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German Pages 336 Year 1996
BERND GRZESZICK
Vom Reich zur Bundesstaatsidee
Schriften zürn Öffentlichen Recht Band 705
Vom Reich zur Bundesstaatsidee Zur Herausbildung der Föderalismusidee als Element des modernen deutschen Staatsrechts
Von
Bernd Grzeszick
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Grzeszick, Bernd: Vom Reich zur Bundesstaatsidee : zur Herausbildung der Föderalismusidee als Element des modernen deutschen Staatsrechts / von Bernd Grzeszick. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 705) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08631-7 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08631-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Meinen Eltern
Vorwort Die erste Fassung der Arbeit wurde im Sommersemester 1995 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Thomas Würtenberger, gilt ganz besonderer Dank. Seine hervorragende Betreuung und seine fruchtbaren Ratschläge waren wesentliche Faktoren bei der Entstehung dieser Arbeit. Herrn Prof. Dr. Rainer Wahl danke ich für wertvolle Hinweise. Danken möchte ich auch der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mich bei der Erstellung der Arbeit großzügig unterstützte. Die Wissenschaftliche Gesellschaft in Freiburg im Breisgau sowie der Deutsche Bundesrat ermöglichten durch Druckkostenzuschüsse die Veröffentlichung in der vorliegenden Form.
Berlin, im Winter 1995
Bernd Grzeszick
Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung I. Einführung und Gründe für die Themenwahl Π. Begriff des Föderalismus als Untersuchungsgegenstand 1. Begrifflichkeit 2. Inhalt a) Überblick b) Einzelne Bedeutungen
19 19 21 21 23 23 24
aa) Rechtliche Bedeutung
24
bb) Politische Bedeutung
25
cc) Soziale Bedeutung
27
dd) Philosophische Bedeutung c) Gesamtbetrachtungen ΠΙ. Ansatz und Aufbau der Untersuchung B. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius als Vertreter widerstreitender Konzepte I. Einleitung Π. Jean Bodin 1. Lebenslauf und Einflüsse
27 28 28 33 33 35 35
2. Grundlagen seines staatsrechtlichen Denkens
36
3. Seine Auffassung über Staatsform und Staatsaufbau
38
4. Einordnung der Lehren Bodins aus föderaler Sicht ΙΠ. Johannes Althusius
39 41
1. Lebenslauf und Einflüsse
41
2. Grundlagen seines politischen und staatsrechtlichen Denkens
42
3. Seine Auffassung über Föderalismus
46
4. Einordnung der föderalen Lehre des Althusius
47
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
49
I. Das Reich von 1648 bis 1763 1. Der Westfälische Frieden und die Reichs Verfassung
49 49
a) Allgemeine Folgen fur die Reichsverfassung
49
b) Stellung und Struktur der Reichsmitglieder
49
aa) Kaiser
49
bb) Reichsstände
50
cc) Reichskreise und Kreisassoziationen
51
2. Staatstheoretische Reaktionen auf die Veränderungen
54
10
Inhaltsverzeichnis a) Ideengeschichtlicher Hintergrund der Frage nach der Reichsform
54
aa) Althusius und Bodin in der Publizistik vor dem Westfälischen Frieden
54
bb) Reichspublizistik nach dem Westfälischen Frieden
55
b) Einzelne Werke
56
aa) Überblick
56
bb) Ludolph Hugo
56
( 1 ) Ansichten über das Reich
56
(2) Bewertungen der Ansichten Hugos
58
cc) Samuel Pufendorf ( 1 ) Ansichten über das Reich (2) Bewertung der Ansichten Pufendorfs dd) Gottfried Wilhelm Leibniz
60 60 62 63
( 1 ) Ansichten über das Reich
63
(2) Bewertung der Reichsvorstellungen von Leibniz
66
3. Machtverschiebung und Entwicklung der Territorien im Reich Π. Das Reich zwischen den Fürsten 1. Politische Entwicklung im Zeichen des Dualismus
67 69 69
a) Grundzüge der Entwicklung
69
b) Reichsreformpläne und der Fürstenbund von 1785
69
c) Ergebnis der Reichskrise 2. Reichspublizistik bis 1790 a) Grundpositionen der Reichspublizistik
71 72 72
aa) Entwicklungsrichtungen der deutschen Staatsrechtslehre
72
bb) Hauptwerke
73
( 1 ) Johann Jakob Moser
73
(a) Leben und Werk
73
(b) Reichsverfassung nach Moser
73
(2) Justus Moser
75
(a) Leben und Werk
75
(b) Mosers Staats- und Reichsvorstellungen
76
(3) Friedrich Carl von Moser (a) Grundlagen (b) Darstellung des Reiches (4) Johann Heinrich Gottlob von Justi
77 77 78 78
(a) Grundlagen
78
(b) Vorstellung von Staatlichkeit und Reich
79
(5) Heinrich Gottfried Scheidemantel (a) Grundlagen (b) Vorstellung von Staatlichkeit und Reich (6) Johann Stephan Pütter
80 80 80 81
(a) Lebenslauf und Einflüsse
81
(b) Grundlagen seines staatsrechtlichen Denkens
81
(c) Begriff und Struktur des Reiches bei Pütter
82
(d) Einordnung des Pütterschen Reichsföderalismus
84
cc) gemeinsame Tendenzen in der Reichspublizistik bis 1780 b) Reaktionen auf den Fürstenbund
86 86
Inhaltsverzeichnis aa) Einführung
86
bb) einzelne Stellungnahmen
87
( 1 ) Gegner des Fürstenbundes (a) Otto von Gemmingen
87 87
(b) Christoph Ludwig Pfeiffer
88
(2) Befürworter des Fürstenbundes
88
(a) Christian Wilhelm Dohm
88
(b) Johannes von Müller (3) Stellungnahme der Reichspublizisten (4) Folge: Frage nach der Funktion des Reiches cc) Zusammenfassung D. Das Reich und die Revolution I. Kritik und Kontinuität in der Bedrohung
89 91 92 93 95 95
1. Politische Entwicklung und Reformvorschläge bis zum Frieden von Lunéville
95
2. Reaktionen der Reichspublizistik
97
a) Allgemeine Entwicklungsrichtung
97
b) Einzelne Werke
98
aa) Christian Ernst Weisse bb) Carl Friedrich Häberlin cc) Weitere Ansichten
98 99 100
c) Sonderfriede von Basel
100
d) Reformpläne für die Reichs Verfassung
101
3. Ergebnis
102
Π. Zerfall des Reiches 1. Politische Entwicklung a) Reichsdeputationshauptschluß und Reichsverband
103 103 103
b) Reichspolitik und Reform Vorschläge der Reichsmitglieder
104
c) Friede von Preßburg
105
2. Ideengeschichtliche Entwicklung des Föderalismus in Deutschland a) Überblick
106 106
b) Unmittelbarer Einfluß der Ereignisse in Amerika und Frankreich auf deutsche Staats Vorstellungen
107
aa) Einfluß der amerikanischen Ereignisse
107
bb) Einstellung der deutschen Staatsdenker zur Französischen Revolution
108
c) Eigenständige Entwicklungen in Deutschland
111
aa) Hintergrund: Neue Ideen und Ansätze
111
(1) Immanuel Kant
111
(2) Johann Gottlieb Fichte
112
(3) Georg Friedrich Wilhelm Hegel
113
bb) Folgen für Pläne über eine deutsche Staatlichkeit ( 1 ) Deutsche republikanische Entwürfe
115 115
(a) Wilhelm Traugott Krug
115
(b) Anonyme "Kritik der deutschen Reichsverfassung "
117
(2) Entwürfe auf Basis der tradierten Reichsverfassung (a) Preußische Vorschläge einer dualistischen Reichsaufteilung
120 121
12
Inhaltsverzeichnis (b) Süddeutsche Vorschläge einer Trias oder Kreiseinteilung
122
(c) Beharren auf der tradierten Reichs verfassung
124
(3) Staatsrechtlicher Übergang von der Reichsverfassung zu modernen Bundesvorstellungen
127
(a) Methodische Kontinuität und neues Grundverständnis
127
(b) Ausgangspunkt: Charakter der Reichverfassung nach 1803
129
(c) Johann Gottlieb Pähl
129
(d) Andreas Joseph Schnaubert
130
(e) Theodor von Schmalz
130
(f) Adam Christian Gaspari
131
(g) Nikolaus Thaddäus von Gönner
131
(h) Karl Solomo Zachariä
133
III. Bewertung des Zeitraumes
135
1. Politische Ebene
135
2. Ideengeschichte
135
3. Zusammenhang der Entwicklungen
136
E. Der Rheinbund I. Politische Grundlagen
139 139
1. Gründung des Rheinbundes
139
2. Entwicklung des Rheinbundes
141
a) Interessen der Mitglieder
141
b) Ausprägung in den verschiedenen Gebieten
142
aa) Heterogene Entwicklungen
142
bb) Territoriale Veränderungen
143
c) Unitarisierungsversuche
143
aa) Bundestag und Fundamentalstatut
144
bb) Verfassungsgebung in den Ländern
146
cc) Änderungen durch Reformen
147
II. Verfassungsrecht des Rheinbundes
148
1. Rechtliche Grundlagen des Rheinbundzusammenschlusses
148
a) Grundlage: Landesherrschaft und Reichsmitgliedschaft
148
b) Bedeutung des Friedensvertrags von Preßburg
149
c) Beurteilung der Gründung durch die Landesfürsten
149
2. Wesen und Inhalt des Bundes Vertrages a) Vertragsart b) Formeller Verfassungstyp aa) Grundsätze bb) Ausgestaltung des Bundes (1) Fürstprimas
151 151 151 151 152 152
(2) Bundestag
152
(3) Bundesprotektor
153
c) Rechtliche Einordnung des Rheinbundes III. Ideengeschichtliche Entwicklung 1. Überblick
155 156 156
Inhaltsverzeichnis 2. Überlegungen zur Zeit der Gründung
157
3. Einzelne Überlegungen zum Rheinbund
158
a) Napoleonischer Kaisermythos
158
aa) Peter Adolf Winkopp und seine Zeitschrift
158
bb) Ernst August Zinserlings Bündniseinteilung
160
cc) Deutsche nationale Überhöhung der napoleonischen Herrschaft bei Müller undAretin (1)GemeinsameElemente
161 161
(2) Johannes von Müller
161
(3) Johann Christopher von Aretin
162
(4) Perspektiven dieser Ideen
162
b) Staatsrechtlicher Ubergang vom Reichsmodell zu den deutschen Bundesvorstellungen
163
aa) Überblick
163
bb) Konventionelle Analysen von Reich und Rheinbund
164
(1 ) Johann Ludwig Klüber (a) Persönlicher Hintergrund
164 164
(b) Föderale Überlegungen
164
(2) Günther Heinrich von Berg
167
(a) Persönlicher Hintergrund
167
(b) Föderale Überlegungen
167
cc) Ansätze moderner bundesstaatlicher Vorstellungen ( 1 ) Karl Solomo Zachariäs Bundesideen (a) Persönlicher Hintergrund (b) Föderale Überlegungen (2) Bundestheorie von Wilhelm Joseph Behr
169 169 169 170 173
(a) Persönlicher Hintergrund
173
(b) Föderale t Jberlegungen
174
I V . Bewertung des Rheinbundes 1. Einführung
179 179
2. Politischer Bereich
180
3. Ideengeschichte
183
4. Verfassungsrecht
185
5. Einordnung und Bewertung der Rheinbundgründung
187
F. Der Deutsche Bund I. Situation zur Zeit der Bundesgründung 1. Entwicklung bis zum ersten Pariser Frieden a) Koalitionen und Konstellationen der Mächte
189 189 189 189
aa) Europäische Machtverschiebungen
189
bb) Entstehen der nationalen Bewegung
189
cc) Niederlage Napoleons b) Die deutsche Frage
191 192
aa) Auflösung des Rheinbundes und Verträge mit den Ländern
192
bb) Folgen der Akzessionsverträge für den Wiener Kongreß
193
2. Kongreßverhandlungen und deren Ergebnis
195
14
Inhaltsverzeichnis a) Aufgabenstellung und Atmosphäre
195
b) Vorschläge der Beteiligten
196
aa) Europäische Ordnung
196
bb) Die deutsche Frage
197
(1) Preußische Pläne (a) Bundespläne des Freiherrn von Stein
197 197
(b) Bundespläne Wilhelm von Humboldts
201
(c) Bundesplan Karl August von Hardenbergs
205
(2) Romantisch-organisches Denken bei Schleiermacher
209
(3) Österreichische Position
213
(a) Grundlagen der Politik Metternichs
213
(b) Bundesvorstellungen Metternichs
214
(c) Das österreichisch-preußische Verfassungsprogramm
215
c) Verhandlungen bis März 1815
219
aa) Entwicklung in der europäischen Frage
219
bb) Entwicklung in der deutschen Frage
220
( 1 ) Tätigkeit des deutschen Komitees (2) Note der 29 Regierungen (3) Preußisch-österreichische Differenzen cc) Die hundert Tage und deren Folgen (1) Wirkung in Europa (2) Folgen für den Kongreß
220 221 222 224 224 224
(a) Auswirkungen auf die europäische Ordnung
224
(b) Auswirkungen auf die deutsche Frage
225
Π. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung 1. Grundlagen der Bundesstruktur
227 227
a) Rahmenbedingungen
227
b) Prinzipielle rechtliche Einordnung
227
2. Einzelheiten der Bundesstruktur a) Mitglieder und Umfang des Bundes b) Bundeszweck und Bundeskompetenz im Grundsatz
228 228 229
aa) Bundeszweck
229
bb) Grundsätzliche Bestimmung der Bundeskompetenz
230
cc) Grundsätzliches Verhältnis zwischen Bund und Ländern
230
c) Bundesorganisation
232
aa) Bundesorgane
232
bb) Bundesgewalten im einzelnen (1) Gesetzgebung
233 233
(a) Mögliche Formen
233
(b) Bedeutung der Verkündung
234
(c) Verhältnis zwischen Bundesgesetzen und Landesgesetzen (2) Exekutive
235 235
(a) Auswärtige Gewalt
235
(b) Militärgewalt
236
(c) Schutz der Bundesverfassung
237
(d) Finanzverfassung des Bundes
239
Inhaltsverzeichnis (3) Judikative
239
(a) Bundesgerichtsbarkeit in staatsrechtlichen Angelegenheiten
239
(b) Bundesgewalt und sonstige Gerichtsbarkeit
240
d) Verhältnis zwischen Bundesverfassung und Landesverfassungen
241
aa) Hintergrund und Bedeutung dieses Verhältnisses
241
bb) Bundesrechtliche Regelungen
242
(1) Bundesakte
242
(2) Wiener Schlußakte
242
e) Föderaler Charakter des Bundes
243
ΠΙ. Entwicklung nach der Bundesgründung 1. Politische Vorgänge
244 244
a) Europäische Ereignisse
244
b) Entwicklung in den deutschen Gebieten
245
aa) Besonderheiten der Einzelstaaten
245
(1) Österreich
245
(2) Preußen
245
(3) Mittel-und Kleinstaaten
245
bb) Gemeinsame Entwicklungselemente c) Entwicklungen auf der Bundesebene 2. Ideengeschichtliche Behandlung des Bundes a) Einleitung b) Überlegungen bis zur restaurativen Wende auf der Bundesebene aa) Politische Erwartungen ( 1 ) Johann Rudolf von Buol-Schauenstein (2) Wilhelm von Humboldt
246 247 249 249 250 250 250 251
(3) Hans Christoph von Gagern
252
(4) Arnold Hermann Ludwig Heeren
252
(5) Jakob Friedrich Fries bb) Staatsrechtliche Behandlung der Bundesverfassung
253 253
(1) Johann Ludwig Klüber
253
(2) Friedrich Wilhelm Tittmann
255
c) Überlegungen nach Karlsbad und der Wiener Schlußakte aa) Nachwort von Arnold Hermann Ludwig Heeren
256 256
bb) Wilhelm Joseph Behr
257
cc) Georg Leonhard von Dresch
258
dd) Karl Ernst Schmid
258
d) Bewertung 3. Fortbildung des Bundesrechts I V . Einordnung der Bundesgründung 1. Einfuhrung
259 260 261 261
2. Politik
263
3. Ideengeschichte
265
4. Verfassungsrecht des Bundes
266
5. Gesamtbetrachtung
267
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
271
16
Inhaltsverzeichnis I. Politische Entwicklung 1. Vorgänge auf europäischer Ebene 2. Entwicklungen im Deutschen Bund II. Zur Entwicklung der Bundestheorien
271 271 271 274
1. Tendenz bis 1830
274
a) Einzelne Werke
275
aa) Robert von Mohl
275
bb) Sylvester Jordan
276
cc) Karl Friedrich Vollgraf.
277
b) Einordnung dieser Zeitspanne
277
2. Neue Ideen in Folge der französischen Juli-Revolution a) Einzelne Vertreter aa) Paul Achatius Pfizer ( 1 ) Leben und Werk (2) Grundsätze seines staatsrechtlichen Denkens
278 279 279 279 280
(3) Auffassung über den Bundesstaat
280
(4) Einordnung der Bundesstaatsvorstellungen Pfizers
283
bb) Friedrich von Gagern ( 1 ) Leben und Werk (2) Föderale Überlegungen (3) Bewertung des Bundesstaatsmodells von Gagern cc) Karl Theodor Welcker ( 1 ) Leben und Werk (2) Grundsätze seines politischen und staatsrechtlichen Denkens
285 285 285 290 291 291 292
(3) Auffassung überföderative Systeme
292
(4) Bewertung der Bundesstaatsvorstellungen Welckers
294
b) Bewertung dieser Zeitspanne ΠΙ. Entwicklung des Bundesrechts
295 297
1. Bis 1830
297
2. Ab 1830
297
I V . Einordnung der Zeit 1. Politik
298 298
2. Ideengeschichte
300
3. Bundesrecht
300
4. Bewertung
301
H. Ergebnis I. Entwicklung Π. Kontinuität und Umbruch ffl. Fazit Literaturverzeichnis I. Quellen II. Sekundärliteratur
303 303 308 313 315 315 323
Abkürzungsverzeichnis Abs.
Absatz
Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
Ausg.
Ausgabe
Bd.
Band
bzw.
beziehungsweise
Cap.
Capitulum
ders.
derselbe
d.h.
das heißt
dies.
dieselben
DVB1.
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jeweils mit Nachweisen
Kap.
Kapitel
m.Anm.
mit Anmerkungen
m.Nw.
mit Nachweisen
Neudr.
Neudruck
Nr.
Nummer
o.O.
ohne Ortsangabe
S.
Seite
sämtl.
sämtliche
u.a.
und andere
V.
von
vgl.
vergleiche
z.B.
zum Beispiel
2 Grzeszick
Wo der Ethiker aufhört, da fängt der Theologe an; wo der Naturwissenschaftler, da der Mediziner; und wo der Politiker, da der Jurist. Es kann also nicht ausbleiben, daß wir leicht die Schwellen und Grenzen dadurch überspringen, daß wir aus verwandten Wissenschaften das, was nur benachbart ist, für zu unserem Stoff gehörig halten. Althusius, Aus dem Vorwort zur ersten Auflage der Politica.
Α. Einleitung I . Einführung und Gründe für die Themenwahl Die Idee des föderalen Staatsaufbaus wird in jüngster Zeit wieder intensiver diskutiert. Föderale Staatsstrukturen prägen die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, und die Vorstellungen von den Vereinigten Staaten von Europa implizieren die Verwendung föderaler Elemente. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind bereits an der Bildung einer europäischen verfassungsrechtlichen Ebene beteiligt; für die Bundesrepublik ist dies wegen der Einführung des "europäischen" Artikels 23 des Grundgesetzes besonders deutlich. Die Gestalt föderaler europäischer Strukturen ist dabei Ausgangspunkt philosophischer, politischer und verfassungsrechtlicher Überlegungen. Die Schlagworte von der Entmachtung der Länderparlamente und einem Europa der Regionen skizzieren Eckpunkte der dahinterstehenden Meinungsbildung. Der Disput über den zeitgemäßen Staatsaufbau innerhalb der europäischen Staatenwelt ist aber keineswegs neu. Der Westfälische Frieden von 1648, der Reichsdeputationshauptschluß von 1803, die Gründung des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongreß, die Bürgerliche Revolution von 1848, das Bismarckreich und die Pläne der Siegermächte nach den beiden Weltkriegen zeugen von der wiederkehrenden Aktualität des Themas. Auch hatten die Verfassungen der jeweiligen deutschen Staaten sämtlich einen föderal beeinflußten Staatsaufbau. Der Föderalismus wird deshalb als typisches Element der deutschen Staats- und Verfassungsgeschichte angesehen.1
1
Vgl. Flemming, S. 7; Degenhart, S. 39ff.; Kimminich, Der Bundesstaat, S.1129ff.
20
Α. Einleitung
Föderalismus ist zudem kein isolierter Bestandteil der Staatlichkeit, denn er bezieht historische und politische Aspekte mit ein. 2 Föderalismus ist primär ein politischer und philosophischer Begriff; 3 er wird deshalb in neueren Erklärungsansätzen von der auf eine konkrete Staatsform bezogenen Bundesstaatlichkeit getrennt. 4 Dennoch haben sich Föderalismus und Staatlichkeit oft gegenseitig beeinflußt. Die politische und verfassungsrechtliche Organisation der deutschen Gebiete eignet sich dazu, eine wechselseitige Abhängigkeit von Staatsphilosophie, Verfassungsrecht und politischer Realität zu untersuchen. Wegen der Position Deutschlands als europäische Mittelmacht prägten nicht nur die innenpolitischen Gegebenheiten die Staatsstrukturen, sondern auch der Einfluß der anderen Länder auf Deutschland war von erheblicher Bedeutung. Die Organisation der deutschen staatlichen Systeme hatte und hat angesichts ihrer geographischen und politischen Bedeutung für Europa Auswirkungen auf das gesamte politische Gefüge Europas; dementsprechend stark sind Wirkung und Einflußnahme von Seiten der anderen europäischen Staaten auf die deutschen Gebiete.5 Der Föderalismus markiert im Verfassungsrecht einen Schnittpunkt dieser verschiedenen Faktoren; er ist ein Indikator für die zeitgeschichtliche Wechselwirkung dieser Kräfte. 6 Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt die Zeit zwischen 1763 und 1835 eine besondere Bedeutung. Die Staatsgründung in Nordamerika und die Revolution in Frankreich zeigten die Grenzen der feudal-monarchischen Staatlichkeit. Die neuen Grundlagen des Gemeinwesens waren nun die Ideen von Freiheit, Gleichheit, Menschenrechten und Konstitutionalismus, die verfassungsrechtliche Ausprägungen der Aufklärung waren. In Deutschland brach das alte Reich zusammen, und an die Stelle der mittelalterlichen Reichsordnung trat für kurze Zeit der Rheinbund, der 1815 vom Deutschen Bund abgelöst wurde. Auffallig ist, daß trotz der rasch wechselnden politischen Umstände in der Umbruchphase um 1800 in den deutschen Gebieten staatsrechtlich stets föderale Verbindungsformen gebildet wurden.
2
Vgl. Zippelius, Staatslehre, §§ 38, 39; Stern, S. 657ff.; Maunz/Zippelius, S. 103ff.; Hesse, S. 21ff. 3 Siehe dazu Lang, Die Philosophie des Föderalismus. 4 Vgl. dazu Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1114ff.; Deuerlein, S. 9ff. 5 So fur das Heilige Römische Reich Deutscher Nation Berber, Staatsideal, S. 333f.; Bussi, Das Recht, S. 523, 53ff., 535ff. 6 Vgl. Stern, S. 654f.; Hemming, S. 7ff.; Hesse, S. 89f.
. Begriff des Föderalismus als Untersuchungsgegenstand
21
Parallel dazu lösten sich die Staatstheoretiker vom mittelalterlichen Reich als Vorbild des föderalen Staates. An die Stelle des ständischen Reichspatriotismus trat allmählich der Begriff der Nation. Philosophen und Politiker entwickelten daraus die Vorstellung eines deutschen Nationalstaats,7 die auf dem Wiener Kongreß die Auseinandersetzungen um die Staatlichkeit der deutschen Länder bestimmte. In Folge dieser Diskussion wurde der moderne Föderalismusbegriff ergänzt durch das Element einer Gewaltenteilung, die an staatlichen Kompetenzen orientiert war. Die Staatsrechtler begannen, zwischen unteilbarer Souveränität und Staatlichkeit zu unterscheiden. Sie etablierten damit die Bundesstaatstheorie in der Form, wie sie noch heute verwendet wird. 8 Auffallig ist dabei die Verbindung des modernen Verständnisses von Staats- und Bundesstruktur mit der national-liberalen Bewegung; die Funktion des Föderalismus als ergänzendes Element von Freiheit und Demokratie 9 wird offenbar. Eine Analyse dieser Zusammenhänge gestattet Rückschlüsse auf die praktischen Rahmenbedingungen föderaler Staatsformen. Dazu gehören die einigende Idee einer deutschen Nation sowie ein Mindestmaß politischer und wirtschaftlicher Homogenität. Darüber hinaus kann sie Anregungen geben zur Lösung von Problemen, die bei der Gestaltung föderativer Systeme immer wieder auftauchen. 10 Schließlich sollen die historischen Voraussetzungen für eine künftige Verwendung föderaler Verfassungselemente in Europa geklärt werden, soweit die Aufgabenstellung dies zuläßt.
Π . Begriff des Föderalismus als Untersuchungsgegenstand i . Begrifflichkeit Ursprung des Wortes Föderalismus ist das lateinische Wort "foedus", das Bund oder Bündnis bedeutet. 11 Die daraus gebildete Abwandlung der "foederati" hatte schon im römischen Reich eine staatsrechtliche Bedeutung, denn sie bezeichnete die Stammeseinheiten fremder Völker, die mit Rom
7
Vgl. Angermeier, Deutschland zwischen Reichstradition und Nationalstaat. Vgl. auch Koselleck, Grundbegriffe, S. 649, 655ff.; Deuerlein, S. 73ff. 9 Vgl. Hesse, S. 93ff. 10 In diesem Sinne auch Puttkammer, S. 20ff., 24; Koselleck, Gegenstand und Begriff, S. 8, l l f . ; Berber, Staatsideal, S. 334; jew.m.Nw. 11 Vgl. Filip-Fröschl, S. 153; Pertsch, S. 486. 8
22
Α. Einleitung
Bündnisse eingehen konnten. 12 Die Begriffe "foedus" und "confoederatio" waren auch im Mittelalter weitverbreitet. Sie wurden oft in Verträgen verwendet, die den Begriffen auch politische oder staatsrechtliche Inhalte gaben.13 Eine weitere Dimension erhielten die lateinischen Begriffe durch die Föderaltheologie des 16. und 17. Jahrhunderts. 14 In diesem Zusammenhang bezeichnete "foedus" das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen, wie es von Moses in einer Bundesform begründet und von Jesus erneuert wurde. 15 M i t der Entwicklung des modernen Staatsverständnisses erfolgte die Herausbildung des Föderalismus im heutigen Sinn. Die Anerkennung des reichsständischen Bündnisrechts im Westfälischen Frieden belegt die politische Bedeutung des Bundesbegriffes, der im folgenden insbesondere von der Reichsstaatslehre analysiert wurde. 16 Die Anhänger der Aufklärung kannten den Begriff des Föderalismus sowohl in politischer als auch in staatsrechtlicher Hinsicht. Im Zusammenhang mit der Bildung der Vereinigten Staaten von Amerika wurde "federalism" als politischer und rechtlicher Begriff etabliert. Obwohl die amerikanischen Ereignisse in Europa beobachtet wurden, reagierte die staatsrechtliche Publizistik nur träge auf die neuen föderalen Einflüsse. Erst in der folgenden Diskussion um Deutschland als Bund und Nationalstaat wurden die amerikanischen Einflüsse berücksichtigt. 17 Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begann dann die Differenzierung zwischen dem Föderalismusprinzip und der Bundesstaatlichkeit, die als staatsrechtliche Ausprägung des föderalen Prinzips angesehen wurde. 18 Die sich ändernden Begriffsprägungen halten bis heute an. Die Debatte um den neuen Artikel 23 des Grundgesetzes und die Frage der Subsidiarität als Bestandteil einer Europäischen föderalen Ordnung sind dafür gute Beispiele. 19 Die Begriffe von Föderalismus und Bundesstaatlichkeit werden dabei mit
12
Vgl. Deuerlein, S. 11. Das Wort "foedus" wird deshalb von Filip-Fröschl unter dem Oberbegriff der Konföderation im Abschnitt über das Völkerrecht behandelt. 13 Vgl. Koselleck, Grundbegriffe, S. 583ff.; Flemming, S. 12; jew.m.Nw. 14 Vgl. dazu Koselleck, Grundbegriffe, S. 600ff.; Oestreich, Die Idee, S. 137ff.; jew.m.Nw. 15 Vgl. Deuerlein, S. l l f . 16 Vgl. dazu Koselleck, Grundbegriffe, S. 609ff.m.Nw. 17 Vgl. dazu Koselleck, Grundbegriffe, S. 635ff., 649ff.m.Nw. 18 Vgl. Koselleck, Grundbegriffe, S. 649ff.m.Nw. zum politischen Hintergrund der Begriffspaarbildung Staatenbund - Bundesstaat. 19 Zur Begriffsprägung und den Inhalten auf europäischer Ebene siehe Leisner, Staatseinung, S. 257ff.
. Begriff des Föderalismus als Untersuchungsgegenstand
23
politischen und rechtlichen Bedeutungen belegt. Als politische Begriffe sind sie oft Schlagwörter, mit denen konkrete Interessen durchgesetzt werden sollen. Dies ist nicht neu, sondern trifft ebenso für die untersuchte Zeit zu. 2 0 Durch die oben betonte Verbindung zum Bundesstaatsbegriff liegt auch der rechtliche Gehalt des Föderalismusbegriffs nahe, und eine Trennung der Begriffe und Inhalte ist oft nicht möglich. Dennoch scheint der Bundesstaat als verfassungsrechtliche Ausprägung des Föderalismus leichter bestimmbar zu sein als das Föderalismusprinzip. Als ein System auf der Ebene der Staatsform bilden die Aspekte der Gewaltenteilung, der demokratischen Dezentralisation und der Kompetenzabgrenzung den entscheidenden Ansatzpunkt. 21 Der politische Hintergrund der Begriffsbildung ist aber nicht zu leugnen.
2. Inhalt a) Überblick Wie die Bildung des Föderalismusbegriffes weist auch der konkrete Inhalt des Begriffes Unterschiede auf; zahlreiche Darlegungen behandeln die Frage nach dem Inhalt des Föderalismus. 22 Teilweise wird zusätzlich versucht, die verschiedenen Aspekte zu systematisieren und in vorhandene Strukturen einzuordnen. Aus der Sicht der verschiedenen Disziplinen wird der Föderalismus vor allem als rechtliches Prinzip untersucht, 23 wobei die konkrete staatsrechtliche Organisation im Vordergrund steht. Weitergehend wird Föderalismus als ein politischer und sozialer Begriff verstanden, 24 der sich im Bundesstaatsbegriff nicht erschöpft. Zusätzlich wird der Begriff aus philosophischer Sicht analysiert und ihm eine humane25 bzw. anthropologische Komponente26 beigeordnet.
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Zum generellen Problem der Begriffe in der verfassungsgeschichtlichen Forschung vgl. Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme; Usteri, Theorie, S. 3f., 5ff.; Puttkammer, S. 20ff.; Dilcher, S. 187ff. 21 Vgl. dazu Hesse, S. 93ff.; Stein, S. 310ff.; Stern, S. 644ff.; jew.m.Nw. 22 Als Auswahl vgl. Bothe, Die Kompetenzstruktur; Brie, Der Bundesstaat; Deuerlein, Föderalismus; Hirsch, Der Begriff; Jellinek, Die Lehre; Nawiasky, Der Bundesstaat; Usteri, Theorie; jew.m.Nw. 23 Hier vor allem Brie, Der Bundesstaat; Nawiasky, Der Bundesstaat; Usteri, Theorie. 24 So Hüglin, Sozietaler Föderalismus; Zippelius, Staatslehre; Esterbauer, Föderalismus. 25 Vgl. Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1126ff.m.Nw. 26 Vgl. Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. 6ff.
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Α. Einleitung
Aus systematischer Sicht kann man die Darlegungen nach formellen und materiellen Begriffsdeutungen trennen. Während die formelle Sichtweise den topos des Föderalismus als ein eigenständiges Strukturprinzip für bestimmte Bereiche verfolgt, behandelt die materielle Betrachtungsweise die Aspekte des Föderalismus im Sinne konkreter Wirkungen und versucht, diese Phänomene zu systematisieren. Bereits dieser kurze Überblick verdeutlicht, daß eine Abgrenzung schwierig ist. Hinzu kommt, daß zwischen den verschiedenen Aspekten des Föderalismus Wechselwirkungen bestehen. Eine thematisch eingeschränkte Betrachtung könnte dem nicht gerecht werden; das gilt besonders fur die Trennung zwischen formeller und materieller bzw. funktionaler Betrachtung. Wichtig ist daher die Feststellung, daß die im folgenden skizzierten Ansichten über den Föderalismus nicht den Anspruch einer Erklärung haben, sondern nur einzelne Aspekte eines vielschichtigen Begriffes erläutern. 27
b) Einzelne Bedeutungen aa) Rechtliche Bedeutung Auf rechtlichem Gebiet ist der Ausgangspunkt der Untersuchungen zunächst der ständische partikularistische Föderalismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. M i t den Umbrüchen in Folge der französischen Revolution werden die Begriffe von Staatenbund und Bundesstaat wieder etwas in den Vordergrund gerückt, bis schließlich Bundesstaatstheorien im Sinne eines modernen, funktionalen Verständnisses entstehen. In Deutschland wurde dieser funktionale Begriff des Bundesstaates mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts verwendet. 28 Föderalismus als ein eigenständiger juristischer Begriff kam erst später hinzu, obwohl sein Inhalt bereits mit der Entwicklung des modernen Staates näher bestimmt wurde. 29 Nach unserem heutigen Begriffsverständnis hat ein Staatenbund keine eigene Staatsqualität, während ein Bundesstaat eine staatsrechtliche Verbindung ist, bei der die Mitglieder Staaten bleiben, aber auch der Gesamtverband ein Staat
27 Zu den daraus resultierenden Problemen wissenschaftlichen Arbeitens vgl. Deuerlein, S. 9, 1 Iff., 306f., 332f.; Zippelius, Staatslehre, S. 366f.; Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1114ff., 1118f., 1126ff.; Flemming, S. 7ff.; Stern, S. 660ff.; jew.m.Nw. 28 Siehe Koselleck, Grundbefriffe, S. 634ff.m.Nw.; Stern, S. 656f.; Deuerlein, S. 66ff. 29 Vgl. Stern, S. 660f.; Deuerlein, S. 59ff., 86ff.
II. Begriff des Föderalismus als Untersuchungsgegenstand
25
ist. 3 0 Das formale Kriterium für den bundesstaatlichen Charakter föderaler Staatsstrukturen ist demnach zunächst die Kompetenzverteilung zwischen der Bundesebene und den Mitgliedsländern. Als Element stabiler föderaler Ordnungen wird hier oft der Grundsatz der Subsidiarität angeführt. 31 Neben diese formale Sichtweise tritt mittlerweile eine funktionale Betrachtung, die den staatsrechtlichen Föderalismus als ein komplementäres Element von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sieht. 32
bb) Politische Bedeutung Für den politischen Begriffsinhalt wird die Trennung zwischen den verschiedenen Aspekten des Föderalismus betont. Allerdings werden dadurch die Grenzen isolierter Betrachtungen noch deutlicher. Der Oberbegriff des politischen Föderalismus ist die Pluralität der politischen Leitungsgewalt, 33 woraus verschiedene Gesichtspunkte abgeleitet werden. Einer davon ist das Konfliktbewältigungspotential des Föderalismus. 34 Eine abgestufte Konfliktbewältigung gestattet es, Sachprobleme auf möglichst niedriger Ebene zu lösen und dabei verschiedene Lösungsmodelle konkurrieren zu lassen. Zum einen werden dadurch Spannungen zwischen verschiedenen Bereichen in das staatliche System integriert oder aufgehoben. Zum anderen fördert dieses Vorgehen Initiativen zur Problembewältigung auf den unteren Ebenen. Dadurch werden sachnahe Lösungen und eine Entlastung der oberen Ebenen erreicht. Weiter wird der Aspekt der Machtkontrolle angeführt, da die verschiedenen politischen Entscheidungsebenen sich gegenseitig kontrollieren und voneinander abgrenzen. 35 In anderen Analysen wird dem Föderalismus auch die Eigenschaft eines antagonistischen Prinzips zugeordnet. 36 Da er auf die Herstellung von
30
Vgl. Stern, S. 644f.m.Nw. Dabei werden Kompetenzen grundsätzlich den untersten bzw. kleinsten Einheiten zugeordnet und nur dann auf die höhere Einheit verlagert, wenn das zur Aufgabenerfüllung nötig ist; vgl. dazu Würtenberger, Subsidiaritätsprinzip, S. 621ff.; Knemeyer, Subsidiarität Föderalismus; Deuerlein, S. 319ff.; jew.m.Nw. 32 Vgl. dazu Hesse, S. 88ff.m.Nw.; Einzelheiten beim Föderalismus als politischem Prinzip. 33 Vgl. Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. 3; Stern, S. 657. 34 Vgl. Zippelius, Staatslehre, S. 369. 35 Hierhin gehört auch der Begriff der horizontalen Gewaltenteilung; vgl. Hesse, S. 95. 36 Vgl. Stern, S. 663f.m.Nw.; Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. 18ff. 31
26
Α. Einleitung
Kompromissen angelegt ist, steht er im Gleichgewicht zwischen Zentralismus und Partikularismus; er greift dadurch deren positive Elemente auf. Der Föderalismus wird weiter eingeführt bei der Effizienz 37 und der Optimierung 38 politischen Handelns. Föderalisierungen werden oft als die Suche nach der optimalen Staatsverfassung angesehen. Diese Sichtweise entspricht den Rahmenbedingungen einer modernen und differenzierten Gesellschaft, die angemessene Lösungen erfordern. Auf internationaler Ebene ist die Europäische Gemeinschaft mit den Bewegungen von Regionalismus und Eurozentrismus dafür ein Beispiel, und auf nationaler Ebene kann man die Einführung der Regionen in Frankreich nennen. Die aufgeführten topoi werden ergänzt durch die Flexibilität föderaler Staatsstrukturen. 39 Dieser Faktor verbindet die systemtheoretischen Aspekte; er wird vor allem auf der funktionalen und der sachlich-thematischen Ebene aktuell. Eine materielle Komponente des politischen Föderalismus ist der Schutz von Freiheits- und Individualrechten. 40 Die Aufteilung der staatlichen Gewalt und der Zwang zu sachnahen Entscheidungen auf unterster Ebene führen zu einer stärkeren Rücksicht auf die Interessen der Bürger. Weiter werden demokratische Willensbildungsprozesse gefördert. 41 Die deutsche demokratische Bewegung des 19. Jahrhunderts hatte zwar eine unitarische und nationale Ausrichtung, aber die Analyse dieses Zusammenhangs ist so weit fortgeschritten, daß die demokratiefördernde Wirkung des Föderalismus nicht mehr bestritten wird. 4 2 Vor allem der demokratische Aspekt des Minderheitenschutzes wird oft betont. 43 Der Föderalismus unterstützt die Legitimation des Staates, indem er den Bürgern sozialen Frieden gibt 4 4 und die Integration in den Staat erleichtert. 45
37
Vgl. dazu die Untersuchung von Kopp, Die Leistungsfähigkeit des Bundesstaates. Vgl. Zippelius, Staatslehre, S. 370, 373f. 39 Vgl. Zippelius, Staatslehre, S. 374f.; Maunz/Zippelius, S. 106ff. 40 Vgl. Hesse, S. 93ff. 41 Vgl. Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1126f.m.Nw. 42 Vgl. Maunz/Zippelius, S. 105. 43 Vgl. Zippelius, Staatslehre, S. 368f.; Hesse, S. 93; Stern, S. 658f.; Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1128. 44 Vgl. Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. lOf. 45 Vgl. Zippelius, Staatslehre, S. 368; Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. 14ff., 38
. Begriff des Föderalismus als Untersuchungsgegenstand
27
Die gesteigerte Akzeptanz staatlichen Handelns wirkt sich positiv auf die Beteiligung des Einzelnen am Gemeinwesen aus. 46
cc) Soziale Bedeutung Als soziales Element kann der Föderalismus ein Grundsatz des Aufbaus der Gesellschaft sein. 47 Föderalismus ist dann mehr ein Prinzip als ein System.48 In der jüngeren deutschen Publizistik war die erste geschlossene Darstellung dieser Auffassung die Genossenschaftstheorie von Gierke. 49 Bei ihr sollte der Föderalismus Individualität wahren und zugleich soziale Einbindung herstellen.
dd) Philosophische Bedeutung Der Begriff des Föderalismus enthält auch philosophische Aspekte. 50 Vor allem wird die anthropologische Wurzel des Föderalismus behandelt;51 daneben wird auch an den philosophischen Gedanken des Personalismus angeknüpft. 52 Der Föderalismus wird sowohl in ontologischer als auch in teleologischer Hinsicht auf die Beziehungen zwischen den Menschen und der Gesellschaft zurückgeführt. 53 Für die moderne Gesellschaft wird betont, daß der Föderalismus und die damit mögliche Pluralität individueller Orientierungen eine individuelle oder religiöse Orientierung erleichtern kann. 54 Die föderale Integration ist dann eine Antwort auf sich auflösende ethische Grenzen. 55
45
Vgl. Zippelius, Staatslehre, S. 368; Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. 14ff.,
18. 46
Vgl. Maunz/Zippelius, S. 106; Hesse, S. 94. Vgl. Deuerlein, S. 31 Of., 316ff.; Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. lOf. 48 Vgl. Deuerlein, S. 306, 310f., 316. 49 Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band 1, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft. 50 Vgl. Deuerlein, S. 309ff.; Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1127f.; Oestreich, Die Idee, S. 137ff. 51 Vgl. Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. 6ff.m.Nw.; Zacher, Notwendigkeit. 52 Vgl. Deuerlein, S. 317ff.; Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1128f.m.Nw. Der terminus wird auf den Philosoph Friedrich Schleiermacher zurückgeführt, der im Vorfeld des Wiener Kongresses an der Bundesstaatsdiskussion beteiligt war. Siehe dazu Deuerlein, S. 67f.; Brockhaus, 16. Band, S. 699. 53 So ausdrücklich Lang, S. 69. 54 Vgl. Zacher, Notwendigkeit; Zippelius, Staatslehre, S. 367f. ; Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1127f. 47
28
Α. Einleitung
c) Gesamtbetrachtungen Trotz der verschiedenen Erklärungsansätze zur Bestimmung der Inhalte des Föderalismus wird vorgeschlagen, einen einheitlichen Föderalismusbegriff zu bilden. Einige Autoren sehen gerade in der Vielfalt selbst das Wesensmerkmal des Föderalismus. 56 Dazu zählt auch die Auseinandersetzung um einzelne Elemente des Föderalismus und deren wechselseitige Bezüge. Der Föderalismus wird damit als ein antagonistisches Prinzip 57 aufgefaßt, was seinen Gehalt treffend beschreibt. Gleichzeitig wird betont, daß jeder föderale Staat nur anhand der jeweils konkreten Ordnung zu verstehen ist. 5 8 Die historischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingtheiten59 des Föderalismus bilden deshalb den Hintergrund der staatsrechtlichen Untersuchung.
Ι Π . Ansatz und Aufbau der Untersuchung Viele Autoren weisen darauf hin, daß der Föderalismus im deutschen Staatsrecht nur erklärt werden kann, wenn die historischen und politischen Gegebenheiten einbezogen werden. Der wechselseitige Einfluß von Theorie und Praxis, der das Verfassungsrecht oft prägt, ist dabei besonders deutlich. Die jeweiligen Staatsstrukturen sind Ausdruck dieser Einflüsse. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang der Übergang von der alten Reichsordnung zu den modernen Bundesformen. Für diese staatsrechtliche Entwicklung vom 18. zum 19. Jahrhundert in Deutschland werden zunehmend kontinuierliche Aspekte betont. 60 Ohne die epochale Wirkung der französischen Revolution von 1789 zu leugnen, 61 werden die politischen und staatsrechtlichen Vorgänge in dieser Zeit schneller und tiefgreifender Änderungen als Elemente einer längerfristigen Entwicklung gedeutet. Die Untersuchung des Föderalismus im deutschen Staatsrecht dieser Zeit erlangt vor diesem Hintergrund kontinuierlicher Entwicklungen einen besonderen Stellenwert.
56
Vgl. Kimminich, Der Bundesstaat, S. 1115 m.Nw. Vgl. Würtenberger, Legitimation des Föderalismus, S. 18ff.; Hesse, Staatsrecht, S. 89f.; Stern, S. 647f., 654ff. 57
58
Vgl. Hesse, S. 89f.; Stern, S. 647f., 654ff. So Hesse, S. 90. 60 Vgl. dazu Würtenberger, Staatsverfassung; Vierhaus, S. 287ff.; Stolleis, Geschichte 2, S. 48ff., 74f.; Rumpier, S. 215ff., 219f, 225ff.; Aretin, Vom Reich zum Bund, S. 186f. 61 So ausdrücklich Vierhaus, S. 300. 59
ΠΙ. Ansatz und Aufbau der Untersuchung
29
Nach Puttkammer zeigt das Verhältnis zwischen Zentralgewalt und Gliedstaaten in Deutschland, daß in den deutschen Staatsordnungen das Bewußtsein von der Notwendigkeit föderativer Verfassungselemente zu allen Zeiten präsent war. 6 2 Dabei erscheinen gewisse Grundprobleme der föderativen Gestaltung als kontinuierliche Aspekte. Vor allem die Frage nach Staatenbund oder Bundesstaat als föderale Form des politischen Ausgleichs für den Staatsaufbau, das politische Kräfteverhältnis, die territoriale Aufgliederung und das Thema homogener Staatsformen in föderativen Systemen werden hier genannt. 63 Gleichzeitig wird aber betont, daß wegen der historischen Entwicklung die politischen Formen zur Verwirklichung des Föderalismus sehr verschieden aussehen können. Eine gewisse Kontinuität soll aber bei den Verfassungsinstitutionen erkennbar sein. 64 Unter dem Aspekt von Kontinuität und Wandel im Verfassungsdenken ordnet Würtenberger der Zeitwende vom 18. zum 19. Jahrhundert eine besondere Bedeutung zu. Einerseits stellt er fest, daß in dieser Zeitspanne der Umbruch vom ständischen Staat zum demokratischen Rechtsstaat erfolgt. 65 Andererseits betont er, daß das verfassungsrechtliche Denken an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auch kontinuierliche Elemente enthielt, und daß die Argumentationsmuster der Staatsrechtler viele Verbindungen zu modernen politischen Systemen haben.66 Auch Vierhaus tendiert für diese Zeitspanne zu einer stärkeren Betonung kontinuierlicher Aspekte. 67 Koselleck sieht für diese Zeit einen Bruch zwischen dem vormodernen und dem neuzeitlichen VerfassungsVerständnis. Aber auch er stellt fest, daß die Probleme von Souveränität und Staatlichkeit, wie sie im Reich bestanden, im Deutschen Bund weiter diskutiert wurden. Diese Fragestellung bestimmt nach seiner Ansicht auch im heutigen Europa die Auseinandersetzung um föderale rechtliche Integrationsformen zwischen den verschiedenen Staaten.68 Berber stützt diese Sichtweise aus einer längerfristigen Perspektive, indem er die Beziehungen im alten Reich als eine Vorwegnahme integrierender
62
Puttkammer, Föderalismus, S. 20. Puttkammer, Föderalismus, S. 20ff. 64 Puttkammer, Föderalismus, S. 22ff. 65 Würtenberger, Staatsverfassung, S. 86f., 105ff.; ders., Zeitgeist, S. 36ff.; jew.m.Nw. 66 Würtenberger, Staatsverfassung, S. 87ff.m.Nw. 67 Vierhaus, Aufklärung, S. 287ff. Zu Umfang und Folgen der Annahme kontinuierlicher Entwicklungen im deutschen Verfassungsdenken siehe die z.T. kontroversen Aussprachen auf der Tagung der Vereinigung fur Verfassungsgeschichte im März 1991 in: Mußgnug, Wendemarken. 63
68
Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme, S. 8, l l f .
Α. Einleitung
30
internationaler Strukturen betrachtet, 69 und Bussi sieht in der These, daß die kontinuierliche europäische Einbindung des deutschen Staatsrechts einen europäischen politischen Einigungsmechanismus andeutet, den Leitgedanken zur Analyse des Reichsrechts. 70 In den Überlegungen Dückers werden die Aussagen von Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Verfassungsentwicklung zusammengeführt. 71 Gerade die Grenze zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert soll dabei überschritten und im Sinne der gegensätzlichen Thesen überprüft werden. 72 Auf dieser Grundlage wird für die föderalen Elemente im deutschen Staatsrecht eine verstärkte Kontinuität angedeutet, die er vor allem als juristischmethodische Kontinuität sieht. 73 Die beiden Haupttopoi der skizzierten Diskussion skizzieren das Thema der vorliegenden Arbeit. Wenn einerseits die rapiden verfassungsrechtlichen Veränderungen vom 18. zum 19. Jahrhundert betont werden, andererseits föderale Strukturen aber als dauernde Elemente des deutschen Staatsaufbaus angedeutet werden, dann bietet sich eine Untersuchung des Föderalismus im deutschen Staatsrecht während dieser Entwicklungsphase an. Denn bündische bzw. föderale Strukturen sind regelmäßig Elemente der deutschen Staats- und Verfassungsgeschichte gewesen. Die Reichsverfassung, der Fürstenbund von 1785, der Rheinbund und der Deutsche Bund legen die Frage nahe, ob der staatsrechtliche Föderalismus in dieser Zeit auch ein kontinuierliches Element war. Dazu kommt, daß sowohl das Staatsrecht als auch der Föderalismus im Spannungsfeld politischer, ideengeschichtlicher und historischer Einflüsse stehen. Die konkreten föderalen Formen können bei einer genauen Betrachtung Aufschluß geben über die kontinuierlichen und die zäsurhaften Wirkungen der jeweiligen Einflüsse. Der Wandel von der reichsständischen Herrschaftspluralität zum modernen staatsrechtlichen Föderalismus erfordert dabei eine funktionale Aufspaltung des staatsrechtlichen Föderalismusbegriffes. Die Reichsverfassung, deren Form und Charakter bereits in der Reichspublizistik ein Streitpunkt war, läßt sich mit
69 70 71 72 73
Berber, Staatsideal, S. 333f. Bussi, Das Recht, S. 523, 530ff., 535ff. Dilcher, Herrschaftsvertrag, S. 161ff.m.Nw. Dilcher, Herrschaftsvertrag, S. 168. Dilcher, Herrschaftsvertrag, S. 187ff.m.Nw.
ΙΠ. Ansatz und Aufbau der Untersuchung
31
dem modernen VerfassungsVerständnis kaum vereinbaren. 74 Um so wichtiger ist es, die föderalen Ordnungen anhand der zeitgenössischen Funktionen und Begriffe zu erfassen; 75 nur so kann man die staatsrechtliche Entwicklung angemessen darstellen. 76 Die Untersuchung orientiert sich deshalb primär am Staatsrecht der deutschen Staaten dieser Zeit. Die ideengeschichtlichen und historischen Bedingungen werden zusammen mit den davon beeinflußten föderalen Verbindungen erläutert. Zum besseren Verständnis der Begriffe, der dahinterstehenden Vorgänge und der jeweiligen Rechtsordnung wird nach Möglichkeit in den einzelnen Entwicklungsphasen differenziert zwischen den politischen Hintergründen, den rechtlichen föderalen Systemen auf staatlicher Ebene und den ideengeschichtlichen Entwicklungen. Diese Vorgehensweise entspricht der nötigen begriffsgeschichtlichen Differenzierung und ermöglicht das Aufzeigen der vielfaltigen Beziehungen, die zwischen föderalen Staatselementen und anderen Faktoren bestanden. Die föderalen Ideen und Verfassungselemente an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert sollen auf den Inhalt der darin verwendeten Bundesbegriffe untersucht werden. Zu diesem Zweck werden die Entwicklungen in das Kräftefeld von Ideengeschichte, Politik und Verfassungsrecht eingebunden. Die verfassungshistorische Untersuchung kann damit möglicherweise auch zur Fortentwicklung des gegenwärtigen Verfassungsrechts anregen. 77
74
Vgl. dazu die Bemerkung von Randelzhofer, S. 19ff. Zur Methode der staatsrechtlich-politischen Begriffsgeschichte Würtenberger, Legitimität, S. 23ff.; ders., Zeitgeist, S. 53ff.; Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme; jew.m.Nw. 76 Für das Völkerrecht findet sich ein anderer Ausgangspunkt bei Randelzhofer, S. 2Iff. Aus verfassungsrechtlicher und historisch-politi2scher Sicht wird Randelzhofer kritisiert von Quaritsch, S. 400 m.Nw. 77 Zu dieser Perspektive vgl. Puttkammer, Föderalismus, S. 24; Würtenberger, Zeitgeist, S. 33ff., 60ff., 147ff.; Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme, S. 8, l l f . ; Berber, Staatsideal, S. 334; Bussi, Das Recht, S. 536. 75
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius als Vertreter widerstreitender Konzepte I . Einleitung Die Herausbildung des Föderalismus im modernen deutschen Staatsrecht wurde von zwei Entwicklungsrichtungen bestimmt. Auf der einen Seite fand die politische Entwicklung einer modernen Staatlichkeit statt. Die Vorstellungen vom mittelalterlichen Staat, die Staat und Gesellschaft als eine Einheit ansahen und auch zwischen religiöser und weltlicher Legitimation nicht trennten, 1 wurden durch die religiöse Spaltung in Europa zurückgedrängt. An die Stelle einer einheitlichen christlichen Konfession traten nun die Ideen der Aufklärung, die an die säkulare Vernunft und die Wissenschaften appellierten. Auf der anderen Seite stand das praktische Verhältnis zwischen zentraler Macht und partikularen Entscheidungsbefugnissen. Die Machtverschiebungen, die im Reich zwischen dem Kaiser, den Ständen und den Fürsten erfolgten, entsprachen der Suche nach dem jeweils passenden Maß an zentraler staatlicher Herrschaft und deren Abhängigkeit von den politischen Rahmenbedingungen. Aus dem zerfallenen fränkischen Großreich entwickelte sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit seiner kaiserlichen Zentralmacht. Nach dem westfälischen Frieden verlagerte sich die tatsächliche Macht von Kaiser und Reich hin zu den Landesherren, und an die Stelle des alten Reiches trat dann der von den Fürsten getragene Deutsche Bund. Die politische Idee des Nationalstaates führte dann zu engeren föderalen Konzeptionen, die in die Gründung des Deutschen Reiches von 1871 eingingen. Die Frage nach dem Gleichgewicht zwischen zentralen und partikularen Elementen stellte sich bereits vor Beginn der staatlichen Neuzeit. Im deutschen Raum stand die Organisation des Reiches im Mittelpunkt dieser Diskussion. Stellvertretend für die vielfaltigen Reformvorschläge 2 stand die Schrift
1 2
Vgl. dazu Heckel, S. 143. Vgl. dazu Molitor, S. 52ff.; Baethgen, S. 655ff., 661 Anm.l; jew.m.Nw.
3 Grzeszick
34
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius
"concordantia catholica" von Nikolaus von Kues. 3 Der Verfasser legte damit 1434 dem Baseler Konzil ein Programm für die Reform von Kirche und Reich vor. Insbesondere wollte er die Macht von Kaiser und Reich stärken und damit den Landfrieden sichern. 4 Zugleich beklagte er das allgemein reichsfeindliche Verhalten der Stände.5 Die konfessionelle Spaltung in Europa verlieh der Frage nach dem Aufbau des Gemeinwesens eine neue Dimension. Der Augsburger Religionsfrieden von 1SS5 brachte zwar den Reichsständen die prinzipielle Konfessionsfreiheit 6 und manifestierte damit auch auf der Reichsebene die Spaltung. Für die politische Ordnung des Reiches war er aber nur ein vorügergehender Ausgleich. Die Frage nach der politischen Legitimation des Kaisers und der Fürsten und damit zugleich staatlicher Herrschaft überhaupt blieb offen. Als Antwort standen zwei entgegengesetzte Modelle zur Verfügung. Eine mögliche Reaktion war die Bildung eines säkularisierten und zentralistisch aufgebauten Staates. An die Stelle der religiösen Legitimation trat die Funktion der Friedenswahrung zwischen den Bürgern. Angesichts der konfessionellen Gegensätze erforderte dies eine starke staatliche Macht. Die Gegenposition bestand in der Stärkung partikularer ständischer Freiheiten. Statt mit der einheitlichen mittelalterlichen Staatsvorstellung zu brechen, sollten die Stände als kleine soziale Einheiten mit politischer und konfessioneller Verschiedenheit betont werden. Das Gesamtsystem des Staates beruhte hier auf flexibler Koordination und Ausgleich der Interessen. Jean Bodin mit seinem zentralistischen Staat und Johannes Althusius mit seinem ausgleichenden, ständischen Gemeinwesen verdeutlichen das politische und staatsrechliche Spannungsfeld für die folgenden föderalen Entwicklungen im Reich.
3
Vgl. dazu Hengelmann, Der Reichsgedanke; Schutz, Die Staatsphilosophie; Posch, Die Concordantia; Kallen, Die politische Theorie; jew.m.Nw. 4 Kues, m , c. 25f., 29, 41ff. 5 Kues, ΙΠ, c. 30f. 6 §§ 15, 16 des Augsburger Religionsfriedens. Text in Hofmann, Η . H . , Quellen, Nr. 17.
. Jean Bodin
35
I I . Jean Bodin i . Lebenslaufund Einflüsse Jean Bodin wurde um die Jahreswende 1529/30 in Bauchais bei Anges geboren. 7 Wegen seiner bescheidenen Herkunft 8 trat er im Alter von 15 oder 16 Jahren in den Karmeliterorden ein; er besuchte dessen Schulen in Anges und Paris. Wahrscheinlich aufgrund eines Häretikerprozesses gegen ihn verließ er 1549 den Orden. Spätestens hier beginnt die Prägung von Bodins Leben und Ansichten durch die religiösen Auseinandersetzungen im damaligen Frankreich; sein Staatsideal mit dem Ziel einer starken säkularen und friedenssichernden Zentralmacht dürfte hier ihren Ursprung haben.9 Bodin wandte sich nun weltlichen Studien zu. Ob er das Studium der Rechte in Anges begann,10 ist unklar. Sicher ist, daß er vor allem in Toulouse studierte und dort auch sein Studium abschloß. Um 1561 begab er sich nach Paris. Er wurde Advokat am Pariser Parlament und ab 1567 Berater von Karl IX. In dieser Stellung übte er nacheinander verschiedene Funktionen aus. Auch seine ersten politischen Tätigkeiten fallen in diese Zeit. Im Verlauf eines von Bodin sehr dogmatisch geführten Streites um die Rechte des Königs verließ er Karl IX. Er trat 1571 in die Dienste des Herzogs von Alençon-Anjou, der Mittelpunkt der "politiques" war. 11 Weil Bodin verdächtigt wurde, ein Protestant zu sein, wurde er 1572 in der Bartholomäusnacht beinahe ermordet. Der Herzog von Alençon betrieb zu dieser Zeit eine Verschwörung gegen Heinrich ΠΙ., den legitimen Nachfolger von Karl IX. Aufgrund seiner konsequenten und loyalen Haltung gegenüber der Position des Landesherren wurde Bodin 1574 Berater des neuen Königs Heinrich ΙΠ. Als Bodin 1576 auf
7
Uber die ungenaue Datierung siehe Treffer, S. 32 m.Nw. Nach Mayer-Tasch, in: Bodin, Sechs Bücher, Einleitung, S. 12, war sein Vater Schneidermeister. 9 Zur Prägung der Theorie Bodins durch die bürgerkriegsähnlichen Zeitumstände siehe Scupin, Begriff, S. 13ff.; Quaritsch, Souveränität, S. 48ff.; jew.m.Nw. 10 So Baudrillart, S. 113f. 11 Zum Umkreis der Personengruppe der "politiques" gehörten gemäßigte Katholiken und Protestanten, die auf politischem Weg für eine tolerante Befriedung unter der Vorherrschaft des Königs eintraten; dafür waren sie auch zu weitgehenden religiösen Zugeständnissen bereit. Vgl. dazu Schnur, Juristen, S. 1 Iff.; Baudrillart, S. 74ff.; Scupin, Begriff, S. 14f.; Berber, Staatsideal, S. 204. 8
36
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius
der Generalversammlung der Stände zu Blois als Deputierter des dritten Standes auftrat, geriet er wegen seiner Ansichten über die Bindung des Königs bei der Nutzung seiner königlichen Rechte12 auch mit Heinrich ΙΠ. in Konflikt. Bodin gelang es zwar, in der Versammlung religiöse Toleranz zu wahren und die Rechte des Königs als Herrscher letztendlich zu stärken, aber damit durchkreuzte er die politischen Pläne des Königs. 13 Als Ausweg blieb Bodin nur das Leben in der Provinz; 1577 wurde er Staatsanwalt in Laon. Als Laon 1587/88 von der katholischen Liga beherrscht wurde, trat Bodin der Bewegung aus praktischen Gründen bei. 1 4 Nachdem er aber absehen konnte, daß die Friedenspolitik von Heinrich IV. erfolgreich war, verließ er die Liga. Ab 1594 stand Laon wieder unter der Herrschaft des Königs. Bodin Schloß sich Heinrich IV. an und bezeugte damit erneut seine grundsätzlich loyale Haltung gegenüber dem legitimen Herrscher. Bodin starb 1596 in Laon an der Pest; den erfolgreichen Abschluß der Friedensbemühungen Heinrich I V . durch das Toleranzedikt von Nantes erlebte er nicht mehr.
2. Grundlagen seines staatsrechtlichen
Denkens
Auf den ersten Blick könnte das Werk Bodins dazu verleiten, ihn als einen unsystematischen Eklektiker zu bezeichnen.15 Bei näherer Betrachtung stellt man aber fest, daß seinen Schriften ein universelles Weltbild zugrundelag, das auch einen religiösen Ausgangspunkt hatte. Bodin ging davon aus, daß die Welt Abbild und somit Teil des göttlichen Willens war. Die Realisierung des göttlichen Willens blieb aber auf den Schöpfungsakt beschränkt. Denn aufgrund seiner Lebenserfahrung nahm Bodin an, daß zwischen der Natur des Menschen und der Religion ein Gegensatz bestand. Harmonie und Einheit sollten durch ein Gleichgewicht der Gegensätze erreicht werden. 16
12
Bodin war der Ansicht, daß der König über das Krongut als tatsächliche Grundlage der Souveränität nicht frei verfügen konnte; vgl. dazu Quaritsch, S. 352ff., 361ff.m.Nw. 13 Dazu Treffer, S. 39ff.; Mayer-Tasch, S. 18f. 14 So Mayer-Tasch in: Bodin, Sechs Bücher, Einleitung, S. 21f.; Treffer, S. 46f. 15 In diesem Sinn auch Denzer, Klassiker, S. 329. 16 Vgl. zu diesen Grundlagen Quaritsch, Souveränität, S. 50f.; Scupin, Begriff, S. 18ff.; jew.m.Nw.
II. Jean Bodin
37
Der Mensch handelte in der Welt kraft seines freien Willens und der natürlichen Erkenntnis des Richtigen; er war frei verantwortlich. Die menschliche Glückseligkeit beruhte somit für Bodin auf Tugend und nicht auf Gnade.17 Die starke Betonung des vernünftigen Handelns der Menschen entstand aus der Beschränkung des göttlichen Willensaktes auf den Akt der Schöpfung. 18 Aufgrund der französischen Religionskriege nahm Bodin an, daß die Einheit des Glaubens endgültig verloren war. 19 Er versuchte deshalb, die Legitimation des Staates zu erneuern. Sein Leitbild war der souveräne Fürst, der nur den göttlichen und den natürlichen Gesetzen unterlag. Da Bodin nicht nur juristisch dachte, sondern auch philosophisch und historisch gebildet war, sollten seine Schriften theoretisch fundiert und zugleich praktisch anwendbar sein. 20 Die Souveränität war der zentrale Begriff der staatsrechtlichen Ideen Bodins. Der Staat unterschied sich von anderen sozialen Gebilden durch den Begriff der Souveränität. Bodin definierte Souveränität als die oberste weltliche Gewalt, die gegenüber anderen sozialen Gewalten nicht beschränkt, nicht bedingt, nicht delegierbar und nicht entziehbar war. 21 Er erkannte aber, daß auch diese Gewalt religiös und vernünftig sein mußte. 22 Souveräne Macht war deshalb an die Gesetze Gottes und der Natur gebunden.23 Dazu mußte sie die "leges imperii" beachten, welche die Thronfolgeordnung und die Veräußerungsbeschränkungen bezüglich des Krongutes festlegten. Da Gott durch die Schöpfung auch das Naturrecht nach seinem Willen geformt hatte, war der Staat Bodins sowohl religiös als auch naturrechtlich legitimiert. 24 Die Religionen oder zumindest die verschiedenen Konfessionen waren aber im Ergebnis austauschbar geworden, und das religiöse Element trat zugunsten der Idee des souveränen Rechtsstaates zurück. 25
17 18 19 20 21 22 23 24 25
Vgl. Denzer, Klassiker, S. 331. So Würtenberger, Legitimität, S. 77. Siehe dazu oben, Β. Π. 1. m.Nw. In dieser Hinsicht unterschied sich sein fachlicher Ausgangspunkt nur wenig von Althusius. Bodin, Les six livres, S. 122ff. Bodin, Les six livres, S. 279f. Vgl. Würtenberger, Legitimität, S. 79f. Vgl. Berber, Staatsideal, S. 206. Würtenberger, Legitimität, S. 80 m.Nw.
38
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius
3. Seine Auffassung über Staatsform
und Staatsaufbau
Die Ansichten Bodins über die Staatsstruktur waren durch seinen Souveränitätsbegriff vorgegeben. 26 Die Macht des Staates war der maßgebliche Faktor für die Sicherung des Friedens. Sie war nicht teilbar, da sonst Anarchie entstehen konnte. 27 Diese unteilbare und unentziehbare Souveränität gestattete weder eine Teilung der staatlichen Macht noch eine positive Ordnung gemäß dem Prinzip der Volkssouveränität. Für Bodin war die Monarchie die vollkommene Verkörperung der Souveränität. 28 Dennoch war Bodins Modell soweit differenziert, daß es zwischen dem Träger der Souveränität und der Regierungsform bzw. der Regierungsausübung unterschied. Bodin kannte die Staats- und Regienihgsformen der Monarchie, der Aristokratie und der Demokratie. 29 Im Gegensatz zur Staatsform, wo nur die Monarchie seinen Vorstellungen entsprach, ließ Bodin bei der Ausübung der monarchischen Staatsgewalt auch andere Regierungselemente einfließen, da dadurch die Souveränität nicht berührt wurde. 30 Er anerkannte , daß eine gute Regierung eine gemäßigte Regierung sein mußte, welche Elemente verschiedener Regierungsformen in sich vereinigte. Der richtig regierende Monarch sollte deshalb auch Ratschläge von Seiten aristokratischer Gruppen und die Reaktionen und Meinungen im Volk berücksichtigen, um zu angemessenen Entscheidungen zu gelangen. Die Entscheidung selbst und deren Inhalt wurden aber allein aufgrund der souveränen Macht des Monarchen verfügt und durchgesetzt. Es gab keine Teilhabe an den Befugnissen des Monarchen zugunsten anderer Personen oder Gruppen. Der Monarch war niemandem gegenüber direkt verantwortlich. 31 Dieses Ideal der richtig regierten Monarchie nannte er "monarchie legitime" oder "monarchie royale". 32 Damit machte Bodin die Legitimität des Monarchen auch abhängig von der Qualität seiner Herrschaft für den Staat und die Untertanen. 33 Im Gegensatz
26
Vgl. Denzer, Klassiker, S. 339. Vgl. Berber, Staatsideal, S. 207. 28 Vgl. Bodin, Les six livres, S. 961f. 29 Bodin, Sechs Bücher, S. 337. 30 Bodin, Sechs Bücher, S. 337, 401ff. 31 Bodin, Les six livres, S. 130f., 474ff., 495ff., 500ff. Vgl. dazu auch Quaritsch, Souveränität, S. 54ff.; ders., Staat, S. 310ff.; Berber, Staatsideal, S. 207f.; jew.m.Nw. 32 Bodin, Sechs Bücher, S. 337ff. Bodin unterschied zwischen "monarchie tyrannique", "monarchie seigneurale" und "monarchie legitime" bzw. "royale". 33 Bodin, Sechs Bücher, S. 343ff. 27
. Jean Bodin
39
zum späteren Verständnis genügte für die monarchische Legitimität nicht die Einhaltung der Erbfolge. Bodins Legitimität war geprägt von Aspekten der Vernunft, des Ausgleichs, des allseitigen Wohlergehens und der Verständigung zwischen dem Herrscher und den Untertanen. 34 Als gute Staatsform sah Bodin allein die Monarchie an; Mischformen lehnte er ab. 35 Der Monarch war Träger der souveränen Gewalt, und der Staat war streng hierarchisch aufgebaut. Alle Körperschaften existierten im Staat nur aufgrund der Duldung durch den Souverän. Ihre Zuständigkeiten beruhten allein auf einer entsprechenden Zustimmung des Souveräns. 36 Die sozialen Gemeinwesen mit einer politischen Bedeutung waren nach Bodin Staatsanstalten in dem Sinne, daß sie nur als Ausfluß der Verbandsgewalt des Fürsten zu verstehen waren. 37 Soweit Bodin für Justiz und Verwaltung Dezentralisationen zuließ, waren sie durch die Verbandsgewalt vollständig vom Fürsten abhängig. 38 Im Staat Bodins war Föderalismus im Sinne einer föderalen Gewaltenteilung oder einer Pluralität der Herrschaftsgewalt nicht möglich.
4. Einordnung der Lehren Bodins aus föderaler
Sicht
Die Vorstellungen Bodins waren durch seine Lebenserfahrung geprägt. Ein guter Staat mußte von einer effektiven, zentralen Macht regiert werden, da nur so den Bürgern ein sicheres Dasein möglich war. Die Annahme eines föderalen Defizits im System Bodins liegt nahe. Sein Ziel war, einen funktionsfähigen Staat zu bilden, in dem die Gegensätze ausbalanciert sein sollten. Dieses Gleichgewicht bezog sich ursprünglich nur auf konfessionelle Gegensätze; es war aber auf Gegensätze politischer Art übertragbar. Einer der Gründe für föderale Staatsstrukturen ist die Möglichkeit, innerhalb einer politischen Einheit regionale Besonderheiten zu berücksichtigen und auf
34
Bodin, Sechs Bücher, S. 343ff. Bodin, Les six livres, S. 251ff. 36 Bodin, Les six livres, S. 481ff. 37 Gierke sieht auf S. 241 Bodins Souveränitätsbegriff als Grundlage der absolutistischen Korporationsmodelle an. 38 Bodin, Les six livres, S. 409ff. Vgl. dazu Scupin, Der Begriff, S. 23f.; Quaritsch, Souveränität, S. 54f.; jew.m.Nw. 35
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius
40
staatliche Meinungs- und Willensbildungsprozesse Einfluß zu nehmen. Bodin erkannte diesen Hintergrund, wie seine Überlegungen zur gemischten Regierungsform 39 mit der Beteiligung aristokratischer und demokratischer Elemente an der Herrschaftsausübung zeigten. Dies galt um so mehr, als der Begriff der Souveränität bei Bodin nur ein Zweckbegriff war, mit dem das Ziel einer stabilen und sachgerechten Herrschaft erreicht werden sollte. Anstatt aber seinen Souveränitätsbegriff einzuschränken und damit eine echte Teilung oder Teilhabe an der staatlichen Gewalt zuzulassen, entschied sich Bodin für einen einheitlichen und zentralistischen Staat. Die Funktion der Souveränität, den Bürgern auch in schwierigen Zeiten Ruhe und Sicherheit in einem geordneten Gemeinwesen zu garantieren, verhinderte bei Bodin letztlich eine föderale Gewaltenteilung. 40 Dementsprechend war der Staat Bodins prinzipiell absolutistisch organisiert und damit von einer föderalen Ordnung weit entfernt. Der souveräne Fürst mußte sich gegenüber den Bürgern nicht verantworten; 41 er regierte einseitig. 42 Er war auch nicht an die Gegenseitgkeit der Machtausübung gebunden, die für den Herrscher im mittelalterlichen Ständestaat typisch war. 43 Derartige Bindungen Schloß die bodinsche Souveränität aus. Andererseits erkannte Bodin, daß Staatsformen immer zeitbedingt sind. Sein Staat bildete die passende Struktur ständig neu, indem er sich an die Verschiedenheit der Völker und der natürlichen Gegebenheiten anpaßte. Weiter unterschied Bodin deutlich zwischen dem monarchischen Herrscher als legitimen Träger der Souveränität und der Ausübung dieser Herrschaftsgewalt. Der Herrscher sollte seine Macht vernünftig ausüben. Zu diesem Zweck konnte er sich beraten lassen und seine Gewalt auch durch Organe ausüben. Bodin lieferte mit seinen Vorstellungen zum einen die theoretische Grundlage des monarchischen Absolutismus, 44 der zur vorherrschenden Staatsform in Europa wurde. Zugleich betonte er aber, daß sein souveräner
39
Bodin, Les six livres, S. 25Iff., 409ff., 474ff., 495ff. Nach Denzer, Klassiker, S. 339, kann die politische Grundlage fur einen Staat bodinscher Prägung nur ein Großflächenstaat sein, der keine einheitlichen Lebensverhältnisse aufweist, sondern allein durch die Gemeinschaft der Herrschaft bestimmt wird. 40
41
Bodin, Les six livres, S. 122, 130f. Bodin, Les six livres, S. 10, 221. Zum Begriff der "Einseitigkeit" der Herrschaftsausübung siehe Quaritsch, Souveränität, S. 56ff.m.Nw. 43 Vgl. Denzer, Klassiker, S. 340. 44 Vgl. Quaritsch, Staat, S. 41f., 310ff. 42
ΙΠ. Johannes Althusius
41
Fürstenstaat Neuerungen aufgreifen sollte. 45 Die Idee eines ständischen föderalen Staates war mit seinen Überlegungen insoweit nicht vereinbar, als daß Bodin die Möglichkeit eigener Rechtspositionen gegenüber dem legitimen Monarchen leugnete. Der Begriff der Souveränität bestimmte insoweit auch die konkrete Verbandsform eines Staates.46 Bei der jeweiligen Ausübung der Herrschaftsmacht ließ er aber die Einbindung untergeordneter Organe durchaus zu.
Dies zeigt, daß die Lehre Bodins einem föderalen Aufbau des Gemeinwesens nicht prinzipiell entgegenstand. Eine Abgabe oder Aufteilung der Herrschaftsgewalt war aber für Bodin ausgeschlossen. Sein Souveränitätsbegriff begrenzte die Eigenständigkeit föderaler Strukturen und schwächte sie in der politischen Praxis erheblich. Gemeinsam mit dem politischen Aufstieg der Territorialherrscher begünstigte die Lehre Bodins die Entstehung der absolutistisch regierenden Fürsten im Reich. 47
I I I . Johannes Althusius 7. Lebenslaufund Einflüsse Johannes Althusius wurde im Jahr 1557 im Dorf Diedenhausen in der Grafschaft Wittgenstein-Berleburg im westfälischen Kreis geboren. 48 Dort wurde unter einer calvinistischen Herrschaft den reformierten Bürgern Glaubensfreiheit gewährt. Nach einem Vorstudium in Köln studierte er in Basel, 49 wobei er vom Grafen Georg von Sayn-Wittgenstein unterstützt wurde. In Basel wohnte er im Konvikt eines reformierten Theologen und lernte den Humanistenkreis des Hauses Amerbach kennen. Es wird vermutet, daß er im Jahr 1586 eine kurze
45 Vgl. dazu Berber, Staatsideal, S. 208f., der diese Dynamik der Anpassung bei Bodin in Gegensatz zur staatsrechdichen Statik des Absolutismus stellt. Auf die IJbergangsformen des aufgeklärten Absolutismus und des monarchischen Konstitutionalismus geht er nicht ein. 46 Vgl. dazu Quaritsch, Staat, S. 41f. 47 Zur Rezeption der bodinschen Souveränität im Reich siehe Quaritsch, Staat, S. 400ff.; ders., Souveränität, S. 66ff.; jew.m.Nw. Nach Quaritsch, Souveränität, S. 72f. waren die Verhältnisse im Reich mit dem Souveränitätsbegriff Bodins nicht zu vereinbaren. 48 Zu den Unsicherheiten dieser Angabe vgl. Scupin, Der Begriff, S. 4 m.Nw.; Dahm, Althusius, S. 23ff. 49 Vgl. dazu Wolf, S. 180; Gierke, S. 11.
42
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius
Zeit in Genf bei Dionysius Gothofredus studierte. 50 Wieder in Basel, wurde er im Oktober 1586 zum Doktor beider Rechte promoviert. 51 M i t einem Ruf an die nassauische Hochschule zu Herborn, die hauptsächlich für die Ausbildung reformierter Theologen bestimmt war, blieb Althusius in seinem deutlich calvinistisch geprägten Umfeld. Weihnachten 1586 eröffnete er dort den juristischen Lehrbetrieb; in der Folgezeit hielt er auch Vorlesungen über Philosophie. Ab dem Jahresende 1589 war er zudem Mitglied der gräflichen Kanzlei zu Dillenburg. Die Kombination einer calvinistischen wissenschaftlichen Ausrichtung und konkreter politischer Tätigkeit für regionale, ständische Vertreter war für Althusius typisch. Nach einem kurzen Aufenthalt als Lehrer am Gymnasium zu Steinfurt kehrte er an die Hochschule zurück. Er folgte der Hochschule auch nach Siegen, wohin sie wegen einer besseren Unterbringung zeitweise verlegt wurde. Dort heiratete er 1595, und mit der Hochschule kehrte er nach Herborn zurück. In den Jahren 1599 und 1602 füngierte er dort als Hochschulrektor. 1604 berief in die Stadt Emden zu ihrem Syndikus. Diese Stellung verließ er nicht mehr. In den Verhandlungen mit dem friesischen Territorialfürsten unterstützte Althusius erneut die Position der kleineren Reichsstände. Er schlug die Rufe an die Universitäten Leyden und Franeker aus. Althusius starb 1638 in Emden.
2. Grundlagen seines politischen und staatsrechtlichen
Denkens
Die Vorstellungen des Johannes Althusius orientierten sich an mehreren tragenden Gedanken. Seine vielseitige geisteswissenschaftliche Ausbildung spiegelte sich darin wieder. 52 Die religiöse Grundlage bildeten die Gotteslehre und die Rechtsauffassung Calvins. Danach enthielt die heilige Schrift ausschließlich und unmittelbar die für das soziale Leben maßgeblichen ethischen Werte; sie war Norm für die äußere Ordnung von Staat und Kirche. Die göttliche Souveränität wurde vom König ausgeübt. Da Kirche und Staat gemeinsam die Sorge für die wahre Religion wahrnehmen sollten, waren der Staat und das positive Recht Ausdruck
50
Vgl. dazu Dahm, Althusius, S. 25; Deuerlein, S. 34; Wolf, S. 180; Gierke, S. 11. Vgl. Wolf, S. 180. 52 In dieser Hinsicht unterschied er sich nur wenig von Bodin, der die gleichen Fachbereiche studiert hatte. 51
Π . Johannes Althusius
43
des metaphysischen Rechts. Bei Althusius beruhte die Deutung der politischen Verhältnisse auf diesem calvinistischen System.53 Althusius verfolgte mit seiner Politik aber auch einen juristischen und historischen Ansatz. Er unterschied den Bürger als geschichtlichen Menschen deutlich vom Menschen als geselliges Lebewesen. Entsprechend trennte er privatrechtlich orientierte Gesellschaften deutlich von den bürgerlichen Gemeinschaftsbildungen, die er dem sozialen bzw. öffentlichen Bereich zuordnete. 54 Diese Gesellschaft wurde bei Althusius eine politische Einheit und zugleich Träger der politischen Autonomie. Das dritte Element der politischen Lehre des Althusius war der methodische Rationalismus.55 Obwohl Althusius von der göttlichen Prägung als oberste Gewalt ausging, wollte er sein politisches System durch vernünftige Überlegungen überprüfen und ergänzen. Auf rationalem Weg schuf er damit ein rein weltliches Gesellschaftssystem. An der Zielsetzung, dadurch Gottes Willen zu erkennen, hielt er aber fest. Diese Grundlagen waren für die damalige Zeit zwar fortschrittlich, aber nicht außergewöhnlich. 56 Die Eigenart der Vorstellungen von Althusius und damit auch deren besonderer Wert lag in der Verbindung der Elemente zu einer selbständigen politischen Theorie. Althusius griff auf die Idee des Gesellschaftsvertrages zurück, um weltliche Herrschaft vernünftig zu begründen. Der Gesellschaftsvertrag war bei Althusius die juristische Form zur Erfassung der sozialen Wirklichkeit, 57 und seine Überlegungen entsprachen weitgehend58 der späteren Sozialvertragslehre von Hobbes. 59 Obwohl der letzte Grund für die Bildung einer Gesellschaft bei
53
Vgl. dazu und zu den anderen Aspekten umfassend Eßer, Calvin und Althusius; SchmidtBiggemann, Althusius' politische Theologie; Weinacht, Althusius; Würtenberger, Legitimation der Staatsgewalt, S. 560ff.; jew.m.Nw. 54 Von Althusius "consociatio publica" genannt; sie waren für ihn originäre Sozialgebilde. 55 Vgl. dazu umfassend Hommes, Naturrecht; Sparn, Politik; jew.m.Nw. 56 Vgl. Dahm, Althusius, S. 29ff. 57 Vgl. Krawietz, Kontraktualismus, S. 40Qff.m.Nw.; Wolf, S. 187f. 58 Anders als Althusius integrierte Hobbes den Gedanken der Herrschatsmachtsübertragung in den Gesellschaftsvertrag. 59 Gierke, S. 99f., sah in Althusius den eigentlichen Schöpfer der Lehre vom contrat social. Kritisch dazu Winters, S. 270, der die Begriffe Gesellschaftsvertrag und Volkssouveränität politisch betrachtet und wegen des calvinistischen Ausgangspunktes Althusius nicht als Vertreter der Sozialvertragslehre behandelt. Zu den neueren Überlegungen über die Vertragslehre des Althusius siehe Wyduckel, Althusius; Krawietz, Kontraktualismus, S. 405ff. mit Uberblick und Nachweisen zum Forschungsstand.
44
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius
Althusius der Wille Gottes blieb, schuf er mit dem systematisch angewandten Vertragsgedanken eine Alternative zum theokratischen Modell. 6 0 Weiter unterschied Althusius zwischen einem Gesellschaftsvertrag und einem Herrschaftsvertrag. Die Figur des Herrschaftsvertrages war bereits bekannt, aber über deren Bedeutung wurde gestritten. 61 Vor allem die Idee der Volkssouveränität wurde von den Herrschern geleugnet. Sie sahen im Herrschaftsvertrag die endgültige Übertragung der Herrschaftsmacht auf den Fürsten. Althusius ging davon aus, daß die Souveränität des Volkes durch den Herrschaftsvertrag nicht eingeschränkt werden konnte. Er begründete dies mit seinem Begriff der Souveränität. Ähnlich Bodin bestimmte er die Souveränität durch die Eigenschaften der Ausschließlichkeit, der Unveräußerlichkeit, der Unmittelbarkeit und der Beständigkeit der Herrschaftsmacht. 62 Die so definierte Souveränität ordnete er aber grundsäzlich dem Volk zu. Der Herrschaftsvertrag übertrug dem Fürsten zwar die Ausübung der Herrschaftsmacht, nicht aber die Herrschaftsrechte selbst.63 Damit entsprach der Herrschaftsvertrag einem Mandatsvertrag. Die Rechte waren dem Herrscher als Rechte des Volkes nur zur Ausübung anvertraut und nicht auf Dauer übertragen worden, womit die Souveränitätsrechte auch veräußerlich waren. Schlußpunkt dieser Vorstellungen war der Gedanke einer repräsentativen Verfassung der Stände. Althusius befürwortete eine ständische Volksvertretung. Sie sollte neben dem obersten Träger der Exekutive stehen, und die Mitglieder sollten an ihr Mandat gebunden sein. Vorbild für die Repräsentationsstruktur waren die presbyterianischen und synodalen Kirchenverfassungen. 64 Bei Althusius repräsentierten die weltlichen Stände die Provinz als Gesamtheit.65 Vorstand der Versammlung war der Landesfürst. Als Amtsträger für das Reich übte er gleichzeitig kaiserliche Macht aus, und neben diesen Funktionen war er auch Reichsstand.66 Auch die Regierung repräsentierte
60 Vgl. Gierke, S. 76; Deuerlein, S. 35. Nach theokratischer Tradition bestand eine oberste und unteilbare Herrschaftsmacht Gottes über die weltlichen Herrscherstellungen, die dem Vorbild der göttlichen Macht entsprachen. 61 Vgl. dazu Krawietz, Gesellschaftsvertag, S. 405ff. 62 Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel K , §§ 3, 13, 15, 18f. Vgl. dazu auch Wyduckel, Althusius, S. 472f.m.Nw. 63 Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel K , § 16; Kapitel X I X , § § 1 , 6 . 64 Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel V m , §§ 8 - 39. 65 Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel V m , § 5. 66 Vgl. Hofmann, H . , Repräsentation, S. 358ff.
Π . Johannes Althusius
45
wegen der ihr durch den Vertrag anvertrauten Rechte das Volk. Dies war aber eine vormundschaftliche Repräsentation, die im Gegensatz zur identitären Repräsentation durch die Stände auf fremden, übertragenen Rechten beruhte. 67 Die Regierung handelte nur rechtmäßig durch die richtige Ausübung der begrenzt übertragenen Rechte,68 und nur in diesem Rahmen war die Ausübung der Regierungsmacht eine legitime Herrschaft. 69 Die Repräsentationsvorstellungen des Althusius waren zwar nicht auf das Reich beschränkt, aber besonders auf dessen Verhältnisse hin angelegt. Der Dualismus von fürstlicher Vertretungsmacht und ständischer Repräsentation machte die Verhältnisse im Reich mit der modernen Souveränitätslehre Bodins kompatibel. 70 Dazu hielt Althusius im Gegensatz zu Bodin am monarchischen Charakter des Reiches fest, da der Herrschaftsvertrag im bestimmten Umfang auch ein Recht auf Herrschaft gab. 71 Diese Idee der Repräsentation war aber nicht so innovativ wie die übrigen Überlegungen des Althusius. Sowohl die Repräsentation als auch der Herrscher leiteten ihre Rechte vom souveränen Volk ab, weshalb zwischen der Vertretung und dem Monarchen kein prinzipieller politischer Gegensatz bestand. Weiter waren Monarch, Vertretung und Volk bei ihren Entscheidungen letztlich auf den Willen Gottes angewiesen und damit nicht frei. Berücksichtigt man dazu, daß Althusius bei der Zusammensetzung der Vertretung auf die bestehende ständische Gesellschaftsgliederung zurückgriff 72 und der Souveränitätsbegriff des Althusius sowohl den absolutistischen Herrscher legitimierte als auch die Stände bzw. Repräsentantenversammlung legitimierte, war diese Form einer Repräsentation nicht revolutionär. Im Ergebnis verstand Althusius den Dualismus von Ständen und Monarchen im Reich als eine doppelte Repräsentation. 73 Ergebnis der Überlegungen zur Repräsentation war aber, daß der ständische Herrschaftsdualismus des Reiches vernünftig begründet wurde. 74 Althusius bot damit eine Alternative zu Bodin und dessen königlichem Machtmonopol. 75
67
Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel X I X , § 2, 18. Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel X I X , § 98. 69 Vgl. dazu Hofmann, H . , Repräsentation, S. 364f. 70 Vgl. zu diesem Problem Quaritsch, Staat, S. 400ff.; ders., Souveränität, S. 66ff., jew.m.Nw.; Hofmann, H . , Repräsentation in der Staatslehre, S. 525ff. 71 Althusius, Politica, 3. Aufl., Kap. X X X I X , § 8f. 72 Vgl. dazu Gierke, S. 218. 73 Vgl. dazu Hofmann, H . , Repräsentation in der Staatslehre, S. 520ff.m.Nw. 74 Vgl. Hofmann, H . , Repräsentation, S. 365f. 75 Vgl. Hofmann, H . , Repräsentation, S. 355f. 68
46
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius
5. Seine Auffassung über Föderalismus Aus den Grundlagen seines politischen Denkens entwickelte Althusius einen föderalen Staatsaufbau. Er beobachtete, daß der Ständestaat seiner Zeit bereits eine korporativ gegliederte Gesellschaftsordnung war. Bei der Systematisierung des gesellschaftlichen Aufbaus ging Althusius von seiner Sozialvertragslehre aus. 76 Nach seiner Ansicht waren sämtliche Vereinigungen notwendige und organische Zwischenglieder zwischen dem Individuum und dem Staat. Der Einzelne war zugleich Individuum und Teil der Gesamtordnung. 77 Jede Vereinigung hatte bei Althusius ein originäres Gemeinwesen mit einem ausschließlich ihr zugeordneten Lebensbereich. 78 Da die Korporationen bei Althusius durch einen Sozialvertrag begründet waren, Schloß er aus der notwendigen und organischen Gliederung, daß jede Vereinigung von den ihr übertragenen Rechten an die höhere Vereinigung nur so viele Rechte abgeben sollte, wie der höhere Verband zur Erreichung seines Zweckes benötigte. Althusius näherte sich damit auf der Grundlage des Vernunftrechts und des Sozialvertrages dem Prinzip der Subsidiarität, 79 das für moderne bundesstaatliche Ordnungen kennzeichnend wurde. In Fortführung des gegliederten Gesellschaftsaufbaus gelangte Althusius zum Staat. Er definierte die Ebene des Staates dadurch, daß er die staatliche Souveränität als ausschließlich betrachtete. 80 Zugleich sagte er aber, daß die staatliche Macht durch diejenigen Rechte der Verbände begrenzt wurde, die nicht an höhere Verbände abgegeben wurden. Das widersprach dem engen Souveränitätsbegriff Bodins, der die Macht des Staates als in jeder Hinsicht unteilbar und ausschließlich ansah.81 Für Althusius bestand die Ausschließlichkeit der staatlichen Macht darin, daß der Staat in seinem eigenen Bereich weder neben noch unter anderen weltlichen Machtträgern stand. Soweit dem Staat durch Sozial- und
76
Er stand damit im Gegensatz zur Lehre von den zwei Schwertern und den jüngeren zentralistischen Staatsauffassungen. Vgl. auch Gierke, S. 226f., 235ff. 77 Vgl. dazu umfassend Krawietz, Kontraktualismus; Wyduckel, Althusius; Deuerlein, S. 35f.; jew.m.Nw. 78 Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel V I , § 51; I X , § 12; XVffl, § 31. 79 Vgl. dazu Hüglin, S. 36; einschränkend Würtenberger, Legitimation der Staatsgewalt, S. 568. 80 81
Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel I X , §§ 13, 15, 18f. Vgl. Hüglin, S. 38ff.
. Johannes Althusius
47
Herrschaftsverträge Macht verliehen wurde, war er die höchste irdische Macht. 82 Die Unteilbarkeit der staatlichen Macht leitete Althusius aus den Prämissen der Sozialverträge ab. In ihrem Aufgabenkreis war jede Korporation naturrechtlich dazu verpflichtet, ihre Macht wahrzunehmen. Das galt auch für den Staat als höchste Korporation. Die staatliche Macht war zwar dem Umfang nach beschränkt, aber sie konnte und durfte nicht mit anderen Machtträgern geteilt werden. Demnach war bei Althusius der Staat die höchste irdische Machtebene. Er erhielt die Befugnisse, die er zur Leitung des Gemeinwesens benötigte. Da diese Befugnisse für den Staat ausschließlich und unteilbar ausgestaltet waren, besaß er auch Souveränität gegenüber den unteren Korporationen. Das Prinzip einer vernunftrechtlich begründeten Subsidiarität, die an der Erfüllung staatlicher Aufgaben orientiert war, führte zur Koordination von ständischer Partikulargewalt und staatlicher Zentralgewalt. 83 Diese Ideen entsprachen in verblüffendem Maß den heutigen Vorstellungen von föderalen Staatselementen.
4. Einordnung der föderalen
Lehre des Althusius
Althusius entwickelte auf der Grundlagen seiner Volkssouveränität und des Sozialvertrages einen föderalen Staatsaufbau. Diese vernunftrechtlichen Überlegungen wurden durch den calvinistischen Ansatz auch theologisch legitimiert. 8 4 Teilweise waren in den Ideen auch modernere Elemente vorhanden; dies galt vor allem für die Subsidiarität, die Abgrenzung der Kompetenzen und seinen Begriff der Volkssouveränität. 85 Die Rahmenbedingungen des zeitgenössischen Ständestaates bildeten die Grenze für den Entwurf des Althusius. Sein korporativer Volksbegriff war noch an der ständischen Ordnung orientiert, auch wenn er bereits Elemente einer politischen Individualität enthielt. 86 Gleiches galt für sein Modell einer Repräsentation. Die Begriffe der Subsidiarität und der Sozialverträge beruhten
82
Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel X I X , §§ 15, 18f. Althusius, Politica, 3. Aufl., Kapitel X V m , § 91. 84 Vgl. dazu Eßer, Calvin und Althusius; Biggemann, Althusius' politische Theologie; Sparn, Politik; Oestreich, Die Idee, S. 137ff.; jew.m.Nw. 85 Vgl. Friedrich, C., S. 121. 86 Diese individuelle Ausrichtung der Politik des Althusius betont Hüglin, S. 19ff. 83
48
Β. Ausgangspunkt: Bodin und Althusius
nicht auf einer logischen Ableitung der Prinzipien von Demokratie 87 und föderaler Gewaltenteilung, sondern waren eher eine historisch-naturrechtliche Beschreibung der ständischen Lebensbereiche. 88 Der Staat als oberste Macht übte politische Gewalt nur gegenüber den untergeordneten Ebenen aus; die unmittelbare Herrschaft über die Bürger hatten nur die Stände. 89 Die föderalen Ideen des Althusius waren ein Abbild des Ständestaates vor der Aufklärung. 90 Andererseits waren die Auffassungen des Althusius über den föderalen Staatsaufbau so schlüssig, daß die Grundlage auswechselbar schien. 91 Wenn man an die Stelle des allmächtigen Gotteswillens oder des Naturrechts die Ideen von Demokratie und Nation setzt, erkennt man die Reichweite seines föderalen Modells. 92 Zudem gelang es Althusius, die Reichsstruktur mit dem Gedanken der Souveränität zu verbinden. Er verlieh mit seinem Föderalismus der ständischen Korporation des Reiches eine moderne konstitutionelle Stabilität. 93 Daraus wurde ersichtlich, daß föderale Staaten eine Legitimation benötigen, die Einheit herstellt, ohne die Selbstständigkeit der Teile aufzuheben. Die tatsächlichen Verhältnisse begünstigten aber in der Folgezeit die Herrschaft der Landesfürsten, die alle Macht in ihrer Person zu vereinigen suchten. Die absolutistisch und zentralistisch regierten Länder des Deutschen Reiches entfernten sich immer mehr vom ständisch en föderalen Reichsaufbau und damit auch vom Ausgangspunkt der Vorstellungen des Althusius. 94
87 Vgl. dazu Hüglin, S. 37f., der das Widerstandsrecht als Maßstab fur demokratisches Gedankengut nennt. 88 So Würtenberger, Legitimation der Staatsgewalt, S. 568. Vgl. auch Hofmann, H . , Repräsentation, S. 372f. 89 Vgl. Riley, S. 33f. 90 So Riley, S. 31ff., 38. 91 Vgl. Hüglin, S. 27f. 92 So für seine Repräsentationsidee Hofmann, H . , Repräsentation, S. 371. 93 Vgl. Hüglin, S. 33. 94 In diesem Sinne auch Wolf, S. 198; Deuerlein, S. 34. Zur Rezeption der Lehren des Althusius und deren Einflüsse auf die Ideen von realer und personaler Majestät sowie des "status mixtus" siehe Hoke, Althusius; Menk, Johannes Althusius; jew.m.Nw.
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution I . Das Reich von 1648 bis 1763 1. Der Westfälische
Frieden
und die Reichsverfassung
a) Allgemeine Folgen für die Reichsverfassung M i t dem Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden wurde der religiöse und dynastische Universalismus des Reiches endgültig beseitigt.1 Der Kaiser und die Kirchen waren nun deutlich geschwächt, und in Europa begann der allgemeine Aufstieg nationaler Monarchien. Der Westfälische Frieden war aber nicht nur ein völkerrechtlicher Vertrag. Auch für die Verfassung des Reiches wurden mehrere Änderungen festgelegt. 2 Gemäß Art. X V I I § 2 IPO 3 war der Friede zugleich als Grundgesetz des Reiches zu sehen. Die Reichsverfassung bekam dadurch den Charakter einer politischen säkularen Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Weiter wurde in einzelnen Regelungen bereits territorialistisches und säkulares Gedankengut wiedergegeben. Das Reich erhielt eine neue rechtliche Grundlage.
b) Stellung und Struktur
der Reichsmitglieder
aa) Kaiser Die Position des Kaisers blieb im Prinzip erhalten. Die ihm zugeordneten Rechte wurden nicht enumerativ und abschließend geregelt, sondern er konnte
1
Vgl. dazu und zum Folgenden Kremer, Der Westfälische Friede; Holborn, S. 338ff.; Zeeden, S. 185ff.; Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 366ff.; Schilling, S. 94ff.; jew.m.Nw. 2 Siehe dazu umfassend Kremer, S. 16ff., 4Qff.; Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 142ff.; Schmidt, Der Westfälische Friede; jew.m.Nw. 3 Text des kaiserlich-schwedischen Friedensvertrages (IPO) in Hofmann, H . H . , Quellen, Nr. 34; Text des Westfälischen Friedensvertrages (IPW) bei Müller, IPW, S. 297ff. 4 Grzeszick
50
C. Entwicklung des Reiches bis zur französischen Revolution
weiterhin Rechtspositionen aus dem Reichsherkommen entwickeln. 4 Weiter stellte er mit der Reichsgerichtsbarkeit eine Organisation zum Schutz der Reichsrechtsordnung zur Verfügung. Als ausschließliche Gewalt standen dem Kaiser aber nur noch gewisse Reservatrechte zu. Im übrigen war er bei der Entscheidung wichtiger reichspolitischer Fragen auf einen Reichstagsbeschluß angewiesen. Das in Art. V I I I § 2 IPO festgelegte reichsständische Stimmrecht betraf vor allem das Gesetzgebungs- und Gesetzesinterpretationsrecht sowie das Recht, über Krieg, Frieden und Vertragsschlüsse des Reiches abzustimmen. Bei der Ausübung seiner Hoheitsmacht war der Kaiser daher im wesentlichen auf die Mitwirkung der Reichsstände angewiesen.
bb) Reichsstände In Art. V I I I § 1 des Osnabrücker Teils der Westfälischen Friedensverträge wurde die Territorialherrschaft der Reichsstände ausdrücklich anerkannt. Hinzu kam das in Art. V I I I § 4 IPO festgelegte prinzipielle Bündnisrecht der Reichsstände.5 Diese grundsätzliche Anerkennung von Libertät, Superiorität und Bündnisrecht der Reichsstände kodifizierte den Abschluß einer längeren Entwicklung im Reich. In der Innen- und Außenpolitik hatten die größeren Fürsten eine grundsätzliche und umfassende Zuständigkeit erreicht. Sie erlangten mit dem Westfälischen Frieden zwar keine förmliche oder rechtliche Souveränität, aber eine faktisch weitreichende Landeshoheit. 6 Einzige Einschränkung war das Verbot, nicht gegen Kaiser und Reich zu handeln.7 Mit diesen Grundlagen wurde die Verschiebung der Macht von Kaiser und Reich hin zu den Landesherren anerkannt. Die in Art. V I I I § 3 IPW erwähnten noch offenen Verfassungsfragen sollten auf einem Reichstag geklärt werden. Diese Abgrenzung der Positionen zwischen dem Kaiser und den Fürsten erfolgte auf dem Regensburger Reichstag ab 1653.8 Die Untertanen und die Landstände wurden zu einer finanziellen Unterstützung der militärischen Organisation des Reiches verpflichtet. Da aber ein stehendes Reichsheer nicht errichtet wurde, sondern das Reich weiterhin auf die Kontingente der größeren
4
Vgl. dazu Willoweit, S. 142f. Zum Bündnisrecht vgl. Β öc ken forde. Der Westfälische Frieden. 6 Zur Frage der Landessouveränität nach dem Westfälischen Frieden vgl. Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 378ff.; Schilling, S. 130ff.; Conrad, Rechtsgeschichte, S. 119; Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 138; Koselleck, Grundbegriffe, S. 616f. ; Conze, Grundbegriffe, S. 15; jew.m.Nw. 7 Art. Vffl § 2 Satz 2 IPO. 8 Vgl dazu und zum Folgenden Boldt, Verfassungsgeschichte, Band 1 , 3 . Aufl., S. 276f. 5
I. Das Reich von 1648 bis 1763
51
Stände angewiesen war, führte diese Regelung im Ergebnis zur Finanzierung der größeren, armierten Reichsstände und unterstützte deren eigene Machtstellung. Bisher offengelassene Reformen wie eine Neufestsetzung der Wormser Matrikel oder die Allgemeinverbindlichgkeitserklärung von Mehrheitsbeschlüssen in Steuerfragen scheiterten. Allein die Gerichtsreform wurde vom Kaiser vorangetrieben und mündete in die Reichshofratsordnung von 1654. Kennzeichnend war weiter der Schwund kaiserlicher Reservats- und Lehensrechte sowie das allseits erlahmende Interesse am Reichstag.9 Die Reichsstände nutzten ihre neue förmliche Rechtsstellung auch bald in der Realität. Der Rheinbund von 1658 war ein Zusammenschluß von Fürsten. 10 Deren Protagonist, der Mainzer Kurfürst Johann Philipp von Schönborn, wollte damit den Kaiser zu einer Politik drängen, die vor allem den Interessen der süd- und westdeutschen kleineren Territorien dienen sollte. Sein erstes Projekt einer Kreisassoziation von 1651 ließ er zugunsten eines Fürstenbundes zurücktreten. 11 Die im Rheinbund vereinten Fürsten sollten ihre gemeinsamen Interessen, die teilweise im Gegensatz zu denen des Kaisers standen, vor allem in den Wahlkapitulationen durchsetzten. Der Fürstenbund war insoweit als Widerpart zum Kaiser und dessen Hausmacht gedacht.12 Der Rheinbund von 1658 sollte zwar reichsintegrative Interessen unterstützen. Aber er bediente sich dazu eines Fürstenbundes, und diese Form einer föderalen Verbindung betonte stärker die Unabhängigkeit der Reichsmitglieder gegenüber dem Reichsverband als deren gemeinsame reichsintegrative Interessen. Da der Rheinbund 1668 aufgrund veränderter politischer Konstellationen nicht mehr verlängert wurde, 13 hatte er keine größeren praktischen Folgen.
cc) Reichskreise und Kreisassoziationen Die förmliche Anerkennung der eigenen Stellung der Reichsstände in der Verfassung, die angesichts der politischen Realität die Macht der Fürsten bestätigte, bot aber zugleich für die kleineren Stände die Möglichkeit, durch reichsintegrative Bundesformen als ständische föderale Strukturen ein politisches Gegengewicht zu den stärkeren Fürsten herauszubilden. Dies zeigte
9
Ab 1654 ließ sich der Kaiser auf dem Reichstag durch den Principalcommissarius vertreten. Zum Rheinbund vgl. umfassend Schnur, Rheinbund; Aretin, Das alte Reich, S. 184ff.; jew.m.Nw. 11 Vgl. dazu Dotzauer, S. 91ff.m.Nw. 12 Vgl. Härtung, Verfassungsgeschichte, S. 158; Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 170f. 13 Vgl. Willoweit, Verfassungsgeschichte, § 24 Π. 3. 10
52
C. Entwicklung des Reiches bis zur
ranzösischen Revolution
sich vor allem bei den militärischen Einrichtungen der Reichskreise und der Assoziationen. 14 Nach dem Auslaufen des Rheinbundes wollte der Kaiser die Reichsstrukturen zur Stützung der reichseigenen Interessen reorganisiseren. Zu diesem Zweck wurden 1681 die Reichskreise als föderales Element zwischen dem Kaiser und den Fürsten wiederbelebt. 15 Diese Verwaltungseinheiten sollten ursprünglich Funktionen der Landesverteidigung und des Landfriedens ausüben, waren aber tatsächlich nicht wirksam geworden. 16 Sie behielten aber die Funktion, für die Exekution von Sprüchen des Reichskammergerichts zu sorgen. 17 Die Idee der Reichskreise wurde wieder aufgegriffen mit dem Bewußtsein, daß für eine funktionierende Reichseinheit eine von den Fürsten unabhängige Exekutivmacht auch zur äußeren Verteidigung der Reichsgemeinschaft nötig war. Die Reichsdefensialordnung von 1681 wurde von dem Gedanken geleitet, das gesamte Militärwesen des Reiches sowohl den Interessen des Kaisers als auch der großen Fürsten zu entziehen und es in den Nutzen und die Hände des ganzen Reiches zu stellen. 18 In der Realität war dies zunächst ein Mittel zur Ausrüstung und Finanzierung eines Reichsheeres. 19 Die damit verbundenen exekutiven Befugnisse verliehen aber dem an der Spitze des Kreises stehenden kreisausschreibenden Fürsten auch ein erhebliches politisches Gewicht. Angesichts der Niederlage der Reichstruppen gegen Frankreich im Jahr 1688 wurde deutlich, daß die nötige Gemeinschaft zu einer einheitlichen und starken Reichsverteidigung im Reich fehlte. Die von dieser Schwäche besonders stark betroffenen vorderen Reichskreise am Rhein, in Schwaben und in Franken versuchten nun, durch enge Zusammenarbeit diese Aufgabe für ihre Gebiete zu übernehmen. Die zu diesem Zweck gebildeten Kreisassoziationen verfolgten damit ein Programm der politischen Reichsintegration, das die partikulare Reichspolitik der kleineren Stände unterstützen und damit den primär am Ausbau ihrer eigenen Macht interessierten größeren Territorialfürsten entgegenwirken
14
Zu Einzelheiten siehe die umfassenden Darlegungen bei Dotzauer, Reichskreise; Aretin, Kurfürst; jew.m.Nw. 15 Siehe dazu Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 38Iff.; Holborn, S. 365f. 16 Vgl. Holborn, S. 40f.; Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 367f.; jew.m.Nw. 17 Vgl. dazu Gagliardo, S. 32ff. 18 Vgl. Härtung, Verfassungsgeschichte, S. 155. 19 Vgl. dazu Aretin, Das alte Reich, S. 148ff. m.Nw.
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sollte. 20 Diese reichsständischen Verteidigungsassoziationen entsprachen damit prinzipiell auch der kaiserlichen Politik. 2 1 Treibende Kraft war hier erneut der Mainzer Kurfürst, jetzt Lothar Franz von Schönborn, sowie vom badischen Markgraf Ludwig. Die Idee der Kreisassoziationen konnte aber auf Dauer nicht ohne die Unterstützung des Kaisers und der größeren Territorien auskommen. Zwar betrieb Kaiser Karl VI. noch 1727 eine Erneuerung der Kreisassoziationen. 22 Der Versuch, ein einheitliches stehendes Kreisheer als effektive Reichsarmee aufzubauen, scheiterte aber am Widerstand der Fürsten. Sie hatten kein dauerhaftes Interesse, eine spezifisch staatliche Entwicklung des Reiches23 voranzutreiben. Die Reichsverfassung bot zwar durchaus die Möglichkeit, auf einer ständischen und korporativen Grundlage eine dem Reich unmittelbar zuzuordnende Exekutivmacht aufzubauen. Und die Kreisassoziationen zeigten auch, daß das im Westfälischen Frieden festgeschriebene Bündnisrecht der Reichsstände auch der Reichsintegration dienen konnte. 24 Für eine solche Entwicklung fehlten aber die tatsächlichen Vorraussetzungen. 25 Die Positionen des Kaisers und der kleineren Stände waren zu schwach, um diesen Prozeß einzuleiten. Die Territorialfürsten benutzten das verfassungsrechtliche Gegenüber 26 der an der Reichsverfassung beteiligten Einheiten, um ihre Machtstellung auszubauen. Insbesondere die Finanzen des Reiches erwiesen sich auf Dauer als Einfallstor für deren Interessen. Es gab nur wenige unmittelbare Reichssteuern. Die meisten Einnahmen wurden über die großen Stände erzielt, 27 wobei vor allem die Fürsten eine effektive Finanzierung des Reiches und damit die Grundlage eines einheitlichen Reichsheeres zugunsten ihrer territorialen Heereskontingente verhinderten. Die Landesherrscher bauten ihre führende politische Stellung im Reich aus. Die auf der Vorstellung einer föderalen, genossenschaftlichen Reichspolitik beruhenden Reichskreise wurden wie auch die Stellung des Kaisers von der Entwicklung absolutistisch regierter Territorien verdrängt.
20
Vgl. dazu und zum Folgenden die Darstellungen bei Härtung, Verfassungsgeschichte, S. 152ff.; Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 170ff.; jew.m.w.Nw. 21 Vgl. Dotzauer, S. 94ff.m.Nw. 22 Vgl. Dotzauer, S. 102f.m.Nw. 23 Vgl. dazu Quaritsch, Staat, S. 366f. 24 So im Ergebnis auch Mohnhaupt, S. 16; Aretin, Das alte Reich, S. 154. 25 Vgl. dazu Hammerstein, Geschichte der Kreis-Assoziationen. 26 So Quaritsch, Staat, S. 367. 27 Hauptgrundlage dafür war der aus einer Kriegssteuer hervorgegangene "Römermonat".
54
C. Entwicklung des Reiches bis zur
ranzösischen Revolution
Die Idee der Reichskreise blieb aber ein Kristallisationspunkt ständischer korporativer Ideen, was in der folgenden publizistischen Behandlung der Reichs Verfassung einen Ausdruck fand.
2. Staatstheoretische a) Ideengeschichtlicher
Reaktionen auf die Veränderungen
Hintergrund
der Frage nach der Reichsform
aa) Althusius und Bodin in der Publizistik vor dem Westfälischen Frieden Die Kernfrage in der beginnenden Reichspublizistik vor 1648 war Verhältnis von Kaiser und Reichsständen in der Reichsverfassung. Rezeption der dafür grundlegenden Ansichten von Bodin und Althusius dabei sehr unterschiedlich aus. Vor allem die Frage nach der Reichsnatur umstritten.
das Die fiel war
Während Dietrich Reinking als Cäsarianer den monarchischen Charakter des Reiches betonte, 28 vertrat Bogislav Philipp von Chemnitz 29 zugunsten der Kurfürsten 30 eine aristokratische Natur des Reichsaufbaus. Auf der Grundlage der reichsständischen Richtung von Johannes Limnaeus31 kam die Vorstellung auf, daß das Reich eine aus monarchischen und aristokratisch-ständischen Ideen gemischte Verfassung hatte. Während der Kaiser als personale Majestät die Hoheitsrechte des Reiches ausübte, waren deren Träger die auf dem Reichstag versammelten Stände als eine reale Majestät. Kaiser und Stände standen nach diesem Modell des "status mixtus" in einem theoretischen und faktischen Dualismus. 32 Der Souveränitätsbegriff Bodins prägte in dieser Diskussion sowohl die Thematik als auch die verwendeten Begriffe. An die Stelle der Souveränität setzten die Staatsrechtler den Begriff der "majestas", der die Herrschaftsgewalt
28
Zu Reinkingk siehe Stolleis, Geschichte 1, S. 218ff.; Link, Reinkingk, 78ff. Zu Bogislav Philipp von Chemnitz vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 204f., 235, 238; Hoke, Hippolithus a Lapide, S. 118ff. 30 Zu diesem Gegensatz von Cäsarianern und Kurfurstenerianern und deren spätere Bewertung im der Reichspublizistik des 18. Jahrhunderts vgl. Kremer, Westfälische Friede, S. 48f.; Hoke, Verfassungsgeschichte, S. 181ff.; Schnur, Rheinbund S. 19ff.; Aretin, Das alte Reich, S. 37ff.; jew.m.Nw. 31 Zu Limnaeus vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 22Iff.; Hoke, Limnaeus, S. lOOff.; ders., Die Reichsstaatslehre des Johannes Limnaeus; Schönberg, S. 42ff. 32 Zu den Lehren von der personalen und der realen Majestät und dem daraus folgenden "status mixtus" vgl. Schönberg, S. 38ff.; Quaritsch, Staat, S. 365ff.; jew.m.Nw. 29
I. Das Reich von 1648 bis 1763
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im Reich beschrieb. 33 Die Frage nach der Bestimmung und der Zuordnung dieser Herrschaftsgewalt bestimmte wesentlich die folgende Debatte um den Charakter der Reichsverfassung. Die Lehre Bodins wurde dabei prinzipiell zugunsten der Stellung der größeren und mit dem Westfälischen Frieden relativ unabhängig gewordenen Landesfürsten herangezogen. Die Rezeption der Lehre des Althusius verlief auf einer anderen Ebene. Die breite Anlage seiner Schrift und deren gedankliche Spannung führte dazu, daß die Gedanken des Althusius vor allem als Argumentationsmuster in die Reichsstaatslehre aufgenommen wurden. 34 Er lieferte damit das theoretische Ideengerüst für die Vertretung landständischer Interessen. Eine direkte Anwendung der Lehre des Althusius auf die Reichsverfassung stand vor allem entgegen, daß er prinzipiell am hierarchischen Staatsaufbau festhielt, was in der damaligen Situatuion dem monarchischen Staatsideal mindestens genausoviel Unterstützung gab wie einem ständischen und korporativen Staatsaufbau. Eine unmittelbare Übernahme seiner Ideen erschien daher als unrealistisch. 35 Deutliche Fortsetzung finden die Ideen des Althusius aber im Gedankengut zu den Reichskreisen als ständische und regionale Elemente des Reichsaufbaus. 36
bb) Reichspublizistik nach dem Westfälischen Frieden Nach dem Westfälischen Frieden konzentrierte sich die staatsrechtliche Debatte im deutschen Raum weiter auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Die Gedanken über seine Struktur bestimmmten die föderalen Überlegungen im deutschen Staatsrecht. Parallel zu diesen Ereignissen wurden mit der Schweizer Bundesgenossenschaft und der Utrechter Union neue föderale Staatenverbindungen gegründet. Neben den politischen Ereignissen hatten aber auch die Änderungen in den Wissenschaften Einfluß auf staatsrechtliche Ideen. Die philosophischen Ideen der Aufklärung wurden in der Rechtswissensschaft im "frühen Naturrecht"
33 Vgl. dazu Quaritsch, Staat, S. 41f., 366f., 400ff.; ders., Souveränität, S. 66ff., 72f.; Schubert, Reichstage, S. 422ff.; Hoke, Althusius, S. 237ff.; jew.m.Nw. 34 Vgl. dazu Menk, Johannes Althusius, S. 260ff.; Hoke, Althusius, S. 239ff.; jew.m.Nw. 35 In diesem Sinne Mommsen, Weg, S. 254f. Hoke, Althusius, S. 237ff., sieht in den verschiedenen Formen der "majestas" insoweit eine theoretische Umsetzung des Althusius, als daß damit die eigene Rechtsstellung der Reichsstände gegenüber dem Kaiser betont und die Souveränität entgegen Bodin auf verschiedene Träger aufgeteilt wird. 36 Vgl. Menk, Johannes Althusius, S. 274f.
56
C. Entwicklung des Reiches bis zur
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wiedergegeben. 37 Die beginnende Herausbildung moderner Staatlichkeit wurde begleitet von der Entwicklung des Öffentlichen Rechts zu einem eigenen Fachbereich, dem "jus publicum". 38 Auf diesen Grundlagen fand in der Zeit nach dem Westfälischen Frieden eine lebhafte Diskussion über Staatsformen, Souveränität und Bündnisse statt.
b) Einzelne Werke aa) Überblick Ohne auf die Reichspublizistik nach 1648 detailiert einzugehen,39 soll zum besseren Verständnis der Entwicklung die Auseinandersetzung über den Charakter des Reiches skizziert werden. Grotius hatte die Diskussion durch seine naturrechtlichen Vorstellungen über Gesellschaftsverträge, Bündnisse und Staatenverbindungen neu belebt, 40 und Limnaeus und Besold 41 hatten die Ausformung des "jus publicum" in Deutschland entscheidend vorangetrieben. Unter den Autoren wurden die extremen Positionen von Ludolph Hugo mit dem Begriff des Bundesstaates als Integrationsform und Samuel Pufendorf mit der strikten Abgrenzung zwischen souveränen Staaten und Staatenvereinen bestimmmt, und Leibniz versuchte eine vermittelnde Stellung einzunehmen.
bb) Ludolph Hugo 1) Ansichten über das Reich Ludolph Hugo war ein Schüler des bekannten Helmstedter Gelehrten Hermann Conring. 42 Er diente dem Fürsten von Hannover als Hofrat und Reichstagsgesandter und war ab 1677 Geheimrat und Vizekanzler. 43
37 Vgl. dazu die grundlegenden Übersichten bei Stolleis, Geschichte 1, S. 268ff. ; Wyduckel, S. 65ff.; jew.m.Nw. 38 Vgl. dazu umfassend Stolleis, Geschichte 1, S. 126ff.m.Nw. 39 Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 126ff., 225ff.m.Nw. 40 Vgl. dazu Wolf, S. 253ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 278ff.; Hofmann, H . , Grotius, S. 52ff. 41 Zu Besold vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 121f.; Schönberg, S. 51f.; jew.m.Nw. 42 Zu Conring siehe Wolf, S. 220ff.; Willoweit, Conring, S. 129ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 23Iff.; jew.m.Nw. 43 Dazu und zum Folgenden vgl. Riley, S. 21ff.; Brie, S. 16ff.; Schönberg, S. 53ff.; jew.m.Nw.
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Seine herausragende Schrift war die Studie über den staatsrechtlichen Status der deutschen Gebiete, die er 1661 als Dissertation veröffentlichte. 44 Hugo begann seine Arbeit mit der Feststellung, daß sowohl das Reich als Gesamtheit als auch die einzelnen Territorien des Reiches jeweils eigene Staatswesen waren. Er wollte die Ursache und das Wesen dieser Unterscheidung analysieren und daraus die Aufteilung der Kompetenzen zwischen der Reichsregierung und den Territorien ableiten. 45 Zunächst skizzierte er die geschichtliche Entwicklung des Reiches; er sah dabei in der Verschiedenheit der lokalen Regierungen innerhalb des einigenden Reichsbandes die Besonderheit der deutschen politischen Verhältnisse. 46 Danach erläuterte Hugo die grundsätzlichen Verbindungsformen großer staatlicher Gemeinschaften. Eine dieser Möglichkeiten waren Bündnisse zwischen Staaten auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge zwischen den einzelnen Mitgliedern. 47 Obwohl diese Verbindungen dem Umfang und der Dauer nach gewöhnliche Vertragsverhältnisse überschritten und sich einer engeren Gemeinschaft näherten, blieb in den Bündnissen die Selbständigkeit der Mitglieder grundsätzlich erhalten. 48 Die Mitgliedsstaaten blieben Herren der Verträge, und die Regierungsformen dieser Allianzen hatten keine staatliche Oberhoheit über die Mitglieder. Beispiele waren nach Hugo der Achäische Bund, die Schweizer Bundesgenossenschaft und die Vereinigten Niederländischen Provinzen. 49 Die entgegengesetzte Verbindungsform sah Hugo im dezentralisierten Einzelstaat. Die Befugnisse der einzelnen Staatsteile waren von der Spitze des Staates abgeleitet und abhängig. Die Staatsgewalt verblieb grundsätzlich bei dem den Teilen übergeordneten Staat, und die Stellen, die einzelne staatliche Kompetenzen ausübten, waren unselbständige Regierungsteile ohne eigene Staatsqualität. Beispiel dafür war das römische Imperium. 50 Nach Hugo stand zwischen dem Bündnis und dem dezentralisierten Einzelstaat eine dritte Verbindungsform, die er mit dem Kriterium einer
44 45 46 47 48 49 50
"De Statu Regionem Germaniae"; Zitate nach der Ausgabe von 1689. Hugo, Propositi Explicatio, S. 1. Hugo, Cap. I. Hugo, Cap. Π, § 4, S. 34. Hugo, Cap. Π, § V I . Hugo, Cap. Π, § V I , S. 33. Hugo, Cap. Π, § V n .
C. Entwicklung des Reiches bis zur
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ranzösischen Revolution
doppelten Herrschaftsgewalt charakterisierte. 51 Er ging davon aus, daß in dieser Verbindungsform die Hoheitsmacht zwischen der zentralen Gesamtmacht und den territorialen Mitgliedern aufgeteilt war. Der übergeordnete Staat hatte die Befugnisse der gemeinsamen Wohlfahrt, während den territorialen Einheiten die Kompetenzen zustanden, die Besonderheiten der jeweiligen Gebiete betrafen. 52 Diese territoriale Gewaltenteilung sollte durch das Kriterium der effektiven Aufgabenerfüllung ergänzt werden. 53 Im Reich sah Hugo das beste Beispiel einer doppelten Herrschaftsgewalt. 54 Hugo erkannte, daß diese Verbindungsform sowohl den aristotelischen Staatsformen widersprach als auch mit der Souveränität im Sinne Bodins nicht harmonierte. 55 Denn die Territorien hatten zwar im Gegensatz zu den Reichskreisen 56 eine von der Reichsgewalt unabhängige, eigenständige Herrschaftsgewalt; 57 sie waren aber zugleich als Reichsstand dem Reich in bestimmten Beziehungen untergeordnet. 58 Da aber in Hinsicht auf die Staatlichkeit die Territorialgewalt der Reichsgewalt entsprach, bezeichnete Hugo die Staatlichkeit der territorialen Gewalt als analog zur Reichsgewalt.59 Im weiteren behandelte Hugo die Aufteilung der einzelnen Gewalten zwischen der Reichsebene und den Territorien. 60 Dazu forderte er für die Funktionsfähigkeit des Reiches ein gewisses Maß an Homogenität zwischen der Staatsordnung der Reichsebene und den territorialen Staatsordnungen. 61
(2) Bewertungen der Ansichten Hugos Ludolph Hugo wird oft als einer der Begründer der Bundesstaatslehre bezeichnet.62 Angesichts des Reichsmodells von Althusius und der Ideen
51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
Hugo, Cap. π, § v m . Hugo, Cap. Π, § 8. Hugo, Cap. Π, § 13. Hugo, Cap. Π, § 8, S. 35f. Hugo, Cap. Π, § 5, 8f. Hugo, Cap. Π, § 4. Hugo, Cap. Π, § 5. Hugo, Cap. Π, § 3; § 4, S. 31; § 7. Hugo, Cap. Π, § 9. Hugo, Cap. ΙΠ. Hugo, Cap. I V . Siehe dazu Brie, S. 16ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 238.
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anderer zeitgenössischer Staatsrechtler, an die sich Hugo anlehnte, ist diese Aussage aber zumindest bezüglich der Originalität seines Werkes zu relativieren. 63 Interessanter sind die Auswirkungen des Westfälischen Friedens und der Souveränitätslehre Bodins auf das Werk Hugos. Die Analyse der Verhältnisse im Reich war eine genaue Wiedergabe der Reichsverfassung nach dem Westfälischen Frieden. 64 Hugo berücksichtigte die Rechtstellung der Länder, anerkannte aber die Oberhoheit des Reiches über die Territorien. Die Idee einer territorialen Gewaltenteilung zwischen der Reichsebene und den Territorien akzeptierte die veränderte Reichsverfassung und verband sie mit den vorhandenen staatsrechtlichen Ideen, ohne die theoretische Fundierung des Reichsaufbaus zu vernachlässigen. Der Versuch, die historisch gewachsenen Reichsverhältnisse mit modernen Vorstellungen von Staatlichkeit zu erklären, barg aber auch Probleme. Nach Hugo beruhte die Staatlichkeit der Territorien auf der Zuordnung eigener Hoheitsrechte; er arbeitete hier mit den Begriffen und Kriterien der modernen naturrechtlichen Staatsvorstellungen. Da Hugo aber gleichzeitig dem Reich die Oberhoheit zusprach, stand diese territoriale Staatlichkeit im Widerspruch zur Souveränität im Sinne Bodins. Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem neuen Souveränitätsbegriff und der von ihm angenommenen Staatlichkeit der Reichsterritorien behandelte Hugo nicht. Seinen Überlegungen fehlte hier die theoretische Konsequenz. Aus der Idee der territorialen Hoheitsmachtaufteilung folgerte Hugo nicht eine Aufteilung oder Relativierung der bodinschen Souveränität. Stattdessen gelangte Hugo aufgrund der konkret vorgeschlagenen Kompetenzverteilung zu einem Bundesstaatsmodell mit eher unitarischen Tendenzen.65 Hugos Überlegungen zeigten damit den Gegensatz zwischen der tradierten ständischen Reichsverfassung und den Vorstellungen Bodins, die sich auf die Reichsordnung nicht übertragen ließen. Die Idee einer territorialen Aufteilung der Hoheitsmacht war vor diesem Hintergrund ein realitätsnaher Versuch, auf der Grundlage der Reichsverfassung zur Vermittlung zwischen diesen Gegensätzen zu gelangen.
63
Hierbei sind vor allem Arumäus, Busiiis und Besold zu nennen; vgl. dazu Schneider, S. 209; Schönberg, S. 20, 48ff., 53; Stolleis, Staat, S. 112; Koselleck, Grundbegriffe, S. 619f., 630; jew.m.Nw. 64 So auch Brie, S. 21. 65 Vgl. Schneider, S. 209.
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Den umgekehrten Weg, auf der Grundlage der Souveränität Bodins zur Unvereinbarkeit dieser Souveränität mit der Reichsordnung zu gelangen, ging Pufendorf.
cc) Samuel Pufendorf (1) Ansichten über das Reich Samuel Pufendorf war ein Vertreter der protestantisch orientierten Reichspublizisten.66 Er wurde am 8. Januar 1632 in Dorfchemnitz als Sohn eines Pastors geboren. In Leipzig begann er 1650 mit dem Studium der Theologie, wechselte aber zu Philosophie und Rechtswissenschaft, die er ab 1656 in Jena weiterstudierte. Dort beschäftigte er sich auch mit den Ansichten von Grotius und Hobbes. 1661 wurde er an der Universität Heidelberg Professor für Natur- und Völkerrecht; die gleiche Anstellung hatte er ab 1670 an der schwedischen Universität in Lund. 1677 wurde er Hofhistoriograph in Stockholm. 1688 verließ er Schweden und ging in die Dienste des preußischen Kurfürsten. Bis zu seinem Tod in Berlin arbeitete er dort für Friedrich III. als Historiograph und geheimer Hofrat. In den Werken Pufendorfs hatten sich die neuen naturrechtlichen Vorstellungen bereits durchgesetzt. Er verband diesen rationalen Ansatz mit historischen Erläuterungen, die seinen staatsrechtlichen Abhandlungen den Charakter fundierter Analysen gaben.67 Die bekannteste seiner Schriften war die 1677 unter einem Pseudonym veröffentlichte Untersuchung über die Staatsform des Reiches mit dem Titel "De Statu Imperii Germanici". Sie wurde von der 1678 abgeschlossenen "Dissertatio de Republica irregulari" begleitet. Darin verfolgte Pufendorf die Aufgabe, die Reichsverfassung im Sinne naturrechtlicher Staatsvorstellungen zu untersuchen; mit den gefundenen Erkenntnissen wollte er zur Verbesserung des Reichslebens beitragen. 68
66
Dazu und zum Folgenden vgl. Hammerstein, S. 172ff. ; Stolleis, Geschichte 1, S. 233ff. ; Zippelius, Geschichte, S. 132ff.; ders., Staat, S. 106ff.; Wolf, S. 31 Iff.; Brie, S. 21ff.; Schönberg, S. 29ff., 61 f.; Denzer, Moralphilosphie und Naturrecht; jew.m.Nw. 67 Vgl. dazu Wolf, S. 320f., 323ff.; Hammerstein, S. 172f., 192ff. 68 Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 234f.; Hammerstein, S. 190ff.; jew.m.Nw.
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Ausgangspunkt seiner Analyse war deshalb der von Bodin geprägte Begriff der Souveränität, und Pufendorf übernahm auch dessen Trennung zwischen Staatsformen und Regierungsformen. 69 Das Wesen der Staatlichkeit verlangte Einheit und Unabhängigkeit der gesamten staatlichen Gewalt. Gemischte Staatsformen oder ein aus mehreren Staaten zusammengesetzter Staat waren für Pufendorf nicht möglich. Er kannte nur den souveränen Einzelstaat und Bündnisse zwischen solchen Staaten.70 Bezüglich der Reichsverfassung stellte er fest, daß sie der Staatsform der Aristokratie nicht entsprach, da die ständische Libertät einer vollständigen Unterordnung unter die Reichsorgane widersprach. 71 Das Reich war keine absolute Monarchie, da der Kaiser gewählt wurde und nur bestimmte Rechte hatte. Die Beschränkung der kaiserlichen Macht durch die Rechte der Stände verhinderte nach Pufendorf auch eine Qualifizierung des Reiches als eine beschränkte Monarchie. 72 Pufendorf sah daher das Reich als ein unregelmäßiges Gebilde an, das mit der Staatslehre Bodins nicht in Einklang zu bringen war; es nannte es ein Mittelding zwischen einer beschränkten kaiserlichen Monarchie und einem aus Territorialstaaten gebildeten Fürstenbündnis. 73 Er stellte fest, daß sich die Reichsverfassung durch den Westfälischen Frieden von den monarchischen Elementen entfernt und einem Staatenbündnis genähert hatte. Pufendorf definierte daher das Reich als ein System souveräner staatlicher Einheiten. Der Kaiser stand als princeps an der Spitze dieses Gesamtsystems und war mit monarchischen Restrechten ausgestattet.74 Im Folgenden konstatierte Pufendorf wegen des Fehlens einer einheitlichen Gewalt zahlreiche Mißstände im Reichskörper. Das gegenseitige Mißtrauen der Reichsstände, die Schwäche der Reichsverteidigung und die Stimmrechte ausländischer Herrscher auf dem Reichstag schwächten die außenpolitische Stellung des Reiches.75 Gleiches galt für die Innenpolitik. Die Reichsjustiz war zu langsam, der Reichstag nicht effizient genug und Steuerwesen wie
69
Pufendorf, De Statu, Cap. 6, § 4. In diesem Sinn auch ders., De Iure, 7. Buch, Cap.4, 6, und ders., De Rebus Gestis, §§ 3ff. 70 Pufendorf, De Iure, 7. Buch, Cap. 5, §§ 2, 12ff.; ders., De Republica, § 5; ders., De Systematibus, § 8. 71 Pufendorf, De Statu, Cap. 6, § 5. 72 Pufendorf, De Statu, Cap. 6, § 7f. 73 Pufendorf, De Statu, Cap. 6, § 9, S. 169; ders.. De Republica, §§ 6, 22, 25f. 74 Pufendorf, De Statu, Cap. 6, § 9, S. 170f.; ders., De Republica, § 6. 75 Pufendorf, De Statu, Cap. 7, § 6.
62
C. Entwicklung des Reiches bis zur
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Reichsregiment zu schwach. 76 Pufendorf führte diese Mängel auf die unregelmäßige und unklare Reichsverfassung zurück, 77 deren Schwächen durch die konfessionelle Spaltung und die widerstreitenden Ständeinteressen hervorgehoben wurden. 78 In Auseinandersetzung mit den Ideen des Bogislav Philipp von Chemnitz 79 entwickelte Pufendorf eigene Vorschläge einer Reichsreform. Da das Reich nicht zu einer echten Monarchie reformiert werden konnte, bevorzugte er den Umbau zu einem Staatenbund. Zur Wahrung der inneren Einheit und Rechtssicherheit im Reich plante er die Bildung eines ständigen Rates. Der Rat sollte aus Vertretern der Stände bestehen und die laufenden Angelegenheiten des Reiches erledigen. Dazu sollte er an der Außenpolitik und an den Militärangelegenheiten des Reiches beteiligt werden. 80 Voraussetzung einer entsprechenden Reichsreform war aber, daß die konfessionelle Spaltung überwunden 81 und ein Kompromiß zwischen den verschiedenen Regenten gefunden wurde. 82
(2) Bewertung der Ansichten Pufendorfs Pufendorfs Darlegungen erregten großes Aufsehen und fanden in der Publizistik weitreichende Resonanz.83 Seine Betrachtungen über das Reich waren aus staatsrechtlicher Sicht wenig originell; sie boten für die Probleme des Reiches keine Lösung. 84 Wenn sie dennoch in der Folgezeit von Bedeutung waren und dazu beitrugen, föderale Reichsmodelle in den Hintergrund zu drängen, hatte das andere Gründe. Zum einen war Pufendorf ein hervorragender Schriftsteller. Noch stärker aber wirkte die treffende Analyse der politischen Verhältnisse im Reich. Pufendorf wies deutlich auf die Mißstände im Reich und deren Ursachen hin. Zugleich erfaßte er die besondere Stellung des Reiches und dessen Bedeutung
76
Pufendorf, De Statu, Cap. 7, § 7. Pufendorf, De Statu, Cap. 7, § 8. 78 Pufendorf, De Statu, Cap. 7, § 9. 79 Pufendorf, De Statu, Cap. 8, §§ 1 - 3. Über Bogislav Philipp von Chemnitz vgl. Koselleck, Grundbegriffe, S. 630; Schönberg, S. 48ff. 80 Pufendorf, De Statu, Cap. 8, § 4. 81 Pufendorf, De Statu, Cap. 8, § 5ff. 82 Pufendorf, De Statu, Cap. 8, § 4. 83 Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 235f.; Hammerstein, S. 188f.; Schönberg, S. 61ff.; jew.m.Nw. 84 So Hammerstein, S. 191. 77
I. Das Reich von 1648 bis 1763
63
für die Territorien. Die damit einhergehende Stärkung eines deutschen Selbstverständnisses85 entsprach den Bedingungen der Zeit und verhalf seinen Ideen zu praktischer Bedeutung. Für die weitere Reichspublizistik eröffnete Pufendorf den systematischen Weg zur Verbindung des Naturrechts mit historischen Betrachtungen. Seine Werke zeigten bereits die Tendenz zur Verselbständigung der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 86 die sich im 18. Jahrhundert entfaltete. Auf den Gegensatz zwischen der politischen Grundlage des Reiches und der Souveränitätslehre Bodins antwortete er aber nur mit dem Vorschlag einer Reform des Reiches zu einem Staatenbund, was aber zur Zeit seiner Schrift unwahrscheinlich war. Wesentlich ausführlicher waren hier die Überlegungen von Leibniz.
dd) Gottfried Wilhelm Leibniz (1) Ansichten über das Reich Gottfried Wilhelm Leibniz wurde am 21. Juni 1646 als Sohn eines Leipziger Professors für Moralphilosophie geboren. 87 In Leipzig und Jena studierte er Philosophie, Mathematik und Rechtswissenschaft. 1667 wurde er in Altdorf von Johann Wolfgang Textor 88 zum Doktor der Rechte promoviert. Er trat dann 1668 in die Dienste des Kurfürsten von Mainz. Nach Studienaufenthalten in London und Paris ging er zum Jahreswechsel 1676/77 nach Hannover. Unter dem Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg arbeitete er als Hofrat und Bibliothekar; dazu übte er verschiedene wissenschaftliche und politische Tätigkeiten aus. Er war Mitbegründer und Präsident der Akademie der Wissenschaften in Berlin und wurde von Friedrich ΠΙ. zum geheimen Justizrat ernannt. Infolge politischer Tätigkeit in Berlin und Wien wurde er 1713 zum Reichshofrat ernannt. Ohne dieses Amt ausgeübt zu haben, starb er am 14. November 1716 in Hannover. Leibniz ist neben Kant einer der bekanntesten deutschen Philosophen. Diese Stellung führt leicht dazu, seine staatsrechtlichen Ausarbeitungen über die
85
So Hammerstein, S. 191f.; Wolf, S. 331ff. Vgl. Wolf, S. 334f., 365f. 87 Dazu und zum Folgenden vgl. Riley, S. 25ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 236f.; Zippelius, Geschichte, S. 139ff.; Schneider, S. 197ff.; Schönberg, S. 53ff.; jew.m.Nw. 88 Zu Textor siehe Stolleis, Staat, S. 106ff.; ders., Geschichte 1, S. 235ff., 244; jew.m.Nw. 86
64
C. Entwicklung des Reiches bis zur
ranzösischen Revolution
Reichs Verfassung zu unterschätzen. Während seiner Tätigkeit für den Herzog und späteren Fürsten von Hannover behandelte er mehrmals Fragen des Reichsrechts. 1670 schrieb er eine Denkschrift zur Reichsverfassung mit dem Titel "Bedencken Welchergestalt Securitas publica interna et externa und States praesens im Reich iesigen Umbstaenden nach auf festen Fuß zu stellen", 89 die von der Auseinandersetzung mit Pufendorfs Schrift von 1667 begleitet wurde. 90 Aufgrund des Streits um das fürstliche Gesandtschaftsrecht auf dem Friedenskongreß zu Nijmegen verfaßte er 1677 seine berühmte Schrift "De Iure Suprematus ac Legationis Principum Germaniae", 91 in der er zwar die Position des Fürsten von Hannover vertrat, aber zugleich die Gesamtinteressen des Reiches berücksichtigte. Dazu schuf er auch Vorschläge zur Reform der Reichskriegs Verfassung. 92 Bei der Darstellung der Reichsverfassung löste Leibniz sich von der Souveränität im Sinne Bodins. 93 Anstatt der Frage nach der Souveränität im Reich nachzugehen, sprach er vom Reich als einem System von verbündeten Einzelstaaten, in dem die verschiedenen Teile verschiedene Aufgaben wahrnahmen. 94 Danach hatten sowohl das Reich als auch die Territorien Staatsqualität, da ihnen jeweils eigene Hoheitsgewalt zukam. 95 Der Kaiser hatte als Oberhaupt des Reiches die Stellung der absoluten "majestas", die die reichsständischen Pflichten der Fürsten umfaßte. 96 Da die Fürsten auf ihrem Territorium die prinzipielle Hoheitsgewalt hatten, Schloß die "majestas" des Kaisers die Staatlichkeit der Territorien nicht aus. 97 Bezüglich der Fürsten unterschied Leibniz nach der Rechtsstellung zwischen einem "suprematus", dem neben der Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Steuerhoheit die prinzipielle Zuständigkeit für außenpolitische Vorgänge zukam, 98 und einem "superioritas", dem diese auswärtigen Befugnisse fehlten. 99 Mit der Aufteilung der gesamten Staatsgewalt gelang es Leibniz, den staatlichen Charakter des Reiches mit dem der Territorien zu vereinbaren. Sein
89 90
In: Leibniz, Akademie, I V , 1, S. 193ff. Leibniz, In Severinum de Monzambano, 1668 - 1672, in: Ders., Akademie, I V , 1, S.
500ff. 91 92 93 94 95 96 97 98 99
In: Leibniz, Akademie, I V , 2, S. 13ff. In: Leibniz, Akademie, I V , 2, S. 577ff. Leibniz, De Iure, in: Ders., Akademie, I V , 2, S. 37ff. Leibniz, Elementa Iuris Naturalia, in: Ders., Akademie, V I , 1, S. 446. Leibniz, In Severinum, in: Ders., Akademie, I V , 1, S. 501f. Leibniz, In Severinum, in: Ders., Akademie, I V , 1, S. 501f. Leibniz, De Iure, in: Ders., Akademie, IV, 2, S. 93f. Leibniz, De Iure, in: Ders., Akademie, I V , 2, S. 17f., 21ff., 65ff. Leibniz, De Iure, in: Ders., Akademie, I V , 2, S. 17f, 36ff.
I. Das Reich von 1648 bis 1763
65
Modell einer ständisch-korporativen Reichsvereinigung kam der Realität sehr nahe. Aus dieser Grundidee entwickelte Leibniz eine eigene Theorie der Staatenverbindungen. Er unterschied zwischen der "confoederatio" und der "unio". In der Verbindung der "confoederatio" blieben die Mitglieder selbständige Träger der Hoheitsgewalt und wirkten lediglich mit ihren Kräften zusammen. Derartige Allianzen blieben auf vertragliche Beziehungen beschränkt. Sie bildeten keine der Verbindung selbst zuzuordnende gemeinsame Hoheitsgewalt. Im Gegensatz dazu stand die Verbindungsart der "unio". Sie hatte eine eigene, einheitliche Gewalt über die Mitglieder, die die wesentlichen Angelegenheiten des politischen Lebens umfaflte und mit einer eigenen Exekutive ausgestattet war. Die "unio" war damit eine juristische Person und hatte Staatsqualität.100 Leibniz betrachtete das Reich als eine "unio". Auch Leibniz hielt Reichsreformen für nötig. Kernstück seiner Vorschläge war die Herstellung innenpolitischer und rechtlicher Einheit mit äußerer militärischer Stärke. Dies sollte mit einem Ausgleich zwischen den verschiedenen Konfessionen verbunden werden. 101 Die innere Reichsstruktur wollte er mit dem Gedanken des ständischen Bundes erneuern. Die Stände sollten dazu ein Bündnissysstem mit einer gemeinsamen Leitung errichten. Der ursprüngliche Plan eines gemeinsamen Rates war aber mit dem Prinzip der ständischen Gliederung nur schwer zu vereinbaren. Leibniz hielt deshalb an der kollegialen Gliederung in Kurfürsten, Fürsten und Städte fest. Er ergänzte sie aber durch die Idee eines Reichsbundes der mächtigeren Fürsten, der vor allem finanzielle und militärische Aufgaben hatte. Bezüglich der auswärtigen Angelegenheiten hatte er zunächst geplant, den Ständebund mit eigenen Exekutivmitteln und einer eigenen Kasse auszustatten, wodurch ein starkes Heer ermöglicht werden sollte. Angesicht der Zerstrittenheit der Stände über das Heerwesen favorisierte er dann ein Reichsheer unter dem einheitlichen Kommando eines kaiserlichen Generals, um schließlich zur alleinigen und ausschließlichen Kommandogewalt des Kaisers zurückzukehren. 102
100 Leibniz, De Iure, in: Ders., Akademie, I V , 2, S. 17f., 36ff.; ders., In Severinum, in: Ders., Akademie, I V , 1, S. 500ff. 101 Dazu und zum Folgenden Leibniz, Bedencken, in: Ders., Akademie, I V , 1, S. 135ff., 170ff.; ders., Gedancken, in: Ders., Akademie, I V , 2, S. 577ff. 102 Leibniz im einem Brief an den Landgrafen von Hessen-Rheinfels, in: Ders., Akademie, I, 4, S. 348ff.
5 Grzeszick
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
66
Seine Pläne zur religiösen Verständigung zwischen den zerstrittenen Parteien als Grundlage einer starken Reichseinheit erwiesen sich aber angesichts der tatsächlichen Verhältnisse als undurchführbar.
(2) Bewertung der Reichsvorstellungen
von Leibniz
Die von Leibniz 1677 veröffentlichte Schrift "De Iure Suprematus ac Legationis Principum Germaniae" löste zahlreiche Reaktionen aus. 103 Dies verwundert angesichts der Tatsache, daß sein ständisch-korporatives Reichsmodell eine Wiedergabe des reichsrechtlichen Föderalismus war. 1 0 4 Anstatt den für die Reichsverfassung unpassenden Souveränitätsbegriff Bodins anzuwenden, blieb er beim Ständewesen als dem politischen und rechtlichen Gliederungsprinzip der Reichsordnung. Dazu betonte er den politischen Hintergrund und die fließenden Übergänge zwischen den verschiedenen Formen von Staatsverbindungen. 105 Leibniz hatte aber weder theoretisch noch praktisch eine Antwort auf die Entwicklung moderner, souveräner Staaten, die innen- und außenpolitisch mit dem Reich konkurrierten. Seine ursprünglichen Reformpläne tendierten zwar in die Richtung eines staatenbündischen Fürstenbundes. Aber Leibniz betonte stets das ständische und aristokratische Prinzip des Reichsaufbaus mit dem Kaiser als Spitze des staatlichen Reiches. 106 Er stand damit im Widerspruch zu den herrschenden Theorien. 107 Seine reichsrechtlichen Vorstellungen blieben prinzipiell vom ständischen korporativen Reichsmodell geprägt; eine Anpassung der Reichsordnung an die Entwicklung moderner Staatlichkeit war mit diesen Ideen nur teilweise möglich. Sein Ansatz der Aufspaltung der Staatsgewalt in verschiedene Hoheitsrechte, der Trennung von Staatlichkeit und Souveränität sowie der Aufteilung der Hoheitsrechte zwischen der Gesamtheit des Bundes und dessen Mitgliedern war aber ein bemerkenswerter Versuch zur theoretischen Fundierung der Reichsverfassung.
103
Siehe Stolleis, Geschichte 1, S. 237 m.Nw. So mit ausfuhrlicher Analyse Riley, S. 28f.; Schneider, S. 205, 208f.m.Nw. Kritischer, aber im Ergebnis zustimmend Stolleis, Geschichte 1, S. 237 m.Nw. 105 Vgl. dazu Riley, S. 29f. 106 Vgl. dazu Schneider, S. 204ff., 209; Stolleis, Geschichte 1, S. 237.; jew.m.Nw. 107 So Schönberg, S. 58f.m.Nw. 104
I. Das Reich von 1648 bis 1763
J. Machtverschiebung und Entwicklung
der Territorien
67
im Reich
Das 18. Jahrhundert brachte für Europa und das Reich weitere erhebliche Veränderungen. Im Reich bildete sich der Dualismus zwischen Österreich und Preußen heraus. 108 Friedrich Wilhelm I. organisierte Preußen als säkularen Beamten- und Soldatenstaat.109 Der Frieden von Rijswijk bedeutete für die Habsburger eine Stärkung ihrer europäischen Machtposition, führte aber zum Verlust alter Besitzungen im Reich. M i t dem Frieden von Utrecht und dem Ende des nordischen Krieges wurden die Verschiebungen auf Dauer anerkannt. Die europäische Staatenwelt hatte nun fünf Großmächte: England, Frankreich, Österreich, Preußen und Rußland. Das politische Gleichgewicht zwischen den europäischen Mächten war die Grundlage des Friedens von Utrecht. Die Stellung Österreichs wurde aber nicht durch innere Reorganisationen gefestigt, und für Karl IV. war absehbar, daß er keinen männlichen Thronfolger hatte. Währenddessen setzte Friedrich Wilhelm I. den preußischen Aufstieg fort; vor allem Verwaltung und Militär, aber auch die wirtschaftlichen Grundlagen Preußens wurden weiter verbessert. Auch Friedrich II. erstrebte eine stärkere preußische Macht. In den Schlesischen Erbfolgekriegen und dem Siebenjährigen Krieg konnte er sich gegen Maria Theresia behaupten. Der Friedensvertrag von Hubertusburg bestätigte dann den Dualismus zwischen Österreich und Preußen und verband diesen Dualismus mit dem europäischen Gleichgewicht. 110 Neben der Bildung des österreichisch-preußischen Dualismus entwickelten sich im Reich allgemein die Territorialstaaten zu den politischen Handlungsund Entwicklungseinheiten. Österreich und vor allem Preußen waren in dieser Hinsicht Vorreiter bei der Herausbildung von moderner Staatlichkeit, die im Reich auf der Ebene der Länder stattfand. 111 Die Reichsverfassung wurde durch diese Entwicklung stark belastet. Kaiser und Stände, die Hauptelemente der Reichsorganisation, rückten als politische Gliederungseinheiten mehr in den Hintergrund. Die wichtigen innen- und
108
Dazu und zum Folgenden Schilling, S. 271ff.; Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 314ff.; Holborn, S. 519ff., 548ff.; jew.m.Nw. 109 Vgl. Holborn, S. 53Qff.; Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 300ff.; jew.m.Nw. 110 Vgl. Schilling, S. 303ff., 450ff.; Holborn, S. 557ff.; jew.m.Nw. 111 Vgl. dazu Hoke, Rechtsgeschichte, S. 185ff.; Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 152ff., 177ff. ; Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 246ff.; Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 305ff.; Boldt, S. 277ff.; Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 384ff., 408ff.
68
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
außenpolitischen Entscheidungen wurden von den Landesherrschern getroffen. Dazu kam, daß im Reich ausländische Herrscher vertreten waren, und auch sonst auf das Reich starker außenpolitischer Einfluß wirkte. 1 1 2 Von österreichischer Seite gab es einige Versuche, die Reichsstrukturen zu stärken. 113 Initiator der Bemühungen war der österreichische Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn, 114 dessen Ideen bei Joseph I. und Karl IV. Anklang fanden. Die entsprechenden Vorschläge zielten darauf ab, die Exekutivmacht des Kaisers auszubauen und dessen Stellung im Reich zu stärken. Allerdings bestand kein einheitlicher Reformplan, sondern ein Nebeneinander einzelner Projekte. Wegen der reichsständischen Opposition und der 1719 eintretenden konfessionellen Spaltung des Reichstages wurden die ersten Vorhaben nicht realisiert, und auch die Erneuerung der Kreisassoziation im Jahr 1727 blieb ohne große Wirkung. Statt dessen trat die Konkurrenz zwischen Österreich und Preußen stärker hervor. Während des Interregnums von 1740 bis 1742 unterliefen die Kurfürsten die letzten Reformansätze, 115 und unter Karl VII. und Franz I. wurde die österreichische Reichspolitik ein Mittel zur Stützung der Habsburgischen Hausmacht. 116 Im Gegensatz zu den Reichsreformplänen war die Bündnispolitik zwischen den einzelnen Ständen und Territorien erfolgreich. 117 Die Schwäche des Reiches zeigte sich im Siebenjährigen Krieg. 1 1 8 Österreich interpretierte den preußischen Angriff als einen Landfriedensbruch, und die Mehrheit der Reichskollegien stimmte der Exekution gegen Preußen zu. Zusätzlich wollte der österreichische Kaiser gegen Friedrich Π. die Reichsacht verhängen lassen. Die protestantischen Kurienmitglieder des Reichstages versagten aber ihre Stimme; ein reichseinheitliches Vorgehen scheiterte am konfessionellen und politischen Interessengegensatz zwischen den Ständen. Die Mittel der Reichsverfassung zum Schutz ihrer Mitglieder erwiesen sich zudem als unwirksam. Wie sich in der Schlacht von Roßbach Ende 1757 herausstellte, war das Reichsheer militärisch bedeutungslos.
112
Siehe dazu Boldt, S. 277ff. Dazu und zum Folgenden Feine, S. 78ff.; Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 305, 385; Duchhardt, S. 201 ff.; jew.m.Nw. 114 Zu Schönborn siehe Hantsch, Reichsvizekanzler Schönborn. 115 Siehe Duchhardt, S. 202. 116 So Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 186f.; Duchhardt, S. 202; Hantsch, S. 83f., 97. 117 Vgl. Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 240; Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 306. 118 Dazu und zum Folgenden Duchhardt, S. 227f.; Schilling, S. 459. 113
I. Das Reich von 1648 bis 1763
69
Die Reichsorganisation diente der Auseinandersetzung zwischen den großen Territorien, deren Herrscher die entscheidenden Machtträger waren. 119 Diese Entwicklung wurde durch die Friedensverträge von Paris und Hubertusburg verdeutlicht.
I I . Das Reich zwischen den Fürsten 7. Politische Entwicklung
im Zeichen des Dualismus
a) Grundzüge der Entwicklung Der Siebenjährige Krieg veränderte die Einstellung der Regenten zum Reich. 120 Während Joseph Π. die habsburgische Position gegenüber Preußen und dem Reich betonte, versuchte Friedrich Π . , sich mit anderen Fürsten des Reiches zu verbünden. Diese politischen Positionen bestimmten auch den Bayerischen Erbfolgekrieg. 121 Nach dem Teschener Frieden versuchte Joseph Π., mit diplomatischer Unterstützung Bayern zu erhalten. Obwohl er letztlich von diesem Vorhaben Abstand nahm, reagierte Friedrich Π. auf diese Versuche, den österreichischen Einfluß im Reich zu verstärken, 1785 mit der Gründung des Deutschen Fürstenbundes.
b) Reichsreformpläne
und der Fürstenbund von 1785
Während das Reich als einheitlicher Machtfaktor zerfiel, bauten die Fürsten ihre Macht weiter aus. Vor allem in den größeren Territorien regierten sie im Stil des Absolutismus. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts leitete die Rezeption fortschrittlichen Gedankengutes über zum aufgeklärten Absolutismus; 122 in den führenden Territorien wurden Reformen eingeleitet. Allerdings bestanden zwischen den verschiedenen Gebieten große Differenzen, 123 die neben dem
119
So im Ergebnis auch Gagliardo, S. 49ff. Dazu und zum Folgenden Gagliardo, S. 50f.; Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 384f.; jew.m.Nw. 121 Vgl. dazu Aretin, Reich 1, S. llOff; Gagliardo, S. 67ff.; Holborn, S. 595ff.; Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 334ff.; jew.m.Nw. 122 Dazu und zum Folgenden vgl. Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 305ff., 339ff.; Möller, S. 281ff.; Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 408ff., 423ff.; Schilling, S. 298ff., 367ff., 474ff. 123 Vgl. Holborn, S. 392ff., 638ff.; Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 353ff.; Oestreich, Verfassungsgeschichte, S.421ff.; Möller, S. 327ff. 120
70
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
Unabhängigkeitsstreben der größeren Territorien eine weitere Belastung der Reichsstrukturen darstellten. Die Einrichtungen des Reiches wurden zunehmend zum Austragungsort der österreichisch-preußischen Differenzen. Die von Joseph Π . 1 2 4 eingeleitete Visitation des Reichskammergerichtes 125 verkannte die Struktur und die Interessenlage der Reichsinstitutionen und scheiterten am Widerstand der ständischen Kommission. M i t der Wahl des österreichischen Erzherzogs zum Koadjutor in Köln und Münster wurde dann der österreichisch-preußische Dualismus und die religiöse Spaltung der Stände auf die Reichseinrichtungen übertragen. Die kleineren Stände regten daraufhin die Gründung eines Bundes an, der ihre Stellung gegenüber den beiden Großmächten stärken sollte. 126 Friedrich Π. griff diese Pläne eines ständischen Fürstenbundes auf. Unter seiner Führung wurde am 23. Juli 1785 ein Bund der Kurfürsten von Preußen, Hannover und Sachsen gebildet, dem rasch weitere Fürsten beitraten. 127 Friedrich Π. knüpfte mit der Form einer Assoziation der Fürsten bewußt an den Rheinbund von 1658 und die späteren Kreisassoziationen an. 1 2 8 Er verfolgte mit dem Fürstenbund aber keine reichsintegrativen Interessen, denn entgegen dem erklärten Ziel der Stärkung der Reichsordnung erstrebte er allein die Sicherung der preußischen Position gegenüber Österreich. 129 Als allgemeines Ziel nannte der Bundesvertrag die Wahrung und Erhaltung der Reichsverfassung. 130 Die Bundesmitglieder sollten auf dem Reichstag zusammenarbeiten und auf verfassungsgemäßem Weg die Reichsinstitutionen gegen Bedrohungen schützen. Die politische Kooperation betraf insbesondere die Kaiserwahlen einschließlich der Wahlkapitulationen sowie die Schaffung neuer Kurfürstentümer. Weiter wurde ein Militärbündnis der Beteiligten festgelegt. Dazu wurden in einem geheimen Zusatz die Fürsten aufgeführt, denen ein Beitrittsangebot gemacht werden sollte. Tatsächlich traten in der Folgezeit einige Fürsten dem Bund bei.
124
Zu dessen Grundeinstellung gegenüber dem Reich vgl. Aretin, Reich 1, S. 13ff.; Feine, S. 84; Möller, S. 265ff.; jew.m.Nw. 125 Vgl. dazu Smend, S. 21 Iff., insbes. S. 232ff.; Übersicht bei Feine, S. 97; Möller, S. 265ff. 126 Zu den Einzelheiten Aretin, Reich 1, S. 137ff.; Duchhardt, S. 229f.; Möller, S. 330ff., Braubach, S. 343ff. 127 Nachweise bei Gagliardo, S. 66ff.; Aretin, Reich 1, S. 161ff. 128 v g | Härtung, Verfassungsgeschichte, S. 158. 129
Siehe dazu den Kabinettsbeschluß von Friedrich Π. in: Werke Friedrich des Großen, Band 5, S. 157f. 130 Dazu und zum Folgenden vgl. Gagliardo, S. 76; Möller, S. 268.
. Das Reich zwischen den Fürsten
71
Neben dem Fürstenbund gab es weitere Pläne zur Reform des Reiches. Dazu gehörten auch die in der Emser Punktation niedergelegten Absichten der katholischen Bischöfe. 131 Die österreichischen Vorschläge zur Gründung eines Fürstenbundes waren nur eine unrealistische Reaktion auf den preußischen Fürstenbund. 132 Interessanter waren die Ideen einer Reform der Reichsjustiz, die Karl Theodor von Dalberg 1787 entwickelte. 133 Eine Reform des Reichsrechts wurde auch von Carl August von Weimar betrieben. 134 Späte Pläne eines Bundes der kleineren Fürsten kursierten ab 1790 auch in Köln und Hannover. 135 Die nötige Unterstützung einer der beiden Großmächte konnte aber keiner der Reformer erlangen.
c) Ergebnis der Reichskrise Der Fürstenbund enttäuschte im Ergebnis. 136 Preußen verlor das Interesse am Fürstenbund, und die innere Instabilität des Reiches war nicht mehr zu leugnen. Der österreichisch - preußischen Dualismus im Reich war verstärkt worden, und die politische und konfessionelle Spaltung verhinderte eine Vereinigung der kleinen Stände. Die geistlichen Fürsten fühlten sich von den Reformplänen und Säkularisationsversuchen bedroht. Die Grundstruktur des Reichsverbandes im Sinne von Kaiser und Ständen entsprach nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen, und Reformansätze scheiterten. Zur inneren Krise kam die außenpolitische Bedrohung des Reiches. Die kaiserliche Macht Österreich wurde seit 1787 im Krieg gegen die Türken stark beansprucht. Dazu kam der Staatsstreich in den österreichischen Niederlanden, der bereits von den Ereignissen in Frankreich inspiriert war. Die Reichsorganisation befand sich in einem desolaten Zustand, was innenund außenpolitische Gründe hatte. Der weitere Verlauf der Ereignisse wurde durch die Französische Revolution bestimmt. Die Differenz zwischen der Ordnung des alten Reichs und der tatsächlichen Lage wird bei der Entwicklung der Reichspublizistik bis zur Französischen Revolution besonders deutlich.
131 Vgl. dazu Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 386; Aretin, Reich 1, S. 372ff.; jew.m.Nw. 132 Vgl. dazu Aretin, Reich 1, S. 193ff.m.Nw. 133 Einzelheiten dazu bei Gagliardo, S. 93ff.; Aretin, Reich 1, S. 198ff. 134 Siehe dazu Aretin, Reich 1, S. 205ff.; Gagliardo, S. 91ff. 135 Siehe dazu Aretin, Reich 1, S. 21 Iff.; Braubach, Vom Westfälischen Frieden, S. 356ff.; Gagliardo, S. 77ff.; jew.m.Nw. 136 Siehe Möller, S. 268f.; Gagliardo, S. 95ff.
72
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
2. Reichspublizistik
bis 1790
a) Grundpositionen der Reichspublizistik aa) Entwicklungsrichtungen der deutschen Staatsrechtslehre Die deutsche Staatsrechtslehre stand gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Spannungsfeld verschiedener Entwicklungsrichtungen. 137 Die meisten Reichspublizisten waren neben der Universität in der politischen und rechtlichen Praxis tätig. Die entsprechende Aufgabe lautete, auf der Basis des bestehenden Rechts und der gegebenen politischen Lage zu pragmatischen Lösungen zu finden. Trotz der politischen Interessen gelang es den bekannteren Publizisten, inhaltlich unabhängige Positionen einzunehmen. Haupvertreter dieser Einstellung war Johann Jakob Moser. Ein anderer Entwicklungsstrang stand unter dem Einfluß des aufgeklärten Naturrechts. Weniger an bestimmten Aufgaben oder Inhalten orientiert als an einer gemeinsamen Methode, wurde das Staatsrecht zum sogenannten "ius publicum universale". Dazu wurde auch das junge Fach der "Kameralistik" vom Naturrecht geprägt, was bei von Justi und Scheidemantel zu sehen war. 1 3 8 Neben dem positiven Recht waren vor allem rechtspolitische Fragen von Bedeutung. In der Reichspublizistik zeigte vor allem das Werk Pütters erhebliche naturrechtliche Einflüsse. Der Widerspruch zwischen der tradierten Reichsverfassung und den neuen naturrechtlichen Methoden stand aber einer naturrechtlichen Interpretation des Reiches entgegen. Erst in der Zeit nach 1790 setzte sich das kritische Naturrecht vollständig durch. 139 Außer den genannten positivistisch-pragmatischen und naturrechtlichen Entwicklungslinie konnte man noch eine weitere Tendenz beobachten: die historisch beeinflußte Richtung der Staatswissenschaften. Sie verband den positiven Stoff und die naturrechtlichen Ansätze unter dem Blickwinkel historischer Entwicklungen, und unter diesem Aspekt wurde auch das Reichsrecht dargestellt. Die Reichshistorie war dabei Vorraussetzung für die richtige Erfassung des Reichsrechts. Dieser Einfluß auf die Reichspublizistik
137
Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 252ff.m.Nw. Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 295ff., 366ff., 377ff.; jew.m.Nw. 139 Vgl. Klippel, Politische Freiheit, S. 178ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 269ff; ders., Geschichte 2, S. 50; ders., Reichspublizistik, S. 21f., 25ff.; jew.m.Nw. 138
. Das Reich zwischen den Fürsten
73
wurde im 18. Jahrhundert vor allem an den Universitäten Halle 1 4 0 und Göttingen 141 kultiviert.
bb) Hauptwerke (1) Johann Jakob Moser (a) Leben und Werk Johann Jakob Moser wurde am 18. Januar 1701 in Stuttgart geboren; er stammte aus einer alten württembergischen Beamtenfamilie. 1 4 2 Die entsprechende Einstellung als unabhängiger Diener des Landes und der Politik sollte sein ganzes Leben und Werk prägen. Nach dem Gymnasium studierte er in Tübingen Rechtswissenschaft und war dort für kurze Zeit außerordentlicher Professor. Er konnte sich aber dort nicht dauerhaft etablieren und übte während der folgenden 20 Jahre wechselnde juristische Berufe aus. Nach einer Phase verstärkt privaten Lebens wurde er 1751 offizieller Berater der württembergischen Landstände. Trotz politischer Konflikte und einer fünfjährigen Festungshaft blieb er bis 1770 in dieser Stellung. Danach widmete er sich umfassenden wissenschaftlichen Studien. Er starb am 30. September 1785 in Stuttgart. Mosers Abhandlungen wurden sowohl durch den Umfang als auch durch den wissenschaftlichen Ansatz zu einem immensen Werk. Sein Hauptwerk über die Reichsverfassung war das von 1737 bis 1754 geschriebene "Teutsche Staats Recht", das er mit dem "Neuen Teutschen Staats - Recht" von 1760 bis 1782 ausbaute.
(b) Reichsverfassung nach Moser Für Moser spielte die Debatte über die Form der Reichsverfassung nur eine untergeordnete Rolle. Er stand dem Versuch, die Reichsverfassung abstrakt zu
140 Vgl. dazu Stolleis, Geschichte 1, S. 298ff.; Rüping, Die Naturrechtslehre, S. 163ff.; jew.m.Nw. 141 Vgl. dazu Stolleis, Geschichte 1, S. 309ff.; Hammerstein, Jus und Historie, S. 309ff.; jew.m.Nw. 142 Vgl. dazu und zum Folgenden Laufs, S. 284ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 258ff.; Aretin, Reich 1, S. 94ff., Gagliardo, S. 42ff.; Kremer, S. 74f.; Schömbs, Das Staatsrecht J.J.Mosers.
74
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
erfassen, skeptisch gegenüber. 143 Er erkannte, daß die Verfassung des Reiches aufgrund ihrer Bildung und ihrer Ausprägung einer theoretischen Einordnung widersprach und prägte den Satz, daß "Teutschland auf teutsch" regiert wurde. 144 Moser bevorzugte ein induktives Vorgehen. Der Ausgangspunkt seiner Überlegungen war das positive Reichsrecht. Die Geschichte diente ihm als Hilfswissenschaft zur Ermittlung und Interpretation der Rechtsquellen. Wie das Naturrecht bestimmte aber auch die Historie nur mittelbar den Gehalt des positiven Rechts. Mosers pragmatischer Positivismus 145 führte zu einer umfassenden Darstellung des Reichsrechts. Die Reichs Verfassung mit ihrem komplizierten Aufbau wurde einschließlich ihrer Probleme dargestellt. Mosers Überlegungen entsprachen daher sowohl inhaltlich als auch methodisch der historisch gewachsenen Reichs Verfassung. Er stand damit im Gegensatz zu den problematischen Versuchen, den Souveränitätsbegriff Bodins auf das Reich zu übertragen. Auch Moser behandelte die Staatsqualität des Reiches. Entsprechend der Konzeption der Reichsverfassung sah er das Reich als einen Staat an, dessen Oberhaupt der Kaiser war. 1 4 6 Die Reichsstände waren dem Kaiser und damit dem Reich grundsätzlich untergeordnet, weshalb sie keine unabhängigen Staaten waren. Die Territorien waren bei Moser nur "halbsouverän", was sie von den niederländischen Provinzen und auch von den schweizer Kantonen unterschied. 147 M i t dieser positivistischen Beschreibung der Reichsordnung gelang Moser die Darstellung des Reiches als ein ständisch gegliedertes Föderativsystem. Er betonte, daß die Reichsordnung im Ergebnis auf den verschiedenen Bündnissen beruhte und gerade diese ständische föderale Untermauerung benötigte. 148 Als Beispiel eines nichtstaatlichen Föderativsystems innerhalb der Reichsverfassung nannte Moser das System der Kreisassoziationen. Obwohl er
143
Moser, Von Teutschland, S. 410, 546, 549. Moser, Von Teutschland, S. 550. 145 Siehe Wyduckel, S. 198ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 266, spricht von einem "historischen Positivismus". 146 Moser, Von der Landeshoheit, S. 26. 147 Moser, Von Teutschland, S. 551. 148 Moser, J.J., Neues Ternsches Staats-Recht, Band 10, S. 276 m.Nw. 144
. Das Reich zwischen den Fürsten
75
den Reichskreisen ein eigenständiges Bündnisrecht zugestand,149 konstatierte er das Scheitern dieser Einrichtungen. Da die Kreisassoziationen weder ein gemeinsames Oberhaupt noch ein Direktorium hatten und auch eine eigene Kasse sowie regelmäßige Konvente fehlten, erwiesen sie sich in der Praxis den politischen Handlungseinheiten der Territorialstaaten unterlegen. 150 Als Ergebnis seiner Überlegungen wollte Moser die Rechte von Kaiser und Reich mit der Libertät der Reichsstände in ein friedliches Gleichgewicht bringen. 151 Zunächst ordnete er die einzelnen Rechte und Pflichten dem jeweiligen Träger zu, damit diese nicht zum Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen wurden. Die festgestellte Rechtsordnung sollte dann genau eingehalten werden. 1 5 2 Zwar anerkannte auch Moser, daß die Reichsverfassung an vielen Stellen verbesserungswürdig war. Aber er sah in ihr die passende Grundlage für ein geordnetes und funktioniernendes Gemeinwesen in Deutschland. 153
(2) Justus Moser (a) Leben und Werk Justus Moser wurde an 14. Dezember 1720 in Osnabrück geboren. 154 Er studierte in Göttingen und Jena Rechtswissenschaft. 1744 ließ er sich in seiner Heimatstadt nieder und begann seine praktische Arbeit als Jurist. Er wurde 1756 Syndikus der Ritterschaft. Gleichzeitig stand er i m Dienst der Landesregierung, und ab 1762 war er zusätzlich Justitiar beim Kriminalgericht. Trotz der Beratung der Reichsritterschaft stieg er zum maßgeblichen Leiter der Landesverwaltung auf. Moser starb am 8. Januar 1794 in Osnabrück. Moser schrieb die Kernpunkte seiner Staatslehre in der "Osnabrückischen Geschichte", die die Verfassungsgeschichte des Territoriums enthielt, sowie in den "Patriotischen Phantasien". Dazu kamen verschiedene Schriften, die aus seiner politischen Tätigkeit herührten, wie zum Beispiel die Stellungnahme zur Reichshandwerksordnung, sowie Briefwechsel mit Mosers Bekannten.
149
Moser, J.J., Neues Ternsches Staats-Recht, Band 10, S. 772. Moser, J.J., Neues Teutsches Staats-Recht, Band 10, S. 277. 151 Moser, Neueste Geschichte, S. 116; ders., Gedancken, S. 32. 152 Vgl. dazu Laufs, S. 289, 291f.; Stolleis, Geschichte 1, S. 262f., 267. 153 Moser, Von denen Teutschen Reichs-Ständen, 1., S. 18f. 154 Vgl. dazu und zum Folgenden Schröder, Justus Moser als Jurist; ders., Justus Moser, S. 294ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 319, 328f.; Zimmermann, S. 3ff.; Böckenforde, S. 23ff. 150
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
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(b) Mosers Staats- und Reichsvorstellungen Moser stand der Staatsauffassung des aufgeklärten Absolutismus kritisch gegenüber. 155 Er war ein Anhäger der historisch gewachsenen ständischen Staatsordnung und verteidigte die Vorstellungen vom genossenschaftlich organisierten Staat und den politischen Rechten der Stände gegen die vernunftrechtlichen Tendenzen des Absolutismus. 156 Neben diesem ständisch -konservativen Ansatz hatte die Staatslehre Mosers auch moderne Elemente. Zum einen wollte er eine Reform der ständischen Ordnung. 157 Dazu dachte Moser an Menschen- und Bürgerrechte, die politische Freiheiten beinhalteten und damit modernes Gedankengut andeuteten.158 Moser sah das Reich als Produkt einer historisch-organischen Entwicklung. Er erkannte die Landesherrschaft der Grafen und Bischöfe an, die zur territorialen Landeshoheit wurde. 159 Die konkrete Landesherrschaft sollte aber nicht absolutistisch begründet sein, sondern dem Gedanken der ständischen Gliederung entsprechen. 160 Diese Vorstellungen verband er mit einer Reform der ständischen Korporationen. Indem er das Landeigentum zum Maßstab für die persönliche Stellung im Gemeinwesen machte, beseitigte er vor allem die Vorrechte des Adels. Zusammen mit anderen Korrekturen wollte Moser die altständische Ordnung der politischen Realität des ausgehenden 18. Jahrhunderts anpassen.161 Die emanzipatorischen und liberalen Elemente in Mosers Staatsauffassung bezogen sich primär auf das Modell der ständischen Gliederung. Die Stände hatten zwar im Staat eigene politische Rechte, aber der Einzelne konnte seine Rechte nur als Standesmitglied ausüben. Die politische Mitwirkung der Büger beschränkte sich auf eine innerständische Demokratie. 162 Sie wurde durch die ständische Autonomie geschützt und war im Ergebnis eine moderne Form der "alten germanischen Freiheit" des mittelalterlichen Reiches.
155
Moser, Sämtl. Werke, Band 1, S. 379; Band 6, S. 165. Vgl. Schröder, Justus Moser, S. 299f.m.Nw. 157 Siehe Schröder, Justus Moser als Jurist, S. 15ff.m.Nw. 158 Siehe Schröder, Justus Moser als Jurist, S. 22ff.m.Nw. 159 Moser, Osnabrückische Geschichte, Vorwort, S. Xllff. 160 Moser, Sämtl. Werke, Band 1, S. 115; Band 2, S. 67, 250ff.; ders., Historisch-kritische Ausgabe, Band 9, S. 344f. 161 Moser, Sämtl. Werke, Band 4, S. 236ff, 259, 271; Band 5, S. 183, 189, 192f. 162 Vgl. dazu Schröder, Justus Moser als Jurist, S. 20f.m.Nw. 156
. Das Reich zwischen den Fürsten
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Auch für das Reich hielt Moser am Prinzip der ständischen Gliederung fest. Er sah den Kaiser und die Fürsten nur als Spitzen der gesamten Reichsstände, die den "wahren Staat der Nation" bildeten. 163 Weder der Kaiser noch die Fürsten waren die Inhaber der Hoheitsrechte, sondern allein die gesamten Stände, 164 womit er einer ständischen Volkssouveränität nahekam.165 Im Gegensatz zum status quo berief Moser sich auch hier auf das Bild einer genossenschaftlichen Freiheit der Stände. Entsprechend der politischen Autonomie sollten den Ständen auch wichtige Hoheitsrechte zustehen, so vor allem die Rechtspflege und die ständisch-partikulare Gesetzgebung.166 Auch mit diesen Forderungen blieb Moser beim Prinzip des ständischen Staatsaufbaus. Seine Reformvorschläge betrafen nicht den organisatorischen Reichsaufbau, sondern die innere Ordnung der Stände. Für das Reich zielten seine Ideen auf eine Wiederbelebung der ständischen Freiheiten. Neben dieser Grundtendenz tauchte in Mosers Gedanken eine neue Überlegung auf: der Begriff der Nation. Moser verband den Begriff der Nation bereits mit der konkreten Struktur eines Staatsaufbaus 167 und deutete damit auf die späteren nationalstaatlichen Entwicklungen hin. 1 6 8 In der von Moser vorgetragenen Form eines ständisch aufgebauten Staates und wegen der häufigen Rückgriffe auf die germanischen Elemente im Reich war aber sein Reichsgedanke eher dem ständischen Reichspatriotismus zuzuordnen.
(3) Friedrich
Carl von Moser
(a) Grundlagen Haupvertreter der reichspatriotischen Richtung war Friedrich Carl von Moser; 169 er war der Sohn von Johann Jacob Moser. In seinen Werken
163
Moser in einem Brief in: Beins/Pleister, S. 424f. Moser in einem Brief in: Beins/Pleister, S. 424f. 165 Moser in einem Brief in: Beins/Pleister, S. 190. 166 Dazu Moser, Sämtl. Werke, Band 1, S. 377; Band 2, S. 20, 25f.; Band 5, S. 118f.; ders., Kritisch - historische Ausgabe, Band 9, S. 344. 167 Moser in einem Brief in: Beins/Pleister, S. 424f. 168 Zur umstrittenen Einordnung Mosers vgl. Schröder, Justus Moser, S. 305; ders., Justus Moser als Jurist, S. 9, m.Nw. auf die verschiedenen Meinungen. Zum Einfluß Mosers auf den Freiherrn von Stein und dessen Reformpläne vgl. Schröder, Justus Moser, S. 307f.; ders., Justus Moser als Jurist, S. 46ff.; jew.m.Nw. 169 Zur Person F.C. von Mosers vgl. Eckstein, F.C. von Moser; Stolleis, Geschichte 1, S. 318f.; Gagliardo, S. 53ff.; jew.m.Nw. 164
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
78
versuchte er, die altständischen Strukturen des Reiches zu wahren. Obwohl er die rationale Legitimation von Herrschaft kannte, blieb er der religiösen Legitimation und Bindung der Landesherren verpflichtet; er verband dies mit einem national beeiflußten Reichspatriotismus. 170
(b) Darstellung des Reiches Auch Moser ging vom Gedanken der alten deutschen Freiheit aus, die für ihn das Grundprinzip des Reiches war. Die konkrete Reichsverfassung war Ausdruck dieses Freiheitsbegriffes. 171 Zur Wiederbelebung des Reiches dachte Moser nicht an eine prinzipielle Verfassungreform, sondern an eine Rückbesinnung auf diesen Reichspatriotismus. 172 Die strikte Beachtung der Verfassung stellte dann das ständische Gleichgewicht im Reich wieder her und sicherte die Rechte des Kaisers gegenüber den Territorien. 173 Entsprechend beschränkt waren die Reformansätze Mosers. Er dachte zuznächst an eine Verbesserung der bestehenden Reichseinrichtungen, vor allem des Justizwesens. Weiter sollten die kleineren Länder von den großen geographisch getrennt werden, um eine ständische patriotische Politik zu ermöglichen. 174 Die kleineren Stände sollten am Reichstag eine eigene Repräsentation erhalten, die in einer zweiten Kammer dieses "Dritte Deutschland" repräsentieren und den Einfluß der größeren Territorien im Reich zurückdrängen sollte. 175
(4) Johann Heinrich Gottlob von Justi (a) Grundlagen Johann Heinrich Gottlob von Justi 176 war einer der bekanntesten Vertreter der Kameralistik 177 und lehrte dieses Fach als Professor ab 1752 am Wiener Theresianum. Er hatte erheblichen Anteil an der theoretischen Herausbildung
170
Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 318f.m.Nw. Moser, Patriotische Briefe, S. 24ff. 172 Moser, Patriotische Briefe, S. 231, 416. 173 Moser, Patriotische Briefe, S. 257f. 174 Moser, Patriotische Briefe, S. 263, 272, 386f. 175 Moser, Patriotische Briefe, S. 62ff. 176 Zur Biographie und zu seinen Werken guter Uberblick bei Obert, von Justi, S. 7ff.m.Nw. 177 Dazu und zum Begriff der "Kameralistik" siehe Stolleis, Geschichte 1, S. 366ff., 377ff.m.Nw. 171
II. Das Reich zwischen den Fürsten
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des Begriffes der "Policey" aus der alten Politik und den neuen Fächern des Naturrechts und des "jus publicum". Nach einem kurzen Aufenthalt an der Universität in Göttingen ab 1765 unterrichtete er dann in Berlin und unterstützte in diesem Zusammenhang die friderizianische Handelspolitik. 178
(b) Vorstellung von Staatlichkeit und Reich In seinen Werken ging Justi aus von der Legitimation aufgrund der Staatszweckbestimmung. Dies war für ihn die allgemeine Wohlfahrt im Sinne der gemeinschaftlichen Glückseligkeit. 179 Diesen Wohlfahrtsbegriff füllte er mit den Inhalten der Freiheit, Sicherheit und inneren Stärke des Staates, wobei er vor allem die bürgerliche Freiheit betonte. 180 Justi gelangte im weiteren zu einer Differenzierung zwischen den Interessen des Staates und denen der Gesellschaft. 181 Im Fall einer Kollision dieser Interessen bevorzugte er prinzipiell die Handels- und Gewerbefreiheit der Bürger. 182 Obwohl Justi aus dieser Differenzierung keine weitergehenden politischen Folgen zog, deutet sich der Perspektivenwechsel von der Stützung einer aufgeklärten und absolutistischen Regierung über die Betonung der Rechtsstaatlichkeit zu einer auch politisch freieren bürgerlichen Gesellschaft an. 1 8 3 Justi interpretierte das Reich als einen Bund freier Staaten, die sich zur gemeinschaftlichen Verteidungung unter dem Kaiser als ihrem Oberhaupt zusammengeschlossen hatten. Die Regelungen dieses dauernden Bundes durften daher in die inneren Angelegenheiten der Mitglieder nicht eingreifen. 184 Bezüglich der Reichsorganisation bemängelte Justi, daß die Stimmen der Fürsten trotz ungleicher Macht gleichen Zählwert hatten. Er relativierte diese Kritik aber mit dem Hinweis auf die unterschiedliche Einflußnahme in der politische Praxis. 185
178
So Stolleis, Geschichte 1, S. 380ff.m.Nw. Justi, Die Natur, § 38; ders., Grundriß, § 75. 180 Dazu Justi, Die Natur, §§ 42, 235; ders., Grundriß, §§ 31ff., 85. 181 So Stolleis, Geschichte 1, S. 380ff.m.Nw. 182 Justi, Grundfeste, Band 1, 7. Buch, §§ 799ff. 183 Vgl. dazu Stolleis, Geschichte 1, S. 295f.; Wilhelm, Das Staats- und Gesellschaftsverständnis; jew.m.Nw. Weitergehend und nach den Werken Justis differenzierend Obert, von Justi, S. 297ff.m.Nw. 184 Justi, Die Natur, S. 22Iff. 185 Justi, Die Natur, S. 221ff. 179
80
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
(5) Heinrich Gottfried
Scheidemantel
(a) Grundlagen Heinrich Gottfried Scheidemantel186 war als Professor in Jena an der Verbreitung des naturrechtlich beeinflußten "jus publicum universale" beteiligt. Seine beiden Hauptwerke waren das "Staatsrecht nach der Vernunft" 187 und das "allgemeine Staatsrecht", 188 die beide zwischen 1770 und 1775 erstmals erschienen. Obwohl diese Werke noch auf der Grundlage des aufgeklärten Absolutismus beruhten, stand der Einfluß des Naturrechts bereits für die Überleitungsfunktion des rechtsstaatlichen und konstitutionellen allgemeinen Staatsrechts zum Frühliberalismus. 189
(b) Vorstellung von Staatlichkeit und Reich Scheidemantel hatte das Bündnisrecht der Reichsstände untersucht und dabei eine Vielfalt verschiedener politischer und rechtlicher Verbindungsformen dargestellt. 190 In diesem Zusammenhang stellte er fest, daß das deutsche Reich ein Staat war. Wegen des Reichsaufbaus sprach er von einer Staatenvereinigung, die eine ungleiche Gesellschaft mit einer gemeinsamen Zwangsgewalt darstellte. 191 Er nannte dies eine "unio non incorporativa". 192 Im Gegensatz dazu sah er auf der einen Seite Verbindungen von einzelnen unabhängigen Staaten, die eine gleiche Gesellschaft ohne eine gemeinsame oberste Zwangsgewalt darstellten. A u f der anderen Seite standen die Einzelstaaten mit einem gegliederten Staatskörper. Beim ersteren hatten nur die Mitglieder, beim letzteren nur die oberste Gesamtheit die Qualität eines Staates.193
186 187 188 189 190 191 192 193
Zur Biographie siehe Allg. Dt. Biogr., S. 708 m.Nw. Scheidemantel, Staatsrecht. Scheidemantel, Allgemeines Staatsrecht. Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 295ff.m.Nw. Vgl. Scheidemantel, Staatsrecht, Band 2, S. 146 zu den Fürstenbündnissen. Scheidemantel, Allgemeines Staatsrecht, Band 2, S. 274. Scheidemantel, Allgemeines Staatsrecht, S. 404. Scheidemantel, Allgemeines Staatsrecht, S. 398ff.
. Das Reich zwischen den Fürsten
81
(6) Johann Stephan Pütter (a) Lebenslauf und Einflüsse Johann Stephan Pütter wurde am 25. Juni 1725 in Iserlohn in der Grafschaft Mark geboren. Nach privatem Schulunterricht ging er mit zwölf Jahren an die Universität Marburg, um die Rechte zu studieren. Zu seinen Lehrern gehörte auch der bedeutende Naturrechtler Christian Wolff. 1 9 4 Nach Studien in Halle und Jena erlangte Pütter mit 18 Jahren die Doktorwürde. 1744 wurde Pütter Licentiat in Marburg; er hielt dort auch juristische Vorlesungen. Sein Ruf als junger, talentierter Jurist verbreitete sich schnell, und 1746 wurde er an die Universität in Göttingen berufen. 195 Nur von kurzen Reisen und Studienaufenthalten unterbrochen, prägte er dort 60 Jahre lang das Bild der juristischen Fakultät. 196 Er war mitverantwortlich für den hervorragenden Ruf der Göttinger Juristen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 197 Am 12. August 1807 starb er in Göttingen.
(b) Grundlagen seines staatsrechtlichen Denkens Pütter wurde als ein Mann zwischen den Zeiten bezeichnet.198 Diese Charakterisierung wird bei den Grundlagen seiner Staatslehre deutlich. Auch Pütter kannte die Methoden des Naturrechts. Er ging aber vom positiven Recht aus und benutzte das Naturrecht nur als Mittel zur Interpretation und Systematisierung des positiven Rechts. Die vernünftigen Überlegungen wurden den historischen und sozialen Gegebenheiten der Gemeinschaft angepaßt, deren Recht er untersuchte. Die ständische Ordnung war für ihn die natürliche Ordnung und Grundlage seines Menschenbildes.199 Sein Rechtssystem war eine Ordnung des positiven Rechts. 200
194 Siehe Wolff, Gesammelte Werke, I. Abteilung, Deutsche Schriften, Band 1, Vernünftige Gedanken. Zur Staatslehre Wolffs vgl. Kleinheyer, S. 318ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 289f. Weiterführend Bachmann, Die naturrechtliche Staatslehre Christian Wolffs. 195 Sein Talent wurde durch die Neigung untertstütz, nützliche Bekanntschaften zu pflegen; vgl. dazu Link, Pütter, S. 311f.m.Nw. 196 Vgl. dazu Link, Pütter, S. 312ff.; Stolleis, Geschichte 1, S. 312f., 315. 197 Vgl. Link, Pütter, S. 310; Stolleis, Geschichte 1, S. 309ff.; jew.m.Nw. 198 So Link, Pütter, S. 328f. 199 Pütter, Beyträge, S. 1 - 22. 200 Vgl. Link, Pütter, S. 316f.
6 Grzeszick
82
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
Der methodische Ansatz Pütters führte dazu, daß historische Abläufe in das positive Recht integriert wurden. Er wollte damit zunächst das geltende Staatsrecht wissenschaftlich aufarbeiten. Daneben sollten vernunftrechtliche Prinzipien auf konkrete Konflikte leichter anzuwenden sein. 201
(c) Begriff und Struktur des Reiches bei Pütter In seinen "Beyträgen zum teutschen Staats- und Fürstenrecht' 1, die zwischen 1777 und 1779 erschienen, behandelte Pütter die Struktur des Reiches. Das Reich war für ihn eine durch Wahl beschränkte Monarchie, und es hatte Staatsqualität.202 Die aristotelischen Staatsformen genügten ihm aber zur Beschreibung nicht. Er sah das Reich als einen aus Staaten zusammengesetzten Staat, 203 der von den einfachen Staaten und den Staatenvereinen zu unterscheiden war. Von den Staatenvereinen unterschied sich das Reich durch die ihm eigene Gewalt, die für die Einzelstaaten eine gemeinsame höchste Gewalt war. 2 0 4 Der Kaiser war der Träger dieser höchsten Gewalt, 205 und die Stände hatten daran Mitwirkungsrechte. 206 Wegen seiner Rechtsstellung war der Kaiser aber eine unabhängige Person. 207 Aufgrund der historischen Erfahrungen sah Pütter in der Unterordnung der Territorien unter das Reich keinen Widerspruch zur Staatlickeit der Territorien. 208 Trotz der kaiserlichen Rechte waren für Pütter die Stände wahre Regenten der Länder und Vertreter der Territorialstaalen. 209 Grund dafür war die Stimmen- und Machtverteilung im Reichssystem, die für die Regelungen bezüglich einzelner Staaten den starken Einfluß der Stände sicherte. 210 Pütter sagte, daß das Reich in dieser Hinsicht einem "Föderativsystem" ähnlich war; 2 1 1 damit deutete er fließende Ubergänge zwischen den verschiedenen
201 Vgl. dazu Link, Pütter, S. 315; Stolleis, Geschichte 1, S. 314f., 317; Kleinheyer, S. 221.; Schmidt-Aftmann, S. 35ff.; Wyduckel, S. 201ff.; Kleinheyer, S. 221 ; Link, Pütter, S. 315f., 328f. Kritisch vor allem Schlie, S. 36f., 39f. 202 Pütter, Institutiones, S. 27, 30f. 203 Zum Begriff des zusammengestzten Staates Aretin, Das Reich, S. 20ff., 32ff.; Willoweit, Rechtsgrundlagen, S. 355ff. 204 Pütter, Beyträge, II, § § 1 9 - 2 1 , 35ff. 205 Pütter, Beyträge, II, §§ 64ff. 206 Pütter, Beyträge, III, § 6f. 207 Pütter, Beyträge, II, S. 35, 41f. 208 Pütter, Beyträge, II, §§15 - 1 7 . 209 Pütter, Beyträge, III, §§ 16 - 18. 210 Pütter, Beyträge, II, §§ 19ff. 211 Pütter, Beyträge, II, § 27.
. Das Reich zwischen den Fürsten
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föderalen Staatsverbindungen an. Pütter sah sich wegen dieser föderalen Gewaltenteilung als Schöpfer des Bundesstaatsbegriffes; 212 die föderalen Ideen von Althusius und Hugo waren bereits vergessen. Die Kompetenzen im Reich verteilte er gemäß einer Grenzformel, die positivistisch und historisch ausgerichtet war. 2 1 3 Danach gehörten zur Reichsebene als originäre Hoheitsmacht die Rechte, die der Kaiser als Reichsstand vor der Bildung einer umfassenden Landeshoheit erworben hatte. 214 Pütter nannte aber keinen Zeitpunkt. 215 Die Reichsrechte, die erst nach der Bildung einer souveränen Landeshoheit entstanden waren, wurden grundsätzlich den Territorien zugeordnet. 216 Auch wenn diese teritorialen Rechte dem Kaiser überlassen waren, konnten sie nicht Grundlage der kaiserlichen Hoheit sein. Diese grundsätzlich historische Abgrenzung wurde mit vernunftrechtlichen Aspekten ausgebaut. Zum einen ging Pütter davon aus, daß die Landesgewalt prinzipiell ausschließlich war. Ein konkurrierender kaiserlicher Machtanspruch war für den Bereich der Landesgewalt nicht möglich, und der Kaiser durfte die landeshoheitlichen Rechte nicht ausüben. Da Pütter die Landeshoheit aus vernunftrechtlichen Gründen als umfassende Gewalt bestimmte, 217 wurde die kaiserliche Stellung erheblich eingeschränkt. Die zweite Grenze der kaiserlichen Macht entsprach gleichfalls den naturrechtlichen Vorstellungen. Danach sollten die Reichsstände zum Widerstand gegen den Kaiser befugt sein, wenn die Ausübung der kaiserlichen Macht für ihr Gebiet nachteilig war. Da es weder einen reichseigenen Verwaltungsaufbau noch eine reichseigene Militärmacht gab, war der Kaiser von der Loyalität der Landesherren abhängig. Im Ergebnis bewirkte der Prüfungsvorbehalt zugunsten der Länder die Mediatisierung der kaiserlichen Gewalt. 218
212 213 214 215 216 217 218
Pütter, Pütter, Pütter, Pütter, Pütter, Pütter, Pütter,
Beyträge, Beyträge, Beyträge, Beyträge, Beyträge, Beyträge, Beyträge,
S. S. S. S, S. S. S.
20f. 199. Zur Grenzformel kritisch Schlie, S. 34ff.m.Nw. 192ff.; ders., Institutiones, § 116f. 118ff., 189ff. 190f., zu dieser territorialen Abgrenzung. 192ff., 221, 317ff. 210ff.
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C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
(d) Einordnung des Pütterschen Reichsföderalismus Für sein föderales Reichsmodell des aus Staaten bestehenden Staates benötigte Pütter eine gemeinsame höchste Gewalt. Diese Bundesgewalt fand er nach seiner positivistischen und historischen Methode in der kaiserlichen Reichsmacht. Wegen dieser Betrachtungsweise wird Pütter vorgeworfen, daß er den politischen Fakten unmittelbar normative Kraft verlieh. 219 Hauptpunkt dieser Kritik ist die Anwendung der historisch-positivistische Methode für die prinzipielle Aufteilung der Kompetenzen zwischen den Ländern und dem Reich. Für die Darstellung Pütters wird angeführt, daß er gegenüber einer politischen Zielsetzung der präzisen juristischen Analyse des Reiches den Vorzug gab. 220 Weiter fehlte Pütter jeglicher Impetus zu Reformen. 221 Zudem konnte die Sichtweise des Kaisers als oberste föderale Gewalt das Reich prinzipiell auch stärken und dem politischen Aufstieg der größeren Stände entgegenwirken. In diesem Zusammenhang ermahnte Pütter vor allem die primär an den eigenen Interessen orientierten Landesherren zur Beachtung des allgemeinen Wohls, was die Einbindung der Teritorien in die Reichsstrukturen beinhaltete. 222 Pütters Staatsziel des öffentlichen Wohls war die Grundlage für die souveräne Landeshoheit; der Begriff des öffentlichen Wohls war vernunftrechtlich geprägt. 223 Im Vergleich zur Landeshoheit wurde aber deutlich, daß Pütter die Reichskompetenzen eher positivistisch und historisch bestimmte. An die Stelle einer vernunftrechtlichen bzw. materiellen Reichssouveränität trat die formelle Abgrenzung der Kompetenzen. Pütter kam bei der Verteilung der Staatsmacht dem Modell Hugos nahe. Zur Aufteilung der Staatsmacht hatte Hugo aber noch das materielle Ziel der Wohlfahrt, wohingegen Pütters Grenzformel am Ergebnis historischer Vorgänge orientiert war. 2 2 4 Die Ablehnung einer allein vernunftrechtlich bestimmten Gewaltenteilung führte aber bei Pütter nicht zu einer Rückbesinnung auf die historischen Grundlagen und Aufgaben von Kaiser und Ständen im Reich. Vielmehr lief die historische Orientierung bei Pütter auf die Anerkennung des Machtgewinns der
219 220 221 222 223 224
So Schlie, S. 40. Vgl. Link, Pütter, S. 320. Vgl. Kleinheyer, S. 221; Link, Pütter, S. 314f. Pütter, Beyträge, S. 321ff., 344ff. Vgl. Schlie, S. 34ff.,39f.; Link, Pütter, S. 314ff. Vgl. Schlie, S. 44.
. Das Reich zwischen den Fürsten
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Fürsten im Reich hinaus. Indem Pütter die gewachsene föderale Reichstruktur als Staatswesen mit einer historisch und vernunftrechtlich zu begründenden Gewaltenaufteilung sah, vernachlässigte er im Ergebnis die tradierten föderalen Funktionen der Reichsordnung. Eine das Reich einigende Idee, die Althusius und Hugo im Vernunftrecht gesehen hatten, und die von den Anhängern des Reichspatriotismus mit der Formel von Kaiser und Ständen formuliert wurde, fehlte bei Pütters Analyse des Reiches. Die neuen Ideen einer deutschen Nation oder eines Wirtschaftsraumes waren noch nicht wirksam. Pütter war zwar die Verschiedenheit der Landesverfassungen aufgefallen. Er erkannte aber nicht, daß dies auch auf ein Defizit tragender föderaler Ideen im Reichsverband zurückzuführen war. 2 2 5 Pütter betonte mit seiner Grenzformel die historischen und positivistischen Gesichtspunkte der Reichsverfassung. Er drängte dadurch die politische Realität in den Hintergrund, 226 denn zur Zeit Pütters bestand eine effektive Reichsgewalt nicht mehr. Obwohl er das erkannte, 227 verdeckte er durch die formale Gewaltenaufteilung im Reich die Entwicklung hin zu absolutistischen Territorialstaaten. Pütters Qualifizierung des Reiches als ein föderaler Staat war daher ambivalenter Natur. Aber auch seine Kritiker akzeptieren die Berücksichtigung der Verhältnisse im Reich. Die Grenzen seines Reichsmodells zeigten die schwierige politische Lage, in der sich das Reich am Ende des 18. Jahrhunderts befand. Die Beschränkung der Reichsmacht auf eine formell oberste Position entsprach der politischen Realität. Die Tendenz hin zu souveränen Fürstenstaaten, die auf dem vernunftrechtlichen Staatsziel der Wohlfahrt beruhten, gab die tatsächliche Entwicklung des aufgeklärten bzw. reformierten Absolutismus wieder. Im Ergebnis sah Pütter die Reichsordnung primär als eine Rechtsordnung und weniger als ein politisches System. 228 Sein Reichsföderalismus war damit Höhepunkt der föderalen Lehre in der Reichspublizistik. Zugleich zeigte aber die püttersche Grenzformel, daß der ständische Reichsföderalismus mit den Grundlagen eines modernen Staates nicht vereinbar war. 2 2 9 Ein moderner Föderalismus mußte sich vom Reich lösen.
225
Vgl. Schlie, S. 49f., der das fehlende politische Verständnis Pütters als Grund anführt. Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 315f. 227 Dies gibt auch Schlie auf S. 40 zu. 228 So auch Gagliardo, S. 42ff. 229 Das meinte Link mit der Beschreibung Pütters als Mann zwischen den Zeiten; vgl. Link, Pütter, S. 328f. 226
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C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
cc) Gemeinsame Tendenzen in der Reichspublizistik bis 1780 Trotz der verschiedenen Ansätze sind die Ansichten der Reichspublizistik über die Reichsverfassung vergleichbar. Die Frage nach der naturrechtlichen Einordnung des Reiches und der Gegensatz zum Souveränitätsbegriff Bodins traten zurück. Statt dessen wurde die Reichsverfassung als eine tradierte Rechtsordnung verstanden, deren konkreter Gehalt besser im historischen Kontext als mit dem Maßstab des Naturrechts zu ermitteln war. Diese Entwicklungsrichtung wurde verstärkt durch das praktische Bedürfnis, verschiedenste Fragen des Reichsrechts zu klären. Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen war die zunehmende Differenz zwischen dem Reich als Rechtsordnung und den tatsächlichen politischen Machtverhältnissen im Reichs verband. 230 Der historische Positivismus der Reichspublizisten konnte diese Entwicklung nicht berücksichtigen, sondern führte eher zu einer Rückbesinnung auf die ständischen Grundlagen des Reichsverbandes und seiner Verfassung. Die von Moser und Pütter 231 vorgeschlagenen Reformen betrafen nur die Reichsjustiz, was der Sichtweise vom Reich als einer Rechtsordnung entsprach; weitergehende Reformpläne fehlten. 232 Auch die Vorstellungen Mosers erschienen angesichts der absolutistisch regierten Staaten Österreich und Preußen und deren Dualismus im Reich kaum praktikabel. Obwohl die Reichspublizisten den Aufstieg der Territorien zu eigenen Staaten anerkannten, entwickelten sie keine neuen Perspektiven oder Modelle für die politische Reichsordnung. Die Betonung des Staatscharakters des Reiches 233 und der dahinterstehenden ständischen Ordnung entsprach nicht der tatsächlichen Entwicklung.
b) Reaktionen auf den Fürstenbund aa) Einführung Die zeitgenössische Publizistk reagierte auf die Gründung des Fürstenbundes mit vielfachen Stellungnahmen. Neben populär ausgerichteten Darstellungen
230 231 232 233
Vgl. Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 179; Gagliardo, S. 43f. Pütters Reformvorschlag für das Reichskammergericht in ders., Patriotische Abbildung. Vgl. Aretin, Reich 1, S. 95 m.Nw.; Gagliardo, S. 43. Vgl. Kremer, S. 69f.m.Nw.
. Das Reich zwischen den Fürsten
87
und Flugschriften 234 zeichneten sich rasch Gegner und Befürworter des Fürstenbundes ab. Die Haupvertreter der beiden Lager sowie die Einstellung der Reichspublizisten J.J.Moser und Pütter zum Fürstenbund sollen das Verhältnis der Fürstenbundliteratur zur Reichsverfassung wiedergeben.
bb) Einzelne Stellungnahmen (1) Gegner des Fürstenbundes (a) Otto von Gemmingen Freiherr Otto von Gemmingen war zur Zeit des Fürstenbundes Vertreter des Markgrafen von Baden am Wiener Hof. Karl Friedrich von Baden verfolgte ursprünglich die Idee eines klein- und mittelständischen Bundes, der den Großmächten Preußen und Österreich entgegentreten sollte. Das preußische Vorgehen und die endgültige Form des Fürstenbundes enttäuschten ihn. 2 3 5 Gemmingen kritisierte den Fürstenbund in seiner Schrift von 1785. 236 Er unterschied die allgemeinen Interessen des Reiches von denen des preußischen Königs, die er wegen der schlesischen Eroberungen mit der Schwächung der österreichischen Position gleichsetzte. Preußens Aufstieg zur Großmacht im Reich und der gleichzeitige Gebiets- und Machtverlust Österreichs machten Preußen zu einer Gefahr für das Reich. 237 Für das Reich verlangte Gemmingen, daß die Stände ein gemeinsames Interesse fanden, die Reichs Verfassung einhielten und zum Schutz der Reichsordnung eine effektive Macht bildeten. 238 Der Fürstenbund etablierte dagegen den Dualismus der Großmächte auf der Reichsebene. Er setzte dadurch die kleineren Stände in Abhängigkeit von Österreich und Preußen, was der Reichsverfassung widersprach. 239 Gemmingen betonte die Gefahr, daß das Reich zwischen den beiden Großmächten geteilt werden könnte. 240
234 235 236 237 238 239 240
Vgl. dazu Weigel, S. 1 - 6 ; Jan, S. 55ff.; Burg, Trias, S. l l f f . ; jew.m.Nw. Vgl. Aretin, Reich 1, S. 174f.m.Nw. Gemmingen, Uber die königlich preußische Assoziation. Gemmingen, S. 5ff. Gemmingen, S. 5. Gemmingen, S. 17f. Gemmingen, S. 11.
88
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
(b) Christoph Ludwig Pfeiffer Christoph Ludwig Pfeiffer war Beamter der Reichsstadt Heilbronn. Den Fürstenbund nahm er zum Anlaß, in mehreren Schriften die Stellung des Kaisers und der kleineren Stände im Reich zu verteidigen. In seinem Werk von 1786 241 betrachtete er den Fürstenbund als preußische Allianz, die gegen den Kaiser gerichtet war. Er war verwundert über die kleinen Fürsten, die dem Bund beitraten und sich damit Preußen unterordneten. Endpunkt dieser Entwicklung war für ihn ein schwaches, preußisch dominiertes Reich. 242 Da Friedrich Π. auch über Gebiete außerhalb des Reiches regierte, konnte er kaum zu einem Kräftegleichgewicht im Reich beitragen. 243 Das Ziel des Fürstenbundes, die Errichtung eines politischen Gleichgewichts im Reich, machte zudem die Reichsverfassung überflüssig, da dann die tatsächliche Machtverteilung und nicht das Verfassungsrecht Grundlage der Reichsordnung 244
waren. 1787 245 forderte Pfeiffer dann die Wiederbelebung des Reichstages. Der Reichstag sollte nur noch alle zehn Jahre tagen, und die Fürsten sollten persönlich anwesend sein. 246 Pfeiffer wollte dadurch die Tagesordnung des Reichstages auf die wichtigen Angelegenheiten beschränken. 247
(2) Befiirworter
des Fürstenbundes
(a) Christain Wilhelm Dohm Christian Wilhelm Dohm war im preußischen Außenministerium Berater. Er wurde von Friedrich Π. mit den Gründungsplanungen zum Fürstenbund beauftragt. Dazu sollte er eine Verteidigungsschrift für den Bund entwerfen, der von Otto von Gemmingen publizistisch angegriffen wurde. 248
241 242 243 244 245 246 247 248
Pfeiffer, Volksfreiheit. Pfeiffer, Fürstenbund. Pfeiffer, Volksfreiheit, S. 58ff. Pfeiffer, Volksfreiheit, S. 53f. Pfeiffer, Reichsverwirrung. Pfeiffer, Reichsverwirrung, S. 30f. Pfeiffer, Reichsverwirrung, S. 37f. Vgl. dazu Gagliardo, S. 81 m.Nw.
. Das Reich zwischen den Fürsten
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Die Schrift Dohms mit dem Titel "Über den deutschen Fürstenbund" erschien Ende 1785. Dohm betonte, daß der Fürstenbund ein legales Defensivbündis war. Er sollte den politischen status quo stützen und damit Verletzungen der Rechte einzelner Stände vorbeugen. 249 Zugleich sollte er den Frieden im Reich wahren. 250 Dohm bezeichnete das Reich als einen freien Staat, in dem die Ausübung der Hoheitsrechte durch Recht und Tradition auf die Reichsglieder aufgeteilt war; diese waren für das bestimmende Element der Reichsverfassung. Zugleich akzeptierte er das natürliche Streben der Beteiligten, ihren Machtbereich auszudehnen.251 Der Fürstenbund sah er als die vernünftige Reaktion der kleineren deutschen Territorien auf das österreichische Hegemonialstreben im Reich. Dohm übertrug damit das Prinzip des Machtgleichgewichts auf die Reichsverfassung; er sah in diesem Prinzip einen Bestandteil der Reichsordnung. 252 Dohm leugnete aber die mit dem Fürstenbund verbundene Etablierung des preußisch-österreichischen Dualismus auf der Ebene der Reichsverfassung. Er behandelte Preußen nur als ein mittelgroßes Territorium und begründete damit die Notwendigkeit des Bündnisses mit anderen Fürsten. Die Möglichkeit einer preußischen Vormachtstellung im Reichsverband oder einer Aushebelung der Reichsverfassung bestand für ihn nicht. 2 5 3 Schließlich verband Dohm die Idee des politischen Gleichgewichts im Reich mit der europäischen Machtverteilung. Er forderte die anderen europäischen Mächte dazu auf, den Fürstenbund zu unterstützen und dadurch das weitere Vormachtstreben Österreichs zu unterbinden. 254
(b) Johannes von Müller Johannes von Müller war gebürtiger Schweizer. Er studierte Geschichte und lebte größtenteils in Deutschland, wo er verschiedene politische Amter ausübte.255 Zur Zeit des Fürstenbundes war er Bibliothekar des Mainzer Kurfürsten Karl Theodor.
249
Dohm, Fürstenbund, S. 2, 30ff. Hintergrund waren die Tauschpläne Österreichs fur
Bayern. 250 251 252 253 254 255
Dohm, Fürstenbund, S. 34ff., 135. Dohm, Fürstenbund, S. 15ff. Dohm, Fürstenbund, S. 28f. Dohm, Fürstenbund, S. 40ff. Dohm, Fürstenbund, S. 2, 30ff. Zu Müller siehe Pape, Johannes von Müller.
90
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
In seiner Darstellung des Fürstenbundes von 1787 kritisierte Müller die österreichische Reichspolitik; er sah darin Tendenzen zur Umgestaltung des Reiches in eine Habsburger Universalmonarchie. Demgegenüber sollte der Fürstenbund nur das Reichsrecht schützen, weshalb er auch nicht gegen einen bestimmten Herrscher gerichtet war. M i t dem Bund erfüllten die Mitglieder ihre reichsständische Pflicht, die Reichsverfassung zu erhalten. Der Fürstenbund schützte daher die Rechte des Kaisers und die Stellung Österreichs genauso wie die Positionen anderer Reichsfürsten. 256 Hauptanliegen Müllers war der Schutz der ständischen partikularen Freiheit im Reich. Er fürchtete eine dualistische Teilung Deutschlands genauso wie eine österreichische Hegemonie im Reich. 257 Aufgrund seiner Erfahrungen in der Schweiz erwartete Müller von kleineren Staaten eine bessere Gewähr politischer und kultureller Freiheiten. 258 Dieser in der Reichsverfassung wiedergegebene Freiheitsgedanke beruhte maßgeblich auf dem Gleichgewicht der politischen Kräfte im Reich, 259 und Müller befürwortete wie Dohm eine enge Verbindung zwischen dem Gleichgewicht im Reich und in Europa. 260 Das Mittel zur Erhaltung des Gleichgewichts war für Müller ein deutsches Bündnis. Er nannte Beispiele aus der Reichsgeschichte, daß Allianzen zwischen Reichsfürsten dem gesamten Reich dienten, und übertrug diese Sichtweise auf den Fürstenbund. Der vom preußischen König geführte Bund unterstützte das Reich und seine Verfassungsordnung. 261 Zum Schluß seiner Darstellung äußerte Müller die Hoffnung, daß der patriotische Fürstenbund zu einer Wiederbelebung des Reiches und der nötigen Verfassungsreformen führen könnte; er regte die Fürsten zu entsprechenden Aktivitäten an. 2 6 2 Die Entwicklung des Fürstenbundes enttäuschte diese Hoffnungen. Nachdem im Winter 1787/88 die verschiedenen Reformpläne gescheitert waren, drückte Müller seine Enttäuschung in einer weiteren Schrift aus. 263 Er kritisierte die mangelnde Reformbereitschaft der Fürsten. Denn obwohl die Reichsordnung
256
Müller, Darstellung, S. 89ff., 226ff. Vgl. dazu Stauffer, S. 38f.m.Nw. 258 Müller, Darstellung, S. 83ff. 259 Nach Burg, Trias, S. 11 f. wollte Müller den kleineren Ständen die Funktion eines Balancegewichts zwischen Österreich und Preußen zuordnen. 260 Müller, Darstellung, S. 64, 188f. Vgl. dazu auch Stauffer, S. 42. 261 Müller, Darstellung, S. 28f., 92. 262 Müller, Darstellung, S. 254ff. 263 Johannes von Müller, Teutschlands Erwartungen vom Fürstenbunde. 257
. Das Reich zwischen den Fürsten
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offensichtliche Mißstände zeigte, dachten die Fürsten nur an ihre Interessen. Der Fürstenbund wahrte den bestehenden Zustand, ohne eine neue Perspektive zu geben. 264 Neben der allgemeinen Stärkung der Zusammenarbeit und des Nationalgefühls forderte Müller vor allem ein besseres Rechtssystem. Er verstand darunter sowohl eine Reform des materiellen Rechts als auch eine Verbesserung von Gerichtsorganisation, -verfahren und Vollstreckung. Ziel dieser Reformen war ein gut und fest organisierter Staatskörper des Reiches. 265 Nach Müller war vom Fürstenbund eine Stärkung des Reiches nicht zu erwarten. 266
(3) Stellungnahme der Reichspublizisten In einem seiner letzten Werke behandelte Johann Jakob Moser den Fürstenbund. Er akzeptierte den Dualismus zwischen Österreich und Preußen als konkrete Form des Machtgleichgewichts im Reich. 267 Allerdings erkannte er die Gefahr einer preußischen Hegemonie im Reich, falls Friedrich Π. Sachsen kontrollierte. 268 Ohne die Folgen des Mächtedualismus für den Reichsverband genauer zu erläutern, betonte Moser die Vereinbarkeit eines gleichgewichtigen Dualismus im Reich mit dem Ziel eines europäischen Machtgleichgewichts. 269 Pütter widmete dem Fürstenbund nur geringe Aufmerksamkeit. Er stellte fest, daß der Zweck des Fürstenbundes die Wahrung der bestehenden Reichsverfassung war, und sah darin einen positiven Aspekt. 270 Die Frage, ob der Fürstenbund vom reichsständischen Bündnisrecht gedeckt war, wurde 1786 von Friedrich Wernhard Grimm behandelt. Nach Grimm war der Fürstenbund gegen den Kaiser und dessen Macht gerichtet und bestritt die Effektivität der Reichseinrichtungen; der Bund ging deshalb über das Bündnisrecht der Beteiligten hinaus. 271 Auf ähnlicher Linie lag ein Gutachten aus Wüzburg, dessen unbekannter Verfasser den Fürstenbund als in den politischen Wirkungen gegen das Reichssystem gerichtet und demnach als
264 265 266 267 268 269 270 271
Müller, Erwartungen, S. 263f. Müller, Erwartungen, S. 265, 276. Müller, Erwartungen, S. 274, 283. J.J.Moser, Betrachtungen, S. 3, lOf. J.J.Moser, Betrachtungen, S. lOff. J.J.Moser, Betrachtungen, S. 3f., 8. Pütter, Historische Entwickelung, Band 3, S. 212. Grimm, Umfang und Gränzen, S. 59ff.
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C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
verfassungswidrig ansah. 272 Aber selbst diese Aspekte des positiven Reichsrechts wurden weder von Moser noch von Pütter behandelt.
(4) Folge: Frage nach der Funktion des Reiches Die von Grimm aufgeworfene Frage wurde trotz der marginalen Behandlung des Fürstenbundes durch die Reichspublizisten weiterdiskutiert. Vor allem die Enttäuschung über das Scheitern der Reichsreformen führte zu kritischen Gedanken über die grundsätzliche Funktion des Reiches. In der anonymen Schrift von 1787 mit dem Titel "Warum soll Deutschland einen Kaiser haben?" 273 wurde das Reich nur noch als Überbleibsel des Mittelalters gesehen. Die Reichseinrichtungen wurden danach weitgehend uneffektiv, und allein ihre fehlende Macht gegenüber den größeren Territorien hatte sie bisher vor der Auflösung bewahrt. Die Schwäche des Reiches nach dem Westfälischen Frieden war demnach der Grund für seine fortdauernde Existenz. 274 Aber nicht nur die konkreten Positionen von Kaiser und Reich wurden als unnütz dargestellt. Vielmehr wurde gesagt, daß jede Art engerer Verbund der Reichsmitglieder den Interessen der Länder entgegenlief. Die Reichsinstitutionen waren ein Beispiel dafür, daß in den größeren Territorien die partikularen Interessen stärker als die gemeinsamen Interessen waren. Die mächtigeren Fürsten wurden durch die Reichsinstitutionen nur behindert, und wegen der mangelnden Effektivität konnte das Reich auch die Interessen der kleineren Territorien nicht schützen. Im Interesse aller Mitglieder sollte das Reich aufgelöst werden. Die dann auch förmlich unabhängigen Staaten könnten sich freier entfalten und ihre Interessen verfolgen, ohne über das politisch notwendige Maß hinaus auf ihre Nachbarn Rücksicht nehmen zu müssen. 275 Dieser Schrift trat 1788 der Freiherr Julius von Soden entgegen. Er war zu der Zeit Vertreter des Markgrafen von Ansbach und zugleich Botschafter der fränkischen Kreise am Hof in Brandenburg. Soden schilderte zunächst die politische Realität im Reich durch eine Einteilung der Stände in drei Gruppen. Preußen und Hannover waren aufgrund ihrer Interessen und der ausländischen Einflüsse zu unabhängigen, faktisch
272
Text in Aretin, Reich 2, S. 134ff. Aretin, Reich 2, S. 397, rechnet sie Pfeiffer zu, wogegen Zorn, S. 58, den Urheber im Umfeld des Braunschweiger Hofes vermutet. 274 Warum soll Deutschland, S. 6ff., 62f. 275 Warum soll Deutschland, S. 41ff. 273
. Das Reich zwischen den Fürsten
93
souveränen Staaten geworden. Daneben existierten die mittelgroßen Territorien. Sie hatten aus eigener Macht den kaiserlichen Einfluß zurückgedrängt, aber sich nicht vollständig befreien können. Die kleineren Stände waren dem Kaiser weiterhin untergeordnet. Nach Soden konnten nur die ganz deutschen Reichsmitglieder die Vorteile des Reiches schätzen; vor allem die mittleren und kleineren Stände kannten diese als Wahrung von Frieden und Recht. 276 Soden ging davon aus, daß ein System kleinerer Staaten der Wohlfahrt der Bürger eher diente als große und unabhängige Staaten, die sich vor allem aufgrund ihrer Macht behaupteten.277 Für die Funktion des Kaisers und der Reichsverfassung hob Soden hervor, daß sie die territoriale Hoheit nur zum Schutz vor Machtmißbrauch durch die Fürsten beschränkten; die Förderung der allgemeinen Wohlfahrt blieb Angelegenheit der Reichsstände. Er nannte Österreich und Preußen als die besten Beispiele dieser Aufgabenaufteilung. Allerdings war auch Soden der Meinung, daß der Reichstag und das Reichskammergericht reformbedürftig waren. Ihre Fortexistenz rechtfertigte er mit der politischen Funktion, ein gemeinsames und freiheitliches Bewußtsein im Sinne eines nationalen Reichspatriotismus herzustellen. 278
cc) Zusammenfassung Die Überlegungen zum Fürstenbund entsprachen dessen politischer Wirkung. In Folge des Bundes wurde der österreichisch-preußische Dualismus auf der Reichsebene etabliert und machte damit die Reichsordnung zum Objekt der Machtpolitik der größeren Fürsten. Eine Reform oder Wiederbelebung des Reiches ging vom Fürstenbund nicht aus. Die Reichs Verfassung war nur noch formale Grundlage des vom Fürstenbund zu schützenden politischen status quo; die tatsächlichen Entwicklungen entfernten sich immer mehr von der geschriebenen Reichs Verfassung. Im Reichsstaatsrecht verhinderte die positivistisch-historische Methode eine Berücksichtigung dieser politischen Entwicklung, und die Reichspublizisten
276 277 278
Soden, J., S. 10, 14ff., 29. Soden, J., S. 24f., 28, 38. Soden, J., S. 18, 32f.
94
C. Entwicklung des Reiches bis zur Französischen Revolution
blieben auf die Betrachtung des Reiches als eine förmliche Rechtsordnung fixiert. 279 Auch die politischen Schriften zum Fürstenbund konnten die Distanz zwischen der politischen Realität und der Reichsverfassung nicht überwinden. Entweder forderten sie eine Wiederbelebung der ständischen Reichsordnung, oder an die Stelle dieser Ordnung trat das Gleichgewicht der deutschen und europäischen Mächte. Der Fürstenbund als staatsrechtliche Folge der politischen Entwicklung war mit der Reichsverfassung nicht zu harmonisieren. Entweder wurde der politische Charakter des Bundes geleugnet, oder die Reichsverfassung verlor ihre normative Kraft als Grundlage des Gemeinwesens. Kennzeichnenderweise wurden auch keine Vorschläge für eine politische Reichsreform gemacht, obwohl die Funktionen und die Existenz von Kaiser und Reich erstmals prinzipiell in Frage gestellt wurden. Die Reichsverfassung repräsentierte kaum noch politische Kräfte, sondern war nur noch Träger ständischer patriotischer Ideen.
279
So im Ergebnis auch Gagliardo, S. 45f., 97f.
D. Das Reich und die Revolution I . Kritik und Kontinuität in der Bedrohung /. Politische Entwicklung und Reformvorschläge bis zum Frieden von Lunéville Nach dem Tod von Joseph Π. am 20. Februar 1790 stand Leopold II. rasch als Nachfolger fest. 1 Über den Inhalt der kaiserlichen Wahlkapitulation wurde aber intensiv verhandelt. Die Beteiligten machten bezüglich Reich und Fürstenbund verschiedene Reformvorschläge, die sich wieder mit dem Aufbau des Reiches beschäftigten. Dabei wurde vor allem der Stellung des Kaisers, der Fürsten und der kleineren Reichsstände Aufmerksamkeit gewidmet. Pütter stellte die Vorschläge zusammen.2 Dazu kamen weitere Anregungen von kleineren Fürsten und Publizisten.3 In der publizistischen Auseinandersetzung setzte schließlich die Ansicht durch, an der Stellung des Kaisers und der Reichsverfassung generell festzuhalten. Auf keinen Fall sollten die kaiserlichen Rechte weiter beschränkt werden. Eine der markantesten Schriften waren die Betrachtungen Kruses aus dem Jahr 1790. Er kritisierte die Form und den Inhalt der Wahlkapitulationen als unklar und in sich widersprüchlich. Die Kapitulationen verhinderten damit die Ausübung der kaiserlichen Rechte und waren als Reichsverfassung ungeeignet. Nach Kruse hatte diese Form der Rechtsetzung durch Kapitulationen zum monströsen Staatsaufbau des Reiches geführt. 4 Als Lösung wollte er ein neues Reichsgrundgesetz schaffen. Es sollte unter Beteiligung des ganzen Reiches abgefaßt werden und Rechte und Pflichten der Reichsmitglieder genau festlegen. Kruse erhoffte davon eine Verbesserung der Institutionen und
1 2 3 4
Vgl. dazu Aretin, Reich 1, S. 229ff.m.Nw.; Gagliardo, S. 104ff., 117ff. Vgl. Aretin, S. 235 m.Nw. ÎJbersicht in Härtung, Wahlkapitulation; Gagliardo, S. 104ff., 117ff. Kruse, S. 40f.
96
D. Das Reich und die Revolution
Verfahren im Reich. 5 Seine Vorschläge beinhalteten damit eine erhebliche Relativierung der kurfürstlichen Macht. 6 Ähnliche Forderungen enthielt auch eine anonyme Schrift von 1789.7 Hintergrund dieser Schrift war das Problem, ob der Reichstag während des Interregnums unter der Führung der Reichsvikare weiter tagen konnte. 8 Der Verfasser stellte fest, daß der Reichstag während des Interregnums nicht beraten durfte. 9 Dazu behandelte er auch die Funktion der Wahlkapitulationen. Die Kapitulationen gaben den Kurfürsten die Möglichkeit, das in der Reichsordnung vorgesehene Gleichgewicht zwischen dem Kaiser und den Fürsten zu ihren Gunsten zu verschieben. Obwohl darin ein Widerspruch zum Prinzip lag, daß Kaiser und Stände gemeinsam die Reichsgesetzgebung ausüben sollten, bestritt der Verfasser nicht die Rechtmäßigkeit von Kapitulationen. Er forderte aber, die kaiserlichen Rechte nicht weiter einzuschränken. Weiter sollten Reichsgesetze nur unter Beteiligung des Kaisers abgefaßt werden. Für den Fall eines Interregnums sollte ein römischer König als Verweser des Kaiseramtes handeln. 10 Diese Autoren erkannten die Gefahr eines von den Fürsten bestimmten Reichs Verbandes. Dazu kam die Enttäuschung über den Fürstenbund. Ihre Vorschläge zielten daher auf die Bestätigung der historischen Reichsverfassung mit dem Prinzip der ständischen Rechts- und Machtverteilung und dem Kaiser als Oberhaupt. Dem österreichisch-preußischen Mächtedualismus wollten sie so entgegenwirken. Zudem wurde die Integration der kleineren Stände als den Reichsaufbau stützende Elemente betont. In der Realität bestimmten die beiden Großmächte bereits das innere Schicksal des Reiches. Leopold II. führte eine Verständigung mit Preußen herbei. Am 30. September 1790 wurde er mit einer Kapitulation zum Kaiser gewählt, 11 die die kaiserliche Stellung nur unwesentlich beschränkte. 12 Die Pillnitzer Konvention vom 27. August 1791 13 regelte das einvernehmliche Vorgehen von Österreich und Preußen in Reichsangelegenheiten.14 Diese
5
Kruse, S. 42ff. Kruse, S. 42, 45ff. 7 Betrachtungen über die Freiheit und Wolfarth des deutschen Reichs. 8 Vgl. dazu Aretin, Reich 1, S. 233f.m.Nw. 9 Betrachtungen, S. 15ff. 10 Betrachtungen, S. 12ff., 29ff. 11 Zu den Verhandlungen siehe Becker, S. 192ff. 12 Vgl. Aretin, Reich 1, S. 236ff.m.Nw. 13 Text in Grab, S. 59f. 14 Zur Bedeutung siehe Aretin, Reich 1, S. 249f.
6
I. Kritik und Kontinuität in der Bedrohung
97
Vorgänge wurden aber spätestens Ende 1791 vom Konflikt zwischen dem Reich und Frankreich überlagert. Dieser Konflikt weitete sich bald aus. 15 Rasch zeigte sich die Schwäche des Reiches und seiner Länder. Erst nachdem Frankreich die linksrheinischen Gebiete besetzt hatte, entschloß sich der Reichstag zur Kriegserklärung gegenüber Frankreich. Die Schwächen der Reichsarmee und der Reichskriegsverfassung waren evident. Pläne zu deren Reorganisation führten oft auch zu Vorstellungen von Reichsreformen, die die Interessen der Beteiligten wiedergaben und auf entsprechende bündische Elemente der Reiches zurückgriffen. In Preußen wurde eine Armee auf der Grundlage eines Fürstenbundes favorisiert, während in Österreich die Reichskreise stärker beachtet wurden. 1 6 Obwohl die Konfrontation mit Frankreich zu einer Welle patriotischer und nationaler Stellungnahmen geführt hatte, verhinderte der Interessengegensatz zwischen Preußen, Österreich und den kleineren Ständen weiterhin die praktische Umsetzung von Reformideen. Am 4. April 1795 vereinbarten Preußen und Frankreich den Sonderfrieden von Basel, 17 womit Preußen gegenüber Reich und Kaiser eine schwere Pflichtverletzung beging. M i t dem Frieden von Lunéville im Jahr 1801 handelte der Kaiser dann nicht nur für Österreich, sondern zugleich auch für das Reich. Die französische Republik wurde vom Reich anerkannt. Die linksrheinischen Gebietsabtretungen und Eroberungen wurden in vollem Umfang bestätigt, und der Grundsatz der Gebietsentschädigung durch Säkularisation unter französischer Aufsicht wurde festgelegt. Diese Regelungen sollten für die Staatlichkeit der Reichsgebiete eine besondere Bedeutung haben.
2. Reaktionen der Reichspublizistik a) Allgemeine Entwicklungsrichtung Die bekannten Reichspublizisten orientierten sich an der Lehre Pütters. Sie betrachteten das Reich als eine verfassungsrechtliche Ordnung, in der Reich
15
Einzelheiten bei Huber I, S. 16ff.rn.Nw. Dazu und zum Folgenden Aretin, Reich 1, S. 274ff.; Gagliardo, S. 141ff.; jew.m.Nw. 17 Im Sonderfrieden wurde der Plan eines preußisch-norddeutschen Einheitsstaates angedeutet, den Abbé Sieyes bereits 1795 im Wohlfahrtsausschuß vorgetragen hatte; vgl. dazu Fournier, Band 2, S. 23. 16
7 Grzeszick
98
D. Das Reich und die Revolution
und Territorien Staatsqualität hatten und dem Kaiser die oberste, souveräne Gewalt zustand. Diese positivistische Sichtweise wurde häufig mit einer reichspatriotischen Gesinnung verbunden. Soweit in der Reichspublizistik bereits moderne, naturrechtliche Gedanken auftauchen, enthielten sie vor allem Kritik an der absolutistischen Form der Fürstenherrschaft. Teilweise wurden einzelne Menschen- und Bürgerrechte gefordert. Die verfassungsrechtliche Reichsordnung wurde aber grundsätzlich nicht in Frage gestellt.
b) Einzelne Werke aa) Christian Ernst Weisse Auf dieser Linie lag auch der Leipziger Professor Christian Ernst Weisse.18 Der frühere Student Pütters behandelte in seiner Schrift von 1790 die Vorteile der Reichsverfassung. Statt auf die politische Schwäche des Reiches hinzuweisen, betonte er die innere Funktion der Reichsordnung, die er im Schutz der bürgerlichen Freiheit sah. 19 Er erinnerte daran, daß die Reichsverfassung die Souveränität der Territorialherren beschränkte. 20 Weisse räumte ein, daß die Reichskriegsverfassung ein Schwachpunkt des Reiches war. Er sah aber die außenpolitische Hauptfunktion des Reiches in der Defensivgarantie für die Reichsstände und verband dies mit der Idee des europäischen Mächtegleichgewichts.21 Weiter betonte er die Reichsfunktionen innerhalb des Reiches. Der Schutz der Stände und ihrer Rechte durch friedliche Streitbeilegung war ein großer Vorteil. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sollte das Justizwesen verbessert werden.
18 19 20 21
Zu Weisse Weisse, S. Weisse, S. Weisse, S.
vgl. Stolleis, Geschichte 2, S. 212, 215. Vllf., 1. Vllf. 22ff., 41ff.
I. Kritik und Kontinuität in der Bedrohung
99
Vor allem aber schützte die Reichsverfassung gegen politische oder konfessionelle Unterdrückung. 22 Der Vorteil der Reichsordnung war für Weisse die Wahrung staatlicher Vielfalt, die das Reich gegenüber anderen europäischen Staaten auszeichnete. Die Entwicklung der Landeshoheit war für ihn ein positiver Aspekt, da die Territorialhoheit die deutsche Freiheit schützte.23
bb) Carl Friedrich Häberlin Carl Friedrich Häberlin war Professor in Helmstedt. Wie Weisse war er ein Schüler Pütters, und die Anlehnung an Pütter verdeutlichte der Titel seines staatsrechtlichen Werkes "Handbuch des Teutschen Staatsrechts nach dem System des Geheimen Justizrath Pütter". 24 Allerdings war Häberlin schon stärker von vernunftrechtlichen Staatstheorien beeinflußt. 25 Ziel jeder Regierung war für ihn die Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt, die die friedliche Sicherheit der Bürger als oberstes Ziel implizierte. 26 Hauptfunktion der Reichsverfassung war demnach die gegenseitige Begrenzung von Macht, um deren Mißbrauch zu verhindern. Dies wurde nach Häberlin durch die verschiedenen Reichseinrichtungen gewährleistet, 27 weshalb er ein Verfechter der Reichsverfassung war. 2 8 Bezüglich der Staatsform des Reiches orientierte er sich an Pütter. 29 Die vorgeschlagenen Verbesserungen der Reichsorganisation hatten zwar vor allem naturrechtlichen Charakter, aber sie betrafen primär das Justizwesen.30 Die ständisch aufgebaute Reichsverfassung wurde nicht verändert; die Neuerungen sollten lediglich ihre tradierten Funktionen unterstützen.
22
Weisse, S. 64ff., 78, 106, 111, 131, 149ff., 171, 188f. Weisse, S. 162, 199f. 24 Zur Person und zum Werk Häberlins Stolleis, Geschichte 1, S. 319f., ders., Geschichte 2, S. 53f.; jew.m.Nw. 25 Vgl. Schmidt-Aßmann, S. 40ff.m.Nw. 26 Häberlin, Über die Güte, S. 8f. 27 Häberlin, Über die Güte, S. l l f f . , 25ff. 28 Häberlin, Handbuch I, Anm. 5. 29 Vgl. Brie, S. 28 m.Nw. 30 Vgl. Stolleis, Geschichte 1, S. 320 m.Nw. 23
100
D. Das Reich und die Revolution
cc) Weitere Ansichten Die Sichtweise, in der Reichsverfassung ein Mittel zum Schutz vor Machtmißbrauch und zur Gewährung von Freiheit und Sicherheit zu sehen, wurde auch von Karl von Dalberg 31 und Günther Heinrich von Berg 32 eingenommen. Die beste Staatsform war für sie eine gleichgewichtige Verbindung kleinerer Staaten. 33 Als Konsequenz dieser Grundhaltung beharrten die Staatsrechtler auf der Formel des Reiches als einem aus Staaten zusammengesetzten Staat.34
c) Sonderfriede
von Basel
Der Sonderfriede von Basel widersprach der reichspublizistischen Sicht aufs Deutlichste. Neben dem rechtlich problematischen Ausscheren Preußens aus dem Reichskrieg vergegenwärtigte er den österreichisch-preußischen Dualismus und die gefährdete Integrität des Reiches. Generell wurde der Sonderfriede heftig verurteilt. Viele sahen darin den preußischen Versuch, unter Umsturz der Reichsverfassung die führende Macht im Reich zu werden. Die Gefahr einer Auflösung oder Spaltung des Reichsverbandes war gestiegen. Preußen verletzte seine Pflichten gegenüber Kaiser und Reich, und kleinere Stände wurden zu einem ähnlichen Vorgehen ermutigt. 35 Allerdings befürwortete Häberlin den Sonderfrieden. Er ging davon aus, daß das Reich allgemein keinen Krieg mehr wollte, sondern dringend Frieden benötigte. Der Kaiser war seiner Meinung nach nicht mehr zur Kriegsführung berechtigt, weshalb die Reichsstände auch ohne den Kaiser mit Frankreich Neutralität vereinbaren konnten. 36 Daß diese Argumentation nicht abwegig war, belegten die Reaktionen der kleineren Stände auf den Basler Frieden. 37
31
Dalberg, Erhaltung, S. 21f. Berg, Über Teutschlands Verfassung, S. 56ff., 97, 127. 33 So Berg, Uber Teutschlands Verfassung, S. 97; Danz, S. 150. Zu Einzelheiten in der Publizistik siehe Gagliardo, S. 125ff.m.Nw. 34 Siehe die einschlägigen Stellen in Leist, Lehrbuch, §§ 15ff., 20, 57; Roth, Staatsrecht, 1. Teil, §§ 4, 23ff.; Schnaubert, Anfangsgründe, 2. Buch, §§ 56ff.; Majer, Staatskonstitution, Band 1, S. 12ff. 35 Vgl. Gagliardo, S. 167ff.m.Nw. 36 Häberlin, Geschichte, S. 498ff. 37 Vgl. Aretin, Reich 1, S. 325ff.m.Nw. 32
I. Kritik und Kontinuität in der Bedrohung
101
d) Reformpläne für die Reichsverfassung Wie gezeigt, wurde über die Reichsordnung durchaus kritisch diskutiert. Die Reichspublizisten hielten aber generell an der Reichsverfassung fest. Reformen betrafen nur wenige Aspekte der Verfassungsordnung; sie sollten die tradierten Strukturen stärken, aber nicht grundsätzlich in Frage stellen. 38 Weitreichende Reformpläne für das Reich waren daher selten. Ein der Ansatzpunkt für umfangreichere Reformen war die nötige Änderung der Reichskriegsverfassung. Als Erfurter Regierungsbeamte hatte Christian von Bentzel39 schon 1795 die Idee einer außerordentlichen Reichsdeputation, die auf einer Verbindung von Kreisdeputierten beruhte und damit die Macht von Kaiser und Reich erhalten sollte. 40 Vor allem sollte damit die Macht des Kaisers zu schnellem und effektivem Handeln wiederhergestellt werden. 41 Zwei Jahre später hatte Gerhard Anton von Halem die Idee einer Reichsreform ausgearbeitet, in der das ganze Reich auf der Grundlage der Reichskreise erneuert werden sollte. 42 Die Zusammenarbeit der Reichskreise sollte über die militärischen Angelegenheiten hinausgehen und Gegenstände der allgemeinen Wohlfahrt umfassen. Halem verstand darunter vor allem die Förderung von Handel und Verkehr. Weiter sollten die Kreise eigene Gerichte haben, die einen großen Teil der Kammergerichtssachen erledigten; nur Streitigkeiten mit der Beteiligung von Territorialherren blieben Sache der Reichsgerichte. 43 Der konsequente Ausbau der Kreisorganisationen sollte zu einem starken Nationalbewußtsein führen, das den Reichsverband vor dem Untergang retten sollte. 44 Auch diese Reformideen erschienen eher als Rückbesinnungen auf die ständischen Kreiselemente denn als praktische Ideen zu einer Reichserneuerung. Größere Beachtung fanden sie nicht.
38 39 40 41 42 43 44
Vgl. Gagliardo, S. 123ff., 242ff.m.Nw. Vgl. Gagliardo, Reich, S. 168f. Bentzel, Teutschlands Weh und Wohl. Bentzel, Teutschlands Weh und Wohl, in: Der teutsche Merkur, S. 425ff. Halem, Etwas über die möglichen Vortheile der Deutschen Kreisverfassung. Halem, S. 265ff. Halem, S. 260f.
102
D. Das Reich und die Revolution
3. Ergebnis Im Friedensvertrag von Lunéville wurden die Gebietsabtretungen links des Rheines an Frankreich vom Reich förmlich anerkannt, und der Grundsatz der Säkularisation wurde gleichfalls ratifiziert. Die Organisation des Reiches hatte sich bezüglich der Exekutive und des Militärwesens als völlig ungenügend erwiesen. Die Interessen Österreichs, Preußens und der kleineren Stände divergierten in einem Maß, das einen praktischen Kompromiß nicht zuließ. Dieser praktischen Entwicklung konnte die Reichsverfassung nicht folgen. Das Scheitern der verschiedenen Reformvorhaben war dafür ein deutlicher Beleg. Andererseits wird der Reichstag in der Bedrohung als ein prinzipiell effektives und flexibles Organ bewertet, das unter Zurückdrängung der konfessionellen und politischen Gegensätze prinzipiell gute Arbeit geleistet hat. 45 In diesem Zusammenhang werden die vor allem die Reorganisation der Kreisverfassung und die beschleunigte Entscheidungsfindung auf dem Reichstag genannt.46 Die Exekution der niederrheinisch-westfalischen Kreisdirektoren gegen Lüttich im Jahr 1789 und der Einsatz von Reichskreisen und kaiserlichen Truppen bei den Verfassungskämpfen in der Reichsstadt Aachen von 1786 bis 1792 sind Beispiele für das Funktionieren der Kreisordnung. 47 Diese Beurteilung der Zeit von 1792 bis 1801 als eine der intensivsten Perioden der Reichsverfassung 48 muß aber relativiert werden. Die wichtigen politischen Aktionen des Reiches beruhten sowohl im Reichstag als auch bezüglich der Reichsarmee auf der politischen Verständigung zwischen Österreich und Preußen. Nach dem Basler Sonderfrieden verloren die Reichsorgane ständig an Bedeutung. Ähnliches gilt für die staatsrechtliche Entwicklung. Während Preußen und die mittelgroßen Stände eine Erneuerung in der Form eines Fürstenbundes anstrebten, waren die österreichischen Vorschläge zur Wiederbelebung der Reichskreise nur Reaktionen auf die preußische Politik. Eine aktive Belebung der Institutionen im Interesse des Reichsganzen wurde nicht ansatzweise erreicht, und der Kaiser setzte den Reichskrieg gegen Frankreich mehr aus eigenem Interesse fort. 49 Soweit die Reichskreise tatsächlich tätig wurden,
45 46 47 48 49
Aretin, Reich 1, S. 362. Vgl. dazu Aretin, Reich 1, S. 362 m.Nw. Vgl. dazu Dotzauer, S. 44f.m.Nw. So Aretin, Reich 1, S. 362. Vgl. Aretin, Reich 1, S. 309ff.m.Nw.
. Zerfall des Reiches
103
beruhte dies auf dem Einfluß der kleineren und mittleren Stände;50 eine nennenswerte Wirkung hatte dies nicht. Auffallend war, daß in der gesamten staatsrechtlichen Publizistik zum Reich vor dem Basler Frieden bzw. dem Frieden von Campo Formio umfassende Reformpläne fehlten. 51 Für die politische Orientierung der Beteiligten folgte aus den Ereignissen, daß die Reichsverfassung ihre Funktionen weitgehend verloren hatte. 52 Der Rastatter Kongreß diente den Teilnehmern nur zur Wahrung des eigenen Besitzstandes.53 Zwischen dem Friedensvertrag von Lunéville und dem Reichsdeputationshauptschluß bestimmten die Macht Napoleons und das Souveränitätsstreben der größeren Fürsten die politischen Aktionen im Reich. 54
I I . Zerfall des Reiches 1. Politische Entwicklung a) Reichsdeputationshauptschluß
und Reichsverband
Der am 25. Februar 1803 in Ausführung des Friedensvertrags von Lunéville gefaßte Reichsdeputationshauptschluß veränderte den Reichsverband erheblich. Die Hauptaspekte der Mediatisierung und Säkularisation brachten nicht nur territoriale und politische Änderungen; 55 zugleich führten sie zu einer grundlegenden Wandlung der Reichsverfassung. Die nach Anzahl verringerten und nach Größe gewachsenen Territorien drängten noch stärker zu einer vom Reich unabhängigen Politik, während die Reichseinrichtungen weiter an Bedeutung verloren. Viele süd- und mitteldeutsche Länder nutzten die Veränderungen zum konsequenten Umbau der Territorialherrschaft nach dem Vorbild des aufgeklärten Absolutismus. Der Einfluß der Stände wurde dadurch auch innerhalb der Territorien zurückgedrängt.
50
Vgl. dazu die badischen Bundespläne und ihren Ursprung bei Aretin, Reich 1, S. 289ff., 301ff.m.Nw. 51 Aretin, Reich 1, S. 95 Anm. 419 m.Nw. stellt dies fur die Zeit bis 1790 fest. 52 So auch Aretin, Reich 1, S. 366f. 53 Vgl. Aretin, Reich 1, S. 345ff.m.Nw. 54 Vgl. Gagliardo, S. 187ff.m.Nw. 55 Vgl. dazu Grundmann, Band 3, S. 29ff.; Huber I, S. 40ff.
D. Das Reich und die Revolution
104
b) Reichspolitik und Reformvorschläge
der Reichsmitglieder
Entsprechend der tatsächlichen Lage verlor die Frage nach dem Schicksal der Reichsverfassung an Bedeutung. Eigene, vor allem innenpolitische Interessen bestimmten die Reichspolitik der Beteiligten. Die österreichische Reichspolitik verfolgte die Stützung der Habsburgischen Position im Reich. 56 Eine konstruktive Reichspolitik oder gar Reformpläne fehlten. M i t der Annahme des erblichen österreichischen Kaisertitels am 14. August 1804 zeigte Franz Π. die Distanz zum Reich und dessen Verfassung. 57 Preußen entfernte sich gleichfalls vom Reich; vor allem sollte die preußische Vorherrschaft über die nördlichen Reichsgebiete verstärkt werden. Für den Gesamtverband der Reichsstände dachte man an eine neue Verbindung der größeren, selbständigen Territorien, die auf eine Neuauflage des Fürstenbundes hinauslief. Entsprechende Bündnispläne scheiterten aber am geringen Interesse der Beteiligten. 58 Die größeren süddeutschen Länder nutzten den Zerfall der Reichsordnung für ihren Aufstieg zu eigenständigen und absolutistisch regierten Ländern. Dies bedeutete innere Reformen und Lösung der Verbindungen zum Reich mit dem Ziel, förmliche Souveränität zu erlangen. Die Reichsstrukturen lehnten sie ab. 59 Die Interessen der kleineren Stände wurden hauptsächlich in den Plänen Dalbergs wiedergegeben. 60 Dalberg erkannte, daß nur die Reichsstrukturen die kleineren Stände erhielten. Er plante deshalb eine Reform des Reiches, wonach Österreich und Preußen nur noch lose mit dem Reich verbunden waren. Sein Vorhaben scheiterte an den süddeutschen Fürsten, die eine engere Bindung an die kleinen Stände ablehnten. Auch Preußen und Österreich waren gegen eine Vereinigung der kleinen Stände.
56 57 58 59 60
Vgl. Aretin, Reich 1, S. 462ff.m.Nw. Vgl. Srbik, S. 31ff. Vgl. Aretin, Reich 1, S. 471f.m.Nw. Vgl. Aretin, Reich 1, S. 474ff.m.Nw. Dazu und zum Folgenden Aretin, Reich 1, S. 479ff.m.Nw.
II. Zerfall des Reiches
105
c) Friede von Preßburg Der wachsende Einfluß Napoleons auf die süd- und mitteldeutschen Fürsten sowie der Einfluß Englands und Rußlands auf Österreich 61 bewegten den Kaiser dazu, am 9. August 1805 einer Offensivallianz gegen Napoleon beizutreten. Preußen blieb zunächst neutral, während die süddeutschen Fürsten zum Bündnis mit Napoleon tendierten. Am 25. August 1805 verbündete sich Bayern mit Napoleon und ließ sich dafür erhebliche Gebietserweiterungen versprechen. Baden folgte Anfang September, und im Ludwigsburger Vertrag vom 5. Oktober 1805 trat auch Württemberg bei; Friedrich von Württemberg ließ sich dabei förmliche Souveränität zusichern. 62 Die Schlacht von Austerlitz brachte die Entscheidung zugunsten Napoleons. In Schönbrunn wurde am 15. Dezember 1805 ein französisch-preußischer Bündnisvertrag unterzeichnet. Preußen mußte rechtsrheinische Gebiete an Napoleon abtreten; er wurde dafür mit Hannover entschädigt. Die süddeutschen Fürsten eigneten sich die reichsritterschaftlichen Besitzungen an und arrondierten ihre Gebiete auf Kosten Österreichs. In den entsprechenden Verträgen Anfang Dezember 1805 wurde Bayern und Württemberg von Napoleon die Königswürde verliehen, und auch Baden erhielt die förmliche Souveränität. Kaiser Franz II. mußte diese Bedingungen akzeptieren. Der Frieden von Preßburg vom 27. Dezember 1805 bedeutete für das Reich nicht nur die Schwächung des österreichischen Einflusses; die letzten territorialen und politischen Reichsstrukturen waren nun zerstört. Im Friedensvertrag wurde auch nicht vom Deutschen Reich, sondern vom Deutschen Bund gesprochen. 63 Die Niederlegung der Kaiserkrone am 6. August 1806 hatte vor diesem Hintergrund nur noch eine förmliche Bedeutung.
61
Dazu Braubach in Gebhardt, Band 3, S. 39ff. Zur Interpretation des Begriffes "Souveränität" in den Verträgen von 1805 siehe die Analysen bei Aretin, Reich 1, S. 478; Gagliardo, S. 270f., 340 Anm. 7 und 8; Quaritsch, Staat, S. 405ff., 481ff.; jew.m.Nw. 62
63
Siehe Quaritsch, S. 406ff.; Huber I, S. 66f.; jew.m.Nw.
D. Das Reich und die Revolution
106
2. Ideengeschichtliche
Entwicklung
des Föderalismus
in Deutschland
a) Überblick Die Zeit zwischen dem Frieden von Lunéville und dem Vertrag von Preßburg ist eine der interessantesten Übergangsphasen in der staatsrechtlichen Literatur. Angesichts des unabwendbaren Zerfalls der alten reichsrechtlichen Strukturen und der modernen Ideen der französischen Revolution wurde die seit Mitte des 18. Jahrhunderts geführte Diskussion um Staatlichkeit und Verfassung 64 entscheidend beschleunigt. In der Zeit um die Jahrhundertwende nahmen die kritischen Äußerungen zur Reichsverfassung rapide zu. Die einzelnen Beiträge zeigten dabei eine große Spannbreite; von der Übernahme der französischen Revolutionsverfassung bis zu konservativen Appellen an den altständischen Reichscharakter wurden verschiedenste Staatsmodelle vorgetragen. Dazu kamen bei den Autoren Meinungsänderungen, die durch konkrete politische Ereignisse bedingt waren und die prinzipiellen Ideen überlagerten. Vor allem die Friedensverträge und der Reichsdeputationshauptschluß hatten Einfluß auf die zeitgenössischen Staatsvorstellungen. Aber auch längerfristige Entwicklungen zeigten nun praktische Wirkungen. Die geistige Bewegung der Aufklärung, die als philosophischer Ansatz begonnen hatte, wurde im 18. Jahrhundert zu einer politischen Kraft. Die Grundlagen der modernen Natur- und Geisteswissenschaften wurden gelegt, Staatlichkeit und Gesellschaft wurden als säkulare Gegenstände behandelt, die Stellung der Kirchen wurde kritisch untersucht und vernünftiges Denken hielt Einzug. Allgemein wird von dieser Zeit als einer Epoche der Politisierung und Öffnung gesprochen. 65 Die Fürsten kritisierten die alten Wirtschafts- und Sozialstrukturen und wollten das Staatswesen rationalisieren. Gleich den Aufklärern waren sie gegen ständisch-feudale Vorrechte und den weltlichen Einfluß der Kirche. Die Gemeinsamkeiten hielten sich aber in Grenzen. Für die Fürsten waren die aufgeklärten Gedanken allein Mittel zum Zweck, ihre absolutistische Herrschaft
64 63
Vgl. dazu Würtenberger, Staatsverfassung an der Wende vom 18. zum 19 Jahrhundert. Vgl. Möller, S. 496ff.; Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 347ff.
. Zerfall des Reiches
107
zu optimieren. 66 Sie duldeten keinesfalls eine Relativierung ihres eigenen Machtanspruchs. 67 Wie in den übrigen europäischen Gebieten war auch in den deutschen Ländern ein Potential für Veränderungen vorhanden. Die allgemeinen Spannungen und Unruhen, die ursprünglich eine ungeregelte Form der öffentlichen Meinungsbildung waren, weiteten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus und bekamen teilweise den Charakter politischer Aufstände. 68 Größere Aufstände hatten aber oft nur lokale Ursachen, wobei die kleineren Reichsstände besonders häufig betroffen waren. 69 In den größeren Territorien beseitigte die Reformpolitik der absolutistischen Fürsten gewisse Mißstände und sorgte dafür, daß die Aufstände kein revolutionäres Ausmaß erlangten. 70 Die Prinzipien der Aufklärung richteten sich aber letztlich auch gegen diese Herrschaftsart. Der prinzipielle Widerspruch zwischen dem alten System und den neuen Gedanken wurde durch die Reformbestrebungen der Fürsten zwar gemildert; er war aber nicht mehr aufhebbar. 71
b) Unmittelbarer
Einfluß der Ereignisse in Amerika und Frankreich auf deutsche Staatsvorstellungen
aa) Einfluß der amerikanischen Ereignisse Neben der Französischen Revolution gab es noch ein weiteres wichtiges Ereignis in der Staatenwelt des endenden 18. Jahrhunderts: die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Revolutionsideen wurden durch die amerikanischen Ereignisse zumindest gefördert, und in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte spiegelten sich die Gedanken der Virginia Bill of Rights wieder. Im Gegensatz zu Frankreich verfügte aber der amerikanische Staat über eine Besonderheit. Zum ersten Mal war der moderne,
66
Vgl. dazu und zum Folgenden Wandruszka, S. 448ff.; Möller, S. 281ff., 362ff. Beispiel dafür war der preußische König Friedrich Π. Er hatte 1739 in seinem Antimachiavell eine nur machtorientierte Politik verurteilt, handelte aber mit dem Uberfallauf Schlesien im Jahr 1740 gegen diese Thesen, um seine eigene Macht zu vergrößern. 68 Vgl. Raumer, S. 69ff.m.Nw. 69 Vgl. Würtenberger, Staatsverfassung, S. 92, 95 m.Nw. 70 So auch Möller, S. 496ff., 510; Raumer, S. 73ff. Zu den lokalen Unruhen im Rheinland vgl. Siegmund, S. 63ff.; Kuhn, S. 28ff.; Julken, S. 62ff. 71 Zu den Einflüssen der Aufklärung auf das öffentlichen Recht in Deutschland Stolleis, Geschichte 1, S. 321ff. 67
108
D. Das Reich und die Revolution
mit einer Gewaltenteilung versehene Föderalismus Element eines Staates geworden. Die amerikanischen Vorgänge wurden zwar im Reich beobachtet und von revolutionsbereiten Intellektuellen als Vorbild empfunden. Mangels einer deutschen Revolutionsbereitschaft wurden aber die Ideen nicht in die Praxis umgesetzt.72 Insbesondere das moderne föderale Gedankengut wurde nicht übernommen. 73 Obwohl der "Federalist" als Hauptquelle föderaler Ideen bereits 1792 in Paris erschien, blieb er den meisten deutschen Zeitgenossen zunächst unbekannt. 74 Dafür gab es mehrere Gründe. Das Reich war weder wirtschaftlich noch politisch an den amerikanischen Vorgängen beteiligt. 75 Ein revolutionäres Reformpotential bestand in den deutschen Gebieten nicht, und die Verhältnisse im Reich waren mit den amerikanischen in keiner Hinsicht vergleichbar. Dazu wurden die föderalen Aspekte in Europa erst zu der Zeit zugänglich, als der Krieg zwischen Frankreich und dem Reich bereits ausgebrochen war. Die amerikanischen Ideen konnten im wesentlichen erst nach der Wiederherstellung des Friedens in Europa aufgenommen werden. 76
bb) Einstellung der deutschen Staatsdenker zur Französischen Revolution Es gab im Reich keine einheitliche Reaktion auf die Französische Revolution. Allerdings sind in neueren Arbeiten für Deutschland nach 1789 drei Hauptrichtungen politischen Denkens herausgearbeitet worden, die auch von den Einstellungen gegenüber den Revolutionsereignissen bestimmt wurden. 77 Die liberale Strömung setzte die Ideen der Aufklärung fort; sie zeichnete sich vor allem durch Rechtsstaatlichkeit und Freiheit aus. Sie korelierte mit der Staatsform der konstitutionellen Monarchie, war aber nicht darauf fixiert. Auch stärker konservativ geprägte Gedanken waren ihr zuzurechnen, da sie im publizistischen Bereich gegen absolutistische Zensur eintrat.
72
Vgl. Raumer, S. 21, 69ff.m.Nw.; Garber, S. XI; Möller, S. 496ff. Dazu die Untersuchung von Ullner, S. 1 Iff. 74 Vgl. Ullner, S. 11 m.Nw. 79 Lediglich hannoveranische und hessische Truppen sowie einige Söldner waren an den Unabhängigkeitskriegen beteiligt. 76 Dazu Angermann, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild. 77 Vgl. dazu und zum Folgenden Stammen, S. 15ff.m.Nw. 73
. Zerfall des Reiches
109
Die Anhänger der Demokratie sahen ihre Ziele in der Volkssouveränität, der politischen Freiheit und der Staatsform der Republik. Hauptvertreter waren die sogenannten Republikaner oder deutschen Jakobiner, die sich an Frankreich als Vorbild orientierten. Die konservative Strömung orientierte sich vor allem am Ständestaat mit religiöser Legitimation. Sie war weniger systematisch, sondern eher historisch ausgerichtet und lehnte die Gedanken von Aufklärung, Liberalismus und Absolutismus ab. Sie war von der nationalen Strömung zu unterscheiden, die zur Zeit der Revolution nur eine patriotische Unterströmung mehrerer politischer Richtungen war, und erst nach 1806 einen Aufschwung erlebte. Allgemein war das Verhältnis der politischen Denker zur Revolution zunächst positiv. Bis auf wenige konservative Stimmen überwog die Zustimmung. Eine Übertragung der Revolution auf das Reich wurde aber meist abgelehnt; die Ideen der Revolution sollten im Wege der Evolution und der Reformen in das bestehende System übernommen werden. Nur wenige radikale Demokraten befürworteten einen gewaltsamen Umsturz im Reich. Die mehrheitlich zustimmende Haltung veränderte sich dann unter dem Eindruck der Radikalisierung der Revolution. Seit der Hinrichtung des französischen Königs als Symbol für die Abschaffung der Monarchie wandten sich Konservative und Liberale gegen die Revolution. Die Tendenz verstärkte sich angesichts der aggressiven französischen Außenpolitik. Nur die Demokraten hielten an Frankreich als politischem Vorbild fest. Ihre Vertreter stammten aber meistens aus den französisch besetzten Reichsgebieten. Dazu waren ihre Handlungen regelmäßig sehr eng am französischen Vorbild orientiert. Sie waren in weiten Teilen vom Schutz der französischen Truppen und Regierungen abhängig und hatten selten die Stellung einer eigenen politischen Kraft. 78 Die Französische Revolution hatte für das Reich keine unmittelbare Vorbildfunktion. Obwohl die Ideen der Revolution zunächst starken Anklang fanden, wurde eine direkte Anwendung auf die deutschen Verhältnisse meistens abgelehnt. Soweit Frankreich aber als Vorbild gesehen wurde, sollte dessen zentralistischer Staatsaufbau unverändert übernommen werden. Generell wiesen die jakobonischen Schriften in Hinsicht auf staatliche Formen für das revolutionäre Deutschlands ein Defizit auf. 79 Das deutlichste Beispiel für
78 79
So auch Stammen, S. 18. So Aretin, Deutschland, S. 16f.
110
D. Das Reich und die Revolution
diese deutschen jakobinischen Vorstellungen sind die Überlegungen Christian Sommers, der die französischen zentralistischen Staatsstrukturen auf die deutschen Gebiete übertragen wollte. 8 0 Ein föderatives Staatssystem lehnte er damit ab; 81 er betonte stattdessen den Grundsatz der Gewaltenteilung als ein tragendes Ordnungsprinzip. 82 Im Vergleich zu seinen Zeitgenossen fallt auf, wie wenig Sommer in seinem Staatsmodell die politische Realität der deutschen Gebiete berücksichtigte. 83 Nach der Machtergreifung durch Napoleon verstummten auch die letzten Anhänger der Französischen Revolution. Die Ideen der Revolution waren diskreditiert; an ihre Stelle trat der napoleonische Eroberungsdrang. Als Anhaltspunkt für das weiterhin bestehende Spannungsverhältnis zwischen den Territorialherrschern und einer zentralen Macht konnte das Verhalten Napoleons dienen. Er tendierte grundsätzlich dazu, aus eroberten Gebieten französische Provinzen oder abhängige Republiken zu bilden. Diese Politik konnte er aber in Deutschland nicht betreiben. Er war gezwungen, auf die territorialen Verschiedenheiten und die Stellung der Fürsten Rücksicht zu nehmen. Beispiel dafür sind die zu Beginn des Jahres 1804 vom französischen Gesandten Bignon am Karlsbader Hof entworfenen Pläne. 84 Bignon dah das Reich nur noch als einen Staatenverein, in dem Mittelpunkt und Zusammenhalt fehlten und der vom österreichisch-preußischen Interessengegensatz bestimmt wurde. Die kleineren deutschen Fürsten sollten daher als dritte Macht im Reich einen Fürstenbund bilden, der unter dem Schutz Frankreichs und Rußlands stand. Ähnliche Pläne wurden 1805 auch vom badischen Minister Reitzenstein vorgetragen. 85
80 Sommer, Grundlage zu einem vollkommenen Staat, S. 43f. Vgl. dazu Wolfrum, S. 112ff.m.Nw. 81 So Wolfrum, S. 115. 82 Vgl. dazu Wolfrum, S. 115ff.m.Nw. 83 Nach Wolfrum, S. 114, hatten territoriale Fragen fur die abstrakten Staatsbetrachtungen von Sommer keine große Bedeutung. 84 Bignon, Coup d'oeil. 85 Reitzenstein, wiedergegeben in: Bitterauf, Theil I, S. 214ff., 300ff.
111
. Zerfall des Reiches
c) Eigenständige Entwicklungen
in Deutschland
aa) Hintergrund: Neue Ideen und Ansätze (1) Immanuel Kant In seinem 1795 veröffentlichten Werk "Zum ewigen Frieden" forderte Kant ausdrücklich einen "Föderalismus freier Staaten."86 Diese Überlegungen Kants beruhten auf seinen Vorstellungen von Rechts- und Friedenssicherung. Durch einen Bund freier Staaten sollte der Frieden auf internationaler Ebene gesichert werden. 87 Hinter diesem universellen und friedenssichernden Völkerbund stand die Hinwendung zum neuen, kritischen Vernunftrecht, wie sie in dieser Zeit einige deutsche Staatsdenker vollzogen. Kant war Vorreiter dieser Entwicklung, und seine Werke beeinflußten viele Verfassungstheoretiker des 19. Jahrhunderts. 88 Kant selbst favorisierte eine republikanische Staatsverfassung, die für jeden Freiheit und Gleichheit im Sinne des allgemeinen Guten gewährte 89 und sich über die Funktion der Rechts- und Friedenssicherung legitimierte. 90 Unter der Republik verstand Kant aber vor allem eine Regierungsart, die den obigen Zielen entsprach. Die Staatsform hatte für Kant nur sekundäre Bedeutung; auch eine Monarchie konnte republikanisch im Sinne Kants sein. 91 Eine andere Möglichkeit zur Friedenssicherung war für Kant die Bildung eines Völkerstaates, der ein Einheitsstaat war. 9 2 Der Völkerstaat setzte voraus, daß die beteiligten Völker ihre Selbständigkeit im wesentlichen aufgaben. Das war aber nach Kant unrealistisch. 93 Dazu deutete Kant auf die Gefahr hin, daß unitarische Staatssysteme sich eher zu Anarchien und Despotien entwickeln könnten. Von der durch einen Völkerbund gesicherten
86
Kant, Ewiger Friede, Zweiter Defmitivartikel, S. 30f. Kant, Ewiger Friede, Zweiter Definitivartikel, S. 37f. Zu dieser internationalen friedenssichernden Einbindung siehe auch Hintze, S. 482ff. 88 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, S. 86ff.m.Nw. 89 Zum Hintergrund der Französischen Revolution und deren Wirkung auf Kant siehe Hintze, S. 235, 485. 90 Vgl. Ritter in Staatsdenker, S. 340ff.m.Nw. 91 Vgl. Baruzzi, Kant, S. 151ff.m.Nw. 92 Kant, Ewiger Frieden, Zweiter Defmitivartikel, S. 30ff. 93 Kant, Ewiger Friede, Zweiter Defmitivartikel, S. 30f. 87
112
D. Das Reich und die Revolution
Vielfalt des sozialen und staatlichen Lebens der Mitglieder erwartete er eine bessere Wahrung bürgerlicher Freiheit und Gleichheit. 94 Ubergangsformen zwischen Völkerbund und Völkerstaat lehnte er aber ab. Bezüglich des Begriffs der Souveränität war er an den aristotelischen Staatsformen orientiert. 95 Obwohl ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Kants föderalen Staatsgedanken und den Ideen von Reich und Nation bestritten wird, 9 6 gewannen diese Überlegungen vor dem zeitgenössischen Hintergrund an Bedeutung.97 Der Begriffe von Bund und Föderalismus wurden zu Zielen der Staatsbildung.98 Die republikanische Staatsverfassung und der Völkerbund erschienen als Antworten auf die aktuellen Probleme, mit denen die deutschen Länder und das Reich durch die Französische Revolution konfrontiert wurden. 99 Kants Ablehnung gegenüber einem Völkerstaat oder föderalen Zwischenformen entsprach auch der Tendenz im Reichsverband, losere Bündnisse zwischen selbständigen Mitgliedern zu bevorzugen. Die Vorstellungen Kants wurden zum Teil direkt in Verfassungspläne für Deutschland umgesetzt; prägnantes Beispiel dafür waren die 1797 publizierten Pläne von Krug. 1 0 0 Sie prägten auch die positiv-rechtliche Sichtweise einiger Verfassungsrechtler zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Vor allem Klüber und Behr sind hier zu nennen. 101 Die von Kant angesprochene völkerrechtliche Friedenssicherung durch lose Bündnisse wurde wiedergegeben in den föderalen Überlegungen zum Rheinbund und zum Deutschen Bund. 1 0 2
(2) Johann Gottlieb Fichte Fichte stand zumindest teilweise in der Rechtstradition Kants. 103 Sein Verfassungsbegriff beruhte gleichfalls auf einer naturrechtlich geformten
94
Kant, Ewiger Frieden, Zweiter Definitivartikel, S. 36ff. So Ritter, S. 349ff.m.Nw. 96 Vgl. Gagliardo, S. 180. Zur geschichtsphilosophischen Prägung der Ideen Kants durch die französische Revolution siehe Burg, Kant, S. 79ff.m.Nw. 97 So Koselleck, Grundbegriffe, S. 638f.; Burg, Kant, S. 79ff., 217ff.; jew.m.Nw. 98 So Koselleck, Grundbegriffe, S. 638f.m.Nw. 99 So auch Hintze, S. 235, 482ff. 100 Krug, Grundlinien. 101 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, S. 97ff.m.Nw. 102 Angedeutet bei Koselleck, Grundbegriffe, S. 639. 103 Vgl. Fichte, S. 16ff. 95
. Zerfall des Reiches
113
Vertragslehre. 104 Ein weiterer wesentlicher Begriff des Staatsrechts war für ihn die Nation. Vor allem in seinen ab 1808 veröffentlichten "Reden an die deutschen Nation" machte er den Begriff der Nation zu einem aktuellen politischen Ziel, das vor allem gegen die napoleonische Besetzung gerichtet war. In seinen späteren Werken relativierte Fichte seinen vernunftrechtlichen Ansatz in Hinblick auf die konkreten politischen Umstände. 105 Der Begriff der Nation als staatspolitisches Ziel, der sich sowohl vom mehr geistig ausgerichteten Nationalbewußtsein des Reichspatriotismus als auch vom weltumspannenden Friedensgedanken Kants unterschied, wurde für die Staatlichkeit einer politischen Gemeinschaft von erheblicher Bedeutung. Spätestens Fichte etablierte die Nation in Deutschland als Element konkreter staatlicher Überlegungen.
(3) Georg Friedrich
Wilhelm Hegel
Im Staatsbegriff Hegels waren sowohl der nationalstaatliche Hintergrund als auch die kritischen naturrechtlichen Überlegungen wiederzufinden. Hegel begann die Flugschrift "Die Verfassung des Deutschen Reiches" von 1802 mit dem berühmten Satz: "Deutschland ist kein Staat mehr". Grundlage dieser Ansicht war der Machtstaatsbegriff Hegels. 106 Hegel stellte fest, daß das Reich keine tatsächliche Macht hatte; diese war im Laufe der Entwicklung auf die Territorien übergegangen. 107 Das Staatsgebäude des Reiches bestand für Hegel nur noch in der Gewähr einer Rechtsordnung für die Mitglieder des Verbandes, ohne daß dem Gedanken einer gemeinsamen Staatlichkeit eine Staatsgewalt zugeordnet werden konnte. 108 Der mittelalterliche Gedanke der germanischen Freiheit hatte für die gemeinsame deutsche Staatlichkeit negative Folgen, da die Stände auf dieser Grundlage ihre Macht ausbauen konnten. 109 Konsequenterweise sah Hegel das Reich als eine Menge unabhängiger und dem Wesen nach souveräner Staaten.110
104
Fichte, Grundlagen, Band 2, S. 199ff. Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, S. 103ff.m.Nw. 106 Vgl. dazu Heller, S. 57ff.; Baruzzi, Hegel, S. 172ff.; jew.m.Nw. 107 Hegel, S. 6ff., 64ff., 78ff. 108 Hegel, S. Iff., 9. 109 Hegel, S. 6ff. 110 Hegel, Verfassung, S. 11. Zur Frage der staatenbündischen Interpretation des Reiches bei Hegel siehe Avineri, S. 59f.; Heller, S. 36ff. 105
8 Grzeszick
114
D. Das Reich und die Revolution
Aus dieser Position forderte Hegel eine Reform des Reiches. Damit aus dem Reich ein deutscher Staat wurde, war vor allem eine Exekutivmacht nötig. Die wesentlichen militärischen Kräfte der Reichsgebiete sollen in eine einheitliche Reichsarmee eingehen, die unter dem Oberbefehl des Kaisers stand und ausschließlich dem Reich zugeordnet war. 1 1 1 Die Reichsarmee sollte nicht über die Fürsten finanziert werden, sondern unmittelbar von den Landständen und den Kreisorganisationen bezahlt werden. 112 Parallel dazu sollte das Reichskammergericht verbessert werden. 113 Als Konsequenz dieser Reformen war eine veränderte Repräsentation der partikularen Reichsteile nötig. Die von Hegel geplante Kreiseinteilung unterschied sich von den alten ständischen Strukturen. Die gewählten Abgeordneten sollten ausdrücklich von den übrigen Gerichtsbarkeiten und Hoheiten frei sein; sie repräsentierten damit die politische Reichseinheit. 114 Auch Hegel erkannte, daß gewisse Funktionen bei den Partikularstaaten bleiben sollten. 115 Eine genaue Abgrenzung der Bereiche von Ländern und Reich sah er aber nicht vor, sondern er beschränkte die Länder auf eine "vage Mitwirkung fürs Allgemeine." 116 Im Vergleich zur Stärkung der Reichsebene durch eine starke Exekutive und die neue Form der gemeinsamen Repräsentation wurden die partikularen Interessen nur wenig berücksichtigt. Hegels Reformplan zur Errichtung einer mächtigen Reichsmonarchie war gegen die germanische Libertät und den Partikularismus der Fürsten gerichtet; er tendierte zu einer modernen, mehr zentralistischen Staatsorganisation im Reichsgebiet.117 Da die Reichskreise der Bezugspunkt der Reformen waren und Hegel die historische Entwicklung des Reiches betonte, implizierten seine Reformpläne ein politisches System, das in die Richtung eines nationalen deutschen Einheitsstaates tendierte. 118 Diese Richtung wurde in Hegels Überlegungen durch die realen Verhältnisse relativiert. Er erkannte, daß sein Reformplan kaum realisierbar war. Die gegebene Machtverteilung zwischen den Reichsmitgliedern stand der Bildung
111 112 113 114 115 116 117 118
Hegel, S. 118ff. Hegel, S. 118f. Hegel, S. 50ff. Hegel, S. 118. Hegel, S. 112ff. Hegel, S. 116f. So auch Angermeier, S. 41; Gagliardo, S. 258f. Hegel, S. 120f.
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einer engen, nationalen Staatenvereinigung in Deutschland entgegen. Und eine Vereinigung unter preußischer Führung lehnte Hegel ab. 1 1 9 Stattdessen sollte die politische Einigung unter einer österreichischen Reichsfuhrung ereicht werden. 120 Hegel gab zu, daß diese Vorstellung unrealistisch war; er flüchtete deshalb zur fiktiven Figur eines Theseus, der die Gründung eines deutschen Staates erzwingen sollte. 121 Die einzelnen Elemente des Reformplans sowie dessen Undurchführbarkeit zeigten, daß die Reichsidee122 und die Reichsstrukturen mit den modernen Ideen von Staatlichkeit nicht vereinbar waren. Angesichts der modernen staatlichen Vorstellungen waren die Reichsstrukturen nicht haltbar, und eine Reform des Reiches scheiterte auch an den Machtverhältnissen. Die Frage nach der staatlichen Zukunft der deutschen Gebiete hatte Hegel in aller Schärfe formuliert. Pläne und Antworten dazu beschäftigten eine Vielzahl zeitgenössischer Autoren, in deren Stellungnahmen die verschiedensten Positionen und Einflüsse eingingen.
bb) Folgen für Pläne über eine deutsche Staatlichkeit (1) Deutsche republikanische Entwürfe (a) Wilhelm Traugott Krug Wilhelm Traugott Krug veröffentlichte 1797 die "Grundlinien zu einer allgemeinen deutschen Republik"; er war zu dieser Zeit Professor für Philosophie und Theologie in Wittenberg. Seine Schrift enthielt Vorschläge zu einer republikanischen Reform der Reichsverfassung und setzte in weiten Teilen die Ideen Kants praktisch um. Auch Krug ging davon aus, daß die alte Reichsverfassung dem Umsturz nahe war und eine Wiederbelebung des alten Reichsverbandes an den Interessen der Länder scheitern würde. 123 Aus den gegebenen Verhältnissen folgerte er,
119
Hegel, S. lOlff. Hegel, S. 108ff. 121 Hegel, S. 120f. 122 Vgl. dazu Hegel, Verfassung, S. 38ff. zu den Gegensätzen zwischen seinen Vorstellungen und der reichsrechtlichen Tradition und S.45ff. zur Frage der Staatsform des Reiches. 123 Krug, S. 114. 120
116
D. Das Reich und die Revolution
daß der gemeinschaftliche Staatskörper des deutschen Reiches zerfallen war. 1 2 4 Seine Reformpläne orientierten sich deshalb nicht an den alten Reichsstrukturen; vielmehr wollte Krug in Deutschland eine republikanische Verfassung einfuhren. 125 Um sich von den alten Reichsverhältnissen zu lösen und gleichzeitig die Gefahr einer gewaltsamen Revolution zu vermeiden, schlug Krug eine territoriale Neubestimmung Deutschlands vor. Er plante Deutschland als ein geschlossenes Territorium auf der Grundlage des alten Reichsgebietes. Allerdings sollten die österreichischen und preußischen Erbländer nicht Teil der neuen Republik werden. Österreich sollte weiterhin das Oberhaupt bzw. die Kaiserkrone über Deutschland haben und mit der deutschen Republik durch ein Bündnis verbunden sein. Dieses Bündnis sowie die territoriale Verkleinerung und Neuorientierung der österreichischen Gebiete sollte dazu führen, daß die Interessen Österreichs mit denen der deutschen Republik übereinstimmten. Preußen hingegen sollte nicht mit der deutschen Republik verbunden sein, da es stets nur seine eigenen Interessen verfolgte. 126 Als territoriale Gliederung der Republik wollte Krug auf die Kreiseinteilung zurückgreifen. Die Kreisstände sollten nun als Grundlage bürgerlicher Wahlen dienen, deren Ergebnis eine "National - Repräsentation" w a r . 1 2 7 Die republikanische Verfassung beruhte auf der Idee des Gesellschaftsvertrages und sollte vor allem die Menschenrechte garantieren. 128 Das Volk war der Souverän und wählte unmittelbar die Repräsentanten zu einer allgemeinen "National - Versammlung", deren Sitz in Erfurt war. Die Verfassung sollte die Menschenrechte garantieren und die Trennung von Legislative und Exekutive festschreiben. Während die Legislative durch die Nationalversammlung direkt ausgeübt wurde, lag die Exekutive bei Direktoren, die vom Gesetzgeber auf Zeit gewählt wurden. 129 Entsprechend der Volkssouveränität dachte Krug an die Errichtung einer Volksarmee nach französischem Vorbild. Sie von den Kreisen gebildet werden und unter dem Befehl der Exekutive stehen. 130 In enger Anlehnung an Kants Idee eines Friedensbundes sollte die deutsche Republik auf der völkerrechtlichen Ebene mit den anderen Staaten einen
124 125 126 127 128 129 130
Krug, Krug, Krug, Krug, Krug, Krug, Krug,
S. S. S. S. S. S. S.
114ff. 118f. 122f. 122f. 124f. 125ff. 136f.
. Zerfall des Reiches
117
Friedensbund schließen. Ausdrücklich sagte Krug, daß die beteiligten Staaten ihre Regierungen unabhängig und selbständig organisieren konnten; 131 ihre Staatlichkeit wurde durch das Bündnis nicht berührt. Krugs Vorstellung von der Zukunft der deutschen Gebiete war deutlich von den französischen Revolutionsideen beeinflußt. Die Erwartung, daß Frankreich die linksrheinischen Eroberungen der deutschen Republik ohne weiteres überließ, 132 zeigte seine idealisierenden Vorstellungen über Frankreich. Dazu kam eine starke antipreußische Tendenz. Da Preußen 1795 den Sonderfrieden abgeschlossen hatte und die österreichische Reichspolitik noch nicht derartig offen von den habsburgischen Interessen bestimmt wurde, konnte dies auch auf den Entstehungszeitpunkt der Arbeit zurückzuführen sein. Aus föderaler Sicht beinhaltete der Vorschlag Krugs eine Trias-Lösung für das Reichsgebiet.133 Die deutsche Republik, die auf der Grundlage der Kreiseinteilung beruhte und damit die politische Stellung der Fürsten beseitigte, war mit den monarchischen Großmächten Österreich und Preußen 134 nur durch außenpolitische Allianzen verbunden. Im Bereich ihrer inneren Staatlichkeit sollten die Länder selbständig bleiben. Genauere Ausführungen zur Organisation der deutschen Republik und ihrer Kreise machte Krug nicht. Die Vorbildfunktion Frankreichs und die im Prinzip zentralistisch und hierarchisch organisierte Volkssouveränität Krugs deuteten aber darauf hin, daß den Kreisorganisationen keine umfangreichen allgemeinen Kompetenzen zukommen sollten. An die Stelle des Reiches trat bei Krug eine Trias aus einer zentralistischen Republik und den völkerrechtlich verbündeten Monarchien Preußen und Österreich.
(b) Anonyme "Kritik der deutschen Reichs Verfassung" Aus der Zeit der Grundlinien Krugs stammte auch die anonyme Schrift mit dem Titel "Kritik der deutschen Reichsverfassung", die von 1796 bis 1798 in drei Bänden erschien. Auch dieses Werk schlug für die deutschen Gebiete eine republikanische Verbindung vor. Es beruhte aber auf einer wesentlich umfangreicheren Analyse des Reiches und versuchte, die organische Gesamtheit des Reiches im Ergebnis zu wahren.
131
Krug, S. 141f. Krug, S. 122. 133 Siehe zur Idee einer Trias umfassend Berg, P., Die deutsche Trias. 134 Preußen war zwar vom Bündnis der Republik mit Österreich, nicht aber vom allgemeinen Friedensbündnis ausgeschlossen. 132
118
D. Das Reich und die Revolution
Der erste Band enthielt eine Bestandsaufnahme der Unzulänglichkeiten des Reiches. In diesem Zusammenhang wurde auch die Staatsform des Reiches behandelt. Der Verfasser stellte fest, daß die Legislative und die davon abhängige "majestas" bzw. die einzelnen Hoheitsrechte zum größeren Teil den Reichsständen zuzuordnen war. Da er die Legislative als Hauptelement der Oberhoheit ansah, bezeichnete er das Reich als Pantokratie der Vertreter der vereinigten deutschen Territorialstaaten unter der Rechtsaztorität eines aus ihrer Mitte gewählten und mit einem Vetorecht ausgestatteten Kaisers. 135 Hinter dem Begriff der Pantokratie verbarg sich die wesentliche Kritik an der Reichsverfassung, nämlich die übermäßige und unangemessene Aufteilung von Hoheitsrechten im Reich sowie die Vermischung von legislativen und exekutiven Kompetenzen. Ziel der Schrift war, die verschiedenen Kompetenzen des Staates eindeutig zu trennen und zuzuordnen, was republikanischen Vorstellungen entsprach. 136 Bezüglich des Reichstages schlug der Autor vor, daß die Vertreter der Stände nicht mehr als Gesandte der Fürsten, sondern als Vertreter mit vollem Stimmrecht bevollmächtigt werden sollten, um Verzögerungen zu vermeiden. Weiter sollten die Abgeordneten nur aus den Mitgliedern der Landstände ernannt werden können, und der Reichstag sollte als einheitliches Organ und nicht nach Kollegien getrennt auftreten. 137 Die erste Tätigkeit des reformierten Reichstages war eine umfassende Kodifizierung der Legislative im Reich. Dies umfaßte sowohl die Beziehung zwischen den Fürsten und dem Reich als auch die Stellung der Fürsten in ihren Territorien. Dem Kaiser sollten durch diesem staatsorganisatorische Grundgesetz die für eine effektiven Nationalexekutive nötigen Hoheitsrechte zugeordnet werden, und bei seiner Wahl sollten alle reichsständischen Regierungen teilnehmen. Bezüglich der Gesetzgebung war die Funktion des Kaisers beschränkt auf die Möglichkeit eines Vetos, wie es die Reichsverfassung vorsah. 138 Hauptkritikpunkt an der Reichsverfassung war die Landeshoheit der Territorien. Der Autor sah darin den Grund für die faktische Souveränität der Territorien. 139 Die Mängel des Reiches in innen- und außenpolitischen
135 136 137 138 139
Kritik, Kritik, Kritik, Kritik, Kritik,
Band Band Band Band Band
1, 2, 1, 1, 2,
S. S. S. S. S.
57. 56. 70ff., 138f., 263. 76, 181ff., 267. 131.
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Angelegenheiten waren darauf zurückzuführen, daß die Fürsten an der Legislative teilnahmen, die ausschließlich Sache von Reichstag und Kaiser sein sollte. Diese Landeshoheit stand einer strikten Gewaltenteilung entgegen, und das Bündnisrecht der Territorien sowie deren Mißachtung der Sprüche des Reichskammergerichts bedrohten die Integrität des Reiches. Obwohl das Reich nach seiner Verfassung ein Staat sein sollte, machte die Landeshoheit in der Praxis die Territorien zu eigenen, unabhängigen Staaten.140 Als Beispiel nannte der Autor die Militärverfassung des Reiches, die er reorganisieren wollte. 1 4 1 Im dritten Band der Kritik fand sich schließlich ein umfassender Entwurf für eine reformierte Reichsverfassung. Der Band wurde erst 1798 nach dem Frieden von Campo Formio veröffentlicht, und die repräsentativen und republikanischen Elemente der früheren einzelnen Reformvorschläge wurden nun stärker betont. Der Reichstag sollte von den deutschen Völkerschaften gewählt werden und die gesamte Legislative im Reich und in den Territorien ausüben. Dazu sollte der Großteil der Steuern an die Nationalversammlung weitergegeben werden. Der Kaiser wurde von der Nationalversammlung unter den Fürsten ausgewählt. Die Territorialherren sollten vom Kaiser unabhängig sein; sie bildeten gemeinsam mit den kaiserlichen Ministern die oberste Exekutivgewalt. Weiter war ein oberstes Reichsgericht geplant, dem alle Territorialgerichte untergeordnet waren. Die von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze und die Urteile des Reichsgerichts sollten notfalls mit Zwang durchgesetzt werden; die entsprechenden Truppen unterstanden allein dem Befehl des Kaisers. 142 Die Territorialherren verloren wegen dieser Kompetenzverteilung die Landeshoheit; sie handelten als Provinzialgouverneure unter kaiserlicher Autorität. Auch die Besteuerung sollte nicht mehr durch die Fürsten, sondern ausschließlich durch Reichsgesetze erfolgen. An eine Wiederbelebung der Reichskreise dachte der Autor nicht mehr. An die Stelle der zwischen den Territorien und dem Reich stehenden Kreisorganisation trat nun das Erfordernis, die Einheit des Reiches zu stärken. Die Gesetzgebung und Regierung der Territorien sollte daher von einer einheitlichen Legislative und Exekutive ausgehen, anstatt auf der Eigenständigkeit der Territorien zu
140 141 142
Kritik, Band 2, S. 157. Kritik, Band 2, S. 149ff., 215ff. Kritik, Band 3, S. 72ff.
120
D. Das Reich und die Revolution
beruhen. Die Territorialherrscher sollten demnach von der gemeinsamen obersten Herrschaft abhängig sein. 143 Als praktische Grundlage einer entsprechenden Reichsreform sollten im Reich alle Domänen aufgehoben oder auf die Reichsexekutive übertragen werden. Gleichfalls sollten die Regalien der Reichsexekutive zugeordnet werden, um eine einheitliche Nutzung zum Wohl aller Reichsbewohner sicherzustellen. 144 Begleitet wurden diese Ideen von einer Stärkung der Staatswirtschaft des Reiches, die auf verschiedene, teilweise interventionistische Maßnahmen gestützt wurde. 145 Die im ersten Band vorgesehenen republikanischen Reichsreformen bekamen durch diese Änderungen eine neue Richtung. Die Souveränität, deren Kernstück die Gesetzgebung war, befand sich nun bei der direkt gewählten Nationalversammlung und damit beim Volk. Die republikanisch genannten Reformen betrafen daher nicht nur, wie bei Kant, die Regierungsform, sondern veränderten die Legitimität der staatlichen Herrschaft. Diese neue republikanische Legitimation ermöglichte die Beseitigung der partikularen Landeshoheit, eines der Hauptziele des Verfassers. 146 Die problematische Frage nach der Verteilung der Hoheitsrechte sowie nach der Souveränität bzw. Staatlichkeit im Reich beantwortete er im Sinne einer republikanischen Volkssouveränität, die national unitarische Tendenzen hatte. Allerdings muß auch hier die theoretische Interpretation anhand der praktischen Umstände relativiert werden. Der Friede von Campo Formio hatte die Stellung der größeren Fürstentümer bestätigt und die Notwendigkeit einer Reform zur Erhaltung des Reiches offengelegt. 147 Die Vorschläge im dritten Band der Kritik erscheinen vor diesem Hintergrund eher als Anregungen denn als realisierbare Pläne.
(2) Entwürfe
auf Basis der tradierten
Reichsverfassung
Im Gegensatz zu den republikanischen Vorschlägen einer Reichsreform gab es verschiedene Entwürfe, die prinzipiell sowohl an der Legitimität als auch an
143 144 145 146 147
Kritik, Band 3, S. 108. Kritik, Band 3, S. 39ff. Kritik, Band 3, S. 227ff. In diesem Sinn die Interpretation bei Gagliardo, S. 180ff. Vgl. Gagliardo, S. 183.
II. Zerfall des Reiches
121
der Form der Reichsverfassung festhielten. Diese Entwürfe gaben neben den individuellen Ideen des jeweiligen Verfassers auch die politischen Einflüsse wieder.
(a) Preußische Vorschläge einer dualistischen Reichsaufteilung Aus dem Jahr 1800 stammte der Vorschlag von Christian Wilhelm Dohm, unter preußischer Führung die kleineren norddeutschen Länder in einem Bund zu vereinigen. 148 Die Denkschrift Dohms repräsentierte die preußischen Interessen im Reich. Er sah im preußisch dominierten Bund den einzigen Weg zur Erhaltung eines einheitlichen politischen Deutschlands. Alle die Verteidigung betreffenden Hoheitsrechte sollten dem preußischen König als Bundesoberhaupt zustehen. Die übrigen Hoheitsrechte sollten bei den Territorialherrschern bleiben. Aufgrund der politischen Interessenlage sah er nur die norddeutschen Gebiete als Bundesmitglieder vor. Der Bund selbst sollte aus den vier Kreisen Preußen, Hannover, Sachsen und Hessen-Kassel bestehen, wobei Preußen die Stellung eines Bundesdirektors hatte. Streitigkeiten unter den Mitgliedern sollten von einem unabhängigen Gericht entschieden werden. Der preußische Oberst Massenbach schlug in einer Denkschrift vom Januar 1801 eine Union der nördlichen und westlichen Länder Deutschlands mit dem preußischen König vor. 1 4 9 Die beteiligten Fürsten sollten gemeinsam einen großen Staat bilden, zu dessen erblichem Haupt der König von Preußen auf einem großen Reichstag zu Braunschweig erklärt werden sollte. Die Mitgliedschaft der Länder im Reich sollte dadurch erlöschen. Die Stadt Braunschweig sollte für den nordwestdeutschen Staat die Funktionen des Reichskammergerichts, des Reichshofrats und des Reichstags übernehmen. Die Bundesfürsten sollten jeweils militärische Kontingente vorhalten, die in Anlehnung an die Figur des ersten kreisausschreibenden Fürst Feldmarschalls des Reiches unter dem Befehl des preußischen Königs standen. Die süddeutschen Fürsten in Baden, Württemberg und Bayern sollten von der Verbindung ausgeschlossen sein, da sie dem österreichischen Einflußbereich zugeordnet wurden. Diese Grundsätze betonte Massenbach auch in einer weiteren Denkschrift vom Mai 1801. 150 Vom April 1801 stammte ein ähnlicher Vorschlag von Heinrich Adam Dietrich von Bülow. Aufgrund der militärischen Bedrohung durch Frankreich
148 149 150
Dohm, Wie könnte Deutschland, S. 21 Iff. Massenbach, S. 397ff. Massenbach, S. 171ff.
122
D. Das Reich und die Revolution
forderte er, die norddeutschen Gebiete unter eine preußische Unionsherrschaft zu stellen. Die kleineren Reichsstände sollten dabei aufgelöst werden. 151 Als Teil einer literarischen Fehde mit Bülow 1 5 2 veröffentlichte Hans von Held 1804 eine Schrift mit dem Titel "Der Moloch unserer Tage". 153 Zur Herstellung stabiler politischer Verhältnisse forderte auch er ein preußisch dominiertes Norddeutschland. A n die Stelle der bisherigen kleineren Territorien sollten fünf oder sechs große Fürstentümer treten. Im Gegensatz zu den früheren Autoren gelangte er aber zu der Ansicht, daß Preußen und Österreich sich gegen Frankreich verbünden sollten. Der Hauptschluß und die Gefahr einer napoleonischen Vorherrschaft über Europa überlagerten hier den österreichisch-preußischen Gegensatz im Reich, der die früheren Schriften noch maßgeblich bestimmt hatte.
(b) Süddeutsche Vorschläge einer Trias oder Kreiseinteilung Die Interessen der kleineren süddeutschen Stände prägten die Schriften des Neubronner Pfarrers Johann Gottlieb Pähl. 1 5 4 Grundidee war hier die Betonung des "Dritten Deutschlands" der kleinen südeutschen Stände, die ähnlich der Kreisorganisation eine eigenständige Reichsposition gegenüber der Macht der gößeren Fürsten ermöglichen sollte. 155 Angesichts der Friedens Verhandlungen in Lunéville enwickelte Pähl 1801 den Vorschlag einer Reichsreform. 156 Um einen vollständigen Zerfall des Reichsverbandes zu verhindern, forderte er die Bildung von 14 größeren Reichsständen. Die geistlichen Stände sollten durchweg säkularisiert werden. Die reorganisierten großen Stände sollten aber weiterhin Landeshoheit haben, und auch sonst wollte Pähl prinzipiell am Kaiser und der Reichsverfassung festhalten. Neben diesem allgemeinen Reichsverband dachte er aber an einen besonderen, ewigen Verein, in dem als dritte Macht neben Österreich und Preußen die restlichen zwölf deutschen Fürsten verbunden sein sollten. Dieser Fürstenbund sollte als eigenständige Macht fungieren und gegebenenfalls auch
151 152 153 154 155 156
Bülow, Blicke auf zukünftige Gegebenheiten. Dazu Schulz, S. 72 m.Nw. Held, Moloch. Zur Person Pähls siehe Allg. Dt. Biogr., S. 69ff. Vgl dazu Schuck, S. 31ff.m.Nw. Pähl, Patriotischer Appell.
. Zerfall des Reiches
123
auswärtige Mächte zum Schutz seiner Neutralität anhalten. Dieser Plan lief hinaus auf eine Trias von Preußen, Österreich und den in einem Bund zusammengeschlossenen übrigen Fürsten. Im übrigen blieb Pähl bei der Reichsverfassung, und er betonte 1803 ausdrücklich, daß trotz des Reichsdeputationshauptschlußes die Verfassung und das Reich weiterexistierten, solange die Territorien volle Souveränität und Unabhängigkeit nicht erlangten. 157 Auf entsprechender Grundlage bewegten sich auch die Reorganisationspläne von Karl von Soden, 158 die er 1801 und 1802 vortrug. 159 Wie Pähl nahm auch Soden die Säkularisation der kirchlichen Stände hin. Als Basis einer Reichsreform dachte er aber an die Erneuerung der Reichskreise. Sein Plan beruhte auf der Bildung von insgesamt sieben großen Kreisen. Während Österreich und Preußen einschließlich Böhmen und Schlesien jeweils einen Kreis bildeten, bestanden die übrigen fünf jeweils aus mehreren Fürstentümern. Die Reichskreise sollten stehende Heere bereitstellen, worüber der Kreis Obrist wachte. Die Kreistruppen waren von den Haustruppen der Fürsten streng zu trennen und sollten allein dem Reich unterstehen. Die fünf gemischten Kreise bildeten nach Soden ein enges Bündnis, um ihre bewaffnete Neutralität abzusichern. Zu diesem Zweck konnten sie sich auch mit ausländischen Mächten, wie der Schweiz, verbünden. Erfurt sollte der Versammlungssitz dieses "Kreis - Bundes" sein. Soden plante Plenarsitzungen, an denen alle Mitglieder der fünf gemischten Kreise beteiligt sein sollten. Außer bei wichtigsten Angelegenheiten sollten die fünf Direktoren der gemischten Kreise zu Entscheidungen auf der Versammlung befugt sein. Soden wollte an der Reichsverfassung festhalten. Er betonte, daß die reformierten Kreiseinrichtungen in die Reichsverfassung integriert und dadurch der Kaiser, der Reichstag und das Kammergericht gestärkt werden sollten. An praktischen Vorschlägen brachte Soden aber nur das Vorhaben, daß jeder Reichsstand und nicht nur die Kreisdirektoren mit der Exekution von Kammergerichtsurteilen beauftragt werden konnte. Eine Umsetzungen seiner Ideen fehlten.
157 158 159
Pähl, Ist die teutsche Reichsverfassung nicht mehr die alte ? Zu den biographischen Daten siehe Allg. Dt. Biogr., S. 533. Soden, K., Zugabe; ders., Erinnerung.
124
D. Das Reich und die Revolution
Im Mai 1802 wandte er sich erneut an die Öffentlichkeit, um im Rahmen der Neuordnung der Reichskreise auf seine Ideen hinzuweisen. 1 6 0 Seine Vorschläge wurden aber nicht berücksichtigt. Aus der Zeit nach dem Reichsdeputationshauptschluß stammte der Reformvorschlag von Gottlob Heinrich Heinse. 161 Der Titel der Schrift "Der Deutsche Fürstenbund nach den Forderungen des 19. Jahrhunderts, von Hieronimus a Lapide dem Jüngeren" belegte, daß die damaligen Reformautoren nicht nur die Grundlagen der Reichspublizistik kannten, sondern auch zeitgenössische Entwicklungen als Teile einer umfassenden und längerfristigen Entwicklung deuteten. Auch Heinse plädierte für eine Trias aus Österreich, Preußen und einem Bund der übrigen deutschen Fürsten, um Deutschland zu erhalten. Der Fürstenbund sollte gegenüber Preußen und Österreich neutral sein. Die Bundesmitglieder selbst sollten frei und unabhängig bleiben, aber ein gemeisames Heerwesen bilden. Die Kontingente der kleineren Länder wurden den vier Kurfürsten unterstellt. Der Generalkriegsrat, der das Heerwesen verwaltete, sollte die Leitung der Armee einem Generalbefehlshaber übertragen. Bezüglich der weiteren politischen Bundesorganisation erklärte Heinse generell, daß der Bund die inneren Verhältnisse der Länder nicht veränderte und insoweit die Reichsverfassung weiterhin zur Geltung kam. In auswärtigen Angelegenheiten war die Hoheit der Länder aber insofern beschränkt, als daß die Bundesmitglieder nur durch einen gemeinsamen Bevollmächtigten handeln sollten. Der Verfasser betonte, daß mit dieser Bundesstruktur nicht nur Deutschland, sondern allgemeiner das europäische Machtgleichgewicht erhalten werden sollte. Das theoretisch und praktisch schwierige Verhältnis zwischen der Bundesorganisation und der alten Reichsverfassung konnte er aber nicht lösen. 162
(c) Beharren auf der tradierten Reichsverfassung Neben den verschiedenen Anregungen zu Reformen gab es weiterhin Stimmen, die an der tradierten Reichsverfassung festhielten und Reformen
160 161
Soden, K., Erinnerungen. Heinse, Der Deutsche Fürstenbund. Zu den biographischen Angaben siehe Gagliardo, S.
251. 162
So auch Schulz, S. 38.
II. Zerfall des Reiches
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generell ablehnend gegenüberstanden. Dabei wurden verschiedenste Gründe und Interessen angeführt. Der Frankfurter Professor Johann Reitemeier 163 votierte zugunsten einer Arrondierung der größeren deutschen Stände auf Kosten der kleineren, um die Macht des Reiches zu stärken. 164 Nach Darlegung verschiedener Wege zur Sicherung der politischen Existenz Deutschlands, bei der er auch die Bündnisse in der Schweiz, den Niederlanden und in Amerika berücksichtigte, erschien ihm allein ein Zusammenschluß zwischen den großen und den kleineren Ländern als praktikabel. Die Gebiete der kleinen Reichsstände wurden dabei in die der großen inkorporiert, was dem Interesse aller Beteiligten entsprechen sollte. Diese territorialen Bereinigungen sollte notfalls auch mit Zwang vorgenommen werden. 165 Reitemeiner hielt auch nach dem Friedensvertrag von Lunéville an diesen Plänen fest. 166 Die Festigung der Macht von Kaiser und Reich erstrebte auch der geheime Hofrat Braun. 167 In seiner Schrift aus dem Jahr 1802 168 stellte er fest, daß dafür die Reichsverfassung die beste Grundlage war. Allerdings waren kleinere Reformen nötig. Vor allem die Reichsjustiz sollte verbessert werden. Braun dachte an die Einführung eines allgemeinen deutschen Zivilrechts nach dem Vorbild des preußischen Allgemeinen Landrechts, an eine Verbesserung der Halsgerichtsordnung und an eine schnelle und effektive Vollstreckung der Urteile. Weiter sollten Maße und Gewichte vereinheitlicht werden. Die bestehenden Kreisverfassungen sollten geographisch und politisch stärker zusammengefaßt werden, und Kreis Versammlungen sollten mindestens einmal im Jahr einberufen werden, wobei Beschlüsse mit Stimmenmehrheit möglich waren. Die Kreistruppen sollten in größeren Einheiten zusammengefaßt und einheitlich ausgebildet werden. Schließlich appellierte Braun allgemein an die Reichsstände, sich reichsfreundllich zu verhalten, die Verfassung zu beachten und möglicherweise durch Vereinigungen zu größeren Verbänden das Reich zu stärken.
163
Zur Person Reitemeiers siehe Stolleis, Geschichte 1, S. 314; ders., Geschichte 2, S. 215f.; Allg. Dt. Biogr., S. 154ff. 164 Reitemeier, Kann Deutschland. 165 Reitemeier, Vorschläge. 166 Reitemeier, Vorschläge. 167 Zu den biographischen Daten siehe Neue Dt. Biogr., S. 552. 168 Braun, Allgemeine Grundzüge.
126
D. Das Reich und die Revolution
Konkret verlangte er, daß die Stände bei den größeren Nachbarstaaten nur noch durch einen gemeinsamen Residenten vertreten sein sollten; weitere Vorschläge zur Reformierung des Reiches und der Stände machte er nicht. Aus dem Jahr 1803 stammte ein Denkschrift Hardenbergs, die gleichfalls die Erhaltung des Reiches verfolgte. 169 Auch Hardenberg war von der Qualität der Reichsverfassung überzeugt. Um den Reichsverband zu beleben, schlug er einen Zusammenschluß der mindermächtigen Staaten vor, damit diese sich gegenüber den mächtigeren Reichsständen und deren reichsfeindliche Politik behaupten konnten. Durch diese Vereinigung sollten die kleinen Reichsstände auch gegen mögliche Mediatisierungen geschützt werden. Hardenberg sah in den kleinen Ständen die Grundlage des Reichsverbandes, und selbst im Jahr 1805 blieb er bei diesem Plan einer erhaltenden Reichsreform. 170 Die kleineren Stände sollten Rang und Besitz behalten. Zugunsten einer effektiven Reichsmacht sollten sie aber die Prärogative und die Landeshoheit verlieren, womit vor allem die außenpolitischen Kompetenzen gemeint waren. In Anlehnung an die tatsächlichen Machtverhältnisse sollte die militärische Macht des Reiches allein von Österreich und Preußen ausgeübt werden. Auch der anonyme Verfasser einer Schrift an die Freunde des gemeinsamen Vaterlandes forderte noch nach dem Reichsdeputationshauptschluß eine Regeneration auf der Grundlage der Reichsverfassung, 171 die zur Festigung der inneren und äußeren Kräfte des Reiches führen sollte. Zunächst verlangte er von den Fürsten ein reichstreues Verhalten. Sie sollten keine Verträge gegen den Kaiser oder andere Reichsstände schließen. Weiter sollten sie mit dem Kaiser eine einheitliche Regierung und Militärmacht bilden sowie die Reichsgesetze beachten. Der Kaiser sollte damit eine starke Hausmacht bekommen und diese gleichmäßig für die Interessen des Reiches einsetzen. Gleichfalls sollte das Kurfürstenkollegium und der Erzkanzler im Sinne der Reichsinteressen enger zusammenarbeiten. Die protestantische Mehrheit im Reichsfürstenrat sollte die katholischen Repräsentanten nicht majorisieren. Zur Stützung des Handels sollten die stark dezimierten freien Reichsstädte ihre Verfassungen behalten. Die Arbeit des Reichstages sollte beschleunigt werden, und angesichts der neuen territorialen und politischen Verhältnisse sollten die Kreise neu eingeteilt und den Kreisdirektoren mehr Kompetenzen zugeordnet werden.
169 170 171
Hardenberg in preuß. Staatsarchiv. Hardenberg in: Ranke, S. 352. anonym, Deutschlands höchstnotwendige Regeneration.
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Neben der Regeneration der Reichsjustiz sollte auch die kaiserliche Reichsverwaltung gestärkt werden. Der Kaiser sollte für alle Länder oberste richterliche Gewalt und die Aufsicht über Polizei, Zoll-, Steuer-, Post- und Münzwesen sowie Maße und Gewichte erhalten. Für die katholischen Teile Deutschlands empfahl der Autor die Bildung einer eigenen Landeskirche nach französischem Vorbild. Schließlich sollte das Reichsregiment wieder aufgerichtet werden, was gegenüber der zentralistischen Stärkung der kaiserlichen Macht ein Gegengewicht zugunsten der partikularen Interessen bildete, aber gleichfalls in die Reichsstrukturen eingebunden war. Einheit und Unteilbarkeit des Reiches sollten damit gesichert werden. Ein schärferer Angriff gegen die staatlichen Funktionen der katholischen Kirche stammte von Johann Paul Harl. 1 7 2 Nach den Veränderungen durch Mediatisierung und Säkularisation warnte er vor einer engen Verbindung zwischen der katholischen Kirche in Deutschland und dem Papst. Er forderte, daß alle staatlichen Einrichtungen der katholischen Kirche dem säkularen Staat unterstellt werden sollten. Auch der Schriftsteller Friedrich von Gentz beschäftigte sich mit der Frage der Reichsexistenz. In einem Memoire von September 1804 173 hatte er seine Reformüberlegungen festgehalten. Als politisches Ziel definierte Gentz die Bildung eines deutschen Nationalstaates. Da dies aber angesichts der partikularistischen Reichstradition und der tatsächlichen Machtverteilung nicht möglich war, forderte Gentz eine Verbindung zwischen Österreich und Preußen, um das Reichskaisertum wiederzubeleben. Durch diese Regenerierung der Kräfte sollte der Reichstag zu einer effektiven obersten Legislative werden, und der Einfluß der ausländischen Herrscher im Reich sollte zurückgedrängt werden. Das gestärkte deutsche Reich konnte dann auch zur Herstellung der verlorengegangenen europäischen Mächtebalance beitragen.
(3) Staatsrechtlicher Übergang von der Reichsverfassung zu modernen Bundesvorstellungen (a) Methodische Kontinuität und neues Grundverständnis Ein wesentliches Merkmal der Publizistik zum gesamten Staatsrecht und damit auch zu den föderalen Staatenverbindungen war der juristisch-
172 173
Harl, Deutschlands neueste Staats- und Kirchenveränderungen. Gentz in Schlesier, S. 23ff. Zu den Umständen des Mémoires siehe Schulz, S. 24.
128
D. Das Reich und die Revolution
methodische Positivismus, der von der Reichspublizistik über die Einschnitte von Reichsdeputationshauptschluß und Rheinbundgründung hinaus wirkte. 1 7 4 Die von Johann Jacob Moser, Johann Stephan Pütter und der Göttinger Schule geprägte historisch-dogmatische Vorgehensweise, die primär am positiven Recht orientiert war, führte in der Zeit nach 1803 rasch zu fundierten juristischen Darlegungen der geänderten Verhältnisse. 175 Hervorragende Beispiele dafür sind die Werke von Johann Ludwig Klüber, Günther Heinrich von Berg und Karl Solomo Zachariä. Sie gelangten zwar erst nach der förmlichen Reichsauflösung zur vollen Entfaltung, da mit dem Rheinbund eine staatsrechtlich moderne föderale Verbindung zur Grundlage der Analysen wurde. Die Anfange des Übergangs wurden aber bereits früher sichtbar. Johann Ludwig Klüber veröffentlichte 1803 eine verfassungsrechtliche Schrift mit dem programmatischen Titel "Einleitung zu einem neuen Lehrbegriff des teutschen Staatsrechts". Neben den modernen Einflüssen war das Werk Klübers noch stark von der historisch-positivistischen Methode beeinflußt, was Klüber auch betonte. 176 Argumentation und Aufbau dieses Grundwerkes entsprachen weitgehend den Darlegungen Pütters und dessen Anhänger. 177 Gleiches galt für die Arbeiten von Berg und Zachariä, deren Schwerpunkt aber in der Zeit des Rheinbundes lag. Unter Wahrung der methodischen Kontinuität entwickelte sich inhaltlich aber ein neues Grundverständnis von Staat und Verfassung. Die staatsrechtlichen Abhandlungen waren mehr an den Ideen des aufgeklärten Naturrechts orientiert als die Arbeiten der früheren Reichspublizisten. Bemerkenswert war, daß die führenden staatsrechtlichen Abhandlungen in der Zeit nach 1803 bzw. 1806 dieses Grundverständnis mit der tradierten Methodik verbanden. 178 Diese Werke gaben daher sowohl den Bruch als auch die Kontinuität in der staatsrechtlichen Entwicklung wieder. Stellvertretend für dieses neue Staatsverständnis waren wiederum die Überlegungen Klübers. Er ging von der modernen Staatsvertragslehre aus 179
174 175 176 177
Vgl. dazu die Untersuchung in Wyduckel, S. 178ff.m.Nw. Vgl. Smend, Der Einfluß; Stolleis, Geschichte 2, S. 75. Klüber, Einleitung, S. 9, 69f. Siehe dazu die Stoffaufteilung durch die Kapitel der "Einleitung" und Klüber, Einleitung,
S. 2ff. 178 179
Vgl. dazu auch Quaritsch, S. 481ff.; Schmidt-Aßmann, S. 99f.; jew.m.Nw. Klüber, Staatsrecht des Rheinbundes, S. 1; ders., Öffentliches Recht, 4. Aufl., S. 1.
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und sah den Staat als Subjekt der Hoheitsrechte. 180 Das moderne vernünftige Staatsrecht wurde sowohl für die Grundlagen als auch bei den Lücken des positiven Rechts angewandt. 181 Auch der Würzburger Staatsrechtsprofessor Wilhelm Joseph Behr forderte in seinem 1804 veröffentlichtem "System der allgemeinen Staatslehre" eine moderne, naturrechtlich und liberal verfaßte Monarchie; die Einflüsse der Aufklärung und der Französischen Revolution auf sein Staatsbild waren unverkennbar. 182
(b) Ausgangspunkt: Charakter der Reichsverfassung nach 1803 Die Verbindung von tradierter Methodik und naturrechtlichen Grundlagen bestimmte allmählich auch die Diskussion über die Reichs Verfassung. Insbesondere nach der grundlegenden Umgestaltung des Reichsverbandes durch den Deputationshauptschluß rückte die Frage nach der Staatlichkeit des Reiches in den Vordergrund.
(c) Johann Gottlieb Pähl Der den kleinen Ständen seiner schwäbischen Heimat nahestehende Pfarrer Johann Gottlieb Pähl 183 betonte 1803, daß die nun an Zahl reduzierten, an Größe aber arrondierten Stände eine bessere Grundlage für die Reorganisation des Reiches sein konnten. 184 Anstatt die Bildung größerer Mittelstaaten als einen entscheidenden Schritt hin zur Reichsauflösung zu sehen, 185 deutete er den Deputationshauptschluß als einen von vielen Vorgängen im historischen Werdegang der Reichs Verfassung. Die tatsächlichen Folgen der Veränderungen waren aber auch ihm offenbar, denn er beeilte sich mit der Feststellung, daß die Verfassung des Reiches fortbestand, solange die Territorien nicht die Souveränität im Sinne einer vollen Unabhängigkeit erlangt hatten. 186
180 181 182 183 184 185 186
Klüber, Einleitung, S. 123f. Klüber, Einleitung, S. 9, 69f. Zur Bewertung des "Systems" von 1804 siehe Stolleis, Geschichte 2, S. 67f.m.Nw. Zum bibliographischen Hintergrund siehe Allg. Dt. Biogr., S. 69ff.m.Nw. Pähl, Ist die teutsche Verfassung nicht mehr die alte? So Gagliardo, S. 247f. Pähl, Ist die teutsche Verfassung nicht mehr die alte?, S. 317ff.
9 Grzeszick
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(d) Andreas Joseph Schnaubert Auch Andreas Joseph Schnaubert 187 hielt in seinem 1806 veröffentlichten Lehrbuch noch an der Staatlichkeit des Reiches fest. 188 Allerdings traten bei der Beschreibung der Reichsstaatlichkeit schon Elemente des modernen, kritischen Naturrechts in den Vordergrund. Er erkannte an, daß das Reich und die Territorien jeweils eigene Verfassungen hatten. 189 Hintergrund der Verfassungen von Reich und Ländern war das naturrechtliche allgemeine deutsche Staatsrecht. 190 Dazu wurde bei seiner Darstellung das Reich von zwei modernen Elementen geprägt. Zum einen sprach Schnaubert von einem eigenen Reichsbürgerrecht, das auf die Idee des Staates als Bürgerverband hindeutete. Weiter faßte er die Reichsbürger unter dem Begriff der Nation zu einem Staat zusammen. 191 Die Entwicklung zum liberalen nationalen Verfassungsstaat schien in diesen Begriffen schon angedeutet zu sein.
(e) Theodor von Schmalz Parallel zum Werk Schnauberts entstand 1805 das Handbuch von Theodor von Schmalz. 192 Wie Schnaubert sprach Schmalz von der Staatlichkeit des Reiches und bestimmte sie nach den Vorstellungen Pütters. 193 Sein Werk war aber in Aufbau und Inhalt von den Ideen Kants geprägt. Staatszweck war für Schmalz vor allem die Rechtssicherheit, die dem Bürger gewährt werden konnte. 194 Der erste Teil des Handbuches handelte von den Grundlagen der Territorien und des Reiches. Schmalz trennte zwischen Reichsund Territorialverfassung genauso wie zwischen der Regierungsmacht im Reich und in den Territorien; gleich Schnaubert sprach er vom Reich als einer Nation. Im zweiten Teil behandelte er dann die einzelnen Staatsgewalten und Hoheitsrechte; er betonte dabei vor allem die Territorialgewalt.
187
Zu den bibliographischen Daten siehe Allg. Dt. Biogr., S. 83f. Schnaubert, Lehrbuch, § 44. 189 Schnaubert, Lehrbuch, §§ 149ff. 190 Vgl. dazu Stolleis, Geschichte 2, S. 57. 191 Schnaubert, I^hrbuch, § 44. 192 Schmalz, Handbuch des teutschen Staatsrechts. Zur Person von Schmalz siehe Huber I, S. 144f.; Allg. Dt. Biogr., S. 624ff.m.Nw. 188
193 194
Schmalz, Handbuch des teutschen Staatsrechts, §§ 30ff. Siehe dazu auch Schmalz, Das Recht der Natur.
II. Zerfall des Reiches
131
(f) Adam Christian Gaspari Der Oldenburger Professor Adam Christian Gaspari 195 behandelte in seinen Arbeiten insbesondere die Auswirkungen des Deputationshauptschlusses auf die Reichsverfassung. In seiner Schrift aus dem Jahr 1803 wandte er sich ausdrücklich gegen die Sichtweise des Reiches als eine föderale Verbindung selbständiger Staaten. Das Reich war keinesfalls ein lockeres Staatenbündnis mit dem alleinigen Zweck der gemeinsamen Verteidigung. Er betonte den Charakter des Reiches als eine einheitliche, staatliche Monarchie, die durch die Beteiligung der Stände beschränkt war. Die Stände hatten dabei keine direkte Mitherrschaft über das Reich, sondern nur Rechte in Bezug auf die Beratung und Beurteilung bestimmter Angelegenheiten. Die Oberhoheit als höchste Autorität lag bei der Einheit von Kaiser und Reich, und jede andere Hoheit war davon abgeleitet. Die Landesherren waren deshalb nach Gaspari nicht "Herren des Landes", sondern Repräsentanten des Kaisers. Sie waren weder souverän noch waren ihre Länder Staaten, da ihr Waffenrecht und ihre Gesetzgebung beschränkt waren. 196 Das Vetorecht des Kaisers bezüglich der Reichsgesetzgebung wirkte gegen die Versuche der Fürsten, das Reich zu einer föderalen Union souveräner Staaten umzugestalten. Gaspari berief sich zur Verteidigung der Reichsstruktur auf den Gedanken der germanischen Libertät. Nur durch den Kaiser seien die Deutschen frei; ohne das kaiserliche Veto wären die deutschen Gebiete kein Reich und die Einwohner dem Despotismus der Fürsten ausgeliefert. 197 Obwohl Gaspari eine Stärkung des kaiserlichen Ansehens verlangte, dachte er nicht an eine Stärkung der tatsächlichen kaiserlichen Macht. Er sah in den gegebenen Machtverhältnissen des Reiches den wesentlichen Vorteil der Reichs Verfassung, und er deutete auch den österreichisch-preußischen Dualismus als Teil dieser Machtaufteilung. 198
(g) Nikolaus Thaddäus von Gönner Ähnlich Gaspari verteidigte auch Nikolaus Thaddäus von Gönner 199 die Staatlichkeit des Reiches. Auch Gönner sah das Reich als Staat im Sinne einer
195
Zum persönlichen Hintergrund siehe Allg. Dt. Biogr., S. 394. Gaspari, Band 1, S. 61ff. 197 Gaspari, Band 1, S. 68f. 198 Gaspari, Band 1, S. 70ff. 199 Zu den biographischen Daten siehe Allg. Dt. Biogr., S. 367; Neue Dt. Biogr., S. 518f.; jew.m.Nw. 196
132
D. Das Reich und die Revolution
beschränkten Wahlmonarchie, in der die territoriale Macht von der Reichsgewalt abgeleitet und die Territorien Kaiser und Reich untergeordnet waren. Die Einwohner betrachtete er als Träger einer Reichsbürgerschaft. 200 Ausgehend von dieser positivistischen Sicht der Reichsverfassung versuchte Gönner, die tatsächlichen Verhältnisse stärker zu berücksichtigen. 201 Er sagte, daß im Reich verschiedene Hoheitsrechte auf die Territorien übergegangen waren, und daß diese Rechte vom Kaiser nicht zurückgefordert werden konnten. Die staatliche Macht des Reiches war daher zum Zweck der besseren Ausübung der Regierungsgewalt auf die Territorialstaaten aufgeteilt. Gönner betonte aber, daß diese dauernde Hoheitsmacht der Länder ihren Ursprung und ihre fortdauernde Geltung aus der Souveränität des Reiches bezogen. 202 Gönner sah daher das Reich als einen aus mehreren Staaten bestehenden Staatskörper an, der eine gemeinsame oberste Staatsgewalt hatte. 203 Die Landeshoheit als eine eigene Staatsgewalt der Territorien war dem Reich untergeordnet. 204 Die Überlegungen Gönners zeigten deutlich die Spannungen zwischen der Reichsverfassung und den modernen staatsrechtlichen Gedanken. Die Ableitung der Hoheitsrechte aus der übergeordneten Souveränität des Reiches, die begriffliche Trennung von Souveränität, Hoheitsrechten und Staatlichkeit sowie der Begriff der Reichsbürgerschaft waren Elemente des modernen Staats- und Verfassungsdenkens. Gönner selbst stellte den Widerspruch zwischen der Reichsverfassung und dem neuen allgemeinen Staatsrecht offen fest. 205 Seine Vorstellung der dauernden, nicht umkehrbaren Abgabe von Hoheitsrechten an die Länder enthielt die Möglichkeit, zwischen Staaten und Staatenbündnissen föderale Verbindungsformen mit bundesstaatlichem Charakter zu bilden. Gönner konnte damit auf der Grundlage des allgemeinen Staatsrechts die von Pütter geleugneten Übergangsformen zwischen Staat und Staatenbund erklären.
200
Gönner, Ternsches Staatsrecht, S. 56ff. Zum Hintergrund der Entwicklung souveräner Territorialstaatlichkeit am Beispiel Gönners siehe Stolleis, Geschichte 2, S. 55f.; Doeberl, Maximilian von Montgelas, S. 282ff.; jew.m.Nw. 202 Gönner, Teutsches Staatsrecht, S. 93ff. Siehe auch S. 93f. gegen Pufendorf und die anonyme "Kritik der deutschen Reichs Verfassung ". 203 Hier wird die prinzipielle Orientierung an der Reichspublizistik und der Lehre Pütters sichtbar; siehe dazu Gönner, Teutsches Staatsrecht, S. 94, Anm. i). Vgl. auch Stolleis, Geschichte 2, S. 55f.m.Nw.; Brie, S. 28f. 204 Gönner, Teutsches Staatsrecht, S. 2f., 6. 205 Gönner, Teutsches Staatsrecht, S. 3. 201
II. Zerfall des Reiches
133
Gönner machte diesen Schritt aber nicht; er blieb stattdessen bei der positivistischen Interpretation der Reichsverfassung. Für ihn waren die Territorien integrierende Bestandteile der Reichseinheit, 206 und er betonte den Gegensatz zwischen dem Staatscharakter des Reiches und der aus unabhängigen Staaten bestehenden Verbindungsform des Staatenbundes.207
(h) Karl Solomo Zachariä Den entscheidenden Schritt von der reichsständischen Verfassungsperspektive zur modernen Bündnissicht tat 1804 Karl Solomo Zachariä. 208 In seinem 1800 publizierten Werk über den "Geist der Territorial Verfassung" hatte er bereits für die territoriale Ebene den Wechsel angedeutet,209 und der "Geist der neuen deutschen Reichs Verfassung" von 1804 bedeutete für die Reichsebene die entscheidende ideengeschichtliche Wende. Zachariä stellte sich auf den Standpunkt, daß Deutschland nach den Änderungen durch den Reichsdeputationshauptschluß mehr ein Völker- oder Staatenbund unabhängiger Staaten als ein Völker- oder Bundesstaat210 war. Zum Wesen eines Staates und damit auch eines Völkerstaates gehörte auch eine tasächliche oberste und damit souveräne Macht, wohingegen im Staatenbund die jeweiligen Mitglieder diese Macht besaßen. Da auf dem Reichstag das Prinzip der Stimmenmehrheit durchbrochen war und die Exekutivgewalt fast ausschließlich den Ständen gehörte, konnte der Reichsverband nicht als Völkerstaat betrachtet werden. 211 Der Reichsdeputationshauptschluß hatte in Deutschland die geographischen und politischen Verhältnisse bereinigt und damit die Reichsverbindungen konsequent fortentwickelt; der Charakter des Reiches als Völker- oder Staatenbund war nun offenbar. Säkularisation und Mediatisierung waren für
206
Gönner, Teutsches Staatsrecht, S. 6. Gönner, Teutsches Staatsrecht, S. 2f., 94f., 98ff. 208 Zur Person Zacharias siehe Allg. Dt. Biogr., S. 646ff.m.Nw. Weitere Angaben siehe unten, Ε. Π. 3. c. cc. aaa. a . l ) m.Nw. 209 Vgl. Stolleis, Geschichte 2, S. 55ff., 58ff., 65f.; Gagliardo, S. 261. 210 Zum Begriff des Völkerstaates siehe unten, Ε. Π. 3. c. cc. aaa. a.2) m.Nw. 211 Zachariä, Reichs Verfassung, S. 43ff. 207
134
D. Das Reich und die Revolution
Zachariä eine Folge der Entwicklung des Reiches zu einem Bund unabhängiger Staaten.212 Zachariä stellte fest, daß die Territorien in der politischen Praxis bereits alle Charakteristika der Souveränität hatten. Er deutete die Reichsverfassung konsequent aus der Perspektive der Territorialstaatlichkeit und meinte, daß die auf Seiten der Territorien fehlende Ausübung bestimmter, allein dem Kaiser zugeordneter Rechte über die Souveränität unmittelbar nichts sagte. Man konnte das Verhältnis zwischen dem Kaiser und den Ländern auch als Abgabe bestimmter Rechte der Territorien an den Kaiser zum Zwecke einer besseren Ausübung der Rechte betrachten. Gleichfalls waren die supraterritorialen Einrichtungen des Reiches mit der Deutung als Staatenbund vereinbar. Zweck des Reiches war für Zachariä die Gewähr äußerer und innerer Sicherheit der deutschen Länder. Dazu kamen Erleichterungen im Verkehr der Deutschen untereinander und mit den Nachbarländern. Die verschiedenen Reichsorgane und die reichseinheitlichen Gesetze und Maßnahmen ließen sich auf diese Zwecke zurückführen. Die Sichtweise des Reiches als eine Bundesstruktur unabhängiger Staaten versuchte Zachariä auch historisch zu belegen. Die verschiedenen Bündnisse der Stände einschließlich der Bildung der Reichskreise waren ständiger Bestandteil der Verfassungsgeschichte des Reiches. Die von den Bündnissen verfolgten Zwecke liefen einem Bundescharakter nicht entgegen; sie waren Ausdruck der Entwicklung der Reichsverfassung zu einem Staatenbund.213 Auf gleiche Art betrachtete er die Schwierigkeiten der traditionellen Reichspublizisten bezüglich der aktuellen Entwicklungen. Deren Probleme führte er darauf zurück, daß sie das Reich nicht als einen Bund der Territorien betrachteten. Die Unsicherheiten bei der Umwandlung der Reichsverfassung zu einer Bundesverfassung waren nach seiner Ansicht der Grund für das Beharren auf den alten Ansichten. 214 Auch Zachariä schlug Reformen vor; er wollte die Einheitlichkeit des Reiches aber im Sinne eines Staatenbundes stärken. Zachariä befürchtete, daß die durch den Hauptschluß gestärkten Fürsten sich vom Reichs-"Bund" lösten und untereinander eigene, kleinere Bündnisse eingingen. Angesichts der verschiedenen Pläne zwei- oder dreigliederiger Reichsaufteilungen und des
212 213 214
Zachariä, Reichsverfassung, S. 34ff. Zachariä, Reichsverfassung, S. 34ff. Zachariä, Reichsverfassung, S. 60f.
ΙΠ. Bewertung des Zeitraumes
135
kurze Zeit später gegründeten Rheinbundes war dies eine realistische Einschätzung. Von einer staatenbündischen Reform der Reichsstrukturen erhoffte Zachariä die Erhaltung des Reiches als der einheitlichen politschen Verbindung der deutschen Gebiete. 215
Ι Π . Bewertung des Zeitraumes Der untersuchte Zeitraum enthielt sowohl für das staatsrechtliche Denken in Deutschland als auch für die konkreten politischen Einheiten von Reich und Territorien vielfaltige Einflüsse. Eine umfassende Zusammenfassung und Bewertung muß daher zugunsten einer summarischen Skizze der für das Arbeitsthema wichtigsten Aspekte zurücktreten.
7. Politische Ebene Auf der politischen Ebene traten in dieser Zeit die Gründe für den Reichsuntergang hervor. Die Machtverschiebungen in Europa begünstigte die Bildung größerer Territorien als maßgebliche politsche Handlungseinheiten im Reich. Österreich und Preußen stellten die Spitzen dieser Entwicklung dar. Die Interessen der stärkeren Territorialherren bestimmten allgemein die Politik. Der österreichisch-preußische Dualismus prägte zusammen mit der konfessionellen Spaltung die Reichspolitik der Stände, und da die Reichsstruktur keine effektiven eigenen Exekutivorgane für das Reich vorsah, hemmte diese Interessen Verteilung die Reichstätigkeiten erheblich. Die Fürsten handelten zuerst in ihrem Sinne und danach zugunsten des Reiches. Bestes Beispiel dafür war die Militärorganisation des Reiches. Der Krieg gegen Frankreich zeigte die Defizite in der Reichsorganisation und die politische Zersplitterung der Reichsstände. Die französischen Heere blieben auch nach der Machtergreifung Napoleons der Reichsarmee überlegen.
2. Ideengeschichte In der ideengschichtlichen Entwicklung hatten die neuen staatsrechtlichen Gedanken bereits früh Resonanz gefunden. Das kritische Naturrecht als eine Folge der Aufklärung wurde vor allem bei den territorialen Regierungs- und Verwaltungsreformen berücksichtigt, die einer der Gründe für das Ausbleiben
215
Zachariä, Reichsverfassung, S. 66.
136
D. Das Reich und die Revolution
einer deutschen Revolution waren. Die Radikalisierung der Revolutionspolitik und schließlich die napoleonische Bedrohung über Europa verhinderten weiter die direkte Übernahme französischer Verfassungsmodelle. Stattdessen setzte sich in Deutschland eine eigenständige Rezeption der modernen Ideen durch. Im staatsrechtlichen Denken wurden die Grundlagen von Staat und Verfassung verändert. Während in den Schriften über die Reichs- und Länderverfassungen die Methode der historischen positivistischen Reichspublizistik fortgesetzt wurde und teilweise in ständische oder patriotische Appelle zur Reichserhaltung mündete, wurde der kritische vernunftrechtliche Ansatz im allgemeinen Staatsrecht entwickelt. Dieses moderne Staatsrecht hatte gegenüber dem positiven Recht zunächst nur die Funktion der Lückenfüllung, wurde aber dann auch zur Erklärung und Herleitung der Grundlagen des positiven Rechts genutzt. 216 Obwohl die meisten Autoren bis ins 19. Jahrhundert hinein an der tradierten Sicht der Reichsverfassung festhielten, zeigten viele staatsrechtliche Begriffe und Elemente bei der Beschreibung der Reichsordnung den Übergang vom alten ständisch organisierten Reichsmodell zu einem moderneren Staats- und Verfassungsverständndis. Bereits kurz nach dem Reichsdeputationshauptschluß erschien 1804 von Zachariä die Arbeit über den "Geist der neuesten Deutschen Reichsverfassung". Dies war das erste Werk, in dem das Reich aus moderner staatenbündischer Sicht interpretiert wurde.
3. Zusammenhang der Entwicklungen Der theoretische Übergang vom altständischen Reich zu modernen Bundesstrukturen gab dabei zum Teil eine tatsächliche Entwicklungsrichtung innerhalb des Reichsverbandes wieder, die durch den Fürstenbund von 1785 repräsentiert wurde. In seinen Grundlagen beruhte er zwar noch auf dem ständischen Bündnisrecht, das in der Reichsverfassung verankert war. Der Fürstenbund war aber zugleich Ausdruck des Strebens der größeren Fürsten nach politischer Unabhängigkeit; Erwartungen auf eine Wiederbelebung des politischen Reichswesens konnte er deshalb nicht erfüllen. Sein Charakter als ein loser Bund mächtiger Territorialherren entsprach der machtpolitischen Entwicklung im Reich, die dann zu den formal lockeren Bündnissen unabhängiger Fürsten, wie dem Rheinbund und dem Deutschen Bund, führte.
216 Zu dieser Kontinuität im Wechsel siehe Stolleis, Geschichte 1, S. 317ff.; ders., Geschichte 2, S. 48ff.; jew.m.Nw.
III. Bewertung des Zeitraumes
137
Der Fürstenbund und die Reaktionen auf seine Gründung verdeutlichten dabei die politischen Widersprüche zwischen den altständischen Prinzipien der Reichsverfassung und einem modernen, föderalen System für die deutschen Gebiete. 217 Diese thematischen und tatsächlichen Gegensätze führten auch zum Scheitern der Reichsreformpläne. Ähnlich den Reformansätzen unter Joseph II. in Österreich waren auch im Reich die Differenzen zwischen den alten Strukturen und den aufklärerischen Modernisierungsvorhaben sehr groß. Dazu fehlte im Reich eine einheitliche Macht zur Durchsetzung entsprechender Reformen. Die meisten Publizisten waren bis zum Untergang des Reiches auf dessen alte Verfassung fixiert und erkannten nicht, daß mittlerweile die Fürsten der großen Territorien die maßgeblichen Träger der politischen Macht waren. Erst nachdem der Reichsdeputationshauptschluß die Entwicklung bestätigt hatte, setzte sich diese Einsicht durch. Der Zeitpunkt war auch maßgeblich für den Wechsel von der fürstlichen Landeshoheit unter kaiserlicher Autorität zur Konstruktion einer Souveränität des Staates, aus der die Hoheitsrechte abgeleitet wurden. 218 Die langfristige Entwicklung im Reich hin zu den Territorialstaaten hatte auch im Staatsrecht ihren Durchbruch erreicht. Damit markierten diese Vorgänge einen deutlichen Wendepunkt in der politischen, verfassungsrechtlichen und ideengeschichtlichen Entwicklung von föderalen Verbindungen. Ein ähnlicher Vorgang betraf die europäische Funktion des Reiches, das als Garant des europäischen Machtgleichgewichts dienen sollte, aber spätestens 1792 diese internationale Friedens- und Sicherungsfunktion verlor. Die Reichsverfassung war in ihren theoretischen Grundlagen und in der praktischen Konzeption mit den modernen Staats- und Bundesvorstellungen nicht vereinbar. Der Interessengegensatz zwischen den Reichsständen hemmte zunächst die Reichsfunktionen. Nachdem der Reichsdeputationshauptschluß die kleineren Stände beseitigt und die Kirchen aus den staatlichen Stellungen verdrängt hatte, fehlte die Grundlage zur Erhaltung des föderalen Verbandes von Kaiser und Reich. Stattdessen bildeten die arrondierten und zum Teil neu gebildeten Mittelstaaten den Ausgangspunkt für föderale Verbindungen zwischen prinzipiell selbständigen Territorien. Der Deputationshauptschluß schuf in Deutschland die tatsächlichen Grundlagen für moderne föderale Strukturen, die zunächst in staatenbündischer Form gebildet wurden. Im
217 218
Vgl. dazu Gagliardo, S. 292ff.; Aretin, Reich 1, S. 503f., 506. Vgl. Quaritsch, S. 405ff., 481ff., 51 Iff.; Aretin, Reich 1, S. 503f., 506.
138
D. Das Reich und die Revolution
Ergebnis scheiterte die Reichsverfassung sowohl an den längerfristigen Entwicklungen als auch an der aktuellen Politik der Beteiligten.
E. Der Rheinbund I . Politische Grundlagen 7. Gründung des Rheinbundes Nach der Machtübernahme Napoleons verschwanden die republikanischen und demokratischen Bewegungen in Deutschland rasch. 1 Die Tendenz des Rastatter Kongresses, die süddeutschen Landesfürsten anzuerkennen und zu integrieren, wurde fortgesetzt, 2 und die monarchische Legitimität der Fürsten wurde zumindest indirekt anerkannt. Napoleon verfolgte auch für Deutschland das Ziel, von Frankreich abhängige kleinere Trabantenstaaten zu gründen. 3 Die nötigen territorialen Änderungen hatte er im Reichsdeputationshauptschluß durchgesetzt. Im Gegensatz zu Italien und der Schweiz, wo Napoleon Verfassungen oktroyiert hatte, mußte er in den deutschen Ländern die jeweiligen Verhältnisse stärker berücksichtigen. Er konnte zwar in den besetzten Gebieten neue Mittelstaaten bilden, aber im süddeutschen Raum war er auf kooperatives Verhalten der Fürsten angewiesen. Grund dafür war, daß ein Bündnis der Fürsten mit Preußen oder Österreich seine Pläne zur Schaffung einer dritten deutschen Macht durchkreuzt hätte. Dazu hatte er den Fürsten für ihre militärische Unterstützung gegen die europäischen Bündnismächte förmliche Souveränität versprochen oder die Königswürde verliehen. Napoleon sah sich gezwungen, förmliche Bündnisverhandlungen aufzunehmen. 4 Unmittelbar nach dem Frieden von Preßburg kamen es zu den ersten Bündnisverträgen zwischen Frankreich und den deutschen Fürsten. Am 16. Januar 1806 vereinbarte Bayern einen geheimen Bündnisvertrag. Württemberg, dessen König Friederich I. seine neue Souveränität nicht gefährden wollte, unterzeichnete trotz längerer Verhandlungen nicht. Auch Franz II. bezog für
1
Vgl. Kuhn, S. l l f . , 153ff. Vgl. Siegmund, S. 166, 181f.; Möller, S. 553. 3 Vgl. Möller, S. 557; Huber I, S. 39. 4 Dazu und zum Folgenden siehe Aretin, Reich 1,S. 462ff., 497ff.; ders., Vom Reich, S. 94ff.; Gagliardo, S. 265ff.; jew.m.Nw. 2
140
E. Der Rheinbund
die Zukunft des Reichsverbandes keine eindeutige Position, 5 und Dalberg scheiterte mit seinen Plänen einer Reichsfortführung unter Napoleon.6 Napoleon entschloß sich daraufhin, ein umfassendes Bündnissystem unter französischer Vorherrschaft zu bilden. Nachdem die Bedenken der deutschen Fürsten in mehrmonatigen Verhandlungen teilweise ausgeräumt worden waren und Napoleon letzte Widerstände durch politischen Druck überwunden hatte, wurde am 12. Juli 1806 der Rheinbund gegründet. Gleichzeitig mit der Gründung des Rheinbundes erklärten die beteiligten deutschen Fürsten ihren Austritt aus dem Reich. 7 Die gemeinsame Erklärung der Rheinbundstaaten über die Trennung schilderte die Verhältnisse im Reich. 8 Sie führte aus, daß das Reich faktisch seit dem Frieden von Lunéville nicht mehr existierte. Grund dafür waren die verschiedenen Interessen der Reichsstände. Dazu kam die Trennung zwischen Nord- und Süddeutschland durch den Sonderfrieden von Basel. Im übrigen hatten Österreich und Preußen durch ihr Verhalten gezeigt, daß eine gemeinsame Verfassung oder ein politisch einheitliches Deutschland nicht mehr bestand. Aufgrund eines französischen Ultimatums legte Kaiser Franz II. am 6. August 1806 die Kaiserkrone nieder. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation existierte nicht mehr. In Preußen wurde auf die Gefahr einer Isolation durch die napoleonische Vormacht zu spät reagiert. Zwar bestand die Bereitschaft, Süddeutschland als Einflußbereich Napoleons zu akzeptieren, aber im übrigen fehlte eine klare politische Linie. Obwohl mehrfach vorgeschlagen wurde, die norddeutschen Länder unter preußischer Führung in einem Bund zu vereinigen, 9 und sogar Napoleon sein Einverständnis mit einem norddeutschen Bund erklärt hatte, 10 konnte Friedrich Wilhelm III. sich nicht zu einem entsprechenden Vorgehen entschließen.
5
Siehe Aretin, S. 468f., 504ff.; Gagliardo, S. 267ff. Siehe Aretin, S. 497ff.; Gagliardo, S. 275ff.; jew.m.Nw. 7 Zur rechtlichen Bewertung dieses Vorgehens Huber I, S. 69f. 8 Text der Erklärung in Huber, Dokumente, Nr. 3. 9 Pläne von Brettschneider, "Deutschland und Preußen", und Hardenberg, "Entwurf für die neue Verfassung des Reiches". Nach Schulz, S. 45f., und Aretin, S. 471 f., hatte dieser Entwurf bereits Elemente der späteren Pläne Hardenbergs. 10 Vgl. Aretin, Vom Reich, S. 105; ders., Reich 1, S. 473 m.Nw.; Gagliardo, S. 269f. 6
I. Politische Grundlagen
141
Erst als Reaktion auf die bevorstehende Gründung des Rheinbundes wurde Ende Juli 1806 der offizielle Plan einer norddeutschen Union unter der Führung von Preußen ausgearbeitet 11 und an den Kurfürsten von Sachsen übermittelt. Entsprechende Verhandlungen scheiterten aber, 12 und drei Tage nach der endgültigen Absage von Sachsen erklärte Friedrich Wilhelm ΙΠ. ein Ultimatum an Napoleon. 13 Er forderte darin unter anderem den Rückzug sämtlicher französischer Truppen aus ganz Deutschland. Die preußische Niederlage bei Jena und Auerstädt am 14. Oktober 1806 bestätigte die napoleonische Vorherrschaft über die deutschen Gebiete.
2. Entwicklung
des Rheinbundes
a) Interessen der Mitglieder Wie die Gründung des Rheinbundes wurde auch seine Entwicklung vom Interessengegensatz der Beteiligten bestimmt. Für Napoleon war der Rheinbund ein außenpolitisches Handlungsinstrument. Er war gedacht als Gegengewicht zu den deutschen Großmächten Österreich und Preußen. Mit dieser Einbindung der Interessen auswärtiger Mächte an den deutschen Gebieten durch einen Fürstenbund stand der Rheinbund nicht nur dem Namen und der äußeren Form nach, sondern auch in politischer Hinsicht in einer Kontinuität mit dem Rheinbund von 1658. Neben dieser Funktion als außenpolitisches Ordnungselement in der deutschen Staatenwelt sollte der Bund aber auch Vorbildcharakter für die anderen deutschen Staaten haben. Hinzu kam die militärische Unterstützung durch Zahlung von Subsidien und Bereitstellung von Truppen. 14 Schließlich sollte das Rheinbundgebiet durch die Eingliederung in den französischen Machtbereich das System der Kontinentalsperre vervollständigen. 15 Die Fürsten der Mitgliedsländer verfolgten andere Interessen. Da das Reich zerfallen und sowohl Österreich als auch Preußen der französischen Militärmacht unterlegen waren, wurde die äußere Sicherheit der kleineren Länder gefährdet. Zu schwach für eine eigenständige Politik kooperierten sie mit Napoleon. Sie wollten aber nicht die französische Vormachtstellung
11 12 13 14 15
Entwurf in Schmidt, Geschichte, S. 434ff. Vgl. Usinger, S. 577ff.; Schmidt, W . Α., Preussens deutsche Politik, S. 80ff. Vgl. Gagliardo, S. 279; Aretin, Vom Reich, S. 104f. Siehe dazu vor allem die Äußerung Napoleons nach Doeberl, S. 39f. Napoleon wollte jeden Handel zwischen England und dem Kontinent unterbinden.
142
. Der Rheinbund
festigen. Ihre Absicht war, die eigene Machtposition zu stärken, indem sie ihr Herrschaftsgebiet ausweiteten und den Staatsapparat reformierten. Diese Entwicklung führte auch zu einer Abgrenzung gegenüber den anderen Fürsten. Bei dem Widerstand gegen Napoleon kam den Landesherren zugute, daß der französische Machtbereich auf die deutschen Länder weder konsequent noch energisch ausgedehnt wurde. 16 Äußere Faktoren, wie der Guerillakrieg in Spanien und die Niederlagen gegen England, bremsten Napoleon bei der Vereinheitlichung der deutschen Gebiete unter seiner Vorherrschaft.
b) Ausprägung in den verschiedenen Gebieten aa) Heterogene Entwicklungen Die politische Entwicklung innerhalb der Mitglieder des Rheinbundes verlief nicht einheitlich. Die hier nur kurz skizzierten Unterschiede zwischen den Gebieten beruhten im wesentlichen auf drei Faktoren. Zum einen hatten die Länder verschiedene geographische und historische Strukturen. Weiter divergierte das Maß der Reformbedürftigkeit, und schließlich wich die historisch und politisch begründete innere Reformbereitschaft der Länder untereinander stark ab. Die daraus resultierenden Entwicklungsrichtungen werden häufig in drei Gruppen wiedergegeben. 17 In den linksrheinischen Gebieten und den von Napoleon neu gebildeten Ländern Berg und Westfalen orientierten sich die Herrscher stark am französischen Vorbild, und Napoleon machte seinen Bruder Jérôme zum König von Westfalen. Die Fürsten begannen, ihre Länder zu zentralistisch gelenkten Vasallenstaaten zu reformieren. Die Länder im Süden und im Südwesten Deutschlands sowie Preußen zeigten eine eigenständigere Politik. Sie hatten vor der Gründung des Rheinbundes Reformen als notwendig erkannt oder schon eingeleitet. Unter französischer Vorherrschaft wurde diese innenpolitische Entwicklung in Richtung spätabsolutistischer Staates fortgesetzt.
16
Vgl. Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 50. Die Gruppen sind nach historischen, politischen und verfassungsrechtlichen Aspekten zusammengestellt; vgl. Möller, S. 596; Grundmann, S. 50ff.; Kimminich, S. 298ff.; Huber I, S. 87ff. 17
I. Politische Grundlagen
143
In Mittel- und Norddeutschland waren Reformen nur schwach ausgeprägt. Sachsen und Mecklenburg blieben bei den altständischen Traditionen; insbesondere hielten sie an ihren überlieferten Verfassungszuständen fest.
bb) Territoriale Veränderungen Während der kurzen Zeit seines Bestehens wurde der Rheinbund erheblich ausgeweitet. Nach der militärischen Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt und dem folgenden Tilsiter Frieden vom 9. Juli 1807 wurde den deutschen Fürsten klar, daß auch das von Rußland unterstützte Preußen sich Napoleon beugen mußte. Den ursprünglich 16 Rheinbundstaaten schlossen sich die Mehrzahl der deutschen Terrritorialstaaten durch Akzessionsverträge an. 18 Im Jahr 1808 umfaßte der Rheinbund 39 deutsche Einzelstaaten; außer Österreich, Preußen, Dänisch-Holstein und Schwedisch-Pommern waren alle deutsche Staaten im Rheinbund vereinigt. Parallel zu den Gebietserweiterungen veränderte Napoleon auch die territoriale Struktur der Länder. Im weiteren Vollzug von Säkularisation und Mediatisierung vergrößerte er die Territorien von Baden, Württemberg, Bayern und Hessen-Darmstadt. Die Großherzogtümer Berg und Würzburg wurden erweitert, und das Großherzogtum Frankfurt sowie das Königreich Westfalen wurden gegründet. Der französische Einfluß wurde durch den Senatskonsult vom Dezember 1810 weiter verstärkt. Frankreich annektierte Holland und die gesamte deutsche Nordseeregion. 19 Die Rheinbundstaaten mußten entgegen den Zusagen Napoleons und ihrer im Rheinbundvertrag zugesicherten Souveränität Gebiete an Frankreich abtreten.
c) Unitarisierungsversuche Neben den territorialen Veränderungen versuchte Napoleon, die politische Ordnung in den deutschen Staaten homogener zu gestalten. Indem er in einigen
18 19
Genaue Aufstellung bei Huber I, S. 76. Vgl. zum Umfang der Annexion Huber I, S. 77f.
144
E. Der Rheinbund
Rheinbundstaaten Verfassungen nach französischem Vorbild einführte, 20 wollte er zentralistische Staatsapparate zur Ausführung seiner Befehle schaffen; daneben dachte er auch an eine positive Vorbildrolle für Länder außerhalb des Rheinbundes.21 Dieses Ziel war aber unter zwei Gesichtspunkten beschränkt. Zum einen wollte er bezüglich der Rheinbundstaaten keine politische Bindung oder Verpflichtung eingehen.22 Eine förmliche staatsrechtliche Führungsposition lehnte er ab, da diese Verantwortung seinen Handlungsspielraum eingeschränkt hätte. 23 Zum anderen mußte er verhindern, daß die Fürsten eine selbständige Zusammenarbeit herbeiführten; eine rein deutsche Kooperation hätte sich gegen ihn gerichtet. Beispiele für die Politik Napoleons waren die Verfassungsgebungen und Reformen in den Ländern sowie die gescheiterte Bundestagsbildung.
aa) Bundestag und Fundamentalstatut Der Bundestag zu Frankfurt war als gemeinsames Organ der Mitgliedsstaaten gedacht. Die Einzelheiten seiner Zusammensetzung, des Verfahrens sowie der Ausführung der dort gefaßten Beschlüsse sollten in einem Fundamentalstatut geregelt werden, das nach Art. X I der Bundesakte vom Fürstprimas bis Anfang September 1806 zu entwerfen war. Bereits am 4. August 1806 legte Dalberg Napoleon einen Entwurf vor. Danach konnte Napoleon den Bundestag einberufen, den Vorsitzenden der beiden ständigen Kommissionen des Bundestages ernennen, die Gegenstände der Beratungen vorschlagen, bei Uneinigkeit der beiden Kollegien und bei allen Gesetzesbeschlüssen ein Vetorecht einlegen und über alle militärischen Dinge bestimmen.24 Der Entwurf hätte Napoleon eine auch förmlich starke Macht
20
Dies geschah im Königreich Westfalen, im Großherzogtum Berg, im Großherzogtum Frankfurt, im Herzogtum Anhalt-Köthen sowie im Königreich Bayern; in Bayern entsprach die Verfassung aber eher den absolutistischen Reformvorstellungen des bayerischen Ministers Montgelas. Zur Verfassunggebung in den Rheinbundstaaten vgl. Huber I, S. 88ff.m.Nw. 21 Siehe dazu die Bemerkung, die Napoleon bezüglich der Verfassung Westfalens machte, in: Kleßmann, S. 277f. 22 Dazu wieder die Äußerung bei Doeberl, S. 39f. 23 So Huber I, S. 85f.m.Nw. 24 Vgl. Weis, S. 68.
I. Politische Grundlagen
145
über die Rheinbundstaaten zugeordnet. Talleyrand kritisierte in seiner Stellungnahme zum Entwurf die Befugnisse als weitergehend als die des ehemaligen deutschen Kaisers. Er wies auf die süddeutschen Staaten hin, die sich dadurch in ihrer Souveränität bedroht fühlen mußten. 25 Daraufhin wies Napoleon diesen Entwurf sowie den seines Außenministers Champagny, der auch eine förmlich starke Stellung Napoleons vorsah, zurück. Gleiches geschah mit dem Entwurf des bayrischen Ministers Montgelas, der für Napoleon zwar geringere Befugnisse vorsah, aber eine Verfassungsgebung für Bayern enthielt. Zum einen fürchtete Napoleon, durch eine förmliche Einbindung in die Bundesstruktur belastet zu werden. Im Entwurf eines Antwortschreibens an Dalberg sprach er von der ihm in Dalbergs Entwurf angebotenen Kaiserrolle, die er ablehnte.26 Zum anderen hätte die Entwicklung einer selbständigen und effektiven Bundesrepräsentation ein gemeinsames politisches Bewußtsein und eine einheitliche Willensbildung der deutschen Fürsten gefördert. Napoleon sah darin die Gefahr eines gegen ihn gerichteten, deutsch-national geprägten Staatsbewußtseins, weshalb er einen Bundestag im Sinne eines starken, gemeinsamen Verfassungsorgans der Fürsten ablehnte.27 Schließlich mußte Napoleon auch den Protest der süddeutschen Staaten berücksichtigen, die er als militärische Verbündete benötigte. Die Vorbehalte der Fürsten gegenüber dem Bundestag waren geprägt von den Erfahrungen mit Kaiser und Reichstag. Der Zerfall dieser Institutionen hatte dazu geführt, daß die Landesherrscher auf die Bildung einer gemeinsamen und handlungsfähigen Bündnisebene nicht mehr vertrauten. Sie achteten allein darauf, ihre neu erlangte formelle Souveränität zu wahren und ihre eigene Machtstellung mit französischer Hilfe auszubauen. Daran scheiterte auch die Konstituierung des Bundestages. Zwar erschienen die Vertreter der Fürsten zu einem informellen Treffen, um die Eröffnung des Bundestages vorzubereiten. Nachdem aber der badische Gesandte diese Vorkonferenz rasch wieder verlassen hatte, 28 wurde die Gründungskonferenz abgesagt. Wegen des allseits fehlenden Interesses an der Bildung des Bundestages wurde danach kein weiterer Konstituierungsversuch unternommen. Winkopp sagte treffend: "Wir erblicken Deutsche Souverains, die faßt überall beschäftigt sind, ihre Staaten einzurichten, ... aber wir erblicken nirgendwo den Bund, ausser etwa in den Verhältnissen gegen aussen."29
25 26 27 28 29
Vgl. Weis, S. 70. Text des Schreibens bei Huber, S. 39f. Vgl. Möller, S. 590; Huber I, S. 80. Siehe dazu den Bericht bei Winkopp, Konföderations-Akte, S. 193ff., 198. Aus Winkopp, Konföderations-Akte, S. 198.
10 Grzeszick
146
E. Der Rheinbund
bb) Verfassungsgebung in den Ländern Bei der Verfassungsgebung in den deutschen Territorien zeigte sich, wieweit die einzelnen Länder gegenüber Napoleon tatsächlich eigenständig waren. 30 Napoleon orientierte sein Vorhaben an der Konsulatsverfassung vom 13. Dezember 1799. Diese vereinigte eine autoritäre Staatsführung mit einigen Repräsentationskörperschaften und gewährleistete auch Individualrechte, wie Leben, Freiheit und Eigentum. Die VerfassungsWirklichkeit war aber die uneingeschränkte Macht Napoleons, die sich in seiner Kaiserwürde offenbarte. Der Begriff des französischen Scheinkonstitutionalismus lag aus diesem Blickwinkel nahe. 31 Napoleon gab dem von seinem Bruder regierten Königreich Westfalen durch die Konstitutionsakte Ende 1807 eine Verfassung, die dem französischen Vorbild entsprach. 32 Gleiches geschah in den Großherzogtümern Berg und Frankfurt. Dieser Konstitutionalismus der abhängigen Staaten verband zunächst die alte soziale Hierarchie mit einem bürokratischen Zentralismus. Die eingeleiteten Reformen in der Verwaltung und der Rechtpflege stärkten aber auf Dauer die Opposition gegen die absolutistische und unberechenbare Herrschaft des Königs. 33 In den süddeutschen Staaten war der Widerstand gegen die napoleonische Verfassungsgebung größer. Sowohl Dalberg als auch Napoleon entwarfen Verfassungspläne, die für den Bund erhebliche Kompetenzen vorsahen. 34 Der Entwurf von Montgelas ordnete dagegen dem Bund nur geringe Kompetenzen zu und bevorzugte die Landessouveränität. 35 Durch verzögerte Verhandlungen gelang es den Fürsten schließlich, die Pläne Napoleons abzuwehren; nur Bayern erhielt am 25. Mai 1808 eine Verfassung. Wie in Bayern nutzten auch die Fürsten von Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt die Rheinbundzeit zu Reformen zugunsten ihrer territorialen Herrschaft; allgemein setzte sich damit in den süddeutschen Ländern statt eines Konstitutionalismus die Praxis des aufgeklärten Absolutismus durch. 36
30 31 32 33 34 35 36
Zusammenfassender Überblick bei Möller, S. 599ff. Vgl. Huber I, S. 88. Einzelheiten bei Huber I, S. 89f. So Huber I, S. 88f. Siehe dazu Burg, Trias, S. 14ff.; Gagliardo, Reich, S. 265ff.; jew.m.Nw. Vgl. Möller, S. 590; Huber I, S. 319ff.m.Nw. Vgl. Huber I, S. 90f., 314ff.
I. Politische Grundlagen
147
Die Länder Mittel- und Norddeutschlands erfuhren nur wenige territoriale Veränderungen. Napoleons Einfluß war gering, und sie konnten überwiegend an ihren altständischen Verfassungen und Verwaltungen festhalten. Nur das Herzogtum Anhalt-Köthen übernahm mit der Verfassung vom Dezember 1810 den napoleonischen Konstitutionalismus.
cc) Änderungen durch Reformen Außerhalb seines engsten Einflußbereiches konnte Napoleon seine Verfassungspläne nicht durchsetzen. Dennoch bewirkte seine Herrschaft über den Rheinbund eine gewisse Homogenisierung der deutschen Staaten. Grund dafür waren die Reformen, die in den Rheinbundstaaten vorgenommen wurden. Sie wurden teils auf Anweisung Napoleons und teils als Reaktion der Länder auf den Fortschritt der französisch geprägten Staaten durchgeführt, soweit die Fürsten nicht schon vor der Gründung des Rheinbundes eigene Reformideen entwickelt hatten. Die Reformen waren von großer Bedeutung. Sie erfaßten von der Ausbildung bis zur Regierungsorganisation und dem Rechtssystem das gesamte Staatswesen und brachten die eigentliche Wende vom Ständestaat zur bürgerlichen Gesellschaft. 37 Die Reformen waren auch mit der Frage nach einer Staatsverfassung verbunden, 38 aber wie die süddeutschen Staaten und Preußen zeigten, war eine umfassende Staatsreform auch unter monarchischer und absolutistischer Herrschaft möglich. Im Gegensatz zu den von Napoleon oktroyierten Landesverfassungen und dem Rheinbund waren die politischen und administrativen Änderungen der Reformen von Dauer. Zusammen mit den territorialen Veränderungen prägten sie auch nach 1815 die deutsche Staaten weit. Aus genereller Sicht differierten auch die Reformen nach dem Maß des französischen Einflusses. In den linksrheinischen Gebieten wurde französisches Recht eingeführt 39 und die Verwaltung nach dem französischen Vorbild organisiert. Die süddeutschen Staaten übernahmen nicht unmittelbar das französische Vorbild. Soweit sie aber keine selbständigen Reformen eingeleitet hatten, reagierten sie auf die Neuerungen in den Nachbarstaaten durch eigene, umfassende Rechts- und Verwaltungsreformen. 40
37 38 39 40
Zum politischen und sozialtheoretischen Hintergrund siehe Garber/Batscha. Vgl. Möller, S. 599f.; Huber I, S. 87f. Darunter der "Code Napoleon". Vgl. Möller, S. 604ff.
148
E. Der Rheinbund
Die Reformen wirkten auch über den Rheinbund hinaus. In Preußen, das vor der Niederlage gegen Napoleon Modernisierungen nur zögerlich zugelassen hatte, war der Weg frei für die Stein-Hardenbergschen Reformpläne. 41 Nur wenige Staaten des ehemaligen Reiches veränderten sich nicht. Neben den nordöstlichen Gebieten des Rheinbundes, die von der Annexion im Dezember 1810 nicht erfaßt wurden, war dies vor allem Österreich. Die Theresianisch-Josephinischen Reformen des 18. Jahrhunderts hatten innerhalb Österreichs teilweise zu Zentralisierung und Homogenität geführt; ein Teil der Reformentwicklung in den anderen Ländern wurde dadurch vorweggenommen. Auf der anderen Seite hatten gerade diese frühen Reformen starke Widerstände hervorgerufen, die am Wiener Hof die zwischen 1805 und 1809 vom Minister Stadion betriebene Reformpolitik scheitern ließen. Die Reformen bildeten in den deutschen Ländern nicht nur die sozialen Grundlagen für eine moderne Staatlichkeit. Ihr Gedankengut verband sich mit der neu aufkommenden Idee der Nation. Dieser Begriff und die daraus später entstehenden Vorstellungen einer deutschen Nationalstaatlichkeit sollten in der Zeit nach der Befreiung die staatliche Ordnung in den deutschen Gebieten beeinflussen, wozu auch die föderalen Vorstellungen gehörten.
I I . Verfassungsrecht des Rheinbundes /. Rechtliche Grundlagen des Rheinbundzusammenschlusses a) Grundlage: Landesherrschaft
und Reichsmitgliedschaft
Die Landesherrschaft hatte in der Praxis der großen Territorien absolutistische Züge angenommen. Die Fürsten hatten ein Selbstbewußtsein entwickelt, das nicht nur in Preußen und Österreich, sondern auch in den südwestlichen Ländern Baden, Württemberg und Bayern ein absolutistisches Selbstverständnis hatte. 42 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten die Fürsten der größeren territorialen Reichsstände eine Machtstellung erreicht, mit der sie gegenüber Reich und Kaiser als unabhängige Landesherren auftraten. Dennoch hatten die Länder ihre Eigenschaft als Reichsstände behalten. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war nach der Konzeption von 1648
41 42
Vgl. dazu die umfassenden Darstellungen bei Möller, S. 61 Iff., und Huber I, S. 95ff. Vgl. Holborn, S. 366f.
II. Verfassungsrecht des Rheinbundes
149
ein iinmerwährender Bund der Länder; es begründete daher zwischen den Ländern und gegenüber dem Kaiser als Reichsoberhaupt ein unauflösliches Verhältnis. 43 Dazu waren die Landesherren nicht förmlich souverän. Sie hatten nur die rechtliche Stellung der Landeshoheit und waren formell dem Kaiser untergeordnet. Die Gründung des Rheinbundes war wegen dessen Zwecksetzung, der Pflicht zur Trennung vom Reich und wegen der politischen Vorherrschaft Napoleons über den Rheinbund mit der Reichsmitgliedschaft nicht vereinbar.
b) Bedeutung des Friedensvertrags
von Preßburg
Die Lösung vom Reich und der Übergang von der Landeshoheit zur Souveränität wurde bereits vor der Gründung des Rheinbundes angedeutet. Während der Reichsdeputationshauptschluß die tatsächliche Grundlage für die Eigenständigkeit der Fürsten schuf, enthielt der Frieden von Preßburg die rechtlichen Elemente einer Ländersouveränität und wurde zum juristischen Ausgangspunkt der Rheinbundgründung. 44 In Artikel X I V des Friedensvertrages erkannte der Kaiser die Souveränität der Herrscher von Baden, Bayern und Württemberg an. Obwohl diese formale Souveränität keine vollständige Unabhängigkeit der Fürsten bedeutete,45 ging sie über die Landeshoheit und damit auch über die reichsständische Bindung der Fürsten hinaus. Dies drückte auch Artikel V I I des Friedens Vertrages aus. Er stellte fest, daß die Fürsten auch mit der neuen Souveränität nicht aufhörten, Mitglieder der Deutschen Konföderation zu sein. Das deutsche Reich wurde hier zwar noch als staatsrechtliche Einheit behandelt. Aber die Bezeichnung als Konföderation implizierte bereits den Wechsel von der Reichs Verbindung der Stände zum Staatenbund selbständiger Fürsten. 46
c) Beurteilung der Gründung durch die Landesfürsten Die Fürsten beriefen sich bei der Gründung des Rheinbundes auf mehrere Gesichtspunkte.47 Sie begründeten ein Austrittsrecht mit der desolaten Lage
43
Vgl. Holborn, S. 338ff., 353ff.; Huber I, S. 69f. Vgl. Bitterauf, S. 247f.m.Nw. 45 Siehe dazu Quaritsch, S. 405ff., 481ff.; Gagliardo, S. 270f.; jew.m.Nw. 46 Vgl. Gagliardo, S. 274f.m.Nw. 47 Sie wurden in der gemeinsamen Erklärung der Rheinbundstaaten über die Trennung vom Reich genannt. Text der Erklärung in Huber, Dokumente, Nr. 3. 44
150
E. Der Rheinbund
des Reiches und dem egoistischen Verhalten Preußens und Österrreichs. Weiter sagten sie, daß das Reich bereits nicht mehr existierte, weshalb ihre Pflichten als Reichsstände weggefallen waren. Sie beriefen sich weiter darauf, daß nur Napoleon effektiven Schutz gewähren konnte und daher seine Politik mit den wahren deutschen Interessen übereinstimmte. Die Argumente der Fürsten sind juristisch vielfach untersucht worden. 48 Da die südwestdeutschen Länder durch ihre Politik gleichfalls gegen die Interessen des Reiches gehandelt und damit den Niedergang des Reiches mitverantwortet hatten, wurde ihnen ein Austrittsrecht nach dem Gedanken der clausula sie rebus stantibus nicht zugestanden. Der Untergang des Reiches wurde frühestens auf den Zeitpunkt der Niederlegung der Kaiserkrone datiert. Da der Rheinbund früher gegründet wurde und Anlaß für die Niederlegung war, 49 konnten sich die Fürsten auch darauf nicht berufen. Die Gründung des Rheinbundes verstieß gegen die reichsständischen Pflichten. So genau diese Aussage auch ist, hat sie doch nur eine beschränkte Aussagekraft. Die Rechtmäßigkeit der Rheinbundgründung hatte für die spätere Entwicklung keine Bedeutung; allein die Machtverhältnisse waren hier entscheidend. Und da die Kaiserkrone tatsächlich nicht wiederaufgenommen wurde, hatte die Vorstellung von einer möglichen juristischen Fortexistenz des Reiches nur geringe praktische Relevanz.50 Interessanter erscheinen die Folgen der Rheinbundgründung für die Landesherren. Die Grundlage ihrer Position, die territoriale Hoheit, wurde von der Mitgliedschaft im Rheinbund nicht berührt, was Artikel X X V ausdrücklich feststellte. 51 Den Fürsten wurde dadurch eine umfassende Souveränität zugesprochen, und die Anerkennung ihrer Hoheit durch die anderen Reichsstände war bereits im Friedensvertrag von Preßburg festgelegt worden. Mit dem Austritt aus dem Reich vollzogen sie formell den Schritt zur absolutistischen Souveränität. Die Fürsten standen zwar unter der politischen Vorherrschaft Napoleons, aber ihre förmlich uneingeschränkte Machtstellung blieb auch nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft erhalten. Die territoriale Umgestaltung im
48
Vgl. Huber I, S. 68ff.; Walter, S. 63ff.; Scheyhing, S. 88ff.; jew.m.Nw. Vgl. Huber I, S. 70f. zur französischen Zielsetzung. 50 Vgl. zur Unterscheidung zwischen der Suspension als Verlust der tatsächlichen Willens- und Handlungsfähigkeit und der rechtlichen Auflösung des Reiches Huber I, S. 72f. 51 Text des Vertrages in Huber, Dokumente, Nr. 2. 49
. Verfassungsrecht des Rheinbundes
151
Reichsgebiet führte auch zu neuen, größeren Mittelstaaten. 52 Bezüglich der Stellung der Fürsten enthielt die Rheinbundgründung sämtliche rechtlichen Voraussetzungen für die geänderte deutsche Staatenwelt.
2. Wesen und Inhalt des Bundesvertrages Die Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 war ein Vertrag von vierzig Artikeln und einer Präambel. Er war in französischer Sprache gehalten und wurde von Talleyrand im Namen Napoleons sowie den Bevollmächtigten der deutschen Fürsten unterzeichnet. Neben einer Vielzahl von Artikeln über territoriale Änderungen enthielt er vor allem die Rechtsstruktur des Rheinbundes.
a) Vertragsart Die Rheinbundakte war ein völkerrechtlicher Verpflichtungsvertrag. Sie regelte die Beziehungen der Mitglieder als souveräne Staaten und beinhaltete deshalb Pflichten völkerrechtlicher Art, worunter auch die Pflicht der Fürsten zum Austritt aus dem Reich fiel. Daneben war die Akte ein völkerrechtlicher Statusvertrag. Dem Bund als politischem Eigenwesen wurden Organe zugeordnet, die diesem eine begrenzte Willensbildungs- und Handlungsfähigkeit verliehen. Die Möglichkeit, dem Bund die Qualität eines Völkerrechtssubjekts zuzusprechen, kann erst nach einer genauen Analyse des Bundesaufbaus entschieden werden. Schließlich war die Bundesakte ein Verfassungsvertrag. Sie konstituierte kraft des übereinstimmenden Willens der Fürsten die Grundordnung des Bundes und stützte diese auf die noch zu bildenden Bundesorgane. Für eine Beurteilung des Bundes als Staatenbund oder Bundesstaat muß gleichfalls auf die Analyse des Bundesaufbaus verwiesen werden.
h) Formeller
Verfassungstyp
aa) Grundsätze Die Bundesakte ging von der Grundlage souveräner Landesfürsten aus und akzeptierte damit deren monarchische Legitimität. Die Länder waren gemäß
52
Die Rechtsgrundlage der Umgestaltung, der Reichsdeputationshauptschluß, war wirksames Reichsrecht und wurde auch nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft nicht angezweifelt; vgl. Huber I, S. 60f.
152
E. Der Rheinbund
Artikel X X V im Verhältnis zueinander und zum Bund als Gesamtheit souverän. Jeder Fürst hatte nach Artikel X X V I volle Legislativgewalt, oberste Judikativgewalt, höchste Polizeigewalt, Steuerhoheit und das Recht zur militärischen Aushebung. Den umfassenden Landesbefugnissen standen nur vereinzelte untergeordnete Landespflichten zugunsten des Bundes gegenüber. Die Relativierung der Länderhoheit lag in der tatsächlichen politischen Macht Napoleons, die in der Bundesverfassung durch die Figur des Bundesprotektors repräsentiert wurde.
bb) Ausgestaltung des Bundes (1) Fürstprimas Der frühere Kurfürst-Erzkanzler Dalberg trug als geschäftsführendes Bundesorgan die Bezeichnung Fürstprimas. Dieses Organ hatte aber im Gegensatz zum Kurerzkanzler keine geistlichen Funktionen, sondern war wie die übrigen Rheinbundfürsten ein weltlicher Herrscher. Die geistlichen Ämter waren von der staatlichen Stellung strikt getrennt und nur durch Personalunion verbunden. 53 Allerdings schloß die geistliche Stellung des Fürstprimas die Erblichkeit seiner staatlichen Stellung aus. Napoleon als Bundesprotektor behielt sich gemäß Artikel ΧΠ vor, den Nachfolger Dalbergs nach seinem Willen zu ernennen. Die Funktion des Fürstprimas war auf die Geschäftsführung beschränkt; Artikel I V bestimmte ausdrücklich, daß diese Stellung nicht mit Regierungsoder Herrschaftsrechten ausgestattet war. Die Souveränität der Mitglieder konnte durch den Fürstprimas nicht beeinträchtigt werden. Gemäß seiner Funktion hatte er auch den Vorsitz im Bundestag.
(2) Bundestag Der Bundestag sollte das gemeinsame Organ der Mitgliedsstaaten sein; als Tagungsort wurde Frankfurt bestimmt. Er bestand aus zwei Kollegien. Die Könige und die Großherzöge wurden unter dem Vorsitz des Fürstprimas zusammengefaßt, und die Fürsten bildeten unter dem Vorsitz des Herzogs von Nassau das zweite Kollegium.
53
Dalberg war zugleich Erzbischof in Aschaffenburg-Regensburg und Bischof in Konstanz.
. Verfassungsrecht des Rheinbundes
153
Gemäß Artikel V I bestand die Aufgabe des Bundestages darin, die gemeinsamen Bundesinteressen zu behandeln. Die Zusammensetzung und die Stimmenverteilung zeigten Parallelen zum Reichstag und belegten, wie sehr Napoleon die deutschen Verhältnisse berücksichtigen mußte. Nach Artikel I X sollten alle Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedsstaaten durch den Bundestag entschieden werden. Die Einzelheiten der Zusammensetzung, des Verfahrens und der Ausführung der Resolutionen sollten gemäß Artikel X I in einem Fundamentalstatut festgelegt werden. Tatsächlich trat der Bundestag zu Frankfurt niemals zusammen.
(3) Bundesprotektor Die Macht Napoleons wurde durch die Figur des Bundesprotektors repräsentiert. Er sollte sowohl die politische Unterwerfung als auch die militärischen Bündnisbeiträge gewährleisten. Da der Bundestag als das gemeinsame Repräsentativorgan niemals zusammentrat, war der Protektor und damit die französische Vormacht das einigende Bundeselement. Die ausdrückliche Aufgabe des Bundesprotektors bestand darin, die Sicherheit der Rheinbundstaaten zu gewährleisten. Dazu wurden dem Protektor vor allem außenpolitische und militärische Befugnisse eingeräumt. Gemäß Artikel X X X V löste jeder kontinentale Krieg, in den ein Mitglied verwickelt wurde, den Bündnisfall aus. Alle Mitglieder hatten dann militärischen Beistand zu leisten. Artikel X X X V I statuierte eine gemeinsame Rüstungspflicht der Mitglieder für den Fall, daß eine benachbarte bundesfremde Macht Rüstungen betreiben sollte, wobei der Protektor über eine mögliche Bedrohung entschied. Die auswärtigen Befugnisse verliehen dem Protektor unter den gegebenen Verhältnissen eine starke Position. Der Bündnisfall und die Beistandspflicht bedeuteten in der Praxis, daß die Rheinbundstaaten ihre außenpolitischen Befugnisse an Napoleon abgegeben hatten. Dazu kam, daß eine politisch streitige Entscheidung vor dem Bundestag nicht möglich war. Aus der Bundesakte ließ sich aber nicht ableiten, daß Artikel X X X V eine Souveränitätsübertragung an Frankreich darstellte. 54 Die Unterwerfung unter
54
So aber Hemming, S. 17f.
154
E. Der Rheinbund
die Außenpolitik Napoleons folgte aus den politischen Gegebenheiten55 und nicht aus der rechtlichen Bundesstruktur. Zur Einschränkung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit kamen in der Praxis Übergriffe in die innenpolitische Souveränität der Fürsten. Obwohl die Rheinbundakte dem Protektor derartige Rechte nicht verlieh, sah Napoleon es als selbstverständlich an, daß er zur Durchsetzung seiner Politik jede ihm notwendig erscheinende Einmischung vornehmen durfte. Der Begriff der gemeinsamen Sicherheit wurde entgegen den systematischen Bestimmungen der Rheinbundakte über die Ländersouveränität als eine extensive Befugnisnorm des Protektors interpretiert. 56 Da die Mitglieder dies duldeten, wird teilweise auch von einem durch Gewohnheitsrecht gebildeten oder konkludent anerkannten umfassenden Interventionsrecht gesprochen. 57 Für diese Annahme spricht, daß die Frage der Verteilung und Wahrnehmung von Kompetenzen zwischen den Bundesmitgliedern und dem Bund im Vertrag nicht ausdrücklich geregelt war. 5 8 Ein Beispiel dafür war die Aufnahme neuer Bundesmitglieder. Gemäß Artikel X X X I X sollten neue Mitglieder durch die bisherigen Vertragsparteien zugelassen werden, was eine Übereinstimmung mit den gemeinsamen Interessen erforderte. Für Neuaufnahmen war damit eindeutig der Bundestag zuständig. Auch ohne dessen Einberufung wäre zumindest die Zustimmung der Mehrheit der Bundesmitglieder nötig gewesen. In der Praxis erfolgten Neuaufnahmen allein durch Akzessionsverträge zwischen Napoleon und dem beitretenden Staat. Gegen eine derartige weite Auslegung des Rheinbundvertrages ist aber anzuführen, daß völkerrechtliche Verträge und damit auch der Bundesvertrag grundsätzlich auf ihren Zweck begrenzt auszulegen sind. Weiter war der Grundsatz der umfassenden Länderhoheit expliziter Vertragsbestandteil, was gleichfalls für eine restriktive Interpretation der Kompetenzen des Protektors spricht. Da die Bundespraxis nicht von der exakten Auslegung der Rheinbundakte, sondern vom Willen Napoleons bestimmt wurde, sollte man konsequenterweise von der napoleonischen Interventionsmacht reden.
55 56 57 58
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Huber I, S. 81f. Huber I, S. 82. dazu auch Huber I, S. 82, der von einer stillschweigenden Vertragsnorm ausgeht. Hemming, S. 17.
. Verfassungsrecht des Rheinbundes
155
c) Rechtliche Einordnung des Rheinbundes Die rechtliche Bewertung des Rheinbundes ist wegen der Divergenz von geplanter Struktur und politischer Praxis nicht eindeutig. Deutlich wird dies bereits an den Begriffen von Staatenbund, Bundesstaat und Protektorat. Nach seiner formellen Struktur hatte der Rheinbund den Charakter eines Staatenbundes. Der Bund basierte auf einer umfassenden Länderhoheit und sollte nur gemeinsamen außenpolitischen Zwecken dienen, ohne mit eigenen souveränen Rechten ausgestattet zu sein. 59 Unter praktischen Aspekten fallt die Antwort anders aus, da Napoleon eine umfassende Interventionsmacht auch bezüglich der inneren Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten ausübte. Die Ansicht, daß das Wesen des Rheinbundes "unbedingte Unterwerfung in Sachen der europäischen Politik und ebenso unbeschränkte Freiheit im Inneren" 60 war, ist so nicht haltbar, da die Interventionen die Länderhoheit zumindest teilweise einschränkten. Aus der These der unbeschränkten inneren Freiheit ergibt sich die Frage, wer in der politischen Praxis des Rheinbundes Träger der Souveränität war. In der damaligen Lage der europäischen Staaten waren die militärischen und außenpolitischen Befugnisse, die Napoleon allein in seinem Interesse wahrnahm, unverzichtbarer Bestandteil der Integrität und damit auch der Souveränität eines Staates;61 die Aufspaltung in eine innere und eine äußere Souveränität scheiterte auch aus diesem Grund. Vielmehr erschien der Rheinbund als ein politisches Protektorat Napoleons. Treffend ist daher die Ansicht, die den Rheinbund nach seiner formellen Struktur als einen Staatenbund, in Wirklichkeit aber als ein politisches Protektoratsgebiet mit formeller staatenbündischer Struktur 62 sieht. Vor diesem Hintergrund klärt sich auch das Problem des Bundes als ein völkerrechtliches Subjekt. Auf der formellen rechtlichen Ebene fehlte dem Rheinbund die Übertragung hoheitlicher Kompetenzen, die üblicherweise im Gründungsvertrag vorgenommen wird. 6 3 Das gemeinsame Organ Bundestag
59 60 61 62 63
249ff.
Vgl. Huber I, S. 79; Deuerlein, S. 66f.m.Nw. So Treitschke, Theil 1, S. 225. Vgl. Huber I, S. 80f. So Huber I, S. 80. Vgl. Kimminich, Einführung, S. 121, 180f.; Schweitzer, Rdnrn. 530ff.; Verdross, S. 221f.,
156
E. Der Rheinbund
wurde nicht gebildet, und auch die für den Bundestag vorgesehenen Kompetenzen hatten nur geringe Bedeutung. Auf der politischen Ebene fehlte dem Bund die von Seiten der Nichtmitgliedstaaten nötige Anerkennung durch eigenständiges politisches Handeln von und gegenüber dem Bund. 64 Napoleon beanspruchte für seine Person alle maßgeblichen Befugnisse, weshalb der Rheinbund ein Protektorat blieb.
I I I . Ideengeschichtliche Entwicklung 7. Oberblick Die Zeit zwischen der Reichsauflösung und der Befreiung der deutschen Gebiete änderte die Grundlagen staatstheoretischer Überlegungen. Das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bedeutete den Verlust des jahrhundertealten Fixpunktes föderaler Überlegungen im deutschen Raum. An die Stelle des Reiches trat zunächst der Rheinbund, der ein politisches Zweckgebilde der napoleonischen Politik war. Zusammen mit der politischen Vormachtstellung Napoleons begann die Entwicklung eigenständiger, moderner föderaler Überlegungen in Deutschland. Die verschiedenen Ideen und Pläne wurden dabei von einer aktiven und umfassenden Publizistik begleitet. 65 Viele Übereinstimmungen ergaben sich bei der Analyse des untergegangenen Reiches, das nun im Rückblick und ohne unmittelbare politische Zielsetzung betrachtet werden konnte. Bezüglich der weiteren Entwicklung unterschieden sich aber die föderalen Entwürfe erheblich. 66 Zum einen entsprachen sie oft tagespolitischen Bedürfnissen. Soweit diese Überlegungen die weitere Entwicklung nicht beeinflußten, 67 sollen sie hier nicht weiter verfolgt werden. Eine weitere Gruppe waren die Anhänger des napoleonischen Kaisermythos. Im Gegensatz zu den deutschen Jakobinern, die französische Staatsentwürfe unmittelbar übernahmen, projezierten sie den Kaiser- oder Karlsmythos auf die
64
Vgl. zur heutigen rechtlichen Problematik der Anerkennung Schweitzer, Rdnrn. 436, 532
m.Nw. 65 Siehe dazu ausführlich Schuck, Rheinbundpatriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus. 66 Vgl. dazu auch die rechtsdogmatische Systematisierung bei Stolleis, Geschichte 2, S. 74f., sowie die (Jberlegungen bei Schuck, S. 27ff., 256ff., die aber nicht spezifisch auf föderale Entwicklungen bezogen sind. 67 Vor allem die oben dargestellten preußischen und österreichischen Überlegungen zur Reichsreform oder zu eigenständigen Fürstenbündnissen entsprachen nicht nur politischen Bedürfnissen, sondern enthielten auch theoretisch eigenständige 1 Jberlegungen.
ΠΙ. Ideengeschichtliche Entwicklung
157
Person und die Machtstellung Napoleons. Die Idee eines paneuropäischen Kaisertums wurde oft mit der Verherrlichung der realen Machtverhältnisse verbunden. Die Denker der romantisch-organischen Ausrichtung gingen gleichfalls von einer einheitlichen Staatsvorstellung aus. Sie verwarfen die vernunftrechtlichen Ansätze der Aufklärung und vertraten wie viele Anhänger Napoleons die Idee einer gesamteuropäischen politischen Ordnung. Sie waren aber nicht auf die Person Napoleons fixiert, sondern wollten ihre universalistischen Ziele primär im deutschen Raum verwirklichen. Diese Perspektive wurde auch von einigen Vertretern des napoleonischen Kaisermythos aufgegriffen. Schließlich gab es noch die Gruppe der Staatsdenker, die in der Tradition der Überlegungen zum Reich standen. Einige hielten auch für den Rheinbund an der föderalen Reichskonstruktion fest. Die meisten lösten sich aber von den altständischen föderalen Vorstellungen. Sie bewerteten sowohl das Reich als auch den Rheinbund aufgrund der veränderten Umstände. Diese neuen Bewertungen übertrafen quantitativ und qualitativ die anderen Ideen. Sie wurden theoretisch ausgebaut und führten zur Entwicklung moderner föderaler Überlegungen.
2. Überlegungen zur Zeit der Gründung Aus der Zeit bis zum Sommer 1806 stammten auch die letzten Vorschläge für eine Reform des ReichsVerbandes. Die anonymen "Winke an's Vaterland" 68 plädierten für eine patriotische Erneuerung des Reiches. Der Reichsverband sollte zu einer ständischen Formation der kleineren Fürsten unter dem Schutz des Kaisers und eines mächtigen Fürsten umgestaltet werden. Von der Einführung souveräner, aus dem Reich gelöster Fürstenstaaten befürchtete der Verfasser den Zerfall des Reiches. Angesichts des Friedens von Preßburg hatten diese Vorschläge utopischen Charakter. 69 Die Arbeit Kaysers 70 "Von den höchsten Interessen Deutschlands" 71 repräsentierte den Standpunkt Bayerns nach dem Preßburger Frieden. Für die
68 69 70 71
anonym, Winke. So Gagliardo, S. 271. Zu Kayser siehe Gagliardo, S. 271ff.m.Nw. Kayser, Interessen.
158
E. Der Rheinbund
Zukunft Deutschlands dachte er an eine Teilung des Reiches in eine nördliche und eine südliche Einflußsphäre. Die größeren Fürstentümer sollten arrondierte und souveräne Staaten werden und ein Föderativsystem bilden. Die von jeweils einem Zentrum aus regierten beiden Föderationen sollten weiterhin an den Reichseinrichtungen festhalten, aber die Reichsorganisation diente nur noch der politischen Zusammenarbeit der souveränen Länder; eigene staatliche Rechte hatte sie nicht. Der entscheidende Punkt in Kaysers Schrift war die Souveränität der größeren Territorien. Obwohl er deswegen angegriffen wurde, 72 wurden die größeren, selbständigen Länder als Basis einer deutschen Konföderation allmählich anerkannt. Auch Pähl als Anhänger des ständischen Reichsaufbaus stellte fest, daß Artikel X I V des Friedensvertrages von Preßburg den größeren süddeutschen Ländern formale Souveränität gewährte. Diese ging über die Landeshoheit hinaus, und statt vom staatlichen Reich sollte man nun von einer deutschen Föderation sprechen. 73 Nach der Gründung des Rheinbundes projezierte Pähl seine patriotische Gesinnung auf Napoleon und die erhoffte Entwicklung des Rheinbundes zu einem deutschen Bund. 74 Er wurde zusammen mit Gönner 75 und Halem 76 ein Vorreiter für die Rheinbundliteraten, die den Rheinbund und Napoleon als Träger nationaler und patriotischer Hoffnungen sahen.
3. Einzelne Überlegungen zum Rheinbund a) napoleonischer Kaisermythos aa) Peter Adolf Winkopp und seine Zeitschrift Peter Adolf Winkopp, ein ehemaliger Erfurter Mönch, war ein Anhänger der napoleonischen Rheinbundpolitik. 77 Er gehörte zum Einflußbereich des Fürstprimas Dalberg 78 und folgte ihm auch nach Frankfurt, 79 dem Sitz der
72
Siehe Schulz, S. 50ff.; Gagliardo, S. 273ff.; jew.m.Nw. Pähl, Betrachtungen, S. 49ff. 74 Pähl, Sind die Teutschen ?; ders., Der Rheinische Bund; ders.. Blicke auf Europa; ders., Uber das Einheitsprinzip. 75 Gönner, Über den Umsturz, S. lOf. 76 Halem, Der Rheinbund. 77 Vgl. Botzenhart, S. 340f.; Dreyer, S. 67f.; Koselleck, S. 654. Umfassend zu seiner Person und der politischen Entwicklung Schuck, S. 117ff.m.Nw. 78 Vgl. Botzenhart, S. 341; Dreyer, S. 67f. 73
ΠΙ. Ideengeschichtliche Entwicklung
159
geplanten Bundesversammlung des Rheinbundes. Hauptwerk seiner Aktivitäten war die Zeitschrift "Der Rheinische Bund", die von 1806 bis 1813 in 23 Bänden erschien. 80 Als Hauptorgan der sogenannten Rheinbundöffentlichkeit diente sie neben den Zeitschriften "Archiv des Rheinischen Bundes" und der "National - Chronik der Teutschen" vor allem dazu, die Rheinbundideologie darzustellen. 81 Entsprechend der politischen Einflußnahme durch Dalberg waren die Stellungnahmen zum Rheinbund durchweg positiv. Bezüglich der deutschen Länder wurde Napoleon unterstellt, daß er die Herstellung einer nationalen Einheit beabsichtigte, deren Vorform der Rheinbund sein sollte. 82 Damit war die Perspektive eines napoleonischen Kaisertums für Deutschland verbunden. Im Vergleich zur alten Reichsverfassung wurde der Rheinbund als eine formell und inhaltlich engere föderative Verbindung bezeichnet.83 Die Gründe dieser Überlegungen sind auf den ersten Blick offensichtlich. Sie hatten den Zweck, die formell souveräne Fürstenstellung einzuschränken und die Rheinbundländer auch förmlich der napoleonischen Vormachtstellung unterzuordnen. Die Anspielungen auf den Reichsgedanken sowie den Kaisermythos dienten der gewollten Wahrung einer deutschen historischen Kontinuität. Die Überlegungen von Winkopp zeigten deutlich das Spannungsverhältnis, in dem sich die deutschen Rheinbundanhänger befanden. Die tragende Idee war, in der Ausgestaltung des Rheinbundes die Kontinuität des Reiches zu wahren. 84 Insbesondere das von Dalberg vorgelegte Fundamentalstatut beinhaltete den Versuch, die Bundesstruktur an die Reichs Verfassung anzulehnen.85 In der Realität lehnte Napoleon aber sowohl eine Kaiserstellung als auch eine förmliche engere Verbindung der Rheinbundländer ab. Der theoretische Gehalt dieser Vorstellungen 86 war aus staatsrechtlicher Sicht problematisch. Zwar wurden ausdrücklich die Begriffe von Bundesstaat und Staatenbund verwendet. Sie waren aber nicht klar definiert, sondern
79 80 81 82 83 84 85 86
Vgl. Botzenhart, S. 341. Winkopp, Der Rheinische Bund. Vgl. dazu Botzenhart, S. 340f. Vgl. dazu umfassend Schuck, S. 27ff., 43ff.m.Nw. Vgl. Dreyer, S. 67f.; Botzenhart, S. 340. Vgl. Dreyer, S. 68 m.Nw. Vgl. Schuck, S. 181 ff., 198ff.m.Nw. Vgl. Schuck, S. 181f.m.Nw. Weitere kleinere Schriften bei Burg, Trias, S. 14ff.m.Nw.
160
E. Der Rheinbund
wurden von den Verfassern dieser Pläne als austauschbare politische Schlagworte benutzt. 87 Da weder unmittelbar an die föderalen Reichstheorien des 18. Jahrhunderts angeknüpft noch die neuen Grundlagen der förmlichen Länderherrschaft unterstützt wurden, hatten diese Überlegungen für die weitere ideengeschichtliche Entwicklung des staatsrechtlichen Föderalismus keine direkte Bedeutung. Sie scheiterten letztlich mit der napoleonischen Eroberungspolitik. Dennoch waren sie Ausdruck der Sichtweise, den Rheinund als neue föderale Struktur in eine Kontinuität mit der Reichsverfassung zu stellen.
bb) Ernst August Zinserlings Bündniseinteilung Ernst August Zinserling war seit 1808 am Kasseler Hof Professor für Geschichte.88 Er war in dieser Stellung vom König des neugegründeten Königreichs Westfalen, Jérôme Bonaparte, abhängig. 89 Dies prägte auch seine politische Richtung. Im Jahr 1809 veröffentlichte er in Heidelberg eine Schrift über föderale Systeme und Staatenverbindungen. 90 Er unterschied darin die verschiedenen Bündnisse nach ihrem politischen Charakter. Unter der "confédération politique" verstand er ein Bündnis, das auf politischer Abhängigkeit des einen und Expansionsstreben des anderen Teils aufbaute. Im Gegensatz dazu stellte er das "gouvernement fédératif", da diese Staatenverbindung auf politischer Gleichheit beruhte und gegenseitigen Schutz bezweckte. In seinen weiteren Überlegungen ordnete er dem Rheinbund und der Position Napoleons alle positiven Aspekte der "confédération politique" zu, die er angesichts der tatsächlichen Machtverteilung in Deutschland dem "gouvernement fédératif" vorzog. Der Titel der Schrift Zinserlings "Le système fédératif des anciens mis en parallèle avec celui des modernes" zeigte, daß bereits wenige Jahre nach dem Ende des Reiches die Veränderungen der Grundlagen von Staatsverbindungen erkannt wurden. In seiner Schrift widmete sich Zinserling aber nicht diesen geänderten Grundlagen. Er bevorzugte eine primär politisch ausgerichtete Analyse der Rheinbundverhältnisse. Die Unterscheidung von Staatenbündnissen
87
Vgl. Dreyer, S. 68. Anders bei den grundlegenden Werken; vgl. dazu Koselleck, Grundbegriffe, S. 636ff., 649ff.m.Nw. 88 Siehe Hamberger / Meusel, S. 320. 89 Vgl. Brie, S. 34 m.Anm. 90 Zinserling, Le système fédératif.
ΠΙ. Ideengeschichtliche Entwicklung
161
nach der Macht- und Interessenverteilung war ein tragfahiger Ausgangspunkt für eine theoretische Analyse föderaler Verbindungen. Folgerichtig sah Zinserling den Rheinbund als eine "confédération politique" an. Seine durchweg positive Bewertung dieses Systems lief aber auf eine Verherrlichung der napoleonischen Machtherrschaft hinaus. 91 Da die Darstellung Zinserlings keine Fortentwicklung föderaler Theorien enthielt und der Aspekt der politischen Machtverteilung durch seine Napoleonbewunderung diskreditiert wurde, haben seine Ideen keine große Verbreitung gefunden.
cc) Deutsche nationale Überhöhung der napoleonischen Herrschaft bei Müller und Aretin (1) Gemeinsame Elemente Die Vorstellung vom Rheinbund als einem Vorläufer einer deutschen Nationaleinheit wurde auch von Personen vertreten, die nicht dem direkten Einfluß Napoleons unterlagen. Ihre Ideen waren gleichfalls vom Plan eines germanischen Bundes geprägt. Die napoleonische Hegemonialpolitik wurde aber eher ablehnend betrachtet. Stattdessen hatten sie für die generelle politische Gliederung des europäischen Raumes universalistische und liberalpazifistische Vorstellungen. Häufig wurden auch religiöse Ansätze integriert.
(2) Johannes von Müller Johannes von Müller 9 2 orientierte sich relativ eng an den Vorstellungen Winkopps. Er veröffentlichte in der "Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung" Rezensionen über Winkopps Zeitschrift, die sehr positiv ausfielen. 93 Neben die positive Bewertung der napoleonischen Herrschaft trat die allgemeine Idee eines starken nationalen Bundes der deutschen Länder, der das untergegangene Reich ersetzen sollte. 94 Diese nationale Sichtweise wurde von liberalen und demokratischen Gedanken begleitet. Müller kritisierte die absolutistische Souveränität der deutschen Fürsten, die er dem Despotismus zuordnete. Dazu bemängelt er die fehlende Erwähnung und Integration des deutschen Volkes in der Rheinbundakte.
91 92 93 94
So bereits kritisch Brie, S. 34, Anm. 5. Zu den biographischen Daten siehe Allg. Dt. Biogr., S. 587ff.m.Nw. Müller, J.v., in: Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, 1807, Band 3; 1808. Vgl. dazu Botzenhart, S. 341.
11 Grzeszick
162
E. Der Rheinbund
(3) Johann Christopher von Aretin Johann Christopher von Aretin 95 war ein Bewunderer Napoleons. Er verstand dessen europäische Eroberungspolitik im Lichte eines europäischen Kaisertums. 96 Zugleich war Aretin aber auch ein Anhänger der bayerischen Reformpolitik. Er sah daher in der napoleonischen Rheinbundverfassung die Grundlage für die Beseitigung feudaler und ständischer Strukturen sowie die Einführung der Herrschaftsform der konstitutionellen Monarchie. 97 Die neue bayerische Landesverfassung von 1808 war nach seiner Ansicht dafür das beste Beispiel. 98 Als Ziel der von Napoleon eingeleiteten Entwicklung erhoffte er eine Friedensordnung für alle europäischen Staaten, die den Menschen Sicherheit und Freiheit zur Entfaltung ihrer Tätigkeiten gewähren sollte. Seine Vorstellungen von Ordnung und Recht hatten historische und religiöse Wurzeln. Als personifiziertes Vorbild einer universalistische Ordnung sah er Karl den Großen an.
(4) Perspektiven
dieser Ideen
Diese nicht direkt von Napoleon gesteuerten Ideen waren zu Beginn des Rheinbundes weit verbreitet. Sie belegten, wie groß nach dem Ende des Reiches das Bedürfnis nach Ordnung und Frieden war. Die meist historisch geführten Argumentationen versuchten, an überkommene Ideen anzuknüpfen. Besonders sichtbar wird dies bei der Wiederherstellung des Kaisertums und des Reichsgedankens. Diese Vorstellungen waren aber theoretisch nur in Grenzen fundiert, was die kritische Uberprüfung anhand der politischen Praxis verdeutlichte. 99 Der von Ihnen betonte Bruch des Rheinbundes mit der ständischen Reichsstruktur zeigte einen wichtigen Aspekt der Rheinbundentwicklung. Die prinzipielle rechtliche Souveränität der Landesherren wurde unabhängig von der Einstellung der Autoren zum staatsrechtlichen Ausgangspunkt der
95 Zum persönlichen Hintergrund siehe Allg. Dt. Biogr., S. 518f.; Neue Dt. Biogr., S. 346; jew.m.Nw. 96 Aretin, J.C.v., Biographie Napoleons. 97 Vgl. Schuck, S. 285ff.m.Nw. 98 Schuck, S. 285 m.Nw. 99 Vgl. Brie, S. 34, Anm. 5.; Botzenhart, S. 343.
Ι . Ideengeschichtliche Entwicklung
Bundesverbindung, 100 was den fortschrittlichen Rheinbundes betonte.
163
föderalen Charakter des
Dazu verdeutlichten sie die Tendenz, als Objekt patriotischen Gedankenguts in Deutschland politische Systeme zu wählen, die über die Einheiten der einzelnen Territorien hinausgingen. Der napoleonische Karlsmythos erscheint in dieser Linie als Bindeglied zwischen dem älteren Reichspatriotismus und den folgenden nationalstaatlichen Ideen. Deutlich wurde die politische Abhängigkeit der an Napoleon orientierten Ideen durch das Verschwinden entsprechender Vorschläge ab 1810. Mit der Befreiung der deutschen Gebiete ab 1813 wurde diesen föderalen Überlegungen die praktische Grundlage entzogen. Die staatsrechtlichen Aspekte behielten aber ihre Bedeutung, was auch von anderen Autoren erkannt wurde.
b) Staatsrechtlicher Übergang vom Reichsmodell zu den deutschen Bundesvorstellungen aa) Überblick Die überwiegende Anzahl der Publizisten knüpfte an den Entwicklungsstand der föderalen Lehren am Ende des 18. Jahrhunderts an. 1 0 1 Sie hatten nun aufgrund der Ereignisse seit 1790 viele Probleme zu bewältigen. Zunächst standen sie noch in der Tradition der föderalen Reichsmodelle, aber bereits bei der Bewertung des Reiches kamen sie oft zu anderen Ergebnissen als die alten Lehren. Sie konnten die politische Wirklichkeit gegen Ende des Reiches nun offen und ohne verklärende politische Zielsetzungen behandeln. Weiter wurde bei vielen Überlegungen deutlich, daß die fundamentalen Änderungen bezüglich föderaler Staatsstrukturen und Staatlichkeit überhaupt schon erkannt wurden. Die verfassungsrechtliche Entwicklung moderner Staatlichkeit, die durch das Ende des Reiches offenbar geworden war, wurde nun in den Darlegungen über föderale Staatsformen berücksichtigt. Hinzu kamen die Ideen des Konstitutionalismus und des Nationalstaates. Damit war der Ausgangspunkt für das moderne föderale Staatsrecht gegeben. 102
100
Siehe dazu ausfuhrlich Schuck, S. 286ff.m.Nw. So fur das öffentliche Recht allgemein Stolleis, Geschichte 2, S. 62ff., 73ff. 102 Auf die ideengeschichtliche Bedeutung dieser Zeit verweisen Deuerlein, S. 67; Dreyer, S. 65f.; Koselleck, S. 649ff.; Stolleis, Geschichte 2, S. 62ff. 101
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E. Der Rheinbund
bb) Konventionelle Analysen von Reich und Rheinbund (1) Johann Ludwig Klüber (a) Persönlicher Hintergrund Johann Ludwig Klüber wurde nach dem Studium der Rechtswissenschaft 1787 in Leipzig ordentlicher Professor für dieses Fach. 103 1804 war er in Baden Staatsrat. 1807 nahm er eine Professur in Heidelberg an. Auf eine Einladung Hardenbergs hin nahm er 1814/15 am Wiener Kongreß teil, und er folgte dem Staatskanzler dann als Legationsrat nach Berlin. Da er sich nach dem Tod Hardenbergs mit der Politik der Restauration nicht abfinden konnte, nahm er 1822 in Berlin seinen Abschied. Ab 1824 lebte er als Privatgelehrter in Frankfurt. Er wurde einer der bedeutendsten Staatsrechtler des Deutschen Bundes. 104
(b) Föderale Überlegungen 1808 erschien in Tübingen sein "Staatsrecht des Rheinbundes". Als eine gründliche und umfassende Darstellung des positiven rheinbündischen Rechts behandelte es in Klübers dogmatisch-historischer Lehrmethode 105 auch die Frage nach dem föderalen Charakter des Rheinbundes. Klübers Staatsbegriff war maßgeblich von den liberalen und naturrechtlichen Vertragstheorien bestimmt. 106 Bereits mit dieser Grundlage knüpfte Klüber an die Staatslehre Pütters an. 1 0 7 Noch stärker war die Übereinstimmung bei der Beurteilung des alten Reiches. Klüber sah das Reich als eine in Funktion und Macht stark eingeschränkte Wahlmonarchie; er ordnet dem Reich und den Ländern Staatsgewalt zu. 1 0 8 Im Gegensatz dazu war der Rheinbund ein Verein souveräner deutscher Staaten.109 Der Rheinbund beruhte rechtlich als Verband lediglich auf einem
103
Dazu und zum Folgenden Dreyer, S. 71. Vgl. Dreyer, S. 70, 103ff.; Koselleck, S. 654, 657. 105 Vgl. dazu Schuck, S. lOOf.m.Nw. 106 Klüber, Staatsrecht, S. l l f f . Vgl. auch Dreyer, S. 71; Koselleck, S. 654.; jew.m.Nw. 107 Klüber verstand sein Werk als Fortfuhrung der Lehre Pütters, was er im Untertitel seines Staatsrechtsbuches von 1791 "Als Fortsetzung und Ergänzung der Pütterschen von Johann Ludwig Klüber" ausdrückte und auch in seiner Methodik, offenbar wurde. 108 Klüber, Staatsrecht, S. 28. 109 Klüber, Staatsrecht, S. 4ff. 104
Ι . Ideengeschichtliche Entwicklung
165
völkerrechtlichen Gesellschaftsvertrag zwischen den Mitgliedern. 110 Dieses Übereinkommen schaffte nach Klüber nur eine politische Sozial- oder Kollegialgewalt, 1 1 1 aber keine Gewalt mit einer Oberhoheit über die einzelnen Bundesmitglieder. 112 Der Rheinbund als Staatenbund beschränkte daher rechtlich die Souveränität der Bundesmitglieder nicht; allein die Fürsten waren souveräne Gebietsherrscher. 113 Subjekte des Staatsrechtes 114 waren aber sowohl die einzelnen Länder als auch die Konföderation als Gesamtheit. 115 Neben der juristischen Analyse des Rheinbundes erörterte Klüber auch die tatsächliche politische Lage. Die faktische Vormachtstellung Napoleons und seine Position als Protektor des Rheinbundes veranlaßten ihn dazu, den Rheinbund als ein besonderes Staatensystem zu bezeichnen, das über einen einfachen Staatenbund hinausging. 116 Da Klüber kein Bewunderer Napoleons war und den Rheinbund eindeutig als losen Staatenbund qualifizierte, enthielt diese Bewertung der Sache nach die Bezeichnung des Rheinbundes als napoleonisches Protektorat. 117 Für die damalige Zeit und noch mehr für Klübers Position als Heidelberger Professor war dies eine ungewöhnlich offene und konsequente Haltung. Die Überlegungen Klübers waren die konsequente Fortsetzung der Lehren des 18. Jahrhunderts. Obwohl er am Reichsmodell Pütters festhielt, sah er den Rheinbund als lose Vereinigung souveräner Staaten. Jede Anlehnung des Rheinbundes an die Reichstraditionen lehnte er ab. Die konsequente Anwendung der tradierten staatsrechtlichen Methodik auf den Rheinbund bildete auch den hauptsächlichen Verdienst seiner Überlegungen. 118 Dazu deutete er mit den Kriterien von Staatlichkeit und souveräner Leitungsgewalt auf die Frage nach der Souveränität in engen föderalen Staatsverbindungen hin. Andererseits bot Klüber keine Lösungsmöglichkeit für dieses absehbare Problem. Er blieb insoweit bei den Überlegungen Pütters stehen, 119 was aus der Sicht der weiteren Entwicklung als hemmender Faktor erschien. Während
110
Klüber, Staatsrecht, S. 6. Klüber, Staatsrecht, S. 120. 112 Vgl. Koselleck, S. 654. 113 Klüber, Staatsrecht, S. 120ff. 114 Zur Rechtspersönlichkeit des Staates bei Klüber und deren Bedeutung fur das deutsche Staatsrecht ausführlich Quaritsch, Staat, S. 48Iff. m.Nw. 115 Klüber, Staatsrecht, S. 86. 116 Klüber, Staatsrecht, S. 95. 117 So im Ergebnis auch Dreyer, S. 72. 118 So auch Stolleis, Geschichte 2, S. 72. 119 So kritisch Brie, S. 34, Anm.6.; Schuck, S. lOOff. 111
166
E. Der Rheinbund
bereits einige zeitgenössische Staatstheoretiker dem alten Reich jede Staatsqualität absprachen, hielt Klüber am Reichsmodell Pütters fest. Für den Rheinbund ging zwar auch Klüber von einer absolutistischen Landesherrschaft aus, womit er den Reichsdeputationshauptschluß und die Reichsauflösung rechtlich anerkannte. Aber die Bewertung föderaler Staatselemente auf dieser Grundlage, die der nächste Schritt gewesen wäre, war ihm aufgrund seiner positivistischen und traditionsbestimmten Orientierung 120 versperrt. Weiter wurde kritisiert, daß Klüber durch die Betonung der Natur des Rheinbundes als ein völkerrechtlicher Gesellschaftsvertrag die staatsrechtliche Antithese zwischen Staatenbund und Bundesstaat als völkerrechtliches Problem darstellte. 121 Die genaue Betrachtung des Differenzierungskriteriums, der souveränen politischen Leitungsgewalt, zeigt aber, daß auch Klüber dem völkerrechtlichen Gegensatz nur sekundäre Bedeutung zuordnete. Maßgeblich für die föderale Beurteilung war die Staatlichkeit der politischen Macht; das Zustandekommen der Macht war demgegenüber nachrangig. Zudem zeigten seine Überlegungen zur Staatssubjektivität der Fürsten und des Bundes, daß allein die völkerrechtliche Qualifizierung keinen zwingenden Schluß auf die staatsrechtliche Qualität der föderalen Elemente zuließ. Klüber wollte mit seinem Werk zunächst das positive Recht des Rheinbundes darstellen, was ihm auch gelang. 122 Er griff dabei nicht auf die altständische Reichsidee zurück. Für die Länder akzeptierte er die neuen staatsrechtlichen Grundlagen im Sinne einer modernen Staatlichkeit. Damit verband er die Idee eines allgemeinen deutschen Staatsrechts als ein Symbol der konstitutionellen Einheit und als gemeinsames Element der Verfaßtheit der deutschen Gebiete in einer födearlen Struktur. 123 Seine Überlegungen förderten damit die Entwicklung des modernen Föderalismus. Der Entwurf neuer föderale Staatsmodelle auf der Grundlage der modernen Staatlichkeit blieb aber Anderen vorbehalten.
120 121 122 123
Dazu Stolleis, Geschichte 2, S. 71f., 74. So Koselleck, S. 654f. Vgl. Stolleis, S. 71f., 74. Vgl. dazu Schuck, S. 102f.m.Nw.
Ι . Ideengeschichtliche Entwicklung
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(2) Günther Heinrich von Berg (a) Persönlicher Hintergrund Günther Heinrich von Berg studierte zunächst in Tübingen. Später wurde er auf Pütters Veranlassung hin in Göttingen zum außerordentlichen Professor ernannt. 124 Der Kontakt mit Pütter sollte auch seine Werke beeinflussen. 125 Als Professor trat er in die Dienste des hannoveranischen Hofes. Nach dessen Auflösung wurde er 1811 Regierungspräsident in Schaumburg-Lippe. 1815 ging er als oldenburgischer Gesandter an den Deutschen Bundestag. Von 1829 an wirkte er bis zu seinem Tod als Rat und Minister in Oldenburg. 126
(b) Föderale Überlegungen Bekannt wurde Berg vor allem durch sein siebenbändiges Polizeirecht, das von 1799 bis 1809 erschien und den Übergang von der alten kameralistischen Polizeilehre zum modernen Polizeirecht darstellte. 127 Er beschäftigte sich aber auch mit der Frage der staatlichen Verfassung der deutschen Gebiete. In seiner 1795 in Göttingen erschienen Schrift "Über Teutschlands Verfassung und die Erhaltung der öffentlichen Ruhe in Teutschland" sprach er sich für die Aufrechterhaltung einer nach konstitutionellen Prinzipien reformierten Reichsverfassung aus. 128 Sein Hauptwerk über den Rheinbund erschien 1808 in Hannover. 129 Berg analysierte darin zunächst den rechtlich festgelegten Zweck des Rheinbundes; er sah ihn in der Wahrung von Frieden und Sicherheit für die Bundesgenossen. Aufgrund dieses förmlich begrenzten Zweckes der Vereinigung und wegen der Tatsache, daß in der Rheinbundakte die Souveränität der Mitgliedsstaaten als gegeben anerkannt wurde, sah er den Rheinbund als Staatenbündnis an. Die Souveränität der Mitglieder wurde durch den Bund nicht beeinträchtigt, da die Bundesgewalt keine oberste, souveräne Gewalt im Sinne einer Staatlichkeit
124 125 126 127 128 129
Vgl. Maier, S. 207f. Vgl. Stolleis, Geschichte Vgl. Maier, S. 208. Vgl. Stolleis, Geschichte Vgl. Stolleis, Geschichte Berg, G., Abhandlungen
1, S. 388. 1, S. 388 ff. 1, S. 320. zur Erläuterung der Rheinischen Bundesakte.
168
E. Der Rheinbund
war. 1 3 0 Dazu erkannte er ein Recht der Mitglieder zum Austritt aus dem Rheinbund an. Dies war eine politisch brisante Aussage, die aber von anderen Denkern mitgetragen wurde. 131 Für eine enge Staatsverbindung verlangte er einen weitergehenden Zweck und eine entsprechende umfassende Gewalt. Als Beispiel nannte er das alte Reich, das über die Sicherung der Gesamtheit und der Einzelstaaten hinaus auch die Rechte der Regenten und Untertanen im gesamten Reich und in den einzelnen Staaten erhalten sollte. Dieser Zweck der allseitigen Rechtssicherheit, der für Berg zugleich der eigentliche allgemeine Zweck von Staatlichkeit war, 1 3 2 verlangte auch eine allgemeine höchste Staatsgewalt, die dem Reich zugeordnet wurde. Die Staatsgewalt der Länder war dabei allgemein eingeschränkt und der höchsten Gewalt untergeordnet. Es bestand keine souveräne Landeshoheit. Zum Schluß seiner Abhandlung betonte Berg, daß die Bundesversammlung im Rheinbund als Beispiel eines Staatenbundes nur eine politische Behörde zur Erhaltung des Friedens unter den souveränen Mitgliedern war; 1 3 3 sie hatte keine Hoheitsrechte über die Mitglieder. Er zog daraus den Schluß, daß der Rheinbund kein Bundesstaat, sondern nur ein Staatenbund und damit eine Gesellschaft unabhängiger Staaten zur Wahrung innerer und äußerer Ruhe war. Die Annahme einer Souveränität des Bundes war für ihn eine aus der früheren Reichsverfassung herstammende Idee, die nicht auf den Rheinbund übertragbar 134
war. Die Vorstellungen Bergs ähnelten den Überlegungen Klübers, weshalb die dort angesprochenen Aspekte prinzipiell auch für Berg zutrafen. Zwei Besonderheiten müssen aber betont werden. Aus biographischer Sicht waren die verschiedenen Einflüsse der damaligen politischen Situation bei Berg besonders prägnant. Die grundlegende Ausbildung erfolgte im alten Reich und wurde noch stark von Pütters Vorstellungen beeinflußt. Danach folgten das Ende des Reiches, die französische Besetzung und schließlich die Gründung des Rheinbundes. Diese aktuellen Ereignisse hatten jeweils unmittelbaren Einfluß auf die Tätigkeit und
130
Berg, G., Abhandlungen, S. Iff., 283. Vgl. Zachariä, Staatsrecht, S. 71. 132 Vgl. Brie, S. 37f. 133 Berg, G., Abhandlungen, S. 189ff. mit Ausführungen über das Reich und die Landeshoheit. 134 Berg, G., Abhandlungen, S. 283. 131
Ι . Ideengeschichtliche Entwicklung
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den Lebenskreis Bergs, und dessen verschiedene Berufe zeigten deutlich, wie eng damals theoretische Überlegungen und praktische Politik verbunden waren. Bergs Lebenslauf war ein gutes Beispiel dafür und stand stellvertretend für andere Personen. In fachlicher Hinsicht ergaben sich aber einige Unterschiede. Obwohl Klüber wie Berg die neuen staatsrechtlichen Tatsachen des Reichsunterganges und der Fürstensouveränität anerkannte, löste nur Berg sich bezüglich des Rheinbundes vom Pütterschen Reichsmodell. Berg definierte abstrakt die Kriterien des Staatszweckes und der Staatsgewalt zur Beurteilung der Qualität von Staatsverbindungen; er kam so zur Bildung des Gegensatzpaares von Staatenbund und Bundesstaat. Dabei vernachlässigte er den Aspekt der völkerrechtlichen Gesellschaftsverträge zugunsten neuer Kriterien. Diese Parameter enthielten Elemente einer modernen Auffassung von Staatlichkeit und waren bei Berg Grundlage für die Qualifizierung von föderalen Staatenverbindungen. Die Lösung von den altständisch-feudalen Reichsvorstellungen wurde deutlich, als er die Kriterien der modernen Staatlichkeit auf die Reichsverfassung anwandte und das Reich implizit als Bundesstaat qualifizierte. Zusammen mit dem neu definierten und erläuterten Gegensatzpaar von Staatenbund und Bundesstaat konnte Berg die ann der Reichsverfassung entwickelten Vorstellungen zu föderalen deutschen Staatsverbindungen überwinden und zugleich kontinuierliche Aspekte betonen. 135 Ansätze zur Lösung für das bereits bei Klüber erwähnten Problem von Souveränität und Bundesgewalt konnte aber auch Berg nicht bieten.
cc) Ansätze moderner bundesstaatlicher Vorstellungen (1) Karl Solomo Zachariäs Bundesideen (a) Persönlicher Hintergrund Karl Solomo Zachariä hatte in Leipzig und Wittenberg studiert, wo er 1802 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften wurde. Nach 1806 wurde er Hofrat und Professor in Heidelberg. In der Zeit des deutschen Bundes war er
135
Zur Betonung kontinuierlicher Elemente bei Berg vgl. Schuck, S. 90f.m.Nw.
170
E. Der Rheinbund
zeitweise Mitglied in der ersten bzw. zweiten Kammer Badens. 136 Neben der an Verschrobenheit grenzenden Originalität seiner Gedanken137 war er dafür bekannt, für Ehren und finanzielle Vorteile sehr empfänglich zu sein. 138
(b) Föderale Überlegungen Seine Hauptwerke über den Rheinbund waren das "jus publicum civitatum" von 1807 und das "Staatsrecht des Rheinbundes" von 1810. Die erste Äußerung über den Bundescharakter des Reiches und der deutschen Gebiete stammte aber bereits aus dem Jahr 1804. 139 Es wurde unter dem Eindruck des Friedens von Lunéville verfaßt. Die durch den Friedensvertrag und den Reichsdeputationshauptschluß veränderten Rahmenbedingungen sah Zachariä als konsequente Entwicklung der deutschen Reichsverbindung an. Aufgrund der politischen Erfahrung behauptete er, daß das sogenannte deutsche Reich kein einheitlicher Völkerstaat, sondern nur ein Völkerbund zwischen souveränen Fürsten war. Für die Qualifizierung einer föderalen Verbindung sah er Staatlichkeit als nötig an. Entscheidendes Element der Staatlichkeit war bei ihm eine effektive und souveräne oder höchste einheitliche Macht. Aufgrund des Abstimmungsverhaltens auf dem Reichstag und der dem Kaiser gegenüber den Reichsständen effektiv fehlenden politischen Exekutivgewalt sprach er dem Reich eine einheitliche und souveräne Staatsgewalt ab. Die tatsächliche Machtverteilung führte nach den Überlegungen Zachariäs dazu, den Reichsverband auch rechtlich nicht als Völkerstaat zu qualifizieren. 140 In seinem "jus publicum civitatum", das er 1807 und damit nach der Gründung des Rheinbundes schrieb, wandte er dieses theoretische Modell auf den Rheinbund an. Er stellte fest, daß der Rheinbund eine Gesellschaft souveräner Staaten mit einer nur schwach ausgebildeten Zentralgewalt war. Daher konnte er auch durch den Dissens seiner Mitglieder aufgelöst werden. 141 Die Gegensatzbildung von Völkerstaat und Völker- oder Staatenbund entwickelte er gleichfalls fort. Als Kriterium für die Staatsgewalt nannte er
136 137 138 139 140 141
Vgl. Dreyer, S. 69. Vgl. Brie, S. 34; Dreyer, S. 69. Vgl. Schnabel, S. 208; Mohl, S. 513f. Zachariä, Geist der Reichsverfassung. Zachariä, Geist, S. 43ff. Zachariä, jus publicum, S. 71.
Ι . Ideengeschichtliche Entwicklung
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deren Kompetenzen und Wirkungskreise gegenüber den Mitgliedern. Dazu wies er als Synonym zum oben genannten begrifflichen Gegensatz auf das Paar Bundesstaat - Staatenbund hin. 1 4 2 Höhepunkt seiner Erläuterungen über die Staatenverbindungen und den Rheinbund war das "Staatsrecht des Rheinbundes" von 1810. Zachariä blieb darin bei der Beurteilung des Rheinbundes als Staatenbund. In Hinsicht auf die politische Lage nahm er aber gewisse Korrekturen vor. Die Einheit des Rheinbundes führte er jetzt allein auf die Stellung Napoleons als Protektor zurück, 143 was eine offene Anspielung auf dessen politische Vorherrschaft über die deutschen Länder war. Weitergehend differenzierte er zwischen dem außenpolitischen Auftreten des Bundes als eine Einheit durch napoleonische Repräsentation sowie den übrigen staatlichen Bereichen, bei denen die Selbständigkeit der Länder erhalten bleiben sollte. 144 Schließlich entwickelte Zachariä die Perspektive einer gesamteuropäischen Friedensordnung unter einer französischen Vorherrschaft; dies sollte dem Rheinbund den Charakter eines germanischen Bundes geben. 145 Aber selbst dabei betonte er die weiterhin geltende grundsätzliche Souveränität der Länder. 146 Auch die Erörterungen Zachariäs gingen von den Grundlagen einer modernen Staatlichkeit und der Souveränität der Länder aus. 1 4 7 Seine Erörterungen über Unterschiede und Bezüge zwischen völkerrechtlichen Aspekten von föderalen Staatenverbindungen und deren staatsrechtlicher Behandlung entsprachen den oben dargestellten zeitgenössischen Lehren. Allerdings behauptete Zachariä trotz der vertraglich auf Dauer angelegten Verbindung der Rheinbundstaaten ein Sezessionsrecht der Mitglieder, was einen nicht erläuterten Widerspruch in seinen Überlegungen darstellt. 148 Mit innovativem Potential versehen waren dagegen seine Äußerungen über das Reich als Staatenverbindung. Obwohl er mit der These, daß das Reich ein Staatenbund war, eher auf die Mißstände in der Reichspolitik der Länder hinweisen wollte, 1 4 9 ergab sich deutlich, daß er auch für die allgemeine
142
Zachariä, jus publicum, S. 71. Zachariä, Staatsrecht, S. 124ff. Auf S. 127 sprach er von einem Herkommen, das mit der Souveränität der Rheinbundstaaten nicht vereinbar war. 144 Zachariä, Staatsrecht, S. 137ff., 140ff. 145 Zachariä, Staatsrecht, S. 135ff. 146 Zachariä, Staatsrecht, S. 138ff. 147 So auch Schuck, S. 97ff.m.Nw. 148 Dreyer, S 70, führt dies auf die politische Zwecksetzung zurück, wonach Zachariä möglicherweise die Position seines Landesherren gegenüber Napoleon stärken wollte. 149 Siehe dazu seine kritische Darstellung in Zachariä, Staatsrecht, S. 127f. 143
172
E. Der Rheinbund
Qualifizierung von Staatenverbindungen auf die tatsächliche politische Machtverteilung zurückgriff. Anhand der Darstellung der außenpolitischen Repräsentation des Rheinbundes durch Napoleon wurde dies sehr deutlich. Gleichzeitig differenzierte er genau zwischen Völkerrecht und Staatsrecht im engeren Sinne und hielt am Prinzip der Landessouveränität fest. M i t den Elementen moderner Staatswesen gelangte Zachariä bereits zu einer genauen Darstellung von Kompetenzaufteilungen zwischen der Bundesebene und den Mitgliedsländern. Da die genaue Abgrenzung zwischen Staatenbund und Bundesstaat unter Verbindung rechtlicher und politischer Aspekte erfolgte, 150 wurde diese Abgrenzung den verschiedenen Übergangsformen zwischen Staatenbund und Bundesstaat eher gerecht als eine nur an abstrakten juristischen Begriffen orientierte Unterscheidung. Die Feststellungen über den Rheinbund und den Reichszustand nach dem Reichsdeputationshauptschluß belegten dies nachdrücklich. An den Äußerungen Zachariäs wurde aus politischer Sicht Kritik geübt. 151 Ihm wurde vorgeworfen, die Entwicklung der napoleonischen Herrschaft über Deutschland unterstützt und die Idee einer Ausweitung des Rheinbundes zu einem germanischen Bund unter französischer Vorherrschaft vorangetrieben zu haben. Bei einer genauen Analyse kann dies aber nicht im vollen Umfang bestätigt werden. Die Kritik an den Zuständen im Reich waren zwar hart und teilweise provozierend, aber eine Befürwortung der Vorherrschaft Napoleons fand sich darin nicht. Soweit in den späteren Erläuterungen des Rheinbundes napoleonische Machtstellung als Vorbild dargestellt wurde, geschah dies regelmäßig, um auf die Mißstände der Reichsorganisation hinzuweisen. Dazu geizte Zachariä nicht mit Kritik am napoleonischen Herrschaftsstil. 152 Auch betonte er stets den Grundsatz der Souveränität der Länder im Rheinbund. Bezüglich der Vorstellungen von einem germanischen Bund ist die Kritik angesichts der realen Politik Napoleons berechtigt. Dennoch ist auch hier zu bedenken, daß solche Gedanken zu dieser Zeit weit verbreitet waren; die Perspektive eines deutschen Bundes in einer europäischen Friedensordnung bestimmte auch den Wiener Kongreß. Und die Stellung Frankreichs und
150 Dreyer beklagt auf S. 70 die fehlende Klarheit der Begriffe. Er verkennt aber die Perspektive, die die Verbindung politischer Begriffe mit dem juristischen Hintergrund bot. 151 Vgl. Koselleck, S. 654f.; Brie, S. 35f. 152 Siehe beispielsweise Zachariä, Staatsrecht, S. 125ff., wo eine typische Kombination der angesprochenen Aspekte steht.
ΠΙ. Ideengeschichtliche Entwicklung
Napoleons wurde nicht glorifiziert, Schutzmacht beschränkt. 153
173
sondern blieb auf die Rolle einer
Die Ideen Zachariäs boten für die Entwicklung moderner Bundesideen in Deutschland viele Anregungen. Vor allem die Integration der politischen Machtverteilung in seine Bundesvorstellungen war bemerkenswert. Zachariä hatte aber kein exaktes theoretisches System zur Begründung einer neuen Bundeslehre. Neben der endgültigen Überwindung der altständischen föderalen Vorstellungen lag die wesentliche Perspektive seiner Ansichten in der Verbindung der Theorien moderner Staatlichkeit mit der politischen Praxis föderaler Staatenverbindungen. Sowohl die Funktionsfahigkeit als auch die politischen Bedeutung dieser für die modernen föderalen Theorien typische Sichtweise wurde erstmals klar dargestellt.
(2) Bundestheorie von Wilhelm Joseph Behr (a) Persönlicher Hintergrund Wilhelm Joseph Behr hatte bei seinem Studium in Göttingen die Ideen Pütters und Schlözers kennengelernt. Seit 1799 war er Professor für Lehensund Staatsrecht an der Universität Würzburg, die durch die bayerischen Reformen erneuert worden war. Von 1819 bis 1821 war er Prorektor der Universität und als deren Abgeordneter im ersten bayerischen Landtag einer der Führer der liberalen Opposition. Als er 1821 zum Bürgermeister von Würzburg gewählt wurde, wurde er als Professor in den Ruhestand versetzt und verlor so sein Landtagsmandat. Trotz wiederholter Wahl verweigerte die bayerische Regierung Behr den Eintritt in den Landtag. Er war einer der entschiedenen Verfechter des liberalen Fortschritts und blieb bei seiner Überzeugung, selbst als er 1831 seines Amtes enthoben und 1836 zu Festungshaft auf unbestimmte Dauer verurteilt wurde. Die volle Rehabilitation erfolgte erst 1847/48 unter der Mairegierung. Als Abgeordneter in der Paulskirche fiel er allerdings nicht auf. 1 5 4
153 154
Zachariä, Staatsrecht, S. 136ff. Vgl. Botzenhart, S. 342f.; Dreyer, S. 72.
174
E. Der Rheinbund
(b) Föderale Überlegungen Sein wichtigstes Werk über den Rheinbund hieß "Das teutsche Reich und der rheinische Bund. Eine publizistisch - politische Parallele, zur Ausmittlung der Vorzüge, welche der rheinische Bund vor dem teutschen Reiche der teutschen Nation darbiethet und darbiethen wird.". Der Titel nahm stilistisch und inhaltlich die Behrschen Ideen vorweg. Behr bevorzugte einen weitschweifig argumentierenden Stil und fügte häufig historische Belege ein. Vom Inhalt her war er den Gedanken des liberalen Konstitutionalismus verpflichtet. Er forderte Rechtsstaatlichkeit, liberale bürgerliche Rechte und eine parlamentarische Vertretung für den dritten Stand. Für den Rheinbund erstrebte Behr vor allem ein Gleichgewicht zwischen der Souveränität der Mitglieder und der Bundeseinheit. Obwohl Behr, wie Zachariä, den Rheinbund wegen der prinzipiellen Vorteile einer modernen Bundeskonstruktion dem Reich vorzog und den Gedanken einer deutschen Nation aufgriff, war er zugleich ein Bewunderer Napoleons. 155 Allerdings hatte diese persönliche Bewunderung keinen unmittelbaren Einfluß auf seine Bundesüberlegungen. Behr war deshalb mit seinen föderalen Überlegungen nicht den Anhängern Napoleons zuzurechnen, sondern gehörte zu den Entwicklern einer modernen Bundesidee. Bei der Darstellung seiner Bundestheorie arbeitete Behr auf der Grundlage eines liberalen und organischen Konstitutionalismus. Aufgabe des Staates war allein, das Recht zu schützen und so den Bürgern die freie Möglichkeit zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu gewähren. 156 Der Staat sollte den daraus folgenden organischen Gesetzen folgen, die den Willen der Gesamtheit der Staatsbürger ausdrückten. 157 In einem entsprechend organisierten Staat lag dann die Souveränität bei der Gesamtheit, und die mit der Exekutivmacht ausgestattete Person des Herrschers war nur Repräsentant, nicht aber Inhaber der Behrschen Souveränität. Die so festgelegte Souveränität war für Behr auch das wesentliche Merkmal für die Bestimmung von Staatlichkeit. Da für Behr das Volk der eigentliche Träger der Souveränität war, bildete er zur Erläuterung seiner Bundestheorie das Gegensatzpaar von Völkerbund und Völkerstaat. In seiner Darstellung des Rheinbundes von 1808 sah er die föderale Qualität des Staatenbundes in einer Vereinigung souveräner Staaten
155
So kritisch Botzenhart, S. 342f. Behr, System der Staatslehre, S. X V I . 157 Behr, System der Staatslehre, S. 235f. Die Begriffe der organischen Gesetze und des Willens der Gesamtheit sind bei Behr stark vernunftrechtlich geprägt. 156
ΠΙ. Ideengeschichtliche Entwicklung
175
zur gemeinsamen Verfolgung des Zweckes rechtlicher Sicherheit unter sich und nach außen hin. Dagegen waren im Völkerstaat als einer engen Verbindung von Staaten die Mitglieder einer gemeinschaftlichen höchsten Gewalt unterworfen. 158 Diese Gewalt ging von einem Oberhaupt aus und sollte allein von einer Person ausgeübt werden, 159 was ein eindeutiger Rekurs auf die Stellung des Kaisers im Reich war. Interessant waren seine Überlegungen zur gemeinschaftlichen höchsten Gewalt. Er charakterisierte diese Gewalt als eine wirkliche Staatsgewalt, die aus legislativen, judikativen und exekutiven Elementen bestehen mußte. Die Unterordnung der Mitglieder unter diese Gewalt erstreckte sich damit auf sämtliche Bereiche staatlichen Handelns. Im Gegensatz dazu unterlagen die Mitglieder eines Staatenbundes nur in ihrem Wirken nach außen hin der Bundesgewalt; im übrigen waren sie weiterhin souverän. Bei der folgenden Untersuchung kam er dann zum Ergebnis, daß das Deutsche Reich ein Völkerstaat gewesen war, 1 6 0 wohingegen der Rheinbund ein Staatenbund war. 1 6 1 Behr erweiterte diesen Ansatz in seinen Beiträgen zu Winkopps Zeitschrift "Der Rheinische Bund". Vor allem untersuchte er das Verhältnis zwischen der gemeinsamen obersten Völkerstaatsgewalt und der Gewalt der Mitglieder. In einem Völkerstaat war das Verhältnis der einzelnen Völker zur gemeinsamen höchsten Gewalt wie das Verhältnis von Bürger und Staat in einem einfachen Staat zu sehen. Da die einzelnen Völker wie jeder Bürger ihren individuellen Willen dem allgemeinen Willen unterordnen mußten, waren die Völker dem höchsten gemeinsamen Willen des Völkerstaates unterworfen. Die derart gebildete oberste Macht war deshalb auch eine tatsächliche Staatsgewalt. Sie allein hatte die Eigenschaft der Souveränität im Sinne der höchsten Gewalt, und die Gewalt der Mitglieder war ihr untergeordnet. 162 Der Völkerstaat regelte unmittelbar das Zusammenleben der die Völker konstituierenden Menschen; er beschränkte sich nicht auf das Festlegen der
158
Behr, Darstellung des Rheinbundes, S. 57ff. Behr, Darstellung des Rheinbundes, S. 58f. 160 Behr, Darstellung des Rheinbundes, S. 59. Den Gegensatz zwischen Reichsrecht und der Verfassungsrealität betonte Behr in Darstellung des Rheinbundes, S. 15. 161 Behr, Darstellung des Rheinbundes, S. 61. 162 Behr, Das teutsche Reich und der rheinische Bund, S. 442f. Der Begriff der Souveränität bezeichnete hier nicht die grundsätzliche Zuordnung der Staatsgewalt, da Behr ein eigenes System der Volkssouveränität hatte; vielmehr war hier Souveränität als höchste staatliche Gewalt im Sinne des Absolutismus zu verstehen und bezeichnete das Rangverhältnis zwischen der Bundesgewalt und der Gewalt der Mitglieder. 159
E. Der Rheinbund
176
Beziehungen zwischen den Völkern oder Ländern, 163 wie es bei einem Staatenbund der Fall war. Behr gelangte schließlich zu der Definition, daß ein Völkerstaat eine Unterwerfung unter seine souveräne Staatsgewalt benötigtete und damit direkte staatliche Herrschaft über die Menschen erlangte. Ein Völkerbund war dagegen ein Verband freier, gleicher und souveräner Staaten, der die inneren Angelegenheiten der Mitglieder und damit deren Souveränität nicht betraf. 164 Die Betrachtungen Behrs waren insoweit an den Beispielen des alten Reiches und des Rheinbundes orientiert, ohne unmittelbar von politischen Wertungen beeinflußt zu sein. Nun aber führte er sie eindeutig unter der Zielsetzung fort, den napoleonischen Rheinbund gegenüber dem alten Reich als vorzugswürdig erscheinen zu lassen. Aus dem Charakter des Völkerstaates Schloß er, daß die Oberhäupter der jeweiligen Mitgliedsstaaten nur Organe oder Beamte der Völkerstaatsgewalt waren und deshalb bei allen Handlungen an diese gebunden waren. Unternehmungen aufgrund des alleinigen Willens der Landesfürsten schieden damit aus. 165 Als Beleg dafür berief er sich auf die deutsche Reichsgeschichte, was angesichts der politischen Praxis ein unhaltbares Argument war; bezüglich der Organisation eines Völkerstaates sah er das deutsche Wahlkaisertum als genügend an. 1 6 6 Behr betonte aber, daß in jedem Staatenverein die Mitgliedsstaaten zu einem bündnisfreundlichen Verhalten verpflichtet waren. Das Beispiel des kaiserlichen Machtverfalls veranlaßte ihn dazu, die Gesetzgebung über die gemeinsamen Angelegenheiten sowohl im Völkerstaat als auch im Staatenbund ausschließlich einer Versammlung zuzuordnen, die aus den Häuptern der Einzelstaaten gebildet wurde. 167 Dazu sollten in der Versammlung alle Mitglieder gleiches Stimmrecht haben, und das Prinzip der Stimmenmehrheit sollte unbedingt gelten. Die politische Motivation schlug vollends durch bei seinen Abhandlungen über das auswärtige Schutzbedürfhis von Staatenbünden. Da ein Staatenbund grundsätzlich die auswärtigen Angelegenheiten und dabei insbesondere den Schutz der verbündeten Staaten zu regeln hatte, konnte er sich zum Zweck der gemeinsamen Verteidigung an eine dritte Macht wenden, die dann den
163 164 165 166 167
Behr, Behr, Behr, Behr, Behr,
Das Das Das Das Das
teutsche teutsche teutsche teutsche teutsche
Reich Reich Reich Reich Reich
und und und und und
der der der der der
rheinische rheinische rheinische rheinische rheinische
Bund, Bund, Bund, Bund, Bund,
S. S. S. S. S.
11 Iff. 112, 131. 442ff. 117. 118f., 36Iff.
ΠΙ. Ideengeschichtliche Entwicklung
177
Bundesschutz übernahm. 168 Die Parallelen zum französischen Protektorat über die Rheinbundstaaten waren sehr deutlich. Da Behr bei Betrachtung der Rheinbundakte den Rheinbund eindeutig als Staatenbund qualifizierte, 169 legitimierte er im Ergebnis die napoleonische Vorherrschaft über die Länder des Rheinbundes. Behrs Stellungnahme zugunsten des Rheinbundes hatte aber auch prinzipielle Motive. Anhand der Beispiele des alten Reiches und des Rheinbundes verglich er die grundsätzlichen Vorteile der Verbindungsformen miteinander und kam zu einem grundsätzlichen Vorzug der staatenbündischen Formen. Bundesstaaten waren nach Behr ständig von einem Machtkampf zwischen einem unitarisch ausgerichteten Bundesoberhaupt und den nach Unabhängigkeit strebenden Mitgliedern gefährdet. Der Bundeszweck, die Herstellung stabiler politischer Verhältnisse, war deshalb in Bundesstaaten andauernd gefährdet. Dagegen führte der Staatenverein durch die Landesherrscher zu einem Höchstmaß an innerer politischer Stabilität in den Mitgliedsländern, während die auf das Maß des effektiven äußeren Schutzes beschränkte Bundesgewalt zur Erhaltung dieses Zustandes diente, ohne eine innerstaatliche Machtkonkurrenz auszulösen.170 Die Vorzüge des Staatenbundes gegenüber dem Bundesstaat bezeichnete Behr als offensichtlich. 171 Die Überlegungen Behrs wurden vor allem wegen der politisch motivierten Analysen kritisiert. Da er seine Darlegungen politisch am napoleonischen Rheinbund ausrichtete, führte dessen Ende zur Diskreditierung der Behrschen Gedanken. Die grundsätzliche Bevorzugung des Staatenbundes widersprach auch der folgenden nationalen liberalen Bewegung in Deutschland, die den Bundesstaat als föderale Form zur Herstellung einer politischen deutschen Einheit ansah. Die restaurative und konservative Bewegung bevorzugte zwar staatenbündische Modelle, aber wegen der liberalen Gesinnung Behrs wurden seine Ideen auch dort nicht wahrgenommen. 172 Im Gegensatz zur politischen und historischen Qualität der Aussagen Behrs stand die rechtstheoretische Bedeutung seiner föderalen Überlegungen. Für die systematische Behandlung von Staatenverbindungen entwickelte er eine eigene Sichtweise, die sich von den reichsföderalen Grundlagen löste. Das Kriterium zur Bestimmung der Souveränität der Mitglieder bzw. des Bundes entsprach
168 169 170 171 172
Behr, Das teutsche Reich Behr, Das teutsche Reich Behr, Das teutsche Reich Behr, Das teutsche Reich Vgl. Dreyer, S. 75; Brie,
12 Grzeszick
und der und der und der und der S. 41.
rheinische rheinische rheinische rheinische
Bund, Bund, Bund, Bund,
S. S. S. S.
434ff., 444, 106. 106. 444ff. 444.
178
E. Der Rheinbund
dabei noch anderen zeitgenössischen Überlegungen. 173 Es markierte den Übergang vom altständischen Staatsmodell zur modernen, liberalen und konstitutionalen Staatlichkeit. Die zur Beurteilung der Souveränität herangezogenen Aspekte, die Regelung der staatlichen Grundkonstituenten und die unmittelbare Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber den Bürgern, waren aber neu. Behr legte damit zum einen seinen Souveränitätsbegriff genau fest; er konnte so Staatenbünde und Bundesstaaten exakt und praxisnah unterscheiden. 174 Zum anderen enthielten diese Begriffe die Möglichkeit weiterer Differenzierungen und Entwicklungen. Im Gegensatz zum absolutistischen Souveränitätsbegriff war mit Behr eine engere föderale Verbindung relativ eigenständiger Herrschaftselemente möglich. 175 Obwohl auch Behr das Gegensatzpaar von Staatenbund und Bundesstaat bildete, gestatteten die Souveränitätskriterien einen allmählichen Übergang zwischen den beiden Verbindungsformen. Damit verwies Behr auf die Gemeinsamkeiten föderaler Verbindungen. Konsequenterweise statuierte er bezüglich der Bündnistreue und der Bundesgesetzgebung als zentrale Elemente bei der Wahrung des Bestandes föderaler Verbindungsformen ähnliche Pflichten und Rechten für die Mitgliedsstaaten und die Bundesebene; die Unterscheidung von Bundesstaat und Staatenbund trat hier zurück. 176 Weiter ermöglichten ihm diese föderalen Kriterien, nicht eindeutig bundesstaatlich oder staatenbündisch organisierte Verbindungen zu analysieren. Insbesondere das Maß der geregelten Grundkonstituenten des Zusammenlebens ließ genügend Spielraum, Umfang und Art der Machtausübung differenziert zu betrachten, ohne die prinzipielle Unterscheidung aufzugeben. Damit wurde der Weg zu sachgerechten staatsrechtlichen Betrachtungen eröffnet. Diese exakte und zugleich differenzierte Sichtweise ergänzte Behr durch den Gedanken der Gewaltenteilung. Er forderte für eine souveräne Macht eine tatsächlich wirksame Legislative, Exekutive und Judikative. Für den Bereich der Gesetzgebung sah er vor, daß dieser bezüglich der gemeinschaftlichen Angelegenheiten in allen föderalen Verbindungen ausschließlich von einer Versammlung der Landesfürsten wahrgenommen werden sollte. Der Umfang
173
Vgl. dazu Stolleis, Geschichte 2, S. 65ff.m.Nw. Vgl. Dreyer, S. 74; Brie, S.40f. 175 Schuck, S. 87f., betont, daß die Lösung von der Souveränität im Sinne Bodins an Föderativsysteme gebunden war. 176 Behr, Das teutsche Reich und der rheinische Bund, S. 118f., 361ff. 174
I V . Bewertung des Rheinbundes
179
und die politische Bedeutung der gemeinschaftlichen Bündnisangelegenheiten wurde dadurch ein besonders wichtiger Maßstab für die Qualifizierung der Bündnisse. Damit wurde die mögliche Verbindung von Gewaltenteilung und differenzierten föderalen Ideen angedeutet. Die Ideen Behrs sind nicht nur für sich betrachtet ein geglückter Entwurf, sondern sie deuten der Sache nach auch auf die weitere Entwicklung hin. Mit den Elementen der sozialen Grundkonstituenten und der unmittelbaren Herrschaftsausübung wurden sowohl die Beziehungen zwischen Staat und Bürger als auch das Verhältnis zwischen Fürsten und Bund zueinander in Bezug gesetzt. Die Differenzierung nach Art und Umfang der staatlichen Machtausübung verdeutlichte das Spannungsverhältnis zwischen Staatlichkeit und Souveränität in engeren föderalen Verbindungen. Dies führte zusammen mit den Elementen der Gewaltenteilung und der Volkssouveränität in den folgenden Jahrzehnten zur Entwicklung der modernen Bundesvorstellungen. Obwohl Behr die Begriffe von Souveränität und Staatlichkeit noch als notwendigerweise verbunden ansah, war mit den differenzierungsfahigen Souveränitätskriterien bereits der Weg zur Überwindung dieser absolutistischen Sichtweise gegeben. Die Vorstellungen Behrs waren in der Zeit bis zum Wiener Kongreß auf der theoretischen Ebene die fortgeschrittensten Überlegungen zu föderalen Verbindungsformen. Seine kritikwürdigen politischen Intentionen hatten darauf unmittelbar keinen negativen Einfluß. Sie verhinderten aber die Verbreitung und Rezeption der Behrschen Ideen, so daß sie für den Kongreß und dessen unmittelbare Folgezeit keine praktische Bedeutung erlangten. Auf politischer Ebene führte die Abwertung engerer föderaler Verbindungen zur Bevorzugung von Staatenbünden.177 Diese Einflüsse wirkten auch auf die föderale Struktur des auf dem Wiener Kongreß gegründeten Deutschen Bundes.
I V . Bewertung des Rheinbundes 7. Einführung Die Bedeutung des Rheinbundes für die deutschen Länder ist in vieler Hinsicht umstritten. Einigkeit besteht nur darin, daß die territorialen Umgestaltungen und die Reformen bleibende Wirkung hatten. Bereits bei der
177
Vgl. Deuerlein, S. 69.
180
E. Der Rheinbund
Beurteilung dieser Veränderungen trennen sich die Ansichten. Einerseits wird gesagt, daß erst diese Vorgänge die flächendeckende Entwicklung moderner Staaten in Deutschland ermöglichten. 178 Andere Stimmen sind kritischer. Sie verweisen darauf, daß in der Auflösung des Reiches und den Reformen in den Ländern die Spannungen zwischen der nationalen liberalen Bewegung und den Landesfürsten angelegt war. 1 7 9 Es verwundert daher nicht, daß auch die staatsrechtlichen Ansichten über den Rheinbund divergieren. Einige Autoren sehen den Rheinbund als Vorbild des Deutschen Bundes. 180 Der Rheinbund setzte demnach die deutsche föderale Staatstradition fort. 1 8 1 Andere negieren jede Vorbildfunktion des Rheinbundes für eine deutsche Verfassung 182 und betonen den Widerstand der Einzelstaaten gegen die nationale Einheitsbewegung. 183 Eine Bewertung der Rheinbundzeit für die Entwicklung des Föderalismus kann daher nicht pauschal vorgenommen werden. Voraussetzung ist, daß die Ereignisse auf den einzelnen Gebieten von Politik, Ideengeschichte und Verfassungsrecht beurteilt werden. Erst nach deren Erörterung läßt sich der Einfluß des Rheinbundes auf den staatsrechtlichen Föderalismus bemessen.
2. Politischer Bereich Für das politische Leben in Deutschland hatte die Rheinbundzeit eine zentrale Stellung. Reformen und territoriale Veränderungen leiteten eine Homogenisierung der Lebensverhältnisse in den Ländern ein; sie bildeten die Grundlagen für die Entwicklung von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft und hin zu einer mittelstaatlichen Konzentration. 184 Die damit verbundene Stützung der Souveränität und Legitimität der Fürsten machten auf der staatlichen Ebene den monarchischen Absolutismus der Einzelstaaten zum vorherrschenden Aspekt. Auf der anderen Seite wurde das Nationalbewußtsein zum Ausgangspunkt der deutschen Erneuerung. Der Aufruf des preußischen Königs an sein Volk
178 179 180 181 182 183 184
Vgl. Huber I, S. 85f.; Möller, S. 588, 630ff.; Siegmund, S. 190, 196. Vgl. Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 53f.; Siegmund, S. 191. Vgl. Möller, S. 587. So Vierhaus, S. 298. So Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 315. Vgl. Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 53f.; Nürnberger, S. 138. Vgl. dazu auch Fehrenbach, Reformen.
I V . Bewertung des Rheinbundes
181
hatte gezeigte, daß die nationale Bewegung auch das politische Verhalten der Fürsten beeinflußte. In der Rheinbundzeit wurden die politischen Voraussetzungen für die weitere Entwicklung geschaffen, die in Richtung einer Zusammenfassung der deutschen Länder zu einem Nationalstaat tendierte. 185 Die Veränderungen hatten dabei ambivalente Folgen und führten zu Spannungen in und zwischen den deutschen Staaten sowie den Nachbarländern. Der politische Gegensatz in Deutschland wurde bereits angedeutet. Die Fürsten nutzten das Ende der Reichsorganisation zunächst zur Errichtung einer Landesherrschaft, die absolutistisch organisiert war. Mit dem Untergang des Reiches entfiel die Einbindung in die alten Strukturen, und die Reformen drängten häufig den Einfluß der Stände zurück. Zudem waren viele kleinere Stände durch Säkularisation und Mediatisierung aufgelöst worden. M i t der Niederlage Napoleons wurde diese innenpolitisch unabhängige Herrschaft auch außenpolitisch souverän. Parallel zu dieser Entwicklung wurde der Begriff der Nation zu einer bedeutenderen Idee. 186 Der Wechsel vom ständischen zum bürgerlichen Gesellschaftsaufbau begann. Die Entwicklung dieser Kräfte hatte aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts erst begonnen und war noch nicht stark genug, dem Partikularismus der Landesfürsten entgegenzuwirken. Die Bedenken der Landesfürsten gegen die Konstituierung des Bundestages sind ein Beispiel für die Fürstenpolitik zur Wahrung und Stärkung ihrer erlangten formellen Souveränität. Die Zusammenfassung der deutschen Länder in einem förmlich eher lockeren Staatenbund entsprach als föderale Struktur der innenpolitischen Lage in und zwischen den deutschen Staaten. Die außenpolitische Lage der deutschen Länder war gleichfalls von einem Gegensatz geprägt. Napoleon dominierte die deutschen Staaten und bestimmte mit seinem Kontinentalsystem auch deren auswärtige Beziehungen. Seine Macht wurde aber von zwei Faktoren begrenzt. Zum einen mußte er auf die deutschen Fürsten Rücksicht nehmen. Zur Zeit der Rheinbundgründung waren die deutschen Länder noch zu heterogen strukturiert, um sie in einer engeren politischen Gemeinschaft zusammenzufassen. Hinzu kam der Widerstand der Landesfürsten. Trotz der faktischen Protektoratsstellung
185
So im Ergebnis auch Siegmund, S. 190; Koselleck, S. 649, 664f.; Raumer, S. 175. Zum Übergang vom Reichspatriotismus zur Nationalidee siehe die Untersuchung von Angermeier, Deutschland. 186
182
E. Der Rheinbund
gegenüber Napoleon waren sie darauf bedacht, ihre Souveränität zu stützen. Die teilweise gescheiterten Unitarisierungsversuche Napoleons belegten dies. Zum anderen wollte Napoleon eine förmliche politische Einbindung in die deutsche Staaten weit vermeiden. Er bevorzugte politische Unabhängigkeit, und er hatte auch kein Interesse an der Bildung einer effektiven Bundesebene. Diese außenpolitischen Maximen stimmten mit den Länderinteressen insofern überein, als die einzelnen deutschen Staaten nach dem Ende des Reiches einen starken militärischen Schutz benötigten, den nur Napoleon bieten konnte; wegen der außenpolitischen Unsicherheiten mußten sie sich verbünden. Die Bildung einer politischen Einheit war aber durch das Unabhängigkeitsstreben der Fürsten und den Machtanspruch Napoleons begrenzt. Die Form des Staatenbundes, die Napoleon mit dem Rheinbund wählte, resultierte deshalb nicht nur aus der französischen Vormachtstellung. Napoleon hatte zwar Macht über die deutschen Länder, die weit über die formale Bundesposition hinausging. Trotz seiner Despotenrolle entschied er sich aber für einen Staatenbund, um die deutschen Fürsten in sein politisches System einzubinden. Die angeführten Aspekte zeigen, daß diese Bundesform sowohl den Interessen der Fürsten als auch den sicherheitspolitischen Zwecken Napoleons entsprach. Napoleons Zielsetzung war aber nicht allein an seine persönlichen Vorstellungen gebunden. Die Wiener Kongreßverhandlungen zeigten bald, daß auch die anderen Länder für die deutschen Gebiete in der europäischen Staatenwelt eine lose Bundesform bevorzugten. Der Staatenbund war zu dieser Zeit die angemessene föderale Struktur für die deutschen Gebiete. Die politische Bedeutung des Rheinbundes für die Entwicklung des Föderalismus fällt je nach Wahl des Standpunktes verschieden aus. Aus der innenpolitischen Sicht bedeutet die Zeit von 1789 bis 1813 Zäsur und zugleich Kontinuität in der deutschen Staatsbildung. Die Reformen in den einzelnen Ländern und die Beseitigung der alten Reichsstrukturen ermöglichten es, Staat und Gesellschaft zu erneuern. Zugleich bedingten diese Änderungen den Aufstieg der Idee vom Nationalstaat. Die Betonung des Umbruchs soll aber kontinuierliche Entwicklungen während der Rheinbundzeit nicht ausschließen. Darunter fällt vor allem der Werdegang vom ständisch organisierten Reich zur streng hierarchisch aufgebauten Landesherrschaft. Dies war eine Tendenz, die seit 1648 zu beobachten war. In vielen Ländern waren bereits vor der Eroberung durch Napoleon Reformen eingeleitet worden. Die Veränderungen im Staats- und
I V . Bewertung des Rheinbundes
183
Gesellschaftsaufbau beruhten daher nicht nur auf dem Einfluß des Rheinbundes und Frankreichs. Diese Kontinuität der deutschen Politik stützte sich vor allem auf personalgeschichtliche, ideengeschichtliche und institutionsgeschichtliche Aspekte der Reformen. 187 Andererseits muß auch die These der Kontinuität relativiert werden. Das Maß der Reformen war in den einzelnen Gebieten sehr unterschiedlich, und oft hatte erst der französische Einiluß katalytische Wirkung. Die veränderten politischen Rahmenbedingungen verliehen den Reformen nach Umfang und Wirkung die Dimension eines Neubeginns. 188 Die Annahme politischer Kontinuität liegt deshalb aus der außenpolitischen europäischen Sichtweise besonders nahe. Die Nachbarstaaten des Reiches waren stets bemüht, den deutschen Partikularismus in Grenzen zu unterstützen und in das europäische Machtgleichgewicht zu integrieren. Vor allem Österreich, Frankreich und Preußen versuchten dadurch eine Vormachtstellung in Deutschland zu erringen. In dieser Hinsicht bestand zwischen dem Fürstenbund von 1785, dem Rheinbund von 1806 und dem Deutschen Bund von 1815 eine deutliche Kontinuität. 189 Die Bundesgründungen waren stets außenpolitisch motiviert und trafen auf eine innenpolitische Lage, die Tendenzen von Unitarisierung und Partikularismus zugleich aufwies. Die föderalen Strukturen der Bündnisse waren demnach auf innen- und außenpolitische Gründe zurückzuführen. Die externen Beweggründe wirkten im Fürstenbund und im Rheinbund so stark, daß über die Tatsache der föderativen Verbindung hinaus auch die konkrete Ausgestaltung des Föderativsystems davon geprägt war.
3. Ideengeschichte Die ideengeschichtlichen Perspektiven der Rheinbundzeit weisen für den Föderalismus zwei wichtige Wendepunkte auf. Zum einen erfolgte der staatstheoretische Übergang zum modernen deutschen Staatsrecht. Auf der anderen Seite bildete sich in dieser Zeit der Begriff der deutschen Nation, der die Denkansätze von Politikern und Philosophen nachhaltig beeinflußte.
187 188 189
Vgl. dazu Vierhaus, S. 287ff.m.Nw. Vgl. Vierhaus, S. 300. Siehe Vierhaus, S. 298.
E. Der Rheinbund
184
Es gab verschiedene Gründe dafür, daß eine spezielle ideengeschichtliche Reaktion von Seiten des Föderalismus fehlte. Die deutschen föderalen Theorien waren am Vorbild des alten Reiches orientiert. Vor allem gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren die föderalen Überlegungen stark auf das Reich und dessen ständische Gliederung bezogen; Pütter ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Modernere föderale Überlegungen gab es zu dieser Zeit nicht. Die politische Entwicklung bevorzugte das Modell des reformierten Fürstenabsolutismus. M i t dem Ende des Reiches im Jahr 1806 verschwand zunächst der Träger der deutschen Föderalismustheorien. Die Versuche, auch in der Endphase des Reiches dessen Struktur als ein funktionierendes Vorbild darzustellen, und die im folgenden geschilderte Idee eines rheinbündischen Reichspatriotismus entfernten sich von der politischen Realität. Obwohl die politischen und ideengeschichtlichen Elemente des deutschen Föderalismus von einer kontinuierlichen Entwicklung geprägt wurden, konnte dies von den konkreten staatsrechtlichen Formen des Föderalismus um 1806 kaum behauptete werden. Stattdessen hielten die Staatsdenker am Reichsmodell bis zu dessen Untergang fest. Andere Möglichkeiten föderaler Verbindungen der deutschen Länder wurden erst nach 1806 erläutert. Der politische Begriff einer deutschen Nation wurde zu dieser Zeit herausgebildet. Er war zunächst wie der Reichspatriotismus ein eher allgemein und europäisch geprägter kultureller Begriff 1 9 0 und wurde erst in der Reaktion auf die napoleonische Besatzung und die Befreiungskriege zu einem politischen Begriff. Ab 1812/13 begann er das staatsrechtliche Denken in Deutschland in größerem Umfang zu beeinflussen. 191 Dennoch ließen schon die Überlegungen zum Rheinbund eine Verknüpfung zwischen der Entwicklung vom Patriotismus zum Nationalismus und der Herausbildung der modernen Bundesidee erkennen. Die Abgrenzung zwischen Bundesstaaten und Staatenbünden, die bei den Autoren unterschiedlich bestimmt wurde, zeigte eine Funktionsaufteilung und -trennung zwischen den Ländern und der Bundesebene. Unabhängig von der Frage, welche konkreten Funktionen der Bundesebene im Staatenbund oder im Bundesstaat zugeordnet wurden, gingen die meisten Entwürfe von einem Bund als einer politischen Einheit aus. Die Zuordnung der verschiedenen Interessen als Aufgaben und
190
Vgl. dazu auch Schuck, Rheinbund, S. 290ff., 298; m.w.Nw. Vgl. dazu Angermeier, Deutschland, S. 66ff., 71ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 506ff.; jew.m.Nw. 191
I V . Bewertung des Rheinbundes
185
Kompetenzen des Bundes oder seiner Mitglieder entschieden dann über den konkreten Charakter des Bundes. Angesichts der tatsächlichen Verhältnisse und Interessen implizierten diese Vorstellungen damit für die ehemaligen Reichsgebiete eine grundsätzlich am früheren Reichsumfang orientierte Bundesstruktur, was insbesondere in den fortschrittlichen Bundesideen auch angedeutet wurde. Zachariä wollte den Rheinbund zu einem germanischen Bund souveräner Staaten unter französischer Vorherrschaft ausbauen, 192 und Behr stellte sich eine rheinbündische National Verfassung der deutschen Fürstentümer vor. 1 9 3 Dazu kam die Frage, ob dieses Ziel am besten durch eine engere oder eine weitere Bundesgemeinschaft erreicht werden konnte. Wegen der napoleonischen Vorherrschaft und der relativ selbständigen Fürsten plädierten die Autoren regelmäßig für eine lose Verbindung von innenpolitisch unabhängigen Territorialstaaten, die sie meistens als Staatenbund bezeichneten. Soweit die Rheinbundzeit als wichtige staatstheoretische Ubergangsphase angesehen wird, bezieht sich das Urteil auf die Zeit nach der Gründung des Rheinbundes;194 bis 1806 stand das Reichsmodell im Vordergrund. Mit der verfassungsrechtlichen Verankerung der Landesherrschaft im Rheinbund wurde dann die Grundlage geschaffen für die weiteren föderalen Entwicklungen, die in Verbindung mit dem Nationalgedanken die deutsche Staatenbildung beeinflußte. Auf dieser neuen Basis wurde der Föderalismusgedanke zunächst anhand von verschiedenen Bundesvorstellungen in Hinsicht auf seine politischen und ideengeschichtlichen Elemente kontinuierlich weiterentwickelt. Die Vorstellung eines verfassungsrechtlichen Bundes prägte damit auch diese Übergangszeit.
4. Verfassungsrecht
Für das staatsrechtliche Denken bedeutete der Rheinbund zunächst das Ende der alten Reichsverfassung. Es überwog in der Zeit um 1806 das Element einer Zäsur in der Entwicklung des deutschen Staats- und Verfassungsrechts.
192 193 194
Zachariä, Staatsrecht, S. 135ff. Behr, Darstellung des Rheinbundes S. 28f., 30. Vgl. auch Schuck, Rheinbund, S. 297f. Vgl. Deuerlein, S. 67; Stolleis, Geschichte 2, S. 62ff.
186
E. Der Rheinbund
Die Gründung des Rheinbundes und der Austritt der Länder aus dem Reich befreite die Fürsten von der förmlichen Einbindung in die Reichsstrukturen. Wegen des Machtanspruchs Napoleons auch bezüglich der innenpolitischen Ländersphären kann man zwar nicht von einer tatsächlichen Souveränität sprechen. Aber zumindest die formelle Souveränität, die nach dem Rückzug Napoleons zur tatsächlichen Souveränität anwuchs, war in der Rheinbundakte den Fürsten zugeordnet worden. An die Stelle der Reichszugehörigkeit trat nun die Souveränität der Landesfürsten. Diese verfassungsrechtliche Entwicklung in Richtung einer modernen Staatlichkeit entsprach der politischen Realität weit mehr als die veralteten Reichsstrukturen. Die Länderstaatlichkeit war die rechtliche Grundlage, auf der das moderne föderale Verfassungsprinzip in der Folgezeit entwickelt wurde. Allerdings behinderte die Eigenständigkeit der Länder in den nächsten Jahren die nationale liberale Bewegung, die zum Vorreiter der Entwicklung des Föderalismus wurde. Die rechtliche Form des Staatenbundes entsprach aber, wie oben festgestellt, den politischen Interessen der Machthaber. Darüber hinaus hatte die rechtliche Form auch eine Bedeutung, die über die napoleonische Vorherrschaft hinausging; die Struktur der deutschen Gebiete hatte in der Folgezeit bis 1866 bzw. 1871 staatenbündischen Charakter. Auch aus der Sicht des positiven Verfassungsrechts hatte die Rheinbundakte einen ambivalenten Charakter. Einerseits beendete sie die Reichsstruktur und führte zur förmlichen Souveränität der Länder. Andererseits setzte sie die Tradition der föderalen Verbindung deutscher Gebiete auf der Grundlage formal eigenständiger Einzelstaaten fort. Wegen der politischen Interessen der Beteiligten führte sie zur losen föderalen Form des Staatenbundes. Ohne die weitere Entwicklung des Föderalismus vorwegzunehmen, wurden auf verfassungsrechtlicher Ebene die Voraussetzungen für einen staatsrechtlich modernen, funktional verstandenen Föderalismus geschaffen. Obwohl die konkrete Bundesform auf die Intentionen Napoleons zurückzuführen war, schmälerte das die verfassungsrechtliche Bedeutung der Rheinbundakte wenig. Das positive Bundesrecht war nicht nur vom napoleonischen Machtanspruch geprägt, sondern entsprach zumindest teilweise auch den Interessen der Landesfürsten. Es lag daher nahe, die Rheinbundakte als rechtliches Bindeglied und Ubergang vom alten Reich zu den folgenden föderalen deutschen Verfassungsstrukturen anzusehen.195
195
So auch aus konstitutioneller Sicht Schmidt, G., Der Westfälische Frieden, S. 50.
I V . Bewertung des Rheinbundes
187
5. Einordnung und Bewertung der Rheinbundgründung
Bezüglich des Rheinbundes ließ sich ein unmittelbarer französischer Einfluß im Sinne einer zentralistischen Länderverbindung nicht feststellen. Mittelbar hatten die französischen Ereignisse aber erheblichen Einfluß auf die weitere Entwicklung der deutschen Staatenwelt. Die Veränderungen, die der Rheinbund mit sich brachte, schufen die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung des Föderalismus auf der Grundlage moderner Staatlichkeit. Die konkreten föderalen Elemente im Rheinbund waren dabei zum großen Teil Folge der innen- und außenpolitischen Interessengegensätze in den deutschen Gebieten. Obwohl der Zusammenbruch des Reiches absehbar war, fehlten zunächst neue föderale Ideen in Deutschland; die Gründe wurden oben bereits dargestellt. Die Annahme einer föderalen Pause ist aber zu relativieren. Auch unter französischer Vormacht bedeutete der Rheinbund eine Verbindungsform der deutschen Staaten. Als Staatenbund war die politische und rechtliche Verknüpfung eher locker und entsprach zum großen Teil der politischen Lage in den deutschen Gebieten. Die Macht Napoleons wirkte sich nicht unmittelbar auf die Bundeselemente aus und wurde in ihnen auch nicht wiedergegeben. Der Rheinbund war damit ein Element föderaler deutscher Kontinuität. Dazu integrierte der Rheinbund zumindest äußerlich die souveräne Länderherrschaft in eine föderale Verbindung. Er verband damit die für den deutschen Raum neuen Grundlagen moderner Staatlichkeit mit kontinuierlichen politischen Funktionen des staatlichen Föderalismus. Insoweit war der Rheinbund Bindeglied zwischen dem ständisch organisierten Reich und den späteren föderalen Verbindungen deutscher Länder. Die Grenzen der föderalen Entwicklung des Rheinbundes wurden bei den Unitarisierungsversuchen offenbar. Sowohl auf französischer als auch auf deutscher Seite war das Interesse an der Bildung eines engeren Bundes gering. Napoleon behielt lieber eine förmlich ungebundene Machtstellung. Den Fürsten fehlte wegen der französischen Vorherrschaft im Rheinbund die Perspektive zur Herausbildung einer deutschen Staatenverbindung. Für die Entwicklung moderner föderaler Elemente im deutschen Staatsrecht war deshalb der Rheinbund vor allem in seinen Folgewirkungen von großer Bedeutung. Die Tatsache, daß damit die vielfaltigen Reformen in Staat und Gesellschaft gemeint sind, relativiert die föderale Stellung des Rheinbundes nicht. Mit dem Reich und dem Deutschen Bund bestanden unmittelbar vor und
188
E. Der Rheinbund
nach dem Rheinbund föderale Verbindungen im deutschen Raum; auch dies war ein Zeichen der Kontinuität. Problematisch war, daß die national-liberale Bewegung als politische Kraft bei der Bundesbildung ausgeklammert blieb. Für den Rheinbund als Mittel napoleonischer Außenpolitik war das natürlich, aber in der Folgezeit erwuchsen daraus viele Schwierigkeiten. Zur Zeit der Rheinbundgründung standen diese Kräfte zwar erst am Beginn ihrer Entfaltung. Die politischen Entscheidungen, die zur Gründung des Rheinbundes und in der Folgezeit getroffen wurden, bildeten aber die Basis für deren Entwicklung. Ohne unmittelbaren Bezug zum Föderalismus sollten dessen staatsrechtliche Aspekte durch diese Grundentscheidungen stark beeinflußt werden. Wichtig für die föderale Einordnung des Rheinbundes war zunächst die bereits angedeutete Kontinuität föderaler politischer Elemente bei nun veränderten Grundlagen staatlicher Herrschaft. 196 Die in der Bundesakte formal anerkannte und nach dem Ende des Rheinbundes tatsächlich bestehende Landessouveränität bedeutete zugleich das Ende der alten und den Anfang der neuen föderalen Entwicklung. Die Tendenz des Reiches, daß aus abhängigen Ständen selbständige Länder werden, lief nun in die Richtung, daß selbständige Länder sich zu einem Bund zusammenschloßen und sich so näherkamen. Dies hatte zur Folge, daß der bereits von Althusius betonte Grundsatz der Subsidiarität durch das Interesse der Länderfürsten am Erhalt ihrer Macht praktisch umgesetzt wurde. Die außenpolitischen Zwänge waren dabei einer der Gründe für die Aufnahme föderaler Elemente in die deutsche Staatenverbindung. Der Rheinbund als kleinster gemeinsamer Nenner der Außenpolitik Napoleons und der Schutzbedürftigkeit der Fürsten machte das besonders deutlich. Weiter sprach dafür der beschränkte innenpolitische Wirkungskreis des Rheinbundes. Der Rheinbund enthielt nach seiner formalen föderalen Gestalt und den entsprechenden Interessen bereits unter französischer Vorherrschaft die neue föderale Gliederung der deutschen Länder. Die Zeit nach dem Niedergang Napoleons bis zum Wiener Kongreß kann Aufschluß darüber geben, inwieweit der Rheinbund als Vorläufer des Deutschen Bundes angesehen werden kann.
196
Eine föderale Uberleitungs- und Verbindungsfunktion des Rheinbundes wird explizit angenommen von Puttkammer, Föderative Elemente, S. 6., und Schmidt, G., Der Westfälische Frieden, S. 50.
F. Der Deutsche Bund I . Situation zur Zeit der Bundesgründung L Entwicklung
bis zum ersten Pariser Frieden
a) Koalitionen und Konstellationen der Mächte aa) europäische Machtverschiebungen Die Verschärfung der Kontinentalsperre und die Annexion der Küstengebiete belasteten die Rheinbundstaaten wirtschaftlich. Rekrutenaushebungen und Subsidien verschlechterten die Beziehungen weiter, und in Frankreich kam es zu innenpolitischen Problemen. 1 Der Krieg gegen Rußland führte zur Niederlage Napoleons. Ende 1812 vereinbarten Rußland und Preußen eine Neutralitätskonvention. Anfang 1813 folgte das russisch-österreichische Waffenstillstandsabkommen, und der preußische König rief zur allgemeinen Bewaffnung auf. Nachdem Rußland, Österreich und Preußen ein Bündnis gegen Frankreich geschlossen hatten, erklärte Friedrich Wilhelm ΙΠ. Frankreich den Krieg, der vom Aufruf des Königs an das preußische Volk begleitet wurde.
bb) Entstehen der nationalen Bewegung M i t dem Aufruf vom 17. März 1813 appellierte der preußische König an die nationale Gesinnung der Preußen. 2 Der Aufruf selbst war ein Zeichen der neuen politischen Situation in Deutschland. Er verband die absolutistische Legitimation des Königs mit der Zugehörigkeit zu einer deutschen Nation. Der Begriff der Nation wurde offiziell Bestandteil des politischen Kräftefeldes. Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts war zwischen der Idee des Reichspatriotismus und der Realität im Reich eine kaum überbrückbare Lücke entstanden.3 Die allmähliche Transformation des Reichspatriotismus zum
1 2 3
Dies war einer der Gründe für die Annexionen; vgl. Nürnberger, S. 168. Text in Spies, S. 254. So Aretin, Reichspatriotismus, S. 33ff.m.Nw.
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F. Der Deutsche Bund
nationalstaatlichen Denken zeigte nun erste Wirkungen. 4 An die Stelle der tradierten Bindungen an Dynastien, Bekenntnisse und landschaftliche Eigenheiten trat der Nationalismus, der zu einem neuen Legitimations- und Integrationsbegriff wurde. 5 Diese frühe nationale Bewegung war dabei von zwei Besonderheiten gekennzeichnet. Zum einen betraf dies Form und Wirkung der Bewegung. Auf der kulturellen Ebene war die nationale Gesinnung bereits etabliert. 6 Kleist, Schiller, Herder, von Arnim, Brentano, die Brüder Schlegel, Eichendorff, Arndt und Fichte standen für das Bewußtsein einer deutschen Kulturnation. 7 Auf der politischen Ebene konnte man eine einheitliche nationale Bewegung aber nur eingeschränkt feststellen. Die Wirkung der nationalen Bewegung beruhte auf der Gemeinsamkeit der nationalen Überzeugung. 8 Im Ziel der Befreiung Deutschlands stimmte die Mehrzahl der Politiker, Publizisten und Gelehrten überein. 9 Die junge deutsche Nationalbewegung war damit zwar ein überregionales Phänomen.10 Sie blieb aber anfanglich auf Eliten beschränkt, und die verschiedenen nationalen Vereinigungen bildeten keine einheitliche Organisation. 11 Im Bereich des politischen Wirkungsfeldes kann man daher eher von der Nationalbewegung als einer Geisteshaltung12 oder einem Element des Zeitgeistes13 reden. Zum anderen bestand das Problem, zwischen den Extremen des partikularen Staatspatriotismus und der patriotischen, übernationalen Reichsidee eine eigene Identität und einen entsprechenden Träger zu finden. 14 Hier zeigten sich die verschiedenen Wirkungen der Reformen. Sie hatten dazu geführt, daß die deutschen Länder nur teilweise vor vergleichbaren innen- und außenpolitischen
4
Dazu Birtsch, Erscheinungsformen, S. 3ff.; Dann, Nationalism, S. Iff.; Stolleis, Reichspublizistik und Reichspatriotismus, S. 22ff.; jew.m.Nw. 5 So Burg, Wiener Kongreß, S. 107ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 508ff.m.Nw. 6 Vgl. dazu Angermeier, Deutschland, S. 79ff.m.Nw. 7 Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 506ff.m.Nw. Der Begriff der Kulturnation war mit dem der politischen Nation nicht kongruent, was bei der Bildung eines deutschen Nationalstaates zu Schwierigkeiten führte. 8 Vgl. Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 59, der die Begriffe der Verbindung von Geist und Macht und des Bündnisses von Geist und Staat nennt. 9 Bereits der Wiener Kongreß zeigte die Grenze der ÎJbereinstimmung. Freiheit, bürgerliche Rechte und Konstitutionalismus gehörten nicht zu den gemeinsamen Zielen. Als Beispiel wird auf die Karrieren von Hardenberg, Humboldt und von Stein nach 1815 verwiesen. 10 Vgl. Luys, Anfänge, S. 269ff.m.Nw. 11 Vgl. Luys, Anfänge, S. 265ff., 271ff.m.Nw. 12 So Luys, Anfänge, S. 265ff. 13 So Würtenberger, Zeitgeist, S. 52ff.m.Nw. 14 So Birtsch, Erscheinungsformen, S. 5.
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Aufgaben standen. Teile der Nationalbewegung beschränkten sich daher schon bald auf die territoriale Wirkungsebene. 15 Für den überwiegenden Teil der Nationalbewegung wurde aber nach der Befreiung Deutschlands die Suche nach dem staatlichen Träger der deutschen nationalen Idee die entscheidende politische und staatliche Zukunftsfrage. Sie sollte auf dem Wiener Kongreß beantwortet werden.
cc) Niederlage Naoleons Zunächst vereinte Napoleon als Gegner nicht nur deutsche Politiker und Denker, sondern die ganze europäischen Staatenwelt. Nach dem Scheitern von Friedens Verhandlungen stand Napoleon einer Koalition von Preußen, Rußland, Österreich, Schweden und England gegenüber. Die Truppen Sachsens und Württembergs waren bereits Anfang Oktober 1813 von Napoleon abgefallen. 16 Bayern ließ sich am 8. Oktober im Vertrag von Ried Souveränität und territorialen Besitzstand von Preußen, Österreich und Rußland zusichern und trat der Koalition gegen Napoleon bei. 17 In der Völkerschlacht zu Leipzig wurde Napoleon entscheidend geschlagen. Auch die übrigen Rheinbundstaaten sagten sich durch Verträge mit den siegreichen Alliierten von Napoleon los. 18 Napoleon konnte zwar nach Paris fliehen; seine Herrschaft über Deutschland war aber beendet. Die österreichischen Interessen bezüglich einer Friedensordnung waren klar. Um ein Gleichgewicht zwischen Rußland, Preußen und Österreich herzustellen, betonte Metternich die Ansprüche Preußens und Österreichs auf ihre früheren polnischen Besitzungen. Zugleich deutete er gegenüber Preußen an, daß er unter bestimmten Umständen zu einem Ubergang des Königreichs Sachsen an Preußen bereit sei, 19 um die russisch-preußische Verbindung zu lösen. Dem Plan eines Gebietsausgleichs zugunsten Österreichs durch das Elsaß und andere oberrheinische Gebiete widersetzte sich Metternich. In der Auseinandersetzung um die innere Neuordnung Frankreichs sprach sich Metternich für die Wiederherstellung des bourbonischen Königtums aus.
15
Vgl. Luys, Anfänge, S. 206, 275. Anlaß war die Niederlage Napoleons bei Wartenburg. 17 Vgl. dazu Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 84. 18 Vgl. Nürnberger, S. 178. 19 Der sächsische König war Napoleon treu geblieben und wurde nach der Schlacht von Leipzig inhaftiert; Sachsen befand sich unter der Zentralverwaltung der Verbündeten. 16
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Stein verfolgte für Preußen den Plan einer deutschen politischen Einigung unter preußischer Vorherrschaft. Sein Interesse war darauf gerichtet, den Einfluß Frankreichs und Österreichs auf die deutschen Gebiete möglichst gering zu halten. Er propagierte deshalb die Niederwerfung Frankreichs. Die englische Position war im Pittschen Europaplan formuliert worden. 20 Der europäische Friede sollte durch ein föderatives Staatensystem auf dem Kontinent gesichert werden, das eine "balance of power" zwischen den Staaten vorsah. Gestützt wurde der Plan durch eine allgemeine Besitzgarantie der Staaten, einer Regelung von Streitfragen auf einem europäischen Kongreß und eine gemeinsame Verwaltung der eroberten Gebiete. Pitt legte besonderen Wert auf die Integration Österreichs und Preußens in den Kontinentalbund. Nach der Entscheidung bei Waterloo begannen die Verbündeten am 9. Mai 1815 in Paris mit den Friedensverhandlungen. Da außer Preußen keiner der Beteiligten Frankreich mit ungünstigen Friedensbedingungen belasten wollte, wurde man sich schon bald einig. Am 30. Mai 1815 wurde in Paris der Friedensvertrag unterzeichnet. Die monarchische Herrschaft der Bourbonen wurde anerkannt. Frankreich blieb in den Grenzen von 1792 erhalten und behielt sogar das Elsaß, Landau und Gebiete an der Saar. Dazu verzichteten die Alliierten auf jede Form von Kriegsentschädigungen und nahmen auf die innere Neuordnung Frankreichs keinen weiteren Einfluß. Bezüglich der politischen Ordnung in Europa wurde nur angedeutet, daß Holland und Belgien in einem Königreich vereint und in Deutschland eine Föderation unabhängiger Staaten geschaffen werden sollte. Die zahlreichen offenen Fragen sollten auf einem allgemeinen Kongreß in Wien entschieden werden. 21
b) Die deutsche Frage aa) Auflösung des Rheinbundes und Verträge mit den Ländern Für die Akzessionsverträge zwischen der Allianz und den Landesfürsten war der Vertrag von Ried Vorbild. Diesen Vertrag hatten Österreich und Bayern am 8. Oktober 1813 geschlossen. Österreich garantierte darin für sich und seine Verbündeten dem bayerischen König territorialen Besitzstand und volle Souveränität. Landabtretungen sollten nur aufgrund freier Vereinbarungen und gegen Entschädigung möglich sein. Die Folgeverträge, die von den anderen
20 21
Vgl. dazu Raumer, S. 147f. Vgl. Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 87.
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Rheinbundstaaten rasch abgeschlossen wurden, entsprachen prinzipiell dem Vertrag von Ried. 22 Allerdings wurden die umfassenden Bestandsgarantien auf Betreiben von Stein durch Vorbehalts kl ausein eingeschränkt. Die vertraglichen Bestandsgarantien wurden danach begrenzt durch die noch in Wien zu treffenden Vereinbarungen, die zur Herstellung und Sicherung der Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands nötig waren. 23 Weiter waren die Akzessionsverträge Anlaß für die teilweise Restitution von Ländern, die durch napoleonische Annexionen oder Staatsgründungen untergegangen waren. 24 Vor allem die nord westdeutschen Länder erreichten dadurch ihre staatsrechtliche und territoriale Restitution auf der Grundlage des Status von 1806. Sie beanspruchten Identität und Kontinuität mit den in der Rheinbundzeit untergegangenen Staaten, die ihnen in der Regel auch gewährt wurde.
bb) Folgen der Akzessionsverträge für den Wiener Kongreß Die politischen Ereignisse von 1813/14 hatten für die Neuordnung der deutschen Länder große Bedeutung. Eine zentrale Stellung hatten die Akzessionsverträge und die Restitutionen. Die in dieser Zeit gefällten Entscheidungen bezüglich der deutschen Staaten präjudiziellen eine lockere Verbindung der deutschen Länder; 25 die staatenbündische Lösung wurde politisch vorweggenommen. 26 Diese eher pauschalen Aussagen sind bei differenzierter Betrachtung auch in Hinsicht auf föderale Strukturen relevant. Einer der wichtigsten Faktoren war die Festschreibung der territorialen Veränderungen des Hauptschlusses. Ausgehend von der Prämisse, daß der Reichsdeputationshauptschluß und seine Umsetzung weiterhin geltendes Recht waren, wurden die Länder durch die Akzessionsverträge und die Restituierungen auf die territorialen Verhältnisse von 1806 festgelegt. Obwohl die Positionen der Länder zum Teil ausdrücklich unter dem Vorbehalt von späteren Friedensverhandlungen standen, waren die territorialen
22 Einige kleinere Länder erhielten keine Bestandsgarantie. Sie wurden aber in der Praxis mit den anderen Ländern gleichgestellt. 23 Vgl. zu den einzelnen Verträgen Huber I, S. 494ff. 24 Vgl. zu den Einzelheiten Huber I, S. 497ff. 25 Vgl. Huber I, S. 494. 26 Vgl. Botzenhart, S. 574f.
13 Grzeszick
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Änderungen der Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung. Sie sollten auch in der Folgezeit nicht mehr wesentlich geändert werden. Die Festlegung verband damit die Auflösung der Reichsgestalt mit der Vereinheitlichung und Vereinfachung der Verhältnisse in den deutschen Ländern. Ausdruck dieser Entwicklung waren die neu gebildeten souveränen Mittelstaaten. Auch unter den neuen Rahmenbedingungen blieben die Landesfürsten die Träger der staatlichen Herrschaft. Nur die Herrschaft der Fürsten, die weder einen Akzessionsvertrag noch eine Restituierung erfahren hatten, wurde nicht bestätigt. Anzahl und Einfluß dieser Länder waren aber gering, weshalb deren Schicksal keine große Bedeutung hatte. In der territorialen Neugestaltung und der Bildung souveräner Länder wurde der Einfluß der europäischen Nachbarstaaten auf die deutschen Gebiete sichtbar. Die europäischen Herrscher bestimmten hier die deutschen föderalen Formen mit. Hintergrund der Außenpolitik waren sowohl die verschiedenen Bündnisse als auch die Idee eines deutschen Nationalstaates. Die benachbarten Staaten versuchten, auf europäischer Ebene eine Friedensordnung herzustellen, die ihnen in Deutschland Macht und Einfluß garantieren sollte. Die Zentralverwaltungspläne Steins standen im Gegensatz zu diesen innenund außenpolitischen Entwicklungen. Sie zielten auf eine Verbindung der deutschen Gebiete unter preußischer Vorherrschaft und beschränkten die Landessouveränität. Dazu sollten nicht alle ehemaligen Reichsgebiete integriert werden; vor allem Osterreich als Gegenspieler Preußens sollte ausgeschlossen bleiben. Der in den meisten Akzessionsverträgen nur unter Vorbehalt gewährte Bestand der fürstlichen Positionen hätten eine Bundesentwicklung im Sinne Steins zugelassen. Eine derartige engere nationale Gemeinschaft widersprach aber vor allem den Interessen Österreichs. Die politische Machtverteilung führte dazu, daß die deutsche Frage im Zusammenhang mit der europäischen Friedensordnung gelöst wurde. Damit wurde der Einfluß der Nachbarstaaten gesichert. Deren Interessen entsprach eher eine lockere föderale Verbindung der deutschen Gebiete als ein unitarischer preußischer Nationalstaat. Diese Politik bestimmte auch den Verlauf der Wiener Kongreßverhandlungen.
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2. Kongreßverhandlungen a) Aufgabenstellung
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und deren Ergebnis und Atmosphäre
Die Aufgabe des Kongresses wird als multifunktional charakterisiert. 27 Hauptziel war die Wiederherstellung der gesamteuropäischen Friedensordnung, die durch die französische Revolution aus dem Gleichgewicht geraten war. Da die europäische Staatenwelt seit 1789 wesentlich verändert worden war, bedeutete dies die Errichtung eines europäischen Staatensystems, das Frieden und Gleichgewicht der Interessen zwischen den Ländern garantieren sollte. Aus deutscher Sicht ging die Aufgabenstellung noch weiter. Nach dem Untergang des Reiches und den folgenden weitreichenden Umgestaltungen war die Neuordnung der staatlichen Strukturen hier bedeutender als in den meisten europäischen Staaten.28 Die Kongreßverhandlungen betrafen die prinzipielle Existenz der deutschen Länder. Die Lösung der deutschen Frage war mit der europäischen Friedensordnung eng verbunden. Das deutsche Komitee tagte zwar formal abgesondert vom Kongreß, aber die wechselseitigen Bezüge ließen inhaltlich nur aufeinander abgestimmte Lösungen zu. Dazu waren sowohl im europäischen als auch im deutschen Bereich Voraussetzungen geschaffen worden, die den Ausgang der Verhandlungen teilweise vorwegnahmen. Die Anerkennungen und Restaurationen der Fürsten und Könige 29 prägten auch den Stil der Verhandlungen. Die Absprachen erfolgten durch die Gesandten bzw. Vertreter der jeweiligen Landesherrscher, und die Regenten handelten als legitime Monarchen. Die Anknüpfung an die vorrevolutionären Verhältnisse war offenbar. Auf den zweiten Blick waren aber auch die Einflüsse der Reformen spürbar. Die Verhandlungen wurden fast nie von den Staatsoberhäuptern geführt. Vielmehr handelten ihre Beamten oder Minister die konkreten Lösungen aus, während die Herrscher sich den gesellschaftlichen Ereignissen widmeten. Ganz anders war die Einstellung in der Bevölkerung. Zwar bestand auch hier der Wunsch, Frieden und Ordnung wiederherzustellen. Daneben und zum Teil
27 Vgl. Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 316f.; Möller, S. 649f.; Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 89ff.; Nürnberger, S. 181f.; Botzenhart, S. 583f., 587ff. 28 Nur Frankreich hatte ähnlich umfangreiche Änderungen erlebt. 29 So vor allem die Anerkennung der Bourbonen durch den Pariser Friedensvertrag.
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als stärkeres Motiv waren aber die Vorstellungen von den Ideen einer Nation und einer Verfassung geprägt. Die höheren Beamten hatten durch die Reformen ein stärkeres politisches Bewußtsein entwickelt, und in einigen Kreisen der Bevölkerung war eine nationale und liberale Gesinnung vorhanden. 30 In Preußen war die Erwartungshaltung aufgrund des Befreiungskrieges und des Verfassungsversprechens des Königs vom Oktober 1810 31 besonders groß. Etwas anders war die Lage in den süddeutschen Fürstentümern. 32 Auch hier erwartete die Bevölkerung prinzipiell die Errichtung von Konstitutionen mit liberalen Bürgerrechten. Auf der nationalen Ebene war die Stimmung aber zurückhaltender als in Preußen. Zum einen war die Identifikation mit dem Landesschicksal stärker als das Bewußtsein einer politischen deutschen Nation. Die Nähe zu Österreich als deutsche Großmacht machte eine nationale Abgrenzung unvorteilhaft. Dazu fürchteten vor allem die Politiker eine Beschränkung der gerade erst erlangten Souveränität. Die übrigen kleineren Territorien, zu denen vor allem die Gebiete am Rhein gehörten, orientierten sich fast ausnahmslos an der Wiederherstellung oder Wahrung ihrer Eigenschaft als eigenständige Länder. 33 Sie fürchteten, in einer nationalen deutschen Ordnung von den anderen Ländern bevormundet oder gar Gegenstand territorialer Abtretungen zu werden. Ihr Interesse an der Wiederherstellung vorrevolutionärer Zustände überwog andere politische Ziele. Spätestens die von Metternich in die Akzessionsverträge eingefügten Garantiezusagen brachten sie auf die Seite Österreichs.
b) Vorschläge der Beteiligten aa) Europäische Ordnung Die Verhandlungen über eine europäische Friedensordnung verliefen zunächst zäh. Obwohl alle Verhandelnden zur Friedenssicherung ein System des Gleichgewichtes zwischen den Staaten etablieren wollten, gab es vor allem um die Zukunft Polens und Sachsens Meinungsverschiedenheiten. 34 Unter
30
Zum nationalen Zeitgeist siehe oben, F. I. 1. a) bb) m.Nw. Text in Huber, Dokumente, S. 44ff. 32 Vgl. dazu Gruner, Deutsche Frage, S. 53ff. 33 Vgl. Huber I, S. 482, 497ff.m.Nw. 34 Vgl. dazu und zum Folgenden Botzenhart, S. 584ff. ; Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 89ff. 31
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Einbeziehung Frankreichs als weiterer Großmacht wurde die Krise aber bereits im Januar 1815 überwunden; Metternich und Talleyrand trieben nun die Friedenspläne energisch voran.
bb) Die deutsche Frage Parallel dazu wurde im deutschen Komitee über die Neuordnung der deutschen Gebiete beraten. Das Komitee trat erstmals am 14. Oktober 1814 zusammen. Zunächst waren nur Österreich, Preußen, Bayern, Hannover und Württemberg vertreten, was zu heftigem Protest der übrigen deutschen Staaten führte. 35
(1) Preußische Pläne Bereits in der Zeit vor der Kongreßeröffnung gab es mehrere preußische Pläne für die Neugestaltung der deutschen Gebietsordnung. Sie wurden, zum Teil modifiziert, jetzt Gegenstand der Beratungen.
(a) Bundespläne des Freiherrn von Stein In der Zeit zwischen 1812 und 1815 entwarf der Freiherr von Stein mehrere Verfassungspläne für die deutschen Gebiete. 36 Obwohl die verschiedenen Entwürfe leicht variierten und damit die verschiedenen Einflüsse auf die deutsche Verfassungsfrage zeigten, 37 blieben sie in der Zielrichtung konstant. Das Hauptziel Steins war die Herstellung einer deutschen politischen Einheit. Da er zur Zeit der Entwürfe kein preußisches Amt innehatte,38 konnte er in den Plänen gegenüber der preußischen Position einen gewissen Abstand halten. Inhaltlich waren seine Vorstellungen vom mittelalterlichen Reichssystem und dessen Ordnung der Stände beeinflußt. Seine Meinung in der Auseinandersetzung um die preußische Verfassung zeigte zwar fortschrittliches staatsrechtliches Verständnis, aber für die Gliederung der deutschen Länder
35
Vgl. dazu Huber I, S. 543f.; Botzenhart, S. 587ff. Vgl. Huber I, S. 510ff.m.Nw. 37 So Huber I, S. 510. 38 Stein mußte sein Amt als preußischer Minister wegen Napoleon Ende 1808 niederlegen; vgl. Huber I, S. 117f. Ab 1812 arbeitete er für den russischen Zaren. 36
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strebte er ein föderales Modell an, das mehr dem Ideal der mittelalterlichen Reichs Verfassung entsprach. 39 Steins Pläne waren darauf gerichtet, den deutschen Ländern unter Zurückdrängung der Souveränität eine stabile gemeinschaftliche Ordnung zu geben. Diese Verbindung sollte vor allem in der Außenpolitik Vorrang vor den Länderbefugnissen haben.40 Er forderte für das Reich und für die einzelnen Länder ständisch gegliederte Repräsentativorgane, die legislative und administrative Befugnisse haben sollten. Im Gegensatz zum schwachen Reich sollte eine effektive Gemeinschaft gebildet werden. Die entsprechend zentralistische Bundesstruktur wurde durch die Beteiligung der Länder auf der Bundesebene im föderalen Sinne relativiert. Zusammen mit den praktisch souveränen Fürsten sollte im Ergebnis eine föderale Korporation der Länder mit einer funktionsfähigen Bundesebene errichtet werden. 41 Eine effektive zentrale Bundesgewalt war das Hauptziel der Bundespläne Steins. Die entsprechenden Vorschläge waren regelmäßig mit der Frage der Vormachtstellung in Deutschland verbunden. Da die Vorstellung einer bundesstaatlichen Lösung wegen des Dualismus zwischen Osterreich und Preußen nicht praktikabel war, 4 2 dachte Stein an eine Teilung der deutschen Gebiete in eine österreichische und eine preußische Einflußsphäre. Die Vorstellung von einer engeren Föderation dieser beiden Bereiche in einem Staatenbund43 wurde schließlich zu einem dreigliedrigen Bund, in den neben Preußen und Osterreich die restlichen Länder, vereint unter der Figur eines Kaisers, eintraten. 44 Dieser Plan war besonders interessant, da er für die Länder die Bereiche der inneren Verwaltung, der Rechtspflege, der Erziehung und der Kultur vorsah. Mit den vorgesehenen landständischen Verfassungen waren die wichtigsten Elemente einer föderalen, an Funktionen orientierten Gewaltenteilung im Plan enthalten. Gleichzeitg wollte Stein eine territoriale Wiederherstellung des Standes von 1802 erreichen, um die Macht der deutschen Mittelstaaten zu begrenzen, die gegen jedes engere deutsche Bündnis waren. 45 Mit der in den
39 40 41 42 43 44 45
Vgl. Huber I, S. 511 m.Nw. Vgl. Botzenhart, S. 578; Huber I, S. 51 lf. So auch Huber I, S. 512. Vgl. Huber I, S. 512f. Stein, Freiherr von, Band ΙΠ, S. 794ff. Stein, Freiherr von, Band I V , S. 238ff. Vgl. Huber I, S. 513f.
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Akzessionsverträgen erfolgten Festlegung des Länderstatus auf den Stand von 1806 war dieser Plan allerdings hinfällig. Stein griff daraufhin den Gedanken des deutschen Kaisertums auf. 46 Da die mächtigeren Länder eine Beteiligung an der Zentralgewalt forderten, ordnete Stein die oberste Bundesgewalt einem Direktorium zu, in dem die größten Staaten vertreten waren. 47 Die Interessengegensätze zwischen den Beteiligten hätten aber eine wirksame Ausübung der Zentralgewalt behindert, weshalb Stein während der Kongreßverhandlungen zu seinem ursprünglichen Kaiserplan zurückkehrte. 48 Danach umfaßte die kaiserliche Zentralmacht die gesamte auswärtige Gewalt, die Aufsicht über die gerichtlichen, militärischen und administrativen Einrichtungen und die zur Durchführung der Bundesbeschlüsse nötigen Befugnisse. Gegen widerrechtlich handelnde Bundesmitglieder konnte der Kaiser Zwangsmittel verhängen. 49 Als Person des deutschen Kaisers hatte Stein den Kaiser von Österreich vorgesehen. 50 Der Kaiser selbst sollte im Rahmen der Zentralgewalt neben einigen Ehrenrechten nur ein Vetorecht gegen Beschlüsse des Bundestages und gegen die Ernennung des Vorsitzenden des Bundesgerichtes haben. Im Bereich der Außenpolitik beschränkten sich seine Befugnisse auf die Erklärung des casus belli gemeinsam mit dem Bundestag sowie die Kriegsführung, die im Einvernehmen mit einem dreigliedrigen Fürstenrat erfolgen sollte. Alle übrigen Kompetenzen lagen beim eigentlichen geschäftsführenden Organ, dem Reichsministerium. Dieses dreigliedrige Fürstenkolleg sollte aus dem Reichskanzler, dem Reichsfeldmarschall und dem Reichsfinanzminister bestehen. Als weiteres Bundesorgan hatte Stein eine Reichslegislative in Form einer Nationalrepräsentation vorgesehen. Diese Repräsentation sollte selbständig und gleichberechtigt neben der Reichsexekutive stehen und den Charakter einer ständischen Versammlung aller deutschen Gebiete haben. Zunächst dachte Stein an eine Wiederbelebung der Reichstagstradition. Indem er den Mitgliedern der Versammlung statt einer Gesandtenstellung die
46 47 48 49 50
Stein, Freiherr von, Band I V , S. 238ff. Stein, Freiherr von. Band I V , S. 612ff. Stein, Freiherr von, Band V , S. 274ff. Angedeutet in Stein, Freiherr von, Band V , S. 68. Stein, Freiherr von, Band IV, S. 735ff., Band V , S. 274ff.
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Funktion von Repräsentanten zuordnete, 51 tendierte er auch hier vom Ständestaat zum repräsentativen Verfassungsstaat. In späteren Plänen ging er sogar so weit, anstelle des altständischen Reichstages eine Bundesversammlung vorzuschlagen, deren Mitglieder von den Landesregierungen und den Landtagen bestellt werden sollten. 52 Die Bundesversammlung sollte über alle politischen Gegenstände, die innere Gesetzgebung, die Bundessteuern, Bundeseinrichtungen sowie über Streitigkeiten zwischen Bundesmitgliedern mit beschließender Funktion entscheiden. Die Versammlung stand damit im Gegensatz zu nur beratenden Organen. Die Souveränitätsansprüche der erstarkten deutschen Mittelstaaten waren ein Hauptproblem der neuen Bundesordnung. 53 Steins Bundesvorstellungen zielten darauf ab, vor allem die außenpolitische Selbständigkeit der Länder zugunsten des Bundes einzuschränken. Teilweise richteten sich seine Vorstellungen generell gegen die politische Macht der Länder. Er forderte, das territoriale Gefüge von 1802 wiederherzustellen, die Souveränität der Länder auf eine angemessene Landeshoheit zu begrenzen und ständische Landesverfassungen einzuführen. Dabei sollten die Länder in Entsprechung zum Bund eine Repräsentation mit freiem Mandat erhalten, die sich auf eine traditionelle ständische Gliederung stützte. 54 Die territoriale Restauration auf den Stand von 1802 hätte für die politische Einigung der deutschen Gebiete einen Rückschritt bedeutet. Zumindest die mediatisierten weltlichen Stände wären wieder entstanden, was zur politischen Zersplitterung geführt hätte. M i t dem Abschluß der Akzessionsverträge erwies sich diese Lösung als undurchführbar. Fortschrittlicher war der Gedanke einer begrenzten Länderhoheit. Stein fand darin eine funktionale Kompetenzaufteilung, die sowohl die Länderstaatlichkeit erhielt als auch den Bund funktionsfähig machte. Vor allem die Zuordnung der inneren Verwaltung zu den Länderkompetenzen und die der auswärtigen Gewalt zum Bund verdeutlichten die funktionale Aufgabenverteilung. 55 Diese föderale Kompetenzabgrenzung kam unter den damaligen Verhältnissen einer dem Subsidiaritätsprinzip entsprechenden Aufteilung nahe. Dem Einwand, daß die wichtigen außenpolitischen und militärischen Befugnisse dem Bund zugeordnet waren, stand die Beteiligung der Länder an der Bundesvertretung
51 52 53 54 55
Stein, Freiherr von, Band I V , S. 242ff., 246. Stein, Freiherr von, Band I V , S. 612ff. Vgl. dazu Stein, Freiherr von, Band I V , S. 242, 243f., Band V , S. 186ff. Stein, Freiherr von, Band I V , S. 242ff. Dazu auch Huber I, S. 517ff.m.Nw. Stein, Freiherr von, Band I V , S. 247 mit einer Abgrenzungsformel.
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und dem Fürstenkolleg entgegen. Der Kritik, daß Stein sich mit seinen Plänen bedenkenlos über die Souveränitätsansprüche der Länder hinwegsetzen und restaurative Elemente einführen wollte, 5 6 kann deshalb nicht zugestimmt werden. Nach dem Abschluß der Akzessionsverträge stand die grundsätzliche Souveränität der Länder auf der Grundlage der Gebiete und Rechte von 1806 nicht mehr in Frage. Die Überlegungen Steins, die in diesem Bereich auch kontraproduktiv zu seinem Ziel einer deutschen Einheit gewesen wären, bekamen im Verlauf der Verhandlungen eine eher taktische Natur, um den Widerstand der Länder gegen seine Pläne zu überwinden. 57 Die von den Nachbarstaaten gestützte Position der Mittelstaaten bildete weiterhin ein wirksames Gegengewicht zu diesen Ideen Steins. Aus der Kompetenzverteilung innerhalb der Bundesebene wurde zudem ersichtlich, daß die Figur des Kaisers mehr ein Symbol der Einheit als eine Wiederbelebung des Reiches bedeutete.58 Die Verteilung der Aufgaben, die Zusammenarbeit der Organe und die Übertragung wichtiger Kompetenzen auf eine selbständige Ministerregierung zeigten deutlich, daß der Kaiserplan für die föderativen Elemente des Bundes den Wechsel vom ständischen Reichsföderalismus zum verfassungsrechtlich modernen und gewaltenteilenden Föderalismus darstellte. Andererseits hatte gerade diese Übergangsform auch die Nachteile beider Modelle. Die Einflußbereiche Preußens und Österreichs waren nicht eindeutig festgelegt. Stattdessen sollte die Bundesmacht von dem kollegial organisierten, aber mit zentralistischen Befugnissen ausgestatteten Fürstenkolleg ausgeübt werden. Eine stabile politische Lage war damit auf Dauer schwer zu erreichen. 59
(b) Bundespläne Wilhelm von Humboldts Im Gegensatz zu Stein war Humboldt zur Zeit des Kongresses preußischer Beamter und neben Hardenberg offizieller Vertreter Preußens. Er bekannte sich zur deutschen politischen Einheit; seine Vorschläge waren aber auch von einer
56 57 58 59
So aber Botzenhart, S. 578. Stein, Freiheerr von, Band V , S. 186ff. Vgl. auch Botzenhart, S. 588f.; Huber I, S. 546ff. So auch Huber I, S. 515. So für die Stellung des Kaisers Huber I, S. 555.
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Politik zugunsten Preußens bestimmt. Sein erster Plan vom Dezember 1813 60 und sein zweiter Vorschlag vom Dezember 1814, 61 den er im Januar 1815 ergänzte, 62 versuchten, diese Momente zu verbinden. Humboldt war von der Notwendigkeit einer deutschen nationalen Ordnung überzeugt. Zugleich wollte er der österreichischen Vormachtstellung entgegenwirken. Er versuchte, durch die Ausweitung des preußischen Machtbereichs den Mächtedualismus zwischen Preußen und Österreich zu stabilisieren. Sein Plan eines Staatenbundes mit bundesstaatlichen Elementen sollte dies gewährleisten. Im Gegensatz zu früheren Ideen63 forderte Humboldt in seinen neuen Bundesplänen die Einheit von Staat und Nation. Er erkannte das Problem, daß der Begriff der deutschen Nation von den unitarisiernden Kräften als ein primär kultureller Begriff gesehen wurde. Er hoffte, mit einem nationalen Staat diesem Begriff einen festen politischen Entfaltungsraum zu geben und das individuelle politische Bewußtsein der Bevölkerung zu stärken. Zugleich wollte er auf diesem Weg den freiheitsbeschränkenden Tendenzen eines Nationalstaates entgegenwirken. 64 Humboldt kannte die Machtverhältnisse in Deutschland genau. Die Idee einer preußischen Vormachtstellung verwarf er deshalb zugunsten einer abgestuften Bundeshegemonie. In den auswärtigen Angelegenheiten sollte der Bund von Österreich und Preußen geleitet werden, während in den restlichen Angelegenheiten Österreich, Preußen, Bayern und Hannover gemeinsam über alle Streitfragen zwischen den Ländern entscheiden sollten. 65 Dazu wachten diese vier Länder auch über die Einhaltung der landständischen Verfassungen, die in allen Ländern einheitlich zu errichten waren. 66 Nach Humboldts Vorstellungen sollten diese Hegemonien dem Bund vor allem nach außen hin Sicherheit geben, um im Inneren Ordnung und Freiheit
60 61 62 63 64 65 66
Vgl. Stein, Freiherr von, Band I V , S. 413ff. In Klüber, Übersicht, S. 18ff., 55ff. In Klüber, Übersicht, S. 6ff. Vgl. Huber I, S. 520f. Vgl. Huber I, S. 520ff.m.Nw. Vgl. Botzenhart, S.579; Huber I, S. 524. Vgl. Botzenhart, S. 579; Huber I, S. 524f.
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zu gewähren. 67 Die Machtaufteilung entsprach den Positionen Österreichs und Preußens in den deutschen Gebieten des ehemaligen Reiches. Andererseits bargen die Pläne auch einige Probleme. Da die auswärtigen Kompetenzen nicht auf ein gemeinsames Bundesorgan übertragen wurden, sondern deren Wahrnehmung von den beiden Hegemonialstaaten bestimmt wurden, hatten die Länder keinen direkten Einfluß auf diese wichtigen Kompetenzen. Eine wirksame Außenpolitik des Bundes hing von der Verständigung zwischen Österreich und Preußen ab. Die Interessen der beiden Staaten waren in Bezug auf Deutschland aber eher gegenläufig, weshalb eine konstruktive Außenpolitik im Sinne der national-deutschen Interessen des Bundes unwahrscheinlich war. Humboldt wußte von dieser Schwachstelle; er hoffte auf den russischen und englischen Einfluß, der den Charakter des deutschen Bundes als eine außenpolitische Defensivvereinigung unterstützen sollte. 68 Humboldt tendierte grundsätzlich zu einer eher lockeren Bundes Verbindung. Er verzichtete auf ein gemeinsames Oberhaupt oder ein zentrales allgemeines Organ. 69 Auch war er gegen eine Nationalrepräsentation. 70 Dahinter stand die Vorstellung, eine dem aktuellen Nationalbewußtsein entsprechende Form zu schaffen, ohne einen nationalen Einheits- oder Machtstaat zu errichten. Seiner Meinung nach hätte eine zu zentralistische Organisation der nationalen Identität geschadet.71 Dazu war er ein Vertreter der preußischen Interessen. Eine enge Verbindung zwischen den Ländern mit einem mächtigen Zentralorgan hätte entweder den preußischen Einfluß relativiert oder den preußisch-österreichischen Dualismus über die Außenpolitik hinaus und damit auch auf die inneren preußischen Angelegenheiten ausgeweitet. Im Gegensatz zu den außenpolitischen Hegemonialplänen war Humboldt nicht bereit, derartige innenpolitische Kompromisse einzugehen. Für die Bundesfunktion der außenpolitischen Ordnungs- und Friedenssicherung war das auch nicht nötig. Das in den Hegemonien wiedergegebene Spannungsverhältnis zwischen Österreich und Preußen sowie die Idee einer politischen deutschen Nation belasteten damit auch die föderalen Bundeselemente.
67 68 69 70 71
Vgl. Huber I, S. 524; Botzenhart, S. 579. Vgl. Huber I, S. 524; Botzenhart, S. 579. Vgl. Huber I, S. 523 m.Nw. Vgl. Huber I, S. 522f.m.Nw.; Botzenhart, S. 579. Dazu Humboldt in Stein, Freiherr von, Band IV, S. 413ff., 418.
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Die Stellung der Länder war vor allem im Hinblick auf deren Souveränität nicht eindeutig bestimmt. 72 M i t der Abgabe ihrer außenpolitischen und militärischen Befugnisse an Preußen und Osterreich, die auch die Fähigkeiten zur Kriegserklärung und Bündnisgründung umfaßte, hätten sie einen wichtigen Teil ihrer Eigenständigkeit verloren. Dazu hätte die für die inneren Angelegenheiten zuständige Viererhegemonie für ihre Aufgaben auch entsprechende Exekutivbefugnisse erhalten. 73 Zusammen mit den geplanten Verfassungs-, Rechts- und VerwaltungsVereinheitlichungen 74 wäre die umfassende Souveränität der Länder im Ergebnis zugunsten des Bundes aufgehoben worden. 75 Auf den ersten Blick schienen die Pläne Humboldts der gegebenen politischen Lage eher zu entsprechen als die Ideen Steins. Humboldt berücksichtigte in seinem Bundesplan die Interessen der anderen starken Staaten, vor allem aber die Stellung Österreichs. Dazu hatte er an den Dualismus zwischen Österreich und Preußen gedacht. Die organisatorisch und institutionell schwach ausgeprägte Bundesebene erweckte auch den Eindruck der weitgehenden Erhaltung der Ländersouveränität. Er entsprach damit der Lage, die nach dem Abschluß der Akzessionsverträge im Herbst 1813 bestand. Der Plan Humboldts stammte vom Dezember 1813 und konnte im Gegensatz zu den Entwürfen Steins die Situation berücksichtigen. 76 Bei genauerer Betrachtung beinhalteten die Ideen Humboldts aber eine wesentlich stärkere Beschränkung der Länderhoheit, als dies Stein vorgesehen hatte. Vor allem die Übertragung der auswärtigen Befugnisse auf die Hegemonialstaaten, die ohne Vorbehalt erfolgte und keinen Einfluß der Länder vorsah, war dafür verantwortlich. Die abgestuften Bundeskompetenzen Steins, die durch Vertretungs- und Entscheidungsbefugnisse der Länder in den Bundesorganen ergänzt wurden, kompensierten teilweise den Machtverlust der Länder. Steins Ideen waren ein gelungener föderaler Kompromiß zwischen den Landesinteressen und der Bundesfunktion. Die Spannung in den alten Reichsgebieten in Hinsicht auf den Nationalgedanken unter den Ländern, im Verhältnis zu Österreich und Preußen sowie innerhalb der europäischen Staatenwelt wollte Humboldt durch die Hegemonie der größeren Staaten lösen.
72
Vgl. dazu auch die ausführliche Analyse bei Huber I, S. 523ff., 525f. Humboldt in Stein, Freiherr von, Band I V , S. 413ff., 421f. 74 Humboldt in Stein, Freiherr von, Band I V , S. 413ff., 422ff. 75 Anders dagegen Humboldt in Stein, Freiherr von, Band I V , S. 413ff., 422 Nr. 18. Seine Darlegungen auf S. 413ff., 418f. Nr. 6 zeigen aber, daß er der Sache nach bewußt die Reduzierung der Landeshoheit erreichen wollte. 76 Vgl. dazu Stein, Freiherr von, Band I V , S. 428. 73
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
205
Der ursprüngliche Plan Humboldts wurde im Verlauf der Verhandlungen verändert. Die Entwicklung lief darauf hinaus, förmliche Bundesorgane zu bilden und auf diese bei abgestufter Länderbeteiligung Kompetenzen zu übertragen. Da diese Entwicklung vor allem auf dem österreichischen Einfluß beruhte, werden diese Vorschläge bei den Kongreßverhandlungen dargestellt. Die Ausbaufähigkeit des Humboldtschen Plans wurde aber bereits dadurch ersichtlich.
(c) Bundesplan Karl August von Hardenbergs Hardenberg war zur Zeit des Wiener Kongresses preußischer Staatskanzler. Auf der Grundlage des Planes Humboldts vom Dezember 1813 und in weiteren Beratungen mit Stein und dem Grafen Solms-Laubach entwickelte er den Entwurf einer Bundesverfassung, 77 der aus 41 Punkten bestand.78 Dieser Plan wurde auf einer Vorkonferenz zum Wiener Kongreß im September 1814 dem österreichischen Außenminister Metternich als offizieller preußischer Entwurf vorgelegt. 79 In einem Memorandum vom April 1814 hatte Hardenberg seine Grundzüge einer Neuordnung der Reichsgebiete festgelegt. 80 Für ihn stand die territoriale Aufteilung im Vordergrund. 81 Danach sollte Sachsen an Preußen fallen, das auch noch Gebiete am Rhein erhalten sollte. Im übrigen westlichen Raum sollten durch Entschädigungen mehrere Fürstentümer eingerichtet werden. Österreich sollte weitere Gebiete in Süddeutschland erhalten. Die territoriale Hegemonie Preußens und Österreichs über die anderen deutschen Länder wurde durch eine politische und verfassungsrechtliche Föderation ergänzt. Ähnlich den ersten Ideen Steins griff auch Hardenberg auf eine reichsrechtliche Institution zurück. Er bevorzugte die Einrichtung der Kreiseinteilung. Auf der Basis der ständischen Kreiseinteilung sollten als Elemente einer zentralen Bundesebene der Rat der Kreisobersten, das Bundesdirektorium sowie der Rat der Fürsten und Stände gebildet werden. Nach den Vorstellungen Hardenbergs sollten alle deutschen Länder einen ewigen Bund von Einzelstaaten bilden. Für Österreich und Preußen sah er aber zunächst vor, daß sie nur mit Teilen ihres Staatsgebietes am Bund beteiligt sein
77 78 79 80 81
Zur Bedeutung der früheren Pläne Hardenbergs siehe Aretin, Reich 1, S. 471 f.m.Nw. Text in Klüber, Akten, Band 1, S. 45ff. Vgl. Huber I, S. 545. Vgl. Botzenhart, S. 580f. Einzelheiten in Botzenhart, S. 580.
206
F. Der Deutsche Bund
sollten. 82 Hardenberg beabsichtigte, dadurch individuelle Freiheiten und landständische Elemente in den Ländern vor einer preußisch-österreichischen Bevormundung zu schützen.83 Zugleich sollte die Macht der beiden Staaten die Verfassung und die Integrität des Bundes gewährleisten. 84 Denn auch Hardenberg erkannte, daß jede nationale Neuordnung des deutschen Raumes von der Hegemonie Preußens und Österreichs ausgehen mußte. 85 Die auf verschiedene Teile beschränkte Einbeziehung der österreichischen und preußischen Gebiete wurde dann aufgrund des Einflusses von Humboldt zugunsten einer vollständigen territorialen Integration Preußens und Österreichs in den Bund aufgegeben. 86 Die vorgesehene Einteilung der Länder in sieben Kreise 87 bzw. neun Stimmkreise 88 orientierte sich offensichtlich an der Kreiseinteilung im alten Reich. Sie hätte im Rat der Kreisobersten zu einem Übergewicht Preußens und Österreichs geführt. 89 Dieser Rat war zuständig für die auswärtige Gewalt, den Militärbereich und die innere Exekutivgewalt des Bundes. Da das Bundesdirektorium zudem als streitentscheidendes Organ für die anderen Bundesorgane vom österreichischen Kaiser und vom preußischen König gleichberechtigt geführt wurde, wäre die Vormacht dieser beiden Staaten auf der Bundesebene auch institutionell festgeschrieben worden. Als oberstes Bundesorgan hatte Hardenberg eine Bundesversammlung in Frankfurt vorgesehen. Sie sollte aus dem Bundesdirektorium, dem Rat der Kreisobersten und dem Rat der Fürsten bestehen. In ihrer Gesamtheit sollte die Bundesversammlung die Legislative des Bundes wahrnehmen. Nach den Vorstellungen Hardenbergs fielen darunter alle Gegenstände der inneren Wohlfahrt und des allgemeinen Bundesinteresses. Es gab weder eine festgeschriebene Zuständigkeitsverteilung noch einen Vorbehalt zugunsten bestimmter Bereiche der Landeshoheit. Die Länder waren zwar institutionell an der Bundesgesetzgebung beteiligt, aber die Bundeslegislative konnte letztlich jeden Bereich beanspruchen. 90 Geschützt wurde diese
82 83 84 85 86 87 88 89 90
Zu den Einzelheiten Huber I, S. 527. Zum Einfluß Steins auf diese Idee Botzenhart, S. 581. Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 45f. Vgl. Botzenhart, S. 581. Vgl. Botzenhart, S. 582. Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 45ff., 48. So Botzenhart, S. 581, ohne Quellenangabe. Siehe zur Stimmverteilung Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 45ff., 49. Huber I, S. 528 bezeichnet dies als Kompetenzen-Kompetenz des Bundes.
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
207
Zuständigkeitsverteilung durch einen unbedingten Vorrang der Bundesgesetze vor den Landesgesetzen.91 Einzige Beschränkung der Bundeszuständigkeit war die Maßgabe, daß sich die Bundesversammlung nur mit Verordnungen beschäftigen konnte, die ein allgemeines Interesse angingen. 92 Da diese Formel weder im Sinne einer Subsidiarität ausgelegt werden konnte noch eine andere Abgrenzung erfolgte, wurden damit nur Gesetze ausgegrenzt, deren Gegenstand sich ausschließlich auf die Verhältnisse in einem Land bezog und keine bundespolitische Bedeutung hatte. Im Fall einer Meinungsverschiedenheit zwischen der Bundesversammlung und den Ländern über die Gesetzgebungskompetenz hätte die Zusammensetzung der beiden streitentscheidenden Gremien, der Rat der Kreisobersten bzw. das Bundesdirektorium, für eine Entscheidung im Sinne der preußisch- österreichischen Hegemonie gesorgt. Einzige effektive Begrenzung der Bundeskompetenz war die Repräsentation der Länderinteressen durch den Rat der Fürsten in der Bundesversammlung. 93 Das Bundesdirektorium war dem preußischen König und dem österreichischen Kaiser vorbehalten; es sollte ein Entscheidungsrecht bei Widersprüchen zwischen den Beschlüssen des Rates der Kreisobersten und des Rates der Fürsten und Stände haben. Die vorgesehene Gleichberechtigung zwischen Osterreich und Preußen wurde dadurch modifiziert, daß der Kaiser zugleich Vorsitzender der Bundesversammlung war. Das maßgebliche Exekutivorgan des Bundes sollte der Rat der Kreisobersten sein. Zur oben dargestellten Mitgliedschaft im Rat kam die Beteiligung an der Bundesversammlung. Sie verlieh dem Rat neben den exekutiven Funktionen auch legislative Aufgaben. Der Rat der Fürsten und Stände faßte die bundesangehörigen Einzelstaaten und die mediatisierten Reichsstände zusammen. Die Fürsten als Vertreter der Länder und die Bundesstädte sollten Virilstimmen erhalten, wohingegen die restlichen Mitglieder gemeinschaftlich sechs Kuriatstimmen bekamen.94 Da die Mitglieder nach dieser Konstruktion nicht Repräsentanten waren, sondern die Stellung von Gesandten hatten, entsprach dieses nur legislativ tätige Gremium dem altständischen Reichstag. Gemeinsam mit den landständischen
91 92 93 94
Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 45ff., 52. Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 45ff., 52. Vgl. dazu Botzenhart, S. 581. Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 45ff., 51f.
208
F. Der Deutsche Bund
Verfassungen, die in den Ländern eingerichtet werden sollten, 95 konnten moderne konstitutionelle Elemente nur langsam und allein auf der Ebene der Länder eingeführt werden. Hardenberg legte großen Wert auf den Aufbau einer Bundesgerichtsbarkeit. Die vorgesehene Bundes - Gerichtsverfassung 96 nannte als oberste Instanz die allgemeine Bundesversammlung. Die Richter repräsentierten die Bundesstände und entschieden über alle Streitigkeiten zwischen den Bundesgliedern. Den Bürgern sollte bei Verletzung der bundesrechtlich garantierten Bürgerrechte 97 und bei Justiz Verweigerung der Weg zum Bundesgericht offenstehen. Mit der geplanten Bundesstruktur wollte Hardenberg die Rechte der Länder weiter als Stein oder Humboldt beschränken. Obwohl der Bund nach seiner äußeren Form ein lockerer Zusammenschluß war, begrenzte er die Hoheit der Länder so weit, daß eine absolutistische Landesherrschaft ausgeschlossen war. Hardenberg sprach deshalb auch von der Landeshoheit statt von einer vollen Souveränität. 98 Formal ordnete er aber weiterhin die staatliche Gewalt grundsätzlich den Ländern zu. Die ausbaufähigen Bundesrechte wurden ergänzt durch eine Garantie von landständischen Verfassungen und gewissen bürgerlichen Rechten. Weiter wollte Hardenberg ein allgemeines Gesetzbuch,99 ein gemeinschaftliches Münz-, Zoll- und Paßwesen und Erleichterungen von Handel und Verkehr einführen. 100 Die von Hardenberg geplante Bundesform war darauf angelegt, daß bei einem österreichisch-preußischen Übereinstimmmen dem Bund wesentliche Kompetenzen zugeordnet werden konnten. Die Bundesebene sollte noch stärker ausgeprägt sein als bei Humboldt und eine Unitarisierung Deutschlands ermöglichen. Gleichzeitig hielten sich die Vorschläge Hardenbergs im Rahmen der Vorbehaltsklauseln, mit denen die Souveränitätsgarantien der meisten Länder in den AkzessionsVerträgen eingeschränkt waren. Der Plan Hardenbergs war eine interessante Variante für eine mögliche Bundesbildungen. Er verband den preußisch-österreichischen Machtdualismus
95
Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 45ff., 47f. Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 53f. 97 Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 47. 98 Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 45f. 99 Nach Botzenhart, S. 581, war damit ein Zivilgesetzbuch gemeint. 100 Hardenberg in Klüber, Akten, Band 1, S. 48. 96
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
209
mit einer ausbaufähigen und effektiven Bundesebene. Unter der Voraussetzung, daß die beiden führenden Mächte sich einigen konnten, ermöglichte der Vorschlag die Bildung einer nationalen Einheit. Dazu entsprach der Plan auch den rechtlichen Rahmenbedingungen der Akzessionsverträge. Die Errichtung einer nationalen Ordnung hing ab von der Übereinstimmung der Großmächte. Bezüglich der deutschen Gebiete standen Österreich und Preußen aber in einem Interessengegensatz, der auf eine Auseinandersetzung um die Vormachtstellung hinauslief. Zudem stieß die Möglichkeit einer Unitarisierung auf den Widerspruch der mittleren und kleinen Fürsten; sie fürchteten um ihre Souveränität. Die Pläne Hardenbergs sahen für die Bundesebene keine konstitutionelle Verfassung vor. Trotz eines Bürgerrechtkatalogs und landständischer Verfassungen fehlte damit eine zentrale moderne Bundesverfassung. Der Übergang von der altständischen Staatsauffassung zu einem modernen Verfassungsstaat war für die Bundesebene nicht vorgesehen. Auch auf der Länderebene hätte der Plan eher eine ständische restaurative Ordnung festgeschrieben. 101 Das in den Reichsgebieten vorhandene Reformpotential wäre nicht berücksichtigt worden. Andererseits verband der Vorschlag Hardenbergs die altständischen Elemente mit einer zentralen nationalen Ordnung der deutschen Länder, ohne die Stellung Preußens und Österreichs zu vernachlässigen. Der Plan war deshalb Ausgangspunkt für die folgenden Verhandlungen in Wien; er beeinflußte vor allem die österreichische Position.
(2) Romantisch-organisches Denken bei Schleiermacher Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher war ein bedeutender Theologe des 19. Jahrhunderts. Er hatte in Halle und Leipzig Theologie studiert und als Lehrer und Prediger gearbeitet. 1810 war er einer der Mitgründer der Berliner Universität und bekam eine Professur für Theologie. 102 Schleiermacher hielt am 24. März 1814 vor der preußischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag, in dem er Grundzüge seiner Staatsphilosophie
101 102
Vgl. Botzenhart, S. 581f.; Huber I, S. 529f. Vgl. Otto Braun, in: Schleiermachers Werke, Einleitung; Dreyer, S. lOOf.
14 Grzeszick
210
F. Der Deutsche Bund
darlegte. Zugleich erläuterte er die Grundlagen föderaler Staatsformen. 103 Er ging dabei von den aristotelischen Staatsformen aus. Seine Vorstellungen waren geprägt durch die protestantischen Staatslehren, und die Ideen der Aufklärung waren ihm bekannt. Eine sozialvertragliche Begründung des Staates lehnte er aber ab. Er sah den Staat als ein "geschichtliches Naturgebilde". 104 Auf der Grundlage der aristotelischen Staatsformen, die er mit dem Kriterium der Staatsgröße verband, 105 untersuchte er die Frage nach gemischten Staats- und Regierungsformen. 106 Sein politisches Ziel war der ein gesamtes Volk umfassende Staat, den er als Staat der höchsten Ordnung bezeichnete. Er war deshalb bestrebt, die Einheit eines großen Volkes unter einer monarchischen Regierung herzustellen. Für die gerade erst befreiten deutschen Gebiete war dies eine klare Stellungnahme zugunsten eines kaiserlich regierten deutschen Nationalstaates. Da Schleiermacher ein Vertreter des romantisch-organischen Staatsdenkens war, sollte der höchste Staat durch das Zusammenwachsen kleinerer Staaten gebildet werden. Er nannte dies die Entwicklung vom Staat der untersten Ordnung zum Staat der höheren Ordnung, den er als föderativen Staat ansah. 107 Die von ihm angestrebte Einheit des Volkes sollte zunächst in einer repräsentativen Versammlung von Abgeordneten der einzelnen Länder wiedergegeben werden. 108 Die Stabilität des föderativen Staates sah er aber sowohl im Staatenbund als auch im Bundesstaat durch die partikularen Interessen der Mitglieder gefährdet. Ein monarchisch legitimierter und in Hinsicht auf die Mitgliedsländer uneingeschränkt regierender König sollte die nötige Stabilität garantieren. 109 Die allmähliche nationale Verfestigung und Einigung, die von dieser einheitlichen Königsherrschaft ausging, sollte dann zur Umgestaltung des höheren, föderalen Staates in den höchsten Staat führen. 110 Die föderale Form des höheren Staates war demnach für Schleiermacher nur eine Mischform. Die widerstreitenden Interessen der Mitglieder föderaler
103
Text in Schleiermacher, Sämtliche Werke, 3. Abteilung, Band 2, S. 246ff. Holstein bezeichnet auf S. 123ff. den Vortrag als zentrales Werk in der Staatslehre Schleiermachers. 104 Vgl. Schleiermacher, S. 248. 105 Vgl. Schleiermacher, S. 266. 106 Vgl. dazu Dreyer, S. 100 Anm. 105. 107 Schleiermacher, S. 268ff. 108 Schleiermacher, S. 276. 109 Schleiermacher, S. 271f., 277f. 110 Schleiermacher, S. 273ff., 278f.
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
211
Staatsformen und die Unsicherheiten bezüglich der Identifikation mit einem Gemeinwesen behinderten die dauernde Wahrung von Sicherheit und Ordnung. Er begrenzte daher die Funktion föderaler Verbindungen auf den Ubergang von der Landesherrschaft zum Nationalstaat. Diese Funktionseinschränkung galt sowohl für eine lockere Verbindung, die er Staatenbund nannte, als auch für eine engere Verbindung, den Bundesstaat.111 Obwohl er im höchsten Staat für die Bindung zwischen den Bürgern und dem Herrscher monarchische und demokratische Elemente vorsah und dabei ausdrücklich von einer Form des Gegensatzes sprach, 112 verneinte er die Möglichkeit eines entsprechenden Gestaltungsprinzips für föderale Staatsformen. Schleiermachers Ausführungen über föderale Staatsformen klangen teilweise sehr innovativ. Zuerst fiel auf, daß bei ihm die Begriffsbildung des Gegensatzpaares von Staatenbund und Bundesstaat soweit abgeschlossen war, daß sie als feststehende Begriffe verwendet wurden. 113 Auch erfolgte die Abgrenzung zwischen den beiden Formen föderaler Verbindungen auf eine Art, die den späteren Festlegungen entsprach. Während der Staatenbund als eine vom übereinstimmenden Willen der Mitglieder abhängige Verbindung selbständiger Staaten gesehen wurde, wurde dem Bundesstaat eine eigene Staatsqualität zugeordnet. Die Teile des Bundesstaates hatten nur noch begrenzte Selbständigkeit. 114 Darüberhinaus boten die Überlegungen Schleiermachers die Perspektive, die monarchische Legitimation mit der Idee einer Repräsentation zu verbinden. Die für den Bundesstaat vorgesehene Abgeordnetenversammlung sollte zwar aus Vertretern der Länder bestehen. Die Versammlung sollte aber repräsentativen Charakter haben 115 und neben der königlichen Zentralgewalt bestehen.116 Schließlich hatten die Ideen Schleiermachers einen eindeutigen Bezug zum nationalstaatlichen Denken, das für die preußischen Bundesvorstellungen ein prägender Faktor war. Sein optimaler Staat bestand erst in der Repräsentation eines Volkes durch einen entsprechenden Staat. 117 Die Erläuterungen über Größe und Umfang dieses höchsten Staates ließen nur den Schluß zu, daß
111 112 113 114 115 116 117
Schleiermacher, S. 276. Schleiermacher, S. 280ff. So Dreyer, S. 101. Schleiermacher, S. 276. Schleiermacher, S. 276. Schleiermacher, S. 276f. Schleiermacher, S. 260ff.
F. Der Deutsche Bund
212
Schleiermacher damit einen deutschen Nationalstaat meinte, der monarchisch regiert werden sollte. Neben diesen fortschrittlichen Überlegungen hatten die Bundesvorstellungen Schleiermachers aber auch Elemente, die der Entwicklung moderner föderaler Modelle entgegenstand. Schleiermachers Ansatz stand im Gegensatz zu den föderalen Überlegungen, die in der Endphase des alten Reiches vom Gedanken des Sozialvertrages ausgingen. Schleiermacher knüpfte an diese Tradition nicht an, sondern verwarf sie zugunsten seiner organischen Staatsvorstellungen. 118 Seine Überlegungen waren deshalb nicht primär an juristischen Abgrenzungen orientiert, sondern sollten eher historische und politische Entwicklungskräfte darstellen. Hinsichtlich der nationalen Elemente in den deutschen Gebieten bestimmte er damit zwar die politische Funktion einer engeren föderalen Verbindung. Als konkreter Lösungsvorschlag für die Kongreßverhandlungen hatten seine Überlegungen aber nur geringe Bedeutung. 119 Die Grundlage der romantisch-organischen Staatsauffassung führte auch zu Problemen bei der Unterscheidung zwischen Staatenbund und Bundesstaat. Obwohl Schleiermacher aus der Sicht föderaler Staatsformen die verschiedenen politischen Funktionen und Perspektiven darlegte, konnte er für die Unterscheidung der beiden Formen keine eindeutigen Kriterien nennen. 120 Weder nannte er die Voraussetzungen für einen Bundesstaat noch wurden Parameter für eine Staatlichkeit überhaupt genannt. Die Probleme von Staatlichkeit und Souveränität und der Abgrenzung der Kompetenzen von Bund und Ländern werden deshalb bei Schleiermacher nicht aufgeworfen. Die Vorstellungen Schleiermachers als Frühform des organischen und nationalen romantischen Staatsdenkens hatten im Ergebnis eine ambivalente Stellung. Obwohl sie nach Zeitpunkt und Umstände der Veröffentlichung eindeutig einen aktuellen politischen Bezug hatten, waren sie dem Inhalt nach eher funktionale politische oder philosophische Betrachtungen über föderale Staatsformen. Dabei wurden moderne politische Ideen auf interessante Art integriert. Föderale Staatsformen wurden zwar nur begrenzt anerkannt. Die Differenzierung der optimalen politischen Handlungsmodelle nach der Größe der zu bildenden Staaten und die Idee eines deutschen Nationalstaates als Ziel
118
Schleiermacher, S. 259fT. Anders Deuerlein, S. 69, ohne einen direkten Einfluß auf die preußischen Pläne nachzuweisen. 120 So auch Dreyer, S. 101. 119
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
213
der politischen Entwicklung verliehen dieser Einordnung aber den Charakter einer aktuellen politischen Stellungnahme.121 Bei der Beziehung zwischen dem monarchischen Herrscher und den Bürgern wurde deutlich, daß Schleiermacher der politischen und sozialen Funktion des Föderalismus auch positiv gegenüberstand, aber letztlich seinen Nationalstaatsvorstellungen Vorrang einräumte. Da Schleiermacher mit seinen Überlegungen nicht unmittelbar an den staatsrechtlichen Problemen des Wiener Kongresses orientiert war, hatten sie für die Verhandlungen keinen unmittelbaren Einfluß. Sie wurden aber ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Entwicklung des organischen und genossenschaftlichen Föderalismus wieder aufgegriffen. 122
(3) Österreichische
Position
Die österreichische Position zur Bundesgründung wurde von Metternich bestimmt. Auch in seiner Bundeskonzeption setzten sich die Grundlagen seiner politischen Einstellung durch. Diese waren um so wichtiger, da sie den Wiener Kongreß bestimmten und der folgenden Zeit den Namen der Restauration gaben.
(a) Grundlagen der Politik Metternichs Metternichs Politikverständnis wird unter dem Begriff der Restauration zusammengefaßt. 123 Für die europäische und die deutsche politische Ordnung beinhaltete sie die Grundsätze der Legitimität staatlicher Herrschaft, die Autorität des Monarchen und das Gleichgewicht der politischen Kräfte. Diese Elemente waren, falls beseitigt, wiederherzustellen. Legitimität bedeutete für ihn die monarchische Grundlage staatlicher Herrschaft. Metternich ging von dieser Grundposition aus; er durchbrach sie aber zugunsten politischer Zweckmäßigkeit. 124 Mit den Akzessionsverträgen akzeptierte er die Lage nach dem Vollzug des Reichsdeputationshauptschlusses.
121 So auch Holstein, S. 128ff. Beispiel der nationalen Gesinnung Schleiermachers war ein Brief an Hegel; Text in Rade, S. 127ff. 122 Vgl. Dreyer, S. 79, 123ff., 363ff. 123 Vgl. dazu Huber I, S. 531ff.m.Nw.; Möller, S. 648ff.m.Nw.; Botzenhart, Handbuch, S. 583f. 124 Vgl. dazu Nürnberger, S. 182ff.; Huber I, S. 535ff.; Botzenhart, S. 584; Möller, S. 65Iff.
214
F. Der Deutsche Bund
Er entschied sich für die Legalität der territorialen Veränderungen und gegen die Legitimität unantastbarer Herrschaftsrechte. 125 Eigentliches Ziel seiner Politik waren Ordnung und politische Stabilität im Staat. Der Begriff der Legitimität war nur ein Mittel zu diesem Zweck. Die Autorität sollte die bestehenden Herrschaftsverhältnisse gegen die modernen Prinzipien von Demokratie und Liberalismus schützen. Weit entfernt von der Rechtfertigung eines monarchischen Despotismus sah Metternich in der Autorität die Garantie für Stabilität. 126 Das Prinzip des Gleichgewichts war ein weiterer Grundsatz, um politische Stabilität zu erreichen. Es war für die europäische und die deutsche Staaten weit gedacht und richtete sich gegen Hegemoniebestrebungen einzelner Staaten.
(b) Bundesvorstellungen Metternichs Die Bundespläne Metternichs waren von seiner Restaurationspolitik bestimmt. Er betrachtete die Idee einer deutschen Nation als Störfaktor im europäischen Gleichgewichtssystem. Sein Ziel war es, den preußischen Einfluß auf die Mittelstaaten zurückzudrängen und eine lockere Verbindung politisch selbständiger Staaten in Deutschland zu errichten. 127 Metternich war gegen eine gesamtdeutsche Zentralgewalt, gegen größere Bundeskompetenzen oder Bundesorganisationen und auch gegen ein förmliches Bundesoberhaupt. 128 Stattdessen bevorzugte er einen Bund souveräner Einzelstaaten. Obwohl er ein Gegner von ständischen Privilegien und Kleinstaaterei war, hatte er aus den oben genannten Gründen den Abschluß der Akzessionsverträge eingeleitet. Die Grundlagen seiner deutschen Bundespolitik waren damit festgelegt. 129 Die Interessen Österreichs wollte er allein durch die politische Machtverteilung wahren; institutionell sichtbare Hegemonien lehnte er ab. 1 3 0 Von einer förmlich unabhängigen Politik versprach er sich eine stärkere
125 126 127 128 129 130
So Huber I, S. 535. Vgl. Huber I, S. 536. Vgl. Huber I, S. 538. Vgl. Nürnberger, S. 187. Vgl. Möller, S. 652; Huber I, S. 541. Vgl. Huber I, S. 541.
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
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Stellung gegenüber den kleineren Staaten und Preußen und damit zugleich einen größeren Einfluß auf die Sachentscheidungen.131
(c) Das österreichisch-preußische Verfassungsprogamm Hardenbergs Verfassungsentwurf wurde Metternich im September 1813 mitgeteilt. 1 3 2 Noch im September 1813 beriet eine Dreierkommission österreichischer Hof] uri sten über den Vorschlag, der von ihnen verworfen wurde. 133 Trotzdem einigte sich Metternich mit den Vertretern Preußens und Hannovers am 14. Oktober auf ein Verfassungsprogramm, 134 das zum Ausgangspunkt der Wiener Beratungen über die deutsche Frage wurde. Im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen Hardenbergs war der Einfluß Metternichs unverkennbar. Das österreichisch-preußische Verfassungsprogramm wich nur in wenigen Punkten von den Ideen Hardenbergs ab. Die Bundesebene sollte weniger Kompetenzen erhalten. Gleichzeitig sollten die Länder noch eindeutiger unter die Vormacht Preußens und Österreichs gestellt werden. Auf ein förmliches Bundesoberhaupt wurde verzichtet, aber die dreigliedrige Bundesorganisation Hardenbergs blieb bestehen. Die Stimmrechte waren so verteilt, daß Preußen und Österreich die kleineren Staaten in fast allen wichtigen Angelegenheiten überstimmen konnten. 135 Dazu sollte Österreich in den Bundesinstitutionen Vorsitz- und Geschäftsführungsrechte erhalten. Der Kaiser hätte damit in der Bundesorganisation einen stärkeren Einfluß gehabt, um einer Nationalisierung auf der Bundesebene entgegenzuwirken. Die Sonderstellung Österreichs und Preußens wurde auch territorial manifestiert. Da sie mit ihren Gebieten nur teilweise Bundesmitglieder werden sollten, waren ihre außenpolitischen Befugnisse nur durch die Bundespflichten beschränkt; sie blieben prinzipiell bündnis- und kriegsfähig. 136 Die Pflicht zur Einführung einer landständischen Verfassung mit einem Mindestmaß an landständischen Rechten wurde für sie relativiert; gleiches galt für die
131
Beachtenswert die Parallele zur Einstellung Napoleons gegenüber dem Rheinbund. Vgl. dazu die Anmerkung bei Klüber, Akten, Band 1, S. 45. 133 Vgl. Botzenhart, S. 582. 134 Text in Klüber, Akten, Band 1, S. 57ff. 135 Vgl. Huber I, S. 546; Botzenhart, S. 582. 136 Klüber, Akten, Band 1, S. 57ff., 60. Botzenhart, S. 582, legt dies entgegen dem Wortlaut als Zugeständnis einer selbständigen Außenpolitik des Bundes aus. 132
216
F. Der Deutsche Bund
Gewährung bestimmter Bürgerrechte. 137 Die entsprechende Regelung in Artikel 12 bezog diese Ausnahmen nicht nur auf die Gebiete außerhalb des Bundes, sondern sprach generell von den besonderen Verhältnissen und dem größeren Umfang Preußens und Österreichs als Grund der Ausnahmen. 138 Für die Hegemonialmächte war mit dem Bundesplan eine Sonderstellung geplant, 139 die ihrer Machtstellung in Deutschland und ihren innenpolitischen Vorstellungen entsprach. Da das Programm die starke Stellung Österreichs mit einer funktionsfähigen Bundesebene verband, war es ein fairer Kompromiß zwischen den preußischen Interessen an einer politischen Unitarisierung und der starken österreichischen Machtposition im deutschen Raum. Der Plan Hardenbergs wurde dabei modifiziert. Das Bundesdirektorium sollte nur noch den Vorsitz und die Geschäftsführung in den beiden anderen Gremien haben. Dazu war geplant, daß es allein von Österreich geführt werden sollte, um dessen Interessen im Bund zu wahren. 140 Der Rat der Kreisobersten sollte aus Preußen, Österreich, Bayern, Hannover und Württemberg bestehen; vom Ausschluß Hessens und Badens erwartete man eine Stärkung der österreichischen Position. 141 Die beiden Hegemonialmächte bekamen jeweils zwei Stimmen, wohingegen die anderen Länder sich mit je einer Stimme begnügen mußten. Als Aufgabe wurde dem Rat der Kreisobersten die Bundesexekutive zugewiesen. Er sollte den Bund außenpolitisch vertreten, über den casus belli entscheiden und die in inneren Angelegenheiten gefaßten Bundesbeschlüße vollziehen. 142 Neben dem Rat der Fürsten und Städte war er als zweite Kammer auch an der Bundesgesetzgebung beteiligt. 143 Auf der Ebene der Kreise sah der Plan die Bildung von Kreisversammlungen vor, die zusammen mit dem Kreismilitärwesen vom Kreisobersten geleitet wurden. Dabei war bemerkenswert, daß die Kreisobersten in dieser Funktion im Gegensatz zum Reichsmodell als Beauftragte des Bundes und nicht als Landesherrscher handelten. 144
137 138 139 140 141 142 143 144
Klüber, Akten, Band 1, S. 57ff., 61. Klüber, Akten, Band 1, S. 57ff., 61. So auch Botzenhart, S. 582. Klüber, Akten, Band 1, S. 59. Vgl. Huber I, S. 546. Klüber, Akten, Band 1, S. 58f. So Botzenhart, S. 582. Klüber, Akten, Band 1, S. 60.
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Das Gesamtvertretungsorgan hieß nun Rat der Fürsten und Städte, da die mediatisierten Reichsstände darin nicht mehr berücksichtigt wurden. Die zusammen mit dem Rat der Kreisobersten ausgeübte Gesetzgebung umfaßte wiederum die allgemeinen Angelegenheiten der inneren Wohlfahrt 145 und wurde praktisch nur von den politischen Machtverhältnissen beschränkt. Allerdings verblieb wegen des Begriffes der Wohlfahrt die Steuerhoheit grundsätzlich bei den Einzelstaaten.146 Die Bundesgerichtsbarkeit war im preußisch-österreichischen Entwurf nicht mehr der ständischen Bundesvertretung zugewiesen. Ein eigenes Bundesgericht sollte gebildet werden und als alleinige oberste Instanz über Verletzungen der Bundesverfassungen entscheiden. Dazu urteilte es zusammen mit dem Rat der Kreisfürsten über Streitigkeiten unter den Bundesmitgliedern, soweit sich diese nicht auf eine Austrägalgerichtsbarkeit geeinigt hatten. 147 Für Kreisstände war der Instanzenzug beschränkt. 148 Die Hoheit der Länder wurde im Bundesvertrag erheblich eingeschränkt. Außer Preußen und Osterreich verloren die Länder ihre außenpolitische Handlungsfähigkeit. Sie waren zu einer einheitlichen Verfassungsgebung und zur Gewähr bestimmter bürgerlicher Rechte verpflichtet, was auch vom Bundesgericht kontrolliert werden konnte. Dazu kam die weit gefaßte Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Als Korrektiv im Sinne der Länderinteressen war zwar der Rat der Fürsten und Städte beteiligt, aber der gleichfalls beteiligte Rat der Kreisobersten konnte von Preußen und Österreich bestimmt werden. Die mediatisierten Reichsstände wurden nicht berücksichtigt. Die vom Rat der Kreisobersten ausgeübte Bundesexekutive war gleichfalls von den Hegemonialmächten majorisierbar. Zusätzlich waren die Fürsten in dieser Funktion zur Wahrnehmung der Bundesinteressen verpflichtet. 149 Der Verfassungsplan sprach deshalb auch von den Regierungsrechten der Länder statt von deren Souveränität. Weiter wurden diese Rechte durch den Bundeszweck und die Bundesverfassung eingeschränkt. 150 Der Umfang der
145 146 147 148 149 150
Klüber, Akten, Band 1, So Botzenhart, S. 582. Klüber, Akten, Band 1, Klüber, Akten, Band 1, Klüber, Akten, Band 1, Klüber, Akten, Band 1,
S. 57ff., 59. S. S. S. S.
60f. 59. 57ff., 60. 57.
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Einschränkung hing in der Praxis allein vom Einverständnis zwischen Preußen und Österreich ab. Der Bundesplan Metternichs verband seine Stabilitätsvorstellungen mit den politischen Gegebenheiten in den deutschen Ländern. Die vorgesehene Machtverteilung erfaßte das Spannungsverhältnis zwischen Preußen und Österreich einerseits und zwischen den Hegemonialmächten und den kleineren Ländern andererseits. Vor allem die Stimm Verteilung im Rat der Kreisobersten entsprach dieser Lage, und zusammen mit den Ausnahmeregelungen zugunsten Preußens und Österreichs wurde deren Einfluß in Deutschland gewahrt. Die Bildung einer politischen Nation und entsprechende Bundestätigkeiten wurden durch die Strukturen und Stimmverteilungen im Sinne Österreichs und der kleineren Länder beschränkt. Andererseits war die Bundesebene außenpolitisch stark organisiert. Metternich erstrebte damit die Einbindung der deutschen Frage in das europäische Gleichgewicht, da die deutschen Länder außenpolitisch durch den Bund handelten. Die Pläne Metternichs beinhalteten aber auch verschiedene Probleme. Das Spannungsverhältnis im Wechsel von der alten ständischen Ordnung zum modernen konstitutionellen Staatsverständnis wurde nicht gelöst. Die Pflicht zum Erlaß landständischer Verfassungen sagte nichts über den Charakter der zu bildenden Vertretungen aus, und die Bundesversammlung hatte eine altständische Struktur. Andererseits waren die mediatisierten Fürsten überhaupt nicht mehr vertreten, was im Vergleich zu den Ideen Hardenbergs den ständischen Einfluß verringerte. Weiter waren die Kreisobersten im Rat der Kreisobersten allein durch ihr Amt legitimiert und dem Bundesganzen verpflichtet. Und die Bundesbestimmungen über den Erlaß landständischer Verfassungen berücksichtigten die Verhältnisse in den einzelnen Ländern im Sinne einer föderalen Vielfalt. 1 5 1 Die Vorstellungen Metternichs waren deshalb in diesem Bereich ausgewogen. Schwieriger war die politische Abhängigkeit der Landesherrscher von Österreich und Preußen. Obwohl dies den politischen Gegebenheiten entsprach, war der Widerstand der Länder gegen eine förmliche Festschreibung dieser Hegemonie im Bundesvertrag absehbar. Weiter wurde das Schicksal des Bundes von der Übereinstimmung zwischen Preußen und Österreich abhängig gemacht. Bei deren bundesvertraglicher Sonderstellung blieb offen, ob sie bei
151
Klüber, Akten, Band 1, S. 61.
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
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einem Konflikt zwischen ihren eigenen Interessen und denen des Bundes der Einbindung in den Bund gerecht geworden wären. 152 Trotz dieser Probleme bei der Bundeskonzeption war der Plan Metternichs ein ausgewogener Kompromiß zwischen den Interessen der Mitglieder. Er beruhte auf dem politischen status quo und fand bei Österreich und Preußen zunächst gleichermaßen Zustimmung. Ein föderales Gleichgewicht zwischen Örreichich und Preußen als Grundvoraussetzung jedes engeren Bundeskonzepts schien damit möglich.
c) Verhandlungen bis März 1815 aa) Entwicklung in der europäischen Frage Bald nach der Eröffnung des Wiener Kongresses kam es zu Differenzen zwischen den europäischen Mächten. Der russische Zar beanspruchte Polen, während der preußische König Sachsen zu preußischem Gebiet machen wollte; der sächsische König sollte durch linksrheinische Gebiete entschädigt werden. Die übrigen Mächte waren zunächst bereit, auf die preußischen Forderungen einzugehen. Sie übertrugen im Oktober 1814 die militärische Besatzung und Verwaltung Sachsens von Rußland auf Preußen. Rußland verlangte dafür von Preußen die Duldung der Annexion Polens, der aber weder Österreich noch England oder Frankreich zustimmten. Anfang Dezember 1814 stellte sich der preußische König auf die Seite Rußlands und damit gegen die anderen Mächte der Quadrupelallianz. Österreich reagierte darauf mit der Abkehr von den gemeinsam mit Preußen entwickelten Bundesplänen und bestritt die preußischen Ansprüche auf das sächsische Gebiet. Da die Parteien sich nicht verständigten, schlossen England, Frankreich und Österreich am 3. Januar 1815 ein Defensivbündnis. 153 Dieses Bündnis offenbarte die Spaltung der Allianz und drohte den ganzen Kongreß scheitern zu lassen. Dazu bedeutete die vertragliche Einbeziehung Frankreichs die förmliche Anerkennung der französischen Verhandlungsposition als die eines gleichwertigen Staates. Talleyrand hatte die Anerkennung und Integration Frankreichs im europäischen Mächtegleichgewicht erreicht. 154
152
So Botzenhart, S. 582. Unmittelbar vorausgegangen war die preußische Drohung, notfalls militärische Gewalt anzuwenden; vgl. dazu Huber I, S. 570f. 154 Vgl. Botzenhart, S. 586f. Texte in Klüber, Akten, Band 1, Heft 2, S. l l f f . , 15ff., Band 7, S. 48ff. 153
220
F. Der Deutsche Bund
Bereits ab dem 7. Januar 1815 wurde ein Fünf-Mächte-Ausschuß einberufen, in dem Rußland, Preußen, Österreich, Frankreich und England vertreten waren. Am 8. Januar wurde in der sächsisch-polnischen Frage ein Kompromiß geschlossen, der die territoriale Neuordnung des gesamten mitteleuropäischen Raumes ermöglichte. Die Gebiets- und Machtverteilung in Deutschland wurde darin festgelegt. 155 Rußland erhielt die Kerngebiete Polens und Teile Süd- und Nordpreußens; dafür gab es Teile Polens an Preußen und Österreich zurück. Weiter erhielt Preußen nur die nördliche Hälfte Sachsens; das restliche Gebiet sollte als Königreich erhalten bleiben. Für den Verzicht auf diese Gebiete Sachsens wurde Preußen am Rhein entschädigt. Hintergrund dafür waren die Überlegungen Castlereaghs und der Pittsche Europaplan. Österreich hatte im Verlauf der Verhandlungen endgültig auf die früheren habsburgischen Niederlande verzichtet. Durch die Zugabe kleinerer Gebiete wurden die Niederlande gestärkt, um an der Nordseeküste einen Vorposten gegen französische Expansionen zu bilden. Hinter den Niederlanden sollte als starke Militärmacht Preußen stehen. Preußen erhielt deshalb einen Großteil des linksrheinischen Ufers und einen Teil der wiederhergestellten westfälischen Gebiete. Dieser Gebietsblock, der nach Osten hin durch Hannover und Hessen-Kassel abgegrenzt wurde, machte Preußen zur bestimmenden Macht am Niederrhein. Die Interessen der preußischen Politik wurden damit weiter in Richtung Mitteldeutschland ausgedehnt, als dies die preußischen Staatsmänner jemals beabsichtigt hatten. 156 Dagegen brachten die territorialen Veränderungen für Österreich eine Verlagerung des Einflusses aus dem deutschen Raum heraus in südöstliche Gebiete Europas. 157
bb) Entwicklung in der deutschen Frage (1) Tätigkeit
des deutschen Komitees
Die Neuordnung der deutschen Staaten sollte in einem dafür gebildeten Ausschuß, dem deutschen Komitee, beraten werden. Mitglieder waren nach dem Vorbild des Rates der Kreisobersten aus dem österreichisch-preußischen Verfassungsplan Österreich, Preußen, Bayern, Württemberg und Hannover.
155
Vgl. dazu im Einzelnen Huber I, S. 571f. Vgl. Botzenhart, S. 587. Zu den einzelnen Gebieten auch Huber I, S. 577f.; Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 90f. 157 Vgl. dazu Huber I, S. 576f.; Botzenhart, S. 587. 156
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
221
Damit war der Widerstand der ausgeschlossenen Fürsten provoziert. Neben der politischen Machtverteilung wurde die Zusammensetzung des Ausschusses damit begründet, daß nur die vertretenen Länder ihre Souveränität ohne Vorbehalte erlangt hätten, wohingegen die übrigen Fürsten wegen der Akzessionsverträge sich der Entscheidung der fünf großen Länder beugen müßten. 158 Da dieses Argument zumindest für Württemberg nicht zutraf und die kleineren Länder gegen ihren Ausschluß heftigen Widerstand leisteten, wurde auf eine offizielle Festlegung des Vorranges der Komiteebeschlüsse verzichtet. 159 Eine Beteiligung der kleineren Länder an der Ausschußtätigkeit wurde aber abgelehnt. Das Komitee sollte auf der Grundlage des österreichisch-preußischen Bundesentwurfes einen endgültigen Plan schaffen. Preußen und Österreich gingen davon aus, daß diese Aufgabe rasch erledigt würde. Bayern und Württemberg äußerten aber schon bald Bedenken gegen den Bundesplan, die stellvertretend für die Interessen der kleineren deutschen Länder standen.160 Die Fürsten beider Staaten bestanden zunächst auf der Gewährung einer umfassenden Landessouveränität und waren nicht bereit, diese durch eine Bundeskonstruktion einschränken zu lassen. Das betraf vor allem das österreichisch-preußische Stimmenübergewicht im Rat der Kreisobersten. Sie beriefen sich darauf, daß sie durch den Wegfall der alten Reichsverfassung uneingeschränkte Hoheitsmacht erlangt hatten, und wollten diese weder zugunsten einer auswärtigen Bundesgewalt noch für das Ziel einer politischen Nation aufgeben. Eine Verständigung war auf dieser Grundlage nicht möglich. Metternich und Stein wiesen die Einwände der Länder zwar zurück, aber auch die Intervention des Zaren führte zu keiner Einigung. Bereits am 16. November 1814 zog sich Württemberg unter Protest von den weiteren Beratungen des Komitees zurück und brachte damit die Ausschußarbeit zum Erliegen.
(2) Note der 29 Regierungen Parallel zu den Komiteeverhandlungen hatte Stein einen diplomatischen Vorstoß unternommen. Er wollte die kleineren Länder für seine Vorstellung einer nationalen politischen Einheit mobilisieren.
158 159 160
Vgl. Huber I, S. 547 m.Nw. Siehe dazu Klüber, Akten, Band 2, S. 74ff., 78f., 83ff., 83f. Dazu und zum Folgenden Huber I, S. 546ff.m.Nw.
222
F. Der Deutsche Bund
Am 16. November 1814 richteten 29 deutsche Regierungen eine Note an Österreich und Preußen. 161 Bis auf wenige Ausnahmen 162 waren sämtliche Länder, die keinen Sitz im Ausschuß hatten, beteiligt. Die kleineren Länder waren zwar bereit, die politische Hegemonie Preußens und Österreichs anzuerkennen. Sie identifizierten sich aber weder mit den bayerischwürttembergischen Souveränitätsansprüchen noch waren sie bereit, den förmlichen Vorrang der fünf Ausschußmächte bei den Verhandlungen und im späteren Bund hinzunehmen. Die kleineren Länder bevorzugten eine föderale Struktur, die auf der Gleichheit der Rechte aller Gliedstaaten beruhte und ihre Unabhängigkeit nur für die nötige Sicherheit beschränkte. Zu diesem Zweck waren sie auch bereit, landständische Verfassungen und eine Gerichtsverfassung zu akzeptieren. Der konkrete Vorschlag der 29 Regierungen lief auf die Wiederbelebung des deutschen Kaisertums hinaus und entsprach weitgehend den Plänen Steins. 163 Die Note der kleineren Staaten lehnte damit den österreichisch-preußischen Verfassungsvorschlag ab. Sie richtete sich gegen die förmliche Festschreibung der politischen Hegemonie Österreichs und Preußens auf der Bundesebene. Andererseits wandte sie sich aber auch gegen das altständische und restaurative Souveränitätsdenken Bayerns und Württembergs. Da die Note inhaltlich stark an den Ideen Steins orientiert war, verlieh sie seinen Plänen erhebliche Bedeutung 1 6 4 und stellte sie als Alternative zwischen eine österreichisch-preußische Bundeshegemonie und einen losen Bund souveräner Landesfürsten.
(3) Preußisch-österreichische
Differenzen
Der Rückzug Württembergs aus dem Komitee schien dennoch den Weg zur Gründung eines starken Bundes freizumachen. Metternich deutete dies auch in verschiedenen Äußerungen an. 1 6 5 Genau zu diesem Zeitpunkt begann aber die sächsisch-polnische Krise, die eine Übereinstimmung zwischen Preußen und Österreich vor allem in Bezug auf die territoriale Ordnung Deutschlands verhinderte. Österreich wurde in Opposition zu Preußen und damit auf die Seite der süd- und mitteldeutschen Länder gedrängt. Die Chance, gegen den
161
Text in Klüber, Akten, Band 1, S. 72ff. Vgl. Huber I, S. 549f. 163 Dazu Klüber, Akten, Band 1, S. 72ff., 75, 77ff.; Stein, Freiherr von, Band V , S. 198f.m.Nw. 164 Vgl. Huber I, S. 550ff.m.Nw. 165 Vgl. Metternich in Klüber, Akten, Band 1, S. 104ff. 162
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
223
Widerstand der kleineren Länder eine feste und funktionsfähige Bundesebene zu errichten, war zunächst vertan. 166 In den folgenden Monaten wurden die Bemühungen um einen Kompromiß für die Bundesordnung fortgesetzt. Der Österreicher Wessenberg erstellte im Dezember 1814 einen Bundesplan, der den Mitgliedern grundsätzliche innere und äußere Souveränität gewährte, den Beitritt zum Bund freistellte und nur eine schwach ausgeprägte Bundesebene besaß.167 In Preußen erneuerten Humboldt 168 und Stein 169 ihre Pläne. Vor allem die Idee Steins, den Kaisergedanken wiederzubeleben, fand Beachtung; er wurde vom Zar unterstützt 170 und von einer weiteren Note der nicht im Komitee vertretenen Regierungen begleitet. 171 Dem Vorschlag Steins folgte aber sofort Protest von Hardenberg und Humboldt, die dabei offiziell im Namen Preußens handelten. 172 Vor allem Humboldt favorisierte nun eine lockere Verbindung der deutschen Gebiete. Neben staatsrechtlichen Erwägungen zeigten seine Argumente deutlich, daß der eigentliche Grund für die Abkehr von einer starken Bundesebene die jetzt festgelegte territoriale Neuordnung war. Er erkannte die Verlagerung des österreichischen Interessenschwerpunktes aus dem Reichsgebiet heraus in Richtung Süden und befürchtete in einem engeren Bund den Widerspruch zwischen den österreichischen und den preußischen Interessen. Dahinter stand die Überlegung, daß das jetzt bis zum Rhein ausgedehnte Preußen seine über den ganzen mitteldeutschen Raum verteilten Interessen in einem losen Bund gegenüber Österreich eher durchsetzen konnte. Im Ergebnis führten die verschiedenen Bundesvorschläge zur weiteren Abschwächung unitarischer Bundesgedanken, was mittlerweile sowohl der österreichischen als auch der preußischen Politik entgegenkam. Ein Vorschlag für eine kompromißfahige Bundesstruktur war aber nicht abzusehen.
166 167 168 169 170 171 172
So Botzenhart, S. 588f.; Huber I, S. 551f. Text in Klüber, Akten, Band 2, S. Iff. Humboldt in Klüber, Akten, Band 2, S. 6ff., 18ff., 55ff. Stein, Freiherr von, Band V , S. 274ff. Vgl. Huber I, S. 554f.m.Nw. Text in Klüber, Akten, Band 1, Heft 3, S. 127f. Vgl. Huber I, S. 555f.
224
F. Der Deutsche Bund
cc) Die hundert Tage und deren Folgen (1) Wirkung
in Europa
Napoleon hatte von der Spaltung der Allianz in der sächsisch-polnischen Frage gehört. Aufgrund dieses Informationsstandes entschloß er sich am 1. März 1815 zur Rückkehr nach Frankreich. Nach dem Sieg über Napoleon bei Waterloo kehrte Ludwig XVIII. nach Frankreich zurück. Preußen forderte wiederum ein hartes Vorgehen gegen Frankreich und widersprach der Herstellung der bourbonischen Herrschaft. Aber Metternich konnte erneut seine Politik der Restauration und des europäischen Gleichgewichts durchsetzen. M i t der Heiligen Allianz vom 26. September 1815 173 unterstützten die anderen europäischen Mächte die Ideen Metternichs. Der russische Zar, der preußische König und der österreichische Kaiser garantierten in diesem Vertrag die Existenz der gesamteuropäischen Friedensordnung. 174 Am 20. November 1815 unterzeichnet. Landau wurde bekam die ehemals deutschen Armee in Frankreich in den sorgen.
wurde in Paris ein zweiter Friedensvertrag der bayerischen Pfalz zugesprochen. Preußen Gebiete an der Saar. Dazu sollte eine alliierte nächsten fünf Jahren für stabile Verhältnisse
(2) Folgen für den Kongreß (a) Auswirkungen auf die europäische Ordnung Nach der Einigung über die territoriale Neuordnung Europas Anfang 1815 hatte die Rückkehr Napoleons für die Lösung der europäischen Kongreßziele eine beschleunigende Wirkung. Die noch ungeklärten Fragen zur territorialen Umgestaltung wurden hauptsächlich in Komissionsberatungen zwischen den großen Mächten geklärt; kleinere Punkte sollten in der Zeit nach dem Kongreß bestimmt werden. 175 M i t der Unterzeichnung der Wiener Kongreßakte am 9. Juni 1815 wurden die Verhandlungen zunächst abgeschlossen.
173
Text in Huber, Dokumente, S. 83f. Vgl. dazu Huber I, S. 688ff.; Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 95f. 175 Vgl. dazu Braubach, Von der Französischen Revolution, S. 90f.; Huber I, S. 576ff.; Botzenhart, S. 587, 591; Nürnberger, S. 184ff. 174
I. Situation zur Zeit der Bundesgründung
225
(b) Auswirkungen auf die deutsche Frage In der deutschen Frage war eine Einigung zwischen Preußen und Österreich zunächst nicht erreichbar. Allerdings näherten sich die Positionen nach der Einigung über die territoriale Neuordnung in Deutschland. 176 Die Rückkehr Napoleons zwang in der deutschen Frage zu einer schnellen Lösung. 177 Die Vertreter der kleineren Länder boten bereits am 22. März militärische Hilfe im Krieg gegen Napoleon an. 1 7 8 Sie verbanden damit die Forderung nach einem Bundesvertrag, der den Mitgliedern Selbständigkeit und Integrität garantieren sollte, und bezogen sich dafür ausdrücklich auf die vorangegangenen gemeinsamen Noten. 1 7 9 Österreich versprach, entsprechende Beratungen aufzunehmen, 180 und die kleineren Länder wiederholten ihr Angebot in einer Note vom 14. April 1815. 181 Nach längeren Verhandlungen traten die kleinen Länder am 27. April 1815 der Allianz gegen Napoleon bei. 1 8 2 Die Verträge gingen aus von der völkerrechtlichen Selbständigkeit der beteiligten Länder und bezeichnete auch die kleineren Länder teilweise ausdrücklich als souverän und unabhängig. Dazu wurde ihnen der territoriale status quo garantiert, wobei in einigen Fällen ein Vorbehalt zugunsten der Ergebnisse der Kongreßverhandlungen eingefügt wurde. Unter diesen neuen Umständen wurden im Mai 1815 die Verhandlungen über eine deutsche Bundesordnung wieder aufgenommen. Österreich und Preußen hatten sich in Vorkonferenzen auf einen gemeinsamen Bundesentwurf geeinigt, 183 der am 23. Mai der Konferenz sämtlicher deutscher Einzelstaaten
176
Vgl. Botzenhart, S. 589. Vgl. Huber I, S. 556f.; Botzenhart, S. 589. 178 Text der Note in Klüber, Akten, Band 1, Heft 4, S. 43ff. 179 Klüber, Akten, Band 1, Heft 4, S. 43f. 180 Klüber, Akten, Band 1, Heft 4, S. 48ff. 181 Text in Klüber, Akten, Band 2, S. 203ff. 182 Vertragstext in Klüber, Akten, Band 2, S. 273ff. Einige Länder schlossen selbständige Akzessionsverträge ab; Vertragstexte in Klüber, Akten, Band 4, S. 427ff., 43Iff., 497ff., Band 8, S. 212ff., 222ff., 227ff., 230ff. 183 Text in Klüber, Akten, Band 2, S. 314ff. Zu den österreichisch-preußischen Verhandlungen vgl. Huber I, S. 557f.m.Nw. und einer kurzen Analyse des österreichisch-preußischen Vorschlags. 177
15 Grzeszick
226
F. Der Deutsche Bund
vorgelegt wurde. In dem Entwurf wurden die Interessen der kleineren Länder zwar berücksichtigt, aber er entsprach in den Grundzügen weiterhin den vorhergehenden preußisch-österreichischen Vorstellungen mit einer starken Bundesebene. Er wurde deshalb vor allem von den süddeutschen Ländern und Sachsen heftig kritisiert. 184 Wegen der geänderten politischen Rahmenbedingungen hatten weder Österreich noch Preußen ein starkes Interesse an einem engen Bund. Dazu benötigten sie gegen die napoleonische Bedrohung die militärische Hilfe der kleineren Länder. Sie gaben daher allmählich den Forderungen der kleineren Länder nach. Die Souveränität der Landesherren wurde grundsätzlich anerkannt, was auch deren außenpolitische Befugnisse umfaßte. Eine Festlegung auf repräsentative Landesversammlungen wurde abgelehnt. Die geplante Kreiseinteilung wurde gleichfalls aufgegeben. Für bestimmte Bundesbeschlüße wurde das Erfordernis von Einstimmigkeit festgelegt. Mediatisierte Fürsten sollten in der Bundesversammlung nicht vertreten sein. Die Einrichtung einer Bundesgerichtsbarkeit und von Kirchenverfassungen wurde ganz zurückgenommen. Weiter wurde die bundesrechtliche Gewährleistung von Bürgerrechten stark eingeschränkt. M i t der Ablehnung des Direktoriums als dem handlungsfähigen Exekutivorgan des Bundes scheiterte die Idee einer engeren Verbindung endgültig. Es blieb bei einer losen Verbindung souveräner Landesherrscher. Am 8. Juni 1815 bestand Einigkeit über die Bundesordnung, und die mit dem Datum des 8. Junis gefertigte Bundesakte wurde am 10. Juni von den deutschen Regierungen bestätigt. 185 Die Bundesakte wurde Bestandteil der Wiener Kongreßakte, die einen Tag später verabschiedet wurde. 186 Die Bildung einer modernen nationalen Ordnung mußte zugunsten der mittelgroßen Länder und einer gesamteuropäischen Friedensordnung zurücktreten.
184
Verhandlungsprotokolle bei Klüber, Akten, Band 2, S. 324ff. Baden und Württemberg traten erst nach der Niederlagen Napoleons dem Bund bei. 186 Nach Art. 118 der Kongreßakte galt die Bundesakte als integraler Bestandteil der Kongreßvereinbarungen; vgl. Huber I, S. 675. 185
. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
227
I I . Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung i. Grundlagen der Bundesstruktur a) Rahmenbedingungen Bereits im ersten Pariser Friedensvertrag hatten die europäischen Großmächte für die deutschen Gebiete eine föderale Verbindung souveräner Staaten vorgesehen. 187 Am 8. Juni 1815 einigten sich die deutschen Länder auf ein entsprechendes Bündnis, das in der Bundesakte festgehalten wurde. Als Teil der Wiener Kongreßakte vom 9. Juli 1815 188 wurde sie von Österreich, Preußen, Rußland, Großbritannien, Frankreich, Schweden, Portugal und Spanien mitunterzeichnet. Verstärkt wurde die enge Verbindung zwischen der deutschen Bundesstruktur und der gesamteuropäischen Friedensordnung durch die Heilige Allianz, der ein am 26. September 1815 unterzeichneter Bündnisvertrag zwischen Preußen, Österreich und Rußland zugrundelag. 189 Diesem Vertrag traten bald auch England, Frankreich und die übrigen deutschen Länder bei. 1 9 0 Die Bundesakte, deren teilweise ungenauen Regelungen offensichtlich als föderaler Minimalkonsens unter Zeitdruck gefaßt worden waren, wurde dann durch weitere Regelungen ausgebaut. Die mit Abstand wichtigste Ergänzung war die Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820. 191 Sie sollte bestehende Unsicherheiten im Sinne der Restauration Metternichs beseitigen, wodurch der Bundescharakter präzisiert und politisch festgelegt wurde.
b) Prinzipielle
rechtliche Einordnung
Der Bundesvertrag regelte zunächst die staatsrechtliche Ordnung der deutschen Länder und war deshalb ein verfassungsrechtlicher Vertrag zwischen den Landesherrschern. 192 Zugleich handelten die Beteiligten als souveräne Staaten,193 womit der Bundesvertrag auch ein völkerrechtlicher Vertrag
187 188 189 190 191 192 193
So Art. 6 Abs. I I des Friedensvertrages, wiedergegeben in Martens, Band 2, S. Iff. Wiedergegeben in Martens, Band 2, S. 379ff. Text in Huber, Dokumente, S. 83ff. Vgl. dazu Huber I, S. 689f. Text in Huber, Dokumente, S. 91ff. Vgl. dazu auch Huber I, S. 661ff. So ausdrücklich die Präambel und Art. 1 der Bundesakte.
228
F. Der Deutsche Bund
war. 1 9 4 Die Einbindung der Bundesakte in die durch die Konferenzakte und die ergänzenden Allianzen geschaffene europäische Friedensordnung betonte die völkerrechtlichen Bezüge der Bundesakte. Diese politische internationale Einbindung stand noch in der Tradition der alten reichsrechtlichen Vorstellung, die von einer einheitlichen europäischen Friedensordnung ausging. 195 Obwohl die Bundesakte in ihrem Zustandekommen und ihrer weiteren Entwicklung dieser politischen Verflechtung entsprach, ließ sich die einheitliche Sichtweise auf der rechtlichen Ebene nicht fortsetzen. Die juristischen Bereiche der Bundesakte auf der einen und die der Allianzen auf der anderen Seite zeigten deutlich, daß die Rechtsmaterien des Staats- und Verfassungsrechts und des Völkerrechts theoretisch und praktisch voneinander unterschieden wurden. Ihre Wechselwirkung fand primär auf der politischen Ebene statt. 196 Die frühere Vorstellung eines "jus publicum universale", das das gesamte europäische Staatsrecht sowie die Grundprinzipien des christlichen Rechts bezüglich der weltlichen Ordnung vereint sowie die Reichsordnung geprägt hatte, war überwunden. Die modernen staatsrechtlichen Vorstellungen bestimmten auch hier die Entwicklung. 197
2. Einzelheiten der Bundesstruktur a) Mitglieder
und Umfang des Bundes
Gründungsmitglieder des deutschen Bundes waren 39 Staaten,198 die bei der Unterzeichnung der Bundesakte durch ihre Fürsten repräsentiert oder durch deren Gesandte vertreten wurden. Gemeinsam mit den in der Folgezeit beigetretenen übrigen deutschen Ländern hatten der Deutsche Bund mehr als 30 Millionen Einwohner, 199 und die räumliche Ausdehnung umfaßte annähernd alle deutschen Gebiete des ehemaligen Reiches. Die außerhalb des Bundesgebietes liegenden oder innerhalb des Bundes liegenden, aber nicht von deutschen Fürsten regierten Gebiete bildeten
194
Vgl. Huber I, S. 661 f., 663f. Die Eigenschaft des neuen Bundes als Völkerrechtssubjekt hatte dafür keine unmittelbare Bedeutung. 195 Vgl. dazu Aretin, Das Reich, S. 55ff.; Burg, Wiener Kongreß, S. 51ff.; jew.m.Nw. 196 Vgl. dazu Huber I, S. 66Iff. Im Streit um das Garantierecht wurde diese Trennung besonders deutlich; vgl. dazu Huber I, S. 675ff., 683ff. 197 Weiterführend Stolleis, Geschichte 1, S. 321ff., Geschichte 2, S. 48ff. 198 Zu den einzelnen Staaten und der Zählweise vgl. Huber I, S. 545 m.Anm., und Huber, Dokumente, S. 84ff. 199
Vgl. Huber I, S. 584 m.Nw.
II. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
229
zahlenmäßig nur Ausnahmen. Aber sie hatten für die rechtliche und politische Gestalt des Bundes indizielle Bedeutung. Als ausländische Herrscher waren im Bund vertreten der dänische König als Herzog von Holstein und Lauenburg, der englische König als König von Hannover und der niederländische König als Großherzog von Luxemburg. 200 Die Einbindung des Bundes in die europäische Politik wurde dadurch bestätigt. Die beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich waren jeweils nur mit Teilen ihres Gebietes im Bund vertreten. Diejenigen Gebiete, die nicht auf ehemaligem Reichsgebiet lagen, gehörten nicht zum Bundesgebiet.201 Obwohl der Deutsche Bund nicht die Rechtsnachfolge des alten Reiches antrat, wurde bereits dadurch die territoriale und politische Kontinuität zwischen den beiden Systemen angedeutet. Die teilweise Gebietsmitgliedschaft der Hegemonialmächte entsprach aber auch der Machtverteilung im Bund. Auf der formellen Seite wurden dadurch zunächst die Machtpositionen der beiden Mächte im Bund verkleinert. Die Mitgliedsstellung von Preußen und Österreich, die zusammen 58% der Bundesbevölkerung ausmachten,202 wurde auf dieses Maß beschränkt, und die außerhalb des Bundes liegenden Gebiete hatten keinen Bundesschutz. In der Praxis wurden aber durch die außerhalb des Bundes liegenden Gebiete die Handlungsmöglichkeiten der Großmächte erweitert. M i t den im Bund liegendenen Gebieten Österreichs und Preußens hing die politische Kraft des Deutschen Bundes in der Praxis ab von der Bundespolitik der beiden Hegemonialstaaten. Die restlichen Gebiete gaben den so bereits be vorteilten Mächten eine zusätzliche Möglichkeit, ihre vom Bund relativ unabhängige Außenpolitik zu rechtfertigen. 203 Dazu konnten sie ihre Länder innenpolitisch gestalten, ohne unmittelbar von Bundesvorgaben beeinflußt zu werden. b) Bundeszweck und Bundeskompetenz im Grundsatz aa) Bundeszweck Als föderale Verbindung war der Deutsche Bund auf die im Bundesvertrag aufgezählten Einzelzwecke beschränkt. Die grundsätzliche Verfolgung
200 201 202 203
Vgl. Bundesakte, Art. 4. Vgl. Bundesakte, Art. 1. Zu den einzelnen Gebieten Huber I, S. 586. Vgl. Grimm, S. 65. Grenze war das in Art. 11 festgelegte Verbot bundes- oder landesfeindlicher Bündnisse.
230
F. Der Deutsche Bund
staatlicher Zwecke verblieb mangels ausdrücklicher Regelung im Bundesvertrag bei den einzelnen Mitgliedsstaaten. 204 Der Bundeszweck wurde in Artikel 2 des Bundesvertrages bestimmt. Danach sollte der Bund sowohl für das Bundesganze als auch für die einzelnen Mitglieder Gefahren für die innere und äußere Sicherheit abwehren. Für die innere Sicherheit bedeutete dies Schutz vor Gefahren, die von den Bundesmitgliedem, der Bevölkerung eines Mitgliedslandes oder von politischen Bewegungen ausgingen. Die äußere Sicherheit umfaßte die Abwehr von Bedrohungen durch Mitgliedsstaaten und Drittstaaten. 205 Die sonstigen staatlichen Bereiche wurden unter dem weit zu verstehenden Begriff der Wohlfahrt zusammengefaßt; sie wurden vom Bundeszweck nicht berührt. 206
bb) Grundsätzliche Bestimmung der Bundeskompetenz Eine ausdrückliche Bestimmung der Bundeskompetenz enthielt die Bundesakte nicht, und auch für eine exakte Auslegung war sie sprachlich zu ungenau gefaßt. Die grundsätzliche Bundesgewalt wurde erst in der Wiener Schlußakte von 1820 festgelegt, die den Bundesvertrag präzisierte. Statt eines Kompetenzkataloges enthielt der Artikel 3 der Wiener Schlußakte eine Generalermächtigung, die dem Bund die Kompetenzen zum Erreichen der in der Bundesakte festgelegten Ziele zuordnete. Die derart begründete Bundeszuständigkeit umfaßte dann legislative, exekutive und judikative Handlungsformen. Trotz dieser weitreichenden Ermächtigung zu bundeseigenem Handeln wurden die Kompetenzen in der Praxis nur teilweise wahrgenommen. Der Deutsche Bund wurde zwar im Rahmen der Innenpolitik zum Mittel der Restauration, aber im Bereich von Außenpolitik und Militärwesen stand er im Schatten der Länder. Aufgrund der politischen Zielsetzung fehlten dem Bund hier auch die organisatorischen Strukturen zu einer Kompetenzauszübung.
cc) Grundsätzliches Verhältnis zwischen Bund und Ländern Nach der Bundesakte blieben grundsätzlich die einzelnen Länder Träger der souveränen Staatsgewalt. Dennoch hatte der Bund rechtlich eine starke
204 205 206
Vgl. dazu Grimm, S. 65f.; ausfuhrlicher Huber I, S. 594f. Vgl. Grimm, S. 66; Huber I, S. 595ff. Vgl. dazu Grimm, S. 66; Huber I, S. 595.
II. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
231
Stellung. Gemäß Artikel 5 der Wiener Schlußakte war der Bund unauflöslich; vor allem die Sezession eines Mitgliedsstaates war nicht statthaft. 207 Und die Kompetenzzuweisungen an den Bund ließen genug Entfaltungsmöglichkeiten für eine starke Bundesebene. Andererseits wurde die Kompetenzaufteilung von den politischen Zielen der Beteiligten bestimmt, die in der Mehrzahl keinen starken politischen Bund wollten. Funktional beschränkte sich die Bundeszugehörigkeit auf die Abwehr politischer Gefahren für das Gemeinwesen, weshalb im innenpolitischen Bereich eine aktive Gestaltung oder gar eine eigenständige Entwicklung des Bundes nicht möglich war. Da der Bund auf diesem Gebiet nicht tätig werden konnte, beschränkte sich seine Rolle auf den Schutz des jeweiligen status quo, den die Mitgliedsstaaten untereinander auf politischem Wege erreicht hatten. Die einzige Möglichkeit der direkten Einflußnahme auf die politische Organisation der deutschen Länder bestand in Artikel 13 der Bundesakte, der als Vorgabe für die Landesverfassungen die Errichtung landständischer Verfassungen postulierte. Schon bald nach dem Abschluß des Bundesvertrages wurde der Begriff der landständischen Verfassungen zum Diskussionsgegenstand für die frühliberale Bewegung. 208 Die Interpretationen des Begriffes der landständischen Verfassung reichten von einer altständischen Korporation bis hin zu Volksvertretungen und Repräsentativverfassungen. Zur Frage der Befugnisse der landständischen Vertretung kam das Problem, wie die Verfassung geschaffen werden sollte; vom einseitigen Erlaß des Monarchen bis zur freiwilligen Vereinbarung zwischen allen Beteiligten reichten hier die Ansichten. Damit verbunden war auch die Frage nach der prinzipiellen Stellung und Legitimation des Landesherrschers. Auf der Grundlage eines Gutachtens von Gentz 209 wurden diese Fragen durch die Artikel 53 ff. der Wiener Schlußakte210 gleichfalls im Sinne der Restaurationspolitik Metternichs entschieden. M i t dem monarchischen Prinzip wurde der liberalen Konstitutionalisierung der Einzelstaaten entgegengewirkt.
207
Dazu Huber I, S. 588; Huber m , S. 548ff. Siehe dazu und zum Folgenden ausführlich Stolleis, Geschichte 2, S. 96ff., 99ff.; Darmstadt, Deutscher Bund, S. 89ff.; Huber I, S. 640ff.; jew.m.Nw. Über den Hintergrund des landständischen Fürstenstaates siehe Dreitzel, Monarchiebegriffe, Band 2, S. 797ff.m.Nw. 209 Gentz, Über den Unterschied zwischen den landständischen und RepräsentativVerfassungen. 210 Vgl. dazu umfassend Huber I, S. 646ff.m.Nw. 208
232
F. Der Deutsche Bund
Den liberalen und konstitutionellen Kräften wurde damit auf der Bundesebene jede Aussicht auf eine fortschrittliche Politik genommen. Das zwischen Artikel 13 der Bundesakte und den Artikeln 53 bis 57 der Schlußakte bestehende politische Spannungsverhältnis zwischen einer Möglichkeit zu fortschrittlichen Entwicklungen und der Grundlage monarschischen Souveränität wurde aber nicht gelöst, sondern lediglich auf die Länderebene abgerängt.
c) Bundesorganisation aa) Bundesorgane Die politischen Rahmenbedingungen erklären auch den schwachen organisatorischen Bundesaufbau. Einziges Bundesorgan zur Besorgung der Bundesangelegenheiten war die ständige Bundesversammlung in Frankfurt. 211 Der Bund hatte kein Oberhaupt, keine Regierung, keine Verwaltungsbehörden, kein Gericht und erst recht keine eigene Repräsentativversammlung. Alle Kompetenzen mußten durch die Bundesversammlung wahrgenommen werden. Die Bundesversammlung bestand aus Vertretern der Mitgliedsstaaten, wobei die Gesandten als Vertreter der Regierungen ihre Stimme gemäß den Weisungen des Landesherren abzugeben hatten. Die Geschäftsordnung beschloß der Bundestag selbst. Der Vorsitz stand nach Artikel 5 der Bundesakte Österreich als Präsidialmacht zu. Die Stellung als Präsidialmacht brachte aber bis auf den Fall der Stimmengleichheit im engeren Rat nur geschäftsführende Befugnisse. Artikel 5 der Bundesakte enthielt zudem die Regelung, daß jede Mitgliedsregierung innerhalb der Bundeskompetenzen in allen Angelegenheiten initiativberechtigt war. Die Stimmen Verteilung richtete sich danach, ob die Versammlung als engerer Rat oder als Plenum tagte. Die engere Versammlung, auch engerer Rat genannt, führte die allgemeinen Geschäfte des Bundes, wozu auch die Vorbereitung und die Beratung der Plenarsachen gehörte. Daneben oblag ihm im Zweifelsfällen die Entscheidung darüber, ob das Plenum über einen Gegenstand entscheiden durfte. Im engeren Rat hatten die 11 größten Staaten je eine Stimme. Die übrigen sechs Stimmen wurden auf die weiteren Mitglieder verteilt. Beschlüsse des engeren Rates bedurften grundsätzlich der absoluten Mehrheit; die in Artikel 7 der Bundesakte genannten Gegenstände benötigten einstimmige Beschlüsse.
211 Sie wurde umgangsprachlich in Anlehnung an den Reichstag häufig "Bundestag" genannt, was sich auch offiziell niederschlug; vgl. z.B. Art. 8 der Wiener Schlußakte.
. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
233
Das Plenum war ein reines Abstimmungsorgan, das für die in Artikel 6 der Bundesakte festgelegten grundsätzlichen Angelegenheiten zuständig war. Dies waren Abfassungen und Änderungen der Grundgesetze des Bundes, die Bundesakte selbst betreffende Beschlüsse, Beschlüsse über organische Bundeseinrichtungen sowie Beschlüsse über gemeinnützige Anordnungen sonstiger A r t . 2 1 2 Die Stimmenverteilung bevorzugte dabei die größeren Staaten. Die nach Artikel 7 nötige Zweidrittelmehrheit und die zumindest in der Form der Beratung gegebene Beteiligung des engeren Rates verhinderte aber auch hier eine Majorisierung der kleineren Länder. Im übrigen galt das Erfordernis der Einstimmigkeit gemäß Artikel 7 der Bundesakte auch für Plenarbeschlüsse. Die in der Bundesakte vorgesehen Kompetenzen ermöglichten die Bildung weiterer Organe und einer echten Bundesverwaltung. Nach Artikel 11 der Bundesakte wurde dies sogar ausdrücklich erwartet. Dennoch blieb die Bundesversammlung das einzige Bundesorgan. Zur Durchführung seiner Beschlüsse mußte der Bund daher stets die Unterstützung durch die Exekutive der Mitgliedsstaaten suchen, was ihn von deren politischer Bereitschaft zu einer konstruktiven Bundespolitik abhängig machte.
bb) Bundesgewalten im einzelnen (1) Gesetzgebung (a) Mögliche Formen Innerhalb der Bundeskompetenzen besaß der Bund die unmittelbare Gesetzgebungsgewalt. In der Praxis wurde sie aber nur zurückhaltend beansprucht und teilweise sogar bestritten, indem der Bundes vertrag ausschließlich als ein völkerrechtliches Übereinkommen zwischen den Mitgliedsstaaten angesehen wurde. 213 Da aber sowohl die Willensbildung zwischen als auch die Bindungswirkung gegenüber den Landesregierungen ausschließlich durch die Bundesversammlung als Bundesorgan ausging, die zudem prinzipiell durch Mehrheitsbeschluß entscheiden konnte, 214 war der Normcharakter der Bundesgesetze als unmittelbar geltendes Bundesrecht
212 213 214
Vgl.dazu im Einzelnen Huber I, S. 59Iff. Vgl.Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes, 4. Aufl., S. 284. Vgl.dazu Huber I, S. 593f.m.Nw.
234
F. Der Deutsche Bund
eindeutig. Die Praxis der Vorberatung auf Landesministerkonferenzen und die zum Teil ergänzend nötige landesrechtliche Verkündung änderten daran nichts. 215 Im Gegensatz zu den Bundesgesetzen standen die Vertragsgesetze. Obwohl sie bezüglich des Verfahrens und des Zustandekommens den einstimmigen Bundesgesetzen ähnlich waren, lag ihr Geltungsgrund für die Bundesmitglieder nicht in der Bundesgewalt, sondern in davon unabhängigen völkerrechtlichen Übereinkommen zwischen den Ländern. Diese Möglichkeit zur Bildung von Bundesrecht 216 wurde zur Regelung von Gegenständen benutzt, die zwar außerhalb der Bundeskompetenz der politischen Gefahrenabwehr lagen, aber nach Ansicht der Beteiligten einer bundeseinheitlichen Festlegung bedurften. Dementsprechend sah Artikel 64 der Wiener Schlußakte 217 für solche Anordnungen ausdrücklich den Weg der freiwilligen Vereinbarung zwischen sämtlichen Bundesmitgliedern vor, deren innerstaatlicher Geltungsgrund dann die jeweiligen Landesgesetze waren. 218 Daß für die Rechtseinheit so wichtige Gesetze wie die Allgemeine Deutsche Wechselordnung von 1847 und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 auf diesem Weg geschaffen wurden, verdeutlicht die Beschränktheit der Bundeskompetenzen bezüglich vieler Materien, die für eine auch innenpolitisch bedeutsame Bundesordnung nötig gewesen wären.
(b) Bedeutung der Verkündung Die Bundesgesetze mußten zu ihrer Vollziehbarkeit gegenüber den Bürgern landesrechtlich verkündet werden, wofür die Landesregierungen zuständig waren. Diese waren bereits durch den Bundesbeschluß unmittelbar gebunden und damit zur Verkündung verpflichtet. Für den Fall der dauernden Weigerung einer Landesregierung ermöglichte die Bundesexekution eine Ersatzvornahme durch einen Exekutivkommissar. Das Bundesgesetz erlangte dann ohne Mitwirkung der Landesregierung Geltungskraft im Land, womit die Geltung allein aufgrund Bundesrechts möglich war. Die Qualifizierung der Verkündung als ein nur formeller landesrechtlicher Publikationsakt, der den eigentlichen
215
Vgl. dazu ausführlich Huber I, S. 598ff. Der Begriff des Bundesrechts bezeichnete hier nicht den Geltungsgrund, sondern die Geltung inhaltlich gleichen Rechts in allen Bundesländern. 217 Der Begriff der Gemeinnützigkeit stand dabei im Gegensatz zum Bundeszweck der politischen Gefahrenabwehr und beinhaltete alle über den Bundeszweck hinausgehenden Regelungsgegenstände. 218 Vgl. dazu auch Huber I, S. 602f. 216
. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
235
Geltungsgrund, nämlich das Bundesgesetz, unberührt ließ, wurde in einigen Landesverfassungen ausdrücklich bestätigt. 219
(c) Verhältnis zwischen Bundesgesetzen und Landesgesetzen Das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesgesetzen wurde weder durch die Bundesakte noch durch deren Ergänzungen ausdrücklich bestimmt. Wegen der Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Mitgliedsstaaten mußte man aber davon ausgehen, daß die Bundesgesetze gegenüber dem Landesrecht Vorrang hatten. Soweit dem Bund eine Kompetenz nicht zustand oder er eine Kompetenz noch nicht wahrgenommen hatte, galt das Landesrecht. Aus dem Vorrang der Bundesgesetze folgte, daß widersprechende Landesgesetze ipso jure unwirksam waren. Obwohl dies nicht explizit geregelt war, richtete sich die Staatspraxis im Deutschen Bund nach dieser Auffassung. 220
(2) Exekutive (a) Auswärtige Gewalt Im Rahmen seiner Kompetenzen hatte der Bund die volle auswärtige Gewalt und dementsprechend auch die Völkerrechtsfähigkeit, die vor allem das Recht zur Erklärung von Krieg, Frieden, Bündnissen sowie anderen auswärtigen Staatsverträgen beinhaltete. 221 Allerdings besaß der Deutsche Bund kein Recht zur ausschließlichen außenpolitischen Vertretung der deutschen Länder. Zum einen waren seine Aufgaben und damit auch seine Befugnisse gegenüber den Mitgliedern und Dritten auf die Aufgabe der politischen Gefahrenabwehr beschränkt. Da aber vor allem im Bereich der auswärtigen Militärpolitik diese Zwecksetzung regelmäßig berührt wurde und die bei den Ländern verbleibende Aufgabe der allgemeinen Wohlfahrt dem nicht entgegenstand, hätte die Kompetenzverteilung eine gemeinsame Außen- und Militärpolitik des Bundes zugelassen. Dagegen sprach aber die politische und bundesrechtliche Sonderstellung Preußens und Österreichs. Da die beiden Hegemonialmächte mit Teilen ihrer
219
Vgl. dazu Huber I, S. 600 m.Nw. Beispiel dafür waren die Differenzen zwischen Baden und dem Bund bezüglich der Pressegesetzgebung von 1831; vgl. dazu Huber I , S. 602, und Huber Π, S. 43f., jew.m.Nw. 221 Siehe dazu Art. 11 der Bundesakte und Art. 12 und 35 der Wiener Schlußakte. 220
236
F. Der Deutsche Bund
Gebiete außerhalb des Bundesgebietes lagen und ihre politischen Interessen notwendigerweise auf ihr jeweiliges ganzes Land bezogen waren, mußte ihnen das Recht zu einer eigenständigen Außenpolitik zugestanden werden. Ein anderes Ergebnis wäre zudem an der eindeutigen politischen Vormachtstellung der beiden Länder über die deutschen Gebiete gescheitert. Vor diesem Hintergrund konnten die übrigen Bundesmitglieder mit der Forderung nach Gleichheit für die gliedstaatlichen Rechte ebenfalls den grundsätzlichen Anspruch auf eine eigene Außenpolitik durchsetzen. Die einzige Beschränkung sah Artikel 11 der Bundesakte vor, der bundesfeindliche auswärtige Verbindungen der Mitglieder untersagte. Im Ergebnis wurde dadurch eine völkerrechtlichen Doppelstellung der deutschen Bundesgebiete geschaffen. 222 Die Mitgliedsstaaten nutzten ihre derart gewahrte Selbständigkeit zur Verfolgung ihrer eigenen außenpolitischen Interessen und drängten den Bund in diesem Bereich in eine rein passive Rolle. Neben dem Fehlen einer eigenständigen Bundesexekutive223 kam ihnen dabei vor allem die Militärorganisation des Bundes entgegen.
(b) Militärgewalt Die Organisation der Militärgewalt hatte nicht nur auf die Außenpolitik Einfluß. Sie diente der Wahrung der Länderintegrität gegen verschiedene Bedrohungen und war damit eine wichtige Grundlage ihrer Staatlichkeit. Die Mängel der früheren Reichskriegsverfassung, die den Untergang des Reiches mitverursacht hatten, waren dafür ein signifikantes Beispiel. Das Militärwesen des Bundes wurde erst 1821/22 durch Bundesgesetze geregelt. 224 Die Militärgewalt des Bundes wurde dabei, ähnlich der auswärtigen Gewalt, wegen der politischen Absichten der Mitglieder nur schwach ausgebildet. Die Landesfürsten setzten auch hier auf ihre eigene souveräne Macht. Den Gliedstaaten wurde das Recht zur Aufstellung, Organisation und Kommandierung selbständiger Armeen belassen. Das Bundesheer setzte sich demnach nur aus Heereskontingenten der Mitglieder zusammen; ein stehendes
222 223 224
Dazu kritisch Huber I, S. 604f. Dazu Huber I, S. 605. Siehe Huber, Dokumente, S. 119ff.
II. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
237
Bundesheer konnte daraus nicht gebildet werden. 225 Bei der Gliederung einzelner Truppenverbände blieben zudem Kontingente der größeren Länder, die den Hauptteil des Bundesheeres stellten, als Einheit bestehen. Nur die Truppenteile der kleineren Länder wurden in Verbänden mit gemischter Landeszugehörigkeit zusammengestellt. In Friedenszeiten mußten die Kontingente nur bereitgehalten werden; erst nach der Mobilmachung, die einen entsprechenden Bundestagsbeschluß voraussetzte, traten die einzelstaatlichen Kontingente zu einem einheitlichen Bundesheer zusammen.226 Entsprechend der Zusammensetzung des Heeres wurde der Oberbefehlshaber durch den engeren Rat für jeden Fall der Mobilmachung neu gewählt; mit der Demobilisierung endete seine Funktion. Obwohl der Oberbefehlshaber die volle militärische Kommandogewalt über das Bundesheer besaß und ausschließlich gegenüber der Bundesversammlung verantwortlich war, hätten die landsmannschaftliche Verbundenheit der Bundestruppenteile und das Fehlen einer ständigen Heeresorganisation selbst auf dieser obersten Befehlsebene einen effektiven Einsatz des gesamten Bundesheeres stark erschwert.
(c) Schutz der Bundesverfassung Im Gegensatz zum normativen Schutz der Bundesverfassung, der allein aus einer 1836 geschaffenen strafrechtlichen Bundesnorm bestand, 227 war der exekutive Verfassungsschutz des Bundes sehr ausführlich geregelt. Die in Artikel 26 und Artikel 31 der Schlußakte vorgesehene Bundesintervention und Bundesexekution enthielten Mittel zur Durchsetzung von Rechtssprüchen oder sonstigen Bundesmaßnahmen; sie wurden durch die 1820 erlassene ExekutionsOrdnung 228 ergänzt. Die Bundesintervention umfaßte die einem Bundesland zur Abwehr innerer Unruhen erwiesene Bundeshilfe. Der in Artikel 25 der Wiener Schlußakte niedergelegte Grundsatz, daß die Herstellung der inneren Ruhe und Ordnung in den Gliedstaaten ausschließlich Sache der jeweiligen Mitgliedsregierungen
225 Einzige ständige Militäreinrichtungen des Bundes waren die fünf Bundesfestungen, deren Bedeutung aber gering war; zu Einzelheiten vgl. Huber I, S. 614ff. 226 Rekrutierung, Ausbildung und Ausstattung der Soldaten blieb weitgehend den Ländern überlassen. 227 Siehe dazu Huber I, S. 620. 228 Text in Huber, Dokumente, S. 116ff.
238
F. Der Deutsche Bund
war, wurde dadurch zugunsten der Wahrung des verfassungsmäßigen Zustandes in dem jeweiligen Land und damit auch auf der Bundesebene durchbrochen; Artikel 25 und Artikel 26 der Wiener Schlußakte sahen dies ausdrücklich vor. Dazu gestattete Artikel 26 in bestimmten Situationen auch den Einsatz von Bundesinterventionsmitteln, ohne daß ein entsprechendes Hilfegesuch der Landesregierung vorlag. Als Mittel der Bundesintervention kamen alle Maßnahmen in Betracht, die in der Exekutions - Ordnung vorgesehen waren. Damit waren im Ergebnis alle notwendigen und geeigneten Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung anwendbar; 229 der Bund machte davon auch in mehreren Fällen Gebrauch. 230 Im Gegensatz zur Bundesintervention enthielt die Bundesexekution die Maßnahmen, um ein Bundesmitglied zur Erfüllung seiner Bundespilichten zu zwingen. Sie betraf daher die Regierungen der Länder, die sich nicht an die Bundesverfassung hielten. Artikel 31 der Wiener Schlußakte und die Bundes Exekutionsordnung sahen dabei sowohl die Durchsetzung von gerichtlichen Beschlüssen als auch die von der Bundesgerichtsbarkeit unabhängige und selbständige Bundesexekution vor. Die vorgesehenen Mittel und Verfahren waren in der Exekutionsordnung geregelt und enthielten wie bei der Intervention im Ergebnis alle notwendigen und geeigneten Mittel. Neben diesem formell umständlichen Verfahren der Exekution bestand nach Artikel 19 der Wiener Schlußakte die Möglichkeit, im Eilfall alle nötigen vorläufigen Exekutionsmaßnahmen zu treffen, ohne an Formen und Fristen gebunden zu sein. Sowohl von der förmlichen als auch von der vorläufigen Bundesexekution machte der Bund Gebrauch. 231 Die Frage nach der Durchsetzung der Bundesmaßnahmen verdeutlicht die eingeschränkte politische und verfassungsrechtliche Zielsetzung des Bundes. Obwohl die Schaffung eigener exekutiver Bundesorgane rechtlich möglich war, geschah dies nicht. Der Bund mußte sich bei jeder exekutiven Maßnahme an die Mitgliedsstaaten wenden und war auf deren Unterstützung angewiesen; allein aus eigener Macht war er praktisch handlungsunfähig. Letztendlich war damit die ganze politische Existenz des Bundes vom Willen seiner Mitglieder und hierbei insbesondere der Hegemonialmächte abhängig. Der im Vergleich zu anderen Sachbereichen ausführlich geregelte Themenkreis des exekutiven Verfassungsschutzes entsprach dabei der von Metternich verfolgten Politik der Restauration, die vor allem in der Anfangszeit den Deutschen Bund prägte. Die Entwicklung der Bundeseinrichtungen hin zu einem von den Großmächten
229 230 231
Vgl. Huber I, S. 632f. Überblick bei Huber I, S. 633f. Aufzählung bei Huber I, S. 639.
II. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
239
politisch abhängigen Instrument zur Wahrung des auf dem Wiener Kongreß geschaffenen status quo war darin bereits angelegt. Die Differenzen mit der nationalen und der liberalen demokratischen Bewegungen waren deren Folge.
(d) Finanzverfassung des Bundes Die Finanzverfassung des Bundes war ein Spiegelbild seiner tatsächlichen Macht. Da der Bund über keine eigenen Exekutivorgane verfügte und nach der Zielsetzung seiner Mitglieder nur der Abwehr bestimmter innenpolitischer Bewegungen dienen sollte, bestand kein Bedarf für die Erhebung größerer Bundesmittel. 232 Die anfallenden Kosten wurden auf die Länder verteilt. 233 Eine Bundesbesteuerung der Bürger gab es nicht.
(3) Judikative (a) Bundesgerichtsbarkeit in staatsrechtlichen Angelegenheiten In Anlehnung an die Reichstradition war die Austragung staatsrechtlicher Streitigkeiten im Gerichtswege auch im Deutschen Bund vorgesehen. Die Gerichtsbarkeit richtete sich dabei danach, ob die Streitigkeit innerhalb eines Gliedstaates, zwischen verschiedenen Gliedstaaten oder zwischen dem Bund und einem Gliedstaat bestand. Gemäß Artikel 60 und 61 der Wiener Schlußakte war der Bund grundsätzlich nicht für Landesverfassungsstreitigkeiten zuständig; der gerichtliche Schutz der Landesverfassungen war Sache der Länder. Als aber auch nach 1830 die meisten Einzelstaaten noch keine eigene Verfassungsgerichtsbarkeit gebildet hatten, wurde 1834 durch Bundesbeschluß234 für alle Einzelstaaten eine fakultative Schiedsgerichtsbarkeit für Landesverfassungsstreitigkeiten eingerichtet. 2 3 5 Allerdings nahm das Bundesgericht seine Tätigkeit niemals auf. Für Streitigkeiten zwischen den Gliedstaaten sah Artikel 11 der Bundesakte ausschließlich die Beilegung im Wege eines friedlichen Gerichtsverfahrens vor;
232
Vgl. auch die Darstellung der äußeren Verhältnisse der Bundesversammlung in Lutz, S.
38f. 233 Siehe z.B. über die Kosten der Bundesfestungen Huber I, S. 614; Grundlage dafür war Art. 51f. der Wiener Schlußakte. 234 Text in Huber, Dokumente, S. 138f. 235 Zu den Einzelheiten siehe Huber I, S. 624.
240
F. Der Deutsche Bund
jede Gewalt und insbesondere die Selbsthilfe war den Ländern damit eindeutig verboten. Bei Streitigkeiten aus dem Bundesverhältnis entschied der Bundestag selbst, wohingegen in anderen Angelegenheiten eine Klärung durch das Vermittlungsund Austrägalverfahren vorgesehen war, das in einer Ordnung von 1817 236 geregelt war. Die Verfahren wurden durch ein jeweils neu vom Bund zu beauftragendes Landesgericht durchgeführt. 237 Austrägalverfahren wurden im Bund häufig durchgeführt. Der anfänglich haüfig genannte Einwand, daß zwischen dem Bundesrecht und den politischen Interessenfragen zu trennen sei und deshalb politische Streitigkeiten nicht unter die Bundesgerichtsbarkeit fielen, wurde abgelehnt. 238 Dies führte allmählich zur Anerkennung der Justiziabilität auch in staatsrechtlichen Angelegenheiten. 239 Für Streitigkeiten zwischen einem Land und dem Bund selbst war eine gerichtliche Klärung nicht vorgesehen. Obwohl durch die Überlegung, einen rechtswidrigen Bundesbeschluß den dafür verantwortlichen Gliedstaaten zuzurechnen, eine Entscheidung durch den Bundestag oder die Einleitung eines Austrägal Verfahrens möglich schien, 240 ist es zu einem derartigen Verfahren niemals gekommen. Maßgeblich für die Lösung der Konfliktlage war wohl der Gedanke, daß derartige Differenzen primär politisch geklärt werden sollten. Die politische Machtverteilung im Bund sollte in ihrem Kern nicht durch ein rechtlich festgeschriebenes Verfahren geändert werden können. Der einzige Präzedenzfall, der Bundesmobilmachungsbeschluß vom Juni 1866, entstand gerade aus der politischen Entzweiung der beiden Hegemonialmächte und führte dann auch zur Auflösung des Bundes. 241
(b) Bundesgewalt und sonstige Gerichtsbarkeit Aufgrund des Widerstandes der süddeutschen Länder im deutschen Ausschuß scheiterte der Plan, eine Bundesgerichtsbarkeit für Zivil- und Strafsachen zu
236
Text in Huber, Dokumente, S. 114ff. Vorstöße zur Errichtung eines permanenten Bundesverfassungsgerichtes blieben erfolglos; vgl. Huber I, S. 626f. 238 So bei Klüber, Öffentliches Recht, S. 215. 239 Vgl. dazu genauer Huber I, S. 628ff.m.Nw. 240 So Huber I, S. 630f. 241 Zu den Einzelheiten Huber I, S. 631; Huber ΠΙ, S. 510ff., 543ff. 237
II. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
241
schaffen; es blieb in diesem Bereich bei der Justizhoheit der Länder. Allerdings stellten Artikel 12 der Bundesakte und Artikel 29 der Wiener Schlußakte gewisse Mindestanforderungen an die Landesgerichtsorganisation. Im Falle einer Justizverweigerung durch ein Bundesmitglied behielt sich der Bund das Recht vor, entsprechenden Beschwerden abzuhelfen. Darunter fiel auch die Umgehung des gesetzlichen Richters oder des gesetzlichen Verfahrens. 242 Entsprechende eigene Organe hatte der Bund aber nicht, weshalb er auch hier auf die Unterstützung durch ein Land angewiesen war.
d) Verhältnis zwischen Bundesverfassung
und Landesverfassungen
aa) Hintergrund und Bedeutung dieses Verhältnisses Die bundesrechtlichen Vorgaben bezüglich der Landesverfassungen waren eines der Hauptprobleme des Wiener Kongresses, denn bei der Regelung dieser Frage trafen verschiedene Interessen aufeinander. Zum einen mußte Stellung bezogen werden gegenüber dem Einfluß des Konstitutionalismus, der teilweise bereits zum Erlaß von Landesverfassungen oder darauf gerichteten Versprechen geführt hatte. Damit verbunden war die Behandlung der liberalen Bewegung, die von den Verfassungen ein Mindestmaß an bürgerlichen Rechten erwartete. Zum anderen mußten die Ideen von Demokratie und Gleichheit berücksichtigt werden, da sie auf eine Repräsentativverfassung mit einer demokratisch legitimierten Volksvertretung zielten. Umfang und Inhalt der bundesrechtlichen Vorgaben bestimmten zugleich das Maß der innenpolitischen Eigenständigkeit der Bundesmitglieder. Weder Graf Metternich noch der unter dem Einfluß der preußischen Landstände stehende Teil der preußischen Beamten243 war hier zu größeren Zugeständnissen bereit. 2 4 4 Die durch die Bundes vorgaben festgeschriebene verfassungsrechtliche und damit mittelbar auch politische Homogenität entschied zudem darüber, wieweit der Bund die Vorstellung einer politisch geeinten Nation berücksichtigte. Die Verfassungshomogenität als Vorreiter oder Pendant der politischen Homogenität bestimmte damit, ob die föderalen Elemente des Deutschen Bundes eine eher enge oder doch lose Verbindungsform der deutschen Länder bildeten. Diese Problemkreise waren mit der Stützung des politischen Gleichgewichtes in Europa eng verbunden. Die Fragen betrafen auch die anderen europäischen Länder, denn Macht und Legitimität der monarchischen Regierungen konnte
242 243 244
Vgl. dazu Huber I, S. 617 m.Nw., S. 763. Vgl. Huber I, S. 136ff.m.Nw. Zu Befürwortern und Gegnern der Reformen in Preußen siehe Huber I, S. 118ff.m.Nw.
16 Grzeszick
242
F. Der Deutsche Bund
sowohl durch eine Demokratisierung der deutschen Länder als auch durch eine geeinte deutsche Nation bedroht werden. Metternich war sich dessen bewußt; er nahm deshalb auf die Festschreibung des Verhältnisses zwischen der Bundesverfassung und den Landesverfassungen erheblichen Einfluß.
bb) Bundesrechtliche Regelungen (1) Bundesakte Nach längeren Verhandlungen und der Erörterung unterschiedlicher Vorschläge 245 einigten sich die deutschen Regierungen auf die Formulierung des Artikel 13 der Bundesakte. Dabei war allen Beteiligten klar, daß diese Regelung nur einen ungenau gefaßten Minimalkonsens enthielt und die politischen Grundentscheidungen dadurch noch nicht feststanden. 246 Mangels einer politischen Verständigung der Regierungen bedeutete diese Fassung des Artikels 13 nur, daß die landesverfassungsrechtliche Souveränität durch die bundesrechtlichen Beschränkungen möglichst unberührt bleiben sollte. Hauptstreitpunkt wurde in der Folgezeit der Begriff der landständischen Verfassungen. 247 Während dieser teilweise als Einführung einer modernen, zumindest teilweisen demokratisch legitimierten Volksvertretung angesehen wurde, sahen andere darin die Festschreibung der altständischen Verhältnisse. Metternich benutzte die letztere Auslegung zur Stützung seiner Politik. Da es auch in der Bundesakte nicht zu einer Festlegung der landständischen Mindestkompetenzen kam, gelang es Metternich in dem durch die Karlsbader Beschlüße stark restaurativ geprägten Klima, seine Vorstellungen teilweise in der Wiener Schlußakte festzuschreiben.
(2) Wiener Schlußakte In der Schlußakte der Wiener Konferenzen von 1820 wurde das Prinzip der landständischen Verfassungen in vielerlei Hinsicht präzisiert. Obwohl Metternich die Konferenzen mit dem Ziel einer allgemeinen staatlichen
245 246 247
Vgl. Huber I, S. 518, 526, 530, 540, 548, 552f., 558f. Vgl. dazu Huber I, S. 559 m.Nw., S. 640f. Vgl. dazu Huber I, S. 640ff.m.Nw.
II. Rechtlicher Hintergrund der Bundesgründung
243
Restauration begonnen hatte, wurde dadurch im Ergebnis ein funktionierendes System relativ homogener Verfassungen im Bund etabliert, ohne den Erlaß moderner Verfassungen ganz zu verhindern. Artikel 54 der Schlußakte bestätigte die Pflicht der Bundesmitglieder, landständische Verfassungen zu erlassen, 248 und Artikel 56 der Schlußakte garantierte kraft Bundesrecht den Bestand rechtmäßiger landständischer Verfassungen. Gleichzeitig wurde aber in Artikel 55 der Schlußakte die prinzipielle Verfassungsautonomie der Landesregierungen bezüglich der genauen Ausgestaltung einer landständischen Verfassung bestätigt. Daß dabei dennoch die Grundlagen der restaurativen Politik Metternichs zu berücksichtigen waren, wurde in Artikel 57 der Wiener Schlußakte festgelegt. Die Bundesmitglieder wurden darin mit Ausnahme der freien Städte auf das staatliche Grundprinzip der Herrschaft durch einen souveränen Monarchen festgelegt. 249 Die grundsätzliche Zuordnung der gesamten Staatsgewalt zum Fürsten begrenzte die Funktionen und Kompetenzen einer landständischen Vertretung auf eine Beteiligung an der Ausübung der monarchischen Gewalt; eigene Hoheitsrechte der Landstände wurden damit ausgeschlossen.250 Die durch Artikel 57 der Wiener Schlußakte gewährleistete innerstaatliche Souveränität des Fürsten sollte die Fortentwicklung der landständischen Verfassungen zu vollen konstitutionellen oder repräsentativen demokratischen Systemen verhindern.
e) Föderaler
Charakter des Bundes
Der föderale Charakter des Bundes läßt sich aus rechtlicher Sicht eindeutig bestimmen. Die Grundlagen, das Verfahren seines Zustandekommens, seine Struktur, seine Funktionen und auch seine Wirkungen lassen kaum etwas anderes als die Qualifizierung im Sinne eines Staatenbundes zu. Der Deutsche Bund war eine lose föderale Verbindung, deren Bundesebene keine größere selbständige staatliche Macht hatte.
248
Trotzdem sollten zunächst gerade Preußen und Österreich dieser Pflicht nicht nachkommen. Siehe zur Souveränität nach Art. 57 der Wiener Schlußakte die kritische Analyse von Quaritsch, S. 407f., 420, 483ff.m.Nw. 250 Dazu und zu den einzelnen Folgen des monarchischen Prinzips Huber I, S. 652ff. 249
244
F. Der Deutsche Bund
Die Möglichkeit zur Bildung einer eigenständigen und effektiven Bundesebene war zwar nach der Bundesakte von 1815 noch gegeben, wurde aber spätestens mit den Regelungen der Wiener Schlußakte von 1820 beseitigt. Die hinter dieser Entwicklung stehende Politik der Restauration versuchte auch auf politischem Wege, weitere Möglichkeiten einer politischen Neuerung zu verhindern. Auf den ersten Blick schien dies vor allem durch das monarchische Prinzip sichergestellt. Für die längerfristigen Entwicklungen blieb dies aber weiterhin fraglich. Durch den einheitlichen Bundeszwang zur Herstellung monarchischer Souveränität wurde die Selbständigkeit der Mitglieder mittelbar erheblich eingeschränkt, da die Landesherrscher sich nun auch in Grundfragen der landesstaatlichen Organisation nach dem Bund richten mußten. Diese verfassungsrechtliche Tendenz zur Homogenisierung führte zusammen mit der durch die Bundeskonstruktion erreichten Abdrängung der neuen politischen Bewegungen auf die Länderebene 251 auch zu einem gewissen Maß an politischer Homogenität der Bundesmitglieder. Vor allem die in einigen Ländern vorhandene Spannungslage zwischen einer restaurativ legitimierten Herrschaft und innovativen politischen Ideen wurde in der Bewegung des Vormärz wiedergegeben. Die unmittelbare Zeit nach der Bundesgründung wurde aber noch von den bewahrenden Kräften bestimmt.
I I I . Entwicklung nach der Bundesgründung 7. Politische Vorgänge a) Europäische Ereignisse Auf europäischer Ebene war die Bundesgründung ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung des gesamteuropäischen Friedenssystems. Die vom Plan eines politischen Gleichgewichts geprägten Ideen verbanden den Deutschen Bund mit einem System europäischer Friedens- und Besitzstandsgarantien, dessen Verträgen bis 1818 alle größeren Staaten beigetreten waren. 2 5 2 Beherrscht von der Diplomatie Metternichs wurden zwischen 1818 und 1822 vier große europäische Kongresse abgehalten.253 Sie sollten das europäische Machtgleichgewicht außenpolitisch stabilisieren und zugleich in den Dienst der Restaurationspolitik Metternichs stellen.
251 252 253
Vgl. Kimmiiiich, Verfassungsgeschichte, S. 319. Vgl. dazu Lutz, S. 14ff. 1818 in Aachen, 1820 in Troppau, 1821 in Laibach und 1822 in Verona.
I .
t i n
b) Entwicklung
der Bundesgründung
245
in den deutschen Gebieten
aa) Besonderheiten der Einzelstaaten (1) Österreich Österreich blieb für den deutschen Raum die bestimmende Macht, was nicht zuletzt den Aktivitäten Metternichs zuzuschreiben war. Das erbliche Kaisertum führte zu einer monarchischen Union verschiedenartigster Königreiche und Länder. Trotz mehrerer Versuche kam es aber auch unter Metternich nicht zu durchgreifenden Reformen, woraus ein Gefalle an Effektivität und Modernität des österreichischen Staatswesens gegenüber den anderen deutschen Staaten resultierte. Die Abwehr von Demokratie, Liberalismus und nationalem Denken war ein gewichtiger Grund für Metternich, mit der Restaurationspolitik zugleich den innerstaatlichen Bestand Österreichs zu schützen. 254
(2) Preußen Im Gegensatz dazu stand das aufstrebende Preußen. Hier hatten Reformen zu erheblichen Neuerungen des Staatswesens geführt, die sich bei der Integration der zum traditionellen preußischen Gebiet hinzugekommenen Landesteile bewährten. 255 Die Reform des Staates war aber noch nicht vollendet, 256 was vor allem in der Auseinandersetzung um die preußische Verfassung deutlich wurde. Die nach 1815 zunehmenden restaurativen Tendenzen führten auch in Preußen dazu, daß der Übergang zum bürgerlichen Verfassungsstaat verzögert wurde.
(3) Mittel- und Kleinstaaten In Hinsicht auf die Mittel- und Kleinstaaten, die in Anknüpfung an das reichsständische Bewußtsein eine dritte Macht im Deutschen Bund darstellten, lassen sich wegen der sehr verschiedenen Einflüsse keine generellen Aussagen machen. In der Tendenz zeichnete sich aber hier, ähnlich wie zwischen Preußen und Österreich, ein Gegensatz ab, der zwischen den eher traditionell
254 255 256
Vgl. Lutz, S. 22ff.; Faber, S. 24ff. Vgl. Lutz, S. 29ff.; Faber, S. 26ff. Vgl. dazu den Überblick bei Lutz, S. 3Iff.
246
F. Der Deutsche Bund
und restaurativ ausgerichteten nördlichen Ländern und den reform- und übergangsbereiten südlichen Staaten verlief. 257
bb) Gemeinsame Entwicklungselemente Neben diesen Unterschieden gab es aber auch einige gemeinsame Entwicklungselemente. Sie waren in den Gebieten zwar verschieden ausgeprägt, aber in fast allen Ländern anzutreffen. Im Zusammenhang mit den Wiener Verhandlungen wurden die territorialen Grenzen endgültig festgelegt. Nach der Einigung in der sächsisch-polnischen Frage, die zur Teilung der beiden Länder und einem Aufstand der sächsischen Armee geführt hatte, wurden viele Gebietsfestlegungen in der Wiener Kongreßakte geregelt. 258 Vor allem die Frage nach Mediatisierung oder Wiederherstellung der von Napoleon geschaffenen oder beseitigten Länder wurde entschieden. Dazu traten Regelungen über Gebietsabtretungen zwischen den fortbestehenden deutschen Ländern, die vor allem die preußischen und österreichischen Einflußsphären verschoben. Auf internationaler Ebene enthielt der zweite Pariser Frieden vom November 1815 einige Gebietsrevisionen. Preußen konnte zwar die Rückgabe des Elsaß nicht durchsetzen, erhielt aber dafür Gebiete an der Saar. Frankreich wurde damit weitgehend auf seine Grenzen von 1790 zurückgeführt. 259 Zur Klärung der noch offenen Gebietsfragen setzten die europäischen Großmächte eine Territorialkommission ein, die viele vertragliche Regelungen zwischen den Staaten vermitteln konnte. Diese außerhalb der Kongreßakte durch Einzelvereinbarungen getroffenen Gebietsänderungen wurden dann in einer Zusatzakte zur Wiener Kongreßakte zusammengefaßt und im Frankfurter Territorialrezeß von 1819 2 6 0 durch die fünf europäischen Großmächte völkerrechtlich bestätigt. Die Abmachungen von Wien waren durchweg eine Absage gegenüber den neuen politischen Bewegungen. Die Herstellung einer nationalen politischen Einheit war für die nächste Zeit nicht mehr möglich. Die konstitutionelle Bewegung mußte sich auf die Ebene der Länder beschränken, wo ihr weiterhin
257 258 259 260
Dazu Faber, S. 30ff.; Lutz, S. 34ff. Vgl. dazu im Einzelnen Huber I, S. 576ff. Dazu genauer Huber I, S. 579. Text in Klüber, Quellen - Sammlung, S. lOOff.
ΠΙ. Entwicklung nach der Bundesgründung
247
der Widerstand der Restaurationspolitik begegnete. Soweit die Länder nicht in der unmittelbaren Folgezeit des Kongresses neue, mit repräsentativen Elementen versehene Verfassungen erließen, 261 scheiterten sie in der Regel am Widerstand dieser Bundespolitik. So wurden auch die Vorstellungen der bürgerlichen liberalen Politiker nur teilweise erfüllt. Von einer echten Demokratisierung in den deutschen Ländern konnte nicht die Rede sein. Im Gegensatz dazu stand das Bewußtsein eines Teiles der politisch interessierten Bevölkerung. 262 Nach den Befreiungskriegen, die mit der Idee einer deutschen Nation verbunden worden waren, und vor dem Hintergrund der nationalen Bewegungen erwarteten viele Personen zumindest eine teilweise Reformierung der staatlichen Grundkonstituenten. 263 Die Enttäuschung über die Ergebnisse von Wien verstärkte nun die oben genannten Spannungen und führte zur Radikalisierung einiger politischer Bewegungen.264 Die Regierungen reagierten darauf mit Maßnahmen der Zensur und Repression. Turnerschaften und Burschenschaften, die 1817 mit dem Wartburgfest große Aufmerksamkeit erlangt hatten, die Deutsche Gesellschaft, der Hoffmannsche Bund, die Diskussionen über das deutsche Universitätswesen auf dem Aachener Kongreß von 1818, das Attentat des Studenten Sand auf Kotzebue im März 1819 und die danach beginnende Demagogenverfolgung zeigten den Vorgang der allmählichen Radikalisierung und Verschärfung des Gegensatzes. Die Landesherrscher sahen sich nun mehrheitlich dazu gezwungen, gegen ihre innenpolitischen Gegner vorzugehen. Metternich nutzte dies, um den Deutschen Bund für seine Politik zu instrumentalisieren. 265
c) Entwicklungen
auf der Bundesebene
Nach langen Verzögerungen wurde die Bundesversammlung im November 1816 eröffnet. Nachdem verschiedene Verfahrensfragen gelöst worden waren, zeigte sich in der Auseinandersetzung um die westfälischen Domänenkäufe ab
261
Zu dieser ersten deutschen Verfassungswelle Grimm, S. 7Iff. Vgl. dazu Deuerlein, S. 70; Huber I, S. 696ff.; Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 319. Kritisch Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 525ff. 263 Siehe dazu F. I. 1. a) bb) m.Nw. 264 Siehe dazu und zur Entwicklung der Nationalbewegung bis 1820 Burg, Wiener Kongreß, S. 109ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte Π , S. 394ff.; zur Publizistik Darmstadt, Deutscher Bund, S. 59ff.; jew.m.Nw. 262
265
Zu diesem Vorgang Faber, S. 82f.
F. Der Deutsche Bund
248
1817, 266 daß in der Praxis dem Bund gegenüber der Ländersouveränität enge Grenzen gesetzt waren. Und allmählich wirkte die politische Radikalisierung auch auf der Bundesebene. Auf dem Kongreß der europäischen Mächte in Aachen im September und Oktober 1818 leitete Metternich die gemeinsame Bundespolitik gegen die neuen politischen Bewegungen ein, indem er das gesamte deutsche Universitätswesen als Grundlage der radikalen Bewegung darstellte; zu konkreten Maßnahmen kam es aber noch nicht. Dies änderte sich nach dem Attentat auf Kotzebue. In der Teplitzer Punktation vom 1. August 1819 267 einigten sich Preußen und Osterreich auf eine gemeinsame Bundespolitik. Wegen des oben erläuterten Interessengegensatzes der beiden Großmächte und des von vorneherein eingeschränkten Bundeszweckes beschränkte sich diese gemeinsame Politik auf die Übereinstimmung, innenpolitische Unruhen durch repressives Vorgehen abzuwehren. Förmlich ausgesprochen wurde dies Ende August 1819 in den Karlsbader Beschlüssen, zu deren Verhandlungen auch die Fürsten der übrigen deutschen Länder geladen waren. In deren Verlauf wurde auch die umstrittenen Auslegung des Artikel 13 der Bundesakte besprochen. Die Beschlüsse selbst waren Entwürfe für vier Bundesgesetze, deren Umsetzung gegen den Widerstand einiger kleiner Länder 268 durchgesetzt wurde. Die Gesetze betrafen die Universitäten, das Pressewesen, die Einrichtung einer politischen Kontroll- und Untersuchungsbehörde und eine Exekutionsordnung, die aber schon 1820 durch die Exekutions - Ordnung des Bundes ersetzt wurde. 269 Die Gesetze stabilisierten die politischen Verhältnisse im Bund im Sinne Metternichs. Das Universitätsgesetz und das Pressegesetz hatten dabei primär abwehrende Funktion. Sie waren gegen die radikalen politischen Strömungen gerichtet und gaben eine bundeseinheitliche Möglichkeit zur Kontrolle und Bekämpfung dieser Bewegungen. Das Untersuchungsgesetz und die Exekutionsordnung gingen darüber hinaus. Sie setzten ein einheitliches Interesse oder Handeln des Bundes fest und verliehen dem Bund organisationsrechtlich die Fähigkeit, seine Befugnisse in Hinsicht auf einen restaurativen und repressiven Bestandsschutz besser auszuüben.
266
Dazu ausfuhrlich Huber I, S. 758ff.m.Nw. Text in Treitschke, Theil 2, S. 632ff. 268 Diese Länder fühlten sich durch das Vorgehen der großen Mächte übergangen. Vgl. dazu Huber I, S. 735ff.; Faber, S. 88. 269 Zum Inhalt der Bundesgesetze ausführlich Huber I, S. 739ff. Texte der Gesetze in Huber, Dokumente, S. lOOff. 267
I .
i
n
der Bundesgründung
249
Die endgültige Festlegung der Bundespolitik in diesem Sinne und damit auch der zukünftigen Ausgestaltung des Deutschen Bundes erfolgte dann auf den Wiener Ministerial-Konferenzen von 1819/20. Die Vertreter der bedeutenderen Bundesmitglieder einigten sich zunächst außerhalb der Bundesversammlung, und die in der Wiener Schlußakte zusammengefaßten Beschlüsse wurden dann von der Bundesversammlung als Bundesrecht angenommen. Der Deutsche Bund wurde erst durch die Wiener Schlußakte vollständig ausgestaltet. Gleichzeitig wurde er sowohl von der Form als auch vom Inhalt her zum Mittel der Restaurationspolitik, die einen losen, staatenbündischen Bundescharakter bevorzugte. Die den Artikel 13 der Bundesakte ergänzenden Artikel 54 bis 57 der Wiener Schlußakte waren dafür ein Beispiel. Der Bund entsprach nun auch in seiner rechtlichen Struktur dem begrenzten föderalen Konsens der Hegemonialmächte: Österreich mit dem Ziel, die deutschen Länder und damit zugleich das eigene Staatswesen gegen die liberale und nationale Bewegung zu sichern und den eigenen Einfluß auf die Mittelund Kleinstaaten zu festigen, und Preußen mit dem Vorhaben, unter Verzicht auf einen starken Bund die österreichische Vormachtstellung einzudämmen und durch direkte Verhandlungen mit den einzelnen Ländern die eigene Position auszubauen.270
2. Ideengeschichtliche
Behandlung des Bundes
a) Einleitung Die Gründung des Deutschen Bundes mit seiner internationalen Einbindung war das wichtigste Ereignis nach dem Ende der napoleonischen Bedrohung, und die Resonanzen waren entsprechend stark. 271 Die meisten Darstellungen beruhten noch auf den föderalen Überlegungen, wie sie bereits im Rheinbund anzutreffen waren. Von dieser Grundlage ausgehend behandelten sie die drei Problemkreise des föderalen Bundescharakters, der nationalstaatlichen deutschen Zukunft und der völkerrechtlichen Einordnung des Bundes. Das positive Bundesrecht wurde bei den meisten Analysen von den politischen Erwartungen prinzipiell getrennt. Diese Unterscheidung war aber in der unmittelbaren Zeit nach der Bundesgründung eher schwach ausgeprägt.
270
Vgl. Schieder, S. 99ff. Vgl. dazu und zum Folgenden die detaillierten Darstellungen bei Brie, S. 44ff.; Deuerlein, S. 70ff.; Huber I, S. 561ff.; Koselleck, S. 656ff.; jew.m.Nw. 271
250
F. Der Deutsche Bund
Erst nachdem ab 1819 die Restauration Metternichs auch die Bundespolitik prägte, 272 trennten die meisten Staatsrechtler strikt zwischen den rechtlichen Überlegungen und den politischen Hoffnungen; der historische Positivismus der Reichspublizistik wurde fortgesetzt. Soweit der föderale Bundescharakter rechtlich untersucht wurde, sagten die meisten Autoren, daß der Deutsche Bund ein Staatenbund war. Die Autoren, die das offen ließen, mußten sich dem Urteil spätestens nach der Ergänzung der Bundesakte durch die Wiener Schlußakte anschließen. Ähnlich verlief auch die nationalpolitische Einschätzung des Bundes. Obwohl bereits 1815 skeptische Stimmen bezüglich der politischen Einigung Deutschlands zu hören waren, sahen anfänglich viele den Bund als einen Hoffnungsträger auf dem Weg zur nationalstaatlichen Einheit. Auch in dieser Hinsicht trat um 1820 eine Wende ein, die der Enttäuschung der nationalen und der liberalen Bewegung über die Bundespolitik entsprach. Der Aspekt der völkerrechtlichen Darstellung des Bundes war bei den Publizisten weniger umstritten. Schnell setzte sich die Ansicht durch, daß der Bund im Verhältnis zu dritten Staaten eine selbständig handlungsfähige Einheit war. Nachdem dies in den Diskussionen um das passive Gesandtschaftsrecht beim Bund 273 und die europäische Garantie der Bundesverfassung 274 auch auf der politischen Ebene anerkannt wurde, erlangte sie in Deutschland generelle Geltung. 275
b) Überlegungen bis zur restaurativen
Wende auf der Bundesebene
aa) Politische Erwartungen (1) Johann Rudolf von Buol-Schauenstein Johann Rudolf Reichsgraf von Buol-Schauenstein war der österreichische Präsidialgesandte beim Bund. In der Eröffnungsrede zur ersten Sitzung der
272 Diese Ereignisse wurden auch von den zeitgenössischen Staatsrechtlern als Einschnitt empfunden; vgl. Klüber, Öffentliches Recht, 3. Auflage, S. Vff. 273 Vgl. dazu Huber I, S. 603ff., 683ff. 274 Vgl. dazu Huber I, S. 684f. 275 Vgl. zur abweichenden französischen und englischen Position Huber I, S. 685ff.m.Nw.
. Entwicklung nach der Bundesgründung
251
Bundesversammlung erklärte er die österreichische Position zur Frage des Bundescharakters. 276 Er stellte fest, daß der Deutsche Bund weder ein politisch einheitlicher Bundesstaat noch ein nur völkerrechtlicher Beistandsvertrag war, sondern ein Staatenbund.277 Gleichzeitig erkannte er den deutschen Drang zu einer nationalen politischen Einigung an; er erwähnte ausdrücklich die Befreiungskriege. Er wies aber darauf hin, daß ein geschlossener deutscher Nationalstaat nie existiert hatte. Vielmehr bevorzugte die historische Entwicklung stets eine Verbindung mehrerer Länder unter einer Kaiserkrone. Er betonte die produktive, anregende und freiheitssichernde Vielfalt der so gewahrten verschiedenen politischen Formen. Daher kam er zu dem Schluß, daß eine Verbindung der deutschen Fürsten unter der Führung des österreichischen Kaisers der historischen Entwicklung entsprach und dem deutschen Nationalbewußtsein gerecht wurde. 278 Sowohl die innenpolitische und nationale als auch die europäische Position der deutschen Gebiete wurde in der Form des Deutschen Bundes angemessen garantiert. 279
(2) Wilhelm von Humboldt Der preußische Vertreter 280 Wilhelm von Humboldt bezog eine ähnliche Ausgangsposition. 281 Er sah im Deutschen Bund eine föderale Verbindung unabhängiger Mitglieder. Funktion des Bundes war die Wahrung von Ruhe, Sicherheit und Gleichgewicht in Deutschland und Europa. Eine engere Verbindung der Bundesmitglieder sah er nur in den Maßnahmen, die als Mittel zum Zweck der Abwehr politischer Gefahren für Bund und Länder ergriffen wurden; Einheit und Zusammenhang kamen nur aus dieser abwehrenden Aufgabe. Von seiner gesamten Struktur her war der Deutsche Bund darauf gerichtet, ein loser Staatenbund zu bleiben.
276
Text in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung, Band 1, Heft 1, S. 12ff. Buoi in: Protokolle, S. 16. 278 Buoi in: Protokolle, S. 49f. 279 Buoi in: Protokolle, S. 49. 280 Kritik Steins an der Bundesverfassung in Stein, Freiherr von, Band V , S. 394ff. 281 Humboldt, Schriften, Band 12, S. 57ff., mit der Denkschrift 'Über die Behandlung der Angelegenheiten des Deutschen Bundes vom 30. September 1816. 277
252
F. Der Deutsche Bund
Neben dieser Bundesanalyse stand sein starker Wunsch nach einem deutschen Nationalstaat. Humboldt betonte, daß in Deutschland der Wille zur Bildung eines Nationalstaates immer vorhanden war. In der Situation des Wiener Kongresses war es aber "unmöglich, nichts, und unmöglich das Rechte zu tun. Was zwischen diesen beiden Extremen zustande kommen konnte, das ist die wahre Definition des Deutschen Bundes." 282
(3) Hans Christoph von Gagern Hans Christoph von Gagern hatte kurz vor der Eröffnung des Bundestages seine Ansicht über den Bund geäußert. 283 Seine Äußerungen waren von der Hoffnung auf einen deutschen Nationalstaat bestimmt. Für Gagern war bereits jede Allianz ein Staatenbund.284 In den Regelungen der Bundesakte über die inneren Angelegenheiten der Einzelstaaten und in der in Artikel 19 erwähnten Möglichkeit, bundeseinheitliche Regelungen über organische Gesetze, gemeinnützige Anordnungen sowie handelspolitische Angelegenheiten zu treffen, sah er für den Bund die Kompetenz zu einem systematischen Eingreifen in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedsländer. Die so verstandene Bundeskompetenz war für ihn die Grundlage, den Bund als einen Bundesstaat mit eigener staatlicher Qualität anzusehen.
(4) Arnold Hermann Ludwig Heeren Arnold Hermann Ludwig Heeren 285 hatte in Göttingen eine Professur für Geschichte. In seiner Schrift über den Deutschen Bund 2 8 6 vermied er eine genaue staatsrechtliche Einordnung des Bundes als Staatenbund oder Bundesstaat. Stattdessen betonte er, daß der Bund im Verhältnis zu Drittstaaten als eine einheitliche außenpolitische Macht auftrat. 287 Aus diesem Grund ging der Deutsche Bund über eine bloße Allianz hinaus; er war ein Bund eigener Art.288
282
Humboldt, Schriften, Band 12, S. 80. Text des Briefes an Metternich in Gagern, H . , Mein Antheil, Band 3, Beilage 1, S. 227ff. 284 Gagern, Mein Antheil, Band 3, S. 19. 285 Zu den biographischen Daten siehe Allg. Dt. Biogr., S. 244ff.m.Nw. 286 Heeren, Der Deutsche Bund in seinen Verhältnissen zu dem Europäischen Staatensystem; bei Eröffnung des Bundestages dargestellt. In: Ders., Historische Werke, Band 2, S. 423ff. 287 Heeren, Der Deutsche Bund, S. 437f. 288 Heeren, Der Deutsche Bund, S. 437. 283
. Entwicklung nach der Bundesgründung
253
Hintergrund dafür war die Funktion des Bundes, den europäischen Frieden zu sichern. Diese Aufgabe verlangte eine föderale Verbindung, die zwar in der außenpolitischen Abwehr stark sein mußte, aber innenpolitisch nicht über das zur Erfüllung der Aufgabe nötige Maß an Gemeinsamkeit hinaugehen durfte. Eine enge nationale Einheit der deutschen Gebiete lehnte Heeren ab, da sie das europäische Gleichgewicht der Mächte gestört hätte. 289
(5) Jakob Friedrich
Fries
Einen anderen Standpunkt vertrat der Philosoph Jakob Friedrich Fries. 290 Auch er erläuterte zunächst die Vorteile einer föderativen Einigung der deutschen Gebiete, wobei er die Förderung des Wohlstandes und des Friedens besonders betonte. Danach behandelte er das Ziel einer möglichen Bundesentwicklung. Er verlangte, daß die Länder zwar weiterhin getrennt bleiben sollten. Statt eines losen Staatenbundes bevorzugte er aber einen engeren Bundesstaat.291 Der nationale deutsche Bundesstaat sollte einen republikanisch gebildeten Bundestag als oberstes Organ haben. Dieser Bundestag sollte über Legislative, Exekutive und Judikative bestimmen. Die einzelnen Komponenten des Bundestages wollte Fries in Anlehnung an das alte Reichsrecht bestimmen. Der Bundestag sollte im Gegensatz zum Staatenbund auch über die inneren Angelegenheiten der einzelnen Mitglieder bestimmen können. 292 Beispiele dafür waren eine einheitliche Rechtsordnung, gemeinsame Regelungen über Kirchen und Schulwesen sowie einheitliche Finanz- und Kriegsordnungen. 293 bb) Staatsrechtliche Behandlung der Bundesverfassung (1) Johann Ludwig Klüber Die präziseste Analyse der Bundesverfassung lieferte Johann Ludwig Klüber. Er hatte eine liberale Grundposition und stand in enger Verbindung zum preußischen Staatskanzler Hardenberg. Obwohl er sich nicht scheute, politisch
289 290 291 292 293
Heeren, Der Deutsche Bund, S. 429ff. Fries, Vom Deutschen Bund. Zur Person von Fries siehe Allg. Dt. Biogr., S. 73ff. Fries, S. 165. Fries, S. 167f. Fries, S. 167f.
254
F. Der Deutsche Bund
Position zu beziehen 294 , trennte er seine politischen Ansichten von den juristischen Aussagen und bemühte sich um eine präzise, systematische Darstellung des positiven Rechts. Durch seine Verbindung zu Hardenberg war Klüber ein intimer Kenner der Verhandlungen des Wiener Kongresses. Zudem war er der Herausgeber der Kongreßakten 295 und einer Quellensammlung zum öffentlichen Recht des Deutschen Bundes. 296 In seinem erstmals 1817 erschienen "Öffentlichen Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten"297 behandelte er die Entstehung und den Inhalt der Bundesverfassung. Zu Beginn seiner Darlegungen bezeichnete er den Deutschen Bund als einen Staatenbund. Der Bund war für ihn eine dauernde Vereinigung unabhängiger deutscher Staaten in einer völkerrechtlich gleichen Gesellschaft zur Verfolgung bestimmter gemeinschaftlicher Zwecke. 298 Ausdrücklich unterschied er diesen Staatenbund von einer nur vorübergehenden Allianz. Allerdings sah er im Deutschen Bund keine Übergangsstufe zu einem Bundesstaat oder einem ähnlichen engeren Staatsgebilde.299 Maßgebliches Kriterium für diese Einordnung war, wie in seiner Darstellung des Rheinbundes, das Element der Staatsgewalt.300 Für die Staatlichkeit einer Gewalt verlangte Klüber, daß sie grundsätzlich selbständig und nicht untergeordnet sein sollte, also souveränen Charakter haben mußte. 301 Weiter unterschied er zwischen Hoheitsrechten und der Souveränität; diese Begriffe mußten nicht zusammenfallen. 302 Der Deutsche Bund hatte zwar Hoheitsrechte, aber die Länder behielten ihre Souveränität, weshalb der Bund kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund war, der nur eine Sozial- oder Kollegialgewalt ausübte. 303 Die wenigen Bundesbefugnisse, die einen direkten Eingriff des Bundes in die inneren
294 295 296 297 298 299 300 301 302 303
Siehe dazu Klüber, Öffentliches Recht, 3. Auflage, §§ 93, 279ff. Klüber, Akten des Wiener Kongresses. Klüber, Quellen - Sammlung zu dem Öffentlichen Recht des Teutschen Bundes. Klüber, Öffentliches Recht; im Folgenden aus der 4. Auflage zitiert. Klüber, Öffentliches Recht, S. 117. Klüber, Öffentliches Recht, S. 117f., Anm. a) - d). Klüber, Öffentliches Recht, S. 117. Klüber, Öffentliches Recht, S. 107f., 117; ders., Übersicht, S. 123f., 128f., 191f. Klüber, Öffentliches Recht, S. 107ff. Klüber, Öffentliches Recht, S. 107ff., 284ff.
. Entwicklung nach der Bundesgründung
255
Ordnungen der Mitgliedsstaaten erlaubten, veränderten den staatenbündischen Charakter des Deutschen Bundes nicht, da die Hoheitsrechte des Bundes nur in diesen Ausnahmeiällen unmittelbar gegenüber den Bürgern ausgeübt wurden und in den übrigen Angelegenheiten die Landesregierungen handelten. 304 Die unmittelbaren Hoheitsrechte des Bundes gegnüber den Bürgern waren nach Art und Umfang zu beschränkt, um dem Bund die prinzipielle Eigenschaft eines Staates zuzuordnen. 305
(2) Friedrich
Wilhelm Tittmann
Wie viele andere Staatsrechtler 306 orientierte sich auch Friedrich Wilhelm Tittmann 307 an den föderalen Überlegungen Klübers. Seine "Darstellung der Verfassung des Deutschen Bundes" von 1818 sollte gleichfalls eine von politischen Zielen unbeeinflußte Darstellung des positiven Bundesrechts sein. 308 Tittmann erkannte, daß sowohl im Staatenbund als auch im Bundesstaat eine Bundesgewalt vorhanden war. Im Gegensatz zu Klüber und Behr statuierte er aber, daß auch im Bundesstaat ein Kollegialorgan diese Gewalt bilden konnte. Die Wahrnehmung durch eine Person war nicht zwingend nötig. Der Abstand zu den föderalen Reichsmodellen und der Stellung des Kaisers als Oberhaupt des Reiches wurde hier deutlich. Tittmann ordnete aber auch im Bundesstaat der Bundesgewalt nur geringe Kompetenzen zu. Aus der prinzipiellen Einordnung von Staatenbund und Bundesstaat als Staatenvereine Schloß er, daß die inneren Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten außerhalb der föderalen Verbindung und damit grundsätzlich auch außerhalb der Bundesgewalt lagen. 309 Er sah den Bundesstaat als ein völkerrechtliches Verhältnis, das auch durch die Einbeziehung bestimmter innerer Angelegenheiten der Mitglieder kein staatliches bzw. staatsrechtliches Verhältnis wurde. 310
304
Klüber, Öffentliches Recht, S. 239, 284ff. Klüber, Öffentliches Recht, S. 239. 306 Zur Vorbildwirkung Klübers siehe Stolleis, Geschichte 2, S. 83ff.; Dreyer, S. 104ff.; jew.m.Nw. 307 Zum biographischen Hintergrund siehe Allg. Dt. Biogr., S. 383f.m.Nw. 308 Tittmann, S. V I . 309 Tittmann, S. 15. 310 Tittmann, S. 15. 305
256
F. Der Deutsche Bund
Maßgeblich für die Unterscheidung zwischen Staatenbund und Bundesstaat war der zwingende, hoheitsrechtliche Charakter der Bundesgewalt, die auch die Verhältnisse zwischen den Mitgliedsstaaten regelte. Der Staatenbund war dagegen nur eine gemeinsame Sicherung gegen bundesfremde Mächte. 311 Da die Bundesversammlung zunächst nur den außenpolitischen Schutz der deutschen Länder koordiniern sollte und gegenüber den Mitgliedern so gut wie keine Zwangsbefugnisse besaß, tendierte Tittmann bei der Einordnung des Deutschen Bundes zum Begriff des Staatenbundes.312 Allerdings sah er die Möglichkeit zur Bildung einer Zwangsgewalt und damit der Entwicklung zum Bundesstaat. Die theoretischen und praktischen Schwächen dieser Abgrenzung erkannte Tittmann selbst. Die Beschränkung des Bundesverhältnisses allein auf zwischenstaatliche Beziehungen war nicht zwingend. Tittmann war der Ansicht, daß bei seiner Abgrenzung ein Bundesstaat mit zwingender, hoheitlicher Gewalt praktisch auch das Verhältnis zwischen Staat und Bürger berührte und deshalb regelmäßig über außenpolitische Angeglegenheiten hinausging. 313 Die ungenaue und im Ergebnis offene Qualifizierung des Deutschen Bundes als Staatenbund führte er auf die noch unklare Entwicklungsrichtung der Bundesverfassung zurück. 314
c) Überlegungen nach Karlsbad und der Wiener Schlußakte aa) Nachwort von Arnold Hermann Ludwig Heeren M i t den Karlsbader Beschlüssen und der Wiener Schlußakte wurde der Bund zum innenpolitischen Repressionsmittel Preußens und Österreichs ausgebaut. Die Hoffnungen auf eine Entwicklung zu einem liberalen und nationalen, engeren Verbund wurden damit zerschlagen. 315 Arnold Hermann Ludwig Heeren empfand dies wie viele seiner Zeitgenossen als eine Enttäuschung. Bereits 1821 fügte er in seine Darstellung des Deutschen Bundes ein Nachwort ein. 3 1 6 Er konstatierte, daß die liberalen und
311 312 313 314 315 316
Tittmann, S. 13. Tittmann, S. 4f., 23ff. Tittmann, S. 6. Tittmann, S. 21ff., 30f. Vgl. dazu Klüber, Öffentliches Recht, 3. Auflage, S. Vff. Heeren, Der Deutsche Bund, S. 452ff.
. Entwicklung nach der Bundesgründung
257
die nationalen Erwartungen an den Bund enttäuscht wurden, was auf die Erwartungshaltung der Bevölkerung und die Verkennung der politischen Gegebenheiten in Deutschland zurückzuführen war. Der Deutsche Bund war eindeutig ein Staaten verein und kein Staat. Er war nach Heeren eher mit der Schweizer Tagsatzung als mit den nordamerikanischen Bundesverhältnissen zu vergleichen.
bb) Wilhelm Joseph Behr Wie Klüber knüpfte auch Wilhelm Joseph Behr in einer Schrift von 1820 an seine Rheinbundanalysen317 an. 3 1 8 Das Begriffspaar von Staatenbund und Völkerstaat wurde mit der Bundesakte verglichen. Behr kam dabei zu dem Schluß, daß der Deutsche Bund ein Staatenbund war, der die Souveränität der Mitglieder nicht beeinträchtigte und unmittelbar gegenüber den Landesbürgern keine Hoheitsrechte besaß.319 Im Gegensatz zur Darstellung des Rheinbundes leugnete Behr aber die Möglichkeit eines allmählichen Ubergangs zwischen diesen beiden föderalen Verbindungsformen. Aus dem staatenbündischen Bundescharakter folgerte er, daß der Bund keinerlei spürbare Kompetenzen bezüglich der inneren Ordnung der Länder haben sollte. 320 Äußerste Maßnahme gegen Bundesmitglieder war der Ausschluß aus dem Bund. 3 2 1 Der Hintergrund dieser Argumentation war klar. Der Deutsche Bund wurde als ein Völkerbund aufgefaßt, der die Souveränität der Einzelstaaten voraussetzte und schützen sollte. 322 Indem Behr den Bund auf diese Ziele festlegte und selbst begrenzte Einwirkungen auf die inneren Angelegenheiten der Länder ablehnte, schützte er vor allem die liberal verfaßten süddeutschen Länder vor der restaurativen Bundespolitik. Er betonte insbesondere die Vorteile der liberalen bayerischen Verfassung von 1818, deren freiheitliche Tendenz er gegen die Karlsbader Beschlüsse und die Regelungen der Wiener Kongreßakte bezüglich der Landesverfassungen absichern wollte. 3 2 3
317 318 319 320 321 322 323
Siehe Behr, Behr, Behr, Behr, Behr, Behr,
17 Grzeszick
oben Ε. ΙΠ. 3. c) cc) bbb) m.Nw. Von den rechtlichen Grenzen. Von den rechtlichen Grenzen, S. 43. Von den rechtlichen Grenzen, S. 33, 47ff., 65ff. Von den rechtlichen Grenzen, S. 14ff., 65. Von den rechtlichen Grenzen, S. 9, 21, 33ff., 43. Von den rechtichen Grenzen, S. 10.
258
F. Der Deutsche Bund
Auf die Möglichkeit, daß auch ein Staatenbund in Grenzen auf die innere Ordnung der Mitglieder einwirkt und daß der Übergang zwischen Staatenbund und Bundesstaat allmählich verlief, ging er nicht ein.
cc) Georg Leonhard von Dresch Ähnlich Behr argumentierte auch Georg Leonhard von Dresch. 324 In seinem 1820 erschienenen Buch über das Bundesrecht 325 differenzierte er auch zwischen Bundesstaat und Staatenbund. Während der Bundesstaat auch in Bezug auf die inneren Angelegenheiten der Mitglieder Hoheitsrechte ausübte, beschränkte sich der Staatenbund auf ein Verteidigungsbündnis gegen innere und äußere Feinde, ohne weiter die innenpolitsche Sphäre der Einzelstaaten zu berühren. 326 Dresch sah den Deutschen Bund als Staatenbund, der aber teilweise Befugnisse im Sinne eines Bundesstaates hatte. 327 Diese Elemente waren aber im Vergleich zur prinzipiellen Verteilung der Hoheitsrechte zwischen Bund und Ländern nur schwach ausgeprägt. Der Bundescharakter als Staatenbund blieb deshalb erhalten, und die wenigen Bundesbefugnisse bezüglich der inneren Angelegenheiten der Länder mußten als Ausnahmevorschriften eng interpretiert werden. 328 Dresch richtete sich damit tendenziell auch gegen Bundeseingriffe in die innere Ordnung der liberalen Länder; die politische Entwicklung des Bundes zum Instrument der Restauration wurde aber in Grenzen als mit dem Bundescharakter vereinbar festgestellt. 329
dd) Karl Ernst Schmid Der Jenaer Professor Karl Ernst Schmid 3 3 0 veröffentlichte 1821 ein Lehrbuch des Staatsrechts. 331 Er orientierte sich gleichfalls an den Modellen
324
Zur Person siehe Allg. Dt. Biogr., S. 395f. Dresch, Öffentliches Recht des Deutschen Bundes. 326 Dresch, S. 23f. 327 Dresch, S. 25. 328 Dresch, Öffentliches Recht, § 25, g. 329 Zur Beurteilung Dreschs einerseits Dreyer, S. 106; andererseits Brie, S. 50f. 330 Zum persönlichen Hintergrund siehe Stolleis, Geschichte 2, S. 167f.; Allg. Dt. Biogr., S. 675f.; jew.m.Nw. 331 Schmid, Lehrbuch des gemeinen deutschen Staatsrechts. 325
III. Entwicklung nach der Bundesgründung
259
von Staatenbund und Bundesstaat. Während der Staatenbund nur einige Zwecke der staatlichen Ordnung erfüllte, umfaßte der Bundesstaat alle staatlichen Zwecke. Schmid nannte als Bundesstaatsaufgabe vor allem die Sicherung der rechtlichen Ordnung, das Schul- und Bildungswesen sowie die allgemeine Förderung der Wohlfahrt. Zum Deutschen Bund stellte Schmid fest: "Das Staatsrecht des Deutschen Bundes und der Bundesstaaten ist erst im Werden; nur durch die Ausbildung der Landesverfassungen kann die Bundesverfassung Kraft und Haltbarkeit gewinnen; das Gemeinwesen muß sich im Besonderen entfalten." 332 Genauere Erörterungen über Bund und Länder sollten im zweiten Teil des Lehrbuchs dargestellt werden, der aber nicht entstand. 333
d) Bewertung Die föderalen Ideen zur Bundesverfassung orientierten sich eng an den politischen und rechtlichen Gegebenheiten. Auffallend war, daß Humboldt und Klüber als Kenner der Kongreßverhandlungen die Bundesverfassung treffend analysieren konnten. Da sie die österreichische Position, wie sie von BuolSchauenstein vertreten wurde, kannten und sich des Kompromißcharakters der Bundesverfassung bewußt waren, standen sie der Entwicklung des Bundes im Richtung einer engeren nationalen Verbindung skeptisch gegenüber. Die entsprechenden Hoffnungen, die von Gagern vortrug, wurden spätestens mit den Karlsbader Beschlüssen und der Wiener Schlußakte enttäuscht. Die Äußerungen von Heeren, der die Idee eines nationalen Bundes eher reserviert betrachtete, standen stellvertretend für andere liberale und auch nationale Denker. Bereits unmittelbar nach 1819/20 wurden die Einflüsse der Restauration auf die Bundes Vorstellungen deutlich. Zum Schutz liberaler Landesverfassungen vernachlässigte Behr sogar positives Bundesrecht, das er in seinen zum Rheinbund entwickelten differenzierten Vorstellungen durchaus integrieren konnte. Dresch erkannte zwar das Bundesrecht an; aber auch er betonte die Beschränktheit des Bundes gegenüber den Ländern, um den restaurativen Bundeseingriffen in die Landessphären vorzubeugen.
332 333
Schmid, § 123. Vgl. Stolleis, Geschichte 2, S. 167 m.Nw.
260
F. Der Deutsche Bund
Schmid zeigte schließlich die weitere Entwicklungsrichtung föderaler Modelle. Da auf der Ebene der Bundespolitik für liberale oder nationale Gedanken keine Perspektiven geboten wurden, sondern davon nur Gefahren ausgingen, wandten sich die politisch fortschrittlichen Kräfte zunächst der Länderebene zu. Vor allem in Süddeutschland, wo bereits mehrere liberale Landesverfassungen existierten, boten die Kammern der landständischen Vertretungen zumindest ein beschränktes Betätigungsfeld für die liberale Opposition. Diese politische Entwicklung förderte die theoretische Trennung von Staatenbund und Bundesstaat. Der Charakter der Bundesakte als föderaler Minimalkompromiß mit vielen offenen Fragen führte zunächst zur Fortsetzung der zum Rheinbund gebildeten Theorien, und neue Ansätze wurden nicht entwickelt. Die restaurative Wende auf der Bundesebene verhinderte politische Perspektiven für den Bund. Differenzierte Theorien für den Ubergang von Staatenbund oder Bundesstaat entstanden nicht oder wurden, wie bei Behr zu beobachten, sogar zurückgedrängt. In den Vordergrund trat zunächst die Betonung des völkerrechtlichen bzw. staatenbündischen Charakters des Deutschen Bundes, um die freiheitlichen Ländersphären vor restaurativen Bundeseingriffen zu schützen. Die Elemente der Landessouveränität und der Bürgerrechte dienten dazu, auf föderaler staatsrechtlicher Ebene den Bundeseinfluß zu vermindern und damit zumindest in den fortschrittlichen Ländern liberale Tendenzen zu schützen. Als Gegengewicht zu dieser bundesrechtichen Entwicklung gewann nun das Landesverfassungsrecht an Bedeutung. 334
3. Fortbildung
des Bundesrechts
Die wichtigste Fortbildung des Bundesrechts war die Wiener Schlußakte, die bereits oben behandelt wurde. Die erste Welle der Verfassungsgebung wurde mit den in der Wiener Schlußakte enthaltenen Mitteln eingedämmt. Das Scheitern der preußischen Verfassungsgebung brachte schließlich bundesweit konstitutionelle und liberale Bestrebungen zum Erliegen. 335 Obwohl das Bundesrecht nach der Wiener Schlußakte qualitativ nicht mehr maßgeblich geändert wurde, leitete es in einigen Sachbereichen einen Prozeß
334 335
Vgl. Stolleis, Geschichte 2, S. 187ff.m.Nw. Vgl. zur Bedeutung dieses Vorganges Schieder, S. 105f.
V I . Einordnung der Bundesgründung
261
der Rechtsangleichung ein. Artikel 13 der Bundesakte und Artikel 54 bis 57 der Wiener Schlußakte setzten den heterogenen Entwicklungen des Landes Verfassungsrechts Grenzen, die im Bundesverfassungsrecht von der zumindest formellen Gleichheit der Bundesmitglieder nach Artikel 3 der Bundesakte gestützt wurde. Weiter führten die bundesrechtlichen Grundsätze über die ordentliche Gerichtsbarkeit mit der Pflicht zur Errichtung von gemeinsamen Obergerichten zur Vereinheitlichung der Gerichtsverfassungen und damit des gesamten Justizwesens.336 Eine unmittelbare Homogenisierung des materiellen Rechts konnte der Bund aber mangels entsprechender Kompetenzen nicht bewirken. Dies blieb den Einzelstaaten vorbehalten. In den folgenden Jahren entstanden unter preußischer Führung vor allem auf dem Gebiet des Zoll- und Handelsrechts parallele Entwicklungen und Zusammenschlüsse.
I V . Einordnung der Bundesgründung 1. Einführung Die übergreifenden Beurteilungen bezüglich der Bundesgründung fallen durchaus unterschiedlich aus. Während im 19. Jahrhundert aus der Sicht der kleindeutschen nationalen Einheit Deutschlands die Bewertungen meist negativ ausfielen, 337 sind die Urteile mittlerweile differenzierter geworden. Auf der positiven Seite wird vor allem betont, daß der Deutsche Bund sowohl die innerdeutsche als auch die europäische Machtsituation berücksichtigte und diese Momente in angemessener Form miteinander verband. 338 Die Bundesstruktur entsprach dabei der Tatsache, daß sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene zentrale politische Institutionen fehlten. 330 Die Form der losen föderalen Verbindung war deshalb kein historischer Zufall, sondern ein Ausgleich der im deutschen Raum wirkenden politischen Kräfte. Der Deutsche Bund stand damit in der Tradition des alten Reiches 340 und möglicherweise sogar des Rheinbundes.341
336
Vgl. Huber I, S. 616ff. Vgl. Treitschke, Band 1, 5. Aufl., S. 710; Sybel, Begründung, Band 1, 4. Aufl., S. 41. 338 So Aretin, Vom Reich, S. 158ff.; Gruner, Deutsche Frage, S. 46ff., 63ff.; Burg, Wiener Kongreß, S. 5Iff.; jew.m.Nw. 339 Vgl. Faber, S. 19f. 340 Vgl. Faber, S. 20. 341 Vgl. Möller, S. 657; Faber, S. 34; Lutz, S. 14; Schieder, S. 99. 337
262
F. Der Deutsche Bund
Dazu wird darauf hingewiesen, daß mit dem Bund die Entwicklung eines einheitlichen Nationalgefühls teilweise erst eingeleitet wurde. Die Abdrängung moderner politischer Bewegungen auf die Länderebene war dabei eine der Folgen der restaurativen und repressiven Bundespolitik. 342 Die Konstruktion des Bundes und seiner europäischen Einbindung gewährte den deutschen Staaten erst die Sicherheit und damit die Rahmenbedingungen, die zur Verbreitung und Fortbildung der modernen politischen Ideen nötig waren. Gegen diese Sichtweise wird angeführt, daß der Deutsche Bund gerade im innerdeutschen Bereich zum Vollstreckungsorgan der Restaurationspolitik Metternichs wurde. 343 Die im Deutschen Bund angelegte Spannung zwischen monarchischer Souveränität und Volkssouveränität, die durch die neuen Landesverfassungen teilweise verstärkt wurde, konnte nicht gelöst werden. Bürgerliche Rechte und politische Freiheiten wurden, soweit sie überhaupt bestanden, zurückgedrängt. Die in der Folge eintretende Radikalisierung kleinerer Gruppen führte zu bundespolitischen Maßnahmen, die auf die Länderebene wirkten. 3 4 4 Aufgrund dieser verschiedenen Aspekte kommen die meisten Autoren zu dem Ergebnis einer ambivalenten Einschätzung des Bundes. Teilweise wird gerade in den Mitteln der Restauration ein die nationale Einheit stärkender Faktor gesehen.345 Weiter wird das Verhältnis zwischen der europäischen Ordnung und der föderalen Verbindung der deutschsprachigen Gebiete als eine Beziehung betrachtet, die von wechselseitigen Einflüssen gekennzeichnet war. 3 4 6 Die gesamteuropäische Einbindung des deutschen Raumes und der hegemoniale Dualismus von Österreich und Preußen ließen kaum eine andere Form der Verbindung zu. Die fehlende Perspektive einer Entwicklung zu einer engen Verbindung und einer stärkeren Berücksichtigung modernen politischen Gedankengutes war aber nicht in der Bundeskonstruktion selbst begründet. Vielmehr wurde diese Entwicklung von der Politik Metternichs diktiert. 3 4 7 Der Deutsche Bund brachte damit im Vergleich zum alten Reich und der Revolutionszeit erhebliche Fortschritte; er wurde aber der weiteren politischen Entwicklung nicht gerecht. 348 Die problematische Verbindung zwischen der
342 343 344 345 346 347 348
Vgl. Schieder, S. 101. Vgl. Schieder, S. 100; Faber, S. 20. Vgl. Lutz, S. 43ff., 52f. Vgl. Lutz, S. 53. Vgl. Lutz, S. 14; Faber, S. 20; Schieder, S. 99. So i.E. Darmstadt, Deutscher Bund, S. 178ff.m.Nw. Vgl. Möller, S. 660; Gruner, S. 26.
V I . Einordnung der Bundesgründung
263
Orientierung an einem wiederhergestellten politischen Zustand, der noch in der Tradition der vorrevolutionären Vorstellungen und Kräfte stand, und den modernen Elementen, die den neuen politische Ideen entsprachen, 349 wird auch bei der folgenden Betrachtung der einzelnen Bereiche wieder offenbar.
2. Politik In Hinsicht auf die politischen Grundlagen föderaler deutscher Strukturen war der Deutsche Bund starker Kritik ausgesetzt. Zumindest in seiner Ausgestaltung ab 1820 wurde er als extremes Gegenbeispiel staatlicher Integration angesehen.350 In dieser Form soll er weder den Interessen der Landesregierungen noch denen der liberalen und demokratischen Bewegungen entsprochen haben. Als auf Dauer noch graviernder erwies sich, daß der Bund wegen seines eng begrenzten restaurativen Zweckes den wirtschaftlichen und sozialen Erfordernissen der politischen Modernisierung nicht gerecht werden konnte. Die föderale Bundesform und die Politik der Hegemonialmächte belasteten damit in verschiedener Hinsicht die politische Entwicklung im deutschen Raum. 351 Konkreter Beleg dafür war, daß spätestens durch die Wiener Schlußakte das monarchische Prinzip auch förmlich festgeschrieben wurde. Dadurch wurde es zum maßgeblichen Kriterium für die Homogenität der Bundesmitglieder. 352 Obwohl in den süddeutschen Ländern der Übergang zur konstitutionellen Monarchie begann, 353 wurde eine Fortsetzung der neuen politischen Ideen auf der gesamtdeutschen Ebene zunächst verhindert. Der Schutz des monarchischen Prinzips durch innenpolitische Repressionen löste wiederum einen Vorgang der "politischen Inversionslogik" aus, der die Probleme nur weiter verschärfen konnte. 354 Der Gegensatz zwischen der monarchischen Legitimität und den modernen politischen Vorstellungen wurde durch die Verhältnisse auf der Bundesebene im Ergebnis verschärft. Positiver beurteilt wird die Entwicklung des Bundes als föderale deutsche Verbindung im europäischen Raum. Die außenpolitischen Einflüsse auf die deutschen Staaten wurden sowohl in der Bundesform selbst als auch in deren
349 350 351 352 353 354
Vgl. dazu die Beurteilung des Bundes bei Schnabel, S. 372. So Rumpier, S. 219. Vgl. Rumpier, S. 220; Koselleck, S. 659. Vgl. Koselleck, S. 659. Vgl. dazu die Analysen bei Quaritsch, Staat, S. 482ff.m.Nw. So Koselleck, S. 659.
264
F. Der Deutsche Bund
europäischer Integration wahrgenommen und berücksichtigt. Anders als bei der Gründung des Rheinbundes handelten die deutschen Gebiete dabei förmlich und faktisch als selbständige Länder. Im Vergleich zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ergab sich daraus nicht nur die kontinuierliche Funktion des Föderalismus, der europapolitischen Einbindung des deutschen Raumes gerecht zu werden. Das Reichssystem wurde hier durch die funktionierende föderale Ordnung des Deutschen Bundes sogar ersetzt. Die lose föderale Bundesverbindung gab zudem die zeitbedingten Einflüsse wieder. Das Scheitern stärker unitarisierender Elemente wurde auch durch den Widerstand der mittleren Länder in den Kongreßberatungen verursacht, deren Position durch den sächsisch-polnischen Streit und die Rückkehr Napoleons begünstigt wurde. Gleichfalls wirkten die Erfahrungen mit dem alten Reich und der napoleonischen Rheinbundherrschaft in Richtung eines eher losen Staatenbundes, und die nationalpolitische Zukunft der deutschen Gebiete wäre auch in einem engeren Bund von der politischen Übereinstimmung zwischen Österreich und Preußen abhängig gewesen. Aufgrund der politischen Machtverhältnisse in Europa und Deutschland erschien der Bundesföderalismus als europäische Konsequenz und deutscher Kompromiß. Vor allem die personelle Kontinuität innerhalb der deutschen Regierungen, die durch das monarchische Prinzip abgesichert war, begrenzte die Chancen auf eine stärkere nationalpolitische Föderation. 355 Daß die Bundesstruktur prinzipiell ausbaufähig war, zeigte sich in der Zeit vor den Karlsbader Beschlüssen, als auf der Grundlage der "monarchischen Legitimität" mehrere fortschrittliche Landesverfassungen erlassen wurden. Die weitere politische Entwicklung war deshalb durch den Bundesföderalismus nicht festgelegt. 356 Auf der politischen Ebene war der Bundesföderalismus gekennzeichnet durch eine grundsätzliche Restitution der Staatenwelt. Dies bedeutete aber noch keinen Rückschritt, da die Reformen und Veränderungen in der Zeit bis zur Gründung des Rheinbundes meistens anerkannt wurden. Dadurch wurde in vielen Bereichen des Staats- und Gesellschaftswesens der Wandel der folgenden Jahrzehnte angedeutet und ermöglicht. Allerdings wurde mit den historischen Ursprüngen und Kontinuitäten nicht gebrochen, weshalb sich auch im Bund die restaurative österreichische Politik durchsetzte.
355 356
Vgl. zur personellen Kontinuität auch Vierhaus, S. 293ff. So auch Gruner, Einzelstaaten, S. 26.
V I . Einordnung der Bundesgründung
265
3. Ideengeschichte Für die ideengeschichtliche Entwicklung wurden mit der Bundesgründung die modernen Staatsvorstellungen in die Praxis umgesetzt, die durch das Ende des Reiches und die förmliche Struktur des Rheinbundes bekannt geworden waren. Die Gründung des Deutschen Bundes und der Erlaß verschiedener Landesverfassungen führten dazu, daß in den deutschen Gebieten die Ideen bezüglich der Grundlagen moderner Staatlichkeit tatsächlich angewandt wurden; gleiches galt für die modernen föderalen Vorstellungen. Für föderale Verbindungen bedeutete dieser Vorgang, daß die Funktion des innen- und außenpolitischen Interessenausgleichs auch mit den modernen Bundesformen gewahrt wurde. Die zeitgenössische Prägung des Begriffspaares von Staatenbund und Bundesstaat war der Sache nach an den föderalen Problemen von Souveränität, Homogenität, Unitarisierung und Partikularismus orientiert. 357 Die Entwicklung ging deshalb über die besondere deutsche Lage hinaus und war für den Föderalismus von allgemeiner Bedeutung. Die später häufig kritisierte Betonung des völkerrechtlichen Charakters von Staatenbündnissen358 diente dazu, die gegenüber den Reichsvorstellungen veränderten Grundlagen zu verdeutlichen, und sie beeinträchtigte die staatsrechtliche Analyse föderaler Verbindungen zunächst nicht. .Allerdings sind aus dieser Zeitspanne nur wenige weiterführende Theorien zum Föderalismus hervorgegangen. Die meisten Überlegungen waren damit beschäftigt, die seit 1789 erfolgten Umwälzungen zu erfassen und umzusetzen. Dazu war die Rechtsstruktur des Bundes zur Zeit seiner Gründung noch für verschiedene Entwicklungen in der deutschen Frage offen. Die verschiedenen Bundesentwürfe akzeptierten zwar die Grundlage einer modernen Länderstaatlichkeit, waren aber mit ihren Begriffen und Institutionen auf der Bundesebene oft noch am Reichsmodell orientiert. Selbst die Entwürfe, die bereits die Grundlagen und Funktionen der modernen Bundeselemente von denen der Reichsstrukturen unterschieden, waren förmlich und begrifflich den Reichseinrichtungen noch verbunden. Vor allem der Begriff der Souveränität oder der Unabhängigkeit staatlicher Herrschaftsrechte wurde diffus verwendet. Nur wenige Staatstheoretiker
357 358
Vgl. dazu auch Huber I, S. 663; Dreyer, S. 156f.; Koselleck, S. 658; jew.m.Nw. Vgl. Koselleck, S. 654f., 657f.
266
F. Der Deutsche Bund
erkannten die Problematik von Föderalismus und absolutistischer Souveränität; von Lösungsansätzen konnte nicht gesprochen werden. 359 Für die ideengeschichtlichen Aspekte des Föderalismus bedeutete die Bundesgründung hauptsächlich eine Umstellung auf die Grundlagen moderner Staatlichkeit. Die Elemente einer Gewaltenteilung, der Bundeskompetenzen und -organe, der Vertretung oder Repräsentation und der Souveränität wurden zwar teilweise erkannt, aber neue Überlegungen zu diesen Spannungsfeldern gab es nicht. Neben den politischen Entwicklungen, die unabhängige wissenschaftliche Betrachtungen erschwert hatten, drückte sich darin die zeitbedingte Bevorzugung loser, staatenbündischer föderaler Verbindungen aus. Die von Behr vorgenommene Analyse einer differenzierten Souveränität in föderalen Verbindungen war aber bereits wegweisend für die weitere Entwicklung.
4. Verfassungsrecht
des Bundes
Bei den staatsrechtlichen Aspekten des Bundesvertrages fiel zunächst auf, daß die Bundesform die staatlichen Interessen und Kräfte im deutschen Raum exakt wiedergab. 360 Weniger aus den Bestimmungen der Bundesakte, dafür aber um so mehr aus der späteren Wiener Schlußakte ergaben sich die beschränkten Kompetenzen und damit auch der politische Zweck des Bundes, die bis auf wenige Möglichkeiten ab 1820 nur eine begrenzte Funktion des Bundesföderalismus zuließen. Diese föderalen Grenzen waren bereits vor dem Wiener Kongreß in einigen Verträgen skizziert worden. Bis 1820 wurde der Bund politisch auf eine lose Föderation festgelegt, was sich in der Einschränkung des Artikel 13 der Bundesakte durch die Artikel 53ff. der Wiener Schlußakte manifestierte. Die starke Abhängigkeit des Bundes von Österreich und Preußen zeigte sich im Fehlen unitarischer Bundesorgane sowie der im Bundesvertrag festgestzten Sonderstellung der beiden deutschen Großmächte. Die These, daß der Deutsche Bund insoweit auf der verfassungsrechtlichen und föderalen Ebene in der Kontinuität des Alten Reiches stand und eine Ausdehnung der Rechtsform des Rheinbundes bedeutete,361 bedarf aber der Differenzierung. In formeller Hinsicht war der Deutsche Bund wie der Rheinbund ein Staatenbund mit einer föderalen Struktur, die statt von der reichsständischen
359 360 361
Vgl. Dreyer, S. 158. So Koselleck, S. 655. So Faber, S. 34; vgl. auch Möller, S. 657.
V I . Einordnung der Bundesgründung
Herrschaftspluralität ausging.
267
von einer föderalen Verbindung souveräner Staaten
In politischer Hinsicht war der Rheinbund allerdings nur ein Instrument Napoleons gewesen, wohingegen die tatsächliche Machtverteilung im Deutschen Bund prinzipiell eher dem alten Reich entsprach. Indem im Deutschen Bund eine föderale Verbindungsform gefunden wurde, die moderne staatsrechtliche Grundlagen anerkannte und zugleich der Machtverteilung im deutschen Raum entsprach, bildete die Bundesordnung die erste funktionsfähige moderne föderale Verbindung der deutschen Staaten. Alle weiteren föderalen rechtlichen Überlegungen sollten sich an der Bundesordnung orientieren.
5. Gesamtbetrachtung Zur Zeit der Bundesgründung war der Föderalismus zunächst stark abhängig von den konkreten politischen Umständen. Die Machtverteilung im deutschen Raum ließ für die Lösung der deutschen Frage nur einen hegemonialen Föderalismus im Sinne einer Sonderstellung Österreichs und Preußens zu, der wegen der Interessen dieser Länder eine stärkere Unitarisierung nicht gestattete.362 Andererseits hatten die Ideen der französischen Revolution und das durch die Befreiungskriege gestärkte nationale Bewußtsein zu einer Erwartungshaltung geführt, die von der Ausgestaltung des Bundes nicht erfüllt wurde. Das gspannte Verhältnis zwischen dem souveränen Monarchen und den frühen liberalen und konstitutionellen Kräften wurde nicht gelöst, sondern durch die Interpretation des Artikel 13 der Bundesakte in der Wiener Schlußakte für den Deutschen Bund festgeschrieben. Auch bezüglich der politischen und sozialen Modernisierung konnte der Bund keine Perspektive bieten. Der Begriff des Bundes wurde durch diese Vorgänge eher negativ geprägt, und die preußischen Bundesentwürfe, die die Bildung einer nationalen Einheit vorsahen, konnten nicht durchgesetzt werden. Die politischen Spannungsverhältnisse im deutschen Raum bildeten den Hintergrund für diese Begriffsprägung; sie wurden in der Bundesform wiedergegeben. Die Bundesstruktur entsprach sowohl der europäischen
362
Vgl. Huber I, S. 670ff.
268
F. Der Deutsche Bund
Einbindung als auch der innerdeutschen Machtverteilung, ohne aber den Bund bei der Gründung bereits auf eine bestimmte Entwicklung festzulegen. Dies geschah erst durch die Politik Metternichs. Gleiches galt für die Verschärfung des innenpolitischen Gegensatzes zwischen den monarchischen Regierungen und den Anhängern moderner Ideen. Der Föderalismus des Deutschen Bundes war dazu die erste funktionierende föderale Ordnung in Deutschland, die förmlich auf den Grundlagen moderner Staatlichkeit beruhte. Die Ablehnung einer mehr unitarisch orientierten Bundeslösung war nicht durch die Föderalismusauffassungen der Zeitgenossen bestimmt, sondern auf die Machtverteilung unter den deutschen Ländern zurückzuführen. Außenpolitische Einflüsse wirkten in die gleiche Richtung, und durch die Bundesordnung wurde das gesamteuropäische Gleichgewicht abgesichert. 363 M i t dem Bund wurden teilweise erst die Voraussetzungen geschaffen für die weiteren Entwicklungen, die auf der politischen und der ideengeschichtlichen Ebene eine engere föderale Verbindung der deutschen Gebiete ermöglichten. Neben der Kontinuität in den außenpolitischen Funktionen, die im Vergleich mit dem alten Reich sichtbar wurde, berücksichtigte die Bundesgründung zumindest teilweise auch die erheblich veränderten innenpolitischen Umstände. Bei der Wahrung weitgehender rechtlicher und teilweiser politischer Unabhängigkeit wurde den Bundesmitgliedern Ruhe, Sicherheit und Einfluß auf die deutschen Machtverhältnisse gewährt. 364 Die verschiedenen föderalen Vorstellungen wurden bereits vor ihrer ideengeschichtlichen Durchdringung von den konkreten politischen Vorhaben in Anspruch genommen. Den theoretischen Vorstellungen über die Funktionen föderaler Elemente schadete das nicht, aber der Begriff des Föderalismus wurde zunächst ambivalent geprägt. Vor allem im Verhältnis zwischen der Bundesakte und den Landesverfassungen sowie in der unitarisierenden Wirkung der Restaurationspolitik Metternichs kam das Spannungsverhältnis zwischen altständisch-monarchischen und modernen Staatsvorstellungen zum Ausdruck. Da die Bundesordnung weder die Übergangsform der konstitutionellen Monarchie berücksichtigte noch eine innenpolitische Modernisierung ermöglichte, konnte der Deutsche Bund dieses Spannungsverhältnis nicht lösen.
363 364
So Rumpier, S. 226. Vgl. Koselleck, S. 658 m.Nw.
V I . Einordnung der Bundesgründung
269
Die föderale Ordnung des Bundes markierte damit nicht nur förmlich, sondern auch faktisch den Übergang von der alten reichsständischen Herrschaftspluralität zum staatsrechtlich modernen Föderalismus. Die kurze Zeit des Übergangs und die konkrete politische Einbindung der neuen Bundesordnung verhinderten zwar die Bildung einer engeren Verbindung, aber die lockere föderale Bundesordnung übernahm neben einigen innenpolitischen vor allem die außenpolitischen Funktionen des alten Reiches. Als Hauptproblem erwies sich, daß sowohl die Länder als auch der Bund viele moderne Elemente aufgenommen hatten, ohne sie konsequent umzusetzen. Die absehbare politische Entwicklung wurde auf der Bundesebene durch den eng begrenzten und restaurativen Bundeszweck stark belastet. Im Ergebnis wurden die politischen Gegensätze verschärft, ohne daß der Bund eine Lösung der Probleme offerieren konnte. 365 Zunächst verlieh der Deutsche Bund den deutschen Ländern die erforderliche Stabilität, die eine umfassende Rezeption der Umwälzungen seit der Französischen Revolution gestattete. Auf dieser Grundlage erfolgte dann die politische Neuorientierung der staatsrechtlichen und politischen Denker.
365
Vgl. Kim m in ich, Verfassungsgeschichte, S. 319.
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee I . Politische Entwicklung 1. Vorgänge auf europäischer Ebene Der Aufstand in Griechenland spaltete die Allianz in zwei Lager. 1 Mit der Anerkennung des neuen griechischen Königreichs durch England, Frankreich und Rußland wurde das europäische Gleichgewichtssystem der Heiligen Allianz hinfallig. 2 Währenddessen stieg in Frankreich der Druck zu liberalen Reformen. In der Revolution vom Juli 1830 wurde das Bürgerkönigtum von Louis Philippe I. errichtet. Die französische Verfassung wurde konstitutionellen Reformen unterzogen, und das Großbürgertum erlangte die Stellung der staatstragenden Schicht.
2. Entwicklungen
im Deutschen Bund
Die Entwicklung im Deutschen Bund wurde in der Zeit nach 1820 von zwei gegenläufigen Tendenzen bestimmt. Das politische und vor allem das konstitutionelle Leben stagnierte bis 1830, während im ökonomischen und sozialen Bereich eine intensive Modernisierung begann.3 Die Bundespolitik wurde vor allem durch die gemeinsamen restaurativen Interessen Österreichs und Preußens bestimmt. Die mittleren und kleineren Länder standen im Spannungsfeld zwischen den beiden Hegemonialmächten. Sie versuchten mehrmals, sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich eine eigene Bundesmacht neben Österreich und Preußen zu bilden, um die Bundeshegemonie der beiden Großmächte zu durchbrechen. 4
1 2 3 4
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
dazu Lutz, S. 57ff.; Schieder, S. 115ff.; Webster, S. 24ff. Schieder, S. 116f.; Mann, S. 397; Lutz, S. 58f. Gurland, S. 281ff.; Lutz, S. 79ff. dazu Faber, S. 92ff.
272
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Im September 1820 wurde von Stuttgart aus das "Manuskript aus Süddeutschland" verbreitet. 5 Es verwies auf liberale und demokratische Tendenzen in den süddeutschen Staaten und trat in Abgrenzung gegenüber Preußen und Österreich für einen Sonderbund der süddeutschen Staaten ein. Die Schrift entsprach in Form und Inhalt weitestgehend der württembergischen Bundespolitik. Nach Auseinandersetzungen im Bundestag gelang es den beiden Hegemonialmächten, durch ihren politischen Einfluß die Absetzung des württembergischen Oppositionsführers Wangenheims6 durchzusetzen und die liberale Opposition im Bundestag zu zerschlagen. 7 Auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik scheiterten die kleineren Länder an der eigenen Uneinigkeit und der mangelnden Bereitschaft Österreichs, der preußischen Zolloffensive entgegenzutreten.8 Die entsprechenden Konferenzen endeten 1825 ergebnislos, und auch die letzten Abwehrmaßnahmen gegen den expandierenden preußischen Zollbereich, der mitteldeutsche Handelsverein vom September 1828 und der norddeutsche Zollverband von 1830,9 blieben ohne Erfolg. In Folge der französischen Juli-Revolution verbanden sich die politischen Tendenzen von Konstitutionalismus und Liberalismus mit dem nationalen Gedanken und erhielten starken Auftrieb. Die konkreten Reaktionen waren aber in den Bundegebieten sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wegen der vielfachen Verfassunggebungen und -änderungen in den Ländern kann man von dieser Zeit auch als einer zweiten Verfassungswelle reden. 10 In Preußen fielen die Erschütterungen der Juli-Revolution nur gering aus. 11 Praktiziert wurden die liberalen Gedanken hauptsächlich in der preußischen Wirtschaftspolitik. Preußen erkannte die Gelegenheit, über die wirtschaftliche Entwicklung Österreich als führende Staatsmacht der deutschen Gebiete zu verdrängen; das entsprechende Mittel war die Zollpolitik. 1 2 Der preußischsüddeutsche Handelsvertrag vom Mai 1829 wurde zum Ausgangspunkt für den preußisch-deutschen Zollvereins, der am 1. Januar 1834 gegründet wurde.
5
Vgl. Huber I, S. 754ff. Zur Person Wangenheims vgl. Huber I, S. 382 m.Nw. 7 Siehe dazu Huber I, S. 757f. 8 Dazu genauer Huber I, S. 671f., 810ff.m.Nw. 9 Vgl. Lutz, S. 78. 10 Vgl. Schieder, S. 120f. 11 Vgl. Faber, S. 138f., 152f. 12 Siehe dazu die detailierte Darstellung in Huber I, S. 787ff.m.Nw.
6
I. Politische Entwicklung
273
Im Gegensatz dazu behielt der österreichische Staat seine eher rückständige Sozial- und Wirtschaftsstruktur. 13 Die Juli-Revolution in Frankreich löste auf östereichischem Boden nur wenige Protestaktionen aus, 14 und der Thronwechsel von 1835 änderte an diesen Verhältnissen prinzipiell nichts. 15 Die mittleren und kleineren Länder zeigten sehr unterschiedliche politische Zustände. Gemein war ihnen vor allem zwei Tendenzen. In den norddeutschen Gebieten überwog eine Gesellschaft mit einer organischen konservativen Struktur und einer altständischen Orientierung; dazu standen diese Länder wirtschaftlich im Schatten Preußens. In den süddeutschen Ländern traten dagegen moderne Kräfte zu Tage. Die wirtschaftliche Entwicklung begünstigte die Bildung einer bürgerlichen Schicht, und die fortschrittlichen Landesverfassungen sorgten auch auf der politischen Ebene für stärkere liberale Einflüsse. Die Reaktion auf die französische JuliRevolution fielen in diesen kleinen Ländern stärker aus als in Preußen oder Österreich. Soweit sich eine liberale Opposition schon gebildet hatte, verlangte sie jetzt politische Rechte; dies war vor allem in den süddeutschen Landtagen der Fall. 1 6 In den übrigen Gebieten kam es hauptsächlich dort zu gewalttätigen Umstürzen, wo die sozialen Spannungen und das Reformbedürfnis besonders groß waren. 17 Die verschiedenen liberalen Aktionen lösten auf der Seite Österreichs und Preußens unmittelbar repressive Gegenmaßnahmen aus. 18 Die sechs Artikeln vom Juni 1831 19 wurden im Juli 1832 durch zehn Artikel ergänzt. 20 In einem geheimen Protokoll vom 12. Juni 1834 einigten sich die Bevollmächtigten des engeren Rates auf weitere Maßnahmen zur Wiederherstellung der restaurativen Ordnung 21 . Metternich hatte sich mit seinen restaurativen Vorstellungen im Bund noch einmal durchsetzten können. Für die längerfristige Entwicklung bedeutete die Zeit nach der JuliRevolution aber einen Umbruch. 22 Die Ereignisse hatten gezeigt, daß liberale
13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Text Text Text Vgl.
Lutz, S. 23ff. Faber, S. 153; Lutz, S. 184ff. Lutz, S. 186ff.; Faber, S. 153. Schieder, S. 120ff.; Huber Π, S. 30ff.; Faber, S. 145ff. Faber, S. 136f., 140ff. Huber II, S. 154ff.m.Nw. in Huber, Dokumente, S. 132f. in Huber, Dokumente, S. 134f. in Huber, Dokumente, S. 137ff. dazu auch Schieder, S. 117f., 128, 132ff.; Lutz, S. 170f., 178ff.
18 Grzeszick
274
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
und demokratische Kräfte weit verbreitet waren und sich auf eine breitere Anhängerschaft stützten. Allgemein war die intensive Rezeption nationaler und liberaler Gedanken eingeleitet worden, die in den nächsten Jahren fortlief. Neben der konkreten Frage nach Konstitutionen und Bürgerrechten führten die Ereignisse zu einer Stärkung der politischen Bewegungen; vor allem liberale und nationale Vorstellungen wurden weiter ausgebaut. Die personellen Organisationsversuche zeigten erste Tendenzen zur Bildung von modernen politischen Parteien. 23 Auch die ökonomische und soziale Entwicklung in Richtung einer bürgerlichen Gesellschaft lief ungebremst weiter, und die verschieden Zollverträge kündigten auch auf der politischen Ebene die Tendenz zu einer nationalen liberalen Vereinigung an. Obwohl die Ideen der neuen politischen Bewegungen nicht praktisch umgesetzt wurden, waren sie im Bewußtsein der politisch interssierten Bevölkerung vorhanden und entwickelten eine steigende Anziehungskraft. 24 Die deutschen Auswirkungnen der Juli-Revolution bestärkte Österreich und Preußen in der gemeinsamen Bundespolitik der Restauration. Während 1835 auch auf der bundespolitischen Ebene die Verhältnisse von 1820 wieder hergestellt waren, vergrößerten sich die politischen Spannungen im Bund weiter. Die Entwicklung nationaler und liberaler Kräfte war zwar noch einmal von der offiziellen staatlichen Ebene verdrängt worden. Die fortschreitende Modernisierung der Gesellschaft brachte ihnen aber weitere Unterstützung, weshalb ein neuer Umsturzversuch nur eine Frage der Zeit war.
I I . Zur Entwicklung der Bundestheorien 7. Tendenz bis 1830 Nachdem die Wiener Schlußakte den Bundescharakter als den einer losen föderalen Verbindung selbständiger Staaten festgeschrieben und die politische Gefahrenabwehr zum Bundeszweck bestimmt hatte, sank das Interesse an föderalen Theorien erheblich. 25 Engere föderale Verbindungen waren auf der Bundesebene nicht absehbar. Auch moderne konstitutionelle Ideen wurden durch die Politik der Restauration zurückgedrängt. Dennoch beschäftigten sich auch in dieser Phase einige Autoren mit dem Themengebiet Staatenbund und Bundesstaat.
23 24 25
Vgl. Brandt, S. 41ff., 56ff.m.Nw.; Lutz, S. 171ff. Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte Π, S. 397ff., 413ff.m.Nw. Vgl. Koselleck, S. 658f.; Dreyer, S. 107.
II. Zur Etwicklung der Bundestheorien
275
a) Einzelne Werke aa) Robert von Mohl Robert von Mohls staatsrechtliche Vorstellungen waren von einem vernunftrechtlichen Liberalismus geprägt. 26 Schon drei Jahre nach Abschluß seines Studiums27 veröffentlichte er 1824 eine Schrift über das Bundes Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika. Vorausgegangen war die Bekanntschaft mit dem amerikanischen Konsul in Paris, der ihm eine Sammlung von Schriften über Amerika zur Verfügung gestellt hatte. 28 Das "Bundes - Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord - Amerika" machte Mohl weithin bekannt und diente als Informationsquelle über die amerikanischen Verfassungsverhältnisse. 29 Mohl widmete sich in dieser Schrift ausführlich den Ereignissen in Amerika und nahm diese als Vorbild für seine föderalen Überlegungen. Auch Mohl ging dabei vom Begriffspaar von Staatenbund und Bundesstaat aus. 30 Kernpunkt von Mohls föderalen Vorstellungen war die Frage, wie zwischen den beiden Verbindungsformen differenziert werden konnte. Maßgebliches Kriterium war bei ihm die Stellung des Bürgers. Im Gegensatz zu einem Staatenbund, wo der Bürger als Inhaber von Rechten und Pflichten unmittelbar nur mit dem Mitgliedsstaat in Verbindung stand, sollte im Bundesstaat der Bürger auch zum Bund eine entsprechende unmittelbare Beziehung haben. Die liberalen Bürgerrechte sollten ihm sowohl gegenüber dem Heimatstaat als auch gegenüber dem Bund zustehen.31 Im Gegensatz zu den Ausführungen zum doppelten Bürgerrecht waren die übrigen staatsrechtlichen Überlegungen unpräzise. Auch der Bundesstaat sollte aus einzelnen Staaten mit einem eigenen Bereich bestehen.32 Andererseits sollten die Länder eines Bundesstaates aber nur freiwillige, privilegierte Zusammenschlüsse sein. 33 I m übrigen sollten sie alle ihnen als Staat zustehenden Rechte auf den Bund übertragen haben, 34 was die Aufgabe ihrer
26 27 28 29 30 31 32 33 34
Vgl. Stolleis, Geschichte 2, S. 173ff.m.Nw. Vgl. Brandt, S. 61. So Kleinheyer, S. 181. So Kleinheyer, S. 181; Koselleck, S. 663 Anm. 407. Mohl, Bundes-Staatsrecht, S. 381. Mohl, Bundes-Staatsrecht, S. 381. Mohl, Bundes-Staatsrecht, S. VI. Mohl, Bundes-Staatsrecht, S. V I . Mohl, Bundes-Staatsrecht, S. 342.
276
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Staatlichkeit bedeutete. Eine den Bürgerrechten entsprechende Aufteilung der Hoheitsrechte bzw. der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern kannte das Bundesstaatsmodell Mohls nicht.
bb) Sylvester Jordan Sylvester Jordan war seit 1822 Professor für Staatsrecht in Marburg. Auch er war ein Verterter frühliberaler Positionen. Seine Darstellungen waren grundsätzlich am positiven Recht orientiert und versuchten, vor einem historischen und vernunftrechtlichen Hintergrund zu konkreten politischen Lösungsvorschlägen zu gelangen.35 Bezüglich der Staatszwecke begrenzte Jordan den Staat auf die Aufgabe der Rechtsverwirklichung, 36 worunter er vor allem Menschen- und Bürgerrechte 37 sowie ein aus Volksvertretern gebildetes Parlament verstand. 38 Als Staatsform bevorzugte er für die deutschen Gebiete eine repräsentative Erbmonarchie. 39 Einige seiner Gedanken verwirklichte er in der kurhessischen Verfassung von 1831. 40 Bei seinen föderalen Überlegungen orientierte sich Jordan stark am alten Reich. Auch er unterschied zwischen Staatenbund und Bundesstaat. Während der Staatenbund nur eine rein völkerrechtliche Sozialgewalt hatte, bestand der Bundesstaat aus einer Vereinigung mehrerer Staaten unter einer gemeinsamen obersten Staatsgewalt. Der Bundesstaat war demnach ein Gesamtstaat mit selbständigen, aber in ihren staatlichen Rechten beschränkten Mitgliedern. 41 Soweit der Bundesstaat seinen Zweck nicht mehr erfüllte, waren die Mitglieder berechtigt und verpflichtet, aus diesem Verband auszutreten. 42 Wie Mohl sprach auch Jordan von einem doppelten Bürgerverband im Bundesstaat. Der Bundesstaat sollte aber bei Jordan nur über seine Mitgliedsstaaten direkt herrschen, während er über die Bürger mittelbar herrschte. 43 Das Kaiserreich war daher für ihn ein typischer Bundesstaat.
35 36 37 38 39 40 41 42 43
Vgl. Stolleis, Geschichte 2, S. 168f. Jordan, Lehrbuch, § 36. Jordan, Lehrbuch, § 72f. Jordan, Lehrbuch, §§ 42, 73. Jordan, Lehrbuch, § 42 II. Vgl. dazu Seier, Sylvester Jordan, sowie Kaiser, Silvester Jordan. Jordan, Versuche, S. 194ff. Jordan, Versuche, S. 207. Jordan, Versuche, S. 205.
II. Zur Elitwicklung der Bundestheorien
277
Obwohl sich aus liberaler Sicht Staatenbund und Bundesstaat bei Jordan nur wenig unterschieden und allmählich ineinander übergingen, bevorzugte er den Bundesstaat. Von dieser Staatsform erwartete er eine bessere Wahrung des Staatszweckes.44
cc) Karl Friedrich Vollgraf Karl Friedrich Vollgraf war ein Kollege von Jordan und Professor für Staats Wissenschaft in Marburg. Als Anhänger einer konstitutionellen Monarchie liberaler Prägung veröffentlichte er in Gießen seine "Systeme der praktischen Politik". In deren viertem Band beschäftigte er sich mit Bundesstaaten und Staatenbünden. Vollgraf entwickelte verschiedene Systeme im Übergang zwischen Bundesstaaten und Staatenbünden. Er kannte un verbundene Staatensysteme, Staatenbünde mit integrierten Gesandten und den Bundesstaat mit einem temporären Wahloberhaupt und einer Zentralgewalt. 45 Wie Jordan bevorzugte auch Vollgraf monarchische Staatsformen. 46 Maßgebliches Kriterium zur Unterscheidung föderaler Verbindungen war für Vollgraf die Stellung der Gesandten bzw. Vertreter der Mitgliedsländer. Im Staatenbund waren dies regelmäßig instruierte Gesandte, die Vetorechte ausüben konnten. Im Bundesstaat waren dies freie Deputierte, die durch Mehrheitsentscheidungen handelten.47 Einen Bundesstaat konnten deshalb nach Vollgraf nur Republiken bilden, nicht Monarchien. Da in der Bundesversammlung des Deutschen Bundes instruierte Gesandte saßen, die aber regelmäßig durch Mehrheitsentscheidungen handelten, sah Vollgraf den Deutschen Bund als eine Mischform zwischen Staatenbund und Bundesstaat an.
b) Einordnung dieser Zeitspanne Die Arbeiten zwischen der bundespolitischen Durchsetzung der Restauration und der Juli-Revolution beinhalteten nur eine geringe Fortbildung föderaler
44 45 46 47
Jordan, Versuche, S. 205ff. Vollgraf, Systeme, Band 4, S. 97ff. Vollgraf, Systeme, Band 3, S. 207ff. Vollgraf, Systeme, Band 4, S. 97ff.
278
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Modelle. Systematische und staatsrechtliche Abhandlungen über Zweck, Grenzen und konkrete Kompetenzverteilung in föderalen Staatsverbindungen brachten kaum Fortschritte für die Behandlung föderaler Verbindungen. Eindeutig feststellbar waren aber die Einflüsse liberalen Gedankengutes. Die festgestellte Entwicklung hin zum Schutz der liberalen Bürgerrechte und der sie in der Praxis schützenden Ländersphären hielt an. Als Differenzierungskriterien zwischen den föderalen Verbindungsarten wurden oft die politischen Rechte der Bürger im und gegenüber dem Staat genannt. Entsprechend dem überwiegend politischen Charakter der Darstellungen wurden Forderungen nach einer modernen Verfassungsgebung geäußert. Neben dem Monarchen sollte eine Repräsentation gebildet und in den Verfassungen liberale Rechte verbrieft werden. Die Arbeit von Vollgraf zeigte schon die weitere Entwicklungsrichtung des Liberalismus, die von den liberalen Schutz- und Abwehrrechten gegen den Staat hin zu politischen Beteiligungsrechten an der Machtausübung ging. Auch als Unterscheidungsmerkmal zwischen den föderalen Verbindungsformen griff Vollgraf auf die Stellung der Gesandten bzw. Vertreter der Mitgliedsländer beim Bund zurück. Die politische und rechtliche Stellung der Mitglieder der Repräsentation wurde dadurch in direkte Beziehung zu staatsrechtlichen föderalen Strukturen gesetzt. Der Schritt zum Bundesstaat als liberalnationalem Hoffnungsträger und damit staatsrechtlicher föderaler Form moderner politischer Forderungen war nicht mehr weit.
2. Neue Ideen in Folge der französischen Juli-Revolution Die Reaktionen auf die Juli-Revolution brachten einen Innovationsschub für die politische Entwicklung in den deutschen Gebieten. Vertreter nationaler und liberaler Gedanken, die in der Zeit nach den Karlsbader Beschlüssen verfolgt und unterdrückt worden waren, konnten nun ihre Ideen frei äußern und, wo sie auf Resonanz stießen, teilweise auch in die Tat umsetzen. Schwerpunkt dieser Entwicklung waren die süddeutschen Länder. Die wegen der dort bestehenden frühliberalen Verfassungen gebildeten landständischen Repräsentationen waren Sammelpunkte moderner politischer Ideen und deren Anhänger geworden. In der Auseinandersetzung mit den vor allem in den ersten Kammern vorhandenen konservativen und restaurativen Vertretern entwickelte der Liberalismus
. Zur Etwicklung der Bundestheorien
279
Vorformen des Parteiwesens. 48 Die Akzentuierung liberaler Gedanken wurde unterstützt von Seiten vieler höherer Beamter, die in den durch Reformen modernisierten süddeutschen Staaten einflußreiche Positionen besetzten.49 Der beschränkte Darstellungs- und Wirkungsbereich der liberalen Opposition in den Länderkammern sowie der durch die Verfassungen abgesicherte Handlungsvorsprung der Regierungen hatte aber in der Zeit nach 1820 auch die Grenzen der frühliberalen Politik gezeigt. Neben die freiheitsbetonten und vernunftrechtlichen Positionen trat daher allmählich der Nationalstaatsgedanke und die Vorstellung einer einheitlichen politischen deutschen Nation, die zum Hoffnungsträger fortschrittlicher Gedanken wurde. 50 Die Vorgänge beinhalteten auch für die föderalen staatsrechtlichen Überlegungen einen Entwicklungsschub. Neben von Gagern waren Pfizer und Welcker die Haupvertreter dieser neuen Entwicklung. Pfizer und Welcker waren gleichfalls in der süddeutschen liberalen Landespolitik verwurzelt.
a) Einzelne Vertreter aa) Paul Achatius Pfizer (1) Leben und Werk Paul Achatius Pfizer stammte aus einer alten württembergischen Juristenfamilie. 51 Er studierte in Tübingen Jura und trat 1823 in den württembergischen Staatsdienst ein. Zunächst ging er nur seinen literarischen Neigungen nach; er wurde erst in Folge der Juli-Revolution politisiert. In seinem 1831 veröffentlichten "Briefwechsel zweier Deutscher" vertrat er offen liberale Positionen und forderte eine politische Nationaleinheit Deutschlands; sein Ziel für die deutschen Gebiete war ein republikanisches und nationales Föderativsystem. Aufgrund dieser Schrift wurde Pfizer schnell zu einer Symbolfigur der erstarkten liberalen und nationalen Bewegung. Er mußte den Staatsdienst quittieren, bekam dann aber Wahlkreisangebote und führte im württembergischen Landtag von 1831 bis 1838 die Opposition. 1848 war er im Märzministerium württembergischer Kulturminister und zugleich Mitglied des
48
Vgl. dazu Brandt, S. 56ff., 329ff. Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte II, S. 210ff., 413ff. 50 Dazu Wehler, Gesellschaftsgeschichte II, S. 397ff., 415ff. 51 Dazu und zum Folgenden vgl. Dreyer, S. 111; Brandt, S. 54f.; Stolleis, Geschichte 2, S. 178f.; jew.m.Nw. 49
280
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Paulskirchenparlaments. Wegen Krankheit trat er aus der Nationalversammlung bald wieder aus. Pfizer starb 1867.
(2) Grundsätze seines staatsrechtlichen
Denkens
Pfizers staatsrechtliche Darlegungen gaben verschiedene politische Einflüsse wieder. Obwohl er im politischen Leben ein herausragender Vertreter des süddeutschen Liberalismus war, fühlte er sich nicht allein dem Vernunftrecht verpflichtet, sondern kombinierte dies mit den historisch gewachsenen Umständen. Auf dieser Grundlage versuchte er, unter Einbindung romantischer und pietistischer Elemente einen Kompromiß zwischen dem monarchischen Prinzip und dem Gedanken der Volksfreiheit zu finden und dadurch eine Perspektive zu entwickeln. Der Gedanke der Nation war dabei von besonderer Bedeutung. In seinem Werk von 1835 52 konstruierte Pfizer ein Staatsmodell auf der Grundlage ursprünglicher Volksfreiheit. Während die folgende Phase bis zur frühen Neuzeit von der Unfreiheit der Menschen gekennzeichet war, stellte er danach eine Entwicklung fest, die mit einem neuen politischen Bewußtsein und der parlamentarischen Mitbestimmung an der monarchischen Machtausübung zu neuen Formen der Freiheit führte. Für Pfizer war weder die direkte Volksherrschaft noch die altständische Herrschaftsbeteiligung vertretbar. Er forderte ein repräsentatives Parlament, das von Weisungen und imperativen Mandaten frei sein sollte. Es sollte ein Selbstversammlungsrecht, ein Initiativrecht für Gesetze und das Budgetrecht erhalten, um ein Gegengewicht zur monarchischen Exekutive zu bilden. Das Parlament sollte dabei nach dem Prinzip der Gleichheit zusammengesetzt sein. Wahlbeschränkungen waren aber durchaus möglich. (3) Auffassung über den Bundesstaat In Pfizers "Briefwechsel zweier Deutscher" von 1831 53 diskutierten "Wilhelm" und "Friedrich" über die Frage einer deutschen Nation und deren föderale Gestalt.
52 Pfizer, Über die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Deutschland durch die Verfassung des Deutschen Bundes. 53 Der Schrift lag tatsächlich ein Briefwechsel zwischen Pfizer und seinem Freund Friedrich Notter zugrunde; vgl. Brandt, S. 54.
. Zur Etwicklung der Bundestheorien
281
Friedrich vertrat den Gedanken einer europäischen und universalistischen Nation für die deutschen Gebiete. 54 Er erörterte die Idee einer lockeren föderativen Verbindung der deutschen Länder, 55 einer unter der Vorherrschaft Österreichs stehenden engeren Verbindung 56 und den Gedanken eines neben Österreich und Preußen stehenden dritten Deutschlands der kleinen Länder. 57 Wilhelm bevorzugte eine Verbindung der deutschen Länder unter zunächst preußischer Vorherrschaft; Österreich sollte von diesem nationalen System ausgeschlossen werden. 58 Ziel der Entwicklung sollte ein republikanisches Föderativsystem sein. 59 Die deutschen Staaten und ihre Fürsten sollten erhalten bleiben, aber in Bundesangelegenheiten durch die preußische Regierung vertreten werden. 60 Daneben projektierte Pfizer eine Vertretung des gesamten deutschen Volkes, die aus Abgeordneten der Landstände bestehen sollte. 61 Zur Erreichung der Einheit war Wilhelm auch bereit, zumindest vorübergehend die Freiheit der Einheit unterzuordnen. Wenn die nationale Einheit nicht sofort erreicht werden konnte, sollten wenigstens die mit Verfassungen ausgestatteten Länder sich unter preußischer Vorherrschaft zusammenschließen.62 Das wirtschaftliche und militärische Übergewicht Preußens sollte durch die politischen und geistigen Errungenschaften der süddeutschen Staaten zum Teil aufgewogen werden; 63 die Anspielung auf die gescheiterte preußische Verfassungsbewegung war unübersehbar. 64 Aufgrund der preußischen Politik gegenüber Polen 65 relativierte Pfizer dann seine Aussagen. In der zweiten Auflage des Briefwechsels von 1832 betonte er eher die Freiheit als die Einheit und mißbilligte insbesondere die preußische Politik. 6 6
54
Pfizer, Briefwechsel, S. 128. Pfizer, Briefwechsel, S. 159. 56 Pfizer, Briefwechsel, S. 175. 57 Pfizer, Briefwechsel, S. 229. 58 Pfizer, Briefwechsel, S. 169. 59 Pfizer, Briefwechsel, S. 188f., 207f. 60 Pfizer, Briefwechsel, S. 228f. 61 Pfizer, Briefwechsel, S. 228f. 62 Pfizer, Briefwechsel, S. 162ff., 196ff., 209, 232f. 63 Pfizer, Briefwechsel, S. 229; deutlicher ders., Gedanken, S. 358f. 64 Pfizer, Briefwechsel, S. 209. 65 Vgl. zur Germanisierungspolitik gegen liberale und nationale polnische Tendenzen Schieder, S. 120; Mann, S. 442ff. 66 Pfizer, Briefwechsel, S. 202f. 55
282
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Der "Briefwechsel zweier Deutscher" war zunächst ein politischer Aufruf zu einer deutschen Einigung. 67 Die föderalen Elemente einer entsprechenden Verbindung wurden nur angedeutet, und von einem theoretisch durchdachten Modell konnte nicht die Rede sein. 68 Diese Richtung betrat Pfizer aber 1835 mit einer längeren Darstellung der Bundesverfassung. 69 Er erläuterte darin die verschiedenen Verbindungsformen zwischen Staaten. Das Völker- oder Staatenbündnis war ein völkerrechtliches Verhältnis, das nur einem vorübergehenden Zweck diente. 70 Der Staatenbund war gleichfalls ein völkerrechtliches Verhältnis von Staaten; er war aber auf Dauer angelegt. Die Mitgliedstaaten und deren Regierungen hatten die Stellung von Vereinsgenossen und damit auch ein Austrittsrecht. Die inneren Verhältnisse der Staaten wurden durch den Bund nicht berührt. 71 Im Bundesstaat hatten die Mitglieder kein Austrittsrecht. Die Bundesgewalt umfaßte alles, was zur Bildung und Wahrung der nationalen Gesamtheit und Wohlfahrt nötig war. Diejenigen Ziele, die von den einzelnen Mitgliedern verwirklicht werden konnten, blieben aber Sache der Länder. 72 Die Bürger der Gliedstaaten standen untereinander und im Verhältnis zum Bund in einer unmittelbaren rechtlichen Beziehung. Die Souveränität der Mitgliedsländer war beschränkt. Pfizer sprach von einer Halbsouveränität. 73 Als Grundlage eines Bundesstaates bevorzugte Pfizer theoretisch eine republikanische Vereinigung, in der die Einzelstaaten und deren Bürger untereinander rechtlich gleich waren. 74 Angesichts der Verschiedenheit der deutschen Gebiete schlug er aber für Deutschland eine preußische Hegemonie vor. Preußen sollte die vollzeihende Bundesgewalt ausüben, um eine Einheit rascher herzustellen. 75 Die gesetzgebende Gewalt sollte aber dem Grundsatz der Rechtsgleichheit entsprechen. Sie war der Nationalversammlung des
67 68 69 70 71 72 73 74 75
Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer,
Briefwechsel, Briefwechsel, Entwicklung. Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung,
Vorwort, S. fflf. S. 228f. S. S. S. S. S. S.
41. 40ff. 40ff. 42ff. 99f., 360. 98ff., 360ff.
II. Zur Etwicklung der Bundestheorien
283
Bundestages anvertraut. Der Bundestag diente dabei als Vertretung der Fürsten, 76 während die Nationalversammlung aus gewählten Bürgern bestand. Sie sollte umfassende konstitutionelle Befungnisse haben und die Einheit und Freiheit der deutschen Bürger repräsentieren. 77 Pfizer kritisierte den Deutschen Bund heftig. Er stellte fest, daß der Deutsche Bund prinzipiell ein Staatenbund war, der zur Abwehr außen- und innenpolitischer Feinde mit bundesstaatlichen Elementen versehen war. Pfizer sah im Deutschen Bund eines der größten Hindernisse bei der Herstellung einer Nationaleinheit. 78 Er forderte daher die Fortbildung des Bundes zu einem nationalen deutschen Bundesstaat.79
(4) Einordnung der Bundesstaatsvorstellungen
Pftzers
Der Bundesstaat war bei Pfizer der theoretische Ausdruck seines politischen Programms. Durch eine engere nationale Verbindung der deutschen Gebiete wollte er Einheit und Freiheit der Bürger verwirklichen, 80 weshalb er zur föderalen Verbindungsform des Bundesstaates gelangte. Zur nötigen Trennung von Österreich sah er aber keinen anderen Weg, als die kleineren Länder zumindest zeitweise unter preußische Vormachtstellung zu geben, obwohl er im grundsätzlich eine auf Gleichheit beruhende republikanische Föderation bevorzugte. 81 Pfizers Bundesstaatsmodell war frei von theoretischen Widersprüchen. Es unterschied sich von Staatenbund durch die Elemente des Austrittsrechts, der unmittelbaren Rechtsbeziehung zwischen der Bundesgewalt und den Bürgern sowie den umfassenden Zweck der bundesstaatlichen Gewalt. Im Verhältnis zu den Mitgliedsländern hatte die Bundesebene alle Kompetenzen, die zur Erreichung der nationalen, gemeinsamen Wohlfahrt erforderlich waren und deren Ziele von den einzelnen Mitgliedern nicht hinreichend verwirklicht werden konnten. 82 Pfizer faßte dies für die Länder unter dem Begriff der Halbsouveränität zusammen.
76 77 78 79 80 81 82
Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer, Pfizer,
Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung,
S. S. S. S. S. S. S.
96ff. 102ff. 181f. 162. 365. 99f., 360. 40ff.
284
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Ohne weitere Überlegungen zur Kompetenzverteilung im Bundesstaat ging Pfizer dann dazu über, die Vormachtstellung Preußens zu legitimieren. Die Auswirkungen dieser Hegemonie auf sein Bundesstaatsmodell behandelte er aber nicht. Pfizer wurde deshalb vorgeworfen, daß seine Überlegungen wenig fundiert waren. 83 Der zeitgenössische politische Kontext entschärft aber diesen Vorwurf zum Teil. Denn einerseits erkannte Pfizer die Gefahren einer preußischen Hegemonie. Die Forderung nach der Aufgabe der Freiheit zugunsten einer Einheit relativierte er rasch unter dem Eindruck der preußischen Politik nach der Juli-Revolution, und er verlangte für Preußen die Einführung eines liberalen Konstitutionalismus. 84 Andererseits bemühte sich Pfizer stets um realisierbare Vorschläge. Seine Ideen sollten in der praktischen Politik anwendbar sein oder zumindest die gegebenen politischen Verhältnisse berücksichtigen. Die Entwicklung seit dem Wiener Kongreß tendierte zu einer preußischen Vormachtstellung über Deutschland. Die entsprechende Tendenz des Bundesstaates bei Pfizer schien eine Vorwegnahme der späteren Entwicklung zum Norddeutschen Bund und der Reichsgründung zu sein. Kritischer fiel die Wahrung seiner liberalen Grundsätze aus. Bei der von Pfizer angenommenen Wechselwirkung zwischen der nationalen Einheit und der Freiheit der Bürger überschätzte er die Durchsetzungskraft des liberalen Gedankengutes; daß eine nationale Unitarisierung auch antiliberale Tendenzen fördern konnte, erkannte er nicht. 85 Dementsprechend unausgewogen war auch die Festlegung der preußischen Vormachtstellung auf der Bundesebene. Der vollständige Übergang der Exekutivkompetenzen an Preußen barg die Gefahr eines unitarisierenden und auf Dauer die preußische Vormachtstellung festigenden Machtgebrauchs. Die erstrebte Bildung der Nationalversammlung hätte zunächst kaum das Gewicht gehabt, diese ungleiche Machtverteilung zu balancieren, und der politische Interessengegensatz zwischen der rein preußisch beherrschten Exekutive und dem egalitären Bundesparlament wäre einer effektiven Zusammenarbeit zuwidergelaufen. Ein Bundesstaatsmodell als theoretisch und praktisch konkordante Lösung der Probleme gab Pfizer daher nicht. Aber er verdeutlichte die bestehenden
83 84 85
Dreyer, S. 113; Stolleis, Geschiche 2, S. 179. Pfizer, Entwicklung, S. 382. Pfizer, Entwicklung, S. 365.
. Zur Etwicklung der Bundestheorien
285
Gegensätze und föderalen Lösungsvorschläge und gab damit Denkanstöße, die zu ausgewogeneren Bundesstaatsmodellen führten.
bb) Friedrich von Gagern (1) Leben und Werk Friedrich von Gagern wurde als der älteste Sohn des Geheimrates und Reichsfreiherrn Christoph von Gagern geboren. 86 Er schlug die militärische Laufbahn ein. In Waterloo kämpfte er gegen Napoleon, und in der folgenden Zeit machte er im niederländischen Heer Karriere. Zusammen mit seinen Brüdern Max und Heinrich bildete er die berühmte politische Familie von Gagern. 87 Während sein Vater noch in der Tradition des Reichspatriotismus stand und als loyaler Staatsdiener bei der maßvollen Verteidigung und Reformierung des monarchischen Prinzips mithalf, war sein Bruder Heinrich 1832 und 1847 Führer der gemäßigten liberalen Opposition in der zweiten Kammer des Darmstädter Landtags und 1848 Präsident der Frankfurter Nationalversammlung. Er machte Friedrich auch mit modernem liberalen Gedankengut und dessen norddeutschen Vertretern bekannt. Als Mitsreiter auf Seiten der badischen und hessisch-darmstädtischen Regierungstruppen fiel Friedrich von Gagern am 20. April 1848 im Kampf gegen die Aufständischen in Baden.
(2) Föderale Überlegungen Beinahe alle Schriften Friedrich von Gagerns beschäftigten sich mit der politischen Zukunft der deutschen Länder. Äußerst bemerkenswert ist dabei, daß seine Werke allein für ihn selbst bestimmt und daneben nur seinem Vater zugänglich waren. 88 Die durch den Deutschen Bund erreichte Festschreibung des Partikularismus und die Verhinderung einer politischen nationalen Einheit drückten sich zunächst in seinem vorbehaltslosen Unitarismus aus. 89
86 Vgl. dazu und zur weiteren Lebensgeschichte von Friedrich von Gagern Angaben bei Heinrich von Gagern, Das Leben des Generals Friedrich von Gagern. 87 Siehe dazu: Deutscher Liberalismus im Vormärz. 88 So Dreyer, S. 115 m.Nw. 89 Dazu die Denkschriften von 1823 "Der gegenwärtige Zustand" und "Von der Notwendigkeit und den Mitteln, die politische Einheit Deutschlands herzustellen" in Gagern, H . , Leben des Generals Friedrich von Gagern, Band 1, S. 269ff., 278ff.
286
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Seine erste Schrift, die sich hauptsächlich mit dem Thema der föderalen und nationalen Zukunft der deutschen Gebiete beschäftigte, 90 zeigte ebenfalls überwiegend unitarische Züge. Allerdings wurden föderale Aspekte nun schon stärker berücksichtigt. Gagern benutzte darin den Dialog zwischen einem Unitarier und einem Föderalisten, um die zukünftige Gestalt der deutschen Gebiete zu entwerfen. Tragender Gedanke und zugleich Ziel der politischen Entwicklung war eine nationale Einheit der deutschen Gebiete. Gagern verfolgte in der Person des Unitariers den Plan, den Reichsgedanken aufzugreifen und unter Ausschluß Österreichs mit der Führung Preußens eine reichsständische Verfassung für die deutschen Länder einzuführen. Er setzte damit den Reichspatriotismus des Vaters fort, wobei auch romantische Einflüsse aus seiner Heidelberger Studienzeit deutlich wurden. Danach kritisierte Gagern den Deutschen Bund. Zunächst bestätigte er den Kompromißcharakter und die Zeitbedingtheit der Bundesform sowie die damit verbundenen Vorteile für die deutschen Gebiete. Allerdings nannte er auch die Nachteile der Bundesform und betonte, daß eine weitere Entwicklung des Bundes in Richtung einer nationalen politischen Einheit nicht zu erwarten war. Von einer engeren nationalen Verbindung erwartete er eine gestärkte außenpolitische Stellung der deutschen Gebiete in Europa sowie die allgemeine Förderung von Handel, Staatswesen und Wohlfahrt. Da der Deutsche Bund diese Vorteile nicht bieten konnte und eine entsprechende Entwicklung nicht zu erwarten war, forderte Gagern die Bildung eines Nationalstaates. Sein Hauptwerk über eine deutsche nationale Föderation war die Denkschrift "Vom Bundesstaat" aus dem Jahr 1835. 91 Wie seine übrigen Denkschriften war diese Arbeit zunächst nur seinem Vater und seinem Bruder bekannt. Erst 1856 wurden sie von Heinrich von Gagern veröffentlicht und blieben auch in der unmittelbaren Zeit danach ohne größere Resonanz.92 In dieser Denkschrift widmete sich Gagern zunächst den Begriff des Bundesstaates, um danach auf dessen Entstehungsbedingungen und Verfassung einzugehen. Inhaltlich vertrat er nun eher föderale Positionen, allerdings mit deutlichen unitarischen Tendenzen.
90 "Unitarier und Föderalisten" aus dem Jahr 1825/26 in: Gagern, H . , Leben des Generals Friedrich von Gagern, Band 1, S. 36Iff. 91 "Vom Bundesstaat" in: Gagern, H . , Leben des Generals Friedrich von Gagern, S. 372ff. 92 Vgl. dazu Dreyer, S. 115; Brie, S. 55; jew.m.Nw.
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Gagern definierte den Bundesstaat als eine Vereinigung mehrerer Staaten, die sich zur vollkommenen Erreichung des Staatszwecks einer gemeinschaftlichen Staatsgewalt unterwarfen, ohne daß die Regenten der einzelnen Staaten allen inneren Hoheitsrechten entsagten.93 Staatszweck war dabei allgemein die Begründung eines vollkommenen und gesicherten Bundesstaates.94 Bezüglich der Kompetenzverteilung im Bundesstaat ging Gagern davon aus, daß die Mitglieder alle äußeren und einen Teil der inneren Hoheitsrechte zugunsten des Bundes aufgaben. Sie verloren damit ihre Landessouveränität, und die Bürger hatten auch mit dem Bund unmittelbare hoheitsrechtliche Beziehungen. Für die Aufteilung der inneren Hoheitsrechte war Gagerns Prinzip, daß jedem, bei dem die nötige Einsicht vorausgesetzt werden konnte, alles das zu überlassen war, für dessen Gelingen er das meiste Interesse hatte, und nur insoweit Beschränkungen galten, als die Beeinträchtigung fremder Rechte zu befürchten war. 9 5 Gagern konkretisierte die Abgrenzung in der Weise, daß der Bundesgewalt als oberste Zentralgewalt vor allem das ausschließliche Waffenrecht zustand. Die Gesetzgebung sollte grundsätzlich zentral erfolgen; die Partikularstaaten hatten daran nur Mitwirkungsrechte. Ausnahmsweise sollte die Gesetzgebung den Einzelstaaten zustehen, wenn die Gegenstände in den einzelnen Territorien ohne Nachteil für die Bundeseinheit geregelt werden konnten. Die Beamten sollten alle im Bundesdienst stehen. Schließlich war ein Austrittsrecht für die Mitglieder nicht vorgesehen. Die weitgehend unitarisch orientierte Definition und Kompetenzbestimmung des Bundesstaates rechtfertigte Gagern mit den Vorteilen dieses Bundesstaates, die er im Vergleich mit Einheitsstaaten und Staatenbünden zog. Er ordnete den Bundesstaat zwischen Staatenbund und Einheitsstaat ein und betonte den allmählichen Übergang zwischen den verschiedenen Verbindungsformen. Der Bundesstaat war für ihn das Mittel, eine außenpolitische Macht zu bilden und eine innenpolitische Homogenisierung zu erreichen, ohne die verschiedenen lokalen und individuellen Bedürfnisse zu vernachlässigen. Dadurch sollten Integration und Beteiligung der Bürger bezüglich des Staatswesens gefördert und der lokale Wettbewerb erhalten werden. 96
93 94 95 96
Gagern, Gagern, Gagern, Gagern,
F., F., F., F.,
Vom Vom Vom Vom
Bundesstaat, Bundesstaat, Bundesstaat, Bundesstaat,
S. S. S. S.
372. 377. 377. 375f.
288
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Gagern gelangte zu einem abgestuften Staatsaufbau, der aus den Gemeinden, den Provinzen und dem Bund bestand.97 Daß der Bundesstaat Gagerns eine starke zentralistische und unitarische Tendenz hatte, lag an seinem Ziel eines starken deutschen Nationalstaates. Gagern sah den unitarisch organisierten Bundesstaat als Mittel zur Gewährleistung einer dauerhaften Nationaleinheit der deutschen Länder. Eine staatenbündische Organisatinsform war zu schwach, um die für ihn optimale Verfassung, den Nationalstaat, zu sichern. 98 Nach der Bestimmung des Bundesstaates untersuchte Gagern die Umstände und Bedingungen für die Bildung von Bundesstaaten. An erster Stelle stand die gemeinsame Nationalität. Wie viele zeitgenössische Denker verstand er darunter eine kulturelle Gemeinschaft, die vor allem durch Sprache, Sitten und Interesen definiert wurde. 99 Weiter sollten die Mitglieder an Größe und Macht nicht zu verschieden sein, da die tatsächliche Ungleichheit die Rechtsgleichheit im Bund gefährdete. 100 Gagern zog daraus den Schluß, daß eine Unterordnung zahlreicher kleinerer Staaten unter die oberste Bundesgewalt die besten Vorraussetzungen bot. Die Staatsform sollte im Bund und in den Ländern gleich sein. Prinzipiell waren republikanische oder monarchische Bundesstaaten möglich; aus Gründen der Stabilität und Autorität der Bundesgewalt tendierte Gagern aber zu einem monarchischen Bundesstaat.101 Schließlich verlangte er noch eine gewisse Mindestgröße des Bundes, um den Zweck des auswärtigen Schutzes auch tatsächlich erfüllen zu können, sowie eine große, geographisch günstig gelegene Bundeshauptstadt. Bei der Bestimmung der Begriffe und Bedingungen des Bundesstaatsmodells waren Anlehnungen an die deutschen Verhältnisse erkennbar. Deutlich wurde das bei der Konstruktion einer Bundesverfassung für die deutschen Gebiete, mit der Gagern seine Denkschrift abschloß. Als optimale Staatsform sah er die Verbindung von einer Erbmonarchie mit einer repräsentativen Verfassung. Der Monarch sollte für Autorität und Stabilität sorgen, und die republikanischen Elemente dienten der Wahrung von Freiheit und politischer Flexibilität. 102 Da zudem ein aus Erbmonarchien zusammengesetzter Bundesstaat auch eine
97
Gagern, F., Vom Bundesstaat, S. 377. Gagern, F., Vom Bundesstaat, S. 377f. 99 Gagera, F., Vom Bundesstaat, S. 378. 100 Gagera, F., Vom Bundesstaat, S. 378. 101 Gagera, F., Vom Bundesstaat, S. 379f. 102 Gagera, F., Vom Bundesstaat, S. 381. 98
II. Zur Etwicklung der Bundestheorien
289
erbmonarchische Spitze benötigte, 103 schlug er für den deutschen Bundesstaat ein erbliches Kaisertum mit einer repräsentativen Verfassung vor. 1 0 4 Um einem Machtmißbrauch entgegenzuwirken, sollte der Kaiser nicht gleichzeitig Fürst sein können. 105 Der Reichstag sollte aus zwei Kammern bestehen. Während in der ersten Kammer die Fürsten der Mitgliedsstaaten vertreten waren, bestand die zweite Kammer aus gewählten Abgeordneten. Diese sollten zu einem Drittel nach einem Zensussystem von Bürgern direkt gewählt werden; im übrigen wurden sie indirekt von den Landständen der Mitgliedsstaaten gewählt. 106 Gagern wandte sich schließlich dem Problem zu, wie seine föderale Staatsorganisation mit den bisherigen Modellen und Vorstellungen von Staatsverbindungen zu vereinbaren war. Er stellte fest, daß die Souveränität in der zeitgenössischen Staatstheorie als unteilbar und umfassend angesehen wurde. In seinem Bundesstaatsmodell wurden dagegen Hoheitsrechte sowohl vom Bund als auch von den Ländern ausgeübt. Gagern nahm an, diese Vorstellungen vereinbaren zu können. Er trennte gedanklich zwischen der Souveränität im Sinne der umfassenden Hoheitsmacht, die die Eigenschaft als Staat begründete, und der Ausübung einzelner Hoheitsrechte. Die Länder hatten zwar für ihre Territorien teilweise eigene, innere Hoheitsrechte. Da aber diese Landeshoheit prinzipiell der Reichs- bzw. Bundeshoheit untergeordnet war und der Bund selbst äußere und innere Hoheitsrechte hatte, die auch gegenüber den Ländern und deren Bürgern bestanden, wurde dadurch die Reichs- bzw. Bundesoberhoheit und damit die Souveränität der gesamten föderalen Verbindung nicht gestört. Gagern bezeichnete diese Vorstellung mit dem Begriff der Halbsouveränität. 107 Leider verdeckte der ungenaue Begriff die gedankliche Trennung zwischen der Souveränität bzw. der Staatlichkeit und den einzelnen Hoheitsrechten. Aber die Idee, Souveränität zu teilen oder von Hoheitsrechten zu unterschieden, war in der Erklärung Gagerns ausgesprochen.
103 104 105 106 107
Gagern, Gagern, Gagern, Gagern, Gagern,
19 Grzeszick
F., F., F., F., F.,
Vom Vom Vom Vom Vom
Bundesstaat, Bundesstaat, Bundesstaat, Bundesstaat, Bundesstaat,
S. S. S. S. S.
379. 381. 382. 382f. 383.
290
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
(3) Bewertung des Bundesstaatsmodells von Gagern Gagern erörterte als erster moderner Bundesstaatstheortiker ausdrücklich das Problem von Souveränität und Hoheitsrechten im Bundesstaat. Sein Modell berücksichtigte zudem in der Form der Erbmonarchie mit einer Repräsentation die politischen Gegebenheiten in Deutschland, die von republikanischen Verhältnissen noch weit entfernt waren. M i t dem Nationalgedanken verband Gagern die Kriterien der unmittelbaren hoheitsrechtlichen Verhältnisse von Bund und Land gegenüber den Bürgern mit der Frage der Kompetenzaufteilung und gelangte zu einer theoretisch konsequenten Lösung. Das Ziel einer engeren, nationalen Föderation brachte aber auch Probleme. Obwohl die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern theoretisch ausgewogen war und die Landeshoheit angemessen beschränkte, führte sie im Ergebnis zu einem zentralistischen und unitarisierenden Bund. Diese Verbindungsform der engen Föderation lief daraus hinauf, unter Ausgrenzung Österreichs einen starken deutschen Nationalstaat zu errichten; gleiches galt für die Kompetenzverteilung mit der prinzipiellen Tendenz zur Unitarisierung. Die praktische Verteilung der Exekutiv- und Legislativkompetenzen führte zu einer starken Bundesebene. Eine Verteilung nach dem Prinzip der Subsidiarität mußte hinter die Bildung eines Nationalstaates zurücktreten. Schnittpunkt dieser Problemfelder war die Bundesposition Preußens. Bei den theoretischen Erörterungen stellte Gagern fest, daß eine ausgewogene Bundeskonstruktion auch ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zwischen den Mitgliedern benötigte. Da Osterreich an einem nationalen Bundesstaat aber nicht beteiligt werden sollte, war die Vormachtstellung Preußens praktisch festgelegt. Eine Interpretation in dem Sinne, daß Preußen seine eigene Souveränität aufgeben und im Bundesstaat aufgehen sollte, setzte die Annahme der Kaiserkorone durch den preußischen König vorraus. Da aber der Kaiser nicht zugleich Fürst sein konnte, war ein derartiges preußisches Vorgehen unrealistisch. Das Verbot der Territorialherrschaft für den Kaiser war zwar eindeutig auf die Vermeidung einer vollständig preußisch dominierten Bundesebene zugeschnitten. Da aber weitere, direkte Äußerungen zu dem Verhältnis zwischen dem preußischen König und dem Bundeskaisertum fehlten, blieb die Lösung insgesamt undeutlich. 108 Dies galt um so mehr angesichts der Widersprüche zu den theoretischen Vorraussetzungen eines Bundesstaates.
108
So auch Brie, S. 57, Anm. 24.
II. Zur Etwicklung der Bundestheorien
291
Gagerns Bundesstaatstheorie fand in den politischen Gegebenheiten der Zeit ihre Grenzen. Sowohl das Grundprinzip der monarchischen Legitimation, das nur in Randbereichen durch eine repräsentative Verfassung korrigiert wurde, als auch die Vormachtstellung Preußens und seiner Wirtschaftspolitik verhinderten eine praktisch widerspruchsfreie Lösung. Die konsequente Fortführung der Teilung von Souveränität und Hoheitsrechten scheiterte an der Legitimität der Monarchen, die deren Souveränität stützte. Erst die Abkehr von der monarchischen Souveränität und der Übergang zu republikanischen föderalen Staatsverbindungen hätte Begriffe wie die Halbsouveränität auch praktisch umsetzen können. 109 Dazu lief die tatsächliche Machtverteilung auf eine preußische Hegemonialstellung zu, wie sie dann im Bismarckreich verwirklicht wurde. Eine monarchische Führung des Bundes und der Länder konnte dem nicht entgegenwirken, da dem Vormachtstreben Preußens keine praktikablen Lösungen oder Gegengewichte entgegengesetzt wurden. Auf der theoretischen Ebene enthielt das Bundesstaatsmodell Gagerns alle prinzipiellen Aspekte für die weitere Entwicklung des staatsrechtlichen Föderalismus. Begrenzt wurde es aber durch die tatsächlichen Verhältnisse und den staatsrechtlichen Ausgangspunkt der monarchischen Legitimation.
cc) Karl Theodor Welcker (!) Leben und Werk Karl Theodor Welcker studierte in Gießen und Jena Jura. 110 Er habilitierte sich 1813 in Gießen als Professor der Rechte. 111 1814 wechselte er nach Kiel, lehrte ab 1817 in Heidelberg, ab 1819 in Bonn und von 1822 an in Freiburg. Sein gesamtes Leben wurde begleitet von patriotischen und später radikal freiheitlichen Äußerungen. Ab 1831 war er zusammen mit Rotteck Führer der liberalen Opposition in der zweiten Kammer des badischen Landtages. Wegen seiner Äußerungen über die Pressefreiheit wurde er bereits 1832 seines Amtes enthoben und die Universität zeitweise geschlossen. Die Suspension wurde zwar 1840 aufgehoben, aber bereits im folgenden Jahr erneuert. An der
109
Vgl. Dreyer, S. 157ff., 590ff. Vgl. dazu und zum Folgenden Stolleis, Geschichte 2, S. 177f.; Brandt, S. 57f.; Kleinheyer, S. 355; Dreyer, S. 113f; jew.m.Nw. 111 Nach Stolleis, Geschichte 2, S. 177f., war Strafrecht sein eigentliches Fach; in Heidelberg und verstärkt in Freiburg widmete er sich dann dem Staatsrecht. 110
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G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Revolution von 1848 nahm Welcker als badischer Gesandter und Abgeordneter des Bundestages teil. In den letzten Lebensjahren entwickelte er eine starke Gegnerschaft gegen die preußische Politik unter Bismarck.
(2) Grundsätze seines politischen und staatsrechtlichen Denkens Wie Pfizer und Rotteck war auch Welcker ein Vertreter des süddeutschen Liberalismus. Ziel seiner staatsrechtlichen Gedanken war die Bewahrung und Förderung von Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen. Im Gegensatz zum Mitherausgeber des Staatslexikons und Freiburger Kollegen Rotteck war er aber kein Anhänger des primär vernunftrechtlich orientierten frühen Liberalismus. Welcker bevorzugte eine Verbindung der historischen und vernunftrechtlichen mit den aktuellen und praktischen Argumenten. Viele seiner Werke beruhten auf seinem Eintreten für nationale Einheit, Freiheit und Gerechtigkeit in Deutschland. Der Schwerpunkt seines Schaffens lag aber nicht in den Beiträgen zur wissenschaftlichen Diskussion, sondern in der praktischen Politik.
(3) Auffassung über föderative
Systeme
Welckers gesammelte Ansichten über föderative Systeme befanden sich im Artikel "Bund", den er im gemeinsam mit Rotteck ab 1836 herausgegebenen Staats-Lexikon 112 veröffentlichte. Welcker begann die Darstellung mit der Entwicklungsgeschichte der Bundesvereine, wobei er insbesondere auf die Schweiz und Nordamerika einging. 113 Danach nahm er eine Einteilung der Bundesvereine vor. Er erwähnte den Bundesstaat als eine staatsrechtliche Verbindung mit einem souveränen Gemeinwesen; die Souveränität der Mitgliedsstaaten war dabei zugunsten der Bundessouveränität weitgehend aufgehoben bzw. beschränkt. 114 Weiter nannte er den Staatenbund als eine völkerrechtliche Verbindung souveräner Staaten, die die äußeren Souveränitätsrechte der Mitglieder umfaßte. Die Allianzen
112 Das Staats-Lexikon war eines der bedeutendsten und verbreitetsten liberalen Werke seiner 2Zeit; vgl. dazu Stolleis, Geschichte 2, S. 160 m.Nw. 113 Welcker, Staats-Lexikon, Band 3, S. 77f. 114 Welcker, Staats-Lexikon, S. 79f., 84f.
II. Zur Etwicklung der Bundestheorien
293
regelten durch völkerrechtliche Verträge nur einzelne Pflichten zwischen souveränen Staaten.115 Den verschiedenen Verbindungsformen ordnete Welcker entsprechende Aufgaben und Organisationsformen zu. Hauptzweck eines Bundesstaates war nach Welcker die Bildung einer nationalen staatlichen Einheit. 116 Soweit die einzelnen Staaten dies nicht erreichen oder sichern konnten, sollte der Bundesstaat staatliche Aufgaben wahrnehmen. Der Bundeszweck umfaßte damit neben der umfassenden inneren und äußeren Sicherung des Bundes und seiner Mitglieder vor allem das Gesamtwohl der Nation. 117 Welcker betonte, daß der Bundesstaat auch die inneren staatsrechtlichen Verhältnisse direkt betraf und zur Bildung eines Bundesbürgerrechts führte. 1 1 8 Zudem hatten die Bundesmitglieder kein Austrittsrecht. 119 Aus dem Charakter und den Aufgaben des Bundesstaates Schloß Welcker auf die Bundesorganisation. Er verlangte zuerst ein Bundeshaupt. Dieser nach seinen Ausführungen monarchischen Behörde ordnete er vor allem exekutive Befugnisse zu; dazu sollte das Oberhaupt den Bund repräsentieren. 120 Als unmittelbare demokratische Repräsentation aller Bürger sollte aus gewählten Abgeordneten eine Nationalrepräsentation gebildet werden. In Anlehnung an die nordamerikanische Repräsentantenversammlung sollte die Volksversammlung das Recht zur Steuergesetzgebung haben und auch an anderen Gesetzgebungsgegenständen beteiligt werden. Daneben stand ihr das Recht zur Anklage gegen Bundesbeamte und den Präsidenten zu. 1 2 1 Die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten sollten im Senat durch Abgeordnete vertreten werden. Wie in Amerika sollte der Senat an der Gesetzgegung beteiligt sein. Daneben hatte er auswärtige und zum Teil judikative Befugnisse. 122
115 116 117 118 119 120 121 122
Welcker, Welcker, Welcker, Welcker, Welcker, Welcker, Welcker, Welcker,
Staats-Lexikon, Staats-Lexikon, Staats-Lexikon, Staats-Lexikon, Staats-Lexikon, Staats-Lexikon, Staats-Lexikon, Staats-Lexikon,
Band Band Band Band Band Band Band Band
3, 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3,
S. S. S. S. S. S. S. S.
80. 84, 88f. 84ff. 86ff. 95f. 92. 92. 92f.
294
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
Senat und Nationalversammlung sollten nach Möglichkeit zusammenarbeiten und im Gleichgewicht stehen. Sie sollten öffentlich verhandeln, beraten und beschließen, und vor allem die Volksrepräsentanten sollten an Instruktionen nicht gebunden sein. 123 Im Gegensatz zum Bundesstaat standen die Begriffe von Staatenbund und Staatenbündnissen. Sie waren völkerrechtliche Verbindungen souveräner Staaten und betrafen immer nur einige Teile der staatlichen Hoheitsgewalt; vor allem diente der Staatenbund nicht der Wahrung oder Herstellung des umfassenden Staatszweckes. Welcker ordnete dem Deutschen Bund den Charakter einens Staatenbundes zu. 1 2 4 Übergangs- oder Mischformen zwischen Bundesstaat und Staatenbund lehnte Welcker ab, da solche Formen keine stabilen politischen Verhältnisse garantieren konnten. 125 Gleichfalls wandte sich Welcker gegen die Form des Staatenbundes. Während ein Staatenbund leicht zur Wahrnehmung partikularer Interessen verleitete, war der höchste Staatszweck, die Bildung einer nationalen Staatenverbindung, nur von einem Bundesstaat zu erreichen, da er die Freiheit und Einheit der Bürger und der Bundesmitglieder in ein stabiles Gleichgewicht brachte. 126
(4) Bewertung der Bundesstaatsvorstellungen
Welckers
Die Tendenz und der genaue Inhalt der Bundesstaatsüberlegungen Welckers waren keinesfalls neu. Die Forderung nach einem Bundesstaat als nationale politische Einheit hatte sich bereits als politisches Gedankengut etabliert. Die Verfassungen der USA und der Schweiz waren mittlerweile bekannt, und die Abgrenzung von Staatenbund und Bundesstaat nach den Kriterien des Zweckes der Verbindung, der Souveränität der Mitglieder und der Stellung der Bürger gegenüber den Ländern und dem Bund wurde bereits gezeigt. An die Stelle neuer und differenzierter theoretischer Aspekte trat bei Welcker das politische Ziel der nationalen Einheit. Beispiel dafür war die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Während sich andere Publizisten mit der Aufteilung der Hoheitsrechte und der Souveränität im Bundesstaat beschäftigten, nannte Welcker hier schlicht den Begriff des
123 124 125 126
Welcker, Welcker, Welcker, Welcker,
Staats-Lexikon, Staats-Lexikon, Staats-Lexikon, Staats-Lexikon,
Band Band Band Band
3, 3, 3, 3,
S. S. S. S.
93f. lOOff., 114f. lllf. 112ff.
II. Zur Etwicklung der Bundestheorien
295
Nationalzweckes. Er setzte für den Bundesstaat Staatszweck mit Nationalzweck gleich. 127 Obwohl Welcker der Sache nach das Prinzip der Subsidiarität und der prinzipiellen Zuständigkeit der Länder bevorzugte, 128 begünstigte das Ziel der Nationalstaatsbildung einen engeren Bund, der die Rechte der Länder weitgehend beschränkte. Denn die Tendenz, zur Bildung eines nationalen Staates anzuregen, war bei Welcker offenbar. Angesichts der zeitgenössischen politischen Verhältnisse hätte die nötige aktive Einigung nur von einem starken und unitarischen Bundesstaat ausgehen können. Die Überlegungen Welckers zeigten damit den politischen Hintergrund für die weitere Entwicklung des Bundesstaats- und Verfassungsverständisses bei den deutschen Liberalen.
b) Bewertung dieser Zeitspanne Die Zeit nach der Juli-Revolution wurde von erheblichen praktischen und theoretischen Veränderungen bestimmt. Auf der theoretischen Ebene wurde der Übergang vom Reichsmodell zum modernen Bundesstaats- und Föderalismusverständnis abgeschlossen.129 Die Herausbildung moderner Staatlichkeit hatte im Reichsverband in den Ländern stattgefunden. Nach der Auflösung des Reiches und des folgenden Rheinbundes mußten föderale Systeme in Deutschland vom Prinzip der Souveränität der Länder ausgehen. Für engere Verbindungen bedeutete diese Souveränität ein Problem, da der Begriff absolutistisch geprägt war und die umfassende Einheit hoheitlicher bzw. staatlicher Macht forderte. Der Gedanke Gagerns, die Souveränität auf den föderalen Gesamtverband zu beziehen und die einzelnen Hoheitsrechte zwischen der Bundesebene und den Mitgliedern aufzuteilen, ermöglichte auch für engere, staatliche föderale Verbindungen eine widerspruchsfreie Konstruktion. Auf der politischen Ebene vermochten diese Theorien aber nicht zu überzeugen. Zum eine wirkte sich der verschleppte Übergang Deutschlands zum Verfassungs- und Nationalstaat aus. Da die Länder auf der Grundlage der monarchischen Legitimation regiert wurden, mußte auch ein gemeisamer Bund auf den Monarchen beruhen. Eine effektive Abgabe von Macht war aber von
127 128 129
Welcker, Staats-Lexikon, Band 3, S. 84. Welcker, Staats-Lexikon, Band 3, S. 84. Vgl. Brie, S. 53, Deuerlein, S. 73ff.; kritischer Dreyer, S. 110, 119.
296
G. Durchbrch der Bundesstaatsidee
den mächtigeren Fürsten nicht zu erwarten. Das monarchische Prinzip war in der politischen Praxis tendenziell auf unitarische Länder und deren lose föderale Verbindungsform des Staatenbundes ausgerichtet. Weiter bereitete die Einbindung Preußens in den Bund Probleme. Da wegen des Zieles der nationalen politischen Einheit Österreich an einer engeren föderalen Verbindung nicht teilnehmen sollte, wurde Preußen faktisch zur deutschen Bundesvormacht. Die zeitgenössischen Liberalen verlangten zwar für Preußen die Einführung einer Repräsentativverfassung. Der Gefahr einer preußischen Hegemonie über die engere nationale Föderation konnten sie keine Lösung entgegensetzen. Schließlich waren die vorgeschlagenen Bundesstaatsmodelle durchweg Mittel zur Herstellung eines deutschen Nationalstaates. Die Überlegungen Pfizers und Welckers zeigten deutlich, daß die Forderung nach einem Nationalstaat die anderen Aspekte staatlicher Ordnung integrierte oder überlagerte. Pfizers Werke appellierten zuerst an die nationale Einheit, von der er die Wahrung liberaler Grundsätze erwartete, ohne auf die mögliche Tendenz zur Bildung eines unitarischen Bundesstaates einzugehen. Welcker bestimmte sogar die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach einer national ausgerichteten Subsidiarität. Die Machtaufteilung hatte deshalb bei beiden süddeutschen Liberalen und bei Gagern unitarische und zentralistische Tendenzen. Das Subsidiaritätsprinzip wurde durch das Ziel der Einheit modifiziert. Ein stabiles föderales Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern war damit auf Dauer nicht gewährleistet. Diese Kritik muß aber im Kontext mit den aktuellen politischen Vorgängen zur Zeit der Entwürfe gesehen werden. Die in Folge der Juli-Revolution offen auftretenden nationalliberalen Gedankenträger förderten die Entwicklung moderner Bundesstaatsmodelle erheblich. Vor dem Hintergrund der liberalen süddeutschen Landesverfassungen und der politischen Lage in den deutschen Ländern war die Bildung eines unitarischen Nationalbundes nicht unmittelbar zu erwarten. Die politischen Schlußfolgerungen aus den Bundesstaatsmodellen erschienen deshalb eher als Appelle oder Bekenntnisse zu einer nationalen und liberalen Einheit denn als Gegenentwürfe gegen liberale und partikulare föderale Verbindungen. Auch die Bundesstaatsmodelle sollten die politische und individuelle Freiheit der Bürger sichern und auf die regionalen Besonderheiten Rücksicht nehmen, aber eben in einer nationalen politischen Einheit. Die entsprechenden Entwürfe hatten auch theoretische Lösungen für die Frage nach der Souveränität im Bundesstaat, aber auf der politsichen Ebene konnten sich ihre föderalen Überlegungen nicht durchsetzen.
ΠΙ. Entwicklung des Bundesrechts
297
I I I . Entwicklung des Bundesrechts /. Bis 1830 Die Entwicklung des Bundesrechts bis 1830 diente der Aufrechterhaltung der innenpolitischen Repressionen im Deutschen Bund, während die preußische Zollpolitik gleichzeitig fortschritt. Hauptgegenstand der Restauration im Sinne Metternichs war die Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse am 16. August 1824. 130 Dazu wurden die Einzelstaaten verpflichtet, sorgfältig auf die Einhaltung des Artikels 57 der Wiener Schlußakte zu achten; vor allem sollten die landständischen Verhandlungen nicht mehr öffentlich sein. In der Zoll- und Wirtschaftsgesetzgebung unterblieb jegliche Tätigkeit des Bundes, nachdem die in Artikel 19 der Bundesakte geplanten Verhandlungen gescheitert waren. 131
2. Ab 1830 Die Folgen der französischen Juli-Revolution brachte eine zweite Welle der Landes Verfassungsgebung. 132 In Preußen und Österreich wurden die nationalliberalen und konstitutionellen Tendenzen aber abgelehnt, und dementsprechend waren auch Bundespolitik und Bundesrecht restaurativ und repressiv geprägt. Bereits am 21. Oktober 1830 wurde ein "Bundesbeschluß über Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland" gefaßt. 133 Darin wurde die in Artikel 26 der Wiener Schlußakte vorgesehene Bundesintervention um die Möglichkeit der direkten nachbarschaftlichen Intervention erweitert, um im Konfliktfall das monarchische Prinzip auch gegen liberal geführte Länder abzusichern. Nach geheimen Sonderverhandlungen zwischen Österreich und Preußen wurde aus Anlaß des Hambacher Festes ein weiterer "Bundesbeschluß über Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung in Deutschland" gefaßt. 134 Diese sechs Artikel vom 28. Juni 1832 enthielten eine Festlegung der landständischen Verfassungen im Sinne des monarchischen
130 131 132 133 134
Vgl. Vgl. Vgl. Text Text
dazu Huber I, S. 765f.m.Nw. Huber I, S. 802ff. Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 327ff.; Huber II, S. 30ff. in Huber, Dokumente, S. 130ff. in Huber, Dokumente, S. 132f.
298
G. Durchbrch der Bundesstaatsidee
Prinzips und waren vor allem gegen Unternehmungen der landständischen Opposition gerichtet. 135 Der dann folgende Bundesbeschluß vom 5. Juli 1832 136 enthielt weitere Maßregeln zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und gesetzlichen Ordnung, darunter ein allgemeines Parteienverbot und Beschränkungen der Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit. Nach der Untersuchung des Frankfurter Wachensturms vom April 1833 wollte Metternich mit Bundesmitteln Repräsentativverfassungen generell ausschließen. Am 12. Juni 1834 einigten sich die Minister des engeren Rates 137 auf insgesamt sechzig Artikel, 1 3 8 die zum Teil geheim blieben. Ziel der sechzig Artikel war die Bekämpfung von Repräsentativverfassungen, die zum Teil in den Ländern bestanden. Dazu wurde das monarchische Prinzip betont und die landständischen Rechte der Landtagskammern eng begrenzt; entgegenstehende Verfassungen wurden verboten. Weiter wurden Zensur und Überwachungen verschärft, um der Opposition die Möglichkeit öffentlicher Rede zu nehmen. Die Landesregierungen konnten damit zwar unter der Führung von Preußen und Österreich ihre Herrschaft behaupten, aber die nationalen, liberalen und demokratischen Kräfte waren bereits zu stark, um durch teilweise geheime Beschlüsse dauerhaft unterdrückt zu werden.
I V . Einordnung der Zeit Die Entwicklung des Deutschen Bundes als föderales System der deutschen Länder bestätigte die bei seiner Gründung 1815 und der Ergänzung von 1819/20 zugrundelegten eingeschränkten politischen und staatsrechtlichen Zwecke.
/.
Politik
Bereits nach der durch die Wiener Schlußakte erfolgten Betonung des staatenbündischen und restaurativen politischen Bundescharakters verlor der
135 136 137 138
Vgl. Text Vgl. Text
Huber II, S. 154ff. in Huber, Dokumente, S. 134f. dazu im einzelnen Huber Π, S. 177ff. in Huber, Dokumente, S. 137ff.
I V . Einordnung der Zeit
299
Bund die politische Funktion, das europäische Mächtegleichgewicht auf internationaler Ebene zu garantieren. Allerdings verhinderte er weiter ein einseitiges außenpolitisches Hegemoniestreben der deutschen Großmächte Preußen und Österreich. Die deutschen Gebiete konnten zwar keine engere nationale Einheit bilden, aber der Zusammenhalt im Bund verhinderte zugleich den Ausbau der politischen Macht der Nachbarn durch Eroberungen oder Bündnisse. Die damit geschützte Existenz der monarchisch regierten Länder wurde durch die Ereignisse ab 1830 bestätigt. Gewalttätige Umstürze waren eher selten; häufiger wurden Landesverfassungen erlassen, die regelmäßig die bundesrechtlichen Vorgaben beachteten. Obwohl die liberalen und nationalen Kräfte offen auftraten, konnten die restaurativen Politiker unter der Führung Österreichs und Preußens bis 1835 die neuen Ideen zugunsten der alten Ordnung noch einmal eindämmen. Die politische und soziale Modernisierung der Gesellschaft schritt aber stetig fort. Obwohl die Entwicklung aus staatsrechtlicher Sicht in Deutschland bis 1830 stagnierte, entwickelten vor allem die fortschrittlichen Länder Elemente einer bürgerlichen Gesellschaft. Die liberalen süddeutschen Landesverfassungen boten zugleich in den Kammern der Landtage politische Betätigungsfelder für liberale Denker. Obwohl deren Wirkungskreis stark beschränkt blieb und die liberalen Kammermitglieder gegenüber den Regierungen tatsächliche Erfolge nur in eingeschränktem Maße erzielen konnten, trug die eingegrenzte Öffentichkeit bei zur Bildung und Stärkung eines liberalen Bewußtseins. Ergänzt durch überregionale Verbindungen waren nun erste Ansätze eines Parteiwesens erkennbar. Diese Vorgänge durften aber nicht über die tatsächlichen Machtverhältnisse hinwegtäuschen. Österreich und Preußen beharrten auf der restaurativen Bundespolitik und verweigerten sich einer modernen Verfassungsgebung. In Preußen war diese Politik mit einem starken wirtschaftlichen Aufschwung verbunden, der mit der Zollpolitik unterstützt wurde. Der österreichische Einfluß auf die Bundesmitglieder ging dagegen vor allem im ökonomischen Bereich stetig zurück. Nach der Juli-Revolution bestätigten Preußen und Österreich die Bundesaufgabe der repressiven Restauration. Obwohl nach 1834 die Entwicklung des politischen Liberalismus auf breiterer, allgemeiner Basis weiterlief und die ökonomische Entwicklung die Länder stärker verband, gab es auf der Bundesebene keine Reformen. Die Bundesverfassung und die darauf gestützten Maßnahmen verblieben bei der 1815 bzw. 1820 festgelegten Zielsetzung.
300
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
2. Ideengeschichte Bezüglich der ideengeschichtlichen Entwicklung des Bundes war die Zeit bis 1830 von Stagnation gekennzeichnet. Im Gegensatz dazu stand die Entwicklung in den fortschrittlicheren süddeutschen Ländern. Als Antwort auf die bundespolitisch betriebene Restauration wurde die innere Selbständigkeit und die Unabhängigkeit der Länder gegenüber dem Bund stärker betont. Das Landesverfassungsrecht wurde intensiv bearbeitet. 139 Während in Österreich und Preußen bis 1848 keine wesentlichen konstitutionellen Neuerungen erfolgten, entwickelte sich in den modernen, verfaßten Ländern schrittweise ein umfangreiches und liberal geprägtes Verfassungs- und Staatsrecht. 140 Nach 1825 zeigten dann verschiedene kleinere Arbeiten die allmähliche Übertragung moderner politischer Ideen auf die Bundesebene.141 Die in den Ländern verfochtene Idee einer modernen Volksrepräsentation und weitere, liberale verfassungsrechtliche Positionen wurden im Sinne einer nationalen politischen Einheit der deutschen Länder auf die Bundesebene projeziert. Die entsprechende föderale Verbindungsform war der sogenannte Bundesstaat, der nun als eigenständige föderale staatsrechtliche Verbindungsart anerkannt und fortentwickelt wurde. In Folge der politischen Unruhen nach 1830 wurde das föderale System des Bundesstaates als staatsrechtlicher Träger einer liberal und demokratisch geprägten deutschen Nation zu einer offenen Forderung. Gemeinsam mit dem politischen Hintergrund wurden verschiedene theoretische Bundesstaatsmodelle vorgetragen. Die Ideen der zwischen den Mitgliedern und dem Bund geteilten Souveränität bzw. der Trennung von Souveränität und Staatlichkeit im Sinne wesentlicher grundlegender Hoheitsrechte wurden entwickelt. Auch die Idee der subsidiären Kompetenzzuteilung für die Bundesebene wurde berücksichtigt. Damit waren die theoretischen Gundlagen für ein modernes Verständnis vom Bundesstaat gelegt. Der staatsrechtliche Übergang vom alten Reich zum modernen Bundesstaat war in der Theorie vollzogen.
3. Bundesrecht Diese tatsächlichen Verhältnisse spiegelten sich in der Entwicklung des Bundesrechts wider, und ein Vergleich mit der landesrechtlichen Entwicklung
139 140 141
Vgl. dazu Stolleis, Geschichte 2, S. 187ff., 193ff.m.Nw. Vgl. dazu Stolleis, Geschichte 2, S. 187ff.m.Nw. Siehe oben G. Π. 1. a) m.Nw.
IV. Einordnung der Zeit
301
gibt weiteren Aufschluß. Nach der Wiener Schlußakte bestand die wesentliche Tätigkeit der Bundesversammlung in der Verlängerung der Gesetze zu den Karlsbader Beschlüssen, und die Reaktionen auf die deutschen Resonanzen der Juli-Revolution waren der Erlaß der sechs bzw. sechzig Artikel. Die Zollverhandlungen der Bundesmitglieder scheiterten. Über die Bestätigung der jeweils von Österreich und Preußen gemeinsam vorgeschlagenen repressiven Bundesmaßnahmen hinaus fand eine Rechtsentwicklung im oder durch den Bund nicht statt. Im Gegensatz dazu stand die Entwicklung von modernen Landesverfassungen und des dazugehörigen Staatsrechts. Die von Preußen bestimmte gemeinsame Zollpolitik der Länder trug den neuen ökonomischen Bedürfnissen Rechnung. Nur Preußen konnte auf Dauer diese Perspektiven bieten; Gegenentwürfe im Sinne einer süddeutschen Vereinigung scheiterten. Selbst als in der Zeit nach 1830 die Perspektive einer deutschen Zoll- und Wirtschaftseinheit unter preußischer Führung deutlich wurde, blieb die Bundespolitik auf die Aufgaben der politischen Gefahrenabwehr geschränkt. Die Bundesakte sah zwar in Artikel 19 ein gemeinsames Vorgehen vor, und der Zollunionsvertrag berücksichtigte ausdrücklich diese Möglichkeit, da im Fall des Vorgehens auf Bundesebene die Mitgliedschaft der Länder in der Zollunion nicht automatisch über die ersten acht Jahre hinaus verlängert werden sollte. Tatsächlich wurde diese Möglichkeit aber nicht genutzt.
4. Bewertung Probleme und Grenzen der Entwicklung des Deutschen Bundes waren in der Bundesform und in den tatsächlichen politischen Verhältnissen angelegt. Der Übergang zum modernen Verfassungs- und Nationalstaat fand in Deutschland generell nur langsam statt. Grund für diese Verschleppung war vor allem die repressive und restaurative Politik der Großmächte Österreich und Preußen. Da diese Politik neben der direkten Ausübung wirtschaftlicher und politischer Macht gegenüber den kleineren Ländern auch über die Ebene der förmlichen Bundespolitik vorgetragen wurde, erschien die Entwicklung oder Reform des Deutschen Bundes zu einem Träger einer modernen, nationalen politischen deutschen Einheit ausgeschlossen. Diese praktischen Grenzen und Widersprüche bezüglich des politischen Zieles eines modernen Bundesstaates wurden vor allem in der Preußen zugedachten Stellung ausgedrückt. Da Preußen wirtschaftlich und politisch die deutschen Gebiete dominierte und in dieser Hinsicht auch Österreich allmählich
302
G. Durchbruch der Bundesstaatsidee
verdrängte, mußte ein Bundesstaat im Sinne einer engen nationalen Verbindung diese Stellung Preußens berücksichtigen. Aber weder auf die Herausforderung der preußische Hegemonie noch auf die antiliberale Politik Preußens konnten die Theoretiker des Bundesstaates eine praktische Antwort geben. Statt dessen appelierten sie an eine preußische Verfassungsgebung und hofften auf eine Aufhebung der Probleme durch den Gedanken der politischen Nation. Weiter widersprach die Praxis der monarchischen Legitimation einer Umsetzung der Bundesstaatspläne. Die meisten Bundesstaatsentwürfe bevorzugten zwar für die deutschen Gebiete die Bildung eines Bundesstaates mit monarchischer Legitimation, die durch eine Repräsentativverfassung gemäßigt sein sollte, und berücksichtigten insoweit die tatsächlichen politischen Voraussetzungen in den deutschen Ländern. Sie mißachteten dabei aber, daß das monarchische Prinzip tendenziell auf unitarische Territorialstaaten und deren lose, staatenbündische Verbindungen zugeschnitten war. Ein Bundesstaat erforderte von den souveränen Monarchen eine tatsächliche Abgabe von Hoheitsrechten und damit Macht in größerem Umfang; dies war zunächst von den monarchischen Landesherrschern nicht zu erwarten. Schließlich waren die vorgeschlagenen Bundesstaatsmodelle durchweg Mittel zur Herstellung einer staatlichen deutschen Einheit. Die theoretischen Kompetenzaufteilungen hatten deshalb zum Teil unitarische und nationalistische Tendenzen, die in der Praxis dem Prinzip der Subsidiarität entgegengewirkt hätten. Ein stabiles föderales Gleichgewicht zwischen dem Bund und den Ländern wäre in der Praxis dieses Modelles zumindest fraglich oder gar gefährdet gewesen. Der Deutsche Bund war weder Träger einer einheitlichen Wirtschaftspolitik noch darüber hinausgehender politischer Ziele, sondern blieb auf die Politik restaurativer Repressionen beschränkt. Die Idee einer nationalen deutschen Einheit auf demokratischer und liberaler Grundlage, die mit dem Modell des stabilen, funktionalen Bundesstaates eingeführt werden sollte, konnte noch nicht verwirklicht werden.
H. Ergebnis I . Entwicklung Die Untersuchung hat gezeigt, daß die Annahme von kontinuierlichen Elementen bei der Entwicklung moderner föderaler Modelle im deutschen Staatsrecht eine erhebliche Differenzierung erfordert. Diese Differenzierung betrifft sowohl die methodischen Aspekte als auch die einzelnen Phasen bzw. Abschnitte der Entwicklung. Gegensätze in den föderalen Entwicklungen werden bereits in der Untersuchung der Reichspublizistik deutlich. Die führenden Reichsjuristen gelangten im 18. Jahrhundert zu einer positivistischen Beschreibung der Reichsverfassung und des darin ausgeprägten ständischen partikularistischen Föderalismus, der den Vorstellungen des Althusius ähnlich war. Die tatsächliche politische Entwicklung nahm aber eine andere Richtung, die vor allem die größeren Territorien zu den primären Trägern staatlicher Macht machte. Die Territorien erlangten zwar keine förmliche Souveränität, sondern blieben staatsrechtlich auf die Rechtsstellung der Landeshoheit beschränkt. Der Souveränitätsbegriff Bodins war mit der Reichsverfassung nicht vereinbar. In der Praxis fand die politische Entwicklung einer modernen Staatlichkeit im Reichsverband in den Einheiten der großen Territorien statt. Auch der altständische Föderalismus der Reichsverfassung war von diesem Vorgang betroffen. Die als Bindeglieder zwischen dem Kaiser und den Territorien gedachte Organisation der Reichskreise, die föderale Elemente in der politischen Gesamtorganisation des Reiches sein sollten, verloren stark an Einfluß. Trotz zahlreicher Ideen einer Reichsreform auf der Grundlage der Reichskreisorganisation konnte diese föderale Einrichtung nur geringe tatsächliche Wirkung erlangen. Die Schwäche der auf Kreisbasis beruhenden Militärorganisation des Reiches in Theorie und Praxis als eines der größten Defizite der Reichsverfassung angesehen. Die politische Machtverschiebung zugunsten der Territorien drückte sich auch in einer anderen Form und Idee der staatlichen Herrschaft aus: dem Absolutismus der Monarchen. Der monarchische Landesherrscher war in seinem Gebiet der oberste Herrscher. Die Beteiligung der Stände an der
304
H. Ergebnis
Herrschaft und die rechtlich übergeordnete Macht des Kaisers verhinderten aber im Reichsgebiet die volle staatsrechtliche Entfaltung des absoluten Monarchen im Sinne der Fürstensouveränität. Gemeinsam mit Einflüssen der Aufklärung bezog diese sich mehr auf die Organisation und Verwaltung in den Ländern; die Entwicklung Preußens war dafür ein gutes Beispiel. Der österreichisch-preußische Dualismus im Reich beschleunigte den Zerfall des Reichsverbandes. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts konnte von einer tatsächlichen Reichsstaatlichkeit nicht mehr gesprochen werden. Zachariä vertrat bereits 1804 die Ansicht, daß das Reich in der politischen Realität schon ein Staatenbund war. 1 Hintergrund dieser Aussage waren die vom Reichsdeputationshauptschluß herbeigeführten Änderungen. Sie ließen zwar formal die Reichsverfassung unverändert, führten aber zu einer grundlegenden Wandlung der Staatlichkeit in Deutschland. Die Änderungen betrafen nicht nur die Bildung größerer Mittelstaaten durch Mediatisierung und Säkularisation. Gleichzeitig verlor die katholische Kirche sämtliche staatliche Funktionen, womit eine säkulare Organisation auch für den Reichsverband nötig wurde. Gemeinsam mit den nun nötigen Reformen auf beinahe allen Ebenen des Gemeinwesens wurden aber noch weitere Perspektiven eröffnet. Die Reformen bildeten die Grundlage für die sich entwickelnde bürgerliche Gesellschaft, und deren moderne liberaldemokratischen und später auch nationalen Ideen konnten zum Teil realisiert werden. In dieser Zeit wurden föderale Systeme entwickelt, die sich allmählich vom Vorbild des Reiches lösten. Der Fürstenbund von 1785 hielt sich zwar formell innerhalb der rechtlichen Grenzen des reichsständischen Bündnisrechts. Aus politischer Sicht war er aber als eine lose Verbindung faktisch unabhängiger Fürsten konzipiert. Er wirkte als Gegenbund zur habsburgischen Reichspolitik des Kaisers und war demnach hauptsächlich durch den Interessengegensatz zwischen Preußen und Österreich bedingt. Darüber hinaus deutete er aber schon hin auf die neue Form föderaler Verbindungen in den deutschen Ländern, den losen Bund souveräner Fürsten. Der Wandel der föderalen Vorstellungen tauchte auch in den vielen Reformvorschlägen auf, die während des Reichskrieges gegen Frankreich verfaßt wurden. Die moderne Entwicklungsrichtung des Fürstenbundes wurde
1 Aus völkerrechtlicher Sicht kommen Berber, Lehrbuch, S. 185ff., und Randelzhofer, S. 297ff., zum gleichen Ergebnis.
I. Entwicklung
305
besonders in den frühen Vorschlägen Pähls deutlich, wo das Reich als Trias aus Österreich, Preußen und einem Fürstenbund fortbestehen sollte. 2 Sowohl die Idee des Bundes im Reich als auch die Umgestaltung des Reiches im Sinne einer bündischen Fürstenvereinigung der mittelgroßen Länder wurden dabei aufgegriffen. Genaue Darlegungen zu den staatsrechtlichen Übergängen und Verbindungen zwischen der nach Pähl beizubehaltenden Reichsverfassung und den neuen Bundesorganisationen gab es aber nicht. Einer der Gründe für dieses Defizit war die prinzipielle und praktische Unvereinbarkeit zwischen der Reichsverfassung und modernen föderalen staatsrechtlichen Strukturen; dieser Gegensatz hemmte auch verschiedene andere Reformpläne. Bemerkenswert war die Äußerung Pähls, daß der neue Bund zu seinem Schutz fremde Staaten anrufen konnte. Pähl dachte dabei an Staaten, die neutral waren oder ein europäisches Mächtegleichgewicht etablieren wollten. Die gleiche Konstruktion eines losen födealen Bundes mittelgroßer Fürsten unter einem ausländischen Protektor benutzte dann Napoleon bei der Gründung des Rheinbundes. Obwohl Napoleon den Rheinbund nur als Instrument zur Ausdehnung seines Machtbereichs betrachtete, waren doch kontinuierliche Entwicklungslinien feststellbar. Wie Pähl versuchten weitere Autoren, den Gedanken des Reichspatriotismus in der Form eines Karls- oder Kaisermythos auf den napoleonischen Rheinbund zu übertragen. Dabei wurde neben dem Schutz bzw. der Sorge um die kleineren Stände des untergegangenen Reiches auch an die Idee einer gesamteuropäischen politischen Ordnung angeknüpft; der sogenannte Karlsmythos sah Napoleon als zeitgenössischen Nachfolger Karls des Großen. 3 Auch die weniger an der Position Napoleons orientierten Bundesentwürfe traten häufig für eine Entwicklung des Rheinbundes zu einem Reichsnachfolger im Sinne eines germanischen Bundes oder eines Bundes der Reichsmitglieder ein. Mit dieser Rheinbundliteratur wurde die Verbindung zwischen den föderalen Überlegungen und dem Übergang vom Reichspatriotismus zu einem nationalen Bewußtsein deutlich, wobei die Nationalidee noch ein eher allgemeiner und kultureller Begriff des politisch-rechtlichen Bewußtseins war. Auch für die staatsrechtliche Behandlung moderner föderaler Verbindungen stand der Rheinbund im Schnittpunkt der Entwicklung von den Begriffen des Reiches und der Fürsten zu modernen Bundes Vorstellungen. An die Stelle der reichsständischen Verbindungen trat nun die Föderation der Landesherrscher,
2 3
Siehe oben D. Π. 2. c) bb) bbb) b.2) Siehe oben Ε. ΠΙ. 1., 3. a) m.Nw.
20 Grzeszick
306
H. Ergebnis
die im Friedensvertrag von Preßburg und in der Rheinbundakte formal als "souverän" bezeichnet wurden. Diese Kontinuität wird von Angermeier als Faktor des politisch-rechtlichen Bewußtseins bestimmt, dem er für die Staatsund Verfassungspläne dieser Zeit erhebliche Bedeutung zuordnet. 4 Dieser entscheidende Perspektivenwechsel5 wurde von den Staatsrechtlern nachvollzogen, die noch von Reichspublizisten ausgebildet worden waren, und die bereits den steigenden Einfluß des aufgeklärten "allgemeinen Staatsrechts" kannten. Sie untersuchten sowohl die Reichsverfassung als auch die Verfassung des Rheinbundes und des Deutschen Bundes nach der reichspublizistischen Methode des historisch-kritischen Verfassungspositivismus 6 und bildeten damit trotz der grundlegenden politischen und verfassungsrechtlichen Änderungen ein starkes Element staatsrechtlicher Kontinuität. 7 In der kurzen Zeitspanne des Rheinbundes wurden zudem die Begriffe von Staatenbund und Bundesstaat geprägt; sie waren die staatsrechtlichen Formen des Föderalismus von Staaten, von dem Kant bereits 1795 gesprochen hatte. Das Begriffspaar von Staatenbund und Bundesstaat hatte neben dem konkreten politischen Hintergrund auch die Funktion, die in der Reichstradition herausgebildeten staatlichen Funktionen des Föderalismus mit den neuen staatsrechtlichen Grundlagen in Deutschland zu verbinden und festzulegen. Staatenbund und Bundesstaat waren somit in verschiedenen Funktionen und Aspekten Nachfolger des reichsständischen Föderalismus. M i t der Gründung des Deutschen Bundes wurde der Staatenbund als eine staatsrechtliche Ausprägung des Föderalismus auch politisch in die Kontinuität mit dem Reich gestellt. Statt der napoleonischen Vorherrschaft bestimmten jetzt wieder die deutschen Herrscher die innenpolitischen Vorgänge in und zwischen den Ländern des Bundes. Der Deutsche Bund umfaßte annähernd das Gebiet des untergegangenen Reiches, und auch der Dualismus zwischen Österreich und Preußen setzte sich im Bund fort. Weiter wurde mit dem Wiener Kongreß und der Heiligen Allianz wieder die Reichstradition aufgegriffen, daß mit der föderalen Ordnung der deutschen
4
Angermeier, S. 66ff.m.Nw. In den damit einhergehenden Aspekten der Staatssouveränität und des aufgeklärten Naturrechts als Grundlage des Staatsrechts und damit auch des Föderalismus vgl. SchmidtAßmann, S. 86ff. 6 Vgl. dazu Stolleis, Geschichte 2, S. 62ff.m.Nw. 7 Zur Bewertung aus verfassungsrechtlicher Sicht vgl. einerseits Stolleis, Geschichte 2, S. 48f., 57f., 75, und andererseits Schmidt-Aßmann, S. 98ff. 5
I. Entwicklung
307
Gebiete zugleich der europäische Frieden und die Machtgleichgewichte gestützt wurden. Das Reich hatte diese Funktion spätestens 1792 verloren, und der Rheinbund sollte der von Napoleon geplanten Eroberung ganz Europas dienen. Die verschiedenen Bundesländer und die auf dem Kongreß vorgetragenen Argumente zeigten deutlich, daß der Deutsche Bund in vieler Hinsicht als in Grundlagen und Form moderner Nachfolger des Reiches gesehen wurde. Die rechtlichen und politischen Voraussetzungen für die Entwicklung des Bundes zu einer engeren Föderation im Sinne eines Bundesstaates waren allerdings nur schwach ausgeprägt. Staatliche Funktionen, die das Reich und vor allem der Kaiser im Hochmittelalter wahrgenommen hatte, und die danach auf die Länder übergegangen waren, verblieben auch jetzt primär bei den Ländern. Obwohl diese Aufgabenverteilung sowohl der innerdeutschen Lage als auch den außenpolitischen Einflüssen entsprach, zeichnete sich das Spannungsverhältnis zwischen der nationalen Erwartungshaltung und dem staatenbündischen Ergebnis des Wiener Kongresses ab. Die verschiedenen preußischen Reorganisationspläne für die deutschen Gebiete hatten eine engere, zum Teil bundesstaatsähnliche Verbindung geplant. Sie konnten aber auf dem Kongreß nicht durchgesetzt werden, wobei weniger der Einfluß Metternichs als vielmehr der Widerstand der mittelgroßen deutschen Fürsten maßgeblich war. Der ab 1819 offene Gegensatz zwischen der Bundespolitik und den liberalen, demokratischen und nationalen Hoffnungen beruhte aber nicht primär auf dem staatenbündischen Charakter des Deutschen Bundes. Für viele frühliberale Denker stand der Wunsch nach einer freiheitlichen oder republikanischen Verfassung im Vordergrund, 8 und die Verfassungsgebung in den Ländern wurde dem zum Teil gerecht. Erst die restaurative Bundespolitik, die ab 1819/20 von Österreich und Preußen gemeinsam betrieben wurde, begrenzte die liberalen Bestrebungen auf die bis dahin erreichten politischen Positionen oder drängte sie wieder zurück. Die Bundesverfassung wurde weiter im Sinne dieser Politik ausgebaut, und andere politische Integrationsformen, wie zum Beispiel die Zollverhandlungen, scheiterten. Föderale Modelle i m Sinne einer engeren, nationalen und liberalen Verbindung der deutschen Länder kamen aber nicht sofort auf. Zunächst beschränkten sich die Vertreter der liberalen Forderungen auf die Ebene der
8 So im Ergebnis auch Angermeier, S.96f, lOOf., über das nationale Denken zur Zeit der Bundesgründung.
308
H. Ergebnis
verfaßten Länder. Abgrenzung und Schutz der liberalen Ländersphären führten zur Betonung der Ländersouveränität und des staatenbündischen Charakters des Bundes. Erst allmählich zeigte sich, daß die Begrenzung der modernen politischen und staatsrechtlichen Elemente auf die Ebene der Landesverfassungen weder den liberalen Erwartungen noch der sozialen und ökonomischen Entwicklung gerecht wurde. Die fortschrittlichen Denker hatten zwar in den süddeutschen Länderkammern ein gestärktes politisches Selbstbewußtsein entwickelt. Sie konnten aber gegenüber den fürstlichen Landesregierungen nur wenig Einfluß gewinnen, womit ihnen auch weitere Reformen verschlossen blieben. Hinzu kam, daß die auf politische Gefahrenabwehr begrenzte Bundespolitik auch die Entwicklung einer wirtschaftspolitischen Bundesebene verhinderte. 9 Diese wurde aber in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft immer nötiger. Die vom Bund getrennte Entwicklung des preußischen Zollvereins und die Reaktionen auf die Juli-Revolution zeigten deutlich, wie die österreichischpreußische Konkurrenz und die von beiden Großmächten getragene restaurative Bundespolitik dem Deutschen Bund und seiner Entwicklung enge Grenzen setzten.10 Die in Folge der Juli-Revolution vorgetragenen Forderungen sahen dann in der Bildung einer nationalstaatlichen Einheit das Mittel zur Beseitigung der politischen Defizite. Die staatsrechtliche Umsetzung dieser politischen Forderungen führte zum föderalen System des Bundesstaates. Der Deutsche Bund wies zwar auf die mögliche umfassende Bedeutung engerer föderaler Staatsformen hin; er war aber nach der Form und der politischen Wirklichkeit auf seine ursprünglichen Aufgaben beschränkt.
Π . Kontinuität und Umbruch Die Betrachtung des Föderalismus als kontinuierliche Idee während des staatsrechtlichen Umbruchs an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert impliziert bereits den Wechsel von Kontinuität und Diskontinuität. Während die politische Idee des Föderalismus und die verfassungsrechtliche Publizistik als kontinuierliche Elemente wirkten, erschien der Durchbruch des modernen
9
Vgl. dazu Koselleck, S. 659. Dazu umfassend Nipperdey, Der deutsche Föderalismus, S.6 ff.m.Nw.; ders., Deutsche Geschichte 1800 - 1866, S. 55ff. 10
Π. Kontinuität und Umbruch
309
Staats- und Verfassungsverständnisses in Deutschland als ein zäsurhaftes Ereignis. 11 An die Stelle von Kaiser und Reich traten Fürsten und Bund, aus dem Reichspatriotismus entwickelte sich der Nationalstaatsgedanke und anstatt der historisch gewachsenen Stände und Reichskreise bestand nun eine funktionale Verteilung von Hoheitsrechten zwischen dem Bund und den Ländern. Bei einer genauer Betrachtung des zeitgenössischen Kontextes erscheinen aber für die föderalen Elemente des Staatsrechts weitere kontinuierliche Entwicklungslinien. Im Sinne der in der Einführung genannten Suche nach dem Ausgleich zwischen zentraler Macht und partikularen Positionen wurde die Entwicklung der ständisch organisierten Reichseinheit durch den Fürstenbund und den Rheinbund im Sinne der unabhängigen Territorialstaaten entschieden. Als Folge dieser Entwicklung wurde in den föderalen Vorstellungen zwischen Staatenbund und Bundesstaat genau getrennt. Bereits kurze Zeit später trat an die Stelle des Bundes souveräner Fürsten die Forderung nach einer engeren, die Unabhängigkeit der Länder beschränkenden Verbindung. Eine föderale Ordnung der deutschen Gebiete, die zwischen einer zentral staatlichen Organisation und einem lockeren Bund lag, erscheint hier als anzustrebende Mittelform für die moderne deutsche Staatlichkeit. Diese sich wechselseitig überlagernden Themen werden von Schuck als mittelbare Kontinuität bezeichnet.12 Ein in diese Richtung wirkender Faktor war der außenpolitische Einfluß der europäischen Nachbarstaaten auf die deutschen Bundesbildungen. Sie wollten einerseits eine einheitliche, mächtige Organisation der deutschen Gebiete, die ihre eigenen Stellungen bedroht hätte, verhindern. Zugleich waren sie aber daran interessiert, daß die deutsche Organisationsform nicht aus zu vielen kleinen, unabhängigen Einheiten bestand, da diese leicht zu erobern waren und keine stabilen politischen Verhältnisse garantieren konnten. Dieser Einfluß der Nachbarländer wurde vor allem in den Kongreßverhandlungen deutlich. Selbst die vom Ziel des napoleonischen Kontinentalsystems bestimmten Maßnahmen
11
Diese Diskontinuität im deutschen Staatsrecht betont auch Schuck, S. 68ff.m.Nw. Er relativiert ihn aber durch die methodische Kontinuität der Staatsrechtler und die politische Zielvorstellung eines föderalen Bundes der deutschen Gebiete; vgl. dazu Schuck, S. 63ff., 90ff.; jew.m.Nw. 12 Siehe Schuck, Rheinbundpatriotismus, S. 215f., 299f., 304; jew.m.Nw. Für Schuck sind die ideengeschichtliche Kontinuität und die realgeschichtliche Zäsur unmittelbar aufeinander bezogene Elemente des damaligen Denkens, deren Diskussion die weitere Entwicklung bestimmte.
310
H. Ergebnis
des Reichsdeputationshauptschlusses und die Gründung des Rheinbundes gaben zum Teil diese auswärtigen Interessen an einer deutschen föderalen Verbindung wieder. Der Wiener Kongreß brachte für die rechtliche Ausgestaltung föderaler Verbindungen einen weiteren Schritt, der die Kontinuität im Umbruch verdeutlichte. Die Reichsverfassung ging noch von der mittelalterlichen einheitlichen Vorstellung aus, daß Gesellschaft, Gemeinwesen und Staat sowie Beziehungen zwischen den verschiedenen europäischen Ländern untrennbar miteinander verbunden waren. Im Rheinbund und noch mehr im Deutschen Bund wurde dann die prinzipielle Trennung der verschiedenen Bereiche durchgesetzt. An die Stelle des ständischen Staats- und Gesellschaftsaufbaus trat die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, was die verschiedenen frühliberalen Landesverfassungen belegten. Dazu wurde der Bereich des Staats- bzw. Verfassungsrechts vom dem des Völkerrechts getrennt. Die Bundesakte wurde zwar in die Kongreßakte aufgenommen, aber an der prinzipiellen rechtlichen Trennung der Bereiche bestand nur wenig Zweifel. Im Streit um das ausländische Gesandtschaftsrecht am Bundestag wurde diese Ansicht bestätigt. Diese funktionale Aufspaltung der einheitlichen Reichsverfassung in die verschiedenen rechtliche Teilbereiche erscheint in der kurzen Zeit nach der französischen Revolution als grundlegende Umstellung. Bei einer Analyse der politischen Hintergründe werden aber auch hier längerfristige Entwicklungen deutlich. Für die Sicht einer völkerrechtlichen Kontinuität stehen die Untersuchungen von Berber 13 und Randelzhofer 14. M i t der Methode, die Beziehungen zwischen den Gliedern des Reiches unter völkerrechtlichen Aspekten zu betrachten, 15 sehen sie die Reichsverfassung als ein föderales System der völkerrechtlichen Friedenssicherung im Reich. 1 6 Im Gegensatz zu den staatsrechtlich orientierten Betrachtungen sieht Randelzhofer das Reich als einen völkerrechtlichen Staatenbund, der eine hochorganisierte und weitgehend integrierte Staatengemeinschaft bildete. 17
13
Berber, Lehrbuch, S. 185ff. Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte. 15 Zu dieser methodischen Grundlage kritische Überlegungen von Randelzhofer selbst in ders., S. 19ff.; Quaritsch, S. 400 m.Nw. 16 Berber, Lehrbuch, S. 185ff.; Randelzhofer, S. 19ff., 297ff. 17 Randelzhofer, S. 299f. 14
Π. Kontinuität und Umbruch
311
Die mit dem Rheinbund und dem Deutschen Bund vollzogene Lösung vom altständischen Aufbau der Reichsverfassung knüpfte in den nun förmlich getrennten Bereichen von Verfassungsrecht und Völkerrecht an die politischen Reichsfunktionen an. Die europäische politische Einbindung der deutschen föderalen Binnenstruktur war den Verhandelnden des Wiener Kongresses klar. Die beabsichtigte Wiederherstellung eines europäischen Mächtegleichgewichts konnte nur zusammen mit der Schaffung einer Bundesstruktur geschehen. Ahnlich der Ansicht Zachariäs von 1804 bedeutete die Einführung einer staatenbündischen Struktur und deren internationale Einbettung durch die Wiener Konferenzakte sowie die folgende Heilige Allianz nichts anderes als eine Fortsetzung der europapolitischen Funktionen des Reiches auf der Basis des modernen Staats- und Völkerrechts. Auch im zeitgenössischen Verfassungsrecht als dem positivistischen Indikator des ideengeschichtlichen Umbruchs waren persönliche und methodische Kontinuitäten stark ausgeprägt. Das von der Aufklärung beeinflußte, kritischvernünftige "allgemeine Staatsrecht" und die reichspublizistische Methodik beschäftigten sich vor dem Hintergrund des Reichsdeputationshauptschlusses und der Reichsauflösung mit dem Begriffspaar von Staatenbund und Bundesstaat. Die hinter diesen Begriffen stehenden Bundesmodelle wurden in der Folgezeit zu Modellen föderaler Funktionen im modernen deutschen Staatsrecht. Die dem entspechenden föderalen Systeme, die anhand der Reichsverfassung nach dem Frieden von Lunéville und dann intensiver zum Rheinbund entwickelt wurden, setzten aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechts die politischen Funktionen des Föderalismus auf der Grundlage und in den Begriffen des modernen Staatsrechts fort. Zugleich knüpften die Vorstellungen an die Tradition an, daß eine föderale Ordnung der deutschen Gebiete vor allem eine gemeinsame Rechtsordnung beinhaltete. Im Reich wurde bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts der Charakter der Verfassung als eine gemeinsame Rechtsordnung betont, und der unter der Macht Napoleons stehende Rheinbund zeichnete sich durch die Verwaltungs- und Rechtsreformen aus, die anhaltende Wirkungen hatten. Der Deutsche Bund brachte dabei vor allem für das Justizwesen der Länder homogenisierende Elemente; dazu führte die Festschreibung des monarchischen Prinzips zu einem Mindestmaß an Verfassungshomogenität im Bund. Bezüglich des materiellen Rechts bot der Deutsche Bund aber nur wenige Entwicklungsmöglichkeiten. Diese Defizite bildeten zusammen mit weiteren politischen Forderungen den Hintergrund für die Bundesstaatsmodelle, die nach der Juli-Revolution vorgetragen wurden, und die über die rechtliche Homogenität hinaus zu einer politischen Nation strebten.
H. Ergebnis
312
Erste Anzeichen für eine politische Kontinuität auch in der Phase des Umbruchs wurden ab Mitte des 18. Jahrhunderts deutlich, nämlich mit den Reformen des aufgeklärten Absolutismus. 18 Vierhaus hat die längerfristigen Entwicklungen vor allem für Institutionen, Ideen und Mentalitäten und deren personalen Hintergrund untersucht. 19 Indem die mächtigeren der deutschen Fürsten ihre Regierungspraxis den Zielen des aufgeklärten Absolutismus annäherten, verminderten sie die integrative Wirkung des Reichsverbandes auf die deutschen Länder. Der Fürstenbund und die verschiedenen Pläne einer Reichsreform vor der französischen Revolution belegen, daß die Entwicklung von Kaiser und Reich hin zu eigenständigen Bündnissen unabhängiger Fürsten bereits vor 1789 in Gang gekommen war. 2 0 Auch aus dieser Perspektive waren der Rheinbund und der Deutsche Bund Folge einer kontinuierlichen Entwicklung. 21 Die innenpolitisch begrenzte Funktion eines lockeren Fürstenbundes wie der Deutsche Bund wurde vor allem im Vergleich mit den liberalen Ländern offenbar. Die frühliberalen Elemente in den Landesverfassungen gewährten Menschen- und Bürgerrechte, ein geregeltes Justizwesen und generell eine gewisse Bindung bzw. Beschränkung der fürstlichen Regierungsmacht. Neben Preußen hatten vor allem die süddeutschen Länder ihre innere Organisation in Folge des Hauptschlusses reformiert. Sie gelangten rasch über die Form des aufgeklärten Absolutismus hin zu aufgeklärten frühliberalen Forderungen. In Preußen und Österreich scheiterte hingegen die liberale Verfassungsbewegung. Die durch die Bundespolitik eingegrenzten fortschrittlichen Entwicklungen in den Ländern vermißten im Deutschen Bund politische Perspektiven. Noch mehr galt dies für diejenigen Länder, die noch nicht den politischen und verfassungsrechtlichen Entwicklungsstand der verfaßten süddeutschen Staaten erreicht hatten. Sie hatten mit dem Untergang des Reiches den Schutz der partikularen Freiheit verloren, ohne dafür moderne, liberal-demokratische Bürgerrechte zu erhalten. Die begrenzten territorialen Perspektiven wurden daher allmählich mit dem Gedanken der nationalen staatlichen Einheit ausgeglichen. Als Gegenentwurf zum Deutschen Bund und dessen Defiziten und angeregt durch die Juli-Revolution wurde das Modell des Bundesstaates
18
Vgl. Vierhaus, S. 291ff.m.Nw. Vierhaus, S. 293ff. 20 So im Ergebnis auch Rumpier, S. 219. 21 Zur Bedeutung der Französischen Revolution für diese kontinuierlichen Elemente Vierhaus, S. 300f. 19
ΠΙ. Fazit
313
gebildet. 22 Zumindest in der staatsrechtlichen Theorie wurden neue Lösungen für die Staatlichkeit in engeren föderalen Verbindungen gefunden. Der in der Reichspublizistik festgestellte, aber kaum zu systematisierende Charakter des Reiches als aus Staaten zusammengesetzter Staat wurde nun auf der Grundlage des modernen Staatsrechts im Bundesstaatsmodell fortgesetzt.
Π Ι . Fazit Angesichts der dialektischen Ausgangsthese von Kontinuität und Umbruch enthält die staatsrechtliche Entwicklung des Föderalismus erhebliche kontinuierliche Elemente. Vor allem die Zeit der rapiden Veränderungen zwischen dem Frieden von Lunéville und der Gründung des Deutschen Bundes verdeutlicht die längerfristigen Entwicklungen. Die staatsrechtlichen und politischen Hintergründe der Rheinbundgründung machen seine föderale Form zu einem Bindeglied zwischen den föderalen Systemen der Reichstradition und dem Deutschen Bund. Der Deutsche Bund setzte diese formale Entwicklung nach dem Ende der Vorherrschaft Napoleons fort; dazu ergänzte er sie um die europapolitische Gleichgewichts- und Friedensidee. Die längerfristigen Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution, die sich im Liberalismus und in den verschiedenen demokratischen und republikanischen Forderungen zeigten, wurden dann allmählich als politische Forderungen in die föderalen staatsrechtlichen Überlegungen eingebracht. Gemeinsam mit der Nationalstaatsidee führten sie zum Bundesstaatsmodell, das die germanische ständische Reichsfreiheit in liberal-demokratische Elemente umwandelte und die partikularen Entscheidungsbefugnisse mit dem Schutz der Ländersphären durch Gewalten- und Hoheitsrechtsaufteilung fortsetzte. Im alten Reich hatte gerade der Partikularismus in Form der ständischen Reichsfreiheit den Bürgern politische Gestaltungsräume geöffnet. Im Rheinbund sollte die Eigenständigkeit der formal souveränen Territorien die Länder vor weitergehenden französischen Übergriffen schützen, und im Deutschen Bund waren vor allem die verfaßten süddeutschen Länder eine Schutzsphäre für liberales und demokratisches Gedankengut.
22
Zur Bewertung des Deutschen Bundes als einer Ubergangsform von der ständischen Reichsstruktur zum Bundesstaat siehe auch die prinzipielle Einordnung bei Härtung, Der ständische Föderalismus, S. 349f.; Rumpier, S. 221ff., 228.
314
H. Ergebnis
Der bundespolitische Widerstand gegen diese modernen Ideen ließ aber einen weiteren Ausbau auf der Länderebene nicht zu. In Folge der Revolution vom Juli 1830 wurde in Deutschland der Begriff des Bundesstaates zu einem staatsrechtlichen föderalen Träger der liberal-demokratischen Ideen. Die in der Reichsverfassung verankerte prinzipielle Zuständigkeit der Länder für die Wahrnehmung der staatlichen Funktionen wurde dabei oft mit einer föderalen Kompetenzverteilung fortgesetzt, die dem Prinzip der Subsidiarität entsprach oder nahekam. Diese Sichtweise legt für die Elemente von Föderalismus und Demokratie einen kontinuierlichen Zusammenhang nahe. 23 Das Problem eines tatsächlichen Machtungleichgewichts zwischen den deutschen Territorien sowie die Begrenzung liberaler und demokratischer Elemente durch die monarchische Legitimation der deutschen Herrscher konnten diese Bundesstaatsüberlegungen nicht lösen; sie hatten mehr den Charakter politischer Forderungen. Aber auch ohne eine tatsächliche Umsetzung der Bundesstaatspläne wird erkennbar, daß in diesen Überlegungen die Grundlagen des heutigen staatsrechtlichen Föderalismus in Deutschland angelegt waren. Die deutsche Besonderheit des föderalen Staatsaufbaus erwies sich auch bei der Bildung des modernen staatsrechtlichen Föderalismus als Schnittpunkt vielfaltiger Einflüsse. Kontinuierlicher Faktor war zum einem die Suche nach einer stabilen politischen Mittellage zwischen zentraler Organisation und partikularen Befugnissen der deutschen Gebiete. Die verfassungsrechtliche Literatur vor allem der Rheinbundzeit zeigte hier Kontinuitäten. Dies betraf zum einen die publizistische Behandlung des Rheinbundes als föderale staatsrechtliche Struktur zwischen dem Reich und dem späteren Deutschen Bund. Hinzu kam die fortgesetzte Projektion der Bundesidee auf die konkreten staatsrechtlichen Strukturen, die im politischrechtlichen Bewußtsein den Rheinbund zum Bindeglied zwischen dem Reichspatriotismus und dem aufkommenden Nationalbewußtsein machte. Untrennbar mit diesen Entwicklungen verbunden war der Charakter deutschen föderalen Systeme als Kompromiß zwischen den innerdeutschen den europäischen politischen Ansprüchen an die deutsche Staatsordnung. die Berücksichtignung der verschiedenen Faktoren kann dem Ursprung modernen Bundesstaatlichkeit in Deutschland gerecht werden.
23
Zur heutigen Sicht siehe Hesse, S. 93ff.
der und Nur der
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