alltag und ihre Sozialisationsbedürfnisse manifestieren. Der Begriff „Sozialraum“ verknüpft die beiden Begriffe „Soziales“ und „Raum“ und soll die Wechselwirkung zwischen der sozialen Situation und der räumlichen Beschaffenheit zum Ausdruck bringen: Der Raum prägt das Soziale: Für Menschen bedeutsame Lebensbedingungen sind regional bzw. räumlich bestimmt, z. B. durch die Qualität von Wohnbedingungen, die infrastrukturelle Versorgung (Behörden, Geschäfte, Ärzte), etc. Das Soziale prägt den Raum: Soziale Merkmale wie Altersaufbau, Einkommensverhältnisse, Familiensituation, Nationalität, Bildung oder Religion prägen das Milieu und somit auch die Lebensqualität einer Region.160 Im Vergleich zum globalen Sozialraum zeichnet sich der europäische Sozialraum durch verdichtete soziale Beziehungen und ein hohes Niveau sozialer Sicherheit aus.161 Damit kann der „Europäische Sozialraum“ beschrieben werden als der sozialgeografisch abgegrenzte Lebensraum der Europäischen Union, in dem die WechKuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 306 f. Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 30. 158 Vgl. dazu ausführlich Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 295 ff. 159 Straus, Florian, Soziale Netzwerke und Sozialraumorientierung, Gemeindepsychologische Anmerkungen zur Sozialraumdebatte, S. 7. 160 Vgl. dazu Eisele, Björn / Gaborieau, Francois / Gottwald, Mario / John, Michael, Sozialraumanalyse Stadt Schwabach. 161 Vgl. dazu Münch, Richard, Märkte und Sozialräume in Europa. 156 157
76
III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
selwirkungen zwischen der sozialen Situation und der räumlichen Beschaffenheit des Unionsgebietes sich entwickeln. Der Begriff kommt sowohl unspezifiziert als auch spezifiziert, versehen mit unterschiedlichen Adjektiven, vor, so z. B. als „einheitlicher Sozialraum“, „gemeinsamer Sozialraum“, „harmonisierter europäischer Sozialraum“ etc.162 Eine allgemeingültige Definition findet sich weder in der Literatur noch bei den europäischen Institutionen und auch nicht im Sprachgebrauch der Mitgliedstaaten. Aufgeführt werden zur Konkretisierung regelmäßig einzelne Elemente, die den „Sozialraum“ ausmachen sollen, die aber nicht kongruent sind. Je nach Sicht oder Intention des Nutzers des Begriffs differieren sie voneinander. Weitgehende Einigkeit lässt sich nur feststellen hinsichtlich dessen, was der „Europäische Sozialraum“ nicht sein soll: „. . . nicht dazu dienen, die Sozialgesetzgebung zu schwächen oder zu einer Nivellierung nach unten zu führen“.163 In der Literatur werden die Begriffe des „Europäischen Sozialraums“, der „Sozialen Dimension Europas“ und der „Europäischen Sozialunion“ vielfach deckungsgleich verwandt, wobei der Sozialraum weniger die rechtlichen Aspekte bezeichnet, als vielmehr auf die räumlich bestimmten sozialen Lebensbedingungen Bezug nimmt. Der Begriff der „Sozialunion“ wurde bereits 1972 auf dem Pariser Gipfel von Willy Brandt verwendet (s. o.), während der Begriff des „Europäischen Sozialraums“ von französischer Seite erst im Jahre 1981 ins Gespräch gebracht wurde. Durchgesetzt hat sich eher der Begriff der „Europäischen Sozialunion“, wobei jedoch beide nicht scharf umrissen sind und ein inhaltlicher Unterschied kaum festzustellen ist. Beide Begriffe bezeichnen eine Integrationsstufe der Gemeinschaft, bei der die Mitgliedstaaten als gemeinsamer Arbeitsmarkt gesehen und Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit sowie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben verwirklicht werden.164
f) Sozialer Sockel Die Idee des „Sozialen Sockels“ ist verbunden mit den Befürchtungen des möglichen „Sozialdumpings“165. Niedrige Lohnkosten in einigen Mitgliedstaaten werden als Ursache für den Verlust von Marktanteilen in arbeitsintensiven Bereichen angesehen, mit der Folge der Abwanderung dieser Industrien in „Billig-Lohn-Länder“. Dies kann ferner den Trend des Niedergangs solcher Regionen beschleunigen, die wenig entwickelt oder vom Niedergang betroffen sind. Darauf basiert der Gedanke des „Sozialen Sockels“, der Entwicklung gleicher Bedingungen in allen 162 Vgl. dazu im einzelnen Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 295 f. m. w. N. 163 Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 299 m. w. N. 164 So auch Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 30. 165 S. dazu auch III. 1.
4. Begriffliche Abgrenzung
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Mitgliedstaaten der Europäischen Union, z. B. beim Mindesturlaub, Kündigungsschutz etc. An diesen „Sozialen Sockel“, der erstmals 1987 unter belgischer Präsidentschaft zur Sprache kam, knüpfte man die Hoffnung, dass der Lohnkostenwettbewerb schnell seine Grenzen finden werde.166 Die Ausbildung eines solchen „Grundbestandes“ ist rudimentär geblieben, nur in wenigen Bereichen, wie z. B. dem Mutterschutz ist es gelungen, gleiche Bedingungen europaweit herzustellen. Auch kann ein „Sozialer Sockel“ immer nur in begrenzten Fällen die Billigung der Mitgliedstaaten finden, da der Wettbewerb untereinander für viele von ihnen eine wichtige Rolle spielt und das Interesse an der Schaffung einheitlicher Bedingungen nicht bei allen gleich stark ausgeprägt ist. Ein „Sozialer Sockel“ kann folglich, insbesondere auch wegen der in seinem Rahmen nicht vorgesehenen politischen Weiterentwicklung, sondern der Konzentration auf einzelne Sachgebiete, nur einen Teilaspekt des „Europäischen Sozialmodells“ darstellen. g) Europäisches Gesellschaftsmodell Die Begriffe des „Europäischen Gesellschaftsmodells“ und des „Europäischen Sozialmodells“ werden häufig synonym gebraucht. Vielfach spricht man vom „Europäischen Sozial- und Gesellschaftsmodell“. So nimmt der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen von Nizza wie folgt zum „Europäischen Gesellschaftsmodell“ Stellung, beschreibt damit aber nichts anderes als das „Europäische Sozialmodell“: 167 „Das ,Europäische Gesellschaftsmodell‘, das sich insbesondere durch Sozialschutzsysteme von hohem Niveau, die große Bedeutung, die dem Sozialen Dialog zukommt und durch gemeinwohlorientierte Leistungen auszeichnet, deren Feld Tätigkeiten umfasst, die für den sozialen Zusammenhalt von grundlegender Bedeutung sind, beruht heutzutage bei aller Unterschiedlichkeit der Sozialsysteme der Mitgliedstaaten, auf einem gemeinsamen Sockel von Werten. Das „Europäische Gesellschaftsmodell“ hat sich im Laufe der letzten vierzig Jahre in Form eines umfangreichen gemeinschaftlichen Besitzstandes entwickelt, der durch den Maastrichter und den Amsterdamer Vertrag erheblich verstärkt werden konnte. Er umfasst nunmehr wichtige Texte in vielerlei Bereichen: Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und – in jüngster Zeit – Bekämpfung jeglicher Form der Diskriminierung.“
Im Rahmen des 27. Europäischen Symposiums über Wirtschaft und Kultur findet sich die folgende Beschreibung: 166 Däubler, Wolfgang, Sozialstaat EG? Notwendigkeit und Inhalt einer Europäischen Grundrechtsakte, S. 46 f.; vgl. dazu auch Fels, Gerhard, Die Sozialcharta ökonomisch gesehen, S. 165. 167 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat – Nizza, 7. – 10. Dezember 2000, Anlage I, Punkt 2.
78
III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“ „Als Idealvorstellung beruht es auf gemeinsamen Wertvorstellungen und verbindet eine demokratische Gesellschaftsordnung, die auf der uneingeschränkten Unterstützung der Würde und Freiheit des einzelnen, der Achtung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Meinungsfreiheit beruht, mit einer offenen Wirtschaft, in der die freien Marktkräfte mit Regularien einhergehen, die für Solidarität und den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen. Im Mittelpunkt des Zukunftsentwurfs für ein „Europäisches Gesellschaftsmodell“ steht die Vorstellung von einer Bürgergesellschaft, d. h., von einer Gesellschaft, die auf gegenseitiger Solidarität aufbaut, in soziale und politische Regelungen eingebettet ist und die Mitwirkung und Einsatzbereitschaft auf breiter Grundlage fördert.“168
Ähnlich wird es auch von der Europäischen Kommission an anderer Stelle beschrieben: „Das europäische Einigungswerk gründet sich auf allen europäischen Gesellschaften gemeinsamen Wertvorstellungen, die die Grundwerte der Demokratie – Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – mit den Prinzipien der Marktwirtschaft, der Solidarität und des Zusammenhalts verbinden. Zu diesen Werten gehört auch der gleichberechtigte Zugang der Bürger zu Universaldiensten sowie zu Versorgungs- und Dienstleistungen, die der solidarischen Daseinsvorsorge dienen. Das europäische Gesellschaftsmodell ist im Vertrag über die Europäische Union in Form allgemeiner Ziele wie der Verwirklichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und einer nachhaltigen Entwicklung mit Hilfe spezifischer Politiken und durch die Förderung des sozialen Dialogs verankert.“169
Das „Europäische Gesellschaftsmodell“ 170 ist ähnlich vage und unscharf definiert wie der Begriff des „Europäischen Sozialmodells“. Zu seiner Entwicklung werden von der EuroMemorandumGroup171 folgende Kernelemente genannt: Vollbeschäftigung bei guten Arbeitsbedingungen und mit Löhnen und Gehältern, die ein selbständiges Leben ermöglichen; Soziale Wohlfahrt als Garantie dafür, dass niemand Armut und Hilflosigkeit ausgeliefert ist; Soziale Gerechtigkeit als Zustand ohne Diskriminierungen und ohne übermäßige Ungleichheit bei Einkommen, Vermögen oder dem Zugang zu öffentlichen Gütern und Diensten; 168 27. Europäisches Symposium über Wirtschaft und Kultur, Der Übergang zu einer Wissensgesellschaft und seine Auswirkungen auf das Europäische Gesellschaftsmodell, S. 2. 169 Stellungnahme der Kommission, Stärkung der politischen Union und Vorbereitung der Erweiterung, Bulletin EU 1 / 2 – 1996, S. 3; vgl. dazu auch Europäische Kommission, Modernisierung und Verbesserung des Sozialschutzes in der Europäischen Union, (KOM) 97 / 102, vom 12. März 1997, S. 1. 170 Vgl. zum „Europäischen Gesellschaftsmodell“ auch Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 230 f. 171 Europäische Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler für eine andere Wirtschaftspolitik in Europa – EuroMemorandum Group – Jenseits von Lissabon, S. 3; Marcher, Brigitte, Soziales Europa – Markierungen der aktuellen Entwicklung des europäischen Gesellschaftsmodells, S. 2.
5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
79
Ökologische Nachhaltigkeit zur Erhaltung der natürlichen Grundlagen für jedes individuelle und gesellschaftliche Leben; Ausgeglichene internationale Wirtschaftsbeziehungen und wirksame Entwicklungshilfe als langfristige Bedingungen für Frieden und politische Stabilität.
Es wird auch beschrieben als „der soziale Friede im Inneren, das Streben nach sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit, der Ermöglichung gleicher Lebensbedingungen für alle Bürger und Bürgerinnen – kurz das, was wir als europäisches Gesellschaftsmodell bezeichnen“172 und dient funktional verstanden als politisches Leitbild.173 Damit kann man feststellen, dass eine trennscharfe Unterscheidung zwischen den Begriffen, die im Zusammenhang mit der europäischen sozialen Dimension verwendet werden, nicht möglich ist. Die Begriffe sind nicht nur unscharf und einer genauen Definition kaum zugänglich, sie werden auch vielfach synonym gebraucht.
5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“ 6. THESE: Das „Europäische Sozialmodell“ ist nicht definiert. Es kann aber über eine Festlegung seiner Eckpunkte konkretisiert werden.
Mit dem Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ verbinden sich ganz unterschiedliche Bedeutungen. Für einige ist es negativ belegt in dem Sinne, dass die öffentlichen nationalen Sozialversicherungen durch ihre hohe Kostenbelastung die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen gefährden und durch die generöse soziale Absicherung der Arbeitslosen die Arbeitsmotivation der Europäer schwächen. Für die anderen ist es das Modell der Zukunft. Sie halten die universelle und starke öffentliche soziale Sicherung, verbunden mit hoher Qualifikation, gutem Gesundheitszustand und Lebensqualität, nicht für kompatibel mit ökonomischer Leistungskraft, sondern für konstitutiv, um die Nachhaltigkeit des wirtschaftlichen Wachstums, die europäische Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt und die Attraktivität für hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu gewährleisten.174 Schon in dieser völlig gegensätzlichen Sichtweise des „Europäischen Sozialmodells“ wird deutHäupl, Michael, Wörtliches Protokoll, S. 27. Weinstock, Ulrich, Europäische Sozialunion – historische Erfahrungen und Perspektiven, S. 29. 174 Vgl. dazu Kaelble, Hartmut / Schmid, Günther, Das europäische Sozialmodell, S. 11; vgl. dazu auch Wendler, Frank, The paradoxical effects of institutional change for the legitimacy of European governance: the case of EU Social Policy, S. 3. 172 173
80
III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
lich, wie schwierig es zu greifen ist, woraus dann letztlich auch die Probleme resultieren, es allgemeingültig zu definieren.
a) Definitionen der Wissenschaft und von Interessenvertretern Wie oben unter III.2 dargestellt, sind die nationalen Sozialmodelle eng verbunden mit dem Begriff des Wohlfahrtsstaates und daraus resultierenden Leistungen unterschiedlicher Art und Intensität. Im Gegensatz dazu fehlt der Europäischen Union alles, was einen nationalen Wohlfahrtsstaat auszeichnet – individuelle Leistungsansprüche, direkte Steuern und Sozialabgaben sowie eine Wohlfahrtsbürokratie.175 Daraus resultiert auch die Schwierigkeit der Definition und es erklären sich die unterschiedlichen Ansätze. Beispielhaft seien einige der geläufigsten Definition aufgeführt. Das Europäische Sozialmodell wird definiert als:176 „ein System der politischen Regulierung und Vermittlung von Ökonomie und Gesellschaft, dessen institutionelle Verfasstheit durch Strukturen von Konkordanz, Kooperation und Intermediarität geprägt sind.“ Stevens verwendet dabei folgende Begriffe:177 high degree of interest organisation and co-ordinated bargaining a more equal wage and income structure extensive basic social security cover for all citizens based on shared values of social justice and equality, security and positive freedom social cohesion as governing principle of European societies
die getragen und unterstützt werden von sechs grundsätzlichen Werten und Prinzipien: protection and the level of protection responsibility security of existence solidarity 175 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung eines ,Sozialen Europa‘, Vortrag im Rahmen eines Europatags, S. 2; so auch Borchardt, Klaus-Dieter, Der sozialrechtliche Gehalt der Unionsbürgerschaft, in: NJW 2000, 29, S. 2061. 176 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung des „Sozialen Europa“, Folienvortrag. 177 Stevens, Yves, The meaning of ,national social and labour legislation‘ in directive 2003 / 41 / EC on the activities and supervision of institutions for occupational retirement provision, S. 34.
5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
81
equality participation social justice.
Bei Pochet178 findet sich unter Hinweis auf Ferrera179 folgende Charakterisierung. Die Sozialmodelle der Mitgliedstaaten wiesen drei Hauptcharakteristika auf: widespread basic social protection for all citizens against a huge range of social risks a high degree of organisation of interests and collective negotiation (in the broad sense of the term) a more egalitarian wage and income structure than in non-European contexts
Im Gegensatz dazu weise das „Europäische Sozialmodell“ vier Eckpunkte auf180: un ensemble de principes et de normes de politique sociale un plancher de garanties sociales dont le respect est assuré par des réglementations pan-européennes un régime de coordination œuvrant équitablement et contraignant les systèmes nationaux à communiquer les uns avec les autres grâce à différentes formes de reconnaissances mutuelles un ensemble plus vaste d’aspirations et d’objectifs communs
Außerdem fügt Ferrera181 dem noch drei „politische Prozesse“ zur Beschreibung des „Europäischen Sozialmodells“ hinzu: joint decision making driven by a complex combination of national interests, shared value orientations and practicability the existence and at times protagonism of a policy network above and beyond the nation state the existence and at times protagonism of supranational institutions such as the Commission and the Court of Justice, that can play significant „steering“ roles
Black182 beschreibt es so: „The current Social Model has been described as a system of ,regulated autonomy‘, a third way between regulation and deregulation. European Union directives or regulations reflect 178 Pochet, Philippe, in: European Economic and Social Committee: Social Models in the EMU: convergence? coexistence?, S. 33. 179 Ferrera, Maurizio, The European social model between ,hard‘ constraints and ,soft‘ coordination. 180 Pochet, Philippe, Méthode ouverte de coordination et modèle social européen, S. 15. 181 Ferrera, Maurizio, EMU and Social Protection, S. 86. 182 Black, Boyd, What is European in the European Social Model?, S. 2 f.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“ agreement on general principles at EU level, but detailed implementation is left to individual states.“
Witte183 schlägt eine „zielorientierte“ Definition vor: Das „Europäische Sozialmodell“ beschreibe die Gesamtheit von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Aktionen, die darauf ausgerichtet sind, für alle Bürgerinnen und Bürger die materiellen (Grund-) Bedürfnisse zu befriedigen die gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten und den sozialen Zusammenhalt zu stärken
Sarfati184 verbindet es mit folgenden Kriterien: „It is usually associated with collective interest representation, a broad set of protective labour and social legislation and a relatively generous social safety net. This model is promoted by the EU as a means to improve the legitimacy of reforms through the involvement of social partners at central level, and making the necessary structural changes acceptable to employees by offering them security through the safety net. But employers often see it as a constraint of their management prerogatives, while increasing their labour costs and reducing their competitiveness.“
Rogowski / Kajtár185 schreiben ihm eine Doppelfunktion zu: „The European social model (ESM) has two notions. In a narrow sense, it defines the constitutive elements of the supranational role of the European Union in introducing uniform regulations and in setting standards for the harmonisation of laws in the area of social protection. In a broader view, it describes the common core in providing welfare that underlies the diverse understandings of the welfare state and its role in the EU and its member states“.
Chouraqui / O’Kelly186 definieren es wie folgt: „It covers a wide range of both living and working issues, such as social protection, health, education and environmental issues, public services, as well as all aspects of employment right, social dialogue, direct participation, training and equal opportunities / non-discrimination issues. Central to the European Social Model is the achievement of social inclusion in all aspects of life and this can be realised by establishing a culture of partnership between governments, voluntary organisations in the civil society and NGO’s, the social partners, citizens and workers. In order to understand the European Social Model better, it should not be seen only as a formal or political model, it includes societal aspects also, which often are its main, but neglected, dimensions.“ 183 Witte, Lothar, Europäisches Sozialmodell und Sozialer Zusammenhalt: Welche Rolle spielt die EU?, S. 2. 184 Sarfati, Hedvar, Social protection reforms in CEEC candidate countries – the challenges of EU enlargement, S. 1. 185 Rogowski, Ralf / Kajtár, Edit, The European Social Model and Coordination of Social Policy, An overview of policies, competences and new challenges at the EU level, S. 2. 186 Chouraqui, Alain / O’Kelly, Kevin P., A Questioning about the European Social Model. A challenged balance between regulation and deregulation, S. 1.
5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
83
Servais187 betrachtet das „Europäische Sozialmodell“ im Sinne einer gemeinschaftsweiten sozialen Dimension unter folgenden Gesichtspunkten: free movement of workers and persons in general social security for migrant workers and European citizens travelling in the EU promotion of equality of opportunities and treatment emergence of minimum social standards or even standards leading to harmonization (occupational safety and health) setting up of a social dialogue with European collective agreements and European Work Councils.
Reppas188 räumt zwar ein, dass es noch nicht gelungen sei, eine präzise Definition zu formulieren, versucht dann aber selbst eine Beschreibung des Modells als „inspired reality“ in folgender Form: „We can define the European Social Model in terms of the lowest common denominator established within the social heritage of all the countries in our continent. This common denominator consists very simply in the interdependent operation of the free economy and the social dimension, in such a way as to safeguard a high level of prosperity for ordinary people, to eliminate poverty and exclusion, and to contain the activity of the markets without within boundaries, which will prevent any danger to social cohesion.“
Sakellaropoulos / Berghman189 beschreiben es wie folgt: „Theoretically, the European Social Model derives from the synthesis of the socio-political experience of the European countries through time and reflects the conviction that economic efficiency and social protection are not two conflicting targets but two complementary aims, which contribute both to the achievement of a higher level of welfare for European citizens. The European Social Model has taken its present form based on the common social values, principles and methods that were universally accepted and applied by the national states in the field of social protection, social policy and employment. These common values and principles express the common legacy of the Europeans at the social level, as it evolved during their recent history. The European Social Model concept is reflected through three basic and universally accepted principles: the recognition of social justice as a policy target the acceptance of the productive role of social policy and its contribution to economic efficiency the development of a high level bargaining between the social partners.“
Schulte190 nimmt bei der Beschreibung des „Europäischen Sozialmodells“ zunächst auf die Europäische Kommission und deren Verständnis des Modells Be187 188
Servais, Jean-Michel, Quelques réflexions sur un modèle social européen, S. 718. Reppas, Dimitris, Connecting Welfare Diversity within the European Social Model,
S. VI. 189 Sakellaropoulos, Theodoros / Berghman, Jos, Introduction zu Connecting Welfare Diversity within the European Social Model, S. 1.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
zug: Nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission umfasst das „Europäische Sozialmodell“ folgende Politikbereiche: allgemeine und berufliche Bildung Beschäftigung Gesundheit Wohlfahrt und Sozialschutz Sozialer Dialog Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung.
Es finde seinen Niederschlag in den Wohlfahrtssystemen, den Kollektivvereinbarungen und in den Sozialdiensten, wobei es in den verschiedenen Teilen der Europäischen Union von unterschiedlichen öffentlichen, privaten, tariflichen oder sozialwirtschaftlichen Partnern getragen werde. Das „Europäische Sozialmodell“ sei damit zugleich Ergebnis und Ausdruck der reichen Vielfalt von Kulturen, Traditionen, überkommenen Sozialschutzeinrichtungen und politischen Entwicklungen auf unserem alten Kontinent.“ Anschließend verweist er auf die „Janusköpfigkeit“ des Modells, die ihm seine entscheidende Prägung verliehen habe: „Mit seiner Basierung auf „Wettbewerb“ und „Solidarität“ ruht dieses Gesellschaftsmodell sowohl auf einer wirtschaftlichen als auch auf einer sozialen Säule: Der Wettbewerb zwischen den wirtschaftlichen Akteuren, namentlich den Unternehmen, ist der Motor des wirtschaftlichen Fortschritts, während die Solidarität zwischen den Bürgern die Grundvoraussetzung für die Förderung des sozialen Zusammenhalts („soziale Kohäsion“) ist, der seinerzeit zu den essentiellen Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Gesellschaft gehörte.“ Im Rahmen des Dialogforums „Soziales Europa“ wird er dann noch konkreter und umschreibt es mit folgenden Prägungen: Ein staatliches System, das auf einer demokratischen Grundlage aufbaut – parlamentarische Demokratie. Ein Wirtschaftssystem, das überwiegend auf Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht und marktwirtschaftlich orientiert ist – Marktwirtschaft. Ein unterliegendes Netz privater, informeller, namentlich in Familien (und dort vor allem von Frauen) erbrachter Unterhalts- und sonstiger Dienstleistungen – familiale und informelle Wohlfahrt. 190 Schulte, Bernd, Von Paris nach Nizza: 50 Jahre Europäische Sozialpolitik – Vom nationalen Sozialstaat zum Sozialstaat Europa?, S. 5; Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik nach Nizza, S. 43; Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 98 f.
5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
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Staatsziele, die auf die Wohlfahrt der Bürger gerichtet sind – soziale Wohlfahrt. Ein breites Feld gesellschaftspolitischer Aktivitäten, die den Abbau von Diskriminierungen und Chancengleichheiten, die Schaffung von Entfaltungsmöglichkeiten für jedermann, insbesondere auch durch Bildung, berufliche Ausbildung und Arbeitsförderung, sowie allgemein die Integration der Mitglieder der Gesellschaft in die Gesellschaft und deren einzelne Funktionsbereiche anstreben – Inklusion. Ein ausgebautes System des sozialen Schutzes, welches darauf abzielt, das Auftreten sozialer Risiken zu verhüten (Prävention) und bei Eintritt derartiger Risiken kompensierend tätig zu werden – sozialer Schutz. Ein Rechtssystem, das nicht nur – zuweilen – das soziale Staatsziel vorgibt, sondern dem Handeln der Bürger und insbesondere auch der Wirtschaftsobjekte einen rechtlichen Rahmen vorgibt und welches auch die Teilhabe der Bürger an den sozialen Maßnahmen und Leistungen auf der Grundlage des Rechts namentlich auch in Gestalt individueller Rechtsansprüche verbrieft – Rechtsstaatlichkeit.
Baethge191 sieht das „Europäische Sozialmodell“ zwiespältig. Obwohl es in früheren Jahren Entwürfe für eine europäische Sozialcharta gegeben habe (etwa von den deutschen Tarifpartnern), gebe es bislang ein integriertes Modell für die unterschiedlichen Segmente von Sozialpolitik nicht. Insoweit verweist er auf Leibfried / Pierson, die konstatierten, dass Beschlüsse zur Beschäftigungspolitik und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit existieren, eine aktive Umverteilungspolitik zwischen Sektoren (z. B. gemeinsame Agrarpolitik) existiere und Regionen (Strukturfonds, u. a. im Europäischen Sozialfonds) zu identifizieren seien, denen man sozialpolitische Akzente nicht absprechen könne, auch wenn wirtschaftspolitische Intentionen in ihnen vielleicht im Vordergrund stünden.192 Zur Gleichbehandlung der Geschlechter habe die EU wichtige Sozialgesetze erlassen (Sozialleistungen und Schutzbestimmungen für weibliche Beschäftigte betreffend), Regelungen zum Gesundheitsschutz und zur Sicherheit am Arbeitsplatz seien ebenfalls zu den sozialpolitischen Aktivitäten der EU zu rechnen. Dies alles aber konstituiere noch kein europäisches Sozialmodell. Leibfried / Pierson kommen deswegen zu einer desillusionierenden Bilanz: „In der Tat ist die Sozialpolitik gegenüber den Anstrengungen um einen Binnenmarkt in den Hintergrund getreten: Hoffnungen auf einen pan-europäischen Wohlfahrtsstaat . . . sollten tatsächlich begraben werden.“193 Die institutionellen, politischen, kulturellen und technischen Hindernisse für die Ausweitung der sozialpolitischen Zuständigkeiten der EU würden von ihnen als zu hoch eingeschätzt. Baethge, Martin, Die Zukunft der Arbeit und das Europäische Sozialmodell, S. 3. So auch Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 26 ff. 193 Leibfried, Stephan / Pierson, Paul, Mehrebenenpolitik und die Entwicklung des „Sozialen Europa“, Standort Europa, S. 14. 191 192
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Von einem „Europäischen Sozialmodell“ auszugehen, erscheint auch aus anderem Grund nicht unproblematisch. Folgt man der Klassifizierung Esping-Andersens194 für unterschiedliche wohlfahrtsstaatliche Regime, dann vereinigt Europa – zumindest in Ansätzen – alle „drei Welten des Wohlfahrtsstaates“: das liberale Wohlfahrtsregime (USA, Kanada, Australien, partiell England), das korporatistische (zu dem er Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien zählt) und das „sozialdemokratische“, das die skandinavischen Länder repräsentieren. Trotz solcher Differenzen erscheint es mit Baethge195 nicht abwegig, von einem „Europäischen Sozialmodell“ zu sprechen, das als institutionelle Ordnung, als historisch verankertes Leitbild für gesellschaftliche Integration – freilich mit verschiedenen Versionen – fungiert. Sein Kern ist eine Politik der Abfederung von individuellen und kollektiven Risiken, die aus der kapitalistischen Ökonomie hervorgehen. Es kann als Orientierung für die weiteren, unvermeidlichen Auseinandersetzungen über das Verhältnis von Marktentwicklung und sozialer Integration / Exklusion dienen. Baethge196 beschreibt die Eckpfeiler dessen, was als „Europäisches Sozialmodell“ bezeichnet wird und was nicht unbedingt die institutionellen Arrangements in ihren einzelnen Ausprägungen, wohl aber die normativen Grundlagen der skandinavischen und der mitteleuropäischen Sozialstaatspolitik umfasst, als: ausgebaute Sozialversicherungsleistungen der Gesundheits-, Alters- und Arbeitslosigkeitsabsicherung freie Bildungs- und Weiterbildungszugänge Gesundheitsschutz- und Arbeitssicherheitsmaßnahmen Gleichberechtigung der Geschlechter in der Erwerbsarbeit sowie die kollektivvertragliche Regelung der Auseinandersetzung um Arbeitsbedingungen und Löhne, also ein ausgebautes und rechtlich kodifiziertes System industrieller Beziehungen.
Baethge fasst seine Ausführungen wie folgt zusammen: „Es wird ein sozialer und moralischer Rahmen für die Marktentwicklung etabliert, der bei Marktversagen wirksam wird und einen gewissen Ausgleich für sehr ungleiche Einkommens- und Lebenslagen vorsieht, und zwar auf der Basis unterschiedlicher Formen von auf Solidarität gegründeten Verteilungsprozessen.“197 Es ist unschwer erkennbar, dass die Mehrzahl der hier aufgelisteten Merkmale des „Europäischen Sozialmodells“ auf die Erwerbsarbeit bezogen ist. Sie beinhalten Vorkehrungen bzw. Leistungen im Falle von Marktrisiken oder gar -versagen 194
Esping-Andersen, Gøsta, Challenges facing the provision of social services in Europe,
S. 63. 195 196 197
Baethge, Martin, Die Zukunft der Arbeit und das Europäische Sozialmodell, S. 3. Baethge, Martin, Die Zukunft der Arbeit und das Europäische Sozialmodell, S. 3. Baethge, Martin, Die Zukunft der Arbeit und das Europäische Sozialmodell, S. 3.
5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
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und im Falle von unverschuldeten individuellen Schicksalsschlägen, welche die Arbeitsfähigkeit einschränken. Sie sollen dazu dienen, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten bzw. wieder herzustellen und ein menschenwürdiges Leben nach der aktiven Arbeitszeit zu sichern. Ihnen liegen implizit Vorstellungen sozialer Gerechtigkeit und sozialer Inklusion über individuelle und kollektive Aktivitäten zur Mitgestaltung der Erwerbsarbeit zugrunde. Hemerijk / Berghman198 nehmen Bezug auf das Modell als: „solidaristic variety of capitalism, sufficiently robust to face the challenges of economic competitiveness, while maintaining overall social security with a new emphasis on active welfare policies“. Dabei gehen sie auch auf Gegner und Befürworter ein: „Apologists see the European social model as the materialisation of the founding values of modern Europe: Liberty, Equality and Fraternity, reinforcing equity and efficiency in a social market economy. Critics, on the other hand, are quick to point out that generous European welfare states have accumulated a vast array of labour-market rigidities, impeding flexible adjustment and hamper necessary economic and employment growth.“
Und Hemerijk199 präzisiert noch weiter: „(The three) . . . basic premises of the European social model (are) echoing solidaristic values, cognitive orientations of social policy as a beneficial constraint and institutional practices of joint problem-solving through deliberation and negotiation.“
Im folgenden erläutert er dann, was unter der „kognitiven Ebene“ zu verstehen sei: „At the cognitive level, the European social model is based on the recognition that social justice can contribute to economic efficiency and progress. Against the neo-liberal assumption of a big ,trade-off‘ between economic efficiency and social justice, European policy elites agree that social policy is an essential factor in promoting economic adjustment, that there is no contradiction between economic competitiveness and social cohesion. In the face of the market failures the welfare state is able to insure social risks, including unemployment, sickness and disability that private insurance cannot adequately cover. In addition, as a so-called ,beneficial constraint‘ . . . social policy can reduce economic uncertainty, enhance the capacity to adjust and the readiness to accept change, bear more risks, acquire specialised skills and pursue investment opportunities. Moreover, social policy serves to channel industrial conflict in periods of structural adjustment. Last but not least, it should not be forgotten that with social protection outlays averaging 28 % of GDP in the EU, social policy acts as an effective anti-cyclical stabiliser. Furthermore . . . it is marked by high degrees of interest organisation and comprehensive negotiations between the government and the social partners over conflicts of interest in matters of economic and social policy.“200
198 Hemerijk, Anton / Berghman, Jos, The European social patrimony – deepening social Europe through legitimate diversity, S. 19. 199 Hemerijk, Anton, The Self-transformation of the European Social Model(s), S. 2. 200 Hemerijk, Anton, The Self-transformation of the European Social Model(s), S. 31.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Trotzdem räumt er ein, dass dies nur Indikatoren seien, ein „einziges europäisches Sozialmodell“ aber nicht bestehe.201 Schuster202 konstatiert zunächst, dass der rheinische Kapitalismus, der bislang die ökonomische Grundlage für die Sozialmodelle in Europa gebildet habe, der Vergangenheit angehöre. Nach seiner Einschätzung ist der Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ weder geeignet, eine bestehende Realität abzubilden, noch könne er lediglich als Synonym für die Europäisierung der Sozialpolitik herhalten. Sinn mache der Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ nur als normatives Konzept, das auf den unterschiedlichen Sozialstaatssystemen aufbaue, sich aber neuen Herausforderungen stellen müsse. Für Lang203 gilt, dass es kein isoliertes Sozialmodell gibt, sondern nur ein kombiniertes Ökonomie- und Sozialmodell. Wirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit gehören in der europäischen Tradition zusammen. Im Rahmen eines „europäischen Modells“ weist er aus, was die Kennzeichen dieses Modells sind: Ein erster Punkt beziehe sich auf die Empirie: Dieses Modell sei zunächst einmal effizient, und zwar im Hinblick auf ein Bündel von Kriterien, Lebensstandards, Lebensqualität und Wohlfahrt, Umweltqualität, aber auch ökonomische Effizienz. Ein zweiter Punkt betreffe die Tradition: Das Spezifikum dieses Modells sei seine wohlfahrtsstaatliche oder sozialstaatliche Orientierung, die Einbeziehung von mehr oder weniger starken Gewerkschaften in den politischen Prozess und die „Klassenorientierung“ der Politik als Legitimationshorizont. Der dritte Punkt formuliere daraus etwas Normatives: Ein europäisches Modell müsse der sozialstaatlichen Orientierung verpflichtet bleiben, der Gesellschaft ihren Raum sowie der Kultur Autonomie geben und die wirtschaftlichen Prozesse in soziale Zusammenhänge einbetten, d. h. den Primat der Politik durchsetzen bzw. wiederherstellen. Andere Ansätze listen die wesentlichen Kennzeichen auf und versuchen, auf diese Weise, wenn schon nicht zu einer Definition des Sozialmodells, so doch zumindest zu einer Beschreibung der Eckpunkte zu gelangen. So z. B.: Das Europäische Sozialmodell wird in einem Arbeitsbericht des Graduiertenkollegs der Universität Göttingen204 dadurch gekennzeichnet, dass sein soziales und ökonomisches System im Markt verankert ist es dem Markt einen moralischen Rahmen gibt, indem es staatliche Interventionen im Fall von Marktversagen wie auch zum Ausgleich bzw. zur Angleichung sehr ungleicher Einkommens- und Lebenslagen verlangt 201 202
Hemerijk, Anton, The Self-transformation of the European Social Model(s), S. 29. Schuster, Joachim, Die deutsche Diskussion über ein Europäisches Sozialmodell, S. 4
und 5. 203 204
Lang, Klaus, Chancen für ein europäisches Kultur-, Sozial- und Politikmodell, S. 4. Georg-August-Universität Göttingen, Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells, S. 5.
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die Bereitschaft von Individuen und Gruppen zur Selbstorganisation und zum Kompromiss zwischen konfligierenden Interessen fordert.
Hostasch205 sieht die besonderen Kennzeichen des Europäischen Sozialmodells in folgenden Punkten: überwiegend staatlich organisierte Bildungssysteme, die vergleichbare und qualitativ hochwertige Bildungsabschlüsse ermöglichen umfassend ausgebaute Systeme des Arbeitnehmerschutzes einen – wenn auch unterschiedlich – entwickelten Sockel an arbeitsrechtlichen Vorschriften ausgebaute Systeme der sozialen Sicherheit sozialpartnerschaftliche Strukturen, die in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten mit dem Staat kooperieren.
Gewählt wird auch der Ansatz über eine eher „ideologische“ Kategorisierung, in diesem Zusammenhang wird von dem „Europäischen Sozialmodell“ gesprochen als: Politischer Zielperspektive206 Analytischer Kategorie207 Bestand gemeinsamer Werte208 Konzept der sozialen und öffentlichen Ordnung, bzw. Kombination aus Ökonomie- und Sozialmodell209 Kleinster gemeinsamer Nenner gemeinsamer Merkmale.210
Kritiker bezeichnen es auch als „normative und realpolitische Chimäre“211, die es gelte zu entnormativieren und zu entideologisieren.212 Festzustellen ist folglich, dass es auch den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen213 bislang noch nicht gelungen ist, ein „Europäisches Sozialmodell“ 205 Hostasch, Lore, in: Europäisches Sozialmodell – Sozialer Dialog, S. 7; so auch Traxler, Franz, EMU and Labour Relations, S. 68. 206 So Schmidt, Ingo, Ein europäisches Sozialmodell jenseits von Strukturanpassung und internationaler Vorherrschaft, S. 6. 207 So Schmidt, Ingo, Ein europäisches Sozialmodell jenseits von Strukturanpassung und internationaler Vorherrschaft, S. 1. 208 So Farrell, Fintan, The importance of the Convention on the future of Europe, S. 1. 209 Lang, Klaus, Chancen für ein europäisches Kultur-, Sozial- und Politikmodell, S. 1 ff.; Servais, Jean-Michel, Quelques réflexions sur un modèle social européen, S. 705. 210 Adam, Ruth, Ein Wirtschafts- und Sozialmodell für Europa?, S. 4. 211 So z. B. Schulz-Nieswandt, Frank, Eine EU-Verfassung mit sozialen Grundrechten, S. 3. 212 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 15.
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zu definieren.214 Weder ist es inhaltlich abschließend bestimmbar, noch ist endgültig klar, auf welcher Ebene (supranational oder national) es existiert oder institutionalisiert werden sollte.215 Nichtsdestotrotz wird es diskutiert und sowohl als analytisch-deskriptive Kategorie verstanden, in normativ-präskriptiver Weise genutzt und hat auch eine integrationspolitische Dimension.216 Vielfach wird es gesehen als Gegengewicht zu der eher eindimensional auf wirtschaftliche Erfolge ausgerichteten Binnenmarktpolitik der Europäischen Gemeinschaft.217 Auch verschiedene Interessenvertreter befassen sich mit dem „Europäischen Sozialmodell“. So fordert z. B. der Ortsverein Brüssel der SPD218, das Europäische Sozialmodell solle folgende Elemente umfassen: Lebenslange Qualifizierung der Bevölkerung Umverteilung der Arbeit und Flexibilisierung der Arbeitszeit Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivkapital Stärkung der Forschungs- und Innovationskapazitäten Erleichterung von Unternehmensgründungen Förderung von Märkten mit beschäftigungsintensiven Dienstleistungen wie Bildung, Soziales, Kultur, Gesundheit und Tourismus Verbrauchsbesteuerung von natürlichen Ressourcen Belastung von Gewinnentnahmen für konsumtive im Gegensatz zu investiven Zwecken Auf- und Ausbau des Verbraucherschutzes und der Verbraucherinformation 213 So ist z. B. Schulte Rechtswissenschaftler, Baethge ist Soziologe, Pochet ist Politologe und Black ist Ökonom. 214 Vgl. dazu Hay, Colin / Watson, Mathew / Wincot, Daniel, Globalisation, European Integration and the Persistence of European Social Models, S. 1 ff. m. zahlreichen weiteren Nachweisen; so auch Alhadeff, Giampiero / Hugendubel, Katrin, What future for a social Europe?, S. 101. 215 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 14; so auch Sarfati, Hedvar, Social protection reforms in CEEC candidate countries – the challenges of EU enlargement, S. 1; Pochet, Philippe: Méthode ouverte de coordination et modèle social européen, S. 15. 216 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 1. 217 Insgesamt dazu Fischer, Thomas, Europas Gesellschaftsmodell entwickeln – Solidarität im Wettbewerb sichern. 218 Ortsverein SPD Brüssel, Für ein europäisches Sozialmodell in einem globalen Ordnungsrahmen.
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Strukturveränderung von direkten zu indirekten Steuern Senkung der Lohnnebenkosten durch einen Übergang zur Steuerfinanzierung einer Grundsicherung der Sozialversicherungssysteme und Verstärkung der privaten Vorsorge Grundversorgung mit Infrastruktur (Gesundheit, Bildung, Verkehr, Kultur, Soziales, Energie, Kommunikation) Bürgernahe und effiziente Verwaltung.
Die AWO beschreibt unter dem Titel „Europäisches Sozialmodell“ die Kennzeichen eines modernen Wohlfahrtsstaates, der durch folgende Elemente gekennzeichnet ist:219 Sozialsysteme zur Sicherung von Solidarität und Subsidiarität Grundrechte und soziale Rechte Recht auf angemessene Dienstleistungen und Zugang zu sozialen Diensten Gleichstellung von Mann und Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen Grundsicherung zur Verhinderung von Armut Sichere und langfristig finanzierbare Rentensysteme Gleiche Bildungschancen in Schule und Beruf Allgemeiner Zugang zur Gesundheitsversorgung und sozialen Leistungen Entbürokratisierung staatlichen Handelns, Beseitigung von Vetternwirtschaft Effiziente und rationale Aufgabenverteilung zwischen staatlichen Einrichtungen, wohlfahrtsverbandlichen Institutionen (NRO) und genossenschaftlichen und privaten gewerblichen Unternehmen Sanierung der Staatshaushalte zur Sicherung der Fähigkeit der Zukunftsgestaltung für kommende Generationen Wahrung gewachsener Strukturen zur Identifikationssicherung und -bildung des Einzelnen
Scharrenbroich220 nimmt seitens der ILO folgende Beschreibung vor. „Europe’s social model is the product of a common political culture, a culture which tries to avoid any kind of exclusion or excessive inequality, which believes in the legitimacy of the State intervention to counter those phenomena, and which attaches considerable importance to the involvement of the social partners.“ Im Rahmen einer Tagung zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wird es beschrieben als Reflexion der folgenden Grundprinzipien:221 219 Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V., Europäische Sozialpolitik – eine Standortbestimmung der Arbeiterwohlfahrt, S. 20. 220 Scharrenbroich, Heribert, Social partners’ role on the European social model development, S. 83.
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Europe’s success must not exclude anyone Solidarity is linked to economic success There is neither dilemma nor a contradiction between economic and social progress The welfare state is not a luxury, a product of economic development, but a factor of production.
Diese Definition wird noch verstärkt durch vier weitere Faktoren, die Farrell 2002 in Dublin vorgestellt hat222: A society which places human rights including economic and social rights at the centre of its concerns and ensures that no one is excluded from exercising their rights and participating fully in society. A high level of social protection and universal and equal access to key services such as health care, education and training, housing that is guaranteed or provided by the state. The recognition of the strength of cultural diversity within and between the member states. A commitment to high quality and stable employment with a strong emphasis on the rights of workers.
Die vorstehende Darstellung der unterschiedlichen Definitionen gibt erstmals eine Zusammenstellung der unterschiedlichen Beschreibungen des „Europäischen Sozialmodells“ und macht deutlich, wie groß die Unterschiede im Verständnis und der Beschreibung des „Europäischen Sozialmodells“ sind. Erst wenn man die unterschiedlichen Versuche einer Begriffsbestimmung bzw. einer Definition nebeneinanderstellt, wird sichtbar, dass es kein einheitliches Grundverständnis gibt. Es werden bei Nutzung des Begriffs weder dieselben Maßstäbe angelegt, noch lassen sich vergleichbare Parameter definieren. Damit wird gleichzeitig aber auch klar, dass der Begriff auf ganz unterschiedliche Weise verwendet und je nach dem jeweiligen zugrunde liegenden Verständnis politisch eingesetzt wird. Eine fundierte Grundlage wurde bislang nicht geschaffen. Vielmehr wird erkennbar, dass der Begriff nicht nur vielschichtig ist und einer gewissen „Beliebigkeit“ unterliegt, sondern regelmäßig auch vor dem fachspezifischen Hintergrund des betreffenden Autors zu verstehen ist. Der Rechtswissenschaftler Bernd Schulte hat ein anderes Grundverständnis des „Europäischen Sozialmodells“ als beispielsweise der Soziologe Baethge, der Politologe Pochet oder der Ökonom Black. Gleiches gilt für die unterschiedliche politische Ausrichtung des „Europäischen Sozialmodells“ – die AWO findet darin andere Grundzüge als Scharrenbroich aus Sicht der ILO. Diese 221 Herrmann, Peter, Soziale Dienste als Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU – Ziele, Zuständigkeiten, Rahmenbedingungen, S. 147. 222 Zitiert nach Herrmann, Peter, in: Soziale Dienste als Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU – Ziele, Zuständigkeiten, Rahmenbedingungen, S. 148.
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Situation verdeutlicht das Dilemma: Der Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ ist uneinheitlich und wird entsprechend dem Verständnis des jeweiligen Verwenders eingesetzt. Dies wiederum trägt zur Verwirrung und Unklarheit sowie zu einer gewissen Unsicherheit bei der Diskussion um das „Europäische Sozialmodell“ bei, was sich letztlich darin niederschlägt, dass eine Systematisierung im Sinne einer Definition kaum möglich ist. Damit kann man im Ergebnis feststellen: Weder der Wissenschaft noch den Interessenvertretern ist es bislang gelungen, den Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ allgemeingültig und praktisch handhabbar zu definieren.223 In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob es den europäischen Institutionen gelungen ist, hier mehr Klarheit zu schaffen.
b) Ansatz der Europäischen Institutionen Auf europäischer Ebene haben die Institutionen wiederholt auf das „Europäische Sozialmodell“ Bezug genommen, dieses aber nicht definiert. Somit gibt es bislang im supranationalen öffentlichen Raum kaum eine Debatte um ein Europäisches Sozial- und Regulierungsmodell. Die frühere Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), Rangoni Machiavelli, hat das Modell wie folgt charakterisiert: „The European social model spans many policy areas, takes various forms and involves an ever-increasing number of social and economic actors. The basic shared dynamic of the European social model is the matching of competition with solidarity, of competitivity and change with social cohesion and inclusion, of flexibility with security, of economically viable growth with equitable distribution.“224 In der Stellungnahme des EWSA für den Europäischen Rat in Lissabon wird das Vorhandensein „rheinischer“, „nordischer“, „mediterraner“ und „angelsächsischer“ Sozialmodelle aufgezeigt. Es sei interessant zu untersuchen, welche Sozialmodelle überdurchschnittlich gute Ergebnisse erbracht hätten. Das nordische Modell scheine die besten Ergebnisse und wohl auch die beste Lebensqualität zu gewährleisten. 223 So auch Pochet, Philippe, in: Social Models in the EMU: convergence? coexistence? The role of Economic and Social Actors, S. 32; Rogowski, Ralf / Kajtár, Edit, The European Social Model and Coordination of Social Policy, An overview of policies, competences and new challenges at the EU level, S. 2; Reppas, Dimitris, Connecting Welfare Diversity within the European Social Model, S. VI; Sakellaropoulos, Theodoros / Berghman, Jos, Connecting Welfare Diversity within the European Social Model, S. 1; Hemerijk, Anton / Berghman, Jos, The European social patrimony – deepening social Europe through legitimate diversity, S. 11; Witte, Lothar, Europäisches Sozialmodell und Sozialer Zusammenhalt: Welche Rolle spielt die EU?, S. 1; Tomka, Béla, Wohlfahrtsstaatliche Entwicklung in Ostmitteleuropa und das europäische Sozialmodell, 1945 – 1990, S. 107 ff. 224 Rangoni Machiavelli, Beatrice, Social partners’ role on the European social model development.
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Die Methode der offenen Koordinierung wird als das geeignete Instrument gesehen, mit dem die Vorzüge jedes Modells zu einem höheren Gesamtleistungsniveau beitragen können.225 „Der Sozialschutz bleibt erhalten, aber das Sozialmodell in seinen verschiedenen regionalen Ausprägungen muss so angepasst werden, dass Hemmnisse für die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgeräumt werden, soziale Ausgrenzung in sämtlichen Altersgruppen vermieden und die Chancengleichheit insbesondere für Frauen verbessert wird.“226
In einer weiteren Veröffentlichung des EWSA definiert Rocard227 die Eckpfeiler des „Europäischen Sozialmodells“ wie folgt: democracy a high standard of living high levels of social protection services of general economic interest.
Der EWSA betrachtet auch die Sozialwirtschaft als ein wichtiges Element des „Europäischen Sozialmodells“.228 In einer Entschließung des Beratenden Ausschusses des Europäischen Wirtschaftsraums (BA-EWR) zur Lissabon-Strategie wird darauf verwiesen, dass „der soziale Zusammenhalt, der soziale Dialog, die dreiseitige Zusammenarbeit und funktionierende soziale Netzwerke zentrale Elemente des europäischen Sozialmodells sind und nicht nur im Hinblick auf Anpassungsfähigkeit und Produktivitätszuwachs, sondern auch bei der Schaffung eines integrativen, stabilen sozialen Umfelds für Unternehmen und Bürger eine wichtige Rolle spielen“.229 Das Europäische Parlament hat sich bislang des „Europäischen Sozialmodells“ in seiner Gänze noch nicht intensiv angenommen. Diese Diskussion hat hier in der Vergangenheit nicht in demselben Maße stattgefunden wie im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuß oder auf der Ebene der Sozialpartner230. Lediglich auf eine Plenardebatte ist insoweit zu verweisen, die auf eine Erklärung der Europäi225 Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme des WSA zum Thema „Lissabon: Erneuerung der Vision?“, ABl. EU C 61 / 145, vom 14. 03. 2003, S. 151. 226 Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme des WSA zum Thema „Lissabon: Erneuerung der Vision?“, ABl. EU C 61 / 145, vom 14. 03. 2003, S. 151. 227 Rocard, Michel, Reconciling the economic and social dimensions, in: European Economic and Social Committee: Social Models in the EMU: convergence? coexistence? The role of Economic and Social Actors, S. 12. 228 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuß, Sozialwirtschaft und Binnenmarkt, INT / 029 Sozialwirtschaft, vom 02. März 2000, S. 2. 229 Beratender Ausschuß des Europäischen Wirtschaftsraums, Entschließung zu den Anschlussmaßnahmen zur Lissabon-Strategie, in: ABl. EU C 308 / 18 vom 18. 12. 2003. 230 Vgl. dazu auch insgesamt die Darstellung der Aktivitäten der europäischen Institutionen im sozialen Kontext bei Quintin, Odile / Favarel-Dapas, Brigitte, L’Europe sociale – Enjeux et réalités.
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schen Kommission zum europäischen Wirtschafts- und Sozialmodell folgte. Die Debatte spiegelt die Vielfalt der Wahrnehmung des Modells wider und reicht von der Feststellung, dass es kein einheitliches „Europäisches Sozialmodell“ gibt (Goebbels) oder es keine Wirkung gezeigt hat (Vella), bis zu der Forderung, dass eben dieses Modell gerettet (Lulling) bzw. gesichert werden muss (Thyssen, Andersson) und von größter Bedeutung für den Zusammenhalt der Europäischen Union ist (Podobnik, Jarzembowski, Kroupa)231. Ferner kann auf eine Anfrage der Abgeordneten Muscardi232 verwiesen werden, die von der Europäischen Kommission wissen möchte, wie sie die Tatsache bewertet, dass das „Europäische Sozialmodell“ steigende Arbeitslosenzahlen produziert, statt sie zu verhindern. Eine detailliertere Stellungnahme zu der Thematik findet sich erst in einem kürzlich veröffentlichten Bericht.233 Darin betont das Europäische Parlament „die Notwendigkeit, die Werte zu erhalten und zu verbessern, die mit dem Europäischen Sozialmodell – Gleichheit, Solidarität, Eigenverantwortlichkeit, Nichtdiskriminierung und Einkommensumverteilung mit Zugang zu hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen für alle Bürger – und den hohen bereits erzielten Sozialnormen assoziiert werden“, verweist aber gleichzeitig auf die Reformbedürftigkeit des Modells.234 Letztlich beschränken sich die dementsprechenden Ausführungen zu Veränderungen auf politische Forderungen mit starken Bezügen zur wirtschaftlichen Dimension und der Lissabon-Strategie. Nach Mäder235 grenzt die Europäische Kommission für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt drei nach ihrem Stellenwert aufgelistete Etappen ein, die sich bei der Diskussion um das „Europäische Sozialmodell“ wiederfinden. Für sie bedeutet die soziale Dimension in erster Linie: Schaffung der Voraussetzungen für eine effektive Freizügigkeit und für die Mobilität der Arbeitskräfte in Europa. Soziale Folgen der drei anderen Freiheiten für einen Raum ohne Grenzen. Partnerschaft der sozialen Akteure (Sozialpartner etc.).
Eine Auswertung der Dokumente der Europäischen Kommission und der dazu veröffentlichten Literatur, in denen Bezug genommen wird auf das „Europäische Sozialmodell“ bzw. durch die die Entwicklung dieses Modells beeinflusst wurde, ergibt folgendes Bild: Plenardebatte des Europäischen Parlaments vom 4. Mai 2004. Schriftliche Anfrage E-0812 / 05 von Cristiana Muscardini (UEN) an die Europäische Kommission. 233 Europäisches Parlament, Bericht über ein Europäisches Sozialmodell für die Zukunft (2005 / 2248(INI). 234 Europäisches Parlament; Bericht über ein Europäisches Sozialmodell für die Zukunft (2005 / 2248(INI), S. 5 ff. und S. 14. 235 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft – Entwicklungen auf dem Weg zur Sozialunion, S. 28 ff. 231 232
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Während die Debatte über ein „Europäisches Sozialmodell“ in den 80er Jahren einherging mit der Ausweitung des europäischen „regulatory state“ auf dem Gebiet der Sozialpolitik, erlebte diese Debatte eine Renaissance auf europäischer Ebene in den End-90er Jahren. Untersucht man die Dokumente und sonstigen Veröffentlichungen der EU sowie die Beschlüsse der Ratspräsidentschaft von Amsterdam, Maastricht, Stockholm oder Lissabon, findet man implizit viel über das „Europäische Sozialmodell“ und insbesondere die Forderung nach seiner Erneuerung bzw. Modernisierung, aber nirgends gibt es eine kodifizierte Definition. „ . . . there is no single and simple definition of „a European Social Model“! While we often use this term in political speeches, there are in fact several European Social Models, because the way we have organised our societies, our transfer systems, our tax-benefit regimes and our social welfare policies differ widely.“236 Stattdessen wird das „Europäische Sozialmodell“ beschrieben als „Bestand gemeinsamer Werte“237, die sich in der europäischen Zusammenarbeit entwickelt haben: „These values cover the quest for economic prosperity which should be linked with democracy and participation, search for consensus, solidarity with the weakest members, equal opportunities for all, respect for human and labour rights, and the conviction that earning one’s life through work is the basis upon which social welfare should be built. These principles could be defined as the „European Social Model“238.
Damit setzt sich aus Sicht der europäischen Institutionen das „Europäische Sozialmodell“ aus verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Komponenten zusammen, die von den im Schaubild 5 schematisch dargestellten Ereignissen wie der Wirtschafts- und Währungsunion,239 den Vertragsänderungen von 236 Lönnroth, Juhani, The European Social Model of the Future, S. 3; vgl. dazu auch Ebbinghaus, Bernhard, Does a European Social Model exist and can it survive, S. 2; so auch Klammer, Ute, Auf dem Weg zu mehr Flexicurity in Europa, S. 314; Schmidt, Ingo, Ein europäisches Sozialmodell jenseits von Strukturanpassung und internationaler Vorherrschaft, S. 1 (betrachtet das „Europäische Sozialmodell lediglich als analytische Kategorie“); Scharrenbroich, Heribert, in: Europäisches Sozialmodell – Sozialer Dialog, S. 100; Lindbeck, Assar, The European Social Model: Lessons for developing countries, S. 2; Georg-August-Universität Göttingen, Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells, S. 22 f. ; Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 1; Almunia, Joaquín, The Future of the European Model, S. 2; Sapir, André, Globalisation and the Reform of European Social Models, S. 1. 237 Vgl. dazu Farrell, Fintan, The importance of the Convention on the future of Europe, S. 1; vgl. dazu Black, Boyd, What is European in the European Social Model?, S. 8; Europäische Kommission, Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik der EU 1999 – 2001 Arbeit Zusammenhalt Produktivität, S. 4 und 13; DGB-Bundesvorstand, Abt. Arbeitsmarkt- u. Intern. Sozialpolitik, DGB-Positionspapier zu sozialen Grundrechten und der Sozialpolitik im EU- und EG-Vertrag anlässlich der Revision des Maastrichter Vertrages, S. 29. 238 Lönnroth, Juhani, The European Social Model of the Future, S. 3. 239 Schulte, Bernd, Europäisches Sozialrecht als Gegenstand rechtswissenschaftlicher Forschung, S. 102 ff.
5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
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Amsterdam und Nizza, der Erweiterungsdebatte, dem Konvent und verschiedenen Ratspräsidentschaften geprägt wurden. Schaubild 5 Faktoren, die das Sozialmodell geprägt haben240
Wirtschaftliche Dimension
EMU (Maastricht)
Soziale Dimension
Amsterdam Nizza GrundrechteCharta
Politische Dimension
Erweiterung „Governance“
Lissabon Stockholm Göteborg Barcelona
E U V e r f a s s u n g
Laeken Konvent Intergouvernementale Konferenz
Paradoxerweise wird trotzdem vom „Europäischen Sozialmodell“ gesprochen. „Despite the differences between national social policy regimes within the Union, it is widely accepted that there is a „European Social model“.241 Andere Autoren behaupten, dass dieses Modell auf einer „common inspiration“ basiert und „resides in its values basis more than in the systems by which it is applied or its costs to the public purse“.242 Wieder andere konstatieren „there is a European welfare state, as all countries devote substantial amounts of their GDP to both allocative and redistributive items of expenditure“.243 Gesehen wird auch, dass „in allen europäischen Sozialstaaten der zumindest moralische Anspruch von jedermann auf politische, ökonomische, soziale und kulturelle Teilhabe an den einer Gesellschaft institutionell verfügbaren Möglichkeiten besteht.“244
Lönnroth, Juhani, The European Social Model of the Future, S. 5. Lönnroth, Juhani, The European Social Model of the Future, S. 5. 242 Lönnroth, Juhani, The European Social Model of the Future, S. 5. 243 Lönnroth, Juhani, The European Social Model of the Future, S. 5. 244 Steinbauer, Franz, Die Zukunft der Arbeit und das Europäische Sozialmodell, S. 1 f. mit den jeweiligen Einzelnachweisen. 240 241
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Es wird vorgeschlagen, von einer „European social identity“ zu sprechen, weil die europäischen Sozialstaaten auf einer „specific conception of solidarity“ basieren, „which is more collective, than individual, and involves a certain redistribution of income“.245 Soweit davon gesprochen wird, dass ein einheitliches „Europäisches Sozialmodell“ existiert, wird gleichzeitig anerkannt, dass es nirgendwo eine kodifizierte Definition dafür gibt, es Erosionstendenzen ausgesetzt ist und gezielte Politiken eingesetzt werden, dieses Modell aufzulösen. Niemand hat bislang versucht, den Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ aus der begrifflichen Beliebigkeit herauszuholen und ihn vom politischen zum rechtlichen Begriff zu entwickeln. Wenn vom „Europäischen Sozialmodell“ oder der „Modernisierung des Europäischen Sozialmodells“ die Rede ist, liegen die Schwerpunkte seitens der Europäischen Kommission auf der Beschäftigungspolitik und dem Arbeitsmarkt, der Aus- und Weiterbildung, dem sozialen Dialog, der Gesundheits- und Rentenpolitik sowie dem Sozialschutz.246 Insbesondere dem Sozialschutz wird eine bedeutende Rolle zugewiesen: „Das Modell basiert auf gemeinsamen Werten wie auch der Erkenntnis, dass Sozialpolitik und Wirtschaftsleistung nicht unvereinbar sind, sondern sich gegenseitig verstärken. Hochentwickelte Sozialschutzsysteme sind ein wesentlicher Bestandteil dieses Sozialmodells“.247
Black stellt dazu fest: „Although the emphasis in the EMS has been increasingly on regulated autonomy, it is not clear what the eventual impact of these various contextual changes is likely to be on industrial relations structures. Streeck (1998) has argued, that European supranational institutions are primarily concerned with the promotion of economic liberalisation and increased competition by international means, leaving social regulation essentially a national responsibility. As a result social regulation itself becomes exposed to competitive market pressures and the constraints of international regime competition. This results in a reduction in the scope for domestic corporatism and the promotion of further liberalisation“.248
245 So Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 5. 246 Europäische Kommission, Beschäftigung in Europa 2001 – Jüngste Trends und Ausblick in die Zukunft, Juli 2001, S. 3, 4 und 13; Europäische Kommission, Arbeitsbeziehungen in Europa 2002, Mai 2002, S. 14 und 29; Europäische Kommission, Die soziale Lage in der Europäischen Union 2003 – Kurzfassung, S. 22; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Beschäftigungspolitik und Sozialpolitik: ein Konzept für Investitionen in Qualität, KOM (2001) 313 endg. vom 20. 06. 2001, S. 4 und 6; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2000) 379 endg. vom 28. 06. 2000, S. 2 ff. 247 Europäische Kommission, Modernisierung und Verbesserung des Sozialschutzes in der Europäischen Union, KOM (97) 102 vom 12. März 1997, S. 1. 248 Black, Boyd, What is European in the European Social Model?, S. 3 m. w. N.
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Und er kommt zu dem Ergebnis: „As a result there has been an Europeanisation of diverse national bargaining systems, rather than a transfer of industrial relations competence to EU institutions. . . . Thus bargaining in the new model is the institutionalized manifestation of a social learning process where the actors learn from each other and transfer policies and programmes across national frontiers, generating new positive social conventions in wage bargaining.“249
Damit kann man feststellen, dass seitens der europäischen Institutionen unbestritten ist, dass es so etwas wie ein „Europäisches Sozialmodell“ gibt, allerdings nicht in einer festgelegten Form, sondern eher als „ideologische Grundlage“ zur Weiterentwicklung des „sozialen Europas“.250 Die im März 2000 beschlossene „Lissabon-Strategie“251 ist ein weiterer Versuch einer kollektiven Verständigung über Konturen eines künftigen, grundlegend umstrukturierten „Europäischen Sozialmodells“ primär auf dem Gebiet der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und sozialen Sicherungspolitik, wobei eher liberale, angebotsentlastende Vorstellungen der Arbeitsmarktflexibilisierung, der Herstellung von Beschäftigungsfähigkeit und der Neujustierung der sozialen Sicherungssysteme in Richtung einer größeren Kompatibilität mit ökonomischen Herausforderungen in Angriff genommen werden sollen. Die Lissabon-Debatten auf supranationaler Ebene zeigen, dass kognitiver Referenzpunkt der Europäischen Kommission die Vorstellung von Konvergenz und Homogenisierung durch die Herausbildung eines typischen europäischen Gesellschaftsmodells, einer typischen politischen Kultur und eines typischen Sozialmodells (einschließlich dessen Aufladung zur Solidargesellschaft) ist. Lamping252 geht sogar so weit zu behaupten, dass die Europäische Kommission beseelt sei von dem Wunsch, ihre Existenz und ihre Funktion zu legitimieren und dabei angetrieben wird von einem ausgeprägten Steuerungsoptimismus und der Vorstellung einer neuen Gestaltbarkeit der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft – ja geradezu von der Idee einer supranational induzierten Neugründung europäischer Wohlfahrtsstaatlichkeit in der globalen ökonomischen Konkurrenz, was angesichts der geringen supranationalen Steuerungsmöglichkeiten und der Komplexität in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik hochgradig problematisch sei. Die Europäische Kommission reklamiert, dass die Mehrheit der europäischen Bürger fordere, dass Europa sich mit „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, „sozialer Ausgrenzung“ und Armut253 als politischer Priorität befassen solle – in einem Black, Boyd, What is European in the European Social Model?, S. 6. Vgl. dazu auch Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 92. 251 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000. 252 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 9. 253 Vgl. dazu Rat der Europäischen Union, Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung = Festlegung von geeigneten Zielen, SOC 470, 30. November 2000. 249 250
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Wort, ein Gesellschaftsmodell sicherstellen solle, das auf den Grundrechten, der sozialen Sicherheit und dem Sozialen Dialog basiert. Mit der Einführung des Euro und der damit zusammenhängenden Koordinierung der Wirtschaftspolitiken wird begründet, dass man sich im Zusammenhang mit den nationalen öffentlichen Finanzen ebenso befassen müsse, wie mit den Themen „Beschäftigungspolitik“, „Ausrichtung des Sozialschutzes“ und „alternde Gesellschaft“. Mit dem „Lissabon-Prozess“ wird das „Europäische Sozialmodell“ zu einer Säule für nachhaltiges Wachstum erklärt: « Le message de Lisbonne était clair: le ,modèle social européen‘ n’est pas un luxe que l’on s’offre lorsque l’économie marche bien. Il est l’un des piliers d’une croissance durable, oú les capacités contenues dans la société et dans les individus trouvent à s’exprimer, et soutiennent ainsi la croissance économique et l’innovation. »254
« Outils qui ont permis d’édifier un « modèle social européen » : La législation pour la libre circulation des personnes et son volet « protection sociale », pour la santé au travail, l’égalité entre hommes et femmes, la nondiscrimination, l’implication des salariés dans l’entreprise et la création de règles du jeu communes à tous les acteurs du marché du travail, par example en matière de détachement et de travail intérimaire. Le dialogue social ensuite auquel le Traité donne un rôle exceptionnel pour des acteurs de la société civile, puisque les partenaires sociaux doivent être consultés sur toute initiative communautaire, et qu’ils peuvent s’en saisir pour négocier un accord. Les instruments financiers: programmes d’action qui favorisent la connaissance commune et l’échange d’expériences et le fonds social qui appuie les politiques nationales de l’emploi, de la formation et d’inclusion. La « méthode ouverte de coordination ».255
Die Europäische Kommission nutzt das „Europäische Sozialmodell“ und weist ihm eine maßgebliche Rolle in der politischen Integration, der internen Stabilisierung der Gemeinschaft und der ökonomischen Performanz der Union zu. So beschrieb es Jacques Delors einmal als „shrewd compromise between market forces, state and central bank intervention, and a vast sphere open to negotiation between the social partners“.256 Es ist der Europäischen Kommission gelungen, den Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ als eine Art „role model“ auf die europäische Agenda zu 254 Quintin, Odile, Le modèle économique et social européen: ambitions et priorités de la Commission, S. 3 f ; Sozial Agenda Nr. 5, S. 2 ; Quintin, Odile, La modernisation des systèmes de protection sociale des pays candidats. 255 Quintin, Odile, Le modèle économique et social européen: ambitions et priorités de la Commission, S. 6 f. 256 Nach Arnaud, Jean-Louis, A reappraisal of Europe’s Social Model or the Tale of the Chicken and the Pig, S. 20.
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setzen, ohne ihn selbst näher zu definieren oder eine rechtliche Grundlage zu benennen. Das beste Beispiel dafür dürfte das „Weißbuch: Europäische Sozialpolitik“257 aus dem Jahr 1994 sein, in dem sie das „European social model“ ausdrücklich erwähnt, es aber an einer Beschreibung fehlen lässt. Dies findet seine Fortsetzung in weiteren Papieren. So wird das Modell – wie bereits erwähnt – zur Grundlage der Ziele von Lissabon gemacht.258 Die dabei angesprochenen Bereiche, in denen Modernisierungsbedarf herrscht, sind charakteristisch für das Verständnis des „Europäischen Sozialmodells“ der Europäischen Kommission und beziehen sich auf: Bildung und Ausbildung für das Leben und Arbeiten in der Wissensgesellschaft Entwicklung einer aktiven Beschäftigungspolitik Modernisierung des Sozialschutzes Förderung der sozialen Integration.
Dabei macht sich die Europäische Kommission geschickt das Spannungsverhältnis zwischen „Sein“ und „Sollen“ zu eigen und führt es in Richtung des Aufbaus eines handlungsleitenden Rahmens in den Debatten über die „Sozialstaatlichkeit“ Europas, fast im Sinne einer „self-fulfilling prophecy“. Gleichzeitig erweitert die relative Unbestimmtheit, Ungewissheit und Offenheit des Europäischen Sozialmodells den strategischen Handlungsspielraum der Kommission. Zum einen fühlt sie sich herausgefordert, eigene Akzente zu setzen und mit eigenen Impulsen die politische Agenda zu beeinflussen. Auf der anderen Seite lässt sich die relative Unbestimmtheit instrumentalisieren, um die Mitgliedstaaten zu einem gemeinsamen Reflexionsprozeß zu animieren, sich über Inhalt und Zukunft eines solchen Modells zu verständigen.259 Dies könnte dann unter Umständen darauf abzielen, in der letzten Konsequenz entsprechende Kompetenzen an Europa abzutreten. Ein Beispiel für einen Eingriff in ein soziales System im Sinne einer Kompetenzerweiterung lässt sich finden in der Rahmenstrategie zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern.260 Unter Punkt 3.1.1. „Operatives Ziel: Stärkung der Gleichstellungsdimension in der europäischen Beschäftigungsstrategie“ lautet der erste Unterpunkt: „Förderung der Überprüfung von Steuer- und So257 Europäische Kommission, Europäische Sozialpolitik, ein zukunftsweisender Weg für die Union, KOM (94) 333 endg. vom 27. 07. 1994. 258 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000, S. 8. 259 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 7. 260 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Für eine Rahmenstrategie der Gemeinschaft zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern (2001 – 2005), KOM (2000) 335 endg. 2000 / 0143 (CNS), vom 07. 06. 2000.
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zialleistungssystemen mit dem Ziel, negative Anreize für Frauen, die in den Arbeitsmarkt eintreten wollen, abzubauen“.261 Unabhängig von der Tatsache, dass die Zielsetzung grundsätzlich zu begrüßen ist und ihr nicht widersprochen werden kann, da die Schaffung der Chancengleichheit positiv zu bewerten ist, stellt eine solche Zielsetzung trotzdem – nüchtern betrachtet – einen Eingriff in die nationalstaatliche Hoheit und deren Sozialleistungssysteme dar. Auf der Grundlage der sozialpolitischen Kompetenzen in den Verträgen könnte die Europäische Gemeinschaft keine generelle Überprüfung in diesem Ausmaß einfordern. Über die „Chancengleichheit“ und damit abgesichert über den Art. 13 EGV hat sie sich aber eine solche Kompetenz geschaffen. Im strategischen Repertoire der Europäischen Kommission spielt das „Europäische Sozialmodell“ damit eine dreifache Rolle.262 Es ist Identitätsschaffungsressource Staatsbildungsressource Kompetenzausweitungsressource.
Alle drei Funktionen reagieren – jede für sich – auf eine spezifische Schwäche des Integrationsprozesses: Weder ist eine europäische Identität (gekoppelt mit starken inneren Bindekräften) unter den EU-Bürgern hinreichend ausgebildet, noch nimmt die Mehrheit der Bürger die Europäische Union in Kategorien von Staatlichkeit wahr und ernst, noch verfügt die Europäische Union über dezidierte substantielle Kompetenzzuweisungen in den Kernbereichen von Sozialstaatlichkeit. Das Konstrukt eines „Europäischen Sozialmodells“ verklammert alle drei Dimensionen und soll das Vehikel für einen weiteren Loyalitätstransfer der EU-Bürger in Richtung EU abgeben. Die Europäische Kommission hat dabei ein gleichermaßen funktionalistisches wie mechanistisches Verständnis von Sozialpolitik im Kontext der Integration entwickelt. Mit Blick auf die dreifache politische Funktion von Sozialpolitik hatte u. a. der ehemalige Kommissionspräsident, Jacques Delors, versucht, über Sozialpolitik die Zustimmung der Bürger zum Integrationsprozess zu gewinnen. Jacques Delors entwickelte die Vision eines „Europäischen Sozialmodells“ als Grundlage für das europapolitische Integrationsprojekt eines „regulierten Kapitalismus“ weiter. Delors’ Strategie zielte auf einen europäischen Staatsbildungsprozess, in dem eine europäische Handlungsebene zur Regelung der sozialpolitischen Einbettung des Binnenmarktes entstehen sollte.263 Diese Sichtweise wurde zudem mit der Be261 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Für eine Rahmenstrategie der Gemeinschaft zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern (2001 – 2005), KOM (2000) 335 endg. 2000 / 0143 (CNS), vom 07. 06. 2000, S. 6. 262 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 7.
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hauptung untermauert, dass der Bedarf an Absicherung und sozialem Ausgleich im Prozess der Integration wachsen werde und die nationalen Systeme diesen wachsenden Bedarf nicht würden decken können. Mit Blick auf Sozialpolitik als „Identitätsschaffungsressource“ wird das Argument jedoch zirkulär: Eine kollektive europäische Identität wird als wichtiger Bestimmungsgrund für die Akzeptanz europäischer Sozialpolitik (und als Legitimationsspender für monetäre Transferzahlungen über nationale Grenzen) angesehen, während gleichzeitig eine elaborierte europäische Sozialpolitik als ein wichtiges Vehikel zur Erreichung und Stabilisierung einer europäischen Identität betrachtet wird (bei simultaner Schwächung der Bindung an nationale Identitätskonzepte).264 Letztendlich ist die Strategie Delors’ dann auch nie realisiert worden.265 Im Zuge des Follow-up von Lissabon wurde auf dem Gipfel von Nizza266 niedergelegt: „Das europäische Gesellschaftsmodell mit seinen entwickelten Sozialschutzsystemen muss die Umstellung auf die wissensbasierte Wirtschaft unterstützen. ( . . . ) Die Menschen sind Europas wichtigstes Gut und müssen im Zentrum der Politik der Union stehen. Investitionen in die Menschen und die Entwicklung eines aktiven und dynamischen Wohlfahrtsstaates werden von entscheidender Bedeutung sowohl für die Stellung Europas in der wissensbasierten Wirtschaft als auch dafür sein, sicherzustellen, dass die Herausbildung dieser neuen Wirtschaftsform die schon bestehenden sozialen Probleme Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und Armut nicht noch verschärft.“ Auf dem Europäischen Rat von Barcelona im März 2002 wurden die folgenden Grundlagen des „Europäischen Sozialmodells“ angenommen: „Das europäische Sozialmodell stützt sich auf gute Wirtschaftsleistungen, ein hohes Niveau sozialer Sicherung, einen hohen Bildungs- und Ausbildungsstand und sozialen Dialog.“ Damit wird auf die beiden Grundelemente des Sozialmodells in allen Mitgliedstaaten zurückgegriffen – die Tradition des sozialen Dialogs und ein hohes Niveau der sozialen Absicherung gegenüber allen Risiken des Lebens. Unterstrichen wird zudem die Notwendigkeit, den sozialen Zusammenhalt mit guten Wirtschaftsleistungen zu verknüpfen.267
In den Schlussfolgerungen des informellen Treffens im Rahmen der griechischen Präsidentschaft haben die Arbeits- und Sozialminister im Januar 2003 folgende gemeinsame Prinzipien des „Europäischen Sozialmodells“ genannt: Europas Fortschritt darf niemanden ausschließen. Solidarität ist mit wirtschaftlichem Erfolg verbunden. 263 Haack, Karl Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 2, vgl. dazu Adam, Ruth, Ein Wirtschafts- und Sozialmodell für Europa?, S. 2. 264 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 7 f. 265 Haack, Karl Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 2. 266 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat – Nizza, 7.-10. Dezember 2000. 267 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 5.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Es besteht weder ein Dilemma noch ein Widerspruch zwischen wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt. Der Wohlfahrtsstaat ist kein Luxus, welcher nur bei wirtschaftlichem Erfolg gesichert werden kann, sondern ein produktiver Faktor.268
Bei allen Versuchen der Europäischen Kommission, ihre Kompetenzen im sozialen Bereich über das „Europäische Sozialmodell“ auszuweiten, ist ihr jedoch eines klar: Auch mit Hilfe des Konstrukts des Sozialmodells kann man nicht zu einer Neugründung eines mit supranationalem Mandat ausgestatteten „Europäischen Sozialstaats“ kommen. Dies hieße die Funktion des Sozialmodells zu überschätzen. Dafür fehlt es schon an einer der Grundvoraussetzungen – den Verteilungs- und Umverteilungsmechanismen. Sozialpolitik setzt ihrem Wesen nach eine öffentliche Institution voraus, die mehrere Funktionen erfüllen muss: Sie muss in der Lage sein, im Interesse des gesellschaftlichen Zusammenhalts Ziele zu setzen. Sie muss Mittel definieren können. Sie muss imstande sein, im Wege der Umverteilung oder der Lenkung der Wirtschaft die erforderlichen Mittel aufzubringen.269
Trotz gestiegener Durchlässigkeit der Sozialverbände durch verstärkte Nutzung der Freizügigkeit werden bedürftigkeitsabhängige und in der Regel steuerfinanzierte Leistungen noch stets nationalstaatsabhängig gewährt. Dieses Element stellt eine natürliche Grenze dar – erst wenn die Europäische Union selbst die Mittel hat, solche Verteilungsmechanismen vorzunehmen, wird von einem Europäischen Sozialstaat die Rede sein können. „Ohne Finanzierungsverantwortung ist Sozialpolitik nicht denkbar.“270 Die zweite Grenze ist der Einstimmigkeitsvorbehalt, der nach wie vor im Bereich der sozialen Sicherung vorgesehen ist. Dies gilt auch und im Besonderen für den Verfassungsvertrag. So hat auch die Verfassungsarbeitsgruppe XI „Soziales Europa“ in ihrem Abschlußbericht betont, dass die Politik der sozialen Sicherung unter Einstimmigkeit belassen werden solle, und weiterreichenden Veränderungen eine deutliche Absage erteilt. Der Modus der Einstimmigkeit schränke den politischen Raum der Kommission erheblich ein und belasse den Mitgliedstaaten sämtliche Freiheiten der Ablehnung in den Kernpolitiken von Sozialstaatlichkeit.271 268 Nach Herrmann, Peter, Gesamtbericht: Der Streit ist beigelegt – nun müssen wir uns ernsthaft auseinandersetzen, S. 72. 269 Schulz-Weidner, Wolfgang, Sozialversicherungsmonopole – ihre Einordnung und ihre Zulässigkeit nach europäischem Wirtschaftsrecht am Beispiel der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 57. 270 Schulz-Weidner, Wolfgang, Sozialversicherungsmonopole – ihre Einordnung und ihre Zulässigkeit nach europäischem Wirtschaftsrecht am Beispiel der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 57.
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Die Europäische Kommission selbst würde gerne gerade im Bereich der sozialen Politiken weg vom Einstimmigkeitserfordernis und hin zu Mehrheitsentscheidungen gelangen: ( . . . ) „C’est pourquoi aussi l’Union ne peut être paralysée par l’unanimité, que le Traité de Nice a laissé subsister dans trop de domaines de la politique sociale.“272 Damit beschränken sich die „Weiterentwicklungsversuche“ der Europäischen Kommission zur Zeit in einer mantraähnlichen Beschwörung des „Europäischen Sozialmodells“ und seiner Bedeutung. Letztlich wird das „Europäische Sozialmodell“ aber seitens der Europäischen Kommission nicht definiert und seine Prinzipien nicht schlüssig beschrieben. Vielmehr wird in den diversen dargestellten Bezugnahmen auf das „Europäische Sozialmodell“ wiederum die immer noch zu findende Verknüpfung zwischen „Wirtschaft“ und „Sozialem“ deutlich und damit die fehlende Erkenntnis, dass eine eigenständige Sozialpolitik für die Weiterentwicklung Europas von Bedeutung ist. So nimmt der Kommissar Stavros Dimas vor dem Europäischen Parlament im Mai 2004273 Stellung zum „Europäischen Sozialmodell“ und beschreibt es als „ein Modell, das sich auf gute wirtschaftliche Leistungen, ein hohes Sozialschutzniveau, einen hohen Bildungs- und Ausbildungsstand und sozialen Dialog stützt. Somit fördert das ,Europäische Sozialmodell‘ die parallele Entwicklung von wirtschaftlicher und sozialer Prosperität auf der Grundlage der Wechselwirkung zwischen wirtschaftlicher Effektivität und sozialem Fortschritt.“ Insoweit kann man feststellen, dass weder die Europäische Kommission noch andere europäische Institutionen oder Kommentatoren sich klar äußern, wie das „Europäische Sozialmodell“ zu definieren ist und wo seine Rechtsgrundlagen im Primärrecht zu finden sind. Es ist also weder bislang möglich gewesen, den Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ in der Wissenschaft zu definieren,274 noch der Europäischen Kommission oder einer der anderen europäischen Institutionen gelungen, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten den Rahmen des „Europäischen Sozialmodells“ und seine Grundelemente festzulegen. 271 Europäischer Konvent, Schlußbericht der Gruppe XI Soziales Europa, Rdnr. 59 und 62 und Rdnr. 6 der Zusammenfassung der Schlussfolgerungen; vgl. auch Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 17; vgl. auch Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der EU, S. 30. 272 Quintin, Odile, Le modèle économique et social européen: ambitions et priorités de la Commission, S. 9. 273 Dimas, Stavros anlässlich der Plenardebatte des Europäischen Parlaments am 4. Mai 2004; so auch schon Flynn, Pádraig, in: Europäisches Sozialmodell – Sozialer Dialog, S. 12 f. 274 So auch Herrmann, Peter, in: Soziale Dienste als Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU – Ziele, Zuständigkeiten, Rahmenbedingungen, S. 147.
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III. Grundlagen des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
Damit kann man konstatieren, dass es ein amorphes Gebilde „Europäisches Sozialmodell“ gibt, das von enormer Flexibilität getragen wird, die es erlaubt, den Begriff weit zu dehnen. Das hat den Vorteil, dass das Modell keinen Zwängen unterliegt hinsichtlich seines Inhalts und den Gegebenheiten angepasst werden kann, was – wie beschrieben – in der Vergangenheit geschehen ist. Es hat anderseits aber den Nachteil, dass es schwer ist, ein „Gebilde“ weiterzuentwickeln, wenn man sich nicht einmal seiner Eckpunkte sicher sein kann. Im folgenden soll deshalb versucht werden, auf der Grundlage der Vielzahl der dargestellten Beschreibungen des „Europäischen Sozialmodells“ zumindest die wichtigsten Eckpunkte festzulegen.
c) Aktuelle Komponenten des „Europäischen Sozialmodells“ Die Auswertung der verschiedenen Ansätze des „Europäischen Sozialmodells“ ergibt in einem ersten, ganz allgemeinen Schritt, drei Ergebnisse. Zum ersten besteht grundsätzlich zumindest insoweit Einigkeit, als das „Europäische Sozialmodell“ eine geistig und politikkulturelle Basis ist, das heißt, eine grundsätzlich positive Haltung der Mitgliedstaaten zur Weiterentwicklung der Sozialpolitik auf der europäischen Ebene ebenso beinhaltet, wie die Überzeugung vom Vorhandensein und dem Vorrang gemeinsamer Interessen und die grundsätzliche entsprechende Konsensbereitschaft. Zum zweiten wird ein enger Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen und der sozialen Dimension der europäischen Ebene gesehen, dem auch durch die Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ Rechnung getragen werden soll. Drittens kann man gleichzeitig feststellen, dass das „Europäische Sozialmodell“ nicht statisch ist. Man kann es als „work in progress“ bezeichnen, da es sich wandelt und den sich ändernden Bedingungen im Gemeinsamen Markt und der Europäischen Union anpasst.275 Diese Dynamik und Flexibilität erschweren zwar eine Definition, sind aber gleichzeitig erforderlich, um die soziale Komponente im europäischen Integrationsprozess weiterzuentwickeln. Die detailliertere Betrachtung und der Vergleich der verschiedenen Ansätze führen dann zu der wichtigen Erkenntnis, dass das wesentliche Charakteristikum des „Europäischen Sozialmodells“ seine Mehrdimensionalität ist. Damit kann es eben nicht einheitlich definiert werden, sondern man muss bei der Festlegung seiner Eckpunkte der Tatsache Rechnung tragen, dass es auf verschiedenen Ebenen stattfindet, und dementsprechend einen mehrdimensionalen Ansatz anwenden und zwar: 275 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 76.
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inhaltlich nach den umfassten Bereichen rechtlich nach den Rechtsgrundlagen, auf denen es beruht institutionell nach den Akteuren und den von ihnen ins Spiel gebrachten Interessenslagen formal nach den eingesetzten Verfahren.
aa) Inhaltliche Eckpunkte Übereinstimmung bei der Diskussion um das Sozialmodell gibt es bezüglich wesentlicher Kernpunkte seines Inhalts und Umfangs. Die Auswertung der unterschiedlichen Ansätze ergibt, dass die Bereiche „Gesundheit“, „Erziehung“, „Dienste im allgemeinen Interesse“, „Sozialschutz“, „Sozialer Dialog“, „Arbeitnehmerbeteiligung“, „Ausbildung“ und „Chancengleichheit“ als auch die „social inclusion“ sowie die „industriellen Beziehungen“ als Schlüsselelemente immer wieder auftauchen und vielfach genannt werden.276 Wesentliche inhaltliche Kennzeichen sind somit: ausgebaute Systeme der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes277 mit Unterpunkten wie z. B.: – Alter – Hinterbliebene – Familie / Kinder – Arbeitslosigkeit – Wohnen – soziale Ausgrenzung – Invalidität umfassender Arbeitnehmerschutz staatlich organisierte Bildungssysteme mit sozialen Unterstützungen zur Herstellung von Bildungschancengleichheit korporatistische Strukturen zwischen den Sozialpartnern, den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und dem Staat278 Black, Boyd, What is European in the European Social Model?, S. 2. Vgl. dazu auch Parent, Anne-Sophie, Soziale Dienste und Gemeinwohl. Die Perspektiven von Nichtregierungsorganisationen im sozialen Bereich, S. 24; Enjolras, Bernard, Gemeinwohl und soziale Dienste in der Europäischen Union, S. 30; vgl. dazu Europäische Kommission, Eine konzertierte Strategie zur Modernisierung des Sozialschutzes, S. 5 und 7. 278 Hoffmann, Lutz / Meinhardt, Volker, Europäisches Sozialmodell als Produktivitätsfaktor, S. 16. 276 277
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Krankheits- / Gesundheitsversorgung Chancengleichheit.
bb) Kompetenzielle Eckpunkte Auf die rechtlichen Eckpunkte gehen die Autoren regelmäßig nicht ein. Festzustellen ist allerdings eine gewisse Tendenz, davon auszugehen, dass die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft eher begrenzt sind. Die Klärung dieser Frage ist einer der noch zu behandelnden Schwerpunkte der Arbeit. Bei den kompetenziellen Eckpunkten kulminiert auch die Frage, welche Ebene für die Entwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ zuständig ist. Hier lassen sich fünf weitere Bereiche relativer Gemeinsamkeiten identifizieren, die in nationalstaatlicher Verantwortung liegen: Generelle Zuschreibung von sozialer Verantwortlichkeit an den Staat, verbunden mit seiner Funktion als „Verteiler finanzieller Leistungen“. Schutz vor Verarmung. Relative Zugänglichkeit von Gesundheitsleistungen für die Gesamtbevölkerung. Kooperation von Kapital und Arbeit. Generosität in der Alterssicherung.279
Dagegen wird die Frage der Zuständigkeit und der Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft uneinheitlich beantwortet. Auf sie soll im folgenden in der Arbeit detailliert eingegangen werden. cc) Verfahrensbezogene Eckpunkte Mit Blick auf die verfahrensbezogenen Eckpunkte ist festzustellen, dass am häufigsten auf den „Sozialen Dialog“ und die „Offene Methode der Koordinierung“ zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ Bezug genommen wird. Damit kann man feststellen, dass die Eckpunkte des „Europäische Sozialmodell“ sich konzentrieren auf die Bereiche „Sozialschutz im weitesten Sinne“, „Gesundheit“, „Erziehung und Ausbildung“, „industrielle Beziehungen“ sowie „Chancengleichheit und Antidiskrimierung“. Die Verantwortung für die Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ auf einer rechtlich abgesicherten, allerdings bislang nicht definierten Basis wird sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene gesehen, und als Mittel seiner Umsetzung wird vor allem auf 279 Alle nach Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 2.
5. Definition des aktuellen „Europäischen Sozialmodells“
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den „Sozialen Dialog“ und die Möglichkeiten der „Offenen Methode der Koordinierung“ Bezug genommen. Wenn diese Elemente weiterentwickelt werden sollen, bedarf es allerdings eines entsprechenden Unterbaus, eines Systems, das auf Kompetenzen basiert, Interessen wahrt und sich nicht in unkontrollierbarer Vielfalt entwickelt, sondern geordnete Bahnen wählt. Deshalb ist in einem nächsten Schritt zu klären, welche Handlungsformen – rechtlich verbindlich und unverbindlich – der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, um die soziale Dimension weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage zu klären sein, wie die Kompetenzaufteilung zwischen Europäischer Gemeinschaft und Mitgliedstaaten auszugestalten ist, ob die Europäische Union einen umfassenden Gestaltungsauftrag erhält oder ob die Nationalstaaten weiterhin die zentralen sozialpolitischen Akteure bleiben sollen.
IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands 7. THESE: Die zahlreichen Instrumente, die im Rahmen der Konkretisierung des „Europäischen Sozialmodells“ eingesetzt werden, sind nicht koordiniert.
Grundlage für die europäische Einigung als Kernziel von Union und Gemeinschaft ist das Recht. Es handelt sich um ein unabhängiges Rechtssystem, das Vorrang vor den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften hat. An seiner Einführung, Überwachung und Weiterentwicklung sind – im Rahmen unterschiedlicher Verfahren – gem. Art. 7 EGV mehrere Organe (Europäisches Parlament, Rat, Europäische Kommission, Europäischer Gerichtshof, Europäischer Rechnungshof) beteiligt. Das Gemeinschaftsrecht besteht aus verschiedenen, aber miteinander verwobenen Arten von Rechtsquellen, dem Primärrecht, dem Sekundärrecht und der Rechtsprechung. Während das Primärrecht aus den Verträgen und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen besteht, versteht man unter dem Sekundärrecht das Recht, das die Organe der Gemeinschaft selbst setzen.1 Primärrecht Das Primärrecht besteht in erster Linie aus den Verträgen und sonstigen Vereinbarungen, die unmittelbar zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten ausgehandelt werden. Diese Vereinbarungen erhalten die Form von Verträgen, die von den nationalen Parlamenten angenommen werden müssen. Das gleiche Verfahren gilt für spätere Änderungen der Verträge. Die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften wurden mehrfach geändert, namentlich durch: die Einheitliche Europäische Akte (1986) den Vertrag über die Europäische Union – „Vertrag von Maastricht“ (1992) den Vertrag von Amsterdam (1997) den Vertrag von Nizza (2001)
Die Verträge legen auch die Rolle und Zuständigkeit der am Beschlussfassungsverfahren beteiligten Organe und Einrichtungen sowie die Legislativ-, Exekutivund Rechtsprechungsverfahren des Gemeinschaftsrechtes fest.
1
Lorenzmeier, Stefan / Rohde, Christian, Europarecht schnell erfasst, S. 156.
IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
111
Sekundärrecht Gemäß Art. 161 Abs. 1 EAGV erlassen der Rat und die Europäische Kommission und gem. Art. 249 Abs. 1 EGV zusätzlich das Europäische Parlament und der Rat gemeinsam „Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen, sprechen Empfehlungen aus und geben Stellungnahmen“ ab. Damit wird entsprechend dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung der Katalog der Rechtshandlungen der zur (Sekundär-)Rechtssetzung berufenen Gemeinschaftsorgane festlegt. Sonstige Instrumente Im übrigen können die Organe durch folgende, nicht ausdrücklich im Vertrag vorgesehene Handlungsformen tätig werden: Beschlüsse: Verbindliche Rechtshandlungsform mit normativem Charakter, die sich durch ihre zunächst potenzielle Verbindlichkeit von Entschließungen unterscheiden, da der Rechtsbindungswille des erlassenden Organs im Einzelfall zu prüfen ist.2 Mitteilungen: Formulierung von generellen Aussagen über die Handhabung bestimmter Befugnisse der Europäischen Kommission, in der Regel i.V.m. Fragestellungen, oft auf Bitten des Rates, die dann den Staats- und Regierungschefs, den EU-Institutionen aber auch vermehrt der Zivilgesellschaft und den Bürgern (in Form von online-Konsultationen) zur Beratung und Stellungnahme vorgelegt werden.3 Grünbücher: Konsultationsdokumente der Europäischen Kommission zu grundlegenden Fragen, die einen Problemaufriß beinhalten und konkrete Fragen stellen, die u. a. von der Öffentlichkeit (oft durch online-Konsultationen) zu beantworten sind.4 Weißbücher: Folgedokument zu einem Grünbuch mit konkreten Vorschlägen für ein gemeinschaftliches Vorgehen bei bestimmten Problemen. In der Regel ist auch hier eine Stellungnahme möglich.
Rechtsprechung Die Rechtsprechung umfasst Urteile des Europäischen Gerichtshofes und des Gerichtes erster Instanz in Streitsachen, die z. B. von der Europäischen Kommission, von innerstaatlichen Gerichten der Mitgliedstaaten oder Einzelpersonen vorgelegt werden. Die Rechtsprechung des EuGH hat entscheidend zur Weiterent2 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 30. 3 Vgl. Kugelmann, Dieter, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 211 EGV Rdnr. 38. 4 Vgl. Kugelmann, Dieter, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 211 EGV Rdnr. 39.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
wicklung des sozialrechtlichen Bestandes beigetragen.5 Auf ihrer Grundlage wurde eine Vielzahl von Verordnungen und Richtlinien erlassen bzw. angepasst.6 Protokollerklärungen In der Praxis werden häufig in Bezug auf Sekundärrechtsakte Erklärungen zu Protokoll des Rates abgegeben, um ein bestimmtes Verständnis des betreffenden Rechtsaktes zu dokumentieren. Als Auslegungshilfe können jedoch allenfalls Erklärungen des Rates als Gesetzgeber, die nicht in Widerspruch zu dem Inhalt des Rechtsaktes stehen, berücksichtigt werden. Erklärungen einzelner Mitgliedstaaten sind insoweit genauso irrelevant wie Erklärungen der Europäischen Kommission. Letztere können allenfalls deren politische Selbstbindung bewirken.7 Im Gegensatz dazu sind Erklärungen zum primären Gemeinschaftsrecht, das durch völkerrechtliche Verträge geschaffen wird, nach Maßgabe des Art. 31 Abs. 2 WVRK verbindlich.8 Bei der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ werden die unterschiedlichsten Instrumente seitens verschiedener Akteure eingesetzt. Das Spektrum reicht von rechtlich verbindlichen bis zu unverbindlichen Maßnahmen, von Verordnungen über Förderprogramme bis hin zum Dialog mit diversen Akteuren und Interessenvertretern, der in der Form des „Sozialen Dialogs“ sogar institutionalisiert ist. Im folgenden wird der Versuch unternommen, eine Klassifizierung der Instrumente in drei übergeordneten Kategorien vorzunehmen: Rechtlich verbindliche Instrumente9, die von allen Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen beachtet werden müssen. Dazu zählen Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Beschlüsse und die Urteile des EuGH. Finanzielle Instrumente, die erst bei ihrer Inanspruchnahme für den Empfänger der finanziellen Zuwendung rechtlich verbindlich werden, dann aber über die finanzielle Unterstützung bestimmter Maßnahmen die nationalen Politiken, z. B. auch im Bereich der Beschäftigung oder der Aus- und Weiterbildung, beeinflussen können. Zu nennen sind insbesondere die Strukturfondsmittel, die Förderprogramme, die Haushaltslinien und die sonstigen Einzelausschreibungen. Vgl. dazu z. B. Fuchs, Maximilian, Europäisches Sozialrecht, S. 25 – 29. Vgl. dazu z. B. Richtlinie 2003 / 88 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU L 299 / 9 vom 18. 11. 2003. 7 So Streinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 471. 8 So Streinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 472. 9 Vgl. zu den rechtlichen Instrumenten ausführlich Streinz, Rudolf, Europarecht, § 5 II; Hailbronner, Kay / Jochum, Georg, Europarecht I, Grundlagen und Organe, Rdnr. 527 ff., 843; Wank, Rolf, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 9. 5 6
1. Rechtliche Instrumente
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Sonstige Instrumente, die zwar unverbindlich sind, durch ihre Interaktion zwischen den Partnern auf europäischer Ebene, wie im Fall der Zivilgesellschaft oder des Sozialen Dialogs, aber letztlich auch beeinflussend auf die sozialen Entwicklungen einwirken und nicht unterschätzt werden dürfen. Bei den sonstigen Instrumenten ist zu unterscheiden zwischen den Meinungsäußerungen und speziellen Verfahren. Meinungsäußerungen finden sich in Form von: – Mitteilungen – Empfehlungen und Stellungnahmen – Erklärungen – Grünbüchern – Weißbüchern.
Bei den Verfahren handelt es sich um: – Offene Methode der Koordinierung – Sozialer Dialog – Netzwerkbildungen – Dialog mit der Zivilgesellschaft – Corporate Governance – Mainstream-Ansätze.
Im folgenden sollen die vielfältigen Einflüsse dargestellt werden, denen das „Europäische Sozialmodell“ ausgesetzt ist. Das reicht von den konkreten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten über finanzielle Instrumente bis hin zu sonstigen Formen der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme, wobei der Begriff „Instrumente“ untechnisch zu verstehen ist, im Sinne von „Formen der Einflussnahme.“
1. Rechtliche Instrumente a) Verordnungen Verordnungen besitzen gem. Art. 249 Abs. 2 S. 1 EGV „allgemeine Geltung“. Sie sind nach Art. 249 Abs. 2 S. 2 EGV in allen ihren Teilen verbindlich und gelten „unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“. Die Mitgliedstaaten haben EG-Verordnungen durch ihre nationalen Behörden und Gerichte zu beachten und zu vollziehen. Sie haben alle Maßnahmen zu unterlassen, die die unmittelbare Geltung der Verordnungen in Frage stellen oder auch nur diesen Anschein erwecken. Wenn eine Verordnung Regelungen enthält, die nationale Durchführungsakte erforderlich machen, sind die Mitgliedstaaten durch Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EGV verpflichtet, diese zu erlassen. Sie dürfen dabei allerdings keine Maßnahmen ergreifen, die eine Än-
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
derung der Tragweite einer Verordnung oder eine Ergänzung ihrer Vorschriften zum Gegenstand haben.10 Verordnungen im Rahmen der sozialen Dimension finden sich aufgrund der begrenzten Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft vor allem im Bereich der Freizügigkeit. Zu nennen sind u. a. die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft11, die Verordnung über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben,12 oder die Verordnung bezüglich der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer.13
b) Richtlinien Gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV ist eine Richtlinie für die Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt es aber diesen, die Form und die Mittel auszuwählen, die sie für die Erreichung des Ziels als geeignet ansehen. Kennzeichen der Richtlinie ist somit ihre gestufte Verbindlichkeit. Sie gilt nur hinsichtlich der festgesetzten Ziele im Gegensatz zur Verordnung, die in allen ihren Teilen verbindlich ist. Die Konstruktion der Richtlinie ist ein Kompromiss zwischen den Erfordernissen einheitlichen Rechts innerhalb der Gemeinschaft und weitestmöglicher Bewahrung nationaler Eigentümlichkeiten. Daher wurden Richtlinienkompetenzen insbesondere in solchen Sachbereichen vorgesehen, wo es um Angleichungen, nicht aber notwendig um Vereinheitlichungen nationalen Rechts geht. Der Nachteil der Richtlinie ist ihre Umsetzungsbedürftigkeit, die wegen fehlender, verzögerter oder unzureichender Umsetzung durch die Mitgliedstaaten zu Defiziten in der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts geführt hat. In bestimmten Fällen hat der EuGH eine unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung in den Mitgliedstaaten bejaht.14 Dieser Auffassung liegt zum einen die Überlegung zugrunde, dass die praktische Wirksamkeit („effet utile“) einer Richtlinie erheblich beeinträchtigt würde, wenn es jeder Mitgliedstaat in der Hand hätte, den Eintritt der in der Richtlinie beabsichStreinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 431. Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. EG L 257 vom 19. 10. 1968, S. 2 – 12. 12 Verordnung (EWG) Nr. 1251 / 70 vom 29. Juni 1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben, ABl. EG L 142 vom 30. 6. 1970, S. 24 – 26. 13 Verordnung (EG) Nr. 883 / 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU L 166 / 1 vom 30. 04. 2004. 14 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 102. 10 11
1. Rechtliche Instrumente
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tigten Rechtswirkungen dadurch hinauszuzögern oder ganz zu vereiteln, dass er mit der Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht wartet. Die Möglichkeit, in solchen Fällen ein Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 226 EGV einzuleiten, ist zur Sicherung des Gemeinschaftsrechts nicht hinreichend. Zum einen kann es die Verzögerung nicht verhindern, zum anderen ergeht lediglich ein Feststellungsurteil. Dieser Sanktionsgedanke, wonach es den Mitgliedstaaten verwehrt sein soll, den Bürgern, die sich auf Vergünstigungen einer Richtlinie berufen, deren gemeinschaftsrechtswidrige Nichtumsetzung entgegenzuhalten, ist der zweite tragende Grund dieser Rechtsprechung.15 Strittig ist die sog. „horizontale Wirkung“ von Richtlinien. Darunter versteht man ihre Heranziehung in der Beurteilung eines Rechtsverhältnisses zwischen privaten Rechtsteilnehmern. Dafür sprechen die „nützliche Wirkung“ und die Tatsache, dass in einem Streitfall letztlich ein staatliches Gericht entscheiden muss, die Richtlinie sich aber an den Mitgliedstaat richtet und für diesen und seine Organe verbindlich ist. Diese vertikale Adressatenrichtung der Richtlinie sowie die rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Belastung des Individuums durch eine nicht an dieses gerichtete Richtlinie sprechen aber gerade gegen die horizontale Wirkung gegenüber Individuen. Der EuGH hat daher zu Recht in gefestigter Rechtsprechung16 eine horizontale Wirkung von Richtlinien abgelehnt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH17 gibt es aber eine unmittelbare vertikale Wirkung von Richtlinien, die folgende Voraussetzungen hat: Die Richtlinie muss so hinreichend genau formuliert sein, dass daraus unmittelbar (ohne Umsetzungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber) Rechte abgeleitet werden können („Self-executing“-Charakter der Richtlinie). Die zur Zielerreichung in der Richtlinie gestellte Frist muss abgelaufen sein.
Da Richtlinien den Mitgliedstaaten einen größeren Spielraum bei der Umsetzung ermöglichen, sind sie das vertraglich bevorzugte rechtliche Regelungsinstrument im sozialen Bereich. So finden sich zahlreiche arbeitsrechtliche Vorschriften (Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit, Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer), Regelungen zur Antidiskriminierung und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, wie z. B. die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf 15 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 103 f. 16 Urteil des Gerichtshofs vom 14. Juli 1994, Rs. C-91 / 92, Paola Faccini Dori / RECREB SRL, Slg. 1994, S. I-3325, 2. Leitsatz. 17 Urteil des Gerichtshofs vom 09. März 2004, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01, Bernhard Pfeiffer u. a. / Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., Rdnr. 103, Slg. 2004, I-8835 m. w. N. auf die ständige Rechtsprechung.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
die Arbeitsbedingungen18, die Richtlinie zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis19, die Richtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung 20, die Richtlinie über den Jugendarbeitsschutz21 oder die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.22
c) Entscheidungen Gemäß Art. 249 Abs. 4 EGV sind Entscheidungen für ihre Adressaten in allen ihren Teilen verbindlich. Sie haben individuelle Geltung, da der Adressat individuell bezeichnet und gebunden wird. Damit ist die Entscheidung einem Verwaltungsakt nach deutschem Recht vergleichbar.23 Die Adressaten der Entscheidung werden entweder ausdrücklich genannt oder sie sind individualisierbar. Letzteres grenzt die Entscheidung von der Verordnung ab. Zuständig zum Erlaß von Entscheidungen sind Rat und Kommission. Entscheidungen können sich an Individuen und gegen Mitgliedstaaten richten. Beide sind zur Befolgung verpflichtet, wobei Entscheidungen, die eine Zahlung auferlegen, nur gegenüber Individuen vollstreckbar sind.24 Aus dem Gesundheitsbereich kann z. B. auf Entscheidungen der Kommission zur Erfassung und Meldung von übertragbaren Krankheiten25 verwiesen werden. 18 Richtlinie 2002 / 73 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76 / 207 / EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. EG L 269 / 15 vom 05. 10. 2002. 19 Richtlinie des Rates vom 25. Juni 1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis (91 / 383 / EWG), ABl. EG L 206 / 19 vom 29. 07. 1991. 20 Richtlinie 2000 / 34 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 2000 zur Änderung der Richtlinie 93 / 104 / EG des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung hinsichtlich der Sektoren und Tätigkeitsbereiche, die von jener Richtlinie ausgeschlossen sind, ABl. EG L 195 / 41 vom 01. 08. 2000. 21 Richtlinie 94 / 33 / EG des Rates vom 22. Juni 1994 über den Jugendarbeitsschutz, ABl. EG L 216 / 12 vom 20. 08. 1994. 22 Richtlinie 2000 / 78 / EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG L 303 / 16 vom 02. 12. 2000. 23 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 132. 24 Oppermann, Thomas, Europarecht, § 6 Rdnr. 99.
1. Rechtliche Instrumente
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d) Beschlüsse Eine rechtliche Fixierung des „Beschlusses“ findet sich im Vertrag nicht. In der Gemeinschaftspraxis wird der Ausdruck „Beschluss“ für Rechtsakte mit normativem Charakter und allgemeiner Tragweite verwendet, die sich von den Entscheidungen i.S.v. Art. 249 Abs. 4 EGV unterscheiden. Typisch für Beschlüsse ist zunächst ihre Verbindlichkeit, durch die sie sich von bloßen Entschließungen unterscheiden, wobei allerdings der Rechtsbindungswille des erlassenden Organs im Einzelfall zu prüfen ist. Im Gegensatz zur Entscheidung und zu Richtlinien sind Beschlüsse nicht an einen bestimmten Adressaten gerichtet. Der Unterschied zur Verordnung besteht darin, dass Beschlüsse unmittelbare Bindungswirkung nur für die Gemeinschaft und ihre Einrichtungen entfalten. Rechtliche Verpflichtungen für Mitgliedstaaten oder gar für einzelne sind dagegen in Beschlüssen nicht enthalten.26 Ein typischer Anwendungsbereich für Beschlüsse sind die Förder- und Aktionsprogramme, so z. B. die Durchführung des Europäischen Jahrs der Menschen mit Behinderungen 200327 oder das Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft.28 e) EuGH-Urteile Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hat wesentlich zur Gestaltung des europäischen Sozialraumes beigetragen.29 Der Anteil sozialrechtlicher Fälle an der Gesamtzahl der Verfahren vor dem EuGH stieg im Zeitraum von 1968 – 1992 von 6,3 Prozent auf 22,8 Prozent. Dabei handelte es sich zum großen 25 Entscheidung der Kommission vom 19. März 2002 zur Festlegung von Falldefinitionen für die Meldung übertragbarer Krankheiten an das Gemeinschaftsnetz gemäß der Entscheidung Nr. 2119 / 98 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates (bekanntgegeben unter Aktenzeichen K (2002) 1043), ABl. EG L 86 / 44 vom 03. 04. 2002; Entscheidung der Kommission vom 22. Dezember 1999 betreffend die von dem Gemeinschaftsnetz nach und nach zu erfassenden übertragbaren Krankheiten gemäß der Entscheidung Nr. 2119 / 98 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates (bekanntgegeben unter Aktenzeichen K(1999) 4015), ABl. EG L 28 / 50 vom 03. 02. 2000. 26 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 29 f. 27 Beschluss des Rates vom 3. Dezember 2001 über das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 (2001 / 903 / EG), ABl. EG L 335 / 15 vom 19. 12. 2001. 28 Beschluss des Rates vom 26. Januar 2004 über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft (Bürgerbeteiligung), 2004 / 100 / EG, ABl. EU L 30 / 6 vom 04. 02. 2004. 29 So Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 100 ff.; vgl. dazu auch Herdegen, Matthias, Europarecht, S. 387, Rdnr. 7 ff.; ausführlich dazu Ewert, Holm A., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts; vgl. dazu auch Clever, Peter, Rechtsprechung des EuGH im Sozialbereich auf dem Prüfstand, S. 4 ff.
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Teil um Urteile, die die Mobilität der Arbeitnehmer und die Harmonisierung von Produktstandards betrafen.30 Bis zum Jahr 1995 gab es über 350 Urteile zu sozialrechtlichen Fragen.31 Nach dem Wortlaut des Art. 220 EGV sichern der Gerichtshof und das Gericht erster Instanz im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags und schaffen nicht selber Recht. Trotzdem werden die Entscheidungen des EuGH zum Teil in den gemeinschaftlichen Rechtsquellenkanon einbezogen.32 Begründet wird dies mit Art. 7 Abs. 1 EGV, der den EuGH als Organ neben Rat, Kommission und Parlament stellt, so dass die Gegenmeinung eine funktionale Betrachtung die Rechtsprechung mit der Gesetzgebung auf eine Stufe stellt.33 Zum anderen haben einige EuGH-Urteile quasi-normative Wirkung. Entscheidungen des EuGH, die den Vorrang, die unmittelbare Geltung und die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts, der Gemeinschaftsgrundrechte oder die Staatshaftung wegen der Verletzung von Gemeinschaftsrecht betreffen, besitzen eine Tragweite, die sich von der Wirkung legislativer Entscheidungen nicht unterscheidet. Zumindest sofern unter Ausschöpfung der Auslegungsmethoden mehrere gleichwertige Lösungen vertretbar sind, wird das Richterrecht zur echten Rechtsquelle, weil es insoweit normativ konstitutive Wirkung hat.34 Schließlich gehören zum Primärrecht auch die vom EuGH entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze und Prinzipien, wie die rechtsstaatlich gebotenen Garantien des Verwaltungsverfahrens, die Gemeinschaftsgrundrechte oder der Vorrang des Gemeinschaftsrechts.35 Viel diskutierte Urteile auf sozialem Gebiet waren das sog. „Kalanke-Urteil“36 und das Urteil zur Anrechnung von Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit37, die beide in 30 Schieritz, Mark, Warum nicht sozialer? Die EU braucht mehr sozialpolitische Kompetenzen – und sie muß diese nutzen, forum recht, Heft 1 / 2000. 31 Lenz, Otto, Der Beitrag der Rechtsprechung zur Entwicklung des Europäischen Sozialrechts, S. 15. 32 So z. B. Herdegen, Matthias, Europarecht, S. 148, Rdnr. 15 ff.; Streinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 412 ff.; Lorenzmeier, Stefan / Rohde Christian, Europarecht schnell erfasst, S. 145. 33 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 35 m. w. N. 34 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 35. 35 Streinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 412 ff.; Herdegen, Matthias, Europarecht, S. 148, Rdnr. 15 ff. 36 Urteil des Gerichtshofs vom 17. Oktober, Rs. C-450 / 93, Eckhard Kalanke / Freie Hansestadt Bremen 1995, Slg. 1995, S. I-3051. 37 Urteil des Gerichtshofs vom 09. März 2004, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01, Bernhard Pfeiffer u. a. / Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V., Slg. 2004, S. I-2315.
2. Finanzielle Instrumente
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ihrem jeweiligen Regelungsbereich die Rechtsfortbildung beeinflusst haben. Das „Kalanke-Urteil“ wurde bei der Ausarbeitung der gemeinschaftlichen Regelungen zur Chancengleichheit herangezogen, während das Urteil zum Bereitschaftsdienst Auswirkungen auf die Neuformulierung der Arbeitszeitrichtlinie hatte.38
2. Finanzielle Instrumente a) Strukturfondsmittel Wichtigste Zielsetzung der europäischen Strukturpolitik ist die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der Europäischen Union. Durch die kombinierte Tätigkeit aller Strukturfonds sollen die Ungleichgewichte in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zwischen den Regionen der Gemeinschaft abgebaut werden. Grundlage der Strukturfondsmittel sind die drei großen Fonds ESF39 – EFRE40 – EAGFL,41 die rechtlich in den Strukturfondsverordnungen42 fixiert sind. Aus den Strukturfondsmitteln werden die Gemeinschaftsinitiativen finanziert, die mit erheblichen Mitteln ausgestattet sind. Die im sozialen Kontext bekanntesten Gemeinschaftsinitiativen sind EQUAL zur strategischen Umsetzung beschäftigungspolitischer Maßnahmen43 und INTERREG III zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der Europäischen Union anhand der Förderung grenzübergreifender, transnationaler und interregionaler Zusammenarbeit und ausgewogener räumlicher Entwicklung.44 38 Vgl. zum Einfluß des EuGH zum Beispiel Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, S. 3. 39 Europäischer Sozialfonds; vgl. dazu auch Europäische Kommission, Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik der EU 1999 – 2001 Arbeit Zusammenhalt Produktivität, S. 8 f. 40 Europäischer Fonds für regionale Entwicklung. 41 Europäischer Landwirtschaftsfonds. 42 Europäische Kommission, Verordnung (EG) Nr. 1083 / 2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260 / 1999, ABl. EU L 210 / 25 vom 31. 07. 2006; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Verordnung (EG) Nr. 1080 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1783 / 1999, ABl. EU L 210 / 1 vom 31. 07. 2006; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Verordnung (EG) Nr. 1081 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1784 / 1999, ABl. EU L 210 / 12 vom 31. 07. 2006; die einzelnen Vorschläge, die für die soziale Dimension von Bedeutung sind, können im Internet abgefragt werden unter: http: //ec.europa.eu/regional_policy/sources/docoffic/official/regulation/newregl0713_en.htm. 43 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/esf2000/indexde.htm.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
b) Förderprogramme Förderprogramme sind gemeinschaftliche Förderinstrumente, die in erster Linie dem gegenseitigen Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten dienen. Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union veröffentlicht die Europäische Kommission detaillierte Leitlinien und Ausschreibungsunterlagen, auf deren Grundlage dann die Projektvorschläge eingereicht werden können. Dabei kann es sich z. B. um Konferenzen, Seminare, Studienbesuche, Praktika, grenzüberschreitende Pilotprojekte, Maßnahmen für besonders benachteiligte Gruppen oder Informationskampagnen handeln. Bekannte Beispiele für Förderprogramme im sozialen Bereich45 sind das Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung (2002 – 2006)46, das Aktionsprogramm der Gemeinschaft betreffend die Gemeinschaftsstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2001 – 2005)47, das Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen48 oder der Vorschlag für das Gemeinschaftsprogramm PROGRESS49. Der Einfluß der Vergabe von EU-Fördermitteln ist nicht zu unterschätzen. So orientieren sich die Antragsteller an den von der EU vorgegebenen Zielen. Dieser Einfluß wird noch verstärkt durch die nationalen Zielvorgaben, die es einzuhalten gilt, um die Ko-Finanzierung zu sichern.50
c) Haushaltslinien Art. 5 Abs. 1 der Haushaltsordnung für den Gesamthaushalt der Europäischen Gemeinschaften bestimmt, dass Einnahmen nur angenommen und Ausgaben nur getätigt werden können, wenn sie in einer Haushaltslinie veranschlagt sind.51 Mit Im Internet unter: http: //europa.eu.int/comm/regional_policy/interreg3/index_de.htm. Vgl. umfassend zu den Förderprogrammen im sozialen Bereich, Müller, Ute / Prunzel, Regine, Soziales Europa – Das Handbuch der EU-Förderinstrumente; Prunzel, Regine, Förderung durch Europa, Stadt und Gemeinde, 03 / 98, S. 10 – 13. 46 ABl. EG L 10 / 1 vom 12. 01. 2002. 47 ABl. EG L 17 / 22 vom 19. 01. 2001. 48 ABl. EG L 303 / 23 vom 02. 12. 2000. 49 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Geänderter Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität – PROGRESS, KOM (2005) 536 endg. vom 21. 10. 2005. 50 Falkner, Gerda, Zwischen Gestaltungslücke und integrativen Kooperationseffekten: Wohlfahrtsstaat und Integration aus Sicht des historischen Institutionalismus, S. 12. 51 Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605 / 2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG L 44 45
2. Finanzielle Instrumente
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Hilfe von Haushaltslinien, die im Gesamthaushaltsplan aufgeführt sind, können auf der Grundlage von spezifischen Leitlinien, die in jedem Einzelfall gesondert festgelegt werden, kleinere grenzübergreifende Pilotprojekte und vorbereitende Maßnahmen wie z. B. Konferenzen, Sachverständigentreffen, Analysen, Studien, etc. zu europaweiten Themen in einem Zeitraum von maximal einem Jahr finanziert werden. Beispiele für solche Haushaltslinien sind: Haushaltslinie Artikel 040502: „Gemeinschaftsstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern“. Haushaltslinie Artikel 040402: „Sozialschutz und Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden“. Haushaltslinie Posten 04040202: „Maßnahmen zur Bekämpfung und Verhütung der sozialen Ausgrenzung“. Haushaltslinie Artikel 040407: „Bildungspolitische Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus“. Haushaltslinie Artikel 040408: „Pilotprojekt ENEA zur Förderung des aktiven Alterns und der Mobilität älterer Menschen“. Haushaltslinie Artikel 040410: „Pilotprojekt zum Mainstreaming von Maßnahmen im Bereich Behindertenarbeit: Weiterführende Initiative zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen“.52
d) Ausschreibungen Unter Ausschreibungen wird die Bereitstellung von finanziellen Mitteln verstanden, um – außerhalb der regulären Förderprogramme – Einzelmaßnahmen zu finanzieren, die regelmäßig als Grundlage weiterer Entwicklungen auf europäischer Ebene dienen. Dazu gehören z. B. Pilotprojekte oder Studien zu Einzelthemen, die man auf europäischer Ebene klären möchte oder die einen Überblick über die Situation in den Mitgliedstaaten liefern. Die Ausschreibung wird in der Regel im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und ermöglicht es dem jeweils angesprochenen Personenkreis, sich zu bewerben. Die Entscheidung über den Zuschlag ergeht dann regelmäßig auf der Grundlage der Entscheidung einer Auswahlkommission und wird ebenso veröffentlicht. 248 / 1 vom 16. 09. 2002; Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342 / 2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1065 / 2002 des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG L 357 / 1 vom 31. 12. 2002. 52 Endgültige Feststellung des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2005, Abl. EU L 60 / 1 vom 08. März 2005 und hinsichtlich der einzelnen Haushaltslinien Haushaltsplan online, im Internet unter: http: //europa.eu.int/eur-lex/budget/ www/index-de.htm.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
Exemplarisch zu nennen sind hier: Studie über die sozialen Auswirkungen der Globalisierung in der EU53 Studie über Armut54 und soziale Ausgrenzung von Alleinerzieher-Haushalten55 Studie über die soziale Dimension in den Beitrittskandidatenländern56 Studie zu „Armut und soziale Ausgrenzung in ländlichen Gegenden“57 Studie zur „Messung der Obdachlosigkeit auf EU-Ebene“58 Studie zur „Einrichtung eines Netzwerks ,Soziales Kapital‘ (Sozialer Zusammenhalt, Vertrauen und Partizipation) im Rahmen der neuen Europäischen Beobachtungsstelle, deren Ziel es ist, die sozialpolitische Debatte zu fördern und durch einschlägige Analysen einen Beitrag zum Bericht über die soziale Lage in der Europäischen Union zu leisten“59 „Mapping“-Studie über bestehende nationale Rechtsvorschriften und ihre Auswirkungen bei der Bekämpfung von Diskriminierungen – außerhalb des Bereichs Beschäftigung und Beruf – aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters und der sexuellen Ausrichtung.60
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten a) Empfehlungen und Stellungnahmen Gemäß Art. 249 Abs. 5 EGV sind Empfehlungen und Stellungnahmen nicht verbindlich. Ungeachtet ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit kommen ihnen aber politische Wirkungen zu. In einigen Fällen haben sie auch rechtliche Erheblichkeit als Prozessvoraussetzung (Art. 226 EGV), so als begründete Stellungnahme der Kommission vor Klageerhebung oder als Voraussetzung für Organhandeln.
53 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/calls/2005/vt_ 2005_027/tender_de.htm. 54 Gallie, Duncan / Paugam, Serge, Social Precarity and Social Integration. 55 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/calls/2005/vt_ 2005_018/tender_ de.htm. 56 Im Internet unter: http: //ec.europa.eu/employment_social/emplweb/tenders/index_2005 _tenders_de.cfm. 57 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/calls/2005/vt_ 2005_020/tender_ de.htm. 58 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/calls/2005/vt_ 2005_024/tender_ de.htm. 59 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/calls/2005/vt_ 2005_025/tender_ de.htm. 60 Im Internet unter: http: //ec.europa.eu/employment_social/emplweb/tenders/index_ 2005_tenders_de.cfm.
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten
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Nationale Gerichte haben Empfehlungen und Stellungnahmen bei der Auslegung nationaler Rechtsvorschriften zu berücksichtigen, wenn diese Aufschluß über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts und über den Inhalt gemeinschaftsrechtlicher Regelungen geben können.61 Ziel und Zweck von Empfehlungen und Stellungnahmen ist es, den Adressaten ein bestimmtes Verhalten nahezulegen, ohne sie binden zu können. Während die Stellungnahme häufig eine Meinungsäußerung zu einer Initiative ist, legt die Empfehlung dem Adressaten ein bestimmtes Verhalten nahe. Aufgeführt werden kann beispielhaft die Empfehlung der Kommission zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz62 oder die Empfehlung des Rates zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer an den Betriebserträgen63 und die Stellungnahme der Kommission zu einem angemessenen Arbeitsentgelt.64
b) Mitteilungen Mitteilungen sind ebenso wie Leitlinien, Bekanntmachungen und Verhaltenskodizes unverbindliche Rechtshandlungen, die stets „revidiert und aktualisiert“ werden können. Sie sind im EGV nicht ausdrücklich vorgesehen, weisen die nationalen Stellen aber auf ihre gemeinschaftsrechtlichen Rechte und Pflichten hin und formulieren durch Auslegung bestimmter Vertragsvorschriften einheitliche Rechtsanwendungsregeln für die Verwaltungstätigkeit der Kommission. Sie haben eine ähnliche Wirkung wie Verwaltungsvorschriften, weil sie im Bereich der Ermessensausübung zu einer Selbstbindung der Kommission führen und einen Vertrauensschutz begründen können.65 Beispiele für Mitteilungen im sozialen Bereich sind die Dokumente „Auf dem Weg zu einem Europa ohne Hindernisse für Menschen mit Behinderungen“66 oder „Umstrukturierung und Beschäftigung“.67 61 Urteil des Gerichtshofs vom 13. Dezember 1989, Rs. C-322 / 88, Salvatore Grimaldi / Fonds des maladies, Slg. 1989, S. 4407; Herdegen, Matthias, Europarecht, S. 165, Rdnr. 52. 62 Empfehlung der Kommission vom 27. November 1991 zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz (92 / 131 / EWG), ABl. EG L 49 / 1 vom 24. 02. 1992. 63 Empfehlung des Rates vom 27. Juli 1992 zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer an den Betriebserträgen (einschließlich Kapitalbeteiligung) (92 / 443 / EWG), ABl. EG L 245 / 53 vom 26. 08. 1992. 64 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Stellungnahme der Kommission zu einem angemessenen Arbeitsentgelt, KOM (93) 388 endg. vom 1. September 1993. 65 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 249 EGV Rdnr. 33. 66 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umstrukturierung und Beschäftigung – Umstrukturierungen antizipieren und begleiten und die Beschäftigung fördern: die Rolle der Europäischen Union, KOM (2005) 120 endg. vom 31. 03. 2005.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
c) Erklärungen Erklärungen werden von den Gemeinschaftsorganen zu Protokoll abgegeben, um ihre Vorstellungen zur Auslegung eines bestimmten sekundären Rechtsaktes zu dokumentieren. Der Gerichtshof ist allenfalls bereit, sie heranzuziehen, soweit ihr Inhalt für den Bürger erkennbar ist. Hingegen können Erklärungen nicht zu Auslegungszwecken herangezogen werden, die im Wortlaut des betroffenen Rechtsakts keinen Niederschlag finden.68 Exemplarisch genannt werden kann die Erklärung zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz.69 d) Grünbücher Grünbücher sind von der Kommission veröffentlichte Mitteilungen, die zur Diskussion über einen bestimmten Politikbereich dienen. Sie richten sich vor allem an interessierte Dritte, Organisationen und Einzelpersonen, die dadurch die Möglichkeit erhalten, an der jeweiligen Konsultation und Beratung teilzunehmen. Oft folgt ihnen ein Weißbuch, das dann eine Auswertung der Stellungnahmen und Vorschläge für die zu ergreifenden Maßnahmen enthält. Beispiele für Grünbücher70 sind das „Grünbuch – Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierungen in einer erweiterten Europäischen Union“71 oder das „Grünbuch – Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“.72 e) Weißbücher Weißbücher73 enthalten konkrete Vorschläge für ein Tätigwerden der Gemeinschaft in einem bestimmten Bereich. Sie folgen zuweilen auf Grünbücher, die ver67 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Auf dem Weg zu einem Europa ohne Hindernisse für Menschen mit Behinderungen, KOM (2000) 284 endg. vom 12. 05. 2000. 68 Schroeder, Werner, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, 249 EGV, Rdnr. 34. 69 Erklärung des Rates vom 19. Dezember 1991 zur Durchführung der Empfehlung der Kommission zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz, einschließlich des Verhaltenskodex gegen sexuelle Belästigung, ABl. EG C 27 / 1 vom 04. 02. 1992. 70 Eine Auflistung aller Grünbücher findet sich unter: http: //europa.eu.int/comm/off/ green/index_de.htm. 71 Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Grünbuch – Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierungen in einer erweiterten Europäischen Union, KOM (2004) 379 endg. vom 28. 05. 2004. 72 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001.
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten
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öffentlicht werden, um einen Konsultationsprozess auf europäischer Ebene einzuleiten. Während in Grünbüchern eine breite Palette an Ideen präsentiert und zur öffentlichen Diskussion gestellt wird, enthalten Weißbücher förmliche Vorschläge für bestimmte Politikbereiche und dienen dazu, diese Bereiche zu entwickeln. Exemplarisch sind aufzuführen das „Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“74 und das Weißbuch „Neuer Schwung für die Jugend Europas“.75 f) Offene Methode der Koordinierung Während die bislang beschriebenen Instrumente von einem „top-down“-Ansatz gekennzeichnet sind, also von einer der europäischen Institutionen einseitig konzipiert werden, gibt es eine weitere Kategorie von Instrumenten, deren wesentliches Merkmal ist, dass sie im Dialog zwischen unterschiedlichen Partnern entstehen. Sie sind geprägt von einem „bottom-up“ Ansatz, da sie zunächst zu einer Willens- und Entscheidungsfindung zwischen Mitgliedstaaten und / oder Interessenvertretern führen, im Ergebnis aber durchaus zu einer Maßnahme der europäischen Institutionen erwachsen können. So können insbesondere die Offene Methode der Koordinierung oder der Soziale Dialog zu Leitlinien oder Richtlinien führen. Die Offene Methode der Koordinierung (OMK)76 ist ein Instrument „für die Verbreitung von bewährten Praktiken und die Herstellung einer größeren Konvergenz in Bezug auf die wichtigsten Ziele der EU.“ Ihr Ziel ist die freiwillige Kooperation und der Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in verschiedenen Bereichen (u. a. der sozialen Sicherheit, den Renten und der Beschäftigungspolitik), um eine Hilfe bei der schrittweisen Entwicklung ihrer nationalen Politiken zu geben. Sie leitet einen Prozess ein, in dessen Verlauf mittels vom Rat festgelegter Indikatoren bewährte Praktiken identifiziert und dann in einem weiteren Schritt gemeinsame Ziele bzw. Leitlinien auf EU-Ebene festgelegt werden. Dabei bleibt es unter Beachtung der Subsidiarität den Mitgliedstaaten überlassen, wie sie die Ziele / Leitlinien national umsetzen. 73 Eine Auflistung aller Weißbücher findet sich unter: http: //europa.eu.int/comm/off/white /index_de.htm. 74 Mitteilung der Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg. vom 12. 05. 2004. 75 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Weißbuch Neuer Schwung für die Jugend Europas, KOM (2001) 681 endg. vom 21. 11. 2001. 76 In der Literatur finden sich unterschiedliche Bezeichnungen der Offenen Methode der Koordinierung (Methode der offenen Koordinierung, offenes Koordinierungsverfahren etc.). Für die vorliegende Arbeit wird durchgängig der Begriff Offene Methode der Koordinierung (OMK) verwandt, wie er sich in den offiziellen Dokumenten der Europäischen Kommission findet, so z. B. in dem Dokument Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das ganze Potenzial ausschöpfen: Konsolidierung und Ergänzung der Lissabonner Strategie, KOM (2001) 79 endg. vom 07. 02. 2001.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
Zu den Politikbereichen, die in den Anwendungsbereich der Offenen Methode der Koordinierung fallen, zählen etwa Beschäftigung, soziale Integration, Renten, Gesundheit, Bildung, Informationsgesellschaft, Forschung, Innovation, Unternehmenspolitik, Wirtschaftsreformen und Umweltpolitik; besondere Bedeutung wird der neuen Koordinierungsmethode vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik beigemessen.77 g) Sozialer Dialog Der Soziale Dialog ist in den Art. 138 und 139 EGV festgeschrieben und umfasst Diskussionen, Konsultationen, Verhandlungen und gemeinsame Maßnahmen der Organisationen der Sozialpartner (Arbeitgeber und Arbeitnehmer). Er hat bereits zu mehreren Rahmenvereinbarungen geführt, so z. B. hinsichtlich des Elternurlaubs78, der Teilzeitarbeit 79 und befristeter Arbeitsverträge80. h) Netzwerkbildungen Der Gedanke der Netzwerkbildung findet sich in zahlreichen europäischen Förderprogrammen wieder. Traditionell kann man unterscheiden zwischen der Anschubfinanzierung zur Gründung eines europäischen Netzwerkes, den regelmäßigen finanziellen Unterstützungen von Organisationen auf europäischer Ebene, die den europäischen Gedanken tragen und weiterentwickeln, und der Gründung von Agenturen, die die Europäische Gemeinschaft finanziert. Die Netzwerke und Agenturen sollen dazu dienen, die europäischen Partner zusammenzubringen, ihr gesammeltes Wissen, z. B. auch „best practices“ etc., möglichst vielen Teilnehmern zugänglich zu machen und Doppelarbeit zu verhindern, indem z. B. Forschungsergebnisse etc. allen zur Verfügung gestellt werden. 77 Vgl. dazu auch Karl, Beatrix, Offene Methode der Koordinierung als Gestaltungsgrundsatz europäischen Rechts, S. 6 m. w. N.; Streinz, Rudolf, Sozialpolitische Zuständigkeit der EU im Rahmen der offenen Methode der Koordinierung, m. w. N.; Eichhorst, Werner / Rhein, Thomas, Die Europäische Beschäftigungsstrategie – Beispiel der Methode der offenen Koordinierung – Begründung und Zielsetzung der Europäischen Beschäftigungsstrategie; Devetzi, Stamatia, Offene Methode der Koordinierung in der Alterssicherung; Danner, Günter, Die „Offene Methode der Koordinierung“ als europäische Vernetzung im gesundheitspolitischen Bereich subsidiärer Ordnung. Harmonisierung auf kaltem Weg oder ein weiteres Brüsseler Symbol?; Marlier, Eric / Berghman, Jos, Open Coordination at EU level in the field of Social Protection and Social Inclusion. Streamlining without diluting. 78 Richtlinie 96 / 34 / EG vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, ABl. EG L 145 / 4 vom 19. 06. 1996. 79 Richtlinie 97 / 81 / EG vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Vereinbarung über Teilzeitarbeit, ABl. EG L 14 / 9 vom 20. 01. 1998. 80 Richtlinie 1999 / 70 / EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, ABl. der Europäischen Gemeinschaften L 175 / 43 vom 10. 07. 1999.
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten
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Bekannte Netzwerke im sozialen Bereich sind die Europäische Beobachtungsstelle zur sozialen Situation, Demographie und Familie81 – ein im Auftrag der Europäischen Kommission eingerichtetes, multidisziplinäres Netz unabhängiger Experten zur Beobachtung von politischen Entwicklungen in Europa, welche die soziale Situation, Demographie und Familie betreffen, der Analyse politischer Handlungsweisen und der Auswirkung familienpolitischer Maßnahmen, der Beobachtung demographischer, sozioökonomischer und politischer Veränderungen, die sich auf Familien auswirken sowie der Förderung des akademischen Diskurses in den Bereichen soziale Situation, Demographie und Familie dienen oder das Europäische Beschäftigungsobservatorium (EBO)82 mit den Netzwerken MISEP83, SYSDEM84 und RESNET85. Beispielhaft zu nennen für von der Europäischen Union finanzierte Agenturen sind die 1975 gegründete Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin86 (sog. Dublin-Foundation) und CEDEFOP87 (Centre Européen pour le Développement de la Formation Professionnelle – Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung) mit Sitz in Thessaloniki. Die „Dublin-Foundation“ trägt durch die Förderung und Verbreitung von Wissen und neuen Erkenntnissen zur Verbesserung des Arbeits- und Gesellschaftslebens bei und hat eine Vielzahl an Studien und Berichten über Arbeitsbeziehungen, Ar81
Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/eoss/index_de.
html. Im Internet unter: http: //www.eu-employment-observatory.net/de/about/. Das MISEP-Netzwerk hat die Aufgabe, zwischen der Veröffentlichung der Nationalen Aktionspläne für Beschäftigung aktuelle Dokumente und Informationen über Arbeitsmarktpolitiken zu sammeln. Darüber hinaus ist das Netzwerk an der Beobachtung erfolgreicher Praxisbeispiele in anderen Ländern beteiligt und arbeitet mit dem Netz der öffentlichen Arbeitsmarktverwaltungen (AMV) zusammen, da die AMV-Vertreter aller Länder zugleich Mitglied von MISEP sind. 84 Das SYSDEM-Netzwerk berichtet in vergleichender Form über ausgewählte Themen im Bereich der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in den (vormals) 15 Mitgliedstaaten und dient zur Ad-hoc-Beratung der Europäischen Kommission. Es besteht aus einem Netz von Korrespondenten aus führenden unabhängigen Forschungsinstitutionen in den Mitgliedstaaten und veröffentlicht zweimal pro Jahr Berichte über spezielle politische Themen, die von der Generaldirektion für Beschäftigung festgelegt werden. 85 RESNET oder RESEARCH-Netzwerk wurde ursprünglich zur Beratung des Beschäftigungsobservatoriums gegründet. In Zukunft wird das Netzwerk die Europäische Kommission beim methodischen Ansatz ihrer politischen Forschung und Analyse unterstützen und bei der vergleichenden Arbeitsmarktforschung auf Ad-hoc-Basis beraten. Dieses Netzwerk ist derzeit nicht in Aktion. 86 Im Internet unter: http: //www.eurofound.eu.int/, Verordnung (EWG) Nr. 1365 / 75 über die Gründung einer Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, ABl. EG L 139 / 1 vom 30. 05. 1975. 87 Im Internet unter: http: //www.cedefop.eu.int/, Verordnung (EWG) Nr. 337 / 75 des Rates vom 10. Februar 1975 über die Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung, ABL. EG L 39 / 1 vom 13. 02. 1975. 82 83
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
beits- und Lebensbedingungen, Beschäftigung, Chancengleichheit und soziale Eingliederung publiziert. CEDEFOP hilft, fundierte Entscheidungen in Fragen der Berufsbildungspolitik zu treffen und liefert die neuesten Informationen über den gegenwärtigen Stand und die zukünftige Entwicklung der beruflichen Bildung in der Europäischen Union, organisiert Studienbesuche, hält Übersichten über das Bildungssystem der Mitgliedstaaten vor und dient als Plattform zur Verlinkung mit weiteren Netzwerken. Regelmäßige Zuschüsse für Organisationen mit europäischer Zielsetzung werden zum Beispiel gewährt im Rahmen der Aktion „Förderung einer aktiven Europäischen Bürgerschaft – Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen sowie Vereinen und Verbänden von europäischem Interesse“88 oder der Finanzierung der wichtigsten europäischen Netze, die sich für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung einsetzen.89 i) Dialog mit der Zivilgesellschaft Konsultationsmechanismen gehören zu den Tätigkeiten aller europäischen Organe im Rahmen des gesamten Rechtsetzungsprozesses, von der Politikgestaltung vor einem Vorschlag der Kommission bis hin zur endgültigen Annahme einer Maßnahme durch die Legislative und ihrer Umsetzung. Eine besondere Rolle spielt dabei der Dialog mit der Zivilgesellschaft.90 Je nach Tagesordnungspunkt dienen diese Konsultationen dazu, Vertreter regionaler und kommunaler Gebietskörperschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft, Unternehmen und Unternehmensverbände, die einzelnen betroffenen Bürger, Wissenschaftler und Sachverständige sowie betroffene Parteien in Drittländern anzuhören. Auch wenn sich die Zielgruppen von Konsultationsverfahren entsprechend dem zur Diskussion gestellten Thema ändern, eröffnet die Europäische Kommission regelmäßig allen gesellschaftlich wichtigen Interessengruppen die Möglichkeit, sich zu geplanten Gesetzgebungsvorhaben zu äußern. In diesem Zusammenhang spielt die organisierte Zivilgesellschaft eine bedeutende Rolle, da sie einen umfassenden politischen Dialog ermöglicht.91 88 Beschluss des Rates vom 26. Januar 2004 über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft (Bürgerbeteiligung), 2004 / 100 / EG, ABl. EU L 30 / 6 vom 04. 02. 2004. 89 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/calls/2005/vp_ 2005_007/tender_ de.htm. 90 Vgl. dazu: Ministerie van Binnenlandse Zaken en Koninkrijksrelaties: Citizen participation: a source of inspiration to the European Union?. 91 Mitteilung der Kommission, Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs – Allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission, KOM (2002) 704 endg. vom 11. 12. 2002, S. 4 f.; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, KOM (2001) 428 endg. vom 25. 07. 2001, S. 19.
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten
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Für die soziale Dimension wegweisende Konsultationen fanden zum Beispiel statt zur Daseinsvorsorge92, der Dienstleistungsrichtlinie 93, der Mitteilung der Kommission hinsichtlich der Überprüfung der Richtlinie 93 / 104 / EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung 94, dem Grünbuch: „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung von Unternehmen“95 oder der Vereinfachung und Verbesserung der Gesetzgebung im Bereich der Gleichbehandlung zwischen Mann und Frau96. Bis zum 01. 09. 2005 konnte Stellung genommen werden zum Grünbuch „Angesichts des demografischen Wandels – eine neue Solidarität zwischen den Generationen“.97 Die Ergebnisse der Konsultationen werden regelmäßig veröffentlicht, seitens der Europäischen Kommission ausgewertet und bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen berücksichtigt.98
j) Corporate Governance Der Begriff der „Corporate Governance“ umfasst die Regeln und Grundsätze von Organisationen. Dazu zählen Verhalten und Transparenz, durch die ein Unternehmen geleitet und kontrolliert wird.99 Hierzu gehört einerseits das Verhältnis 92 Mitteilung der Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg. vom 12. 05. 2004. 93 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004) 2 endg. vom 25. 02. 2004; Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, Kommissionsvorschlag 6174 / 04, vom 10. Januar 2005, im Internet unter http: //www.europa.eu.int/ eur-lex/de/com/pdf/2004/com2004_0002de02.pdf; Gemeinsamer Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, 2004 / 0001 (COD) vom 17. Juli 2006. 94 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Überprüfung der Richtlinie 93 / 104 / EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, KOM (2003) 843 endg. vom 30. 12. 2003. 95 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001. 96 Im Internet unter: http: //europa.eu.int/comm/employment_social/news/2003/jul/options _de.pdf. 97 Mitteilung der Kommission, Grünbuch: Angesichts des demografischen Wandels – eine neue Solidarität zwischen den Generationen, KOM (2005) 94 endg. vom 16. 03. 2005. 98 Eine Übersicht zu allen laufenden Konsultationen der Europäischen Kommission findet sich unter: http: //europa.eu.int/yourvoice/consultations/index_de.htm; eine Übersicht zu allen im sozialen Bereich relevanten Konsultationen findet sich unter: http: //europa.eu.int/ comm/employment_social/consultation_de.html. 99 Vgl. dazu insgesamt Walkner, Christoph, Issues in corporate governance.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
von Unternehmensspitze und Unternehmensumfeld – hauptsächlich zu den Aktionären (Außenverhältnis) – und andererseits die Führung und Überwachung des Unternehmens (Innenverhältnis).100 Im Zusammenhang mit der sozialen Komponente spricht man von „CSR – Corporate Social Responsibility“. Die „soziale Verantwortung der Unternehmen“ ist ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, um auf freiwilliger Basis soziale und ökologische Belange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Beziehungen zu den Stakeholdern zu integrieren. Grundlage war die Mitteilung der Kommission von Juli 2002 „Soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung“.101 In dieser Mitteilung war die Einrichtung eines EU-Stakeholder-Forums zu CSR vorgesehen, mit dem die Transparenz und Konvergenz der CSR-Praktiken und CSR-Instrumente gefördert werden sollten. Das am 16. Oktober 2002 eingerichtete Forum hat seine Tätigkeit Mitte 2004 beendet. Es hat einen Abschlußbericht vorgelegt, in dem die Ergebnisse seiner Tätigkeit dargestellt und künftige Maßnahmen empfohlen werden.102
k) „Mainstreaming-Ansätze“ Um wichtige politische Ansätze in allen Politikbereichen zu berücksichtigen, wurde das Instrument des „Mainstreaming“ eingeführt. Bekanntestes Beispiel dürfte – in dem hier bedeutsamen Rahmen – der „Gender Mainstreaming-Ansatz“103 sein, der die Institutionen verpflichtet, bei allen rechtlichen Maßnahmen der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern Beachtung zu schenken. Auch die Behindertenpolitik soll künftig i. S. d. „mainstreaming“ in alle Politikbereiche Eingang finden. Ein erster Schritt wurde in diese Richtung getan mit der bereits erwähnten Ausschreibung „Behindertenpolitik zur Querschnittsaufgabe in relevanten Politikbereichen machen – Pilotprojekte“. 104
Vgl. dazu Reymond, Alain P., Corporate Governance und Management-Entlöhnung. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, KOM (2002) 347 endg. vom 02. 07. 2002. 102 European Multistakeholder Forum on CSR, Final results & recommendations. 103 Mitteilung der Kommission, Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft, KOM (96) 67 endg. vom 21. 02. 1996. 104 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/calls/2005/vp_ 2005_006/text_ de.pdf. 100 101
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten
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l) Daseinsvorsorge und Dienstleistungsrichtlinie als Beispiel für die inhaltliche Beeinflussung der sozialen Dimension Als Beispiel für eine inhaltliche Beeinflussung der sozialen Dimension soll an dieser Stelle noch auf die Daseinsvorsorge und die Dienstleistungsrichtlinie eingegangen werden. Hier wird deutlich, dass auch eine Richtlinie, die eigentlich nicht unmittelbar auf die Sozialpolitik ausgerichtet ist, sondern einen wirtschaftlichen Ansatz der Liberalisierung hat, Auswirkungen auf das soziale Gefüge in Europa zeigen kann. Die Leistungen der Daseinsvorsorge werden von der Europäischen Kommission als „Schlüsselelement des europäischen Gesellschaftsmodells“105 gesehen. Desgleichen weist das Europäische Parlament darauf hin, dass „Leistungen der Daseinsvorsorge und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ein unverzichtbares Element des Europäischen Sozialmodells ( . . . ) sind“.106 Sie sind ein aktuelles Beispiel für die Effekte, die eine konkrete Regelung mit wirtschaftlichem Hintergrund auf die soziale Situation in den Mitgliedstaaten haben kann. Die Europäische Kommission hat in ihren Verlautbarungen zur Daseinsvorsorge eingeräumt, dass diese nicht allein unter ökonomischen Gesichtspunkten, namentlich solchen der Einschränkung oder Gefährdung des Wettbewerbs im Binnenmarkt betrachtet werden darf, sondern auch als eine wichtige Komponente des „Europäischen Sozialmodells“ angesehen werden muss.107 Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (SGI)108 werden sogar als eine „Säule des Europäischen Sozialmodells“ und der europäischen Sozial- und Wirtschaftspolitik“ bezeichnet.109 Der Stellenwert der SGI wird deutlich in Art. 16 EGV, in dem auf den Stellenwert der Dienste von allgemeinem Interesse hingewiesen wird und ihre Bedeutung „bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts“. Wenn also die Daseinsvorsorge und die SGI als bedeutsam für das „Europäische Sozialmodell“ angesehen werden, hat jede Einflussnahme – wie durch die Richtlinie – auch Auswirkungen auf das Modell selbst. Im Fall der Daseinsvorsorge wird geltend gemacht, dass der Liberalisierungsansatz – und damit die Interessen der Wirtschaft – über den sozialen Aspekt und das Sicherheitsbedürfnis der Bürger in Fragen der Erbringung sozialer Leistungen gestellt wurden.110 Gleichzeitig zeigt sich 105 Mitteilung der Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. der EG C 17 / 4 vom 19. 01. 2001; vgl. dazu auch Weilemann, Peter R., Die Europäische Krise vom Sommer 2005, in: KAS / Auslandsinformationen 8 / 05, S. 78. 106 Europäisches Parlament, Bericht über ein Europäisches Sozialmodell für die Zukunft (2005 / 2248(INI), A6 – 0238 / 2006 vom 13. 07. 2006, S. 8. 107 Schulte, Bernd; Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 94; vgl. dazu auch Observatorium für die Entwicklung der sozialen Dienste in Europa; Konferenzdokument, Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells: Eine deutsche Perspektive, Punkt 1. 108 SGI = Services of General Interest; vgl. zu den SGI insgesamt auch Obermann, Gabriele / Hall, David / Sak, Barbara, Services of General Interest in the Internal Market. 109 Kowalsky, Wolfgang, Which evaluation procedure should be used for SGIs?, S. 19.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
aber auch durch die massiven Proteste, die Anfang 2005 in den Mitgliedstaaten, aber auch in Brüssel selbst mit einer Demonstration von 50.0000 Menschen der Dienstleistungsrichtlinie entgegengebracht worden sind111, dass in dem Umfang, in dem die Bedeutung der Sozialpolitik durch externe Faktoren supranationaler Genese zunimmt, das Bedürfnis nach einer Stärkung der sozialen Dimension auf Gemeinschaftsebene wächst. Angesichts der „negativen Integration“ durch Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht wird der Ruf nach positiver Integration in Gestalt der Ergänzung der künftigen Wirtschaftsunion durch eine Sozialunion lauter.112 Die Mitteilung der Kommission „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“ vom 8. Mai 2000 hat in vielen Mitgliedsstaaten und unter den Interessenvertretern der verschiedenen Verbände und Organisationen, ebenso wie der Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie113, eine breit angelegte Diskussion ausgelöst.114 aa) Liberalisierung versus soziale Leistungen Die Daseinsvorsorge steht in allen Mitgliedsstaaten in enger Wechselwirkung mit einer Vielzahl sozialer Leistungen. Eine Liberalisierung in diesem Bereich, wie die Europäische Kommission sie gerne sehen würde115, hätte erhebliche Auswirkungen auf die Erbringung der Leistungen. Damit könnte letztendlich durch anzupassende Rahmenbedingungen der Daseinsvorsorge das soziale Gefüge in den Mitgliedstaaten Änderungen unterworfen werden. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich dabei in einem besonderen Spannungsdreieck zwischen Kom110 Vgl. dazu Der Paritätische Wohlfahrtsverband, Die Freie Wohlfahrtspflege als Grundpfeiler der Daseinsvorsorge, S. 4 ff. 111 Vgl. zu den massiven Protesten und Demonstrationen gegen die Dienstleistungsrichtlinie Anfang 2005 Halusa, Martin, Dienstleistungsrichtlinie wird neu konzipiert, in: Die Welt vom 24. März 2005; Weilemann, Peter, R, Die Europäische Krise vom Sommer 2005, S. 78. 112 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 95. 113 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004) 2 endg. vom 25. 02. 2004; Europäisches Parlament, Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in zweiter Lesung am 15. November 2006 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2006 / . . . / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, EP-PE_TC2-COD(2004)0001 vom 15. 11. 2006. 114 Vgl. dazu Véglio, Catherine / Labani, Pierre-David, Towards services of general interest in Europe; vgl. dazu auch Observatorium für die Entwicklung der sozialen Dienste in Europa Dokumentation der Tagung „Soziale Dienste als Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU – Ziele, Zuständigkeiten, Rahmenbedingungen“; vgl. dazu auch Observatorium für die Entwicklung der sozialen Dienste in Europa, Social Services in Europe, Annotated Bibliography; vgl. dazu auch Herzog, Philippe, Une perspective commune pour les services d’intérêt général en Europe; Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme „Dienstleistungen im Binnenmarkt“. 115 Vgl. dazu Drabbe, Humbert, Wettbewerbspolitik: Kontrolle staatlicher Beihilfen und Daseinsvorsorge.
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten
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munaler Selbstverwaltung – Daseinsvorsorge – wirtschaftlicher Betätigung. Als Ausfluss des kommunalen Selbstverwaltungsrechts des Art. 28 Abs. 2 GG haben Kommunen das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu regeln. Bestandteil des Selbstverwaltungsrechts des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ist die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde, unter die wiederum ein Grossteil der „Daseinsvorsorge“ eingeordnet wird.116 Man versteht in Weiterentwicklung des von Ernst Forsthoff117 geprägten Begriffs heute unter der Daseinsvorsorge gemeinhin Aufgaben der Verwaltung zur Sicherung und Bereitstellung von elementarem lebenswichtigem Bedarf. Dies sind regelmäßig Aufgabenbereiche, in denen eine privatwirtschaftliche Bedürfnisbefriedigung nicht oder zumindest nicht mit zufriedenstellenden Ergebnissen erfolgt, gleichzeitig aber eine soziale Angewiesenheit der Bürger auf diese Leistungen besteht,118 die dann im Rahmen der Kommunalwirtschaft erbracht werden. Unter Daseinsvorsorge werden im kommunalen Kontext traditionell gemeinwohlorientierte soziale und materielle Leistungen definiert, die von der Kommune selbst oder von Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft erbracht werden. Sie umfasst flächendeckende und dauerhafte Dienstleistungen, Ver- und Entsorgungssicherheit, ein hohes Umweltschutzniveau, einen allgemeinen Zugang zu qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Leistungen sowie die Berücksichtigung von sozialstaatlichen Erwägungen, also die Rücksichtnahme auf Bedürfnisse spezieller Bevölkerungsgruppen wie Behinderte119, Alte und Empfänger von niedrigen Einkommen. Ausfluss der Selbstverwaltung und der kommunalen Organisationshoheit war ferner von jeher das Recht zu bestimmen, wie diese Leistungen erbracht wurden, ob durch Einsatz eigener Unternehmen oder Vergabe an private Dienstleister, verbunden mit entsprechenden Aufsichts- und Kontrollrechten.120 Die Europäische Kommission möchte hier liberalisieren 121 und das Primat des Wettbewerbs konsequent durchsetzen, während die kommunale Ebene und die 116 Hauser, Dirk, Wirtschaftliche Betätigung von Kommunen – Beschränkungen durch Verfassung, Gemeindeordnung und Wettbewerbsrecht, S. 27, 85, 105. 117 Vgl. dazu Schulz-Nieswandt, Frank, Soziale Daseinsvorsorge und Unionsbürgerschaft, S. 9 m. w. N. 118 Hauser, Dirk, Wirtschaftliche Betätigung von Kommunen – Beschränkungen durch Verfassung, Gemeindeordnung und Wettbewerbsrecht, S. 13. 119 Vgl. umfassend zur Situation behinderter Menschen unter europarechtlichen Gesichtspunkten Prunzel, Regine, Behinderte Menschen in Europa, Behindertenrecht 42 (2003), 2, S. 42 – 48 und zur best practice Prunzel, Regine, Rechtslage in den Mitgliedstaaten, Kompendium – Vorbildliche Verfahren für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. 120 Vgl. zum Begriff der Daseinsvorsorge Brandl, Uwe, Die Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge, in: BayGTzeitung 1 / 2002, S. 5 ff.; Europäisches Zentrum für FöderalismusForschung (EZFF), Die Zukunft der Daseinsvorsorge in Europa, m. zahlreichen w.N. und Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14 / 6249 vom 06. 06. 2001, Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage BT-Drucksache 14 / 5192, Daseinsvorsorge in der sozialen Marktwirtschaft. 121 Houtman, Anne, Why a Green Paper on service of general interest?, S. 2.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
kommunale Wirtschaft als Folge dessen fürchten, dass bewährte Strukturen zerstört werden und sie letztendlich zu einem reinen Kontrollorgan werden.122 Einigkeit besteht insoweit, als eine hohe Qualität der Leistungen der Daseinsvorsorge und Versorgungssicherheit, flächendeckende Verfügbarkeit, ein fairer Preis und soziale Ausgewogenheit gewährleistet werden sollen. Im Detail ist die Vereinbarkeit des Wettbewerbsgedankens mit diesen Forderungen aber schwierig. Bereits die Definitionen sind uneinheitlich und dementsprechend das Verständnis der „Daseinsvorsorge“ in Deutschland, des „service public“ in Frankreich und der „public services“ in Großbritannien123 divergierend. Das „Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ aus dem Jahr 2003, dem eine öffentliche Konsultation folgte, zeigte die Bedeutung des Themas, da eine Vielzahl von Kommentaren unterschiedlichster Akteure eingingen. Berichterstatter für das EP war Philippe Herzog.124 Sein Bericht über das Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wurde vom EP mit zahlreichen Änderungen am 14. Januar 2004 angenommen.125 Einerseits ist in dieser Entschließung die stärkere Grundausrichtung auf Liberalisierung und Wettbewerb zurückgenommen, zum anderen auf der Grundlage des Subsidiaritätsgrundsatzes die besondere Situation der Kommunen und ihrer Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse stärker berücksichtigt worden. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Anerkennung des Rechts der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zur Eigenproduktion als auch mit Blick auf die besonders bedeutsame Abgrenzung von wirtschaftlicher zu nichtwirtschaftlicher Tätigkeit.126 Am 12. Mai 2004 hat die Europäische Kommission dann das „Weißbuch über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“127 angenommen, in dem sie die Schlussfolgerungen aus der Diskussion über das Grünbuch vom 21. Mai 2003128 zieht. 122 Vgl. dazu von Ameln, Ralf, Zur Rolle der Kommunen in der europäischen Integration, S. 19 ff. 123 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht für den Europäischen Rat in Laeken – Leistungen der Daseinsvorsorge, KOM (2001) 598 endg. vom 17. 10. 2001, S. 7; Frey, René L., Service public: Garantierte Grundversorgung oder Kampf um Renten?, S. 2. 124 Europäisches Parlament, Bericht über das Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse KOM (2003) 270 – 2003 / 2152 (INI). 125 Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Grünbuch der Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (KOM [2003] 270 – 2003 / 2152), ABl. der EU C 92E / 294 vom 16. 04. 2004. 126 Vgl. dazu auch Ferron, André, Management of urban services – Cities are advocating the „freedom to manage cities“, S. 7 f. 127 Mitteilung der Kommission, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg. vom 12. 05. 2004. 128 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg. vom 21. 05. 2003.
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten
135
Die Europäische Kommission kommt darin zur Auffassung, dass zunächst keine Rahmenrichtlinie vorgelegt wird. Allerdings möchte sie sich die Prüfung für einen späteren Zeitpunkt und auf Grundlage des noch anzunehmenden Verfassungsvertrages vorbehalten. Auf Intervention der Staats- und Regierungschefs sollte die Europäische Kommission ihren Vorschlag revidieren und versuchen, den vorgetragenen Anliegen Rechnung zu tragen129 durch eine Präzisierung und Vereinfachung der rechtlichen Rahmenbedingungen bei den Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen und Regelungen zur Neuordnung der europäischen Beihilfekontrolle. Dies ist erfolgt in Form einer Präzisierung der Bedingungen der Altmark-TransEntscheidung130 des Europäischen Gerichtshofs vom 24. Juli 2003, und der Klarstellung der Europäischen Kommission zur Unterscheidung von wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten.131 Bei der Altmark-Trans-Entscheidung ging es um die Rechtmäßigkeit finanzieller Ausgleichszahlungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen. Der EuGH stellte insoweit klar, dass es sich nicht um eine Beihilfe handelt, wenn einem Unternehmen lediglich ein Kostenausgleich gewährt wird. Dies ist an vier Voraussetzungen geknüpft: Das begünstigte Unternehmen muss tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein. Die Parameter, nach denen der Ausgleich berechnet wird, müssen zuvor objektiv und transparent aufgestellt worden sein. Der Ausgleich darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns ganz oder teilweise zu decken. 129 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Brüssel), Tagung vom 17. und 18. Juni 2004, Rdnr. 47, S. 10. 130 Urteil des Gerichtshofs vom 24. Juli 2003, Rs. C-280 / 00, Altmark Trans GmbH und Regierungspräsidium Magdeburg / Nahverkehrsgesellschaft Altmark GmbH, Slg. 2003, S. I-7747. 131 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entscheidung der Kommission vom 28. November 2005 über die Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen, die bestimmten, mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, ABl. EU L 312 / 67 vom 29. 11. 2005; Richtlinie 2005 / 81 / EG der Kommission vom 28. November 2005 zur Änderung der Richtlinie 80 / 732 / EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, ABl. EU L 312 / 47 vom 29. 11. 2005; Europäische Kommission, Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, ABl. EU C 297 / 4 vom 29. 11. 2005.
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IV. Klassifizierung des sozialrechtlichen Bestands
Die Höhe des Ausgleichs ist – wenn die Auswahl des Unternehmens nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt – im Vergleich zu den Kosten zu berechnen, die ein durchschnittliches Unternehmen zu tragen hätte.
bb) Vorrang für den sozialen Grundbestand der Daseinsvorsorge Dies zeigt zweierlei: Zum einen wird zum ersten Mal den wirtschaftsorientierten Liberalisierungsvorschlägen der Europäischen Kommission massiver Widerstand entgegengebracht. Zum anderen beweist die lebhafte Diskussion zur Daseinsvorsorge auf allen Ebenen, wie sensibel die Reaktionen ausfallen, wenn soziale Themen berührt werden. Auf der Grundlage des Grünbuchprozesses Public Private Partnership132 wurde eine entsprechende Mitteilung der Europäischen Kommission133 im Anschluss an die durchgeführte Konsultation veröffentlicht. Wichtig in diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Ankündigung einer Mitteilung für den Bereich der Gesundheits- und Sozialdienstleistungen, mit der ein systematischer Ansatz entwickelt werden soll, der den Besonderheiten von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse Rechnung trägt und den Rahmen festlegt, in dem diese Dienste funktionieren sollen und modernisiert werden können. Als Ergebnis kann zusammenfassend festgestellt werden, dass die Daseinsvorsorge zum Grundbestand des „Europäischen Sozialmodells“ gezählt wird und derzeit einer massiven Beeinflussung durch die Europäische Gemeinschaft ausgesetzt ist. Dies führt zu einer Wechselwirkung, die seitens der Europäischen Gemeinschaft von Liberalisierungswünschen getragen ist, von den Bürgern aber abgelehnt wird und bei ihnen zu Verunsicherung führt, was dann wiederum Rückwirkungen auf die Situation in den Mitgliedstaaten hat. Die Aufzählung der diversen Aktionen zeigt, dass es zahlreiche Ansätze zur Gestaltung des sozialen Europas gibt. Eine klare Linie in der Entwicklung mit Blick auf Politikziele ist allerdings nicht erkennbar. Vielmehr agiert eine Vielzahl von Akteuren, jeweils getragen von unterschiedlichen Interessen. Die Steuerung des sozialen Fortschritts wurde in der Vergangenheit in hohem Maße den Marktkräften überlassen.134 132 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch zu öffentlich-pivaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, KOM (2004) 327 endg. vom 30. 04. 2004. 133 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen und Konzessionen, KOM (2005) 569 endg. vom 15. 11. 2005.
3. Sonstige Einflussnahmemöglichkeiten
137
Es fehlt an einer stringenten Politik und deren kontinuierlicher Weiterentwicklung. Ein unkoordiniert konkurrierendes Nebeneinander nationaler und europäischer Sozialpolitik sollte es aber nicht geben, vielmehr sind Ziele und Inhalt dessen, was z. B. in Deutschland als „Gesellschaftsvertrag der sozialen Marktwirtschaft“ bezeichnet worden ist, auf europäischer Ebene zeitgerecht zu erneuern.135 Zusätzlich wird angeführt, dass es zudem an einem ausreichenden rechtlichen Instrumentarium fehle, um die Sozialpolitik weiterzubringen136. Insoweit ist im folgenden zu untersuchen, ob diese Behauptung den Tatsachen entspricht oder ob nicht vielmehr die rechtlichen Grundlagen vorhanden sind und diese lediglich nicht optimal von den beteiligten Parteien genutzt werden.
134 Chapon, Séverine / Euzéby, Chantal, Towards a convergence of European social models?, S. 37. 135 Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 228. 136 Vgl. dazu Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 21 ff.
V. Rechtliche Möglichkeiten der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ auf der Grundlage des EG-Vertrags 8. THESE: Der EG-Vertrag enthält ein rechtliches Instrumentarium, das es ermöglicht, in unterschiedlichen Bereichen auf die Entwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ einzuwirken.
Das „Europäische Sozialmodell“ ist – wie dargelegt – ein politisches Modell, das getragen wird von den im Vertrag verankerten Aufgaben und Zielbestimmungen zur Fortentwicklung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und der Schaffung angemessener Lebensverhältnisse. Wenn aus dieser Idee allerdings konkrete Maßnahmen erwachsen sollen, bedarf dies einer rechtlichen Grundlage im EG-Vertrag in der Fassung von Nizza.
1. Ausgangslage Bereits früh wurde in diesem Zusammenhang das Subsidiaritätsprinzip als maßgeblich für den Bereich sozialer Sicherung erklärt – zumindest, sofern nicht die Freiheiten des Gemeinsamen Marktes berührt sind. Dies beruht sowohl auf dem Verhältnis zwischen der Gemeinschaftsebene und den Mitgliedstaaten, und zwar einschließlich der regionalen und lokalen Ebene, als auch zwischen den Sozialpartnern und staatlichen Stellen auf allen Ebenen.1 Der Ansatz im Rahmen des Padoa-Schioppa-Berichtes2 besagte, dass „nach dem Grundsatz der Subsidiarität in vielen Aspekten der Sozialpolitik eine minimale Zuständigkeit der Gemeinschaft geboten ist.“ Dabei setzte die Strategie dieses Berichts vorrangig auf „dezentralisiertes“ (nationales) Vorgehen, denn „dort, wo sich (sc. nationale) Politiken als erfolgreich erweisen“, ist Konvergenz zu erwarten.3 Die Entwicklung, insbesondere der letzten Jahre, hat gezeigt, dass es zu immer 1 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2000) 379 endg. vom 28. 6. 2000, S. 8. 2 Padoa-Schioppa, Tommaso, Effizienz, Stabilität und Verteilungsgerechtigkeit – eine Entwicklungsstrategie für das Wirtschaftssystem der Europäischen Gemeinschaft, S. 55. 3 Weinstock, Ulrich, Europäische Sozialunion – historische Erfahrungen und Perspektiven, S. 29 f.
1. Ausgangslage
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mehr sowohl rechtlich verbindlichen Regelungen als auch politischen, nicht rechtsverbindlichen Impulsen auf europäischer Ebene gekommen ist.4 Verglichen mit dem Recht internationaler Organisationen, die sich mit der Schaffung länderübergreifender Sozialstandards befassen, kommt dem Sozialrecht der Europäischen Gemeinschaft spezielle Bedeutung zu. Zwar steht Sozialpolitik nicht im Mittelpunkt der europäischen Integration, sondern bildet nur eine von mehreren Gemeinschaftsaufgaben. Dafür unterliegt die Entwicklung des Sozialrechts im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft aber besonderen Bestimmungsfaktoren, die auf der Eigenschaft der EG als Rechtsgemeinschaft sowie auf der spezifischen Wirkung grundlegender Gemeinschaftsrechtssätze beruhen. Die Festlegung internationaler Sozialstandards im Rahmen des traditionellen Völkerrechts5 ist weitgehend in das Ermessen der beteiligten Staaten gestellt, demgegenüber unterliegt das Sozialrecht der Europäischen Gemeinschaft verfassungsrechtlichen Anforderungen. Während die Partner eines bilateralen Sozialversicherungsabkommens grundsätzlich frei über die vertragliche Einführung oder Abschaffung bestimmter Koordinierungsregeln entscheiden können, sieht der EG-Vertrag Organe und Verfahren zum Erlaß multilateraler Koordinierungsregeln vor. Hier ist der Rat in seiner Funktion als Gesetzgeber aufgefordert, unter Beachtung des Art. 42 EGV (Überordnung der Verträge) die zur Realisierung der Freizügigkeit erforderlichen Maßnahmen (grundlegende Wertentscheidung) zu treffen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf dem Gebiet der Sozialpolitik garantiert die normgerechte Anwendung des Gemeinschaftsprimärrechts. Die rechtssichernde Wirkung von Primärrechtsbestimmungen hat sich wiederholt gegenüber den Handlungen der Organe, insbesondere des Gemeinschaftsrechtsgebers, durchgesetzt. So sind Sekundärrechtsakte des koordinierenden Sozialrechts wegen ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 42 EGV für ungültig erklärt6 und Ausnahmevorschriften von Gleichbehandlungsrichtlinien durch eine extensive Auslegung des Art. 141 EGV umgangen worden.7 Ähnlich wie nationale Gesetzgebung den Rahmen des internen Verfassungsrechts zu respektieren hat, ist der europäische Sozialgesetzgeber an die Verträge gebunden.8 Klammer, Ute, Auf dem Weg zu mehr Flexicurity in Europa, S. 314. Vgl. zum Begriff des Völkerrechts: Vitzthum, Wolfgang, Graf (Hrsg.), Völkerrecht, S. 9 ff. 6 Urteil des Gerichtshofs vom 15. Januar 1986, Rs. C-41 / 84, Pietro Pinna / Caisse d’allocations familiales de la Savoie (Pinna I), Slg. 1986, S. 1; vgl. auch Urteil des Gerichtshofs vom 02. März 1989, Rs. C-359 / 87 (Ersuchen um Vorabentscheidung, vorgelegt von der Cour de Cassation), Pietro Pinna / Caisse d’allocations familiales de la Savoie (Pinna II), Slg. 1986, 1047 und Urteil des Gerichtshofs vom 27. September 1988, Rs. C-313 / 86, O. Lenoir / Caisse d’allocations familiales des Alpes-Maritimes, Slg. 1988, S. 5391. 7 Urteil des Gerichtshofs von 17. Mai 1990, Rs. C-262 / 88 (Ersuchen um Vorabentscheidung des Court of Appeal), Douglas Harvey Barber / Guardian Royal Exchange Assurance Group, Slg. 1990, S. 1889. 8 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 50 f. 4 5
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Empfehlungen und Mitteilungen haben zwar keine normkonkretisierende Funktion, sie können wohl aber norminterpretierende Wirkung entfalten. Damit handelt es sich nicht um völlig unbeachtliches „soft-law“. Dieses kann wiederum nach Mäder mittels des Verstärkers einer gemeinschaftsrechtlichen Generalklausel für nationales Recht Norminterpretationsmittel sein. Eine rechtliche Relevanz einer Empfehlung oder Mitteilung der Kommission an den Rat, wenn diese vom Rat akzeptiert wird, ergibt sich auch aus der allgemeinen Treuepflicht des Art. 10 EGV, auch wenn die daraus erwachsende Verpflichtung weder sanktionierbar noch erzwingbar ist.9 Damit wird die große Bedeutung der rechtlichen Basis des „Europäischen Sozialmodells“ deutlich.
2. Unterscheidung zwischen Zielen und Befugnisnormen als Grundprinzip des EGV Wesentliches Strukturprinzip des EGV ist die Unterscheidung zwischen einem weitreichenden Aufgaben-Zielkatalog und einem engeren Katalog von Befugnisnormen, welche die Gemeinschaftsorgane zum Erlaß von Rechtsnormen bzw. –akten ermächtigen. Der EGV überträgt den Gemeinschaftsorganen keine generelle Befugnis zum Erlaß der zur Verwirklichung der Vertragsziele erforderlichen Maßnahmen. Vielmehr beruht die Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinschaftsorgane auf dem Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung, das sich aus der begrenzten Übertragung von mitgliedschaftlichen Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft ergibt. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sind die Gemeinschaftsorgane zur Rechtsetzung nur befugt, soweit sie ausdrücklich oder konkludent im EGV dazu ermächtigt sind. Die Gemeinschaft verfügt nicht über „Kompetenz-Kompetenz“.10 Rechtssätze der Gemeinschaft müssen sich auf eine Rechtsgrundlage im EGV zurückführen lassen. Das Prinzip der Einzelermächtigung ist in Art. 5 Abs. 1 EGV enthalten, ergibt sich aber auch aus Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGV, wonach die Organe der Gemeinschaft nach Maßgabe der ihnen im EGV zugewiesenen Befugnisse handeln dürfen, sowie aus Art. 249 EGV, der die Gemeinschaftsorgane zum Erlaß sekundärrechtlicher Rechtsakte nach Maßgabe des EGV ermächtigt.11 Auch wenn die Zielbestimmungen und die Impulse für die Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ überwiegend aus dem politischen Raum stammen, ist nach wie vor die Europäische Gemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft, d. h. Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 77. Vgl. dazu, Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 31. 11 Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 9 Rdnr. 285 f. 9
10
2. Unterscheidung zwischen Zielen und Befugnisnormen als Grundprinzip des EGV 141
sie beruht auf Recht, handelt durch Recht und unterliegt den Maßstäben des Rechts. Bei der Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben sind die Gemeinschaftsorgane an die ausdrücklichen Bestimmungen der Verträge und an die allgemeinen Rechtsgrundsätze gebunden. Die primärrechtliche Bindung der Organe gehört zu den grundlegenden Eigenschaften des Gemeinschaftsrechts.12 Die Gestalt der Gemeinschaftsrechtsordnung wird mit der Formulierung umschrieben, Gemeinschaftsrechtssätze dienten nicht nur der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten, ihnen komme darüber hinaus auch eine instrumentale Funktion zur Herbeiführung der Integration zu.13 Nach Kahil ist es anerkannt, dass die Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft ausschließlich über das Recht und Rechtsakte als Handlungsinstrumente verfügt. Ist Recht damit das zentrale Integrationsinstrument, so müsse der Erlaß von Rechtsnormen als für die Umsetzung der Vertragsziele vorrangiges Gestaltungsmittel dienen. Die besondere Integrationswirkung des Gemeinschaftsrechts zeige sich an Wesensmerkmalen, welche auch für die Auslegung des Subsidiaritätsprinzips von Bedeutung seien. Erstens vermittle das Gemeinschaftsrecht dem einzelnen einklagbare Rechte. Der Unionsvertrag bringe diese Eigenschaft zum Ausdruck in Art. 2, 3. Spiegelstrich EUV mit der Wendung „Stärkung des Schutzes der Rechte und Interessen der Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten durch Einführung einer Unionsbürgerschaft“. Hierdurch erfülle das Recht zugleich eine Ersatzfunktion im noch unvollständigen Sanktionensystem der Gemeinschaft. Als Garanten für die effektive Durchsetzung subjektiver Rechte machten Direktwirkung und Vorrang von Primärrecht den Erlaß abgeleiteter Normen teilweise überflüssig.14 In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs versetzten sie der Rechtsentwicklung der Gemeinschaft oftmals eine entscheidende Stoßrichtung. Zweitens sorge Gemeinschaftsrecht durch die Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen für die Schaffung angeglichener rechtlicher Rahmenbedingungen. Die Rechtsangleichung sei eine sehr weit gespannte Aufgabe, die die Funktion des Binnenmarktes maßgeblich mitpräge. Der Rechtsangleichung werde zunehmend die Aufgabe zugewiesen, unmittelbar einen Beitrag für die Erreichung der Gemeinschaftsziele zu leisten. Die integrationsfördernde Wirkung des Rechts zeige sich daher besonders mit Blick auf die angleichende Rechtsetzung.15 12 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 48; so auch: Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 30 f. 13 Schwarze, Jürgen, Funktionen des Rechts in der Europäischen Gemeinschaft, S. 9 und 12 ff. 14 Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 21. Juni 1974, Rs. C-2 / 74, Jean Reyners / Belgischen Staat, Slg. 1974, S. 631; Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 1977, Rs. C-11 / 77, Richard Hugh Patrick / Minister für kulturelle Angelegenheiten, Slg. 1977, S. 1199. 15 Kahil, Bettina, Auf dem Weg zu mehr Flexicurity in Europa, S. 53 m. w. N.
142
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Dabei spiele eine bedeutsame Rolle, dass die bislang überwiegend praktizierte Koordinierung bzw. die Harmonisierung an Grenzen stoßen kann, die nur durch eine darüber hinausgehende Form der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten überwunden werden könne. Eine in jeder Hinsicht befriedigende Koordinierung sei z. B. im Rahmen der sozialen Sicherung nicht möglich, wenn beitragsfinanzierte und beschäftigungsorientierte Systeme mit steuerfinanzierten und wohnortorientierten Systemen zusammenträfen. Auch bleibe die Koordinierung der Rentenansprüche durch die Zusammenrechnung der Versicherungszeiten und durch die Proratisierung16 der Leistungen mangelhaft, wenn die nationalen Systeme unterschiedliche Altersgrenzen oder unterschiedliche Definitionen von Invalidität verwendeten, so dass die Ansprüche nicht von Beginn an gleichzeitig geltend gemacht werden könnten. Wenn die Höhe der zuerst einsetzenden Zahlung als unzureichend angesehen werde, die Aufgabe der Erwerbstätigkeit aber Voraussetzung des Bezugs dieser Zahlung sei, könne es sein, dass Wanderarbeitnehmer gezwungen seien, länger zu arbeiten, und dadurch Ansprüche verlören, jedenfalls wenn der spätere Rentenbeginn nicht zu kompensierenden höheren späteren Leistungen führe.17 Drittens könne sich ein weiteres Harmonisierungsbedürfnis dort ergeben, wo die Notwendigkeit entsteht, die sozialen Zusatzkosten einer auf regionaler Ebene betriebenen und auf Umverteilung zielenden Politik klein zu halten. Verteilungspolitik verzerrt generell und bei Freizügigkeit in verstärktem Maße. Leistungsstarke Bürger können sich bei offenen Grenzen steuerlichen Zugriffen durch Abwanderung entziehen. Umgekehrt locken großzügig bemessene soziale Vergünstigungen die sozial Schwachen an. Will man hier regulieren, bedarf es der politischen Koordinierung, wie der Wissenschaftliche Beirat feststellt.18 Der Inhalt jeder Richtlinie oder Verordnung geht jedem entgegenstehenden nationalen Recht, gegebenenfalls auch unter Einschluß des Verfassungsrechts, vor. Dies macht die Supranationalität der Europäischen Gemeinschaft aus, zeichnet sie aus gegenüber allen anderen internationalen Organisationen und macht sie zu einem völkerrechtlichen Gebilde sui generis, das mehr ist als ein Staatenbund, eben ein Staatenverbund19. Die Europäische Gemeinschaft hat jedoch nur dort Rechtsetzungsbefugnisse, wo ihr nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung durch Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten entsprechende Kompetenzen ein16 Unter „Proratisierung“ versteht man, dass zu einem gewissen Zeitpunkt alle alten Ansprüche „abgerechnet“ werden und mit einem neuen System fortgesetzt wird. Vgl. dazu z. B. auch Urteil des Gerichtshofs vom 6. April 1995, Rs. C-325 / 93, Union nationale des mutualités socialistes / Aldo Grosso, Slg. 1995, S. 939. 17 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 34. 18 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 51. 19 Vgl. dazu insbesondere BVerfGE 89, 155 vom 12. Oktober 1993, sog. „Maastricht-Urteil“.
2. Unterscheidung zwischen Zielen und Befugnisnormen als Grundprinzip des EGV 143
geräumt worden sind, wird sie doch gem. Art. 5 Abs. 1 EGV innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig.20 Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass primärrechtliche Grundlagen vorhanden sein müssen, um den Sozialkonsens zu institutionalisieren. Gerade diese rechtlichen Grundlagen werden aber nach Zuleeg21 vielfach unterschätzt bzw. als eingeschränkt betrachtet.22 Im wesentlichen wird Bezug genommen auf das Kapitel „Sozialvorschriften“, nach dem sich die Kompetenzen wie folgt darstellen: Eingedenk der sozialen Grundrechte, wie sie sich namentlich aus der Europäischen Sozialcharta des Europarates und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer der Europäischen Gemeinschaft ergeben, verfolgen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten gemeinsam nach Maßgabe des Art. 136 S. 1 EGV folgende sozialpolitische Ziele: Förderung der Beschäftigung Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Weg des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen Angemessenen sozialen Schutz Sozialen Dialog Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaftes hohes Beschäftigungsniveau Bekämpfung von Ausgrenzungen.
Zur Erreichung dieser Ziele dienen wiederum gem. Art. 136 S. 2 EGV Maßnahmen, die sowohl den überkommenen Praktiken in den Mitgliedstaaten als auch – ein in der Praxis maßgeblicher Vorbehalt – der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der Gemeinschaft Rechnung zu tragen haben. Die Verfolgung der vorgenannten Ziele und die Durchführung der zu ihrer Erreichung bestimmten Maßnahmen sind nunmehr „gemeinsame Angelegenheiten“ der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten, während nach Art. 117 EWGV die Mitgliedstaaten allein Akteure der Sozialpolitik waren. Was den Beitrag der Europäischen Gemeinschaft angeht, so „unterstützt und ergänzt“ sie die Aktivitäten der Mitgliedstaaten, wobei in einigen Bereichen, gerade 20 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 96; Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 48. 21 Vgl. dazu auch: Zuleeg, Manfred, Die Europäische Gemeinschaft auf dem Weg zur Sozialgemeinschaft, NDV Heft 1991, S. 21. 22 Vgl. dazu Streinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 1086 – 1090; vgl. auch Rödl, Florian, Europäisches Verfassungsziel ,soziale Marktwirtschaft‘ – kritische Anmerkungen zu einem populären Modell, in: integration 2005, S. 156; Fuchs, Maximilian (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, Rdnr. 5; Oppermann, Thomas, Europarecht, Rdnr. 12.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
in dem kostenträchtigen und innenpolitisch gemeinhin sehr sensiblen Kernbereich der sozialen Sicherheit, weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip im Rat gilt und einige Angelegenheiten, namentlich Fragen der Lohnfindung sowie das Arbeitskampfrecht, sogar jeglicher Gemeinschaftszuständigkeit entzogen sind. Dies bedeutet nach Schulte23 im einzelnen: 1. Im Hinblick auf die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, Arbeitsbedingungen, Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen, sowie Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz könne der Rat in Verbindung mit dem Europäischen Parlament nach dem Verfahren der Mitentscheidung gem. Art. 251 EGV, d. h. mit qualifizierter Mehrheit, durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen (wodurch die Gemeinschaftskompetenz, die in der Vergangenheit auf berufliche Eingliederung beschränkt gewesen sei, eine Ausweitung erfahren habe und die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung damit zugleich eine solidere Rechtsgrundlage erhalten hätten). 2. Hingegen gelte nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip in den Bereichen soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer, Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags, Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung (mit Ausnahme von Fragen des Arbeitsentgelts, des Koalitionsrechts, des Streikrechts sowie des Aussperrungsrechts, für die es ja gar keine Gemeinschaftskompetenz gebe), Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen aus Drittstaaten, die sich regelmäßig im Gebiet der Gemeinschaft aufhalten, sowie finanzielle Beiträge zur Förderung der Beschäftigung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen (unbeschadet der Bestimmungen über den Europäischen Sozialfonds) – Art. 137 Abs. 2, 2. UAbs. EGV. Nach wie vor Einstimmigkeit erforderlich sei mithin im Bereich der sozialen Sicherheit. Dies bedeute, dass die Gemeinschaft, die auch durch ihr umfangreiches Liberalisierungs- und Deregulierungsprogramm zur Schwächung der Autonomie der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Politik der sozialen Sicherheit entscheidend beigetragen habe – nicht zuletzt dadurch, dass es den Unternehmen in zuvor nie bestehendem Ausmaß möglich sei, Arbeitsplätze und Gewinne zu exportieren sowie Arbeitskräfte und Kosten zu importieren und sich dadurch dem Zugriff des Steuerstaates zu entziehen –, diesen Autonomieverlust der Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene auf Gemeinschaftsebene in keiner Weise ausgleiche. Der EG-Vertrag in der Fassung von Amsterdam lasse insofern die zwischen Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik bestehende Asymmetrie oder – politikwis23 Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 214 ff.
2. Unterscheidung zwischen Zielen und Befugnisnormen als Grundprinzip des EGV 145
senschaftlich formuliert – das Nebeneinander von negativer Integration im wirtschaftlichen bei gleichzeitigem Verzicht auf positive Integration im sozialpolitischen Bereich bestehen. Hervorzuheben sei die – partielle – Ersetzung des Verfahrens der Zusammenarbeit (Art. 252 EGV) durch diejenige der Mitentscheidung (Art. 251 EGV) und die damit verbundene Aufwertung der Rolle des Parlaments. 3. Keinerlei Gemeinschaftszuständigkeit bestehe im Hinblick auf Arbeitsentgelt, Koalitionsrecht, Streikrecht und Aussperrungsrecht – Art. 137 Abs. 5 EGV. Damit seien Fragen der Lohnfindung der Gemeinschaftskompetenz generell entzogen. Es wird argumentiert24, dass diese Kompetenzen zur Weiterentwicklung der Sozialpolitik nur schwach und unzureichend seien. Es wird ins Feld geführt, in der Sozialpolitik sei die Gemeinschaft mit unvollständigen Gesetzgebungskompetenzen ausgestattet, die mit dem Abkommen über die Sozialpolitik durch weitere Handlungskompetenzen ausgeweitet wurden. In der Konsequenz sei die Sozialgesetzgebung der Europäischen Gemeinschaft den sozialen Zielen der Verträge bislang nur zögerlich nachgekommen. Die Mängel europäischer Sozialgesetzgebung beschreibt Kahil wie folgt: Die primärrechtlichen Kompetenznormen beschränkten sich zum Teil ganz bewusst auf den Erlaß von Mindestregelungen, die es einzelnen Mitgliedstaaten erlauben, über das gemeinschaftliche Schutzniveau hinauszugehen. Bezeichnenderweise würden entsprechende Regelungen gerade für den Bereich gelten, innerhalb dessen Mehrheitsentscheidungen erlaubt sind, d. h. im Rahmen des durch die Einheitliche Europäische Akte eingeführten Art. 137 EGV. Insoweit sei die Entwicklung zu einer Rechtssetzung auf dem kleinsten Nenner primärrechtlich vorgegeben, obwohl durch die Einführung des Art. 137 EGV wie auch durch das Abkommen über die Sozialpolitik ein Fortschritt des europäischen Sozialrechts erzielt werden sollte. Auch ließen bestimmte Sekundärrechtsakte die Zurückhaltung des Gemeinschaftsgesetzgebers durchscheinen, politisch heikle Probleme ausdrücklich zu regeln. Das Ergebnis seien unausgereifte, von Widersprüchen durchzogene Bestimmungen, deren Anwendung oftmals die vorherige Klärung mittels Richterspruch voraussetze. Als Beispiel könne man die Kontroverse nennen, bei der es um die Frage ging, ob die Richtlinie zum Betriebsübergang dem Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers entgegensteht, ein Problem, dessen gesetzliche Klärungsbedürftigkeit nach Kahil noch augenscheinlich war,25 inzwischen aber vom EuGH im Sinne der Arbeitnehmerrechte geklärt wurde.26 24 Borchardt, Klaus-Dieter, Die soziale Dimension des Binnenmarkts, in: EuZW 1991, S. 161 ff. 25 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 45.
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Man kann insoweit die im Zusammenhang mit der aktuellen europäischen Sozialpolitik angeführten Probleme in folgenden drei Sätzen präzisieren:27 Beschränkung der primärrechtlichen Kompetenznormen auf den Erlass von Mindestregelungen, wodurch eine Entwicklung nur „auf kleinstem gemeinsamen Nenner“ stattfindet, ohne Fortschritte zu erreichen; Zurückhaltung des Gemeinschaftsgesetzgebers, politisch heikle Probleme ausdrücklich zu regeln; Sozialrechtliche Normierung als „Alibifunktion“, da die Regelungen nicht konsequent das Problem lösen (Bsp.: Richtlinie zur Massenentlassung28, die keinen materiellen Kündigungsschutz bot, sondern vor allem verfahrensrechtliche Regelungen enthielt). „Statt Überlegungen anzustellen, wie die bestehenden Kompetenzen geschickt genutzt werden können, versucht die Mehrzahl der Akteure eine ,Blockadepolitik‘ unter dem Motto: ,unerwünschte Kompetenzverlagerung‘ oder ,unzureichende Rechtsgrundlagen‘“.29
Dieses Zitat zeigt die Grundstimmung bei der Weiterentwicklung der sozialen Dimension. Borchardt30 vertritt dazu die Ansicht, dass keine klare und umfassende Rechtsgrundlage für eine gemeinsame Sozialpolitik geschaffen worden sei. Dies sei nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass es bis heute zwischen den Mitgliedstaaten kein konsensfähiges Konzept im Hinblick auf Ziele, Möglichkeiten und Grenzen einer europäischen Sozialpolitik gäbe. Diese Probleme sind aber nicht rechtlicher, sondern weitgehend politischer Natur. Grundsätzlich stünde ein ausreichendes rechtliches Instrumentarium zur Verfügung, es werde lediglich nicht zielgerichtet eingesetzt.31 Bei der Beurteilung, welcher Rechtsrahmen für das „Europäische Sozialmodell“ zur Verfügung steht, ist eine Gesamtschau unter Einbeziehung aller Aspekte notwendig, um zu erfassen, in welchem Umfang ein Handeln tatsächlich möglich ist. Weitere Möglichkeiten eröffnet auch die Auslegung. Sie spielt insoweit eine bedeutsame Rolle, denn zu einer sachgerechten Einschätzung der zur Verfügung ste26 Beschluss des Gerichtshofs vom 26. Mai 2005, Rs. C 297 / 03, Sozialhilfeverband Rohrbach / Arbeiterkammer Oberösterreich, Österreichischer Gewerkschaftsbund, ABl. EU C 182 / 19 vom 23.07. 2005. 27 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 44. 28 Richtlinie 98 / 59 / EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. EG L 225 / 16 vom 12. 08. 1998. 29 Borchardt, Klaus-Dieter, Die soziale Dimension des Binnenmarkts, in: EuZW 1991, S. 161 ff. 30 Borchardt, Klaus-Dieter, Die soziale Dimension des Binnenmarkts, in: EuZW 1991, S. 161 ff. 31 Juncker, Jean-Claude, A reappraisal of Europe’s Social Model or the Tale of the Chicken and the Pig, S. 40.
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henden Möglichkeiten sind nicht nur die unmittelbaren Kompetenznormen heranzuziehen, sondern auch vielfach die Ziele und Aufgaben oder der Normzweck zu beachten. Bei der Auslegung des Gemeinschaftsprimärrechts ist nach den üblichen Methoden der Rechtsauslegung vorzugehen. Allerdings kann nicht pauschal auf die Interpretationsgrundsätze des Völkerrechts oder des nationalen Rechts verwiesen werden, vielmehr ist die Eigenständigkeit und die Besonderheit des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen. Es kommen die wörtliche, die systematische, die historische und die teleologische Auslegung der Verträge zur Anwendung. Primär- und Sekundärrechtsbestimmungen unterliegen denselben Auslegungsgrundsätzen.32 Der teleologischen Auslegung kommt im Gemeinschaftsrecht besondere Bedeutung zu. Der Europäische Gerichtshof bedient sich vornehmlich dieser Methode. Er wird damit der Zielgerichtetheit der Gemeinschaftsordnung gerecht. Insbesondere der an den Vertragszielen ausgerichteten Interpretation kommt in der Praxis vorrangige Bedeutung zu.33 Im Gesamtzusammenhang von Rechtssystemen hat die Auslegung einzelner Rechtsnormen neben der wörtlichen, historischen und teleologischen Interpretation auch unter Gegenüberstellung anderer Vorschriften zu erfolgen. Systematische Auslegung bedeutet indes nicht nur die Beurteilung einer Rechtsnorm unter Bezugnahme auf ihre Stellung im Normkontext. Sie beinhaltet auch wertorientiertes Denken im Gesamtzusammenhang des Rechtssystems. Kennzeichen jeder Rechtsordnung ist das Zusammenwirken mehrerer Rechtsgrundsätze. Rechtmäßige Entscheidungen folgen zumeist erst aus der Summierung unterschiedlicher Argumente sowie aus der Abwägung gegenpoliger Werte. Daher muss die Beschäftigung mit einem Rechtsgrundsatz auch die Wirkung der übrigen grundlegenden Prinzipien mit einbeziehen, soll sie den Anforderungen an Einheit und Kohärenz eines in sich geschlossenen Normensystems genügen.34 In der Methodenlehre ist anerkannt, dass die wechselseitige Beschränkung und Ergänzung von Rechtsbegriffen zur näheren Inhaltsbestimmung einzelner Normen beiträgt. Die Auslegung in Bezug auf den Bedeutungszusammenhang innerhalb des Rechtssystems ist dabei umso wichtiger, je unbestimmter einzelne Regelungen sind. Sie ist insbesondere bei der Interpretation allgemeiner Prinzipien anzuwenden und gilt als Methode der Verfassungsinterpretation. Dank der Zusammenschau mehrerer Verfassungsnormen erlaubt es die systematische Interpretation, die der Verfassung eigene gedankliche Konzeption zu ermitteln. Diese Methode erleichtert 32 Hailbronner, Kay / Jochum, Georg, Europarecht I, Grundlagen und Organe, S. 91, Rdnr. 308 ff.; Herdegen, Matthias, Europarecht, Rdnr. 74 ff.; Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 63 m. w. N. 33 Hailbronner, Kay / Jochum, Georg, Europarecht I, S. 93, Rdnr. 314 ff.; Herdegen, Matthias, Europarecht, Rdnr. 74 ff.; Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 65. 34 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 66 f.
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die Sinnermittlung besonders beim Bestehen von Verfassungslücken. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „sind für die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nicht nur der Wortlaut dieser Vorschrift, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden“.35 Die Grundlagen der europäischen Rechtsetzung ergeben sich aus einer Mehrzahl von Rechtsprinzipien. Dennoch bilden die einzelnen Bestandteile des Integrationsrechts ein Ganzes: Die Gemeinschaft verfügt über eine autonome Rechtsordnung, ihre Organe sind nach den Verträgen und im Rahmen institutioneller Verfahren zur Schaffung von Rechtsnormen befugt, die in den Mitgliedstaaten zum Teil unmittelbare Wirkung entfalten oder aber staatliche Stellen verpflichten.36 Den Organen der Gemeinschaft steht folglich eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, die in der Zusammenschau eine Basis für eine planende, operationelle und kontinuierliche Sozialpolitik bilden. Es ist deshalb im folgenden nachzuweisen, dass die Möglichkeiten, gestaltende Sozialpolitik zu praktizieren, in der Gesamtschau der im Vertragswerk zur Verfügung stehenden Regelungen weitaus größer sind, als vielfach behauptet wird. Im Rahmen dieses Nachweises ist zu untersuchen, welche Rechtsquellen zur Verfügung stehen und wie sie im Rahmen des „Europäischen Sozialkonsenses“ genutzt werden können. Dabei ist zu differenzieren zwischen den sozialpolitischen Zielsetzungen und den eigentlichen Normsetzungskompetenzen. Das Primärrecht enthält zunächst zahlreiche für das Sozialrecht bedeutsame Aufgaben- und zielbestimmende Vorschriften. Neben den ausdrücklich im Vertrag aufgeführten Zielbestimmungen, wie z. B. in Art. 2 EGV, ist dabei auch – im Sinne einer Gesamtschau – auf sonstige Zielbestimmungen einzugehen, die zwar nicht primärrechtlich fixiert sind, sich aber zu wichtigen Quellen für die Zielsetzungen der Gemeinschaft entwickelt haben. Dazu gehören u. a. die Lissabon-Strategie, die ausdrücklich den sozialen Ansatz als wichtigen Teil ihres Handlungsansatzes einschließt,37 ferner die „Prozesshaftigkeit der Erweiterung der Zuständigkeiten durch den EG-Vertrag in der Fassung von Amsterdam und Nizza“38, die deutlich macht, dass ein steter Wille zu einer erweiterten gemeinsamen Sozialpolitik vorhanden ist, sowie die Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer39. Dies ist erforder35 Urteil des Gerichtshofs vom 2. Juni 1994, Rs. C-30 / 93, AC-ATEL Electronics Vertriebs GmbH / Hauptzollamt München-Mitte, Slg. 1994, S. 2305, Erwägungsgrund 21; Urteil des Gerichtshof vom 1. April 1993, Rs. C-136 / 91 (Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Baden-Württemberg Deutschland), Findling Wälzlager Handelsgesellschaft mbH / Hauptzollamt Karlsruhe, Slg. 1993, S. I-1793, Erwägungsgrund 11. 36 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 70. 37 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 99, 268, 269. 38 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 87.
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen
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lich, um ein Gesamtbild dessen zu erhalten, was politisch gewollt und rechtlich möglich ist. Es ist auch an dieser Stelle gerechtfertigt, darauf einzugehen, da z. B. der Europäischen Sozialcharta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte wichtige Maßstäbe der EU-Sozialpolitik zu entnehmen sind und sie ausdrücklich Erwähnung im Vertrag finden.40
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen Der EG-V enthält einen Bereich sozialer Aufgaben, der weiter geht als die Normsetzungskompetenz. Hier können sich nach Kahil41 der Rat und die Europäische Kommission unterhalb von Rechtsvorschriften der unverbindlichen Instrumente bedienen, um Beiträge zu einer kohärenten Sozialpolitik zu leisten. Solche Instrumente sind Empfehlungen, Stellungnahmen, Untersuchungen, Mitteilungen, aber auch Programme und Projekte sowie Beratungen, Konsultationen und die Entwicklung des Sozialen Dialogs. Die sozialen Ziele würden die zu verfolgende Sozialpolitik und, als deren normative Umsetzung, das zu schaffende Sozialrecht der Gemeinschaft beschreiben. Die sozialen Ziele der Gemeinschaft ergeben sich zunächst aus einer Vielzahl allgemeiner und spezieller Vertragsbestimmungen (z. B. Präambel, Art. 2, 3, 39, 43, 49, 136 EGV).42 a) Präambeln Bereits die Präambel der ersten großen Änderung des EWGV, die EEA43, bekundete die soziale Dimension des Integrationsprozesses. Danach sind die Mitgliedstaaten entschlossen, sich auf die in der Europäischen Sozialcharta anerkannten Grundsätze zu stützen und die soziale Lage in der Gemeinschaft zu verbessern. Heute nennt die Präambel des EU-Vertrags die maßgeblichen Motive und Ziele für die Gründung der Europäischen Union und deren „Verfassungsgrundsätze“.44 39 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 98. 40 Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 136 EGV Rdnr. 2; so auch: Europäisches Gewerkschaftsinstitut des EGB, Soziales Europa – Ein Manifest, Punkt 13. 41 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 172. 42 Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 315 f. 43 Einheitliche Europäische Akte (1986).
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Dazu gehört gemäß dem achten Erwägungsgrund neben dem wirtschaftlichen auch der soziale Fortschritt der Völker als Ziel der Union. Im fünften Erwägungsgrund bringt sie den Wunsch der Mitgliedstaaten zum Ausdruck, „die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken“. Erwähnung finden ausdrücklich ferner bereits im zweiten Erwägungsgrund „die Bedeutung der sozialen Grundrechte, die europäische Sozialcharta und die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“. In der Präambel zum EGV wird ebenfalls auf den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt verwiesen sowie auf die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen der Völker als wesentliches Ziel. Der EuGH45 entnimmt bereits der Formulierung in der Präambel des EWGV „wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt“ die Aussage, dass sich die Gemeinschaft nicht auf eine Wirtschaftsunion beschränkt, sondern sehr wohl soziale Ziele verfolgt. Die Präambeln formulieren zwar keine konkreten Vertragspflichten, haben aber nichtsdestotrotz rechtliche Bedeutung, da sie entsprechend Art. 31 Abs. 2 WVRK in die Auslegung völkerrechtlicher Verträge einbezogen werden. Präambeln geben den Willen der Vertragsparteien zusammengefasst wieder. Insoweit kommt ihnen für die Auslegung und, soweit in ihnen die Dynamik der europäischen Integration angelegt ist, auch für die Rechtsfortbildung erhebliche Bedeutung zu.46
b) Allgemeine Bestimmungen Wie andere Politikbereiche ist auch die Sozialpolitik zunächst im Lichte der allgemeinen Regelungen des Gemeinschaftsprimärrechts zu sehen. Hierbei gelten die gemeinsamen Bestimmungen des Unionsvertrags als Dach. Art. 1 EUV mit der Aufgabe der Union, die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen ihren Völkern „kohärent und solidarisch“ zu gestalten, und die sonstigen Bestimmungen des EG-Vertrags zur Schaffung des Binnenmarktes sind als oberste Grundsätze auch im Bereich der Sozialpolitik von Bedeutung.47
44 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Kommentierung zur Präambel des EUV Rdnr. 1. 45 Urteil des Gerichtshofs vom 8. April 1976, Rs. C-43 / 75, Gabrielle Defrenne / Société anonyme belge de navigation aerienne Sabena (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455, Erwägungsgrund 9. 46 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Kommentierung zur Präambel des EUV Rdnr. 12. 47 Vgl. dazu Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 73.
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen
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c) Art. 2 EUV In Art. 2 EU-Vertrag setzt sich die Europäische Union das Ziel der „Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie der Herbeiführung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung, insbesondere durch Schaffung eines Raums ohne Binnengrenzen, durch Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“. Aus dieser Formulierung kann man den überragenden Rang der Sozialpolitik für die Europäische Union in ihrer Gesamtheit herleiten. Die Erwähnung des sozialen Fortschritts als gleichrangigem Ziel neben dem wirtschaftlichen Fortschritt macht deutlich, dass die Europäische Union sich nicht mehr allein über die Wirtschaft definieren will. Ferner nimmt sie Bezug auf die Stärkung des Schutzes der Rechte und Interessen der Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten durch Einführung einer Unionsbürgerschaft in Art. 2, 3. Spiegelstrich EUV als Ausdruck einer stärkeren gesellschaftlichsozialen Integration Europas.48 Diese Ziele sind für die Europäische Union und die Mitgliedstaaten rechtlich verbindlich.49
d) Art. 2 EGV Diese allgemeine Zielsetzung wird konkretisiert in Art. 2 EGV, wonach es Aufgabe der Gemeinschaft ist, „durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in Artikeln 3 Abs. 1 und 2 und 4 Abs. 1 – 3 EGV genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.“ Art. 2 EGV ist als Grundnorm des Integrationsprogramms des EGV Ausgangs- und Bezugsnorm aller weiteren Bestimmungen und wurde vom EuGH bereits des öfteren zur Auslegung herangezogen. Er beinhaltet nicht nur bloße Programmsätze, sondern legt rechtlich verbindliche Ziele fest.50 48 Pechstein, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 2 EUV Rdnr. 8 ff.; vgl. dazu auch: Haverkate, Görg / Huster, Stefan, Europäisches Sozialrecht, Rdnr. 35 ff. 49 Bitterlich, Joachim, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 2 EUV Rdnr. 2. 50 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 2 EGV Rdnr. 2 ff.
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Daraus folgt erneut, dass neben den wirtschaftlichen auch die sozialen Ziele eine bedeutende Rolle spielen. Nach Art. 2 EGV gehört es zu den Aufgaben der Gemeinschaft, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Er lässt die Errichtung des Gemeinsamen Marktes also nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur letztlich angestrebten beschleunigten Hebung der Lebenshaltung erscheinen. Freilich ist damit noch nicht gesagt, dass diese Aufgabe mit Mitteln gemeinschaftlicher Sozialpolitik bewältigt werden soll oder ob die Erreichung eines hohen Lebensstandards dem Wirken des zusammenwachsenden Marktes überantwortet wird. Die Entscheidung hierüber ist vielmehr den spezifischen, bestimmte sozialpolitische Aufgaben umschreibenden Normen zu entnehmen. Die genannten Ziele selbst sind keine Kompetenznormen, können jedoch zur Konkretisierung einer Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden, wenn sich diese auf die Zielvorgaben bezieht.51 Die Mittel zur Erreichung dieser Ziele sind vor allem im Dritten Teil des EGV aufgeführt. Für den Fall, dass die Ziele mit den angegebenen Mitteln nicht erreicht werden können, kann u.U. Art. 308 EGV angewandt werden.52
e) Art. 3 EGV Art. 3 EGV zählt die Politiken auf, die ein gemeinschaftliches Handeln erfordern. Als Ausführungs- und Erläuterungsvorschrift zur Aufgaben- und Zielbestimmung des Art. 2 EGV beschreibt er wie diese zugleich Mittel zur Verwirklichung der Ziele und selbst Ziele der Gemeinschaft. Die Aufzählung ist nicht abschließend und kann die Gemeinschaftskompetenzen nicht limitieren. Er stellt keine eigenständige Kompetenznorm dar, erhält aber in Verbindung mit einer speziellen Bestimmung des Vertrags (z. B. Art. 308 EGV) die Funktion einer Kompetenzvorschrift für den jeweils beschriebenen Bereich. Wie Art. 2 EGV ist auch er kein reiner Programmsatz, sondern enthält rechtlich verbindliche Ziele. Betrachtet man Art. 3 Abs. 1 EGV im einzelnen, finden sich folgende Bereiche, die gemeinsame Politiken und Maßnahmen sozialrechtlicher Natur rechtfertigen: lit. i: Beschäftigungspolitik lit. j: Sozialpolitik mit einem Europäischen Sozialfonds lit. k: Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts 51 Vgl. dazu Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juli 1976, Rs. C-13 / 76, Gaetano Dona / Mario Mantero, Slg.1976 S. 1333 f. 52 Lenz, Carl Otto, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 2 EGV Rdnr. 5 ff.; Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 2 EGV Rdnr. 13.
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen
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lit. p: Hebung des Gesundheitsschutzniveaus lit. q: Berufliche Bildung lit. t: Verbraucherschutz.
Art. 3 Abs. 2 EGV, betreffend die „Förderung der umfassenden Gleichstellung von Männern und Frauen“, ist eine hinsichtlich der Ziele verbindliche Querschnittsklausel, die die Organe der Gemeinschaft zur Beseitigung von Ungleichheiten verpflichtet. Er enthält einen Handlungsauftrag an sämtliche Organe und steht in Zusammenhang mit Art. 13 EGV als entsprechender Kompetenzzuweisung an den Rat.53 Nicht ergibt sich dagegen aus ihm eine Aussage über die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten.54 f) Art. 10 EGV Gem. Art. 10 EGV haben die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung ihrer vertragsgemässen Verpflichtungen zu treffen und alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des EGV gefährden könnten – „Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“. Diese Unterlassungspflicht besteht allgemein darin, dass auf nationaler Ebene keine Maßnahmen zu ergreifen oder aufrechtzuerhalten sind, welche die praktische Wirksamkeit des Vertrages beeinträchtigen könnten. Insofern kann man in dieser Vorschrift, die in ihrer Funktion verstanden wird als Pflicht zur Zusammenarbeit, der Rücksichtnahme und der Kooperation55, auch eine Zielbestimmung insoweit sehen, dass der soziale Frieden gewahrt und die soziale Zusammenarbeit gepflegt wird. g) Art. 33 Abs. 1 b EGV Art. 33 EGV gibt einen Politikrahmen vor und definiert verbindlich die Leitziele der Gemeinsamen Agrarpolitik. Art 33 Abs. 1 b EGV sieht als Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik vor, „der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten.“ Darunter können z. B. Vorruhestandsbeihilfen, aber auch andere Maßnahmen fallen, die die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen der Landwirte betreffen.56 53 Lenz, Carl Otto, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 3 EGV Rdnr. 2 ff.; Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 2 EGV Rdnr. 3 und 12 ff.; Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 3 EGV Rdnr. 3. 54 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 3 EGV Rdnr. 5 ff. 55 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 10 EGV Rdnr. 39 ff.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
In diesem Sinne hat die Zielvorgabe auch sozialpolitischen Gehalt, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass sich im Rahmen der Agenda 2000 das agrarpolitische Schwergewicht auf Entwicklung des ländlichen Raums unter Einbeziehung auch sozialpolitischer Gesichtspunkte verlagerte.57 h) Art. 39 EGV Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bildet gemeinsam mit den anderen Freiheiten den Kern des Binnenmarktkonzepts und garantiert die unbeschränkte Mobilität von Arbeitnehmern und damit des „Mobilitätsfaktors“ Arbeit. Art. 39 EGV vereinigt in sich verschiedene Schutzaspekte und sichert Freiheits- und Gleichheitsrechte zugunsten der EU-Arbeitnehmer.58 Die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr in Art. 39 EGV hat zahlreiche Regelungen bedingt, die sich mit den arbeitsrechtlichen Harmonisierungen befasst haben59. i) Art. 43 EGV Art. 43 EGV ist die Grundnorm der grenzüberschreitenden Niederlassungsfreiheit und gewährleistet diese durch ein unmittelbar anwendbares grundsätzliches Verbot von Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates. Dogmatisch hat er die Form eines unmittelbar anwendbaren subjektiven Rechts und dieselbe normative Qualität wie die anderen binnenmarktlichen Grundfreiheiten.60 Art. 43 EGV kann z. B. als Ausprägung des Diskriminierungsverbots des Art. 12 EGV, wie er vom EuGH61 gesehen wird, zum Tragen kommen, wie bei der Frage 56
Kopp, Ferdinand, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 33 EGV Rdnr.
14 ff. Kopp, Ferdinand, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 33 EGV Rdnr. 8 f. Franzen, Martin, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 39 EGV Rdnr. 1. 59 So z. B.: Richtlinie 91 / 383 / EWG des Rates vom 25. Juni 1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis, ABl. EG L 206 / 19 vom 29. 07. 1991; Richtlinie 2002 / 74 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 80 / 987 / EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. EG L 270 / 10 vom 08. 10. 2002. 60 Müller-Graff, Peter-Christian, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 43 EGV Rdnr. 1 ff. 61 Scheuer, Alexander, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 43 EGV Rdnr. 5. 57 58
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen
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des Zugangs zu Sozialwohnungen62 oder der Anerkennung von Befähigungsnachweisen63, soweit nicht Art. 47 EGV einschlägig ist.
j) Art. 49 EGV Art. 49 EGV ist die Grundnorm der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit und enthält damit ein weiteres Grundprinzip des Binnenmarkts. Als konstitutiver Bestandteil im Regelungszusammenhang des Binnenmarktkonzepts bezweckt er die Sicherung der grenzüberschreitenden Dienstleistungen und wird von weiteren primärrechtlichen Regelungen ergänzt. Dogmatisch hat auch er die Form eines unmittelbar anwendbaren subjektiven Rechts und zählt konzeptionell zur Grundausstattung bereits des EWGV.64 Die sozialrelevante Bedeutung des Art. 49 EGV zeigt sich z.B bei Fragen des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer65 oder der Frage der möglichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherheit, wie in der Rechtssache Kohll66.
62 Urteil des Gerichtshofs vom 14. Januar 1988, Rs. C-63 / 86, Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Italienische Republik, Slg. 1988, S. 29. 63 Urteil des Gerichtshofs vom 22. Januar 2002, Rs. C-31 / 00, Conseil national de l’ordre des architectes / Nicolas Dreessen, Slg. 2002, S. 662. 64 Hakenberg, Waltraud, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Vorbemerkung zu Art. 49 EGV Rdnr. 1; Müller-Graff, Christian, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 49 EGV Rdnr. 1. 65 Urteil des Gerichtshofs vom 17. Dezember 1981, Rs. C-279 / 80, Alfred John Webb, Slg. 1981, S. 3305; Urteil vom 3. Februar 1982, verb. Rs. C-62 und 63 / 81, Seco und Desquenne und Giral / Etablissement d’assurance contre la vieillesse et l’invalidité, Slg. 1882, S. 223; Urteil des Gerichtshofs vom 27. März 1990, Rs. C-113 / 89, Societé Rush Portuguesa LDA / Office National d’immigration, Slg. 1990, S I-1417; Urteil des Gerichtshofes vom 28. März 1996, Rs. C-272 / 94, Strafverfahren gegen Michel Guiot und Climatec SA, Slg. 1996, S. I-1905; Urteil des Gerichtshofs vom 25. Oktober 2001, Rs. C-49 / 98, C-50 / 98, C-52 / 98 bis C-54 / 98 und C-68 / 98 bis C-70 / 98, Finalarte Sociedade de Construção Civil Ltd. / Urlaubsund Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (C-49 / 98), Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft / Amilcar Oliveira Rocha (C-50 / 98), Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft / Tudor Stone Ltd (C-52 / 98), Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft / Tecnamb-Tecnologia do Ambiente Lda (C-53 / 98), Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft / Turiprata Construções Civil Lda (C-54 / 98), Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft / Duarte dos Santos Sousa (C-68 / 98), Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft / Santos & Kewitz Construções Lda (C-69 / 98), Portugaia Construções Lda / Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (C-70 / 98) und Engil Sociedade de Construção Civil, Slg. 2001, S. I-7831. 66 Urteil des Gerichtshofes vom 28. April 1998, Rs. C-158 / 96, Raymond Kohll / Union des caisses de maladie, Slg. 1998, S. 1931.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
k) Art. 125 bis Art. 127 EGV Art. 125 EGV gibt Auskunft über die Zielsetzung des Beschäftigungstitels, nämlich – „die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie“. Er hat im Wesentlichen programmatischen Charakter und dient den in Art. 2 EUV und 2 EGV niedergelegten allgemeinen Zielen der Union und der Gemeinschaft. Als beschäftigungspolitische Zielsetzungen werden festgelegt: Art. 125 EGV: Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie, Anhebung der Qualifikation der Arbeitnehmer sowie die Stärkung der Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte. Art. 127 EGV: Beitrag zur Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus durch Förderung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in der Beschäftigungspolitik, wobei allerdings die Zuständigkeit für die Beschäftigungspolitik bei den Mitgliedstaaten verbleibt. Art. 126 EGV fasst demgegenüber die Aufgaben der Mitgliedstaaten im Rahmen der koordinierten Beschäftigungsstrategie zusammen und verpflichtet sie, durch ihre Beschäftigungspolitiken zu den in Art. 125 EGV genannten Zielen beizutragen. Abs. 2 konkretisiert die allgemeine Pflicht der Mitgliedstaaten, die Förderung der Beschäftigung als Angelegenheit von allgemeinem Interesse zu betrachten, indem er sie des weiteren verpflichtet, ihre Tätigkeiten, die sie zur Förderung der Beschäftigung ergreifen, nach Maßgabe des Art. 128 EGV im Rat aufeinander abzustimmen.67 Da die Europäische Beschäftigungsstrategie, insbesondere auch im Zusammenspiel mit den Nationalen Aktionsplänen, eine wichtige Rolle für den Bereich der Regelungen im Sinne des „soft law“ darstellt, wird auf sie in einer Gesamtdarstellung näher noch im folgenden unter VII. 5 eingegangen.
l) Art. 136 EGV Art. 136 EGV ist eine zentrale Vorschrift für die europäische Sozialpolitik. Er normiert die Ziele und Maßstäbe einer europäischen Sozialpolitik und knüpft an die Ziele der Präambel und der Aufgabenbestimmung des Art. 2 EGV an.68 Wegen seiner grundlegenden Bedeutung soll sein Wortlaut an dieser Stelle zitiert werden: „Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten verfolgen eingedenk der sozialen Grundrechte, wie sie in der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta 67 Niedobitek, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 125 EGV Rdnr. 20 ff., Art. 126 EGV Rdnr. 1 und 13, Art. 127 EGV Rdnr. 1 f. 68 Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 136 EGV Rdnr. 1 ff.; Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 136 EGV Rdnr. 1 ff.
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen
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und in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 festgelegt sind, folgende Ziele: die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, einen angemessenen sozialen Schutz, den sozialen Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen. Zu diesem Zweck führen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten Maßnahmen durch, die der Vielfalt der einzelstaatlichen Gepflogenheiten, insbesondere in den vertraglichen Beziehungen, sowie der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Gemeinschaft zu erhalten, Rechnung tragen. Sie sind der Auffassung, dass sich eine solche Entwicklung sowohl aus dem eine Abstimmung der Sozialordnungen begünstigenden Wirken des Gemeinsamen Marktes als auch aus den in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren sowie aus der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergeben wird.“
Diese Aufgabenumschreibung gibt der Europäischen Gemeinschaft eine umfassende sozialpolitische Zielbestimmung. Sie rechtfertigt arbeits- und sozialrechtliche Rechtsetzungsakte auf der Grundlage des Art. 137 EGV, welche die in den sozialen Grundrechten enthaltenen Ziele und Aufgaben konkretisieren. Sie unterliegen allerdings dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 EGV, wonach ein Handeln der Europäischen Gemeinschaft nur dann statthaft ist, wenn die erstrebten Ziele nicht durch ein Handeln der Mitgliedstaaten erreicht werden können. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass für die benannten Bereiche nicht ausschließlich die Europäische Gemeinschaft zuständig ist, sondern eine kumulative Zuständigkeit von Europäischer Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten besteht. Soweit danach EG-Handeln erlaubt ist, hat die EU solche Maßnahmen zu ergreifen, die der Vielfalt der „einzelstaatlichen Gepflogenheiten“ sowie der Erhaltung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Rechnung tragen. Das erstgenannte Gebot bezieht sich auf die Ausgestaltung, das letztgenannte dagegen auf die Reichweite der Maßnahmen. Hinsichtlich der Ausgestaltung haben die EG-Maßnahmen die überkommene Vielfalt arbeits- und sozialrechtlicher Gestaltungen zu wahren. Sie sind mithin so zu gestalten, dass sie für die unterschiedlich geformten Arbeitsund Lebensbedingungen der Mitgliedstaaten einen vereinheitlichenden Effekt im Rahmen unterschiedlicher Grundansätze erzielen können. Wie Einheit in der Vielfalt zu verwirklichen ist, zeigt sich namentlich bei der offenen Methode der Koordinierung. Hinsichtlich der Reichweite der Maßnahmen setzt Art. 136 EGV eine Grenze im Hinblick auf die wirtschaftliche Belastbarkeit der Mitgliedstaaten, indem er ausdrücklich Bezug nimmt auf die „einzelstaatlichen Gepflogenheiten“. Sozialpolitische Maßnahmen pflegen wirtschaftliches Handeln zu beeinflussen, weil sie wirtschaftliche Handlungen um sozialpolitischer Ziele willen unterbinden oder den Ertrag wirtschaftlichen Handelns mit Abgabepflichten belasten. Derartige Beeinträchtigungen wahrzunehmen, die erstrebten Vorteile gegen die damit ver-
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
bundenen Lasten abzuwägen und die Maßnahmen erst nach reiflicher Abwägung zu ergreifen, ist Sinn des Gebots, der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Rechnung zu tragen. Die Verwirklichung sozialpolitischer Ziele soll nicht ausschließlich als Folge von Rechtsangleichung geschehen. Außerdem schreibt der Vertrag dem Wirken des Markts eine die „Abstimmung der Sozialordnungen“ begünstigende Wirkung zu (Art. 136 EGV). Diese Formulierung gibt nach Barbieri69 der Überzeugung Ausdruck, dass die Intensivierung des innergemeinschaftlichen Austausches die Angleichung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten nach sich zieht, in deren Folge auch eine Angleichung des sozialpolitischen Standards möglich wird. Freilich stellt sich dieser Zusammenhang nicht zwangsläufig ein. Es kann vielmehr wirtschaftlicher Wettbewerb auch aus der Nichtbeachtung sozialpolitischer Standards erwachsen. Der die Kostensenkung fordernde Wettbewerb fördert sogar tendenziell die Senkung sozialer Standards. Deshalb geht die Gefahr des „Sozialdumpings“70 mit der Ausweitung des Binnenmarktes einher. Daher kann nicht von einer direkten Beziehung zwischen der Intensivierung des innergemeinschaftlichen Austauschs und der Hebung des sozialpolitischen Standards ausgegangen werden. Ebensowenig gilt freilich auch der Umkehrschluß, dass die Ausweitung des innergemeinschaftlichen Handels mit „Sozialdumping“ notwendig einhergehe. Vielmehr ist die wirtschaftliche, sich im Wettbewerb bewährende Leistungsfähigkeit eines Mitgliedstaates eine unverzichtbare Voraussetzung für einen angemessenen sozialpolitischen Standard. Weil der Wettbewerb die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten hebt, begünstigt er ebenfalls ihre sozialpolitischen Möglichkeiten.71 Er zieht auch eine sozialpolitische Besserstellung im Regelfall nach sich, weil höhere Erträge namentlich den Verteilungsspielraum für sozialpolitische Verbesserungen erhöhen. Soweit indes der Wettbewerb „Sozialdumping“ im Einzelfall begünstigen sollte, muss der Gefahr durch Rechtsangleichung begegnet und für gleiche Wettbewerbsbedingungen gesorgt werden, auf dass wirtschaftlicher Erfolg mit sozialpolitischem Fortschritt einhergeht. Angesichts seiner zentralen Bedeutung für die Sozialpolitik fragt es sich, ob Art. 136 EGV so weit auszulegen ist, dass man ihn als Grundlage für eine künftige „soziale Säule“ nützen könnte. 69 Barbieri, Giacomo, Reform des Sozialstaats – Herausforderung für Politik und Gewerkschaften, S. 5 ff. 70 S. dazu auch III. 1. und III. 4. f. 71 Europäische Kommission, Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik der EU 1999 – 2001, Arbeit, Zusammenhalt, Produktivität, S. 13; vgl. dazu auch: Barbieri, Giacomo, Reform des Sozialstaats – Herausforderung für Politik und Gewerkschaften, S. 5 ff.
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen
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Schnorr72 hat bereits 1974 eindrucksvoll belegt, dass dies möglich ist. Art. 136 EGV73 werde vielfach deswegen als eine ungenügende Grundlage für das Gemeinschaftshandeln angesehen, weil er den Gemeinschaftsorganen keine Kompetenz auf den Gebieten des Arbeits- und Sozialrechts einräume. Damit bleibe er ineffizient und gestatte nur in wenigen, im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Fällen eine Harmonisierung. Diese Ansicht hält er nicht für zutreffend. Ihre Anhänger begingen den Fehler, in den Wortlaut des Art. 136 EGV die ihm zugrunde liegenden ideologischen Motive hineinzuinterpretieren, obwohl sie in ihm gar nicht zum Ausdruck kämen. Sie würden den Art. 136 Abs. 1 EGV so lesen, als ob in ihm stünde: . . . „Die Mitgliedstaaten sind sich einig, dass die wirtschaftliche Integration auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte hinwirkt . . .“. In Wahrheit sage aber der objektiv verständliche Wortlaut dieser Vertragsbestimmung, dass sich die Mitgliedstaaten über die Notwendigkeit geeinigt haben, auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte hinzuwirken und dadurch auf dem Weg des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen. Aus diesem Wortlaut ergebe sich eindeutig eine normative und damit rechtsverbindliche Verpflichtung, ein bestimmtes soziales Gemeinschaftsziel zu erreichen. Denn wie anders solle der die Einigung unter den Mitgliedstaaten enthaltende Hauptsatz in seinem Zusammenhang mit dem nachfolgenden Finalsatz verstanden werden, wenn man nicht grammatikalische Haarspalterei betreiben wolle! Damit sei zwar noch nicht alles, aber der wichtigste Rechtsstandpunkt festgehalten: Art. 117 EWGV [heute 136 Abs. 1 EGV] enthalte eine zielbestimmende Grundlage für eine allgemeine gemeinwirtschaftliche Sozialpolitik unabhängig von den Spezialvorschriften der Gemeinschaftsverträge. Dass er keine detaillierte Kompetenzverteilung vorsehe, tue seiner Normativität keinen Abbruch, denn auch auf allen anderen Gebieten der rechtlich geregelten Gemeinschaftspolitik unterscheide der Vertrag sehr scharf zwischen der materiell-rechtlichen Ermächtigung zum Gemeinschaftshandeln (z. B. Art. 23, 32, 39, 70, 81 und 99 EGV) und der konkreten Kompetenzverteilung. Allerdings sei diese Grundlage des sozialpolitischen Gemeinschaftshandelns nicht unbeschränkt. Ihre Substanz und ihre Grenzen ergäben sich aus Abs. 2 des Art. 136 EGV in zweifacher Hinsicht. Wenn die Mitgliedstaaten darin die Auffassung verträten, dass die in Abs. 1 erstrebte Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen schon durch bestimmte Wirtschaftsfaktoren des Gemeinsamen Marktes erreicht werde, so hätten sie damit zum Ausdruck gebracht, dass die Notwendigkeit eines gemeinschaftsrechtlichen Handelns nicht a priori anzunehmen sei. Mit anderen Worten, die Mitgliedstaaten 72 Vgl. dazu Schnorr, Gerhard, Arbeits- und sozialrechtliche Fragen der europäischen Integration, S. 17 f.; vgl. dazu auch Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 26 f. 73 Bei der Argumentation Schnorrs ist zu beachten, dass sie sich nicht auf den Wortlaut des aktuellen Art. 136 EG-V bezieht, sondern auf die Formulierungen der alten Fassungen der Art. 117 / 118 EWGV.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
sollen die Sozialpolitik nicht „l’art pour l’art“ betreiben. Insoweit verbleibe sie in der einzelstaatlichen Kompetenz. Aber dies entbinde angesichts des Art. 117 EWGV (heute Art. 136 Abs. 1 EGV) nicht von der Pflicht, die soziale Entwicklung aufmerksam zu beobachten. Wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung auf dem Gemeinsamen Markt wider Erwarten hemmend auf den sozialen Fortschritt auswirke, so verstärke sich die in Art. 117 Abs. 1 EWGV (heute Art. 136 EGV) festgelegte Pflicht zu gemeinschaftsrechtlichem Handeln, da sich die Mitgliedstaaten – wie dargelegt – auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Wege des sozialen Fortschritts geeinigt hätten. Welcher Art dieses gemeinschaftsrechtliche Handeln zu sein habe, lege Art. 117 EWGV(heute Art. 136 EGV) selbst nicht fest. Ferner stehe Art. 117 EWGV (heute Art. 136 EGV) in einem engen Kontext zum sonstigen Gemeinschaftsrecht. Daraus ergäbe sich eine weitere substantielle Schranke. Gemeinschaftsrechtliche sozialpolitische Maßnahmen sollten nur dann, aber auch immer dann getroffen werden, wenn es das gemeinschaftliche Interesse erfordere. Auch insofern sei die Vertragsbestimmung nicht als Blankoermächtigung aufzufassen. Ein gemeinschaftsrechtliches sozialpolitisches Handeln sei daher dann nicht durch diese Vorschrift gedeckt, wenn die geplante Maßnahme in überhaupt keinem Bezug zum Gemeinsamen Markt stehe. Damit kommt Schnorr zu dem Ergebnis, dass Art. 117 EWGV (heute Art. 136 EGV) eine generelle materiell-rechtliche Ermächtigung zum Gemeinschaftshandeln in den Fällen enthält, in denen sich die wirtschaftliche Situation auf dem Gemeinsamen Markt hemmend auf den sozialen Fortschritt auswirke. Betrachtet man – unter den genannten Einschränkungen – Art. 117 EWGV (heute Art. 136 EGV) als Grundlage für eine allgemeine Sozialpolitik der Europäischen Union, stellt sich als Zweites die Frage, mit welchen rechtlichen Mitteln diese Sozialpolitik umgesetzt werden kann. Die Literaturmeinung, die sich bereits gegen die normative Wirkung des Art. 117 EWGV (heute 136 EGV) wende, vertrete die konsequente Ansicht, dass, soweit sich keine Absicherung durch Spezialkompetenz ergebe, sich das Mandat der Mitgliedstaaten nur auf unverbindliche Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen durch die Kommission, wie dies in Art. 117 EWGV (heute Art. 136 EGV) vorgesehen ist, beschränke. Die Gegenmeinung, die eine normative Wirkung des Art. 117 EWGV (heute Art. 136 EGV) sehe, begnüge sich mit der Forderung „einer allgemeinen Harmonisierung des Arbeits- und Sozialrechts“, ohne allerdings detailliert auf die Kompetenzen dafür einzugehen.74 Schnorr räumt ein, dass Art. 117 EWGV (heute Art. 136 EGV) zwar zunächst nur eine völkerrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorsieht, an einer Ver74 Vgl. dazu Schnorr, Gerhard, Arbeits- und sozialrechtliche Fragen der europäischen Integration, S. 19 f.
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen
161
besserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen mitzuwirken, soweit dies im gemeinschaftlichen Interesse notwendig wird. Die Mittel und Kompetenzen leitet er aus dem Kontext aller einschlägigen Vertragsbestimmungen her. Dabei verweist er aber ausdrücklich darauf, dass aus systemtheoretischen Gründen und zur Wahrung der mitgliedstaatlichen Hoheitsrechte nicht alle Möglichkeiten gleichwertig nebeneinanderzustellen sind. Da das gemeinschaftsrechtliche sozialpolitische Handeln nach seiner Theorie nicht Selbstzweck ist, sondern von der wirtschaftlichen Situation auf dem Gemeinsamen Markt diktiert wird, hat die materiell-rechtliche Konsistenz Einfluß auf die Zuständigkeitswahl. Für die im Einzelfall zu prüfende arbeits- oder sozialrechtliche Gemeinschaftsmaßnahme ist stets diejenige Kompetenzbestimmung in Betracht zu ziehen, die die größte Nähe zur materiellen Situation aufweist, die das sozialpolitische Problem auf Gemeinschaftsebene ausgelöst hat. Dadurch soll erreicht werden, dass unter den verschiedenen Mitteln aus der Skala zwischen „bloßer Koordination“ bis hin zu „supranationaler Rechtsetzung“ das jeweils adäquate Mittel herausgegriffen wird. Allerdings setzt dieses Vorgehen voraus, dass eine jeweils empirische Untersuchung erfolgt, durch welche Situation auf Gemeinschaftsebene das korrespondierende sozialpolitische Problem ausgelöst wurde. Nach der Neufassung des Kapitels zur Sozialpolitik bestimmt Art. 136 EGV die Ziele und Maßstäbe der europäischen Sozialpolitik, während Art. 137 EGV als Kompetenznorm dient. Es ist nunmehr anerkannt, dass der Sozialpolitik eine größere Rolle zukommt. Sozialpolitik, die vorher für die Gemeinschaft nur im Rahmen der sozialrechtlichen Flankierung von Freizügigkeit und im Rahmen des Europäischen Sozialfonds eine originäre Zuständigkeit begründet hatte, wird jetzt zu einer umfassenden – wenn auch nicht alleinigen, da gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten auszuführenden – Angelegenheit des Gemeinschaftsrechts. Damit kann man feststellen, dass die Regelungen der Art. 136 ff. EGV die aufgrund mehrerer Vertragsrevisionen deutlich ausgebauten originären sozialpolitischen Befugnisse der Europäischen Gemeinschaft festschreiben.75
m) Art. 149 Abs. 1 und 2 EGV Die Regelungen im Bildungsbereich haben insofern sozialpolitischen Bezug, als sie eine wesentliche Grundlage für Mobilität und Beschäftigung bilden. Ohne Ausund Weiterbildung, die in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, ist berufliche Mobilität nicht möglich und sind die Beschäftigungschancen in einem anderen Mitgliedstaat beschränkt. Da oben unter III 5 c als einer der Eckpunkte des „Euro75 Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 136 EGV Rdnr. 1 ff.; vgl. dazu auch Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 136 EGV Rdnr. 3 f.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
päischen Sozialmodells“ die Bildung genannt wurde, ist auch auf die insoweit einschlägigen Vorschriften kurz einzugehen. Nach Art. 149 Abs. 1 EGV trägt die Gemeinschaft „zur Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Bildung dadurch bei, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt der Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt“. Die Ziele finden sich im einzelnen abschließend aufgeführt in Abs. 2 der Vorschrift und umschreiben die Bereiche, in denen die Gemeinschaft ihre fördernde, unterstützende oder ergänzende Aufgabe verwirklichen kann76. Sie lauten: Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen, insbesondere durch Erlernen und Verbreiten der Sprachen der Mitgliedstaaten Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden, auch durch die Förderung der akademischen Anerkennung der Diplome und Studienzeiten Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen Ausbau des Informations- und Erfahrungsaustausches über gemeinsame Probleme im Rahmen der Bildungssysteme der Mitgliedstaaten Förderung des Ausbaus des Jugendaustausches und des Austausches sozialpädagogischer Betreuer Förderung der Entwicklung der Fernlehre.
n) Art. 150 EGV Art. 150 EGV ist die Spezialvorschrift für das berufliche Bildungswesen. Während Art. 149 EGV das Bildungswesen insgesamt, unter Einschluß der beruflichen Bildung unter seinem allgemein-kulturellen Aspekt thematisiert, hat Art. 150 EGV die Politik der beruflichen Bildung zum Gegenstand und weist damit eine stärkere Arbeitsmarktorientierung auf.77 Danach führt die Gemeinschaft „eine Politik der beruflichen Bildung, welche die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für Inhalte und Gestaltung der beruflichen Bildung unterstützt und ergänzt“. Die Zielvorgaben finden sich wiederum, wie bei Art. 149 EGV, im Abs. 2 der Vorschrift und lauten: Erleichterung der Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse, insbesondere durch berufliche Bildung und Umschulung 76 So Niedobitek, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 149 EGV Rdnr. 30. 77 So Niedobitek, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 150 EGV Rdnr. 4.
3. Sozialpolitische Zielsetzungen in den Gemeinschaftsverträgen
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Verbesserung der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung zur Erleichterung der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt Erleichterung der Aufnahme einer beruflichen Bildung sowie Förderung der Mobilität der Ausbilder und der in beruflicher Bildung befindlichen Personen, insbesondere der Jugendlichen Förderung der Zusammenarbeit in Fragen der beruflichen Bildung zwischen Unterrichtsanstalten und Unternehmen Ausbau des Informations- und Erfahrungsaustausches über gemeinsame Probleme im Rahmen der Berufsbildungssysteme der Mitgliedstaaten.
o) Art. 152 EGV Art. 152 Abs. 1 EGV enthält die Zielsetzung im Gesundheitswesen, indem er vorsieht: „Bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.“ Dabei wird allerdings nicht die Gesamtheit dessen, was gemeinhin als ,Gesundheitswesen‘ verstanden wird umfasst, sondern wegen des Schwergewichts auf der Prävention und der öffentlichen Aufklärung und Erziehung eher die öffentliche Gesundheit‘.78 Im einzelnen wird auf den Art. 152 EGV unter V.6 c (26) als Kompetenznorm eingegangen. p) Art. 158 EGV Art. 158 EGV ist eine Zielbestimmung der Gemeinschaft, die eine Politik zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts zum Inhalt hat (Kohäsion) und die Verringerung der Unterschiede im Entwicklungsstand der Regionen anstrebt (Konvergenz).79 Aus dieser strukturpolitischen Generalklausel lassen sich folgende gemeinschaftliche Prioritäten für die Strukturpolitiken ableiten:80 Schaffung der Voraussetzungen für eine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung: Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovation sowie Förderung der Entwicklung der KMU 78 Vgl. Lurger, Brigitta, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 152 EGV Rdnr. 9. 79 Magiera, Siegfried, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 158 EGV Rdnr. 11. 80 Borchardt, Klaus-Dieter, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 158 EGV Rdnr. 10.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Beschäftigung und Entwicklung der Humanressourcen Nachhaltige Entwicklung sowie Verbesserung und Schutz der Umwelt Gleichstellung von Männern und Frauen.
Die mit der Beschäftigung in Zusammenhang stehenden Zielsetzungen, die Entwicklung der Humanressourcen und die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie die mit der Wettbewerbsfähigkeit in Zusammenhang stehenden Ziele haben sozialpolitische Relevanz. Sie haben, zumindest mittelbare, Auswirkungen auf das Sozialmodell, denn eine erfolgreiche Strukturpolitik, die mit einem hohen Beschäftigungsniveau einhergeht, ermöglicht weitergehende soziale Regelungen, als dies bei einer stagnierenden oder rückläufigen Konjunktur der Fall ist.
q) Art. 160 EGV Art. 160 EGV beschreibt die Aufgabe des Europäischen Regionalfonds, die darin besteht, „durch Beteiligung an der Entwicklung und an der strukturellen Anpassung der rückständigen Gebiete und an der Umstellung der Industriegebiete mit rückläufiger Entwicklung zum Ausgleich der wichtigsten regionalen Ungleichgewichte in der Gemeinschaft beizutragen“. Damit knüpft Art. 160 EGV an die in Art. 158 Abs. 2 EGV formulierten regionalen Konvergenzziele zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft an.81
4. Sonstige sozialpolitische Zielsetzungen Neben den sich unmittelbar aus dem Primärrecht ergebenden Zielsetzungen wurden weitere Ziele präzisiert im Zuge der Weiterentwicklung der europäischen sozialen Dimension.
a) Europäische Sozialcharta82 Als normative Grundlage im Sinne von Prinzipien für das europäische Handeln kann auch die Europäische Sozialcharta des Europarates aus dem Jahr 1961 herangezogen werden, die durch den Verweis in Art. 136 EGV nunmehr in den Vertrag integriert ist. 81 Magiera, Siegfried, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 160 EGV Rdnr. 3 f. 82 Oetker, Hartmut / Preis, Ulrich, Europäische Rechtsvorschriften zum Arbeitsrecht, A 1400.
4. Sonstige sozialpolitische Zielsetzungen
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Die darin geregelten sozialen Grundrechte beziehen sich im Wesentlichen auf die Stellung des Einzelnen im Arbeitsleben und in der sozialen Sicherung. Die Europäische Sozialcharta soll ausweislich der Präambel den „wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt (zu) fördern“ und die „Ausübung sozialer Rechte ( . . . ) ohne Diskriminierung aus Gründen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Religion, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft“ sicherstellen. Als soziale Grundrechte sind darin im einzelnen anerkannt: Art. 1:
Recht auf Arbeit
Art. 2:
Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen
Art. 3:
Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen
Art. 4:
Gerechtes Arbeitsentgelt
Art. 5:
Vereinigungsfreiheit
Art. 6: Recht auf Kollektivverhandlungen Art. 7:
Schutz von Kindern und Jugendlichen
Art. 8:
Schutz der Arbeitnehmerinnen
Art. 9:
Berufsberatung
Art. 10: Berufliche Bildung Art. 11: Schutz der Gesundheit Art. 12: Soziale Sicherheit Art. 13: Fürsorge Art. 14: Inanspruchnahme sozialer Dienste Art. 15: Recht der Behinderten auf berufliche und soziale Eingliederung oder der Wiedereingliederung Art. 16: Sozialer, gesetzlicher und wirtschaftlicher Schutz der Familie Art. 17: Sozialer und wirtschaftlicher Schutz der Mütter und Kinder Art. 18: Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit Art. 19: Schutz der Wanderarbeitnehmer.
b) Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer83 Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer zielt auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte ab. Die Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer soll ausweislich der Begrün83 Oetker, Hartmut / Preis, Ulrich, Europäische Rechtsvorschriften zum Arbeitsrecht, A 1500.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
dungserwägung „auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte“ hinwirken und im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktes „allen Arbeitnehmern der Europäischen Gemeinschaft Verbesserungen im sozialen Bereich, vornehmlich hinsichtlich der Freizügigkeit, der Lebens- und Arbeitsbedingungen, des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit in der Arbeitswelt, des sozialen Schutzes sowie der allgemeinen und beruflichen Bildung“ bringen. Als soziale Grundrechte sind darin anerkannt: Freizügigkeit Recht auf freie Berufswahl und Berufsausübung Gerechtes Arbeitsentgelt Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen Sozialer Schutz Koalitionsfreiheit und Freiheit der Tarifverhandlungen Berufsausbildung Gleichbehandlung von Männern und Frauen Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer im Unternehmen Gesundheitsschutz und Sicherheit der Arbeitnehmer Schutz der Kinder und Jugendlichen, älteren Menschen sowie der Behinderten.
Mit der Aufnahme in den Vertrag in Form eines Verweises in Art. 136 EGV hat diese Charta den Rang einer das Handeln der Europäischen Gemeinschaft legitimierenden umfassenden sozialpolitischen Bestimmung erhalten.84
c) Abkommen über die Sozialpolitik85 Der Text des Abkommens über die Sozialpolitik86 basiert auf der 1989 angenommenen Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer. Zunächst als Protokoll dem Vertrag von Maastricht beigefügt, wurde es mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam durch Art. 136 EGV in die Bestimmungen des Vertrags integriert.
84 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Jena, Rdnr. 35 ff.; Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 136 EGV Rdnr. 22 f. 85 Vertrag über die Europäische Union, Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über die Sozialpolitik. 86 Zunächst erfolgte die Unterzeichnung ohne Großbritannien.
4. Sonstige sozialpolitische Zielsetzungen
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d) Charta der Grundrechte87 Auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die gem. deren Art. 51 insbesondere die Organe und Einrichtungen der EU mit ihrem Inkrafttreten binden würde, findet sich besonders im Kapitel IV unter der Überschrift „Solidarität“ eine Zusammenfassung wesentlicher sozialer Grundrechte: Art. 14: Recht auf Bildung Art. 15: Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten Art. 21: Nichtdiskriminierung Art. 23: Gleichheit von Männern und Frauen Art. 24: Rechte des Kindes Art. 25: Rechte älterer Menschen Art. 26: Integration von Menschen mit Behinderung Art. 27: Anhörungsrechte der Arbeitnehmer im Unternehmen Art. 28: Recht auf Kollektivverhandlungen und –maßnahmen Art. 29: Recht auf unentgeltlichen Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst Art. 30: Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung Art. 31: Recht auf angemessene Arbeitsbedingungen Art. 32: Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz Art. 33: Schutz der Familie und Recht auf Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben Art. 34: Recht auf soziale Sicherheit und soziale Unterstützung Art. 35: Gesundheitsschutz Art. 36: Recht auf Zugang zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Art. 39 ff.: Bürgerrechte.88
Im einzelnen wird darauf nochmals näher im Zusammenhang mit der Unionsbürgerschaft im Kapitel VII. I. c eingegangen.
e) Lissabon Die Lissabon-Strategie hat ein strategisches und damit politisches Ziel definiert, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirt87 88
ABl. EG C 364 / 1 vom 18. 12. 2000. Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 35 f.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
schaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“.89 Sie wurde sogar als „Wegweiser“ bei der künftigen europäischen Sozialpolitik bezeichnet.90 Der Lissabon-Prozess wird im Rahmen der hier zu behandelnden Frage der Zielvorgaben nur kurz behandelt. Im einzelnen wird auf ihn unter VII. 6. mit Blick auf seine Funktion als Quelle der Schaffung von „soft-law“ einzugehen sein.
5. Zusammenfassung der sozialpolitischen Ziele und ihrer Bedeutung Damit kann man hinsichtlich der sozialpolitischen Zielsetzungen grundsätzlich feststellen, dass sie rechtlich zunächst wichtige Orientierungen darstellen. Sie beschreiben Aufgaben der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft, sind Auslegungshilfen und auf ihrer Grundlage können sich nach Mäder91 der Rat und die Europäische Kommission unterhalb von Gesetzen der Rechts- und Verwaltungsinstrumente bedienen, um Beiträge zu einer kohärenten Sozialpolitik zu leisten. Solche Instrumente sind Entscheidungen, Empfehlungen, Stellungnahmen (Art. 249, 211 EGV), Untersuchungen, Mitteilungen, aber auch Programme und Projekte sowie Beratungen, Konsultationen oder auch die Entwicklung des sozialen Dialogs. In Verbindung mit Kompetenznormen haben sie in vielen Fällen zu Richtlinien und Verordnungen geführt, und sind deshalb eine nicht zu unterschätzende Rechtsquelle. In der Rechtssache Defrenne zieht der EuGH die sozialen Ziele der Gemeinschaft und die Wirksamkeit des Art. 141 EGV zur Begründung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Grundsatzes der Gleichbehandlung (hier gleiches Entgelt) heran. Hieran zeigt sich der materielle Zusammenhang zwischen den allgemeinen Zielen der Gemeinschaft auf der einen und den speziellen Vertragsbestimmungen auf 89 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000, Punkt 5. 90 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 28; vgl. dazu auch Fitz Gerald, John, Progress on the Lisbon Agenda; vgl. dazu ferner Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das ganze Potenzial ausschöpfen: Konsolidierung und Ergänzung der Lissabonner Strategie, KOM (2001) 79 endg. vom 7. 2. 2001; Europäische Kommission, Entscheidung für Wachstum: Wissen, Innovation und Arbeit in einer auf Zusammenhalt gegründeten Gesellschaft, KOM (2003) 5 endgültig / 2,{SEK(2003)25} vom 03. 04. 2003. 91 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 83.
5. Zusammenfassung der sozialpolitischen Ziele
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der anderen Seite: Als besondere Ausformung sozialpolitischer Gemeinschaftszwecke verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung nach effizienter Wirkung. Darauf fußend geht der Gerichtshof auf die inhaltliche Bestimmung der gemeinschaftlichen Sozialpolitik ein und stellt ab auf die in der Präambel und in Art. 136 EGV gebrauchten Wendungen „der Stärkung des sozialen Fortschritts“, der „ständigen Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen“ bzw. der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte.“92 Die Zielsetzungen und ihre kontinuierliche Weiterentwicklung in den Verträgen zeigen aber auch deutlich eine politische Tendenz – die stetige Verdichtung der sozialen Komponente. Diese kann man insbesondere verfolgen anhand der sozialpolitischen Verdichtungen vom EG-Vertrag in der Fassung von Maastricht bis zum EG-Vertrag in der Fassung von Nizza. So wurde mit dem EG-Vertrag in der Fassung von Maastricht die „Unionsbürgerschaft“ etabliert, die den Staatsbürgern der Mitgliedstaaten spezifische europäische Rechte verliehen hat, wie das Recht auf Freizügigkeit (Art. 18 EGV) und das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz in Drittstaaten (Art. 20 EGV), und damit die Staatsbürgerschaft um EG-spezifische Rechte ergänzt. Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat die Unionsbürgerschaft in wachsendem Maße auch eine sozialrechtliche Dimension erhalten, etwa in Gestalt eines Anspruchs auf das soziale Existenzminimum. 93 Die als Unionsbürgerrecht verbriefte Freizügigkeit vermittelt insofern Teilnahme und Teilhabe von EU-Migranten an der Gesellschaft des Aufnahmestaats, was die (im einzelnen in Gegenstand und Umfang noch sehr vage) Teilhabe an Rechten auf Sozialleistungen einschließt. Die Unionsbürgerschaft ist zugleich ein (gewiss noch bescheidener) Beitrag zu einer stärkeren Identifikation der Bürger der Mitgliedstaaten mit der Europäischen Union und damit auch ein Schritt zu einer europäischen Identität. Der Vertrag von Amsterdam markierte den Anfang einer weiteren Phase europäischer Sozialpolitik, die zwar weder zu einer (einen höheren Grad der Identifikation voraussetzenden) „Europäischen Sozialunion“ geführt hat, noch gar einen „Europäischen Sozialstaat“ errichtet hat. Immerhin hat sie aber zu einer weiteren Konsolidierung der „Europäischen Sozialgemeinschaft“ beigetragen, die jedenfalls sowohl programmatisch als auch nach der Stellung der einschlägigen Sozialvorschriften im EG-Vertrag nicht wie bisher den Zielen der Wirtschaftsgemeinschaft eindeutig untergeordnet ist, sondern die der Wirtschaftsgemeinschaft gleichsam „auf Augenhöhe“ begegnet. 92 Urteil des Gerichtshofs vom 08. April 1976, Rs. C-43 / 75, Gabrielle Defrenne / Société anonyme belge de navigation aerienne Sabena (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455. 93 Vgl. dazu Urteil des Gerichtshofs vom 20. September 2001, Rs. C-184 / 99, Rudy Grzelczyk / Centre public d’aide sociale d’Ottignies-Louvain-la-Neuve, Slg. 2001, S. I-6193.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Dabei gilt allerdings auch für Europa nichts anderes als für die nationale Sozialpolitik, nämlich dass der Sozialstaat nur das ausgeben kann, was er zuvor als Steuer(und Beitrags-) Staat eingenommen hat, mit anderen Worten, das Primat des Ökonomischen in der politischen Realität dominiert – zumindest hinsichtlich der finanziellen Leistungsfähigkeit – nach wie vor. Gleichzeitig hat der Soziale Dialog, auf den unter VII. 2. im einzelnen noch einzugehen sein wird, neuen Schwung erhalten, so dass ebenso auf die große Bedeutung hinzuweisen ist, die ihm auf europäischer Ebene beigemessen wird. Sie reicht bis zur – „EU-verfassungsrechtlich“ nicht unproblematischen – Übertragung von Kompetenzen zur Rechtsetzung und ist sowohl ein Stilelement europäischer Sozialpolitik als auch eine wichtige Komponente des „Europäischen Sozialmodells“.94 Der EG-Vertrag schließlich hat eine Ausweitung des Grundsatzes der Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit eingeführt, wenngleich dies im sozialen Kernbereich der Art. 136 EGV nur wenige Änderungen gebracht hat. Die auf der Regierungskonferenz von Nizza verabschiedete Charta der Grundrechte hat aber weiterhin den Willen der Staats- und Regierungschefs zum Ausdruck gebracht, die darin enthaltenen – auch sozialen – Rechte zu beachten. Im einzelnen können die wichtigsten Zielsetzungen wie folgt zusammengefaßt werden: Kohärenz Solidarität, sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch zwischen den Bürgern Sozialer Fortschritt Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen Sozialer Zusammenhalt Hohes Beschäftigungsniveau Sozialer Schutz Gleichstellung von Männern und Frauen Hohes Gesundheitsschutzniveau Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung Harmonisierungen im Arbeits- und Sozialschutzrecht zur Durchsetzung der Binnenmarktfreiheiten.
Die umfangreichen Aufgaben und Zielsetzungen und der stete Ausbau der sozialen Dimension belegen, dass diese sich immer mehr dem Charakter einer echten politischen Säule annähert. 94 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 87 f.
6. Kompetenznormen
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Dementsprechend muss auch das „Europäische Sozialmodell“ ausgebaut werden, um diesen Aufgaben und Zielsetzungen zu entsprechen und sie nicht nur zu Programmsätzen ohne Durchsetzungskraft zu degradieren.
6. Kompetenznormen95 a) Einleitung Wie dargestellt, besteht sowohl an rechtlich bindenden als auch an politischen Zielvorgaben, wie z. B. der Lissabon-Strategie, oder Aufgabendefinitionen kein Mangel, grundsätzlich ergibt sich aber aus dem Erfordernis einer Kompetenznorm, dass sich Handlungsbefugnisse nicht aus bloßen Zielbestimmungen ableiten lassen. Zu unterscheiden ist dabei grundsätzlich zwischen der vertikalen Kompetenz, bei der es darum geht, ob die Kompetenz bei der Europäischen Gemeinschaft oder den Mitgliedstaaten liegt, und der horizontalen Kompetenz, in deren Rahmen die Frage zu beantworten ist, welches der Gemeinschaftsorgane die Befugnisse wahrnimmt und welches Verfahren dabei Anwendung findet. Drei Faktoren erschweren nach Balze96 die vertikale Kompetenzabgrenzung auf Gemeinschaftsebene. Der erste beruhe auf der Ausrichtung der Gemeinschaftstätigkeit an Vertragszielen. Während eine bundesstaatliche Verfassung einigermaßen fest umrissene Sachgebiete zwischen Bund und Gliedstaaten verteile und die Kompetenzaufteilung statische, auf den Ausgleich zentraler und föderaler Elemente gerichtete Züge trage, sei der EGV mit der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion auf bestimmte Ziele ausgerichtet, die ihm einen dynamisch geprägten Charakter verliehen. Diese Zielorientierung sei darauf zurückzuführen, dass bei Inkrafttreten des EWGV nicht im einzelnen vorausgesehen werden konnte, welche Kompetenzen die Gemeinschaft für die Verwirklichung ihrer Ziele benötige. Die Vertragsziele sollten – ebenso wie der Gemeinsame Markt – schrittweise durch die Gemeinschaftstätigkeit realisiert werden, so dass die Europäische Gemeinschaft seit ihrer Entstehung eine prozesshafte Entwicklung durchlaufe. Diese an der Zielverwirklichung ausgerichtete Struktur der Europäischen Gemeinschaft erschwere die vertikale Kompetenzabgrenzung, weil die Gemeinschaftstätigkeit oftmals mehr sachbereichsbezogen als zielorientiert sei. Außerdem
95 Bei den Kompetenznormen werden alle Vorschriften aufgeführt, die nicht ausschließlich Zielvorgaben sind, auch wenn einige wenige nicht eindeutige Kompetenznormen darstellen, sondern eine Sonderform (z. B. die uneigentlichen Ratsbeschlüsse). 96 So auch Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 33.
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seien die allgemeinen Vertragsziele in Art. 2 und 3 EGV selbst nicht eindeutig bestimmbar und stünden teilweise untereinander in einem Spannungsverhältnis. Die zweite Schwierigkeit liege darin, dass zwischen den in den einzelnen Tätigkeitsbereichen enthaltenen, untereinander wenig abgestimmten Ermächtigungsgrundlagen zum Erlaß verbindlicher Rechtsakte (z. B. Art. 26, 71, 133 EGV) und dem in Art. 2 und 3 EGV niedergelegten Mittel-Ziel-Katalog eine Diskrepanz herrsche, weil die Tätigkeitsbereiche und Vertragsziele weiter gefasst seien als die Ermächtigungsgrundlagen. Wolle die Gemeinschaft bestimmte Ziele realisieren, müsse sie stets nach dem Prinzip der Einzelermächtigung (Art. 5 EGV) prüfen, ob ihr die dafür notwendigen Kompetenzen nach dem Vertrag zustünden. Es könne also vorkommen, dass die Gemeinschaft nicht über die Befugnisse verfüge, die sie zur Zielverwirklichung benötige. Die Trennung von Aufgaben und Befugnissen verdeutliche Art. 7 EGV, wonach die Gemeinschaftsorgane ihre Aufgaben nur nach Maßgabe der ihnen im Vertrag zugewiesenen Befugnisse erfüllten. Die Kompetenznormen seien entweder in Anlehnung an die Ziele in Art. 2 und Art. 3 EGV final oder sachlich-gegenständlich beschrieben, bezögen sich aber auf einzelne Tätigkeitsbereiche des EGV. Davon sähen drei Bestimmungen wichtige Ausnahmen vor: Art. 94 EGV ermächtige die Gemeinschaft zur Rechtsangleichung bei denjenigen Rechts- und Verwaltungsbestimmungen der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirkten. Art. 95 EGV treffe eine Sonderregelung für binnenmarktbezogene Angleichungsmaßnahmen, vor allem in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Art. 308 EGV ermögliche den Erlaß geeigneter Vorschriften, die erforderlich sind, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes die Ziele zu verwirklichen, für deren Realisierung der EGV die entsprechenden Befugnisse nicht bereitstelle.
Damit knüpften Art. 94 und Art. 308 EGV bereichsübergreifend unmittelbar an den komplexen Begriff des Gemeinsamen Marktes an, übertrügen trotz ihrer generalklauselartigen Weite der Gemeinschaft aber keine Allzuständigkeit. Und letztlich erschwere nach Balze der unklare Wortlaut vieler Ermächtigungsgrundlagen eine saubere Kompetenzabgrenzung, wofür nach Balze gerade der im Sozialrecht wichtige Art. 138 EGV ein gutes Beispiel liefere.97 So kann etwa aus Art. 2 und 3 EGV nicht aus der auch sozialen Zielbestimmung auf eine dem Ziel angemessene Kompetenz geschlossen werden. 97 So Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 32 ff. m. w. N.
6. Kompetenznormen
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Allerdings ist andererseits darauf hinzuweisen, dass nach Art. 5 und 7 Abs. 1 S. 2 EGV das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung der Kompetenzordnung nicht die Fähigkeit der dynamischen Anpassung nimmt. Dies gilt vor allem mit Blick auf den raschen Wandel der westeuropäischen Gesellschaften, die Neudefinition von Problemlagen und die Ausdehnung des Marktprinzips auf bislang verschlossene Bereiche. So lassen sich zielbezogene Erwägungen unter der von Nettesheim gewählten Bezeichnung „teleologische Argumentation“ heranziehen.98 Damit gilt es zunächst, nochmals die Vorschriften des EGV unter dem Blickwinkel ihrer Eignung als Kompetenznorm zusammenfassend darzustellen, die als geschriebene Normen Kompetenzen im Sozialbereich begründen, also genau dem Typus der begrenzten Einzelermächtigung entsprechen. Dazu zählen auch die Generalklauseln der Art. 94 und 308 EGV, soweit sie, wie noch zu untersuchen sein wird, Regelungen im Sozialbereich umfassen können. Denn vor allem Art. 308 EGV schafft eine Art Auffangkompetenz für die Fälle, in denen den Gemeinschaftsorganen durch spezifische Bestimmungen des Vertrags ausdrücklich oder implizit verliehene Befugnisse fehlen und gleichwohl solche erforderlich erscheinen, um die Aufgaben im Hinblick auf die Erreichung eines vom Vertrag festgelegten Ziels wahrnehmen zu können.99 Darüber hinaus ist die Möglichkeit der Begründung ungeschriebener Kompetenzen mittels Rechtsfortbildung durch den EuGH in Betracht zu ziehen.100 Für solche vertikale Kompetenzverteilung im Sinne der Abgrenzung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten muss man daher mit der Suche nach einer Rechtsgrundlage für den Erlaß verbindlicher Normen durch die Gemeinschaft im EGV beginnen. Dabei gilt eine Norm dann als Rechtsgrundlage, wenn sie folgendes festlegt: das regelbare Sachgebiet die zuständigen Gemeinschaftsorgane die Möglichkeit, verbindlich Recht zu erlassen das anzuwendende Verfahren einschließlich der erforderlichen Mehrheiten.101
Der Vertrag, d. h. das primäre Gemeinschaftsrecht, enthält eine Vielzahl von Kompetenznormen zum Erlass von Verordnungen und Richtlinien durch den Rat und ggfs. das Europäische Parlament auf sozialem Gebiet als sekundärem GemeinNettesheim, Martin, Europäisches Verfassungsrecht, S. 415. EuGH Gutachten 2 / 94, EMRK, Slg. 1996, I-1759, Rdnr. 59. 100 Vgl. zur zentralen Bedeutung des EuGH für das europäische Sozialrecht Haverkate, Görg / Huster, Stefan, Europäisches Sozialrecht, Rdnr. 59 ff. 101 Emmert, Frank, Europarecht, S. 168 ff. 98 99
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schaftsrecht, wie im folgenden im einzelnen nachzuweisen sein wird.102 Dabei geht es nicht nur um originär sozialrechtliche Kompetenznormen, vielmehr werden auch solche Vorschriften erfasst, die neben ihrer eigentlichen Zielrichtung auch sozialrechtliche Belange betreffen können und damit „mittelbar“ zur Weiterentwicklung des Europäischen Sozialmodells beitragen können.
b) Verbindung zwischen Zielen und Kompetenznormen In einigen Fällen können auch aus der Verbindung zwischen Zielbestimmungen und Kompetenznormen, wie im Rahmen der Art. 2 und 3 EGV vorgesehen, Regelungen mit sozialpolitischem Gehalt entstehen. aa) Art. 2 EGV Die in Art. 2 EGV genannten Ziele selbst sind, wie dargelegt, keine Kompetenznormen, können jedoch zur Konkretisierung einer Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden, wenn sich diese auf die Zielvorgaben bezieht.103 Die Mittel zur Erreichung dieser Ziele sind vor allem im Dritten Teil des EGV aufgeführt. Für den Fall, dass die Ziele mit den angegebenen Mitteln nicht erreicht werden können, kann u.U. Art. 308 EGV angewandt werden.104 bb) Art. 3 EGV Auch Art. 3 EGV stellt für sich allein gesehen keine eigenständige Kompetenznorm dar, erhält aber in Verbindung mit einer speziellen Bestimmung des Vertrags (z. B. Art. 308 EGV) die Funktion einer Kompetenzvorschrift für den jeweils beschriebenen Bereich. Wie Art. 2 EGV ist auch er kein reiner Programmsatz, sondern enthält rechtlich verbindliche Ziele.
c) Kompetenznormen im einzelnen Im folgenden soll auf die im EG-Vertrag in der Fassung von Nizza befindlichen Kompetenznormen im einzelnen eingegangen werden. 102 Vgl. dazu im Einzelnen auch Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 346 ff. 103 Vgl. dazu Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juli 1976, Rs. C-13 / 76, Gaetano Dona / Mario Mantero, Slg.1976, S. 1333 f. 104 Lenz, Carl Otto, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 2 EGV Rdnr. 5 ff.; Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 2 EGV Rdnr. 13.
6. Kompetenznormen
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aa) Art. 12 und 13 EGV Art. 12 Abs. 1 EGV enthält das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsbürgerschaft. Als positiv-rechtlich normierter spezieller Gleichheitssatz regelt er das Verbot der Diskriminierung ausschließlich unter dem Kriterium der Staatsangehörigkeit.105 Die Vorschrift hat unmittelbare Geltung und begründet in ihrem Anwendungsbereich ein subjektives Recht, sowohl gegenüber der Europäischen Gemeinschaft und ihren Organen als auch gegenüber den Mitgliedstaaten.106 Damit spielt Art. 12 EGV auch im sozialen Bereich eine Rolle, so z. B. bei diskriminierenden nationalen Vorschriften.107 Art. 12 Abs. 2 EGV gibt dem Rat die Befugnis, Regelungen für das Verbot der von Abs. 1 erfassten Diskriminierungen zu treffen, wobei das gesamte Instrumentarium des Art. 249 EGV zur Anwendung kommen kann.108 Damit hat diese Bestimmung ein gewisses Potential, das auch im Rahmen der Rechtsetzung im Sozialbereich genutzt werden kann, insbesondere, als nach der Rechtsprechung des EuGH auch solche Rechtsakte erlassen werden können, „deren Regelung notwendig erscheint, damit diese Rechte wirksam ausgeübt werden können“109 . Zu beachten ist allerdings sein mögliches Konkurrenzverhältnis zu anderen Bestimmungen des Vertrags, die ebenfalls Diskriminierungsverbote enthalten. So ist z. B. im Verhältnis zu Art. 18 Abs. 2 EGV davon auszugehen, dass der letztere einschlägig ist, wie z. B. bei der Richtlinie über den Aufenthalt von Studenten.110 Auf die Frage der Konkurrenz des Art. 12 Abs. 2 EGV zu anderen Vorschriften braucht im Rahmen dieser Arbeit aber nicht näher eingegangen zu werden, da es nur von Bedeutung ist, dass entsprechende Kompetenznormen zur Verfügung stehen, die ein weites Spektrum abdecken. Welche Kompetenznorm zur Umsetzung einer speziellen politischen Vorgabe zum Zuge kommt, ist dann im Einzelfall zu entscheiden. 105 Vgl. dazu Niedobitek, Matthias, Minderheitenschutz im europäischen Mehrebenensystem, S. 249 ff. 106 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 12 EGV Rdnr. 1 und 5. 107 Vgl. dazu z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 3. Oktober 2000, Rs. C-411 / 98, Angelo Ferlini / Centre hospitalier de Luxembourg, Slg. 2000, S. 8081 hinsichtlich der Gleichbehandlung von Personen, die dem nationalen System der sozialen Sicherheit nicht angehören und der Anwendung von Gebührensätzen für ärztliche und Krankenhausleistungen. 108 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 12 EGV Rdnr. 64 ff. 109 Vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juli 1992, Rs. C-295 / 90, Europäisches Parlament / Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1992, S. 4193, Rdnr. 18. 110 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 12 EGV Rdnr. 15 und 65; Richtlinie 2004 / 38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64 / 221 / EWG, 68 / 360 / EWG, 72 / 194 / EWG, 73 / 148 / EWG, 75 / 34 / EWG, 75 / 35 / EWG, 90 / 364 / EWG, 90 / 365 / EWG und 93 / 96 / EWG, ABl. EU L 158 / 77 vom 30. 04. 2004.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Art. 13 EGV, eingefügt durch den Vertrag von Amsterdam, ist eine Ermächtigungsnorm, die dem Rat bzw. Europäischem Parlament und Rat gemeinsam die Kompetenz zum Erlass von Vorkehrungen verleiht, welche jegliche Diskriminierung aus Gründen des „Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion und der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ unterbinden. Diese umfassende Zuständigkeit erlaubt einen weitgehenden Schutz vor Diskriminierungen, der sich, anders als die Vorgängervorschriften (Art. 6 EGV und Art. 119 EGV a.F.), nicht mehr nur an Geschlecht und Arbeitsbedingungen orientiert, sondern das gesamte Lebensumfeld und die o.g. Diskriminierungen abdeckt.111 Der Begriff „geeignete Vorkehrungen“ umfasst dabei nach allgemeiner Meinung das gesamte Rechtssetzungsinstrumentarium des Art. 249 EGV, also Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen als verbindliche Rechtsakte, Empfehlungen und Stellungnahmen als nicht verbindliche Akte und Programme. Für das Sozialrecht spielen insbesondere die Diskriminierungsverbote aufgrund einer Behinderung oder des Alters eine große Rolle, da sie berufliche oder medizinische Rehabilitationsleistungen rechtfertigen können.112 In der Systematik des Vertrags findet man die Vorschrift an herausragender Stelle – im ersten Kapitel des Vertrags mit dem Titel „Grundsätze“. Sie hat allerdings nicht den Charakter eines individuellen Grundrechts, sondern ist zu verstehen als Auftrag an den Rat, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament, auf dieser Grundlage zur Bekämpfung von Diskriminierungen tätig zu werden. Art. 13 EGV verleiht nach h. M. Einzelpersonen nicht das Recht einer Klagemöglichkeit und aufgrund seiner Natur einer „Kann-Bestimmung“ können auch bestimmte Handlungen oder konkrete Maßnahmen, zum Beispiel des Rates, nicht eingefordert werden.113 Da die mit Art. 13 EGV zu verfolgende Bekämpfung der Diskriminierung sich auch in anderen Vertragsvorschriften findet, stellt sich die Frage, wie er zu diesen Bestimmungen abzugrenzen ist.114 Aus Art. 3 Abs. 2 EGV lässt sich bereits ein allgemeines Diskriminierungsverbot ableiten, da die Gemeinschaft danach bei allen genannten Tätigkeiten darauf hinwirkt, dass Ungleichheiten beseitigt werden und die Gleichstellung von Män111 Vgl. dazu Niedobitek, Matthias, Minderheitenschutz im europäischen Mehrebenensystem, S. 267 f.; Prunzel, Regine, Art. 13 EG-Vertrag – Ein neuer Ansatz für die europäische Behindertenpolitik?, Stadt und Gemeinde, 2001, S. 163 – 165. 112 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 32; Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 13 EGV Rdnr. 17 ff. 113 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 13 EGV Rdnr. 17 m. w. N. zur Gegenansicht. 114 Vgl. dazu insgesamt Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 13 EGV Rdnr. 2 ff.
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nern und Frauen gefördert wird. Im Verhältnis dazu ist Art. 13 EGV spezieller und enthält eine entsprechende Kompetenzzuweisung, während Art. 3 Abs. 2 EGV eine Querschnittsklausel ist. Gemäß Art. 136 EGV verfolgen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten eingedenk der sozialen Grundrechte, wie sie sich aus der Europäischen Sozialcharta des Europarates von 1961 und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 ergeben, die Ziele der Beschäftigung, der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, eines angemessenen sozialen Schutzes, des sozialen Dialogs und der Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen. Zur Erreichung dieser Ziele kann die Gemeinschaft, neben der Unterstützung und Ergänzung der Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet, gemäß Art. 137 Abs. 2 EGV unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen, die schrittweise anzuwenden sind. Dafür gilt das Mitentscheidungsverfahren des Art. 251 EGV. Art. 136 EGV formuliert einen Auftrag zur Bekämpfung der Ausgrenzung, der durch die Art. 137 und 13 EGV umzusetzen ist. Art. 141 EGV enthält eine Ermächtigung zu Maßnahmen, die die Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit von Mann und Frau im Erwerbsleben gewährleisten sollen. Somit ist dieser Artikel für den Bereich der Beschäftigung eine Spezialnorm zu Art. 13 EGV. Für das Verfahren gilt ebenfalls Art. 251 EGV. Art. 13 EGV wird insoweit verdrängt. Einigkeit besteht darin, dass Art. 13 EGV als spezielle Rechtsgrundlage dem Art. 308 EGV vorgeht115. Art. 308 EGV ist zwar dem Wortlaut dieser Klausel nach von Art. 13 EGV erfasst. Er kann aber nicht mehr in den Bereichen eingreifen, in denen die Bekämpfung von Diskriminierungen auf der Grundlage von Art. 13 EGV bzw. Art. 141 EGV vorgesehen ist. Die Erklärung Nr. 22 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam ist an sich kein Bestandteil des Gemeinschaftsrechts, bezieht sich aber auf Art. 95 EGV und kann für dessen Auslegung von Bedeutung sein. Danach tragen die Organe der Gemeinschaft bei Maßnahmen der Rechtsangleichung im Binnenmarkt nach Art. 95 EGV den Bedürfnissen von Personen mit Behinderungen Rechnung. Somit verstärkt die Erklärung die in Art. 13 EGV zum Ausdruck gekommenen Bestrebungen zur Vermeidung von Diskriminierungen aus Gründen der Behinderung. Das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV überschneidet sich anscheinend teilweise mit Art. 13 EGV, weil es auf die Staatsangehörigkeit abstellt und die Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit mit der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit zusammenfallen kann. So wäre es beispielsweise 115
Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 13 EGV Rdnr. 4.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
denkbar, dass ein französischer Staatsangehöriger, der aus einer der ehemaligen französischen afrikanischen Kolonien stammt, in einem europäischen Land außerhalb Frankreichs nicht nur wegen seiner französischen Staatsangehörigkeit, sondern auch wegen seiner ethnischen Abstammung und seiner Religionszugehörigkeit diskriminiert wird. Da Art. 12 EGV aber ein unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot darstellt, braucht der Rat nicht erst aufgrund von Art. 13 EGV tätig zu werden, um Maßnahmen gegen Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit zu ergreifen.116 Das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander ist nicht unstreitig117, spielt aber im Detail im Zusammenhang mit dieser Arbeit keine große Rolle. Entscheidend kommt es für die sozialrechtlichen Grundlagen darauf an, dass in Bezug auf die Bekämpfung von Diskriminierungen ein ausreichendes rechtliches Instrumentarium zur Verfügung steht. Aktuelle Beispiele für Vorschriften aus diesem Bereich sind der Richtlinienvorschlag zur Verwirklichung der Chancengleichheit und Gleichbehandlung118 oder die Richtlinie zum Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.119 Gem. Abs. 2 des Art. 13 EGV beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit, soweit es sich um gemeinschaftliche Fördermaßnahmen handelt. bb) Art. 14 EGV Art. 14 EGV verpflichtet die Gemeinschaft zur Verwirklichung des Binnenmarktes. Er ermöglicht dem Rat, „mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission die Leitlinien und Bedingungen festzulegen, die erforderlich sind, um in allen betroffenen Sektoren einen ausgewogenen Fortschritt zu gewährleisten“. Der Binnenmarktbegriff ist auch Ausgangspunkt verschiedener Normen des EGVertrags, die zu seiner Verwirklichung Handlungsbefugnisse der Gemeinschaft begründen. 116 Vgl. dazu Loutridou, Maria / Butt, Marc Eric, Arbeitsdokument des Europäischen Parlaments, Generaldirektion Wissenschaft, Perspektiven der Anti-Diskriminierungspolitik – Art. 13 EGV und die Möglichkeiten für seine Umsetzung. 117 Vgl. zum Streitstand m. w. N. Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 13 EGV Rdnr. 3 f. 118 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, (Neufassung), KOM (2005) 380 endg. vom 25. 08. 2005. 119 Richtlinie 2004 / 113 / EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. EG L 373 / 37 vom 21. 12. 2004.
6. Kompetenznormen
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In der Gemeinschaftspraxis am wichtigsten ist dabei Art. 95 EGV, der der Gemeinschaft zur Verwirklichung der Ziele des Art. 14 EGV die Kompetenz zum Erlass von Maßnahmen (Richtlinien und Verordnungen) einräumt.120 Von wesentlicher Bedeutung sind ferner die ökonomischen Grundfreiheiten“ des Binnenmarktes, die durch den EG-Vertrag rechtlich abgesichert werden. Im Hinblick auf die soziale Sicherung ist besonders die Grundfreiheit des „Freien Personenverkehrs“ von Bedeutung, die sich aus der „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“ und der „Niederlassungsfreiheit für Selbständige und Unternehmer“ zusammensetzt. In diesem Zusammenhang sind die sog. „Entsenderichtlinie“ 121 und der Entwurf der bereits erwähnten Dienstleistungsrichtlinie 122 zu nennen, die für erhebliche „soziale Unruhe“ gesorgt haben. Sie sind stark auf den Aspekt ausgerichtet, grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeiten zu ermöglichen. Mit der Einführung der Unionsbürgerschaft durch den Vertrag von Maastricht ist erstmals in Art. 18 EGV ein allgemeines Aufenthaltsrecht für alle Unionsbürger geschaffen worden. Dieses Aufenthaltsrecht ist unmittelbar einklagbar.123 Unionsbürger können sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei bewegen und aufhalten und sich aus dem Aufenthaltsrecht ergebende Ansprüche auf soziale Unterstützung bei Aufenthalt in einem fremden Mitgliedstaat in Anspruch nehmen.124 Nach den Rechtssachen Kohll / Decker125 ist entschieden, dass die Mitgliedstaaten innerhalb ihrer sozialrechtlichen Gestaltungsautonomie den Geboten des freien „Güter- und Dienstleistungsverkehrs“ Rechnung tragen müssen.126 120 Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 14 EGV Rdnr. 32. 121 Richtlinie 96 / 71 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EG L 18 / 1 vom 21. 01. 1997. 122 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004) 2 endg. vom 25. 02. 2004. 123 Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. September 2002, Rs. C 413 / 99, Baumbast / Secretary of State for the Home Departement, Slg. 2002, S. 7091; Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 07. 09. 2004, Rs. C-456 / 02, Trojani / Centre public d’aide sociale de Bruxelles (CPAS) Slg. 2004, S. I-7573 und Sander, Florian, Die Unionsbürgerschaft als Türöffner zu mitgliedstaatlichen Sozialversicherungssystemen?, DVBl. 2005, S. 1014 ff. 124 Urteil des Gerichtshofs vom 20. September 2001, Rs. C-184 / 99, Rudy Grzelczyk / Centre public d’aide sociale d’Ottignies-Louvain-la-Neuve, Slg. 2001, S. I-6193. 125 Urteil des Gerichtshofs vom 28. April 1998, Rs. C 120 / 95, Decker / Caisse de maladie des employés privés, Slg. 1998, S. I-1831; Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 1998, Rs. C 158 / 96 Kohll / Union des Caisses de maladie, Slg. 1998, S. I-1931. 126 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 4 f.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Für die soziale Sicherung sind auch die Ermächtigungen zur Rechtsangleichung nach Art. 40 und Art. 94 – 97 EGV und die Generalermächtigung nach Art. 308 EGV relevant. Nach Art. 94 EGV erläßt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Europäischen Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments sowie des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien für die Angleichung solcher Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, „die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken“. cc) Art. 18 EGV Art. 18 EGV regelt das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht der Personen, die nicht schon infolge ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit aufgrund des EGV berechtigt waren, sich als Arbeitnehmer zum Zweck der Arbeitsaufnahme oder der freiberuflichen bzw. gewerblichen Niederlassung frei in der Europäischen Gemeinschaft zu bewegen und einen Wohn- oder Firmensitz zu begründen. Abs. 2 enthält eine Rechtsgrundlage für den Erlaß von Vorschriften, mit denen die Ausübung der in Art. 18 Abs. 1 EGV gewährleisteten Freizügigkeitsrechte erleichtert wird. Zulässig sind danach Durchführungsbestimmungen, die noch vorhandene Beschränkungen und Bedingungen für die Freizügigkeitswahrnehmung abbauen. Die Erleichterungsvorschriften können insbesondere als Richtlinien oder Verordnungen vom Rat gem. dem Verfahren des Art. 251 EGV, d. h. auf Vorschlag der Europäischen Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit erlassen werden. Bisher sind die für die nichterwerbstätigen Unionsbürger geltenden Bestimmungen in zwei Verordnungen und mehreren Richtlinien enthalten127, so z. B. der Richtlinie über das Aufenthaltsrecht der Nichterwerbstätigen128, der Richtlinie über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen129 oder der Richtlinie über das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen 130. 127 Kaufmann-Bühler, Werner, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 18 EGV Rdnr. 1 ff.; Magiera, Siegfried, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 18 EGV Rdnr. 1 ff. 128 Richtlinie 90 / 364 / EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht, ABl. EG L 180 / 26 vom 13. 07. 1990. 129 Richtlinie 90 / 365 / EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen, ABl. EG L 180 / 28 vom 13. Juni 1990; Richtlinie 2004 / 38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 und zur Aufhebung der Richtlinien
6. Kompetenznormen
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Zum Verhältnis des Art. 18 Abs. 2 EGV zu Art. 12 Abs. 2 kann auf die Ausführungen zu Art. 12 unter V. 5.c. (1) verwiesen werden. dd) Art. 40 – 42 EGV Art. 40 EGV stellt eine Kompetenzgrundlage dar, indem er den Rat ermächtigt, zur Herstellung der in Art. 39 EGV aufgeführten Freizügigkeit Richtlinien oder Verordnungen zu erlassen. Auf seiner Grundlage wurden z. B. Verordnungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer131 und zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen132 erlassen.133 Die Vorschrift wird der Vollständigkeit halber aufgeführt, hat aber keine praktische Bedeutung mehr. Art. 41 EGV sieht vor, dass die Mitgliedstaaten den Austausch junger Arbeitskräfte im Rahmen eines gemeinsamen Programms fördern können. Seine Funktion als Kompetenzgrundlage war von Anfang an streitig, da das erste entsprechende Programm aus dem Jahr 1964 nicht vom Rat, sondern von den im Rat vereinigten Vertretern der Mitgliedstaaten verabschiedet wurde.134 Die nachfolgenden Programme wurden zwar vom Rat selbst beschlossen, aber nicht auf der Grundlage des Art. 41 EGV, sondern auf Art. 308 EGV gestützt.135 64 / 221 / EWG, 68 / 360 / EWG, 72 / 194 / EWG, 73 / 148 / EWG, 75 / 34 / EWG, 75 / 35 / EWG, 90 / 364 / EWG, 90 / 365 / EWG und 93 / 96 / EWG, ABl. EU L 158 / 77 vom 30. 4. 2004. 130 Richtlinie 2004 / 38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64 / 221 / EWG, 68 / 360 / EWG, 72 / 194 / EWG, 73 / 148 / EWG, 75 / 34 / EWG, 75 / 35 / EWG, 90 / 364 / EWG, 90 / 365 / EWG und 93 / 96 / EWG, ABl. EU L 158 / 77 vom 30. 04. 2004. 131 Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaften, ABl. EG L 257 / 2 vom 19. 10. 1968, zuletzt geändert durch Verordnung (EWG) 2434 / 92 des Rates vom 27. 07. 1992 zur Änderung des zweiten Teils der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaften, ABl. EG L 245 / 1 26. 08. 1992; Richtlinie 2004 / 38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64 / 221 / EWG, 68 / 360 / EWG, 72 / 194 / EWG, 73 / 148 / EWG, 75 / 34 / EWG, 75 / 35 / EWG, 90 / 364 / EWG, 90 / 365 / EWG und 93 / 96 / EWG, ABl. EU L 158 / 77 vom 30. 04. 2004. 132 Zum Beispiel Richtlinie 89 / 84 / EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. EG L 19 / 16 vom 24. 01. 1989. 133 Franzen, Martin, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 40 EGV Rdnr. 7 f. 134 Franzen, Martin, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 41 EGV Rdnr. 1 f.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Mit dem durch den Vertrag von Maastricht eingeführten Art. 150 EGV spielt diese Problematik in der Praxis keine Rolle mehr, da insoweit eine einschlägige Rechtsetzungsgrundlage geschaffen wurde, die für spätere Maßnahmen herangezogen wurde.136 Von elementarer Bedeutung für das Sozialrecht ist hingegen die in Art. 42 EGV niedergelegte Aufgabe und Befugnis „die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen. Art. 42 EGV hat bereits zu Maßnahmen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, u. a. Versorgung der Arbeitnehmer bei Alter, Krankheit, Mutterschaft, Invalidität, Unfall, Todesfall, Arbeitslosigkeit etc. geführt.137 Diese Pflicht wird dahin konkretisiert, dass der Rat unter Beteiligung des Europäischen Parlaments (Art. 251 EGV) einstimmig ein „System“ einführt, das den Arbeitnehmern und deren anspruchsberechtigten Angehörigen die Zusammenrechnung der in den Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten sowie die Zahlung der Leistungen bei Aufenthalt außerhalb des zuständigen Mitgliedstaates sichert. Die Gemeinschaft hat auf dieser Grundlage ein System der zwischenstaatlichen Sozialrechtskoordination geschaffen und dieses beständig weiterentwickelt138. Durch die Rechtsprechung des EuGH hat dieser in seiner praktischen Bedeutung wichtigste Zweig des koordinierenden EU-Sozialrechts eine eingehende, umfassende und differenzierte Deutung erfahren.139 Die Koordination der Leistungen der sozialen Sicherheit wird in Art. 42 EGV als eine „für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendige[n] Maßnahme[n]“ bezeichnet. Diese Formulierung verdeutlicht, dass das Sozialrecht zu der Verwirklichung einer Grundfreiheit des Gemeinschaftsrechts – nämlich der für Arbeitnehmer geschaffenen Personenfreiheit „Freizügigkeit“ (Art. 39 EGV) – einen engen Bezug aufweist. Das Sozialrecht wird zwar nicht als eine Voraussetzung der Freizügigkeit begriffen, wohl aber werden im Interesse der Freizügigkeit supranationale Mindestanforderungen an die Ausgestaltung der sozialen Sicherheit gestellt.
135 So z. B. Beschluss des Rates 86 / 365 / EWG vom 24. Juli 1986 zur Annahme des Programms über Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Wirtschaft auf dem Gebiet der Technologie (COMETT), ABl. EG L 222 / 17 vom 08. 08. 1986. 136 Franzen, Martin, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 41 EGV Rdnr. 1 f. 137 Vgl. dazu auch Windisch-Graetz, Michaela, Europäisches Krankenversicherungsrecht, S. 8 f. 138 Verordnung (EG) Nr. 883 / 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU L 166 / 1 vom 30. 04. 2004; vgl. zu den sonstigen zwischenstaatlichen Regeln des internationalen Sozialrechts insbesondere auch Frank, Lothar, Allgemeine Regeln des internationalen Sozialrechts – zwischenstaatliche Regelungen, Rdnr. 1 ff. 139 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 33.
6. Kompetenznormen
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Dass das europäische koordinierende Sozialrecht die Entfaltung der Freizügigkeit sichert, ist nicht nur ein primärrechtliches Gebot, sondern darüber hinaus eine anerkannte Maxime zur Auslegung des Sekundärrechts.140 Der in Art. 42 EGV angesprochene Zusammenhang zwischen der Freizügigkeit – als dem jedem EUBürger eingeräumten Recht zur Arbeitsausübung und Wohnsitznahme innerhalb der EU – und der Koordination der sozialen Sicherheit erklärt sich aus deren prinzipiell nationaler Organisation. Hängt soziale Sicherheit von der Ausübung einer abhängigen Beschäftigung oder dem Wohnsitz in einem Mitgliedstaat ab, führt die Inanspruchnahme von Freizügigkeit zum Wechsel des für die soziale Sicherung zuständigen Staates. Solcher Wechsel ginge mit Rechtsverlusten einher und wäre deshalb der Freizügigkeit abträglich, falls die sozialen Rechte der Mitgliedstaaten nicht durch koordinationsrechtliche Regeln umfassend miteinander verflochten wären.141 ee) Art. 44 – 47 EGV Art. 44 EGV ermächtigt den Rat, gem. dem Verfahren des Artikels 251 EGV Richtlinien zu erlassen, nicht aber Verordnungen oder Entscheidungen. Er ist die zentrale Handlungsermächtigung der Gemeinschaft zur rechtspolitischen Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit für einzelne Tätigkeiten. Im Einklang mit der Auslegung des Art. 95 Abs. 1 EGV ist nach Müller-Graff auch in Art. 44 Abs. 1 EGV davon auszugehen, dass seine Inanspruchnahme durch die Gemeinschaftsorgane wie immer einer den Anforderungen des Art. 253 EGV genügenden substantiierten Begründung bedarf. Zu begründen ist insbesondere die Erforderlichkeit und Geeignetheit der vorgenommenen Regeln zur Überwindung von Hindernissen der Niederlassungsfreiheit oder von spürbaren Wettbewerbsverzerrungen. Der bloße Hinweis auf Rechtsunterschiede genügt nicht.142 In diesem Rahmen und unter Beachtung der Voraussetzungen sind dann auch sozial bedeutsame Regelungen denkbar, z. B. im Rahmen von lit. d (Übergang von Arbeitnehmern in die Selbständigkeit“), wenn diese Vorschrift auch bislang noch keinen konkreten Niederschlag in Form einer Richtlinie gefunden hat. Art. 46 Abs. 2 EGV ermächtigt den Rat, gem. dem Verfahren des Art. 251 EGV Richtlinien für die Koordinierung mitgliedstaatlicher Sonderregeln für Ausländer zu erlassen. Damit kann gemeinschaftsweit für Unionsbürger Rechtssicherheit mit Blick auf Sonderregelungen hergestellt werden. Die Ermächtigung gilt wegen ihres Bezugs auf Art. 43 Abs. 2 EGV nur für eine Angleichung von Sonderregelungen für Unionsbürger mit einer anderen als der Fuchs, Maximilian, Europäisches Sozialrecht, Rdnr. 35. Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 47. 142 Müller-Graff, Peter-Christian, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 44 EGV Rdnr. 8. 140 141
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
eigenen Staatsangehörigkeit, nicht aber für Angehörige von Drittstaaten (für diesen Fall sind die Art. 61 ff. EGV einschlägig). Als Beispiel für eine auf Grundlage des Art. 46 Abs. 2 EGV erlassene Vorschrift kann die Richtlinie zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern143 angeführt werden.144 Die Vorschrift ermächtigt den Rat nach dem Verfahren des Art. 251 EGV zum Erlass von Richtlinien zur Überwindung von Hindernissen für die „Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten“, die entweder aus der Existenz unterschiedlicher Qualifikationsnachweise (gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise) oder unterschiedlicher Rechtsund Verwaltungsvorschriften (Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten und der Berufsordnung) resultieren können. Art. 47 Abs. 2 EGV enthält die Ermächtigung zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten nach dem Verfahren des Art. 251 EGV. Hinsichtlich des Beschlussverfahrens wird dabei differenziert. Der Rat beschließt einstimmig über Richtlinien, deren Durchführung in mindestens einem Mitgliedstaat eine Änderung bestehender gesetzlicher Grundsätze der Berufsordnung hinsichtlich der Ausbildung und der Bedingungen für den Zugang natürlicher Personen zum Beruf erfasst. Im übrigen beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit.145 ff) Art. 71 EGV Gem. Art. 71 EGV haben die Organe der Gemeinschaft die Kompetenz zur Gestaltung einer aktiven Verkehrspolitik, zu der auch die gemeinwirtschaftliche Aufgabe des Verkehrs zählt: öffentlicher Personennahverkehr für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, Anbindung des ländlichen Raums, flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs.146 Neben der ausdrücklichen Erwähnung der Berücksichtigung der Lebenshaltung und Beschäftigungslage in Abs. 2 hat diese Vorschrift auch dadurch deutliche sozialrechtliche Bezüge, indem sie genutzt wurde als Rechtsgrundlage zur Harmonisie143 Richtlinie 64 / 221 des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, ABl. EG 1964, Nr. 56 / 850 vom 04. 04. 1964. 144 Müller-Graff, Peter-Christian, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 46 EGV Rdnr. 22 f. 145 Vgl. dazu Müller-Graff, Peter-Christian, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 46 EGV Rdnr. 12 f. 146 Schäfer, Peter, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 71 EGV Rdnr. 4 ff.
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rung der technischen und sozialen Wettbewerbsbedingungen (z. B. Lenk- und Ruhezeiten, Arbeitszeiten im Straßenverkehr)147 und der Regelung des Zugangs zum Beruf148 (Eisenbahn, Straßengüter- und -personenverkehr, Binnenschifffahrt).149 gg) Art. 94 – 96 EGV Art. 94 EGV erlaubt die Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Er sieht als einziges Handlungsinstrument die Richtlinie vor (Art. 249 Abs. 3 EGV), die einstimmig zu erlassen ist.150 Art. 94 EGV reicht sehr weit, da – wie Ipsen151 belegt hat – die in ihm enthaltene Rechtsangleichungskompetenz nicht auf die Fälle beschränkt ist, in denen die Rechtsangleichung für die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist, sondern schon dann ausgeübt werden kann, wenn die Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Marktes durch eine Rechtsangleichung in nützlicher Weise gefördert wird.152 In Art. 94 EGV kann zwar nicht die Grundlage für die Begründung einer eigenen sozialpolitischen Säule gesehen werden, denn stets ist der wirtschaftliche Kontext zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, dass dies nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander steht, denn während die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Sozialpolitik berücksichtigt werden, ist dies in der umgekehrten Konstellation nicht der Fall, die – ebenfalls existierenden – Auswirkungen der Sozialpolitik auf die Wirtschaft werden dabei nicht einbezogen. Vielmehr wird ein147 So z. B. Verordnung (EWG) Nr. 3820 / 85 vom 20. Dezember 1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, ABl. EG L 370 / 1 vom 31. 12. 1985. 148 So z. B. Richtlinie 98 / 76 / EG des Rates vom 01. Oktober 1998 über den Zugang zum Beruf des Güter- und Personenkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr sowie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise über die Beförderung von Gütern und die Beförderung von Personen im Straßenverkehr und über Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit der betreffenden Verkehrsteilnehmer, ABl. EG L 277 / 17 vom 14. 10. 1998. 149 Mückenhausen, Peter, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 71 EGV. 150 Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 94 EGV Rdnr. 7 ff.; vgl. dazu auch Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 378. 151 Ipsen, Hans Peter, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen, S. 689 f. 152 Vgl. dazu Schnorr, Gerhard, Arbeits- und sozialrechtliche Fragen der europäischen Integration, S. 14 f.; vgl. dazu auch Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 43 ff. m. w. N.; in diesem Sinne im Rahmen des Art. 95 EGV: Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491 / 01, The Queen / British American Tobacco Ltd., Slg. 2002, S. I-11453, Rdnr. 61 und 82.
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mal mehr deutlich, dass Ausgangspunkt europäischen Handelns einzig und allein die Wirtschaft ist. Art. 94 EGV lässt sich aber, wie beschrieben, als hoheitsrechtliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane in sozialen Fragen heranziehen. In diesem Zusammenhang können auch arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften mit Ausnahme der in Art. 95 Abs. 2 EGV beschriebenen Bereiche erlassen werden. Beispiele dafür sind die Arbeitsschutzvorschrift über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe153, um auf diese Weise deren zulässigen Verkauf in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten oder die Richtlinien über den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen.154 Allerdings ist der Erlaß von Richtlinien zum Zweck der Rechtsangleichung nur zulässig, wenn die bereits erwähnte wirtschaftliche Verbindung zur Sozialpolitik nachgewiesen werden kann. Dagegen stellt Art. 94 EGV keine geeignete Ermächtigung für soziale Maßnahmen dar, die nicht mit der wirtschaftlichen Lage zusammenhängen. Wenn der Zusammenhang allerdings gegeben ist, reicht die Bandbreite der Maßnahmen von der Vereinheitlichung der Materie („Totalharmonisierung“) über die Verabschiedung von Rahmenregelungen bis zur Setzung von Mindeststandards.155 Bei einer Analyse der Bestimmungen des Kapitels Sozialvorschriften fällt auf, dass der EGV der Gemeinschaft mit Ausnahme des Art. 137 EGV keine Befugnisse zum Erlaß verbindlicher Rechtsakte überträgt, die sie in die Lage versetzen würden, die in der Präambel sowie in den Art. 2 und Art. 136 EGV enthaltenen sozialpolitischen Zielsetzungen zu verwirklichen. Als Kompetenznormen kommen allerdings neben Art. 137 EGV die beiden Generalklauseln der Art. 94 und Art. 308 EGV in Betracht, zumal Art. 136 Abs. 3 EGV ausdrücklich auf die in Art. 94 und 95 EGV angesprochene Rechtsangleichung verweist. Es handelt sich dabei um eine Rechtsgrundverweisung, d. h., es müssen die Tatbestandsmerkmale des Art. 94 EGV erfüllt, also insbesondere eine unmittelbare Auswirkung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf den Gemeinsamen Markt gegeben sein. 153 Richtlinie 2004 / 73 / EG der Kommission vom 29. April 2004 zur neundundzwanzigsten Anpassung der Richtlinie 67 / 548 / EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe an den technischen Fortschritt, ABl. EU L 152 / 1 vom 30. 04. 2004. 154 Richtlinie 98 / 59 / EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. EG L 225 / 16 vom 12. 08. 1998; Richtlinie 2001 / 23 / EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, ABl. EG L 82 / 16 vom 22. 03. 2001. 155 Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 44 m. w. N.
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Die Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 94 EGV wirft Schwierigkeiten auf, weil sein zentrales Tatbestandsmerkmal, der Gemeinsame Markt, im EGV nicht definiert ist. Der Begriff des Gemeinsamen Markts stellt nach der Rechtsprechung des EuGH ab auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahe kommen.156 Er umfasst in erster Linie die vier Grundfreiheiten, also den freien Warenverkehr und die Freiheit des Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs, aber auch die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen. Mit der Rechtsangleichung sollen für alle Produkte und Produktionsmittel die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Marktbürger nicht auf rechtliche Hindernisse stoßen, wenn sie Angebot und Nachfrage auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet erstrecken wollen.157 Art. 94 EGV stellt der Gemeinschaft ein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem sie nationale Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die der Errichtung des Gemeinsamen Marktes entgegenstehen, durch Richtlinien angleichen kann. Diese mitgliedstaatlichen Bestimmungen gehören zumeist Sachgebieten an, die nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft übergegangen sind, so dass Art. 94 EGV die Komplexität des Gemeinsamen Marktes verdeutlicht, dessen Verwirklichung auch von zahlreichen außerökonomischen Faktoren abhängt. Obwohl Art. 94 EGV von der Existenz nationaler Bestimmungen oder zwingend zu beachtender Rechtssätze ausgeht, besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Gemeinschaft auch Gebiete angleichen kann, welche die Mitgliedstaaten noch nicht geregelt haben.158 Die Konzeption der Rechtsangleichung zielt nicht ab auf die Beseitigung der nationalen Rechtsnormen und deren Ersetzung durch neues Gemeinschaftsrecht oder durch umfassende Uniformität der nationalen Rechtsordnungen. Die Richtlinie ist das geeignete Mittel für die Rechtsangleichung, weil sie gem. Art. 249 Abs. 3 EGV nur hinsichtlich des Ziels verbindlich ist und für die Umsetzung den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und Mittel überlässt. Die Gemeinschaft verfügt über mehrere Angleichungsformen, wie z. B. die Total- oder die Teilharmonisierung, die mit unterschiedlicher Intensität in die nationalen Rechtsordnungen eingreifen. Da die Rechtsangleichung nach Art. 94 EGV nur zulässig ist, soweit sie unmittelbar der Errichtung des Gemeinsamen Marktes dient, ist die Gemeinschaft zum Erlass nicht binnenmarktbezogener sozialpolitischer Rechtsakte nicht berechtigt. 156 So Urteil des Gerichtshofs vom 5. Mai 1982, Rs. C-15 / 81, Gaston Schul Douane Expediteur B.V. / Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen Roosendaal, Slg. 1982, S. 1409, Rdnr. 33. 157 Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 94 EGV Rdnr. 2 – 6. 158 Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 94 EGV Rdnr. 20.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Führen allerdings unterschiedliche sozialpolitische Bestimmungen der Mitgliedstaaten zu Wettbewerbsverzerrungen, kann die Gemeinschaft diese über Art. 94 EGV beseitigen. Die Rechtsangleichungsmaßnahme dient unmittelbar dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, weil zu dessen Bestandteilen ein unverfälschter Wettbewerb zählt. Der Sozialpolitik kommt in solchen Fällen eine Hilfsfunktion im Rahmen der Verwirklichung der wirtschaftlichen Integration zu. Die Befugnis der Gemeinschaft, auf sozialpolitischem Gebiet durch Richtlinien nationales Recht anzugleichen, um einen Beitrag zur Herstellung des Gemeinsamen Marktes zu leisten, verdeutlicht die Wechselwirkung von Sozial- und Wirtschaftspolitik. Desweiteren ist im Rahmen der Rechtsangleichung des Art. 94 EGV zu beachten, dass der Gemeinsame Markt nicht um seiner selbst willen errichtet wird, sondern auch der Verwirklichung sozialpolitischer Ziele dient, wie die Präambel und Art. 2 EGV zum Ausdruck bringen. Indem Art. 136 Abs. 3 EGV ausdrücklich auf die Rechtsangleichung und damit auf den Gemeinsamen Markt verweist, verdeutlicht diese Bestimmung in besonderem Maße, dass die Mitberücksichtigung der sozialen Entwicklung zu den Elementen eines funktionierenden Gemeinsamen Marktes gehört. Die Gemeinschaft kann deshalb auch solche Maßnahmen auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts nach Art. 94 EGV angleichen, welche nicht nur Maßnahmen decken, die aus wirtschaftlichen, sondern auch solche, die aus sozialpolitischen Gründen gerechtfertigt sind, sofern sie einen wirtschaftlichen Bezug aufweisen und damit der Errichtung oder dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes dienen. Bei diesem weiten Verständnis des Gemeinsamen Marktes unterfällt wegen der Interdependenz von Wirtschafts- und Sozialpolitik letztlich ein Großteil des Arbeits- und Sozialrechts dem Art. 94 EGV, zumal das einschränkende Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Auswirkung wegen seiner Unbestimmtheit nur schwache rechtliche Aussagefähigkeit entfaltet und sozialpolitische Angelegenheiten ohne wirtschaftliche Auswirkungen praktisch nicht vorkommen. Im Hinblick auf das Prinzip der Einzelermächtigung, das zu den wesentlichen Strukturprinzipien des EGV zählt, erscheint die generalklauselartige Weite von Art. 94 EGV bedenklich. So gibt er nicht die Befugnis zur Angleichung in den Fällen, in denen keine unmittelbare wettbewerbsverfälschende Wirkung festgestellt und das Tätigwerden mit den sozialen Elementen des Gemeinsamen Marktes begründet wird. Eine Vergemeinschaftung zahlreicher sozialpolitischer Bereiche über Art. 94 EGV würde außerdem der Konzeption des EGV zuwiderlaufen, die Sozialpolitik grundsätzlich im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten zu belassen. Da infolge des unklaren Wortlauts von Art. 94 EGV Rat und Europäische Kommission aber letztlich einen weiten Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Tatbe-
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standsvoraussetzungen haben, bildet das Einstimmigkeitsprinzip das entscheidende Korrektiv für einen zu starken Transfer sozialpolitischer Befugnisse von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft. Ob das in Art. 5 EGV verankerte Subsidiaritätsprinzip eine weitere Schranke gegen eine Aushöhlung der mitgliedstaatlichen Befugnisse im Bereich der Sozialpolitik bilden kann, erscheint fraglich. Denn unabhängig von der Frage, inwieweit das Subsidiaritätsprinzip überhaupt justiziabel ist,159 dürfte der Europäische Gerichtshof auf Art. 94 EGV basierende, einstimmig erlassene sozialpolitische Rechtsakte wohl kaum wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip aufheben, weil die Mitgliedstaaten durch die Verabschiedung bereits das Bedürfnis für ein Tätigwerden auf europäischer Ebene zum Ausdruck gebracht haben. Letztendlich dürfte deshalb der Rat auch weiterhin über einen weiten Spielraum hinsichtlich des Erlasses sozialpolitischer Rechtsakte nach Art. 94 EGV verfügen.160 Art. 95 EGV gibt der Gemeinschaft darüber hinaus eine Kompetenznorm an die Hand, die es ihr ermöglicht, die in Art. 14 EGV vorgegebenen Ziele der Verwirklichung des Binnenmarktes zu erreichen. Im Verhältnis zu Art. 94 EGV ergibt sich, dass Art. 94 EGV die Funktion einer lex generalis absoluta zukommt, während Art. 95 EGV demgegenüber als lex generalis relativa angesehen wird.161 Die durch Art. 95 EGV eingeräumte Kompetenz ist funktional ausgerichtet, d. h., nicht auf bestimmte Politikbereiche oder Regelungsgebiete begrenzt, sondern ermächtigt die Gemeinschaft, sofern nicht der Subsidiaritätsvorbehalt greift, zum Erlaß aller Maßnahmen, derer es zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes bedarf. Insbesondere gibt es grundsätzlich keine Regelungsmaterien, die vom Anwendungsbereich des Art. 95 EGV ausgenommen wären. Es ist nicht entscheidend, welchem Rechtsgebiet die zu regelnde Materie entstammt sondern, ob und welche Bedeutung ihr – ebenso wie bei Art. 94 EGV– für das Funktionieren des Binnenmarktes zukommt. Eine Ausnahme stellt insoweit nur der Abs. 2 dar, der klarstellt, dass Steuern, Bestimmungen über die Freizügigkeit und Bestimmungen über die Rechte und In159 Vgl. zum Streit über die Justiziabilität der drei Absätze des Art. 5 EGV Pechstein, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 5 EGV Rdnr. 6, 42 und 52 m. zahlreichen w. N., aber auch Urteil des Gerichtshofs vom 13. Mai 1997, Rs. C-233 / 94, Bundesrepublik Deutschland / Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union, Slg. 1997, S. I-2405, Rdnr. 22 ff. und 55 ff.; Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juli 2005, verb. Rs. C-154 / 04 und C-155 / 04, The Queen / Secretary of State for Health, National Assembly for Wales u. a., Slg. 2005, S. I-6451, Rdnr. 101 ff. 160 Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 42. 161 Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 95 EGV Rdnr. 5 ff.; vgl. dazu auch Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 379 f.; vgl. dazu ferner Fischer, H. G., in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 95 EGV Rdnr. 5.
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teressen der Arbeitnehmer ausgenommen sind. Dies stellt aber im sozialpolitischen Regelungskanon kein Problem dar, denn die Freizügigkeit kann sich auf eine Vielzahl anderer Regelungen stützen (so z. B. Art. 12, 18, 39, 40, 44, 46, 47, 49, 52, 55 EGV) und auch hinsichtlich der Rechte und Interessen der Arbeitnehmer – einem sehr vagen Begriff – lassen sich Normen finden, die eine Rechtsetzung erlauben. Als Kompetenznormen kommen z. B. infrage die Art. 137, 42 und 44 EGV.162 Wesentlich für die Rechtsangleichung im Rahmen des Art. 95 EGV ist die enge Verknüpfung mit den Zielen des Art. 14 EGV. Dabei muss die erforderliche Verwirklichung des Binnenmarktes nicht nur subjektives Anliegen des Gemeinschaftsgesetzgebers sein, sondern sich auch objektiv als Ziel der getroffenen Maßnahme entnehmen lassen: „Wird bereits aus den Erwägungsgründen eines Rechtsaktes deutlich, dass mit ihm keine Binnenmarktziele verfolgt werden, ist Art. 95 EGV keine hinreichende Rechtsgrundlage. Darüber hinaus muss die Harmonisierungsmaßnahme aber auch objektiv, d. h. tatsächlich den Zweck haben, die Voraussetzungen für das Erreichen und das Funktionieren des Binnenmarkte zu ,verbessern.‘ Art. 95 EGV kann daher nur für solche gemeinschaftlichen Maßnahmen herangezogen werden, die wirklich der Prävention oder Beseitigung von Freihandelshindernissen sowie von Wettbewerbsverfälschungen dienen.“163 Die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften ist nicht nur auf das Rechtsinstrument der Richtlinie begrenzt, vielmehr kann auf alle in Art. 249 EGV genannten Handlungsformen zurückgegriffen werden.164 Bei der Wahl der Methode der Rechtsangleichung kann, ähnlich wie bei Art. 94 EGV, zwischen verschiedenen nach ihrer Intensität graduell abgestuften Formen der Harmonisierung unterschieden werden:165 Totalharmonisierung (die Mitgliedstaaten haben nicht die Möglichkeit, irgendeine Art von Regelungen zu erlassen, die von den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben abweichen). Teilharmonisierung (unterschiedliche Regelung sind grundsätzlich möglich) mit den Unterformen – Mindestharmonisierung (der Gemeinschaftsgesetzgeber beschränkt sich auf Mindeststandards, die für die Mitgliedstaaten zwingend sind, jedoch nicht verbieten, strengere Maßstäbe einzuführen, solange diese nicht diskriminierend oder wettbewerbshindernd wirken). – Optionelle Harmonisierung (eine den Sachverhalt prinzipiell umfassend regelnde Gemeinschaftsbestimmung, die in ihrer Funktion darauf beschränkt Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 95 EGV Rdnr. 3 ff. Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 95 EGV Rdnr. 15. 164 Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 95 EGV Rdnr. 32. 165 Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 95 EGV Rdnr. 38 ff. 162 163
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wird, die freie Verkehrsfähigkeit von Produkten, die mit ihr übereinstimmen, innerhalb der gesamten Gemeinschaft sicherzustellen). – Fakultative Harmonisierung (Händlern und Produzenten wird die Möglichkeit eröffnet, sich wahlweise an den nationalen oder den Richtlinienvorgaben zu orientieren).
Die Rechtsetzung nach Art. 95 EGV erfolgt im Mitentscheidungsverfahren gem. Art. 251 EGV. Damit ist grundsätzlich ein Weg eröffnet, auch über Art. 95 EGV sozialpolitische Ziele umzusetzen, soweit der dargestellte enge Binnenmarktbezug gegeben ist. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch Art. 95 Abs. 3 EGV, der auf den Gesundheitsschutz ausdrücklich Bezug nimmt, wobei unter „Gesundheit“ die Gesundheit und das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen i. S. d. Art. 30 Satz 1 EGV zu verstehen ist.166 Hier ist allerdings das Verhältnis zu Art. 152 Abs. 4 EGV zu beachten. Lit. c des Art. 152 Abs. 4 EGV ermöglicht „Fördermaßnahmen, die den Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zum Ziel haben, unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten.“ Danach dürfen nach dem Wortlaut andere Rechtsgrundlagen, in diesem Fall also der Art. 95 EGV, nicht zur Umgehung herangezogen werden. Nach h. M. kann die Europäische Gemeinschaft aber trotzdem bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 95 EGV einen Rechtsakt auf diese Vorschrift stützen, da ein Zurücktreten des Art. 95 EGV in diesem Fall weder mit seiner funktionalen Ausrichtung noch dem Zielsystem des EGV vereinbar wäre und beide Vorschriften auf ein hohes Gesundheitsniveau abstellen.167 Sowohl Art. 94 als auch Art. 95 EGV erlangen für den sozialen Bereich große Bedeutung, da sie – sofern die erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind, insbesondere auch die Verbindung zum Markt – weitreichende Möglichkeiten der Regelung eröffnen. Art. 96 Abs. 2 EGV stellt der Gemeinschaft ein Verfahren zur schnellen Reaktion auf Störungen des Gemeinsamen Marktes zur Verfügung. Sofern vorhandene Rechtsunterschiede die Wettbewerbsbedingungen verfälschen und dadurch eine beseitigungsbedürftige Verzerrung entsteht, kann in einem „Schnellverfahren“ mit Maßnahmen zur punktuellen Rechtsangleichung reagiert werden. Auf seiner Grundlage können mit qualifizierter Mehrheit Richtlinien erlassen werden. Dies würde selbstverständlich auch im sozialen Kontext greifen. So können Wettbewerbsverzerrungen auch hervorgerufen werden durch unterschiedliche Soziallasten.168 Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 95 EGV Rdnr. 60. Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 95 EGV Rdnr. 112, Fischer, H. G., in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 95 EGV Rdnr. 57. 166 167
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hh) Art. 128 – 129 EGV Art. 126 EGV fasst, wie unter V. 3. k. dargestellt, die Aufgaben der Mitgliedstaaten im Rahmen der koordinierten Beschäftigungsstrategie zusammen und erlegt den Mitgliedstaaten eine Pflicht zur Abstimmung auf. Er wird ergänzt durch Art. 127 EGV, der im wesentlichen programmatischen Charakter und für sich genommen keine kompetenzbegründende Funktion hat, sondern lediglich das Ziel der Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus konkretisiert. Art. 128 und 129 EGV sind die einschlägigen Kompetenzbestimmungen im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie. Den Kern des Abstimmungsverfahrens der Beschäftigungspolitiken bildet im Zusammenspiel mit den anderen Vorschriften dann Art. 128 EGV, der die Kompetenzgrundlage darstellt. Art. 128 EGV regelt auch das Abstimmungsverfahren und das Verfahren zur Festlegung der Leitlinie. Damit ist Art. 128 EGV das zentrale Steuerungselement der koordinierten Beschäftigungsstrategie. Selbständige Kompetenzen ergeben sich auch aus Art. 129 EGV, der der Gemeinschaft bestimmte „Anreizmaßnahmen“ gestattet. Er ist die einzige Vorschrift des Beschäftigungstitels, die der Europäischen Gemeinschaft inhaltlich selbständige Kompetenzen verleiht, die über die reine Koordinierung der mitgliedstaatlichen Beschäftigungspolitik hinausgehen. Er ermöglicht Anreizmaßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und zur Unterstützung ihrer Beschäftigungsmaßnahmen, die darauf abzielen, den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren zu entwickeln, vergleichende Analysen und Gutachten bereitzustellen sowie innovative Ansätze zu fördern und Erfahrungen zu bewerten, und zwar insbesondere durch den Rückgriff auf Pilotvorhaben. Dabei können Anreizmaßnahmen sowohl rechtlich verbindliche als auch rechtlich unverbindliche Instrumente sein, die mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden.169 Da die Europäische Beschäftigungsstrategie insbesondere auch im Zusammenspiel mit den Nationalen Aktionsplänen eine wichtige Rolle für den Bereich der Regelungen im Sinne des „soft law“ darstellt, wird auf sie in einer Gesamtdarstellung näher noch im folgenden unter VII. 5 eingegangen. ii) Art. 137 – 140 EGV Art. 137 EGV ist die zentrale Vorschrift der europäischen Sozialpolitik, denn er umreißt die Instrumente, die der Europäischen Gemeinschaft zur Umsetzung der in Leible, Stefan, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 96 EGV Rdnr. 1 ff. Vgl. dazu Niedobitek, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 128 – 129 EGV. 168 169
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Art. 136 EGV niedergelegten Ziele der Sozialpolitik zur Verfügung stehen. Hinsichtlich der Materien Arbeitsumwelt, Sicherheit und Gesundheit, Arbeitsbedingungen, berufliche Eingliederung, Bekämpfung von Ausgrenzungen und Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt, vermag die Europäische Gemeinschaft mit qualifizierter Mehrheit (Art. 251 EGV) einzelne Mindestnormen zu setzen. Hinsichtlich der Materien soziale Sicherheit, sozialer Schutz der Arbeitnehmer, Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrages, Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen einschließlich der Mitbestimmung, Beschäftigungsbedingungen von Drittstaatsangehörigen und Arbeitsmarktpolitik, Modernisierung des Sozialschutzes, kann die Europäische Gemeinschaft durch einstimmigen Ratsbeschluß harmonisierende Bestimmungen erlassen. Ausgenommen sind lediglich Regelungen für das Arbeitsentgelt, Koalitions-, Streik- und Aussperrungsrecht. Die so erlassenen Bestimmungen binden die Mitgliedstaaten insoweit, als sie in ihrem Schutzniveau nicht unterschritten werden dürfen. Ein strengeres Schutzniveau können die Mitgliedstaaten indes vorgeben. Art. 137 lautet: (1) „Zur Verwirklichung der Ziele des Art. 136 unterstützt und ergänzt die Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf folgenden Gebieten: a) Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer b) Arbeitsbedingungen c) Soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer d) Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrages e) Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer f) Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung, vorbehaltlich des Abs. 5 g) Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder, die sich rechtmäßig im Gebiet der Gemeinschaft aufhalten h) Berufliche Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen, unbeschadet des Art. 150 i) Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz j) Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung k) Modernisierung der Systeme des sozialen Schutzes, unbeschadet des Buchstabens c (2) Zu diesem Zweck kann der Rat a) unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten Maßnahmen annehmen, die dazu bestimmt sind, die Zusammen-
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ arbeit zwischen den Mitgliedstaaten durch Initiativen zu fördern, die die Verbesserung des Wissensstandes, die Entwicklung des Austausches von Informationen und bewährten Verfahren, die Förderung innovativer Ansätze und die Bewertung von Erfahrungen zum Ziel haben
b) in den in Abs. 1 Buchstaben a bis i genannten Bereichen unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen, die schrittweise anzuwenden sind. Diese Richtlinien sollen keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorschreiben, die der Gründung und Entwicklung von kleinen bis mittleren Unternehmen entgegenstehen.“
Durch diese Regelungen werden erstmals gemeinschaftsweit einheitlich bindende Bestimmungen für weite Teile des Sozialrechts möglich. Das Primärrecht schafft somit eine Grundlage für Bestrebungen der Gemeinschaft, die bereits Anfang der 90er Jahre zu Empfehlungen über „gemeinsame Kriterien für ausreichende Zuwendungen und Leistungen im Rahmen des Systems der sozialen Sicherung“170 sowie über die „Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes“171 geführt haben. Nach Auffassung Eichenhofers172 ist dabei jedoch zu berücksichtigen, dass die insoweit der Gemeinschaft eingeräumten Zuständigkeiten zu denjenigen der Mitgliedstaaten hinzutreten, also nachrangig sind. Diese prinzipielle Nachrangigkeit gemeinschaftlicher gegenüber mitgliedstaatlicher Zuständigkeit gelange in Art. 137 EGV dreifach zum Ausdruck, indem: die Gemeinschaft grundsätzlich nur Unterstützungsmaßnahmen ergreifen dürfe in den Bereichen des Abs. 1 lit. a) bis c) die darauf gestützten Normen Mindestvorschriften enthielten, die von den Mitgliedstaaten hinsichtlich ihres Schutzniveaus übertroffen werden könnten die strengeren mitgliedstaatlichen Schutzbestimmungen einzelner Mitgliedstaaten der gemeinschaftsrechtlichen Regelung vorgingen.
Art. 138 EGV bezieht sich auf den dreiseitigen „Sozialen Dialog“ und begründet im Zusammenspiel mit Art. 139 EGV Zuständigkeiten der Sozialpartner bei der Schaffung arbeitsrechtlicher Normen.173 170 Empfehlung des Rates 92 / 441 / EWG vom 24. Juni 1992 über gemeinsame Kriterien für ausreichende Zuwendungen und Leistungen im Rahmen der Systeme der sozialen Sicherung, ABl. EG L 245 / 46 vom 26. August 1992. 171 Empfehlung des Rates 92 / 442 / EWG vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes, ABl. EG L 245 / 49 vom 26. August 1992. 172 Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 137 EGV Rdnr. 3 ff. 173 Vgl. dazu auch Clever, Peter, Die arbeits- und sozialrechtliche Bedeutung der Subsidiarität im Vertrag über die Europäische Union und die Regelungsbefugnisse der Sozialpartner, S. 85 ff.
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Er eröffnet die Möglichkeit der Beteiligung der Sozialpartner an der Rechtsetzung in Form des Anhörungsverfahrens. Dies umfasst die Unterrichtung und Konsultation der Sozialpartner vor Unterbreitung eines Vorschlags durch die Kommission, die Konsultation nach Unterbreitung eines Vorschlags und das Ablösungsrecht, also die Übernahme des Vorschlags durch die Sozialpartner mit dem Ziel der Umsetzung der beabsichtigten Initiative durch eigene Sozialpartnervereinbarungen.174 Im Rahmen des Art. 138 EGV war früher umstritten, wie weit sein Anwendungsbereich zu ziehen ist. Die Literaturmeinungen reichten von einer engen, nur auf die Sicherheit und Gesundheit beschränkten Sicht bis zu einer Interpretation, nach der sich der Artikel auch auf soziale Vorschriften und die Verbesserung der Lebensbedingungen erstrecken soll.175 Die Formulierung des EG-Vertrags in der Fassung von Nizza „Vorschläge im Bereich der Sozialpolitik“ eröffnet eine breite Basis für das gesamte Spektrum sozialpolitischer Kompetenzen. Dem entspricht im Ergebnis auch der Inhalt einer früheren Entschließung des Europäischen Parlaments.176 Art. 139 EGV regelt den zweiseitigen Dialog und erlaubt den Sozialpartnern „die Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen“. Derartige Vereinbarungen können entweder in den einzelnen Mitgliedstaaten nach den jeweils für die Sozialpartnerübereinkünfte gültigen Regeln oder auf Gemeinschaftsebene durch Ratsbeschlüsse wie eine EG-Initiative umgesetzt werden. Soweit Gegenstände der Sozialpolitik (Art. 137 EGV) betroffen sind, richtet sich das Mehrheitserfordernis an den die Vereinbarung umsetzenden Ratsbeschluss nach den in Art. 137 Abs. 1 und 2 EGV aufgeführten Regelungsmaterien. Zielt die Regelung auf eine in Art. 137 Abs. 1 lit. a), b), e), h), i), j) oder k) EGV geregelte Materie, ist qualifizierte Mehrheit vorgesehen. In den Fällen des Art. 137 Abs. 1 lit c), d), f) oder g) muss dagegen einstimmig beschlossen werden. Schließlich erlaubt Art. 137 Abs. 3 EGV – in Anerkennung und zur Wahrung der Vielfalt der einzelstaatlichen Gepflogenheiten –, Richtlinien über Mindest(Art. 137 Abs. 1 EGV) oder einheitliche Regelungen (Art. 137 Abs. 2 EGV) anstelle von mitgliedstaatlicher Gesetzgebung durch die Sozialpartnerübereinkünfte umzusetzen. Dabei hat der Mitgliedstaat die termingerechte Umsetzung der Richtlinien durch die Sozialpartner zu gewährleisten.177 174 Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 138 EGV Rdnr. 1 ff. 175 Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 87 ff. mit einer ausführlichen Darstellung des Streitstandes und zahlreichen weiteren Nachweisen. 176 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 1988 zu dem Begriff der Arbeitsumwelt und dem Anwendungsbereich von Artikel 118a des EWG-Vertrags, ABl. EG C 12 / 181 vom 16. 01. 1989. 177 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 46.
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Auf den Prozess des Sozialen Dialogs in seiner Gesamtheit wird im folgenden Abschnitt unter VII. 2. näher eingegangen. Soweit Art. 140 EGV der Europäischen Kommission die Aufgabe überträgt, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, und die Europäische Kommission in diesem Zusammenhang „durch Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen tätig wird“, eröffnet auch diese Bestimmung Handlungsmöglichkeiten in sozialen Fragen, soweit letztere nicht zu den bereits erwähnten Bereichen gehören, die durch andere Vorschriften des Vertrages, nämlich denjenigen über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die Freizügigkeit der Erwerbstätigen und den Arbeitsschutz geregelt werden und für die der Gemeinschaft ausdrücklich Kompetenzen eingeräumt worden sind. Damit legitimiert Art. 140 EGV zwar nicht die Rechtsetzung durch die Europäische Kommission, wohl aber legitimiert sie die Europäische Kommission, insoweit tätig zu werden, als sie den Mitgliedstaaten in den hier aufgeführten Bereichen Vorschläge zur Regelung der genannten Materien durch eigene Gesetze unterbreiten kann. Dabei handelt es sich um die sozialpolitisch bedeutsamen Bereiche: Beschäftigung Arbeitsrecht und Arbeitsbedingungen Berufliche Ausbildung und Fortbildung Soziale Sicherheit Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten Gesundheitsschutz bei der Arbeit Koalitionsrecht und Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Die Bedeutung dieser Bestimmung wird im sozialpolitischen Kontext oft unterschätzt; denn sie erlaubt schon vor der Begründung einer eigenen sozialpolitischen Zuständigkeit der Gemeinschaft deren Tätigwerden zur Unterstützung der intergouvernementalen Ebene. Durch Untersuchungen, Stellungnahmen und Vorschläge zu sozialpolitischen Themen können Innovationen angeregt werden.178 Insofern ist diese Bestimmung auch von zentraler Bedeutung für den „Europäischen Sozialkonsens“, da sie die Interdependenz der Politikgestaltung zwischen der intergouvernementalen Ebene und der Europäischen Kommission fördert. Art. 140 EGV hat im Wesentlichen programmatischen Charakter und enthält keine eigenständige Ermächtigung zum Erlass verbindlichen materiellen Gemeinschaftsrechts. Es bleibt bei der grundsätzlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und deren Hauptverantwortung für die Sozialpolitik. 178 Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 140 EGV Rdnr. 1 ff.
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Eine Gemeinschaftszuständigkeit kann aber, wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, „unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags“, die insoweit an Art. 136 Abs. 3 EGV anknüpft, aus anderen Vorschriften des Vertrags, z. B. über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die gemeinsame Agrar- oder Verkehrspolitik und Art. 137 EGV, insbesondere jedoch aus den allgemeinen funktionalen Kompetenznormen (Art. 94, 95 EGV) folgen179. Darüber hinaus sieht die Vorschrift weiterhin eine Kompetenz der Europäischen Kommission zur Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten in allen unter die Sozialvorschriften des EGV fallenden Bereichen der Sozialpolitik, insbesondere jedoch auf einer Reihe von Gebieten (Beschäftigung, Arbeitsrecht, berufliche Bildung, Soziale Sicherheit, Verhütung von Arbeitsunfällen, Gesundheitsschutz bei der Arbeit und Koalitionsrecht), zur Erreichung der Ziele des Art. 136 EGV vor. Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in sozialen Fragen muss jedoch nach Art. 140 Abs. 1 EGV im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ausgeübt werden, deren Durchführung die Europäische Kommission sicherstellt. Zur Wahrnehmung ihrer Koordinierungsfunktion in Bezug auf die Zusammenarbeit wird die Europäische Kommission im Wege der Durchführung von „Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen“ tätig. Die der Europäischen Kommission dabei zustehenden Durchführungsbefugnisse hat der EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-281, 283 – 285 und 287 / 85,180 in denen es um die Entscheidung 85 / 381 / EWG der Europäischen Kommission zur Einführung eines Mitteilungs- und Abstimmungsverfahrens über die Wanderungspolitik gegenüber Drittländern181 ging, näher präzisiert. Danach enthält Art. 118 EGV a.F. eine spezifische Rechtsgrundlage für eine Entscheidung der Europäischen Kommission zur Einführung eines Informationsund Konsultationsverfahrens. Die Befugnis der Europäischen Kommission beschränkt sich aber auf die Organisation des Verfahrens zur Mitteilung von Information und Konsultation. Sie kann daher weder das Ergebnis vorschreiben, das mit dieser Konsultation erreicht werden soll, noch die Mitgliedstaaten daran hindern, Vorhaben, Abkommen und Vorschriften in Kraft zu setzen, die sie als nicht im Einklang mit den Politiken und Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft stehend ansieht. 179 Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 140 EGV Rdnr. 1. 180 Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 1987, verb. Rs. C-281, 283 bis 285 und 287 / 85, Bundesrepublik Deutschland und Königreich der Niederlande und Französische Republik und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland und Königreich der Niederlande und Königreich Dänemark und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Kommission der Europäischen Gemeinschaften und Europäisches Parlament, Slg. 1987, S. 3203. 181 Entscheidung 85 / 381 / EWG der Kommission zur Einführung eines Mitteilungs- und Abstimmungsverfahrens über die Wanderungspolitik gegenüber Drittländern vom 8. 7. 1985, ABl. EG L 217 / 25 vom 14. 08. 1985.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Anders als die verfahrensrechtlichen Entscheidungen nach Art. 140 EGV können die rechtlich nicht verbindlichen Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen auch materiellrechtliche Fragen betreffen. Doch auch hier verfügte die Europäische Kommission nicht über die Möglichkeit zur Schaffung verbindlicher Instrumente, die ihr nunmehr der EGV erstmals in Art. 137 EGV einräumt. Beispiele für eine entsprechend geübte Praxis sind eine Reihe arbeitsrechtlicher Empfehlungen, wie z. B. die Einrichtung eines betriebsärztlichen Dienstes182, die gesundheitliche Überwachung der Arbeitnehmer, die besonderen Berufsgefahren ausgesetzt sind183 und der Jugendarbeitsschutz184. In der Praxis hat sich im Anschluss an die Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Den Haag im Dezember 1969 und Paris im Oktober 1972 zur Weiterentwicklung der Sozialpolitik die Verfahrensweise herausgebildet, dass der Rat zu Aktionsprogrammen der Kommission Entschließungen fasst und diese beauftragt, Entwürfe für Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft zu erarbeiten, die bis zum Inkrafttreten der EEA 1987 vor allem auf die allgemeinen Kompetenznormen der Art. 94 EGV und Art. 308 EGV (seinerzeit Art. 100 und 235 EWGV) gestützt wurden. Einen bedeutenden Schritt zur Konkretisierung einer an der Zielbestimmung des Art. 136 EGV ausgerichteten Gemeinschaftspolitik stellten die Verabschiedung der Ratsentschließung über das sozialpolitische Aktionsprogramm der Gemeinschaft vom 21. 01. 1974185 und die in der Folgezeit ergangenen Richtlinien dar: RL 98 / 59 / EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen.186 RL 2001 / 23 / EG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen vom 12. März 2001.187 RL 2002 / 74 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 80 / 987 / EWG des Rates zur Angleichung 182 Empfehlung der Kommission an die Mitgliedstaaten betreffend die betriebsärztlichen Dienste in den Arbeitsstätten, ABl. EG Nr. 80 / 2181 vom 31. 08. 1962. 183 Empfehlung der Kommission 66 / 461 / EWG vom 27. Juli 1966 an die Mitgliedstaaten über die gesundheitliche Überwachung der Arbeitnehmer, die besonderen Berufsgefahren ausgesetzt sind, ABl. EG Nr. 151 / 2753 vom 17. 08. 1966. 184 Empfehlung der Kommission 67 / 125 / EWG vom 31. Januar 1967 an die Mitgliedstaaten zum Jugendarbeitsschutz, ABl. EG 25 / 405 vom 13. 02. 1967. 185 Entschließung des Rates vom 21. Januar 1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm, ABl. EG C 13 / 1 vom 12. 02. 1974. 186 ABl. EG L 225 / 16 vom 12. 08. 1998. 187 ABl. EG L 82 / 16 vom 22. 03. 2001.
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der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers.188 Zu nennen sind neben dem sozialpolitischen Aktionsprogramm vom 24. 1. 1974189 und seinen Nachfolgeprogrammen190 ferner das Aktionsprogramm zugunsten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen vom 9. 2. 1976191, das Aktionsprogramm für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vom 29. 06. 1978192 und sein Nachfolgeprogramm vom 27. 2. 1984193, die Entschließung des Rates über Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vom 21. 12. 1987194, das Aktionsprogramm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vom 12. 7. 1982195, das Aktionsprogramm zur Förderung des Beschäftigungswachstums vom 22. 12. 1986196, das Aktionsprogramm zum Europäischen Jahr für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vom 25. 6. 1991197, die Aktionsprogramme zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen vom 12. 7. 1982198 und vom 24. 7. 1986199 sowie das dritte Aktionsprogramm vom 21. 5. 1991200 und das mittelfristige AktionsproABl. EG L 270 / 10 vom 08. 10. 2002. Entschließung des Rates vom 21. Januar 1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm, ABl. EG C 13 / 1 vom 12. 02. 1974. 190 Zuletzt Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission, Sozialpolitisches Aktionsprogramm 1998 – 2000, KOM (98) 259 vom 29. April 1998. 191 Entschließung des Rates vom 9. Februar 1976 über ein Aktionsprogramm zugunsten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, ABl. EG C 34 / 2 vom 14. 02. 1976. 192 Entschließung des Rates über ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vom 29. 06. 1978, ABl. EG C 165 / 1 vom 11. 07. 1978. 193 Entschließung des Rates vom 27. Februar 1984 über ein zweites Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, ABl. EG C 67 / 2 vom 08. 03. 1984. 194 Entschließung des Rates vom 21. Dezember 1987 über Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, ABl. EG C 28 / 1 vom 03. 02. 1988. 195 Entschließung des Rates vom 12. Juli 1982 über eine Gemeinschaftsaktion zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, ABl. EG C 186 / 1 vom 21. 07.1982. 196 Entschließung des Rates vom 22. Dezember 1986 über ein Aktionsprogramm zur Förderung des Beschäftigungswachstums, ABl. EG C 340 / 2 vom 31. 12. 1986. 197 Beschluss des Rates vom 25. Juli 1991 über ein Aktionsprogramm zum Europäischen Jahr für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (1992) (91 / 388 / EWG), ABl. EG L 214 / 77 vom 02. 08. 1991. 198 Entschließung des Rates vom 12. Juli 1982 zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen, ABl. EG C 186 / 3 vom 21. 07. 1982. 199 Zweite Entschließung des Rates vom 24. Juli 1986 zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen, ABl. EG C 203 / 2 vom 12. 08. 1986. 200 Entschließung des Rates vom 21. Mai 1991 zum dritten mittelfristigen Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit für Frauen und Männer (1991 – 1995), ABl. EG C 142 / 1 vom 31. 05. 1991. 188 189
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
gramm zur Chancengleichheit vom Dezember 1995201 sowie schließlich der Aktionsplan zur Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer KOM 97 / 586202. Die Bestimmung ergänzt auch die Arbeit des Rates auf dem Gebiet der OMK im Bereich der Sozialpolitik.203 jj) Art. 141 – 145 EGV Art. 141 EGV hat in der Vergangenheit (als ex-Art. 119 EWGV) tiefgreifende Veränderungen im Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten ausgelöst.204 Nach der Rechtsprechung des EuGH hat er einen doppelten Zweck: „Einerseits soll er mit Rücksicht auf den unterschiedlichen Entwicklungsstand der Sozialgesetzgebung in den einzelnen Mitgliedstaaten verhindern, dass die in denjenigen Mitgliedstaaten, die den Grundsatz der Entgeltgleichheit tatsächlich verwirklicht haben, ansässigen Unternehmen im innergemeinschaftlichen Wettbewerb gegenüber den Unternehmen benachteiligt werden, die in Staaten ansässig sind, welche die Lohndiskriminierung zum Nachteil der weiblichen Arbeitskräfte noch nicht beseitigt haben. Andererseits dient diese Bestimmung den sozialen Zielen der Gemeinschaft, die sich ja nicht auf eine Wirtschaftsunion beschränkt, sondern, wie die Präambel des Vertrags hervorhebt, zugleich durch gemeinsames Vorgehen den sozialen Fortschritt sichern und die ständige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen der europäischen Völker anstreben soll“.205 Art. 141 Abs. 1 EGV richtet sich zunächst an die Mitgliedstaaten, die die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen haben. Aus Art. 141 Abs. 3 EGV ergeben sich dann die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft. Danach beschließt der Rat entsprechend dem Verfahren des Art. 251 EGV Maßnahmen zur Gewährleistung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. 201 Beschluss des Rates 95 / 593 / EG vom 22. Dezember 1995 über ein mittelfristiges Aktionsprogramm der Gemeinschaften für die Chancengleichheit von Männern und Frauen (1996 – 2000), ABl. EG L 335 / 37 vom 30. 12. 1995. 202 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, KOM (97) 0586 endg. vom 12. 11. 1997. 203 Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 140 EGV Rdnr. 1. 204 Streinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 1097. 205 Urteil des Gerichtshofs vom 8. April 1976, Rs. 43 / 75, Gabrielle Defrenne / Société anonyme belge de navigation aerienne Sabena (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455, Rdnr. 8.
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Diese Formulierung stellt klar, dass die Vorschrift eine Rechtsgrundlage für sämtliche Maßnahmen zur Sicherung von Chancengleichheit und Gleichbehandlung der Geschlechter, so z. B. hinsichtlich sozialer Sicherheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Teilzeitbeschäftigung, Elternurlaub, Mobbing oder sexueller Belästigung bildet und nicht nur auf Entgeltfragen beschränkt ist.206 Abs. 4 ermächtigt die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen kompensatorischer Sozialpolitik, also der Bevorzugung des benachteiligten gegenüber dem bevorzugten Geschlecht, wobei es allerdings zu Zielkonflikten mit dem Postulat der Gleichbehandlung kommen kann.207 Art. 142 EGV wird nur der Vollständigkeit halber erwähnt, da er weithin als wirkungslos gilt. Ein bereits erreichter Zustand soll lediglich erhalten bleiben, indem die Mitgliedstaaten die bestehende Gleichwertigkeit der Ordnungen über die bezahlte Freizeit beibehalten wollen. Da Art. 137 Abs. 1 lit. a EGV der Gemeinschaft eine Zuständigkeit einräumt, die auch die Regelung der Arbeitszeit umschließt, folgt daraus im Umkehrschluß, dass eine Gleichwertigkeit der Ordnungen über die bezahlte Freizeit in der Gemeinschaft derzeit noch nicht besteht, so dass eine Beibehaltung sinnlos wäre. Vielmehr müsste die Norm, um Sinn zu machen, Mindestvorschriften vorsehen. Die Regelung wird daher allgemein als verzichtbar angesehen.208 Art. 143 EGV verpflichtet die Kommission zur regelmäßigen jährlichen Berichterstattung zur demographischen Lage. Die Vorschrift überschneidet sich mit Art. 145 EGV, wonach die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament einen jährlichen Bericht über die soziale Lage zu übermitteln hat. Dabei kommt es zu einer – eigentlich unnötigen – Doppelung, da sich die Berichtsthemen überschneiden. Die Vorschriften stellen zwar keine Kompetenzgrundlage dar, unterstreichen aber die generelle Bedeutung der Sozialpolitik als zentrales Aufgabenfeld der Gemeinschaft. Ferner ermöglichen sie der Öffentlichkeit, sich zumindest einen Überblick über die soziale Lage in der Gemeinschaft zu verschaffen, und können damit zur Transparenz beitragen.209
206 Eichenhofer, Rdnr. 22. 207 Eichenhofer, Rdnr. 2. 208 Eichenhofer, Rdnr. 1 ff. 209 Eichenhofer, Rdnr. 1 ff.
Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 141 EGV Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 141 EGV Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 142 EGV Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 143 EGV
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Artikel 144 EGV wurde mit dem EG-Vertrag in der Fassung von Nizza völlig neu gefasst. Er erlaubt dem Rat, einen Ausschuß für Sozialschutz einzurichten und dient der Ermöglichung und Verbesserung des in Art. 42 EGV vorgesehenen Systems der zwischenstaatlichen Sozialrechtskoordination. Die Vorschrift ist letztlich integraler Teil des von Art. 42 EGV vorgesehenen Koordinierungswerkes. Der Ausschuß findet in Art. 39 und 42 EGV seine Legitimierung. Seine Hauptaufgaben bestehen darin, im Rahmen der Modernisierung der Systeme des sozialen Schutzes die soziale und sozialpolitische Lage der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten zu erfassen, den Informations- und Erfahrungsaustausch zu ermöglichen und Stellungnahmen zur Fortentwicklung des sozialen Schutzes in der Gemeinschaft auszuarbeiten.210 kk) Art. 146 – 148 EGV Ein Kernelement der EU-Sozialpolitik war seit Anbeginn der Europäische Sozialfonds, der nunmehr in den Art. 146 – 148 EGV geregelt ist. Die Vergabegrundsätze sind in mit qualifizierter Mehrheit (Art. 251 EGV) zu verabschiedenden Regeln festzulegen (Art. 148 EGV). Ziel der Mittelvergabe ist die Förderung der örtlichen und beruflichen Mobilität der Arbeitskräfte durch deren Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse und Veränderungen in der Produktion. Diese Anpassung soll namentlich durch die berufliche Bildung und Umschulung erreicht werden.211 Die Regelungen zum Sozialfonds stellen aber keine eigenständige Kompetenz zur Rechtsetzung in sozialpolitischen Themen der Beschäftigung oder der Ausund Weiterbildung dar. Solange Art. 140 EGV der Kommission lediglich die Aufgabe zuweist, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, worunter namentlich auch der Beschäftigungs- und der Aus- und Fortbildungsbereich fallen, folgt daraus der Umkehrschluss, dass die eigentliche Gestaltung der Sozialpolitik nach wie vor bei den Mitgliedstaaten verbleibt. Dafür spricht auch die Tatsache, dass nach der einvernehmlichen Festlegung der Verteilungsmechanismen und der förderwürdigen Inhalte des Fonds in Form von Zielbestimmungen die Mitgliedstaaten die Mittel einsetzen und ihre Wirksamkeit durch entsprechende Kofinanzierung dort verstärken, wo sie es für opportun und geeignet halten.212 210 Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 144 EGV Rdnr. 2 ff. 211 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, S. 37 ff.; weitergehend Zuleeg, Manfred, Die Europäische Gemeinschaft auf dem Weg zur Sozialgemeinschaft, in: NDV Heft 1 / 1991, S. 27, der davon ausgeht, dass dem Fonds auch weitere Aufgaben zugewiesen werden können.
6. Kompetenznormen
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ll) Art. 149 – 150 EGV Art. 149 und 150 EGV enthalten die Handlungsbefugnisse der Gemeinschaft im Bereich der allgemeinen und der beruflichen Bildung und Jugend. Der Bildungsbereich steht in der primären Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, mit der Konsequenz, dass das Handeln der Europäischen Gemeinschaft unter dem Vorbehalt der strikten Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen steht.213 Art. 149 Abs. 4, 1. Spiegelstrich EGV sieht gem. dem Verfahren des Art. 251 EGV den Erlaß von Fördermaßnahmen vor, während nach dem 2. Spiegelstrich nach dem Verfahren des Art. 249 EGV der Erlaß von Empfehlungen möglich ist. Art. 150 Abs. 4 EGV enthält eine entsprechende Regelung für die berufliche Bildung, unterscheidet sich aber in zwei Punkten von Art. 149 EGV. Zum einen gestattet er „Maßnahmen“, enthält also keine inhaltliche Beschränkung, wie sie in dem Begriff der „Fördermaßnahmen“ des Art. 149 EGV zum Ausdruck kommt, zum anderen sieht er kein besonderes Verfahren für den Erlaß von Empfehlungen vor. Beide Vorschriften begründen Handlungskompetenzen der Gemeinschaft in den Bereichen der allgemeinen und der beruflichen Bildung sowie im Rahmen der Jugendpolitik. Auf ihrer Grundlage sind z. B. Programme wie „Jugend“214, „Media“215, u. a. entstanden. Von besonderem Interesse für die Frage nach den rechtlichen Grundlagen der Sozialpolitik ist die im Rahmen des Art. 149 EGV diskutierte Frage der rechtlichen Bedeutung des Begriffs der „Fördermaßnahmen“. Niedobitek216 stellt den Streitstand ausführlich dar und kommt insoweit zu der folgerichtigen Annahme, dass er das gesamte Spektrum der gemeinschaftlichen Handlungsmöglichkeiten einschließt, also sowohl Richtlinien, Verordnungen und Entscheidungen als auch unverbindliche Instrumente, wie Empfehlungen oder Stellungnahmen. 212 Eichenhofer, Eberhard, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 146 EGV Rdnr. 1 ff. 213 So Niedobitek, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 149 EGV Rdnr. 26. 214 Beschluss Nr. 1031 / 2000 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2000 zur Einführung des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms „Jugend“, ABl. EG L 117 / 1 vom 18. 05. 2000. 215 Beschluss Nr. 163 / 2001 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Januar 2001 zur Durchführung eines Fortbildungsprogramms für die Fachkreise der europäischen audiovisuellen Programmindustrie (MEDIA-Fortbildung) (2001 – 2005), ABl. EG L 26 / 1 vom 27.01. 2001. 216 Niedobitek, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV –Kommentar, Art. 149 und 150 EGV Rdnr. 1 ff.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
mm) Art. 152 EGV Art. 152 Abs. 4 EGV ermächtigt die Europäische Gemeinschaft zu Maßnahmen im Gesundheitsbereich. Danach trägt der Rat gem. dem Verfahren des Art. 251 EGV bei zu Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate (lit. a) und zur Verwirklichung von Maßnahmen in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben (lit. b). Lit. c ermöglicht Fördermaßnahmen, die den Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zum Ziel haben. Zwar verbleibt die Hauptverantwortung für das öffentliche Gesundheitswesen noch stets bei den Mitgliedstaaten, die Gemeinschaft hat aber eine zumindest ergänzende und fördernde Funktion.217 Trotz dieser originären mitgliedstaatlichen Zuständigkeit für die Organisation und Durchführung ihres jeweiligen Gesundheitssystems werden die einzelnen Gesundheitssysteme und die ihnen zugrundeliegenden nationalen Politiken tatsächlich wie rechtlich immer stärker miteinander als Ergebnis der Anwendbarkeit der wirtschaftlichen Grundfreiheiten und der wettbewerbsrechtlichen Binnenmarktregeln auch auf dem Gesundheitssektor verknüpft.218 Im Gesundheitsbereich ist somit der Weg trotz der beschränkten Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft aus Art. 152 EGV zu einem „Europäischen Gesundheitsstaat“ geöffnet, nicht zuletzt durch die Urteile des EuGH in Sachen Kohll / Decker, Molenaar, Watts und Herrera219. Ein analoger Prozess ist im übrigen Sozialwesen zu beobachten und wird mittelfristig auch das Bildungswesen erfassen.220 217
Lurger, Brigitta, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV –Kommentar, Art. 152 EGV Rdnr.
36 ff. 218 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 83; vgl. dazu auch Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 263 ff. 219 Urteil des Gerichtshofs vom 28. April 1998, Rs. C 120 / 95, Decker / Caisse de maladie des employés privés, Slg. 1998, S. I-1831; Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 1998, Rs. C 158 / 96, Kohll / Union des Caisses de maladie, Slg. 1998, S. I-1931; Urteil des Gerichtshofs vom 5. März 1998, Rs. C-160 / 96, Manfred Molenaar, Barbara Fath-Molenaar / Allgemeine Ortskrankenkasse Baden-Württemberg, Slg. 1998, S. I-843; Urteil des Gerichtshofs vom 16. Mai 2006, Rs. C-372 / 04, The Queen auf Antrag von Yvonne Watts / Bedford Primary Care Trust, Slg. 2006, S. I-4325; Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juni 2006, Rs. C 466 / 04, Manuel Acereda Herrera / Servicio Cántabro de Salud, noch keine Nummer in der Slg. 220 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 84.
6. Kompetenznormen
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Sowohl Waren als auch Gesundheitsleistungen, wie insbesondere ambulante und stationäre Behandlungen, können weitestgehend grenzüberschreitend in Anspruch genommen werden. Damit werden die nationalen und sozialrechtlichen Wohlfahrtsstaatsgrenzen immer unbedeutender für EU-Bürger in diesem Bereich und „soziale Konsumentenrechte“ eröffnet.221 Der EuGH hat darüber hinaus auch außerhalb des Art. 152 EGV sehr nachhaltig Prozesse der Verständigung über europäische Patientenmobilität, europäische Patientenrechte und sogar über Standards der Versorgung angestoßen. Zwei Beispiele sind im Zusammenhang mit der Entwicklung im Gesundheitswesen zu erwähnen: In einem bahnbrechenden Urteil222 hat der EuGH gegen den Widerstand der Mitgliedstaaten erklärt, dass Patienten grundsätzlich das Recht haben, sich auf ihren Willen hin in Krankenhäusern im EU-Ausland unter Kostenübernahme durch die eigene Krankenversicherung behandeln zu lassen, wenngleich die national zuständigen Behörden das Recht haben, einige wenige rechtliche „Notbremsen“ zu ziehen. Eine dieser „Notbremsen“ ist, dass sie die Zustimmung verweigern können, wenn die gleiche oder eine ähnlich effektive Behandlung ohne eine unangemessene zeitliche Verzögerung im Inland erbracht werden kann. Was eine „angemessene Wartezeit“ auf eine Behandlung ist, muss politisch geklärt werden, und diese Klärung muss vor den Sozialgerichten Bestand haben. Da diese Kategorie individuelle Rechtsansprüche begründen kann, wird sie europäische und nationale Definitionsprozesse in Gang setzen. Diese Klärung setzt nicht nur die beitrittswillige Länder unter Druck, sondern wird zu einer Vereinheitlichung von Standards im Versorgungszugang in der Europäischen Union führen. Zum anderen sind die gesamteuropäische Planung von Spitzenforschungseinrichtungen, sogenannter „Centres of Excellence“ 223 und die gemeinsame Planung von Versorgungskapazitäten und Versorgungseinrichtungen ein Meilenstein der Europäisierung von Gesundheitspolitik. Hier geht es um die gemeinsame Definition von Bedarfen, Anforderungen und in letzter Instanz auch um die Vereinheitlichung von Behandlungsstandards.224 221 Vgl. dazu Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für einen Gemeinsamen Bericht Gesundheitsversorgung und Altenpflege: Unterstützung nationaler Strategien zur Sicherung eines hohen Sozialschutzniveaus, KOM (2002) 774 endg. vom 03. 01. 2003; Europäisches Parlament, Gesundheitsversorgung und Altenpflege: Unterstützung nationaler Strategien zur Sicherung eines hohen Sozialschutzniveaus, KOM (2002) 774, A5 – 0098 / 2004 endg. vom 24. Februar 2004. 222 Urteil des Gerichtshofs vom 23. Oktober 2003, Rs. C-56 / 01, Patrizia Inizan / Caisse primaire d’assurance maladie des Hauts-de-Seine, Slg. 2003, S. I-12403. 223 Vgl. dazu Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Hin zu einem europäischen Forschungsraum, KOM (2000) 6 vom 18. Januar 2000, S. 10; Trakatellis, Antonios, Making a difference: Role of the European Parliament, S. 2.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Gerade in diesem Bereich wird die Ansicht vertreten, dass die Europäisierung der Gesundheitspolitik keineswegs als eindimensionaler Kompetenztransfer von der nationalstaatlichen zur europäischen Ebene betrachtet werden darf, sondern dass neue Formen wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen nationaler Gesundheitspolitik und europäischen Entscheidungen entstehen. Die Gefahr sei nicht von der Hand zu weisen – und ihr Eintreten sogar wahrscheinlicher als ihre Abwehr –, dass das europäische Entwicklungsmodell an die Wettbewerbszwänge der transnationalisierten Ökonomie angepasst und die Gesundheitspolitik primär als Produktivitäts- und Wettbewerbsressource statt in sozialpolitischer Absicht genutzt werde.225 nn) Art. 159 und 161 EGV Art. 159 EGV stellt nähere Anforderungen zur Verwirklichung der in Art. 158 EGV festgelegten Kohäsions- und Konvergenzziele auf. Die aus ihm entstehende Verpflichtung liegt in erster Linie bei den Mitgliedstaaten. Art. 159 S. 3 EGV ermöglicht es jedoch, „falls sich spezifische Aktionen außerhalb der Fonds und unbeschadet der im Rahmen der anderen Politiken der Gemeinschaft beschlossenen Maßnahmen als erforderlich erweisen“, diese im Rahmen des Artikels 251 EGV zu beschließen. Damit können erforderlichenfalls auch soziale Ziele umgesetzt werden, so zum Beispiel zur Bewältigung von außergewöhnlichen Ereignissen, wie Naturkatastrophen.226 Aufgabe der Europäischen Strukturfonds ist es, zur Verringerung der regionalen Entwicklungsrückstände und Ungleichgewichte beizutragen. Dabei konzentrieren sich die Aktionen auf drei sozialpolitisch bedeutsame Interventionsziele:227 Förderung der Entwicklung und der strukturellen Anpassung der Regionen mit Entwicklungsrückständen (Ziel 1).228 224 Vgl. Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 18 f. 225 Kaelble, Hartmut / Schmid, Günther (Hrsg.), Das europäische Sozialmodell, S. 21; vgl. dazu insgesamt Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 263 ff. 226 Magiera, Siegfried, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, 160 EGV Rdnr. 10. 227 Allgemein zu den Zielen vgl. Europäische Kommission, Verordnung (EG) Nr. 1083 / 2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260 / 1999, ABl. EU L 210 / 25 vom 31. 07. 2006.
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Unterstützung der wirtschaftlichen und sozialen Umstellung der Gebiete mit Strukturproblemen (Ziel 2).229 Unterstützung und Anpassung der Modernisierung der Bildungs-, Ausbildungsund Beschäftigungspolitiken und -systeme (Ziel 3).230
Art. 161 EGV ermächtigt zur näheren Ausgestaltung der drei Strukturfonds231 durch das Sekundärrecht im Hinblick auf deren Aufgaben, Ziele und Organisation. Der Rat erlässt in diesem Zusammenhang die gemeinsamen („horizontalen) Bestimmungen zu den Strukturfonds und die Bestimmungen zum Kohäsionsfonds zur Zeit noch einstimmig. In der Zukunft könnte sich dies verändern zu einer qualifizierten Mehrheit. Diese Abstimmungserleichterung gilt allerdings erst ab Anfang 2007 oder später unter der Voraussetzung, dass die ab dem betreffenden Zeitpunkt geltende Finanzielle Vorschau und die dazugehörige Interinstitutionelle Vereinbarung zuvor angenommen sind. oo) Art. 308 EGV Art. 308 EGV soll einen Ausgleich in Fällen schaffen, in denen den Gemeinschaftsorganen durch spezifische Bestimmungen des Vertrages ausdrücklich oder implizit verliehene Befugnisse fehlen und gleichwohl Befugnisse erforderlich scheinen, damit die Gemeinschaft ihre Aufgaben im Hinblick auf die Erreichung eines der im Vertrag festgelegten Ziele wahrnehmen kann. Damit hat er die Funktion, als Kompetenznorm Lücken zu schließen, ohne die Kompetenzen der EG zu erweitern, schafft aber keine „Kompetenz-Kompetenz“, allenfalls rundet er diese ab. Art. 308 EGV eröffnet die Möglichkeit, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach (bloßer) Anhörung des Europäischen Parlaments alle geeigneten Vorschriften erlassen kann, wenn eine spezielle Ermächtigung nicht vorgesehen ist, ein Tätigwerden der Europäischen Gemeinschaft jedoch erforderlich erscheint, um 228 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Verordnung (EG) Nr. 1080 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1783 / 1999, ABl. EU L 210 / 1 vom 31. 07. 2006, Art. 2. 229 Vgl. dazu im Einzelnen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Verordnung (EG) Nr. 1081 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1784 / 1999, ABl. EU L 210 / 12 vom 31. 07. 2006, Art. 2, Abs. 1. 230 Vgl. dazu im Einzelnen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Verordnung (EG) Nr. 1081 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1784 / 1999, ABl. EU L 210 / 12 vom 31. 07. 2006, Art. 2, Abs. 2. 231 EFRE, ESF, EAGFL.
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V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen. Von dieser „Kompetenz“ kann jedoch nur Gebrauch gemacht werden, wenn die im Vertrag bereits vorgesehenen Ziele betroffen sind. Diese „Generalermächtigung“ ist allerdings an strenge Tatbestandsvoraussetzungen gebunden, um einem Missbrauch entgegenzuwirken. Insbesondere ist sie subsidiär gegenüber den im Vertrag ausdrücklich enthaltenen Kompetenzen. Ein Rückgriff auf Art. 308 EGV ist nur dann gerechtfertigt, wenn keine andere Vertragsbestimmung den Gemeinschaftsorganen die zum Erlass des Rechtsakts erforderliche Befugnis verleiht.232 Insoweit wird Art. 308 EGV auch eine „Vertragsabrundungskompetenz“233 zugesprochen. Vorrangig anzuwenden sind darüber hinaus durch weite Auslegung begründete („effet-utile“- Rechtsprechung) und implizite („implied powers“) Befugnisse des Vertrags.234 Trotz der strengen Tatbestandsvoraussetzungen wird Art. 308 EGV gezielt zur Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts eingesetzt und hat bereits zu einer Vielzahl von Rechtsakten geführt, so wurden beispielsweise für die Periode Mai 1999-Dezember 2002 insgesamt 79 Rechtsakte erlassen.235 Dass er durchaus auch im sozialen Bereich zum Einsatz kommen kann, zeigen die Beschlüsse über die Zusammenarbeit im Hochschulbereich236 (Bildung), die auf seiner Grundlage zustande kamen,237 oder auch die Richtline zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die ursprünglich238 auf der Grundlage des Art. 235 EWGV (heute Art. 308 EGV) erlassen wurde. Im Gegensatz zu Art. 94 EGV ist er aber nicht auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge beschränkt, sondern dient der Erreichung jeden Ziels des Vertrages. Darunter fällt dann auch die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, wie in Art. 136 EGV beschrieben. Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 308 EGV Rdnr. 5 m. w. N. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 8. 234 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 308 EGV Rdnr. 6 m. w. N. 235 Vgl. dazu Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 308 EGV Rdnr. 14 m. w. N. 236 Beschluss des Rates 2002 / 606 / EG vom 27. 06. 2002 zur Änderung des Beschlusses 1999 / 311 / EG über die Verabschiedung der dritten Phase des europaweiten Programms zur Zusammenarbeit im Hochschulbereich (Tempus III) (2000 – 2006), ABl. EG L 195 / 34 vom 24. Juli 2002. 237 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 308 EGV Rdnr. 1 ff. 238 Richtlinie 76 / 207 / EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. EG L 39 / 40 vom 14. 02. 1976. 232 233
6. Kompetenznormen
209
Fraglich könnte sein, ob das Kapitel „Sozialpolitik“ eine insoweit abschließende Regelung darstellt, dass keine die Anwendung des Art. 308 EGV begründende Kompetenzlücke vorläge. Insoweit argumentiert Schnorr239 aber, dass Art. 136 EGV sich lediglich auf die materiell-rechtliche, normative wirkende Zielsetzung beschränke, dass eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen notwendig sein werde. Wie dieses Ziel zu erreichen sei, schreibe er nicht fest. Damit kann der Art. 308 EGV auch hinsichtlich sozialpolitischer Regelungen Anwendung finden, wenn seine Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Die auf Art. 308 EGV gestützten Rechtsakte setzen voraus, dass ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines der Ziele des EGV zu verwirklichen. Art. 308 EGV knüpft damit unmittelbar an die Vertragsziele an und schließt die Lücke zwischen den Zielen und den Befugnissen des EGV. Die Vertragsziele ergeben sich in erster Linie aus den Art. 2 und 3 EGV, auf die sie jedoch nicht beschränkt sind. Wegen des verbindlichen Charakters des Art. 136 EGV stellt nicht nur die in Art. 3 Abs. 1, lit. i EGV erwähnte Sozialpolitik, sondern auch die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ein Ziel gem. Art. 308 EGV dar. Im Gegensatz zu Art. 94 EGV, der nur die Verabschiedung von Richtlinien zulässt, ermächtigt Art. 308 EGV die Gemeinschaft zum Erlaß aller geeigneter Vorschriften, also auch von Verordnungen. Art. 308 EGV überträgt der Gemeinschaft keine Allzuständigkeit zur Verwirklichung auch solcher Ziele, die vom wirtschaftspolitischen Bezug zum Gemeinsamen Markt losgelöst sind. Art. 308 EGV ist als Kompetenzabrundungsbestimmung anzusehen, die der Gemeinschaft jedoch keinesfalls das Recht zuspricht, sich beliebig neue Rechtsetzungsbefugnisse zu schaffen. Diese Vorschrift durchbricht nicht das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, sondern fügt sich darin ein. Im Gutachten des EuGH zum Beitritt der Gemeinschaft zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten240 wird dazu ausgeführt: „Art. 235 (jetzt 308 EGV) soll einen Ausgleich in Fällen schaffen, in denen den Gemeinschaftsorganen durch spezifische Bestimmungen des Vertrags ausdrücklich oder implizit verliehene Befugnisse fehlen und gleichwohl Befugnisse erforderlich erscheinen, damit die Gemeinschaft ihre Aufgaben im Hinblick auf die Erreichung eines der im Vertrag festgesetzten Ziele wahrnehmen kann. Als integrierender Bestandteil einer auf dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung beruhenden insti239
Schnorr, Gerhard, Arbeits- und sozialrechtliche Fragen der europäischen Integration,
S. 5 f. 240 Gutachten 2 / 94 des Europäischen Gerichtshofs, Beitritt der Gemeinschaft zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 28. März 1996, Slg. 1996, S. I-1788.
210
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
tutionellen Ordnung kann diese Bestimmung keine Grundlage dafür bieten, den Bereich der Gemeinschaftsbefugnisse über den allgemeinen Rahmen hinaus auszudehnen, der sich aus der Gesamtheit der Vertragsbestimmungen und insbesondere derjenigen ergibt, die die Aufgaben und Tätigkeiten der Gemeinschaft festlegen“. Wenn der Rat einen Rechtsakt auf der Grundlage von Art. 308 EGV erlässt, übt er eine ihm durch den EG-Vertrag mit dieser Bestimmung zugewiesene Befugnis aus.241 Eine andere Interpretation würde nicht nur dem Wortlaut des Art. 308 EGV, sondern auch dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 EGV widersprechen und die anderen Ermächtigungsgrundlagen, sofern diese das Einstimmigkeitsprinzip vorsehen, bedeutungslos machen. Art. 308 EGV ermächtigt damit die Gemeinschaft nicht zum Erlaß ausschließlich sozialpolitischer Rechtsakte, weil weder eine gemeinsame Sozialpolitik nach dem Vorbild der Handels-, Agrar- und Verkehrspolitik zu den Vertragszielen der Gemeinschaft zählt, noch eine Sozialunion Bestandteil des Integrationskonzepts der Gemeinschaft ist. Wann sich sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen des Gemeinsamen Marktes halten und nach Art. 308 EGV erforderlich sind, ist dem Wortlaut dieser Bestimmung allerdings nicht eindeutig zu entnehmen. Nach Art. 308 EGV muss die Verwirklichung der Ziele „im Rahmen des Gemeinsamen Marktes“ erfolgen. Die Bedeutung des Begriffs ist allerdings umstritten, was nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Nuancierungen in den verschiedenen Sprachfassungen zurückgeführt wird („dans le fonctionnement“ und „in the course of the operation“) Eine Meinung242 vertritt die Ansicht, dass diesem Tatbestandsmerkmal gar keine eigenständige Bedeutung zukommt, da der weit über Art. 2 EGV hinaus auszulegende Begriff des „Gemeinsamen Marktes“ die Gesamtheit der Gemeinschaftsaufgaben bezeichne, auf die Art. 308 EGV ohnehin beschränkt bleiben müsse. Die Gegenmeinung243 vertritt die Ansicht, dass auf Art. 308 EGV gestützte Maßnahmen der Sicherung der Funktionsfähigkeit des „Gemeinsamen Marktes“ dienen bzw. keine negativen Auswirkungen auf das System des „Gemeinsamen Marktes“ haben dürften. Eine Äußerung des EuGH ist bislang zu dieser Frage noch nicht erfolgt.244 Auch die Erforderlichkeit des Tätigwerdens ist äußerst umstritten. Einigkeit besteht nur insoweit, als niemand vertritt, dass das Ermessen ohne jegliche Grenzen ausgeübt werden kann. Insbesondere der Maßstab der Erforderlichkeit sowie die Funktion des Tatbestandsmerkmals (kompetenzbegründend und / oder kompetenzKoenig, Christian / Haratsch, Andreas, Einführung in das Europarecht, S. 58. Everling, Ulrich, Die allgemeine Ermächtigung der Europäischen Gemeinschaft zur Zielverwirklichung nach Art. 235 EWG-Vertrag, in: EuR Sonderheft 1976, S. 11. 243 Rossi, Mathias, in: Callies, Christian / Ruffert, Matthias, Kommentar zu EUV und EGV, Rdnr. 24. 244 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 308 EGV Rdnr. 19 m. w. N.; vgl. dazu auch Oppermann, Thomas, Europarecht, S. 385, Rdnr. 33. 241 242
6. Kompetenznormen
211
begrenzend) werden diskutiert. Dies ist auch mit Blick auf das Verhältnis zu Art. 5 EGV von Bedeutung. Dazu wird vertreten, dass Art. 5 EGV die Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Erforderlichkeit im Sinne des Art. 308 EGV maßgeblich zu bestimmen habe, da sie die Kompetenz ungeachtet des weiten politischen Ermessens auf das zur Zielerreichung notwendige Maß begrenze. Die Erforderlichkeit sei dann zu bejahen, wenn eine Diskrepanz zwischen einem Gemeinschaftsziel und seiner Verwirklichung bestehe, die zur Zielerreichung überwunden werden müsse. Diese Auslegung spreche für die Kompetenzbegründung, da in einem weiteren Prüfungsschritt die Kompetenzausübungsschranken des Art. 5 Abs. 3 EGV und des Subsidiaritätsprinzips des Art. 5 Abs. 2 EGV zu untersuchen seien. 245 Der Streit hinsichtlich der Merkmale „im Rahmen des Gemeinsamen Marktes“ und der „Erforderlichkeit des Tätigwerdens“ muss in dieser Arbeit aber letztlich nicht entschieden werden, denn unabhängig davon, welcher Meinung man bei den beiden Fragen folgt, kann man feststellen, dass die Gemeinschaftsorgane über ein weites Ermessen für ein Tätigwerden nach Art. 308 EGV verfügen. Wie bei Art. 94 EGV steht die Grundentscheidung des EGV, die Sozialpolitik im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten zu belassen, in einem Spannungsverhältnis zur generalklauselartigen Weite des Art. 308 EGV und zu der Erkenntnis, dass der Gemeinsame Markt funktional mit den sozialpolitischen Zielen des EGV verknüpft ist.246 Welche sozialpolitischen Rechtsakte letztlich über Art. 308 EGV verabschiedet werden können und in welchen Bereichen die Mitgliedstaaten eine ausschließliche Zuständigkeit besitzen, kann anhand der Tatbestandsmerkmale des Art. 308 EGV ebensowenig wie bei Art. 94 EGV eindeutig ermittelt werden. Es besteht daher die Gefahr, dass die Gemeinschaftsorgane den Kompetenzrahmen des Art. 308 EGV zu weit ausdehnen und Bereiche regeln, die an sich im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verblieben sind und nur durch eine Vertragsänderung auf die Gemeinschaft übertragen werden können. So führt der Europäische Gerichtshof in dem bereits erwähnten Gutachten zur EMRK aus247: „Sie (die Vorschrift des Art. 235) kann jedenfalls nicht als Rechtsgrundlage für den Erlass von Bestimmungen dienen, die der Sache nach, gemessen an ihren Folgen, auf eine Vertragsänderung ohne Einhaltung der hierfür vom Vertrag vorgesehenen Verfahren hinausliefen.“ Auf die Notwendigkeit einer strikten Trennung zwischen der Wahrnehmung begrenzt eingeräumter Hoheitsbefugnisse nach dem Prinzip der Einzelermächtigung Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 308 EGV Rdnr. 22 ff. Vgl. zur Aufzählung von Rechtsakten, die im sozialen Bereich auf der Grundlage des Art. 308 EGV bereits ergangen sind Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 382 f. 247 Gutachten 2 / 94 des Europäischen Gerichtshofs, Beitritt der Gemeinschaft zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 28. März 1996, Slg. 1996, S. I-1788. 245 246
212
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
und einer Vertragsänderung hat das Bundesverfassungsgericht248 in seiner Entscheidung über die Vereinbarkeit des Maastrichter Vertrages mit dem Grundgesetz hingewiesen. Ob die stärkere Gewichtung der einzelstaatlichen Befugnisse im EGV und die zunehmende Bedeutung der Kompetenzfragen, die nach Balze249 in Versuchen zum Ausdruck kommt, die Zuständigkeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten ausgewogener zu verteilen, zu einer restriktiveren Auslegung der Art. 308 und 94 EGV führen wird, bleibt abzuwarten. Die Europäische Gemeinschaft muss zumindest die Erforderlichkeit des Erlasses einer Maßnahme nach Art. 308 EGV unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips ausreichend begründen. Letztendlich bildet aber wie bei Art. 94 EGV das Einstimmigkeitsprinzip das zur Zeit wirksamste Korrektiv gegen einen zu starken Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten.250
7. Sonstige Kompetenz- und Handlungsmöglichkeiten Neben den beschriebenen ausdrücklichen Einzelermächtigungen können der Europäischen Gemeinschaft weitere Befugnisse zustehen, die zur Umsetzung von sozialpolitischen Zielsetzungen genutzt werden können.
a) Implied powers Nach der aus dem Völkerrecht stammenden „implied powers-Theorie“ verfügt die Europäische Gemeinschaft über die Befugnisse, welche sie zur Erfüllung der ihr gestellten Aufgaben benötigt, selbst wenn diese Kompetenzen nicht ausdrücklich im EGV enthalten sind. Die Befugnisse werden aus bereits vorhandenen Kompetenzen abgeleitet und dienen so der Abrundung dieser Zuständigkeiten. Dieser „Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang“ liegt der Gedanke zugrunde, dass sich eine internationale Organisation diejenigen zusätzlichen, weder ausdrücklich eingeräumten noch durch Auslegung zu ermittelnden Befugnisse zulegen darf, die sie zur Durchführung ihrer Aufgaben benötigt. 248 Urteil des BverfG 89 / 155 vom 12. Oktober 1993, 2 BvR 2134, 2159, in: EuZW 1993, S. 667 (679). 249 Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 45; vgl. dazu insgesamt auch Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 318 f. 250 Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 45; vgl. dazu insgesamt auch Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 318 f.
7. Sonstige Kompetenz- und Handlungsmöglichkeiten
213
Bereits in seinem „Fédéchar-Urteil“ aus dem Jahr 1956251 hat der EuGH die Theorie von den „implied powers“ anerkannt. In dem Urteil „Wanderungspolitik“252 findet sich ein Beispiel für die Anwendung der „implied powers“ im sozialen Bereich. Unter Berufung darauf, der Vorschrift des Art. 137 EGV praktische Wirksamkeit verleihen zu wollen, erkennt der EuGH für die Europäische Gemeinschaft „implied powers“ an.253 Danach verfügt die Europäische Gemeinschaft über die ungeschriebenen Befugnisse, die sie zur Erfüllung der ihr gestellten Aufgaben benötigt, selbst wenn diese Kompetenzen nicht ausdrücklich im EGV enthalten sind.254 Die Befugnisse aufgrund der „implied powers“ Theorie können in verschiedenen Formen auftreten. Als Annexkompetenz255 begründen sie eine Zuständigkeit für die Regulierung von Vorbereitungs- und Durchführungsmaßnahmen, die Regelung einer benachbarten Materie und als Kompetenz aus der Natur der Sache die Zuständigkeit zur Regelung solcher Fragen, deren Regelung durch die Mitgliedstaaten offensichtlich unsinnig wäre. Im Gegensatz zu den geschriebenen Ermächtigungen und zu der subsidiären Generalermächtigung des Art. 308 EGV handelt es sich bei diesem Kompetenztypus um ungeschriebenes Recht. „Implied powers“ stellen nicht Ausnahmen vom Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung dar, sondern bilden einen integralen Bestandteil der Ermächtigungsnormen des EGV.256 Beide Arten von Ermächtigungen bestehen nebeneinander, da sie jeweils an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpfen257. 251 Urteil des Gerichtshofs vom 29. 11. 1956, Rs. 8 / 55, Fédération charbonnière de Belgique / Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Slg. 1956, S. 312. 252 Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 1987, verb. Rs. 281, 283 bis 285 und 287 / 85, Bundesrepublik Deutschland und Königreich der Niederlande und Französische Republik und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland und Königreich der Niederlande und Königreich Dänemark und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Kommission der Europäischen Gemeinschaften und Europäisches Parlament, Slg. 1987, S. 3203. 253 Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 51. 254 Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 31 m. w. N.; Nicolaysen, Gert, Zur Theorie von Implied Powers in den Europäischen Gemeinschaften, in: EuR 1966, S. 129 ff.; vgl. dazu auch Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 317 f. 255 Wegen ihrer verfahrensrechtlichen Natur werden die Annexkompetenzen gelegentlich auch von den „implied-powers“ getrennt; vgl. dazu Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 9 Rdnr. 299 ff.; Ewert, Holm A., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts, S. 61. 256 Nettesheim, Martin, Kompetenzen, S. 434. 257 Die im deutschen Verfassungsrecht bestehende Trennung zwischen Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs lässt sich auf europäischer Ebene so nicht durchgängig feststellen.
214
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Ausgangspunkt für die „implied powers“ ist immer eine ausdrückliche Kompetenznorm, die als Anknüpfungspunkt für die Ableitung stillschweigender Zuständigkeiten herangezogen wird. Demgegenüber geht es bei Art. 308 EGV um die vertraglichen Ziele des EGV, die als Grundlage für die Herleitung zusätzlicher Befugnisse dienen. Diese Lösung muss auch als dem Willen der Vertragspartner entsprechend angesehen werden, da bei der Konzipierung des Art. 308 EGV (ex-Art. 235 EWGV) das erste Urteil des EuGH bereits vorgelegen hatte. Hätte man daher stillschweigende Zuständigkeiten ausschließen wollen, wäre Art. 308 EGV nicht in ähnlicher Form wie Art. 95 EGKSV formuliert worden, der nach der Rechtsprechung die Anwendung der „implied powers“ gerade nicht ausschließen soll.258 So hat der EuGH259 ausgeführt: „Weist eine Bestimmung des EWG-Vertrags der Kommission eine bestimmte Aufgabe zu, so ist davon auszugehen, dass sie ihr dadurch notwendigerweise auch die zur Erfüllung dieser Aufgabe unerlässlichen Befugnisse verleiht; andernfalls würde der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen.“ Diese Rechtsprechung zu stillschweigenden Zuständigkeiten im internen Bereich hat der EuGH auch schon in früheren Urteilen vertreten.260 Hinsichtlich der Kompetenzprüfung bleibt es damit einem zweiten Schritt vorbehalten, gegebenenfalls über die Anwendung der „implied powers“ Lehre einen zusätzlichen Nachweis von über das explizite Primärrecht hinausgehenden Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft im Sozialbereich zu erbringen. Zwar wurde diese Zuständigkeit für die Europäische Gemeinschaft schon vom Europäischen Gerichtshof grundsätzlich anerkannt261, für den Bereich der Sozialpolitik wirft sie aber ein Problem auf. Es gibt fast keine wirtschaftliche Gemeinschaftsmaßnahme von weittragender Bedeutung, die nicht auch zugleich soziale Auswirkungen aufweist. Damit müsste Nettesheim, Martin, Kompetenzen, Fn. 58. Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 1987, verb. Rs. 281, 283 bis 285 und 287 / 85, Bundesrepublik Deutschland und Königreich der Niederlande und Französische Republik und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland und Königreich der Niederlande und Königreich Dänemark und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Kommission der Europäischen Gemeinschaften und Europäisches Parlament, Slg. 1987, S. 3203, 3253. 260 Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juli 1960, Rs. 20 – 59, Regierung der Italienischen Republik / Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Slg. 1960, S. 683 und Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juli 1960, Rs. 25 / 59, Regierung des Königreichs der Niederlande / Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Slg. 1960, 743, S. 788. 261 Urteil des Gerichtshofs vom 29. 11. 1956, Rs. 8 / 55, Fédération charbonnière de Belgique / Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Slg. 1956, S. 297 ff. 258 259
7. Sonstige Kompetenz- und Handlungsmöglichkeiten
215
eigentlich dann auch konsequenterweise jede wirtschaftliche Maßnahme eine entsprechende soziale Flankierung nach sich ziehen, was letztendlich zu einer eigenständigen Sozialpolitik führen würde, wie sie in dieser Form von den Vätern der Verträge nicht vorgesehen war. Bei der Beurteilung des Stellenwertes der Sozialpolitik und der Kompetenzen der Mitgliedstaaten, sie aktiv zu gestalten, wird vielfach auf den historischen Willen und die Motive der Vertragsgründer verwiesen. Diese historische Betrachtung muss aber insoweit relativiert werden, als oberster Maßstab des Gemeinschaftsrechts die Integration262 i. S. d. Art. 1 Abs. 2 EUV „Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“ ist. Deren Anforderungen haben sich aber im Laufe der Zeit konkretisiert, und eine Interpretation von Vertragsbestimmungen muss sich folgerichtig im Sinne der Teleologie stets an der Auslegung orientieren, die der Zeit entsprechend am ehesten zum Erreichen dieser Zielsetzung beiträgt.263 Damit kann die Beurteilung der zur Umsetzung sozialpolitischer Ziele erforderlichen rechtlichen Instrumente nicht beim Willen der Vertragsschöpfer verharren, sondern muss sich den aktuellen Erfordernissen und Gegebenheiten anpassen. Das soll nicht heißen, dass den Entstehungsgründen keine Beachtung zu schenken wäre, sie sind lediglich ebenfalls aus der damaligen Zeit heraus zu verstehen und zu interpretieren und damit in ihrer Relativität zu erkennen. Damit muss das Verhältnis von Wirtschafts- zu Sozialpolitik ebenfalls aktuell und nicht historisch betrachtet werden: „das Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik ist aus der Zeit heraus zu verstehen und der sozialpolitische Gehalt der Europäischen Verträge ist entkleidet von jeglicher Verdeckungsinterpretation“ zu beurteilen.264 Grundsätzlich wird aber die Berufung auf die „implied-powers“ Theorie im sozialpolitischen Bereich kaum eine Rolle spielen.
b) Uneigentliche Ratsbeschlüsse Was die uneigentlichen Ratsbeschlüsse265 betrifft, sind diese zwar nicht unmittelbar unter die Kompetenznormen zu subsumieren, dennoch soll auf sie eingegan262 Vgl. Haltern, Ulrich, Europarecht, S. 364 und 365; vgl. dazu Brinker, Ingo, Europarecht, S. 5; Arndt, Hans-Wolfgang, Europarecht, S. 13. 263 Haltern, Ulrich, Europarecht, S. 364. 264 Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 33 f., m. w. N. 265 Vgl. dazu, Streinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 317; Oppermann, Thomas, Europarecht, S. 93; Hummer, Waldemar / Obwexer, Walter, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 203 EGV Rdnr. 11 ff.
216
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
gen werden, da sie eine weitere Möglichkeit eröffnen, verbindliche oder vorbereitende Beschlüsse im sozialpolitischen Bereich zu treffen. Die Regierungsvertreter im Rat haben eine Doppelfunktion als institutionalisiertes Gemeinschaftsorgan einerseits und als völkerrechtliche Konferenz der Regierungen andererseits. Damit wird als zulässig angesehen, dass sich die Ratsmitglieder auf völkerrechtlicher Ebene auch über solche Maßnahmen einigen können, für die in den Gemeinschaftsverträgen keine Ermächtigung vorhanden ist.266 In diesem Fall handeln sie nicht aufgrund des Vertrags, sondern aufgrund ihrer völkerrechtlichen Willensfreiheit. Allerdings besitzen diese völkerrechtlichen Einigungen nicht die gleiche Intensität wie die echten Ratsbeschlüsse. Sie entbehren der sonst in den Gemeinschaftsverträgen vorgesehenen Verfahrensgarantien und unmittelbaren Wirkung. Soweit nicht sämtliche Ratsmitglieder durch ein Mandat ihrer Regierung oder aufgrund verfassungsrechtlicher Vorschrift ermächtigt sind, rechtsverbindlich zu handeln, stellen die uneigentlichen Ratsbeschlüsse nur vorbereitende Einigungen auf Ministerebene dar, die zu ihrer Verbindlichkeit des verfassungsmäßigen Ratifizierungsverfahrens bedürfen. Im sozialpolitischen Kontext könnten sie genutzt werden, um einen Anstoß zu geben, dass durch Art. 137 EGV vorbereitete Maßnahmen in den Mitgliedstaaten koordiniert umgesetzt werden. Insofern kann als Rechtsgrundlage aber nicht auf Art. 202 EGV Bezug genommen werden. Diese Vertragsbestimmung betrifft nur die allgemeinen Aufgaben des Rates für die Abstimmung der Wirtschaftspolitik und bezieht sich auf den Rat als Gemeinschaftsorgan. Wo es um rein sozialpolitische Anliegen geht, findet er keine Anwendung. Damit sind grundsätzlich auch uneigentliche Ratsbeschlüsse geeignet, zumindest Anstöße zur Weiterentwicklung der sozialen Dimension Europas zu geben.
c) Konkurrenzfragen Nicht eingegangen wurde in allen Fällen auf die Frage der Konkurrenz der jeweiligen Vorschriften zueinander. Die Konkurrenz der Vorschriften spielt im Zusammenhang mit dieser Arbeit keine entscheidende Rolle, da es ausschließlich darum geht darzustellen, welches breite Spektrum an Möglichkeiten zur Umsetzung der sozialpolitischen Ziele zur Verfügung steht. Welche Vorschrift dann im Einzelfall zur Anwendung kommt, ist mehr unter inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten bedeutsam und insoweit zweitrangig. 266
Vgl. dazu, Oppermann, Thomas, Europarecht, S. 93.
7. Sonstige Kompetenz- und Handlungsmöglichkeiten
217
Betrachtet man die in Schaubild 6 dargestellte Übersicht der Maßnahmen und Regelungsmöglichkeiten im Sozialrecht, wird deutlich, dass bei optimaler Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden Instrumente durchaus schon jetzt eine stringentere Sozialpolitik möglich wäre. Schaubild 6 Sozialrechtlich relevante Ziele und Normen des EUV / EGV Regelung
Bereich
Maßnahmen
Präambeln Sozialer Fortschritt Art. 2 EUV Sozialer Fortschritt und Zusammenhalt Hohes Beschäftigungsniveau Ausgewogene und nachhaltige Entwicklung Art. 2 EGV Harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung Hohes Beschäftigungsniveau Hohes Maß an sozialem Schutz Gleichstellung von Männern und Frauen Verbesserung der Lebensqualität Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten Art. 3 EGV Beschäftigung Sozialpolitik mit einem Europäischen Sozialfonds Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts Hebung des Gesundheitsschutzniveaus Berufliche Bildung Verbraucherschutz Gleichstellung von Männern und Frauen Art. 10 EGV Allgemeine Unterstützungspflicht Art. 12 EGV Verbot der DiskriminieVerordnungen rung aus Gründen der Richtlinien Staatsangehörigkeit Entscheidungen Empfehlungen Stellungnahmen
Rechtsqualität Zielvorgabe Zielvorgabe
Abstimmungsmodus – _
Zielvorgabe (u.U., z. B. i.V.m. Art. 308 EGV, auch Kompetenznorm)
–
Zielvorgabe (u.U., z. B. i.V.m. Art. 308 EGV, auch Kompetenznorm)
–
Zielvorgabe
–
Kompetenznorm
QM
218
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Fortsetzung von Schaubild 6 Regelung
Bereich
Art. 13 EGV Gleichstellung von Männern und Frauen Antidiskriminierung
Art. 14 EGV Verwirklichung des Binnenmarktes Art. 18 EGV Freizügigkeit
Art. 33 Abs. 1 b EGV
Maßnahmen Verordnungen Richtlinien Entscheidungen Empfehlungen Stellungnahmen .............. Gemeinschaftliche Fördermaßnahmen
Kompetenznorm
Abstimmungsmodus Einstimmig
Richtlinien und Verordnungen Durchführungsbestimmungen und Erleichterungsmaßnahmen in Form von Richtlinien und Verordnungen
Kompetenznorm
.............. QM bei Fördermaßnahmen gem. Abs. 2 QM
Kompetenznorm
QM
Zielvorgabe
–
Zielvorgabe
–
Kompetenznorm
QM
Kompetenzgrundlage (str.) Kompetenznorm
QM Einstimmig
hier: Zielvorgabe
–
Kompetenznorm
QM
Kompetenznorm
QM
Kompetenznorm
QM .............. z. T. QM, z. T. einstimmig
hier: Zielvorgabe
–
Agrarpolitik, angemessene Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung Art. 39 EGV Freizügigkeit der Arbeitnehmer Art. 40 EGV Freizügigkeit Richtlinien oder Verordnungen Art. 41 EGV Austausch junger Programme Arbeitskräfte Art. 42 EGV Soziale Sicherheit Zwischenstaatlich koordinierende Maßnahmen auf VO-Basis Art. 43 EGV Niederlassungsfreiheit Art. 44 EGV Niederlassungsfrei- Richtlinien heit Art. 46 EGV Richtlinien für die Richtlinien Koordinierung mitgliedstaatlicher Regelungen für Ausländer Art. 47 EGV Gegenseitige Aner- Richtlinien kennung von Diplo- . . . . . . . . . . . . . . men und ZeugnisRichtlinien gem. sen Abs. 2 Koordinierung der Berufsordnungen Art. 49 EGV Recht auf freie Dienstleistung
Rechtsqualität
7. Sonstige Kompetenz- und Handlungsmöglichkeiten Regelung
Bereich
Maßnahmen
Art. 71 EGV Soziale Aspekte der Richtlinien Verkehrspolitik Verordnungen Empfehlungen Entscheidungen Stellungnahmen im Rahmen der Verkehrspolitik .............. Richtlinien Verordnungen Empfehlungen Entscheidungen Stellungnahmen im Rahmen der Verkehrspolitik gem. Abs. 2 zu Grundsätzen der Verkehrsordnung Art. 94 EGV Rechtsangleichung Richtlinien im Rahmen des Gemeinsamen Marktes Art. 95 EGV Rechtsangleichung Richtlinien, Verordzur Verwirklichung nungen, Entscheides Binnenmarktes dungen Empfehlungen Stellungnahmen Art. 96 EGV Wettbewerbsverfäl- Richtlinien schung Art. 125 Beschäftigung bis 127 EGV Festlegung von Art. 128 Beschäftigung Leitlinien EGV Empfehlungen Fördermaßnahmen Art. 129 Beschäftigung Richtlinien EGV Verordnungen Empfehlungen Entscheidungen Stellungnahmen Art. 136 Sozialpolitik EGV Harmonisierende Art. 137 Sozialpolitik Bestimmungen Arbeitsumwelt EGV Sicherheit und Ge- Richtlinien Verordnungen sundheit Arbeitsbedingungen Empfehlungen Berufliche Einglie- Entscheidungen derung Stellungnahmen Bekämpfung von Ausgrenzungen Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt
Rechtsqualität Kompetenznorm
219 Abstimmungsmodus QM
.............. Einstimmig
Kompetenznorm
Einstimmig
Kompetenznorm
QM
Kompetenznorm
QM
Zielvorgabe
–
Kompetenznorm
QM
Kompetenznorm
QM
Zielvorgabe
–
Kompetenznorm
QM
220
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Fortsetzung von Schaubild 6 Regelung
Art. 138 EGV
Art. 139 EGV
Art. 140 EGV
Bereich
Maßnahmen
Arbeitsmarktpolitik Modernisierung des Sozialschutzes .............. Soziale Sicherheit Sozialer Schutz der Arbeitnehmer Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrages Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen Beschäftigungsbedingungen von Drittstaatsangehörigen Sozialer Dialog Anhörung Verhandlung zwischen den Sozialpartnern Dialog zwischen Abschluß von Verden Sozialpartnern einbarungen zwischen den Sozialpartnern .............. Verordnung oder Richtlinie zur Umsetzung Beschäftigung Untersuchungen Arbeitsrecht und Stellungnahmen Arbeitsbedingungen Vorschläge Berufliche Ausbildung und Fortbildung Soziale Sicherheit Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten Gesundheitsschutz bei der Arbeit Koalitionsrecht und Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
Rechtsqualität
Abstimmungsmodus
.............. einstimmig
Kompetenznorm
–
Kompetenznorm für die Sozialpartner
–
.............. QM oder einstimmig – je nach Regelungsinhalt Handlungsermäch- Anhörung des tigung zugunsten WSA vor Abgabe von Stelder Europäischen lungnahmen Kommission
7. Sonstige Kompetenz- und Handlungsmöglichkeiten Regelung Art. 141 EGV
Art. 142 EGV
Bereich
Maßnahmen
Gleiches Entgelt für Richtlinien Männer und Frauen Verordnungen Empfehlungen Entscheidungen Stellungnahmen Bezahlte Freizeit Bestandsschutz
Rechtsqualität Kompetenznorm
Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten Art. 143 Demographische Berichte Handlungsverund 145 und soziale Lage pflichtung der EGV Kommission zur Berichterstattung Art. 144 Sozialrechtskoordi- Erfassung der sozia- Rechtsgrundlage EGV nation len und sozialpoliti- für den ErrichtungsSozialschutz schen Lage der Ge- akt des Ausschusses meinschaft für Sozialschutz Informations- und und ZuständigkeitsErfahrungsausabgrenzung tausch Stellungnahmen zur Fortentwicklung des Sozialschutzes Art. 146 – Europäischer Sozi- DurchführungsbeKompetenznorm 148 EGV alfonds schlüsse Festlegung der Vergabegrundsätze Zielvorgabe Art. 149 Allgemeine Bildung Abs. 1 und 2 Jugend EGV Art. 149 Allgemeine Bildung Erlaß von FörderKompetenznorm Abs. 4 EGV Jugend maßnahmen Richtlinien Verordnungen Entscheidungen Stellungnahmen Empfehlungen Art. 150 Berufliche Bildung Zielvorgabe EGV Jugend Art. 150 Berufliche Bildung Richtlinien Kompetenznorm Abs. 4 EGV Jugend Verordnungen Entscheidungen Stellungnahmen Empfehlungen Art. 152 Gesundheitswesen Festlegung von Zielvorgabe und Kompetenznorm EGV Standards Fördermaßnahmen Richtlinien Verordnungen Empfehlungen Entscheidungen Stellungnahmen
221 Abstimmungsmodus QM
–
–
Bestätigung der mitgliedstaatlichen Benennungen durch den Rat
QM
–
QM
– QM
QM
222
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
Fortsetzung von Schaubild 6 Regelung
Bereich
Maßnahmen
Art. 158 EGV
Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt Art. 159 S. 3 Strukturfonds Spezifische AktioEGV nen Art. 160 Regionalfonds EGV Art. 161 Strukturfonds Erlaß gemeinsamer EGV Wirtschaftlicher horizontaler Beund sozialer Zusam- stimmungen Verordnungen menhalt Art. 308 Vertragsimmanente Verordnungen EGV Fortentwicklung Richtlinien des Gemeinschafts- Entscheidungen rechts Empfehlungen Stellungnahmen Beschlüsse Entschließungen Implied Inhärente ZustänEntsprechend des powers digkeiten Regelungsinhalts Uneigent- Sozialpolitik liche Ratsbeschlüsse (Mitgliedstaaten)
Charta der Bildung Grundrechte Berufsfreiheit Nichtdiskriminierung Gleichheit von Männern und Frauen Rechte des Kindes Rechte älterer Menschen Integration von Menschen mit Behinderung Anhörungsrechte der Arbeitnehmer im Unternehmen
Verbindliches völkerrechtliches Verwaltungsabkommen (bei primärrechtlicher Rechtsgrundlage, z. B. Art. 223 EGV) .............. Völkerrechtliche Verträge (mitgliedsstaatliche Souveränität)
Rechtsqualität Zielvorgabe
Abstimmungsmodus –
Kompetenznorm
QM
Zielvorgabe
–
Kompetenznorm
Einstimmig QM ggfs. ab 1. 1. 2007
Kompetenznorm, Generalklausel
Einstimmig
Rechtsfortbildung
Entsprechend des Regelungsinhalts Einvernehmen
Verbindliches Abkommen
.............. Völkerrechtlicher Vertrag
Zielvorgabe
.............. Zustimmung
–
7. Sonstige Kompetenz- und Handlungsmöglichkeiten Regelung
Lissabon
Bereich
Maßnahmen
223
Rechtsqualität
Abstimmungsmodus
Zielvorgabe
–
Kollektivverhandlungen und -maßnahmen Recht auf unentgeltlichen Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung Recht auf angemessene Arbeitsbedingungen Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz Schutz der Familie und Recht auf Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung Gesundheitsschutz Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Bürgerrechte Wissensbasierte Gesellschaft Arbeitsplätze Sozialer Zusammenhalt
Damit ist festzustellen, dass die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft im sozialen Bereich keinesfalls so eingeschränkt sind, wie es oft dargestellt wird. So sind gerade erst zwei aktuelle Veröffentlichungen erschienen, die den Titel tragen „Das neue Sozialrecht der EU“267 und „Europäisches Sozialrecht“268, die sich aber schwerpunktmäßig mit der VO (EG) Nr. 883 / 2004 (Marhold) bzw. dem Sekundärrecht (Fuchs) befassen. Fuchs bezieht sich im Zusammenhang mit den Vorschriften des EGV, die einen „genuin sozialpolitischen Charakter“ haben, vor allem auf die Art. 136 – 150 EGV sowie „weitere, an unterschiedlichen Stellen des EGV angesiedelte sozialpolitische Normen und Normenkomplexe“, ohne diese jedoch im einzelnen zu spezifizieren, und verweist aus267 268
Marhold, Franz (Hrsg.), Das neue Sozialrecht der EU. Fuchs, Maximilian (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht.
224
V. Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“
drücklich darauf, dass diese Auffassung von europäischem Sozialrecht „vor allem der sozialpolitischen Literatur zugrunde[liegt]“ .269 Er führt weiter aus, dass in der französischen Literatur „ein Begriff des Europäischen Sozialrechts vorherrschend [ist], der die Bereiche des Rechts der Koordinierung der sozialen Sicherheit und des Arbeitsrechts erfasst. Andere Autoren beschränken den Begriff auf die Vorschriften über die Sozialpolitik, so dass ihre Werke im Wesentlichen Lehrbücher des europäischen Arbeits- und Arbeitsschutzrechtes darstellen“.270 Es sind aber eben nicht nur die Art. 136 ff. EGV und die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit oder das Arbeitsrecht, die von Bedeutung sind für die Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“, vielmehr können die Gemeinschaftsorgane durch Gesetzgebung auf der Grundlage der dafür geschaffenen Kompetenzvorschriften der Verträge, wie im vorstehenden Kapitel nachgewiesen wurde, ein breites Spektrum sozialer Ziele in die Tat umsetzen,271 wie auch durch die zahlreichen Beispiele, die zu den jeweiligen Artikeln aufgeführt wurden, unterlegt wird. Insbesondere die Generalklauseln der Art. 94, 95 und 308 EGV eröffnen darüber hinaus Möglichkeiten, Recht zu setzen bzw. eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken, vorzunehmen, um im Rahmen des Gemeinsamen Markt weitere Ziele zu verwirklichen, auch wenn im Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht in Form einer eigenen Kompetenznorm vorgesehen sind.272 Ingesamt zeigt die Prüfung der rechtlichen Grundlagen in ihrer Gesamtschau und nicht nur – wie üblicherweise – begrenzt auf das Sozialkapitel, dass der EGVertrag in der Fassung von Nizza in zahlreichen Artikeln und den unterschiedlichsten Bereichen wie Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Antidiskriminierung, aber auch im Zusammenhang mit den ökonomischen Wirkungen der Sozialpolitik ein rechtliches Instrumentarium bereitstellt, das es ermöglicht, gestaltend auf das „Europäische Sozialmodell“ einzuwirken.
Fuchs, Maximilian (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, S. 5, Rdnr. 5 und 6. Fuchs, Maximilian (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, Rdnr. 7. 271 So im Ergebnis auch Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 404. 272 So Zuleeg, Manfred, Die Europäische Gemeinschaft auf dem Weg zur Sozialgemeinschaft, in: NDV Heft 1 / 1991, S. 22. 269 270
VI. Die Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH für das „Europäische Sozialmodell“ 9. THESE: Der Europäische Gerichtshof hat entscheidend zur Gestaltung des „Sozialen Europas“ beigetragen. Da er aber lediglich Einzelentscheidungen trifft, kann er das „Europäische Sozialmodell“ zwar beeinflussen, nicht aber in seiner Gänze gestalten.
Die Rechtsprechung des EuGH nimmt im Rahmen der Prüfung der rechtlichen Grundlagen der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ eine wichtige Stellung ein. Auf der Grundlage seiner Urteile sind Zielsetzungen interpretiert und präzisiert, aber auch Klarstellungen getroffen worden, die zu einer Änderung von Richtlinien oder Verordnungen geführt haben. Ein aktuelles Beispiel ist die neue VO 883 / 20041, in der es im 3. Erwägungsgrund heißt: „ . . . ist mehrfach geändert und aktualisiert worden, um nicht nur den Entwicklungen auf Gemeinschaftsebene – einschließlich der Urteile des Gerichtshofes –, sondern auch den Änderungen der Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene Rechnung zu tragen“. Aufgabe des Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz ist es, gem. Art. 220 EGV die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeit zu sichern. Ihr Rechtsprechungsauftrag umfaßt zum einen die Rechtmäßigkeitskontrolle über die EU-Organe sowie die Implementationskontrolle hinsichtlich der Mitgliedstaaten, zum anderen aber auch die Gewährung von (Individual)-Rechtsschutz für alle, die durch das Unionsrecht mit eigenen Rechten ausgestattet werden. In methodischer Hinsicht ist mit der Übertragung der Rechtsprechungsaufgabe die Befugnis verbunden, auf der Basis der europäischen Grundsätze der Rechtsgewinnung in den vom EGV und der VerfO-EuGH2 vorgesehenen Verfahren über Rechtsfragen zu entscheiden. Dies umfasst sowohl die „richterliche Rechtsbildung“, also die Deduktion von Ergebnissen im Wege einer methodengerechten Auslegung des unionalen Rechtsbestandes, als auch die sogenannte „richterliche Rechtsfortbildung“.3
1 Verordnung (EG) Nr. 883 / 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU L 166 / 1 vom 30. 04. 2004. 2 Im Internet unter: http: //curia.eu.int/de/instit/txtdocfr/txtsenvigueur/txt5.pdf. 3 Huber, Peter M., in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 220 EGV Rdnr. 11 ff.
226
VI. Die Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH
Der EuGH ist die Instanz, die insbesondere in einer Vielzahl sozialrechtlicher Fragestellungen mit Schwerpunkt im Arbeitsrecht (hier speziell Wanderarbeitnehmer) und bei der Nichtdiskriminierung richtungsweisende Entscheidungen getroffen hat.4 So hat er entscheidend zur Fortentwicklung des Begriffs „soziale Vergünstigungen“ des Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft5 beigetragen. Darunter fallen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH „alle Vergünstigungen, die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnortes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, deshalb geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern.“6 Dazu zählen z. B. Wohngeld, Fahrpreisermäßigungen, Zugang zu Sozialwohnungen und Kindergärten und insbesondere die Sozialhilfe. Nicht dazu gehören dagegen zum Beispiel Entschädigungsleistungen für ehemalige Kriegsgefangene, da sie nicht an die Arbeitnehmereigenschaft anknüpfen.7 Die Abgrenzung zwischen „Leistungen der sozialen Sicherung“ und „sozialen und steuerlichen Begünstigungen“ war Gegenstand vieler Auseinandersetzungen. Dies beruht vor allem darauf, dass für „Leistungen der sozialen Sicherung“, insbesondere soweit sie in Geldleistungen bestehen, nach Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 1408 / 718 weitgehend Portabilität vorgeschrieben ist, nicht dagegen für „sozia4 Vgl. dazu auch Tegtmeier, Werner, Wechselwirkungen zwischen dem Europäischen Sozialrecht und dem Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland – Erfahrungen und Vorstellungen aus deutscher Sicht, S. 34; vgl. dazu ferner Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 100 f.; Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 60 f.; Haack, Karl Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 2; Schnorr, Gerhard, Arbeits- und sozialrechtliche Fragen der europäischen Integration, S. 5 f.; Ewert, Holm A., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts. 5 Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. EG L 257 / 2 vom 19. 10. 1968, zuletzt geändert durch Verordnung (EWG) 2434 / 92 des Rates vom 27. 07. 1992 zur Änderung des zweiten Teils der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. EG L 245 / 1 vom 26. 08. 1992. 6 Urteil des Gerichtshofs vom 27. März 1985, Rs. C 249 / 83, Hoeckx / Openbar Centrum voor maatschappelijk welzijn in Kalmhout, Slg. 1985, S. 973. 7 Urteil des Gerichtshofs vom 06. 11. 2004, Rs. C 386 / 02, Josef Baldinger / Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 16. September 2004, ABl. EG C 273 / 5. 8 Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl. EG L 149 / 2 vom 05. 07. 1971; siehe auch: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern und der Verordnung (EWG) Nr. 574 / 72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71, KOM (2005) 676 endg. vom 21. 12. 2005; vgl.
VI. Die Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH
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le und steuerliche Vergünstigungen“, die nur an sich im Inland aufhaltende Staatsbürger des Mitgliedslandes sowie Staatenlose und Flüchtlinge zu leisten sind. Diese Auseinandersetzungen bezogen sich insbesondere auf die Sozialhilfe und ähnliche steuerfinanzierte Leistungen.9 Ein weiterer Schwerpunkt der Rechtsprechung war die soziale Sicherung, bei der allerdings allein die Freizügigkeit der Erwerbstätigen im Mittelpunkt stand. Der Gerichtshof hat hier nicht nur eine unmittelbare Diskriminierung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten beanstandet, sondern auch eine mittelbare, die entsteht, wenn Leistungen an Tatbestände anknüpfen, die typischerweise von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten weniger leicht zu erfüllen sind. Er hat überdies in der Petroni-Entscheidung10 das „Günstigkeitsprinzip“ abgeleitet, demzufolge die Freizügigkeit zu fördern ist und die Verordnung Nr. 1408 / 71 nicht dazu dienen darf, Leistungen zu kürzen, die nach nationalem Recht eingeräumt werden.11 In der jüngsten Zeit gewinnen die beiden Grundfreiheiten „Waren- und Dienstleistungsverkehr“ zusätzlich an Bedeutung für die Systeme der sozialen Sicherung. Entsprechend den einschlägigen Entscheidungen des EuGH darf die Ausgestaltung der Systeme der sozialen Sicherung – trotz der Kompetenz der Mitgliedstaaten für die Sozialpolitik – nicht im Widerspruch zu den Grundfreiheiten stehen. Diese Grundfreiheiten haben durch die Kohll / Decker-Urteile12 des EuGH nunmehr auch für das Sozialversicherungsrecht erheblich an Relevanz gewonnen.13 Da die Entscheidungen des EuGH nicht nur zur Klärung der national vorgelegten Fragestellungen dienen, sondern oftmals von den europäischen Institutionen zum Anlass genommen werden, bestehende Richtlinien und Verordnungen anzupassen oder neu zu konzipieren – soweit Defizite festgestellt werden –, spielt er bei der Weiterentwicklung des sozialen Rechtsbestands eine wichtige Rolle. dazu ausführlich Ewert, Holm A., Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Entwicklung eines Europäischen Sozialrechts. 9 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 14. 10 Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 1975, Rs. C 24 / 75, Petroni / Office National des Pensions pour Travailleurs Salariés (ONPTS), Slg. 1975, S. 1149. 11 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 15; vgl. dazu auch Giesen, Richard, Die Vorgaben des EG-Vertrages für das Internationale Sozialrecht: Zu den Auswirkungen des europäischen Primärrechts auf das sozialrechtliche Kollisions- und Sachrecht der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten, S. 16 ff. 12 Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 1998, Rs. C 158 / 96, Kohll / Union des Caisses de maladie, Slg. 1998, S. I-1931 und Urteil des Gerichtshofs vom 28. April 1998, Rs. C 120 / 95, Decker / Caisse de maladie des employés privés, Slg. 1998, S. I-1831. 13 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 17.
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VI. Die Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH
Ein Beispiel sind die Rechtssachen Sinatra und Petroni.14 Hier sah Art. 46 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 1408 / 71 a.F. eine gemeinschaftsrechtliche Antikumulierungsvorschrift vor, die der Gerichtshof für nichtig erklärte. Diese Rechtsprechung führte zu einer Neufassung des Verordnungstextes durch die Verordnung (EWG) Nr. 1247 / 92.15 Im Rahmen dieser Verordnung wurde dann eine grundsätzliche Neuregelung der Kumulierungsvorschriften vollzogen, die so eine Neufassung der allgemeinen Vorschrift in Art. 12 der VO wie auch der Antikumulierungsvorschrift im Bereich der Rentenberechnung mit Auswirkungen auf die Berechnung von Invalidenrenten bedingte.16 Einen weiteren Schritt hin zu einer besseren Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit stellt die bereits erwähnte VO (EG) 883 / 200417 dar, in der ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass die Rechtsprechung des EuGH in mehreren Bereichen berücksichtigt wurde.18 Trotzdem sind seine Urteile nicht geeignet, das „Europäische Sozialmodell“ in seiner Gänze zu beeinflussen. Zum einen reagiert der EuGH in seinen Entscheidungen auf Probleme, die entweder in den Mitgliedstaaten bei der Anwendung von europäischem Recht oder der Divergenz zwischen nationalstaatlichem und europäischem Recht entstehen. Damit wird er nicht selbst gestaltend aktiv, sondern agiert ausschließlich reaktiv. Zum anderen beeinflusst er zwar durch richtungsweisende Entscheidungen die Gestaltung der Rechtsetzung, auch dieses bezieht sich aber stets auf Einzelthemen, nicht auf das Sozialmodell insgesamt. Dasselbe gilt für seine korrigierende Funktion, mit der er Fehlentwicklungen oder Fehlinterpretationen klarstellen kann. 14 Urteil des Gerichtshofs vom 13. März 1986, Rs. C-296 / 84, Antonio Sinatra / Fonds National de Retraite des Ouvriers Mineurs, Slg. 1986, S. 1047; Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 1975, Rs. C 24 / 75, Petroni / Office National des Pensions pour Travailleurs Salariés (ONPTS), Slg. 1975, 1149. 15 Verordnung (EWG) Nr. 1247 / 92 des Rates vom 30. April 1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl. EG L 136 / 1 vom 19. 05. 1992. 16 Lenz, Otto, Der Beitrag der Rechtsprechung zur Entwicklung des Europäischen Sozialrechts, S. 19. 17 Verordnung (EG) Nr. 883 / 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU L 166 / 1 vom 30. 04. 2004. 18 So in den Nr. (3), (9), (21), (24), (30), (31), (34), (37) der Erwägungsgründe der Verordnung (EG) Nr. 883 / 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU L 166 / 1 vom 30. 04. 2004.
VI. Die Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH
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Damit kann man feststellen, dass dem Europäischen Gerichtshof eine wichtige Interpretations-, Kontroll- und Korrekturfunktion bei der Entwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ zukommt. Das Modell an sich kann er aber nicht weiterentwickeln.
VII. Gestaltung des Europäischen Sozialmodells durch „soft law“ und sonstige Instrumente und Akteure 10. THESE: Das „Europäische Sozialmodell“ steht in Wechselwirkung mit anderen sozialpolitischen Instrumenten und Akteuren, die es ausformen und bestimmen. Es folgt auch dabei keinen konsequenten politischen Vorgaben.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind zwar formell betrachtet noch „Herren der Verträge“ und damit auch im Rahmen der Sozialpolitik federführend. Mehr und mehr hat sich die Europäische Gemeinschaft aber in wohlfahrtsstaatliche Belange eingebracht und zwar über Regulierung, finanzielle Anreize, die Offene Methode der Koordinierung und den sozialen Dialog.1 Das „Europäische Sozialmodell“ wird also nicht nur von den Mitgliedstaaten gelenkt und weiterentwickelt. Vielmehr gibt es Elemente, die ebenfalls auf seine Gestaltung einwirken, letztlich aber der Bestimmung und in einigen Fällen sogar der Mitwirkung der Mitgliedstaaten entzogen sind. An erster Stelle sind die persönlichen Grundrechte und die Unionsbürgerschaft sowie der Soziale Dialog zu nennen, der schwerpunktmäßig in den Händen der Sozialpartner liegt; auch der Einsatz der Offenen Methode der Koordinierung oder die immer weitreichendere Einbeziehung der bislang undefinierten „Zivilgesellschaft“ zeigen ihre Auswirkungen. In letzter Zeit ist daneben der Lissabon-Prozess in das Augenmerk der Öffentlichkeit gerückt und auch die Nationalen Aktionspläne (EMPL2 und INCL3) sowie 1 Falkner, Gerda, Zwischen Gestaltungslücke und integrativen Kooperationseffekten: Wohlfahrtsstaat und Integration aus Sicht des historischen Institutionalismus, S. 3. 2 Employment – Jeder Mitgliedstaat erarbeitet einen Nationalen Reformplan für Beschäftigung (bis 2005 Nationale Aktionspläne), in dem beschrieben wird, wie die Beschäftigungspolitischen Leitlinien in die nationale Praxis umgesetzt werden. Sie zeigen, was in einem Mitgliedstaat in den letzten 12 Monaten erreicht wurde, und was für die kommenden 12 Monate geplant ist. Die Reformpläne verstehen sich sowohl als Planungs- als auch als Berichtsdokumente. Im Internet unter: http: //europa.eu.int/growthandjobs/pdf/nrp_2005_en.pdf. 3 Inclusion – bei den NAPincl = NAPs / Eingliederung handelte es sich um die nationalen Aktionspläne gegen Armut und soziale Ausgrenzung. In diesen Plänen analysiert jeder Mitgliedstaat die Situation in Bezug auf die Armut und soziale Ausgrenzung, stellt die Strategie vor und legt die Ziele und die Zielsetzungen dar, die für den zweijährigen Zeitraum von Mitte 2004 bis Mitte 2006 festgelegt wurden. Ferner bestimmt er die spezifischen Aktionen, die er sich zu implementieren vorgenommen hat, um diese Zielvorgaben zu erreichen. Im Internet unter: http: //europa.eu.int/comm/employment_social/news/2001/jun/napsincl2001_de.html.
1. Soziale Grundrechte und Unionsbürgerschaft
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die Sozialpolitische Agenda zeigen Wirkungen im Zusammenhang mit dem Europäischen Sozialmodell. Diese Einflüsse gilt es ebenfalls aufzuzeigen und zu bewerten.
1. Soziale Grundrechte und Unionsbürgerschaft4 11. THESE: Die Verankerung von Grundrechten und die Schaffung der Unionsbürgerschaft haben zur Entwicklung der sozialen Dimension beigetragen, sind aber nur Teilaspekte des „Europäischen Sozialmodells“.
a) Einleitung Die erste Sozialcharta, die gewisse soziale Rechte der Bürger beschreibt, datiert aus dem Jahr 1961. Allerdings wurde sie von den Mitgliedern des Europarates abgeschlossen und band nur die Vertragsparteien selbst, verschaffte den Bürgern aber keine eigenständigen Rechte. Sie stellte eine Willenserklärung ohne strikte Bindungswirkung dar. Da die Europäischen Gemeinschaften selbst nicht Vertragspartner dieser völkerrechtlichen Vereinbarung waren, entfaltete sie auch keine entsprechende Bindungswirkung für oder gegen die Europäischen Gemeinschaften. Nach Merten hatten sich lediglich die Mitgliedstaaten untereinander auf der Grundlage des Völkerrechts außerhalb der Europäischen Gemeinschaften geeinigt.5 Im Jahr 1989 proklamierte dann das Europäische Parlament seine „Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten“6, die allerdings keine rechtlichen Wirkungen, sondern lediglich politischen Charakter hatte. Im Dezember desselben Jahres wurde die „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“7 verabschiedet, die allerdings nicht von allen Mitgliedstaaten mitgetragen wurde8. Auch ihr fehlte die Rechtsverbindlichkeit, bis sie im Jahr 1993 über den Art. 136 S. 1 EGV in den Vertrag von Maastricht integriert wurde. 4 Vgl. dazu insgesamt Zuleeg, Manfred, Die Europäische Gemeinschaft auf dem Weg zur Sozialgemeinschaft, NDV Heft 1 / 1991, S. 20 – 29. 5 Merten, Detlef, Entwicklungsperspektiven der sozialen Dimension in der EG: Funktionen sozialer Grundrechte, S. 68. 6 Entschließung zur Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten, ABl. EG C 120 / 51 ff. vom 16. 05. 1989. 7 Europäischer Rat, Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, Straßburg, 9. Dezember 1989; vgl. dazu auch Wirtschafts- und Sozialausschuss, Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft, Stellungnahme, CES 270 / 89, Brüssel, 22. Februar 1989. 8 Großbritannien schloss sich der Charta zunächst nicht an.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
b) Soziale Grundrechte Soziale Grundrechte bleiben – soweit es sich um Leistungsrechte handelt – wegen ihres Angewiesenseins auf ein „ökonomisches Substrat“ und damit wegen ihrer Abhängigkeit von dem wirtschaftlich Vorhandenen und „Machbaren“ hinter der Wirkungsmacht der „klassischen“ bürgerlichen und politischen Grundrechte deutlich zurück. Sie sind auch nicht in denselbem Ausmaß Bestandteil eines breiten sozialethischen und politischen Konsenses, wie dies bei den älteren liberalen und politischen Grundrechten der Fall ist, sondern spiegeln unterschiedliche Auffassungen über Wohlfahrtsstaatlichkeit und Sozialpolitik auf verfassungsrechtlicher Ebene wider. Darüber hinaus haben sie auch in der Mehrzahl der Verfassungen der Mitgliedstaaten keine systematische Ausprägung erhalten, mit der Folge, dass ihre Schutzwirkung nur als „diffus“ bezeichnet werden kann.9 Ihre Festschreibung auf Gemeinschaftsebene verleiht ihnen demgegenüber stärkere Wirkung bis hin zu der These, dass sie Ansätze einer sozialen Verantwortung der Gemeinschaft enthalten.10 Neben den „sozialen Grundrechten“ finden sich rechtlich bindende Grundrechte im Primärrecht zunächst im Art. 141 EGV „Gleichheit des Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit“11 und in Ansätzen in den Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes Art. 39, 43 und 49 EGV.12 Die rechtlich noch unverbindliche Charta der Grundrechte wurde bereits auf dem Gipfel von Nizza im Jahr 2000 verabschiedet und findet sich nunmehr als integraler Bestandteil der Verfassung. Sie wurde in drei „Körbe“ unterteilt:13 Bürgerrechte: Menschenrechte und Recht auf gerichtliches Gehör, wie sie von der vom Europarat unterzeichneten Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert werden. Politische Rechte: die der von den Verträgen geschaffenen europäischen Unionsbürgerschaft entsprechen.
9 So Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 80. 10 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 80. 11 So der EuGH in seiner Entscheidung vom 8. April 1976, Rs. C-43 / 75, Gabrielle Defrenne / Société anonyme belge de navigation aerienne Sabena (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455. 12 Vgl. dazu Merten, Detlef, Entwicklungsperspektiven der sozialen Dimension in der EG: Funktionen sozialer Grundrechte, S. 64 f.; vgl. zu den Grundrechten insgesamt auch Däubler, Wolfgang, Sozialstaat EG? Notwendigkeit und Inhalt einer Europäischen Grundrechtsakte. 13 Europäisches Parlament, Kurzdarstellungen, 2.1.2. Die Charta der Grundrechte, unter: http: //www.europarl.eu.int/factsheets/2_1_2_de.htm.
1. Soziale Grundrechte und Unionsbürgerschaft
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Wirtschaftliche und soziale Rechte: wie sie in der am 9. Dezember 1989 auf dem Straßburger Gipfel von den Staats- und Regierungschefs der (damals) elf Mitgliedstaaten (ohne Großbritannien) in Form einer Erklärung verabschiedeten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer enthalten sind.
Die Charta der Grundrechte der EU14 legt somit als Bestandteil des neuen Verfassungsvertrages zum ersten Mal bürgerliche, politische, ökonomische und soziale Rechte der Unionsbürger fest. Diese Grundrechte sind nach Lamping geeignet, die Grenzen zwischen den Sozialverbänden in immer mehr Bereichen im Sinne einer „grenzüberschreitenden Gleichbehandlung“ zu perforieren.15 Laut Art. 6 EUV achtet die Union die Grundrechte, welche in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) „gewährleistet sind“ und die sich aus den „gemeinsamen Verfassungen der Mitgliedstaaten“ ergeben. Das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 EUV) soll garantieren, dass Entscheidungen „möglichst bürgernah getroffen werden“.16
c) Unionsbürgerschaft Schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt wurde der Gedanke einer „EuropaBürgerschaft“ erwogen,17 inspiriert durch die Grundfreiheit des Personenverkehrs, besonders die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Trotzdem dauerte es noch bis zum Jahr 1990, bis der Europäische Rat von Rom18 vier Hauptkomponenten der Unionsbürgerschaft herausarbeitete: Wirtschaftliche und soziale Rechte (Freizügigkeit und Aufenthaltsrecht). Politische Bürgerrechte (Kommunalwahlrecht und Wahlrecht zum Europäischen Parlament). 14 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. EG C 364 / 01 vom 18. 12. 2000; vgl. dazu auch Rat der Europäischen Union, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Erläuterungen zum vollständigen Wortlaut der Charta, Dezember 2000; vgl. dazu auch Simitis, Spiros, Die Grundrechte in der Europäischen Union verbürgen – Es ist Zeit zu handeln; vgl. dazu ferner Stergiou, Angelos, The protection of fundamental social rights within the European Union, S. 189 ff. 15 Vgl. Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 18. 16 Volkmann-Schluck, Sonja, Die Debatte um eine europäische Verfassung Leitbilder-Konzepte – Strategien, S. 8. 17 Magiera, Siegfried, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 17 EGV Rdnr. 2 – 4. 18 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat von Rom am 14. und 15. Dezember 1990, Rdnr. 3, S. 6.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Gemeinsamer diplomatischer und konsularischer Schutz von Unionsbürgern in Drittstaaten. Gehör bei den Gemeinschaftsinstitutionen (Petitionen zum Europäischen Parlament und Anrufungen eines Bürgerbeauftragten).
Von diesem Konzept bestimmt, wurde die Unionsbürgerschaft dann mit dem Vertrag von Maastricht als eigenständiges Kapitel in den EG-Vertrag eingeführt.19 Die in Art. 17 EGV niedergelegte Unionsbürgerschaft bezeichnet einen genuin unionsrechtlichen Status als Adressat politischer Teilhaberechte innerhalb der EU.20 Neben politischen Rechten und Pflichten, wie z. B. dem aktiven und passiven Wahlrecht21, hat sie auch einen sozial-rechtlichen Gehalt. Dieser liegt in der Öffnung der Sozialleistungsansprüche für alle Unionsbürger; das die nationalen Leistungssysteme beherrschende Territorialitätsprinzip wird damit durchbrochen. Stand anfänglich im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der „homo oeconomicus“ im Vordergrund entsprechend der ursprünglich nahezu ausschließlich wirtschaftlichen Orientierung der Europäischen Gemeinschaft, so ist an seine Stelle nunmehr der „homo europaeus“ getreten, parallel zur Entwicklung der Politischen Union als Ergänzung der Wirtschaftsgemeinschaft und heutigen Wirtschafts- und Währungsunion. Die Ermöglichung der europaweiten, grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von sozialen Leistungen hat dazu geführt, dass die Unionsbürgerschaft eine eigenständige soziale Dimension Europas eröffnet, unabhängig von dem Bestehen bzw. Nichtbestehen einer „Europäischen Sozialunion“.22 Der EuGH hat dies in den Urteilen Martinez Sala,23 Grzelczyk,24 D’Hoop,25 The Queen26 und Bidar27 ausgeführt.
19 Vgl. dazu Koenig, Christian / Pechstein, Matthias, Die Europäische Union – Die Verträge von Maastricht und Amsterdam, Rdnr. 58; vgl. dazu auch Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat von Florenz Tagung am 21. und 22. Juni 1996, S. 7. 20 So Eichenhofer, Eberhard, Unionsbürgerschaft – Sozialbürgerschaft?, S. 2. 21 So besteht in einigen Mitgliedstaaten eine Wahlpflicht, z. B. in Belgien. 22 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik nach Nizza, S. 19; Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 87. 23 Urteil des Gerichtshofs vom 12. Mai 1998, Rs. C-85 / 96, Maria Martinez Sala / Freistaat Bayern, Slg. 1998, S. I-2691. 24 Urteil des Gerichtshofs vom 20. September 2001, Rs. C-184 / 99, Rudy Grzelczyk / Centre public d’aide sociale d’Ottignies-Louvain-la-Neuve, Slg. 2001, S. I-6193. 25 Urteil des Gerichtshofs vom 11. Juli 2002, Rs. C-224 / 98, Marie-Nathalie D’Hoop / Office national de l’emploi, Slg. 2002, S. I-6191. 26 Urteil des Gerichtshofs vom 20. Februar 2001, Rs. C-192 / 99, The Queen / Secretary of State for the Home Department, Slg. 2001, S. I-1237. 27 Urteil des Gerichtshofs vom 15. März 2005, Rs. C-209 / 03, Dany Bidar / London Borough of Ealing, Secretary of State for Education and Skills, Slg. 2005, S. I-2119.
1. Soziale Grundrechte und Unionsbürgerschaft
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Der sozialrechtliche Gehalt der Unionsbürgerschaft28 hat zwei Konsequenzen: Die Unionsbürgerschaft vermittelt in Verbindung mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot einen Anspruch auf Teilhabe an sozialen Leistungen, die ein Mitgliedstaat in seinem System des Sozialschutzes vorsieht, auch bei nur vorübergehendem, rechtmäßigen Aufenthalt, und dies unter denselben Bedingungen, wie sie für die eigenen Staatsangehörigen bestehen. Das an die Unionsbürgerschaft anknüpfende gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht vermittelt einen Anspruch auf soziale Grundsicherung und verschafft unmittelbaren Zugang zu allen an den Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat anknüpfenden sozialen Leistungen. Dieser Anspruch besteht solange fort, bis das Aufenthaltsrecht durch den Mitgliedstaat unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Grenzen beendet wird.
In keinem Fall jedoch können über die Unionsbürgerschaft neue Sozialleistungsansprüche geschaffen werden. Die Unionsbürgerschaft garantiert die Teilhabe an den in den Mitgliedstaaten jeweils bereits bestehenden sozialen Leistungen. Den Mitgliedstaaten wird nicht aufgegeben, neue Ansprüche zu eröffnen oder die bestehenden inhaltlich oder sachlich zu verändern.29 Die verfassungsmäßige Begrenzung von Hoheitsgewalt zum Schutz des einzelnen in Form von Grund- und Bürgerrechten ist im Prozess der schrittweisen Vertragsänderungen ausgebaut worden. Die unmittelbaren Auswirkungen des EG-Rechts auf den Bürger und der Vorrang der europäischen Rechtsetzung gegenüber der Rechtsetzung der Mitgliedstaaten erfordern präzise Regelungen, wie die Maßnahmen, die im Zuge der Umsetzung des „Europäischen Sozialmodells“ zu erfolgen haben, rechtlich zu verorten sind. Bereits 1962 entschied der EuGH,30 dass Bürger die Möglichkeit haben, Gemeinschaftsrecht vor ihren jeweiligen nationalen Gerichten einzuklagen. Kurz danach bestätigte der EuGH den übergeordneten Charakter des EG-Rechts vor nationalem Recht in der Rechtssache 6 / 64: „Mit der Übertragung von Hoheitsrechten . . . auf die Gemeinschaft . . . haben die Mitgliedstaaten ihre . . . Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für sie und ihre Angehörigen verbindlich ist“.31 28 Vgl. dazu auch Sander, Florian, Die Unionsbürgerschaft als Türöffner zu mitgliedstaatlichen Sozialversicherungssystemen?, DVBl. 2005, S. 1014 ff. 29 So Borchardt, Klaus-Dieter, Der sozialrechtliche Gehalt der Unionsbürgerschaft, in: NJW 2000, Heft 29, S. 2060; vgl. dazu auch Eichenhofer, Eberhard, Unionsbürgerschaft – Sozialbürgerschaft? S. 4 f. 30 Urteil des Gerichtshofs vom 5. Februar 1963, Rs. 26 / 62, N.V. Algemene Transport – en Expeditie onderneming van Gend und Loos / Niederländische Finanzverwaltung, S. 24, Slg. 1963, S. 3. 31 Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juli 1964, Rs. 6 / 64, Flaminio Costa / E.N.E.L, Slg. 1964, S. 1253 ff.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Der EuGH stützte seine Urteile auf die Annahme, dass die Gemeinschaft eine „neue Rechtsordnung des Völkerrechts“ darstellt, „zu deren Gunsten die Staaten . . . ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben.“32 Aus verfassungstheoretischer Perspektive ist problematisch, dass sich die europäische Rechtsordnung nicht auf den vorrechtlichen „pouvoir constituant“ einer politischen Gemeinschaft, sondern letztlich auf die Rechtsprechung eines durch Verträge geschaffenen Gerichtshofs stützt. Auch das Europäische Parlament als nach Volkmann-Schluck33 schwächstes Organ der Gemeinschaft kann wegen seiner fehlenden Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten nur unzureichend die konstitutionelle Legitimationsfunktion übernehmen. Eine weitere Schwäche der Verträge liegt bei der Organisationsfunktion. Zwar sind in Art. 7 und Art. 189 ff. EGV die Organe und organähnlichen Einrichtungen der Gemeinschaft, sowie deren Befugnisse und Aufgaben festgelegt. Das Organisationsprinzip der EU, die Subsidiarität, ist im EU-Vertrag von Maastricht sogar in die Präambel aufgenommen worden.34 Eine klare Abgrenzung der Kompetenzen und Normenhierarchie legen die Verträge allerdings nicht fest. Zwar wird die vorrangige Stellung des Vertragsrechts in Art. 10 EGV deutlich, laut dem die Mitgliedstaaten alle zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen beitragenden Maßnahmen ergreifen müssen. Die Kompetenzen innerhalb der EG sind allerdings willkürlich aufgelistet (vgl. Art. 3 EGV) und stimmen nicht mit der Systematik der Art. 23 – 188 EGV überein. Es wird nach Volkmann-Schluck weder klargestellt, welche Normen Verfassungsrang haben und welche sich davon ableiten, noch wird eine „qualitative Unterscheidung der einzelnen Politiken vorgenommen“. Es bleibt unklar, „in welchen Politiken die Union tatsächlich verantwortlich und entscheidungsbefugt ist . . . , welche Bereiche nur teilweise zur Union gehören oder nur von dieser koordiniert werden“ und „welche Politiken noch rein zwischenstaatlich“ gemacht werden.35
d) Bewertung Damit kann festgestellt werden, dass sowohl die Unionsbürgerschaft als auch die Grundrechte bedeutsame Faktoren bei der Weiterentwicklung des „Europäischen 32 Urteil des Gerichtshofs vom 5. Februar 1963, Rs. 26 / 62, N.V. Algemene Transport – en Expeditie onderneming van Gend und Loos / Niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, S. 25. 33 Volkmann-Schluck, Sonja, Die Debatte um eine europäische Verfassung Leitbilder – Konzepte – Strategien, S. 10. 34 Vgl. dazu ausführlich Große Hüttmann, Martin, Das Subsidiaritätsprinzip in der EU – eine Dokumentation mit einer Einführung zum Bedeutungsgehalt und zur Rezeption dieses Prinzips. 35 Volkmann-Schluck, Sonja, Die Debatte um eine europäische Verfassung Leitbilder – Konzepte – Strategien, S. 11.
2. Sozialer Dialog
237
Sozialmodells“ sind. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund der Rechte, die sich daraus ergeben, sondern auch mit Blick auf ihre Funktion als Maßstab der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Trotzdem sind sie nur als Teilaspekte zu betrachten, die zum Gesamtbild beitragen.
2. Sozialer Dialog36 12. THESE: Der Soziale Dialog ist als Teil des „Europäischen Sozialmodells“ zu betrachten.
a) Einleitung In allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union37 finden sich Verhandlungsstrukturen zwischen den Sozialpartnern38 zur Weiterentwicklung der Arbeitsbeziehungen.39 Diese Arbeitsbeziehungen40 (insbesondere hinsichtlich Tarif- und Arbeitsschutzrecht) sollen überblickartig dargestellt werden und verdeutlichen, wie unterschiedlich sie sich in den westeuropäischen Staaten entsprechend der jeweils gewachsenen Systeme entwickelt haben.41 Sie können wie folgt charakterisiert werden42: 36 Vgl. umfassend zu den rechtlichen Möglichkeiten des Sozialen Dialogs Lößl, Jörg Johannes, Die rechtlichen Möglichkeiten des Sozialen Dialogs auf europäischer Ebene. 37 Bezogen auf die 15 bisherigen Mitgliedstaaten, die 10 neuen Mitgliedstaaten hatten solche Strukturen nicht entwickelt, so auch Stüger, Stephan, Der Europäische Soziale Dialog: Mehr als nur ein Sturm im Wasserglas?, S. 11. 38 Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. 39 Vgl. dazu Traxler, Franz, EMU and Labour Relations, S. 68; Europäische Kommission, Arbeitsbeziehungen in Europa 2002, Arbeitsbeziehungen und industrieller Wandel, Mai 2002; eine Auflistung sozialer Pakte in Europa findet sich in Hassel, Anke, Soziale Pakte in Europa, S. 626 – 638. 40 Der Begriff der Arbeitsbeziehungen umfasst die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmensleitungen oder zwischen den sie vertretenden Organisationen und die Regelung von Löhnen und Beschäftigungsbedingungen. Die Darstellung auf S. 238 zeigt auf, dass es zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede gibt hinsichtlich der Akteure, Prozesse, Maßnahmen und Rahmenbedingungen, die wiederum Auswirkungen auf den sozialen Dialog haben. 41 Vgl. dazu auch Mitteilung der Europäischen Kommission, „Der europäische soziale Dialog, Determinante für Modernisierung und Wandel“ und Vorschlag für einen Beschluss des Rates „zur Einrichtung eines Tripartiten Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung“, KOM (2002) 341 endg. vom 26. 06. 2002, S. 13. 42 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung des „Sozialen Europa“, Folienvortrag.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Nordischer Korporatismus (Schweden, Finnland, Dänemark, Norwegen) Wirtschaftssystem: „mixed economy“ Demokratieform: Konsensdemokratie Wohlfahrtsstaat: universalistisch Verbandssystem: kohäsiv Machtbalance: Pro-Arbeitnehmer ausgewogen Verhandlungsebene: Branche Verhandlungsstil: integrativ Koordination: Gewerkschaften Staatliche Rolle: Mediator Arbeitsrecht: Kollektivrechte und Selbstregulation Arbeitskonflikte: zunehmend Sozialpartnerschaft (Österreich, Deutschland, Schweiz, Belgien, Niederlande, z. T. Irland) Wirtschaftssystem: „Soziale Marktwirtschaft“ Demokratieform: Konkordanzdemokratie Wohlfahrtsstaat: segmentiert Verbandssystem: segmentiert Machtbalance: Ausgewogen / pro Arbeitnehmer Verhandlungsebene: Branche Verhandlungsstil: integrativ Koordination: Sozialpartner / Arbeitgeber Staatliche Rolle: „Tarifautonomie“ Arbeitsrecht: Individual- und Kollektivrechte Arbeitskonflikte: selten Angelsächsischer Pluralismus (Großbritannien, Irland, z. T. Schweiz) Wirtschaftssystem: Freie Marktwirtschaft Demokratieform: Mehrheitsdemokratie Wohlfahrtsstaat: residual Verbandssystem: fragmentiert Machtbalance: alternierend Verhandlungsebene: Betrieb Verhandlungsstil: gegnerisch Koordination: fehlt Staatliche Rolle: Nichteinmischung Arbeitsrecht: Vertragsfreiheit Arbeitskonflikte: abnehmend
2. Sozialer Dialog
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Romanische Polarisierung (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, z. T. Belgien und Irland) Wirtschaftssystem: Etatistische Marktwirtschaft Demokratieform: Polarisierter Pluralismus Wohlfahrtsstaat: polarisiert Verbandssystem: polarisiert Machtbalance: Staatsinterventionismus Verhandlungsebene: uneinheitlich Verhandlungsstil: konfliktorientiert Koordination: wechselnd Staatliche Rolle: Staatsdirigismus Arbeitsrecht: Individual- und Kollektivrechte Arbeitskonflikte: häufig Auch auf europäischer Ebene hat sich ein „Sozialer Dialog“ entwickelt, in dessen Verfahren die Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene an die Stelle der Gemeinschaftsorgane treten.43 Sozialpartner sind Teilnehmer am Sozialen Dialog, da sie an Kollektivverhandlungen beteiligt sind und sich insofern von anderen Interessengruppen oder Lobbies und Organisationen unterscheiden.44 Unter Sozialpartnerschaft versteht man dementsprechend nicht schon jede Verbändebeteiligung am Entscheidungsprozess oder ein „Lobby-System“, vielmehr ist darunter die Mitwirkung repräsentativer Verbände, durch deren Einbeziehung der allergrößte Teil der wirtschaftlichen und sozialen Interessen einer Gesellschaft in den Entscheidungsprozess sichergestellt ist, und ihre paritätische und effektive Mitwirkung am Prozess der Staatswillensbildung in Dingen der Wirtschafts- und Sozialpolitik als sozialpartnerschaftliche Mitgestaltung zu qualifizieren.45 Der Soziale Dialog wird als eine der Grundlagen des „Europäischen Sozialmodells“ betrachtet.46 43 Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 216. 44 Mitteilung der Kommission, Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene, KOM (98) 322, 20. 05. 1998, S. 4. 45 Korinek, Karl, „Sozialpartnerschaft“ als europäische Institution?, S. 121; vgl. dazu auch Europäische Kommission, Förderung des sozialen Dialogs im erweiterten Europa. 46 Sozial Agenda Nr. 5, Neuer Schwung für den sozialen Dialog, S. 16; so auch: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission „Der europäische soziale Dialog, Determinante für Modernisierung und Wandel“ und Vorschlag für einen Beschluss des Rates „zur Einrichtung eines Tripartiten Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung“, KOM (2002) 341 endg. vom 26. 06. 2002; Europäische Kommission, Die Beschäftigungsund Sozialpolitik der EU 1999 – 2001 Arbeit Zusammenhalt Produktivität, S. 42; Europäische Kommission, Arbeitsbeziehungen in Europa 2002, Arbeitsbeziehungen und industrieller Wandel, Mai 2002, S. 16; so auch Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 51.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
b) Begriff und Entstehung „Sozialer Dialog“ ist ein auf europäischer Ebene organisiertes Diskussions- und Verhandlungsforum, an dem Vertreter der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberorganisationen teilnehmen. Unter dem Begriff des „Sozialen Dialogs“ versteht man sowohl die auf europäischer Ebene stattfindende Konzertierung zwischen den Sozialpartnern (sog. „zweiseitiger sozialer Dialog“) als auch die Beratungen zwischen den Sozialpartnern und den Organen der Europäischen Gemeinschaft (sog. „dreiseitiger sozialer Dialog“). Im Rahmen des sozialen Dialogs anerkannte Sozialpartner sind UNICE47 (in letzter Zeit gemeinsam mit UEAPME48), CEEP49 und EGB50. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuß zeigt, dass bereits bei Verabschiedung der Römischen Verträge als wichtig angesehen wurde, den verschiedenen sozioökonomischen Gruppen Einfluss bei der Ausarbeitung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften einzuräumen, nachdem schon im EGKS-Vertrag (Art. 18) die Rolle der Sozialpartner anerkannt worden war. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bleibt in diesem Zusammenhang aber auch in der Folgezeit in seiner Funktion als beratende organähnliche Einrichtung während sich der Soziale Dialog unabhängig von ihm entwickelt. In der Folgezeit wurde dieser Einfluß der Sozialpartner verstärkt. Seit den 60iger Jahren gibt es auf Gemeinschaftsebene diverse beratende Ausschüsse, ad-hoc-Arbeitsgruppen usw. für die einzelnen Branchen wie Kohle und Stahl, Landwirtschaft, Hochseefischerei, Strassen- und Güterverkehr, Binnenschifffahrt, Bahnverkehr, Textilindustrie, Bauindustrie etc., in denen die Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern paritätisch repräsentiert sind.51 In diesen Ausschüssen bemühten sich die Sozialpartner und die Europäische Kommission, gemeinsame Lösungen für wirtschaftliche und soziale Fragen von spezifischen Belangen für die jeweilige Branche zu finden. 1970 wurde der Ständige Ausschuss für Beschäftigungsfragen52 eingesetzt. Seine Aufgabe bestand nach Art. 2 des Ratsbeschlusses darin, den Dialog, die KonzerUNICE – Union of Industrial and Employer’s Confederations of Europe. UEAPME – Union Européenne de l’Artisanat et des Petits et Moyennes Entreprises (Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe). 49 CEEP – European Centre of Enterprises with Public Participation and of Enterprises of General Economic Interest. 50 EGB – Europäischer Gewerkschaftsbund. 51 Vgl. zum sektoralen Dialog Europäische Kommission, Der europäische soziale Dialog auf sektoraler Ebene, 2003; Europäische Kommission, Jüngste Entwicklungen im Bereich des branchenübergreifenden sozialen Dialogs auf europäischer Ebene – 2002 / 2003 und detailliert zu den einzelnen Ausschüssen die Webseite der Europäischen Kommission: http: //europa.eu.int/comm/employment_social/social_dialogue/sectoral_de.htm. 52 Beschluss des Rates vom 14. Dezember 1970 zur Einsetzung des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG L 273 / 25 vom 47 48
2. Sozialer Dialog
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tierung und die Konsultation zwischen dem Rat, der Europäischen Kommission und den Sozialpartnern zu gewährleisten, damit die Beschäftigungspolitik in den Mitgliedstaaten besser koordiniert wurde, und zwar durch ihre Ausrichtung auf Gemeinschaftsziele. Dieser Ausschuss wurde durch Beschluss des Rates vom 9. 3. 199953 reformiert, um ihn zu befähigen, seine Aufgabe im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie wahrzunehmen und die Sozialpartner in die Lage zu versetzen, möglichst effektiv zur Entwicklung und Umsetzung der Beschäftigungsleitlinien und der wirtschaftspolitischen Leitlinien beizutragen. Der reformierte Ständige Ausschuss für Beschäftigungsfragen setzte sich aus dem Rat, der Kommission und den beiden Delegationen der Sozialpartner, höchstens 20 Vertreter, zusammen. Bereits drei Jahre später wurde er ersetzt durch die Einrichtung des „Tripartiten Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung“, an dem gem. Art. 3 des Ratsbeschlusses54 der amtierende Ratsvorsitz auf Ebene der Staats- und Regierungschefs und die beiden sich daran anschließenden Ratsvorsitze, die Europäische Kommission sowie Vertreter der Sozialpartner beteiligt sind. Der Soziale Dialog, wie er nunmehr in Art. 138 und 139 EGV beschrieben ist, begann 1985. In diesem Jahr brachte Jacques Delors als Präsident der Europäischen Kommission die führenden Vertreter der drei Sozialpartner auf Schloß „Val Duchesse“ in der Nähe von Brüssel zusammen.55 Der Soziale Dialog fand Eingang in den EGV (durch die EEA) und hat zum Ziel, den zuvor üblichen informellen Konsultationen der Sozialpartner eine neue Dimension zu eröffnen und sie zu Beschlüssen auf Gemeinschaftsebene zur Erreichung der sozialen Ziele der Europäischen Gemeinschaft zu ermuntern. Dies gilt insbesondere bei der Erreichung einer wachstums- und beschäftigungsfördernden Politik in der Euro-Zone und in der Europäischen Gemeinschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, übernimmt Art. 138 EGV die Vorschrift des Art. 3 des Protokolls über die Sozialpolitik56 und ist im Zusammenhang mit Art. 139 EGV zu sehen, der Art. 4 des Sozialabkommens entspricht. Beide Artikel gehen 17. 12. 1970, und Beschluss des Rates vom 20. Januar 1975 zur Änderung des Beschlusses 70 / 532 / EWG zur Einsetzung des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG L 21 / 17 vom 28. 01. 1975. 53 Beschluss des Rates vom 9. März 1999 zur Reform des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen und zur Aufhebung des Beschlusses 70 / 532 / EWG (1999 / 207 / EG), ABl. EG L 72 / 33 vom 18. 03. 1999. 54 Beschluss des Rates vom 6. März 2003 zur Einrichtung eines Dreigliedrigen Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung, ABl. EU L 70 / 31 vom 14. 03. 2003. 55 Falkner, Gerda, Zwischen Recht und Vertrag: Innovative Regulierungsformen im EGArbeitsrecht, S. 69; vgl. dazu auch Knodt, Michèle, Regieren im erweiterten europäischen Mehrebenensystem, S. 174 f. 56 Vertrag über die Europäische Union – Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über Sozialpolitik, ABl. EG C 191 / 91 vom 29. Juli 1992.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
damit auf die bisherigen Erfahrungen mit dem Sozialen Dialog zurück, der mit der EEA in Art. 118b EWGV institutionalisiert wurde und in dem Abkommen über die Sozialpolitik erweitert worden war. Die Neuregelung des Sozialen Dialogs beruht auf einer Einigung der am Sozialen Dialog beteiligten Dachverbände der Europäischen Sozialpartner – EGB, UNICE und CEEP – vom 31. 10. 1991 und wurde fast wortgleich aus Art. 3 und 4 des Sozialabkommens übernommen. Rechtlich wurde dann in der 1987 in Kraft getretenen EEA von der Europäischen Kommission gefordert, den Sozialen Dialog zu entwickeln. Kernvorschrift war Art. 118b EWGV, der festlegte, dass „die Kommission sich darum bemüht, den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu entwickeln mit der Option auf vertraglich festgelegte Verhandlungen, wenn dies von ihnen gewünscht werde.“ Von 1985 bis 1992 trafen sich dann die Sozialpartner mehrfach, um gemeinsame Standpunkte auszuarbeiten, vor allem in Bezug auf die wirtschaftliche Situation der Gemeinschaft (1986 und 1987), die Ausbildung und Motivation und hinsichtlich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer (1987) und im selben Jahr eine dritte Stellungnahme zu den wesentlichen Optionen der Kooperationsstrategie für Wachstum und Beschäftigung. Weitere gemeinsame Stellungnahmen kamen 1990 / 91 zustande zu folgenden Themen: Schaffung eines europäischen Raums für berufliche und räumliche Mobilität und die Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes in Europa (13. Februar 1990). Allgemeine und berufliche Bildung von Erwachsenen (19. Juni 1990). Übergang von der Schule ins Erwachsenen- und Berufsleben (6. November 1990). Neue Technologien und die Arbeitsorganisation und die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes (10. Januar 1991) Modalitäten zur Förderung eines tatsächlichen und möglichst breiten Zugangs zur Ausbildung (20. September 1991).57
1991 wurde eine Ad-hoc-Gruppe ins Leben gerufen, die sich aus hohen Vertretern der Mitgliedsorganisationen der Sozialpartner zusammensetzte und der der Generaldirektor der Generaldirektion für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten vorstand. Sie hatte den Auftrag zu untersuchen, wie der Soziale Dialog sich in einem neuen institutionellen Rahmen des zukünftigen Vertrages der Union, der zum damaligen Zeitpunkt innerhalb einer Regierungskonferenz debattiert wurde, entwickeln könne. Die Ergebnisse der Gruppe führten am 31. Oktober 1991 zu einem Abkommen zwischen UNICE, EGB und CEEP, das eine obligatorische An57 Vgl. dazu Degimbe, Jean, Die Entwicklung des Europäischen Sozialen Dialogs, S. 1 ff.; die Stellungnahmen können im Internet abgefragt werden unter: http: //europa.eu.int/comm/ employment_social/dsw/dspSearch.do.
2. Sozialer Dialog
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hörung der Sozialpartner zu Kommissionsvorschlägen im Bereich soziale Angelegenheiten und die Möglichkeit von Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern vorsah, um zu Rahmenabkommen zu gelangen. Diese Vereinbarung wurde in das Abkommen über die Sozialpolitik (ASP)58 aufgenommen, das von allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs angenommen und als Anhang zum EGV in der Fassung von Maastricht hinzugefügt wurde und letztlich zu Art. 138 ff. EGV führte. Gemäß dieser Artikel werden die Sozialpartner fortan von der Europäischen Kommission angehört, wenn diese dem Europäischen Rat einen Vorschlag zu einer Gemeinschaftsrichtlinie im sozialen Bereich vorlegt. Weitere Gipfel am 3. Juli 1992 (Egmont III59) und am 28. September 1993 (Egmont IV) ermöglichten eine Bestandsaufnahme des Sozialen Dialogs und eine genauere Bestimmung der Schwerpunkte sowie die Reflexion über den Beitrag der Sozialpartner zum Erreichen eines engeren wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts. Wenn bei den europäischen Sozialpartnern der Wunsch besteht, so können sie Verhandlungen zu den ihnen zwecks Anhörung vorgelegten Bereichen beginnen. Kommt es zu einer Vereinbarung, wird diese von der Kommission als Text für die Richtlinie genommen, die dem Rat vorzulegen ist. Bislang waren drei Vereinbarungen dieses Typus Gegenstand von Gemeinschaftsrichtlinien: Elternurlaub60 Teilzeitarbeit 61 Befristete Arbeitsverträge.62
Außerdem haben die Sozialpartner Rahmenvereinbarungen über die Telearbeit63 und arbeitsbedingten Stress64 abgeschlossen mit dem Ziel, sich auf eine freiwillige 58 Vertrag über die Europäische Union – Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über Sozialpolitik. 59 Seit einem ersten Treffen am 12. Januar 1989 im Palais d’Egmont in Brüssel nach dem Sitzungsort „Egmont“ benannt. 60 Richtlinie 96 / 34 / EG vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, ABl. EG L 145 / 4 vom19. 06. 1996. 61 Richtlinie 97 / 81 / EG vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Vereinbarung über Teilzeitarbeit, ABl. EG L 14 / 9 vom 20. 01. 1998. 62 Richtlinie 1999 / 70 / EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, ABl. EG L 175 / 43 vom 10. 07. 1999. 63 Rahmenvereinbarung über Telearbeit vom 16. Juli 2002 im Internet unter: http: //www. europa.eu.int/comm/employment_social/news/2002/oct/teleworking_agreement_de.pdf. 64 Rahmenvereinbarung über Stress am Arbeitsplatz, im Internet unter: http: //europa.eu.int/comm/employment_social/news/2004/oct/stress_agreement_en.pdf.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Vereinbarung festzulegen, die nicht durch eine Gemeinschaftsrichtlinie umgesetzt wird, sondern deren Umsetzung durch die Mitgliedsorganisationen auf nationaler Ebene erfolgt. Der Soziale Dialog wurde durch das Maastrichter Sozialabkommen aus dem Jahr 1992 weiter entscheidend gestärkt und eröffnet den Sozialpartnern die Möglichkeit, den Inhalt der von der Europäischen Kommission initiierten Rechtsinstrumente in eigener Verantwortung auszuhandeln. Aus Anlass des Gipfels von Laeken im Jahr 2001 haben sich die Sozialpartner entschlossen, ihr Abkommen vom 31. Oktober 1991 unter dem Aspekt neuer Ideen zu betrachten, die im Bereich der Verwaltung vorgebracht wurden.65
c) Verfahren Es gibt verschiedene Arten von Aktivitäten, in denen sich die Sozialpartner auf der Ebene der Gemeinschaft einschalten: Die Dreierberatung66: Der Austausch der Standpunkte zwischen UNICE, EGB und CEEP und den europäischen Institutionen (Europäische Kommission, Europäischer Rat, Europäisches Parlament). Die Anhörung der Sozialpartner: Aktivitäten der beratenden Ausschüsse jedweder Art und Konsultation innerhalb der Art. 137, 138 und 139 EGV. Der Dialog: Der Dialog zwischen dem EGB einerseits und UNICE, UEAPME und CEEP andererseits.67 Seit 1997 werden die Sozialpartner von der jeweiligen Präsidentschaft des Europäischen Rates am Vorabend der Tagung zu Treffen mit der Troika eingeladen. Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Nizza68 sehen ein jährliches Treffen mit den Sozialpartnern vor der Frühjahrstagung des Rates vor. Solche Treffen haben z. B. im März 2001 in Stockholm, im Dezember 2001 in Laeken und im März 2002 in Barcelona stattgefunden. Nach dem Beschluss des Rates vom 6. März 2003 sind Teilnehmer des dreigliedrigen Sozialgipfels der amtierende Ratsvorsitz, die beiden anschließenden Ratsvorsitze, die Kommission und die Sozialpartner, die jeweils auf höchster Ebene vertreten werden.69 65 Vgl. dazu economiesuisse, Dossier – Sozialpolitik der Europäischen Union – Einführung und Übersicht zu aktuellen Themen, S. 9 ff. 66 Degimbe, Jean, Die Entwicklung des Europäischen Sozialen Dialogs, in: Flash EZA Nr. 9, 30. September 2002, S. 1 ff. 67 Degimbe, Jean, Die Entwicklung des Europäischen Sozialen Dialogs, in: Flash EZA Nr. 9, 30. September 2002, S. 1 ff. 68 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat – Nizza, 07.-10. Dezember 2000. 69 Beschluss des Rates vom 6. März 2003 zur Einrichtung eines Dreigliedrigen Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung, ABl. EU L 70 / 31 vom 14. 03. 2003; vgl. dazu Kom-
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Der Soziale Dialog ist Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips und der Erkenntnis, dass Sozialpolitik auch auf Gemeinschaftsebene nicht allein vom Gesetzgeber gestaltet werden kann. Die Vorschriften begründen einen europäischen Verhandlungsund Tarifraum und tragen den veränderten Rahmenbedingungen einer WWU70 Rechnung, die die Tarifpolitik vor Aufgaben stellt, die sie national nicht mehr hinreichend lösen kann. Abs. 1 des Art. 138 EGV begründet einen Rechtsanspruch der Sozialpartner auf Anhörung und macht die Forderung des sozialen Dialogs zu einer Aufgabe der Europäischen Kommission, indem sie diese verpflichtet, alle zweckdienlichen Maßnahmen zur Erleichterung des Dialogs zwischen den Sozialpartnern zu erlassen. Aus der Anerkennung der Sozialpartner als Akteure auf der europäischen Ebene ist die Europäische Gemeinschaft verpflichtet, den Sozialpartnern zu diesem Zweck ein funktionsfähiges Instrumentarium zur Verfügung zu stellen. Abs. 2 und 4 des Art. 138 EGV sehen ein mehrstufiges Konsultationsverfahren vor, welches bislang auf der Grundlage der erwähnten Mitteilung der Kommission vom 14. 12. 1993 über die „Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik“ erfolgte. Hieran will die Europäische Kommission entsprechend ihrer Mitteilung zur „Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene“ 71 im Prinzip auch weiterhin festhalten. Auf der Grundlage ihres Beschlusses vom 20. 05. 1998 über die Einsetzung von Ausschüssen für den sektoralen Dialog zur Förderung des Dialogs zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene72 hat die Europäische Kommission den sektoralen Dialog gestärkt und die vorhandenen Strukturen auf sektoraler Ebene durch neue flexiblere Gremien des Sozialen Dialogs ersetzt. Erstmals 1998 haben die Sozialpartner des Seeverkehrssektors auf europäischer Ebene eine Vereinbarung über die Arbeitszeit getroffen73. mission der Europäischen Gemeinschaften, „Der europäische soziale Dialog, Determinante für Modernisierung und Wandel“ und Beschluss des Rates vom 06. März 2003 „zur Einrichtung eines Dreigliedrigen Sozialgipfels für Wachstum und Beschäftigung“, ABl. EU 70 / 31 vom 14. 03. 2003. 70 Wirtschafts- und Währungsunion. 71 Mitteilung der Kommission, Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene, KOM (98) 322, vom 20. 05. 1998. 72 Europäische Kommission, Beschluss der Kommission vom 20. Mai 1998 über die Einsetzung von Ausschüssen für den sektoralen Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene (98 / 500 / EWG), ABl. EG L 225 / 27 vom 12. 08. 1998; und von der Groeben, Hans / von Boeckh, Hans, Handbuch des europäischen Rechts, I A 56 / 1.17. 73 Europäische Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten, im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/employment_social/social_dialogue/docs/093_19980 930_transp_sea_de.pdf; Richtlinie 1999/63/EG des Rates vom 21. Juni 1999 zu der vom Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (European Community Shipowners’ Association ECSA) und dem Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (Federation of Transport Workers’ Unions in the European Union FST) getroffenen Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten – Anhang: Europäische Verein-
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Zur Stärkung des Sozialen Dialogs passt die Europäische Kommission die Liste der anzuhörenden Organisationen mit einem Verzeichnis der bisher auf der Grundlage von Art. 3 des Sozialabkommens angehörten europäischen Organisationen der Sozialpartner an, um dem Sozialen Dialog eine größere Repräsentativität zu geben. Abs. 4 des Art. 138 EGV legt fest, dass die gem. Abs. 2 und 3 konsultierten Sozialpartner die Kommission während des Anhörungsverfahrens darüber unterrichten können, dass sie in einen Verhandlungsprozess eintreten möchten. Es liegt danach ausschließlich bei den Sozialpartnern, ob Verhandlungen eröffnet werden. Der Verhandlungsprozess basiert auf den Grundsätzen der Autonomie und der gegenseitigen Anerkennung der Verhandlungspartner. Auch wenn der Repräsentativität der beteiligten Sozialpartnerorganisationen eine Schlüsselfunktion für den Erfolg des Sozialen Dialogs zukommt, da nur eine ausgewogene Teilnehmerstruktur auf Dauer die Legitimität von Vereinbarungen der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene und die Akzeptanz bei den betroffenen Bürgern sicherstellen kann, ist die Europäische Kommission jedoch zu Recht der Ansicht, dass sie nicht in die freie Wahl der Verhandlungspartner eingreifen kann.74 Einen Rechtsanspruch auf Teilnahme an dieser Verhandlung kann es deshalb nicht geben.75 Ziel des Sozialen Dialogs nach Art. 139 EGV ist die Entwicklung einer Verhandlungsstruktur zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft, die zu gemeinsamen Absprachen, Zielen und Verpflichtungen führt. Dazu schafft die Vorschrift einen Verhandlungsraum, in dem europäische sozialpolitische Bestimmungen im Rahmen von Verhandlungen ausgearbeitet werden können. Danach soll der Dialog „zwischen den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene, wenn sie dies wünschen, zur Herstellung vertraglicher Beziehungen einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen“ führen können. Die Handlungsautonomie, die die Sozialpartner in den Mitgliedstaaten aufgrund der Koalitionsfreiheit und der Tarifautonomie besitzen, wird danach nicht eingeschränkt, da „vertragliche Beziehungen“ und „Vereinbarungen“ nur dann das Ergebnis des sozialen Dialogs sind, wenn die Sozialpartner dies für wünschenswert halten. Die Sozialpartner haben damit die Möglichkeit zu verhindern, dass die Europäische Gemeinschaft von ihren sozialpolitischen Kompetenzen Gebrauch macht und in Bereichen interveniert, die auf nationaler Ebene zum Teil der Tarifautonomie unterliegen. Nach Art. 139 Abs. 2 EGV können die Vereinbarungen im Sinne des Abs. 1 nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Nach der Erklärung 27 der Regierungskonferenz barung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten, ABl. EG L 167 / 33 vom 02. 07. 1999. 74 Mitteilung der Kommission, Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene, KOM (98) 322, vom 20. 05. 1998. 75 Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 138 EGV Rdnr. 11.
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von Amsterdam zu dieser Vorschrift verpflichtet diese die Mitgliedstaaten weder, diese Vereinbarungen unmittelbar anzuwenden oder diesbezügliche Umsetzungsregeln zu erarbeiten, noch zur Erleichterung ihrer Anwendung die geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu ändern. In den durch Art. 137 EGV erfassten Bereichen können die Sozialpartner aber auch gemeinsam beantragen, dass ihre Vereinbarungen auf Vorschlag der Europäischen Kommission „durch einen Beschluss des Rates“ durchgeführt werden. Diese Durchführung der Vereinbarung auf Gemeinschaftsebene durch Ratsbeschluss führt zur Setzung von Gemeinschaftsrecht, an dem eine Mitwirkung des Europäischen Parlaments nicht vorgesehen ist. Die Wahrung des demokratischen Prinzips, auf dem die Europäische Union beruht, macht es erforderlich, dass die Beteiligung der Völker an diesem Verfahren auf andere Weise sichergestellt wird, im Rahmen des Sozialen Dialogs durch Vermittlung der Sozialpartner, die die Vereinbarung geschlossen haben, der der Rat durch einen mit qualifizierter Mehrheit gefassten Beschluss eine legislative Grundlage auf Gemeinschaftsebene verleiht. Um die Einhaltung dieses Erfordernisses zu kontrollieren, haben Europäische Kommission und Rat die Repräsentativität der betreffenden Sozialpartner zu überprüfen. Diese Repräsentativität setzt sich entsprechend der Mitteilung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 199376 aus drei Kriterien zusammen: Die Organisationen sollen sektor- oder berufsspezifisch sein und über eine Struktur auf europäischer Ebene verfügen. Sie sollen aus Verbänden bestehen, die vollständig in die Strukturen der Sozialpartner eingebunden und zur Aushandlung von Abkommen befugt sind, außerdem sollten sie in mehreren Mitgliedstaaten repräsentativ sein. Sie sollten über angemessene Strukturen verfügen, um wirksam am Anhörungsprozess teilnehmen zu können.
Zur Sicherstellung der Wahrung dieser Repräsentativität gibt die Europäische Kommission regelmäßig Studien in Auftrag.77 Die letzte Studie aus dem Jahr 200478 befaßte sich mit der Repräsentativität der Sozialpartner in den Beitritts76 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik, KOM (93) 600 endg. vom 14. Dezember 1993, S. 19 (engl. Fassung). 77 Mitteilung der Europäischen Kommission, Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene, KOM (1998) 322 vom 20. 05. 1998, S. 4. Die Ergebnisse der Studien können eingesehen werden im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/ employment_social/social_dialogue/docs/report_de.pdf; Université Catholique de Louvain, Institut für Arbeitswissenschaft, Bericht über die Repräsentativität der Verbände der Europäischen Sozialpartner. 78 Université Catholique de Louvain, Institut des Sciences du Travail, Monografien über die Situation der Sozialpartner in den beitretenden -und den Kandidatenländern.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
und Kandidatenländern. Unabhängig von den Teilnehmern am Sozialen Dialog stellt sich die Frage, ob die Sozialpartner die Repräsentativität für gemeinschaftliche Sozialbestimmungen haben, wenn sich der Trend fortsetzt, wonach der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder unter den Arbeitnehmern nach dem Weltarbeitsbericht 1997 / 98 in den letzten zehn Jahren in Westeuropa dramatisch zurückgegangen ist und in einigen Mitgliedstaaten, wie z. B. Frankreich, nur noch weniger als 10 % der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind.79 Wenn ein Abkommen auf dem Gesetzgebungsweg vom Rat für verbindlich erklärt wurde, ohne dass in Anbetracht der Reichweite der Vereinbarung eine ausreichende Repräsentativität der Unterzeichnerparteien gegeben war, so kann der Rechtsakt des Rates von den Sozialpartnern, die am Abschluss der betreffenden Vereinbarung nicht beteiligt waren, und deren eigene Repräsentativität im Hinblick auf den Inhalt der Vereinbarung zur Herstellung der Gesamtrepräsentativität notwendig ist, mit der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGV angegriffen werden. So hat die UEAPME bereits ein Verfahren vor dem Gericht erster Instanz angestrengt,80 in dem sie die Repräsentativität der beteiligten Sozialpartner anzweifelt und ihr Recht an der Teilnahme an den Verhandlungen über die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub reklamiert. Das Gericht hat die Klage aber u. a. deshalb als unzulässig betrachtet, weil die Europäische Kommission und der Rat in dem streitigen Fall zu Recht von der vorhandenen Repräsentativität der beteiligten Parteien ausgehen konnten. Neben der Repräsentativität und dem Mandat nimmt die Europäische Kommission für sich das Recht in Anspruch, die Rechtmäßigkeit jeder einzelnen Klausel des Verhandlungsergebnisses nach Gemeinschaftsrecht und der nach Art. 137 Abs. 2 lit. b) EGV gebotenen Berücksichtigung der Belange der kleinen und mittleren Unternehmen zu prüfen. Der Rat ist bei seiner Beschlussfassung an das Gemeinschaftsrecht gebunden und muss deshalb im Rahmen seiner Entscheidung prüfen, ob es sich bei der Vereinbarung um eine Angelegenheit im sachlichen Geltungsbereich des Art. 137 EGV handelt und das Subsidiaritätsprinzip gewahrt ist. Der Rat ist nicht befugt, den zwischen den Parteien vereinbarten Wortlaut zu ändern.81 Es bleibt dem Rat 79 So lag der Mitgliederverlust der acht DGB-Gewerkschaften im vergangenen Jahr beispielsweise zwischen 1,9 % bei der Gewerkschaft der Polizei und 7,9 % bei der IG BAU. Überproportional starke Verluste mussten die Gewerkschaften in den Branchen hinnehmen, in denen verstärkt Arbeitsplätze abgebaut wurden. Das gilt neben dem Bausektor zum Beispiel für die Druckindustrie und den öffentlichen Dienst, für den Einzelhandel und die Brauereien. Quelle: einblick.dgb.de, im Internet einschließlich entsprechender grafischer Darstellung unter: http: //www.einblick.dgb.de/grafiken/2005/05/grafik04/; vgl. dazu auch Funk, Lothar, Der neue Strukturwandel: Herausforderung und Chance für die Gewerkschaften, S. 17 f. 80 Urteil des Gerichts Erster Instanz vom 17. Juni 1998, Rs. T-135 / 96, Union Européenne de l’artisanat et des petites et moyennes entreprises (UEAPME) / Rat der Europäischen Union, Slg. 1998, S. II-2335, Rdnr. 3 und 4.
2. Sozialer Dialog
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jedoch unbenommen, den Sozialpartnern Gelegenheit zur Änderung ihrer Vereinbarung zu geben, sofern er nur unter diesen Umständen zur Beschlussfassung bereit ist. Hinsichtlich der Handlungsform und des Entscheidungsverfahrens besteht Unklarheit. Die Verwendung des Wortes „Beschluss“ könnte dafür sprechen, dass die Handlungsformen der Verordnung und der Richtlinie ausgeschlossen sein sollen. Demgegenüber hat der Rat jedoch die bisherigen Vereinbarungen der Sozialpartner auf sektorübergreifender Ebene wie z. B. über den Elternurlaub82 und zur Teilzeit83 durch eine Richtlinie angenommen. Zur Begründung hat er dabei lediglich darauf verwiesen, dass der geeignete Rechtsakt zur Durchführung der jeweiligen Rahmenvereinbarung eine Richtlinie im Sinne von Art. 249 EGV sei.84 Viel könnte daher – insbesondere unter Berücksichtung der gängigen Praxis – für die Ansicht sprechen, dass der Rat die Rechtsform wählen kann, die dem Inhalt der Vereinbarung angemessen ist. Zur Beschlussfassung verweist Art. 139 Abs. 2 S. 2 EGV auf die beiden von Art. 137 EGV erfassten Abstimmungsbereiche, nicht jedoch auf die unterschiedlichen Beschlussverfahren nach Art. 137 Abs. 2 und 3 EGV. Eine Beteiligung des Europäischen Parlaments oder des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ist damit weiterhin, wie bereits in Art. 4 Abs. 2 des Sozialabkommens, nicht ausdrücklich vorgesehen.85 Die Ansicht von Schulz86, wonach es sich hier um ein redaktionelles Versehen handelt, da es nicht gewollt sein könne, dass der Rat im Sozialrecht im Bereich der qualifizierten Mehrheit außerhalb des Verfahrens des Art. 252 EGV beschließe, was zu einer Beschränkung der Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses führe, ist mit dem Wortlaut kaum zu vereinbaren. Soweit diese Auffassung zu Art. 4 des Sozialabkommens zutreffend gewesen sein mag, spricht jedoch vieles dafür, dass für ein Redak81 So Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 139 EGV Rdnr. 5; vgl. dazu Lößl, Jörg Johannes, Die rechtlichen Möglichkeiten des Sozialen Dialogs auf europäischer Ebene, S. 190 ff. m. zahlreichen weiteren Nachweisen, der im Ergebnis auch ein Änderungsrecht des Rates ablehnt. 82 Richtlinie 96 / 34 / EG vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, ABl. EG L 145 / 4 vom 19. 06. 1996. 83 Richtlinie 97 / 81 / EG vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Vereinbarung über Teilzeitarbeit, ABl. EG L 14 / 9 vom 20. 01. 1998. 84 Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 139 EGV Rdnr. 6. 85 Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 139 EGV Rdnr. 7. 86 Zitiert nach Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 139 EGV Rdnr. 7.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
tionsversehen keine Anhaltspunkte bestehen, da der Vertrag von Amsterdam dies nicht korrigiert hat. Unabhängig davon will die Europäische Kommission das Europäische Parlament jedoch weiterhin über die Einleitung von Anhörungen und die Eröffnung sowie die Beendigung von Verhandlungen gem. Art. 138 EGV unterrichten und das Europäische Parlament informieren, sobald die Sozialpartner die Europäische Kommission bitten, einen Vorschlag für eine Rechtsvorschrift zur Umsetzung einer Vereinbarung nach Art. 139 Abs. 2 EGV aufzusetzen, um ihnen die Möglichkeit einer rechtzeitigen Stellungnahme zu dem Vorschlag zu geben, bevor der Rat einen Beschluss fasst. Eine interinstitutionelle Vereinbarung mit der Festschreibung einer Beteiligung des Europäischen Parlaments bei Rechtsakten, die auf Sozialpartnervereinbarungen basieren, wäre nach Coen demgegenüber vertragswidrig.87 d) Bewertung Trotz der Fortschritte des Sozialen Dialogs ist festzustellen, dass dieser bisher lediglich ein Dialog und kein Steuerungsinstrument ist.88 Ein Instrument, das es ermöglicht, über Verhandlungen die sozialen Auswirkungen des Binnenmarktes und der WWU zu behandeln, vorauszusehen und zu beherrschen, kann der Soziale Dialog erst dann sein, wenn er zu echten Verpflichtungen der Sozialpartner über Rahmenabkommen führt, die allgemeine Prinzipien und Orientierungen festlegen, die auch von den nationalen Mitgliedsorganisationen der Europäischen Sozialpartner umgesetzt werden und so zu einem Raum „Europäischer Arbeits- und Sozialbeziehungen“ führen. Dazu fehlen jedoch bisher die Voraussetzungen. Dies gilt in besonderem Maße für den sektoralen Dialog, wo die Unterschiedlichkeit der Systeme industrieller Beziehungen89 in den Mitgliedstaaten noch immer so groß ist, dass bisher auf europäischer Ebene nur sehr langsam Strukturen entstehen, die gemeinsames Handeln ermöglichen.90 Solche Strukturen verbieten auch Vetorechte der Mitgliedsorganisationen der Sozialpartner, die jedoch überwiegend in den Satzungen der Sozialpartner noch vorgesehen sind.91 87 Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 139 EGV Rdnr. 8. 88 Thüsing, Rolf, Der soziale Dialog als Element eines einheitlichen Sozialraumes Europa – Die Sicht der Arbeitgeber, S. 108. 89 Vgl. zum industriellen Wandel Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Sozialer Dialog und industrieller Wandel, CESE 1073 / 05, Brüssel, den 28. / 29. September 2005. 90 Vgl. dazu Europäische Kommission, Der europäische soziale Dialog auf sektoraler Ebene, 2003. 91 Coen, Martin, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 139 EGV Rdnr. 9.
2. Sozialer Dialog
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Mit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam wurden Vorschläge für Rechtsvorschriften auf sozialpolitischem Gebiet allen Mitgliedstaaten zugestellt und dem zweistufigen Konsultationsverfahren unterworfen, wobei die Europäische Kommission die Möglichkeit hat, das Rechtsetzungsverfahren auszusetzen, falls die Sozialpartner ihre Absicht kundtun, Verhandlungen zu eröffnen.92 Die Europäische Kommission kann nicht in die Verhandlungen eingreifen. Es obliegt den Sozialpartnern zu einem Abschluß der Verhandlungen zu kommen. Damit kann festgestellt werden, dass der Soziale Dialog im Kontext des „Europäischen Sozialmodells“ eine zweifache Funktion hat. Zum einen kann er – wie im Fall des Elternurlaubs – zu Ergebnissen führen, wenn die Europäische Kommission an ihre Grenzen, beziehungsweise an die Grenze der Kooperation seitens der Mitgliedstaaten stößt. Zum anderen kann er selbst Anstöße zur Weiterentwicklung des Europäischen Sozialmodells geben und diese umsetzen. Kritisch zu sehen ist dabei allerdings die Tatsache, dass „gegen die Mitgliedstaaten“ eine Einigung zustande kommen kann. Beim Elternurlaub war der Kommissionsvorschlag immer wieder am Veto einiger Mitgliedstaaten gescheitert93. Zudem kann er immer nur in Einzelbereichen das „Europäische Sozialmodell“ weiterbringen. Als eines der Instrumente des „Europäischen Sozialmodells“ ist er geeignet, die europäische Sozialpolitik zu unterstützen, insbesondere, da er die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter – einflussreiche Interessenvertreter, sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene – einbezieht. In seiner Gesamtschau kann er das „Europäische Sozialmodell“ nicht entscheidend bestimmen, da er zu begrenzt ist, sowohl hinsichtlich der teilnehmenden Parteien als auch hinsichtlich seiner Regelungsinhalte.
92 Mitteilung der Kommission, Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene, KOM (98) 322, 20. 05. 1998, S. 13. 93 Der erste Kommissionsvorschlag zum Elternurlaub stammt aus dem Jahr 1983 (COM [83] 686 fin. vom 22. 11. 1983, ABl. EG C 333 / 6 vom 09. 12. 1983), scheiterte aber wiederholt am Veto der Mitgliedstaaten, insbesondere Großbritanniens, ausführlich dazu Falkner, Gerda / Hartlapp, Miriam / Leiber, Simone / Treib, Oliver, Transforming Social Policy in Europe?.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
3. Sozialpolitische Agenda 13. THESE: Die Sozialpolitische Agenda ist ein Fahrplan, dem es letztlich an Zielgenauigkeit und Verbindlichkeit fehlt, um zum „Europäischen Sozialmodell“ beitragen zu können.
a) Begriff Die Sozialpolitische Agenda94 ist ein mehrjähriges Arbeitsprogramm, das von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union erstmals im Dezember 2000 während des Europäischen Gipfels von Nizza für den Zeitraum 2000 – 2005 in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Lissabon95 verabschiedet wurde. Sie wird auch bezeichnet als „Fahrplan der Europäischen Union für die Modernisierung und Verbesserung des europäischen Sozialmodells“.96 Der sozialpolitischen Agenda liegen drei wesentliche Prinzipien zugrunde: Die Sozialpolitik ist sowohl für das wirtschaftliche als auch das soziale Wohlbefinden von zentraler Bedeutung. Die Verbesserung des Lebensstandards aller Bürger stellt ein wesentliches Ziel der EU dar. Die Qualität der Beschäftigung, die Sozialausgaben sowie die Arbeitgeber – Arbeitnehmerbeziehungen sind von entscheidender Wichtigkeit.
Dabei soll das Leitprinzip der neuen sozialpolitischen Agenda „. . . darin bestehen, dass die Rolle der Sozialpolitik als produktiver Faktor verstärkt wird.“97 Durch über 70 konkrete Zielsetzungen in 11 Bereichen wollte die Agenda das Beschäftigungsniveau anheben, die Arbeitsmärkte modernisieren, einen aktiven und modernen Wohlfahrtsstaat aufbauen und dabei sicherstellen, dass wirtschaftliches Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Europa weiterhin Hand in Hand mit sozialem Zusammenhalt, Solidarität und Gerechtigkeit gehen. 94 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2000) 379 endg. vom 28. 06. 2000; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umsetzung der Sozialpolitischen Agenda – Übersichtstabelle, KOM (2001) 104 endg. vom 22. 02. 2001. 95 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000. 96 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2000) 379 endg. vom 28. 06. 2000, S. 2 und 5; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umsetzung der Sozialpolitischen Agenda – Übersicht, KOM (2004) 137 endg. vom 01. 03. 2004, S. 3. 97 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2000) 379 endg. vom 28. 06. 2000, S. 6.
3. Sozialpolitische Agenda
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b) Inhalte und Verfahren Zur Umsetzung der Agenda in konkrete politische Maßnahmen sollte das gesamte Spektrum der verfügbaren Werkzeuge und Instrumente genutzt werden, so z. B.: die Offene Methode der Koordinierung, Abstimmung der nationalen Politiken auf die gemeinsam vereinbarten Zielsetzungen (einschließlich der Bereiche neue Arbeitsplätze und Verhinderung der sozialen Ausgrenzung), Förderung des sozialen Dialogs zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern (lebenslanges Lernen und e-Wirtschaft), Verwendung von Aktionsprogrammen und Fonds, wie den Europäischen Sozialfonds, und gegebenenfalls Vorschläge für europaweit geltende Rechtsvorschriften. „Die Sozialpolitische Agenda stellt einen großen Schritt hin zur Stärkung und Modernisierung des europäischen Gesellschaftsmodells dar“98, das mit ihrer Hilfe modernisiert werden sollte. Ihre wichtigsten Kapitel lauteten: Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen Vorwegnahme und Nutzung des Wandels im Arbeitsumfeld mit Hilfe einer besseren Ausgewogenheit von Flexibilität und Sicherheit Bekämpfung der Armut und jeglicher Form von Ausgrenzung und Diskriminierung zur Förderung der sozialen Eingliederung Modernisierung des Sozialschutzes Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen Stärkung der sozialpolitischen Aspekte der Erweiterung und der Außenbeziehungen der Europäischen Union.
In den regelmäßigen Bilanzen99 und der Halbzeitüberprüfung100 findet sich eine Bestandsaufnahme der erreichten Fortschritte, verbunden mit einem Blick auf die Bereiche, in denen noch stärkere Anstrengungen unternommen werden müssen. In ihrer Fortschreibung hat die Kommission im Februar 2005 die „Sozialpolitische Agenda“ für den Zeitraum 2005 – 2010 veröffentlicht.101 Die neue sozialpolitische Agenda basiert auf den beiden Hauptprioritäten „Beschäftigung“ und „Bekämpfung der Armut und Förderung der Chancengleichheit“. 98 Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme des WSA zum Thema „Lissabon: Erneuerung der Vision?“, ABl. EG C 61 / 148, vom 14. 03. 2003. 99 So z. B. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umsetzung der sozialpolitischen Agenda – eine Bilanz, KOM (2003) 57 endg. vom 06. 02. 2003. 100 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Halbzeitüberprüfung der sozialpolitischen Agenda, KOM (2003) 312 endg. vom 02. 06. 2003. 101 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2005) 33 endg. vom 09. 02. 2005; siehe dazu auch Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Sozialpolitische Agenda, CESE 846 / 2005, Brüssel, 13. / 14. Juli 2005 und Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission – Sozialpolitische Agenda“, ABl. EU C 294 / 14 vom 25. 11. 2005.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Dabei konzentriert sie sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und gleicher Chancen für alle und soll gewährleisten, dass die Vorteile der Wachstums- und Arbeitsplatzinitiative der Europäischen Union allen Mitgliedern der Gesellschaft zugute kommen. Sie zielt wiederum, oder immer noch, darauf ab, das Sozialmodell als wesentliches Instrument zur Flankierung der Maßnahmen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze zu erhalten und zu modernisieren, zeichnet den Weg zur Reform der Arbeitsmärkte vor und beschreibt Wege zur Modernisierung der Sozialsysteme und zur Bekämpfung der Armut. Hinsichtlich der Priorität „Beschäftigung“ wird sich die Agenda auf folgende Maßnahmen konzentrieren: Schaffung eines europäischen Arbeitsmarkts (z. B. dadurch, dass Arbeitnehmern die Mitnahme ihrer originären Renten- und Sozialversicherungsansprüche ermöglicht wird, wenn sie eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat aufnehmen). Schaffung zusätzlicher und besserer Arbeitsplätze. Aktualisierung des Arbeitsrechts und Ausarbeitung einer neuen Arbeitsschutzstrategie. Bewältigung der arbeitsmarktpolitischen Umstrukturierungsprozesse durch sozialen Dialog.
Hinsichtlich der Priorität „Armut und Chancengleichheit“ wird vorgeschlagen: Analyse der sich aus der Alterung der Bevölkerung ergebenden Folgen. Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Reform ihrer Renten- und Gesundheitssysteme sowie bei der Bekämpfung von Armut. Bekämpfung von Diskriminierung und Ungleichheit und Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern. Klarstellung der Rolle und Merkmale von Sozialdienstleistungen im allgemeinen Interesse.
Die Instrumente zur Umsetzung sind fast unverändert, neu ist lediglich der Ansatz eines „mainstreaming“ der Sozialpolitik in alle anderen Politikbereiche. 102 c) Bewertung Das Beispiel der Sozialagenda zeigt zum einen, dass der Schwerpunkt einmal mehr auf arbeitsmarktpolitische Ziele ausgerichtet und damit stark wirtschaftlich geprägt ist. 102 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2005) 33 endg. vom 09. 02. 2005, S. 4; vgl. dazu auch Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission – Sozialpolitische Agenda“, ABl. EU C 294 / 14 vom 25. 11. 2005.
4. Offene Methode der Koordinierung
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Zum anderen wird die fehlende Koordinierung in der Sozialpolitik deutlich. EBS103, Lissabon-Strategie und die Sozialagenda verfolgen alle ähnliche Ziele. Statt sie aber zu koordinieren, werden sie in unterschiedlichen Dokumenten angesprochen, die aufeinander Bezug nehmen, aber nicht wirklich abgestimmt sind und sich teils überschneiden. Ausgangspunkt war die Europäische Beschäftigungsstrategie. Sie ist das wesentliche Instrument zur Koordinierung der beschäftigungspolitischen Prioritäten der Mitgliedstaaten, die in den Art. 125 ff. EGV festgeschrieben sind mit dem Ziel, im Rahmen einer abgestimmten europäischen Gesamtstrategie (Lissabon-Prozess) bis zum Jahr 2010 Vollbeschäftigung in Europa zu erreichen. Der politische Gesamtrahmen von Lissabon wiederum war das Fundament der sozialpolitischen Agenda, wie sie von der Europäischen Kommission im Juni 2000 initiiert wurde. Rechtlich stellt die Agenda lediglich eine politische Absichtserklärung ohne rechtlich verpflichtende Wirkung dar, da die Realisierung der einzelnen Teile der Strategie im Einzelfall von der vorhandenen Kompetenz bzw. Ermächtigungsgrundlage und der zu erreichenden Mehrheit im Europäischen Parlament und im Rat, die für die Verabschiedung von Rechtsakten jeweils erforderlich ist, abhängt.104 Dies wird auch dadurch deutlich, dass sie in Form einer „Mitteilung“ veröffentlicht wird, einem unverbindlichen Instrument, das im Vertragswerk nicht ausdrücklich vorgesehen ist und keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfaltet. Als „sozialpolitischer Fahrplan“ ist die Sozialagenda ein guter Ansatz zur Zielbestimmung einer europäischen Sozialpolitik. Ihr wiederum begrenzter inhaltlicher Ansatz und ihre mangelnde Verbindlichkeit lassen sie aber ebenso wie die anderen bislang beschriebenen Instrumente als nicht geeignet erscheinen zur Gestaltung des „Europäischen Sozialmodells“.
4. Offene Methode der Koordinierung 14. THESE: Die Offene Methode der Koordinierung führt zu keiner klaren Kompetenzabgrenzung im Rahmen des „Europäischen Sozialmodells“ und läuft einer systematischen Zuordnung demokratischer Verantwortlichkeit in Europa zuwider.
a) Einleitung Die Offene Methode der Koordinierung105 ist ein Mittel für die Verbreitung der bewährten Praktiken und die Herstellung einer größeren Konvergenz in Bezug auf Europäische Beschäftigungsstrategie, dazu im einzelnen unter VII.5. Vgl. dazu auch Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 11 Rdnr. 13; vgl. dazu auch Balze, Wolfgang, Die sozialpolitischen Kompetenzen der Europäischen Union, S. 53. 103 104
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
die wichtigsten Ziele der EU.106 Sie kombiniert Elemente zentraler Steuerung mit einer dezentralen Umsetzung und nationalstaatlicher Verantwortlichkeit.107 Ziel der Offenen Methode der Koordinierung ist ein Lernprozess in Form der freiwilligen Kooperation und der Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in verschiedenen Bereichen (u. a. in der sozialen Sicherheit, bei den Renten108 und in der Beschäftigungspolitik), um den Staaten eine Hilfe bei der schrittweisen Entwicklung ihrer nationalen Politiken zu geben. Die OMK ist ein Prozess, in dem gemeinsame Ziele bzw. Leitlinien auf EU-Ebene vereinbart werden. Mittels vereinbarter Indikatoren, die vom Rat festgelegt werden, werden die Zielerreichung in den Mitgliedstaaten gemessen sowie bewährte Praktiken identifiziert und Leitlinien national umgesetzt. Dabei bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, wie sie die Ziele / Leitlinien national umsetzen. „Es werden keine rechtlich verbindlichen Entscheidungen getroffen und es wird keine ,Vergemeinschaftung‘ von bestimmten Politikbereichen vorgenommen.“ 109 Der belgische Minister für soziale Fragen und Pensionen, Vandenbroucke, definierte die OMK wie folgt: „a mutual feedback process of planning, examination, comparison and adjustment of the policies of [EU] member states, all this on the basis of common objectives“.110 Daneben besteht die im EG-Vertrag vorgesehene Koordinierung der Sozialschutzsysteme. 105 Künftig durchgängig abgekürzt OMK (es finden sich in der Literatur andere Abkürzungen, z. B. MOK = Methode der offenen Koordinierung). 106 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000, Erklärung 37; vgl. zu den Ursprüngen der OMK auch Pochet, Philippe, Méthode ouverte de coordination et modèle social européen, S. 2; vgl. dazu ferner Bützow Mogensen, Ulrik, Managing thin air – EU’s Lisbon strategy: Benchmarking, targets and the open method of coordination, S. 38 f.; Marlier, Eric / Berghman, Jos, Open Coordination at EU level in the field of Social Protection and Social Inclusion. Streamlining without diluting, S. 3 f.; Sakellaropoulos, Theodoros, The open method of coordination: a sound instrument for the modernization of the European social model, S. 55; Falkner, Gerda, Zwischen Gestaltungslücke und integrativen Kooperationseffekten: Wohlfahrtsstaat und Integration aus Sicht des historischen Institutionalismus, S. 13 ff. 107 Kaelble, Hartmut / Schmid, Günther (Hrsg.), Das europäische Sozialmodell, S. 23; vgl. dazu auch Knodt, Michèle, Regieren im erweiterten europäischen Mehrebenensystem, S. 190 ff. 108 Stevens, Yves, Developing common definitions on European pensions’ policy, S. 93 ff.; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entwurf zum Gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates über angemessene und nachhaltige Renten, KOM (2002) 737 endg. vom 17. 12. 2002. 109 Lang, Joachim / Bergfeld, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, in: EuR 2005, S. 381. 110 Asbeek Brusse, Wendy / Hemerijk, Anton, Deepening Social Europe in an Enlarged Union, S. 122.
4. Offene Methode der Koordinierung
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Die noch immer bestehende Diversität der Sozialschutzsysteme in den EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass die Zugehörigkeit der heute 27 Mitgliedstaaten zu einem Staatenverbund bislang zu keiner durchgreifenden Angleichung der nationalen Sozialschutzsysteme geführt hat. Zumindest kann man aber eine „de-facto-Annäherung“ erkennen, d. h. eine Tendenz hin zu einer sozialen Konvergenz, die seit Anfang der 90er Jahre durch eine (rechtlich unverbindliche) Politik der Konvergenz und jüngst – seit Lissabon 2000 – mit der Offenen Methode der Koordinierung als neuer sozialpolitischer Strategie im Bereich des Sozialschutzes fortentwickelt wurde.111 Ein Vergleich der Koordinierungsformen im Bereich der sozialen Sicherheit macht den Unterschied deutlich zwischen der Koordinierung durch die VOen 1408 / 71, 574 / 72 EWG und der Koordinierung auf der Grundlage der Offenen Methode der Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit. Schaubild 7 Vergleich der Koordinierungsformen im Bereich der sozialen Sicherheit nach Reker112: Offene Methode der Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit
Ziele
Wesen Grundlagen
Prinzipien
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit durch EWG-VO Nr. 1408 / 71 und Nr. 574 / 72 Erleichterung der Konvergenz (frei- Beseitigung der Hindernisse für die willige Annäherung) der nationalen Freizügigkeit der Arbeitnehmer auf Sozialschutzsysteme hinsichtlich dem Gebiet der sozialen Sicherheit der wichtigen Ziele der EU Förderung der Zusammenarbeit und des Austausches bewährter Verfahren Hilfen bei der Entwicklung der nationalen Politiken Politische Koordinierung Rechtliche Koordinierung Schlussfolgerungen des Rates der Eu- Art. 42 EG-Vertrag (EGV) und seine Umsetzung durch die EWG-VO ropäischen Union von Lissabon im März 2000 und von Göteborg im Juni Nr. 1408 / 71 und 574 / 72, Gesetz2001113, neues ergänzendes EU-Poli- gebung nach Art. 251 EGV tikinstrument Freiwillige Kooperation der EU Subsidiaritätsprinzip Mitgliedstaaten Gleichbehandlung Wahrung des Subsidiaritätsprinzips Wahrung erworbener Ansprüche und Anwartschaften
111 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 78; vgl. dazu Bauer, Michael, W. / Knöll, Ralf, Die Methode der offenen Koordinierung: Zukunft europäischer Politikgestaltung oder schleichende Zentralisierung?, S. 33 ff. 112 Reker, Elisabeth, Brüssel setzt auf Koordination, in: Gesundheit und Gesellschaft, 5 / 02, S. 15.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Fortsetzung von Schaubild 7 Offene Methode der Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit
Funktionsweise
Wirkungsweise
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit durch EWG-VO Nr. 1408 / 71 und Nr. 574 / 72 Festlegung von gemeinsamen EU Bestimmung der anzuwendenden Zielen / Leitlinien mit einem jeweiRechtsvorschriften ligen genauen Zeitplan Zusammenrechnung aller nach den Ggfs. Festlegung quantitativer und Rechtsvorschriften der EU-Staaten qualitativer Indikatoren und Benchberücksichtigten Zeiten für den Ermarks als Mittel für den Vergleich werb und Erhalt des Leistungsanbewährter Praktiken spruchs und für die Leistungs Umsetzung der EU-Ziele / Leitberechnung linien in die nationale Politik unter Sachleistungsaushilfe bei vorüberBerücksichtigung nationaler und regehendem und gewöhnlichem Aufgionaler Unterschiede enthalt im EU-Ausland Regelmäßige Überwachung, Be Zahlung von Geldleistungen an Perwertung und gegenseitige Prüfung sonen, die sich im EU-Ausland aufder Fortschritte der EU-Mitgliedhalten staaten bei der Erreichung der gemeinsamen Ziele / Leitlinien Rechtlich unverbindlich – aber: der Rechtlich verbindlich Grad der Zielerreichung wird durch EG-Verordnungen gelten allgemein den Vergleich sichtbar und damit be- und unmittelbar in jedem Mitgliedgründungspflichtig (Öffentlichkeitsstaat wirkung)
b) Entstehung der OMK Ausgangspunkt der OMK war die Koordinierung der Haushaltspolitiken. Bereits die Einführung des EURO verpflichtete die Teilnehmerstaaten zu einer stabilitätsorientierten Haushaltspolitik. Dies wurde ergänzt und ausgeweitet durch den mit dem Vertrag von Maastricht in Art. 99 EGV verankerten Prozess der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken,114 in dessen Rahmen die Staats- und Regierungschefs sich auf ein mehrstufiges Verfahren zur Koordinierung ihrer Wirtschaftspolitiken einigten, das heißt, auf die Ausrichtung ihrer Politik auf gemeinsam beschlossene Ziele. Diese gipfelt in den jährlichen „wirtschaftspolitischen Grundsätzen“, die etwa bei der Frage der Neuverschuldung weitaus mehr Disziplin von den Mitgliedstaaten einfordern als die Kriterien zur Einführung des EURO.115 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Göteborg), 15. und 16. Juni 2001. So auch Deutsche Sozialversicherung, Europavertretung, Zur Offenen Methode der Koordinierung im Bereich der Sozialversicherung, S. 2; vgl. dazu auch Lang, Joachim / Bergfeld, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, in: EuR, Heft 3 2005, S. 382. 115 Vgl. dazu auch Ausschuss der Regionen, Positionspapier zum offenen Koordinierungsverfahren Mai 2002, S. 2. 113 114
4. Offene Methode der Koordinierung
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Ursprünglich war die Reichweite der Haushaltskontrollen auf kurzfristige Zeithorizonte von wenigen Jahren ausgerichtet. Dies änderte sich spätestens mit dem Gipfel von Stockholm im März 2001.116 Nun einigten sich die Staats- und Regierungschefs und Finanzminister das erste Mal dezidiert auf die Politik einer langfristigen Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen. Dies bedeutete eine Ausweitung der politischen Einflussmöglichkeiten der europäischen Ebene auf die Mitgliedstaaten von noch nicht abschätzbaren Ausmaßen. Zugleich rückte mit diesem Prozess geradezu zwangsläufig und gewollt der demographisch bedingte langfristige Ausgabendruck der öffentlichen Rentensysteme ins Blickfeld. Die Einhaltung der jährlich vereinbarten „wirtschaftspolitischen Grundsätze“, insbesondere der Stabilitätskriterien, überwacht der Europäische Rat auf der Grundlage von Berichten der Europäischen Kommission. Wenn der Rat feststellt, dass die Wirtschaftspolitik eines Mitgliedstaates mit den gemeinsamen Grundsätzen nicht vereinbar ist, richtet er auf Vorschlag der Europäischen Kommission Empfehlungen an diesen Staat. Die Wurzeln der Offenen Methode der Koordinierung liegen damit in der Wirtschafts- und Währungspolitik der Gemeinschaft. Die Europäische Beschäftigungsstrategie, die einen wichtigen Schritt für die Anwendung der OMK im Rahmen der sozialen Zielsetzungen darstellt, wurde auf dem Gipfel in Luxemburg im Jahr 1997 eingeleitet. 117 Seit Amsterdam ist sie im EG-Vertrag verankert. Art. 128 EGV schreibt – ohne den Begriff explizit zu erwähnen – auch hier die Anwendung der OMK vor, gipfelnd in den jährlichen „beschäftigungspolitischen Leitlinien“. Erstmals definiert wurde die Offene Methode der Koordinierung vom Europäischen Rat von Lissabon am 23. / 24. März 2000 im Zusammenhang mit der Modernisierungsstrategie in Anlehnung an das in den Art. 126 und 128 EGV umrissene Modell118. Dabei einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf ein großes strategisches Ziel: „. . . die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“. Zu diesem Zweck wurde ein integrierter Ansatz vereinbart. 116 Vgl. dazu Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das ganze Potenzial ausschöpfen: Konsolidierung und Ergänzung der Lissabonner Strategie, KOM (2001) 79 endg. vom 07. 02. 2001. 117 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Sondertagung des Europäischen Rates über Beschäftigungsfragen, Luxemburg, 20. / 21. November 1997. 118 Europäisches Parlament, Bericht über die Analyse der offenen Koordinierungsmethode im Bereich Beschäftigung und soziale Angelegenheiten und über die Zukunftsaussichten, A5 – 0143 / 2003, 30. April 2003, S. 11.
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Danach müssen mehrere Politiken zusammenwirken: Die Beschäftigungspolitik (mehr und bessere Arbeitsplätze), die Wirtschaftspolitik, die Haushaltspolitik (gesunde und nachhaltige öffentliche Finanzen), die Bildungspolitik (Wege in die Wissensgesellschaft, lebenslanges Lernen) und schließlich die Sozialpolitik mit dem Ziel einer Modernisierung des Sozialschutzes.119 Das wirklich Neue an dieser Strategie war der politische Wille, neben den klassischen Instrumenten der Europäischen Gemeinschaft auch die OMK zu etablieren.120 Sie ist neben koordinierenden Maßnahmen, Netzwerkbildungen oder öffentlichen Konsultationen eines der Instrumente der Politikentwicklung in Bereichen wie Informationsgesellschaft, Forschung, Innovation, Unternehmenspolitik, Wirtschaftsreformen, Bildung, Beschäftigung und sozialer Integration sowie in letzter Zeit auch im Gesundheitsbereich.121 Ihre Rechtsgrundlage, zunächst für den Bereich der Beschäftigungspolitik, fand sich im Amsterdamer Vertrag. Im Beschäftigungskapitel (Titel III EGV) wurde eine „koordinierte Beschäftigungsstrategie“ zur Erreichung der Vertragsziele des Art. 2 EGV und 2 EUV eingeführt. Art. 128 EGV gibt sodann ein genaues Verfahren vor, wie durch einen Zyklus von Leitlinien, Umsetzung, Prüfung, Berichterstattung und konkreten Empfehlungen die Methode angewendet werden soll. Ansonsten findet sich der Begriff der OMK nicht in den Vertragstexten.122 Den Schlussfolgerungen des Rates von Lissabon123 zufolge basiert die Methode auf einem „völlig dezentralen Ansatz“, der „unterschiedliche Formen von Partnerschaften“ beinhaltet. Sie soll „den Mitgliedstaaten eine Hilfe bei der schrittweisen Entwicklung ihrer eigenen Politiken sein.“ Das Verfahren wurde als Mittel „für die Verbreitung der bewährten Praktiken und die Herstellung einer größeren Konvergenz in bezug auf die wichtigsten Ziele der EU“ beschrieben. Im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates in Lissabon wurden dann die derzeitigen Erfahrungen mit der Offenen Methode der Koordinierung zusammengefasst.124 Diese Bestandsaufnahme kommt zunächst zu dem Ergebnis, dass es 119 Grundlage der Modernisierung des Sozialschutzes war eine entsprechende Mitteilung der Kommission aus dem Jahr 1997, Europäische Kommission, Modernisierung und Verbesserung des Sozialschutzes in der Europäischen Union, (KOM) 97 / 102 vom 12. März 1997. 120 Schulz-Weidner, Wolfgang, Offene Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme in der Europäischen Union, S. 6. 121 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Zukunft des Gesundheitswesens und der Altenpflege: Zugänglichkeit, Qualität und langfristige Finanzierbarkeit sichern, KOM (2001) 723 endg. vom 05. 12. 2001, S. 3. 122 Giering, Claus, „Offene Koordinierun“ – Sachstand, Vorzüge und Probleme. 123 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000, Rdnr. 37, 38. 124 Rat der Europäischen Union, Aufzeichnung des Vorsitzes – Maßnahmen im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates in Lissabon – derzeitige Erfahrungen mit dem offenen Koordinierungsverfahren, 9088 / 00, 14. Juni 2000.
4. Offene Methode der Koordinierung
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derzeit unterschiedliche Methoden zur Verwirklichung der europäischen Dimension gibt: Die Währungspolitik ist eine gemeinsame und einheitliche Politik im Rahmen des Euro-Währungsgebietes. Die nationalen Haushaltspolitiken werden auf europäischer Ebene nach schriftlich zuvor festgelegten Kriterien koordiniert. Die Beschäftigungspolitiken werden auf europäischer Ebene nach Leitlinien und einigen Indikatoren koordiniert, die einen Anpassungsspielraum auf nationaler Ebene bieten. Die Politiken der sozialen Sicherheit stehen vor einem Kooperationsprozess zwecks Modernisierung der sozialen Sicherheitssysteme unter Beachtung der nationalen Unterschiede.
Daraus wird deutlich, dass „die Politiken, die der Verwirklichung des Binnenmarktes dienen, wie die Währungspolitik oder die Wettbewerbspolitik, logischerweise auf strikteren Koordinierungsprinzipien beruhen, während es andere Politiken gibt, die stärker auf die Schaffung neuer Kompetenzen und Fähigkeiten im Hinblick auf die Nutzung des Binnenmarktes und die Anpassung an den Strukturwandel ausgerichtet sind.“125 Hier bietet sich das neue offene Koordinierungsverfahren an. Im sozialen Bereich findet die OMK inzwischen in einer Vielzahl von Bereichen Anwendung. So wurde z. B. durch die im EG-Vertrag eingeführten Änderungen des Art. 137 EGV die bereits bei der Beschäftigungspolitik126 eingeführte OMK erstmals explizit auf den Bereich des Sozialschutzes übertragen.127 Allerdings fanden diese Arbeiten auch schon ohne ausdrückliche Ermächtigung im EGV statt.128 Außerdem wird die Offene Methode der Koordinierung auf eine Vielzahl weiterer Politiken angewendet129, so u. a. Einwanderung und Asyl130, die Bekämp125 Rat der Europäischen Union, Aufzeichnung des Vorsitzes – Maßnahmen im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates in Lissabon – derzeitige Erfahrungen mit dem offenen Koordinierungsverfahren, 9088 / 00, 14. Juni 2000, S. 5. 126 Vgl. zur Beschäftigungspolitik z. B. Sozial Agenda Nr. 5, Europas Beschäftigungsstrategie wird erneuert, S. 7 f.; vgl. dazu Regent, Sabrina, The Open Method of Coordination: A New Supranational Form of Governance?, S. 190 – 214. 127 Vgl. dazu auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Stärkung der sozialen Dimension der Lissabonner Strategie: Straffung der offenen Koordinierung im Bereich Sozialschutz, KOM (2003) 261 endg. vom 27. Mai 2003; vgl. dazu ferner Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union, KOM (2005) 706 endg. vom 22. 12. 2005. 128 Schulz-Weidner, Wolfgang, Offene Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme in der Europäischen Union, S. 2 ff. 129 Eine ausführliche Bestandsaufnahme findet sich unter Ausschuss der Regionen, Positionspapier zum offenen Koordinierungsverfahren Mai 2002; und in: Metz, Almut, Innovation
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
fung der sozialen Ausgrenzung,131, Gesundheitsdienste132, die Rentenpolitik133, Bildung und lebenslanges Lernen134, Unternehmenspolitik135, Reaktion auf die in EU Governance? Six proposals for taming Open Co-Ordination, S. 7; zur Anwendung der OMK im Bereich der Innovationspolitik Kaiser, Robert / Prange, Heiko, Die offene Methode der Koordinierung in der europäischen Innovationspolitik: Grenzen und Perspektiven, in: integration 2 / 2005, S. 162 ff. 130 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Offener Koordinierungsmechanismus für die Migrationspolitik der Gemeinschaft, KOM (2001) 387 endg. vom 11. 07. 2001; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Asylpolitik – Einführung eines offenen Koordinierungsmechanismus, KOM (2001) 710 endg. vom 28. 11. 2001; Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Offener Koordinierungsmechanismus für die Migrationspolitik der Gemeinschaft“ und „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die gemeinsame Asylpolitik – Einführung eines offenen Koordinierungsmechanismus“, ABl. EG C 221 / 49 vom 17. 09. 2002; vgl. dazu auch Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Einwanderung, Asyl und soziale Eingliederung, Prolog: Interview mit António Vitorino Kommissionsmitglied für Justiz und Inneres, 2002; vgl. zu Einwanderung und Asyl auch Seiffahrt, Oliver, Der dritte Pfeiler der Europäischen Union und die Regierungskonferenz unter besonderer Berücksichtigung der Asyl- und Einwanderungspolitik. 131 Vgl. dazu Amitsis, Gabriel, Principles and instruments of social inclusion policies in Europe, S. 139; Rat der Europäischen Union, Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung: Gemeinsame Ziele für die zweite Runde der nationalen Aktionspläne, SOC 508 vom 25. November 2002; vgl. dazu ferner Europäische Kommission, Gemeinsamer Bericht über die soziale Ausgliederung, 2002; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Ein Europa schaffen, das alle einbezieht, KOM (2000) 79 endg. vom 01. 03. 2000; vgl. zur sozialen Ausgrenzung allgemein International Council on Social Welfare, From social exclusion to social integration. 132 Vgl. dazu Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Göteborg vom 15. / 16. Juni 2001, Nr. 43; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Zukunft des Gesundheitswesens und der Altenpflege: Zugänglichkeit, Qualität und langfristige Finanzierbarkeit sichern, KOM (2001) 723 endg. vom 05. 12. 2001, S. 3; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Modernisierung des Sozialschutzes für die Entwicklung einer hochwertigen, zugänglichen und zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege: Unterstützung der einzelstaatlichen Strategien durch die „offene Koordinierungsmethode“, KOM (2004) 304 endg. vom 20. 04. 2004. 133 Rat der Europäischen Union, Gemeinsamer Bericht des Ausschusses für Sozialschutz (SPC = Social Protection Committee) und des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (EPC = Economic Policy Committee) über Zielsetzungen und Arbeitsmethoden im Bereich der Renten: Anwendung der offenen Koordinierungsmethode“, SOC 469, ECOFIN 334 vom 23. November 2001; Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Barcelona) vom 15. und 16. März 2002 Nr. 22; vgl. zur Rentenpolitik auch z. B. Sozial Agenda Nr. 5, Die Rentenkrise abwenden, S. 3 f.; vgl. zur Rentenpolitik allgemein Ruland, Franz, Rentenversicherung, S. 48 ff.; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entwurf zum Gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates über angemessene und nachhaltige Renten, KOM (2002) 737 endg. vom 17. 12. 2002; Schuler, Rolf, Themenbereich Rentenversicherung, S. 153 ff.; Steinmeyer, Heinz-Dietrich, Einführender Diskussionsbeitrag, S. 159 ff. 134 Vgl. dazu Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Stockholm vom 23. / 24. März 2001, Nr. 3; Commission of the European Communities, Commission Staff Working Paper „Progress towards the Lisbon objectives in education and training“, SEC (2005) 419 vom 22. 03. 2005; Detailliertes Arbeitsprogramm des Rates zur Umsetzung der
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Überalterung der Bevölkerung136, die Gesundheitsversorgung137 sowie der Arbeitsschutz als Anwendungsgebiete einer verstärkten Koordinierung auf europäischer Ebene. Zukünftig wird auch der Bereich der Gesundheitspolitik in eine verstärkte Kooperation der Mitgliedstaaten eingebunden138 und in zwei weiteren Bereichen soll die OMK verstärkt eingesetzt werden, dem Sozialschutz und der Eingliederung:139 Auf dem Gebiet der sozialen Integration wurden nach der Vereinbarung gemeinsamer Ziele Prioritäten und Indikatoren festgelegt, um nationale Pläne zu erstellen, die nun bereits in zweiter Generation vorliegen. Auf dem Gebiet des Sozialschutzes wurden gemeinsame Ziele zur Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme festgelegt und die Erstellung eines regelmäßigen gemeinsamen Berichts über die nationalen Strategien beschlossen.
Zu den Instrumenten der Offenen Methode der Koordinierung zählen beispielsweise Indikatoren und Benchmarks, Erfahrungsaustausch, Peer-Reviews und die Verbreitung bewährter Praktiken.140
Ziele der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in Europa, ABl. EG C 142 / 1 vom 14. 06. 2002, S. 5; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Modernisierung der allgemeinen und beruflichen Bildung: ein elementarer Beitrag zum Wohlstand und zum sozialen Zusammenhalt in Europa, KOM (2005) 549 endg. / 2 vom 30. 11. 2005. 135 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Verbesserung des Unternehmensumfelds, KOM (2002) 610 endg. vom 07. 11. 2002; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Herausforderungen an die Unternehmenspolitik in der wissensbasierten Wirtschaft – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über ein Mehrjahresprogramm für Unternehmen und unternehmerische Initiative 2001 – 2005, KOM (2000) 256 endg. 2 vom 11. 05. 2000. 136 Mitteilung der Kommission, Grünbuch: Angesichts des demografischen Wandels – eine neue Solidarität zwischen den Generationen, KOM (2005) 94 endg. vom 16. 03. 2005; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Reaktion Europas auf die Alterung der Weltbevölkerung – wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt in einer alternden Welt Beitrag der Europäischen Kommission zur 2. Weltkonferenz über das Altern, KOM (2002) 143 endg. vom 18. 03. 2002. 137 Vgl. zur Gesundheitspolitik z. B. Sozial Agenda Nr. 5, Gesundheit in der EU: nicht nur die Gesundheitsversorgung zählt, S. 13 f. 138 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mehr Gesundheit, Sicherheit und Zuversicht für die Bürger – Eine Gesundheits- und Verbraucherschutzstrategie, und Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft in den Bereichen Gesundheit und Verbraucherschutz (2007 – 2013), KOM (2005) 115 endg. vom 06. 04. 2005, S. 11. 139 Vgl. dazu Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union, KOM (2005) 706 endg. vom 22. 12. 2005. 140 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Benchmarks für die allgemeine und berufliche Bildung: Follow-up der Tagung des Europäischen Rates von Lissabon, KOM (2002) 629 endg. vom 20. 11. 2002, S. 6 f.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
c) Ziel der OMK Ziel der Anwendung der Offenen Methode der Koordinierung aus finanzpolitischer Sicht war es, Einsparungs- und Umstrukturierungspotentiale zu erkennen und einzusetzen. Demgegenüber wird von sozialpolitischer Seite das Ziel verfolgt, die Leistungsfähigkeit und die langfristige Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme miteinander in Einklang zu bringen. Es gilt die Aspekte des sozialen Ausgleichs innerhalb einer Solidargemeinschaft auch unter dem Druck der Finanzpolitik zu wahren. Die OMK wird im sozialen Kontext beschrieben als „eigenständiges, nicht rechtliches, politisches Instrument zur mittelbaren Gestaltung vorwiegend der Sozialsysteme, das ohne Initiativrecht, aber unter Einbeziehung der Europäischen Kommission und eventuell des Europäischen Parlaments durch Leitlinien, Indikatoren, Benchmarking und Monitoring zu einem transnationalen und zielgerichteten Prozess führt, in dessen Mittelpunkt die nationalen Akteure stehen“.141 Folge der Anwendung der OMK ist, dass europäische Leitlinien mit sehr konkreten Zielvorgaben ausgearbeitet werden, die die Mitgliedstaaten und Regionen umzusetzen haben. Die jeweiligen Fortschritte bei der Umsetzung werden dann wiederum auf EU-Ebene bewertet und kontrolliert. Sie setzt gezielt auf eine europäische Transparenz- und Öffentlichkeitswirkung und wird durch die transnationalen Rechtfertigungszwänge den Korridor verengen, innerhalb dessen sich die nationale Politik bewegt.142
d) Erscheinungsformen der OMK Die Offene Methode der Koordinierung ist ein eigenständiges politisches Verfahren, welches ergänzend zum gemeinschaftsrechtlichen Gesetzgebungsprozess (z. B. Richtlinien, Verordnungen) tritt. Sie beginnt dort, wo rechtsförmige Steuerungskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft enden. An die Stelle rechtlicher Harmonisierung tritt eine prozessgesteuerte Systemkonvergenz. Entscheidend ist dabei der Zusatz „prozessgesteuert“, denn einmal in die Wege geleitet, wird der weitere Fortschritt nicht dem Zufall und der Beliebigkeit überlassen. Vielmehr sorgt ein ausgefeiltes vergleichendes Verfahren („ranking“) für politische Verbindlichkeit und Anpassungsdruck. Da die OMK ohne rechtlichen Zwang und formal auf freiwilliger Basis erfolgt, bleibt bei oberflächlicher Betrachtung die sozialpolitische einzelstaatliche Gestaltungshoheit voll gewahrt, denn zum einen 141 Vgl. dazu Giering, Claus, „Offene Koordinierung“ – Sachstand, Vorzüge und Probleme, S. 1; Europäische Kommission, Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik der EU 1999 – 2001 Arbeit Zusammenhalt Produktivität, S. 5. 142 Hauser, Richard, Soziale Indikatoren als Element der offenen Methode der Koordinierung zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der Europäischen Union, S. 3.
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wird die Souveränität der Nationalstaaten respektiert, zum anderen wird aber nicht auf den Versuch zur koordinierten Modernisierung nationaler Sozial- und Beschäftigungspolitiken verzichtet. Die Mitgliedstaaten vereinbaren sozialpolitisch relevante bedeutsame Ziele und überwachen sich gegenseitig bei ihrer Umsetzung. So werden z. B. im Rat für Arbeit und Sozialfragen unterstützt durch die Europäische Kommission, auf freiwilliger Basis unionsweite Ziele / Leitlinien festgelegt. Auf diese Weise wird ein transnationaler Systemwettbewerb in politischer Verbindlichkeit erzeugt. Die OMK ist nicht einmal unbedingt an die Existenz der Europäischen Gemeinschaft gebunden – im Prinzip könnten beliebige Länder mitmachen. Allerdings nutzt das Verfahren in erheblichem Maße die organisatorischen Ressourcen der Gemeinschaft, insbesondere der Europäischen Kommission.143 Die OMK ist auf Öffentlichkeit und suggestive Wirkung angelegt. Die Europäische Kommission selbst beschreibt die OMK als basierend auf dem Prinzip von „name and shame“144. Grundsätzlich kann zwischen zwei Formen der OMK mit jeweils unterschiedlicher Intensität unterschieden werden:145 OMK mit Leitlinienprozess, die darin besteht, dass die Kommission und der Europäische Rat Leitlinien für die nationalen Politiken einschließlich eines genauen Zeitplans zu ihrer Umsetzung erarbeiten, die auf der Ebene der Ministerräte beschlossen werden. Die Lenkungsebene ist dann wiederum dem Europäischen Rat vorbehalten, der die Umsetzung auf nationaler Ebene überwacht. Ein Beispiel für die Anwendung der OMK mit Leitlinienprozess ist die Beschäftigungsstrategie.146 OMK ohne Leitlinienprozess, bei der die Vorgabe von Orientierungen allein aufgrund mehr oder weniger weit gefasster Ziele auf Ratsebene geschieht und zur Kontrolle dieser Vorgaben lediglich ein „benchmarking“ vorgesehen wird, das regelmäßig mit dem Austausch identifizierter guter Praktiken kombiniert wird. Die OMK ohne Leitlinienprozess wird z. B. praktiziert im Bereich der Jugendpolitik.147 143 Schulz-Weidner, Wolfgang, Offene Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme in der Europäischen Union, S. 1 f. 144 Quintin, Odile, Le modèle économique et social européen: ambitions et priorités de la Commission, S. 7; vgl. dazu auch Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 8; vgl. dazu ferner Kaelble, Hartmut / Schmid, Günther (Hrsg.), Das europäische Sozialmodell, S. 23. 145 Lang, Joachim / Bergfeld, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, in: EuR, Heft 3 2005, S. 384 ff.; vgl. dazu auch Haltern, Ulrich, Europarecht, Dogmatik im Kontext, S. 89. 146 Lang, Joachim / Bergfeld, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, in: EuR, Heft 3 2005, S. 384. 147 Lang, Joachim / Bergfeld, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, in: EuR, Heft 3 2005, S. 385; Kommis-
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
e) Wesentliche Merkmale und Verfahren der OMK Die wesentlichen allgemeinen Merkmale der OMK wurden im Weißbuch der Europäischen Kommission über europäisches Regieren148 erläutert: Die Offene Methode der Koordinierung wird fallweise angewandt. Sie fördert die Zusammenarbeit, den Austausch bewährter Verfahren sowie die Vereinbarung gemeinsamer Ziele und Leitlinien von Mitgliedstaaten, die manchmal wie im Fall der Beschäftigung und der sozialen Ausgrenzung durch Aktionspläne von Mitgliedstaaten unterstützt werden. Diese Methode beruht auf einer regelmäßigen Überwachung der bei der Verwirklichung dieser Ziele erreichten Fortschritte und bietet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihre Anstrengungen zu vergleichen und aus den Erfahrungen der anderen zu lernen. In einigen Bereichen steht sie neben dem programmbezogenen und dem legislativen Konzept. In anderen Bereichen, in denen wenig Spielraum für legislative Lösungen besteht, bringt sie einen europäischen Zusatznutzen. Die Kommission wirkt bereits koordinierend und wird dies auch in Zukunft tun. Doch darf diese Methode nicht das institutionelle Gleichgewicht stören. Auch darf die Offene Methode der Koordinierung „nicht dazu führen, dass die gemeinsamen Vertragsziele verwässert werden.“ Insbesondere sollte das Europäische Parlament nicht aus einem europäischen Politikprozess ausgeschlossen werden. Die Offene Methode der Koordinierung sollte ein Handeln der Gemeinschaft nicht ersetzen, sondern ergänzen.149
Das Verfahren der OMK setzt sich aus vier wesentlichen Elementen zusammen:150 Festlegung von Leitlinien und Zielen: Hierbei definieren die Mitgliedstaaten konkrete Ziele, Maßnahmen und Zeitpläne, die eine systematische Erfolgsbewertung ihrer nationalen Politiken erst möglich machen. Festlegung qualitativer und quantitativer Indikatoren und Benchmarks als Mittel für den Vergleich der nationalen Politiken sowie für das Erkennen bewährter Praktiken. sion der Europäischen Gemeinschaften, Die Anliegen Jugendlicher in Europa aufgreifen – Umsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend und Förderung der aktiven Bürgerschaft, KOM (2005) 206 endg. vom 30. 05. 2005, S. 2, 10 ff. 148 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, KOM (2001) 428 endg. vom 25. 07. 2001. 149 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Stärkung der sozialen Dimension der Lissabonner Strategie: Straffung der offenen Koordinierung im Bereich Sozialschutz, KOM (2003) 261 endg. vom 27. Mai 2003. 150 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung des „Sozialen Europa“, Folienvortrag; Heidenreich, Martin / Bischoff, Gabriele, Die offene Methode der Koordinierung. Ein Weg zur Europäisierung der Sozial- und Beschäftigungspolitik, S. 1.
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Umsetzung der vereinbarten europäischen Leitlinien und Ziele (wo diese vereinbar sind) in die nationalen Politiken durch den Erlass entsprechender Maßnahmen unter Berücksichtigung der nationalen und regionalen Unterschiede. Regelmäßige Überwachung, Bewertung und gegenseitige Prüfung im Rahmen eines Prozesses, bei dem alle Seiten voneinander lernen.151
Dabei einigte man sich auf folgende allgemeine Grundsätze:152 Mit der Offenen Methode der Koordinierung soll nicht eine allgemeine Rangordnung der Mitgliedstaaten für jeden Politikbereich festgelegt, sondern vielmehr ein Lernprozess auf europäischer Ebene gestaltet werden, um zum Austausch und zur Nachahmung vorbildlicher Praktiken anzuregen und die Mitgliedstaaten bei der Verbesserung ihrer eigenen innerstaatlichen Politiken zu unterstützen. Die Offene Methode der Koordinierung setzt zwar das Benchmarking als Technik ein, geht aber darüber hinaus. Sie bringt mit der Festlegung europäischer Leitlinien eine europäische Dimension ein und fördert eine zielorientierte Steuerung durch die Anpassung dieser europäischen Leitlinien an die nationale Vielfalt. Die Offene Methode der Koordinierung ist ein konkretes Mittel zur Entwicklung modernen Regierens unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Die Offene Methode der Koordinierung sollte je nach Art des zu lösenden Problems mit anderen verfügbaren Verfahren kombiniert werden. „Offen“ bedeutet:153 – Die europäischen Leitlinien können an das jeweilige nationale Niveau angepasst werden. – Die vorbildlichen Praktiken sollten in ihrem nationalen Zusammenhang bewertet und angepasst werden. – Es gibt eine klare Unterscheidung zwischen Bezugsindikatoren, die auf europäischer Ebene verabschiedet werden sollen, und den konkreten Zielen, die von jedem Mitgliedstaat unter Berücksichtigung seines Ausgangspunktes für jeden Indikator zu bestimmen sind. Dies bedeutet auch, dass die Über151 Husmann, Jürgen, Die offene Methode der Koordinierung im Bereich der Alterssicherung – eine neue Strategie in der europäischen Sozialpolitik, S. 2 ff.; vgl. dazu auch Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 7; vgl. dazu auch Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V., Europäische Sozialpolitik – eine Standortbestimmung der Arbeiterwohlfahrt, S. 8. 152 Rat der Europäischen Union, Aufzeichnung des Vorsitzes – Maßnahmen im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates in Lissabon – derzeitige Erfahrungen mit dem offenen Koordinierungsverfahren, 9088 / 00, Brüssel, den 14. Juni 2000, S. 5 f. 153 Lang, Joachim / Bergfeld, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, in: EuR, Heft 3 2005, S. 381.
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wachung und Bewertung sich im Wesentlichen auf Fortschritte oder relative Erfolge konzentrieren sollten. – Bei der Überwachung und Bewertung sollte der nationale Zusammenhang in einem Systemkonzept berücksichtigt werden. – Die Entwicklung des Verfahrens in ihren verschiedenen Phasen sollte den verschiedenen Akteuren der Bürgergesellschaft zur Teilnahme offen stehen. Die Europäische Kommission kann in den einzelnen Phasen der Offenen Methode der Koordinierung eine wichtige Rolle als Katalysator übernehmen, indem sie insbesondere: – Vorschläge für europäische Leitlinien unterbreitet; – den Austausch vorbildlicher Praktiken organisiert; – Vorschläge für Indikatoren unterbreitet; – die Überwachung und gegenseitige Prüfung unterstützt Die Offene Methode der Koordinierung kann als wichtiges Werkzeug zur Verbesserung von Transparenz und demokratischer Mitwirkung dienen.
Die Europäische Kommission führt dazu aus: „Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip wird nach einem völlig dezentralen Ansatz vorgegangen, wonach die Union, die Mitgliedstaaten, die regionalen und lokalen Ebenen sowie die Sozialpartner und die Bürgergesellschaft im Rahmen unterschiedlicher Formen von Partnerschaften aktiv mitwirken. Die Europäische Kommission wird in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Anbietern und Nutzern, wie den Sozialpartnern, den Unternehmen und den NRO ein Benchmarking der bewährten Praktiken zur Gestaltung des Wandels erstellen“.154
Hinsichtlich der Methodik gilt:155 Bei der Festlegung von europäischen Leitlinien sollten die verfügbaren Berichte diagnostischer und prognostischer Art berücksichtigt werden. Bei der Ermittlung der besten Praktiken, Bezugsindikatoren und Benchmarks sollten Berichte über vergleichende Analysen und der nationale Rahmen der Politiken berücksichtigt werden. Die Festlegung der Indikatoren sollte auf einer eindeutigen Typologie (Leistung / Politik / Zusammenhang) beruhen und einen schrittweise integrierenden Ansatz (bottom-up-approach) mit einem fortschreitend differenzierenden Ansatz (top-down-approach) verbinden. Ein integrierender Ansatz für Einzelindikatoren 154 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 40. 155 Rat der Europäischen Union, Aufzeichnung des Vorsitzes – Maßnahmen im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates in Lissabon – derzeitige Erfahrungen mit dem offenen Koordinierungsverfahren, 9088 / 00, Brüssel, den 14. Juni 2000, S. 7.
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kann auf der Grundlage von Vorschlägen der Europäischen Kommission von den Ausschüssen und den unterschiedlichen Zusammensetzungen des Rates für jeden Politikbereich entwickelt werden. Die Festlegung und Durchführung der nationalen Politiken, Pläne oder Initiativen sollte auf geeignete Partnerschaften gestützt sein. Überwachung und Bewertung sollten auf im nationalen Zusammenhang verankerten Systemkonzepten beruhen und zur Schaffung einer Kultur der strategischen Steuerung und des erfahrungsgestützten Lernens unter Einbeziehung aller einschlägigen Partner beitragen.
Andere europäische Institutionen wie das Europäische Parlament, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie der Ausschuss der Regionen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Sie können zwar angehört werden, haben aber – anders als im europäischen Gesetzgebungsverfahren – keinerlei Mitwirkungs- oder Mitentscheidungsrechte. Dies ist einer der Gründe, warum sich das Verfahren insgesamt dem Vorwurf aussetzt, demokratische Defizite in Kauf zu nehmen. Der Rat bildet quantitative und qualitative Indikatoren (Benchmarks) mit dem Ziel, bewährte Praktiken (best practice) zu identifizieren und zu vergleichen. Allerdings wird der Grad der Zielerreichung durch den Vergleich sichtbar und begründungspflichtig. Auf diese Weise kann eine gemeinsame Zielorientierung bei gleichzeitiger weitgehender nationaler Autonomie bei der Zielsetzung erreicht werden.156 Das Besondere an dem Verfahren ist die Orientierung an Zielen – im Gegensatz zu den zur Zielerreichung eingesetzten Methoden und Verfahren und institutionellen Strukturen, die eher eine untergeordnete Rolle spielen. Die Erreichung der gemeinsam gesetzten Ziele unterliegt einer gegenseitigen Überwachung, Bewertung und Prüfung („peer review“), wobei allerdings auch Elemente einer Kontrolle nicht zu unterschätzen sind. Der Erfolg selbst lässt sich als Erreichung einer vorher gesetzten Zielgeraden darstellen („benchmark“), wobei sowohl eine gemeinsame Meßlatte als auch auf die spezifische Ländersituation zugeschnittene individuelle Meßlatten in Frage kommen. Dieses „ranking“ im internationalen Vergleich dient nicht zuletzt dazu, über die Grenzen hinweg Transparenz und politische Rechtfertigungszwänge zu erzeugen. Unabhängig davon, welcher Politikbereich dem „ranking“ im Rahmen der OMK unterworfen wird, läuft der Prozess im Regelfall nach einem typischen Schema ab. Zunächst einigt man sich auf supranationaler europäischer Ebene auf gemeinsame Leitlinien. Darauf folgen nationale Aktions- und Strategiepläne, in denen jeder Mitgliedstaat für sich selbst die erreichten Fortschritte dokumentiert. Auf dieser 156 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen, Die offene Methode der Koordinierung im Bereich des Gesundheitswesens, S. 3.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Basis wird – dann wieder auf europäischer Ebene – ein Synthesebericht angefertigt, in dem die nationalen Erfolge und Erfahrungen gewürdigt und bewertet werden. Bei Bedarf werden auf europäischer Ebene Empfehlungen ausgesprochen, gerichtet an alle oder gezielt an einzelne Mitgliedstaaten. Das „ranking“ kann allerdings auch den Pfad des „permanenten Verbesserungsdrucks“ einschlagen – man möchte zu den Besten gehören. Schließlich kann das „ranking“ auch eine Analyse der „best practice“ einschließen: In diesem Fall wird nicht nur untersucht, wer die gesteckten Ziele erreicht hat, sondern auch die Verfahren, die zu guten Ergebnissen führten: diese werden als „vorbildlich“ dargestellt. Auf der Lenkungs- und Entscheidungsebene spielt die Europäische Kommission eine ganz entscheidende Rolle. Sie unterbreitet Vorschläge für Leitlinien und Indikatoren und erstellt die erforderlichen Syntheseberichte über die Zielerreichung. An dieser starken Stellung einer europäischen Institution wird bereits deutlich, dass die OMK mehr ist als eine bloße „intergouvernementale“ Zusammenarbeit. Die Beschlussfassung über Leitlinien und Indikatoren findet durch die EU-Ministerräte für Arbeit und Sozialfragen sowie für Wirtschaft und Finanzen statt. Auf der „Arbeitsebene“ wurden verschiedene Ausschüsse eingesetzt, die dem jeweils zuständigen Ministerrat zuarbeiten. Diese Ausschüsse sind mit hochrangigen Vertretern der Mitgliedstaaten besetzt, Sekretariat und Tagesarbeit übernimmt die Europäische Kommission.157 In den Ausschüssen verfügt die Europäische Kommission formal über kein Stimmrecht. Sie kann sich dort nur über Wortmeldungen einbringen. Da die Europäische Kommission aber das Sekretariat stellt, ist sie an wesentlicher Stelle beteiligt und kann über Tagesordnung, Vorlagen und Protokollführung Einfluss nehmen. Die entscheidende und letzte Lenkungsebene ist der Europäische Rat. Er beschließt, überwacht und korrigiert die Umsetzung der Strategien und Prozesse auf seinen jährlichen Frühjahrssitzungen. Mit dem Einsatz der OMK ist zugleich anerkannt worden, dass die Sozialpolitik künftig keine rein nationale Angelegenheit mehr ist, sondern sowohl auf nationaler als auch auf supranationaler Ebene verfolgt werden muss.
f) Streitstand Die Anwendung der OMK ist nicht unumstritten.158 Nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene bereiten die bisher kaum ausgeloteten Kon157 Schulz-Weidner, Wolfgang, Offene Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme in der Europäischen Union, S. 5 ff.
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sequenzen für den demokratischen Willensbildungsprozess Unbehagen. Weder sind die nationalen Parlamente in den entscheidenden Phasen zwangsläufig einbezogen, noch wird dieses Manko auf europäischer Ebene korrigiert: Auch das Europäische Parlament verfügt über keine unmittelbaren Mitentscheidungsrechte, sondern wird lediglich angehört, soweit der Rat dies für erforderlich hält. Damit besteht die Gefahr, dass sich europäische Standards für die Sozial- und Gesundheitspolitik durch „versteckte Parallelgesetzgebung“ außerhalb der gemeinschaftsvertraglich vorgesehenen Verfahren herausbilden. Dies veranlasste das Europäische Parlament, in seinen jüngsten Stellungnahmen auf „immanente Demokratieprobleme“ der OMK hinzuweisen und ein tragfähiges Verfahren zur Einbindung des Parlaments zu fordern.159 Schließlich sei nach Schulz-Weidner160 auch nicht von der Hand zu weisen, dass in dem Verfahren finanzpolitische Aspekte überwiegen und Aspekte des Beitrags sozialer Sicherheit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie der Versorgungsqualität nachrangig behandelt würden. Im folgenden soll der Streitstand dargestellt werden. aa) Argumente für die Anwendung der OMK Ihre Befürworter führen ins Feld, dass der Vorteil der OMK darin besteht, dass sie nicht auf die Institutionalisierung gemeinsamer Strukturen oder Modelle abzielt, sondern lediglich auf die Erreichung gemeinsamer Resultate, ohne explizit die Kompetenzen der Mitgliedstaaten in den entsprechenden Bereichen in Frage zu stellen. Die Art und Weise der Zielerreichung bleibe den Mitgliedstaaten überlassen, sie hätten ausreichend Spielraum, national verträgliche Anpassungen vorzunehmen.161 Die OMK wird betrachtet als Reaktion auf die Vielfalt der bestehenden europäischen Regulationsstrukturen und auf die Vorbehalte der Nationalstaaten gegenüber europäischen Regulierungen. 158 Vgl. zum Für und Wider auch Ausschuss der Regionen, Positionspapier zum offenen Koordinierungsverfahren Mai 2002, S. 10 f.; Rogowski, Ralf / Kajtár, Edit, The European Social Model and Coordination of Social Policy, An overview of policies, competences and new challenges at the EU level, S. 19 ff.; Metz, Almut, Innovation in EU Governance? Six proposals for taming Open Co-Ordination, S. 8 ff.; Metz, Almut, Die Offene Methode der Koordinierung im Verfassungsprozess, in: integration 02 / 05, S. 136. 159 Vgl. dazu Entschliessung des Europäischen Parlaments zur Anwendung der offenen Methode der Koordinierung, P5_TA (2003) 0268 und Entschliessung des Europäischen Parlaments zur Modernisierung des Sozialschutzes und zur Entwicklung einer hochwertigen Gesundheitsversorgung (2004 / 2189(INI), P6_TA-Prov(2005)0152 vom 28. April 2005. 160 Schulz-Weidner, Wolfgang, Offene Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme in der Europäischen Union, S. 11. 161 Vgl. Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 25.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Ihre Vorteile lassen sich zusammenfassen unter drei Stichworten: Subsidiarität: Keine Integration durch verbindliche europäische Richtlinien oder Urteile, aber auch mehr als nur eine unverbindliche Kooperation (zentrale Vereinbarung von Rahmendaten und -zielen [benchmarking] und wechselseitige Überwachung der Ergebnisse). Flexibilität: Keine allgemeinverbindlichen Regeln – aber die Möglichkeit wechselseitigen Lernens und situativ angepasster, dezentraler Vorgehensweisen in gemeinsam interessierenden Fragen und Gebieten. Legitimität: Beteiligung der Tarifparteien, regionaler Körperschaften, Zivilgesellschaft, NRO, Unternehmen, etc.
Weitere Argumente der Befürworter der OMK lauten: Die Mitgliedstaaten hätten sich durch dieses Instrument relativ schnell auf quantitative und qualitative Zielsetzungen geeinigt, die als überprüfbare Meßlatte der Zielerreichung dienen können.162 Die Gefahr einer Ausweitung supranationaler Gesetzgebung im Sinne von Zentralisierung werde zurückgedrängt.163 Die Methode überfordere weder die Europäische Union noch die Mitgliedstaaten, da sie in sensiblen Bereichen anwendbar sei, ohne dass dies zur Aufgabe der Souveränität der Mitgliedstaaten führe.164 Der Luxemburger Prozess zur Beschäftigung habe bereits die Leistungsfähigkeit der OMK gezeigt.165 OMK schaffe neue Vergleichbarkeit und damit Handlungsdruck, Demokratie und Öffentlichkeit.166 OMK könne dazu beitragen, statt ein „Europäisches Gesellschaftsmodell“ zu definieren, bestimmte „offene Korridore“ zu schaffen, die politischen Handlungsspielraum gewährleisten.167 „OMC’s principal advantages are that it provides the means to move towards common solutions to common problems without demanding the sort of harmonization that would be anathema to many governments, and that it can be imple162 So auch Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 4. 163 Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 5. 164 Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 5. 165 Vgl. dazu Europäische Kommission, Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik der EU 1999 – 2001 Arbeit Zusammenhalt Produktivität, S. 6. 166 Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 5. 167 Giering, Claus, „Offene Koordinierung“ – Sachstand, Vorzüge und Probleme, S. 2.
4. Offene Methode der Koordinierung
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mented by governments without recourse to major and potentially contested legislative change. Moreover, by allowing countries to shape national programmes within common guidelines, OMC allows governments to weight their policy packages appropriately. Such differentiated policy harmonization represents an artful compromise between policy integration and subsidiarity. Politically, the mere fact of being seen to „do something“ is likely to be appealing to governments.“168 bb) Argumente gegen die Anwendung der OMK Demgegenüber sind die Gegner der Ansicht, dass die Methode nicht transparent genug ist, unzulässigen Druck erzeugt und ein Demokratiedefizit aufweist, wie sich aus der Zusammenstellung der Gegenargumente ergibt. Sie argumentieren:169 Durch die OMK komme es zu einer Gewichtsverschiebung in der horizontalen Gewaltenteilung zugunsten des Rates und zu einer Schwächung des Initiativrechtes der Europäischen Kommission und ihrer Rolle als Exekutive. Die supranationale Gesetzgebung im Sinne der Schaffung gemeinsamer rechtlich verbindlicher und einklagbarer Rahmenbedingungen werde zurückgedrängt. Die nationalen Parlamente und Sozialpartner blieben bei der Europäisierung und Regelsetzung (Regime) durch die OMK der Wirtschafts- und Sozialpolitik, z. B. im Luxemburg-Cardiff-Köln-Lissabon-Prozess, unberücksichtigt und könnten nicht partizipieren, so dass die Folgen für die Legitimation bedacht werden müssten. Auf den ersten Blick schienen die intergouvernementalen Elemente zu überwiegen, die funktionale Integrationsmethode habe aber immer „Spill-over“-Prozesse ausgelöst. Unter dem „spill-over-Effekt“ verstehe man, dass „Integration in einem Politikbereich oder Sektor letztendlich zu Integration in einem anderen, funktional eng mit diesem verkoppelten Bereich führen müsse. So entstand durch die wirtschaftliche Integration (den Aufbau des Gemeinsamen Marktes) die Notwendigkeit, auch Teile der Sozialpolitik zu integrieren.“170 Daher könne Begg, Ian, EMU and employment, S. 51. Vgl. dazu Lang, Joachim / Bergfeld, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, in: EuR, Heft 3 2005, S. 388 ff.; vgl. dazu Giering, Claus, Offene Koordinierung – Sachstand, Vorzüge und Probleme, S. 2; vgl. dazu auch Deutsche Sozialversicherung, Europavertretung, Zur Offenen Methode der Koordinierung im Bereich der Sozialversicherung, S. 3 ff.; vgl. dazu Heidenreich, Martin / Bischoff, Gabriele, Die offene Methode der Koordinierung. Ein Weg zur Europäisierung der Sozial- und Beschäftigungspolitik, S. 8 f.; vgl. dazu auch Wessels, Wolfgang / Linsenmann, Ingo, Die offene(n) Methode(n) der Koordinierung (OMC), Beitrag zur Sitzung des Expertenrates Konvent am 19, April 2002, S. 4 ff. 168 169
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
auch durch die OMK mittelfristig ein neuer Spill-over / Lernprozess außerhalb der Verträge statt in deren Rahmen entstehen. In diesem Sinne könnte die OMK zu mehr Integration führen in Bereichen, in denen dies eigentlich nicht intendiert wäre oder dies bestimmten Interessen, vor allem der deutschen Bundesländer, widerspräche. Durch sie würden die europäischen Rechtsetzungsprozesse grundsätzlich noch intransparenter. Diese Intransparenz entstehe dadurch, dass das System so komplex sei, dass unterschiedliche, nebeneinander ablaufende Leitlinienprozesse durchgeführt würden, die verschiedene Verwaltungsapparate auf mehreren Ebenen mit Planung, Durchführung und Evaluationen befassten. Dies berge die Gefahr in sich, dass Verantwortlichkeiten verwischt, seiner Zentralisierung Vorschub geleistet und traditionelle Kompetenzabgrenzungen unterlaufen würden.171 Sie führe zu einer schleichenden Aushöhlung der nationalen Souveränität.172 Asbeek Brusse / Hemerijk173 beschreiben die Defizite der OMK wie folgt: „OMC has a number of weaknesses that must be acknowledged. OMC procedures often lack transparency or are seen as technocratic evaluations that primarily concern high-level bureaucrats and EU institutions. They are often unknown and unloved, in which case there is no ,open‘ process of policy development. Most countries have tried to involve the social partners in formulating the NAPs. However, this has often failed because of lack of time and bureaucratic rigidities. Even national parliamentarians and policy-makers know little about what happens behind the scenes of the EES. This makes OMC a precarious process, dependent on the willingness of national policy-makers to learn from each other and voluntarily adapt their policies rather than to sabotage the process by free riding. More general and speculative, finally, is the question of how much diversity can effectively be ,absorbed‘ through processes of the OMC. Are peer reviews and benchmarking feasible in a Union of 25 member states? This question is particularly important, but notoriously difficult to answer“.174
170 Vgl. dazu Engels, Bettina, Sozialer Dialog in Brüssel? Euro-Korporatismus in den 1990er Jahren, S. 6 m. w. N.; vgl. dazu auch Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 44. 171 So auch, Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 4. 172 Vgl. zu den Vor- und Nachteilen auch Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 8 ff. vgl. dazu auch AK Österreich, Positionspapier der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte zum Mandat der Arbeitsgruppe „Soziales Europa“, S. 3; vgl. zu den Vor- und Nachteilen der OMK Diamantopoulou, Anna, Europäisches Sozialmodell: Vorteil für alle – Die Politik der EU auf dem Feld der Sozialpolitik, in: „Das Parlament“, Nr. 8, 2000, S. 1 f. 173 Asbeek Brusse, Wendy / Hemerijk, Anton, Deepening Social Europe in an Enlarged Union, S. 123. 174 Im folgenden machen die Autoren dann allerdings eine Reihe von Vorschlägen, wie die OMK verbessert und praktikabler gestaltet werden könnte.
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Ihre Legitimität sei dubios: „The legitimacy of OMC is, however, dubious. This is despite the fact that the intimate involvement of national government in the process seems to invest the process with the legitimacy of the national state. This it can be argued is little more than a veneer, the OMC does not answer the fundamental criticisms of EU governance: elitism and opacity. The democratic legitimacy of guidelines drawn up by unaccountable officials and agreed by representatives of national government in closed session is questionable“.175
Die Frage nach der Legitimität sei auch hinsichtlich der Beteiligungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments von Relevanz. Das Europäische Parlament habe kaum Einflussmöglichkeiten und auch den nationalen Parlamenten werde weitgehend die Möglichkeit genommen, Einblick in die Prozesse zu erhalten. Tendenziell werde die Rolle der nationalen Parlamente auf die nachfolgende Umsetzung reduziert, während die Regierungen weit größere Gestaltungsmöglichkeiten hätten.176
Ferner wird gegen die OMK ins Feld geführt: Die Problematik der einheitlichen Indikatorenbildung und ihrer länderübergreifenden Vergleichbarkeit.177 Die (Un-)Freiwilligkeit der Teilnahme. Die nicht vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten.178 Die hohe Politisierbarkeit der Ergebnisse. Die hohen institutionellen und normativen Unterschiedlichkeiten in den Sozialsystemen. Die „Unintelligenz“ von Benchmarks. Die starken Gegenkräfte durch Interessengruppen. Das anspruchsvolle Konzept des „managements by objectives“. Die Förderung von Intransparenz, Exklusivität und Depolitisierung.179 175 Begg, Ian, EMU and employment, S. 51; so im Ergebnis auch Ferrera, Maurizio, EMU and Social Protection, S. 90. 176 So auch Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 4; vgl. dazu ferner Wendler, Frank, The paradoxical effects of institutional change for the legitimacy of European governance: the case of EU Social Policy, S. 8 und 11. 177 Vgl. dazu auch Kaelble, Hartmut / Schmid, Günther (Hrsg.), Das europäische Sozialmodell, Auf dem Weg zum transnationalen Sozialstaat, S. 23; Schmid, Günther / Kull, Silke, Die Europäische Beschäftigungsstrategie, S. 317 ff.; Terwey, Franz, Tendenzen der Entwicklung einer Europäischen Sozialunion, in: Internationale Revue für soziale Sicherheit, Heft 1 / 2004, S. 9. 178 So zu beiden Punkten auch Begg, Ian, EMU and employment, S. 52 und zu den fehlenden Sanktionsmöglichkeiten, Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 4.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Die Möglichkeit der Vermeidung echter Entscheidungen: „More generally, the OMC could be used as a pretext for avoiding hard decisions about the appropriate recasting of policy competencies in the EU policy framework.“180 Die mangelnde Verbindlichkeit181.
Als negativ bewertet wird ebenso, dass die Nichtteilnahme, Implementationsversagen oder Ignoranz gegenüber den gemeinsamen Empfehlungen und Selbstverpflichtungen öffentlich gerechtfertigt werden müssten und die nationalen Regierungen unter Druck setzen könnten. Schwächen und Stärken würden transparent gemacht, würden vergleichbar und damit begründungspflichtig.182 Es besteht die Befürchtung, dass die OMK die Rolle einer Art Ersatzgesetzgebung einnimmt und damit zur Zerfaserung der Integration beiträgt, wenn sie allmählich an die Stelle von im EGV verankerter Gemeinschaftsverfahren, etwa des Sozialen Dialogs, tritt. Zudem kann das unkoordinierte Nebeneinander von Zielvorgaben in unterschiedlichen Politikbereichen ein kohärentes Gesamtbild und in der letzten Konsequenz auch die europäische Politik sowie die Haushalte der Mitgliedstaaten überfordern, wenn sie nach dem Prinzip des „name und shame“ zu Aktionen getrieben werden, die sie sonst nicht unternommen hätten.183 Nicht unbedenklich ist auch die Tatsache, dass mit der OMK der Eindruck erweckt wird, es sollten aus einer quasi neutralen und objektiven Außenperspektive die Stärken und Schwächen der verschiedenen Systeme in Europa herausgearbeitet werden, und sich das systematische Herausfiltern erfolgreicher Lösungsansätze effizienzsteigernd auswirke. Die hierzu verwendeten Schlagworte lauten „gute Praktiken“ und „learning-by-seeing“. Im Gegensatz zum traditionellen Ansatz des „learning-by-doing“ müssten nun Erfahrungen bei der Umsetzung von Reformen nicht mehr selber gesammelt werden. Der Schritt des Ausprobierens neuer Lösungsansätze entfiele. Man könne einfach auf die Erfahrungen anderer Länder zurückgreifen und sich Misserfolge ersparen. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Bei der OMK handelt es sich um einen politischen Prozess. Einheitliche objektivierbare Messgrößen und Indikatoren feh179 Vgl. zu allen 6 Punkten Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 20; so auch Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 4. 180 Begg, Ian, EMU and employment, S. 52. 181 Vgl. dazu Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 4. 182 Vgl. Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 21. 183 Vgl. dazu Giering, Claus / Metz, Almut, Versuchslabor der Integration, Chancen und Risiken der „offenen Methode der Koordinierung“, S. 4.
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len, so dass sowohl die Ziele als auch die Bewertungsmaßstäbe das Ergebnis politischer Verhandlungen und Kompromisse der Mitgliedstaaten sind. Hierbei wird die Diskussion nicht durch wissenschaftliche Kriterien, sondern durch vielfältige nationale Interessen geleitet. Die gemeinsam entwickelten Leitlinien und Ziele täuschen über die im Einzelnen sehr verschiedenen Ziele in den nationalen Politiken hinweg. Dementsprechend wird um vorteilhafte Bewertungsmaßstäbe gerungen, um das eigene System im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen. Obwohl nach offizieller Lesart der Vergleich unter voller Berücksichtigung der historisch gewachsenen unterschiedlichen Grundentscheidungen der bestehenden Sozialleistungssysteme erfolgt, ist ein gewisser politischer Anpassungsdruck an den „Klassenbesten“ gewollt. Das Verfahren ist nicht wertneutral. Die nationalen Systeme werden nicht von einer „objektiven Instanz“ verglichen. Europäische Kommission und Rat werden immer auch Partei sein. Aufgrund der Komplexität und Sensibilität der jeweiligen nationalen Systeme muss man sich darüber im Klaren sein, dass es ein einfaches Übernehmen erfolgreicher Strategien nicht geben kann. Allerdings wird man von nun an gezwungen sein, sich stärker als bisher mit den Strategien und Politiken der anderen EU-Staaten auseinanderzusetzen und nationale Politiken auf europäischer Ebene zu rechtfertigen.184 Die OMK führt zu keiner klaren Kompetenzabgrenzung und läuft einer klaren Zuordnung demokratischer Verantwortlichkeit in Europa zuwider. Da ihre Ziele durch den Ministerrat festgelegt werden, sind sie nicht das Ergebnis einer breiten nationalen Diskussion und Bewertung im Rahmen eines parlamentarischen Prozesses. Schließlich dürfte auch nicht übersehen werden, dass einem Rechtsschutzinteresse gegen einzelne Koordinierungsmaßnahmen unter Umständen nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Da die Koordinierungsmethode der Europäischen Gemeinschaft keine Rechtsetzungsbefugnisse verleiht, haben die Betroffenen nur begrenzte Möglichkeiten, Rechtsschutz vor dem EuGH zu erhalten. Insoweit weisen Lang / Bergfeld zwar auf die neuere Rechtsprechung des EuGH185 hin, wonach Rechtsschutz auch gegenüber solchen Bestimmungen möglich sei, die unabhängig von der Rechtsform eine Art von Rechtswirkungen entfalten, so dass grundsätzlich gegenüber einzelnen Maßnahmen der OMK der Weg zu einer Nichtigkeitsklage eröffnet sein müsste, wenn sie den Charakter von solchen Rechtswirkungen aufweise. Sie warnen aber gleichzeitig davor, die Erwartungen an diesen Rechtsschutz 184 Husmann, Jürgen, Die offene Methode der Koordinierung im Bereich der Alterssicherung – eine neue Strategie in der europäischen Sozialpolitik, S. 5 f. 185 Urteil des Gerichtshofs vom 2. März 1994, Rs. C-316 / 91, Europäisches Parlament / Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1994, S. I-625, 1. Leitsatz.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
zu hoch anzusetzen, da es zweifelhaft sei, ob die Voraussetzungen wie beim Handeln des Rates im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt 186 sich in den Fallkonstellationen der OMK wiederholen.187
g) Bewertung Unstreitig hat die OMK trotz erheblicher Kritik und Gegenstimmen eine eigene und nicht wegzudiskutierende Dynamik gewonnen und wird seitens der Europäischen Kommission als wichtiges Instrument zur Modernisierung des „Europäischen Sozialmodells“ betrachtet. Dies zeigt sich z. B. in der aktuellen Mitteilung der Europäischen Kommission zum neuen Rahmen der OMK im Sozialschutz.188 Der erste Satz dieses Papiers lautet: „Die Europäische Union hat sich zur Modernisierung ihres Sozialmodells verpflichtet, gestützt auf die gemeinsamen Werte der sozialen Gerechtigkeit und der aktiven Teilhabe der Bürger am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben“.189 In der Folge werden dann die Vorteile der OMK beschrieben und detailliert dargelegt, wie sie künftig gestrafft angewandt werden soll. Für den Sozialschutz wird einmal mehr auf die Wechselwirkung der Lissabonner Ziele des Wirtschaftswachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen hingewiesen und werden als übergreifende Ziele u. a. der soziale Zusammenhalt, die Chancengleichheit und effiziente Sozialschutzsysteme genannt.190 Es fragt sich aber, ob und wie sie in die Kompetenzabgrenzung eingebettet werden kann. Zunächst unterliegt sie der generellen Beschränkung, dass sie streng genommen nur in den Bereichen eingesetzt werden kann, in denen die Europäische Gemeinschaft keine sonstigen legislativen Kompetenzen hat. Die Gefahr einer ex186 Vgl. dazu das Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juli 2004, Rs. C-27 / 04, Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Rat der Europäischen Union, Slg. 2004, S. I-6649. 187 Lang, Joachim / Bergfeld, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, S. 390. 188 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union, KOM (2005) 706 endg. vom 22. 12. 2005. 189 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union, KOM (2005) 706 endg. vom 22. 12. 2005, S. 2. 190 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union, KOM (2005) 706 endg. vom 22. 12. 2005, S. 6.
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tensiven Anwendung besteht darin, dass sie zu einer versteckten Parallelgesetzgebung oder Umgehung der im Vertrag vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren führt, wenn man ihre Resultate nutzt, um sich auf neue Maßnahmen zu einigen. Dies, so wird argumentiert, führe zu einer „Gesetzgebung durch die Hintertür“ und letztlich einer unzulässigen Kompetenzausweitung.191 Damit ist ihr Anwendungsbereich begrenzt und sie kann nicht in allen Politikbereichen, die soziale Relevanz haben, angewandt werden. Ferner ist sie ihrer Natur nach gerade offen angelegt, wird bestimmt durch das Prinzip der Freiwilligkeit und soll nicht einer strengen Reglementierung unterliegen. Dann hätte man sie allerdings konsequenterweise auf den Austausch bewährter Verfahren und den Vergleich der erreichten Fortschritte beschränken sollen. Durch das Prinzip des „name and shame“ und den beschriebenen Rechtfertigungsdruck verliert sie die eigentlich sinngebende rechtliche Unverbindlichkeit, denn sie kann politisch so eingesetzt werden, dass auf nationaler Ebene erheblicher Handlungsdruck erzeugt wird. Diese Diskussion zeigt gleichzeitig ein Paradoxon der OMK an sich auf. Gefordert wird, dass die OMK letztlich präziser und rechtlich fundierter sowie verlässlicher sowohl in den Ergebnissen als auch der Umsetzung gestaltet wird. Dies ist aber eigentlich ein Widerspruch in sich, denn das Wort „offen“ sollte gerade der Garant dafür sein, dass hier das unverbindliche und freiwillige Element überwiegen sollte. Schon dies zeigt den eher zweifelhaften Nutzen und fehlerhaften Ansatz der OMK. Letztendlich ist auch nicht auszuschließen, dass sie in bestimmten Bereichen künftig nur von einem Teil der Mitgliedstaaten angewendet wird und damit die Transparenz und Vergleichbarkeit abnehmen. Damit befindet sich die OMK in dem bereits angesprochenen – eigentlich unauflöslichen – Widerspruch. Obwohl ihrer Natur nach „offen“ konzipiert, bedürfte sie strengerer Regelungen, um erfolgreich zu sein. Die unzureichende Umsetzung des Lissabon-Prozesses, deren Kernstück die OMK war, hat dies nachdrücklich bewiesen.192 Die mangelnde Verbindlichkeit hat letztendlich dazu geführt, dass Ergebnisse bei weitem nicht dem entsprachen, worauf man sich ursprünglich geeinigt hatte. Ob der nun angestoßene Neubeginn der Lissabon-Strategie193 insoweit erfolgreicher sein wird, wird die Zukunft zeigen. 191 Metz, Almut, Innovation in EU Governance? Six proposals for taming Open Co-Ordination, S. 12. 192 Vgl. dazu Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok, Die Herausforderung annehmen – Die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, November 2004; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Beitrag zum Bericht der Kommission für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates am 22. und 23. März 2005 über die Lissabon-Strategie zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erneuerung, SEK (2005) 160 vom 28. 01. 2005.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Die OMK selbst kann nicht das Europäische Sozialmodell grundlegend formen. Sie könnte aber als eines der Instrumente zu ihrer Weiterentwicklung genutzt werden. Das Scheitern der Lissabon-Strategie in ihrer ursprünglich vorgesehenen Form, in deren Umfeld die OMK eingesetzt wurde, hat nach Kommissar Verheugen zu einer ernüchternden Erkenntnis der Europäischen Kommission geführt: „Die Lissabon-Strategie war so sehr überfrachtet mit Zielen, Programmen, benchmarks und guidelines, dass keine eindeutige Priorität mehr zu erkennen war“.194 14 Oberziele, 120 Unterziele, 130 Indikatoren und 300 Berichte sollten bewältigt werden.195 Und er identifiziert ein weiteres Problem: „. . . es gab keinen Mechanismus, der für eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten gesorgt hätte. Der größte Teil der Kompetenzen, die zur Erfüllung der Lissabon-Ziele benötigt werden, liegt in der Verantwortung der Mitgliedstaaten“. 196 Dies spricht dafür, sich dieses Instruments nur sehr zurückhaltend zu bedienen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass bereits die Indikatorenbildung und -festlegung ein großes Problem sind. Wenn es dann noch zu der beschriebenen grossen Berichtsflut kommt, muss man eingestehen, dass die OMK ein ungeeignetes Mittel ist, um die Mitgliedstaaten im Rahmen eines Benchmarks zu Vergleichen anzuregen oder die Indikatoren neu zu gestalten. Die kompetenziellen Probleme der OMK haben sich auch in der Diskussion um ihre Aufnahme im Verfassungsvertrag gezeigt.197 Metz weist darauf hin, dass die 193 Vgl. dazu u. a., Europäische Kommission, Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze, Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon, KOM (2005) 24 vom 02. 02. 2005; Commission of the European Communities, Lisbon action plan incorporating EU Lisbon Programme and recommendations for actions to member states for inclusion in their national Lisbon programmes, {COM (2005) 24} Working together for growth and jobs, SEC (2005) 192 vom 03. 02. 2005; Commission of the European Communities, Working together for growth and jobs, Next Steps in implementing the revised Lisbon strategy, SEC (2005) 622 / 2 vom 29. 04. 2005; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Gemeinsame Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung: Das Lissabon-Programm der Gemeinschaft, KOM (2005) 330 endg. vom 20. 07. 2005 und eine Analyse der Kosten, wenn Lissabon nicht umgesetzt wird: European Commission, The economic costs of non-Lisbon, A survey of the literature on the economic impact of Lisbon-type reforms, Occasional Papers No 16, March 2005; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Für Wachstum sorgen und Arbeitsplätze schaffen: ein neuer und integrierter Koordinierungszyklus für Wirtschaft und Beschäftigung in der EU – Begleitdokument zur Mitteilung an die Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2005, KOM (2005) 24, Zusammenarbeiten für Wachstum und Arbeitsplätze – Ein neuer Start für die Lissabonner Strategie, SEC (2005) 193 vom 03. 02. 2005. 194 Verheugen, Günter, Humboldt Rede Berlin, 30. 06. 2005, S. 1. 195 Vgl. insoweit Verheugen, Günter, Paradigmenwechsel in der Lissabon-Strategie für Europa. 196 Verheugen, Günter, Humboldt Rede Berlin, 30. 06. 2005, S. 1. 197 Ausführlich dazu Metz, Almut, Die Offene Methode der Koordinierung im Verfassungsprozess, in: integration 02 / 05, S. 136 ff.; vgl. dazu ferner Lang, Joachim / Bergfeld,
5. Europäische Beschäftigungsstrategie und Nationale Aktionspläne
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Aufnahme eines horizontalen Artikels zur OMK nicht zustande kam.198 Eine explizite Möglichkeit, auf den Mechanismus der OMK zurückzugreifen, sei bei der Sozialpolitik (Art. I-15 Abs. 3 und III-213 Verfassungsvertrag), der Forschungsund Technologiepolitik (Art. III-250 Verfassungsvertrag), dem Gesundheitswesen (Art. I-17 und III-278 Verfassungsvertrag) und der Industriepolitik (III-279 Verfassungsvertrag) aufgenommen worden. Im übrigen sei in weiteren Artikeln, wie z. B. III-206 Verfassungsvertrag auf Elemente der OMK verwiesen worden.199 Nicht eindeutig geklärt seien in den genannten Artikeln die Rollen von Rat, Europäischer Kommission und Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Indikatoren und Leitlinien und letztlich bei der Überwachung und Bewertung der Verfahren. Die Beteiligung des Europäischen Parlaments vollziehe sich auf der untersten möglichen Ebene, der Ebene der Unterrichtung. Insgesamt kommt Metz zu dem Ergebnis, dass im Verfassungsvertrag die Bestimmungen zur OMK „weder ausreichend kohärent noch transparent [sind]“200 und voraussichtlich weitere Diskussionen um Sinn, Zweck und Wirkungsweise der Methode provozieren werden. Damit kann man feststellen, dass die OMK im Rahmen des „Europäischen Sozialmodells“ nur restriktiv eingesetzt werden sollte und ihre Anwendung neuen Regeln unterworfen werden müsste, um sie zu einem wirklich sinnvollen Instrument der Gestaltung von Sozialpolitik zu machen.
5. Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) und Nationale Aktionspläne (NAP) 15. THESE: Die Europäische Beschäftigungsstrategie und die Nationalen Aktionspläne dienen der Richtungsweisung, der Selbstdisziplin und der Selbstkontrolle der Mitgliedstaaten in der Beschäftigungspolitik. Sie sind aber mit Blick auf die Beschäftigungsstrategie wiederum zu stark wirtschaftspolitisch und mit Blick auf die Nationalen Aktionspläne zu stark national und zu wenig europäisch orientiert, um das „Europäische Sozialmodell“ zu entwickeln.
Titel VIII. „Beschäftigung“ sieht im Art. 125 EGV vor, dass die Mitgliedstaaten an der Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie arbeiten. In den folgenden Artikeln (126 – 130 EGV) werden dann die Ziele, Maßnahmen und Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Gemeinschaft, Katarina, Zur ,offenen Methode der Koordinierung‘ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union, in: EuR 2005, S. 393. 198 Metz, Almut, Die Offene Methode der Koordinierung im Verfassungsprozess, in: integration 02 / 05, S. 141. 199 Metz, Almut, Die Offene Methode der Koordinierung im Verfassungsprozess, in: integration 02 / 05, S. 143. 200 Metz, Almut, Die Offene Methode der Koordinierung im Verfassungsprozess, in: integration 02 / 05, S. 147.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
die im Zusammenhang mit der Beschäftigungsstrategie zu verfolgen sind, aufgeführt.201
a) Ziel der Europäischen Beschäftigungsstrategie Die EBS ist gedacht als das wesentliche Instrument zur Orientierung und Sicherstellung der Koordinierung der beschäftigungspolitischen Prioritäten, zu denen sich die Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene bekennen. Das berühmte „Weißbuch über Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“202 aus dem Jahr 1993, das unter der Kommissionspräsidentschaft von Jacques Delors entstand, war Auslöser für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Beschäftigung auf EUEbene. Es wurde zur ideologischen, politischen und analytischen Grundlage für ein koordiniertes europäisches Beschäftigungskonzept. Von ihm inspiriert, einigte sich der Europäische Rat in Essen im Dezember 1994203 auf fünf Hauptziele, die von den Mitgliedstaaten verfolgt werden sollten. Dazu gehörten: Die Entwicklung von Humanressourcen durch Berufsausbildung. Die Förderung produktiver Investitionen durch gemäßigtere Lohnpolitiken. Effizientere Arbeitsmarktinstitutionen. Das Aufzeigen neuer Beschäftigungsquellen durch lokale Initiativen. Die Förderung des Zugangs zur Arbeitswelt für einige spezifische Zielgruppen wie zum Beispiel Jugendliche, Langzeitarbeitslose und Frauen.
Diese Ziele, die so genannte „Strategie von Essen“, wurden von den folgenden Schlussfolgerungen und Beschlüssen des Europäischen Rates noch bekräftigt. Erste Schritte wurden unternommen, gemeinsame europäische Indikatoren zu entwickeln und die Ebene der europäischen Institutionen zu stärken, als Ende 1996 ein ständiger Ausschuss für Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik geschaffen wurde. Während die Essen-Strategie auf mehr politische Verpflichtungen in der Beschäftigungspolitik setzte, basierte die Arbeit auf unverbindlichen Schlussfolgerungen des Europäischen Rates; eine klare Rechtsgrundlage, eine starke permanente Struktur sowie eine langfristige Vision fehlten jedoch. Deshalb bildete der Vertrag von Amsterdam einen bedeutenden Wendepunkt bei der Entwicklung eines koordinierten europäischen Konzepts in der Beschäftigungspolitik. 201 Vgl. dazu insgesamt Niedobitek, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 125 – 130 EGV. 202 Europäische Kommission, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung – Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert – Weißbuch, KOM (93) 700 endg. vom 5. Dezember 1993. 203 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat von Essen am 9. und 10. Dezember 1994.
5. Europäische Beschäftigungsstrategie und Nationale Aktionspläne
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b) Entwicklung der Europäischen Beschäftigungsstrategie Die Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) wurde auf dem Beschäftigungsgipfel von Luxemburg im November 1997204 auf der Basis der neuen Bestimmungen des Beschäftigungskapitels des EG-Vertrages in der Fassung von Amsterdam (Entwicklung der EBS) noch vor dessen Inkrafttreten ins Leben gerufen. „Der Europäische Rat hat beschlossen, den einschlägigen Bestimmungen des neuen Titels „Beschäftigung“ im Vertrag von Amsterdam sofort Wirksamkeit zu verleihen.“205 Auslöser war die Erkenntnis der Staats- und Regierungschefs, dass es gemeinsamer Aktionen auf europäischer Ebene bedurfte, um die zunehmende Arbeitslosigkeit und andere strukturelle Probleme206 auf den Arbeitsmärkten zu bekämpfen.207. Dieser sog. „Luxemburg-Prozess“, insbesondere der Koordinierungsmechanismus von Art. 128 EGV, sieht Folgendes vor:208 Der Europäische Rat legt jährlich von den Mitgliedstaaten zu berücksichtigende beschäftigungspolitische Leitlinien fest. Jeder Mitgliedstaat erstellt jährlich einen nationalen Bericht, in dem beschrieben ist, wie die Leitlinien auf nationaler Ebene umgesetzt werden. In der Praxis verbinden die Mitgliedstaaten diese Berichte mit den in Art. 128 EGV nicht vorgesehenen NAP Beschäftigung.209 Die Europäische Kommission und der Rat prüfen gemeinsam diese Berichte und legen dem Europäischen Rat einen gemeinsamen Beschäftigungsbericht vor. Die Europäische Kommission erarbeitet darüber hinaus jährlich neue Vor204 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Sondertagung des Europäischen Rates über Beschäftigungsfragen, Luxemburg, 20. / 21. November 1997. 205 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Sondertagung des Europäischen Rates über Beschäftigungsfragen, Luxemburg, 20. / 21. November 1997, S. 1. 206 Vgl. zur lokalen Dimension der Beschäftigungsstrategie den ausführlichen Bericht Campell, Mike / Sophoulis, Constantinos Man., Lokale Entwicklung und Beschäftigung in der Europäischen Union, Gemeinsame Aktion auf Lokalebene: Bessere und mehr Arbeitsplätze, besseres Regieren; vgl. dazu auch Gagel, Alexander, Einführender Diskussionsbeitrag, S. 194 ff.; vgl. dazu ferner Regent, Sabrina, The Open Method of Coordination: A New Supranational Form of Governance?, S. 194 f. 207 Vgl. zur sozialen Sicherung von Arbeitslosen Wanka, Richard, Arbeitsförderung – Soziale Sicherung für Arbeitslose, S. 111 ff.; vgl. dazu auch Eichenhofer, Eberhard, Themenbereich Arbeitsförderung / Soziale Sicherung für Arbeitslose, Einführender Diskussionsbeitrag, S. 189 ff. 208 Europäische Kommission, Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik der EU 1999 – 2001 Arbeit Zusammenhalt Produktivität, 2001, S. 6. 209 Niedobitek, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 128 EGV Rdnr. 15; die aktuellen NAP Beschäftigung 2005 können für alle Mitgliedstaaten abgefragt werden unter: http: //europa.eu.int/growthandjobs/pdf/nrp_2005_en.pdf; der aktuelle NAP Beschäftigung für die Bundesrepublik Deutschland findet sich unter: http: //ec.europa.eu/employment_social/employment_strategy/04_national_de.htm.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
schläge zur Aktualisierung der beschäftigungspolitischen Leitlinien für das jeweils folgende Jahr. Auf der Grundlage der Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs billigt der Rat formell die überarbeiteten beschäftigungspolitischen Leitlinien für das jeweils folgende Jahr. Der Rat kann ferner mit qualifizierter Mehrheit entscheiden, auf der Grundlage eines Vorschlags der Europäischen Kommission länderspezifische Empfehlungen zu formulieren.
Reagierend auf die sich verändernden sozio-ökonomischen Gegebenheiten hat der Europäische Rat auf seinen folgenden Tagungen grundlegende Orientierungen für die EBS selbst und / oder für die Verbindungen zwischen den Beschäftigungspolitiken und anderen Gemeinschaftspolitiken geliefert. Am wichtigsten waren die Gipfel in Cardiff (Juni 1998)210, Köln (Juni 1999)211, Lissabon (März 2000)212, Stockholm (Oktober 2001)213 und Barcelona (März 2002)214. Im Anschluss an den Europäischen Rat von Barcelona hat die Kommission ihre Mitteilung zur Straffung der jährlichen Koordinierungszyklen von Wirtschaftsund Beschäftigungspolitiken215 verabschiedet, die durch die Mitteilung bezüglich der EBS im Januar 2003216 ergänzt wurde. Die Taskforce „Beschäftigung“ unter Leitung von Wim Kok legte im November 2003 einen Bericht217 vor, der sich mit der Frage beschäftigte, wie mehr Beschäftigung in Europa geschaffen werden kann. Darin wird bereits bezweifelt, dass das Lissabon-Ziel zu erreichen ist. 210
Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Cardiff) vom 15. und 16. Juni
1998. Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Köln) vom 3. und 4. Juni 1999. Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000; vgl. dazu auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Gemeinschaftspolitiken zur Förderung der Beschäftigung, KOM (2000) 78 endg. vom 01. 03. 2000. 213 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Stockholm) vom 23. und 24. März 2001. 214 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Barcelona) vom 15. und 16. März 2002. 215 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission zur Straffung der alljährlichen wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Koordinierung, KOM (2002) 487 endg. vom 03. 09. 2002. 216 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Zukunft der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS), Eine Strategie für Vollbeschäftigung und bessere Arbeitsplätze für alle, KOM (2003) 6 endg. vom 14. 01. 2003. 217 Taskforce Beschäftigung, Bericht der Taskforce Beschäftigung, Jobs, Jobs, Jobs – mehr Beschäftigung in Europa schaffen, November 2003; genauso skeptisch argumentiert Kok bereits in Kok, Wim, Die Erweiterung der Europäischen Union – Errungenschaften und Herausforderungen, Bericht von Wim Kok an die Europäische Kommission, 19. März 2003, S. 51, in dem er die Fortschritte als „nicht zufrieden stellend“ bezeichnet. 211 212
5. Europäische Beschäftigungsstrategie und Nationale Aktionspläne
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Im April 2004 veröffentlichte die Europäische Kommission dann ein Papier, das die Mitteilung „Die europäische Beschäftigungsstrategie wirkungsvoller umsetzen“, den „Vorschlag für die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“ und eine „Empfehlung zur Durchführung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten“ enthielt,218 die beide zwischenzeitlich angenommen worden sind.219 Im April 2005 folgte die Vorlage einer Empfehlung der Kommission „Integrierte Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005 – 2008)“ in Verbindung mit einem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag)“.220
c) Verfahren Die Koordinierung der nationalen Beschäftigungspolitiken auf europäischer Ebene erfolgt nach den Art. 125 ff. EGV durch: Beschäftigungspolitische Leitlinien: Auf Vorschlag der Kommission einigt sich der Europäische Rat jedes Jahr auf eine Reihe von Leitlinien, die die gemeinsamen Prioritäten für die Beschäftigungspolitiken der Mitgliedstaaten beschreiben.221 Nationale Aktionspläne: Jeder Mitgliedstaat erarbeitet einen nationalen Aktionsplan, der beschreibt, wie diese Leitlinien national in die Praxis umgesetzt werden. Gemeinsamer Beschäftigungsbericht: Die Kommission und der Rat prüfen dann gemeinsam jeden nationalen Aktionsplan und legen einen gemeinsamen Be218 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die europäische Beschäftigungsstrategie wirkungsvoller umsetzen – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten – Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Durchführung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten, KOM (2004) 239 endg. vom 07. 04. 2004. 219 Entscheidung des Rates vom 12. Juli 2005 über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (2005 / 600 / EG), ABl. EU L 205 / 21 vom 06. 08. 2005; Empfehlung des Rates vom 14. Oktober 2004 zur Durchführung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten (2004 / 741 / EG), ABl. EU L 326 / 47 vom 29. 10. 2004. 220 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Integrierte Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005 – 2008), KOM (2005) 141 endg. vom 12. 04. 2005; siehe dazu auch Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Opinion „The Employment Guidelines: 2005 – 2008“, Proposal for a Council Decision on guidelines for the employment policies of the Member States, in accordance with Article 128 of the EC Treaty, CESE 675 / 05, Brüssel, 31. Mai 2005. 221 Z. B. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Durchführung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten, KOM (2003) 177 endg. vom 08. 04. 2003.
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schäftigungsbericht vor. Daneben legt auch die Kommission einen neuen Vorschlag zur Überarbeitung der Beschäftigungsleitlinien für das kommende Jahr vor. Empfehlungen: Auf Vorschlag der Kommission kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit darüber entscheiden, länderspezifische Empfehlungen zu veröffentlichen. So ist der Luxemburger Prozess ein laufendes Arbeitsprogramm der jährlichen Planung, Überwachung, Überprüfung und Neuanpassung.
Die EBS initiierte eine für diesen Bereich neue Arbeitsmethode auf europäischer Ebene, die „Offene Methode der Koordinierung“, die im Detail bereits unter VII. 4. beschrieben wurde. Jeder Mitgliedstaat erarbeitet seit Ende der 90er Jahre einen Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung (NAP), in dem beschrieben wird, wie die „Beschäftigungspolitischen Leitlinien“ in die nationale Praxis umgesetzt werden. Die NAP dokumentieren, was in einem Mitgliedstaat in den letzten 12 Monaten erreicht wurde und was für die kommenden 12 Monate geplant ist; sie verstehen sich sowohl als Planungs- als auch als Berichtsdokumente.222 Auch für den Bereich der sozialen Eingliederung, der in engem Zusammenhang mit den beschäftigungspolitischen Zielen steht, wurden NAP vereinbart, die sogenannten NAP (Eingliederung).223 Sie bilden einen grundlegenden Bestandteil der Offenen Methode der Koordinierung und sollen einen Überblick geben über die Lage in den Mitgliedstaaten hinsichtlich „Armut“ und „sozialer Ausgrenzung“. Auch die neuen Mitgliedstaaten haben zwischenzeitlich entsprechende Berichte vorgelegt. Einmal mehr zeigt sich dabei aber die bereits dargelegte Schwäche der praktischen Anwendung der Offenen Methode der Koordinierung, da die Berichte nicht 222 Die jeweils aktuellen Nationalen Aktionspläne können abgefragt werden unter: http: // www.europa.eu.int/comm/employment_social/employment_strategy/national_de.htm; vgl. dazu auch Mitteilung der Kommission, Von Leitlinien zu Maßnahmen: die nationalen Aktionspläne für Beschäftigung, KOM (98) 316, verabschiedet am 13. Mai 1998. 223 Vgl. dazu Ausschuss für Sozialschutz, Gemeinsames Konzept für die NAP (Eingliederung) 2003 / 2005; Rat der Europäischen Union, Übermittlung eines Textes des Rates (Beschäftigung und Sozialpolitik) für den Europäischen Rat in Nizza Nr. Vordokument: 12189 / 00 SOC 333 Betr.: Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung = Festlegung von geeigneten Zielen, 30. November 2000, SOC 470; Europäische Kommission, Gemeinsamer Bericht über die soziale Ausgliederung, 2002; Third European Round Table on Poverty and Social Exclusion, Social Inclusion in an enlarged EU: New Challenges, New Opportunities; Vignon, Jérôme, Une coalition des volontés et des consciences; Jehoel-Gijsbers, Gerda / Vrooman, Cok, Social exclusion in the Netherlands – Construction of a model of key risks on poverty and social exclusion; Commission of the European Communities, Joint Report on Social Inclusion summarising the results of the examination of the National Action Plans for Social Inclusion (2003 – 2005), COM (2003)773 final, {SEC(2003)1425}, 12. 12. 2003; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entwurf des gemeinsamen Berichts über Sozialschutz und soziale Eingliederung, KOM (2005) 14 endg. vom 27. 01. 2005.
5. Europäische Beschäftigungsstrategie und Nationale Aktionspläne
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nach gemeinsamen Vorgaben erstellt werden und dementsprechend sowohl hinsichtlich ihres Umfangs als auch hinsichtlich der abgedeckten Themen sehr unterschiedlich sind.224 Sie stehen in enger Verbindung zur Beschäftigungsstrategie, da in ihnen nicht nur eine Bestandsaufnahme enthalten ist, sondern auch Strategien beschrieben werden, die die Mitgliedstaaten zur Armuts- und Ausgrenzungsbekämpfung einzusetzen gedenken. Damit geben sie gleichfalls Auskunft über u.U. sozialpolitisch bedeutsame nationale Maßnahmen.
d) Bewertung Insgesamt kann man feststellen, dass die Europäische Beschäftigungsstrategie keine „Beschäftigungspolitik der Europäischen Gemeinschaft“ ist, sondern lediglich koordinierenden Charakter hat. Die unverändert hohen und in einigen Mitgliedstaaten steigenden Arbeitslosenzahlen lassen auch Zweifel an ihrer Wirksamkeit deutlich werden. Die Nationalen Aktionspläne stellen Daten zusammen und geben Auskunft über geplante Strategien, ihre Bedeutung wird aber relativiert durch die Unterschiedlichkeit der vorgelegten NAP sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der abgedeckten Themen, so dass eine Vergleichbarkeit – eigentlich ein wichtiges Ziel der Pläne – nicht gewährleistet ist. Abgesehen von der Tatsache, dass sowohl die Europäische Beschäftigungsstrategie als auch die Nationalen Aktionspläne nur auf begrenzte Teilbereiche des „Europäischen Sozialmodells“ abzielen, haben sie in der Vergangenheit kaum Wirkung gezeigt und die gesetzten Ziele nur zu einem geringen Teil erreicht,225 wie u. a. die noch stets nicht positiveren Arbeitslosenstatistiken in den meisten Mitgliedsländern und nicht zuletzt auch die unbefriedigenden Ergebnisses des Lissabon-Prozesses bewiesen haben. Somit sind weder die Europäische Beschäftigungsstrategie noch die in ihrem Zusammenhang zu erstellenden NAP geeignet, die Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ zu unterstützen.
224 Die NAP aller 25 Mitgliedsländer sowie die offizielle Feststellung der Europäischen Kommission hinsichtlich ihrer mangelnden Vergleichbarkeit finden sich im Internet unter: http: //ec.europa.eu/employment_social/social_inclusion/naps_de.htm. 225 Eichhorst, Werner / Rhein, Thomas, Die Europäische Beschäftigungsstrategie – Beispiel der Methode der offenen Koordinierung – Begründung und Zielsetzung der Europäischen Beschäftigungsstrategie, S. 9; Jülicher, Peter, 5 Jahre europäische Beschäftigungsstrategie, S. 9; RWI / ISG, Wirkungsbewertung nationaler Politiken im Zusammenhang mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie, S. 2.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
6. Lissabon-Prozess 16. THESE: Der Lissabon-Prozess ist zu einseitig auf die Erreichung beschäftigungspolitischer und wirtschaftspolitischer Ziele ausgerichtet, um zu einem „Europäischen Sozialmodell“ zu führen.
a) Entstehung War die europäische Politik bis 1994 eher einseitig auf den Binnenmarkt ausgerichtet, so änderte sich das sozialpolitische Konzept ab 1995. Nunmehr wurde die Steigerung der Beschäftigung das Ziel und nicht nur das Ergebnis der Wirtschaftspolitik. Auch legte man stärkeres Augenmerk auf die Sozialpolitik als „Investition“ (und nicht mehr nur als Kostenfaktor) und auf die „produktive“ Rolle der Sozialpolitik vor dem Hintergrund einer wirksamen Kombination aus Flexibilität und Sicherheit sowie Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit.226 Daraus wurde dann in der Folge ein „policy-mix“227 entwickelt, mit dessen Hilfe ein circulus virtuosus von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt herbeigeführt, die gegenseitige Abhängigkeit der politischen Maßnahmen zutage treten und der Effekt der wechselseitigen gegenseitigen Verstärkung maximal genutzt werden sollte. Ausfluss dieses neuen Konzepts war u. a. der Lissabon-Prozess228, auf den sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft am 23. und 24. März 2000 in Lissabon verständigten.
b) Methode und Verfahren Er sollte die Wirtschafts- und Sozialpolitik besser aufeinander abstimmen und hatte die langfristigen Ziele „Wettbewerbsfähigkeit“, „mehr und bessere Arbeits226 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 25 und 34; vgl. dazu auch European Commission, The social situation in the European Union 2001; Breuss, Fritz, Die Zukunft der Lissabon-Strategie, S. 7 ff. 227 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2000) 379 endg. vom 28. 06. 2000, S. 7. 228 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000; vgl. dazu auch allgemein European Economic and Social Committee, Report on the Lisbon strategy conference „The contribution of Organised Civil Society to the Lisbon Process, For a more participatory Union“, 8 – 10 October 2003 at the EESC; vgl. dazu ferner Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Die Durchführung der Lissabon-Strategie verbessern, CESE 1438 / 2004, 27. und 28. Oktober 2004.
6. Lissabon-Prozess
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plätze“ und „soziale Integration“ definiert. Er wurde sogar als „Wegweiser“ bei der künftigen europäischen Sozialpolitik bezeichnet.229 Mit Hilfe der sogenannten „Lissabon-Strategie“ sollte die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ gemacht werden. Zur Erreichung dieses Ziels bedürfe es einer globalen Strategie, in deren Rahmen der Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft durch bessere Politiken für die Informationsgesellschaft und für die Bereiche Forschung und Entwicklung sowie durch die Forcierung des Prozesses der Strukturreform im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation und durch die Vollendung des Binnenmarktes vorzubereiten ist; das europäische Gesellschaftsmodell zu modernisieren, in die Menschen zu investieren und die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen ist; für anhaltend gute wirtschaftliche Perspektiven und günstige Wachstumsaussichten Sorge zu tragen ist, indem nach einem geeigneten makroökonomischen Policy-mix verfahren wird.230
Angestrebt wurden mit der Lissabon-Strategie vier Prioritäten: Dauerhaftes Wirtschaftswachstum durch einen geeigneten makro-ökonomischen „policy-mix“. Mehr und bessere Arbeitsplätze. Größerer sozialer Zusammenhalt durch die Modernisierung des europäischen Gesellschaftsmodells. Einführung des Prinzips der Nachhaltigkeit in die Gemeinschafts-Politiken.
Als Umsetzungsmechanismen der Lissabon-Strategie wurden eingesetzt: Frühjahrstagungen des Rates. Überarbeitung der Programme und Pläne des Rates. Einbindung des Europäischen Parlaments und der anderen EU-Institutionen, der Sozialpartner und der organisierten Bürgergesellschaft auf Gemeinschaftsebene. Entwicklung der Instrumente der offenen Koordinierungsmethode. 229 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 28; vgl. dazu auch Moser, Erhard, Das Europäische Wirtschafts- und Sozialmodell, Stand der Umsetzung ein Jahr nach Lissabon, S. 8 ff.; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Das ganze Potenzial ausschöpfen: Konsolidierung und Ergänzung der Lissabonner Strategie, KOM (2001) 79 endg. vom 07. 02. 2001; Europäische Kommission, Entscheidung für Wachstum: Wissen, Innovation und Arbeit in einer auf Zusammenhalt gegründeten Gesellschaft, KOM (2003) 5 endgültig / 2,{SEK(2003)25}, vom 03. 04. 2003. 230 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000, S. 2.
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Gleichzeitig sollten mit dieser Strategie die Voraussetzungen für Vollbeschäftigung geschaffen und ein jährliches Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 3 % erreicht werden, wobei die Verantwortlichkeit für die Umsetzung der LissabonStrategie bei den Mitgliedstaaten lag.
c) Zwischenbilanz der Lissabon-Strategie Spätestens mit den „Kok-Berichten“231 wurde klar, dass das Ziel der im Jahr 2000 verabschiedeten Lissabon-Strategie, Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, nicht mehr zu realisieren ist.232 Diese Einschätzung wird sowohl von Vertretern der aus dem Amt geschiedenen als auch der neuen Europäischen Kommission geteilt und von den meisten Berichten bestätigt, die im Vorfeld des Europäischen Rats am 22. / 23. März 2005 zur Halbzeitüberprüfung des Lissabon-Prozesses veröffentlicht worden sind. Nach Auffassung aller Berichte ist es nach fünf Jahren nicht gelungen, die Vorteile des wissensbasierten Europas zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen. Die überladene Agenda, miteinander konfligierende Prioritäten und unüberschaubare Strukturen der Lissabon-Strategie sowie vor allem fehlender politischer Wille in den Mitgliedstaaten sind nach Auffassung der Expertenkommission um den ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten Kok für diese ernüchternde Bilanz verantwortlich. So bestand das Konzept aus einer Vielzahl von Haupt- und untergeordneten Zielen, in deren Zusammenhang über 100 verschiedene Indikatoren233 verwendet wur231 Taskforce Beschäftigung, Bericht der Taskforce Beschäftigung: Jobs, Jobs, Jobs – mehr Beschäftigung in Europa schaffen, November 2003; Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok, Die Herausforderung annehmen – Die LissabonStrategie für Wachstum und Beschäftigung, November 2004. 232 Vgl. dazu Deutscher Bundestag, Drucksache 15 / 5025, 15. Wahlperiode, 08. 03. 2005, Wachstum in Deutschland und Europa stärken – Neue Strategie für Lissabon-Ziele entwickeln, S. 1; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Beitrag zum Bericht der Kommission für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates am 22. und 23. März 2005 über die Lissabon-Strategie zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erneuerung, SEK (2005) 160 vom 28. 01. 2005; so auch Verheugen, Günter, Mehr Wachstum, mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Innovation – Die EU und die Lissabon-Ziele, S. 3; so auch Bützow Mogensen, Ulrik / Lenain, Patrick / Royuela-Mora, Vicente, The Lisbon Strategy at Midterm: Expectations and Reality, S. 6; vgl. dazu auch Hessel, Philipp, Prioritätenwechsel in der EU-Finanzpolitik? Die Agenda 2007 im Zeichen der Lissabon-Agenda, in: integration 3 / 05, S. 268 ff.; vgl. dazu auch Breuss, Fritz, Die Zukunft der Lissabon-Strategie, S. 10 f.; Lenain, Patrick, Lisbon at mid-term: How to refocus the policy agenda?, S. 23; so auch Sapir, André, Globalisation and the Reform of European Social Models, S. 14. 233 Vgl. zu den Indikatoren im einzelnen Moreno, Rosina / Royuela-Mora, Vicente / Vayá, Esther, Monitoring targets of the Lisbon Strategy, S. 53 ff.
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den. Das Berichterstattungssystem führte dazu, dass von den 25 Mitgliedstaaten insgesamt 300 jährliche Berichte abgefasst werden mussten, die – wie die Kommission selbst auf ihrer Webseite zum Lissabon-Prozess zugibt234 – im Grunde niemand liest. d) Neustart der Lissabon-Strategie Dies hat nicht dazu geführt, die Lissabon-Strategie zu beenden, vielmehr wurde am 2. Februar 2005 ein neuer Entwurf der Lissabon-Strategie235 vorgelegt. Darin hält man an der Grundidee fest und plädiert dafür, die Ziele Wachstum und Arbeitsplätze in das Zentrum einer neuorientierten Lissabon-Strategie zu stellen, ohne sich einen strikten Zeitrahmen zu setzen. Ergänzt wird der neue Ansatz durch mehrere Arbeitspapiere der Europäischen Kommission zur Umsetzung der neuen Lissabon-Strategie.236 Das aktuellste Dokument, eine Mitteilung zum Lissabon-Programm der Gemeinschaft237, beginnt bezeichnenderweise mit der Überschrift „Eine Botschaft der Zuversicht und Entschlossenheit“. Es nimmt Bezug auf den Neubeginn der Strategie von Lissabon und beschreibt die wichtigsten Elemente des „Neubeginns“. Dazu gehört die Überarbeitung der Governance-Struktur, insbesondere das bessere „Ineinklangbringen“ der Aufgaben und Kompetenzen zur Erreichung von mehr Synergie und Effizienz, die letztlich resultiert in einer Zweiteilung der Agenda zwischen den Mitgliedstaaten und der Ebene der Europäischen Gemeinschaft. Während der Schwerpunkt der Mitgliedstaaten auf den beschäftigungspolitischen http: / / europa.eu.int / growthandjobs / index_de.htm. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze – Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon, KOM (2005) 24 vom 02. 02. 2005; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Für Wachstum sorgen und Arbeitsplätze schaffen: ein neuer und integrierter Koordinierungszyklus für Wirtschaft und Beschäftigung in der EU – Begleitdokument zur Mitteilung an die Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2005, KOM (2005) 24 Zusammenarbeiten für Wachstum und Arbeitsplätze – Ein neuer Start für die Lissabonner Strategie, SEC (2005) 193 vom 03. 02. 2005. 236 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Beitrag zum Bericht der Kommission für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates am 22. und 23. März 2005 über die Lissabon-Strategie zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erneuerung, SEK (2005) 160 vom 28. 01. 2005; Commission of the European Communities, Lisbon Action Plan incorporating EU Lisbon Programme and Recommendations for actions to member states for inclusion in their national Lisbon Programmes, SEK (2005) 192 vom 03. 02. 2005; Commission of the European Communities, Working together for growth and jobs – Next steps in implementing the revised Lisbon strategy, SEC (2005) 622 / 2 vom 29. 04. 2005; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds, KOM (2005) 535 vom 25. 10. 2005. 237 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Gemeinsame Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung: Das Lissabon-Programm der Gemeinschaft, KOM (2005) 330 endg. vom 20. 07. 2005. 234 235
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Maßnahmen liegen soll, will die Europäische Kommission ihre Anstrengungen auf folgende Schlüsselmaßnahmen konzentrieren: Unterstützung von Wissen und Innovation in Europa, Reform der Beihilfepolitik, Verbesserung und Vereinfachung des Regelungsumfeldes für Unternehmen, Vollendung des Binnenmarkts für Dienstleistungen, Abschluß einer ehrgeizigen Vereinbarung im Rahmen der Doha-Runde, Beseitigung von Hindernissen für die Mobilität in den Bereichen Transport, Arbeit und Bildung, Entwicklung eines gemeinsamen Konzepts für wirtschaftliche Migration, Unterstützung von Maßnahmen zur Abfederung der sozialen Auswirkungen wirtschaftlicher Umstrukturierungen.
Diese Ziele werden im folgenden detaillierter ausgeführt, wobei von besonderem Interesse ist, dass die Erbringung effektiver und hochwertiger Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse als Schlüsselelement des europäischen Wohlfahrtsstaates bezeichnet wird. So heißt es wörtlich: „Sie ist von wesentlicher Bedeutung für die Sicherstellung des sozialen und territorialen Zusammenhalts und trägt zur Wettbewerbsfähigkeit bei.“238 e) Bewertung Die Lissabon-Strategie wurde zwar vom Europäischen Rat initiiert, letztlich ist sie aber, wie Lamping239 zu recht feststellt, zu einem Werkzeug der Europäischen Kommission geworden, einem auf Dauer gestellten Versuch, sich und der Union Fähigkeiten zuzuschreiben, die sie nicht hat, aber gerne besitzen würde. Da sich die Mitgliedstaaten ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht von der Europäischen Union verordnen lassen wollen, muss sich die „Lissabon-Strategie“ mit kritischen Lageberichten, Reformvorschlägen und Appellen bescheiden, in denen sie die Mitgliedstaaten zu aktivem abgestimmtem Handeln auffordert. Jenseits der konkreten Implikationen der „Lissabon-Strategie“ hat sich in der politischen Debatte über das „Europäische Sozialmodell“ ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Polen aufgebaut: Auf der einen Seite befinden sich jene, die der Ansicht sind, dass Sozialpolitik auch künftig vornehmlich durch nationale Institutionen getragen und die Europäi238 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Gemeinsame Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung: Das Lissabon-Programm der Gemeinschaft, KOM (2005) 330 endg. vom 20. 07. 2005, S. 9. 239 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 10 f.
6. Lissabon-Prozess
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sche Union nur eine untergeordnete Rolle spielen wird. Aus dieser Perspektive werden sowohl die Unterschiedlichkeiten in den Sozialstaatskonzeptionen und Sozialstaatsverfassungen als auch die fehlende Unterstützung in der Bevölkerung für eine starke Rolle der Europäischen Union im Bereich der Sozialpolitik betont. Sozialpolitik ist dabei nicht nur ein Faktor, der einen Unterschied zwischen den Mitgliedstaaten machen, sondern auch ein kompetitives Moment, das im Binnenmarkt eingesetzt werden soll, sowie ein Moment der nationalen Identitätssicherung und politischen Unterstützungssicherung. Auf der anderen Seite befinden sich die Befürworter einer umfassenderen Kompetenzzuweisung an die europäische Ebene, vor allem an die Europäische Kommission, die sie mit starken regulatorischen Kompetenzen und verteilungspolitischen Kapazitäten ausgestattet sehen wollen. Diese Befürworter eines starken „Sozialen Europas“ wollen nicht nur die vermeintlich pathogenen Effekte der fundamentalen Asymmetrie zwischen negativer und positiver Integration beheben und das „kalte Projekt“ des Binnenmarktes sozial flankieren, sondern sehen in Europa eine verantwortliche und verantwortungsvolle Instanz für die Wiederherstellung und langfristige Sicherung einer elaborierten europäischen Sozialstaatlichkeit – die EU als Wächter und Schützer der Sozialstaatlichkeit. Während die Gegner grundlegend bezweifeln, ob und dass die europäischen Institutionen tatsächlich als Adressaten von Ausgleichsforderungen und sozialpolitischen Ansprüchen eine zentrale Rolle spielen können und werden, sehen die Befürworter einer steigenden Kompetenzakkumulation auf supranationaler Ebene den Erfolg des Integrationsprojektes davon abhängig, wieweit es der EU gelingt, den wachsenden Bedürfnissen nach sozialer Sicherheit Rechnung zu tragen und einen Kanon an Recht und Verantwortlichkeit aufzubauen, der die wachsenden Marktrisiken wirksam auffängt. Wenig wird indes darüber reflektiert, ob die Legitimation und Akzeptanz für eine starke supranationale Funktionsübernahme überhaupt gegeben sind.240 Und, so Lamping: „Multiple institutionelle Vetopunkte und starke legitime nationale Selbstinteressen stellen ein substantielles Hindernis für ein supranationales Mandat im Bereich der sozialen Sicherungspolitik dar. Gleiches gilt für die begrenzten finanziellen Ressourcen, die es der Europäischen Union politisch gewollt nicht erlauben, weitreichende sozialpolitische Funktionen, etwa im Sinne einer Verteilungspolitik, zu übernehmen. Analysiert man den Acquis, dann haben bis dato solche Politiken, die das Prestige der Europäischen Kommission gesteigert haben und von den Mitgliedstaaten als harmlos empfunden wurden (z. B. in den Bereichen Gleichstellungspolitik, berufliche Ausbildung oder Public Health) oder deren Kosten auf „Dritte“ abgewälzt werden konnten (z. B. beim Arbeitsschutz), weitgehende Akzeptanz gefunden. 240 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 10 f.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Die Mitgliedstaaten sind nach wie vor im Meinungsbild der Bevölkerung die zentrale Zurechnungseinheit von sozialpolitischer Primärverantwortlichkeit und Solidarzugeständnissen. Gleichzeitig dienen gerade sozialpolitische Institutionen der Bevölkerung als wichtiges Moment der eigenen Identitätsbildung und der Vertrautheit, spiegelbildlich aber auch als Möglichkeit der sozialen Grenzziehung zwischen „sich“ und „den anderen“ Sozialstaatskulturen und Sozialräumen. Sozialpolitische Institutionen, solche im Bereich der Distribution und Redistribution, aber auch im Bereich der Dienstleistungen, die auf Kommunikation und unausgesprochenen kulturellen Subtexten beruhen, wie etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung, können daher eine erhebliche nationalstaatliche Verhaftung mobilisieren. Es ist evident, dass nationale Regierungen mit Widerstand zu rechnen hätten, sollten sie einem Transfer von sozialpolitischen Kernkompetenzen auf die supranationale Ebene zustimmen, was zur Folge hätte, tradierte nationale Arrangements durch qualitativ unterschiedliche und in ihren Wirkungen unvorhersehbare europäische Lösungen zu ersetzen“.241 Gemäß Eurobarometer 58 (Herbst 2002)242 haben 64 % der Befragten angegeben, dass sie „health and welfare“ als Politikbereiche ansehen, in denen allein die nationale Regierung kompetent und entscheidungsbefugt sein sollte. Gefragt, ob sie im Zuge der Integration den „Verlust sozialer Leistungen“ fürchten, haben sich 51 % der Befragten zustimmend geäußert (Eurobarometer 54, Herbst 2000).243 Zusammenfassend kann man feststellen, dass der Lissabon-Prozess kein Erfolg war.244 Auch wenn versucht wird, wesentliche Teile zu retten, indem man sich nicht mehr unter Zeitdruck setzt, grundsätzlich aber an der Idee festhält, ist dies ein weiteres Beispiel dafür, dass die unzureichende Kooperation der Mitgliedstaaten zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen geführt hat245 und die Bürger keine wesentlichen Verbesserungen ihrer Situation feststellen konnten. Die beschäftigungspolitische und wirtschaftliche Ausrichtung hat nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. Dies lag nicht nur an der generell zu konstatierenden wirtschaftlichen Verschlechterung in Europa, sondern auch zu einem nicht geringen Maß an der fehlenden Verbindlichkeit. 241 Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 11. 242 European Commission, Eurobarometer – Public Opinion in the European Union, Report Number 58, Release: March 2003. 243 EEIG – The European Research Group, EUROBAROMETER 54.2 – The social situation in the European Union, Report drawn up for Directorate-General „Employment and Social Affairs“, February 2001; Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 12. 244 Vgl. dazu auch Fitz Gerald, John, Progress on the Lisbon Agenda, S. 2 und 3. 245 Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok, Die Herausforderung annehmen – Die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, November 2004, S. 6, 7, 12.
7. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
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Mit Blick auf das „Europäische Sozialmodell“ kann festgestellt werden, dass der Lissabon-Prozess weder in der ursprünglichen noch in der aktualisierten Version zu einer echten sozialpolitischen Dimension beitragen kann.
7. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss 17. THESE: Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist ein wichtiges Forum der Meinungsbildung und Interessenabstimmung in sozialen Fragen auf europäischer Ebene. Letztendlich fehlt es ihm aber an Repräsentativität, da er nicht alle Akteure einbezieht. Seine lediglich beratende Funktion verhindert eine echte Einflussnahme im Sinne der Fortbildung des „Europäischen Sozialmodells“.
a) Entwicklung Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss spielt bei der Einflussnahme auf das „Europäische Sozialmodell“ eine spezielle Rolle, die ihn von den anderen europäischen Institutionen unterscheidet. Er ist, schon seinem Namen nach, der Sozialpolitik besonders verbunden und kanalisiert die Interessen der Zivilgesellschaft. Damit hat er in der Vergangenheit entscheidende Impulse zur Weiterentwicklung der sozialen Dimension gegeben und in nicht unerheblicher Weise zur Diskussion um das „Europäische Sozialmodell“ beigetragen. Der bereits 1958 errichtete Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist auf europäischer Ebene das Forum zur Anhörung, Vertretung und Information der organisierten Zivilgesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als „Brücke zwischen Europa und der Zivilgesellschaft“ und sieht sich unter Bezugnahme auf Art. 257 EGV als „institutionelle Vertretung der organisierten Zivilgesellschaft“. 246 Im Rahmen der von ihm verfassten Stellungnahmen und Berichte kann sich die Zivilgesellschaft auf der europäischen Ebene einbringen. Er setzt sich zusammen aus Vertretern der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Bereiche der organisierten Zivilgesellschaft, insbesondere der Erzeuger, der Landwirte, der Verkehrsunternehmer, der Arbeitnehmer, der Kaufleute und Handwerker, der freien Berufe, der Verbraucher und des Allgemeininteresses.
b) Aufgaben und Arbeitsweise Seine grundlegende Aufgabe ist die Beratung des Rates, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments. Die Befassung des Ausschusses ist 246 Vgl. dazu Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Der EWSA: Brücke zwischen Europa und der organisierten Zivilgesellschaft, 2003.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
gem. Art. 262 EGV in den in den Verträgen verankerten Bereichen verpflichtend, er wird aber auch immer öfter freiwillig im Zuge der Entscheidungsfindung und im Vorfeld der politischen Beschlussfassung einbezogen. Der Ausschuss verfolgt drei Hauptziele247: 1. Wahrnehmung einer beratenden Funktion bei den drei großen Institutionen (Europäisches Parlament, Rat, Kommission). 2. Förderung sowohl auf nationaler wie auch europäischer Ebene einer stärkeren Einbindung und Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft der Union in das europäische Einigungswerk und Beitrag zur Verwirklichung des Ziels, Europa seinen Bürgern näher zu bringen. 3. Stärkung der Rolle der organisierten Zivilgesellschaft in den Staaten oder geografischen Regionen (oder Gruppen von Ländern) außerhalb der Gemeinschaft, zu denen er Beziehungen aufgebaut hat und weiterhin unterhält und in denen er einen strukturierten Dialog mit den Organisationen der Zivilgesellschaft, insbesondere den Sozialpartnern, führt, sowie Förderung der Schaffung beratender Strukturen nach seinem Vorbild. Zur Erfüllung dieser Ziele kann der Ausschuss sich prinzipiell dreier Arten von Handlungsformen bedienen, deren Einbeziehung in die Rechtsetzung aber im Ermessen der jeweiligen Organe liegt.248 Stellungnahmen aufgrund einer Befassung durch die Europäische Kommission, den Rat und das Europäische Parlament. Initiativstellungnahmen, die ihm die Möglichkeit geben, sich zu allen Themen zu äußern, die ihm angemessen erscheinen. Stellungnahmen mit Sondierungscharakter, die auf Ersuchen der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments oder sogar des Ratsvorsitzes der EU erarbeitet werden. Sie dienen der Reflexion und Unterbreitung von Vorschlägen zu einem bestimmten Thema, die später in einen entsprechenden Vorschlag der Kommission einfließen können.
Der Ausschuss kann auch eine seiner Fachgruppen beauftragen, zur Prüfung einer Frage von allgemeinem Interesse oder aktuellem Bezug einen Informationsbericht zu erarbeiten. Schließlich kann er auf Vorschlag einer Gruppe Entschließungen zu allen Fragen erarbeiten, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Zu sozialen Themen hat der EWSA z. B. Stellungnahmen veröffentlicht im Zusammenhang mit der Rolle der Zivilgesellschaft bei der Verhinderung von Schwarzarbeit249, der Beschäftigungspolitik250 oder den Beziehungen zwischen 247 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Der EWSA: Brücke zwischen Europa und der organisierten Zivilgesellschaft, 2003, S. 11. 248 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Der EWSA: Brücke zwischen Europa und der organisierten Zivilgesellschaft, 2004.
7. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
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den Generationen251. Beachtenswert sind auch seine allgemeinen Veröffentlichungen und Broschüren zu aktuellen Themen, wie z. B. zur Lissabon-Strategie252 und den Sozialmodellen in der Europäischen Union253. Da der EWSA seit Beginn der Europäischen Union die soziale Entwicklung begleitet hat, ist er eine der wenigen Konstanten in diesem Prozess. Durch seine lediglich beratende Funktion hat er aber stets eine eher passive Rolle in der Entwicklung der Sozialpolitik gespielt. Ein weiteres Manko ist seine aufgrund der Gruppenzusammensetzung zweifelhafte demokratische Legitimation, da er weder unmittelbar (wie das Europäische Parlament) noch mittelbar (wie der Rat der Europäischen Union oder die Europäische Kommission) die Allgemeinheit repräsentiert. Deutlich an Profil hat der EWSA gewonnen seit der Einsetzung des AdR254, mit dem er fortan konkurrierte und der seine Arbeit mit der konstituierenden Plenarsitzung am 9. / 10. März 1994 aufnahm, und mit der Stärkung der Zivilgesellschaft, als deren Sprachrohr der EWSA sich sieht und fungiert. Nach seiner Definition läßt sich die organisierte Zivilgesellschaft beschreiben als Gesamtheit aller Organisationsstrukturen, deren Mitglieder über einen demokratischen Diskurs dem allgemeinen Interesse dienen und welche auch als Mittler zwischen öffentlicher Gewalt und den Bürgern auftreten. Zu ihr zählen die Sozialpartner (sog. „Arbeitsmarktparteien“), Vertretungsorganisationen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich, Nichtregierungsorganisationen, in denen Menschen gemeinsame Ziele verfolgen (z. B. Wohlfahrtseinrichtungen), CBO’s255, also Organisationen, die aus der Mitte und von der Basis der Gesellschaft her entstehen und mitgliederorientierte Ziele verfolgen, wie z. B. Jugendorganisationen oder Familienverbände und alle Organisationen, über die die Bürger am Leben in der Kommune teilnehmen können, sowie die Religionsgemeinschaften. 256 249 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme „Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Verhinderung von Schwarzarbeit“ (Initiativstellungnahme), SOC / 172 vom 07. April 2005. 250 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme „Beschäftigungspolitik: Rolle des EWSA nach der Erweiterung und in der Perspektive des Lissabonner Prozesses“, SOC / 187 vom 09. Februar 2005. 251 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme „Beziehungen zwischen den Generationen“, SOC / 174 vom 16. Dezember 2004. 252 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Broschüre: „Towards a more dynamic approach to implementing the Lisbon Strategy: the position of the EESC“, Office for Official Publications of the European Communities, Luxembourg 2004. 253 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Broschüre „Social Models in the EMU: convergence? coexistence? The Role of Economic and Social Actors“, EESC pamphlets series, 2003. 254 Ausschuss der Regionen. 255 CBO – Community-Based Organisation.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
c) Bewertung Der EWSA könnte als Basis der Einflussnahme der Zivilgesellschaft und damit letztlich der Bürgerbeteiligung wirken, wenn hier alle Interessen gebündelt würden und es sich um den einzigen legitimen Ort handelte, von dem aus gegenüber den europäischen Institutionen Stellung genommen wird. Die Realität zeigt demgegenüber, dass die Möglichkeit der Einflussnahme in Brüssel tatsächlich viel breitgefächerter und unkoordinierter stattfindet. Alle Arten von Akteuren nutzen den „Lobbyingplatz“ Brüssel, um sich zu etablieren und ihre Interessen zu vertreten. So sind die Gewerkschaften nicht nur im EWSA vertreten, sondern haben auch noch eigene Vertretungsbüros, von denen aus sie agieren. Dasselbe gilt für kirchliche Organisationen und Verbraucherverbände etc. Erschwerend kommt ferner hinzu, dass sich die Europäischen Institutionen selbst im Rahmen der sog. „Komitologie“257 einer unüberschaubaren Anzahl von ad-hoc-Ausschüssen, Arbeitsgruppen, Komitees, Expertengruppen u.ä. bedienen, die regelmäßig mit Vertretern der Mitgliedstaaten besetzt werden.258 Es ist aber nicht unüblich, dass dazu auch Experten und sogar Interessenvertreter eingeladen werden, die dort beratend tätig werden. Daneben kann die Europäische Kommission jederzeit beratende Gremien einrichten, die mit Experten besetzt werden und zu einzelnen Problemen Stellungnahmen erarbeiten. Damit kann man feststellen, dass der EWSA eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Entwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ spielt, da er fach- und mitgliedstaatlich übergreifende und gebündelte Stellungnahmen abgeben kann. Letztlich beeinflussend oder gestaltend auf das Modell an sich wirkt er allerdings nicht, sondern kann lediglich als „Mosaikstein“ betrachtet werden. Weder vertritt er „alle“ Interessen die im sozialen Kanon von Bedeutung sind, noch kann er sie abschließend bündeln, wie am Beispiel des Lobbying und der Komitologie beschrieben wurde. Ebensowenig nimmt er eine zukunftsorientiert koordinierende Funktion wahr, da ihm zum einen die organschaftlichen Durchset256 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“ (1999 / C 329 / 10), ABl. EG C 329 / 30 vom 17. 11. 1999, Ziff. 7.1 und 8.1. 257 Vgl. dazu auch den sog. Komitologiebeschluß: Beschluss des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (1999 / 468 / EG), ABl. EG L 184 / 23 vom 17. 07. 1999 und Beschluss des Rates vom 17. Juli 2006 zur Änderung des Beschlusses 1999 / 468 / EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (2006 / 512 / EG), ABl. EU L 200 / 11 vom 22. 07. 2006. 258 Vgl. generell zur Komitologie: Fischer, Klemens H., Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union, S. 51 ff.; zur Frage der Reform der Komitologie Allio, Lorenzo, The Europe we need, Working Paper „The case for comitology reform: Efficiency, transparency, accountability“, 19. February 2003.
8. Rolle der Zivilgesellschaft
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zungsmöglichkeiten als lediglich organähnlicher Einrichtung fehlen und er zum anderen fast ausschließlich bei der Gestaltung einzelner, nicht auf ein politisches Gesamtziel ausgerichteter Aspekte tätig wird. Eine weitere Schwäche ist die Tatsache, dass die Akzeptanz des Inhalts seiner Stellungnahmen im jeweiligen Ermessen der Institutionen steht. Somit kann er nicht wirklich nachhaltig beeinflussen und gestalten, sondern lediglich zur Meinungsbildung beitragen.
8. Rolle der Zivilgesellschaft 18. THESE: Die Zivilgesellschaft kann nur ein „Meinungsbild“ reflektieren und damit in die Politik zur Schaffung eines „Europäischen Sozialmodells“ einbezogen werden. Aufgrund ihrer Heterogenität und mangelnden Repräsentativität spielt sie aber keine bestimmende Rolle.
a) Funktion Neben der indirekten Einbindung der Zivilgesellschaft in die Arbeit des EWSA, spielt sie eine immer stärkere direkte Rolle als unmittelbarer Ansprechpartner der Europäischen Institutionen bei Konsultationen. Bedingt durch die bereits beschriebene wirtschaftliche Ausrichtung der Europäischen Union und die damit einhergehende nur zurückhaltend betriebene Verwirklichung der sozialen Dimension vertiefte sich der Abstand zu den Bürgern. Die Konsequenz war eine mangelnde Akzeptanz, ein Problem, das schon lange bekannt war, und durch Eurobarometer-Umfragen regelmäßig untermauert wurde. Das Eurobarometer vom Juli 2005 zeigt dementsprechend auch deutlich, dass die Akzeptanz im Vergleich zum letzten Jahr wiederum um einige Punkte in allen Bereichen gefallen ist.259 Eine wirkliche „Schockwirkung“ erzielte aber in dieser Beziehung erst das negative Referendum Irlands zum Vertrag von Nizza. Zum ersten Mal manifestierte sich nicht nur eine eher „amorphe“ Ablehnung der Bürger, sondern die „Bürgerferne“ zeitigte konkrete politische Auswirkungen.
b) Konsultationsmechanismen Diese Erfahrung führte dazu, dass Lösungen gesucht wurden, um die Bürger stärker in die Politikprozesse der Europäischen Union einzubeziehen. Eine der Antworten darauf lautete: „Stärkung der Zivilgesellschaft“. 259 European Commission, Eurobarometer 63, Public Opinion in the European Union, First results, Fieldwork: May-June 2005, Publication July 2005, S. 49.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Diese erfolgt durch die Nutzung der bereits in Protokoll Nr. 21 zum Vertrag von Amsterdam über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorgesehenen Möglichkeit, dass „die Kommission [ . . . ] umfassende Anhörungen durchführen und in jedem geeigneten Fall Konsultationsunterlagen veröffentlichen“ sollte. Solche Konsultationsmechanismen gehören – neben der regelmäßigen Einbeziehung der beiden institutionalisierten beratenden Gremien, EWSA und AdR – zu den Tätigkeiten aller europäischen Organe im Rahmen des gesamten Rechtsetzungsprozesses, von der Politikgestaltung vor einem Vorschlag der Europäischen Kommission bis hin zur endgültigen Annahme einer Maßnahme durch die Legislative und ihrer Umsetzung. In Art. 257 EGV findet sich im Zusammenhang mit dem EWSA der Begriff der „organisierten Zivilgesellschaft“ mit besonderer Bezugnahme auf einige Teile der Zivilgesellschaft, wie Erzeuger, Arbeitnehmer, Verbraucher etc. Die dort aufgeführten Beispiele sind aber nicht abschließend und beziehen sich auf die Zusammensetzung des EWSA, eine allgemeingültige Beschreibung des Begriffs enthält der Vertrag nicht. Auch seitens der Europäischen Kommission wurde eine Definition der „Zivilgesellschaft“ bislang noch nicht festgelegt. In ihrer Mitteilung betreffend allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien räumt die Europäische Kommission selbst ein, dass es zu Schwierigkeiten kommen kann, weil es keine gemeinsame oder gar rechtliche Definition des Begriffs „organisierte Zivilgesellschaft“ gibt, und verweist dann darauf, dass der Begriff der „Zivilgesellschaft“ . . . „gleichwohl als Kurzformel benutzt werden [kann], um eine Vielzahl von Organisationen zu bezeichnen, z. B. die Arbeitsmarktparteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände – auch ,Sozialpartner‘ genannt); Vertretungsorganisationen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich, die nicht Sozialpartner im engeren Sinn sind (beispielsweise Verbraucherorganisationen); NRO (Nichtregierungsorganisationen), in denen Menschen gemeinsame Ziele verfolgen (Umweltorganisationen, Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtseinrichtungen, Aus- und Weiterbildungseinrichtungen usw.); CBO (,community-based organisations‘), also Organisationen, die aus der Mitte und von der Basis der Gesellschaft her entstehen, und mitgliederorientierte Ziele verfolgen, z. B. Jugendorganisationen, Familienverbände und alle Organisationen, über die die Bürger am Leben in den Kommunen teilnehmen können, sowie Religionsgemeinschaften“.260 260 Mitteilung der Kommission, Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs – Allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission KOM (2002) 704 endg. vom 11. 12. 2002, S. 6; vgl. zur Definition des Begriffs der Zivilgesellschaft auch Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, ABl. EG C 329 / 31 f. vom 17. 11. 1999; Diskussionspapier der Europäischen Kommission, Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen, 1999, S. 14; European Economic and Social Committee, Seminar: European social dialogue and civil dialogue: Differences and complementarities, EESC pamphlets series, 10 June 2003, S. 8.
8. Rolle der Zivilgesellschaft
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In der wissenschaftlichen Literatur wird „Zivilgesellschaft“ auch definiert als die Summe der Institutionen, die zwischen der Privatsphäre des einzelnen und seines unmittelbaren Umfelds – Familie, „neighbourhood“ u. a. – einerseits und den Institutionen von „Staat“ und „Markt“, d. h. der Wirtschaft andererseits, liegen und zwischen ihnen vermitteln.261 Sie beruht auf dem individuellen wie auch gemeinschaftlichen Engagement der Bürger und Bürgerinnen durch Mitgliedschaft in freien Vereinigungen und durch freiwillige ehrenamtliche Tätigkeiten.262 Im Rahmen einer Vielzahl von ad-hoc-Ausschüssen, Beratergruppen und Komitees etc. nutzt die Europäische Kommission das Wissen der Vertreter der Zivilgesellschaft im Rahmen der Komitologie im weiteren Sinne263. Zur besseren Transparenz der bestehenden Gremien wurde eine spezielle Datenbank eingerichtet – CONECCS „Konsultation, die Europäische Kommission und die Zivilgesellschaft“264 –, über die Informationen zu den förmlichen und strukturierten Beratungsgremien der Europäischen Kommission, an denen die Organisationen der Zivilgesellschaft teilnehmen, abgerufen werden können. Daneben werden eine Vielzahl von Konsultationen auf einer speziellen Webseite der Europäischen Kommission265 veröffentlicht. Dies ermöglicht, dass sich über die strukturierten und förmlichen Beratungsgremien hinaus eine Vielzahl von interessierten Parteien, wie Regierungen, Verbände (europäisch, national oder regional) und sogar Einzelpersonen zu Wort melden können. Die Beiträge werden im Internet veröffentlicht und sind damit allgemein zugänglich. In einigen Fällen wird seitens der Europäischen Kommission eine Zusammenfassung erstellt, die ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
c) Bewertung Die Konsultation der Zivilgesellschaft in allen Facetten ist der Versuch der Europäischen Kommission, nicht zuletzt angeregt durch das Weißbuch „Neues Regieren“266, den Belangen der Bürger eine Stimme zu verleihen und ihrem Bedürfnis 261 Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 210. 262 Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V., Europäische Sozialpolitik – eine Standortbestimmung der Arbeiterwohlfahrt, S. 10. 263 Der Begriff der Komitologie bezieht sich im engen Sinne wie oben bereits beschrieben auf die Einbeziehung von Vertretern der Mitgliedstaaten, im weiteren Sinne wird der Begriff der Komitologie aber auch genutzt zur Beschreibung der Vielzahl von Gremien, die die Europäische Kommission zur gezielten Problemdiskussion und -lösung einsetzt. 264 Im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/civil_society/coneccs/index_de. htm. 265 Im Internet unter: http: //europa.eu.int/yourvoice/consultations/index_de.htm. 266 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, KOM (2001) 428 endg. vom 25. 07. 2001; vgl. dazu auch Stellungnahme des Wirt-
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nach Teilhabe an der Rechtsetzung entgegenzukommen. Sie ist eine Plattform für die Debatte über die Entwicklung Europas und eröffnet den Bürgern die Chance, aktiv an der Verwirklichung der Unionsziele mitzuwirken und strukturierte Kanäle für Feedback, Kritik und Protest zu nutzen. Mit Blick auf die Entwicklung des Sozialmodells ist sie aber nicht hilfreich, da sich über sie stets nur eine begrenzte und vielfach selektierte Anzahl von Akteuren zu Wort meldet. Die Teilnahme an den im Rahmen der Komitologie eingerichteten vielfältigen Beratungsgremien wird einseitig durch die Europäische Kommission gesteuert, die dazu in der Regel entweder die Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten mit der Bitte um Expertenbenennungen betraut oder – auf der Grundlage eigener Kenntnisse, etwa aus früheren Sitzungen oder durch Empfehlung etc., – die Teilnehmer rekrutiert. Bei den offenen Konsultationen ist das Wissen, ob und wann zu einem bestimmten Thema eine Konsultation stattfindet, eher zufällig und in der Regel auf diejenigen Akteure beschränkt, die sowieso professionell interessiert sind und die entsprechenden Internet-Seiten regelmäßig konsultieren. Da der Begriff der Zivilgesellschaft bewusst weit gefasst wird und die Europäische Kommission aus nachvollziehbaren Gründen eine verbindliche Definition scheut, um keine mögliche Gruppierung auszuschließen, ist sowohl ihre strukturierte Beteiligung als auch ihre Zusammensetzung zufällig, so dass von einer „Repräsentativität“ keineswegs die Rede sein kann. Auch wenn die Benennungen sorgfältig erfolgen, werden sie stets von gewissen Interessen geprägt sein, die nationaler, regionaler, lokaler oder auch interessengruppenspezifischer Natur sind. Zur Einholung von Fachwissen sind sie geeignet. Gleichermaßen vermag man über sie eine Einschätzung der „Stimmung in der Bevölkerung“ zu erhalten, soweit es um die öffentlichen Konsultationen geht. Eine Kanalisierung der Meinungsbildung zum Europäischen Sozialmodell kann durch die Zivilgesellschaft aufgrund ihrer amorphen Struktur und der starken Eigeninteressenbezogenheit aber nicht geleistet werden. Auch fehlt es an der mitgliedstaatlichen Koordinierung, die letztlich erforderlich ist, wenn man erreichen möchte, dass die Anregungen sich in rechtverbindlichen Regelungen niederschlagen.
schafts- und Sozialausschusses zum Thema Europäisches Regieren – ein Weißbuch, KOM (2001) 428 endg. vom 20. März 2002.
9. Corporate Social Responsibility
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9. Corporate Social Responsibility 19. THESE: Corporate Social Responsibility – CSR – als rein unternehmensbezogene Strategie kann keinen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ leisten.
a) Begriff der CSR Corporate Social Responsibility ist definiert als „mit dem Kerngeschäft verknüpftes freiwilliges sozial und ökologisch verantwortliches Handeln der Unternehmen, das über die jeweiligen nationalen und europäischen gesetzlichen Verpflichtungen hinausgeht“.267 Unter CSR versteht die Europäische Kommission ein Konzept zur Förderung der sozialen und Umweltverantwortung der Unternehmen, das dazu beitragen soll, dass sich die Unternehmen in der Europäischen Union stärker mit den Fragen einer nachhaltigen Entwicklung und deren wirtschaftlichem Wert zur erfolgreichen Unternehmensführung befassen.268 Die Rolle der Europäischen Gemeinschaft besteht darin, Unternehmen in ganz Europa zu veranlassen, „best practices“ auszutauschen und gemeinsame Bewertungsgrundsätze festzulegen. Außerdem soll die Europäische Kommission auf eine Integration der CSR-Grundsätze in alle anderen EU-Politiken hinarbeiten. Ferner möchte sie den Nachweis erbringen, dass CSR auch in KMU etabliert werden kann. Indem sie sich neben ihren wirtschaftlichen Belangen freiwillig sozialen und Umweltanliegen widmen, werden Unternehmen ermutigt, das sog. „Triple bottom line“-Konzept (Bilanzierung der Unternehmensleistung nach wirtschaftlichen, umweltbezogenen und sozialen Kriterien) zu übernehmen, das nach Auffassung der Europäischen Kommission dabei mitwirken kann, produktivere und ertragreichere Unternehmen zu schaffen und dies mit Nachhaltigkeit und Verantwortungssinn zu verbinden.269 Damit umfasst CSR die Investition in Mitarbeiter / innen, die aktive Mitwirkung in der Gemeinschaft, die Achtung der Umwelt und die Vermeidung jeglicher direkter oder indirekter Beteiligung an der Verletzung von Rechten der Arbeitnehmer 267 So die Europäische Kommission auf ihrer Internet-Seite: http: //www.europa.eu.int/ comm/employment_ social/news/2002/jul/131_de.html . 268 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001, S. 7, Rdnr. 20. 269 Vgl. dazu Newsletter der Generaldirektion „Unternehmen“, Unternehmen Europa, Ausgabe Nr. 5 Okt.-Dez. 2001, Neue Wirtschaft, Soziale Verantwortung von Unternehmen fördern; Europäische Kommission, SozialAgenda Nr. 3 vom Oktober 2002, EU unterstützt sozial verantwortungsvolle Unternehmen, S. 3.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
oder Umweltnormen innerhalb oder außerhalb Europas ebenso wie die Beziehungen zu den „Stakeholdern“.270
b) Entwicklung der CSR Die Ursprünge des Konzepts der CSR finden sich Anfang der 90er Jahre. Nachdem Jacques Delors, der damalige Kommissionspräsident, 1993 bereits zum Kampf gegen die soziale Ausgrenzung und zu einer starken Mobilisierung aller Akteure und zur Entwicklung europäischer Unternehmensnetze aufgerufen hatte,271 kam es 1995 in London zur Veröffentlichung eines Manifests der Unternehmen gegen Ausgrenzung272 durch eine Gruppe europäischer Unternehmer in Anwesenheit von Jacques Delors. Dies führte zur Schaffung eines europäischen Unternehmensnetzes (CSR Europe273), das den Dialog zwischen den Unternehmen und den Austausch von „best practices“ zu CSR fördert. 1998 folgte dann der sog. „Gyllenhammar-Report“274, der unter anderem vorschlug, dass Unternehmen mit mehr als 1000 Angestellten jährlich einen Bericht zum „management of change“ (Management der strukturellen Veränderungen innerhalb des Unternehmens) veröffentlichen sollten, um z. B. auch ihre sozialen Aktivitäten (Beschäftigung, Arbeitsbedingungen etc.) offenzulegen275. Im März 2000 appellierte der Europäische Rat in Lissabon276 an das soziale Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen in Bezug auf die Einführung von „best practices“ in den Bereichen „Lebenslanges Lernen“, „Arbeitsorganisation“277, „Chancengleichheit“, „soziale Eingliederung“ und „nachhaltige Entwicklung“. 270 Newsletter der Generaldirektion „Unternehmen“, Unternehmen Europa, Ausgabe Nr. 9 Oktober-Dezember 2002, Neue Wirtschaft, Soziale Verantwortung der Unternehmen: ein kommerzieller Pluspunkt?. 271 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001, S. 3. 272 CSR Europe „European Declaration of businesses against social exclusion“, vom 11. / 12. 5. 1995, im Internet unter: http: //www.csreurope.org/aboutus/socialexclusion_page 393.aspx. 273 http: //www.csreurope.org. 274 European Commission, Managing Chance, High level group on economic and social implications of industrial change, Final Report, November 1998, sog. Gyllenhammar-Report. 275 European Commission, Managing Chance, High level group on economic and social implications of industrial change, Final Report, November 1998, sog. Gyllenhammar-Report, S. 5 f. und S. 11 f. 276 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000, Rdnr. 39. 277 Vgl. zur Arbeitsorganisation Brödner, Peter / Latniak, Erich, Moderne Arbeitsformen für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit: Nationale Förderprogramme zur Entwicklung
9. Corporate Social Responsibility
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Eine umfangreiche europäische Debatte zum Thema CSR wurde durch das im Juli 2001 veröffentlichte Grünbuch „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“278 in Gang gesetzt. Darin wurden alle relevanten Akteure, wie Behörden, internationale Organisationen, Unternehmen, Sozialpartner, NRO279 und sogar Einzelpersonen, aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten, wie eine Partnerschaft zur Entwicklung neuer Rahmenbedingungen für die Förderung der sozialen Verantwortung der Unternehmen aufgebaut werden könnte. Die Auswertung der rund 250 Antworten von Unternehmen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen auf das Grünbuch kam zu folgenden Ergebnissen: Nach Auffassung der Unternehmen sollte der Aspekt der Freiwilligkeit im Vordergrund stehen und die Rolle der Europäischen Kommission darauf beschränkt sein, das Bewusstsein für CSR zu fördern und den Austausch bewährter Praktiken zu unterstützen. Die Gewerkschaften stellten demgegenüber vor allem auf die Arbeitsbeziehungen ab und wünschten einen ordnungspolitischen Rahmen, der Mindestanforderungen und eine klare Definition der sozialen Verantwortung der Unternehmen festlegt. Die Nichtregierungsorganisationen plädierten ebenfalls, in den jeweils sie betreffenden Gebieten, für die klare Festlegung dessen, was von den Unternehmen erwartet wird und die Verwendung ordnungspolitischer Mittel, wie z. B. Berichtspflichten, sowie die Schaffung wirksamer politischer Initiativen zur Förderung eines verantwortungsvollen Verhaltens von Unternehmen.280
Der nächste Schritt war im Juli 2002 die „Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung“281. neuer Formen der Arbeitsorganisation, Oktober 2002 und Ennals, Richard, Schwächen des bestehenden politischen Rahmens für die Förderung einer Modernisierung der Arbeitswelt, Oktober 2002; vgl. dazu auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Modernisierung der Arbeitsorganisation – den Wandel als Chance begreifen, KOM (1998) 592 endg. vom 25. 11. 1998; vgl. dazu auch Totterdill, Peter, Entwicklung neuer Formen der Arbeitsorganisation: die Rolle der Hauptakteure. 278 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001. 279 Nichtregierungsorganisationen. 280 Newsletter der Generaldirektion „Unternehmen“, Unternehmen Europa, Ausgabe Nr. 7 April-Juni 2002, Neue Wirtschaft, Soziale Verantwortung der Unternehmen: Erwartungen der Interessengruppen; vgl. dazu auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, KOM (2002) 347 endg. vom 02. 07. 2002, S. 4.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Darin kommt sie zu dem Schluss, dass die Konsultation ergeben hat, „dass Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich CSR als sinnvoll angesehen werden“282, und stellt ihre neue Strategie der CSR-Förderung vor. Die Rolle der Europäischen Kommission ist es dabei, die Unternehmen in Europa dazu zu bewegen, „best practices“ auszutauschen und gemeinsame Bewertungsgrundsätze festzulegen.
c) Schwerpunkte und Verfahren der CSR Die neue CSR-Strategie der Europäischen Kommission hat folgende Schwerpunkte: den CSR-Business-Case283 fördern, um CSR für immer mehr Unternehmen, insbesondere auch KMU, attraktiv zu machen; die externe Bewertung und das externe Benchmarking der sozialen und ökologischen Performance von Unternehmen fördern, um CSR glaubwürdiger zu gestalten; mit Hilfe eines europäischen Stakeholder-Forums die CSR-Debatte in die gewünschten Bahnen lenken; gewährleisten, dass alle EU-Politiken CSR-verträglich sind.284
Im einzelnen will die Kommission in ihrer Strategie den Schwerpunkt auf folgende Maßnahmen legen: das Wissen über die positiven Auswirkungen von CSR auf Wirtschaft und Gesellschaft in Europa und weltweit, vor allem in den Entwicklungsländern vertiefen; den Austausch von Erfahrungen und von „good practice“ im Bereich CSR zwischen den Unternehmen unterstützen; 281 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, KOM (2002) 347 endg. vom 02. 07. 2002. 282 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, KOM (2002) 347 endg. vom 02. 07. 2002, S. 3. 283 Bei der „Business-Case“-Methode werden alle Aspekte eines bestimmten Szenarios qualitativ erfasst, anschließend quantitativ beschrieben und schließlich die damit zusammenhängenden Kosten ermittelt. Mit Hilfe einer Ist-Analyse und einem Vergleich zur „Soll-Situation“, also einem verbesserten Szenario, können die Vorteile einer Strategie ermittelt werden. Vgl. dazu Jenner, Frank / Müller, Andreas, Der Business Case als Managementinstrument, in: CHEManager 12 / 2003, S. 15. 284 Presseerklärung der Europäischen Kommission zu „Soziale Verantwortung der Unternehmen: eine neue Strategie der Kommission zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung“, IP / 02 / 985 vom 02. 07. 2002.
9. Corporate Social Responsibility
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die externe Bewertung und das externe Benchmarking der sozialen und ökologischen Performance von Unternehmen fördern, um CSR glaubwürdiger zu gestalten; die Entwicklung von CSR-Managementkompetenz fördern; CSR den KMU näher bringen; die Konvergenz und Transparenz von CSR-Praktiken und -Instrumentarien erleichtern; ein Stakeholder-Forum zu CSR auf europäischer Ebene einsetzen285 und mit seiner Hilfe die Debatte animieren und eine Plattform schaffen, die dazu dient, „best practices“ auszutauschen, Verfahrenskodizes festzulegen und sich zu einigen auf objektive Bewertungsmethoden und Validierungsinstrumente.286
Außerdem arbeitet die Europäische Kommission auf eine Integration der CSRGrundsätze in alle anderen europäischen Politiken hin. Sie hat am 16. 10. 2002 ein europäisches „Stakeholder-Forum“ (EMS – European Multi-Stakeholder Forum) ins Leben gerufen, das allen Akteuren, Sozialpartnern, Unternehmensnetzen, der Zivilgesellschaft, Verbrauchern und Investoren, als Plattform dienen soll, um „best-practice“ auszutauschen, Buchführung, Normen, Labels sowie die Durchführung von Audits und Verfahrenskodizes festzulegen und sich auf objektive Bewertungsmethoden und Validierungsinstrumente, wie z. B. Sozialgütesiegel zu einigen. Ferner sollen die Mitglieder des Forums Bereiche ermitteln, in denen es weiterer Maßnahmen auf europäischer Ebene bedarf. Bis Mitte 2004 sollte das Forum sich auf EU-weite Leitsätze zur Verbesserung der Transparenz und Konvergenz von CSR-Verfahrensweisen und -Instrumenten einigen, wie Verhaltenskodizes, Prädikate oder Berichtsformate, deren Benutzung allerdings freiwillig sein soll.287 Es hat seine Arbeit am 29. Juni 2004 mit der Vorlage eines Abschlußberichts288 abgeschlossen, der Grundlage für weitere Aktivitäten der Europäischen Kommission sein soll. Das Europäische Parlament hat in seinem Bericht zu der „Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unterneh285 Das CSR Stakeholder-Forum wurde im Oktober 2002 mit dem Dokument European Multi Stakeholder Forum on Corporate Social Responsibility (CSR EMS Forum), Objectives, Composition & Operational Aspects, 16th October 2002, eingesetzt. 286 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, KOM (2002) 347 endg. vom 02. 07. 2002, S. 9 f. 287 Vgl. dazu Newsletter der Generaldirektion „Unternehmen“, Unternehmen Europa, Ausgabe Nr. 9 Oktober-Dezember 2002, Neue Wirtschaft, Soziale Verantwortung der Unternehmen: ein kommerzieller Pluspunkt?; Europäische Kommission, SozialAgenda Nr. 3 vom Oktober 2002, EU unterstützt sozial verantwortungsvolle Unternehmen, S. 4. 288 European Multistakeholder Forum on CSR, Final results & recommendations, Final Report, 29. Juni 2004.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
mensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung“ die Befürchtung geäußert, dass es in „inakzeptabler Weise aus dem Prozess ausgeschlossen wird“.289 Es stellt ferner fest, dass die Mitteilung der Europäischen Kommission tatsächlich ausgearbeitet wurde, bevor die Stellungnahme des Parlaments zum Grünbuch eingeflossen war290, und fordert u. a., dass die in den Sitzungen des Forums „von der Kommission vorgelegten Papiere im Interesse der Partnerschaft gleichzeitig an das Europäische Parlament übermittelt werden sollten“.291 Die Bundesregierung hat erstmals 2004 einen Fortschrittsbericht zur nachhaltigen Entwicklung292 vorgelegt, der alle zwei Jahre überprüft und ergänzt wird. Ferner hat sie, um die Nachhaltigkeit in allen Politikfeldern zu verankern, einen Staatssekretärausschuss für Nachhaltige Entwicklung („Green Cabinet“) eingerichtet. Zur Beratung der Bundesregierung wurde darüber hinaus ein „Rat für Nachhaltige Entwicklung“ etabliert, in dem Vertreter aus Gewerkschaften, Wirtschaft, Verkehr, Umweltschutz, Kirchen, Ländern und Gemeinden, Internationalem und Entwicklung, Wissenschaft und Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vertreten sind.293 Das neueste Dokument zur CSR294 ist eine Mitteilung, in der die Europäische Kommission ihre Unterstützung für ein europäisches Bündnis für CSR ankündigt. Dabei handelt es sich um ein offenes Bündnis europäischer Unternehmen zur weiteren Förderung der CSR. In der Mitteilung wird das Potenzial der CSR zur nachhaltigen Entwicklung und zur europäischen Strategie für Wachstum und Beschäftigung beizutragen unterstri289 Europäisches Parlament, Bericht über die Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, KOM (2002) 347 – 2002 / 2261 (INI), endgültig A5 – 0133 / 2003 vom 28. April 2003, S. 13. 290 Europäisches Parlament, Bericht über die Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, KOM (2002) 347 – 2002 / 2261 (INI), endgültig A5 – 0133 / 2003 vom 28. April 2003, S. 13. 291 Europäisches Parlament, Bericht über die Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, KOM (2002) 347 – 2002 / 2261 (INI), endgültig A5 – 0133 / 2003 vom 28. April 2003, S. 9; vgl. dazu auch Europäisches Parlament, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Grünbuch der Kommission über die Förderung der europäischen Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, (CSR) KOM (2001) 366 – C5 – 0161 / 2002 – 2002 / 2069 (COS), in: ABl. EU C 187E / 180 vom 07. 08. 2003. 292 Die Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland – Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, Fortschrittsbericht 2004, S. 17. 293 Bericht der Bundesrepublik Deutschland zu nationalen Initiativen im Bereich CSR vom 15. Mai 2002. 294 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden, KOM (2006) 136 endgültig vom 22. 03. 2006.
9. Corporate Social Responsibility
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chen. Nach Ansicht der Europäischen Kommission sind CSR-Praktiken zwar kein Ersatz für politische Maßnahmen, können aber doch zu einer Reihe politischer Zielsetzungen beitragen. Dazu zählen: Kompetenzentwicklung, schonendere Nutzung natürlicher Ressourcen, bessere Innovationsleistungen, Bekämpfung der Armut und stärkere Achtung der Menschenrechte.295 In dieser Mitteilung wird ausdrücklich auf die Bedeutung des „Europäischen Sozialmodells“ für die Unternehmen hingewiesen: „Die Kommission ist der Auffassung, dass CSR jeden einzelnen Europäer angeht, denn die soziale Verantwortung der Unternehmen ist Bestandteil des europäischen Sozialmodells“.296 Die aktuellste Veröffentlichung zur „guten Unternehmensführung“ ist eine Mitteilung der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Corporate Governance297 in der Europäischen Union, die sich allerdings nicht in erster Linie mit den sozialen Aspekten auseinandersetzt, sondern mit der Leitung und Überwachung von Gesellschaften.
d) Bewertung Soweit die Unternehmen sich auf Label, Gütesiegel, Berichtspflichten, Einhaltung hoher Umweltschutzkriterien oder schonenden Ressourceneinsatz u.ä. verständigen und die Einhaltung der vereinbarten Grundsätze auf freiwilliger Basis erfolgt, ist aus rechtlicher Sicht, insbesondere unter dem in Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union298 geschützten Prinzip der unternehmerischen Freiheit nichts gegen die Anwendung und den Ausbau der CSR auf europäischer Ebene unter Einbeziehung der wichtigsten Akteure einzuwenden. 295 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden, KOM (2006) 136 endgültig vom 22. 03. 2006, S. 4 ff. 296 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden, KOM (2006) 136 endgültig vom 22. 03. 2006, S. 10. 297 Vgl. dazu Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, KOM (2003) 284 endg. vom 21. 05. 2003, S. 12, Fn 10: „Die Corporate Governance umfasst die Beziehungen zwischen der Geschäftsführung, dem Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan, den Aktionären und anderen Interessengruppen. Die Corporate Governance liefert auch die Struktur, über die die Ziele des Unternehmens gesetzt und die Mittel und Wege zur Erreichung dieser Ziele und zur Überwachung des Ergebnisses bestimmt werden.“; vgl. dazu auch Europäische Kommission, Zusammenfassung der Antworten auf die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament ,Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan‘ (Mai 2003), Arbeitsdokument der GD Binnenmarkt vom 15. November 2003. 298 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000 / C 364 / 01), in: Abl. EG C 364 / 1 vom 18. 12. 2000.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Da der Aspekt des „sozial verantwortlichen Handelns“ in den Unternehmen allerdings in erster Linie die Beziehungen zu den Arbeitnehmern betrifft (z. B. Humanressourcenmanagement 299 mit Entgelt, Chancengleichheit, Einstellungspraktiken, etc., Arbeitsschutz300, Anpassung an den Wandel301, vor allem mit Blick auf Entlassungen, Qualität der Arbeit302 insbesondere durch Stärkung des sozialen Dialogs und der Aus- und Weiterbildungsebene), ist die Frage zu stellen, welchen Stellenwert die CSR in diesem Rahmen haben kann. Hier werden Bereiche berührt, in denen die Europäische Kommission zum Teil eigene Kompetenzen hat, wie zum Beispiel im Arbeitsschutz aus Art. 137 EGV, zum Teil die Initiative bei den Sozialpartnern liegt, wie beim Sozialen Dialog, und zum Teil nur sehr eingeschränkte gemeinschaftsrechtliche Kompetenzen bestehen, wie in den Fragen der Aus- und Weiterbildung gem. Art. 149 EGV. Das Europäische Parlament ist kein reguläres Mitglied des Stakeholder-Forums, sondern hat lediglich Beobachterstatus.303 Es hat insoweit auch keinen Einfluss darauf, welche Vorschläge für gemeinschaftliches Handeln der Europäischen Kommission vorgeschlagen werden und welche Rechtsform für die Umsetzung als angemessen angesehen wird. Dasselbe gilt für den Rat, den AdR und den EWSA304, die ebenfalls lediglich Beobachterstatus305 haben. Besonders schwierig gestaltete sich auch das Benchmarking der Unternehmensperformance, da es an einem einheitlichen Referenzrahmen zur CSR-Bewertung fehlt.306
299 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001, S. 9. 300 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001, S. 9. 301 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001, S. 10. 302 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM (2001) 366 endg. vom 18. 07. 2001, S. 20. 303 EU Multi-Stakeholder Forum on Corporate Social Responsibility (CSR EMS Forum) Forum Composition, im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/enterprise/csr/documents/forumcomposition. pdf. 304 Siehe dazu aber die Initiativstellungnahme des EWSA, Soziale Verantwortung der Unternehmen, CESE 692 / 05, vom 8. / 9. Juni 2005. 305 EU Multi-Stakeholder Forum on Corporate Social Responsibility (CSR EMS Forum) Forum Composition, im Internet unter: http: //www.europa.eu.int/comm/enterprise/csr/documents/forumcomposition. pdf. 306 Europäische Kommission, Social News, Juli 2002, S. 3.
10. Lobbying
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Es ist zwar generell positiv, wenn einzelne Unternehmen sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst werden. Gerade hier liegt aber gleichzeitig ein Schwachpunkt der CSR, denn sie ist wirtschaftsfokussiert und in ihrer Umsetzung und Anwendung ausschließlich dem einzelnen Unternehmen überlassen. Das führt dazu, dass die in ihrem Rahmen eingeleiteten Aktionen lediglich punktuell sein können und nicht einmal die nationale Ebene flächendeckend betreffen. Dementsprechend sind auch ihre Wirkungen auf der europäischen Ebene bislang eher marginal. Im Ergebnis kann man damit feststellen, dass die CSR aufgrund mangelnder Verbindlichkeit, ihrer nur selektiven Anwendung und fehlender Repräsentativität der Beteiligten keinen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ leisten kann.
10. Lobbying 20. THESE: Das Lobbying dient der Informationsbeschaffung und dem Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene zwischen Vertretern verschiedener Interessensgruppierungen und den europäischen Institutionen. Das „Europäische Sozialmodell“ kann auf der Grundlage des Lobbying wegen seiner Vielfalt, seiner fachinteressenorientierten Basis und seiner fehlenden Koordinierung nicht weiterentwickelt werden.
a) Ziel und Funktion Die Vielzahl der in Brüssel angesiedelten Interessenvertreter – man geht von über 13.000 Lobbyisten aus307 – ist ein nicht zu unterschätzender Faktor im europäischen Gesetzgebungsprozess308. Dies ist ein wichtiges Regulativ für den fehlenden Unterbau der Europäischen Kommission, die zwar der Motor der Gesetzgebung ist, in den Mitgliedstaaten aber nicht über funktionierende „Rückmeldesysteme“ verfügt, die es ihr erlauben, die Auswirkungen ihrer Vorschläge abzuschätzen.309 Zwar stehen die Ständigen Vertretungen als offizielle Ansprechpartner zur Verfügung, das von ihnen gelieferte Feedback wird aber regelmäßig der „Regierungsmeinung“ entsprechend und nicht nach Interessenvertretern gegliedert.
307 Woll, Cornelia, Lobbying in Brüssel: Amerikanische Verhältnisse?, S. 58; eine Liste der beim Europäischen Parlament akkreditierten Interessenvertreter findet sich unter: http: //www.europarl.eu.int/parliament/expert/lobbyAlphaOrderByOrg.do?language=DE. 308 Vgl. zum Lobbying auch European Parliament, Lobbying in the European Union: Current rules and practices, AFCO 104 EN, 04 / 2003. 309 Vgl. dazu auch von Ameln, Ralf, Interessenvertreter vor Ort – Die Präsenz in Brüssel zahlt sich für Kommunen aus, der städtetag 1 / 2001, S. 22 ff.
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VII. Gestaltung durch „soft law“ und sonstige Instrumente
Deshalb ist die „Lobby“ an sich eine wertvolle Ergänzung zur Meinungsbildung, solange sie der reinen Information und Argumentation dient und nicht von finanziellen Erwägungen getragen wird. Dabei sind grundsätzlich zwei große Gruppen von Lobbyisten zu unterscheiden – das private (nicht staatliche, von Gewerkschaften, Branchenvereinigungen oder Unternehmen betriebene) und das öffentliche (staatliche, von den Mitgliedstaaten und ihren Untergliederungen betriebene) Lobbying. In der letzten Zeit sind große Unternehmen dazu übergegangen, sog. „Corporate Diplomacy Units“ aufzubauen, die nichts anderes sind als ein neuer Ausdruck für Lobbying bzw. die sog. „Business-Government-Relations“. Wie auch immer man das Lobbying bezeichnet, es ist stets darauf gerichtet, die Entscheidungsträger in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen.310
b) Bewertung Problematisch wird das Lobbying durch die in vielen Fällen einseitige Ausrichtung solcher Büros auf die Interessen ihrer jeweiligen Auftraggeber und die mangelnde Repräsentanz. Oftmals sind in ihnen weder die gesamtstaatlichen und erst recht nicht die europäischen Verbände vertreten und finanzielle Erwägungen dominieren politische Ziele. Selbst wenn lediglich politische Ziele erreicht werden sollen, sind diese oftmals nicht mit den Nationalstaaten abgestimmt, denn der Grundgedanke des Lobbying ist regelmäßig nicht, die mitgliedstaatliche Politik zu verstärken, sondern an den Nationalstaaten vorbei in Brüssel unmittelbar eigene Interessen zu wahren und durchzusetzen.311 Damit ist festzustellen, dass das Fachwissen der Lobbyisten zwar unterstützend zur Meinungsbildung genutzt werden kann. Der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ ist sie aber über einen gewissen „politischen Input“ hinaus eher hinderlich, da sie nicht auf gesamteuropäische, sondern auf singuläre Interessen ausgerichtet ist.
310 Vgl. insgesamt zum Lobbying Fischer, Klemens H., Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union, 2005. 311 Vgl. dazu auch Schneider, Ulrike, Europäische Sozialpolitik – Die schönste Nebensache Europas, Sozialpolitik, WS 2001 / 02; vgl. dazu auch Thalacker, Patrick, EU-Sozialpolitik – Die Herausbildung eines neuen Politikfeldes in der EU, S. 34 ff.
VIII. Erfordernis neuer Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ 21. THESE: Es sind neue Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ erforderlich, wenn dieses Modell verfestigt und ausgebaut werden soll.
Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Europäische Union sich in einem mehrdimensionalen Dilemma befindet. Zunächst kann man sich nicht ganz frei machen von der Einschätzung, dass die Frage des politischen Gemeinwesens außerordentlich an Wert verliert bzw. zumindest – relativ – aus den Augen verloren wird, da der Motor auf einer anderen Ebene der sozialen Wirklichkeit läuft: Die Welt zoniert sich zunehmend in Wirtschaftsblöcke, der Weltmarkt wird aufgeteilt und die Großregionen intensivieren ihre interne Integration. Die Europäische Integration ist Teil eines globalen Verdichtungsprozesses der ökonomischen Austauschbeziehungen und Faktorwanderungen, weist dabei aber eine Strukturierung auf. Die Frage des politisch verfassten „guten Lebens“ wird nachrangig. Nachrangig wird damit auch die Sozialpolitik als eigenständiger Motor der sozialräumlichen Kohäsion, der Systemintegration wie auch der sozialen Integration.1 Eben diese Nachrangigkeit hat sich zu einem der Hemmschuhe für die kontinuierliche Weiterentwicklung der sozialpolitischen Dimension in der Gemeinschaft entwickelt. Darüber hinaus erweist sich nach Schulz-Nieswandt2 der EU-Integrationsprozess als grundsätzlich institutionenfeindlich. Alles, was zum Regelgefüge historisch gewachsener, komplizierter, weil sozialstrukturell sehr ausdifferenzierter moderner Gesellschaften gehört – wie die Sozialpolitik –, wird als Störfaktor in einem allokativen Raum des effizienten Wirtschaftens eingestuft. Es wird nicht als produktiv-konstitutives Element, etwa als gut begründete Idee der sozialen Gerechtigkeit als Voraussetzung für effizientes Wirtschaften, angesehen. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten nicht den europäischen Zielsetzungen entspricht. Hohe Arbeitslosigkeit, geringes Schulz-Nieswandt, Frank, Eine EU-Verfassung mit sozialen Grundrechten, S. 6 f. Schulz-Nieswandt, Frank, Eine EU-Verfassung mit sozialen Grundrechten, S. 6 f.; vgl. dazu auch Schulz-Nieswandt, Frank, Soziale Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU – Zwischen Anerkennung nationaler Arrangements und Modernisierungsbedarf aus Sicht des EU-Rechts, S. 35 ff. 1 2
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VIII. Erfordernis neuer Lösungsansätze
Wachstum, Verschuldung und Probleme bei der Finanzierung der Gesundheitsund Rentenleistungen prägen das Bild.3 Die geografischen und sozialen Ungleichgewichte verschärfen sich.4 Als Konsequenz wurden bereits die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes „neu interpretiert“ und die hochgesteckten Erwartungen an das Umsetzen der Lissabon-Strategie zurückgefahren.5 Durch die Vernachlässigung der sozialen Komponenten und das generell zögerliche Agieren in sozialpolitischen Fragen haben sich – insbesondere mit Blick auf die Erweiterung6 – die Probleme verschärft. So führt Dauderstädt7 aus: 3 Vgl. dazu im einzelnen Europäische Kommission, Die soziale Lage in der Europäischen Union 2004 – Kurzfassung. 4 Sung Bok, Cho, Textzusammenfassungen zum Thema Soziale Sicherungssysteme in der EU „Zu einer Konvergenz der europäischen Sozialmodelle?“, S. 11 ff.; vgl. dazu auch Mau, Steffen, Soziale Ungleichheit in der Europäischen Union, Aus Politik und Zeitgeschichte (B 38 / 2004), Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, S. 1 ff. 5 Vgl. dazu Belafi, Matthias / Mahrun, Roman / Schmid, Christine, Zwischen Neuinterpretation, Anpassung, Revision und Reform – Positionen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, S. 1 ff.; und Europäische Kommission, Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze, Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon, KOM (2005) 24 vom 02. 02. 2005, S. 6. 6 Mau, Steffen, Soziale Ungleichheit in der Europäischen Union, S. 6; vgl. zur sozialen Situation in den neuen Mitgliedsländer insgesamt Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. GVG, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries, Synthesis Report, Second Draft, November 2002; vgl. dazu auch Asbeek Brusse, Wendy / Hemerijk, Anton, Deepening Social Europe in an Enlarged Union, S. 124 ff.; Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Auf dem Weg zur erweiterten Union, KOM (2002) endg. {SEK 82002) 1400 – 1412} vom 09. 10. 2002; Geroldi, Gianni, The complex process of modernising social protection systems in the Candidate Countries, 5. und 6. Dezember 2002; alle folgenden Länderstudien im Internet unter http: / / europa.eu.int / comm / employment_social / social_protection / health_de.htm#studies; Bite, Inara / Zagorskis, Valdis, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Latvia, January 2003; Dobravolskas, Algis / Buivydas, Romualdas, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Lithuania, January 2003; Abela, Anthony M. / Cordina, Gordon / Azzopardi, Natasha Muscat, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Malta, January 2003; Leppik, Lauri / Kruuda, Ruta, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Estonia, January 2003; Noncheva, Teodora / Satcheva, Denitsa, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Bulgaria, January 2003; Pashardes, Panos, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Cyprus, January 2003; Szivós, Péter / Szende, Ágota / Mogyorósy, Zsolt / Gál, Robert, I., Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Hungary, January 2003; Tomeš, Igor / Koldinská, Kristina / Nemec, Jirí, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Czech Republic, January 2003; Haulikova, Lucia / Vagac, Lubos, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Slovak Republic, January 2003; Prevolnik-Rupel, Valentina / Rebolj, Matejka / Stanovnik, Tine / Stropnik, Nada, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Slovenia, January 2003; Adaman, Fikret, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Turkey, January 2003; Abagiu, Cristina / Vilnoiu, Mihai, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Romania, January 2003; Golinowksa, Stanislawa / Zukowski, Maciej / Sowada, Christoph / Pietka, Katarzyna, Study on the Social Protection Systems in the 13 Applicant Countries – Poland, January 2003; vgl. dazu auch Sarfati, Hedvar, Social protection reforms in CEEC candidate countries – the challenges of EU enlar-
VIII. Erfordernis neuer Lösungsansätze
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„With the accession of post-communist countries, these differences will substantially increase. Their per-capita income is lower, their social aspirations have been formed by decades of imposed egalitarianism, and their social and tax systems have only recently been reformed to cope with the new market economy, transition and integration. The resulting competition can be healthy for the purpose of improving national solutions and finding innovative responses to common challenges. But it could also turn out to be political dynamite when important social groups perceive that their interests are being endangered by European policies or rules.“
Schon der damalige französische Staatspräsident Pompidou hat auf der Pariser Gipfelkonferenz 1972 auf die Interdependenz zwischen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung hingewiesen: „Der wirtschaftliche Fortschritt . . . ist nur sinnvoll, wenn er zum sozialen Fortschritt führt; das Ausmaß der sozialen Leistungen hängt offensichtlich vom Wirtschaftswachstum ab. Diese Leistungen wiederum beinhalten zahlreiche wirtschaftliche Auswirkungen, entweder weil der erhöhte Lebensstandard die Entwicklung beschleunigt, wohingegen die Verbesserung der Arbeitsbedingungen die Arbeit fruchtbringender gestaltet, da sie bereitwilliger geleistet wird; oder weil dagegen zu große Unterschiede im Sozialstand der einzelnen Staaten in gewissen Fällen dazu führen können, die normalen Wettbewerbsbedingungen zu verfälschen. Deshalb müssen wir den sozialen Aspekten unserer Entwicklung ganz besondere Aufmerksamkeit schenken, um . . . unser Ziel zu erreichen, nämlich aus der Gemeinschaft ein Modell des sozialen Fortschritts zu machen . . .“8.
Trotzdem wurde lange Zeit ignoriert, dass nicht nur Wirtschaftsentwicklung zu einer Weiterentwicklung der sozialen Bedingungen führt, sondern auch umgekehrt eine Wirkung erzielt werden kann. So kann der mangelnde Zugang der Bürger zu sozialen Rechten einen Ausstrahlungseffekt haben, der u. a. dazu führen kann, dass sie in ihrer Rolle als Marktteilnehmer oder Beschäftigungssuchende geschwächt werden.9 Dies wiederum führt zu einer negativen Wirtschaftsentwicklung. Sozialentwicklung kann also ebenso zu Wirtschaftsentwicklung führen, wenn die sozialen Bedingungen eine solide Grundlage für das Wirtschaftswachstum bilden. Die Fixierung auf die Wirtschaftspolitik, kombiniert mit restriktivem Handeln auf sozialem Gebiet, das zudem nur dann stattfand, wenn man „nachbessern“ musste und nicht zur strategischen und prospektiven Vorausplanung eingesetzt gement, 2002; vgl. zur Erweiterung Kok, Wim, Die Erweiterung der Europäischen Union – Errungenschaften und Herausforderungen, 19. März 2003; Kempe, Iris / van Meurs, Wim, Toward a multi-layered Europe – prospects and risks beyond EU Enlargement, 2002; Karlsson, Bengt. O., What price enlargement? Implications of an expanded EU, October 2002. 7 Dauderstädt, Michael, The Enlarging Euroland: Deepening and Widening Unemployment and Inequality?, S. 23. 8 Zitiert in Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 135. 9 Ruhenstroth-Bauer, Peter, Die europäische Situation sozialer Dienste aus nationaler Sicht, S. 50.
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VIII. Erfordernis neuer Lösungsansätze
wurde, haben dazu geführt, dass man nun wird erkennen müssen, dass es an notwendigen Regelungen fehlt, wie die Diskussion um Mindestlöhne und gewisse Standards in bestimmten Bereichen zeigt.10 Ferner befindet sich die Europäische Union in einem weiteren Widerspruch: Sie möchte eigentlich ein „Europäisches Sozialmodell“ mit aktiver, auf Modernisierung und eigene Gestaltung gerichteter Politik, zur Verfügung steht aber vordergründig nur das Instrumentarium für eine passive, lediglich kompensatorische Sozialpolitik. Dem stehen die Mitgliedstaaten gegenüber, die eigentlich gar keine Kompetenzen abgeben und die Sozialpolitik selbst gestalten wollen.11 Sie sehen sich aber mehr und mehr konfrontiert mit Forderungen, gemeinsame Lösungen zu finden, die u.U. auch mit einem „Kompetenztransfer“ verbunden sind. Zwar sind die zur Europäischen Gemeinschaft bzw. zur Europäischen Union zusammengeschlossenen Staaten nach wie vor souverän, jedoch haben sie einen Teil ihrer Souveränitätsrechte auf die supranationale Europäische Gemeinschaft übertragen und benötigen deshalb wiederum ebendiese Gemeinschaft zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Diese bereits in den Gründungs- und Revisionsverträgen enthaltene Übertragung von Souveränitätsrechten durch die vertragsschließenden Staaten auf die europäischen Organe hat zu einem Nebeneinander von nationalstaatlicher Gewalt und Gemeinschaftlichkeit im Sinne „Europäischer Gewalt“ geführt, die rechtlich der „Mehrebenen-Politik“ zugrunde liegt, die für die Politik im heutigen Europa prägend ist.12 Dies führt insbesondere im Sozialbereich zu konfliktreichen Wechselwirkungen und teilweise zu schwer auflösbaren Blockaden, denn die europäische Sozialpolitik befindet sich in einem Geflecht aus nationalstaatlichen, zwischenstaatlichen und überstaatlichen Arrangements, dessen Resultate sich gegenseitig beeinflussen, ohne wirklich koordiniert zu sein.13 Während die Wirtschaftspolitik weitgehend „in Europa“ integriert ist, liegt die Verantwortung für die Sozialpolitik nach wie vor weitgehend bei den Mitgliedstaaten, die damit ihren Bürgern gegenüber auf der nationalen Ebene „in der Pflicht“ bleiben, obwohl ihr entsprechender Handlungsspielraum in zunehmen10 Vgl. ausführlich zur Wechselbeziehung zwischen Wirtschaft und Sozialem Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 149 ff. 11 Vgl. dazu Dauderstädt, Michael, The Enlarging Euroland: Deepening and Widening Unemployment and Inequality?, S. 19. 12 Vgl. dazu auch insgesamt Knodt, Michèle, Regieren im erweiterten europäischen Mehrebenensystem. 13 Vgl. dazu Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik nach Nizza, S. 25 f.; vgl. dazu auch Friedrich, Holger B., Grundzüge einer europäischen Wirtschafts- und Finanzverfassung, S. 4.
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dem Maße weltweiten und nicht zuletzt auch „europäischen“ Einschränkungen unterliegt.14 Die Europäische Ebene hat:15 kein europäisches Sozialrecht, das individuelle Leistungsansprüche verleiht;16 keine direkten Steuern, die für Sozialleistungen verwendet werden könnten; keine Beiträge an eine europäische Sozialeinrichtung; keine nennenswerte Wohlfahrtsbürokratie.
Ein zusätzliches Problemfeld tut sich auf durch die ständige Verstärkung des Wettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Güter und Dienstleistungen. Aufgrund dessen nehmen die Sozialkosten in ihrer Bedeutung als Standortfaktoren ebenso wie das Maß der Besteuerung zu, mit der Folge, dass ein verstärkter Druck auf die Angleichung der Sozialleistungsquoten und der sozialen Sicherungssysteme entsteht und damit bereits in der Vergangenheit festzustellende Entwicklungen hin zu einer „sozialen Konvergenz“ zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich des Sozialschutzes eine Verstärkung erfahren. Kosten und Nutzen der Instrumente und Verfahren sozialer Sicherheit werden direkt vergleichbar und gleichzeitig entsteht politischer Erklärungsdruck, woraus die höheren Kosten resultieren und warum gewisse Leistungen nicht ausreichend verfügbar sind.17 Darüber hinaus kommt es durch den Euro zu einer besseren Vergleichbarkeit von Löhnen und Preisen.18 Diesen Einfluß der zunehmenden Marktintegration beschreibt Dauderstädt19 wie folgt: „European integration is a complex process that combines market liberalisation with policy harmonisation. In the first aspect, it resembles ,globalisation‘, ( . . . ) but with a much more radical liberalisation through the Single market, that has abolished not only tariffs and quotas, but also non-tariff barriers, fiscal and technical barriers and similar measures, such as subsidies. In this way the EU is trying to promote freedom of movement of goods and services, workers and capital. Moreover monetary union has levelled the playing field even 14 Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 223. 15 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung des „Sozialen Europa“, Folienvortrag. 16 So auch Richter, Gregor, Das Konzept der ,Économie Sociale‘ der Europäischen Kommission. Überlegungen zur Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege im europäischen Integrationsprozess, S. 2. 17 Terwey, Franz, Tendenzen der Entwicklung einer Europäischen Sozialunion, S. 3. 18 Vgl. dazu auch Fischer, Thomas, Europas Gesellschaftsmodell entwickeln – Solidarität im Wettbewerb sichern, S. 4; vgl. dazu ferner Sung Bok, Cho, Textzusammenfassungen zum Thema Soziale Sicherungssysteme in der EU „Zu einer Konvergenz der europäischen Sozialmodelle?“, S. 11 ff.; Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 16. 19 Dauderstädt, Michael, The Enlarging Euroland: Deepening and Widening Unemployment and Inequality?, S. 12 -17.
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more by abolishing national currencies and exchange rates, so exposing national economies fully to external shocks. These developments have been called „negative integration“ . . . they remove obstacles to the free play of markets. The second aspect – which might be called „positive integration“ too constrains national policies by setting minimum standards, requiring compliance with EU rules and regulations, and subjecting national decisions to EU control, peer review, benchmarking, and / or the open method of co-ordination. Liberalising and opening markets affects employment and income distribution . . . (and) many people fear that it also leads to a „race to the bottom“ in terms of social protection.“
Und er kommt zu der Schlussfolgerung: „National economic and social policy making is substantially constrained by EU membership. Although the EU certainly does not intend to aggravate the social situation in the member states, its structures and policies might well have that effect, at least indirectly.“ Die Europäische Integration geht nicht nur mit einem aus der Übertragung entsprechender rechtlicher Kompetenzen auf die Institutionen der Europäischen Gemeinschaft als supranationalem Kern des „Europäischen Systems“ resultierenden rechtlichen Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten einher, sondern sie hat zugleich eine Einbuße an faktischer Handlungsautonomie der Staaten, auch im Bereich der Sozialpolitik, zur Folge. Die Transnationalisierung der Kapitalmärkte erleichtert es beispielsweise Unternehmen, ihr Kapital der Kontrolle eines bestimmten Staates – insbesondere unter Steueraspekten – zu entziehen. Die geplante Dienstleistungsrichtlinie und die dazu lebhaft geführten Diskussionen zwischen allen Beteiligten haben die Gräben gezeigt, die es zu überwinden gilt20. Es stehen sich gegenüber die Unternehmen und Unternehmer, die Erleichterungen wollten beim Anbieten ihrer Dienstleistungen in einem „Europa ohne Grenzen“, die Gewerkschaften, die dagegen kämpften, dass Arbeitnehmerrechte gefährdet werden und die Bürger, die Arbeitsplatzverluste befürchteten21. Neben diesen Kämpfen zur Wahrung der jeweils eigenen Interessen tat sich aber noch ein weiteres Problem auf. Es zeigte sich einmal mehr, dass die Europäische Gemeinschaft eben nicht genügend ausreichende soziale Regelungen hat, denn bei der praktischen Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie fehlte es an einem komplementären Regelungswerk sozialer Vorschriften, um sicherzustellen, dass keiner der beteiligten Parteien ein Nachteil erwächst.
20 Vgl. dazu Europäisches Parlament, Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 16. Februar 2006 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2006 / . . . / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (EPPE_TC1-COD(2004)0001), vom 16. 02. 2006; sowie zur Diskussion zur Dienstleistungsrichtlinie in Deutschland DGB, Diskussion zur Dienstleistungsrichtlinie in Deutschland, im Internet unter: http: //www.dienstleistungsrichtlinie.dgb.de/dlrl/1_4.htm. 21 Vgl. dazu umfassend auch Böhret, Carl / Grunow, Dieter / Ziekow, Jan, Überprüfung ausgewählter Aspekte des Vorschlags zu einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt KOM (2004) 2, 2005.
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Auch anhand anderer Entwicklungen ist festzustellen, dass die Sozialpolitik heute nicht mehr als nationale Domäne angesehen werden kann, sondern notwendigerweise transnational ist. Zum einen führen die Globalisierung der wirtschaftlichen Märkte und die Mobilität der Menschen zu einer zunehmenden Transnationalisierung, auch der sozialpolitischen Fragestellungen. Zum anderen löst sich die vom Prinzip der Souveränität vorausgesetzte Trennung von „innen“ und „außen“ in zunehmendem Maße auch im sozialpolitischen Bereich auf. Dem entspricht die Zunahme an supranationalen Rechtsnormen in diesem Bereich. In dem Umfang, in dem die supranationale EG-Ebene auch in der Sozialpolitik an Bedeutung gewinnt, wie sich gleichsam negativ an der beschriebenen Einschränkung des Handlungsvermögens der nationalen sozialpolitischen Akteure ablesen lässt, wächst aber auch das Bedürfnis nach einer Stärkung der sozialen Dimension auf Gemeinschaftsebene ganz allgemein und wird der Ruf nach positiver Integration in Gestalt der Ergänzung der künftigen Wirtschaftsunion durch eine Sozialunion laut.22 „Zwar liegt der Kern der sozialrechtlichen Kompetenzen weiterhin bei den Mitgliedstaaten, doch ist die säkuläre Tendenz, sozialpolitische Kompetenzen nach Europa zu verlagern, . . . unverkennbar“23, wie Schulte zu Recht feststellt. So hat Mäder24 schon 1992 die Frage gestellt, ob nicht „zugleich sozialverfassungsrechtliche Elemente (Sozialunion) stärker als bisher in einer Gemeinschaftsverfassung, die alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Geschehens erfassen muss, verankert werden sollen. Integraler Bestandteil der Europäischen Union ist nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion. In die Verträge sollen grundlegende Prinzipien der Sozialstaatlichkeit und des sozialen Rechtsstaats eingehen, wobei entsprechend föderalen Gegebenheiten auch dem Subsidiaritätsgrundsatz genügend nationaler Spielraum für das Arbeits- und Sozialrecht verbleibt. Eine Sozialunion muss den Organen der Gemeinschaft einen klar umrissenen Aufgaben-, Kompetenz- und Handlungsrahmen geben, damit sie ihn sich nicht auf vielfältigen Wegen verschaffen müssen.“ Es darf auch nicht eine gewisse generelle „Legitimationsschwäche“ des europäischen Integrationsprozesses insgesamt übersehen werden. Während die Mitgliedstaaten ihre Legitimation von ihrem jeweiligen Staatsvolk erhalten, kann nach Schulte25 die Europäische Union ihre Legitimation „nur“ – mittelbar – von den Mitgliedstaaten herleiten, da sie letztlich auf den Verträgen beruht. Sie verfügt insofern lediglich über ein „Mandat“, was ihre Handlungsfähigkeit gerade im sozialen Bereich, der starke Verbindungen zu den Bürgern impliziert, nicht stärkt.26 22 Vgl. dazu z. B. van den Abeele, Eric, Services of general interest and Europe, S. 91; vgl. dazu ferner Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 4. 23 Schulte, Bernd, Freie Wohlfahrtspflege und europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, S. 216 f. 24 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 80. 25 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik nach Nizza, S. 30.
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In letzter Zeit ist eine neue Dimension dazugekommen, die die Diskussion um das „Europäische Sozialmodell“ nicht unerheblich beeinflusst hat: Eine nicht zu übersehende und sich verschärfende Rivalität zwischen „Europa“ auf der einen Seite und den „Vereinigten Staaten von Amerika“ auf der anderen Seite auf der Grundlage der jeweils vorherrschenden wirtschaftlichen Philosophien. Dies hat zu einer mehr ideologischen Diskussion um das „Europäische Sozialmodell“ geführt, in dem Werte wie „Solidarität“, „soziale Gerechtigkeit“ und „öffentliche Verantwortung“ in den Vordergrund treten. „The discussion of the ESM is also influenced by a new rivalry between the EU and the US. The EU is criticised by neo-liberal economists who are in favour of US-style economic job growth of maintaining inflexible labour markets by supporting an outmoded ESM. In response to this ideological challenge the discussion of the ESM has turned into a debate over values like solidarity, social justice and public responsibility for social hardship which are shared among European nations and explain the high esteem in Europe for welfare policies. The primitive presumption of neoliberal economists that high economic growth rates will automatically lead to social improvements is not shared among the wider European public“.27 Festzustellen ist damit, dass es ein – wenn auch unzureichend definiertes – „Europäisches Sozialmodell“ gibt und dass Bedarf besteht, dieses zu reformieren bzw. weiterzuentwickeln. 28 Thomas Fischer geht sogar soweit, die provokante Frage zu 26 Vgl. dazu auch Wendler, Frank, The paradoxical effects of institutional change for the legitimacy of European governance: the case of EU Social Policy, S. 4. 27 Rogowski, Ralf / Kajtár, Edit, The European Social Model and Coordination of Social Policy, An overview of policies, competences and new challenges at the EU level, S. 33; vgl. dazu auch Schmögnerová, Brigita, The European Social Model, S. 2; vgl. dazu ferner Haack, Karl Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 3. 28 Vgl. dazu Miethling, Hansjörg, Europäisches Sozialmodell, Werkstattblätter Nr. 4, April 2000, 12. Jahrgang, S. 1; vgl. dazu ferner Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments zu den Erklärungen der Kommission und des Rates zur Halbzeitüberprüfung der LissabonStrategie, vom 07. März 2005, S. 2, in dem gefordert wird, dass eine gut konzipierte Sozialund Umweltpolitik zu den Schlüsselelementen für die Stärkung der Wirtschaftsleistung Europas gehören; Schmögnerová, Brigita, The European Social Model, S. 5; Bergmann, Christine, Die Weiterentwicklung des Europäischen Sozialmodells, S. 91 f.; Fischer, Thomas, Europas Gesellschaftsmodell entwickeln – Solidarität im Wettbewerb sichern, S. 2 f.; European Social Insurance Partners, Debating a European Constitution in the light of the ,European Social Model‘, Proposals to the European Convention on the Future of Europe, S. 2; the Lisbon council, Pro-Reform NGOs and other Civil Society Leaders Launch Broad debate on European social Model, 28. September 2004; Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 283, Chapon, Séverine / Euzéby, Chantal, Towards a convergence of European social models?, S. 51; Europäische Kommission, Der Europäische Rat von Lissabon – Eine Agenda für die wirtschaftliche und soziale Erneuerung Europas, Beitrag der Europäischen Kommission zur Sondertagung des Europäischen Rates am 23. und 24. März 2000 in Lissabon, DOC / 00 / 7, Brüssel den 28. Februar 2000, S. 2 und 11; Dimas, Stavros anlässlich der Plenardebatte des Europäischen Parlaments am 4. Mai 2004; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2000) 379 endg.
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stellen, ob die Nationalstaaten ihrer sozialen Verantwortung ohne eine Weiterentwicklung des „Europäischen Gesellschaftsmodells“29 noch gerecht werden können.30 Die Modernisierung des „Europäischen Sozialmodells“ durch Investitionen in Menschen und den Aufbau eines aktiven Wohlfahrtsstaates wurde bereits als Zielvorgabe im Rahmen des Lissabon-Prozesses formuliert. Insbesondere zur Modernisierung des „Europäischen Sozialmodells“ wurden vom Wirtschafts- und Sozialausschuss folgende Maßnahmen vorgeschlagen: Bildung und Ausbildung für das Leben und Arbeiten in der Wissensgesellschaft; Mehr und bessere Arbeitsplätze für Europa: Entwicklung einer aktiven Beschäftigungspolitik; Modernisierung des sozialen Schutzes; Förderung der sozialen Integration.
Zur praktischen Umsetzung sollten unter anderem eine Verbesserung der bestehenden Prozesse und die Anwendung eines neuen „offenen Koordinierungsverfahrens“ beitragen.31 Wenn man den bisherigen Ergebnissen folgt, dass grundsätzlich eine soziale Dimension gewollt ist32 und die Umrisse eines „Europäisches Sozialmodells“ (wie unter III 5 c beschrieben) bestehen und weiterverfolgt werden sollen, muss nach neuen Formen gesucht werden, die es erlauben, dieses „Europäische Sozialmodell“ vom 28. 06. 2000, S. 6 und 7; Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 15; European Commission, Reconciling the Welfare State with sound public Finances and high Employment, working paper 2000, S. 7; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Soziale Trends: Perspektiven und Herausforderungen, KOM (2000) 82 endg. vom 01. 03. 2000, S. 4; the Lisbon council, Ein Sozialvertrag für das 21. Jahrhundert – Für eine Gesellschaft der Nachhaltigkeit, der Chancen und der Verantwortung für alle, 28. September 2004; Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt – für ein Europa der Innovation und des Wissens“, ABl. EG C117 / 62 und 67 f. vom 26. 04. 2000; Chirac, Jacques, Memorandum pour un modèle social européen, 27. 02. 1996; Fellner, Gertrud, Konkurrenz und Solidarität: Neue Konturen des europäischen Sozialmodells, S. 2; Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 145 und 149; Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 185 ff. m. zahlreichen w.N. 29 Der Begriff des „Europäischen Gesellschaftsmodells“ wird hier, wie bereits unter III 4 g beschrieben, von Fischer synonym zum Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ verwendet. 30 Fischer, Thomas, Europas Gesellschaftsmodell entwickeln – Solidarität im Wettbewerb sichern, S. 2. 31 Vgl. dazu Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme des WSA zum Thema „Lissabon: Erneuerung der Vision?“, ABl. EU C 61 / 146, vom 14. 03. 2003. 32 Vgl. dazu Langejan, Theo, Sozialschutzsysteme und soziale Dienste: die Rolle der Mitgliedstaaten, S. 53; so auch Haack, Karl Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 2.
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voranzubringen, da die bisher gewählten Ansätze keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt haben. Der oft unklare Gebrauch des Begriffs „Europäisches Sozialmodell“ beruht nicht nur auf einer unzulänglichen Definition des Begriffs, sondern auch auf dem Fehlen eines dahinter stehenden Handlungskonzepts und einer konsequenten, vernetzten, europaweiten Debatte.33 Außerdem muss grundsätzlich entschieden werden, ob man weiterhin am „spillover“ festhalten will, also einer reinen Flankierung der Binnenmarktstrategie durch soziale Elemente, oder eine eigenständige sozialpolitische Säule entwickeln möchte. Zwar wird zum Teil davon ausgegangen, dass es in drei Bereichen bereits eine eigenständige, vom wirtschaftlichen Bezug losgelöste Sozialpolitik gebe:34 Aktive Sozialpolitik durch die Fonds der Gemeinschaft; Erlaß von Mindestbestimmungen im Arbeitsrecht; Entwicklung des Sozialen Dialogs.
Dieser Ansicht ist aber zu widersprechen, denn alle drei Bereiche weisen nicht nur stark wirtschaftsbezogene Bezüge auf, sondern sie dienen gerade der Entwicklung der wirtschaftlichen Dimension. Die Fonds sollen die Arbeitslosigkeit bekämpfen (insbesondere der ESF) bzw. die regionalen Disparitäten mildern (ERF). Die Mindestbestimmungen im Arbeitsrecht dienen der Schaffung von Mindeststandards und haben wettbewerblichen und damit stark wirtschaftsbezogenen Charakter und der Soziale Dialog zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern ist ebenfalls auf die Arbeitswelt und damit wiederum die Wirtschaft ausgelegt. Alle drei Bereiche sind damit nicht einer eigenständigen Sozialpolitik zuzuordnen sondern sollen wiederum nur korrigieren, was zu einer Behinderung des Wettbewerbs führt – hohe Arbeitslosigkeit, nicht harmonisierte arbeitsrechtliche Bestimmungen, die zu Wettbewerbsnachteilen führen können, und Regelungen zwischen den Sozialpartnern, die sonst in dieser Form auf europäischer Ebene keine Mehrheit gefunden haben. Soll an der traditionellen „flankierenden“ Sozialpolitik festgehalten werden, wären die vorhandenen und bisher eingesetzten Verfahren zur Erreichung dieses Ziels ausreichend, im Fall der Entwicklung einer eigenständigen Säule müsste über die Verfahren und Instrumente reflektiert werden, die insoweit benötigt und eingesetzt werden können. Das dargestellte diffuse Bild der bislang erfolgten Politikentwicklung im sozialen Bereich hat gezeigt, dass es an einer gezielten Koordination, einem überHaack, Karl Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 3. Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 12 Rdnr. 11. 33 34
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geordneten Konzept gefehlt hat, was letztlich dazu führte, dass die Entwicklungen nicht kongruent verliefen. Es zeigt weiterhin, dass selbst in den Fällen, in denen man versucht hat, eine Art „Fahrplan“ aufzustellen, wie z. B. im Fall der „Sozialagenda“ im Rahmen des „Lissabon-Prozesses“, der hohe Grad an Unverbindlichkeit die Zielerreichung in den Mitgliedstaaten verhindert hat. Damit spricht vieles dafür, der hier vertretenen Meinung zu folgen, dass eine zweite Dimension – die Entwicklung eines eigenständigen Profils, das nicht immer nur zwanghaft an wirtschaftliche Motivationen gekoppelt ist – hinzukommen sollte, und entsprechende neue Formen der Zusammenarbeit entwickelt werden müssen, die von korrespondierenden Instrumenten unterstützt werden. Im politischen Raum wurde auch bereits in der Vergangenheit von der Notwendigkeit einer „gemeinsamen sozialpolitischen Vision in der EU“ gesprochen.35 Besondere Aktualität hat dieses Thema erlangt durch die den Verfassungsvertrag ablehnenden Referenden in den Niederlanden und Frankreich und die Uneinigkeit zwischen den Staats- und Regierungschefs in Bezug auf die mittelfristige Finanzplanung 2007 – 2012 und die damit verbundenen künftigen Schwerpunktsetzungen der Europäischen Union. In diesem Zusammenhang gewinnt die Diskussion um das „Europäische Sozialmodell“ neue Bedeutung.36 Der britische Premierminister, Tony Blair, hatte angekündigt, dass die Staatsund Regierungschefs im Herbst 2005 auf einem informellen Gipfeltreffen in Großbritannien über die Zukunft der Europäischen Union beraten. Auf der Tagesordnung stand auch die Zukunft des „Europäischen Sozialmodells“, die zentraler Gegenstand des Sondertreffens sein sollte. „Die Europäer müssten einen Weg aus dem Dilemma finden, in dem sich die Europäische Union befinde, weil ihre Wirtschaft wettbewerbsfähiger werden müsse, ohne dass der soziale Ausgleich auf der Strecke bleibe. Die EU-Kommission sollte ein Diskussionspapier erarbeiten, in dem die „Nachhaltigkeit“ des „Europäischen Sozialmodells“ geprüft werde“.37 Dem liegt die – wenn auch etwas späte – Erkenntnis zugrunde, dass europäische Sozialpolitik nicht nur wirtschaftsflankierende Bedeutung hat, wie lange Zeit vertreten wurde, sondern auch ein Instrument ist zur Stärkung der Identifikation der Bürger mit dem europäischen Gedanken38. Diesem Auftrag kam die Europäische Kommission in Form einer Mitteilung zu den europäischen Werten in einer globalisierten Welt39 nach. Darin wird verwiesen Ruhenstroth-Bauer, Peter, Einführung, S. 55. Vgl. dazu Adam, Ruth, Ein Wirtschafts- und Sozialmodell für Europa?, 25. 10. 2005. 37 FAZ vom Samstag, dem 2. Juli 2005, S. 1. 38 Vgl. zur Identifikation Thalmaier, Bettina, Braucht die EU eine eigene Identität?, S; 4, 6, 10 f. 39 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Werte in der globalisierten Welt, KOM (2005) 525 endg. vom 20. 10. 2005 und Corrigendum Paragraphe 2 du point 3.3. KOM (2005) 525 endgültig / 2 vom 03. 11. 2005. 35 36
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auf die Vielfalt der bestehenden nationalen Sozialmodelle und ihrer Variationsbreite sowie auf die gemeinsamen zugrunde liegenden Werte. Dann wird jedoch festgestellt, dass zwar alle Länder eindeutig europäische Merkmale aufweisen, noch kein Land aber Antworten auf alle Fragen gefunden hat. Nach einer Beschreibung der Herausforderungen wie der Überalterung, der Globalisierung und den wirtschaftlichen Problemen, kommt die Mitteilung zur Forderung einer Modernisierung der Sozialsysteme, die die ökonomischen Reformen unterstützen soll. Die Rolle der Mitgliedstaaten besteht in der vorrangigen Zuständigkeit für die Gestaltung und Leistungserbringung der Sozialsysteme, während die Europäische Gemeinschaft sich als Mittler zwischen nationalem Handeln und internationalen Regeln sieht mit Instrumenten wie u. a. Rechtsvorschriften, Exekutivbefugnisssen, Befugnissen im Bereich von Wettbewerb und staatlichen Beihilfen etc. Außer der generellen und nicht im Detail beschriebenen Forderung der Erneuerung des sozialen Dialogs und der unterstützenden Maßnahmen zur Bewältigung der sozialen Folgen wirtschaftlicher Umstrukturierung werden aber keine konkreten Vorschläge gemacht oder Konzepte entworfen.40 Ferner wurden Diskussionspapiere vorgelegt, die sich mit der Zukunft der Europäischen Union befassen.41 Tsoulakis42 ist der Ansicht, „Economics remains today the backbone of it all,“ und sieht die Rolle der Europäischen Kommission nicht als Gesetzgeber, sondern als Katalysator und Vermittler. Er fordert mehr Solidarität in Form von Fonds, die die Lissabonstrategie unterstützen sollen. Palme43 geht der Frage nach, ob das skandinavische Modell als Vorbild für das „Europäische Sozialmodell“ dienen kann und kommt letztendlich zu der Schlussfolgerung, dass Armutsvermeidung, Investitionen in Aus- und Weiterbildung und eine Stärkung der sozialen Dienste sowie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Vordergrund der Bemühungen stehen müssen. Hinsichtlich des Sozialmodells stellt aber auch er fest, dass es kein einheitliches europäisches Modell, sondern nur vielfältige nationale Formen gibt. Er schlägt vor, den Focus auf die Jugend zu setzen: „In order to design sustainable social policies for the future we need to put our children and youth first. This is contrary to what has been done so far within the framework of the Open Method of Coordination.“ 40 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Werte in der globalisierten Welt, KOM (2005) 525 endg. vom 20. 10. 2005 und Corrigendum Paragraphe 2 du point 3.3. KOM (2005) 525 endgültig / 2 vom 03. 11. 2005, S. 4, 5, 12 und 13 – 16. 41 Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005: Ferrera, Maurizio, The caring dimension of Europe: How to make it more visible and more vigorous; Tsoulakis, Loukas, Why we need a globalisation adjustment fund; Palme, Joakim, Why the scandinavian experience is relevant for the reform of ESM; Soete, Luc, Activating knowledge; Weil, Patrick, A flexible framework for a plural Europe. 42 Tsoulakis, Loukas, Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005, S. 3 f. 43 Palme, Joakim, Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005, S. 9 – 12.
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Weil44 befasst sich mit den Problemen der Migration und plädiert für eine bessere Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten, erleichterte Einreise- und Aufenthaltsregeln für Studenten aus Drittstaaten und mehr Flexibilität bei der Beschäftigung von gut ausgebildeten Facharbeitern, aber auch bei Saisonarbeitern. Soete45 will das Wissenspotential aktivieren und sieht in der Lissabon-Strategie insoweit einen zu fragmentierten Ansatz, er fordert ein breiteres Spektrum an Erziehungs-, Wettbewerbs- und Sozialpolitiken. Ferrera46 macht zwei Vorschläge: klarere soziale Ziele, ein stärkerer Fokus auf Kinder und eine einfachere Sprache ein stärkeres politisches Signal für die Wiedereinführung der sozialen und „anteilnehmenden“ Dimension Europas
Konkret schlägt er einen „Pact on Social Inclusion“ und ein spezielles Mandat für den neu eingerichteten „Council of Ministers for Lisbon“ zur Vereinbarung der wirtschaftlichen und sozialen Ziele der Lissabon-Strategie vor.47 In keinem der Dokumente wird ein umfassender Vorschlag gemacht. Sie befassen sich mit Teilaspekten des „Europäischen Sozialmodells“ und kommen dementsprechend nur zu Teillösungen. Einmal mehr dominiert die wirtschaftliche Sicht der zu ergreifenden Initiativen. Wenn vom „Europäischen Sozialmodell“ gesprochen wird, stehen die nationalen Verantwortlichkeiten der Mitgliedstaaten im Mittelpunkt und nicht die europäischen Institutionen als Motor der Weiterentwicklung. Der neue Fokus auf die junge Generation ist ebenso wenig zielführend, denn wenn auch die Jugendlichen eine grosse Rolle spielen, müssen doch alle Generationen in mögliche Lösungsansätze einbezogen werden. Sapir48 hat zur Vorbereitung des informellen ECOFIN Treffens in Manchester ein Hintergrundpapier vorgelegt, das auch im Rahmen der Tagung von Hampton Court diskutiert wurde. Darin werden zunächst zwei generell neue Trends deutlich, zum einen rücken in den Vordergrund der Diskussion die vier existierenden nationalen Sozialmodelle49 (mediterran, nordisch, angelsächsisch und kontinental), die hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile miteinander verglichen werden, mit einer Prä44
Weil, Patrick, Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005, S. 3,
6 – 7. Soete, Luc, Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005, S. 12 f. Ferrera, Maurizio, Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005, S. 4 ff. 47 Ferrera, Maurizio, Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005, S. 10. 48 Sapir, André, Globalisation and the Reform of European Social Models, 9th September 2005. 49 Vgl. zur Beschreibung der vier unterschiedlichen Typen von Sozialmodellen oben Kapitel III. 2. 45 46
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ferenz für das nordische Modell50. Demgegenüber wird das „Europäische Sozialmodell“ als Basis der gemeinsamen Werte angesehen, das aber anscheinend an eigenständiger Substanz verliert, da zwei seiner wichtigsten Komponenten – der Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme – schwerpunktmäßig auf nationaler und eben nicht auf europäischer Ebene entschieden werden.51 Zum anderen wird das „Europäische Sozialmodell“ in seiner Funktion als Wertemodell zum Gegenpol zur Globalisierung instrumentalisiert, der man nur begegnen könne, wenn eine doppelte Strategie verfolgt werde, die einerseits in der (von der europäischen Ebene unabhängigen) notwendigen Reform der nationalen Sozialpolitiken gesehen wird, und andererseits in der daneben noch zulässigen und möglichen Koordinierung auf europäischer Ebene in den Bereichen der weiteren Binnenmarktharmonisierung, der Liberalisierung der Arbeitsmärkte, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Investition in das Humankapital.52 Auch Kommissare und zahlreiche Interessengruppierungen haben sich im Umfeld der Tagung von Hampton Court zur Zukunft des „Europäischen Sozialmodells“ geäußert. Kommissar Vladimír Špidla nahm gleich in zwei Reden Stellung zum neuen sozialen Europa53 und zur Zukunft des „Europäischen Sozialmodells“.54 In seiner Rede zum neuen sozialen Europa weist er auf die Interaktion zwischen der europäischen und der nationalen Dimension des Sozialmodells hin, die sich u. a. manifestiert im wirtschaftlichen Wettbewerb der Staaten untereinander und der immer stärkeren Nutzung der Binnenmarktfreiheiten durch die Bürger, die sich besonders deutlich im Gesundheitswesen zeigt. Er warnt davor, dass man glaube, das „Europäische Sozialmodell“ könne zu einem „Sozialstaat Europa“ führen, vielmehr sei das „Europäische Sozialmodell“ ein politisches Objekt, das einen Grundbestand an gemeinsamen europäischen Werten verkörpere und notwendig sei, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Im Mittelpunkt stünden dabei die Verbindung zwischen Ökonomie und Solidarität, der Sozialschutz und die 50 Vgl. dazu Schubert, Carlos Buhigas / Martens, Hans, The Nordic model: A recipe for European success?, EPC Working Paper No. 20, September 2005. 51 Sapir, André, Globalisation and the Reform of European Social Models, S. 1 und 5; so auch Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005, Palme, Joakim, Why the scandinavian experience is relevant for the reform of ESM, S. 13; Quintin, Odile, Dutch Ministry of Social Affairs, „Mini-seminar“, The European Social Model: adequate policy responses in the EU, Bruxelles, le mardi 11 octobre 2005, S. 2 und 5. 52 Sapir, André, Globalisation and the Reform of European Social Models, S. 15 f.; vgl. zur Globalisierung auch Europäisches Parlament, Bericht über die soziale Dimension der Globalisierung (2005 / 2062 (INI), A6 – 0308 / 2005 vom 18. 10. 2005 und Garabiol, Philippe, Le modèle social européen ou la création d’une identité sociale européenne, S. 7; Brown, Gordon, Global Europe: full-employment Europe, October 2005. 53 Špidla, Vladimír, Une nouvelle Europe sociale, Speech 05 / 598, PES Conference „A new social Europe“, Bruxelles, le 11 octobre 2005. 54 Špidla, Vladimír, Le futur du ,modèle social européen‘: faire progresser les Etats Providence européens, Bruxelles, le 13 octobre 2005.
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Grundrechte. Im Zusammenhang mit der Diskussion anlässlich des Gipfels von Hampton Court fordert er dann wirtschaftliche und soziale Reformen, mehr Flexibilität bei der Beschäftigung und dem Sozialschutz und eine stärkere Einbeziehung der Sozialpartner in die Diskussion im Sinne des „guten Regierens“,55 Forderungen, die in der zweiten erwähnten Rede lediglich wiederholt werden. Kommissar Joaquín Almunia56 konstatiert in seiner Rede zunächst, dass es gar kein einheitliches „Europäisches Sozialmodell“ gibt, sondern lediglich die vier bekannten Modelle (nordisch, angelsächsisch, kontinental und mediterran57). Die diesen unterschiedlichen Modellen gemeinsamen Werte bilden seiner Ansicht nach dann doch die Basis eines – allerdings seinerseits nicht näher definierten – „Europäischen Sozialmodells“, das den Herausforderungen der Globalisierung, der Überalterung der Bevölkerung und der zunehmenden Arbeitslosigkeit gegenübersteht. Er sieht die Lösung letztendlich in wirtschaftsbezogenen Aktionen, wie z. B. der weiteren Liberalisierung des Binnenmarktes, was aus seiner Rolle als Kommissar für Wirtschafts- und Währungsangelegenheiten heraus logisch und konsequent ist. Auch die Sozialpartner und die socialplatform haben sich zu Wort gemeldet58, ihre Beiträge erschöpfen sich allerdings in einem generellen Bekenntnis zu einem „Europäischen Sozialmodell“, der Beschreibung der sich aus der jeweiligen Sicht ergebenden Herausforderungen und der globalen Forderung nach Reformen des „Europäischen Sozialmodells“, jedoch ohne konkrete Vorschläge, wie diese Reformen erreicht werden könnten. Die Ergebnisse des informellen Gipfels von Hampton Court selbst sind dementsprechend insgesamt enttäuschend. In den beiden als follow-up von Hampton Court veröffentlichten Mitteilungen59 findet sich lediglich in der Einführung die folgende Aussage: „Alle Beteiligten waren sich darin einig, dass Europa wirtschaftliche Reformen und soziale Modernisierung braucht, um seine Werte bewahren zu können“.60 Dies wird bekräftigt in den Schlussfolgerungen des Europäi55 Špidla, Vladimír, Une nouvelle Europe social, Speech 05 / 598, PES Conference „A new social Europe“, S. 3, 5, 8 und 9. 56 Almunia, Joaquín, The Future of the European Model, S. 2, 5 -7. 57 Vgl. zur Beschreibung der vier unterschiedlichen Typen von Sozialmodellen oben, Kapitel III. 2. 58 UEAPME, Globalisation Summit: Citizens must be shown light at the end of the tunnel for reforms to be embraced, Press release, 20. October 2005; CES / ETUC, Shaping a strong and social Europe, Brussels, 18. 10. 2005; UNICE, Business is crying out for European leaders able to push forward vital reforms, Brussels, 7th October 2005; socialplatform, Open letter to the 25 EU Heads of State and Government, October 2005 und Social NGOs call for shared European values to be put at the heart of social model debates, October 2005. 59 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorrangige Maßnahmen zur Lösung von Migrationsproblemen: Erste Folgemaßnahmen nach Hampton Court, KOM (2005) 621 endg. vom 30. 11. 2005 und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Zwischenbericht über die Folgemaßnahmen zur informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs in Hampton Court, KOM (2005) 645 endg. vom 07. 12. 2005.
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VIII. Erfordernis neuer Lösungsansätze
schen Rates vom 15. / 16. Dezember 2005 unter Randnummer 2: „Der Europäische Rat weist erneut darauf hin, wie wichtig die gemeinsamen europäischen Werte der Solidarität, der sozialen Gerechtigkeit und der Nachhaltigkeit als Grundlage für die Gestaltung der Unionspolitik sind“61. Es wurden keine Beschlüsse gefasst, die das „Europäische Sozialmodell“ weiterentwickeln, vielmehr beschränkten die Staats- und Regierungschefs sich auf die Bekräftigung der Bedeutung der sozialen Dimension. Auch die deutsche Ratspräsidentschaft 2007 hat sich erneut der Thematik angenommen, indem sie ausdrüklich feststellt: „Die Debatte um das europäische Sozialmodell ist mit konkreten Inhalten zu füllen. Im Rahmen einer Ministerkonferenz zur Zukunft des europäischen Sozialmodells soll die positive Wechselwirkung der drei Politikbereiche Wirtschaft, Beschäftigung und Soziales durch konkrete Beispiele einer erfolgreichen Verzahnung sichtbar gemacht werden.“62 Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Damit kann festgestellt werden: Die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind ähnlichen wirtschaftlichen, sozial- und arbeitsmarktpolitischen Problemen ausgesetzt, die zum Teil transnationale Ursachen und Auswirkungen haben und dementsprechend nicht mehr alleine gelöst werden können. Die starke gegenseitige Beeinflussung der nationalen und europäischen Sozialpolitik durch unterschiedlichste Faktoren erfordert neue Formen der Politikbestimmung auf europäischer Ebene. Die europäische Sozialpolitik befindet sich in einer schwierigen Situation, ausgelöst durch sowohl externe als auch interne Faktoren, die ein Umdenken und eine Neuorientierung erfordern. Das „Europäische Sozialmodell“ im Sinne einer eigenständigen Säule der europäischen Sozialpolitik ist eine denkbare Wunschvorstellung, die bislang noch nicht umgesetzt wurde. Das „Europäische Sozialmodell“ ist weder hinreichend definiert noch rechtlich abgesichert. Das „Europäische Sozialmodell“ ist einer unkoordinierten und zufallsunterworfenen Beeinflussung durch eine Vielzahl von Akteuren und unterschiedlichen Instrumenten ausgesetzt.
60 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Zwischenbericht über die Folgemaßnahmen zur informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs in Hampton Court, KOM (2005) 645 endg. vom 07. 12. 2005, S. 3. 61 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Brüssel) vom 15. / 16. Dezember 2005, Council 3, 15914 / 05 vom 17. Dezember 2005. 62 Programm der deutschen Ratspräsidentschaft, Europa gelingt gemeinsam, 1. Januar – 30. Juni 2007, S. 13.
VIII. Erfordernis neuer Lösungsansätze
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Damit verändert sich die Fragestellung von „Wollen und können wir uns eine eigenständige Sozialpolitik überhaupt leisten oder funktioniert sie nur als ,Flankierungskonzept‘ zur Wirtschaftspolitik?“, richtigerweise zu „Können wir es uns leisten, weiterhin auf eine unabhängige Sozialpolitik zu verzichten?“. Dies führt unmittelbar zu der weiteren Frage, wie eine unabhängige Sozialpolitik und eine Neuorientierung mit dem Ziel der Konsolidierung und Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ erreicht werden können.
IX. Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ in der Wissenschaft und durch sonstige Akteure 22. THESE: Die seitens der Wissenschaft vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ sind nicht tragfähig bzw. ausreichend, um die definierten Zielsetzungen zu erreichen.
In der Wissenschaft sind von verschiedenen Disziplinen1 Vorschläge gemacht worden, wie das „Europäische Sozialmodell“ weiterentwickelt werden könnte. Dabei werden vielfach politische Forderungen aufgestellt und Wunschvorstellungen entwickelt, ohne dass dabei die rechtliche Dimension oder die konkrete Umsetzbarkeit Berücksichtigung finden. Das „Europäische Sozialmodell“ wird aber nur dann zu einem tragfähigen Konstrukt mit Zukunft werden, wenn es aus der rein politischen in eine fundierte rechtliche Dimension wechselt, auf deren Basis konkrete Maßnahmen umgesetzt werden können. Die in der Literatur zu findenden Vorschläge werden im folgenden vorgestellt und unter dem Gesichtspunkt analysiert, ob sie tauglich sind, eine rechtliche Basis darzustellen für das „Europäische Sozialmodell“.
1. Ansatz nach Weinstock (1989) Weinstock2 hat bereits 1989 auf die Defizite der europäischen Sozialpolitik hingewiesen und drei Strategien (plus eine Variante) zur Problemlösung diskutiert: Strategie 1: Man lässt es angesichts der großen Schwierigkeiten bei der Konsensfindung bei einem Minimal-Kompromiss auf einer weitgehend punktuellen Grundlage bewenden. Das heißt, auf der Basis der bestehenden Verträge wird dem unausweichlichen Druck der Arbeitnehmer-Organisationen in der Europäischen Gemeinschaft überall dort entsprochen, wo diese zu einem tragfähigen Einverneh1 Rechtswissenschaften (Däubler, Scharpf, Pitschas), Politologie (Lang, Fischer), Sozialwissenschaften (Berghman / Sakellaropoulos, Chapon / Euzéby), Wirtschaftswissenschaften (Weinstock). 2 Weinstock, Ulrich, Europäische Sozialunion – historische Erfahrungen und Perspektiven, S. 25 f.
1. Ansatz nach Weinstock (1989)
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men gelangen und darüber hinaus alle Regierungen der Mitgliedstaaten grundsätzlich gemeinschaftlichen Handlungsbedarf zur Korrektur des status quo anerkennen. Ein derartiger Ansatz lässt sich auch als „muddling through“ bezeichnen, wird dabei doch auf eine (aktive) Politik weitgehend verzichtet. Strategie 2: Im Rahmen des sozialen Dialogs handeln Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Organisationen der Mitgliedstaaten gemeinsam mit der Europäischen Kommission einvernehmlich eine Plattform aus, die zur Aktionsreferenz für alle Beteiligten wird. Eine Vertragsergänzung ist auch in diesem Fall nicht erforderlich. Strategie 3: Die Regierungen der Mitgliedstaaten gelangen zu der Ansicht, dass zur Herstellung des Binnenmarktes eine soziale Ergänzung in substantieller Form politisch unabdingbar ist, und zwar in dem Sinne, dass die bestehenden Vertragsgrundlagen nicht ausreichend sind, ohne dass sie indessen jetzt modifiziert werden (müssen). Dabei kann es sich um den Versuch eines großen Wurfs im Sinne eines Aktionsprogramms handeln oder aber um eine inhaltliche Fixierung lediglich der ersten, bis Ende 1992 zu realisierenden Stufe eines solchen Programms, wobei die Inhalte der weiteren Stufen offen gelassen werden, jedoch das Ziel der Schaffung eines sozial fortschrittlichen Raums festgeschrieben wird. Strategie 4 (als Variante zu Strategie 3): Es bleibt zu prüfen, ob und inwiefern es sachlich vorstellbar und politisch möglich ist, für die soziale Dimension, und zwar über lange Übergangsfristen hinaus für den Fall, dass sich ein oder mehrere Mitgliedstaaten dem Gemeinschaftshandeln nicht anschließen, auch das Konzept der abgestuften Integration anzuwenden. Dieses umfasst erstens die gemeinschaftliche Festlegung der Integrationsziele, deren Umsetzung nur in einigen Mitgliedstaaten erfolgt, während den übrigen zugestanden wird, unbefristet – nicht aber dauerhaft – hinter diesen Zielen zurückzubleiben bzw. sich nicht an der gemeinsamen Politik zu beteiligen. Zweitens impliziert es den Abbau der der Abstufung zugrunde liegenden sozialökonomischen Strukturunterschiede oder sonstiger objektiver Hindernisse durch nationale und / oder gemeinschaftliche Maßnahmen. Damit soll zugleich angedeutet werden, dass dem europäischen Gesetzgeber als Regelungsmöglichkeiten neben dem die Sichtweise weithin bestimmenden Modell der Einheitsregelung eine ganze Reihe weiterer Spielarten der vollständigen Integration, nämlich Differenzierungen, wie der unvollständigen Integration, zu Gebote stehen. Die Strategie 1 weist den Nachteil auf, dass sie nicht von einer aktiven Politik getragen wird. Das „muddling through“ wird zwar weitestgehend praktiziert, die Resultate in Form einer unkoordinierten Sozialpolitik sind allerdings augenscheinlich. Auch Weinstock zieht diese Variante nicht ernsthaft in Erwägung. Die Strategie 2 überließe die Initiative mehr oder weniger den Sozialpartnern und der Europäischen Kommission, die Mitgliedstaaten würden nur eine untergeordnete Rolle spielen. Diese Variante leidet darunter, dass sie nicht nur – durch die Dominanz der Sozialpartner – zu sehr arbeitsmarktorientiert ausgestaltet ist, son-
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IX. Lösungsansätze
dern auch unberücksichtigt lässt, dass die Mitgliedstaaten kaum damit einverstanden sein werden, wenn ihnen eine eher untergeordnete Rolle zugewiesen wird. Die dritte Strategie, mit der Variante (in Strategie 4) einer abgestuften Integration, setzt eine politisch verbindliche Erklärung der Staats- und Regierungschefs zur Weiterentwicklung der sozialen Dimension voraus. Sie kommt damit zunächst zu der richtigen Grundidee, dass ein politischer Konsens erforderlich ist. Richtigerweise wird dieser Konsens auch auf der höchsten Ebene angesetzt – der Ebene der Staats- und Regierungschefs. In den Details bleibt der Vorschlag aber zu ungenau und zeigt weder auf, wie dieser Kompromiss im einzelnen zustande kommen soll, noch auf welchen rechtlichen Vertragsvorschriften er beruht. Auch das Konzept der abgestuften Integration überzeugt nicht. Wenn das „Europäische Sozialmodell“ gemeinsam von allen Partnern weiterentwickelt werden soll, dann bedarf es zum einen des Konsenses zwischen allen Beteiligten, zum anderen der Durchsetzung und zum dritten der Akzeptanz in allen Mitgliedstaaten. Kommt es insoweit bei Harmonisierungsbedarf (z. B. bei der Frage der Einführung von Mindestlöhnen), zu unterschiedlichen Regelungen, wird die soziale Dimension nicht verwirklicht werden. Im Gegenteil, es ist zu erwarten, dass die Probleme sich sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch auf europäischer Ebene verschärfen.
2. Ansatz nach Däubler (1989) Däubler3 analysiert bereits 1989 die Defizite der europäischen Sozialpolitik und kommt zu dem Ergebnis, dass die Lösung in der Ausformulierung eines Grundrechtskatalogs liegt, den er in insgesamt 49 Artikeln beschreibt, und sieht dies nur als realistisch an, wenn „Konsensfähigkeit“ gegeben ist. Ausgangspunkt für eine europäische Normierung sind demnach die Grundrechte, die in den Verfassungen der Mitgliedstaaten ihren Niederschlag gefunden haben. Däubler geht davon aus, dass die Bezugnahme auf Normen, die in den Mitgliedstaaten seit Jahrzehnten Geltung finden, auch im europäischen Kontext auf Zustimmung und Konsens stoßen sollte und den europäischen Rahmen nicht sprengen werde. Der hohe Stellenwert von Verfassungsnormen garantiert ferner, dass sie Beachtung finden und respektiert werden. Die für derartige Artikel genutzte Terminologie sei regelmäßig dem Bürger verständlicher und zugänglicher, da sie sich am Akzeptanzgedanken orientiere und sich als Medium verstehe, die Zustimmung des Bürgers zum Staatswesen zu erreichen bzw. zu vertiefen.
3 Däubler, Wolfgang, Sozialstaat EG? Notwendigkeit und Inhalt einer Europäischen Grundrechtsakte, S. 95 ff.
2. Ansatz nach Däubler (1989)
333
Däubler vertritt ferner die Ansicht, dass zwischen den Mitgliedstaaten bereits ein beträchtlicher Fundus an übereinstimmenden Regelungen existiert, der es erleichtern wird, eine gemeinsame europäische Basis zu schaffen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verfassungen einiger Mitgliedstaaten4 erst zu einem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem eine Vielzahl der jetzt zu bewältigenden Probleme bereits bekannt waren. Sein weiteres Argument ist die vom EuGH geübte Praxis, in erster Linie auf die in den Mitgliedstaaten bestehenden Grundrechte abzustellen, und der Hinweis auf die gemeinsame Grundrechtserklärung von Rat, Europäischer Kommission und Europäischem Parlament vom 5. April 19775, die primär auf die Achtung der Grundrechte abhebt, „wie sie insbesondere aus den Verfassungen der Mitgliedstaaten“ hervorgegangen sind. Das Problem, dass die in Frage stehenden Rechte nicht in allen Mitgliedstaaten verfassungsrechtlich verankert oder in anderer Weise anerkannt sind, will Däubler dadurch lösen, dass ein Ausgleich zwischen berechtigten nationalstaatlichen Interessen und der Notwendigkeit gemeinsamer europäischer Regelungen unter folgenden Erwägungen erfolgt: Soweit es um Abwehrrechte gehe – wozu u. a. die Koalitionsfreiheit insoweit gehöre, als sie vor staatlichen Eingriffen schütze –, könne an sich die traditionelle Regelungstechnik beibehalten werden. Allerdings würde man dem Anspruch einer europäischen Grundrechtsgarantie nicht gerecht durch die Verankerung lediglich minimaler Rechte, vielmehr müsse die Gemeinschaft hier vorwärtsweisende Orientierungen geben. Soweit es um „Beteiligungsverfahren“ im weitesten Sinne, um Partizipation der Arbeitnehmer gehe, sei ein hohes Maß an Zurückhaltung geboten, da institutionalisierte Mitbestimmungsrechte nur schwer im europäischen Recht verankert werden könnten. Soweit es um Grundrechte gehe, die dem Bürger bestimmte staatliche Leistungen einräumten (wie z. B. Sozialhilfe) oder die den Staat verpflichteten, einen bestimmten Zustand herbeizuführen (wie z. B. ein Recht auf Arbeit mit der Verpflichtung des Staates zu entsprechenden beschäftigungspolitischen Maßnahmen), bestehe die Gefahr, dass die Spielräume der Mitgliedstaaten über Gebühr eingeengt und ihre wirtschaftliche Belastbarkeit nicht genügend berücksichtigt würden. Hier sei eine Regelungstechnik zu finden, die im Rahmen des Erreichbaren die Grenzen zwischen eindeutigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und Spielräumen der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung deutlich mache. So sei es nicht erforderlich, die Höhe des gemeinschaftsGriechenland (1975), Portugal (1976), Spanien (1978), Niederlande (1983). Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission betreffend die Achtung der Grundrechte sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, ABl. EG C 103 / 1 vom 27. 04. 1977. 4 5
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IX. Lösungsansätze
weit zu gewährenden Sozialhilfesatzes in Euro auszudrücken, denkbar wäre aber die Festlegung des Prinzips eines Auffangnetzes in Form der Sozialhilfe einschließlich der Fixierung der wesentlichen Kriterien, die bei ihrer Gewährung zu beachten seien. Bei der Beurteilung der Frage der Konsensfähigkeit eines solchen Vorschlags befasst Däubler sich auch mit dem Problem der Verbindlichkeit. Dies schließt zum einen unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten zwischen den Akteuren in Einzelfragen ein, zum anderen betrifft es die Grundsatzfrage, ob die Garantie sozialer Grundrechte überhaupt als verbindlich gewollt ist. Da eine rechtlich unverbindliche Deklaration kaum praktische Wirksamkeit entfalten würde, schlägt Däubler vor, den Weg über Art. 236 EWGV (heute Art. 48 EUV) zu wählen. „Das Vertragsänderungsverfahren würde die Grundrechtsgarantien gleichberechtigt neben die sonstigen Garantien des primären Gemeinschaftsrechts stellen. Eine Relativierung durch Auslegung im Lichte des primären Gemeinschaftsrechtes oder durch spätere Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane wäre ausgeschlossen. Durch die äußere Form würden die sozialen Grundrechte zu einer Größe werden, deren Gleichrangigkeit gegenüber den wirtschaftlichen Integrationszielen niemand mehr bestreiten könnte.“ Auch würde dieser Weg die beste Schutz- und Legitimationswirkung garantieren. Zur Beurteilung des Vorschlags von Däubler aus europäisch grundgesetzlicher Sicht kann auf die Ausführungen Hilfs6 verwiesen werden, der dazu im einzelnen Stellung nimmt. Dabei kommt er zu dem Schluß, dass die Diskussion um die klassischen Freiheitsrechte offen bleibe, da in dem Entwurf Däublers nur die sozialen „Grundrechte“ erfasst würden. Ferner vertritt er die Ansicht, dass den drohenden sozialen Defiziten effektiver mit gezielten Harmonisierungsrechtsakten und der Festlegung von Mindeststandards begegnet werden könne. Einen Katalog von Grundrechten, die letztlich nicht vom Bürger eingeklagt werden könnten, hält er für zu schwach, um effektiv Verbesserungen im sozialen Bereich zu erreichen. Vor dem Hintergrund der hier zu erörternden Frage der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ durch einen Sozialkonsens ist zunächst der Grundgedanke, dass jede Art der Fixierung sozialer Rechte konsensbedürftig ist, logisch und nachvollziehbar. Däubler versteht diesen Konsens aber nicht als Technik zur Erreichung des Ziels, sondern bezieht sich nur dergestalt darauf, dass die Mitgliedstaaten übereinkommen müssen, die Grundrechte im Vertragswerk zu verankern und zu respektieren. Ein solcher Konsens ist aber im Rahmen des „Europäischen Sozialmodells“ nicht ausreichend, denn es geht nicht um die Einigung an sich, sondern um einen Mechanismus, der es erlaubt, das soziale Rechtsgefüge tatsächlich weiterzuentwickeln. 6
Hilf, Meinhard, Der Binnenmarkt ohne Sozialstaatprinzip und Grundrechte, 1989.
3. Ansatz nach Scharpf (2002)
335
Auch ist der Ansatz zu einseitig auf die Rechte der Bürger abgestellt. Eine Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ dürfte nur erfolgreich sein, wenn sie Gegenseitigkeitselemente und Ausgleichselemente aufweist, die sowohl den Interessen der Bürger als auch denen der Mitgliedstaaten und der anderen Akteure entsprechen.
3. Ansatz nach Scharpf (2002) Einen ersten Ansatz in Richtung auf einen „Europäischen Sozialkonsens“ formuliert Scharpf7, indem er vorschlägt, die OMK mit Richtlinien zu kombinieren. Die OMK soll dazu dienen, gemeinsame Lösungen zu definieren, die dann anschließend in Richtlinien umgesetzt werden können, die den Mitgliedstaaten den Spielraum für nationale Anpassungen lassen. Dagegen spricht, dass diese Kombination unzureichend ist. Sie schließt nicht die herausgearbeitete Lücke zwischen dem Wunsch der Mitgliedstaaten einerseits, möglichst weitgehend die Sozialpolitik selbst zu bestimmen, und der faktischen Notwendigkeit andererseits, in immer mehr Bereichen zu europäischen Lösungen zu kommen. Die OMK ist gerade nicht in allen Fällen darauf ausgelegt, zu Rahmenrichtlinien zu gelangen. Sie soll vielfach nur dem Benchmark dienen und den Mitgliedstaaten Vergleichsmaterial liefern, wie in anderen Ländern mit bestimmten Problemen umgegangen wird. Damit hat sie einen Ansatz, der gerade nicht konsequent zu anschließenden Richtlinien führen soll. Sie ist auch kein Instrument, das in der Lage wäre, die Kompetenz für eine Richtlinie zu schaffen. Ferner sind die oben unter VII. 4. f. beschriebenen Nachteile in Erwägung zu ziehen, wie insbesondere die unterschiedlichen Benchmarks. Auf einer derart ungenauen Grundlage sollten keine gemeinsamen Regeln formuliert werden. Dazu kommt noch die Tatsache, dass sie auf der Basis von „name and shame“ aufgebaut ist. Es ist abzulehnen, dass Staaten sich gerade in diesem sensiblen Bereich durch öffentlichen Druck veranlasst sehen, einer Maßnahme zuzustimmen, die sie sonst nicht akzeptiert hätten. Das Scheitern der Lissabon-Strategie ist Beweis für den verfehlten Ansatz der lediglich politisch verbindlichen, aber rechtlich unverbindlichen Zielfestlegung. Deshalb ist diese Kombination abzulehnen, da sie nicht zu einer umfassenden Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ führen kann.
7 Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 16.
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IX. Lösungsansätze
4. Ansatz nach Lang (2001) Klaus Lang8 sieht in der europäischen Sozialpolitik eine „präventive Ordnungspolitik zur Sicherung der humanen Voraussetzungen einer immer risikoreicheren Marktwirtschaft“. Er führt aus: „Die Europäische Union betreibt bisher noch stets vor allem Währungs- und Landwirtschaftspolitik. Sie treibt die Öffnung der Märkte für Arbeitskräfte, Geld, Waren und Dienstleistungen voran. Was fehlt, sind stärkere Impulse und Initiativen in der Beschäftigungspolitik, Strategien, die auf Gemeinsamkeit in der Finanz- und Steuerpolitik zielen und – nicht zuletzt – der Start einer Debatte über eine sozialstaatliche und auch sozialpolitische Vision für Europa. So wie soziale Marktwirtschaft in der Tradition des ,Rheinischen Kapitalismus‘ eben nicht nachträgliche Reparatur und Umverteilung mittels staatlicher Transferleistungen ist, sondern den einen politisch-sozialen Ordnungsrahmen für wirtschaftliche Entscheidungen verlangt, der Humanität und Gerechtigkeit realisiert, so muss auch auf europäischer Ebene Sozialstaatlichkeit in diesem Verständnis durchgesetzt werden: Das Soziale an der sozialen Marktwirtschaft ist nicht nur nachträgliche Korrektur von Schäden, die Markt und Wettbewerb hinterlassen. Sozialpolitik ist zuerst präventive Ordnungspolitik zur Sicherung der humanen Voraussetzungen einer immer risikoreicheren Marktwirtschaft.“9
Auf europäischer Ebene gibt es bislang nur einen sehr unzureichenden supranationalen öffentlichen Raum für die Debatte um ein Gebilde, das man als „Europäisches Sozial- und Regulierungsmodell“ bezeichnen könnte. Um hier voranzukommen, bedarf es nach Lang einer Stärkung des Europäischen Parlaments und einer demokratischen Legitimation einer europäischen Regierung (entspricht der Fortentwicklung der heutigen Europäischen Kommission), einer europäischen Verfassung und der öffentlichen Debatte darüber im Vorfeld, einer stärkeren europäischen Verfassung der gesellschaftlichen Akteure, also z. B. Gewerkschaften und Parteien als Pendant zu den europäischen Institutionen.
In Bezug auf das Verhältnis von Politik und Ökonomie wird nach Lang nicht einmal theoretisch die These von der Notwendigkeit des Vorrangs der Politik geteilt, ganz im Gegenteil, der Eigengesetzlichkeit und Eigenverantwortung der Ökonomie werde das Wort geredet. Weitere Kennzeichen eines europäischen Politikmodells nach Lang seien neben der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz die Garantie der individuellen und institutionellen Grundfreiheiten, die Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche und die Politisierung der öffentlichen Vorgänge. Dazu gebe es 8 9
Lang, Klaus, Chancen für ein europäisches Kultur-, Sozial- und Politikmodell, S. 4. Lang, Klaus, Chancen für ein europäisches Kultur-, Sozial- und Politikmodell, S. 4 f.
4. Ansatz nach Lang (2001)
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einige Chancen, z. B. in Verbindung mit der Diskussion über die europäische Grundrechtscharta und ihrer Verbindlichkeit, mit einer europäischen Verfassungsdebatte sowie mit der Diskussion um die Stärkung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments. Das Europa der Union, das bald um Länder Ost- und Südosteuropas erweitert sein werde10, sei der wichtigste Raum, um politische Gestaltung durchzusetzen und politische Kultur zu entfalten. Es gebe Ansatzpunkte für eine politische und soziale Gestaltung Europas und Aufträge für das Handeln der Gewerkschaften: Auf institutioneller Ebene müsste neben den Beschäftigungsgipfeln der Regierungen ein Europäisches Komitee für Beschäftigung aus Vertretern der nationalen Regierungen, europäischen Zusammenschlüssen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände geschaffen werden. Entsprechende Dialogstrukturen, z. B. die sozialen Dialoge und der Wirtschafts- und Sozialausschuss, an denen man anknüpfen könnte, seien vorhanden. Auf politischer Ebene müsse das Vorhaben einer europäischen Verfassung, in der die sozialen Grundrechte verankert seien, vorangetrieben werden. Europa brauche auf Dauer eine Verfassung als Grundlage seiner demokratischen, sozialen und humanen Traditionen. Eine europäische Verfassungskultur, den Menschenrechten und dem Erbe der Aufklärung verpflichtet, müsse an Stelle der unseligen Diskussion über „nationale Leitkulturen“ treten. Die Politisierung Europas müsse auch durch eine Stärkung des Europäischen Parlaments vorangebracht werden. Am Ende müsse eine Verfassung stehen, in der ein Europaparlament als erste Kammer über Haushalts- und Budgetrechte verfüge, der Ministerrat zu einer Art zweiter europäischer Kammer mit starker Stellung (vergleichbar dem amerikanischen Senat) weiterentwickelt werde und eine europäische Regierung an Stelle der Kommission trete, im Einvernehmen zwischen Parlament und Ministerrat ernannt. Die Gewerkschaften müssten sich schrittweise innerhalb des nächsten Jahrzehntes zu europäischen Mitgliedsverbänden entwickeln mit einer starken europäischen Spitze. Ihre Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, dass soziale Probleme politisiert und in öffentlichen Debatten demokratisch geklärt würden. Es sollte ein jährlicher Wirtschafts- und Beschäftigungsgipfel oder eine Art „Beschäftigungsratschlag“ der Europäischen Gewerkschaftsbewegung angestrebt werden, auch in Verbindung mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, der den Vorrang der Beschäftigung und die soziale Regulierung öffentlich zur Sprache brächte und einforderte. Die Koordinierung der europäischen Tarifverhandlungen sollte nach endgültiger Realisierung der gemeinsamen Währung zu echten europäischen Tarifverhand10 Der Beitrag Langs stammt aus dem Jahr 2001, daher spricht er noch von dem „baldigen“ Beitritt der ost-und südeuropäischen Länder.
338
IX. Lösungsansätze
lungen weiterentwickelt werden. Dabei sei ein zweistufiges System von Tarifverhandlungen denkbar, mit einer an der durchschnittlichen europäischen Produktivitäts- und Preisentwicklung orientierten Grundkomponente als erster und mit nationalen oder sektoralen Verhandlungen entsprechend der spezifischen Produktivitätsentwicklung als zweiter Stufe. Bei der Beurteilung der Vorschläge von Lang ist zunächst zu berücksichtigen, dass ein Teil seiner Forderungen durch die vollzogene Ost- und Süderweiterung überholt ist. Andere seiner Vorschläge, wie die Stärkung des Europäischen Parlaments, finden sich auch im Verfassungsvertrag wieder. Soweit er eine Stärkung der Gewerkschaften vorschlägt, ist dies zum einen keine Maßnahme, die im Sinne eines „top-down“ Ansatzes erreicht werden kann, vielmehr müsste eine entsprechende Initiative von den Gewerkschaften selbst ausgehen. Zieht man die Situation der Gewerkschaften auf nationaler Ebene ins Kalkül, insbesondere die schwindenden Mitgliederzahlen und Diskussionen in der Lohnpolitik, sind Zweifel erlaubt, ob sie sich gerade jetzt auf europäischer Ebene stärker formieren und engagieren werden. Darüber hinaus haben sie im Rahmen des „Sozialen Dialogs“ zur Zeit bereits ein effektives Szenario, das es lediglich gilt, wirksam zur Umsetzung ihrer Ziele einzusetzen. Den von Lang angeregten „Beschäftigungsratschlag“ kann man im Rahmen des Sozialen Dialogs und des regelmäßig stattfindenden „Dreigliedrigen Sozialgipfels“, an dem die Gewerkschaften teilnehmen, als verwirklicht ansehen, soweit es die europäische Ebene betrifft. In diesem Rahmen haben die europäischen Sozialpartner (UNICE / UEAPME und CEEP für die privaten bzw. öffentlichen Arbeitgeber, EGB / CES / Eurocadres für die Gewerkschaften) nicht nur Gelegenheit zur Abstimmung untereinander, sondern legen auch gemeinsame Erklärungen vor, die entsprechende Öffentlichkeitswirksamkeit entfalten. So veröffentlichten sie anlässlich des letzten Frühjahrsgipfels Beiträge in Form einer gemeinsamen Erklärung zur Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie11, einen gemeinsamen Beitrag zur EU-Jugendinitiative12, einen Aktionsrahmen zur Gleichheit zwischen Frauen und Männern13, sowie Berichte zu den Tätigkeiten der Sozialpartner in den Mitgliedsstaaten zu Beschäftigung14 und lebenslangem Lernen15. 11 UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC, Joint declaration on the mid-term review of the Lisbon strategy, vom 15. 03. 2005. 12 UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC, Joint contribution on the EU Youth Initiative, vom 22. 03. 2005. 13 UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC, Framework of actions on gender equality, vom 22. 03. 2005. 14 UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC, 2005 Report on social partner actions on employment in member states vom 22. 03. 2005. 15 UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC, Framework of actions for the lifelong development of competences and qualifications, Third follow-up report vom 22. 03. 2005.
5. Ansatz nach Pitschas (1991)
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Eine Stärkung des Europäischen Parlaments in dem von Lang geforderten Sinn im Rahmen der Europäischen Verfassung hat es nicht gegeben. Damit bleibt es bis zur nächsten Vertrags- respektive Verfassungsänderung bei den jetzt vorhandenen Kompetenzen. Somit bleibt von seinen Vorschlägen lediglich die Forderung einer Koordinierung der europäischen Tarifverhandlungen übrig. Mit Blick auf die unterschiedlichen Interessen in dieser Frage zwischen den Mitgliedstaaten und die erheblichen Unterschiede in den Tarifniveaus dürfte dies zur Zeit nicht durchsetzbar sein, wenn auch, zumindest seitens einiger Mitgliedstaaten und der nationalen Gewerkschaften, daran ein unleugbares Interesse bestehen würde. Grundsätzlich ist sein Vorschlag auch zu einseitig auf die Rolle der Gewerkschaften ausgerichtet. Hierbei darf nicht außer acht gelassen werden, dass europäische Sozialpolitik am ehesten dann gestaltet werden kann, wenn sie einvernehmlich und in Abstimmung zwischen allen Partnern erfolgt. Mit den von Lang angeführten Forderungen könnte ein Konsens zur Weiterentwicklung der europäischen Sozialpolitik in allen ihren Facetten nicht erreicht werden.
5. Ansatz nach Pitschas (1991) Pitschas16 sieht die Lösung in einer besseren Koordinierung der Sozialrechtsgestaltung durch die Mitgliedstaaten. Sie sollen mehr als bislang dafür sorgen, dass es nicht zu Verwerfungen zwischen dem koordinierenden europäischen und dem mitgliedstaatlichen Sozialrecht kommt. Das würde vor allem eine gesteigerte Kompatibilität der sozialen Sicherungssysteme bedingen. Durch „gezielte Koordinierung“ sollen terminologische Angleichungen, ein vergleichbarer Aufbau oder die Angleichung der Berechnungsmethoden für Sozialleistungen erreicht werden. Im Grunde vergleichbare Leistungen verschiedener nationaler Systeme sollen harmonisierend zugeordnet und dann das sekundäre Gemeinschaftssozialrecht als „Koordinationsinstrument“ eingesetzt werden. Dies könnte nach Pitschas „sowohl die Folgewirkungen des Gemeinschaftsrechts und der Gemeinschaftspolitik auf die nationale Sozialrechtsentwicklung sowie die wechselseitigen Beziehungen genügend reflektieren und in die Politikformulierung bzw. -umsetzung einfließen lassen.“ Ergänzend dazu sieht er den Ausweg aus dem sozialpolitischen Defizit in einem grundsätzlichen Perspektivenwandel und einer stärkeren Institutionalisierung im Sinne einer Neuorientierung der Institutionen selbst.
16 Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 98 ff.
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IX. Lösungsansätze
Dies begründet er mit einer kritischen Bestandsaufnahme unter den Stichworten: „Kapazitätsdefizit“: Fähigkeit der Gemeinschaftsinstitutionen, auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft rechtzeitig, effektiv und effizient zu reagieren; „Policydefizit“: Kritik, dass die EG, obwohl sie mehr und mehr nicht mehr nur als eine wirtschaftliche, sondern auch als eine politische Gemeinschaft und in dieser Wirkdimension als die wichtigste politische Kraft Europas angesehen wird, derzeit weder auf gemeinschaftsinterne noch auf internationale Herausforderungen ausreichend reagieren kann; „Demokratiedefizit“: Fehlende parlamentarische Kontrolle sowohl durch das Europäische Parlament als auch durch die nationalen Parlamente; „Institutionelles Defizit“: Sozialpolitik wurde zwar ausdrücklich zum Gegenstand gemeinschaftlichen Handelns gemacht, die europäische Sozialpolitik wurde aber demgegenüber nur unzulänglich institutionalisiert mit der Folge, dass die EG-Institutionen in der europäischen Sozialpolitik nahezu zwangsläufig in Konflikt mit den nationalen Sozialpolitiken geraten; „Kompetenzielle Defizite“: unzureichende Kompetenzgrundlagen für eine effektive Sozialpolitik aufgrund eines „reduktorischen Verständnisses von Sozialpolitik im Sinne der Gleichung „sozial“ = „beschäftigungspolitisch“.
Pitschas schlägt vor, dieses „Defizitdilemma“ mit folgenden Maßnahmen zu beheben: Einfügen eines eigenen Kapitels über die „Soziale Sicherheit der europäischen Bürger“ in das Vertragswerk; Schaffung eines eigenen und umfassenden „europäischen Sozialversicherungssystems“, das in Konkurrenz zu den mitgliedstaatlichen Systemen einen eigenen und genuin gemeinschaftlichen Versicherungsschutz bieten würde (sog. 13. Staat17); Aufwertung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses; Ausbau der Strukturfonds, insbesondere des Europäischen Sozialfonds, als Steuerungsinstrument des überstaatlichen Finanzausgleichs im Sozialsektor; Schaffung einer mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten Kontrollinstitution auf EG-Ebene, der auch die Überprüfung der Sozialaufwendungen am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsprinzips (Haushaltsrecht, Art. 274 EGV) obläge. Dieses Kontrollgremium könnte entweder die Europäische Kommission sein oder ein eigens geschaffenes neues Gremium, in dem die maßgeblichen Träger der Sozialversicherungen ebenso vertreten sein sollten wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer. 17 Anm. der Autorin: Der Beitrag stammt aus dem Jahr 1991 und damit der Periode der 12 Mitgliedstaaten.
5. Ansatz nach Pitschas (1991)
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Der Herausarbeitung der Defizite ist grundsätzlich zu folgen, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen vermögen aber als Lösung der Konflikte nicht zu überzeugen. Sowohl das Einfügen eines neuen Kapitels in das Vertragswerk als auch die Schaffung eines eigenen und umfassenden „europäischen Sozialversicherungssystems“, das in Konkurrenz zu den mitgliedstaatlichen Systemen einen eigenen und genuin gemeinschaftlichen Versicherungsschutz bieten würde, sind – wie die Entwicklung von 1991 bis zum Jetztzeitpunkt gezeigt hat – unrealistisch. Wie die Diskussionen zum Verfassungstext gezeigt haben, stehen die Chancen einer vertraglichen oder verfassungsbasierten Änderungen der Kompetenzen zur Zeit nicht zur Diskussion, wenn sie auch sicherlich wünschenswert wären. Vielmehr haben die Staats- und Regierungschefs sich eine „Reflexionsphase“ verordnet, in denen insbesondere der Dialog mit den Bürgern zur Zukunft Europas zur Debatte steht.18 Die nationalen Sozialversicherungssysteme gehören – zumindest zur Zeit noch – zu den „heiligen Kühen“, die nicht angetastet werden. Dafür ist die Identifikationswirkung der Bürger mit den sozialen Sicherungssystemen zu stark, wie oben unter III. 2. bereits nachgewiesen wurde, als dass man sie der europäischen Ebene Preis geben würde. Außerdem würde dies ein revolutionäres Umdenken der Finanzierung und der historischen Grundlagen der Systeme bedeuten, das in absehbarer Zeit keine Zustimmung der Mitgliedstaaten finden würde. Eine Aufwertung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses war ebenfalls nicht erwünscht, wie die Entwicklung der Verträge bis hin zur Verfassung zeigt. Sie würde auch strukturell nicht weiterhelfen, da damit nicht das Kompetenzdefizit ausgeglichen würde, sondern lediglich der politische „Input“ und eventuell die Kontrolle gestärkt werden könnten. Dies würde sich erst ändern, wenn der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss auch legislatorische Funktionen ähnlich dem Europäischen Parlament erhielte und damit wirklich gestaltend eingreifen könnte. Neben der tatsächlich nicht gewollten entsprechenden Aufwertung des Ausschusses zu einer „zweiten Kammer“ (wie dies auch im Zusammenhang mit dem AdR diskutiert wurde) dürfte es schwerfallen, im bestehenden und verhältnismäßig fest gefügten System der Institutionen zueinander eine derartig aufgewertete Stellung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu verorten. Dies würde eine gänzliche Neuordnung des gesamten institutionellen Gefüges und der Stellung der Institutionen zueinander bedingen, die aktuell wenig realistisch ist und – wie bereits in der Vergangenheit – auch bei den anderen Institutionen selbst nicht auf großen Widerhall stoßen dürfte. Eine finanzielle Aufstockung der Strukturfonds zur verstärkten Steuerung des überstaatlichen Finanzausgleichs im Sozialsektor stößt zum einen an die Grenze der Bereitschaft der Mitgliedstaaten, ihren Beitrag zum Haushalt der Europäischen 18 Vgl. dazu Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Brüssel) vom 15. und 16. Juni 2006, S. 1.
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IX. Lösungsansätze
Gemeinschaft zu erhöhen, wie die Diskussion anlässlich des Europäischen Rates in Brüssel am 16. / 17. 06. 2005 mehr als deutlich gezeigt hat19. Zum anderen bestehen erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit dieses Instruments. Zunächst sind die Einflußnahmemöglichkeiten der Europäischen Kommission begrenzt. Sie kann zwar, im Einvernehmen mit den anderen Institutionen und den Mitgliedstaaten, bestimmte Ziele festsetzen, die Umsetzung, insbesondere die Auswahl der Projekte, findet dann aber weitgehend auf nationaler Ebene statt. Folglich hängt der Erfolg des Einsatzes dieser doch beträchtlichen Mittel zu einem Großteil vom Geschick der Nationalstaaten bei der Auswahl der Projekte und der Partner ab. Es fehlt damit an einer wirklichen Gestaltungsmöglichkeit der Europäischen Gemeinschaft. Wie sich ferner gezeigt hat, werden zum einen die Mittel gar nicht mehr ausgeschöpft, da es einer Vielzahl von Mitgliedstaaten an den regelmäßig erforderlichen Ko-Finanzierungsmitteln fehlt20. Zum anderen haben sich in der Vergangenheit bereits einige Mitgliedstaaten generell gegen die Strukturfonds als Steuerungsinstrument gewandt, da sie ihre nationalen Politiken nicht durch den punktuellen Einsatz europäischer Mittel für ausgewählte Projekte beeinflußt sehen möchten.21 Deshalb dürfte es realistischer sein anzunehmen, dass die Finanzausstattung nicht oder nur in geringem Umfang zunimmt, wie auch die Diskussion zum Finanzrahmen 2007 – 201322 zeigt, und die Mitgliedstaaten ihre in sozialpolitisch bedeutsame Projekte investierten Mittel lieber selbst steuern.
6. Ansatz der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte Österreichs (2002) Die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte Österreichs hat in einem Positionspapier23 zu den Konventsdiskussionen gefordert, dass eine effektive und aus19 Vgl. dazu Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Brüssel) vom 16. / 17. Juni 2005, S. 1 und Presseklärung der Luxemburgischen Präsidentschaft, No agreement on financial perspectives at European Council, 2005. 20 Vgl. dazu z. B. Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Aktualisierung Endbericht, Halbzeitbewertung des Operationellen Programms Nationale Vernetzungsstelle Deutschland, November 2005, S. 3, Punkt IV. 21 Vgl. zur Skepsis gegenüber den Strukturfonds insoweit Weise, Christian, Ein zukunftsfähiges Modell für die europäische Strukturpolitik, S. 2. 22 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen – Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union – 2007 – 2013, KOM (2004) 101 endgültig / 3 vom 12. 03. 2004; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Finanzielle Vorausschau 2007 – 2013, KOM (2004) 487 endg. vom 14. 07. 2004.
6. Ansatz der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte Österreichs (2002)
343
gewogene Beziehung zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik mit dem Ziel einer inhaltlichen Verzahnung hergestellt wird. Sie plädiert für eine inhaltliche und zeitliche Synchronisierung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik und der beschäftigungspolitischen Leitlinien unter Einbeziehung der „sozialpolitischen Agenda“ in zwei Stufen: Die Europäische Kommission erstellt unter Einbeziehung von Europäischem Parlament und Sozialpartnern ein eventuell auch mehrjähriges strategisches Grundsatzdokument „Grundzüge der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik“, das vom Europäischen Rat zu verabschieden wäre. Auf Basis dieses Dokuments werden von den jeweiligen Räten unter Einbindung des Europäischen Parlaments, des Wirtschafts- und Sozialausschusses und diverser Arbeitsgruppen der Europäischen Kommission die „wirtschaftspolitischen Leitlinien“ und die „beschäftigungspolitischen und sozialpolitischen Leitlinien“ erstellt (= operative Umsetzung der Grundzüge der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik).
Abgesehen davon, dass die Europäische Beschäftigungspolitik ein solches Konzept bereits in weiten Teilen umsetzt, hat es den Vorteil, dass die Politik – zumindest in den Grundzügen – einvernehmlich festgelegt wird. Die Einbeziehung von Europäischem Parlament und Sozialpartnern garantiert darüber hinaus eine entsprechende Akzeptanz. Es fehlt dem Konzept aber an der notwendigen Verbindlichkeit, solange nicht ebenfalls festgelegt wird, was im Fall der Nichterreichung der gesetzten Ziele vorgesehen ist. Ferner geht es nicht auf die Instrumente ein, die zur Realisierung eingesetzt werden. Damit besteht die Gefahr, dass weiterhin mit Hilfe der OMK oder anderer oben beschriebener Mechanismen eine „Nebenpolitik“ betrieben wird, die dann die gesetzten Ziele außer Kraft setzen bzw. konterkarieren könnte oder zumindest nicht erreichen würde. Der Vorschlag zielt in die richtige Richtung, indem er auf einen Konsens hinwirkt. Gleichzeitig greift er aber zu kurz, da er weder auf die rechtliche Verankerung eingeht noch die Konsequenzen der Nichteinhaltung der vereinbarten Politik und die Instrumente hinreichend bestimmt. Bedenklich ist auch die enge Verknüpfung mit den wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Zielen. Es ist zwar sicherlich richtig, dass Wirtschafts- und Sozialpolitik sich gegenseitig beeinflussen und nicht isoliert voneinander gesehen werden können. Eine Verknüpfung in der oben beschriebenen Art lässt aber befürchten, dass es wieder nur zu einer „an der Wirtschaftspolitik orientierten Sozialpolitik“ kommt. Damit sinken die Chancen einer eigenständigen Sozialpolitik und des Wegs von einer Eindimensionalität in eine „zweite, soziale Dimension“.
23 AK Österreich, Positionspapier der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte zum Mandat der Arbeitsgruppe „Soziales Europa“, S. 4.
344
IX. Lösungsansätze
7. Ansatz nach Fischer (2001) Thomas Fischer24 beschränkt sich in seinem Vorschlag zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ auf sechs Eckpunkte der Reform: Europa als „sozialpolitische Lerngemeinschaft“ gestalten
Da das Reformpotential der wohlfahrtstaatlichen Sozial- und Beschäftigungssysteme noch nicht ausgeschöpft sei, solle stärker als bisher auf Gemeinschaftsebene der Austausch im Wege von „best practices“-Vergleichen koordiniert werden, um besonders erfolgversprechende Lösungsmodelle zu ermitteln. Deren anschließende Implementierung solle allerdings weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Als einzusetzendes Instrument werde die OMK vorgeschlagen. Auf dieser Grundlage legten die Mitgliedstaaten gemeinsame Politikziele für Wirtschaftsreformen, die Verbesserung der Beschäftigungslage und des sozialen Zusammenhalts fest, deren Verwirklichung an genaue Zeitpläne gebunden sei. Wie diese Ziele erreicht würden, sei dann jedoch Sache der Mitgliedstaaten und Regionen. Europa auf die „Wissensgesellschaft“ vorbereiten
Die Beschäftigungsfähigkeit der Bürger und damit die Konkurrenzfähigkeit Europas im internationalen Wettbewerb solle verbessert werden. Dabei komme der Wissensgesellschaft, insbesondere der Forschung und Ausbildung, eine Schlüsselfunktion zu, da sie als „Standortfaktor Nummer eins“ für mehr Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit sorge. Hinzu komme, dass eine Hebung des Qualifikationsniveaus die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitnehmern fördere. Deshalb solle die Europäische Union, insbesondere im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Programmmittel, die Aktivitäten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Bildung noch stärker bündeln und unterstützen. Europäische Mindeststandards für Sozialleistungen ausbauen
Es sollen europäische Mindeststandards erarbeitet werden, um eine allmähliche Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme durch den wachsenden Wettbewerbsdruck im Binnenmarkt zu unterbinden. Angesprochen in diesem Zusammenhang werde auch ein völlig neues „Korridormodell“, das anhand der Streuung des Pro-Kopf-Einkommens zwischen unterschiedlichen Staatengruppen in der Europäischen Union differenziere. Für diese Gruppen würden dann im Sinne eines „sozialen Stabilitätspaktes“ jeweils unterschiedliche Bandbreiten für die Sozialleistungsquoten festgelegt. Dieses Modell basiere auf der empirischen Beobachtung, dass eine enge Korrelation zwischen dem Entwicklungsniveau eines Staates – gemessen am BIP pro Kopf – und seiner Sozialleistungsquote bestehe. 24 Fischer, Thomas, Europas Gesellschaftsmodell entwickeln – Solidarität im Wettbewerb sichern, S. 6 f. und Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 17 ff.
7. Ansatz nach Fischer (2001)
345
Es solle ohne weitreichende Eingriffe in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten zu verwirklichen sein und sicherstellen, dass ein gewisses soziales Leistungsniveau selbst unter schwierigen ökonomischen Bedingungen erhalten bleibe. Mitgliedstaatliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge schützen
Zum Schutz der mitgliedstaatlichen Einrichtungen öffentlicher Daseinsvorsorge vor zu weitreichenden Eingriffen durch das europäische Wettbewerbs- und Beihilfenrecht werde als mögliche Lösung vorgeschlagen, es den Mitgliedstaaten zu überlassen, den Bereich der Daseinsvorsorge zu definieren, der dem Beihilfenrecht nicht unterworfen werde. Dies würde allerdings voraussetzen, dass sie die gemeinwohlorientierten Aufgaben dieser Einrichtungen genau gegenüber ihren rein wirtschaftlichen Aktivitäten abgrenzten. Eine Alternative wäre die Erarbeitung von Mindeststandards, in denen die Grundsätze und Rahmenvorgaben der Daseinsvorsorge definiert würden. Die Lohn- und Tarifpolitik in Europa besser koordinieren
Die Europäische Union könne und dürfe die große Vielfalt der nationalstaatlichen tarifvertraglichen Systeme nicht vereinheitlichen. Vorgeschlagen werde aber eine intensivierte Abstimmung und Koordinierung der Themen „Arbeitszeitgestaltung“, „Weiterbildung“ und „Lohnpolitik“ auf europäischer Ebene. Als Instrument werde in diesem Rahmen die Nutzung des sozialen Dialogs angesprochen. Die sozialpolitischen Folgen der Osterweiterung abfedern
Zur Abfederung der sozialpolitischen Folgewirkungen der Osterweiterung solle die Anwendung von Übergangsfristen vorgesehen werden, kombiniert mit der Möglichkeit, das „Prinzip der verzögerten Integration“ anzuwenden. Dieses Modell beruhe auf dem Gedanken, dass Zuwanderer aus anderen EU-Mitgliedstaaten generell erst mit Verzögerung in das Sozialsystem des Beschäftigungslandes integriert würden. In dieser Übergangszeit blieben sie zunächst den Sozialversicherungsträgern ihres Herkunftslandes zugeordnet. Dieses Vorgehen solle die Anreize für umverteilungsbedingte Zuwanderungsentscheidungen reduzieren. Zu diesen „Eckpunkten der Erneuerung des Sozialmodells“ ist zunächst festzustellen, dass einige Vorschläge sich bereits durch die Weiterentwicklung der europäischen Rechtssetzung bzw. die erfolgte Osterweiterung überholt haben. „Europa auf die Wissensgesellschaft vorzubereiten“ korrespondiert mit dem „Lissabon-Prozess“, der unter VII. 6. im Detail beschrieben wurde. Aktuell hat man jedoch erkannt, dass die dort gesetzten ehrgeizigen Ziele wohl doch nicht, oder zumindest nicht in der anvisierten Zeitschiene und im erhofften Umfang, umzusetzen sein werden. Im Rahmen der Osterweiterung wurde den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, die Zuwanderung innerhalb eines gewissen Zeitraums zu limitieren. Einige Länder, so zum Beispiel Deutschland, haben von dieser Möglichkeit Gebrauch
346
IX. Lösungsansätze
gemacht.25 Die Praxis zeigt allerdings, dass Umgehungstatbestände gefunden wurden, die letztendlich dazu geführt haben, dass trotz der Limitierung eine große Anzahl von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedstaaten einreist und eine Arbeit aufnimmt. Beispielhaft zu nennen sei lediglich die aktuell diskutierte „Schlachthausproblematik“.26 Sogar verschärft wird diese Situation noch durch die beitrittswilligen Länder wie Rumänien, deren Bürger ebenfalls schon jetzt die Möglichkeiten nutzen, in der Europäischen Union zu arbeiten27. Zur „Arbeitszeitgestaltung“ und zur „Weiterbildung“ gibt es Initiativen der Sozialpartner, zumindest im Bereich der Teilzeitarbeit. 28 Hinsichtlich der „Lohnpolitik“ ist derzeit keine Aktivität erkennbar. Es ist auch eher unwahrscheinlich und widerspräche der Wirtschaftspolitik, dass in dieser Frage auf europäischer Ebene gehandelt wird, da sie zu eng mit den nationalen Systemen und den auf Löhnen basierenden Sozialleistungen zusammenhängt. Zur Dienstleistungsrichtlinie liegt ein Vorschlag vor,29 aber noch immer scheut die Europäische Kommission davor zurück, die schwierige Abgrenzung zwischen „wirtschaftlichen“ und „nicht-wirtschaftlichen“ Leistungen umfassend vorzunehmen. Die lebhaften Diskussionen und der erhebliche Widerstand gegen die Richtlinie in vielen Mitgliedstaaten haben gezeigt, dass es sich hier um ein sensibles Thema handelt, bei dem in vorher so nicht gekannter Härte soziale mit wirtschaftlichen Interessen kollidieren. Der verstärkte Einsatz der OMK wird in zunehmendem Maße auch bei sozialen Themen praktiziert. Der Vorschlag krankt wiederum an der letzten Konsequenz der Forderung nach Festlegung einer verbindlichen Umsetzung und entsprechender Sanktionierung bei Nichterreichen der gesetzten Ziele. Ebensowenig geht er darauf ein, wie die verbindliche Umsetzung rechtlich verankert werden sollte.
25 Vertrag über den Beitritt der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei, unterzeichnet am 16. April 2003 in Athen, Anhänge V-XIV; vgl. dazu auch Buscher, Herbert S. / Stüber, Heiko, Ein Jahr EU-Osterweiterung: Erste Erfahrungen, Probleme, Aussichten, S. 12 und 48. 26 Lorscheid, Helmut / Röhring, Johannes, in: Stern, Die Lohn-Schlachter, Artikel aus Heft 13 / 2005. 27 Chow, Katherine, Report on the free movement of workers in EU-25 – The Functioning of Transnational Arrangements – Two years after Enlargement, S. 17; KMU Forschung Austria, Endogenes Arbeitskräftepotential für die Internationalisierung Wiener Unternehmen – Einsatz von Personen mit ost -und südeuropäischem Migrationshintergrund für grenzüberschreitende Aktivitäten, 2005; Alvarez-Plata, Patricia / Brücker, Herbert / Siliverstovs, Boriss, Potential Migration from Central and Eastern Europe into the EU-15 – An Update, Report for the European Commission, 2003. 28 Richtlinie 97 / 81 / EG vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Vereinbarung über Teilzeitarbeit, ABl. EG L 14 / 9 vom 20. 01. 1998. 29 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004) 2 endg. vom 25. 02. 2004; vgl. dazu auch die Ausführungen oben unter IV. 3. l.
8. Ansatz nach Berghman / Sakellaropoulos (2004)
347
Die Festlegung von Mindeststandards dürfte aus den oben unter III. 1. bereits beschriebenen Gründen an den Mitgliedstaaten scheitern, die sich in diesem Bereich die Politikhoheit bewahren wollen. Darüberhinaus stellen die Vorschläge wiederum nur eine Bekämpfung einzelner, durch wirtschaftliche Entwicklungen hervorgerufener Symptome dar, nicht aber eine prospektivisch angelegte Neuorientierung der europäischen Sozialpolitik. Weder die einzelnen Vorschläge noch ihre Gesamtheit sind in der Lage, das „Europäische Sozialmodell“ insgesamt vorwärts zu bringen und tatsächlich neu zu strukturieren.
8. Ansatz nach Berghman / Sakellaropoulos (2004) Berghman / Sakellaropoulos30 wollen das „Europäische Sozialmodell“ modernisieren, indem sie es „rekalibrieren“: „The whole range of social regulations and provisions that can be found in Europe should be retuned to make them instrumental . . . and this recalibration has to refer to four elements: The first one is a functional recalibration that revises the risks that are focused by welfare provision and allows for replacing a passive compensation approach by an activating one. The second is the distributive recalibration, which aims at rebalancing the clienteles that have to be addressed, redirecting attention in order to avoid a generational and gender clash. The third is the normative recalibration, which refers to the necessity of shifting from a breadwinner to a gender equality model, and restressing values like economic independence and labour market participation. The fourth key dimension is institutional recalibration, which relates to the division of competences and responsibilities of the different levels of governance, on the vertical (European, national, regional, local) as well as on the horizontal (state, collective agreements, market) axes.“
Berghman / Sakellaropoulos fordern eine „Rekalibrierung“ zur Lösung der Probleme der Alterspyramide, der Verteilungsdiskussionen hinsichtlich wohlfahrtsstaatlicher Leistungen und zur Schaffung einer frauenfreundlicheren Arbeitswelt. Sie sprechen auch eine notwendige Konzipierung der vertikalen und horizontalen Gewaltenteilung an. Ein umsetzbares Instrumentarium enthält der Forderungskatalog aber nicht. Die kritische Masse der zu bewältigenden Konflikte ist sicherlich richtig dargestellt, bleibt dann aber auf rein politische Forderungen beschränkt.
30
Berghman, Jos / Sakellaropoulos, Theodoros, By way of conclusion, S. 241.
348
IX. Lösungsansätze
Zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ bedarf es nicht nur der „Rekalibrierung“ im Sinne der inhaltlichen Neuausrichtung, sondern auch konkreter Vorschläge, wie diese Neuausrichtung stattfinden soll, wenn sie nicht im Stadium der Wunschvorstellung verbleiben soll. Damit ist dieser Vorschlag nicht geeignet, die rechtlich basierte Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ zu begründen.
9. Ansatz der Nutzung der OMK nach Schulte und Gerlinger / Urban (2004) Für Schulte31 ist eine der wichtigsten Entwicklungen, die in jüngster Zeit zur Stärkung der Sozialpolitik geführt haben, die OMK. „Sie wurde dort eingeführt, wo es der Europäischen Gemeinschaft an gesetzgeberischer Kompetenz fehlt, gleichwohl aber gemeinsames und gemeinschaftliches Handeln der Mitgliedstaaten wünschenswert ist. Mit dieser politischen Strategie und spezifischen Form von ,governance‘ wird unter Respektierung des Subsidiaritätsprinzips eine freiwillige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unter Mitwirkung der Europäischen Kommission angestrebt. Bereichsspezifisch und damit unterschiedlich für die genannten Politikbereiche, werden jeweils gemeinsame Zielvorstellungen festgelegt, ihre Umsetzung auf nationaler Ebene anhand spezifischer Indikatoren in nationalen Berichten dargestellt und gegebenenfalls in Form eines Benchmarking ein Prozess des gegenseitigen Lernens eingeleitet, der dazu führen soll, dass die in anderen Mitgliedstaaten für spezifische Probleme gefundenen Lösungen als sogenannte „best practices“ übernommen werden. Die Anwendung dieser Strategie wird im Sozialschutz deshalb für sinnvoll und notwendig erachtet, weil der Rechtssetzungsprozess hier, nicht zuletzt wegen des Einstimmigkeitserfordernisses, wenig Erfolg verspricht.“ Bei der OMK handelt es sich, wie oben unter VII. 4. ausführlich beschrieben, um ein Verfahren zur Entwicklung gemeinsamer Politiken, das jenseits der traditionellen und im EG-Vertrag festgeschriebenen Wege der Regel- und Normsetzung, also in erster Linie Verordnungen und Richtlinien, angesiedelt ist. Nach Gerlinger / Urban sollen nicht durch die Übertragung von Steuerungsressourcen (Recht, Geld), sondern durch einen Koordinierungs- und Lernprozess („weiche Steuerung“), der die formellen Kompetenzen der Mitgliedstaaten unberührt lässt, politische Gemeinsamkeiten zwischen den Mitgliedstaaten gefördert werden. Dabei avancieren der Europäische Rat, die Europäische Kommission und der Ministerrat zu – allerdings mit unterschiedlichen Kompetenzen und Machtressourcen ausgestatteten – Schlüsselakteuren der europaweiten Koordination. Im Mittelpunkt steht das Bestreben, die nationalstaatlichen Politiken auf den jeweili31 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 89.
9. Ansatz der Nutzung der OMK nach Schulte und Gerlinger / Urban (2004)
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gen Sachfeldern effizienter in die Umsetzung des strategischen Generalziels (Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit einer europäischen Wissensökonomie) sowie der strategischen Unterziele (Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, Modernisierung des Sozialschutzes etc.) einzubinden. Dabei soll die Koordinierungs- und Leitungsfunktion des Europäischen Rates gestärkt werden, um eine kohärente strategische Leitung und eine effektive Überwachung der Fortschritte zu gewährleisten.32 Durch den anvisierten gemeinschaftlichen Koordinierungs- und Lernprozess, der eher auf kommunikative und interaktive Steuerungsformen setzt und auf dezidierte Vorgaben und formelle Sanktionsregeln verzichtet, sollen politische Gemeinsamkeiten zwischen den Mitgliedstaaten gefördert werden. Die freiwillige Koordination der Mitgliedstaaten soll dazu beitragen, Entscheidungsblockaden und Politikverflechtungsfallen bei der Verfolgung gemeinsamer europäischer Ziele zu vermeiden. Damit schlägt die OMK – in gewissem Sinne – einen „dritten Weg“ zwischen klassischen Harmonisierungsbestrebungen einerseits und bloßen Empfehlungen oder intergouvernementalen Vereinbarungen andererseits ein. Mit dem Verbleib der Entscheidungen bei der mitgliedstaatlichen Ebene über die Auswahl der politischen Optionen soll die Offene Methode der Koordinierung die bislang stets aufflammenden Konflikte zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten um die Verteilung der Gestaltungskompetenz in der Sozialpolitik umgehen.33 Die Vor- und Nachteile der OMK wurden bereits oben unter VII 4 f. dargestellt. Sie hat sich inzwischen so etabliert, dass sie in immer mehr Bereichen eingesetzt und genutzt wird und dies, obwohl die Erfolge marginal sind. Nicht zuletzt wird sie – sicher nicht zu unrecht – als pragmatischer Ansatz der Machterweiterung der EU gewertet.34 Insoweit wird man sie zu einem der Instrumente zählen müssen, die im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ genutzt werden. Zu dem von Schulte beschriebenen gemeinsamen Handeln kommt es aber gerade nicht. Aufgrund der mangelnden Verbindlichkeit sind die Mitgliedstaaten letztlich frei, die guten Beispiele aus anderen Mitgliedstaaten zu übernehmen. So findet sich bei Schmid / Kull35 zu Recht der Hinweis auf die Grenzen des „soft law“. Sie vertreten die Ansicht, dass die OMK einer Ergänzung durch verbindlichere Koordinierungsformen bedarf. 32 Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 269. 33 So Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 271; vgl. dazu auch insgesamt Regent, Sabrina, The Open Method of Coordination: A New Supranational Form of Governance?, S. 190 – 214. 34 Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 265 m. w. N. 35 Schmid, Günther / Kull, Silke, Die Europäische Beschäftigungsstrategie, S. 339.
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IX. Lösungsansätze
Gerlinger / Urban36 weisen nach, dass die Europäische Kommission, bezogen auf den Sozialschutz, selbst festgestellt hat, dass „mit jedem neu hinzukommenden Element die Gefahr größer wird, dass die Komplexität zunimmt, dass es zu Doppelarbeit kommt und dass die allgemeinen Botschaften nicht mehr klar transportiert werden.“ Letztlich bringt dieser Ansatz in einigen Bereichen vielleicht einen besseren Überblick über mögliche Lösungsansätze, trägt aber zur koordinierten Weiterentwicklung der Sozialpolitik wenig bei, da er sich stets nur an Einzelbereichen und Einzelfragen orientiert, ohne die Gesamtschau im Blick zu behalten. „Konzeptionell geht es bei der OMK nicht um Eingriffe in die Rechtsetzung und Verwaltungshoheit der Mitgliedstaaten, sondern es geht darum, dass sich die Mitgliedstaaten in ihrer Politik freiwillig auf politische Ziele einigen unter gleichzeitiger Rücksichtnahme auf die politische Leistungsfähigkeit des einzelnen Mitgliedstaates“. 37 Ihr Ziel soll auch nicht sein, wie häufig missverstanden wird, die Angleichung nationaler Politiken voranzutreiben, sondern die unterschiedlichen Kulturen und Traditionen der bestehenden Systeme als Vermögenswert („asset“) anzusehen und systematisch zu nutzen. In diesem Sinne wird die OMK auch als „experimental governance“ bezeichnet, ein Verfahren des Versuchs und Irrtums, doch mit einem systematischen und kontrollierten Hintergrund des Lernens, der das soziale Europa zu einer „Konföderation lernender Netzwerke“ gemacht hat.38 Ebensowenig dürfen die konzeptionellen Schwachstellen, prozedurale und politische Verflechtungsprobleme unterschiedlicher Provenienz, die aus der Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen zwischen den Akteuren der nationalen und supranationalen Ebene bestehen, unterschätzt werden.39 Der verstärkte Einsatz der OMK kann demzufolge für sich allein genommen nicht als geeignet angesehen werden, um das „Europäische Sozialmodell“ in seiner Gesamtheit weiterzuentwickeln.
10. Ansatz nach Chapon / Euzéby (2000) Chapon / Euzéby40 vertreten die Ansicht, dass die „Europäische soziale Dimension“ nur durch verstärkte Solidarität legitimiert werden kann, die sich in der Ein-
36 Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 276. 37 Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 272. 38 Schmid, Günther / Kull, Silke, Die Europäische Beschäftigungsstrategie, S. 337 f. 39 Gerlinger, Thomas / Urban, Hans-Jürgen, Auf neuen Wegen zu neuen Zielen? Die Offene Methode der Koordinierung und die Zukunft der Gesundheitspolitik in Europa, S. 274 ff. 40 Chapon, Séverine / Euzéby, Chantal, Towards a convergence of European social models?, S. 53 f.
10. Ansatz nach Chapon / Euzéby (2000)
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richtung gemeinsamer Finanzierungsmechanismen niederschlägt. Sie schlagen im einzelnen vor: Im ersten Schritt solle eine Erhöhung des Budgets der Europäischen Gemeinschaft insgesamt vorgesehen werden, so dass ihr für makroökonomische Regulierungen, aber auch für soziale Interventionen, mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung stünden. „The European budget will have to become an instrument of macro-economic regulation in Euroland to supplement centralized monetary policy, with the capacity to take on debts for the implementation of common action.“ In einem weiteren Schritt solle ein „Europäischer Reservefonds“ eingerichtet werden, der eine gewisse fiskalische und soziale Balance zwischen den Mitgliedstaaten sichere. Dieser Fonds solle nationalen Systemen einen zusätzlichen Ausgleich ermöglichen, wenn sie nicht in der Lage seien, bestimmte soziale Mindestleistungen, die auf europäischer Ebene Standard darstellten, zu erbringen (z. B. auf europäischem Niveau festgelegte Mindestrente etc.). „This fund could provide additional resources to national schemes in deficit or finance minimum benefits determined according to an EU standard“. Ferner sollte ein „Europäisches Arbeitslosenversicherungssystem“ geschaffen werden, in dessen Rahmen Mitgliedstaaten, deren Erwerbslosenrate schneller steige als der europäische Durchschnitt, einen Ausgleich erhielten. „. . . create a European unemployment insurance system to soften the shocks in the economic situation of a specific member state. This would consist of organizing the transfer of resources to countries suffering deterioration in their economic situation resulting in increased unemployment.“
Die Autorinnen selbst sehen allerdings die Gefahr, dass sich manche Staaten „an den europäischen Tropf“ hängen könnten, und fordern, dass gleichzeitig ein System vorgesehen werden müsse, das verhindert, dass eine permanente Abhängigkeit einiger Empfängerstaaten entstehe, die eingedenk der europäischen Ausgleichszahlungen keine Anstrengungen zur Verbesserung der Situation unternehmen. „It would then be necessary to develop a system to prevent assistance becoming permanent or creating dependency among beneficiary countries.“ Schließlich sollte als weitere Stabilisierung ein standardisiertes europäisches „Minimumarbeitslosengeld“ anvisiert werden. Mitgliedstaaten, die dieses „Minimumarbeitslosengeld“ nicht zahlen könnten, sollten eine Ausgleichszahlung aus europäischen Mitteln erhalten. „. . . the Commission could also envisage the solution of a standard minimum unemployment benefit, supported by financial assistance for countries which could not afford it“.
Es ist eine Tatsache, dass bislang auf europäischer Ebene keine „solidarischen Zahlungen“ vorgesehen sind, die die Europäische Union auf die Ebene eines „Sozialstaats“ heben würden. Sozialleistungen waren und sind bislang die Domäne der Mitgliedstaaten. Die Einrichtung eines, wie auch immer titulierten „Sozialbud-
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IX. Lösungsansätze
gets“, aus dem Ausgleichszahlungen an einzelne Mitgliedstaaten geleistet werden, würde sicherlich der europäischen Dimension eine neue Qualität verleihen. Zu folgen ist auch dem Gedanken, dass dies einen neuen Grad der Solidarität zwischen den Bürgern und der Europäischen Union schaffen könnte. Mit einer Gemeinschaft, von der man „persönlich“ Zahlungen in einer Notsituation erhält, wird man sich eher identifizieren können als mit einer Gemeinschaft, die nur „Recht“ setzt, das in das Lebensumfeld auf die eine oder andere Weise eingreift. Trotzdem zielt auch dieser Vorschlag nicht in die richtige Richtung, um eine Stärkung des „Europäischen Sozialmodells“ zu erreichen. Zum einen würde ein solches System einen erheblichen Einfluß auf die nationalen Wirtschaften und die ihnen zugrunde liegenden – wie oben unter III. 2. dargestellt, völlig unterschiedlich finanzierten – nationalen Sozialsysteme haben, der im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden kann. Zum anderen dürfte er rein tatsächlich in der aktuellen Situation kaum realisierbar sein. Die Diskussionen um das Budget der Europäischen Union haben gezeigt, dass keinesfalls eine Bereitschaft besteht, die Zahlungen für den Ausbau der sozialen Dimension zu erhöhen, sondern weisen eher eine Tendenz auf, das Budget zu reduzieren. Eine Bereitschaft zu größerer Solidarität, wie sie von Chapon / Euzéby gefordert wird, ist nicht erkennbar. Desweiteren sprechen gegen den Vorschlag die von den Autorinnen selbst geäußerten Zweifel hinsichtlich der Schaffung möglicher dauerhafter Abhängigkeiten bestimmter „Zahlungsempfänger“. Dies dürfte insbesondere mit Blick auf die neuen Mitgliedstaaten, die, systembedingt, erst schwache soziale Sicherungssysteme aufgebaut haben, und deren derzeitige Niedriglöhne fast unausweichlich langfristig die Forderung nach solidarischem Ausgleich der dann fehlenden Rücklagen für die Arbeitnehmerrenten erwarten lassen dürften, hinsichtlich des zu leistenden Zahlungsumfangs ein schwer abzuschätzendes Problem sein. Bezeichnenderweise machen die Autorinnen keinen konkreten Vorschlag, wie eine solche „Absicherung“ zu erreichen sei. Entscheidend dürfte aber sein, dass der Vorschlag nicht auf die rechtlich vorher zu schaffenden Grundlagen eingeht. Abgesehen von den Bedenken hinsichtlich einer politischen Durchsetzbarkeit dieses Vorschlags in der aktuellen Krisensituation, in der sich die Europäische Union befindet, würde dies eine Änderung des Vertragswerks erfordern, die zur Zeit wenig wahrscheinlich ist. Dem Vorschlag mangelt es auch hinsichtlich der Folgenabschätzung und der rechtlichen Reichweite an der erforderlichen Konsistenz. Nicht nur müssten die nationalen Systeme erheblich angepasst werden, auch das europäische Regelwerk müsste entscheidend geändert werden, um die Europäische Union zu einem „Wohlfahrtsstaat“ umzugestalten. Der Ausbau des „Europäischen Sozialmodells“ kann aber nicht allein mit der Schaffung einer neuen „Finanzierungsquelle“ erreicht werden, die letztlich wiede-
11. Ansatz der Europäischen Kommission
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rum nur einen weiteren Transfer der „reicheren“ zu den „ärmeren“ Ländern bewirken würde, letztlich verbunden mit dem Ergebnis einer weiteren Schwächung der gesamten wirtschaftlichen Wettbewerbssituation. Er kann nur erreicht werden, indem neue Kooperationsformen zwischen den Mitgliedstaaten erarbeitet werden, die auf einer rechtlich gesicherten Basis eine in sich konsistente und koordinierte Sozialpolitik entwickeln. Damit kann der Vorschlag der Schaffung größerer Solidarität in Form der isolierten Einrichtung einer neuen „Finanzierungsquelle“ ohne rechtliche Absicherung und Kongruenz im Sinne eines weiteren reinen Geldtransfers der reicheren zu den ärmeren Ländern das „Europäische Sozialmodell“ insgesamt nicht weiterentwickeln.
11. Ansatz der Europäischen Kommission Auch die Europäische Kommission selbst denkt über die Zukunft der Sozialpolitik nach. In einem aus dem Mai 2004 stammenden Bericht hat eine hochrangige Expertengruppe Vorschläge zur künftigen Sozialpolitik mit besonderem Blick auf die Erweiterung unterbreitet.41 Darin identifiziert sie zunächst fünf politische Orientierungslinien: Ausrichtung der europäischen Beschäftigungsstrategie auf drei Zielsetzungen – Verlängerung des Erwerbslebens – Durchsetzung des lebenslangen Lernens – Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels Reform der sozialen Sicherungssysteme Förderung der sozialen Eingliederung Schaffung der notwendigen Voraussetzungen, damit Paare in Europa alle vorhandenen Kinderwünsche realisieren können Entwicklung einer europäischen Zuwanderungspolitik.
Ferner möchte sie in der aktuellen Sozialpolitischen Agenda42 fünf Anregungen verwirklicht sehen: Verbesserung des Beitrags der Sozialpolitik zu Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Zusammenhalt durch Entwicklung des lebenslangen Lernens, 41 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 7. 42 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sozialpolitische Agenda, KOM (2005) 33 endg. 09. 02. 2005; vgl. dazu auch Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission – Sozialpolitische Agenda“, ABl. EU C 294 / 14 vom 25. 11. 2005.
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IX. Lösungsansätze
die Modernisierung der Arbeitsorganisation und die Reform der sozialen Sicherungssysteme; Verlängerung des Erwerbslebens durch Erhöhung der Beschäftigungsquote nicht nur der älteren Arbeitnehmer und der Frauen, sondern auch der jungen Menschen; Förderung der sozialen Eingliederung und Investitionen in Kinder und Jugendliche; Entwicklung einer neuen demografischen Dynamik durch – Gezieltere und besser integrierte Zuwanderung – Schaffung der Voraussetzungen, damit junge Paare so viele Kinder großziehen können, wie sie wollen; Förderung einer effektiven Regelung sozialer Belange in ganz Europa. Unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere in der EU der 25, gilt es, mit Hilfe der Europäischen Sozialpolitik gemeinsame Ziele festzulegen und nicht eine Harmonisierung der Sozialsysteme anzustreben, was sowohl unmöglich als auch mit dem europäischen politischen Rahmen unvereinbar ist. Somit ist es umso wichtiger, auf EU-Ebene sowie in den einzelnen Mitgliedstaaten gut funktionierende Ordnungsstrukturen („good governance“) zu fördern.
Mit Blick auf die erforderlichen Anpassungen des „Europäischen Sozialmodells“ stellt die Gruppe fest, dass es „trotz der Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme ein klar erkennbares ,Europäisches Sozialmodell‘ gebe, als in allen nationalen Systemen der EU-Mitgliedstaaten wirtschaftliche Leistungskraft und sozialer Fortschritt miteinander einhergingen. Das Modell erfordere eine ausgebaute Versicherungskomponente. Gleichzeitig wirke die soziale Dimension als produktiver Faktor – ein guter Gesundheitszustand der Bevölkerung trage zu einer guten Wirtschaftsleistung bei“.43 Innerhalb des Modells muss deshalb in drei Bereichen ein Kompromiss gefunden werden: zwischen Staat und Markt zwischen Arbeit und Kapital zwischen Wohlfahrtsstaat und individueller Verantwortung.
In den 1960er Jahren mit ihrem starken Wirtschaftswachstum setzte man auf den Staat und die persönlichen Rechte. Gesetzliche und kollektivrechtliche Regelungen spielten eine Schlüsselrolle, letztere durch wirklich verlässliche Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern. Ausschlaggebend für die Stärke des „Euro43 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 21.
11. Ansatz der Europäischen Kommission
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päischen Sozialmodells“ war die Art und Weise des Zusammenspiels von Wettbewerbsfähigkeit, Solidarität und gegenseitigem Vertrauen. Seit den 1970iger Jahren hat dieses Modell allerdings immer mehr an Effektivität verloren, da die Voraussetzungen nicht mehr gegeben waren. Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungskraft und sozialem Fortschritt muss modifiziert werden, um den sich ändernden wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Bedingt durch die Globalisierung gerät das Europäische Sozialmodell unter Druck und muss nach Auffassung der Europäischen Kommission in folgenden Bereichen angepasst werden: Soziale Sicherung: Anpassung der Finanzierung der sozialen Sicherung durch eine ausgewogenere Verteilung der Gesamtsteuerlast auf alle Einkommensformen (Kapitaleinkünfte, Gewinne, Arbeitseinkommen, Verbrauch, Immobilien, Renten etc.). Sozialer Dialog: Ausdehnung des Verhandlungsbereichs der Sozialpartner, um zu Vereinbarungen über neue und umfangreichere Beschäftigungsmöglichkeiten zu kommen. Entwicklung des Sozialen Dialogs auf internationaler Ebene unter Einbeziehung der Europäischen Betriebsräte und Zuhilfenahme internationaler Rahmenvereinbarungen. Sozialer Zusammenhalt: Entwicklung sozialer Integration als eigenem Politikbereich zur Verhinderung sozialer Ausgrenzung. Neue Sicherheiten: Schaffung neuer Formen der Sicherheit für die Beschäftigten, wie etwa das lebenslange Lernen und Vermögensbildung sowie die Übernahme größerer Verantwortung durch den Beschäftigten selbst.44
Die Expertengruppe schlägt bei uneingeschränkter Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vor, „alle Instrumente zu kombinieren und sie so einzusetzen, dass sie den strategischen Zielen förderlich sind, wie es im EG-Vertrag festgelegt und in politischen Verpflichtungen (z. B. der Strategie von Lissabon) vereinbart wurde. Dabei sind je nach Kompetenzverteilung zwischen EU-Ebene und einzelstaatlicher Ebene sowie unter Berücksichtigung der spezifischen Rolle der Sozialpartner unterschiedliche Regelungs- und Entscheidungsfindungsverfahren anzuwenden.“45 Im einzelnen seien dies: Sozialer Dialog – Engere Verknüpfung der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern auf europäischer und nationaler Ebene und Verbreitung der Informationen unter den Mitgliedern und angeschlossenen Organisationen. 44 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 21 ff. 45 Europäische Kommission, Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, S. 53 ff.
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IX. Lösungsansätze
– Objektive Bewertung ihres Beitrags zur Umsetzung der EU-Sozialpolitik und Ergreifen von Maßnahmen zur Verbesserung der Aktionen. – Beteiligung der Sozialpartner im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung, Anregung zu eigenen Benchmarks und der Entwicklung von Konzepten. – Berücksichtigung der wichtigsten aktuellen sozialen Herausforderungen (Alterung, Jugendarbeitslosigkeit, Produktivität, Migration) im neuen Arbeitsprogramm der Sozialpartner sowie Entwicklung objektiver und aussagekräftiger Indikatoren für die Arbeitsbeziehungen. – Vermehrte „dynamisch-partnerschaftliche Allianzen“ auf einzelstaatlicher Ebene zur Herausarbeitung gemeinsamer Aufgaben und Bewältigung des Wandels. – Gewährung besserer fachlicher Unterstützung der Sozialpartner, damit sie neue Inhalte in den Sozialen Dialog aufnehmen können. – Strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen Kommission und der ILO, um die Kenntnisse über den Sozialen Dialog als Bestandteil des „Europäischen Sozialmodells“ und als Methode zur Regelung gesellschaftlicher Belange („Good Governance“) in künftigen EU-Kandidatenländern, aber auch außerhalb Europas zu verbessern. Offene Methode der Koordinierung – Weiterer Ausbau der OMK innerhalb der Bereiche „Beschäftigung und Soziales“ auf der Grundlage des Verfassungsvertrages. – Stringentere Prioritätensetzung und Koordinierung und Abstimmung zwischen den Grundzügen der Wirtschaftspolitik und den beschäftigungspolitischen Leitlinien sowie Definition der zugrunde liegenden politischen Konzepte, damit gleichzeitig Vermeidung der bloßen „Berichterstattung“. Europäischer Sozialfonds – Stärkere Verknüpfung der ESF-Maßnahmen mit den nationalen Aktionsplänen für Beschäftigung und soziale Eingliederung. – Zielgerichteterer Einsatz der Mittel und Konzentration auf die Bewältigung des wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandels in den Regionen mit dem größten Entwicklungsrückstand sowie angemessene Berücksichtigung der „Phasing-out-Regionen“.46 – Effektiveres Finanzmanagement. 46 Anmerkung der Autorin: Regionen, die ohne die Erweiterung und den damit verbundenen Effekt weiterhin im Rahmen der Strukturfonds unter die Ziel-1-Förderung gefallen wären, nach dem Beitritt der Neuen Mitgliedsländer die Förderbedingungen aber nicht mehr erfüllen. Sie erhalten in den nächsten Jahren eine sich immer weiter minimierende Übergangsförderung und werden somit langsam auf den Ausstieg aus der Förderung insgesamt vorbereitet.
11. Ansatz der Europäischen Kommission
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Modernisierung des öffentlichen Sektors – Verbesserung der Effektivität staatlicher Einrichtungen, Einsatz von modernen Managementmethoden und neuen Technologien, benutzerfreundlichere Leistungen. – „Good Governance“.47 – Auflegen spezieller Programme zur Zusammenarbeit und zum Erfahrungsaustausch im Bereich der Rechtsnormen und ihrer ordnungsgemäßen Umsetzung und Durchsetzung.
Die Reflexionen und Vorschläge der Hochrangigen Expertengruppe basieren zum einen auf einem effektiveren Einsatz der drei Instrumente „Sozialer Dialog“, „Offene Methode der Koordinierung“ und „Europäischer Sozialfonds“ und zum anderen auf einer stärkeren Einbeziehung der nationalen Ebene unter Einschluß der Forderung, dass der öffentliche Sektor zu modernisieren ist, um neuen Herausforderungen gewachsen zu sein und qualitativ hochwertige Leistungen anzubieten. Ergänzt werden diese Vorschläge durch eine Reihe konkreter politischer Empfehlungen. Gegen einen effektiveren Einsatz der bereits vorhandenen Instrumente ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Auch die Vorschläge des Ausbaus der „Good Governance“ und die Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen sind im Prinzip sinnvoll. Die Lissabon-Strategie, die zwar weitergeführt wird, aber generell zunächst als gescheitert betrachtet werden kann, hat gezeigt, dass die dabei eingesetzten Methoden und Maßnahmen nicht erfolgreich und effektiv waren. Deshalb sind Zweifel an der Umsetzungsmöglichkeit angebracht. Ein Ausbau des „Sozialen Dialogs“ ist abhängig von der Mitarbeit der Sozialpartner. Inwieweit diese, angesichts der schwierigen nationalen sozialpolitischen Verhältnisse, bereit sein werden, auf europäischer Ebene neue Initiativen auf den Weg zu bringen, erscheint schwer einschätzbar. Im Jahr 2004 kam es lediglich zu einer einzigen Rahmenvereinbarung48, was nicht für eine intensive Kooperation spricht. Erschwerend kommt dazu, dass in den neuen Mitgliedstaaten das Instrument der Sozialpartnerschaft noch kaum ausgebaut ist und die Durchsetzungs- und Umsetzungskraft dementsprechend schwächer ist als in den alten 15 Mitgliedstaaten.49 47 Anmerkung der Autorin: Unter „Good Governance“ versteht die Europäische Gemeinschaft „gute Regierungsführung“, ein Konzept des Regierens, das u. a. getragen wird von Prinzipien wie Transparenz, Effizienz, Verantwortlichkeit etc., vgl. dazu auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, KOM (2001) 428 endg. vom 25. 07. 2001. 48 EGB / UNICE / UEAPME / CEEP, Sozialer Dialog – work-related stress – Framework agreement on work-related stress, 8. Oktober 2004. 49 Vgl. dazu European Commission, Industrial relations in Europe 2004; Rudolf, Stanislaw, Mitbestimmung nach der EU-Erweiterung – die Lage in den neuen EU-Mitgliedsländern, 2006; vgl. dazu auch Kaelble, Hartmut, Der europäische Wohlfahrtsstaat: Geschichte und transnationale Seite, S. 76 f.
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IX. Lösungsansätze
Zweifel dürften sich auch rein praktisch an der Bereitschaft der Sozialpartner in den neuen Mitgliedstaaten ergeben, denn für sie ist es attraktiver, die zur Zeit bestehenden Wettbewerbsvorteile zu nutzen, als zu weiteren Harmonisierungen beizutragen. Dies lässt – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – drei Schlussfolgerungen zu: Zum einen besteht die Gefahr der unterschiedlichen Umsetzung von Initiativen, die im Rahmen des Sozialen Dialogs zustandegekommen sind, zum anderen sind Zweifel an der Repräsentativität angebracht und neue Vorhaben dürften eher schleppend angegangen werden. Die Offene Methode der Koordinierung ist, wie oben unter VII. 4. bereits erläutert, kein geeignetes Mittel, um zu verbindlichen Regelungen zu kommen. Sie kann genutzt werden als Ergänzung, aber nicht zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“. Die Neuorientierung des Europäischen Sozialfonds ist auf jeden Fall erforderlich, da sich die Ausgangssituation und geografische Lage der Regionen mit besonderem Entwicklungsrückstand durch die neuen Mitgliedstaaten drastisch verändert hat. Der Mitteleinsatz kann und wird aber nicht dazu dienen, die europäische Sozialpolitik neu auszurichten, sondern lediglich dazu beitragen können, in Form der Projektunterstützung in den schwächsten Regionen Impulse zu setzen und zwar auf der Basis der strikt zu beachtenden nationalen Modelle. Neues im sozialen Bereich könnte damit kaum eingeführt werden. Traditionell wird mit Hilfe des Sozialfonds die Arbeitslosigkeit bekämpft und benachteiligten Gruppen Unterstützung gewährt. Damit kann der Europäische Sozialfonds ausgleichend auf die soziale Entwicklung in den ärmeren Regionen einwirken, die Entwicklung auf europäischer Ebene aber nicht bestimmen. Die Modernisierung des öffentlichen Sektors kann aus Gründen der mangelnden Kompetenz und der Subsidiarität nur den Stellenwert eines „Wunsches“ haben. Die aktuell zu beobachtende Entwicklung geht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dahin, dass ein Umbau des öffentlichen Sektors tatsächlich stattfindet, allerdings vor allem unter dem Vorzeichen der Einsparung, des Personalabbaus sowie Einschnitten in der sozialen Absicherung der Mitarbeiter und gerade nicht der besseren Dienstleistung für den Bürger. Eine Modernisierung könnte zwar dazu beitragen, dass die auf europäischer Ebene beschlossenen Maßnahmen mit sozialem Bezug besser umgesetzt werden, eine Weiterentwicklung des Europäischen Sozialmodells ist dadurch nur in sehr begrenztem Umfang zu erreichen. Anknüpfungspunkt könnte lediglich eine bessere Zusammenarbeit der Verwaltungen untereinander sein, die letztlich dazu beiträgt, dass eine bessere Koordinierung, ein effektiverer Datenabgleich etc. entwickelt werden, der Doppelarbeit oder die Gewährung von Doppelleistungen verhindern hilft.
11. Ansatz der Europäischen Kommission
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Der Vorschlag der Hochrangigen Expertengruppe orientiert sich realistischerweise an den vorhandenen rechtlichen Grundlagen und Instrumenten und geht nicht davon aus, dass Änderungen des Vertragswerks zur Zeit denkbar sind. Er lotet aber nicht hinreichend aus, wie die rechtlich vorhandenen Instrumente besser eingesetzt werden können zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“. Negativ anzumerken ist auch, dass der Ansatzpunkt wieder die Wirtschaft ist. Die Sozialpolitik wird lediglich als „Beitrag“ gesehen zur Entwicklung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Es fehlt auch hier die Eigenständigkeit der europäischen Sozialpolitik und die Erkenntnis, dass die sozialen Regelungen zur Zeit sogar einen höheren Stellenwert haben sollten als die wirtschaftlichen Zielsetzungen. Nur wenn auf sozialem Gebiet einheitliche Regelungen geschaffen werden, die es verhindern, dass die nationalen Systeme im Sinne eines regelrechten „System-Wettbewerbs“ gegeneinander ausgespielt werden, können die sich bereits abzeichnenden negativen Trends aufgehalten werden.50 Es kann folglich festgestellt werden, dass die in der Vergangenheit erwogenen Ansätze entweder nicht konsequent zu Ende gedacht wurden, die rechtlichen Aspekte ausblenden oder zu keinen befriedigenden Lösungen führen. Keiner der beschriebenen Lösungsansätze kann eine rechtlich gesicherte Weiterentwicklung des Europäischen Sozialmodells garantieren. Es ist daher zu prüfen, welche anderen auf rechtlicher Grundlage gegründeten möglichen Wege es gibt, um das „Europäische Sozialmodell“ zu einem der Wirtschaftspolitik ebenbürtigen Handlungsinstrument zu formen.
50 Vergleiche dazu zum Beispiel die aktuelle Diskussion um Mindestlöhne. Vgl. dazu im einzelnen Steinmeyer, Heinz-Dietrich, in: Hanau, Peter / Steinmeyer, Heinz-Dietrich / Wank, Rolf, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, § 30 Rdnr. 18 ff.
X. Andere Lösungsansätze zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ Im folgenden ist deshalb zu untersuchen, welche anderen Möglichkeiten sich bieten, um in Abkoppelung der Sozial- von der Wirtschaftspolitik eine zwischen den Mitgliedstaaten koordinierte und abgestimmte Sozialpolitik zu erreichen. Solche alternativen Lösungsansätze müssen sich an den rechtlichen Vorgaben der Verträge orientieren, damit sie realistisch und umsetzbar sind. Denkbar sind mehrere Möglichkeiten, die dafür zur Verfügung stehen: 1. Verankerung sozialpolitischer Kompetenzen in den Verträgen, respektive der zu erwartenden Verfassung. 2. Intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Modell der GASP. 3. Eröffnung der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten im Rahmen einer „Verstärkten Zusammenarbeit i. S. d. Art. 43 EUV“ innerhalb der Europäischen Union zu spezifischen Fragen zu Lösungen und Regelungen zu kommen, an denen nicht notwendigerweise alle beteiligt sein müssen. 4. Ausbau der sozialen Grundrechte. 5. Modell eines neu zu schaffenden „Europäischen Sozialkonsenses“. Die Lösungen 1. und 2. stehen an gegensätzlichen Enden der Skala der Möglichkeiten. Während es bei Lösung 1. um die Zusammenarbeit auf der vertraglichen Grundlage geht, bezieht sich der 2. Lösungsvorschlag auf das Gegenteil, nämlich die intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Das Konsensmodell des Lösungsvorschlags 5. bildet den Mittelweg zwischen den beiden Extremen der Abgabe von Kompetenzen und der weitgehenden Selbstorganisation.
1. Verankerung sozialpolitischer Kompetenzen
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1. Verankerung sozialpolitischer Kompetenzen in den Verträgen und der zu erwartenden Verfassung 23. THESE: Eine Verankerung weiterreichender sozialpolitischer Kompetenzen in der Verfassung ist wenig realistisch.
Die Verankerung echter sozialpolitischer Kompetenzen im Vertrag, beziehungsweise der Verfassung, würde voraussetzen, dass die Mitgliedstaaten sich entscheiden, einen wichtigen Teil der bislang als national eingeordneten Politiken an die Europäische Union abzutreten. Dies könnte sogar so weit gehen, einen „Europäischen Sozialstaat“ zu schaffen. So spricht Schulte1 davon, dass der Sozialstaat zwar immer noch national ist, da es „den europäischen Sozialstaat“ aus den bereits dargelegten Gründen nicht gibt, dennoch aber die Herausbildung einer europäischen Sozialstaatlichkeit zu registrieren sei. Diese müsse in der Europäischen Verfassung dergestalt fortentwickelt bzw. neu gefasst werden, dass dem national definierten sozialen Staatsziel eine Entsprechung auf europäischer Ebene an die Seite gestellt werde. Damit könne ein rechtlicher Rahmen für die heute gebotene Mehrebenenpolitik im Sozialbereich geschaffen werden. Die Frage nach der Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Sozialpolitik bzw. der Schaffung einer „Sozialunion“ ist eng verbunden mit der Integrationsstufe, die man innerhalb der Europäischen Union erreichen möchte. Im Rahmen einer reinen Zollunion kann man auf soziale Komponenten verzichten, da es hier lediglich um Güteraustausch geht, der ohne Sozialregelungen auskommt. Schon bei der nächsten Stufe, der Wirtschaftsgemeinschaft, muss man allerdings den sozialen Aspekten mehr Aufmerksamkeit schenken. Dies kann geschehen im Sinne des neo-liberalen Verständnisses durch Einführung bestimmter Mindeststandards, da die durch unterschiedliche Sozialpolitiken der Mitgliedstaaten erzeugten unterschiedlich hohen Sozialkosten einen zusätzlichen Wettbewerbsfaktor darstellen. Denkbar ist auch die Nutzung der sozialen Komponente als unterstützender Faktor, indem man das Umfeld der Arbeitnehmer, die vom Recht der Freizügigkeit Gebrauch machen, sichert, z. B. durch das verbesserte Ermöglichen des Transfers von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen oder die Sicherstellung einer guten und europaweit anerkannten Ausbildung. Schließlich kann das soziale Element auch eine ausgleichende Funktion haben oder als Faktor gesehen werden, der die durch wirtschaftspolitische Entscheidungen der Gemeinschaft bedingten sozialen Härten und Fehlentwicklungen nivellieren soll, wie z. B. Abfindungen bei Unternehmensschließungen etc. Dabei spielt die Sozialpolitik keine herausragende Rolle, sondern wird nur als Flankierung wirtschaftspolitischer Ent1 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 96.
362
X. Andere Lösungsansätze
scheidungen genutzt. Für die Mitgliedstaaten stellt sie sicher, dass die Beibehaltung der verschiedenen nationalen Sozialpolitiken nicht eine über normale Wettbewerbsvorteile hinausgehende Wettbewerbsverzerrung bewirkt und einige Mitgliedstaaten Sozialpolitik zu Lasten anderer Staaten praktizieren können. Eine politische Union ist demgegenüber ein Schritt zu weiterer Vertiefung, der eine Neuorientierung der Sozialpolitik verlangt. In dem Maße, in dem die Europäische Union auf einer höheren Integrationsebene in die politischen Angelegenheiten der Mitgliedstaaten eingreift, muss auch die Sozialpolitik eine Vertiefung erlangen. Dies entspricht auch dem Interesse der Bürger, die unter Solidaritätsgesichtspunkten erwarten, dass sie seitens der Gemeinschaft Schutz vor schlechten Arbeitsbedingungen oder sonstigen Benachteiligungen erhalten. In diesem Stadium sind zwar die wirtschaftspolitischen Aspekte nicht von der Sozialpolitik losgelöst, erlangen aber zunehmend eigenständigen Charakter.2 In der Literatur werden die Chancen einer umfassenden Europäisierung der Sozialpolitik eher kritisch bis skeptisch kommentiert.3 Die Zustimmung zu einer Europäisierung der Sozialpolitik ist nicht zuletzt abhängig von der Zugehörigkeit zu den jeweiligen Wohlfahrtssystemen. Da im Zuge der wachsenden Europäisierung zu erwarten ist, dass es eher zu einem „leveling-out“ unterschiedlicher Sozialleistungsniveaus denn zu einem Aufschließen zu den höchsten Standards kommt, stehen die Bevölkerungen der fortgeschrittenen Sozialstaaten der Übertragung von Entscheidungskompetenz auf die supranationale Ebene und damit Wohlfahrtseinbußen signifikant ablehnend gegenüber. In einer EU der „25 plus x“ befördert die wachsende Heterogenität eher eine latente Gefährdung des Integrationsprozesses in Gestalt des Zurückfallens in primär territoriale Positionen und nationale Perspektiven. Die Existenz hochgradig unterschiedlicher (institutioneller und normativer) Wohlfahrtsregime, eine starke Affinität der nationalen Sozialbürger zu ihren Systemen, ein unionsweit differentielles und insgesamt nur mäßig ausgeprägtes Gefühl, einander solidarisch verpflichtet und verbunden zu sein, sowie schließlich „Ressentiment und Indifferenz“ gegenüber der EU-Erweiterung implizieren daher möglicherweise fundamentale Legitimations- und Akzeptanzprobleme mit Blick auf sozialpolitische Mehrheitsentscheidungen im Rat oder, prospektivisch, im Europäischen Parlament.4 Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 21 ff. So z. B. von Maydell, Bernd, Schlussdiskussion, S. 234 ff.; vgl. dazu auch Kummer, Peter, Einführender Diskussionsbeitrag, S. 222 f.; Heidenreich, Martin / Bischoff, Gabriele, Die offene Methode der Koordinierung. Ein Weg zur Europäisierung der Sozial- und Beschäftigungspolitik, S. 3; Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 17. 4 Vgl. Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 14; vgl. dazu ferner Schulz-Weidner, Wolfgang, Sozialversicherungsmonopole – ihre Einordnung und ihre Zulässigkeit nach europäischem Wirtschaftsrecht am Beispiel der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 57; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit 2 3
1. Verankerung sozialpolitischer Kompetenzen
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Ein weiteres Argument, das gegen eine fortschreitende Politikharmonisierung eingewandt wird, ist eine ordnungspolitische Problematik, da unter Umständen der Wettbewerb ausgeschaltet oder zumindest beeinträchtigt wird. Der Standortwettbewerb wird zunehmend außer Kraft gesetzt und die verschiedenen Regionen können kaum mehr miteinander konkurrieren.5 Zweifel sind auch angebracht an dem Vorhandensein des Solidaritätsgefühls zwischen den Bürgern der Mitgliedstaaten, das erforderlich wäre, um weitreichende europäische Umverteilungszuständigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu schaffen.6 Auch erscheint es eher unwahrscheinlich, dass es bei den existierenden Unterschieden der Systeme gelingen kann, mehr als soziale „Minimum-Standards“ zu formulieren, die in den weiter entwickelten Staaten keine Wirkung erzielen würden, da diese weit über den formulierten Standards liegen. Als Alternative könnte man lediglich an Rahmensetzungen in Form von Richtlinien denken, die national umgesetzt und in den gegebenen Grenzen an die nationale Situation angepasst werden könnten. Die große Diversität der Systeme lässt dabei aber befürchten, dass die Formulierung solcher Richtlinien so vage ausfallen müsste, dass sie letztendlich zu einer Vielzahl von Gerichtsverfahren vor dem EuGH führen würde, der dann die Auslegung in jedem Einzelfall zu prüfen hätte.7 In der Vergangenheit ist eine Kompetenzerweiterung stets abgelehnt worden, und wenn sie gewollt wäre, hätte man sie bei der Diskussion um die Verfassung einbringen können. Stattdessen ist im Rahmen der Arbeitsgruppe XI „Soziales Europa“ des Konvents festgestellt worden, dass die Gruppe der Ansicht ist, dass die bestehenden Zuständigkeiten der Europäischen Union im sozialen Bereich im Wesentlichen angemessen sind. Sie hat lediglich vorgeschlagen, diese klarer zu fassen und auf europäischer Ebene vor allem Fragen in den Mittelpunkt zu stellen, die mit dem Funktionieren des Binnenmarktes und / oder Bereichen mit erheblichen grenzüberschreitenden Auswirkungen zusammenhängen. Vorgeschlagen wurde eine Diskussion über eine mögliche Ausweitung bestimmter Kompetenzen im Gesundheitsbereich und im Bereich der Leistungen der Daseinsvorsorge.8 Diese Schlussfolgerungen machen erneut deutlich, dass eine vertraglich basierte Ausweitung der sozialen Kompetenzen nicht gewollt oder nicht für realisierbar geund soziale Sicherung in Europa, S. 47 f.; Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 6; Fischer, Thomas, Europas Gesellschaftsmodell entwickeln – Solidarität im Wettbewerb sichern, S. 6. 5 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, S. 48. 6 Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 17. 7 So Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 15 f. 8 Europäischer Konvent, Schlußbericht der Gruppe XI „Soziales Europa“, CONV 516 / 1 / 03, Brüssel, 04. 02. 2003.
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X. Andere Lösungsansätze
halten wird. Gleichzeitig zeigt sich hier eine erneute Verfestigung des traditionellen Ansatzes, den Binnenmarkt und die Erreichung der damit verbundenen Ziele in den Vordergrund zu stellen und die soziale Komponente als reinen Annex zu klassifizieren. Selbst wenn man davon ausginge, dass es dessen ungeachtet eine politische Übereinkunft darüber geben könnte, einer solchen Übertragung von Hoheitsrechten zuzustimmen, ist dies aus rein praktischen Erwägungen kaum wahrscheinlich. Die Staats- und Regierungschefs haben am 29. Oktober 2004 nach langen Verhandlungen den Verfassungsvertrag unterzeichnet, der zwischenzeitlich bereits von mehreren Staaten9 ratifiziert wurde. In anderen Staaten stehen noch in diesem und dem nächsten Jahr Referenden an.10 Nach den ablehnenden Referenden in den Niederlanden und in Frankreich haben einige weitere Staaten das Referendum ausgesetzt bzw. die Entscheidung auf Regierungsebene zeitlich verschoben11, so dass mit weiteren Verzögerungen zu rechnen ist. Der vorgesehene Zeitplan wird auf keinen Fall einzuhalten sein. Vor Abschluß des gesamten Verfahrens wäre es also schon rechtlich nicht möglich, nunmehr den Text zu verändern, der bereits von mehreren Staaten in der aktuellen Fassung ratifiziert wurde. Ebenso ist es eher unwahrscheinlich, dass die Verfassung gleich nach ihrem endgültigen Inkrafttreten wieder geändert wird. Vielmehr könnte es zu einer Änderung oder Anpassung des Textes kommen, wenn keine Lösung gefunden wird, die Staaten, die abgelehnt haben, zu einer Meinungsänderung zu bewegen. Dies hätte dann wiederum zur Folge, dass über einen möglichen neuen Text abgestimmt werden müsste, so dass der gesamte Ratifizierungsprozess – auch in den Staaten, die bereits abgestimmt bzw. positiv entschieden haben – von vorne beginnen müsste, da eine veränderte rechtliche Grundlage in Form eines neuen Textes vorläge.12 Es dürfte also eher nicht davon auszugehen sein, dass in den nächsten Jahren eine Einigung der Mitgliedstaaten über eine Kompetenzübertragung im Rahmen der Sozialpolitik realistisch ist. Zwar ist das „Verfassungsprojekt“ noch nicht endgültig gescheitert – die Staatsund Regierungschefs haben sich eine erneute Beratung im Europäischen Rat vor9 Litauen (11. 11. 2004), Ungarn (20. 12. 2004), Slowenien (01. 02. 2005), Österreich (25. 05. 2005), Belgien (08. 02. 2006), Zypern (30. 06. 2005), Bundesrepublik Deutschland (27. 05. 2005), Griechenland (19. 04. 2005), Italien (06. 04. 2005), Lettland (02. 06. 2005), Luxemburg (25. 10. 2005), Malta (06. 07. 2005), Estland (09. 05. 2006), Slowakei (11. 05. 2005), Spanien (18. 05. 2005). 10 Finnland, Polen, Portugal. 11 Großbritannien, Dänemark, Irland, Schweden, Tschechische Republik. 12 Vgl. zu möglichen Optionen für das weitere Verfahren im Zusammenhang mit dem Verfassungsvertrag: Emmanouilidis, Janis, A., Overcoming the Constitutional Crisis, Paper delivered to the symposium of the European Parliament on The future of the constitutional process of the European Union, 2005; Monar, Jörg, Optionen für den Ernstfall: Auswege aus einer möglichen Ratifizierungskrise des Verfassungsvertrages, in: integration 1 / 05, Januar 2005, S. 16 ff.
2. Intergouvernementale Zusammenarbeit
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behalten13 –, aber die Diskussionen werden sich nicht auf neue Kompetenzen richten. Vielmehr wird man versuchen, die Gründe der Ablehnung in den jeweiligen Ländern zu identifizieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.14 Die deutsche Ratspräsidentschaft hat erklärt, den Verfassungsprozess fortführen zu wollen15, ohne allerdings bislang konkrete rechtliche Vorschläge zu machen. Wurde auch das mangelnde soziale Element als einer der Ablehnungsgründe seitens der Bürger genannt, muss man doch befürchten, dass ein neuer Textentwurf, sollte es dazu kommen, keine bahnbrechenden Änderungen bringt. Selbst wenn „sozial nachgebessert“ werden sollte, sind ein völliges Umdenken der Staats- und Regierungschefs und die Schaffung einer echten Sozialunion eher unwahrscheinlich. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation werden die Mitgliedstaaten nicht bereit sein, Kompetenzen abzugeben und Kompromisse einzugehen. Damit ist der Lösungsvorschlag 1 zwar rechtlich die sauberste Lösung, da er klare Kompetenzen vorgeben würde, seine Umsetzung ist allerdings nicht wahrscheinlich.
2. Intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten am Beispiel des Modells der GASP 24. THESE: Die Intergouvernementale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf sozialem Gebiet ist zu unverbindlich, um das „Europäische Sozialmodell“ weiterzuentwickeln.
Eine weitere Alternative könnte in einer „intergouvernementalen Zusammenarbeit“ der Mitgliedstaaten zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ in Anlehnung an das bei der GASP16 angewandte Verfahren bestehen. Bei dieser Variante würde die Weiterentwicklung der Sozialpolitik auf intergouvernementaler Ebene stattfinden, also zwischen den Mitgliedstaaten unter Einsatz 13 Die Schlussakte der Regierungskonferenz, die die Verfassung für Europa angenommen hat, sieht vor, dass der Europäische Rat befasst wird, wenn nach Ablauf von zwei Jahren nach der Unterzeichnung des Vertrags über eine Verfassung für Europa vier Fünftel der Mitgliedstaaten den genannten Vertrag ratifiziert haben und in einem Mitgliedstaat oder mehreren Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bei der Ratifikation aufgetreten sind. 14 Vgl. zu den unterschiedlichen Optionen der weiteren Verfahrensweise im Rahmen des Verfassungsvertrages Emmanouilidis, Janis, A., Overcoming the Constitutional Crisis. 15 Programm der deutschen Ratspräsidentschaft, Europa gelingt gemeinsam, 1. Januar – 30. Juni 2007, S. 7. 16 Anmerkung der Autorin: Die GASP wurde als Beispiel gewählt, da sie die klassische Form der intergouvernementalen Zusammenarbeit darstellt, während andere Formen wie die PJZS sich zur Zeit bereits in einer Mischform zwischen intergouvernementaler und originärer europäischer Zuständigkeit befinden.
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X. Andere Lösungsansätze
der ebenfalls im Rahmen der GASP vorgesehenen Maßnahmen der Gemeinsamen Stellungnahmen, Aktionen und Strategien. Es fände keine Kompetenzübertragung statt. Vielmehr einigten sich die Mitgliedstaaten, angelehnt an das Verfahren bei der GASP, auf bestimmte gemeinsame Vorgehensweisen, die dann umzusetzen wären. Ein wichtiges Merkmal der GASP ist die Tatsache, dass hier die souveränen Mitgliedstaaten „Herren des Verfahrens“ sind. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bestimmen im Europäischen Rat die Leitlinien der GASP mit dem in Art. 11 EUV festgeschriebenen Ziel der „Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen, der Unabhängigkeit und der Unversehrtheit der Union im Einklang mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen“. Auf der Grundlage der allgemeinen Leitlinien entscheidet der Rat der Europäischen Union, welchen gemeinsamen Standpunkt die Europäische Union vertritt. Ein wichtiges Element ist auch das Einstimmigkeitserfordernis, das im Rahmen der GASP stärker als in anderen Bereichen Anwendung findet. Das Einstimmigkeitserfordernis kann in einem sensiblen Bereich wie der Sozialpolitik verhindern, dass es in einem Mitgliedsland zu Problemen kommt, weil es sich der Mehrheit „gebeugt“ hat. Im Rahmen der GASP akzeptieren die Mitgliedstaaten keine übergeordnete Kontrollinstanz wie den EuGH, die zu entsprechenden Sanktionen befugt wäre (Art. 46 EUV). In ihrem Rahmen ist zur Zeit auch das Europäische Parlament ausgeschlossen von der Mitwirkung. Nur der Verfassungsvertrag hätte hier eine Änderung gebracht und eine Informationspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament vorgesehen. Die aktuelle Situation ist eine Folge der Tatsache, dass die GASP eben nicht auf einer originären europarechtlichen Grundlage beruht, sondern intergouvernemental stattfindet. Die Handlungsformen ergeben sich aus Art. 12 EUV: Bestimmung der Grundsätze und der allgemeinen Leitlinien für die GASP Beschlüsse über gemeinsame Strategien Annahme gemeinsamer Aktionen Annahme gemeinsamer Standpunkte Ausbau der regelmäßigen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Führung ihrer Politik.
Die Art. 13 – 15 EUV beschreiben dann die drei wesentlichen Instrumente der GASP:17 17 Vgl. dazu Bitterlich, Joachim, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 13 – 15 EUV; Regelsberger, Elfriede / Kugelmann, Dieter, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 13 – 15 EUV.
2. Intergouvernementale Zusammenarbeit
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Gemeinsame Strategie (Art. 13 EUV i.V. mit Art. 23 Abs. 2 EUV):
Das Instrument der Gemeinsamen Strategie ist mit dem Vertrag von Amsterdam neu geschaffen worden. Ziel war es, eine Form des EU-internen Rechtsakts zu schaffen, der die Mitgliedstaaten in ihren Politiken noch stärker als bisher auf eine gemeinsame EU-Linie festlegen und damit zu größerer Kohärenz der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beitragen kann. Bisher sind Gemeinsame Strategien zu Russland, zur Ukraine und zur Mittelmeerregion verabschiedet worden. Diese Strategien können ein umfassendes Konzept der Union zu einem bestimmten Bereich (geographisch oder thematisch) ihrer Außenpolitik enthalten, zu dessen Umsetzung in der Strategie eine Reihe konkreter Maßnahmen verbindlich festgeschrieben wird. Die Strategie wird konsensual durch den Europäischen Rat beschlossen. Weitere Maßnahmen zur Umsetzung (Gemeinsame Standpunkte oder Gemeinsame Aktionen) können dagegen vom Allgemeinen Rat mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Mit qualifizierter Mehrheit beschließt er nach Artikel 23 des EG-Vertrags, wenn er auf Basis einer „Gemeinsamen Strategie“ Gemeinsame Aktionen oder Standpunkte fasst, einen Beschluss verabschiedet, oder einen Sonderbeauftragten ernennt. Gemeinsame Aktion (Art. 14 EUV):
Gemeinsame Aktionen werden verabschiedet, wenn die Europäische Union auf einem konkreten Gebiet der Außenpolitik operativ tätig werden will (z. B. Entsendung von Wahlbeobachtern, Ernennung eines Sonderbeauftragten, Verhängung bestimmter Sanktionen). In dem Text der Gemeinsamen Aktion sind die damit verfolgten Ziele, die dafür eingesetzten Mittel und ggf. der Zeitraum, auf den sich die Gemeinsame Aktion bezieht, zu nennen. Die Entscheidung über eine Gemeinsame Aktion erfolgt einstimmig, mit Ausnahme der Fälle, in denen es um die Durchführung einer Gemeinsamen Strategie geht. Gemeinsamer Standpunkt (Art. 15 EUV):
In gemeinsamen Standpunkten wird ein für die Mitgliedstaaten verbindliches „Konzept der Union für eine bestimmte Frage geographischer oder thematischer Art“ bestimmt. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den gemeinsamen Standpunkten in Einklang steht. Die Annahme Gemeinsamer Standpunkte erfolgt in der Regel einstimmig, außer wenn es hierbei um die Umsetzung einer Gemeinsamen Strategie geht. Ein „Gemeinsamer Standpunkt“ wurde beispielsweise im Rahmen der Sanktionsmaßnahmen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien beschlossen18. Außerdem gibt die Union regelmäßig wertende Erklärungen zu aktuellen politischen Ereignissen ab, die die Mitgliedstaaten politisch binden. Sie verurteilt zum 18 Gemeinsamer Standpunkt 2004 / 694 / GASP des Rates vom 11. Oktober 2004 betreffend weitere Maßnahmen zur Unterstützung der wirksamen Ausführung des Mandats des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), ABl. EU L 315 / 52 vom 14. 10. 2004.
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X. Andere Lösungsansätze
Beispiel die Anwendung der Todesstrafe in einem Staat oder begrüßt den friedlichen Verlauf von Parlamentswahlen in einem anderen Staat19. Für die Variante einer analogen Anwendung dieses Verfahrens auf die Sozialpolitik spricht zunächst, dass die Mitgliedstaaten „Herren des Verfahrens“ sind, also bestimmen können, ob, was und wann etwas geschieht. Das eröffnet die Möglichkeit einer Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Sozialpolitik und der konsequenten Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“. Positiv wäre auch, dass Freiwilligkeit und Flexibilität der Mitgliedstaaten erhalten bleiben, da ein weitgehendes Einstimmigkeitserfordernis dem einzelnen Staat Schutz vor einem Überstimmtwerden“ bietet. Gleichzeitig ist es aber möglich, eine konsistente Weiterentwicklung der sozialen Ziele zu verfolgen, wenn die Mitgliedstaaten übereinstimmen. Diese Übereinstimmung dürfte auch der beste Garant dafür sein, dass die Beschlüsse durchgeführt und respektiert werden. Schutz gegen eine Beeinflussung durch andere Interessenvertreter wäre in hohem Maße dadurch gewährleistet, dass die Eckpunkte nicht mehr dem Zufall überlassen, sondern im gemeinsamen Konsens der Mitgliedstaaten abgestimmt werden. Dies ließe weniger Raum als bisher für eine Einmischung anderer Akteure. Gegen diese Variante spricht, dass das Erfordernis der Übereinstimmung nicht sicherzustellen vermag, dass es zu einer wirklichen Weiterentwicklung kommt. Sollten einzelne Staaten nicht mitmachen oder blockieren, käme es im schlimmsten Fall zu einem Stillstand in diesem Bereich oder einer Rückkehr zu den bereits vorhandenen Instrumenten und der sich daraus ergebenden, bereits oben beschriebenen, ungleichen und unkoordinierten Weiterentwicklung des Sozialmodells. Auch ist nicht auszuschließen, dass aus wirtschaftlichen Interessen heraus gewisse notwendige soziale Maßnahmen blockiert werden, um den eigenen Markt zu schützen. Der Rat selbst evaluierte im Februar 2001, dass dieses Instrument stärker auf klar festgelegte Ziele ausgerichtet sein müsse, dass der Hohe Vertreter für die GASP und die Europäische Kommission als zentrale Akteure zu handeln haben und eine regelmäßige Evaluierung der gemeinsamen Strategien notwendig sei.20 Ein weiteres Argument gegen das GASP-Verfahren liegt in seiner nach außen gerichteten Natur. Ziel der GASP ist es, die Mitgliedstaaten zu einer gemeinsamen, nach außen, gegen einen oder mehrere Drittstaaten gerichteten Aktion zu einen. Diese Entscheidungen werden nicht selten erforderlich durch plötzlich und unerwartet eintretende Ereignisse von außen, auf die schnell reagiert werden muss. Der Ansatz der sozialpolitischen Zusammenarbeit ist genau gegenläufig. Hier soll versucht werden, nach innen – zwischen den Mitgliedstaaten – zu einer Einigung zu kommen. 19 Eine Liste der Erklärungen zu aktuellen politischen Ereignissen findet sich unter der folgenden Internetseite: http: //www.consilium.europa.eu/cms3_applications/applications/ newsRoom/loadBook.asp?BID= 73&LANG=4&cmsid=257. 20 Algieri, Franco, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik – erweiterter Handlungsspielraum für die GASP, S. 194 ff.
3. Modell der „Verstärkten Zusammenarbeit“
369
Die zu lösenden Probleme tauchen auch nicht unvermittelt auf, sondern entwickeln sich nachvollziehbar, so dass eine Strategie konzipiert werden kann. Im sozialen Bereich ist eine nachhaltige und kontinuierliche Entwicklung demgegenüber unerlässlich. Die fehlende Kontrolle durch den EuGH im Rahmen der GASP wäre auch nicht übertragbar auf die Sozialpolitik. Zwar könnten grundsätzlich richtungsgebende Entschlüsse getroffen werden, diese aber nicht in analoger Anwendung der GASP der Kontrolle durch den EuGH entzogen werden. Dies würde nicht nur Art. 46 EUV widersprechen, der festlegt, welche Zuständigkeiten der EuGH hat, sondern auch die Art. 137 ff. EGV konterkarieren, die auch bei analoger Anwendung des GASP-Verfahrens nicht überflüssig würden und als Teile des Primärrechts der Kontrolle durch den EuGH unterliegen. Zum anderen zeigt die starke Inanspruchnahme des EuGH gerade bei der Klärung von mit der Sozialpolitik verbundenen Themen das große Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Während bei der Sozialpolitik der Gedanke der Vergemeinschaftung im Vordergrund steht, ist dies bei der GASP gerade nicht der Fall. Hier bleibt der Intergouvernementalismus das bestimmende Prinzip.21 Deshalb ist diese Variante letztendlich abzulehnen.
3. Modell der „Verstärkten Zusammenarbeit“ i. S. d. Art. 43 EUV 25. THESE: Das Modell der „Verstärkten Zusammenarbeit“ i. S. d. Art. 43 EUV führt zu einem stärkeren Auseinanderdriften der nationalen Sozialmodelle und damit auch zu einer Schwächung der sozialen Dimension generell in Europa.
In der Geschichte der Europäischen Union hat es in der Vergangenheit bereits vielfältige Beispiele gegeben, bei denen auf das Mittel der „differenzierten Integration“ zurückgegriffen wurde, um Sonder- oder Übergangsprobleme zu lösen. So gab es befristete Übergangsregeln beim Beitritt neuer Mitgliedstaaten, als weiteres Beispiel ist das „Schengener Abkommen“ zu nennen, das nur mit einer begrenzten Anzahl Teilnehmer begann und noch heute nicht für alle Mitgliedstaaten gilt.22 Es fragt sich also, ob das Modell der „Verstärkten Zusammenarbeit“ geeignet wäre, die Entwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ voranzubringen. 21 Algieri, Franco, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik – erweiterter Handlungsspielraum für die GASP, S. 195. 22 Vgl. dazu im einzelnen einschließlich einer ausführlichen Aufzählung von Fällen differenzierter Integration Bitterlich, Joachim, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Vorbemerkung zu Art 43 EUV Rdnr. 5.
370
X. Andere Lösungsansätze
Der EU-Vertrag sieht in den Art. 43 und 44 in Verbindung mit den Art. 27a-e, 40 EU-Vertrag und Art. 11 und 11 a EGV vor, dass eine „differenzierte Integration“ zwischen einzelnen Mitgliedstaaten im Sinne einer „Verstärkten Zusammenarbeit“ möglich ist. Auf dieser Grundlage könnten, wie bereits in der Vergangenheit bei der Währungsunion, dem Schengener Abkommen oder dem Sozialen Protokoll praktiziert, Mitgliedstaaten, die in einem bestimmten Politikbereich einen Konsens erreichen, zusammenarbeiten. Diese Form der Zusammenarbeit ist strengen Regeln unterworfen und kann gem. Art. 43 a EUV nur „als letztes Mittel aufgenommen werden, wenn der Rat zu dem Schluß gelangt ist, dass die mit dieser Zusammenarbeit angestrebten Ziele unter Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der Verträge nicht in einem vertretbaren Zeitraum verwirklicht werden können“. Die Legitimierung der expliziten Nichtteilnahme könnte Fortschritte im sozialen Bereich ermöglichen, ohne einen Transfer von Souveränität oder eine Politikharmonisierung zu erfordern. Die nationalstaatlichen Interessen würden dabei weitestgehend gewahrt, ohne „fortschrittlicheren“ oder „integrationswilligeren“ Staaten die Möglichkeit der Kooperation zu verschließen.23 Befürworter vertreten die Ansicht, dass nur die differenzierte Integration wichtige Fortschritte bei der Vergemeinschaftung gebracht hat. Sie unterstellen, dass mit der Erweiterung der Kampf zwischen vorwärts drängenden und beharrenden Staaten noch deutlicher wird und den Integrationsfortschritt lähmt, wenn nicht eine Kompensationsmöglichkeit in Form der differenzierten Integration genutzt wird.24 Die Möglichkeit der „differenzierten Integration“, also des Zulassens, dass in manchen Bereichen nur ein Teil der Mitglieder eine gemeinschaftliche Politik betreibt, hat im Licht der Diskussionen um die Zukunft der Verfassung und die ablehnenden Referenden neuen Auftrieb erhalten. Es wird argumentiert, dass das Institutionensystem genügend Raum lässt für ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Schon jetzt seien die abgestuften Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments in den verschiedenen Bereichen der Gesetzgebung selbst für Experten kaum noch durchschaubar. Im Ministerrat erfolge die Abstufung durch unterschiedliche Abstimmungsregeln, die von der einfachen Mehrheit bis zur Einstimmigkeit reichen, und auf der vertraglichen Ebene bliebe die Grundunterscheidung zwischen intergouvernementaler und vergemeinschafteter Zuständigkeit weiter erhalten.25 23 Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 24 ff. 24 Deubner, Christian, Differenzierte Integration: Übergangserscheinung oder Strukturmerkmal der künftigen Europäischen Union?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, B 1 – 2 / 2003, 6. Januar 2003, S. 25. 25 Decker, Frank, Parlamentarisch, präsidentiell oder semi-präsidentiell? Der Verfassungskonvent ringt um die künftige institutionelle Gestalt Europas, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, B 1 – 2 / 2003, 6. Januar 2003, S. 22.
3. Modell der „Verstärkten Zusammenarbeit“
371
So wurde seitens Frankreichs darüber nachgedacht, ob eine engere Zusammenarbeit zwischen neun Staaten sinnvoll wäre, und auch andere Länder sind dem Gedanken nicht grundsätzlich abgeneigt. Es fand sich 1994 im „Schäuble-Lamers Papier“ bereits der Begriff des „Kerneuropas“, der später vom damaligen deutschen Außenminister, Joschka Fischer, aufgenommen wurde. Gesprochen wurde in diesem Zusammenhang auch von einem „Europa der Avantgarde“. Andere Begriffe, die insbesondere nach dem „opt-out“ Großbritanniens auftauchten, waren das „Modell der abgestuften Integration“ oder das „Europa à la carte“, das „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, das „Europa der konzentrischen Kreise“ oder die „intégration à géometrie variable“.26 Gerade im Lichte der Verfassung scheint dies nicht der richtige Weg zu sein, denn statt eine vertiefte Integration zu schaffen, wird eine „Zwei-Klassen-Föderation“ kreiert.27 So sind die Gegner der Meinung, dass differenzierte Integration die Einheit von Verfahren und Institutionen spalte, die in den letzten Jahrzehnten eine integrationspolitisch grundlegende Gleichheit von Mitentscheidung und Betroffenheit, Rechtseinheit und -sicherheit für alle Mitgliedstaaten der EU geschaffen habe. Diese Integration werde erreicht, geschützt und gefördert durch unparteiische supranationale Institutionen. Auf dieser Grundlage könnten die beteiligten Staaten einem breit angelegten Kompetenzzuwachs der Europäischen Union zustimmen und ihre Bereitschaft, für sie mehr oder weniger günstige Entscheidungen anzunehmen, werde dadurch gefördert.28 Auch die äußerst strengen Anforderungen, die im Katalog des Art. 43 EUV aufgezählt werden und im einzelnen vorliegen müssen, zeigen, dass dieses Vorgehen nicht den Normalfall der Zusammenarbeit darstellen soll. Gerade im sozialen Bereich hat man zwar bereits die Erfahrung gemacht, dass man mit elf statt mit (damals) zwölf Staaten29 arbeiten kann. Würde diese Vorgehensweise aber die Regel, dann müssten viele weitere Probleme gelöst werden. 26 Vgl. dazu ausführlich Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 259 ff.; vgl. dazu ferner Bitterlich, Joachim, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, KlausDieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Vorbemerkung zu Art. 43 EUV Rdnr. 1 f.; Pechstein, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 43 EUV Rdnr. 2; Schneider, Heinrich, Die Zukunft der differenzierten Integration in der Perspektive des Verfassungsvertrags und der Erweiterung, in: integration 4 / 04, Dezember 2004, S. 259, 265 f. 27 Holzinger, Katharina / Knill, Christoph, Eine Verfassung für die Europäische Föderation. Kontinuierliche Weiterentwicklung des Erreichten, S. 3 f.; vgl. dazu insgesamt Deubner, Christian, Verstärkte Zusammenarbeit in der verfassten Europäischen Union, in: integration 4 / 04, Dezember 2004, S. 274 ff. 28 Deubner, Christian, Differenzierte Integration: Übergangserscheinung oder Strukturmerkmal der künftigen Europäischen Union?, in: integration 4 / 04, Dezember 2004, S. 24. 29 Nach der Erweiterung würde es sich um 25-x Mitgliedstaaten handeln, je nach dem wie viele sich beteiligen bzw. nicht beteiligen würden.
372
X. Andere Lösungsansätze
So wäre die Frage zu beantworten, wer jeweils beteiligt wird und welche Regeln für die „Außenstehenden“ gelten, um nur zwei Fragen anzureißen. Auch bestünde eine Gefahr, dass sich die sozialen Unterschiede noch mehr vertiefen und die Europäische Union kaum mehr imstande wäre, diese negative Entwicklung zu beeinflussen. Die Konsequenz eines solchen Vorgehens im sozialen Bereich wäre letztlich der Verzicht auf ein einheitliches „Europäisches Sozialmodell“ und die Etablierung unterschiedlicher sozialpolitischer Regime bis hin zu einer Pluralität von Sozialunionen mit unterschiedlicher Integrationstiefe.30 Unabhängig von den hohen Anforderungen, die bei einer differenzierten Integration zu erfüllen sind (mehrheitliche Zustimmung im Rat, Ausschluss negativer Effekte im Binnenmarkt, Möglichkeit des „opting-out“), wäre ein solches Vorgehen eher integrationsfeindlich. Progressive Mitgliedstaaten werden zu Schrittmachern, die andere Staaten, die zunächst skeptisch sind, „mitziehen“, unter Umständen gegen besseres Wissen, lediglich aus „politischen“ Zwängen heraus handelnd. Eine wirkliche Beschlussfreiheit dürfte nicht bestehen. Zum anderen würde ein solches Vorgehen gerade das „Europäische Sozialmodell“ konterkarieren, da es sich von einem einheitlichen Modell weg bewegt hin zu einer Vielzahl von Modellen, die dann gar nicht mehr aufeinander abgestimmt werden können. Auch werden seit jeher Ideen, die zu einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, „Kerneuropa“, „Europa der konzentrischen Kreise“ etc. führen könnten, eher skeptisch beurteilt. Man fürchtet, dass reichere Mitgliedstaaten sich durch derartige Formen der Zusammenarbeit Vorteile verschaffen könnten, was dann gleichzeitig den Widerstand der ärmeren oder weniger entwickelten Staaten auf den Plan rufen und letztendlich zu einer Blockade führen könnte.31 Damit ist auch diese Variante nicht geeignet, um zu einer echten Sozialpolitik auf europäischer Ebene zu kommen.
30 Vgl. Lamping, Wolfram, Konjunkturen eines Konstrukts. Empirische, normative und integrationspolitische Impressionen des Europäischen Sozialmodells, S. 16; vgl. dazu auch Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 13 f. 31 Vgl. dazu Scharpf, Fritz W., The European Social Model: Coping with the Challenges of Diversity, S. 14.
4. Ausbau der sozialen Grundrechte
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4. Ausbau der sozialen Grundrechte 26. THESE: Soziale Grundrechte sind ihrer Natur und ihrer Stellung in den Verträgen nach zu statisch, um den sich ständig ändernden Anforderungen des „Europäischen Sozialmodells“ gerecht zu werden.
Es fragt sich, inwieweit der Ausbau der sozialen Grundrechte32 im Primärrecht geeignet ist, das „Europäische Sozialmodell“ zu tragen und weiterzuentwickeln.33 Grundsätzlich sind sie ein wichtiger Bestandteil des Modells und garantieren den Bürgern Schutz vor Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlung. Durch ihre regelmäßig eher weite und der Auslegung offene Formulierung fehlt es ihnen aber im Einzelfall an der Verbindlichkeit und es besteht die Gefahr, dass die Auslegung in vielen Fällen durch ein langwieriges Verfahren vor dem EuGH stattfindet. Ferner sind sie von ihrer Stellung im Vertragswerk her eher statisch und damit in der Gefahr, nach einiger Zeit nicht mehr den jeweils zeitgemäßen Notwendigkeiten zu entsprechen. Ein Verbot der Nachtarbeit für Frauen zu deren Schutz vor gesundheitlichen Nachteilen würde heute als diskriminierend angesehen.34 Damit bleiben sie, wie auch jetzt im Text des Verfassungsvertrags festzustellen ist, an der Oberfläche. Es fehlt ihnen an Präzision und Flexibilität, um der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ zuträglich zu sein. Zu einer Änderung des Primärrechts wäre eine Vertragsänderung oder -anpassung erforderlich, die hohe rechtliche Hürden aufstellt. Die sozialen Bedingungen ändern sich erfahrungsgemäß aber schneller und bedingen entsprechend entschlossenes und zeitnahes Handeln. Eine solche Flexibilität bietet das Sekundärrecht in Form von Verordnungen oder Richtlinien, die anpassungsfähiger sind und nationalstaatlichen Besonderheiten Raum lassen. Damit kann man feststellen, dass die sozialen Grundrechte eine wichtige Kompetenzgrundlage des „Europäischen Sozialmodells“ sind, durch ihre mangelnde Präzision und die Statik der Verträge bzw. der künftigen Verfassung aber keine ausreichende alleinige Grundlage für die Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ bieten.
Vgl. dazu den Ansatz von Däubler unter IX. 2 Vgl. dazu auch insgesamt Schulz-Nieswandt, Frank, Eine EU-Verfassung mit sozialen Grundrechten. Zur Einschätzung der Rückwirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland und auf die Ideenpolitik eines europäischen Sozialmodells. 34 Vgl. dazu Merten, Detlef, Entwicklungsperspektiven der sozialen Dimension in der EG: Funktionen sozialer Grundrechte, S. 74 f. 32 33
XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“ 27. THESE: Ein „Europäischer Sozialkonsens“ ist in der Lage, auf der rechtlichen Basis der Verträge das „Europäische Sozialmodell“ zu festigen und weiterzuentwickeln.
Keine der bislang beschriebenen Lösungen erfüllt die an die Weiterentwicklung eines „Europäischen Sozialmodells“ zu stellenden Bedingungen.
1. Notwendigkeit der Entwicklung des „Europäischen Sozialkonsenses“ Eine solche Weiterentwicklung ist aber nicht nur eine Notwendigkeit, die aus der aktuellen wirtschaftlichen, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Situation resultiert und dem Willen der Bürger entsprechen dürfte, wie er im Rahmen der ablehnenden Referenden in den Niederlanden und Frankreich deutlich wurde,1 sondern der logische Schritt, wenn man eine vertiefte Integration der Union erreichen möchte. Vor diesem Hintergrund dürfte auch der neu entwickelte „Plan D“2 der Europäischen Kommission zu sehen sein, wobei der Buchstabe „D“ für „Demokratie“, „Dialog“ und „Debatte“ steht. Angestrebt wird damit – wie Bauer / Metz / Seeger3 konstatieren – die „Rückkoppelung mit den Erwartungen der Bürger bezüglich des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells, der Rolle Europas in der Welt, der Frage nach den Grenzen der EU und künftiger Erweiterungsstrategien, aber auch nach generellen Werten und Normen.“ Letztlich stehen die Mitgliedstaaten damit vor der Alternative, den „sozialen Fortschritt“ externer Gestaltung zu überlassen und sich auf stetiges „Nachbessern“ einzulassen oder die Steuerungshoheit selbst in die Hand zu nehmen und zu bestimmen, wie die „Soziale Dimension“ Europas ausgestaltet sein soll. Vgl. dazu Adam, Ruth, Ein Wirtschafts- und Sozialmodell für Europa?, S. 1. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Der Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion, KOM (2005) 494 endg. vom 13. 10. 2005; Europäische Kommission, Informationsvermerk von Vizepräsidentin Wallström an die Kommission Plan D – Eine erweiterte und intensivierte Diskussion über Europa, SEC(2006) 1553, vom 24. 11. 2006. 3 Bauer, Michael / Metz, Almut / Seeger, Sarah, Der Plan D der Europäischen Kommission und die Reflexionsphase zur Verfassung und Zukunft der Europäischen Union, S. 3. 1 2
1. Notwendigkeit
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Bislang jedenfalls hat eine konsequente Debatte über die Neuausrichtung der europäischen Sozialpolitik und des „Europäischen Sozialmodells“ im 21. Jahrhundert nicht stattgefunden.4 Diese soll ausgelöst und verfestigt werden durch das neu zu schaffende Instrument eines „Europäischen Sozialkonsenses“, der im folgenden entwickelt werden soll. Angesichts der hohen Integrationsdichte, die die Europäische Union inzwischen erreicht hat, erweist sich ihr unsystematisch gewachsenes Vertrags- und Kompetenzgefüge als immer problematischer.5 Die Kombination aus vertraglichen Zielbestimmungen und aufgabenbezogenen Einzelermächtigungen war zunächst eine wesentliche Voraussetzung für die dynamische Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses. Inzwischen zeigen sich aber die Probleme in aller Deutlichkeit, die mit den geltenden Zuständigkeitsregelungen verbunden sind. Die sukzessive Ausweitung vertraglicher Aufgabenbestände stellt sich nicht primär als Ergebnis der Suche nach effektiven Problemlösungen dar. Vielmehr sind die heutigen EU-Kompetenzbestände das Resultat zahlreicher Paketlösungen und Aushandlungsprozesse zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen aufeinander folgender Regierungskonferenzen.6 Die Europäische Union begann mit einer supranationalen Öffnung einiger weniger Mitgliedstaaten, die sich schrittweise entwickelte. Die dabei verfolgte Politik war lediglich gedacht als Ergänzung der nationalen Sozialpolitiken. Sie sollte nicht die nationalen Sozialstaaten ersetzen, sondern eine rein komplementäre Politik sein, die nur dort eingriff, wo die nationalstaatlichen Regeln lückenhaft waren und europäischer Koordinierungsbedarf bestand. Somit entstand bis heute auch keine – einen Sozialstaat normalerweise kennzeichnende – Sozialbürokratie, die in Konkurrenz zu den nationalen Wohlfahrtsstaaten stünde. Vielmehr entwickelten sich supranationale Ergänzungen in Bereichen, wo die nationalen Wohlfahrtsstaaten internationale Sozialstaatslücken beim Zusammenwachsen Europas aufwiesen. Die supranationale Sozialpolitik der Europäischen Gemeinschaft drehte sich vor allem um zwei Grundziele: Um das klassische Ziel der sozialen Absicherung des europäischen Binnenmarktes und um die Abpolsterung seiner Kosten, zu dem auch die Einführung eines Minimums an sozialer Sicherung in allen Mitgliedstaaten gehörte, sowie das in letzter Zeit immer wichtiger gewordene Ziel einer stärkeren Bindung der Bürger an die Europäische Union.7 Haack, Karl Hermann, Das Europäische Sozialmodell im 21. Jahrhundert, S. 2. Vgl. dazu Wendler, Frank, The paradoxical effects of institutional change for the legitimacy of European governance: the case of EU Social Policy, 2004. 6 Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 4. 7 Vgl. dazu Kaelble, Hartmut, Das europäische Sozialmodell – eine historische Perspektive, S. 43. 4 5
376
XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
Trotz der dargestellten wenig dynamischen Entwicklung der sozialen Dimension Europas kann man aber doch einen kontinuierlichen Ausbau und Fortschritte im Sinne einer Verdichtung auf der Grundlage von schrittweisen Kompetenzerweiterungen und in der Konsequenz eine nicht unerhebliche Regelungsdichte, zumindest in einigen Bereichen, konstatieren. Wie Krebsbach8 anschaulich und ausführlich dargestellt hat, haben sich die Staats- und Regierungschefs, aber auch die anderen Institutionen seit Beginn der Gemeinschaft nicht nur in regelmäßigen Abständen mit der sozialpolitischen Dimension auseinandergesetzt, sondern diese auch stetig erweitert und ausgebaut. Er unterscheidet zwei Phasen der Sozialpolitik: Die erste ist dadurch gekennzeichnet, dass die Sozialpolitik nur dazu dienen sollte, die ökonomische Funktionsfähigkeit der primär als Wirtschaftsgemeinschaft betrachteten Vereinigung sicherzustellen und Schwierigkeiten auf sozialer Ebene, die diesen Prozess stören konnten, in einer Art „Rotkreuzfunktion“ zu beheben. Die zweite Periode (ab 1967) ist dadurch gekennzeichnet, dass sich eine neue Sicht durchsetzte, in der auch der Rat und die Regierungen der Mitgliedstaaten die zunehmende Bedeutung der Sozialpolitik für den Fortschritt der Integration erkannten. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten forderten 1972 anlässlich des Pariser Gipfeltreffens die Europäische Kommission auf, ein sozialpolitisches Aktionsprogramm auszuarbeiten, das explizit der sozialen Flankierung der für 1980 geplanten Wirtschafts- und Währungsunion dienen sollte. Im Oktober 1973 legte die Europäische Kommission dann ein ambitioniertes Programm vor, das von den Arbeits- und Sozialministern der Gemeinschaft Anfang 1974 verabschiedet wurde9. Ergänzt wurde dies durch eine dritte Periode in den 1980er Jahren, in der man aufgrund der guten Wirtschaftslage wieder dem freien Spiel der Kräfte vertraute und die durch nur wenige sozialpolitische Aktivitäten geprägt war.10 Ab den 1990er Jahren dagegen folgte eine Periode verstärkter Aktivitäten. Mit dem Vertrag von Maastricht löste sich die Sozialpolitik mehr und mehr von der Wirtschaftspolitik und entwickelte zunehmend ein eigenständigeres Profil.11 So weist Mäder12 darauf hin, dass der Europäische Rat von Rom am 14. und 15. 12. 1990 festgestellt hat, dass die Notwendigkeit einer Ausweitung bzw. Neufestlegung der Gemeinschaftszuständigkeiten in spezifischen Bereichen weiterhin anerkannt wird, und u. a. darum ersucht, die Aspekte der sozialen Dimension und Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 69 ff. Knelangen, Wilhelm, Sozialstaatswerdung Europas? Integrationstheoretische Überlegungen zur Entwicklung der EU-Sozialpolitik, S. 24. 10 Vgl. dazu auch Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 32. 11 Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 18. 12 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 123. 8 9
1. Notwendigkeit
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des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Damit sei der Auftrag erteilt, mit der Verankerung einer eigenständigen Sozialpolitik der Gemeinschaft die Grundlage für allgemeine soziale Mindestrechte im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik zu schaffen. Die Gemeinschaft dürfe – so der Tenor aller Beteiligten – nicht auf die Bereiche Wirtschaft, Währung, Außen- und Sicherheitspolitik begrenzt bleiben. Bei den Grundzügen einer politischen Union sei der soziale Aspekt neben anderen Politiken zu berücksichtigen. So hätte es schon der Europäische Rat von Madrid13 am 26. und 27.05. 1989 formuliert. Dazu sei eine Aussage im Vertrag notwendig, die sich zur sozialen Ausgestaltung ebenso bekennt wie zur Marktwirtschaft. Und Schulte14 führt aus, dass mit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht die soziale Dimension der Europäischen Union eine echte Aufwertung erfahren habe, da die Gemeinschaftsorgane nunmehr sehr viel umfangreichere Handlungsmöglichkeiten und Zuständigkeiten besäßen als in der Vergangenheit. „Maastricht“ werde vielfach auch als Metapher für eine generell intensivierte politische Integration Europas verstanden. Dies habe im sozialen Bereich vor allem in den Vorschriften der Art. 136 und 137 EGV seinen Niederschlag gefunden.15 Asbeek Brusse / Hemerijk16 beschreiben diese Phase wie folgt: „In the mid 1990s a phase commenced that can best be characterised in terms of respect for policy diversity with shared European social concerns (1994 – 2002). To many (social democratic) observers, the British opt-out, the limited results of the European social dialogue, and the anchoring of the subsidiarity principle in the Maastricht Treaty showed ,uneven growth‘ between the EU’s economic and social policies: market-correcting ,positive integration‘ could not keep up with market-expanding ,negative integration‘. Many critics, furthermore, assumed that the scope for autonomous national welfare policies would increasingly be limited by the loss of national exchange rate and interest rate policies and the budgetary restrictions resulting from participation in Economic and Monetary Union (EMU). Some also pointed to potential spillovers from monetary integration for national wages and employment policies. EMU would dictate more market-conforming and flexible wage and employment policies“.
Der Vertrag von Amsterdam hat ein weiteres Mal die primärrechtlichen Grundlagen für eine genuine Sozialpolitik der EU weiterentwickelt. Dieser kommt seit13 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat von Madrid am 26. und 27. Mai 1989. 14 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 87. 15 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 89; vgl. dazu auch Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 434. 16 Asbeek Brusse, Wendy / Hemerijk, Anton, Deepening Social Europe in an Enlarged Union, S. 119.
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
her nicht nur eine originäre Rechtsetzungskompetenz bei der Gestaltung nahezu sämtlicher sozialpolitischer Materien zu. Darüber hinaus wurde sie zum Garanten der erstmals umfassend niedergelegten und proklamierten sozialen Grundrechte bestimmt.17 Bei der Untersuchung, auf welche Vorschriften und Mechanismen die Europäische Union zurückgreifen kann, ist zunächst auf die zunehmende Verdichtung des Sozialrechts hinzuweisen. Schulte18 unterscheidet insoweit vier Phasen, die sukzessive auf eine immer stärkere Bedeutung der Sozialpolitik hinauslaufen und weitgehend mit der Auffassung Krebsbachs korrespondieren, allerdings andere Schwerpunkte setzen: In der ersten Phase, der Gründungsphase, war eindeutig die Ökonomie die Triebfeder europäischen Handelns. Wirtschaftliche und nicht soziale Integration standen im Mittelpunkt des Handelns. Man ging davon aus, dass die wirtschaftliche Entwicklung die soziale „nach sich zieht“. Sozialpolitik wurde weitestgehend nicht als eigenständiger Politikbereich betrachtet, sondern gleichsam als „Annex“ zu anderen Politiken, namentlich der Wirtschaftspolitik. Die erste Wertsteigerung erhielt die Sozialpolitik in Phase zwei, die auf das Jahr 1972 datiert wird. Auf dem Gipfeltreffen in Paris ergeht der Auftrag zur Erstellung des ersten „Sozialpolitischen Aktionsprogramms“, das 1974 verabschiedet wird. Allerdings wird der ersten „sozialpolitischen Euphorie“ durch eine negative wirtschaftliche Entwicklung, ausgelöst durch den Ölschock“, schnell ein Dämpfer aufgesetzt. In der dritten Phase – ab dem Jahr 1989 – gewinnt die Sozialpolitik Schwung durch die Gemeinschaftscharta der sozialen Rechte der Arbeitnehmer, den Vertrag von Maastricht und die mit ihm etablierte Unionsbürgerschaft. Die vierte Phase schließlich markiert mit dem Vertrag von Amsterdam eine weitere Konsolidierung der „Europäischen Sozialgemeinschaft“, indem die Sozialpolitik sowohl programmatisch als auch nach ihrer Stellung im EG-Vertrag nicht mehr wie bislang den Zielen der Wirtschaftsgemeinschaft eindeutig untergeordnet ist, sondern der Wirtschaftspolitik „auf Augenhöhe“ begegnet.
In dieselbe Richtung gehen auch die Ausführungen Dauderstädts19: „Generally the EU has strengthened its role in the field of social and labour market policy, and this EU involvement has promoted social security and the participation of social partners, in particular workers. In the eyes of critics, these measures have increased costs and reduced flexibility“.
Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 435. Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 84 ff. 19 Dauderstädt, Michael, The Enlarging Euroland: Deepening and Widening Unemployment and Inequality?, S. 19. 17 18
2. Ausgangslage eines „Europäischen Sozialkonsenses“
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Und Asbeek / Hemerijk20 führen aus: „Social policy concerns have moved progressively towards the top of the European Agenda since the mid 90s. The completion of the internal market and the creation of monetary union in a period of high unemployment have provided strong incentives for social policy initiatives.“
Dies zeigt allerdings auch einmal mehr, dass es zwingender äußerer Einflüsse bedurfte, um die Nationalstaaten dazu zu bewegen, ihre nationale Sozialpolitik zugunsten der Europäischen Sozialpolitik anzupassen. Es muss also eine andere, neue Lösung entwickelt werden, die der zunehmenden Verdichtung der Entwicklungen zu einem echten „Europäischen Sozialmodell“ entspricht und das Spannungsfeld auflöst, das sich zwischen Recht – Wirtschaft – Politik aufgebaut hat. Es müssen politische Entscheidungen gefällt werden, die nicht nur die wirtschaftliche, sondern in stärkerem Maße als bisher die soziale Situation angemessen berücksichtigen und rechtlich basiert sind.
2. Ausgangslage eines „Europäischen Sozialkonsenses“ Eingedenk der dargestellten globalen Situation mit ihren vielfältigen wirtschaftlichen, arbeitsmarktbezogenen und sonstigen sozialen Problemen, der unklaren und vorgeblich schwachen Kompetenzsituation und der mangelnden Koordinierung der Willensbildungsprozesse sind zwei Fragen zu beantworten: 1. Welche Probleme sind zu lösen zum Ausbau des „Europäischen Sozialmodells“? 2. Aus welchen Elementen besteht ein konkreter Lösungsansatz? Die Ausgangslage lässt sich wie folgt beschreiben: Die bestehenden politischen Strukturen und die begrenzten nationalen Handlungsspielräume, die geprägt sind von wirtschaftlichen und wettbewerblichen Erwägungen, wie z. B. der Sorge um den möglichen Verlust von Unternehmen und damit Steuerzahlern, wenn die Soziallasten in den Mitgliedsländern zu große Unterschiede aufweisen, sind mit die größten Barrieren gegen eine Ausweitung sozialpolitischer Kompetenzen. Die schlechte Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation in fast allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union führt dazu, dass verstärkt über gemeinsame Lösungen nachgedacht werden muss. Die soziale Dimension wird in starker Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Situation gesehen, so dass vielfach nur „nachgebessert“ statt proaktiv gehandelt wird. 20 Asbeek Brusse, Wendy / Hemerijk, Anton, Deepening Social Europe in an Enlarged Union, S. 113.
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
Entsprechend sehen die Anforderungen aus, die an das neue Modell gestellt werden: Das neue Modell sollte zu einer Institutionalisierung der Sozialpolitik führen, weg von der zufälligen und von Einzelinteressen getragenen derzeitigen Struktur. Es sollte einen Rahmen setzen, an dem sich alle Beteiligten orientieren. Es muss ein rechtliches Instrumentarium vorhanden sein, auf dessen Grundlage entsprechende Maßnahmen vorgenommen werden können. Gleichzeitig soll es auch politikleitende Funktion haben durch die Entwicklung von Leitprinzipien, die Festlegung von Strukturelementen, Modellen und Strategien und damit zur Entwicklung einer schrittweisen supranationalen Sozialstaatlichkeit beitragen. Die Bereiche, in denen gemeinsame Maßnahmen gewünscht werden, müssen so genau wie möglich festgelegt werden, um die angesprochene politikleitende Funktion zu übernehmen. Die rechtliche Basis aller Maßnahmen ist ein Kernelement des Modells, da nur sie die Umsetzung der Politik garantieren kann. Es muss klargestellt werden, welche Instrumente und Maßnahmen eingesetzt werden (Regulierung auf Gemeinschaftsebene in Form von Richtlinien oder Verordnungen, Sozialer Dialog, OMK?). Wenn Indikatoren genutzt werden, muss dafür Sorge getragen werden, dass diese exakt definiert und für alle gleich sind. Schließlich muss das existierende Vertragswerk beachtet und sollte besser genutzt werden.
In Anlehnung an die Ergebnisse des Schlussberichts der Mandelkern-Gruppe für „bessere Rechtsetzung“21 können bei der Konzipierung einer neuen Lösung einige im folgenden auszuführenden Grundsätze analog herangezogen werden, die zur Klarheit im Sinne eines neu zu entwickelnden „Europäischen Sozialkonsenses“ beitragen können. Nach dem Abschlußbericht der Mandelkern-Gruppe soll grundsätzlich sichergestellt sein, dass Recht nur dann eingesetzt wird, wenn es notwendig und angemessen ist und die zu entwickelnden Rechtsvorschriften von größtmöglicher Qualität sind. „Für jedes erfolgreiche System besserer Rechtsetzung sind eine hochrangige, die gesamte jeweilige Regierung umgreifende politische Unterstützung sowie angemessene Ressourcen erforderlich. Ein derartiges System muss alle Phasen von Gesetzen (erste Überlegungen, Konzeption, Gesetzgebung, Umsetzung und ex-post-Prüfung) erfassen, und das in sämt21 Mandelkern-Gruppe für „bessere Rechtsetzung“, Abschlußbericht vom 13. November 2001, Moderner Staat – Moderne Verwaltung, 2002.
2. Ausgangslage eines „Europäischen Sozialkonsenses“
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lichen Politikbereichen. An seiner Entwicklung sollten sowohl die rechtsetzenden als auch die vollziehenden Instanzen beteiligt sein. Instrumente wie Folgenabschätzung, Vereinfachung, Konsolidierung, Beteiligungs- und Anhörungsverfahren müssen konsequent zum Einsatz kommen“.
Zur Erreichung dieser Ziele werden sieben Schlüsselbereiche beschrieben: Politische Optionen: Entscheidungsträger auf EU- und auf nationaler Ebene sollten stets die gesamte Bandbreite an möglichen Optionen im Blick haben, die für die Lösung eines Problems zur Verfügung stehen. Sie sollten daraus die den Umständen am besten entsprechende Lösung auswählen. Obwohl häufig die Normsetzung die geeignetste Alternative ist, sollte das nicht in jeder Situation automatisch und reflexhaft die einzige Wahl sein. Folgenabschätzung: Die Gesetzesfolgenabschätzung (Regulatory Impact Assessment, RIA) ist ein äußerst effektives Instrument für eine moderne, nachweisgestützte Politik. Sie bietet den strukturierten Rahmen für einen Umgang mit politischen Problemen. Konsequente Folgenabschätzung muss ein integraler Bestandteil des politischen Entscheidungsprozesses auf EU- und nationaler Ebene sein oder werden. Konsultationen (Anhörungen / Beteiligungen): Konsultationen sind ein Mittel transparenten Regierens. Als solches sind frühzeitige und effektive Konsultationen mit den Betroffenen durch die EU und die nationalen Politiker ein elementares Erfordernis. Die Rolle, welche öffentliche Bedienstete, Minister und Parlamentarier im Entscheidungsprozess spielen, wird dadurch in keiner Weise überflüssig. Sie alle können vielmehr zusätzliche, wichtige Informationen gewinnen. Bei Anwendung lege artis können politische Verzögerungen aufgrund von erst spät aufbrechenden Kontroversen verhindert werden. Auch der zeitliche Fortgang eines Gesetzgebungsverfahrens wird nicht zwangsläufig ungebührlich behindert. Vereinfachung: Es gibt die fortwährende Notwendigkeit, bestehende Rechtsvorschriften zu aktualisieren und zu vereinfachen. Man darf aber nicht Vereinfachung mit Deregulierung gleichsetzen. Vereinfachung hat die Wahrung bestehender Regelungen im Auge. Sie macht sie aber zugleich effektiver, weniger belastend, verständlicher und leichter akzeptabel. Das bedingt ein systematisches, vorzugsweise ein gleitendes (in seinem Verlauf periodisch korrigiertes) und gezieltes Vereinfachungsprogramm. Es deckt den Normbereich ab, der für die Bürger, die Unternehmen und die Stellen, welche die entsprechenden Normen umsetzen müssen, von Bedeutung ist. Solche Programme sind sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene erforderlich. Zugang zu Rechtsvorschriften: All jene, die von der europäischen oder nationalen Rechtsetzung betroffen sind, haben Anspruch darauf, auf entsprechende Rechtsvorschriften zugreifen und sie verstehen zu können. Das bedeutet, dass die Kohärenz und Klarheit der Rechtsvorschriften durch Vereinfachungsakte
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
(Konsolidierung, einschließlich Kodifizierung und Neufassung) erweitert und der Zugang zu den Rechtsvorschriften durch gesteigerte praktische Vorkehrungen (insbesondere Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien) auf europäischer und auf nationaler Ebene, letzteres durch Bereitstellung öffentlichen Zugriffs in jedem Mitgliedstaat und auf EU-Ebene erreicht werden. Strukturen: Für eine bessere Rechtsetzung ist ein geeignetes organisatorischstrukturelles Gerüst erforderlich, welches die Aufgabe hat, Bedingungen festzulegen, unter denen ein bestmöglicher Normsetzungsprozess auch durchgesetzt werden kann. Es hängt von den jeweiligen Gegebenheiten ab, wie sich das im Einzelfall optimal auf europäischer oder nationaler Ebene realisieren lässt. Jedoch sollte die Schaffung einer einzigen (den Prozess bestimmenden) Stelle im Regierungszentrum oder in dessen Nähe ernsthaft erwogen werden. Gleichwohl muss eine effektive Lösung für jeden Bereich individuell entwickelt werden. Umsetzung von europäischen Rechtsvorschriften: Eine qualitätsvolle Normsetzung ist wie eine Kette von mehreren Gliedern, angefangen von den frühesten Phasen der Vorbereitung bis hin zur Umsetzung rechtsgültiger Vorschriften. Auf europäischer Ebene sollte den Umsetzungsanliegen erhöhte Aufmerksamkeit zuteil werden, um sicherzustellen, dass die Konsequenzen einer Gesetzgebung vollständig verstanden und berücksichtigt werden. Auch die Mitgliedstaaten müssten der Umsetzung europäischer Rechtsvorschriften eine höhere Priorität als bisher einräumen.
Ergänzend dazu fordert der EWSA22, noch bevor ein Legislativvorhaben auf den Weg gebracht wird, die Festlegung der Ziele, die erreicht werden sollen, unter Berücksichtigung des primären Rechts und der geltenden Rechtsvorschriften einschließlich der Rechtsprechung des EuGH sowie eine Aufstellung der Rangfolge dieser Ziele und eine Festlegung von Prioritäten. Die Rolle des Rates solle dabei darin bestehen zu prüfen, ob eine Rechtsvorschrift erforderlich sei oder ob nicht bereits in den Verträgen oder im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht Mittel enthalten seien, die es ermöglichten, dieselben Ziele zu erreichen. Der im Rahmen dieser Arbeit erarbeitete Vorschlag, der sogenannte „Europäische Sozialkonsens“, geht in Anlehnung an diese Grundsätze weiter als die in Wissenschaft und seitens der Europäischen Kommission gewählten Ansätze.
22 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Bessere Rechtssetzung, CESE 1068 / 05, Brüssel den 28. / 29. September 2005, S. 15; Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Bessere Durchführung des Gemeinschaftsrechts, Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts, CESE 1069 / 05, Brüssel, 28. / 29. September 2005, S. 11.
3. Konstrukt eines „Europäischen Sozialkonsenses“
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3. Konstrukt eines „Europäischen Sozialkonsenses“ Die Lösung sieht ein neu zu schaffendes Konstrukt eines „Europäischen Sozialkonsenses“ vor.
a) Allgemeines Besteht schon auf nationaler Ebene in einem föderalen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland ein ständiges Abstimmungsbedürfnis in Form eines zu suchenden Konsenses, ohne den es immer weniger möglich wird, zu tragfähigen gesetzlichen Regelungen zu kommen23, muss dies erst recht in einem Gebilde wie der Europäischen Union Anwendung und Geltung finden. „Das Organisationsprinzip der Entscheidungsfindung im europäischen Mehrebenensystem basiert auf Konsens, um die Heterogenität des Systems managen zu können. [] . . . die Entwicklung hin zu immer mehr Mehrheitsentscheidungen [kann] nur durch die Regierungspraxis des konsensualen Regierens kompensiert werden.“24
Dementsprechend muss der „Europäische Sozialkonsens“ gemeinsame Entscheidungen und eine verbesserte Koordinierung der Politiken erlauben, rechtlich abgesichert sein und über ein entsprechendes Instrumentarium verfügen. Traditionell wurde – gerade im sozialen Bereich – in der Regel zusammengearbeitet nach den Prinzipien der Koordinierung Harmonisierung Konvergenz.
Den „Konsens“ dagegen hat man noch nicht für sich entdeckt und genutzt. Ein solcher „Europäischer Sozialkonsens“ in Form eines dynamischen mehrstufigen Prozesses könnte das geeignete Mittel zur Erreichung eines „Europäischen Sozialmodells“ bzw. einer stringenten Sozialpolitik sein. Mit dem Konzept einer „Konsenslösung“ könnte ein Paradigmenwechsel erzielt werden, der es erlaubt, eine eigenständige Sozialpolitik zu formen, und dessen Vorteil es wäre, dass er die erforderliche gemeinschaftliche Politikbestimmung und -weiterentwicklung mit der von den Mitgliedstaaten gewünschten Flexibilität bei der Berücksichtigung nationaler systemimmanenter Eigenheiten kombiniert. Ähnlich der Binnenmarktstrategie müsste eine zweite Strategie mit sozialen Inhalten formuliert werden, die einen wirklichen Gegenpol zu den vorrangig wirt23 Vgl. dazu Hergenhan, Jutta, Le fédéralisme allemand et la construction européenne, S. 17. 24 Knodt, Michèle, Regieren im erweiterten europäischen Mehrebenensystem, S. 37.
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
schaftlich ausgerichteten Inhalten bildet, denn der Strategie ist bereits inhaltlich auch eine gewisse Nachhaltigkeit immanent. Wenn also feststeht, dass grundsätzlich die soziale Dimension einen wichtigen Bestandteil der europäischen Integration darstellt25, und ebenfalls nachgewiesen wurde, dass bislang die Entwicklung der europäischen Sozialpolitik nicht stringenten Regeln folgte, fragt sich, wie dies auf dem Konsensweg erreicht werden kann. Das Modell eines „Europäischen Sozialkonsenses“ ist der Mittelweg zwischen den bereits beschriebenen Vorschlägen. Es vereinigt verbindliche mit unverbindlichen Elementen und gestattet den Mitgliedstaaten, eine echte Gestaltung der Sozialpolitik voranzutreiben, ohne sich gleichzeitig der Kompetenzen in Gänze zu begeben. Damit kann der „Europäische Sozialkonsens“ definiert werden als Verfahren, in dem die Mitgliedstaaten auf Ebene des Europäischen Rates einvernehmlich festlegen, welche konkreten Ziele zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ erreicht werden sollen, und die Institutionen der Europäischen Gemeinschaft dann das gesamte zur Verfügung stehende rechtliche Instrumentarium inhaltlich und verfahrensmäßig nutzen, um mit Hilfe des „Europäischen Sozialkonsenses“ das „Europäische Sozialmodell“ weiterzuentwickeln. Der hier vorgeschlagene „Europäische Sozialkonsens“ ist ein dreistufiges Verfahren. Die drei Stufen sehen vor: 1. Rahmensetzung in Form des Konsenses zwischen den Mitgliedstaaten auf der Ebene des Europäischen Rates. 2. Festlegung der anzuwendenden Verfahren und entsprechenden Instrumente unter Berücksichtigung der gegebenen Kompetenzen. 3. Konkrete Umsetzung der konsensfähigen Ziele unter Berücksichtigung der vertraglich vorgesehenen Verfahren und unter Einbeziehung aller Beteiligter auf den verschiedenen Ebenen.
b) Konsens 28. THESE: Der Konsens als erstes Element des Gesamtprozesses eines „Europäischen Sozialkonsenses“ dient der Willensbildung zwischen den Mitgliedstaaten.
Der Konsens als erstes Element des dreistufigen Gesamtprozesses definiert den Rahmen des „Europäischen Sozialmodells“ und der Maßnahmen, die gemeinschaftlich angegangen werden sollen.
25 Vgl. dazu Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 92.
3. Konstrukt eines „Europäischen Sozialkonsenses“
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aa) Elemente der 1. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ In einem ersten Schritt wird dazu seitens der Europäischen Kommission eine Bestandsaufnahme erarbeitet, die einen Überblick erlaubt über das bereits bestehende Regelwerk. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass offensichtlich erste Ansätze solcher – wenn auch zur Zeit noch auf Teilbereiche begrenzte – Bestandsaufnahmen und Reflektionen zur Straffung des ordnungspolitischen Umfelds stattfinden, wie die Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds im Rahmen der Umsetzung des Lissabon-Programms zeigt.26 Außerdem wird eine Bedarfsanalyse durchgeführt, in welchen Bereichen aktive Sozialpolitik erforderlich wäre, um das „Europäische Sozialmodell“ weiterzuentwickeln. Anhand dieser Übersicht kann dann der Europäische Rat entscheiden, in welchen Bereichen er entweder etwas ändern oder neu schaffen möchte. Anschließend legt er entsprechend der politischen Notwendigkeit fest, in welchen Bereichen des „Europäischen Sozialmodells“ eine Weiterentwicklung bzw. Vertiefung erreicht werden soll. Im Rahmen seiner politischen Führungsrolle ist er auch grundsätzlich die richtige Ebene zur Konsensfindung und der richtige Akteur. Dies entspricht im Ergebnis auch den Vorschlägen des Berichts der Mandelkern-Gruppe, wonach die Konsensfindung auf der höchsten politischen Ebene stattfinden soll, eben auf der Ebene des Europäischen Rates. Dieses Verfahren widerspricht nicht dem Prinzip, dass die Europäische Kommission das alleinige Initiativrecht hat. Der Europäische Rat legt lediglich den Rahmen fest, wie in Art. 4 EUV vorgesehen. Die Detailvorschläge kommen dann in der üblichen Verfahrensweise von der Europäischen Kommission auf der Grundlage der vertraglichen Ermächtigungsgrundlagen. Im Rahmen des Konsensprozesses kann auch entschieden werden, welche politischen Ziele man gemeinsam erreichen möchte und auf welcher Ebene sie umgesetzt werden sollen. Dabei kann gleichzeitig die ganz grundsätzliche Frage geklärt werden, wie viel „europäische Sozialpolitik“ man sich leisten kann und will. Es wird entscheidend bei der Rahmensetzung durch die Staats- und Regierungschefs darauf ankommen zu definieren, ob sie nur das gemeinsam angehen möchten, was im Rahmen einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung erforderlich ist oder ob sie darüber hinausgehende gemeinsame Ziele im Sinne einer eigenständigen sozialpolitischen Säule definieren möchten. Dabei sollte das Prüfverfahren in Anlehnung an Fischer / Giering27 auf zwei Ebenen konzentriert werden: 26 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds, KOM (2005) 535 vom 25. 10. 2005.
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
Zunächst geht es darum, anhand der entsprechenden Kriterien zu klären, inwieweit die effektive Lösung bestimmter Probleme oder eine wirksame Wahrnehmung spezifischer Interessen überhaupt ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten erfordert. Dafür spricht, wenn einzelne Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen überfordert (Kapazität), durch einzelstaatliche Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten negativ betroffen sind bzw. ohne eigenes Zutun profitieren oder durch gemeinsame Maßnahmen ein Vorteil für mehrere Mitgliedstaaten entsteht (Mehrwert). Soweit dies der Fall ist, wäre in einem zweiten Schritt zu prüfen, in welche Kategorie diese Aufgabe fällt (Reichweite), ob die bestehenden Politiken und Vertragsziele dadurch nicht nachteilig berührt werden und ob dazu alle Mitgliedstaaten willens und bereit sind (Differenzierung). Zudem wäre das Ergebnis mit den Erwartungen der Bürger in diesem Bereich abzugleichen (Akzeptanz). Angesichts der Tatsache, dass die soziale Dimension nach den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden nach Aussage des britischen Premierministers Tony Blair in seiner Rede zum Antritt der Ratspräsidentschaft vor dem Europäischen Parlament am 23. Juni 200528 auf den ersten Platz der Tagesordnung gerückt ist, steht eine Entscheidung über die Zukunft des „Europäischen Sozialmodells“ in jedem Fall an. Dafür spricht auch die ebenfalls von Tony Blair im Dezember 2005 präsidierte Konferenz zu diesem Thema und die entsprechenden Verlautbarungen der deutschen Ratspräsidentschaft, im Rahmen einer Ministerkonferenz das „Europäische Sozialmodell“ erneut zu diskutieren.29 Damit könnte es auch zu der längst fälligen und notwendigen Grundsatzentscheidung kommen, ob weiterhin lediglich die sozialpolitische Flankierung des Binnenmarktes in ihrer Kategorisierung als „spillover“ der wirtschaftlichen Integration30 oder eine eigene und willensgesteuerte Politikentwicklung gewollt ist. Es könnte geklärt werden, ob man den faktischen Integrationszwängen folgen will, die Anpassungen nach sich ziehen oder prospektivisch im Sinne einer echten gemeinsamen Politik handeln will. Die Fixierung auf die wirtschaftliche Notwendigkeit würde den altbekannten und oben beschriebenen Schemata folgen und lediglich eine Fortsetzung der historischen Entwicklung der sozialen Dimension darstellen.
Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 13. Deutscher Text der Rede unter: http: //www.number-10.gov.uk/output/Page7720.asp.\ 29 Programm der deutschen Ratspräsidentschaft, Europa gelingt gemeinsam, 1. Januar – 30. Juni 2007, S. 13. 30 Heidenreich, Martin, Die Entwicklung eines „Sozialen Europa“, Otto-Friedrich Universität Bamberg, Folienvortrag; so auch Hemerijk, Anton / Berghman, Jos, The European social patrimony – deepening social Europe through legitimate diversity, S. 9. 27 28
3. Konstrukt eines „Europäischen Sozialkonsenses“
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Die Definition neuer Ziele, die auch ohne wirtschaftlichen Druck erreicht werden, würde demgegenüber eine wirkliche Neuerung und Vertiefung des Sozialmodells darstellen, da sie ihm eine bislang nie dagewesene Dimension verleiht. Mit der Schaffung einer eigenen „sozialen Komponente“ könnte Europa in dieser Beziehung einen wirklichen Schritt nach vorne machen.
bb) Kompetenzgrundlage des Konsenses Die Kompetenz des Europäischen Rates könnte sich aus Art. 4 S. 1 EUV ergeben, wonach er der Europäischen Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse gibt und die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung festlegt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dies auch für die Sozialpolitik gilt. In Art. 13 EUV ist explizit festgelegt, dass der Europäische Rat „die Grundsätze und die allgemeinen Leitlinien der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt“. Art. 99 Abs. 2 EGV regelt seine Zuständigkeiten im Rahmen der Wirtschaftspolitik und für die Beschäftigungspolitik greift der Art. 128 EGV. Die Sozialpolitik hat – anders als diese drei Politikbereiche – keine ausdrückliche Erwähnung gefunden. Aus der Formulierung des Art. 4 S. 1 EUV ergibt sich aber, dass er auch die allgemeinen politischen Zielvorstellungen festlegt, ohne durch die Spezialzuweisungen hieran gehindert zu sein. Diese Zielsetzungen finden sich in Art. 2 EUV. Im 1. Spiegelstrich wird „die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie die Herbeiführung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung, insbesondere durch Schaffung eines Raums ohne Binnengrenzen, durch Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts . . .“ ausdrücklich erwähnt. Die ausdrückliche Erwähnung des sozialen Fortschritts ergibt in Verbindung mit Art. 4 S. 1 EUV die rechtliche Grundlage für die Zielbestimmung auch in sozialen Fragen. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum die Sozialpolitik ausgeklammert sein sollte aus den Zuständigkeiten des Europäischen Rates. Die ausdrücklichen Verantwortlichkeiten in der Beschäftigungspolitik zeigen, dass hier zumindest schon ein traditionell der Sozialpolitik zugerechneter Bereich explizit geregelt wurde. Damit hat der Europäische Rat grundsätzlich die Möglichkeit, auch im sozialpolitischen Bereich als Richtungsgeber tätig zu werden.
cc) Vorteile des Konsensverfahrens Dieses Verfahren hat auch den Vorteil einer – wenn auch informellen – sehr frühen Beteiligung des Europäischen Parlaments. Es hat sich eingebürgert, dass
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der Präsident des Europäischen Parlaments zu Beginn der Tagung die Gelegenheit erhält, den Standpunkt des Europäischen Parlaments zu den wesentlichen Punkten der Tagungsordnung des Europäischen Rates zu erläutern.31 Es schließt auch nicht die beratenden Ausschüsse oder sonstigen Akteure in ungebührlicher Art aus dem Entscheidungsprozess aus. Sie werden im normalen Verfahren beteiligt, wenn es zu konkreten Vorschlägen kommt. Ein weiteres wichtiges Argument, das für diese Vorgehensweise spricht, ist die relative „Ferne“ der Europäischen Kommission von der nationalen Situation in den Mitgliedstaaten. Sie hat keine direkten Informationszentren in den Mitgliedstaaten und ist insoweit auf die Informationsbeschaffung über dritte Stellen (Ständige Vertretungen der Mitgliedstaaten, Interessengruppen, Experten etc.) angewiesen. Damit ist es ihr rein praktisch gar nicht möglich, auf die aktuellen Strömungen und Trends zeitnah einzugehen. Dies können aber die Staats- und Regierungschefs vor dem Hintergrund der genauen Kenntnis der politischen und wirtschaftlichen Situation der von ihnen repräsentierten Länder berücksichtigen. Die Festlegung der Sozialpolitik im Rat der Europäischen Union würde insoweit nicht weiterhelfen. Die Pflichten und Rechte des Rates kommen gem. Art. 5 EUV und Art. 202 EGV im Rahmen der Verwirklichung der Vertragsziele und seiner Entscheidungsbefugnisse zum Tragen. Damit wird er im Verfahrensablauf im sozialpolitischen Bereich erst zu einem späteren Zeitpunkt einbezogen. Dafür spricht auch folgende Überlegung: Die Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ würde verfahrensmäßig nicht nur im Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucher stattfinden können. Vielmehr müssten auch andere Fachministerräte einbezogen werden, die wiederum von den spezifischen – und in der Regel anders gelagerten – Interessen der Ratskonstellation beeinflusst wären. Der Rat „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucher“ dürfte andere Schwerpunkte haben als der Rat „Bildung, Jugend und Kultur“ oder als die Räte, die mit wirtschaftlichen Themenstellungen befasst sind. dd) Verfahren in der 1. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ Eine wichtige im Zusammenhang mit dem Konsensmodell zu klärende Frage ist, nach welchem Verfahren die Konsensfindung ablaufen soll. Für den Europäischen Rat ist vertraglich weder ein besonderes Verfahren der Vorbereitung noch der Durchführung vorgeschrieben. „Entscheidungen“ werden grundsätzlich im Konsens getroffen, in Verfahrensfragen wurde jedoch auch schon zum Instrument der Mehrheitsentscheidung gegriffen.32 31 Bitterlich, Joachim, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 4 EUV Rdnr. 10.
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Für das hier vorgeschlagene Konsensmodell bietet sich – nicht nur der Namensgebung wegen – der Konsens an. Er stellt sicher, dass die Mitgliedstaaten die definierten Ziele nicht nur alle wollen, sondern auch im weiteren Verlauf unterstützen werden. Das Instrument des Konsenses erfordert einen Kompromiss zwischen gemeinschaftsweiten Regelungen und der Abwehr übermäßiger Zentralisierungsbestrebungen. Damit schafft es den erforderlichen und gleichzeitig erwünschten Ausgleich zwischen europäischen und nationalstaatlichen Interessen. Gleichzeitig verhindert der Konsens, dass Initiativen vorgeschlagen werden, die später im Ministerrat auf Widerstand stoßen. Wenn bereits auf Ebene der Staats- und Regierungschefs Einigkeit über die Notwendigkeit einer Regelung besteht, wird die Akzeptanzfähigkeit im Ministerrat erhöht. Dies ist in diesem Zusammenhang nicht im Sinne einer „Vorentscheidung“ zu verstehen, zu der der Europäische Rat nicht befugt wäre, da er hier nur „richtungsweisend“ tätig wird. Nach der hier vertretenen Ansicht ist er zu verstehen als „Abklärung der generellen Bereitschaft, ein bestimmtes sozialpolitisches Problem gemeinsam zu lösen, anstatt es der einzelstaatlichen Regulierung zu überlassen“. Da in diesem Rahmen auf der Basis des Konsensprinzips beschlossen werden soll, wie es der Sinn eines „Konsenses“ im Gegensatz zu einer „Abstimmung“ ist, werden auch die nationalstaatlichen Interessen gewahrt. Der Konsens ist auch das übliche Verfahren, das im Rahmen der Tagungen des Europäischen Rates angewandt wird. Es gibt keine spezifischen Verfahrensregeln für die Entscheidungsfindung im Europäischen Rat (Ausnahme: Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2, S. 2 EUV) und aufgrund seiner fehlenden Identität mit dem Rat der Europäischen Union ist er auch nicht an dessen Geschäftsordnung33 gebunden. In der Praxis spricht jedoch viel für ein Einstimmigkeitserfordernis, wofür insbesondere mit seiner überragenden politischen Verantwortung und dem besonderen politischen Stellenwert seiner Grundsatzentscheidungen argumentiert wird.34 Es kann zwar nicht übersehen werden, dass das Erfordernis eines zu findenden Konsenses auch eine gewisse Gefahr in sich birgt. Es erlaubt einem einzelnen Staat eine Blockadepolitik, wenn er sich einer vorgeschlagenen Initiative verweigern will. Trotzdem überwiegen die Vorteile des Konsensverfahrens diese Gefahr. 32 Bitterlich, Joachim, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 4 EUV Rdnr. 8. 33 Beschluss des Rates vom 22. März 2004 zur Festlegung seiner Geschäftsordnung, ABl. EU L 106 / 22 vom 15. 04. 2004. 34 Pechstein, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 5 EUV Rdnr. 12; Bitterlich, Joachim, in: Lenz, Carl Otto / Borchardt, Klaus-Dieter, Kommentar zu dem Vertrag über die Europäische Union, Art. 5 EUV Rdnr. 9; Haltern, Ulrich, S. 90; vgl. zur Führungsrolle des Europäischen Rates allgemein Ludlow, Peter, Die Führung der Europäischen Union durch den Europäischen Rat: Übergang oder Krise?, in: integration 1 / 05, S. 3 ff.
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
Durch den „Europäischen Sozialkonsens“ werden die Probleme auf der richtigen Ebene – der Ebene der Staats- und Regierungschefs – deutlich und nicht erst in einem Stadium, in dem zu viele unterschiedliche Interessen ins Spiel gebracht werden können. Da der Konsens auch keine rechtliche Bindungswirkung mit Blick auf die spätere Entscheidung im Rat der Europäischen Union entfaltet, kann dort mit den erforderlichen Mehrheiten jede Maßnahme abgelehnt werden. Damit besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass eine Einigung im Europäischen Rat erzielt werden kann. Sollte sie nicht erzielt werden, kann man davon ausgehen, dass sie im Laufe des späteren Verfahrens blockiert würde. In diesem Fall hätte ein „Überstimmen“ auf der Ebene des Europäischen Rats keinen Sinn. ee) Verbindlichkeit Eine weitere zu klärende Komponente des Konsensmodells ist der Grad seiner Verbindlichkeit. Die Fixierung der Ziele auf der Ebene des Europäischen Rates ist nur sinnvoll, wenn sie in ihrer Verbindlichkeit über die bereits bestehende „Sozialpolitische Agenda“ hinausgeht. Die „Sozialpolitische Agenda“35 hat lediglich den Charakter eines „Fahrplans“ mit geringer Bindungswirkung. Der im Europäischen Rat zu findende Konsens ist demgegenüber verbindlicher, da er getragen wird vom politischen Willen der Staats- und Regierungschefs.36 Dies wird gestützt durch Art. 4 EUV, wonach der Europäische Rat die allgemeinen politischen Zielvorstellungen festlegt. Damit kann der Europäische Rat politische Grundsatzentscheidungen für die gesamte Europäische Union treffen. Die Bindungswirkung dieser Grundsatzentscheidungen ist von äußerst intensiver politischer Natur.37 Insoweit erlangt der „Europäische Sozialkonsens“ den erforderlichen Grad politischer Verbindlichkeit. Damit kann festgestellt werden, dass der Europäische Rat die richtige Ebene zur Umsetzung der ersten Stufe des „Europäischen Konsensmodells“ ist. Der Europäische Rat hat, soweit ersichtlich, von dieser Möglichkeit aber noch nie Gebrauch gemacht.
35 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission „Sozialpolitische Agenda“ KOM (2005) 33 endg. vom 09. 02. 2005. 36 Streinz, Rudolf, Europarecht, Rdnr. 321. 37 Pechstein, Matthias, in: Streinz, Rudolf, EUV / EGV – Kommentar, Art. 4 EUV Rdnr. 2 ff.
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c) Festlegung der entsprechenden Instrumente und des angewandten Verfahrens in der 2. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ 29. THESE: Der „Europäische Sozialkonsens“ ermöglicht es in seiner zweiten Stufe, neben Zielen auch die geeigneten Instrumente und Methoden zur Erreichung der definierten Vorgaben festzulegen.
In der zweiten Stufe findet die Festlegung der anzuwendenden Verfahren und Instrumente statt.
aa) Elemente der 2. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ In diesem zweiten Schritt wird die Europäische Kommission zum Hauptakteur. Nach Festlegung der politisch verbindlichen Ziele, die im Rahmen des Konsenses im Europäischen Rat erreicht werden sollen, ist es Aufgabe der Europäischen Kommission auf der Grundlage ihres Initiativrechts, in einer nächsten Phase einen Vorschlag auszuarbeiten, wie die politisch verbindlichen Ziele insbesondere unter rechtlichen Aspekten umgesetzt werden sollen. Dabei sollte die Europäische Kommission zusätzlich einen Fahrplan erstellen, der detailliert beschreibt, mit Hilfe welcher Maßnahmen die jeweiligen Ziele erreicht werden sollen. Insoweit kann das gesamte Spektrum der verbindlichen und unverbindlichen Instrumente genutzt werden. Dabei stehen unterschiedliche Handlungsformen zur Verfügung: Soweit bereits vorhandene Regelungen lediglich modifiziert oder abgeschafft werden, weil sie nicht mehr erforderlich sind, ist dies unproblematisch, da die Rechtsgrundlagen bereits vorhanden sind. Soweit es sich um neue Regelungen handelt, gilt es, das vorhandene rechtliche Instrumentarium optimal zu nutzen.
bb) Handlungsformen Dabei können drei in ihrer Intensität unterschiedliche Handlungsformen angewandt werden: Vollständige Harmonisierung: vollständige Vereinheitlichung nationaler Sozialnormen und Institutionen auf höchstem Niveau. Koordinierung: Minimalstrategie, der die Verwirklichung des Binnenmarktes als Maßstab sozialpolitischer Maßnahmen dient.
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
Konvergenz: Strategie der funktionalen Angleichung der Systeme, ohne jedoch auf eine institutionelle Harmonisierung abzuzielen. 38
Die jeweils adäquaten und entsprechend anzuwendenden Verfahren ergeben sich unmittelbar aus dem Vertragswerk (z. B. Art. 249 ff. EGV), ferner ist an den Sozialen Dialog39 (Art. 138 f. EGV) zu denken oder den Einsatz der Offenen Methode der Koordinierung40, um nur einige Beispiele zu nennen. cc) Rechtsgrundlagen Da sich ein künftiger Europäischer Sozialkonsens in erster Linie an den rechtlichen Vorgaben der Verträge orientieren und alle dort vorhandenen Möglichkeiten nutzen sollte, damit eine Vertrags- bzw. Verfassungsänderung nicht erforderlich wird, ist auf die Frage zurückzukommen, ob insoweit ein ausreichendes rechtliches Instrumentarium zur Verfügung steht. Hier liegt eine weitere Neuerung im Rahmen des Verfahrens des „Europäischen Sozialkonsenses“. Bislang ist von der überwiegenden Meinung vertreten worden, dass die „Soziale Dimension“ zu schwach ausgebildet ist und die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichen, um das „Europäische Sozialmodell“ stringent, sachgerecht und verbindlich weiterzuentwickeln.41. So führt Mäder42 zum Beispiel aus: „Sozialrechtspolitische Aspekte zur Frage eines europäischen Arbeits- und Sozialrechts sind die Folgewirkung der wieder belebten Diskussion über diese [soziale] Dimension. Eine Harmonisierung oder umfassende Konvergenz des Rechts gehört nicht zum Kernbereich der sozialen Dimension, nur die Kohärenz und punktuelle Konvergenz, soweit diese wiederum zur Verwirklichung der sozialen Dimension, so wie die Europäische Kommission sie versteht, notwendig ist. Der EG-Vertrag, auch in der durch die EEA geschaffenen Fassung, enthält kein selbständiges Konzept für die soziale Dimension des Binnenmarktes. Der Grund ist, dass er sie auch nicht geschaffen hat. Nach der EEA hat die Europäische Kommission diesen Begriff für sich nutzbar gemacht, ihn mit ihrer Strategie und ihrem Konzept ,belegt‘. Dabei ist es unbestritten, dass die Europäische Kommission Kompetenzen für die Sozialprogrammplanung und Planung sozialer Aufgaben mit Aktionsprogrammen mit europäischen Ausmaßen hat (Art. 211 EGV). 38 Klinke, Sebastian, Nationale Mindestsicherung und Europäische Sozialpolitik – eine Analyse europäischer Perspektiven der Mindestsicherung, S. 13. 39 Siehe oben unter VII.2. 40 Siehe oben unter VII. 4. 41 Vgl. dazu Ausführungen oben unter V. 42 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 25 ff.
3. Konstrukt eines „Europäischen Sozialkonsenses“
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Dies ist schon seit langem ,Verfassungswirklichkeit‘. Das rechtliche Instrumentarium des Titels „Sozialpolitik“ war vergleichsweise schon immer schwach ausgebildet.“ Mäder weist darauf hin, dass hier der bekannte Mechanismus greifen sollte, dass sich die soziale Situation automatisch verbessere, wenn die Wirtschaft floriere. Er räumt dann aber ein, dass man schon früher erkannt habe, dass dieser erhoffte Mechanismus nicht erfolgreich sei. Als Begründung zieht er das erste Sozialpolitische Aktionsprogramm43 heran, aus dem deutlich werde, dass der Rat anerkannt habe, dass zur Umsetzung der drei Hauptziele: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bzw. Vollbeschäftigung mit besserer Beschäftigung auf gemeinschaftlicher, einzelstaatlicher und regionaler Ebene Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und deren Angleichung auf dem Weg des Fortschritts Weitergehende Beteiligung der Sozialpartner an wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen der Gemeinschaft und der Arbeitnehmer am Leben der Unternehmen und Betriebe
alle Bestimmungen des Vertrages, einschließlich des Art. 308 EGV heranzuziehen und dass für die Verwirklichung dieser Ziele eigenständige Aktionen erforderlich seien. Mäder zieht daraus den Schluss, dass der politische Wille der Staats- und Regierungschefs zur Weiterentwicklung einer gemeinsamen Sozialpolitik zu einer für dieses Gebiet typischen Verhaltensweise führte, die ursprünglich als solche im Vertrag nicht vorgezeichnet war, und die darin bestehe, dass der Rat im Wege der Entschließung die Kommission mit der Ausarbeitung von Entwürfen für Rechtsakte der Gemeinschaft beauftrage. Damit sei dem Rat, der in Art. 118 EWGV nicht erwähnt ist, die ihm gemäße Rolle im Bereich der Sozialpolitik zugewiesen und es habe sich eine Verfahrensweise eingebürgert, die bis heute fortwirke. Wie im Verlauf der Arbeit, insbesondere unter V. 6. nachgewiesen wurde, ist diese Betrachtung zu einseitig und nutzt die vorhandenen rechtlichen Grundlagen nicht aus. Es ist zwar richtig, dass die im Kapitel „Sozialpolitik“ befindlichen rechtlichen Möglichkeiten die Sozialpolitik erheblichen Einschränkungen unterwerfen. Eine Gesamtschau auf das ganze Vertragswerk hat allerdings gezeigt, dass außerhalb des Sozialkapitels auch andere Rechtsquellen zu finden sind, auf die soziale Maßnahmen gestützt werden können. Die geschickte Ausnutzung dieses zur Verfügung stehenden Potentials wäre eine der Aufgaben, die der Europäischen Kommission zukommt.
43
Siehe dazu auch oben unter V. 6. c. (19).
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
dd) Prüfschema Sinnvoll wäre auch die Einführung eines allgemeinen verbindlichen Prüfschemas, das es der Europäischen Kommission erleichtert, die Entscheidung zu treffen, welche Initiativen letztlich unterbreitet werden sollen. Zunächst sollten auf der Grundlage der dem Europäischen Rat vorgelegten Bestandsaufnahme und dem vordefinierten Rahmen die bereits bestehenden Vorschriften daraufhin überprüft werden, ob sie noch aktuell und sinnvoll sind. Hierbei kann auch untersucht werden, ob festgelegte Standards angepasst werden müssen. Wenn dies der Fall ist, so können eventuelle Änderungen auf derselben Rechtsgrundlage vorgenommen werden, die bereits zum Erlaß der zu ändernden Vorschriften genutzt wurden. Im nächsten Schritt sollte entschieden werden, welche neuen Maßnahmen erforderlich und sinnvoll sind, um das „Europäische Sozialmodell“ umzusetzen. Dabei kann aus den vorhandenen Instrumentarien gewählt werden, wie z. B. dem „Sozialen Dialog“ oder es können bereits bestehende vertragliche Ermächtigungen (z. B. beim Arbeitsschutz) genutzt werden. Die Fragen, die dabei gestellt und beachtet werden müssen, lauten: „Welche Probleme sind vorrangig zu lösen?“ „Welche Maßnahmen bringen einen echten europäischen Mehrwert?“ „Welches Instrumentarium ist der Maßnahme angemessen?“ „Welche Folgeeffekte können entstehen?“ (Folgenabschätzung)
Ähnlich wie bei der obligatorischen Prüfung einer Initiative der Europäischen Gemeinschaft hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit sollten auch diese Punkte verbindlich sein. (1) Erforderlichkeit der Maßnahme Die Frage, welche Probleme vorrangig zu lösen sind, beschränkt den Umfang der Regelung auf das wirklich Notwendige und verhindert, dass es zu einer „Regelungsflut“ kommt. Sie verpflichtet zu einer genauen Analyse der Problemstellung und trägt somit dazu bei, dass man nach einem Überblick, der stets wissenschaftlich fundiert sein sollte, zum Kern der Problematik durchdringt. (2) Europäischer Mehrwert Den Mehrwert könnte man definieren als den Nutzen, der über die rein nationale Problemlösung hinausgeht bei gleichzeitigem Erreichen eines besseren Ergebnis-
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ses auf europäischer Ebene. Die Beantwortung dieser Frage ist vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass es nicht darum geht, nationale Probleme zu lösen, sondern nur dort korrigierend tätig zu werden, wo wirklich alle Mitgliedstaaten betroffen sind44 und es eines gemeinsamen europäischen Ansatzes bedarf, um ein gemeinsames Problem zu klären. (3) Angemessenheit und Subsidiarität Die Subsidiarität ist geregelt in Art. 5 EGV, wobei für den Bereich der sozialen Regelungen insbesondere der Absatz 2 von Bedeutung ist, der sich auf die nicht ausschließlichen Zuständigkeiten bezieht, da gerade die sozialen Kompetenzen in der Regel hier angesiedelt sind45. Nach Art. 5 Abs. 3 EGV dürfen die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das für die Erreichung der Ziele des Vertrags erforderliche Maß hinausgehen. Durch diese Regelung hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ebenfalls Eingang in das Primärrecht gefunden.46 Der Grundsatz der Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme dürfen in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden. Wenn sich herausstellt, dass ein bestimmtes Problem zwar in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten auftaucht, aber besser dadurch gelöst werden kann, dass man nationale, der spezifischen Situation angepasste Regelungen einführt, ist es nicht zulässig, eine europäische Lösung zu bemühen. Das Subsidiaritätsprinzip erhält im Zusammenhang mit der Sozialpolitik zweifach besondere Bedeutung. Da die Gemeinschaft aus dem Kapitel „Sozialpolitik“ nur beschränkte Zuständigkeiten herleiten kann, befinden sich weite Teile der Sozialpolitik noch stets in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. In diesem Rahmen ist der Grundsatz der Subsidiarität in die Prüfung einzubeziehen. Da die Sozialpolitik nicht dem ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft zuzuordnen ist, stellt sie eine dem Subsidiaritätsprinzip unterliegende Kooperationspolitik dar47. Deshalb liegt es nach Kliemann48 nahe, in einigen Fällen, in denen das Subsidiaritätsprinzip einer Gemeinschaftstätigkeit entgegensteht, auf die Generalklauseln zurückzugreifen. Sofern dies stattfindet, ergibt sich eine 44 Für die Betroffenheit aller Mitgliedstaat spricht die Tatsache, dass Ausnahmen äußerst selten sind (z. B. Großbritannien, das sich eine Zeitlang von den Sozialregeln ausschloss). Ließe man zu viele Ausnahmen zu, würde die Gemeinschaft sich vor „Sonderregelungswünschen“ nicht retten können, und die einheitliche Geltung der Regelungen wäre gefährdet. 45 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 5 EGV Rdnr. 22. 46 Vgl. dazu ausführlich Kuhn, Heike, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, S. 65 ff. 47 Streinz, Rudolf, in: EUV / EGV – Kommentar, Art. 5 EGV Rdnr. 22. 48 Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 63 f.
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
weitere Prüfkonstellation. In den Fällen, in denen auf die Art. 94 und 308 EGV zurückgegriffen werden muss, wenn eine weitergehende Regelung gewollt ist, stellt sich die Frage, ob das Subsidiaritätsprinzip überhaupt für die Art. 94 und 308 EGV gilt. In der Literatur49 wird vertreten, dass das Subsidiaritätsprinzip gerade keine Anwendung findet, da beide auf den Gemeinsamen Markt als zu erreichendes Ziel abstellen und dieser eindeutig in die Alleinzuständigkeit der Gemeinschaft falle. Damit fielen auch auf Art. 94 und 308 EGV gestützte Maßnahmen in die Alleinzuständigkeit der Gemeinschaft und unterlägen nicht dem Subsidiaritätsprinzip. In der Konsequenz würde man damit Regelungen, die im sozialpolitischen Bereich auf die Art. 94 und 308 EGV gestützt werden, dem Subsidiaritätsprinzip entziehen. Dieser Argumentation ist allerdings mit Kliemann50 zu widersprechen, da das Subsidiaritätsprinzip vorab zu prüfen ist, nämlich bereits dann, wenn zu entscheiden ist, ob eine neue Maßnahme der Rechtsangleichung vorzuschlagen ist. Ansonsten würde man in die Gefahr geraten, wie Calliess51 darstellt, stets einen Bezug zum Binnenmarkt zu konstruieren und damit das Prinzip an sich leer laufen lassen. Richtig ist auch, dass eine solche Interpretation der grundsätzlichen Struktur der Sozialpolitik auf europäischer Ebene zuwiderliefe. Unabhängig davon, welchen Stellenwert man der Sozialpolitik einräumt, lediglich flankierend oder zunehmend integrierend, Einigkeit herrscht jedenfalls insoweit, dass sie immer noch in erster Linie den Mitgliedstaaten zuzuordnen ist. Dieser Grundsatz kann und sollte nicht durch die Art. 94 und 308 EGV ausgehebelt werden. Deshalb muss es folgerichtig zur Beachtung des Subsidiaritätsprinzips bei Anwendung der Art. 94 und 308 EGV im sozialpolitischen Bereich kommen. (4) Instrumentarium Es sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass die Mitgliedstaaten gerade im sozialen Bereich noch immer stark national ausgerichtet sind und die Bereitschaft eher zur nationalen als zur europäischen Konfliktlösung tendiert.52 In diesem Zusammenhang muss man sich nochmals die bereits angesprochene „Mehrdimensionalität“ der Sozialpolitik vor Augen führen. Die Tatsache, dass Sozialpolitik auf mehreren Ebenen stattfindet, führt dazu, dass, solange keine eindeutiKliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 63 f. m. w. N. Kliemann, Anette, Die europäische Sozialintegration nach Maastricht, S. 64. 51 Calliess, Christian, in: Calliess, Christian / Ruffert, Matthias, Kommentar zu EUV und EGV, Art. 5 EGV Rdnr. 24. 52 Vgl. dazu Ruhenstroth-Bauer, Peter, Die europäische Situation sozialer Dienste aus nationaler Sicht, S. 49. 49 50
3. Konstrukt eines „Europäischen Sozialkonsenses“
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gen Kompetenzverschiebungen erfolgen, eine „Mehrebenen-Politik“53 stattfindet, die sich wie folgt darstellt: „Europäische“ Ebene Nationale „mitgliedstaatliche“ Ebene, mit den Unterebenen – Regionen – Örtliche / kommunale Ebene – Nicht-staatliche „Wohlfahrts“-Ebene:
– Sozialpartner – Autonome Sozialleistungsträger – Soziale Organisationen – Soziale NGO’s – Privat / gewerblich / kommerzielle Leistungserbringer. Damit treffen in der Konsequenz verschiedene Politiken aufeinander: die europäische Politik, die nationale Politik und die Politik der regionalen / lokalen Ebene sowie die Interessen der Wohlfahrtsverbände. Alle Politiken und zum Teil gegenläufigen Interessen müssen synchronisiert werden, was im Rahmen des Konsensmodells geschehen soll. Die Wahl des Instrumentariums wird damit zu einer Kernfrage. Bislang wurde das unter V. bereits beschriebene vielfältig vorhandene Instrumentarium mehr oder weniger ziellos und unkoordiniert eingesetzt. Eine Festlegung der zu wählenden Maßnahmen könnte hier Abhilfe schaffen und dazu beitragen, dass das Instrumentarium künftig zielgerichteter eingesetzt und damit effektiver genutzt wird. Gerade bei der Wahl des Instrumentariums steht eine große Bandbreite sowohl rechtlich verbindlicher als auch unverbindlicher Maßnahmen (von Richtlinien bis zu Grünbüchern, dem Sozialen Dialog bis zu Mainstream-Ansätzen54) zur Verfügung, die den Mitgliedstaaten auf der Basis des Konsenses ausreichende Flexibilität bei der Umsetzung der Maßnahmen einräumt. Einzelstaatlichen Rechtstraditionen und sozialrechtlichen Unterschieden kann damit ausreichend Rechnung getragen werden.55
53 Vgl. dazu Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik nach Nizza, S. 42 f.; Knodt, Michèle, Regieren im erweiterten europäischen Mehrebenensystem, S. 31 ff. 54 Mainstream-Ansatz = Förderung der Einbeziehung einer bestimmten Politik in alle Politikbereiche und Programme der Europäischen Gemeinschaft, der Regierungen der Mitgliedstaaten und sonstiger Beteiligter. 55 Vgl. dazu auch Fischer, Thomas / Giering, Claus, Ein zukunftsfähiges Europa, S. 9 ff.
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XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“
(5) Folgenabschätzung Die Frage nach den möglichen Folgeeffekten muss ebenfalls sorgfältig geprüft und beantwortet werden56. In der Vergangenheit wurde diesem Faktor vielfach nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. In der Folge kam es zu negativen Auswirkungen bestimmter Regelungen, die nicht bedacht worden waren. Ein Beispiel ist die Mobilität der Arbeitskräfte. Ursprünglich war sie geplant als Möglichkeit für alle EU-Bürger, in jedem beliebigen Mitgliedsland einer Beschäftigung nachgehen zu können, und wurde später, bei steigenden Arbeitslosenquoten, als Chance angepriesen, Arbeit zu finden, wo sie angeboten wird. Die Freizügigkeit ist ein Mittel zur Schaffung eines europäischen Arbeitsmarktes und soll zum Vorteil der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Mitgliedstaaten zur Errichtung eines flexibleren und effizienteren Arbeitsmarktes beitragen. Die Arbeitskräftemobilität bietet dem Einzelnen bessere Berufsaussichten und ermöglicht es den Arbeitgebern, geeignete Arbeitskräfte zu finden. Sie trägt in hohem Maße dazu bei, effiziente Arbeitsmärkte und eine hohe Beschäftigungsquote zu erhalten.57 Trotz einiger Harmonisierungen und Erleichterungen, zum Beispiel im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Diplomen, wurde die Freizügigkeit in der Praxis kaum genutzt.58 Die Europäische Kommission selbst räumt ein, dass die Unionsbürger derzeit bei der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit noch mit vielen praktischen, administrativen und rechtlichen Hindernissen konfrontiert sind. Dadurch wird eine volle Nutzung der Vorteile und Möglichkeiten einer geografischen Mobilität durch die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber verhindert.59 Einer der Hauptgründe dafür, neben den allgemeinen Faktoren wie mangelnden Sprachkenntnissen und geringer Bereitschaft, sich in einen völlig neuen Lebensraum zu begeben, war die fehlende Harmonisierung in wichtigen sozialen Bereichen, wie z. B. die Übertragbarkeit der Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung.60 Wenn, wie dies lange der Fall war, die Übertragbarkeit der Renten nicht 56 Vgl. dazu European Commission, Impact Assessment Guidelines, SEC (2005) 791 vom 15. Juni 2005. 57 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Volle Nutzung der Vorteile und Möglichkeiten, KOM (2002) 694 endg. vom 11. 12. 2002. 58 Zwar sind 1 / 3 der Europäer in ihrem Leben zumindest einmal aus ihrer Herkunftsregion weggezogen, von diesem Drittel haben sich aber nur lediglich 4 % in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen, so: Europäische Gemeinschaften, Europäer und Mobilität, erste Ergebnisse einer EU-weiten Erhebung, Eurobarometer-Erhebung zur geografischen und beruflichen Mobilität, 2006, S. 1. 59 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Volle Nutzung der Vorteile und Möglichkeiten, KOM (2002) 694 endg. vom 11. 12. 2002, S. 4. 60 Vgl. dazu Europäische Kommission, Zweite Stufe der Anhörung der Sozialpartner zur Portabilität von Ansprüchen aus der betrieblichen Altersversorgung, SEC (2003) 916 vom 12. September 2003; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen, KOM (2005) 507 endg. vom 20. 10. 2005.
4. Konkrete Umsetzung der Maßnahmen
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sichergestellt ist, wird ein Arbeitnehmer keinen Anreiz in einer Beschäftigung außerhalb seines nationalen Systems unter Einbußen bei der Alterssicherung sehen. Zu den Folgeeffekten gehört auch, in einem Mainstream-Ansatz auf die Verflechtung mit anderen Politikbereichen zu achten und deren wechselseitige Beeinflussungen zu berücksichtigen. Damit kann festgestellt werden, dass in der zweiten Stufe des Konsensmodells die Europäische Kommission der Hauptakteur ist und die Verantwortung trägt für die Auswahl des Instruments und die konkreten Vorschläge, die dann letztlich unterbreitet werden.
4. Konkrete Umsetzung der im Konsensweg vereinbarten sozialpolitischen Maßnahmen Nach der im ersten Schritt erfolgten politischen Konsensfindung und der Arbeit der Europäischen Kommission im Rahmen des zweiten Schritts einigen die Mitgliedstaaten sich, diesmal auf Ebene des Rates der Europäischen Union und unter Beteiligung des Europäischen Parlaments sowie der Einbeziehung anderer Akteure, im dritten und letzten Schritt entsprechend Art. 205 ff. EGV, welche dieser Vorschläge konkret beschlossen werden sollen.
a) Elemente der 3. Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ Diese dritte Stufe des „Europäischen Sozialkonsenses“ ist keinen Neuerungen oder Besonderheiten unterworfen. Sie folgt nach Vorlage eines entsprechenden Vorschlags seitens der Europäischen Kommission den normalen, im Vertragswerk in den Art. 249 ff. EGV vorgesehenen Vorschriften und Verfahren. Dabei werden die anderen Akteure, insbesondere das Europäische Parlament, aber auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss oder der Ausschuss der Regionen, entsprechend dem jeweiligen Verfahren, beteiligt.
b) Überblick Überblickmäßig kann der „Europäische Sozialkonsens“ wie in Schaubild 8 dargestellt werden:
400
XI. Schaffung eines „Europäischen Sozialkonsenses“ Schaubild 8 Modell des „Europäischen Sozialkonsenses“
Modell des Europäischen Sozialkonsenses
Stufe
Aktion
Akteur
1. Stufe
Konsensfindung
Europäischer Rat
2. Stufe
Festlegung der Instrumente und Maßnahmen
Europäische Kommission
3. Stufe
Umsetzung
Europäische Organe und Institutionen
XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“ als Instrument zur Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ 30. THESE: Der „Europäische Sozialkonsens“ ist das geeignete Mittel zur Umsetzung des „Europäischen Sozialmodells“ und eröffnet die nötigen nationalen Freiräume, um das soziale Europa auszubauen, bis hin zu einer eigenständigen sozialpolitischen Säule. Er kann Widersprüche auflösen und zu einer Institutionalisierung der europäischen Sozialpolitik auf der Grundlage des EG-Vertrages in der Fassung von Nizza führen.
Nach der Beschreibung der Verfahrensschritte, die den „Europäischen Sozialkonsens“ ausmachen, ist nunmehr zu prüfen, ob er ein geeignetes Mittel ist, um das „Europäische Sozialmodell“ zu verfestigen und auszubauen und damit die Europäische Sozialpolitik insgesamt zu stärken. In der Literatur, aber auch seitens der Europäischen Kommission selbst wird nicht verkannt, dass die soziale Dimension eine erhebliche Veränderung erfahren muss, wenn Europa seinen eigenen Zielsetzungen der Schaffung gleicher Lebensbedingungen treu bleiben will. Wie das zu erreichen sein könnte, wurde in den verschiedenen Ansätzen beschrieben, die sich bereits – wenn auch eher unbewusst und ohne die konkrete Wortwahl – in die Richtung einer Konsenslösung bewegen. Es stellt sich also die Frage, was ein solcher Konsens leisten muss, um zum Ziel einer stringenten Sozialpolitik beizutragen. Die wesentlichen inhaltlichen Elemente sind Anerkennung der Sozialpolitik als gleichwertiger Politik neben der Wirtschaftspolitik Vorhandene rechtliche Grundlage im Vertrag und rechtliche Sicherheit des Sozialkonsenses Institutionalisierung und Kontinuität des Sozialkonsenses Ausreichende Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten Vermeidung der „Asymmetrie zwischen ökonomischer und sozialer Integrationswirkung“1 Hoher Grad an Bestimmtheit. 1 Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 97.
402
XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“
Angesichts der unter XI. dargestellten Hemmnisse, die die Weiterentwicklung des Sozialkonsenses in der Vergangenheit geprägt haben, sowie der wirtschaftlichen Interdependenzen und der nationalstaatlichen Egoismen, sind dabei auch zwei weitere Punkte von Bedeutung: Kann er den notwendigen Grad an Vereinheitlichung erreichen, ohne die erforderlichen nationalen Differenzierungen zu vernachlässigen? Kann er den wirtschaftlich bedeutsamen Wettbewerb der sozialen Systeme2 in Einklang bringen mit einheitlichen sozialen europäischen Regeln, die regulierend wirken?
1. Sozialpolitik als gleichwertige Politik neben der Wirtschaftspolitik Wenn man es ernst meint mit der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ und sich dazu des „Europäischen Sozialkonsenses“ bedient, sollte das Endziel in einer Stärkung der Sozialpolitik liegen, die dann künftig auf derselben Ebene stehen würde, wie die Wirtschaftspolitik. Diese Gleichwertigkeit würde die Integration der Europäischen Union im Sinne einer echten Vertiefung, aber auch die Beziehungen und die Identifikation mit den Bürgern verbessern helfen. Die Sozialpolitik wird dann zu einer eigenen unabhängigen Säule werden, die zwar auf die wirtschaftliche Interdependenz Rücksicht nimmt, nicht aber von ihr abhängt. In diesem Zusammenhang ist der Vortrag von Schnorr3 interessant, der schon 1974 darauf hingewiesen hat, dass auf den Gipfelkonferenzen von Den Haag im Jahre 1969 und in Paris 1972 deutlich geworden sei, dass eine Wirtschafts- und Währungsunion Europas nicht sinnvoll zu erreichen sei, wenn nicht vorher flankierende soziale Voraussetzungen geschaffen würden. In diesen Leitlinien verfolgten die Staats- und Regierungschefs die Zielvorstellung einer Verselbständigung der europäischen Sozialpolitik gegenüber den nationalen sozialpolitischen Programmen und einer Herauslösung aus ihrer von den Gemeinschaftsverträgen ursprünglich konzipierten ökonomischen Abhängigkeit.4 Dies sei ferner zu belegen mit der Entschließung des Rates zum Sozialpolitischen Aktionsprogramm aus dem Jahr 1974, in dem es ausdrücklich heiße, „dass die Sozialpolitik der Gemeinschaft eine eigene Aufgabe zu erfüllen hat“ und „dass die sozialpolitischen Ziele ein ständiges Anliegen für alle Gemeinschaftspolitiken sein müssen“5. Vgl. dazu Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 425. Schnorr, Gerhard, Arbeits- und sozialrechtliche Fragen der europäischen Integration, S. 5 f. 4 Schnorr, Gerhard, Arbeits- und sozialrechtliche Fragen der europäischen Integration, S. 5 f.; vgl. dazu auch Däubler, Wolfgang, Sozialstaat EG? Notwendigkeit und Inhalt einer Europäischen Grundrechtsakte, S. 79 f. 2 3
1. Sozialpolitik neben Wirtschaftspolitik
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Dieser Gedanke der Eigenständigkeit habe sich in den folgenden Jahren dann aber wieder mehr und mehr verwischt. Eine Analyse der Entwicklung der Gemeinschaftsverträge zeigt aber, dass dennoch eine stete Verfestigung der Sozialpolitik zu erkennen ist. Wenn diese auch zeitweise stagnierte, so ist zumindest keine Rückentwicklung zu konstatieren: Als die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Mitte der fünfziger Jahre konkret geplant wurde, konnte unter den Gründerstaaten keine Einigung erzielt werden, welchen Stellenwert die Sozialpolitik in der künftigen wirtschaftlichen Integration einnehmen sollte. Die mit der Klärung der Frage beauftragte Expertengruppe6 kam zu dem Ergebnis, dass die wirtschaftliche Integration Europas den sozialen Fortschritt automatisch begünstige und damit eigenständige Sozialvorschriften im Vertrag nicht erforderlich seien. Umgekehrt wurde das „Warenkonkurrenzargument“, das in den unterschiedlichen Sozialkostenbelastungen der Unternehmen ein Hindernis für den grenzüberschreitenden Wettbewerb sieht, für den europäischen Markt als nicht relevant eingestuft. Die Expertengruppe verwies darauf, dass selbst im Falle einer sozialen Harmonisierung die Wettbewerbschancen infolge anderer Faktoren, wie z. B. Standortbedingungen, Steuerbelastungen und divergierende Wechselkurse, ungleich bleiben. Die Empfehlung ging daher dahin, nur in Extremfällen konkrete Vertragsvorschriften vorzusehen. Aufgrund des Einflusses dieses Expertengutachtens waren die ersten Sozialvorschriften heteronomer Natur. Im Gegensatz zu dem Konzept der wirtschaftlichen Integration ließen sie eine einheitliche Leitlinie vermissen, was ihnen auch den Tadel eines „logischen Bruchs in der theoretischen Konzeption des Vertrages“ eingebracht hat7. Der Vertrag zur Gründung der EWG erschöpfte sich sozialpolitisch in Deklarationen ohne konkrete Zielsetzungen. Selbst die Kernvorschrift des Art. 136 EGV, in der sich die Gründerstaaten darauf einigen, auf eine Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen hinzuwirken und dadurch ihre Angleichung zu ermöglichen, wurde getragen vom Vorrang der ökonomischen vor der sozialpolitischen Annäherung. Damit wurde auch der sozialpolitische Maßnahmenkatalog des Art. 137 EGV zur „lex imperfecta“, denn er ermächtigt zwar die Mitgliedstaaten, durch unverbindliche Untersuchungen, Stellungnahmen und Vorbereitungen von Beratungen die Zusammenarbeit untereinander zu fördern, enthielt aber 1957 keine konkreten Rechtsfolgen. 5 Entschließung des Rates vom 21. Januar 1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm, ABl. EG C 13 / 1 vom 12. 02. 1974. 6 Spaak-Bericht vom 21. 04. 1956, im Internet unter: http: //www.ena.lu/mce.cfm und Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Bonn, Abteilung 2, Referat 225, Aktenzeichen 225 – 20 – 015. Paket 53: Sonderband „Dokumente“, Band 3. 7 Schnorr, Gerhard, Arbeits- und sozialrechtliche Fragen der europäischen Integration, S. 9. 8 Oppermann, Thomas, Europarecht, S. 574; siehe dazu auch im einzelnen unter III.1.
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XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“
Auch nach den Ergänzungen durch die EEA 1986, den Maastrichter Vertrag 1992 und den Vertrag von Amsterdam 1997 blieben die sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinschaft nach Ansicht vieler Autoren auf die Art. 136 ff. EGV begrenzt. Primär sind die Mitgliedstaaten zu sozialpolitischer Aktivität aufgerufen, welche durch die Europäische Gemeinschaft auf bestimmten Gebieten unterstützt und ergänzt wird. Im übrigen wird der Soziale Dialog der Setzung von Gemeinschaftsrecht vorgezogen. In diesen Grenzen hat sich die sozialpolitische Rolle der Europäischen Gemeinschaft seit den sechziger Jahren verstärkt. In dem durch die EEA 1986 begründeten Vertragsziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts nach Art. 158 EGV, das Leitlinie für die allgemeine Wirtschaftspolitik ist, klingt etwas von der Sozialunion an, welche die Staats- und Regierungschefs schon 1972 in Paris als Zielvorstellung entwickelten. Den begrenzten Gemeinschaftsbefugnissen entspricht allerdings besser die Bezeichnung eines europäischen Sozialraums oder die Wendung von der sozialen Dimension des Binnenmarktes. In diesem Sinne wird die allmähliche Besserung und gemeinschaftsweite Angleichung des Sozialniveaus von einem Wettbewerb der Systeme und nicht von einem gesetzlichen Harmonisierungszwang erhofft.8 Gerade von dieser Vorstellung wird man sich allerdings realistischerweise verabschieden müssen. Was seit Anbeginn der Gemeinschaft von keinem oder nur geringem Erfolg gekrönt war, wird nicht unter erschwerten wirtschaftlichen Bedingungen plötzlich eintreten. Der Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten auf der wirtschaftlichen Ebene und im Bereich des Arbeitsmarkts und der Wettbewerb der Sozialsysteme haben zu weniger und gerade nicht zu mehr Integration geführt. Auch hat die Erweiterung mehr als deutlich gemacht, dass man eben nicht auf die Marktkräfte setzen kann, sondern aktive Sozialpolitik betreiben muss, wenn man nicht nur ein besseres wirtschaftliches Klima schaffen, sondern auch die Bürger überzeugen will. Es ist dann nur konsequent, auch ein Instrumentarium zur Verfügung zu haben, das den geänderten sozialpolitischen tatsächlichen Gegebenheiten und rechtlichen Anforderungen entspricht. Schon in den Präambeln des EUV und des EGV findet sich der Entschluß der Mitgliedstaaten, „den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern“ und die „stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker als wesentliches Ziel anzustreben“. In Art. 2 EGV wird die „beschleunigte Hebung der Lebenshaltung“ erwähnt und aus Art. 3 EGV lassen sich die Ziele der „Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten“ sowie der „Schaffung eines Europäischen Sozialfonds, um die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu verbessern und zur Hebung ihrer Lebenshaltung beizutragen“, entnehmen. 9
Oppermann, Thomas, Europarecht, S. 562 f.
1. Sozialpolitik neben Wirtschaftspolitik
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Darin liegt, wie bereits oben unter XI.3.a ausgeführt, die Grundlage zum politischen Handeln auf sozialem Gebiet begründet. Als erste sind die Staats- und Regierungschefs angehalten, den sozialen Fortschritt voranzubringen. Nicht festgelegt ist damit allerdings, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln die sozialen Zielsetzungen erreicht werden können und sollen. Insofern ist grundsätzlich Raum für die Einführung des „Europäischen Sozialkonsenses“, dessen Grundlagen im Primärrecht vorhanden sind und der folglich keine Änderung oder Ergänzung des Primärrechts, sondern lediglich seine politisch gewollte Anwendung voraussetzt. Zur Begründung des Stellenwertes der Sozialpolitik kann insbesondere Art. 136 EGV herangezogen werden, demzufolge die zu verfolgenden sozialpolitischen Ziele zur Durchführung der entsprechenden Maßnahmen i. S. d. Art. 137 EGV festgelegt sind. Darin ist nach dem Wortlaut nicht nur eine politische Absichtserklärung zu sehen, sondern eine darüber hinausreichende rechtsverbindliche Verpflichtung, „den Fortschritt zu ermöglichen“ und nicht nur eine Harmonisierung zu verfolgen. Die Formulierung „auf dem Wege des Fortschritts“ beinhaltet gerade nicht retrospektives Handeln zur Korrektur wirtschaftlichen Handelns, sondern enthält die Dynamik der eigenständigen Entwicklung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass gerade die Mitgliedstaaten angesprochen sind, aktiv zu werden. Ein weiteres Argument für die Bedeutung der Sozialpolitik sind die Art. 39 – 42, 137 und 146 – 150 EGV, die überflüssig wären, wenn man nicht damit rechnen würde, dass sozialpolitische Maßnahmen ergriffen werden müssen, eben auch unabhängig von den rein wirtschaftlichen Belangen. Im Zuge der Vertragsänderungen nahm das Ausmaß der sozialpolitischen Kompetenzen konsequent und stetig zu, wenn auch die Grundlagen der gemeinschaftlichen sozialpolitischen Regelungen über den Vertragstext verstreut sind, wie unter V. nachgewiesen wurde. Wenn die sozialpolitischen Rechtsgrundlagen der Verträge in ihrer verschlungenen Entstehungsgeschichte auch als kompliziert und unübersichtlich angesehen werden, kann jedoch nicht ihre Fortentwicklung übersehen werden.9 Nach und nach wurde die Rechtsordnung zu den sozialen Bestandteilen der europäischen Rechtsordnung immer umfassender und spiegelte wider, wie weit Handlungsbedarf in der Umsetzung und dem Vollzug der sozialen Dimension für die Gemeinschaft besteht. Trotzdem bewegt sich die europäische Sozialpolitik zur Zeit hauptsächlich zwischen Harmonisierung und Koordinierung, ein wirklich gestaltendes Element fehlt weitgehend.
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Hier bedarf es eines neuen Ansatzes, um der gewachsenen Bedeutung der Sozialpolitik gerecht zu werden. Folgt man der bereits unter VIII. dargestellten allgemeinen Meinung, dass die wirtschaftliche Dimension von der sozialen Dimension nicht nur ergänzt werden, sondern zu größerer Eigenständigkeit gelangen muss, ist es nicht nur legitim, sondern erforderlich, dafür die Grundlagen zu schaffen. Die Analyse der rechtlichen Möglichkeiten hat gezeigt, dass der EG-Vertrag durchaus als Basis für die Intensivierung der Sozialpolitik geeignet ist. Die Konsequenz ist, dass die Sozialpolitik nicht mehr weitgehend unkoordiniert stattfinden sollte, sondern über eindeutige Zielvorgaben in eine verbindliche Politik übernommen werden muss. Das Erfordernis der Schaffung einer sozialpolitischen Säule beantwortet aber noch nicht die Frage, ob die Erreichung des sozialen Fortschritts nur in Verbindung mit der wirtschaftlichen Entwicklung stattfinden soll, um die Wirtschaft zu unterstützen oder Fehlentwicklungen zu korrigieren, oder ob eine eigenständige Sozialpolitik entwickelt werden soll. Zwar wird in einigen Vorschriften, wie z. B. dem Art. 158 EGV, von einer „Politik zur Stärkung ihres wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“ gesprochen, dies lässt aber noch nicht den Schluß zu, dass die soziale Dimension nur und ausschließlich in Abhängigkeit von der Wirtschaft bedeutsam wird. Vielmehr kann diese Formulierung auch so interpretiert werden, dass neben der wirtschaftlichen Seite die soziale Komponente eine ebenso bedeutsame Rolle spielt. Die gleichzeitige Nennung bedeutet nicht automatisch ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, sondern kann auch im Sinne der „Gleichwertigkeit“ interpretiert werden. Hierbei spielt der Stellenwert von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Systematik der Verträge und ihr Verhältnis zueinander eine entscheidende Rolle, wie Mäder10 sie darstellt: Die zur Zeit praktizierten flankierenden Maßnahmen und abfedernden Politiken seien immer noch Reaktionen auf ökonomische Verwerfungen. Was bisher und weiterhin fehle, sei eine bewusste soziale Aktion, eine gleichrangige und soziale Gestaltung, um Gefahren für den Integrationsprozess zu minimieren. Eine der Ökonomie untergeordnete Sozialpolitik öffne das Einfallstor, so dass gerade dann, wenn ökonomische Wachstumspotentiale erschöpft seien, die soziale Sicherheit tendenziell brüchig werde. Es sei deshalb nicht akzeptabel, allein darauf zu verweisen, dass die durch das makro-ökonomische Großprojekt „Binnenmarkt“ induzierten mikro-ökonomischen Strukturveränderungen unter dem Strich auch sozial sein würden. Der Mangel an operationellen Instrumenten für die Organe der Gemeinschaft folge aus der Auffassung, einer Verbesserung der wirtschaftlichen Grundvoraussetzungen durch einen voll funktionierenden Markt werde eine Verbesserung der sozialen Lage automatisch folgen. Es reiche aber nicht aus, die Ver10 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 146.
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gemeinschaftung über das Produkt aus wirtschaftlichem Nutzen zu definieren. Es könne nicht – wie für andere Politiksektoren – für die Sozialpolitik auf einen eigendynamischen spill-over-Effekt gehofft werden. Notwendig sei eine bewusste Heranführung und konsequente Förderung der Entwicklung auf ein der Gemeinschaft angemessenes Sozialstaatspostulat. Ohne einen weiteren Innovationsschub würden die schon bald und mittelfristig zu lösenden Probleme wie – um nur einige zu nennen – Sozialer Dialog, Mitwirkung der Arbeitnehmer, Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen, Arbeitnehmerüberlassung, Solidarität mit den weniger begünstigten Regionen und Bevölkerungsgruppen, Asyl- und Flüchtlingspolitik, mit den vorhandenen Instrumentarien nicht zu lösen sein. Bereits in frühen Jahren hat auch der Europäische Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die wirtschaftlichen den sozialen Zielen nicht vorgehen: „Es trifft zu, dass es bei der Schaffung des Gemeinsamen Marktes vornehmlich auf die rationellste Verteilung der Erzeugung auf dem höchsten Leistungsstand ankommt. Dies bedeutet aber nicht, dass die in Artikel 2 des Vertrages genannten sozialpolitischen Ziele unter allen Umständen zweitrangig sein müssten und dass die Gemeinschaft in keinem Fall ihr Handeln von ihnen bestimmen lassen dürfte“11. Kahil12 stellt ausführlich den Streitstand zur Frage dar, ob man von einer Unterordnung sozialpolitischer Aspekte unter die in erster Linie wirtschaftlich ausgerichteten Integrationsziele ausgehen muss oder eine soziale Dimension als fester Bestandteil des Integrationsprozesses vorhanden ist: Die Vertreter der restriktiven Auffassung argumentieren, dass eine gemeinsame Sozialpolitik nicht zu den Vertragszielen gehöre und man bei Gründung der Gemeinschaft davon ausging, dass der soziale Fortschritt aus dem wirtschaftlichen folgen werde. Es seien lediglich allgemeine sozialpolitische Postulate zu finden, die auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen abzielten. Die Abwertung des Sozialen geht sogar soweit, dass von einer lediglich dienenden, sekundären Stellung des Sozialrechts gesprochen wird. Die überwiegende Meinung geht demgegenüber davon aus, dass die Sozialpolitik zu den Gemeinschaftszielen gehört, wenn auch mit unterschiedlichen Folgerungen. So variiert die Bandbreite vom Vorhandensein aber mit schwachen Kompetenzen über die Sozialpolitik als zu berücksichtigendem Kostenfaktor bis zur Ansicht, sie sei integraler Bestandteil der Gemeinschaftspolitiken geworden. Rogowski / Kajtár13 stellen die Rolle des „Europäischen Sozialmodells“ bei der Entwicklung von der wirtschaftlichen zur politischen und damit auch sozialen Union folgendermaßen dar: 11 Urteil des Gerichtshofs vom 8. Februar 1966, Rs. C-28 / 66, Regierung des Königreichs der Niederlande / Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1968, S. 1, Erwägungsgrund 4. 12 Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 183 ff. m. w. N.
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XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“
„. . . a shift from a normative to a cognitive understanding of the ESM. In cognitive terms ESM promotes social justice thereby contributing to economic growth. In this view social policy is no longer considered an obstacle but a beneficial economic factor that creates security for economic activities and provides, among other benefits, incentives to pursue collective goods. A number of authors have challenged the idea of the ESM inevitably leading a European Welfare State. What seems necessary is to acknowledge the nature of ESM in supporting both homogeneity and diversity.“
Sie stellen fest, dass das „Europäische Sozialmodell“ nicht die nationalen Wohlfahrtssysteme ersetzen soll, vielmehr zu einem „Wettbewerb“ der Systeme in dem Sinn beitragen sollte, dass ein gemeinsames Problemverständnis entwickelt und gemeinsame Lösungen gefunden werden sollen. Genau an diesem Punkt sehen sie aber eine Gefahr, da das gemeinsame Problemverständnis einer „Erosion“ ausgesetzt ist, die das gesamte Modell in Frage stellt. Deshalb muss nach ihrer Ansicht die Integration und Koordinierung der sozialen Politiken einen genauso hohen Stellenwert haben wie die wirtschaftlichen Zielerreichungen. Zum zweiten sehen sie eine verstärkte Verantwortung der Europäischen Union für die Bürger durch eine tiefergehende politische Integration, die sich vor allem in der Grundrechtecharta zeigt. Sie kommen zu dem Ergebnis: „The future of the ESM will depend on the implementation of these rights by concrete policies and on the extent to which the new responsibilities of the European Union are used to re-establish a common understanding of welfare provisions in the member states.“14 Dieser politischen Verantwortung und dem damit verbundenen Abwägungsprozess zwischen Wirtschaft und Sozialem kann die Europäische Union aber nur durch eine Abstimmung und Zielsetzung der Politiken auf der höchsten Ebene nachkommen, der Ebene der Staats- und Regierungschefs. Nur eine eigenständige europäische Sozialpolitik kann die Probleme bewältigen helfen. Das „Nachbessern“, wie es in der Vergangenheit praktiziert wurde, führt nicht zum Erfolg. Auch kann es nicht richtig sein, dass das „Europäische Sozialmodell“ mit seiner wachsenden Bedeutung, die unter III. 1. nachgewiesen wurde, immer noch zu einem Großteil von einer Vielzahl unberechenbarer Einflüsse und vielfältiger Akteure bestimmt wird. Seinem Stellenwert in der Integration kann das „Europäische Sozialmodell“ mit Hilfe des „Europäischen Sozialkonsenses“ nur entsprechen, wenn es auch zu einer Verschiebung der Verantwortung für seine Gestaltung weg von einzelstaatlichen Interessen auf die intergouvernementale Ebene auf der rechtlichen Grundlage der Verträge kommt. Damit zeigt sich, dass die Anerkennung der Sozialpolitik als gleichwertige Politik neben der Wirtschaftspolitik überfällig und für die Schaffung einer neuen sozi13 Rogowski, Ralf / Kajtár, Edit, The European Social Model and Coordination of Social Policy, An overview of policies, competences and new challenges at the EU level, S. 34 f. 14 Rogowski, Ralf / Kajtár, Edit, The European Social Model and Coordination of Social Policy, An overview of policies, competences and new challenges at the EU level, S. 34 f.
2. Rechtliche Grundlage im Vertrag
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alpolitischen Verantwortlichkeit der „Europäische Sozialkonsens“ der richtige Ansatz ist.
2. Rechtliche Grundlage im Vertrag und rechtliche Sicherheit des „Europäischen Sozialkonsenses“ 31. THESE: Die Europäische Gemeinschaft verfügt schon heute über ausreichende Kompetenzen, um eine aktive Sozialpolitik zu praktizieren. Die Kompetenzen werden lediglich nicht optimal genutzt.
Die zweite für das hier vorgeschlagene Drei-Stufen-Modell entscheidende Frage lautet: Liegt eingedenk der Natur der Europäischen Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft15 und der sich daraus ergebenden Bedingung kompetenzrechtlicher Grundlagen für ihr rechtsverbindliches Handeln im sozialen Bereich eine ausreichende Kompetenzgrundlage vor? Bei der Beantwortung dieser Frage sind ferner im Rahmen der Gestaltung der künftigen Sozialpolitik verschiedene Kriterien zu berücksichtigen: Umfang der Kompetenzen (begrenzte Kompetenzen zur Rechtsetzung, „Prinzip der Einzelermächtigung“) Grundsatz der Subsidiarität Übermaßverbot.16
Wie ausführlich oben unter V. dargelegt, stehen ausreichende rechtliche Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Der im Vertrag selbst festgelegte Subsidiaritätsgrundsatz, aber auch das Erfordernis der Einigung im Rahmen des „Europäischen Sozialkonsenses“ sind geeignet, Überregulierungen zu verhindern. Die nationalen Interessen stellen ein ausreichendes Korrektiv dar, das jedes Übermaß verhindern dürfte. Der „Europäische Sozialkonsens“ bedarf auch nicht einer etwaigen – zur Zeit sicher vor dem Hintergrund des Moratoriums zum Verfassungsvertrag eher schwierigen Änderung der Vertragsgrundlagen, sondern kann – den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt – mit den schon vorhandenen rechtlichen Vorschriften und Instrumentarien in Gang gesetzt werden. Damit kann man feststellen, dass der „Europäische Sozialkonsens“ solide rechtliche Kompetenzgrundlagen im Vertragswerk hat und rechtlich abgesichert ist.
So schon 1974 Hallstein, Walter, Die Europäische Gemeinschaft, S. 49. Vgl. dazu Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 54. 15 16
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XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“
3. Institutionalisierung des „Europäischen Sozialkonsenses“ Es wurde unter IV. dargelegt, dass die Sozialpolitik zur Zeit keinen festen und nachvollziehbaren Regeln folgt, sondern dem Zufallsprinzip und diversen Einflüssen von innen und außen ausgesetzt ist. Die Entwicklung der Sozialpolitik ist in der derzeitigen Form kaum berechenbar, da nicht nur die beschriebenen Einflußnahmeprozesse sondern immer stärkere Verflechtungen mit anderen Politikbereichen, die zu Konzessionen und Kompromissen führen, die mit der originären Sozialpolitik nichts mehr zu tun haben, stattfinden. Als politischer Impulsgeber würde der Europäische Rat es übernehmen, die Politik nachhaltig und nachvollziehbar zu gestalten, während der Europäischen Kommission die Rolle der tatsächlichen Ingangsetzung des Prozesses zukäme. Insoweit ist sie weiterhin der „Motor“ und mit der Strategie insgesamt befasst, was ihrer vertragsmäßigen Aufgabe entspricht.17 Alle anderen Beteiligten werden, entsprechend ihrer im Vertrag festgelegten Rolle, beteiligt, so dass ein demokratisches Zustandekommen der Sozialpolitik sichergestellt ist, allerdings im Rahmen des institutionalisierten Konsensprozesses stärker als bislang ohne die Zufallsprodukte aufgrund der beschriebenen externen Einflüsse. Sichtbar wird die Institutionalisierung, indem künftig die Politikgestaltung auf höchster Ebene durch Vorgaben von Zielen und Inhalten geschieht. Eine derartige Institutionalisierung des Sozialkonsenses würde insofern nicht nur ermöglichen, der Politik eine „Linie“ im Sinne von „Stringenz“ zu geben, an der sich alle Beteiligten orientieren können, sondern auch entscheidend zur Transparenz beitragen, deren Mangel bekanntermaßen immer wieder kritisiert wurde. In diesem Fall würde nicht mehr die Politik durch diverse, externe und kaum kontrollierbare Einflussnahmen geprägt, sondern die Einflussnahme würde sich auf die vorgegebene politische Zielrichtung und deren Inhalt konzentrieren. Es geht nicht darum, Einflussnahmen zu unterbinden, sondern sie in ihrer Rolle als wichtigen Teil des Meinungsbildungsprozesses zu kanalisieren und zu fixieren. Die letzte Entscheidung findet dann, je nach Verfahrensart, beim Rat oder gemeinsam durch Rat und Europäisches Parlament statt. Damit trägt die Institutionalisierung des „Europäischen Sozialkonsenses“ zur Zielgerichtetheit und Transparenz der europäischen Sozialpolitik bei.
17 Vgl. dazu auch Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 27.
4. Ausreichende Berücksichtigung der nationalen Interessen
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4. Ausreichende Berücksichtigung der nationalen Interessen Die europäische Integration geht nicht nur mit einer Souveränitätseinbuße der Mitgliedstaaten einher, die aus der Übertragung entsprechender Kompetenzen an die Organe und Institutionen der Europäischen Gemeinschaft als supranationalem Kern des „Europäischen Systems“ resultiert, sondern sie hat zugleich einen Verlust an faktischer Handlungsautonomie der Staaten, insbesondere auch im Bereich der Sozialpolitik, zur Folge. Deshalb kann die Sozialpolitik heute in den „postsouveränen“ Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht mehr als eine rein nationale, sondern allenfalls als primär nationale Domäne angesehen werden. Die Sozialpolitik ist künftig notwendigerweise transnational und vor allem europäisch und damit Mehrebenenpolitik.18 Damit stellen sich zwei Fragen: Berücksichtigt der „Europäische Sozialkonsens“ ausreichend die nationalen Besonderheiten? Besteht die Gefahr, dass der „Europäische Sozialkonsens“ neue, der Europäischen Gemeinschaft nach dem EGV nicht zustehende Kompetenzen begründet?
a) Berücksichtigung nationaler Besonderheiten Gerade im sozialen Bereich spielt, wie unter III. 2 dargelegt, der nationale Aspekt eine herausragende Rolle, da die zugrunde liegenden Systeme sich nicht nur inhaltlich unterscheiden, sondern auch aus verschiedenen Quellen finanziert werden, was in manchen Bereichen erhebliche Schwierigkeiten bei der Einigung auf gemeinschaftliche Regelungen bedingt. Grundsätzlich wird der Berücksichtigung der nationalen Interessen schon dadurch Rechnung getragen, dass die Konsensfindung, wie der Name bereits indiziert, konsensual stattfindet. Sollte ein Mitgliedsland Probleme sehen, kann es diese im Konsensprozess zum Ausdruck bringen und wird angemessene Berücksichtigung finden. Ein weiteres wichtiges Element in diesem Zusammenhang ist der Grundsatz der Subsidiarität. Er verhindert – richtig angewandt – bereits im Ansatz, dass ein Problem, das national besser zu lösen ist, auf die europäische Ebene „hochgezogen“ wird.
18 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 90.
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XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“
b) Gefahr neuer Kompetenzbegründung Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Diskussion um eine Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ auch zu der darin enthaltenen Frage führt, ob dies zu einer generellen Kompetenzausweitung zugunsten der Europäischen Gemeinschaft führt. Diesem Vorwurf sah sich die Gemeinschaft des öfteren – sicher nicht immer zu unrecht – ausgesetzt. Gefürchtet wird in diesem Zusammenhang eine zunehmende Druckkonstellation (indirekte Integration), induziert durch die Wirtschafts- und Währungsunion, und folglich eine steigende Zersetzung nationaler sozialpolitischer Souveränität. Der für die Europäische Union als supranationaler Institution gültige „ratchet-Effekt“19 sorge für eine stete Ausdehnung von sozialpolitischer Kompetenz auf Gemeinschaftsebene.20 Der Versuch der Erweiterung des Anspruchs der Gemeinschaft auf Kompetenzen in Bereichen, die den Mitgliedstaaten vorbehalten sind, oder der Abbau von kompetenziellen Hürden mittels verstärkter Inanspruchnahme von Mehrheitsentscheidungen sind prinzipiell nichts Ungewöhnliches. Rat und Europäische Kommission haben der Kompetenzerweiterung sogar mit Erfolg eine neue Variante zugefügt. Auf Vorschlag der Europäischen Kommission und nach Anhörung des EWSA stellte der Rat in Bezug auf die Berufsausbildung allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik auf, die gemäß ex Art. 128 EWGV zu einer harmonischen Entwicklung sowohl der einzelnen Volkswirtschaften als auch des Gemeinsamen Marktes beitragen. Nach dem damaligen Wortlaut der Bestimmung standen dem Rat Befugnisse gegenüber den Mitgliedstaaten nicht zu. Die Bestimmung hatte anfangs programmatischen, keinen instrumentalen Charakter. Nach der grammatikalischen und teleologischen Auslegung wären die Organe der Gemeinschaft lediglich für die Aufstellung der Kriterien, die die Mitgliedstaaten zu beachten haben, und die Mitgliedstaaten für operationelle Maßnahmen zur Durchführung einer kohärenten Berufsbildungspolitik zuständig. Europäische Kommission, Rat und Europäischer Gerichtshof21 teilten diese Auffassung nicht. Sie sahen in der Bestimmung auch eine Befugnisnorm für den Rat kraft eines gestuften Vorgehens. Art. 128 EWGV und der zur weiteren Konkretisierung erlassene 19 „Ratchet-Effekt“ meint die praktische Unmöglichkeit der Rücknahme einmal erfolgter Kompetenzverlagerungen auf europäischer Ebene. 20 Klinke, Sebastian, Nationale Mindestsicherung und Europäische Sozialpolitik – eine Analyse europäischer Perspektiven der Mindestsicherung, S. 17. 21 Urteil des Gerichtshofs vom 30. 05. 1989, Rs. C-56 / 88, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1989, S. 1615; Urteil des Gerichtshofs vom 30. Mai 1989, Rs. C-242 / 87, Kommission der Europäischen Gemeinschaften / Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1989, S. 1425; Urteil des Gerichtshofs vom 11. 06. 1991, verb. Rs. C-51 / 89, C-90 / 89 und C 94 / 89, Vereinigtes Königreich, Französische Republik und Bundesrepublik Deutschland / Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1991, S. I-02757.
4. Ausreichende Berücksichtigung der nationalen Interessen
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Beschluss des Rates aus dem Jahr 1963 (63 / 266 / EWG)22 über die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung, der das Prinzip des partnerschaftlichen Vorgehens einführt, gaben dem Rat die Befugnis, auch Gemeinschaftsaktionen im Bereich der Berufsausbildung vorzusehen und den Mitgliedstaaten entsprechende Mitwirkungsverpflichtungen aufzuerlegen.23 Das dynamische Element des Vertragswerks ist aber gerade seine Offenheit. Im Grunde legt jede den Vertrag ändernde oder darauf fußende Rechtsnorm die Kompetenz neu fest. Es ist im Prinzip völlig legitim, wenn die Europäische Kommission Änderungen anstrebt. In der Vorstufe zum Rechtsetzungsverfahren steht ihr hierfür besonders Art. 211 EGV zur Verfügung. Gemäß dieser Vorschrift aktiviert die Europäische Kommission durch Abgabe von – unverbindlichen – Empfehlungen das Gemeinschaftshandeln, und zwar nicht nur soweit der Vertrag dies ausdrücklich vorsieht, sondern soweit sie dies überhaupt für notwendig erachtet. Solche rechtsvorbereitenden Handlungen erhalten ihr eigenes Gewicht, vornehmlich wenn sie gebündelt und für weitere Akte zitiert werden. Dadurch wird der wirtschaftliche, soziale und letztlich rechtliche Zusammenhalt immer mehr verdichtet. Bei der präjudizierenden Kraft wird die Rechtsentwicklung soweit vorangetrieben, bis die Zeit reif ist für die eigentlichen Entscheidungen über Rechtsakte. Die Gemeinschaft hat ein gut austariertes Leitsystem für ihre Integrationsziele24, die nicht nur wirtschaftlich, sondern eben auch sozial ausgerichtet sind. Dabei darf auch nicht aus den Augen verloren werden, dass gerade im Sozialbereich die Europäische Kommission ausdrücklich zum Handeln aufgefordert wird25, wie die Diskussionen in der Folge der ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden gezeigt haben. Deshalb kommt der Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes des Art. 5 EGV besondere Bedeutung zu. Gewiss gilt bei der konkurrierenden Zuständigkeit zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten das Subsidiaritätsprinzip. Danach ist Gemeinschaftshandeln nur zulässig, falls das erstrebte Ziel nicht ebenso durch die Mitgliedstaaten selbst erreicht werden kann. Aber auf dem Feld der Sozialpolitik gibt es regelmäßig einen guten Grund, um das gemeinschaftliche Handeln dem Handeln durch einzelne Mitgliedstaaten vorzuziehen: Gemeinschaftliches Handeln auf EU-Ebene verhindert das sogenannte „Sozialdumping“26. Das Handeln der einzelnen Mitgliedstaaten steht indes stets vor der Versuchung, durch Absenkung der 22 Beschluss des Rates 63 / 266 / EWG vom 2. April 1963 über die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung, ABl. EG Nr. 63 / 1338 vom 20. 04. 1963. 23 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 92 ff. 24 Mäder, Werner, Sozialrecht und Sozialpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, S. 78. 25 Chirac, Jacques, Für ein starkes und solidarisches Europa – die Erwartungen der Europäer erfüllen, Beitrag in Le Figaro vom 26. 10. 2005. 26 Siehe dazu auch III. 1. und III. 4. f.
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XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“
Sozialstandards wirtschaftliche Aktivitäten anzuziehen und damit den Binnenmarkt strukturell zu verfälschen. Durch eine europäische Vereinheitlichung würde den im Binnenmarkt aufgrund niedrigerer Löhne und Sozialkosten bevorzugten Marktteilnehmern die Chance auf Marktzugang geschmälert. Deshalb plädiert von Weizäcker im Interesse der Flexibilität der einzelnen Nationalstaaten für die Erhaltung der sozialpolitischen Vielfalt – der „Soziodiversität“ – innerhalb der Europäischen Union. „Jeder Versuch einer Vereinheitlichung der Sozialpolitik über die Staatsgrenzen hinaus würde uns eines wichtigen Erkenntnismechanismus berauben. Harmonisierung, Vereinheitlichung der Sozialpolitik ist weder erforderlich, noch nützlich. Im Gegenteil, sie ist schädlich.“27 Diese Auffassung sieht in der Sozialpolitik jedoch eine rechtlich beliebig gestaltbare Verfügungsmasse, die jeder Staat zu jeder Zeit an die sich wandelnden (außen-)wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen könnte. Dieses Bild wird den verfestigten, nicht selten gar nicht staatlich, sondern autonom von organisierten Interessengruppen geschaffenen sozialpolitischen Institutionen der Mitgliedstaaten nicht gerecht. Es übersieht vor allem, dass faktische Vorgegebenheiten wie die Zahl der älteren Menschen oder die Zahl der Ärzte, der Arbeitslosenanteil oder die Zahl der Erwerbsunfähigen das Ausmaß der Sozialkosten bestimmen. Diese Faktoren sind aber politisch nur sehr beschränkt disponibel. Sie übersieht schließlich, dass für die sozialpolitischen Lösungen nicht eine unumschränkte Vielfalt von Antworten verfügbar ist, sondern regelmäßig die Ansätze zur Lösung sozialpolitischer Fragen begrenzt und überschaubar sind. Ferner beseitigen Mindestnormen nicht die historisch gewachsene Vielfalt nationaler Sozialpolitik. Sie vermeiden lediglich, dass sozialpolitische Rückständigkeit eines Mitgliedstaates durch Wettbewerbsvorteile prämiert wird.28 Im Sinne der beschriebenen Mehrebenenpolitik wird sich das „Europäische Sozialmodell“ und mit ihm der „Europäische Sozialkonsens“ auf allen Ebenen behaupten und bewähren müssen. Dabei sind sowohl nationale Interessen zu berücksichtigen als auch Faktoren, die sich aus der demographischen Lage ergeben und kaum beeinflussbar sind, sowie wirtschaftliche Faktoren, die im globalen Kontext zu sehen sind. Den erforderlichen Interessenausgleich kann der „Europäische Sozialkonsens“ durch sein in drei Stufen ablaufendes Verfahren leisten. In der ersten Stufe sind es die Mitgliedstaaten, die – bereits im eigenen Interesse – für eine angemessene Berücksichtigung der nationalen Belange Sorge tragen werden. In der zweiten Stufe, die in der Verantwortlichkeit der Europäischen Kommission als „Motor der Gemeinschaft“ entsprechend ihrem vertragsgemäßen Auftrag liegt, kommen die entsprechenden Verfahren zur Anwendung, die ihrerseits jeweils 27 28
von Weizäcker, Christian, Logik der Globalisierung, Göttingen, 1999, S. 69 f. Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 437 f.
5. Vermeidung der Asymmetrie
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eine Beteiligung unterschiedlichster Akteure vorsehen. So werden sowohl im Europäischen Parlament als auch im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, der in der Regel gerade in sozialen Fragen involviert ist, als auch im Ausschuss der Regionen nicht nur die nationalen Interessen noch einmal eine wichtige Rolle spielen, sondern auch die regionalen, lokalen und sektoralen Aspekte Berücksichtigung finden. In dieser Stufe ist auch Raum für die Stellungnahmen von Interessenvertretern, die ebenfalls zu einem ausgewogenen Gesamtbild beitragen können. In der letzten Stufe, der Entscheidung, findet dann nochmals ein abschließender Abwägungsprozess im Rat oder zwischen Rat und Europäischem Parlament statt, ob die jeweilige vorgeschlagene Regelung nach Abwägung aller Kriterien erlassen wird oder nicht. Und im Anschluss an diese Entscheidung findet die Berücksichtigung der nationalen Interessen einen weiteren Raum, indem – im Fall der Richtlinie – die vorgesehene Bandbreite in der Umsetzung individuell genutzt werden kann. Damit kann man feststellen, dass der Berücksichtigung der nationalen Interessen im Rahmen des „Europäischen Sozialkonsenses“ ausreichend Rechnung getragen wird und es zu keiner unzulässigen Kompetenzausweitung der gemeinschaftlichen Zuständigkeiten kommt.
5. Vermeidung der „Asymmetrie zwischen ökonomischer und sozialer Integrationswirkung“ Die Gefahr der Asymmetrie zwischen ökonomischer und sozialer Integrationswirkung29 ist zur Zeit in dem noch immer praktizierten Primat der Wirtschaft zu sehen. Der „Europäische Sozialkonsens“ und mit ihm die Aufwertung der europäischen Sozialpolitik als inhaltlich eigenständiger Politik, können helfen dieses Ungleichgewicht wieder in die Balance zu bringen. Die Globalisierung der Märkte und die Mobilität der Menschen führen zu einer zunehmenden Entterritorialisierung, Transnationalisierung und dementsprechend zur Europäisierung auch der sozialpolitischen Herausforderungen und Fragestellungen. Zum anderen machen demographische Entwicklungen in Gestalt von Bevölkerungswanderungen, technologischen Umwälzungen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, ökologischen Risiken und Belastungen, Krankheiten und Seuchen vor nationalen Grenzen nicht halt und lassen sich häufig nur transnational bewältigen. Ein für die Sozialpolitik wichtiges Feld, in welchem die Europäische Union und die Mitgliedstaaten vor diesem Hintergrund einen Ausgleich zwischen europäischer Marktfreiheit und nationaler Sozialstaatlichkeit suchen, ist 29 Pitschas, Rainer, Soziale Integration Europas durch Institutionenentwicklung: Die EG auf dem Weg zum Europäischen Sozialstaat, S. 97.
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XII. Praktikabilität des „Europäischen Sozialkonsenses“
jener Bereich, in dem der Gemeinsame Markt und das europäische Wirtschaftsrecht bzw. Binnenmarktrecht einerseits und die national gestalteten, auch künftig national verantworteten Sozialleistungssysteme und das nationale Sozialrecht andererseits zusammentreffen.30 Zu lange hat man auf die Kraft der Liberalisierung gesetzt zur vordergründig vorgeblich besseren Allokation von Ressourcen und Preisvorteilen und dabei die entstehenden sozialen Folgen unterschätzt. Desweiteren muss nach Eichenhofer31 in dieser Diskussion vor einem weit verbreiteten Mißverständnis gewarnt werden: der Vorstellung, dass Rechtsvereinheitlichung stets und notwendig zu einer Vereinheitlichung der „terms of trade“ führen könnte. Dieses Argument gelte zwar unbestritten für das klassische Privatrecht. Dessen Einheitsrecht vereinheitliche den Handlungsrahmen für gemeinschaftsweites Wirtschaften. Auf die Sozialpolitik, namentlich die soziale Sicherheit, lasse sich dieser Gedanke dagegen nicht voll übertragen. Selbst wenn in der Europäischen Union in allen Mitgliedstaaten gleiches Arbeitslosenrecht gälte, hinge die ökonomische Belastung für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber entscheidend von der jeweiligen Arbeitslosenrate des nationalen Arbeitsmarktes ab. Selbst wenn in allen EU-Mitgliedstaaten gleiches Rentenversicherungsrecht gälte, so wären die ökonomischen Belastungen für die Finanzierung unterschiedlich, weil die Kosten des Systems entscheidend von dem Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern abhängen und dieses Verhältnis in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten – demographisch und arbeitsmarktpolitisch bedingt – unterschiedlich ist. Rechtsangleichung ist also kein Allheilmittel zur Schaffung gleicher Wettbewerbschancen auf dem europäischen Binnenmarkt. Aber andererseits sei ohne Rechtsangleichung immer weniger ein hinreichendes Maß an Fairness auf dem Binnenmarkt vorstellbar. Rechtsangleichung und Binnenmarkt gehen daher notwendigerweise Hand in Hand. Es wird befürchtet, dass deshalb der soziale Schutz im Binnenmarkt auf der Strecke bleibt und das bereits angesprochene „Sozialdumping“32 der Preis für das Funktionieren des Binnenmarktes ist. Habermas33 beschreibt das Dilemma wie folgt: „Wenn nun die Mitgliedstaaten infolge der Währungsunion auf der Grundlage einer einheitlichen europäischen Geldpolitik weiteren makroökonomischen Steuerungsspielraum verlieren, während sich der innereuropäische Wettbewerb nochmals verstärkt, sind Probleme einer neuen Größenordnung zu erwarten. Länder mit hohen sozialen Standards fürchten die Gefahr einer Angleichung nach unten. Länder mit einem vergleichsweise 30 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 90. 31 Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht der Europäischen Union, Rdnr. 437 f. 32 Siehe dazu auch III. 1. und III. 4. f. 33 Habermas, Jürgen, Die postnationale Konstellation, S. 148 – 150.
5. Vermeidung der Asymmetrie
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schwachen Sozialschutz fürchten, durch die Einführung höherer Standards ihrer Kostenvorteile beraubt zu werden. Europa wird vor der Alternative stehen, entweder den Problemdruck über den Markt – als Wettbewerb zwischen unterschiedlichen sozialpolitischen Regimen, die in nationaler Zuständigkeit bleiben – abzuwickeln, oder dem Problemdruck politisch zu begegnen mit dem Versuch, in wichtigen Fragen der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik zu einer Harmonisierung zu gelangen“. Den Initiatoren des Gemeinsamen Markts stand jedenfalls diese Problematik schon unmittelbar bei dessen Schaffung klar vor Augen. Wettbewerb heißt vor allem: Die vorhandene Vielfalt belassen und den einzelnen im Angesicht solcher Vielfalt wählen lassen. Wettbewerb ist ohne Vielfalt also nicht zu haben. Aber der Wettbewerb soll im Rahmen und auf der Basis von Fairness stattfinden. Deshalb unterbindet das EU-Recht den Wettbewerb, der auf dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht beruht, ebenso, wie die Gemeinschaft eine Ordnung zu schaffen hat, in der Wettbewerbsvorteile nicht auf Kosten ökologischer, humanitärer oder kultureller Belange gezogen werden dürfen. Ein fairer Wettbewerb, der Wettbewerbsvorteile zu Lasten Dritter unterbindet, verlangt nach einer die schützenswerten Belange der Allgemeinheit oder Dritter sichernden Ordnung. Seit einem Vierteljahrhundert ist deshalb die EU mehr und mehr dazu übergegangen, auch den sozialpolitischen Teil dieser Rahmenordnung für einen fairen Wettbewerb zu gestalten. Dieser Prozess ist in vollem Gange. Er steht im Zeichen des „Europäischen Sozialmodells“ und wird inspiriert von dem Gedanken, Europa zu einem „Sozialraum“ („espace social“) zu formen. Dieses Modell lebt aus der Hoffnung, die sich in den Worten Hengsbachs34 so umschreiben lässt: „In der regionalen Integration Europas liegt eine Chance, den Binnenmarkt zu einem europäischen ,Sozialraum‘ auszugestalten. Soziale Sicherungssysteme konkurrieren nicht erst seit der ,Globalisierung‘, solange Länder mit sehr hohen sozialen Standards zu den am meisten weltwirtschaftlich verflochtenen Ländern gehören und solange die sozialstaatliche Absicherung individuell nicht verursachter Lebensrisiken die Alternative zum Perfektionismus und zum globalen Chaos ist.“ Von Anfang an gehörte „eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung“ (Art. 2 EWGV) zur Aufgabe der EWG. Und zu den Tätigkeiten der EWG rechnete seit ihrem Beginn die Schaffung eines Europäischen Sozialfonds, „um die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu verbessern, um zur Hebung ihrer Lebenshaltung beizutragen“ (Art. 123 EWGV). Schon bei Schaffung der EWG war im Primärrecht ferner bestimmt: „Die Mitgliedstaaten sind sich über die Notwendigkeit einig, auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte hinzuwirken und dadurch auf dem Weg des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen. Sie sind der Auffassung, 34 Hengsbach, Friedhelm, Ein erweiterter Gesellschaftsvertrag im Schatten der Globalisierung, S. 67.
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dass sich eine solche Entwicklung sowohl aus dem eine Abstimmung der Sozialordnung begünstigenden Wirken des Gemeinsamen Marktes als auch . . . aus der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergeben wird“ (Art. 117 EWGV). Diese Bestimmung verdeutlicht, dass nicht die Absenkung, sondern vielmehr die Anhebung sozialer Standards eine wichtige Zielvorstellung des EURechts ist. Dieses sollte mittels zweier Instrumente verwirklicht werden: Dem Effekt des Marktes einerseits und Akten der Rechtsangleichung andererseits. Der Wettbewerb vertieft somit nicht etwa ökonomische Unterschiede, sondern er pflegt – ganz im Gegenteil – vorhandene ökonomische und soziale Unterschiede tendenziell gerade umgekehrt zu egalisieren. In einem funktionierenden Binnenmarkt werden daher Billiglöhne tendenziell eher verschwinden, weil gerade der Binnenmarkt den Beziehern von Billiglöhnen Verteilungsspielräume für Lohnerhöhungen eröffnet, die Bezieher von Einkommen in Hoch-Lohn-Ländern weit weniger haben. In dieser Wirkung kommt der Markt gerade auch den gering Entlohnten zugute. Der Markt allein vollbringt die Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen aber nicht. Ohne Rechtsangleichung ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Zu diesem Ergebnis kommt auch Stevens35: „From a pragmatical European point of view this is not efficient. There is a clear need for more uniformity on a European scale. This however raises quite a lot of questions on competence and jurisdiction. Nevertheless one could basically argue that the European welfare states are confronted with the same or similar problems. The more the European market gets integrated within the European Monetary Union, the more this will become reality. This is obviously linked with the contrast between the ongoing new European economic legislation and the absence of new European social legislation“.
Damit wird deutlich, dass der „Europäische Sozialkonsens“ dazu beitragen kann, die beschriebene Asymmetrie zwischen „Wirtschaft“ und „Sozialem“ auszugleichen. Er schafft gewissermaßen einen rechtlichen Korridor, in dem sich der Ausgleich zwischen „Wettbewerb“ und „Solidarität“ vollziehen kann. Damit zeigt er den Weg auf, auf dem die nationale Sozialstaatlichkeit der Mitgliedstaaten gewahrt bleiben kann, die durch das Primat des Ökonomischen auf EU-Ebene in Frage gestellt wird. 36
35 Stevens, Yves, The meaning of „national social and labour legislation“ in directive 2003 / 41 / EC on the activities and supervision of institutions for occupational retirement provision, S. 31. 36 Schulte, Bernd, Die Entwicklung der Sozialpolitik der Europäischen Union und ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen Sozialmodells, S. 93; Memo-Forum, Zirkular der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“, Nr. 28, Vollbeschäftigung und eine starke Sozialverfassung – Alternativen für eine Neue Ökonomie in Europa, S. 1.
6. Hoher Grad an Bestimmtheit
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6. Hoher Grad an Bestimmtheit Eine profane, aber nicht zu unterschätzende Schwierigkeit beim Ausbau der sozialen Kompetenzen ist die Terminologie. So können sich Probleme für die Definition des Begriffs Sozialpolitik auch daraus ergeben, dass sie je nach dem gesellschaftspolitischen und rechtlichen Verständnis unterschiedlich umschrieben wird, bzw. in verschiedenen Rechtssystemen unterschiedliche Funktionen betrifft. Auch die Definition der Begriffe „Sozialrecht“ und „soziale Sicherheit“ ist insbesondere im internationalen und supranationalen Rahmen schwierig, weil sie gleichzeitig Vorgaben für die inhaltliche Ausgestaltung der Systeme enthält und umgekehrt.37 Das deutsche „Sozialrecht“ entspricht nicht dem Inhalt des französischen „droit social“ oder dem niederländischen „sociaal recht“. Ebensowenig entspricht das britische „social security legislation“ dem belgischen „sociale zekerheid“ oder dem portugiesischen „segurança social“.38 Ähnliches gilt für die Ziele des Vertrags, wie Dauderstädt39 es beschreibt: „The EU treaties define a number of common goals, such as social cohesion, solidarity, and social progress (preamble and Art. 2). The Charta of Fundamental Rights has codified many social rights in the Chapter IV on „Solidarity“. But the interpretation of those values and compliance differ significantly among national governments and other societal actors and in fact constitute a disputed issue. Compliance can be assured by different means: in a „liberal-institutionalist“ perspective, the legitimacy of the values can be assured by specific procedures of adoption, by embedding them in legitimate institutions, by making them enforceable by national law and by convincing the relevant actors. In a „realistic“ perspective, compliance with possibly costly rules depends on the degree of surveillance and sanctions, the administrative and political capacity of states, the autonomy and power of political systems vis-à-vis societal actors and the relative power of the winners over the losers“.
Der „Europäische Sozialkonsens“ kann hier Abhilfe schaffen. Auf der intergouvernementalen Ebene kann insoweit zur Klarheit beigetragen werden. Indem auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs regelmäßig die sozialpolitische Ausrichtung der Europäischen Union diskutiert und gestaltet wird, erhält die Sozialpolitik ferner den Stellenwert, der ihr zusteht. Deshalb ist im Rahmen des „Europäischen Sozialkonsenses“ besonderer Wert auf einen hohen Grad an Bestimmtheit und an inhaltlicher Nähe zu den nationalen rechtlichen Gegebenheiten Wert zu legen.
Kahil, Bettina, Europäisches Sozialrecht und Subsidiarität, S. 172. Stevens, Yves, The meaning of „national social and labour legislation“ in directive 2003 / 41 / EC on the activities and supervision of institutions for occupational retirement provision, S. 30. 39 Dauderstädt, Michael, The Enlarging Euroland: Deepening and Widening Unemployment and Inequality?, S. 26. 37 38
XIII. Zukunft des „Europäischen Sozialmodells“ und des „Europäischen Sozialkonsenses“ im Licht des Verfassungsvertrags Nach der Ablehnung des Textes des Verfassungsvertrages durch die Bevölkerung der Niederlande und Frankreichs und die selbst verordnete „Denkpause“ ist zunächst nicht von einem schnellen Abschluss des Ratifizierungsprozesses auszugehen.1 Wenn auch die Erklärungen zur Zeit dahin gehen, dass man den Text vorerst nicht modifizieren wird, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere im Sozialbereich doch noch Veränderungen eingebracht werden, da hier die größten Sorgen und Befürchtungen der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht worden sind. Deshalb soll nur kurz geprüft werden, ob im Lichte des aktuell vorliegenden Textes des Verfassungsvertrages der „Europäische Sozialkonsens“ als Instrument der Verfestigung und Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ aufrechterhalten werden kann. Der Verfassungsvertrag wurde nach den abschlägigen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden zunächst „eingefroren“. Es ist derzeit nicht abzuschätzen, wie und ob seine Ratifizierung fortgesetzt wird. Während einige Länder mit dem Ratifizierungsverfahren fortfahren, haben andere Länder eine Entscheidung zunächst verschoben.2 Denkbar erscheint auch die Variante, dass, insbesondere unter Berücksichtigung der Forderungen nach einem „sozialeren Europa“, der Text noch einmal überarbeitet wird, selbst wenn dies zur Folge hat, dass die Abstimmungen über die Ratifizierung wieder von vorne beginnen müssten. Dabei sollte man allerdings nicht dem Trugschluß unterliegen, dass damit auch eine Zustimmung zu einer Kompetenzerweiterung eingeschlossen ist. Die Analysen der Gründe der Ablehnung haben gezeigt, dass die Bürger unter einem „sozialeren Europa“ mehr persönliche soziale Sicherheit und weniger „europäische Einmischung“ verstehen, ein Paradoxon, das schwer auflösbar sein dürfte. Aufgrund dieser Ungewissheiten seien in diesem Zusammenhang nur die wichtigsten Regelungen im Anhang XXI. aufgeführt. Die Aufzählung nimmt nur Bezug auf die wichtigsten sozialen Regeln, 1 Vgl. zu Lösungsvorschlägen über das weitere Vorgehen Emmanouilidis, Janis A., Overcoming the Constitutional Crisis, 2005. 2 Vgl. dazu Kap. X. 1., Fn. 9 – 11.
XIII. Zukunft im Licht des Verfassungsvertrags
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auf eine umfassende Aufzählung, wie im Rahmen des EGV, z. B. auch der Vorschriften der Freizügigkeit oder der anderen Grundfreiheiten, wurde verzichtet, da sich hier kaum wesentliche Änderungen ergeben. Im aktuellen Text des Verfassungsvertrages wird der Begriff des „Europäischen Sozialmodells“ selbst nicht erwähnt. Bedenkt man, dass bei der Einrichtung der Konventsarbeitsgruppen zunächst gar keine eigenständige Gruppe für die Sozialpolitik vorgesehen wurde, sondern die soziale Dimension mit in der Arbeitsgruppe „Economic Governance“ behandelt werden sollte3, ist dieses Ergebnis nicht verwunderlich. Die Tatsache, dass eine eigenständige Befassung einer Arbeitsgruppe mit den sozialen Fragen erst nachträglich eingerichtet wurde, zeigt auch im Rahmen der Konventsdiskussionen, wie gering der Stellenwert der Sozialpolitik angesehen wird. Die Behandlung der sozialen Dimension als eines Teils der „economic governance“ macht deutlich, dass selbst bei den Beratungen zum Verfassungsvertrag noch immer nicht von einer Gleichwertigkeit zwischen Wirtschaft und Sozialem ausgegangen wurde, sondern einmal mehr die Wirtschaft im Fokus der Beratungen stand.4 Es ist auch nicht festzustellen, dass ein „Quantensprung“ hin zu einer eigenständigen sozialpolitischen Säule unternommen worden wäre.5 Dies liegt nach Ansicht von Brusis 6 nicht zuletzt daran, dass die Entscheidungsträger unterschiedliche sozialpolitische Ordnungsmodelle vertraten und vor dem Hintergrund ihrer national geprägten sozialstaatlichen Traditionen diskutierten.7 Ferner wurde in den Debatten deutlich, vor welchen Herausforderungen das „Europäische Sozialmodell“ steht und mit welchem Anpassungsdruck nicht nur die nationalen Systeme sondern auch die europäische Ebene konfrontiert wird. Insgesamt bietet der Verfassungsvertrag in seiner jetzigen Form zwar keine neuen Antworten auf die künftigen Herausforderungen, bestätigt aber zumindest den Status Quo der europäischen Integration im Bereich der Sozialpolitik. Er wertet die sozialen Werte und Ziele der Europäischen Gemeinschaft insgesamt auf, erweitert aber nicht ihre rechtlichen und sozialpolitischen Handlungsmöglichkeiten. Gefestigt werden allerdings die Grundlagen für die Anwendung der OMK, die für immer mehr Teilbereiche der Sozialpolitik zum dominierenden Integrationsverfahren geworden ist.8 3 Brusis, Martin, Die soziale Dimension der Europäischen Union – Kontroversen und Ergebnisse des Konvents, 2003; Kollewe, Kathleen, EU Sozial – Die soziale Dimension Europas im EU-Konvent. 4 Vgl. dazu Rödl, Florian, Europäisches Verfassungsziel ,soziale Marktwirtschaft‘ – kritische Anmerkungen zu einem populären Modell, in: integration 2 / 2005, S. 157. 5 Vgl. zum Verfassungsvertrag insgesamt Fischer, Klemens H., Der Europäische Verfassungsvertrag, 2005; Thalmaier, Bettina, Nach den gescheiterten Referenden: Die Zukunft des Verfassungsvertrags, 2005; Wiener, Antje, Zum Demokratiedilemma europäischer Politik: Symbole und Inhalte der Verfassungsdebatte, 2001. 6 Brusis, Martin, Die soziale Dimension im Verfassungsvertrag, CAP, Bertelsmann Stiftung, November 2004, S. 3 f. 7 Vgl. dazu auch Rödl, Florian, Europäisches Verfassungsziel ,soziale Marktwirtschaft‘ – kritische Anmerkungen zu einem populären Modell, in: integration 2 / 2005, S. 150.
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XIII. Zukunft im Licht des Verfassungsvertrags
Das größte Manko des Verfassungsvertrages sieht Brusis in der unterlassenen Präzisierung des Art. 137 EGV (im Verfassungsvertrag Art. III-210). Er geht sogar so weit, die neuen Querschnittsklauseln zu den sozialen Werten und Zielen der Europäischen Union (Art. I-2 und Art. I-3 Verfassungsvertrag), die eine richterliche Abwägung solidarisch-gemeinwohlorientierter und wettbewerbsrechtlicher Prinzipien ermöglichen würden, eher ambivalent zu betrachten. Insoweit kritisiert er, dass damit die Weiterentwicklung der sozialen Dimension dem Europäischen Gerichtshof überlassen werde, der nicht demokratisch legitimiert sei und in der Vergangenheit vielfach zu Urteilen geneigt habe, die einer negativen Integration der Marktöffnung den Weg bereitet hätten.9 Insgesamt zeigt ein Vergleich des sozialen Bestandes, dass die soziale Dimension leicht gestärkt wurde, indem die Zielbestimmungen verdeutlicht und sogar erweitert wurden (z. B. Rechte der Kinder und der älteren Menschen) und die Kompetenzen nicht geschmälert wurden. Zumindest in der vorliegenden Form hätte der Verfassungsvertrag keine einschneidenden Konsequenzen hinsichtlich der Kompetenzgrundlagen eines „Europäischen Sozialkonsenses“. Damit kann man feststellen, dass ein „Europäischer Sozialkonsens“ auch im Lichte des zur Zeit vorliegenden Textes des Verfassungsvertrages möglich und umsetzbar wäre.
Brusis, Martin, Die soziale Dimension im Verfassungsvertrag, S. 4. Brusis, Martin, Die soziale Dimension im Verfassungsvertrag, S. 14, vgl. dazu auch Rödl, Florian, Europäisches Verfassungsziel ,soziale Marktwirtschaft‘ – kritische Anmerkungen zu einem populären Modell, in: integration 2 / 2005, S. 158. 8 9
XIV. Kompetenzverteilung im Rahmen des Europäischen Sozialkonsenses zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten 32. THESE: Im Rahmen des „Europäischen Sozialkonsenses“ muss die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Gemeinschaft genau beachtet werden.
Grundlage der Europäischen Union sind gem. Art. 1, Abs. 3 EUV die Europäischen Gemeinschaften einerseits und die durch den Vertrag über die Europäische Union eingeführten Politiken und Formen der Zusammenarbeit, GASP – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und PJZS – Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen andererseits. Das „Europäische System“ ist nach Schulte insofern ein rechtlich sehr heterogenes Gebilde, innerhalb dessen die supranationalen Europäischen Gemeinschaften einen auf den mit Souveränitätsverzichten zugunsten der Gemeinschaften einhergehenden Zustimmungsgesetzen der einzelnen Mitgliedstaaten zu diesen Gründungsverträgen gründenden Kern darstellen.1 Die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union ergibt sich aus dem Vertragswerk. Danach bleiben die Mitgliedstaaten weiterhin in weiten Teilen grundsätzlich eigenverantwortlich für ihre Sozialpolitiken, die Organe und Institutionen respektieren die ihnen in den Verträgen gesetzten Grenzen. Gleichzeitig haben aber auch die Mitgliedstaaten die auf sozialem Gebiet erlassenen Regelungen und die EuGH-Urteile zu respektieren, was im einzelnen zu folgenden Grenzen nationalstaatlicher Souveränität im Bereich der Sozialpolitik führt: Vergünstigungen können nicht mehr lediglich auf Staatsbürger beschränkt werden (Auswirkungen der Freizügigkeit) Sozialleistungen können im Ausland konsumiert werden (Dienstleistungsfreiheit) Wettbewerb ausländischer Sozialpolitikregime im Mitgliedsland kann nicht mehr ohne weiteres verhindert werden (Entsenderichtlinie) 1 Schulte, Bernd, Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaats in Europa, Herausforderungen und Chancen, S. 35.
424 XIV. Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten
Ausländische Staaten können an der Regulierung inländischer Ansprüche mitwirken Regierungen können nicht mehr alleine festlegen, wer die sozialen Dienstleistungen anbietet. Wohlfahrtsstaatliche Angebotsmonopole (etwa im Bereich der Krankenversorgung und -versicherung) werden eingeschränkt (Services of public interest).2
An dieser grundsätzlichen Kompetenzverteilung ändert auch der „Europäische Sozialkonsens“ nichts, da er sich, wie beschrieben, in den Grenzen der Verträge hält.
2
Heidenreich, Martin, Die Entwicklung eines „Sozialen Europa“, Folienvortrag.
XV. Abschließende Beurteilung des „Europäischen Sozialkonsenses“ 33. THESE: Das neue Instrument des „Europäischen Sozialkonsenses“ schafft die Möglichkeit, auf der Grundlage des EG-Vertrages und unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten das „Europäische Sozialmodell“ zu stärken, auszubauen und zu einer eigenständigen sozialpolitischen Säule beizutragen.
Die Gesamtschau der Arbeit, von der Analyse der gegenwärtigen Situation, ihrer Bewertung bis hin zum Vorschlag eines „Europäischen Sozialkonsenses“ hat aufgezeigt, warum ein neuer Ansatz für das „Europäische Sozialmodell“ erforderlich ist und wie dieser in der Form des „Europäischen Sozialkonsenses“ umgesetzt werden kann. Die Analyse der Ist-Situation hat ergeben, dass zwar ein grundsätzlicher Wunsch seitens der Entscheidungsträger vorhanden ist, das „Europäische Sozialmodell“ weiterzuentwickeln1, hinsichtlich der dazu traditionell eingesetzten Verfahren jedoch geltend gemacht wird, dass es an den erforderlichen Grundlagen fehle. Wie die Diskussionen anlässlich des Gipfels von Hampton Court und die in diesem Zusammenhang erstellten Papiere2 gezeigt haben, wurden einmal mehr die beiden Hauptprobleme deutlich, die der Weiterentwicklung des „Europäischen Sozialmodells“ scheinbar im Wege stehen: Die große Diversität der bestehenden nationalen Sozialsysteme und ihre damit einhergehenden weitgehenden Unvereinbarkeiten und die damit im Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten der Definition eines einheitlichen „Europäischen Sozialmodells“. Der fehlende Wunsch zum Handeln, wenn ausreichende rechtliche Grundlagen zur Verfügung stünden.
Als Weg aus dieser Situation wurden bislang nur Teillösungen vorgeschlagen, wie der verstärkte Einsatz der OMK oder die Intensivierung des Sozialen Dialogs, ein Gesamtkonzept, das alle Aspekte berücksichtigt und einen einheitlichen Ansatz unter Einbeziehung aller rechtlichen Möglichkeiten und Nutzung aller zur Verfügung stehenden Verfahren umfasst, wurde bislang noch nicht reflektiert.
1 Spidla,Vladimír, Das europäische Sozialmodell: Wunschdenken oder Realität?, Rede 06 / 291, 2006. 2 Vgl. Discussion papers prepared for the UK presidency, October 2005, Kap. VIII, Fn. 41.
426
XV. Abschließende Beurteilung
Insoweit ist der hier entwickelte Ansatz eines „Europäischen Sozialkonsenses“ ein Novum. Die Arbeit zeigt auf, dass es zumindest möglich ist, „Eckpfeiler“ des „Europäischen Sozialmodells“ zu beschreiben, die den politischen Rahmen stützen können. Sie weist ferner nach, dass ein umfassendes rechtliches Instrumentarium zur Verfügung steht und rundet den dreistufigen Prozess des „Europäischen Sozialkonsenses“ durch die erforderliche Verbindlichkeit ab. Der „Europäische Sozialkonsens“ erschöpft sich damit nicht in rein politischen Vorgaben des Europäischen Rates auf höchster Ebene, sondern beschreibt einen danach einsetzenden mehrstufigen Prozess, der es ermöglicht, das Auseinanderklaffen der Forderung nach mehr „sozialem Europa“ und der Realität des „muddling through“ auf vermeintlich unzureichenden rechtlichen Grundlagen zu überwinden. Dabei beruht er auf der rechtlich gesicherten Basis des EG-Vertrags in der Fassung von Nizza und zeichnet sich durch ein geregeltes und in jeder Phase nachvollziehbares Verfahren aus. Der „Europäische Sozialkonsens“ erfüllt alle oben aufgestellten Anforderungen. Er ist rechtlich verbindlich und wird inhaltlich auf höchster Ebene durch den Europäischen Rat bestimmt, vermeidet eine Asymmetrie zwischen Wirtschaft und Sozialem, weist einen hohen Grad an Bestimmtheit auf und berücksichtigt in ausreichendem Maße im Rahmen der dafür vorgesehenen Verfahren die nationalen Interessen und Partikularitäten. Seine Realisierungsmöglichkeit auf der Grundlage der lex lata konnte nachgewiesen werden. Seine Vorteile gegenüber den anderen vorgestellten Lösungsansätzen sind zum ersten, dass er die sozialpolitische Dimension insgesamt stärkt, da die Konsensfindung auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs stattfindet und damit eine generelle Aufwertung erfährt. Er erlaubt es auch, über die „wirtschaftliche Flankierung“ hinaus, ein eigenes sozialpolitisches Profil der Gemeinschaft zu entwickeln und damit zu ihrer Vertiefung beizutragen. Ein weiterer Vorteil ist, dass er ein klar definiertes, rechtlich konsistentes Verfahren beschreibt und nicht bei politischen Wunschvorstellungen verbleibt. Ferner hilft die am Anfang, in der ersten Stufe des Konsensprozesses, zu erstellende Bestandsaufnahme, einen Überblick darüber zu erhalten, was an Regeln vorhanden ist. Mit Hilfe dieser Gesamtschau kann besser eingeschätzt werden, was zwischenzeitlich obsolet geworden ist, was geändert und was neu vorgeschlagen werden sollte. Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Tatsache, dass der „Europäische Sozialkonsens“ keine Vertragsänderung erfordert. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen halten sich im Rahmen der bereits vorgegebenen rechtlichen Möglichkeiten. Sie optimieren sie lediglich, indem sie alle Chancen nutzen und das europäische Recht in seiner gesamten Bandbreite einsetzen.
XV. Abschließende Beurteilung
427
Die zweite Stufe hat den Vorteil, dass die Europäische Kommission zielgerichteter arbeiten kann. Befand sie sich bislang, gerade im Sozialbereich, einer Vielzahl von Einflüssen, insbesondere auch externer Art, z. B. durch einflussreiche Interessenvertreter jeder Genese ausgesetzt, kann sie die Sozialpolitik nunmehr stringenter an zwischen den Staats- und Regierungschefs abgestimmten Zielvorgaben ausrichten. Es war eines der Anliegen der Arbeit, die zur Zeit bedauerlicherweise festzustellenden, schwer zu kontrollierenden unterschiedlichsten Einflüsse durch Interessenvertreter durch ein geregeltes Verfahren zu kanalisieren. Insoweit kann der „Europäische Sozialkonsens“ durch die in der ersten Stufe vorgeschlagene Bestandsaufnahme über die bestehende Regelungsdichte Klarheit schaffen und zur Entwicklung eines politisch geprägten und von wirklich Notwendigem bestimmten „Fahrplans“ beitragen. Dabei werden weder die normalerweise an den Verfahren beteiligten Institutionen noch die Interessenvertreter ausgeschlossen, sondern gerade einbezogen, allerdings in einem nunmehr geordneten und rechtlich abgesicherten Verfahren innerhalb eines inhaltlich vorgegebenen Gesamtrahmen. Dies berücksichtigt mehr als bislang ihre systematische Einbeziehung und respektiert die jeweiligen Anhörungsrechte und Beteiligungswünsche. Zwar wäre es unrealistisch zu glauben, dass jede Art von „Lobbying“ außerhalb der vorgesehenen Verfahren dadurch unterbunden werden könnte – der „Europäische Sozialkonsens“ kann aber zumindest dazu beitragen, dass mehr als bisher die vorgesehenen Verfahren genutzt werden. Der „Europäische Sozialkonsens“ beschränkt auch nicht in unzulässiger Weise das der Europäischen Kommission zugestandene Initiativrecht, denn die Ergebnisse des Konsenses sind eine „Richtschnur“, keine „Weisung“. Die letzte Entscheidung, ob eine Initiative vorgeschlagen wird, liegt immer noch bei der Europäischen Kommission. Der „Europäische Sozialkonsens“ greift auch nicht unzulässig in das Rechtsetzungsverfahren ein, sondern respektiert die vertraglichen Vorgaben. Die Europäische Kommission schlägt die einzusetzenden Vorschriften, Verfahren und Maßnahmen, ausgerichtet an den rechtlichen Möglichkeiten, vor. Die spätere Umsetzung unterliegt keinen speziellen Regeln, die von den bekannten Verfahren abweichen würden. Damit kann man den Schluss ziehen, dass der „Europäische Sozialkonsens“ das geeignete Mittel ist, um das „Europäische Sozialmodell“ zu verfestigen und auszubauen.
XVI. Zusammenfassung und Ergebnis Es war Ziel der Arbeit nachzuweisen, dass einerseits ausreichende Kompetenzen zur Entwicklung einer eigenständigen sozialpolitischen Säule im Primärrecht vorhanden sind, andererseits aber auch das dazu notwendige Instrumentarium in Form des „Sozialkonsenses“ besteht, mit dessen Hilfe sich ohne Eingriffe in das Primärrecht das Ziel erreichen lässt. Es galt also, nicht realisierbarkeitsferne rechtstheoretische Überlegungen anzustellen, sondern praxisorientiert eine politisch machbare und rechtlich abgesicherte Lösung aufzuzeigen. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Europäische Union einen Wandel erlebt hat. Angetreten mit dem Ziel der Befriedung der Völker und der Schaffung vergleichbarer Lebensbedingungen hat sie jahrelang alles daran gesetzt, um die wirtschaftliche Entwicklung im Sinne eines möglichst liberalisierten Wettbewerbs zu gestalten. In immer mehr Bereichen sind – im wahrsten Sinne des Wortes – die Grenzen gefallen und das freie Spiel der Kräfte konnte sich entfalten. Statt aber zu dem Ergebnis einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger zu kommen, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und den Markt zu beflügeln, wurde in vielen Fällen das Gegenteil erreicht. Die Liberalisierung des Strommarktes hat nicht – wie erwartet und vorhergesagt – in allen Mitgliedstaaten zu Preissenkungen für den Verbraucher geführt, sondern im Gegenteil zu Oligopolen und letztlich höheren Preisen. Ähnlich unerwünschte Entwicklungen haben sich auch in anderen Bereichen ergeben. Die lange Zeit heftigst diskutierte Dienstleistungsrichtlinie und die geplanten Regelungen zur Daseinsvorsorge sind nur zwei Beispiele, bei denen zu befürchten steht, dass die angestrebte Liberalisierung letztendlich negative Effekte haben wird. Diese Vorgehensweise ist nicht neu. Schon 1974 hat Krebsbach aufgezeigt, dass „ . . . die bedeutendsten Sozialprobleme von der Gemeinschaft teilweise erst selbst geschaffen werden oder durch sie beschleunigt wurden“. Als Beispiel nennt er die Industriepolitik, die zur Gefährdung von Arbeitsplätzen führte.1 Dies zeigt, wie nachgewiesen wurde, dass nicht nur die Sozialpolitik zu lange vernachlässigt wurde, sondern einige wirtschaftspolitische Entscheidungen soziale Probleme hervorgerufen haben, die dann wieder „nachgebessert“ werden mussten. 1 Krebsbach, Ulrich, Europäische Sozialpolitik – Hemmschuh der Integration?, S. 37 m. w. N.
XVI. Zusammenfassung und Ergebnis
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Die traditionell starke Betonung der Wirtschaftspolitik hat hinsichtlich der Entwicklung eines „Europäischen Sozialmodells“ nicht die gewünschten Ergebnisse gezeigt. Bislang hat die Wirtschaftspolitik im Vordergrund gestanden und über sie wurde die Weiterentwicklung der Europäischen Union gesteuert. Dies war auch problemlos möglich, da die Unterschiede der Systeme zunächst keine gravierenden praktischen Auswirkungen hatten. Nunmehr hat sich die Situation aber grundlegend geändert. Die Steuerung ausschließlich über die Wirtschaft gelingt nicht mehr, da die sozialen Grundbedingungen zu unterschiedlich sind. Im Vordergrund stand stets die Liberalisierung des Wettbewerbs mit allen Mitteln, damit die Bürger bzw. die Verwaltungen von den qualitativ besten und gleichzeitig preiswerten Gütern und Dienstleistungen profitieren konnten. Das „magische Viereck“ aus Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, hohem Beschäftigungsstand und dem Gleichgewicht der Gesamtzahlungsbilanz hat sich verschoben. Solange die Grundbedingungen nicht zu unterschiedlich waren, hat dieses Vorgehen funktioniert. Nunmehr sind aber Staaten zur Europäischen Union gekommen, die die sozialen Standards weit unterbieten können und sowohl das europäische als auch das nationale Recht zeigen Lücken, die es erlauben, „Dumping-Preise“ anzubieten. Die daraus resultierenden Rückwirkungen auf den Arbeitsmarkt führen in der Folge zu sozialer Unzufriedenheit, die letztendlich der Europäischen Union und deren mangelnden sozialpolitischen Konzepten angelastet wird. Hier rächt sich zum einen, dass eine stringente Sozialpolitik nicht verfolgt wurde und die Grundlagen für entsprechende Angleichungen nicht konsequent genutzt wurden. Zum anderen muss die Frage gestellt werden, ob dies nicht ein entscheidendes Argument für die Notwendigkeit einer eigenen sozialpolitischen Säule ist. Ging man bisher davon aus, dass die Wirtschaftspolitik die treibende Kraft ist und die Sozialpolitik nur ihr „Anhängsel“, hat sich die Lage gedreht. Man wird damit beginnen müssen, eigenständig sozialpolitisch zu agieren2. Die europäische Sozialpolitik i. S. d. hier entwickelten „Europäischen Sozialkonsenses“ kann damit von der rein wirtschaftsbezogenen Applikation zu einem eigenständigen sozialen Gegengewicht werden. Dabei mag sie auch mit dem Ziel der Sicherung eines unionsweit ausgewogenen, sich auf der Basis eines fairen Wettbewerbs bewegenden Fortschritts beitragen. Von der jahrelang befürchteten Behinderung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Sozialpolitik, was, wie dargelegt, zu ihrer dauerhaften Zurückdrängung und ihrer wirtschaftsbezogenen Instrumentalisierung führte, mutiert sie nunmehr zu einem wichtigen eigenständigen Instrument einer gedeihlichen harmonischen Entwicklung der Europäischen Union. Gerade deshalb war es weitsichtig, einer 2 Vgl. dazu Kaelble, Hartmut, Der europäische Wohlfahrtsstaat: Geschichte und transnationale Seite, S. 76 f.
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XVI. Zusammenfassung und Ergebnis
eigenständigen Sozialpolitik im Primärrecht eine ausreichende Kompetenzgrundlage zu gewährleisten. Von ihr wird in der Zukunft in weit größerem Umfang Gebrauch gemacht werden müssen. Ihre rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zu nutzen, wird zur Notwendigkeit werden, weil der freie Wettbewerb wegen der Unterschiedlichkeit der Ausgangslage in den Mitgliedstaaten ohne die Berücksichtigung sozialer Belange und ihrer Ausgleichsfunktion an seine Grenzen stößt. In der Praxis kann der „Europäische Sozialkonsens“ zu einer neuen „balance of forces“ entscheidend beitragen. Es ist festzustellen, dass die Europäische Gemeinschaft grundsätzlich die rechtlichen Mittel und Möglichkeiten hat, um im sozialpolitischen Bereich ebenso tätig zu werden, wie in der Wirtschaftspolitik. Dass diese bislang nicht so eingesetzt und genutzt wurden, lag zum einen an der beschriebenen Zurückhaltung der Mitgliedstaaten, die „sozialpolitischen Zügel“ aus der Hand zu geben, zum anderen an der – scheinbar – mangelnden Kompetenz. Die Notwendigkeit, stärker koordinierend und auch gestaltend in die soziale Entwicklung einzugreifen, ist seit dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten deutlich geworden und wird sich aufgrund der großen systemimmanenten Unterschiede weiter verstärken. Das rechtliche Instrumentarium ist – wie nachgewiesen wurde – ebenfalls vorhanden. Was fehlt, ist lediglich der politische Wille der Mitgliedstaaten, dieses Instrumentarium zu nutzen.3 Dazu wäre aber auch ein Mehr an echter Solidaritätsbereitschaft erforderlich, wie sie treffend von Habermas4 formuliert wurde: „Die bisher auf den Nationalstaat beschränkte staatsbürgerliche Solidarität muss sich auf den Bürger der Union derart ausdehnen, dass beispielsweise Schweden und Portugiesen, Deutsche und Griechen bereit sind, füreinander einzustehen“.
3 Oppermann, Thomas, Europarecht, S. 562; vgl. dazu auch Schuster, Joachim, Die deutsche Diskussion über ein Europäisches Sozialmodell, S. 7; Sommer, Michael, Für ein europäisches Sozialmodell, Handelsblatt, 30. 07. 2004, S. 5. 4 Habermas, Jürgen, Die postnationale Konstellation, Frankfurt / Main, 1998, S. 148 – 150.
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Die Literatur wurde berücksichtigt bis zum 31. 12. 2006.
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Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Auf dem Weg zur erweiterten Union, Strategiepapier und Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt, KOM (2002) endg., {SEK 82002) 1400 – 1412}, vom 09. 10. 2002. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Verbesserung des Unternehmensumfelds, KOM (2002) 610 endg. vom 07. 11. 2002. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission – Europäische Benchmarks für die allgemeine und berufliche Bildung: Follow-up der Tagung des Europäischen Rates von Lissabon, KOM (2002) 629 endg. vom 20. 11. 2002. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission, Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Volle Nutzung der Vorteile und Möglichkeiten, KOM (2002) 694 endg. vom 11. 12. 2002. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuß der Regionen: Entwurf zum Gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates über angemessene und nachhaltige Renten, KOM (2002) 737 endg. vom 17. 12. 2002. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuß der Regionen: Vorschlag für einen Gemeinsamen Bericht Gesundheitsversorgung und Altenpflege: Unterstützung nationaler Strategien zur Sicherung eines hohen Sozialschutzniveaus, KOM (2002) 774 endg. vom den 03. 01. 2003. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuß der Regionen, Die Zukunft der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS), Eine Strategie für Vollbeschäftigung und bessere Arbeitsplätze für alle, KOM (2003) 6 endg. vom 14. 01. 2003. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuß der Regionen, Umsetzung der sozialpolitischen Agenda – eine Bilanz, KOM (2003) 57 endg. vom 06. 02. 2003. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Durchführung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten, KOM (2003) 177 endg. vom 08. 04. 2003. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg. vom 21. 05. 2003. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, KOM (2003) 284 endg. vom 21. 05. 2003. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Stärkung der sozialen Dimension der Lissabonner Strategie: Straffung der offenen Koordinierung im Bereich Sozialschutz, KOM (2003) 261 endg. vom 27. 05. 2003.
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Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Halbzeitüberprüfung der sozialpolitischen Agenda, KOM (2003) 312 endg. vom 02. 06. 2003. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuß der Regionen hinsichtlich der Überprüfung der Richtlinie 93 / 104 / EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, KOM (2003) 843 endg. vom 30. 12. 2003. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004) 2 endg. vom 25. 02. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Umsetzung der Sozialpolitischen Agenda – Übersicht, KOM (2004) 137 endg. vom 01. 03. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen – Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union – 2007 – 2013, KOM (2004) 101 endg. / 3 vom 12. 03. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission, Die europäische Beschäftigungsstrategie wirkungsvoller umsetzen, Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten, Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Durchführung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten, KOM (2004) 239 endg. vom 07. 04. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuß der Regionen, Modernisierung des Sozialschutzes für die Entwicklung einer hochwertigen, zugänglichen und zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege, Unterstützung der einzelstaatlichen Strategien durch die „offene Koordinierungsmethode“, KOM (2004) 304 endg. vom 20. 04. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, KOM (2004) 279 endg. vom 21. 04. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Grünbuch zu öffentlich-pivaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, KOM (2004) 327 endg. vom 30. 04. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Grünbuch – Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierungen in einer erweiterten Europäischen Union, KOM (2004) 379 endg. vom 28. 05. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Soziale Eingliederung in den neuen Mitgliedstaaten – Eine Synthese der gemeinsamen Memoranden zur sozialen Eingliederung, SEK 82004) 848 vom 22. 06. 2004.
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Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Finanzielle Vorausschau 2007 – 2013, KOM (2004) 487 endg. vom 14. 07. 2004. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Entwurf des gemeinsamen Berichts über Sozialschutz und soziale Eingliederung, KOM (2005) 14 endg. vom 27. 01. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Arbeitspapier der Kommission, Beitrag zum Bericht der Kommission für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates am 22. und 23. März 2005 über die Lissabon-Strategie zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erneuerung, SEK (2005) 160 vom 28. 01. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates, Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze – Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon, Mitteilung von Präsident Barroso im Einvernehmen mit Vizepräsident Verheugen, KOM (2005) 24 vom 02. 02. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Für Wachstum sorgen und Arbeitsplätze schaffen: ein neuer und integrierter Koordinierungszyklus für Wirtschaft und Beschäftigung in der EU – Begleitdokument zur Mitteilung an die Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2005 {COM (2005) 24} Zusammenarbeiten für Wachstum und Arbeitsplätze – Ein neuer Start für die Lissabonner Strategie, SEC (2005) 193 vom 03. 02. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission, Sozialpolitische Agenda, KOM (2005) 33 endg. vom 09. 02. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission, Umstrukturierung und Beschäftigung – Umstrukturierungen antizipieren und begleiten und die Beschäftigung fördern: die Rolle der Europäischen Union, KOM (2005) 120 endg. vom 31. 03. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuß der Regionen, Mehr Gesundheit, Sicherheit und Zuversicht für die Bürger – Eine Gesundheits- und Verbraucherschutzstrategie, und Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft in den Bereichen Gesundheit und Verbraucherschutz (2007 – 2013), KOM (2005) 115 endg. vom 06. 04. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Integrierte Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005 – 2008) – Mitteilung des Präsidenten im Einvernehmen mit Vizepräsident Verheugen und den Kommissaren Almunia und Špidla mit einer Empfehlung der Kommission zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft (gemäß Artikel 99 EG-Vertrag) und einem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag), KOM (2005) 141 endg. vom 12. 04. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat über europäische Politiken im Jugendbereich: Die Anliegen Jugendlicher in Europa aufgreifen – Umsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend und Förderung der aktiven Bürgerschaft, KOM(2005) 206 endg. vom 30. 05. 2005.
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Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Gemeinsame Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung: Das Lissabon-Programm der Gemeinschaft, KOM (2005) 330 endg. vom 20. 07. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, (Neufassung), KOM (2005) 380 endg. vom 25. 08. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Der Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion, KOM (2005) 494 endg. vom 13. 10. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen, KOM (2005) 507 endg. vom 20. 10. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Europäische Werte in der globalisierten Welt, Beitrag der Kommission zur Tagung der Staats- und Regierungschefs im Oktober, KOM (2005) 525 endg. vom 20. 10. 2005 und Corrigendum Paragraphe 2 du point 3.3. KOM(2005) 525 endgültig / 2 vom 03. 11. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Geänderter Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität – PROGRESS, KOM (2005) 536 endg. vom 21. 10. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds, KOM (2005) 535 vom 25. 10. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen und Konzessionen, KOM (2005) 569 endg. vom 15. 11. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Entscheidung der Kommission vom 28. November 2005 über die Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen, die bestimmten, mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, ABl. EU L 312 / 67 vom 29. 11. 2005 Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission, Modernisierung der allgemeinen und beruflichen Bildung: ein elementarer Beitrag zum Wohlstand und zum sozialen Zusammenhalt in Europa, Entwurf des gemeinsamen Fortschrittsberichts des Rates und der Kommission über die Umsetzung des Arbeitsprogramms „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“, KOM (2005) 549 endg. / 2 vom 30. 11. 2005.
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Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Vorrangige Maßnahmen zur Lösung von Migrationsproblemen: Erste Folgemaßnahmen nach Hampton Court, KOM (2005) 621 endg. vom 30. 11. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Zwischenbericht über die Folgemaßnahmen zur informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs in Hampton Court, KOM (2005) 645 endg. vom 07. 12. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuß der Regionen, Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union, KOM (2005) 706 endg. vom 22. 12. 2005. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Verordnung (EG) Nr. 1080 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1783 / 1999, ABl. EU L 210 / 1 vom 31. 07. 2006. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden, KOM (2006) 136 endgültig vom 22. 03. 2006. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Verordnung (EG) Nr. 1081 / 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1784 / 1999, ABl. EU L 210 / 12 vom 31. 07. 2006. Krätke, Michael R.: Hat das „europäische Sozialmodell“ noch eine Zukunft?, im Internet unter: http: //www.freitag.de/2006/12/06120301.php. Loutridou, Maria / Butt, Marc Eric: Arbeitsdokument des Europäischen Parlaments, Generaldirektion Wissenschaft, Perspektiven der Anti-Diskriminierungspolitik – Art. 13 EGV und die Möglichkeiten für seine Umsetzung, Reihe Soziale Angelegenheiten SOCI 105 DE 4 – 2000, Europäisches Parlament, Luxemburg, November 1999. Marin, Bernd: Kein „europäisches Sozialmodell?“, in: Recent Weekly Columns, Der Standard, Wien, 20. 3. 2006. Memo-Forum: Zirkular der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“, Nr. 28, Vollbeschäftigung und eine starke Sozialverfassung – Alternativen für eine Neue Ökonomie in Europa, Erklärung und Memorandum europäischer WirtschaftswissenschaftlerInnen, Bremen, Januar 2001, http: //www.memo-europe.uni-bremen.de/downloads/Erkl%E4rung22 – 11.PDF. Ministerie van Binnenlandse Zaken en Koninkrijksrelaties: Citizen participation: a source of inspiration to the European Union?, Report on a study of best practices in citizen participation in the Netherlands, commissioned by the Dutch Ministry of the Interior and Kingdom Relations, on the occasion of the European, Multilevel Governance & Democratic Legitimacy, Seminar, The Hague, October 2003.
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Richtlinie 96 / 34 / EG vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, ABl. EG L 145 / 4 vom 19. 06. 1996. Richtlinie 96 / 71 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EG L 18 / 1 vom 21. 01. 1997. Richtlinie 97 / 81 / EG vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Vereinbarung über Teilzeitarbeit, ABl. EG L 14 / 9 vom 20. 01. 1998. Richtlinie 97 / 80 / EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABl. EG L 014 / 6 vom 20. 01. 1998. Richtlinie 98 / 59 / EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. EG L 225 / 16 vom 12. 08. 1998. Richtlinie 98 / 76 / EG des Rates vom 01. Oktober 1998 über den Zugang zum Beruf des Güter- und Personenkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr sowie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise über die Beförderung von Gütern und die Beförderung von Personen im Straßenverkehr und über Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit der betreffenden Verkehrsteilnehmer, ABl. EG L 277 / 17 vom 14. 10. 1998. Richtlinie 1999 / 70 / EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, ABl. EG L 175 / 43 vom 10. 07. 1999. Richtlinie 1999 / 63 / EG des Rates vom 21. Juni 1999 zu der vom Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (European Community Shipowners’ Association ECSA) und dem Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (Federation of Transport Workers’ Unions in the European Union FST) getroffenen Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten – Anhang: Europäische Vereinbarung über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten, ABL. EG L 167 / 33 vom 02. 07. 1999. Richtlinie 2000 / 34 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 2000 zur Änderung der Richtlinie 93 / 104 / EG des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung hinsichtlich der Sektoren und Tätigkeitsbereiche, die von jener Richtlinie ausgeschlossen sind, ABl. EG L195 / 41 vom 01. 08. 2000. Richtlinie 2000 / 78 / EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG L 303 / 16 vom 02. 12. 2000. Richtlinie 2001 / 23 / EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, ABl. EG L 82 / 16 vom 22. 03. 2001. Richtlinie 2002 / 73 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76 / 207 / EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. EG L 269 / 15 vom 05. 10. 2002.
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Richtlinie 2002 / 74 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 80 / 987 / EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. EG L 270 / 10 vom 08. 10. 2002. Richtlinie 2004 / 73 / EG der Kommission vom 29. April 2004 zur neundundzwanzigsten Anpassung der Richtlinie 67 / 548 / EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe an den technischen Fortschritt, ABl. EU L 152 / 1 vom 30. 04. 2004. Richtlinie 2004 / 38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64 / 221 / EWG, 68 / 360 / EWG, 72 / 194 / EWG, 73 / 148 / EWG, 75 / 34 / EWG, 75 / 35 / EWG, 90 / 364 / EWG, 90 / 365 / EWG und 93 / 96 / EWG, ABl. EU L 158 / 77 vom 30. 04. 2004. Richtlinie 2004 / 113 / EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. EU L 373 / 37 vom 21. 12. 2004. Richtlinie 2005 / 81 / EG der Kommission vom 28. November 2005 zur Änderung der Richtlinie 80 / 732 / EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, ABl. EU L 312 / 47 vom 29. 11. 2005. Rode, Clemens: Die Rolle des Sozialen Dialogs in den neuen EU-Mitgliedsstaaten – Konsequenzen für Lohnpolitik und soziale Sicherung, in: Sozialer Ausgleich in den alten und neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Tagung des Steuerungskreises „Europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, hrsg. vom Wirtschaftsund sozialpolitischen Forschungs- und Beratungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Arbeit und Sozialpolitik, Bonn, S. 59 – 66. Rudolf, Stanislaw: Mitbestimmung nach der EU-Erweiterung – die Lage in den neuen EUMitgliedsländern, Vortrag anlässlich der 7. Internationalen Konferenz der Otto Brenner Stiftung in Bratislava, 30. Mai – 1. Juni 2006, im Internet unter: http: //www.otto-brennerstiftung.de/fileadmin/dokumente/moe_2006_einf_ref_rudolf_de.pdf. RWI / ISG: Wirkungsbewertung nationaler Politiken im Zusammenhang mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie, Kurzfassung, Essen, Köln, 18. März 2002. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat von Madrid am 26. und 27. Mai 1989. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat von Rom am 14. und 15. Dezember 1990. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat von Essen am 9. und 10. Dezember 1994. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat von Florenz Tagung am 21. und 22. Juni 1996. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Sondertagung des Europäischen Rates über Beschäftigungsfragen, Luxemburg, 20. / 21. November 1997. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Cardiff) vom 15. und 16. Juni 1998.
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Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Köln) vom 3. und 4. Juni 1999. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Lissabon), 23. und 24. März 2000. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat – Nizza, 7. – 10. Dezember 2000. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischen Rates (Stockholm) vom 23. / 24. März 2001. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Göteborg), 15. und 16. Juni 2001. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Barcelona) vom 15. und 16. März 2002. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Brüssel) vom 17. und 18. Juni 2004. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Brüssel) vom 16. / 17. Juni 2005. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Brüssel) 15. / 16. Dezember 2005 Council 3, 15914 / 05 vom 17. Dezember 2005. Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat (Brüssel) vom 15. und 16. Juni 2006. Schriftliche Anfrage E-0812 / 05 von Cristiana Muscardini (UEN) an die Europäische Kommission. socialplatform: Open letter to the 25 EU Heads of State and Government, October 2005, im Internet unter: www.socialplatform.org. socialplatform: Social NGOs call for shared European values to be put at the heart of social model debates, October 2005, im Internet unter: www.socialplatform.org. Sommer, Michael: Für ein europäisches Sozialmodell, Handelsblatt, 30. 07. 2004. Sozial Agenda Nr. 5, Magazin mit Informationen über die europäische Beschäftigungs- und Sozialpolitik, Europäische Gemeinschaften, Brüssel, April 2003. Spaak-Bericht vom 21. 04. 1956, im Internet unter: http: //www.ena.lu/mce.cfm und Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Bonn, Abteilung 2, Referat 225, Aktenzeichen 225 – 20 – 015. Paket 53: Sonderband „Dokumente“. Band 3. Špidla, Vladimír: Une nouvelle Europe social, Speech 05 / 598, PES Conference „A new social Europe“, Bruxelles, le 11 octobre 2005, im Internet unter: http: //europa.eu.int/comm/ employment_social/speeches/2005/vs_111005_fr.pdf. Špidla, Vladimír: Le futur du ,modèle social européen‘: faire progresser les Etats Providence européens, Bruxelles, le 13 octobre 2005, im Internet unter: http: //europa.eu.int/comm/employment_social/speeches/2005/vs_131005_fr.pdf. Špidla,Vladimír: „Das europäische Sozialmodell: Wunschdenken oder Realität?“, Rede 06 / 291, Europäische Akademie Berlin, 11. Mai 2006, im Internet unter: http: //ec.europa.eu/employment_social/speeches/2006/vs_060511_de.pdf. Stellungnahme der Kommission: Stärkung der politischen Union und Vorbereitung der Erweiterung, Bulletin EU 1 / 2 – 1996. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk (1999 / C 329 / 10), ABl. EG C 329 / 30 vom 17. 11. 1999.
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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt – für ein Europa der Innovation und des Wissens, ABl. EG C117 / 62 vom 26. 04. 2000. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: Europäisches Regieren – ein Weißbuch, KOM (2001) 428 endg. vom 20. März 2002. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Offener Koordinierungsmechanismus für die Migrationspolitik der Gemeinschaft“ und „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die gemeinsame Asylpolitik – Einführung eines offenen Koordinierungsmechanismus“, ABl. EG C221 / 49 vom 17. 09. 2002. Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission – Sozialpolitische Agenda“, ABl. EU C 294 / 14 vom 25. 11. 2005. Taskforce Beschäftigung: Bericht der Taskforce Beschäftigung: Jobs, Jobs, Jobs – mehr Beschäftigung in Europa schaffen, November 2003, im Internet unter: http: //ec.europa.eu/ employment_social/employment_strategy/pdf/etf_de.pdf. the Lisbon council: Pro-Reform NGOs and other Civil Society Leaders Launch Broad debate on European social Model, Meeting in Brussels, the heads of 10 groups from seven EU countries endorse reform efforts underway in Germany and the Netherlands and issue a Manifesto outlining „a Social Contract for the 21st Century“, 28. September 2004. the Lisbon council: Ein Sozialvertrag für das 21. Jahrhundert – Für eine Gesellschaft der Nachhaltigkeit, der Chancen und der Verantwortung für alle, 28. September 2004. Third European Round Table on Poverty and Social Exclusion: Social Inclusion in an enlarged EU: New Challenges, New Opportunities, Workshop Documentation, Rotterdam, 17. – 19. October 2004. UEAPME: Globalisation Summit: Citizens must be shown light at the end of the tunnel for reforms to be embraced, Press release, 20. October 2005, im Internet unter: http: //www. ueapme.com/docs/press_releases/pr_2005/051020_GlobalisationSummit.pdf. UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC: Joint declaration on the mid-term review of the Lisbon strategy, vom 15. 03. 2005. UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC: Joint contribution on the EU Youth Initiative, vom 22. 03. 2005. UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC: Framework of actions on gender equality, vom 22. 03. 2005. UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC: 2005 Report on social partner actions on employment in member states, vom 22. 03. 2005. UNICE / UEAPME, CEEP and ETUC: Framework of actions for the lifelong development of competences and qualifications, Third follow-up report vom 22. 03. 2005. UNICE: Business is crying out for European leaders able to push forward vital reforms, Brussels, 7th October 2005, im Internet unter: http: //www.euractiv.com/de/soziales-europa/ eu-berat-europaisches-sozialmodell / article-146385.
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Vertrag über den Beitritt der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei, unterzeichnet am 16. April 2003 in Athen, Anhänge V-XIV, im Internet abrufbar unter: http: / / ec.europa.eu / enlargement / key_ documents / index_archive_en.htm. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern und der Verordnung (EWG) Nr. 574 / 72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408 / 71, KOM (2005) 676 endg. vom 21. 12. 2005. Weise, Christian: Ein zukunftsfähiges Modell für die europäische Strukturpolitik, DIW Berlin, Kurzgutachten für die Bertelsmann Stiftung, Juni 2002. Wirtschafts- und Sozialausschuss: Die sozialen Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft, Stellungnahme, CES 270 / 89, Brüssel, 22. Februar 1989. Wirtschafts- und Sozialausschuss: Stellungnahme des WSA zum Thema „Lissabon: Erneuerung der Vision?“, ABl. EG C 61 / 145, vom 14. 03. 2003. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Freizügigkeit und soziale Sicherung in Europa, 15. Juli 2001, S. 96 ff. Wuermeling, Joachim: Einleitungsreferat anlässlich der Podiumsdiskussion „Das Europäische Sozialmodell – Stärke durch Vielfalt“ am 20. März 2006 in Brüssel, im Internet unter: http: //www.hss.de/downloads/060320_Sozialreformen-in-Europa_Bericht.pdf. Zweite Entschließung des Rates vom 24. Juli 1986 zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen, ABl. EG C 203 / 2 vom 12. 08. 1986.
Index Abkommen über die Sozialpolitik 11, 37, 39, 145, 166, 242, 243 Alter 58, 59, 61, 67, 72, 107, 182 ältere Menschen 51, 58 Altersversorgung 27, 57, 398, 433, 465 Äquivalenzprinzip 61 Arbeitgeberinteressen 40, 144, 193, 220 Arbeitgeberorganisationen 63, 240 Arbeitnehmer 11, 27, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 40, 41, 45, 49, 50, 53, 57, 76, 77, 114, 115, 118, 123, 126, 143, 144, 148, 150, 154, 155, 156, 157, 165, 166, 167, 177, 179, 180, 181, 182, 186, 190, 193, 197, 198, 199, 200, 220, 226, 228, 231, 233, 238, 240, 242, 248, 257, 295, 300, 303, 330, 331, 333, 340, 354, 361, 378, 393, 398, 399, 404, 407, 416, 417, 461, 462, 463, 466, 467, 472, 479, 480, 481, 484, 485 Arbeitnehmerinteressen 43 Arbeitsentgelt 40, 123, 145, 165, 166, 193, 470 Arbeitslose 283, 436, 456 Arbeitslosensicherung 59 Arbeitslosigkeit 27, 51, 58, 59, 64, 67, 72, 85, 99, 103, 107, 182, 199, 283, 313, 322, 324, 326, 327, 358, 393, 463 Arbeitsschutz 38, 115, 196, 263, 293, 310, 394 Armenfürsorge 60 Behinderte 58, 133, 448 Behinderung 41, 122, 167, 176, 177, 222, 322, 429 Bekämpfung von Ausgrenzungen 53, 143, 157, 177, 193 Beruf 91, 116, 122, 184, 185, 201, 480 Beschäftigungsbedingungen 28, 40, 77, 144, 150, 169, 170, 193, 200, 237, 404 Beschäftigungspolitik 24, 62, 85, 98, 99, 100, 101, 125, 127, 152, 156, 192, 241,
256, 260, 261, 266, 273, 281, 282, 287, 296, 297, 321, 336, 343, 362, 440, 462, 466, 471, 472, 473 best practice 41, 133, 269, 270 Beveridge 56, 57, 74 Bevölkerungsalterung 63 Binnenmarkt 29, 47, 85, 94, 129, 131, 177, 179, 288, 293, 309, 318, 334, 346, 364, 372, 396, 406, 414, 416, 418, 441, 460, 465, 466, 468, 469, 479 Bismarck 56, 57, 74
285, 387,
132, 344, 417, 473,
Deregulierung 39, 49, 60, 381 Dienstleistungsverkehr 65, 227 Einkommenssicherung 57 Europäisches Sozialrecht 31, 39, 40, 55, 62, 68, 70, 72, 74, 96, 112, 139, 141, 143, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 173, 183, 223, 224, 274, 321, 407, 419, 437, 438, 440, 442, 443, 444, 451 Familienleistungen 67, 72, 442, 443 Flexicurity 59, 96, 139, 141, 443 Frauenerwerbstätigkeit 60 Freizügigkeit der Erwerbstätigen 38, 196, 227 Fürsorgeleistungen 61 Fürsorgestaat 55 Gemeinschaftskompetenz 53, 74, 144, 145 Gemeinschaftssozialrecht 73, 339 Gemeinschaftszuständigkeit 69, 144, 145, 197 Gesundheit 37, 49, 53, 84, 90, 91, 107, 108, 126, 144, 163, 165, 184, 191, 193, 195, 204, 257, 263, 388, 438, 441, 448, 450, 474, 479 Gesundheitsdienstleistungen 66
Index Gesundheitsversorgung 59, 91, 108, 205, 262, 263, 271, 294, 462, 467, 472, 473 Gesundheitsvorsorge 57 Gesundheitswesen 44, 58, 163, 204, 205, 221, 281, 326, 443 Gleichbehandlung 33, 34, 38, 42, 56, 61, 85, 115, 116, 119, 129, 144, 166, 168, 169, 175, 178, 193, 196, 200, 201, 208, 233, 257, 445, 473, 475, 479, 480, 481 Grund- und Mindestsicherung 60, 61 Harmonisierung 33, 38, 48, 49, 74, 118, 126, 141, 142, 159, 160, 185, 190, 191, 193, 264, 354, 383, 391, 392, 398, 403, 405, 414, 417, 484 Integration 27, 29, 31, 32, 33, 38, 43, 47, 52, 55, 61, 65, 66, 70, 71, 85, 86, 99, 100, 101, 102, 120, 122, 126, 132, 134, 139, 141, 145, 150, 151, 159, 160, 167, 185, 188, 209, 215, 222, 226, 230, 256, 260, 263, 272, 273, 274, 275, 276, 289, 293, 294, 303, 307, 313, 315, 316, 318, 319, 321, 331, 332, 339, 345, 355, 369, 370, 371, 372, 374, 376, 377, 378, 384, 386, 401, 402, 403, 404, 408, 411, 412, 415, 417, 421, 422, 428, 432, 435, 437, 438, 439, 440, 443, 444, 447, 450, 454, 455, 456 Interessenvertreter 90, 251, 298, 311, 368, 427, 455 Jugend 125, 203, 221, 223, 266, 324, 388, 440, 459, 471, 474 Koalitionsrecht 35, 40, 145, 196, 197, 220 Koordinierung 10, 13, 21, 24, 28, 35, 45, 50, 74, 94, 100, 108, 109, 113, 114, 125, 126, 142, 157, 182, 183, 184, 192, 204, 206, 218, 221, 224, 225, 228, 230, 253, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 284, 285, 286, 287, 302, 311, 320, 325, 326, 337, 339, 345, 349, 350, 356, 357, 358, 362, 379, 383, 391, 392, 405, 408, 432, 434, 435, 436, 439, 440, 442, 443, 444, 446, 450, 452, 453, 456, 458, 461, 462, 471, 472, 476, 479, 484
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Kranke 58 Krankenversicherung 44, 46, 205, 447, 448, 452 Lebenshaltung 37, 152, 153, 184, 404, 417 Liberalisierung 10, 39, 131, 132, 134, 326, 327, 416, 428, 429 Maastrichter Vertrag 39, 404 Marktwirtschaft 33, 78, 84, 133, 137, 143, 238, 239, 336, 377, 421, 422, 449, 461 Mindestsicherungssysteme 59 Mindeststandards 38, 47, 128, 186, 190, 300, 322, 334, 344, 345, 347, 361, 477 Mindestvorschriften 37, 144, 177, 194, 201 Nationale Sozialsysteme 65 Patienten 45, 205 Pflegeversicherung 44, 56, 457 Programm 74, 181, 280, 291, 292, 328, 365, 376, 386, 460, 475, 478 Protokoll über die Sozialpolitik 39 Regierungskonferenz 41, 170, 242, 246, 262, 365, 452 Renten- und Gesundheitssysteme 63, 254 Sekundärrechtsakte 69, 112, 139, 145 Sicherungsmodelle 59 soft-law 41, 140, 168 Sozialdumping 44, 47, 52, 158, 413, 416 Soziale Leistungen 10, 28, 44, 46, 132 Soziale Sicherungsansprüche 62 Sozialfürsorge 36 Sozialgemeinschaft 44, 48, 68, 74, 143, 169, 202, 224, 231, 378, 457 Sozialhilfe 56, 58, 60, 61, 67, 72, 226, 227, 333 Sozialkonsens 25, 29, 30, 143, 196, 334, 335, 374, 382, 383, 384, 390, 391, 392, 399, 401, 409, 411, 414, 415, 418, 419, 420, 422, 424, 426, 427, 430 Sozialkosten 32, 36, 317, 361, 414 Sozialleistungen 27, 46, 56, 60, 70, 85, 169, 317, 339, 344, 346, 351, 423 Sozialleistungssysteme 32, 55, 56, 60, 102, 277, 416 Sozialpolitische Ziele 69, 143, 191
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Index
Sozialpolitisches Aktionsprogramm 36 Sozialraum 9, 23, 67, 68, 69, 75, 76, 417 Sozialrechtsprechung 72 Sozialschutz 48, 51, 52, 84, 94, 98, 107, 108, 121, 202, 221, 261, 262, 263, 266, 278, 286, 326, 348, 350, 417, 458, 472, 474, 478 Sozialstaat 9, 23, 26, 27, 37, 43, 44, 46, 47, 52, 54, 55, 57, 62, 64, 68, 70, 74, 77, 84, 99, 104, 169, 170, 232, 275, 326, 332, 339, 361, 375, 384, 401, 402, 415, 432, 434, 437, 439, 441, 442, 444, 446, 447, 450, 451, 454, 456 Sozialstaatlichkeit 46, 52, 101, 102, 104, 293, 319, 336, 361, 380, 415, 418 Sozialstandards 36, 48, 139, 414 Sozialtourismus 44 Sozialunion 9, 23, 26, 32, 33, 40, 67, 68, 69, 73, 74, 75, 76, 79, 95, 132, 138, 169, 210, 234, 275, 317, 319, 330, 361, 365, 404, 446, 452, 454, 456 Sozialversicherung 47, 58, 60, 258, 273, 454, 461 Sozialversicherungssysteme 74, 91 Streik- sowie Aussperrungsrecht 40 Territorialitätsprinzip 46, 234, 448 Unionsbürgerschaft 12, 23, 32, 46, 65, 80, 133, 141, 151, 167, 169, 179, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 378, 433, 436, 449, 451
Vertrag von Amsterdam 41, 110, 169, 176, 177, 250, 282, 283, 300, 367, 377, 378, 404 Wettbewerb 27, 33, 36, 47, 77, 84, 90, 134, 158, 188, 200, 317, 320, 321, 324, 326, 336, 344, 363, 402, 403, 404, 408, 416, 417, 418, 423, 430, 438 Wirtschaft 22, 32, 39, 41, 48, 51, 53, 77, 78, 84, 99, 103, 104, 105, 131, 133, 134, 143, 151, 157, 182, 185, 253, 263, 270, 280, 289, 291, 301, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 316, 322, 323, 328, 359, 377, 379, 393, 406, 408, 415, 418, 421, 426, 429, 432, 438, 441, 450, 459, 466, 467, 468, 470, 474, 477 Wirtschafts- und Sozialsysteme 52 Wirtschafts- und Währungsunion 22, 68, 73, 96, 151, 171, 234, 245, 319, 376, 402, 412 Wirtschaftsgemeinschaft 20, 26, 32, 35, 37, 68, 69, 169, 234, 361, 376, 378, 403 Wirtschaftspolitik 15, 28, 31, 36, 37, 48, 78, 131, 144, 188, 216, 259, 260, 262, 288, 315, 316, 329, 343, 346, 356, 359, 360, 376, 378, 387, 401, 402, 403, 404, 405, 407, 408, 418, 429, 430, 450, 465, 474, 476, 478 Wohlfahrt 55, 60, 70, 78, 84, 85, 88 Wohlfahrtsstaaten 49, 65, 67, 375