Welcher Thomas?: Studien Zur Text- Und Uberlieferungsgeschichte Des Thomasevangeliums 9783161505430, 9783161515484, 3161505433

English summary: The Gospel of Thomas does not tell the story of Jesus' life; it presents itself as a loose compila

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1: Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?
1.1. Das Thomasevangelium als Text
1.1.1. Text ohne Kontext
1.1.2. Aporien im Text des Thomasevangeliums
1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums
1.2.1. H.-M. Schenke: Ein Exzerpt aus einem Kommentar zu Jesusworten
1.2.2. T. Akagi: Ur-Thomas, Oxyrhynchus- und koptischer Thomas
1.2.3. D.H. Tripp: Jüngerfragen als Kapitelüberschriften
1.2.4. S.L. Davies: Suchen und Finden
1.2.5. W.E. Arnal: Die Rhetorik von Randgruppen
1.2.6. A. Callahan: Stichwortgeflecht und Dialoge
1.2.7. J.Ma. Asgeirsson: Ein Dublettenstratum aus ausgearbeiteten Chrien
1.2.8. N. Perrin: Ein einheitlicher syrischer Text
1.2.9. R. Nordsieck: Von Grundworten zu Rede-Kompositionen
1.2.10. A.D. DeConick: Logienüberlieferung im Schneeballsystem
1.2.11. Erträge und Perspektiven
1.3. Der Text des Thomasevangeliums
1.3.1. Griechische und koptische Bezeugung im Vergleich
1.3.2. Ein syrisches Substrat?
1.3.3. Eine Grenzuntersuchung zwischen Text- und Formkritik
2: Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen
2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas
2.1.1. Der Textbefund
2.1.2. Thomastraditionen
2.1.3. Namensformen
2.1.4. Thomas und Johannes
2.1.5. Thomasevangelium und Thomasbuch
2.1.6. Wer spricht wann zu wem?
2.1.7. Das Zwillingsmotiv
2.1.8. Zusammenfassung
2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen
2.2.1. Der Textbefund
2.2.2. Variationen einer Gradatio
2.2.3. Versprengte Glieder der Gradatio
2.2.4. Die Grundform des Logions
2.2.5. Suchen und Finden
2.2.6. Das Ruhe-Motiv im Thomasevangelium
2.2.7. Zusammenfassung
2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger
2.3.1. Ziehen und Führen
2.3.2. Unter der Erde und im Meer
2.3.3. Aber – und
2.3.4. Innerhalb und außerhalb
2.3.5. Selbst- und Fremderkenntnis
2.3.6. Zwei Arten der Verknüpfung
2.3.7. Fragen der Wahrnehmung (EvThom 113)
2.3.8. Zusammenfassung
2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares
2.4.1. Der Textbefund
2.4.2. Ein Wanderlogion
2.4.3. Begraben und Verbergen
2.4.4. Der Doppelspruch im griechischen EvThom 5 (Pap Ox 654,29–31)
2.4.5. Der Doppelspruch im koptischen EvThom 6,5–6
2.4.6. Das Nächstliegende erkennen
2.4.7. Zerstreute Fragen und Antworten
2.4.8. Vor wem enthüllt?
2.4.9. Zusammenfassung
2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft
2.5.1. Gott, Götter, Gottlosigkeit
2.5.2. Drei Richter, drei Götter
2.5.3. Zwei oder einer
2.5.4. Jesu Gegenwart bei dem Einzelnen und den Vielen
2.5.5. Jesu Gegenwart im Alltag
2.5.6. Zusammenfassung
2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung
2.6.1. Der Textbefund in EvThom 36
2.6.2. Die Verwendung von ὺδέ
2.6.3. Die ursprüngliche Lesart des Codex Sinaiticus
2.6.4. Das Gewand der Jünger
2.6.5. Der Mahnspruch (Pap Ox 655A)
2.6.6. Die Abgrenzung von EvThom 36 und 37
2.6.7. Das Lilienbeispiel (Pap Ox 655B)
2.6.8. EvThom 36 im Verhältnis zu Q, Matthäus und Lukas
2.6.9. Der Textbefund in EvThom 37
2.6.10. Literarische und historische Verortung
2.6.11. Das Ablegen der Kleider und der Scham
2.6.12. Die kleinen Kinder
2.6.13. Traditionsgeschichtliche Kontexte
2.6.14. Praktische Konsequenzen
2.6.15. Zusammenfassung
3: Schluss: Welcher Thomas?
3.1. Einblicke in die Vielfalt der Thomastradition
3.2. Ergebnisse des text- und formkritischen Vergleichs der Zeugen
3.3. Grundzüge der Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums
3.3.1. Thomas und frühchristliche Logienüberlieferung
3.3.2. Dialektik und Tilgung
3.3.3. Dublette und Analogie
3.3.4. Angleichung an „orthodoxe“ frühchristliche Traditionen
3.4. Ein einziger Thomas?
4: Anhang
4.1. Griechisch-koptische Synopse des Thomasevangeliums
4.2. Abweichende Lesarten des griechischen Textes
Literaturverzeichnis
Quellen
Sprachliche Hilfsmittel
Sekundärliteratur
Abkürzungen
Stellenregister
Autorenregister
Sachregister
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Welcher Thomas?: Studien Zur Text- Und Uberlieferungsgeschichte Des Thomasevangeliums
 9783161505430, 9783161515484, 3161505433

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)

259

Wilfried Eisele

Welcher Thomas? Studien zur Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums

Mohr Siebeck

Wilfried Eisele, geboren 1971; Studium der Katholischen Theologie und der Philosophie in Tübingen, Jerusalem und Paris; 2000 Magister in Philosophie; 2001–02 Diakon in Ehingen; 2002 Promotion in Theologie; 2002–04 Vikar in Aalen; 2004–10 Habilitationsstudium in Tübingen und priesterlicher Dienst in Rottenburg; 2006–07 Lehrauftrag für Neues Testament in Ludwigsburg; 2007–08 Studiendekan im Theologischen Studienjahr Jerusalem; 2008–10 Dozent für Hebräisch und Griechisch in Ehingen und Tübingen; 2010 Lehrstuhlvertretung für Neues Testament in Mainz.

e-ISBN PDF 978-3-16-151548-4

ISBN 978 3-16-150543-0 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Minion, der NewJerusalemU und der Meltho belichtet, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Studiosis Hierosolymitanis Ambrosianisque Discipulis

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2009/10 von der KatholischTheologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen. Nur an wenigen Stellen wurde sie für den Druck geringfügig verändert. Nach vollbrachtem Werk habe ich vor allem zwei Personen zu danken. Mein Bischof, Dr. Gebhard Fürst, hat mich im Jahre 2004 zur Habilitation freigestellt und mir dadurch überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, mich nach vier Jahren der pastoralen Ausbildung und Tätigkeit wieder der Wissenschaft zu widmen. Mit seiner Unterstützung konnte ich außerdem im 34. Theologischen Studienjahr Jerusalem 2007/08 an der Abtei Dormitio B.M.V. vertretungsweise als Studiendekan wirken und dabei wichtige Erfahrungen für Forschung, Lehre und Studienorganisation sammeln. In Gesprächen mit Kollegen wurde ich um diesen weitsichtigen Bischof oft beneidet. Nicht weniger Dankbarkeit empfinde ich gegenüber meinem akademischen Lehrer, Prof. Dr. Michael Theobald, der mich über all die Jahre mit regem Interesse an meiner Arbeit und an meinem Fortkommen begleitet hat. Das sorgsame Hören auf Gottes Wort im Bemühen um ein angemessenes Verständnis der Heiligen Schrift ist ihm ein spürbares Herzensanliegen, in das er seine Schülerinnen und Schüler engagiert und behutsam mit hineinnimmt. So ist er mir immer mehr zum Weggefährten geworden, den ich nicht mehr missen möchte. Auch sonst habe ich vielfache Förderung erfahren. Mein damaliger Regens, Dr. Clemens Stroppel, hat meine wissenschaftlichen Ambitionen von Anfang an unterstützt und jetzt als Generalvikar der Diözese Rottenburg-Stuttgart einen namhaften Zuschuss zu den Druckkosten des Buches gewährt. Domkapitular Franz Glaser und Msgr. Heinrich-Maria Burkard haben als Personalverantwortliche unserer Diözese meinen Werdegang in allen Phasen begleitet und, wo nötig, Hilfestellung gegeben. Prof. Dr. Hans-Reinhard Seeliger war ohne Zögern bereit, das Zweitgutachten für meine Arbeit zu erstellen. Die Sprachkurse bei Prof. Dr. Stephen Gerö haben mir die Welt der koptischen und syrischen Literatur erschlossen. Gleichzeitig hat er mein Projekt stets interessiert verfolgt und am Ende gerne das Drittgutachten übernommen. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Prof. Dr. Jörg Frey hat meiner Studie den Weg in die Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament geebnet, und danach wurde die Herstellung

VIII

Vorwort

des Buches im Verlag Mohr Siebeck von Frau Anna Krüger umsichtig betreut. Dadurch wurde mir eine erfreulich rasche und reibungslose Publikation meiner Ergebnisse ermöglicht, was ebenfalls einen aufrichtigen Dank verdient. Darin eingeschlossen ist auch Herr stud. theol. Johannes Schwarz, der freundlicherweise die Erstellung des Stellen- und des Autorenregisters übernommen hat. In den vergangenen Jahren ist mir Kiebingen zur Heimat geworden. Zusammen mit Domkapitular Rudolf Hagmann, mit dem ich hier im Pfarrhaus ein kleines Koinobion pflege, wurde ich mit aller Offenheit in die Kirchengemeinde und die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Hier fand ich die nötige Ruhe, um meine Studien zu betreiben. Hier konnte ich wenigstens aushilfsweise noch seelsorglich tätig sein. Hier durfte ich aber auch einfach Mensch sein mit allem, was dazugehört. Dafür bin ich sehr dankbar. Meine Dissertation widmete ich meinen Eltern. Sie sind nun im Frieden heimgegangen, und der Herr über Leben und Tod erfülle an ihnen seine Verheißung. Umso mehr wird mir bewusst, welches Geschenk meine Geschwister und Freunde für mich sind. Ohne ihre Ermutigung, ohne ihre Brüderlichkeit und ihren Zuspruch wäre ich auf der Strecke geblieben. Mit Freude denke ich aber auch an meine Studierenden im 34. Theologischen Studienjahr Jerusalem und an meine Schülerinnen und Schüler im Ambrosianum, zuerst in Ehingen und jetzt in Tübingen. Sie haben mir oft das Gefühl gegeben, dass es sich lohnt, in Lehre und Forschung tätig zu sein. Deshalb widme ich dieses Buch in Dankbarkeit nun ihnen. Kiebingen, im März 2010

Wilfried Eisele

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text? . . .

1

1.1. Das Thomasevangelium als Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1. Text ohne Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2. Aporien im Text des Thomasevangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 3 7

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. H.-M. Schenke: Ein Exzerpt aus einem Kommentar zu Jesusworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. T. Akagi: Ur-Thomas, Oxyrhynchus- und koptischer Thomas 1.2.3. D.H. Tripp: Jüngerfragen als Kapitelüberschriften . . . . . . . . . . . 1.2.4. S.L. Davies: Suchen und Finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5. W.E. Arnal: Die Rhetorik von Randgruppen . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.6. A. Callahan: Stichwortgeflecht und Dialoge . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.7. J.Ma. Asgeirsson: Ein Dublettenstratum aus ausgearbeiteten Chrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.8. N. Perrin: Ein einheitlicher syrischer Text . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.9. R. Nordsieck: Von Grundworten zu Rede-Kompositionen . . . 1.2.10. A.D. DeConick: Logienüberlieferung im Schneeballsystem . . . 1.2.11. Erträge und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

1.3. Der Text des Thomasevangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Griechische und koptische Bezeugung im Vergleich . . . . . . . . . . . 1.3.2. Ein syrisches Substrat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3. Eine Grenzuntersuchung zwischen Text- und Formkritik . . . . . .

10 12 14 15 16 18 20 24 26 29 32 36 36 39 42

X

Inhaltsverzeichnis

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen . . . . 45 2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Der Textbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Thomastraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Namensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4. Thomas und Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5. Thomasevangelium und Thomasbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6. Wer spricht wann zu wem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.7. Das Zwillingsmotiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 47 48 52 57 59 64 66 68

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Der Textbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Variationen einer Gradatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Versprengte Glieder der Gradatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Die Grundform des Logions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5. Suchen und Finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6. Das Ruhe-Motiv im Thomasevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 69 70 75 78 79 81 96

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger . . . . . . . . . 2.3.1. Ziehen und Führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Unter der Erde und im Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Aber – und . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4. Innerhalb und außerhalb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5. Selbst- und Fremderkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6. Zwei Arten der Verknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7. Fragen der Wahrnehmung (EvThom 113) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99 99 102 110 112 118 123 128 130

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Der Textbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Ein Wanderlogion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Begraben und Verbergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4. Der Doppelspruch im griechischen EvThom 5 (Pap Ox 654,29–31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5. Der Doppelspruch im koptischen EvThom 6,5–6 . . . . . . . . . . . . . 2.4.6. Das Nächstliegende erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7. Zerstreute Fragen und Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8. Vor wem enthüllt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.9. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131 131 133 134 136 138 140 141 146 148

Inhaltsverzeichnis

XI

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . 2.5.1. Gott, Götter, Gottlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2. Drei Richter, drei Götter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3. Zwei oder einer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4. Jesu Gegenwart bei dem Einzelnen und den Vielen . . . . . . . . . . . 2.5.5. Jesu Gegenwart im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149 149 154 158 159 165 170

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung . . . . . . . . . . 2.6.1. Der Textbefund in EvThom 36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2. Die Verwendung von οὐδέ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3. Die ursprüngliche Lesart des Codex Sinaiticus . . . . . . . . . . . . . 2.6.4. Das Gewand der Jünger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.5. Der Mahnspruch (Pap Ox 655A) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.6. Die Abgrenzung von EvThom 36 und 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.7. Das Lilienbeispiel (Pap Ox 655B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.8. EvThom 36 im Verhältnis zu Q, Matthäus und Lukas . . . . . . . . 2.6.9. Der Textbefund in EvThom 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.10. Literarische und historische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.11. Das Ablegen der Kleider und der Scham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.12. Die kleinen Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.13. Traditionsgeschichtliche Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.14. Praktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.15. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171 171 173 178 186 191 198 201 210 210 212 218 221 225 229 231

3. Schluss: Welcher Thomas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3.1. Einblicke in die Vielfalt der Thomastradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3.2. Ergebnisse des text- und formkritischen Vergleichs der Zeugen . . . . . . 237 3.3. Grundzüge der Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Thomas und frühchristliche Logienüberlieferung . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Dialektik und Tilgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Dublette und Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4. Angleichung an „orthodoxe“ frühchristliche Traditionen . . . . . .

242 242 244 246 247

3.4. Ein einziger Thomas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

XII

Inhaltsverzeichnis

4. Anhang 4.1. Griechisch-koptische Synopse des Thomasevangeliums . . . . . . . . . . . . . 252 4.2. Abweichende Lesarten des griechischen Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 267 270 271 284

Stellenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

1. Einleitung

Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

1.1. Das Thomasevangelium als Text 1.1.1. Text ohne Kontext Über das 1945 in Oberägypten in einer koptischen Version wiederentdeckte Thomasevangelium1 schreibt H.-C. Puech, der es nach eigenen Angaben 1952 selbst als solches identifiziert hat,2 1959 in der von W. Schneemelcher in dritter Auflage herausgegebenen Sammlung neutestamentlicher Apokryphen: „Für sich genommen ist das Thomasevangelium, so wie es uns schließlich dank des Fundes von Nag Hamâdi überkommen ist, kein ‚Evangelium‘ im eigentlichen Sinn, oder wenigstens kein Werk vom gewöhnlichen Typ der kanonischen Evangelien: es ist nichts anderes und nichts weniger als eine Sammlung von 114 Logien, die umfangreichste Sammlung von Worten Jesu oder Jesus zugeschriebenen Worten, die uns bisher unabhängig von der neutestamentlichen Tradition überkommen ist. Der Aufbau ist folgender: Die Sammlung beginnt mit einer kurzen Einleitung von vier und einer halben Zeile, die bereits ein erstes Logion enthält; darauf folgen nur noch Sprüche oder Gespräche, die ohne Zusammenhang, mechanisch aneinandergereiht sind und jedes erzählenden oder systematischen Rahmens entbehren. Sie werden in der Mehrzahl eingeführt durch die stereotype Formel: ‚Jesus hat gesagt‘ (pĕdschĕ īs dschĕ; griech.: ἔλεγεν – anderswo: λέγει – oder εἶπεν, εἴρηκεν, ἔφη Ἰησοῦς) oder ‚er hat gesagt‘ (pĕdschaf dschĕ). Die Sammlung ist also anscheinend eine mehr oder weniger künstliche Zusammenstellung verschiedener Elemente, die mit einer Einleitung versehen ist; die Einleitung selbst erscheint ebenfalls als künstlich und könnte nachträglich hinzugefügt sein.“3

Angesichts dieses Befundes verwundert es nicht, dass die Frage nach der Form des Thomasevangeliums lange Zeit in erster Linie als Frage nach seinen Quellen und Traditionen behandelt wurde. Eigenständige Beiträge zur Kompositionsund Redaktionsgeschichte des Thomasevangeliums sind, von einzelnen Aus1 Vgl. nur den ausführlichen Fundbericht und den Weg zu ersten Veröffentlichungen bei Cullmann, Thomasevangelium, 568–573; außerdem Unnik, Evangelien, 9–26. Beide Darstellungen machen deutlich, dass Einzelheiten des Hergangs schon sehr bald umstritten waren. 2 Vgl. Puech, Thomas, 203. Glaubt man Cullmann (Thomasevangelium, 569), ist diese Angabe freilich zu differenzieren: „Im Jahre 1949 teilte Jean Doresse der Pariser Académie des Inscriptions et Belles-Lettres das Vorhandensein dieses Thomasevangeliums mit. Er hatte erkannt, dass es nichts mit dem apokryphen, ebenfalls dem Thomas zugeschriebenen Kindheitsevangelium zu tun hat und dass es zu einem gnostischen Evangelium in Beziehung steht. Im Juli 1952 übergab Doresse einen Teil davon H.-Ch. Puech, der diesen genauer identifizierte: er stellte fest, dass es sich um die gleiche Sammlung von Jesuslogien handelt, der die griechischen Fragmente angehören, die in Oxyrhynchos gefunden und von B.P. Grenfell und A.S. Hunt in den Jahren 1897 und 1903 veröffentlicht worden sind.“ Zeugen für die Existenz eines solchen Thomasevangeliums waren bekannt, nicht aber der Text selbst (vgl. Puech, Thomas, 199–203). 3 Puech, Thomas, 204–205.

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

nahmen abgesehen, erst seit der Mitte der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zu verzeichnen. Da die einzelnen Sprüche einer derart fragmentierten Überlieferung, für sich genommen, aber oft kaum verständlich sind bzw. keine spezifische Intention erkennen lassen, hat man statt dessen versucht, die zum Verständnis nötigen Zusammenhänge herzustellen, indem man die Logien in bestimmte Strömungen des frühen Christentums (z. B. Judenchristentum, Enkratismus, Gnosis) einordnete und von dorther interpretierte.4 So stellt P. Sellew fünfzig Jahre nach dem Fund von Nag Hammadi fest: „Scholarship on the Gospel of Thomas has to this day focused its efforts mostly outside the text. This fact has come about for a variety of reasons. First, the text itself seems nearly opaque in compositional structure or design. Second, Thomas quickly became a means to help us see other early Christian literature in new ways […]. Third, the particular combination of ideas and themes in statements attributed to Jesus in Thomas has provoked discussion apart from its own use of those materials. And fourth, the rediscovery of Thomas helped to open the current discussion of the historical Jesus.“5

Mit der Suche nach Quellen und Hintergründen ist aber der zweite Schritt vor dem ersten getan. Bei aller Vergleichbarkeit mit anderen Formen und Inhalten hat jeder Text doch seine je eigene Gestalt und Intention, der man nur auf die Spur kommt, wenn man den „Primat der Synchronie vor der Diachronie“6 in der Exegese akzeptiert. Jedes Verstehen eines Textes muss deshalb mit der gründlichen Analyse dieses Textes selbst anfangen. Dazu gehört, dass einzelne Teile eines Textes nie ohne den Blick aufs Ganze interpretiert werden. Diesen Grundsatz formuliert W. Egger in seiner Methodenlehre zum Neuen Testament beispielhaft: „Der Sinn von Wörtern, Sätzen und Teiltexten wird wesentlich durch den Kontext bestimmt. Deshalb ist immer auf den Zusammenhang eines Teiltextes mit dem Gesamttext zu achten. Andernfalls wird der Teiltext leicht mißverstanden. Schon am Beginn ist darum festzustellen, welches der weitere und der nähere Kontext ist, welchen Platz ein Teiltext in der thematischen Progression des Gesamttextes einnimmt und, gegebenenfalls, welche Stelle er in der erzählenden Entfaltung des Textes einnimmt. […] Die Berücksichtigung des Bezugs der Perikopen zum Gesamttext ist besonders für die Redaktionskritik ausschlaggebend.“7

Die Einordnung einer Perikope in ihren unmittelbaren, textimmanenten Zusammenhang ist demnach die unabdingbare Voraussetzung dafür, sie angemessen zu verstehen. Hier liegt aber genau das Problem bei jeder Interpretation von Logien des Thomasevangeliums. Da ausgesprochene Merkmale einer durchgängigen Redaktion bisher nicht gefunden sind und die Komposition der Sprüche eher 4

Vgl. nur den nützlichen Überblick bei Schröter, Erinnerung, 122–140. Sellew, Prospects, 327. 6 Theobald (Primat, 161–162), der dies am Beispiel von Mk 2,13–17 und Mt 9,9–13 ausführt. 7 Egger, Methodenlehre, 57–58. 5

1.1. Das Thomasevangelium als Text

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zufällig erscheint, haben wir es bei der Analyse einzelner Logien immer mit isolierten Einheiten zu tun. Da das Thomasevangelium außerdem keine auf Anhieb erkennbare Gesamtintention aufweist, fehlt für die Erklärung eines Logions mit Hilfe eines beliebigen anderen ein nachweisbarer innerer Zusammenhang. Jedes einzelne Logion, und bei längeren Logien jeder einzelne Abschnitt, erscheint somit als ein Text ohne klar definierbaren Kontext. Nun könnte man die Frage nach dem Kontext angesichts der Zugehörigkeit des Thomasevangeliums zur Gattung der Spruchsammlung für verfehlt halten, weil diese per definitionem kontextlose Logien darbietet, die absichtlich nicht redaktionell verarbeitet worden sind. Formgeschichtlich betrachtet, hätten wir es mit einer Ansammlung von Urgestein der christlichen Überlieferung zu tun, mit lauter kleinen Einheiten, die in ihrer Aussage und Intention für sich stehen. Diesbezüglich ist die Einschränkung bemerkenswert, die T. Söding in seinem Methodenbuch bei der Kontextanalyse macht: „Bei traditionsabhängiger Literatur kann zwar die literarkritische Analyse zu sog. ‚kleinen Einheiten‘, d. h. zu ursprünglich selbständigen Texten führen. In diesem Fall wäre eine Kontextanalyse überflüssig. Aber sobald diese älteren Texte auf der Ebene einer späteren Redaktion gelesen werden, ist sie unabdingbar.“8

Ganz in diesem Sinne ist M. Lelyveld mit ihrer Arbeit, die lange Zeit die einzige ihrer Art war, zwar „à la recherche d’une tradition et d’une rédaction“9, versteht beides aber nicht umfassend auf das ganze Thomasevangelium bezogen, sondern untersucht Tradition, Überlieferung und Redaktion nur kleinräumig an einzelnen Logiensequenzen.10 Da sie kaum auf Vorarbeiten zurückgreifen konnte, ist dies unter arbeitsökonomischen Gesichtspunkten nachvollziehbar. Ihre Vorgehensweise beruht aber grundsätzlich auf einer ganz bestimmten Wahrnehmung des im Thomasevangelium versammelten Materials und seiner Verarbeitung, wie folgende methodische Vorbemerkung zeigt: „Nous voyons par ces exemples [sc. EvThom 63–68; 11–13]11 qu’une attention au genre littéraire, et une comparaison avec des textes judaïques nous ont permis de dégager le sens primitif du Logion, et des unités primitives ou rédactionnelles. La méthode est celle de la Formgeschichte. Elle a été développée et appliquée aux textes néotestamentaires et on peut bien l’appliquer à l’EvTh qui, plus que les autres évangiles, est un écrit de la ‚Klein Literatur‘.“12

Dazu ist mehreres zu sagen. Lelyveld vermischt in ihrer Arbeit Überlieferungsund Traditionskritik. Dabei geht es mir nicht um einen bestimmten Gebrauch 8

Söding, Schriftauslegung, 117. So der Untertitel des Buches Lelyveld, Logia. 10 Dabei arbeitet sie einerseits EvThom 10–11; 11–13; 18–19; 18/20–21; 50–53; 59–60; 63–69; 85–86 als redaktionelle Einheiten und andererseits das Incipit mit EvThom 1 und 114 sowie EvThom 3 und 113 als Rahmenpartien der Spruchsammlung heraus. 11 Vgl. Lelyveld, Logia, 13–22. 12 Lelyveld, Logia, 22. Zum Begriff „Klein-Literatur“ vgl. Dibelius, Formgeschichte, 1–8. 9

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

der Begriffe, die sich so im Französischen – wie auch im Englischen – ohnehin nicht unterscheiden lassen, sondern um eine notwendige Differenzierung in der Sache.13 Die Überlieferungskritik sucht „eine ursprünglich selbständige, in sich stehende und geformte mündliche Einheit, die jetzt in einem Text verschriftlicht vorliegt und dessen Grundstock bildet“14. Die Traditionskritik hingegen richtet sich „auf Motive, geprägte Züge und Themen in einem bestimmten Text, die ihn mit anderen Texten verbinden, insofern auch diese aus dem gleichen Motivreservoir etc. schöpfen wie er“15. Während also die Überlieferungskritik die mündliche Vorgeschichte des Textes bis hin zu einer suffizienten ursprünglichen Überlieferungseinheit erforscht, sich dabei aber konsequent an die formgeschichtliche Entwicklung dieser Einheit selbst hält, um sie in ihrer individuellen Prägung angemessen zu erfassen, zieht die Traditionsgeschichte vergleichbare Motive in anderen Texten heran, um die einzelne Überlieferung literatur-, zeit- und religionsgeschichtlich in einen größeren Rahmen einzuordnen. Wird beides miteinander vermengt, läuft man Gefahr, die individuellen Züge einer Überlieferung zugunsten ihrer traditionsgeschichtlichen Erfassbarkeit zu nivellieren. Im Ergebnis wird dann der Text wieder nicht zuerst aus sich selbst, sondern von einem vermuteten traditionsgeschichtlichen Hintergrund her interpretiert. Überdies zeigen Lelyvelds eigene Analysen, dass im Thomasevangelium – zumindest in der Gestalt des vollständig erhalten koptischen Zeugen – nicht nur kleinräumige Redaktion am Werk war, sondern das Incipit mit EvThom 1 und 114 sowie EvThom 3 und 113 redaktionell bewusst so gestaltet worden sind, dass sie das gesamte Textcorpus literarisch rahmen.16 Spätestens auf dieser Stufe der Überlieferung ist also das Bestreben erkennbar, die Spruchsammlung formal und inhaltlich unter bestimmten hermeneutischen Vorgaben zusammenzubinden, die es erlauben und aus Sicht des Redaktors erfordern, einzelne Logien in diesem Rahmen zu interpretieren. Dass Lelyveld daneben unter anderem EvThom 11– 13 als redaktionelle Einheit aufweisen kann,17 durch die der Apostel Thomas als Gewährsmann der Überlieferung in der Sammlung selbst verankert wird, lässt ebenfalls ein übergreifendes redaktionelles Interesse erkennen. Angesichts dessen wird fraglich, ob man das Thomasevangelium pauschal als „Klein-Literatur“ einstufen und eine Gesamtintention zumindest auf dieser Stufe der Redaktion von vornherein ausschließen sollte. Schließlich ist daran zu erinnern, dass man unter kleinen Einheiten herkömmlicherweise solche versteht, die ohne den Kontext, in dem sie jetzt stehen, für sich 13 Dieser Punkt ist in der Methodendiskussion bis heute kontrovers. So schlägt z. B. Schnelle (Einführung, 134–135) vor, auf den Begriff „Überlieferungsgeschichte“ zu verzichten, während Ebner / Heininger (Exegese, 237–247.330–336) die Unterscheidung beibehalten. 14 Theobald, Herrenworte, 19. 15 Theobald, Herrenworte, 20. 16 Vgl. Lelyveld, Logia, 113–143. 17 Vgl. Lelyveld, Logia, 144–149.

1.1. Das Thomasevangelium als Text

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allein stehen könnten und in diesem Sinne suffizient sind. Dazu müssen sie einen aus sich selbst verständlichen Inhalt in einer den Gesetzen mündlicher Überlieferung angemessenen Form präsentieren. Bestünde das Thomasevangelium aus lauter solchen Einheiten, könnte man diese je für sich und ohne Blick auf den größeren Kontext analysieren und verstehen. Nun enthält diese Sammlung aber eine ganze Anzahl von Logien, die für sich genommen so rätselhaft sind, dass man gezwungen ist, nach einem passenden Kontext zu suchen, will man sich nicht mit ihrer prinzipiellen Unverständlichkeit abfinden. Der weitaus größte Teil der Forschung war bisher mit der Suche nach den traditionsgeschichtlichen Kontexten des Thomasevangeliums und einzelner Logien darin beschäftigt. Erst in jüngerer Zeit wird auch der kompositorische und redaktionelle Kontext – und bestünde er nur in einer bewussten und nicht willkürlichen Aneinanderreihung der Logien – verstärkt berücksichtigt. Zur Erhellung dieses Kontextes, die der Frage nach den Quellen und Hintergründen eigentlich vorausgehen muss, will die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten. Bevor wir jedoch unsere eigene Untersuchung beginnen, ist es nützlich, sich einerseits ein klares Bild von den Aporien zu machen, mit denen jeder Versuch einer Kompositions- und Redaktionskritik am Thomasevangelium gestellt ist, und sich andererseits die bisherigen Ergebnisse auf diesem Feld der Forschung zu vergegenwärtigen. Aus der Diskussion der früheren Ansätze wird sich sodann eine dem Thema angemessene Fragestellung und Methode ergeben. 1.1.2. Aporien im Text des Thomasevangeliums Die mit dem Text des Thomasevangeliums und seiner Entstehung verbundenen Aporien hat H.-M. Schenke vor Jahren in aller wünschenswerten Klarheit herausgestellt. An seinem Beitrag können wir uns daher im Folgenden orientieren. Das auffälligste Phänomen und deshalb auch die erste Aporie, die nach Schenke jede Kompositionsgeschichte des Thomasevangeliums zu erklären hat, sind die Dubletten. Dabei ist nicht einmal klar, welche Sprüche überhaupt als Dubletten zu gelten haben. Schenke zählt dazu: EvThom 3 und 113; 5 und 6,5–6; 6,1 und 14,1–3; 22,4 und 106,1; 48 und 106,2; 55 und 101; 56 und 80 und 111,3; 87 und 112.18 Es gibt daneben aber noch viele andere Vorschläge.19 Sind die Dubletten einmal identifiziert, ist zu fragen, welche Rolle sie in der Komposition des Endtextes spielen, wie sich ihre Aussage und Funktion je nach Kontext verändert, und schließlich, auf welcher Stufe der Textentstehung sie in die Komposition gelangt sein könnten. Abgesehen von den Dubletten, gibt es im Thomasevangelium etliche Sprüche, die der Sache nach zusammengehören, tatsächlich aber 18 19

Vgl. Schenke, History, 13. Für eine erste Orientierung vgl. die Übersicht bei Asgeirsson, Doublets, 134.

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

weit auseinander stehen, so z. B. EvThom 6 und 14 zum Thema Beten, Fasten und Almosengeben oder EvThom 46 und 78 als Zeugen der Täufertradition.20 Eine zweite Aporie betrifft die Art und Weise, wie die einzelnen Logien eingeleitet werden.21 Dabei lassen sich folgende drei Arten unterscheiden: Die meisten Sprüche haben die stereotype Einleitung „Jesus sprach“ ( ) bzw. „Jesus spricht“ (λέγει Ἰησοῦς); in manchen Fällen ist das Jesuslogion in einen kleinen Dialog eingebettet, z. B. ein Schulgespräch mit den Jüngern oder die Frage bzw. Aussage eines Außenstehenden; einige Sprüche sind durch vorhergehende Situationsangaben veranlasst und nehmen dadurch die Form von Chrien an.22 Auf dem Hintergrund dieser allgemeinen Gepflogenheiten fallen die Besonderheiten einiger Logien auf. So fehlt in EvThom 27; 93 und 101 jegliche Einleitung, so dass man fragen muss, ob sie nicht – entgegen der üblichen Zählung – noch zur jeweils vorausgehenden Sprucheinheit gehören. EvThom 1 und 8 haben nur „und er sagte“, EvThom 65 und 74 nur „er sagte“; sind auch sie eventuell enger an die jeweils vorausgehenden Sprucheinheit zu binden, zumal EvThom 1 inzwischen nach allgemeiner Auffassung zum Prolog gehört? Schließlich gibt es einige Fälle, in denen der Sprecher aus dem Kontext erschlossen werden muss, so etwa in EvThom 43 und 61. Eine dritte Aporie wird durch die unterschiedliche Zählung der Logien, wie sie kurz nach Entdeckung des koptischen Thomasevangeliums zu beobachten war, offenbart.23 So hat J. Leipoldt immer wieder andere Zäsuren vorgeschlagen. In seiner ersten Übersetzung kommt er auf insgesamt 112 Logien, indem er mit EvThom 21,5; 61,2 und 111,3 jeweils einen neuen Spruch beginnen lässt und umgekehrt EvThom 59 und 60; 71 und 72 sowie 92–95 jeweils zu einem einzigen Logion zusammenzieht.24 Beim nächsten Mal zieht er EvThom 1 zum Incipit, lässt mit EvThom 13,6; 21,5 sowie 61,2 einen jeweils einen neuen Spruch beginnen, betrachtet EvThom 92 und 93 sowie 94 und 95 jeweils als einen einzigen Spruch und erreicht so die Zahl von 113 Logien.25 In seiner dritten Ausgabe schließlich zählt Leipoldt 114 Logien, wobei er EvThom 1 zum Incipit nimmt, mit EvThom 13,6 einen neuen Spruch beginnen lässt und innerhalb einzelner Sprüche – so vor EvThom 21,5; 61,2; 69,2 und 77,2 – zusätzliche Einschnitte markiert.26 J. Doresse unterscheidet 118 Logien; auch er nimmt das Incipit und EvThom 1 zusammen, außerdem lässt er mit EvThom 3,4; 11,3; 19,2; 19,3; 21,5 und 21,5 jeweils ein neues Logion beginnen und fasst umgekehrt EvThom 59 und 60 zu einem einzigen Spruch zusammen.27 Völlig anders präsentiert R. Kasser 20

Vgl. Schenke, History, 23–24. Vgl. Schenke, History, 13–16. 22 Siehe dazu unten bei der Diskussion von J.Ma. Asgeirsson (Doublets) mehr. 23 Vgl. Schenke, History, 16–19. 24 Vgl. Leipoldt, Ein neues Evangelium? 25 Vgl. Leipoldt, Thomas-Evangelium. 26 Vgl. Leipoldt, Evangelium. 27 Vgl. Doresse, EvThom. 21

1.1. Das Thomasevangelium als Text

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den Text, indem er durchgehend 250 Verse zählt, die er nicht zu Sprucheinheiten zusammenfasst.28 Inzwischen ist die Zählung der von Guillaumont und anderen besorgten Editio princeps mit ihren 114 Logien,29 die auch in der Leidener Standardausgabe von B. Layton beibehalten wurde,30 allein aus praktischen Gründen allgemein üblich geworden. In neueren Übersetzungen hat sich außerdem die Unterteilung der Logien in Verse (Sätze) etabliert.31 Manche machen überdies innerhalb einzelner Logien noch Absätze, so Schröter und Bethge vor EvThom 3,4; 6,2; 14,4; 21,5; 21,8; 29,3; 47,3; 61,5; 69,2; 77,2 und 111,3.32 Eine vierte Aporie ist dadurch gegeben, dass an verschieden Stellen im Thomasevangelium unvermittelt der Sprecher wechselt bzw. überhaupt nicht klar ) ist, wer spricht.33 Leitet „deshalb sage ich“ in EvThom 21,5 ( und 61,5 ( ) eine Fortsetzung der Rede Jesu, einen redaktionellen Kommentar oder in EvThom 61,5 womöglich einen Spruch Salomes ) in EvThom 74 kann schlecht – wie ein? Das Subjekt von „er sagte“ ( man erwarten würde – Jesus sein, wo doch zu Beginn der direkten Rede wahr) angesprochen wird. In EvThom 111,3 scheinlich er selbst als „Herr“ ( wird mit der Einleitung „sagt nicht Jesus …“ ( ) plötzlich von außen ein Jesuszitat in den Text eingebracht. In EvThom 46,2 zitiert Jesus ). Bei EvThom 4,1 und sich selber: „ich habe aber gesagt“ ( 15 kann man sich fragen, ob es sich ursprünglich um Sprüche über Jesus und nicht von ihm handelt. Die fünfte Aporie rührt daher, dass der Rahmen des Thomasevangeliums und der Inhalt mancher Logien nicht so recht zueinander passen wollen.34 Das Incipit präsentiert die Sammlung als „die verborgenen Worte, die der lebendige ). Dabei mag Jesus gesprochen hat“ ( man an Geheimoffenbarungen des auferstandenen Jesus denken. Ihrem Gehalt nach sind viele der Logien aber keineswegs esoterisch ausgerichtet, sondern als Worte des irdischen Jesus in ähnlicher Form aus den Synoptikern bekannt. EvThom 1 verspricht demjenigen Leben, der die Bedeutung dieser Worte findet ). Gleichwohl gibt es Sprüche, die ihre ( Erklärung gleich mitliefern, so dass man sie nicht erst noch finden müsste. Die Thomastradition ist im Text nicht fest verankert, sondern begegnet ausdrücklich nur im Incipit, in der Subscriptio und in EvThom 13. Andere Jünger und Jüngerinnen erscheinen demgegenüber kaum weniger bedeutend, so vor allem

28

Vgl. Kasser, EvThom. Vgl. Guillaumont u. a., Thomas. 30 Vgl. Layton, Codex II. 31 Vgl. Meyer, Text; Schröter/Bethge, Thomas. 32 Vgl. Schröter / Bethge, Thomas. 33 Vgl. Schenke, History, 19–21.24–26. 34 Vgl. Schenke, History, 21–23. 29

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

Jakobus (EvThom 12), aber auch Salome (EvThom 61) und Maria Magdalena (EvThom 114). Als sechste und letzte Aporie ist schließlich noch der Umstand zu nennen, dass manche Überlieferungen derart gekürzt oder kondensiert erscheinen, dass sie in der Fassung des Thomasevangeliums kaum mehr einen profilierten Sinn ergeben.35 Diesen Eindruck kann man z. B. gewinnen, wenn man das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen in EvThom 57 mit seiner matthäischen Form (Mt 13,24–30) vergleicht. Im Thomasevangelium wird das Gleichnis eigentlich nicht erzählt, sondern nur in seinen wichtigsten Stichpunkten festgehalten. Ähnliches kann man von EvThom 21,9–10 sagen, wo Anfang und Schluss des markinischen Gleichnisses von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26–29) anklingen, ohne jedoch ausgeführt zu werden.

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die wichtigsten Versuche, die Entstehungsgeschichte des Thomasevangeliums zu erhellen. Dabei berücksichtige ich nur ausgearbeitete Vorschläge, nicht aber vereinzelte Hinweise, die sich in der Literatur immer wieder finden.36 Vollständigkeit wird nicht angestrebt, weil es an dieser Stelle nicht um einen umfassenden Forschungsbericht geht, sondern darum, anhand bisheriger Entwürfe auf die Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, die in der Textgestalt des Thomasevangeliums begründet liegen. Die einzelnen Arbeiten werden in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Publikation dargeboten, damit die verschiedenen Ansätze mit ihrem je eigenen Anliegen voll zur Geltung kommen und ein gebührender Eindruck von der Bandbreite der angebotenen Lösungen entsteht. Erst am Ende wird der Ertrag der bisherigen Bemühungen unter systematischen Gesichtspunkten festgehalten, um so Perspektiven für die Weiterarbeit an der Kompositionsgeschichte des Thomasevangeliums zu gewinnen. 1.2.1. H.-M. Schenke: Ein Exzerpt aus einem Kommentar zu Jesusworten Für die von ihm benannten Aporien im Text findet Schenke selbst eine verblüffend einfache Erklärung. Er nimmt an, dass das Thomasevangelium selbst keine ursprüngliche Sammlung von Jesusworten darstellt, sondern ein Exzerpt, dem ein Kommentar zu einer Logiensammlung im Stil der „Fünf Bücher der

35

Vgl. Schenke, History, 24. Vgl. die Übersichten bei DeConick, Recovering, 39–55; Fallon/Cameron, Forschungsbericht, 4205–4213; Haenchen, Literatur, 306–316. 36

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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Auslegung von Herrenworten“37 des Papias als Vorlage gedient hat.38 Die Aporien erklärt Schenke dann so, dass der Urheber des Thomasevangeliums beim Exzerpieren seiner Vorlage die eigentlichen Herrenworte, auf die es ihm ankam, nicht immer sauber von ihrer Kommentierung unterscheiden konnte und deswegen einiges vom Kommentar mitübernommen hat. So kolportierten etwa die unvermittelt von einem anderen „Ich“ als Jesus eingebrachten Erläuterungen die Stimme jenes Kommentators, die sich im Exzerpt des Thomasevangeliums gelegentlich mit den Jesusworten mische. Da Schenke nicht ausschließt, dass der exzerpierte Kommentar tatsächlich derjenige des Papias gewesen sein könnte,39 bleibt er bei der Datierung des Thomasevangeliums „close to the period in which Papias flourished“40 und findet sich dabei in Übereinstimmung mit dem weithin akzeptierten Datum: „the ‚ominous‘ year 140 c.e.“ Eine weiterführende Kritik an Schenkes Lösung übt U.-K. Plisch: „Die Hauptschwierigkeit dieser Hypothese ist, dass sie das Problem der Disparatheit des im Thomasevangelium gesammelten Materials nicht erklärt, sondern nur nach hinten verschiebt – auf eine hypothetische Größe. Mit dieser Schwierigkeit hängt die Annahme nur eines exzerpierten Werkes zusammen, die für die Stabilität der Hypothese eigentlich nicht notwendig ist. Warum der Kompilator nicht mehrere Werke – und zwar verschiedenen Charakters – exzerpiert haben sollte, ist nicht recht einzusehen. […] Mir selbst hat sich während meiner Arbeit am Thomasevangelium das Bild vom Thomasevangelium als einer Box voller Ostraka aufgedrängt.“41 Was Plisch als Hauptschwierigkeit benennt, ist meines Erachtens gerade die Stärke von Schenkes Exzerpt-Hypothese, die darin liegt, dass er mit ihr einen komplexen Befund einfach erklären kann. Die Disparatheit des Materials entspricht der Gattung des exegetischen Kommentars, der ja nicht nur den Zusammenhang der kommentierten Schrift wiederspiegelt und dabei gleichzeitig eine eigene Auslegungsintention verfolgt, sondern darüber hinaus weiteres Material zusammenträgt, das in irgendeiner Weise zum Verständnis vorgegebener Logien beitragen soll. Nicht alles wird dabei in der vom Autor letztlich eingenommenen Perspektive verarbeitet, sondern manches wird erwogen und dann fallengelassen. So ist ein weitgefächerter Kommentar auch stets ein Sammelsurium von Eigenem und Fremdem, Akzeptiertem und Verworfenem. 37 Zum Titel λογίων κυριακῶν ἐξηγήσεως συγγράματα πέντε vgl. Körtner, Papiasfragmente, 9; 54–55 (Frgm. 5,1); 74 (Anm. 1). 38 Vgl. Schenke, History, 26–28. 39 Vgl. Schenke, History, 27: „Now, it is close to this end of the spectrum that those who have difficulty dealing with unknown quantities might find opportunity to take the Gospel of Thomas as an excerpt of the five books of Papias themselves!“ 40 Schenke, History, 28. Vgl. dazu Körtner, Papiasfragmente, 30: „Mit unterschiedlichen Argumenten, die freilich zum Teil recht hypothetischen Charakter haben, hat man die fünf Bücher des Papias zwischen 80 n. Chr. und 160 n. Chr. datieren wollen. Mehrheitlich wird heute an die Abfassung des Papiaswerkes um 125/30 n. Chr. gedacht.“ 41 Plisch, EvThom, 29–30.

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

Woher ein solcher Kommentar seinerseits sein Material bezogen hätte, ist eine andere Frage; es würde aber jedenfalls plausibel, wie so Unterschiedliches in einer Schrift zusammenkommen konnte. Dagegen lässt Plischs Modifikation die eigentliche Schwäche von Schenkes Hypothese erst richtig hervortreten. Diese besteht darin, dass die Annahme eines Exzerptes keineswegs notwendig ist, um die literarischen Besonderheiten des Thomasevangeliums zu erklären. Wenn jemand auf Ostraka die unterschiedlichsten Exzerpte aus verschiedenen Schriften sammeln konnte, wieso hätte er dasselbe dann nicht auch mit Logien tun können, die ihm im Laufe der Zeit mündlich oder schriftlich von Jesus bekannt geworden wären? Das Thomasevangelium könnte genauso gut das Produkt eines sukzessiven Wachstumsprozesses sein, der sich aus den unterschiedlichsten Quellen speiste und dabei keine Einheitlichkeit im Ganzen anstrebte. Sämtliche Wachstumsmodelle bleiben damit neben der Exzerpt-Hypothese weiterhin möglich, und sie haben sogar den Vorteil, dass sie nicht mit einer oder mehreren verlorenen Schriften als Quellen für das Thomasevangelium rechnen müssen. 1.2.2. T. Akagi: Ur-Thomas, Oxyrhynchus- und koptischer Thomas Der erste groß angelegte Versuch, das literarische Wachstum des Thomasevangeliums zu erklären, stammt von T. Akagi, der drei Phasen im Textentstehungsprozess unterscheidet.42 Danach ist eine erste Spruchsammlung, der sogenannte „Ur-Thomas“, in einem judenchristlichen Milieu in Edessa aus frei umlaufenden Jesusworten entstanden und möglicherweise auf griechisch niedergeschrieben worden.43 Da Tatian für sein Diatessaron wahrscheinlich aus dem Ur-Thomas geschöpft habe, müsse dieser spätestens im zweiten Viertel des zweiten Jahrhunderts vorgelegen haben.44 Einmal nach Alexandrien gelangt, habe sich die Überlieferung geteilt in einen Zweig, in dem der Ur-Thomas unverändert weitertradiert worden sei, und einen Zweig, in dem der überkommene Text Veränderungen erfahren habe. Letztere schätzt Akagi jedoch so gering ein, dass er beide Zweige zusammenfassend als „Oxyrhynchus Thomas“ bezeichnen und, von kleineren Unterschieden abgesehen, als ein und dieselbe Fassung des Tho42 Vgl. die Zusammenfassung bei Akagi, Development, 384–392. Frühere Publikationen äußern sich zwar vielfach zu den vermutlichen Entstehungsverhältnissen des Textes, belassen es aber in der Anfangsphase seiner Erforschung naturgemäß bei einzelnen Hinweisen, die bei Akagi (ebd. 105–120) gesammelt sind. 43 Vgl. Akagi, Development, 121. 44 Akagi, Development, 202. Die umgekehrte Abhängigkeit behauptet neuerdings Perrin, Tatian, 183–188; ders., Gospel, 137. Nach Quispel (Diatessaron, 117; Hebrews, 378–380) schöpfen Tatian und das Thomasevangelium ihren gemeinsamen Stoff unabhängig voneinander aus dem Hebräerevangelium; da wir vom Hebräerevangelium allerdings nur wenige Fragmente kennen (vgl. Lührmann, Fragmente, 48–55) und davon sich nur eines mit dem Thomasevangelium überschneidet (EvThom 2; siehe unten Kap. 2.2), scheint diese These doch mehr als gewagt.

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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masevangeliums behandeln kann. Ein Exemplar des Oxyrhynchus-Thomas sei schließlich um 400 ins Koptische übersetzt und verbreitet worden, wobei der Textbestand Veränderungen erfahren habe. Ein Zeuge dieser koptischen Überlieferung, die Akagi zusammenfassend „Coptic Thomas“ nennt, sei das erhaltene Manuskript NHC II,2. Insgesamt hält Akagi den Logienbestand in allen drei Phasen der Überlieferung für sehr stabil: „The ‚Ur-Thomas‘ seems to have contained most of the logia that are found in the present Coptic Gospel of Thomas.“45 Was den Umfang möglicher Veränderungen anbelangt, bleibt Akagi vage. Lediglich EvThom 16; 49; 61; 75 und 114 stuft er mit einiger Sicherheit als Hinzufügungen des koptischen Thomasevangeliums ein, weil sie zu dem angenommenen judenchristlichen Charakter der Sammlung seines Erachtens nicht passen.46 Stärke und Schwäche von Akagis Ansatz zeigen sich gleichermaßen in seiner Behandlung der Oxyrhynchos-Papyri. Indem er die griechische Überlieferung eigens und ausführlich würdigt,47 setzt er Maßstäbe, die in späteren kompositions- und redaktionskritischen Arbeiten, welche sich fast ausschließlich auf den koptischen Zeugen beziehen, oft nicht beachtet worden sind. Gleichzeitig ist aber auch bei Akagi bereits die Tendenz vorhanden, den fragmentarischen griechischen Text, soweit nur irgend möglich, an den koptischen anzugleichen, obwohl beide bereits im sicher bezeugten Textbestand an vielen Stellen voneinander abweichen. Dabei hätte in der Unterscheidung von „Oxyrhynchus Thomas“ und „Coptic Thomas“ die Chance gelegen, beide im Vergleich mit dem jeweils anderen umso schärfer zu profilieren. Freilich gelingt dies nicht, wenn man den griechischen Text ausschließlich mit Blick auf den koptischen rekonstruiert und mögliche Unterschiede nivelliert.48 Aber auch da, wo Unterschiede nicht zu leugnen sind, akzeptiert Akagi zu schnell eine bestimmte Wiederherstellung des griechischen Zeugen und erwägt mögliche andere nicht mehr ernsthaft. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. In Bezug auf das griechische Incipit (Pap Ox 654,1–5) urteilt Akagi: „The existence in this Greek manuscript of the Syrian name ‚Judas Thomas‘, therefore, provides unmistakable evidence that the Gospel of Thomas, at one time or another in its literary evolution, bore this form of Thomas’ name, i. e., ‚Judas Thomas‘.“49 Einen eindeutigen Beleg liefert 45 Akagi, Development, 121; vgl. ebd. 203.322. Mit größeren Veränderungen rechnet Akagi erst im Thomasevangelium der Manichäer, das die Kirchenväter vereinzelt erwähnen; aufgrund der spärlichen Belege hält er sichere Aussagen darüber allerdings für unmöglich (vgl. ebd. 391). 46 Vgl. Akagi, Development, 328.361–379. 47 Akagi (Development, 205–323) widmet dem „Oxyrhynchus Thomas“ ein eigenes langes Kapitel. 48 Den griechischen Text übernimmt Akagi, mit Ausnahme von EvThom 30 (vgl. Akagi, Development, 300), von Fitzmyer (Oxyrhynchus). 49 Akagi, Development, 122. Als einziges Argument führt Akagi (ebd. 236) die Namensform Θωμᾶς ὁ λεγόμενος Δίδυμος aus Joh 11,16; 20,24; 21,2 an, die sich so in Pap Ox 654,2–3 nicht herstellen lässt. Dass es, was mögliche Namensformen anbelangt, viel weiter gehender Überlegungen bedarf, werden wir unten in Kap. 2 sehen.

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

Pap Ox 654,2–3 aber nur für καὶ Θωμᾶ, während Ἰούδα(ς) in der Lücke davor ergänzt werden muss. Dass diese fast allgemein akzeptierte Ergänzung nicht ohne Alternative ist, werden wir bei der Behandlung des Incipits noch sehen. Für den Moment sei nur festgehalten: Wer dem „Oxyrhynchus Thomas“ wirklich zu seinem Recht verhelfen will, der muss auf seine Rekonstruktion mehr Sorgfalt verwenden, als Akagi es getan hat. 1.2.3. D.H. Tripp: Jüngerfragen als Kapitelüberschriften D.H. Tripp geht von der Frage aus, ob das Thomasevangelium zum liturgischen Vortrag bestimmt war, und falls ja, ob es auf einmal oder abschnittsweise durchgelesen werden sollte. Dass die Formel „Jesus sagte“ zur Markierung größerer Abschnitte gedient haben könnte, schließt er aus, weil sie beinahe jeden Spruch im Thomasvangelium einleitet und daher für diesen Zweck zu unspezifisch sei. Das gelegentliche Auftreten von Fragen am Beginn von Logien sei hingegen auffallend. Tripp teilt die Fragen ein in solche, die Jesus von einzelnen Jüngern oder von nicht näher bezeichneten Dritten gestellt werden, und solche, die „seine Jünger“ ( ) gemeinsam an ihn richten. Letztere dienten als Kapitelüberschriften und markierten als solche in EvThom 6; 12; 18; 20; 24; 37; 43; 51; 99 und 113 jeweils den Beginn eines größeren Abschnitts; dass in EvThom 52 und 53 auch „seine Jünger“ fragen, hebe zusammen mit EvThom 51 formal wie inhaltlich die Mitte des Buches hervor.50 Da Jesus im Thomasevangelium in den meisten Fällen von sich aus spricht, fallen die Logien, die mit einer Frage anderer an ihn beginnen, in der Tat auf. Auch die Annahme, dass die Fragen jeweils neue Kapitel einleiten, scheint nicht weit hergeholt, weil sie damit für einen größeren Abschnitt jeweils die Funktion erfüllen würden, die sie innerhalb der einzelnen Logien ohne Zweifel haben, nämlich das Thema des Folgenden aufzubringen und eine Stellungnahme Jesu herauszufordern.51 Problematisch erscheint bei Tripp indes die Einteilung der Fragen je nachdem, wer fragt. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Fragen einzelner Jünger (EvThom 21; 61; 114) oder Außenstehender (EvThom 22, 91; 100; 104) die Abfolge der behandelten Themen weniger gliedern sollten als die Fragen, welche „seine Jünger“ Jesus stellen. Als einziges Argument führt Tripp an, jene Fragen seien so ungleichmäßig über das Buch verteilt, dass sie unmöglich seine Struktur bestimmen könnten. Dasselbe kann man aber auch von den nach seiner Ansicht gliedernden Jüngerfragen behaupten, die ja sehr unterschiedlich lange Kapitel eröffnen. Im Übrigen fehlt Tripps Kapiteln die thematische Ge-

50

Vgl. Tripp, Aim, 42. Zu dieser Art Schulfragen siehe auch unten bei der Diskussion von Callahans und Nordsiecks Hypothesen. 51

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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schlossenheit, die er gleichwohl darin erkennen will.52 So kann der Ansatz in der Durchführung letztlich nicht überzeugen. 1.2.4. S.L. Davies: Suchen und Finden Dass die Thematik vom Suchen und Finden im Thomasevangelium einen herausragenden Platz einnimmt, ist nicht zu übersehen. Bereits in EvThom 1, das den hermeneutischen Schlüssel zum rechten Verständnis der Sammlung liefert, wird das Leben demjenigen versprochen, der die Deutung der darin enthaltenen Worte findet. Bei diesem charakteristischen Zug des Textes setzt die Strukturanalyse von S.L. Davies an. Er teilt die Schrift in vier Kapitel ein: A: EvThom 2–37; B: EvThom 38–58; C: EvThom 59–91; D: EvThom 92–113.53 Jedes dieser Kapitel beginnt mit einem Spruch, der das Motiv vom Suchen und Finden enthält. In A, C und D folgen darauf Gleichnisse im synoptischen Stil. Nach einer Reihe von Sprüchen, die Davies zufolge keine erkennbare Ordnung aufweisen, werden die einzelnen Kapitel dann mit bestimmten wiederkehrenden Themen abgeschlossen, die aber nicht immer alle vorkommen; diese Themen sind: „making the two one“; „being chosen, solitary, standing“; „parables about finding“; „light“; „renunciation of the world or power“; „knowledge of which the world is not worthy“; „sayings on body and soul and spirit“.54 EvThom 37 und 113 beinhalten nach Davies als die letzten Logien von A und D Fragen der Jünger nach dem Ende, in EvThom 91 sei zum Abschluss von Kapitel C eine solche Frage in der Antwort Jesu impliziert.55 Da die vier Kapitel sich in Stil und Inhalt nicht wesentlich voneinander unterschieden, seien sie wahrscheinlich miteinander entstanden und entstammten nicht verschiedenen Quellen. Nur EvThom 1 und 114 seien als Rahmenlogien zu einem späteren Zeitpunkt hinzugekommen.56 Davies’ Strukturanalyse beruht allein auf inhaltlichen Kriterien und entbehrt darin nicht einer gewissen Willkür. Das zeigt schon die Tatsache, dass das Leit, und nicht motiv vom Suchen und Finden mit den Stichwörtern nur in den Logien begegnet, welche die einzelnen Kapitel eröffnen, sondern noch in vielen anderen.57 Es erweist sich dadurch als ungeeignet, um Davies’ Einteilung des Thomasevangeliums in vier große Kapitel zu untermauern. Dasselbe gilt für die Liste der sieben Themen, die ihm zufolge den Abschluss der einzelnen Kapitel bilden. Sie weisen eine so große inhaltliche Bandbreite auf, dass sie als zielgenaues Kriterium zur Strukturierung des Textes viel zu unspezifisch sind, 52

Vgl. Tripp, Aim, 43. Vgl. Davies, Wisdom, 150–151. 54 Vgl. Davies, Wisdom, 149. 55 Vgl. Davies, Wisdom, 152. 56 Vgl. Davies, Wisdom, 152–153. 57 Der koptische Wortindex bei Layton (Codex II, 264–280) zählt für die drei Verben insgesamt 52 Vorkommen, die freilich je nach Verwendungsweise noch sortiert werden müssten. 53

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

zumal sie am Ende einzelner Kapitel immer nur in einer wechselnden Auswahl erscheinen. Da sich die einzelnen Kapitel nach Stil und Inhalt ohnehin nicht unterscheiden, fällt es schwer, in dem so unterteilten Text ein spezifisches Profil zu erkennen. 1.2.5. W.E. Arnal: Die Rhetorik von Randgruppen W.E. Arnal geht in seiner Entstehungshypothese des Thomasevangeliums von zwei bekannten Beobachtungen aus, findet dafür aber jeweils eigene Erklärungen. Zum einen stellt er mit H. Köster fest, dass das Thomasevangelium mit der Logienquelle nach Form und Inhalt eng verwandt ist, deutet diesen Befund aber in Absetzung von Köster nicht auf der Ebene literarischer Abhängigkeit, sondern vom sozialen Umfeld und Standpunkt der beiden Schriften aus.58 Zum anderen erinnert er an die formale und thematische Inkonsistenz des Thomasevangeliums, findet darin aber weder eine Komposition aus verschiedenen mündlichen Überlieferungen noch eine halbherzige Anhäufung von Sprüchen, sondern die Spuren eines schichtweisen Textwachstums. In Analogie zu J.S. Kloppenborgs Schichtenanalyse der Logienquelle59 macht er auch im Thomasevangelium zwei in sich kohärente Hauptschichten aus: Wie Q, so sei auch das Thomasevangelium ursprünglich als eine Sammlung von Weisheitssprüchen60 Jesu entstanden; anders als in Q sei diese weisheitliche Grundschicht aber nicht um Elemente der apokalyptischen Gerichtspredigt Jesu, sondern um Sprüche mit einer gnostischen Orientierung61 angereichert worden.62 Der eigentliche Punkt in Arnals Argumentation betrifft nun allerdings nicht die literarische Gestalt beider Spruchsammlungen, sondern deren Trägerkreise, die er gegen G. Thei58 Vgl. Arnal, Rhetoric, 472–474. Gleichzeitig macht er (ebd. 472) darauf aufmerksam, dass Köster das literarische Zueinander beider Schriften unterschiedlich bewertet. Vgl. einerseits Köster, GNOMAI, 127: „Thomas benutzt also nicht die synoptische Spruchquelle. Sondern er vertritt den ‚östlichen‘ Zweig dieser Gattung, während der ‚westliche‘ Zweig der Gattung Logoi, nämlich ‚Q‘, von Matthäus und später von Lukas im westlichen Syrien benutzt wurde.“ Andererseits schreibt Köster, Christian Gospels, 95: „Thus, the Gospel of Thomas is either dependent upon the earliest version of Q or, more likely, shares with the author of Q one or several very early collections of Jesus’ sayings.“ 59 Vgl. Kloppenborg, Formation, 244–245 (Zusammenfassung der These). 60 Vgl. Arnal, Rhetoric, 478, Anm. 17: „Gos. Thom. 3, 5, 6, 9, 14, 16, 20, 26, 31, 32, 34–36, 42, 45, 47, 54, 55, 57, 63–65, 71, 74, 76, 86, 89, 95–98, 107, 109, 110. This list is not necessarily comprehensive, but rather includes sayings which may be ascribed to this layer with some confidence. Sayings left out of this list and not included in the list of materials from the secondary redaction may represent unclear instances, or later, perhaps scribal, accretions.“ 61 Vgl. Arnal, Rhetoric, 479, Anm. 32: „The sayings which appear to derive from this gnostic stratum include logia 11, 13, 15, 18, 21–22, 27–28, 49–50, 51, 60, 61, 83, 84, 101, 105, 108, 111, 114. This list is deliberately modest; I have excluded instances in which emendations are made from this perspective to material apparently from an earlier stratum.“ 62 Vgl. Arnal, Rhetoric, 474–480.

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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ßen63 und S.J. Patterson64 nicht in einem frühchristlichen Wanderradikalismus, sondern in der Verwaltungsschicht kleinerer Städte und Dörfer erblickt. Deren Beamte oder Schreiber hätten Mission im Rahmen ihrer alltäglichen Kontakte zu anderen Städten und Dörfern betrieben, seien also keine Wanderradikalen, sondern eher Dienstreisende gewesen. Die sozialen Konfliktlinien, die in der Logienquelle und im Thomasevangelium hervorträten, seien daher auch nicht zwischen Wanderradikalen und Sesshaften verlaufen, sondern zwischen der zunehmend verarmten ländlichen Bevölkerung und den kleinen Eliten der größeren Städte.65 Allerdings zeige das Thomasevangelium im Unterschied zu Q eine klare Ausrichtung der Trägergruppe nach innen, weshalb es sich mit seiner zweiten Schicht in Richtung esoterischer Gnosis weiterentwickelt habe, während in die Logienquelle apokalyptische Elemente eingewandert seien.66 Beide Schriften hätten damit in den zwei Phasen ihrer Entstehung, wenn auch auf je eigene Weise, eine für gesellschaftliche Randgruppen typische Rhetorik herausgebildet.67 Arnal benennt die grundlegende Schwierigkeit seines Ansatzes selbst in aller Offenheit: „The difficulty, of course, is the circularity of such evidence: the narrative world created by the gospels themselves can hardly be used to explain the genesis of the traditions comprising them.“68 Um sowohl die Logienquelle als auch das Thomasevangelium verlässlich in ein ganz bestimmtes historisches und gesellschaftliches Milieu einordnen zu können, braucht man also zusätzlich externe Evidenzen.69 Um aber dafür relevantes Vergleichsmaterial zu gewinnen, muss vorher Zeit und Ort der Entstehung der beiden Sammlungen einigermaßen gesichert sein. Dies ist bei der Logienquelle, die vor Matthäus und Lukas im ersten Jahrhundert entstanden sein muss, der Fall, beim Thomasevangelium hingegen nicht. Die parallele Entstehungsgeschichte der beiden Spruchsammlungen stimmt schon bei Köster und Patterson nur unter der Voraussetzung, 63 Von den zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema vgl. nur Theissen, Jesusbewegung, 55–79; z. B. ebd. 64: „Wandercharismatiker waren keine Randerscheinung in der Jesusbewegung. Sie haben die ältesten Traditionen geprägt und bilden den sozialen Hintergrund für einen großen Teil der synoptischen Überlieferung, insbesondere für die Logien. […] Am aufschlussreichsten sind ethische Normen, da sie sich direkt auf das Verhalten der Nachfolger Jesu beziehen, insbesondere das Ethos der Heimat-, Familien-, Besitz- und Schutzlosigkeit. Dieses Ethos kann man als Wanderradikalismus interpretieren. Sehr klar tritt es in Texten hervor, die in der Logienquelle gesammelt sind.“ Theissen war allerdings nicht der Erste, der diesen Zusammenhang hergestellt hat (vgl. ebd. 64, Anm. 101). Eine gute Zusammenfassung der Diskussion bietet Tuckett, History, 355–391. 64 Wie Theissen hinter der Logienquelle, so sieht Patterson (Thomas, 113–214) hinter dem Thomasevangelium Wanderradikale als die entscheidenden Träger der Überlieferung. Vgl. aber auch schon Robinson, Bridging, 135–142; außerdem Tiwald, Wanderradikalismus, 289–296. 65 Vgl. Arnal, Rhetoric, 480–492. 66 Vgl. Arnal, Rhetoric, 492–494. 67 Vgl. die Zusammenfassung bei Arnal, Rhetoric, 491–492. 68 Arnal, Rhetoric, 486. 69 Vgl. Arnal, Rhetoric, 486–488.

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

dass auch das Thomasevangelium – zumindest im Kern – ins erste Jahrhundert zu datieren ist.70 Das ist aber genau die Frage, solange eine Entstehung im zweiten Jahrhundert – der terminus ad quem ist Pap Ox 1, der um 200 datiert wird71 – nicht ausgeschlossen werden kann. Deshalb geht Arnal hier den umgekehrten Weg und versucht nachzuweisen, dass das Thomasevangelium auf dieselben geschichtlichen und sozialen Verhältnisse reagiert wie Q. Mit anderen Worten: Er benutzt die Logienquelle als externe Evidenz dafür, dass das Thomasevangelium mit seinen sozialgeschichtlich auswertbaren Logien ebenfalls ins erste Jahrhundert zu datieren sei. Ein solcher Beweis ist aber überhaupt nur dann zu führen, wenn zwei Quellen unabhängig voneinander denselben Sachverhalt bezeugen. Dagegen hängen die herangezogenen Thomaslogien mit dem entsprechenden Q-Material – in welcher Weise auch immer – überlieferungsgeschichtlich zusammen.72 Die Übertragung von Ergebnissen der Q-Forschung auf das Thomasevangelium mag daher zwar verführerisch sein. Sie kann aber – wenn überhaupt – nur auf der Grundlage einer vorherigen gründlichen Analyse der literarischen Struktur des Thomasevangeliums selbst erfolgen.73 Diese Anaylse kommt bei Arnal entschieden zu kurz.74 1.2.6. A. Callahan: Stichwortgeflecht und Dialoge A. Callahans Kompositionsanalyse des Thomasevangeliums beruht hauptsächlich auf der Anwendung zweier literarischer Kriterien: der Stichwortverbindung und der Einteilung von Sprucheinheiten durch das stereotype „Jesus sagte“ ( ). Dabei ergeben sich auf der einen Seite Zäsuren im Text durch die Unterbrechung der sukzessiven Stichwortanschlüsse von einem Logion zum nächsten. Auf der anderen Seite sind Logien, die üblicherweise gesondert gezählt werden, aber nicht mit der Redeeinleitung , sondern mit der Einführung anderer Personen – meist der Jünger – oder ganz ohne Einleitung beginnen, zum vorhergehenden Logion zu ziehen und bilden mit ihm zusam70 So auch Arnal, Rhetoric, 489, Anm. 70: „By way of establishing the comparability of the Gospel of Thomas’s setting with that of Q, it is important to note that the document is to be dated, like Q, sometime in the latter half of the first century.“ Vgl. Köster, Einführung, 587; Patterson, Thomas, 120. 71 Vgl. Attridge, Fragments, 96–99. 72 Gut die Hälfte des Materials, das Arnal (Rhetoric, 491) in diesem Zusammenhang anführt, hat Parallelen in Q: Vgl. EvThom 6 mit Q 7,12 und 12,2; EvThom 39 mit Q 11,52; EvThom 54 mit Q 6,20b; EvThom 64 mit Q 14,15–24; EvThom 68–69 mit Q 6,21–23; EvThom 78 mit Q 7,24–25; EvThom 95 mit Q 6,30.34–35. 73 Das moniert schon Kloppenborg (Formation, 38) gegenüber Köster im Blick auf Q: „[O]ne must first determine the priciples of composition of Q and the portions of it which were formative from a literary-critical perspective. Only then is it possible to compare Q with antique genres and determine the extent to which Q shares or fails to share the characteristics and tendencies of those genres.“ Dasselbe gilt dann aber auch für das Thomasevangelium. 74 Vgl. Arnal, Rhetoric, 476–480.

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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men eine Dialogeinheit. Anhand der Stichwortverknüpfungen ergeben sich nach Callahan folgende zusammenhängenden Abschnitte im Text: EvThom 1–29; 30–41; 47–56; 63–65; 88–95; 96–99; 105–114. Darin bzw. daneben begegnet eine ganze Reihe von Dialogeinheiten: EvThom 11–12; 17–18; 23–24; 36–37; 42–43; 50–53; 90–91; 92–93; 98–101; 103–104; 112–114. Callahans Analyse zeitigt im Grundsatz ein doppeltes Ergebnis. Einerseits gibt es Passagen im Thomasevangelium, in denen die Stichwortverbindung offensichtlich das Mittel der Wahl darstellte, um das Textcorpus äußerlich zusammenzubinden. Das trifft vor allem auf die Abschnitte zu, für die Callahan die Stichwortverkettung lückenlos nachweisen und tabellarisch darstellen kann (EvThom 1–29; 30–41; 105–114). Andererseits wird auf diese Weise aber nur etwa die Hälfte des Textmaterials erfasst, was überdeutlich zeigt, dass sich eine Kompositionsanalyse nur aufgrund der Stichwörter am Text nicht konsequent durchführen lässt. Es bleiben große Abschnitte, deren Zusammenhang – so es denn einen gibt – auf diese Weise nicht erfasst werden kann.75 Im besten Fall weisen solche Passagen zumindest einen thematischen Zusammenhalt auf, dessen Bestimmung ohne die Hilfe formaler Kriterien aber immer etwas willkürlich bleibt.76 Diese grundsätzliche Schwierigkeit wird durch zwei weitere Einwände noch verstärkt. Der eine betrifft die Art und Weise, wie Callahan mitunter seine Stichwörter eruiert. Wo zwei aufeinander folgende Logien im Koptischen kein gemeinsames Stichwort aufweisen, behilft er sich zum Teil mit einem griechischen und in EvThom 1 Text, sei er nun bezeugt (wie εὑρίσκειν hinter und 2)77 oder von ihm selbst rekonstruiert (wie ἐπιθυμεῖν hinter und in EvThom 38 und 39)78. Zum Teil nimmt er Emendationen am zweifelsfrei bezeugten und sinnvollen koptischen Text vor, um ein erwünschtes („er [sc. der Stichwort zu erhalten. So ersetzt er z. B. in EvThom 4,1 Mensch] wird leben“) durch („er [sc. der Ort des Lebens] wird sich offenbaren“), weil das Verb in EvThom 5 und 6 ebenfalls steht.79 Eine 75 Das gesteht Callahan etliche Male selbst ein; vgl. Callahan, Rhyme, 421: „The connection of logia 58 through 62 must remain uncertain because of the minor lacunae in logion 60 and the major lacuna of logion 62. […] Following the trail of Stichwörter requires more ingenuity as one approaches the end of Thomas.“ Ebd. 422: „The relation of Logia 82 through 88 resists easy analysis.“ Ebd. 424: „Logia 102 through 105 appear disconnected.“ 76 Vgl. Callahan, Rhyme, 419: „Logia 42–47 begin with a polemic against the Jews and end with a compound logion that combines sayings about old wine in new wineskins and an old patch on a new garment. The guiding principle of this catena is thus thematic, juxtaposing materials treating the conflict of dead tradition and living revelation.“ 77 Vgl. Callahan, Rhyme, 412. 78 Vgl. Callahan, Rhyme, 417. 79 Vgl. Callahan, Rhyme, 413. Die Beispiele lassen sich vermehren. In EvThom 24 möchte Callahan (ebd. 414) („jene Art [sc. von Menschen]“) statt („der Ort, an dem du [sc. Jesus] bist“) lesen, um dadurch einen thematischen Bezug zu dem „Einzelnen“ ( ) in EvThom 23,2 herzustellen. Wenn es nach ihm (ebd. 422)

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

Stichwortkette, die sich auf solche Glieder stützen muss, kann aber höchstens den literarischen Zusammenhalt eines imaginären Mischtextes gewährleisten, den in dieser Gestalt freilich nie irgend jemand vor Augen hatte. Anders wäre es, wenn Callahan textlich unsichere Stellen unter formkritischen Gesichtspunkten so rekonstruierte, dass sich sinnvolle Stichwortverknüpfungen ergäben. Das ist hier indes nicht der Fall, sondern es wird der Text so zurecht gemacht, dass er das, was man finden will, auch enthält. Ein solches Vorgehen entbehrt jeder haltbaren methodischen Grundlage. Der andere Einwand bezieht sich auf die von Callahan ausgemachten Dialogeinheiten. Dass das Thomasevangelium neben einzelnen Worten Jesu auch kleine Dialoge enthält, ist unbestritten. Weshalb solche Dialoge immer mit einem Ausspruch Jesu beginnen sollten, ist hingegen nicht einzusehen.80 Da das Thomasevangelium sonst überwiegend aus sehr kleinen Einheiten besteht, liegt es formgeschichtlich näher, an der Stelle von Callahans größeren Dialogeinheiten einzelne kleinere Chrien zu sehen, in denen Jesus durch eine Intervention von anderen zu einer bestimmten Reaktion herausgefordert wird.81 Wollte man darüber hinausgehende Dialogeinheiten plausibel machen, müssten diese ein Minimum an thematischer Geschlossenheit aufweisen, das für Callahans Einheiten erst noch nachzuweisen wäre. 1.2.7. J.Ma. Asgeirsson: Ein Dublettenstratum aus ausgearbeiteten Chrien Das kompositionskritisch auffälligste Merkmal des koptischen Thomasevangeliums bilden ohne Zweifel die Dubletten einzelner Sprüche, die gehäuft am Ende der Schrift auftauchen. Im Gefolge von V.K. Robbins versucht J.Ma. Asgeirsson, diesen Umstand mit Hilfe der rhetorischen Übung der sogenannten

ginge, wäre Adam in EvThom 85,1 nicht „euer“ ( ) – d. h. der Jünger – nicht würdig, sondern „der Ruhe“ ( sic! – richtig ), wodurch eine Verbindung zum Ausruhen ( ) des Menschensohnes in EvThom 86,2 entstünde. In EvThom 87,1 ändert er (ebd. 422–423) („der Leib, der an einem Leib hängt“) in („der Leib, der an einem Ort hängt“ – Callahan vermutet einen Bezug zum Kreuz) und stellt dadurch eine Stichwortverbindung zu dem „Ort“ ( ) in EvThom 86,2 her, den der Menschensohn zum Ausruhen nicht hat. 80 Ins andere Extrem fällt Sevrin (Interprétation, 354) mit dem generellen Vorschlag: „Il faudrait se libérer du carcan de la clausule ‚Jésus dit‘ pour considérer quelles sont les unités à interpréter.“ 81 In der Terminologie Bultmanns (Geschichte, 39–64) handelt es sich dabei schlicht um Streit- bzw. Schulgespräche. Berger (Formen, § 39, Nr. 5; vgl. § 36, Nr. 1; § 37, Nr. 5) ordnet diese bei den Chrien ein, ohne dass damit ein sachlicher Unterschied verbunden wäre (dieser liegt vielmehr in Bergers Ablehnung von Bultmanns „biographischen Apophthegmata“). Ich folge hier Berger, weil Begriff und Form der Chrie weiter unten bei der Diskussion von J.Ma. Asgeirssons Hypothese noch eine Rolle spielen werden und es dabei immer um dieselben Sachverhalte innerhalb des Thomasevangeliums geht.

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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Progymnasmata zu erklären.82 Wie die kanonischen Evangelien die Schrift zitieren, so zitiere das Thomasevangelium, das keine Schriftzitate kennt, in den Dubletten am Ende der Sammlung sich selbst.83 Dabei würden einzelne Logien jedoch nicht nur wiederholt, sondern gleichzeitig durch die Kombination mit weiteren Sprüchen ausgearbeitet und bildeten zusammen das, was Asgeirsson die Dublettenschicht des Thomasevangeliums nennt.84 Bei diesen Ansatz ist es entscheidend, stimmige Kriterien für die identifizierung von Dubletten zu entwickeln. Nach Asgeirsson müssen Dubletten gemeinsame Elemente enthalten, und zwar besser in Form von wörtlichen als nur von motivlichen Übereinstimmungen; sie müssen sich unterschiedlichen Quellen zuordnen lassen85 oder eine bestimmte redaktionelle Funktion erfüllen oder beides; gleichzeitig enthält jeder Spruch aber auch individuelle Komponenten, die sich in der jeweiligen Dublette nicht spiegeln.86 Auf der Grundlage dieser Kriterien und in Auseinandersetzung mit sehr unterschiedlichen früheren Vorschlägen87 identifiziert Asgeirsson im Thomasevangelium fünf Paare von Dubletten: EvThom 21,5–11 und 103; 22,4–7 und 106; 55 und 101; 56 und 80; 87 und 112.88 Die beiden Logien eines Paares verhalten sich jeweils zueinander wie eine Chrie (χρεῖα) und ihre Ausarbeitung (ἐργασία) in den antiken Progymnasmata.89 Die Ausarbeitung besteht dabei 82 Vgl. Robbins, Traditions; ders., Exploring, 40–58; ders., Tapestry, 97–108; aber auch Mack, Myth, 179–186; ders., Rhetoric, 43–47; Mack / Robbins, Patterns, 1–68. Robbins (Sources, 93) wendet diesen Ansatz auch selbst auf das Thomasevangelium an, kommt aber nur zu dem wenig konkreten Ergebnis (ebd. 103): „Thus, in the Gos. Thom. the process of asking questions does not lead to definitive answers, but to different questions.“ Zur Datierung und Relevanz der herangezogenen Quellen vgl. Robbins, Traditions, 111: „Since the [Rhetorica] ad Herennium was written ca. 84 b.c.e., Theon’s Progymnasmata 50–100 c.e., the gospels ca. 65–100 c.e., and Hermogenes’ Progymnasmata late second century c.e., all of these documents show us primary culture-transmitting activities in Mediterranean society prior to and during the beginngs of Christianity.“ Asgeirsson (Doublets, 55–65) wirft außerdem noch einen Seitenblick auf Philodemos von Gadara (1. Jh. v. Chr.), Quintilian und und Aphthonius (4./5. Jh. n. Chr.). 83 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 167.185.203. 84 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 177–197. 85 Diese Erklärung der Dubletten wird oft als die einzig mögliche ausgegeben; vgl. z. B. Quispel, Hebrews, 378: „The existence of doublets in the ‚Gospel of Thomas‘ […] proves without any doubt that the author had before him two written sources.“ 86 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 138–142. 87 Vgl. die Übersicht bei Asgeirsson, Doublets, 134. 88 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 151–164 mit der Übersicht ebd. 161. 89 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 55–87. Robbins (Traditions) unterscheidet zwischen „firstlevel elaboration“ (ebd. 121: „This approach to chreia elaboration expands the statement in the chreia without adding significantly new rhetorical figures to its argumentation.“) und „a second level of elaboration that does not limit itself to expansion but introduces artistic and inartistic arguments that support the initial statement“ (ebd. 123). Für Letztere hat er (ebd. 123–129) die einschlägigen Stellen aus der Rhetorica ad Herennium (II,xviii,28–xix,30; IV,xliii,56–xliv,57) und aus den Progymnasmata des Hermogenes (1,20–8,14 [Rabe]) zusammengestellt und übersetzt. Vgl. dazu aber auch Lausberg, Handbuch, § 1120: „Man faßt gerne eine Reihe von modi (s. § 1119 [Arten der Behandlung einer Chrie]) zu einer Abhandlung zusammen. Für

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

nicht nur in der modifizierten Wiederholung des früheren Spruches, sondern in den rhetorischen Einheiten EvThom 102–104; 105–109 und 110–112, deren Kern die jeweilige Dublette bildet.90 Die rhetorische Einheit EvThom 99–101 leitet nach Asgeirsson die Dublettenschicht mit der impliziten Frage nach den Familienbeziehungen ein.91 Einen Sonderfall stellen EvThom 56 und 80 dar.92 Ansatz und Methode sind in Asgeirssons Arbeit klug gewählt. Wer immer die Gestalt des koptischen Thomasevangeliums als Ergebnis eines längeren Wachstumsprozesses schlüssig erklären will, muss eine Antwort auf die Frage finden, wie es zu der Häufung von Dubletten am Ende der Sammlung kam und welche Rolle sie an dieser Stelle für die Komposition als Ganze spielen.93 Zur der Beantwortung dieser Frage erweist sich ein Blick auf die zeitgenössischen Progymnasmata als zweckdienlich, weil es sich dabei um eine Gattung der Rede handelt, die zwischen mündlicher und schriftlicher Überlieferung vermittelt, wie Robbins richtig feststellt: „The topic of discussion and the examples the author has composed in the Progymnasmata, then, are based on written and oral sources, and this makes the treatise a gold mine for the interpreter of the New Testament gospels“94 – und eben auch für den Ausleger des Thomasevangeliums. In einer solchermaßen von der Rhetorik geprägten Kultur bestehen auf der konzeptionellen Ebene95 Formen der Mündlichkeit wie der Schriftlichkeit

eine solche Abhandlung wird Prisc[ian] 3 (Herm. prog. 3) folgender Vorschlag gemacht: 1) Als Proömium: Lob der Weisheit der in der Chrie den Weisheitsausspruch tuenden Person; – 2) erweiterte Ausführung der Chrie (latius eum interpretari); – 3) a causa; – 4) a contrario; – 5) a comparatione; – 6) ab exemplo; – 7) a iudicio; – exhortatio, quod oportet parere illi qui dixit aut fecit.“ Entsprechendes weist Fauser (HWR 2, 191) bei Aelius Theon auf. 90 Das entspricht den beiden Graden der Ausarbeitung nach Robbins; vgl. Asgeirsson, Doublet, 179–184.190–193.203. 91 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 188–190. 92 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 184: „In contrast, the doublet consisting of logia 56 and 80 is practically identical, except for the commonly interchangeable concepts of ‚body‘ and ‚corpse‘, and less relevant variations in expression and/or vocabulary. As such it belongs to a different category of chriae, or what Theon defines as ‚recitation‘ of chriae.“ Dass man dem Unterschied zwischen in EvThom 56 und in EvThom 80 auch mehr Bedeutung beimessen kann, werden wir in Kap. 2.2.6 noch sehen. Richtig ist aber in jedem Fall, dass dieses Spruchpaar kompositorisch aus dem Rahmen fällt; vgl. Plisch, EvThom 25: „Nur das Paar 56/80 macht den Eindruck einer zufälligen Streuung.“ 93 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 203: „The doublets remain the most obvious case towards identifying a distinct stratum within the Gospel of Thomas, along with occasional traces of late redaction as in the question in Logion 111c.“ 94 Robbins, Traditions, 112. 95 Vgl. Koch / Oesterreicher, Schriftlichkeit, 587: „Beim Medium sind die Begriffe ‚mündlich/schriftlich‘ dichotomisch zu verstehen […]. Bei der Konzeption bezeichnen die Begriffe ‚mündlich / schriftlich‘ demgegenüber die Endpunkte eines Kontinuums. […] Der wissenschaftliche Vortrag ist also beispielsweise trotz seiner Realisierung im phonischen Medium konzeptionell ‚schriftlich‘, während der Privatbrief trotz seiner Realisierung im graphischen Medium konzeptioneller ‚Mündlichkeit‘ nähersteht.“

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nebeneinander und können als solche wahrgenommen und verstanden werden.96 So vielversprechend mithin Asgeirssons Ansatz und Methode sind, bleibt die Durchführung doch weit davon entfernt, das Dublettenstratum am Text selbst durch gründliche Analysen zu erweisen. Um nur ein Beispiel zu nennen, sei darauf verwiesen, wie er mit EvThom 99 die das Dublettenstratum einleitende Einheit EvThom 99–101 beginnen lässt, weil dort die Frage nach den Familienbanden Jesu und der Jünger impliziert sei und rhetorische Fragen typischerweise rhetorische Einheiten eröffneten.97 An einem so tiefgreifenden Einschnitt würde man allerdings erwarten, dass die Frage, die ihn angeblich markiert, wenigstens indirekt geäußert wird und nicht aus den getroffenen Feststellungen erschlossen werden muss.98 Ein deutliches Textsignal sieht anders aus. Im Übrigen erscheint bei Robbins und Asgeirsson die unterschiedslose Anwendung des Gattungsbegriffs „Chrie“ auf alle Logien des Thomasevangeliums fragwürdig, wenn man damit die übliche Definition der Chrie – etwa bei K. Berger – vergleicht: „Als Chrie bezeichnet man veranlaßte, doch die Situation transzendierende Rede oder Handlung im Leben einer bedeutenden Person. Veranlassung und Reaktion gehören immer zusammen.“99 Das unterscheidet die Chrie von der Sentenz oder Gnome, die zwar einer bedeutenden Person zugeschrieben sein kann, aber jedenfalls situationslos bleibt.100 So werden die Logien des Thomasevan96 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 52; Robbins, Traditions, 116: „One of the primary characteristics of a rhetorical culture is lively interaction between oral and written composition. Only during the last half of the second century did a scribal culture that resisted rhetorical composition as it reperformed the gospel traditions begin to dominate the transmission of early Christian literature.“ Allerdings ist diese Position nicht unbestritten; vgl. nur Berger, Formen, 42: „In der unmittelbaren Umwelt des Neuen Testaments wird Mündlichkeit als brüchig und von menschlicher Schwäche behaftet erfahren, und so auch das menschliche Gedächtnis. Eine religiöse Idealisierung der Phase Mündlichkeit ist auch deshalb nicht haltbar, weil Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit von Gottes Wort sich gerade als Schriftlichkeit äußerte.“ 97 Vgl. Asgeirsson, Doublets, 188. 98 Eine Frage kann ich aus EvThom 99 beim besten Willen nicht heraushören. Die Feststellung der Jünger („deine Brüder und deine Mutter stehen draußen“) hat – mit Schulz von Thun (Reden 1, 25–30) zu sprechen – sicher in erster Linie Appellcharakter: Indirekt fordern sie Jesus dazu auf, nach draußen zu gehen. Die Antwort Jesu („diese hier, die den Willen meines Vaters tun, sind meine Brüder und meine Mutter“) wiederum offenbart vor allem etwas über seine Beziehungen, zu seiner Familie einerseits und zu seinen Zuhörern andererseits. Dass die Szene einen Leser oder Hörer mit Fragen zurücklässt, wie es für Chrien mit einer verblüffenden Sentenz ganz normal ist, kann keinesfalls als Struktursignal gewertet werden. 99 Vgl. Berger, Formen, 142; dem entspricht bei Fauser (HWR 2, 191) „das Schema knappe Situationsschilderung – spontane Äußerung“. 100 Nach Hummel (HWR 3, 1014–1015) unterscheiden die griechischen Rhetoriker (z. B. Rhet. ad Alex. 11; Aristot Rhet 2,21) zwischen der Gnome (γνώμη), „die einer anerkannten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zugeschrieben wird oder einem ihrer Werke entstammt […] und gemeinhin mit Namensnennung zitiert wird“, einerseits und „dem selbständig überlieferten Weisheitsspruch (ὑποθήκη, hypothēkē)“ andererseits. Dieser Unterschied wird jedoch in der rhetorischen Tradition spätestens seit den lateinischen Lehrbüchern (z. B. Quint Inst Orat 8,5,3) bis in die Moderne hinein nivelliert, so auch von Lausberg, Handbuch, § 1117: „Die chria […] ist eine finit eingebettete sententia (s. § 872). Während die eigentliche sententia eine infinite,

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gelium zwar allesamt Jesus zugeschrieben, aber nur in den wenigsten Fällen mit einer bestimmten Situation in seinem Leben in Verbindung gebracht, weshalb der größte Teil zu den Sentenzen (Gnomen) zu rechnen ist.101 Für Asgeirssons Redaktionsanalyse ist das insofern nicht von Belang, als es die von ihm für die Chrie in Anspruch genommenen Ausarbeitungen in der Antike auch bei Sentenzen gibt.102 Dennoch dürfen derartige Begriffsunschärfen nicht einfach in Kauf genommen werden, wenn man zu einer differenzierten Sicht auf den Aufbau und das Wachstum des Thomasevangeliums gelangen will. 1.2.8. N. Perrin: Ein einheitlicher syrischer Text Während die Anfänge des Thomasevangeliums von Forschern oft weit ins erste Jahrhundert verlagert und vielfältige Wachstumsprozesse angenommen werden, siedelt sich N. Perrins These auf der Skala der Möglichkeiten am anderen Ende an. Für ihn stellt das Thomasvangelium einen einheitlichen Text dar, der von einem edessenischen Autor in syrischer Sprache zusammengestellt wurde; weil ihm dabei in erster Linie Tatians Diatessaron als Quelle gedient habe, sei das Thomasevangelium als Ganzes nicht vor dem letzten Viertel des zweiten

d. h. von einer bestimmten Person unabhängige (s. § 873), also allgemeine Formulierung hat, wird die chria als Ausspruch oder Handlungsweise einer historischen Persönlichkeit berichtet. Die chria ist also eine lehrreiche kurze Anekdote, die eine Sentenzweisheit als Realität des praktischen Lebens erweist“. 101 Vgl. dagegen Crossan, Fragments, 229: „Put crudely but accurately: ‚A stitch in time saves nine‘ is a Gnome, but ‚Jesus said: a stitch in time saves nine‘ is a Chreia.“ Bestätigt sieht Robbins (Fragments, 35) diese Unterscheidung durch Theon, Prog. 3 (Spengel, Rhetores, 96,22–23): πᾶσα γὰρ γνώμη σύντομος εἰς πρόσωπον ἀναφερομένη χρείαν ποιεῖ („jede kurze Sentenz ergibt nämlich, wenn sie auf eine Person zurückgeführt wird, eine Chrie“). Hier muss man allerdings weiterlesen, um die ganze Wahrheit zu erfahren; vgl. Spengel, Rhetores, 96,24–27: διαφέρει δὲ ἡ μὲν γνώμη τῆς χρείας […] τῷ τὴν μὲν χρείαν πάντως ἀναφέρεσθαι εἰς πρόσωπον, τὴν δὲ γνώμην οὐ πάντως („es unterscheidet sich aber die Sentenz von der Chrie […] dadurch, dass die Chrie in jedem Fall auf eine Person zurückgeführt wird, die Sentenz dagegen nicht in jedem Fall“; so auch die Übersetzung bei Patillon/Bolognesi, Théon, 18: „la chrie est toujours rapportée à un personnage, la maxime ne l’est pas toujours“). Mit anderen Worten: Nicht jede Sentenz, die einer bestimmten Person zugeschrieben wird, wird dadurch schon zur Chrie. Dementsprechend ordnet Berger (Formen, 122) das Thomasevangelium bei den Sentenzensammlungen ein und verweist dabei auf Küchler (Weisheitstraditionen, 174), der allerdings den Gattungsbegriff der λόγοι σοφῶν von Robinson (LOGOI) benutzt. Asgeirsson (Doublets, 65–66) unterscheidet zwar zwischen Gnome, Apophthegma und Apomnemoneuma (zu den Begriffen vgl. Berger, Formen, 121.142; Lausberg, Handbuch, § 1120), wendet aber auch diese Unterscheidung im weiteren Verlauf seiner Studie nicht an. 102 Vgl. Lausberg, Handbuch, § 875: „Die Erweiterung der Ein-Satz-Sentenz kann über die Anfügung der aetiologia hinausgehen und zum Progymnasma (s. § 1121) vervollständigt werden, das aus 8 Teilen besteht: Prisc[ian] praeex[ercitamenta] 4 operatio vero sententiae … provenit … a laude brevi eius qui dixit, a simplici expositione ipsius sententiae, a causa, a contrario, a comparatione, ab exemplo, a iudicio, a conclusione.“

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Jahrhunderts entstanden.103 Perrin geht in seiner Arbeit von der anerkannten Tatsache aus, dass die einzelnen Logien des Thomasevangeliums an vielen Stellen durch Stichwortanschlüsse, die sowohl im koptischen als auch im erhaltenen griechischen Text nachweisbar sind, miteinander verkettet sind.104 Dennoch ist es bisher nicht gelungen, diesen Sachverhalt für eine Kompositions- und Redaktionsanalyse konsequent fruchtbar zu machen, weil derartige Stichwortverbindungen längst nicht überall im griechischen oder koptischen Text bestehen und eine Regel nicht erkennbar ist. Perrin geht daher einen Schritt weiter und versucht zu beweisen, dass sich auf der Grundlage eines rekonstuierten syrischen Textes eine durchgehende Verknüpfung der einzelnen Logien des Thomasevangeliums durch Stichworte herstellen lässt. Während er im koptischen Text nur 269 relevante Stichworte ausmachen kann und im griechischen – der freilich zum größten Teil ebenfalls rekonstruiert werden muss – sogar nur 263, zählt er in seinem syrischen Text 502; etwa die Hälfte aller in den drei Sprachen möglichen Stichworte funktioniert demnach nur im Syrischen.105 Dies spricht seines Erachtens dafür, dass das Thomasevangelium als Ganzes auf Syrisch verfasst wurde und die Stichwortverbindungen mit dem Text in einem Wurf entstanden sind; sei es, dass der Autor jeweils nach einem Spruch mit dem passenden Stichwort gesucht, sei es, dass er das benötigte Stichwort von Fall zu Fall selbst in das betreffende Logion eingebracht hat.106 Da eine derartige Redaktionsarbeit nur auf der Grundlage schriftlicher Quellen möglich sei und das Diatessaron im zweiten Jahrhundert den einzig greifbaren syrischen Evangelientext geboten habe, mit dessen Anordnung und enkratitischer Tendenz das Thomasevangelium zudem in vielen Fällen übereinstimme, sei es am wahrscheinlichsten, dass der Autor des Thomasevangeliums hauptsächlich auf Tatians Evangelienharmonie zurückgegriffen habe.107 Der so entstandene syrische Text des Thomasevangeliums sei dann später unabhängig voneinander ins Griechische und Koptische übersetzt worden; das heißt, Perrin sieht die koptische Überlieferung nicht durch die griechische vermittelt, sondern unmittelbar von der syrischen abhängig.108 Der Reiz von Perrins Arbeit liegt in der schlüssigen Erklärung der Stichwortverbindungen, die in seiner Rekonstruktion des syrischen Thomasevangeliums den Text durchgehend und ausnahmslos zusammenhalten. Allerdings wird die 103

Vgl. Perrin, Gospel, 134–137; ders., Tatian, 183–188. Vgl. z. B. die Übersicht bei Patterson, Thomas, 100–102. 105 Vgl. Perrin, Tatian, 57–155. Vereinzelt listet er auch Stichworte auf, die nur im Griechischen und / oder Koptischen funktionieren. 106 Vgl. Perrin, Gospel, 90–93; ders., Tatian, 173–180. 107 Vgl. Perrin, Gospel, 93–97; ders., Tatian, 181–188. Die umgekehrte Einflussrichtung hält Perrin (Gospel, 135) für unmöglich: „Tatian was converted outside of his native Syria and did not return until just months before undertaking his Diatessaron, replete with Tatianic theology. […] Could Thomas really have revolutionized the thinking of a man of Tatian’s stature and done so in such a short time?“ 108 Vgl. Perrin, Fragments, 139. 104

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beeindruckende Zahl von 502 Stichwörtern in 114 Logien in einem mehr als zweifelhaften Verfahren gewonnen. Perrin kommt zu seinen syrischen Stichwörtern anhand eines vorher von ihm selbst hergestellten syrischen Textes. Da liegt der Verdacht nahe, dass seine Textrekonstruktion nicht in allen Fällen mit der nötigen Unvoreingenommenheit erfolgt, sondern von dem Beweisziel geleitet ist, im zu erstellenden syrischen Text möglichst viele Stichwortverbindungen zu finden. Die hohe Zahl der so ermittelten Stichwortanschlüsse stützt die Annahme eines ursprünglich syrischen Thomasevangeliums, das seinerseits die Suche nach syrischen Stichwörtern darin überhaupt erst sinnvoll macht. Das ist ein klassischer Zirkelschluss.109 Noch weniger gelingt es Perrin, die literarische Abhängigkeit des Thomasevangeliums vom Diatessaron nachzuweisen. Zwar kann er auf über 160 Textvarianten verweisen, die beide Schriften nach Quispel gemeinsam haben.110 Bei der Anordnung der Perikopen stimmen sie aber nach Perrins eigenen Angaben nur an einem Punkt gegen die synoptische Texttradition überein, während an acht anderen Stellen alle drei Überlieferungsstränge die gleiche Textanordnung bieten,111 das Thomasevangelium also genauso gut von den Synoptikern abhängig sein könnte oder umgekehrt. Somit ist das in der Q-Forschung etablierte Doppelkriterium nicht erfüllt, wonach eine literarische Abhängigkeit zwischen zwei Schriften erst dann erwiesen ist, wenn sie nicht nur den Text, sondern auch seine Anordnung teilen, von kleineren Abweichungen einmal abgesehen.112 Aber auch dann wäre noch zu klären, wer von wem abhängt, oder ob beide unabhängig voneinander aus einer dritten Quelle schöpfen. Alles in allem arbeitet Perrin folglich mit zu vielen Unbekannten, um letztlich überzeugen zu können. 1.2.9. R. Nordsieck: Von Grundworten zu Rede-Kompositionen R. Nordsieck unternimmt den Versuch, „unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse der Q-Forschung und besonders auch des Modells der Kompositionsgeschichte von Q durch H. Schürmann einen Einblick in die Kompositionsgeschichte des

109 Um es mit Perrins (Gospel, 92–93) eigenem Alltagsbeispiel zu sagen: Ein geplünderter Müllereimer mit nachweisbaren Fuchshaaren mag in der Tat darauf hindeuten, dass ein Fuchs der Räuber war, ohne dass irgend jemand ihn gesehen hat; in diesem konkreten Fall aber hat Perrin selbst die Fuchshaare (syrische Stichwörter) am Mülleimer angebracht, um sie anschließend dort wieder zu finden und daraus den Schluss zu ziehen, dass ein Fuchs (syrisches Thomasevangelium) am Werk war. Eine gute Spurensicherung zeichnet sich dadurch aus, dass sie selbst möglichst wenig Spuren hinterlässt! 110 Vgl. Perrin, Gospel, 82–83; Quispel, Tatian, 174–190. 111 Vgl. Perrin, Tatian, 188. 112 Vgl. die prägnante Formulierung dieses anerkannten Kriteriums bei Patterson, Thomas, 16.

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EvThom zu gewinnen“113. Innerhalb des Thomasevangeliums identifiziert er unterschiedlich lange Rede-Kompositionen, die in weitere Einheiten untergliedert sind: „Innerhalb der ‚Rede-Kompositionen‘ können sich ‚strukturierte (Unter-) Kompositionen‘ befinden, die ebenfalls eine besondere Gliederung aufweisen. In diesen oder daneben befinden sich ‚Spruch-Gruppen‘ und schließlich als elementare Bausteine ‚Spruch-Paare‘, die in ihrem Kern aus einem ‚Grundwort‘ und einem ‚Zusatz-Wort‘ bestehen, wobei letztere oft kommentierend sind (und daher auch ‚Kommentar-Worte‘ genannt werden); das heißt, sie verdeutlichen, bekräftigen, vertiefen, aktualisieren oder korrigieren das ‚Grundwort‘. Manchmal werden einer derart strukturierten Zweiheit einleitend ein ‚Vor-Wort‘ oder abschließend ein ‚Nach-Wort‘ angefügt.“114 Die Logien einer Rede-Komposition sind durch Stichwort- oder Motivanschlüsse miteinander verkettet, während umgekehrt das Fehlen einer solchen Verbindung eine Zäsur anzeigt; auf diese Weise grenzt Nordsieck sieben Rede-Kompositionen voneinander ab: EvThom 2–17; 19,2–35; 38–48; 51–61,1; 62–76; 77–82; 85–113.115 Die dazwischen liegenden Logien gelten ihm als „Brücken“ oder „Scharniere“, die mit dem Vorhergehenden und Nachfolgenden jeweils nur schwach verbunden sind und als redaktionelle Übergänge dienen.116 Wie Perrin geht Nordsieck von den Stichwortanschlüssen im Thomasevangeliums aus und versucht, diese für seine Kompositionsanalyse fruchtbar zu machen. Entscheidend für die von ihm postulierte inhaltliche Kohärenz einzelner Sprucheinheiten ist jedoch nicht die Wiederaufnahme von Stichworten, die sondern von Motiven. Denn nur mit Hilfe der angenommenen Motivverbindungen gelingt ihm eine durchgehende Verkettung der Logien, weil Stichwortverbindungen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Logien zwar an vielen, aber längst nicht an allen Stellen gegeben sind. Dazu kommt, dass der Stichwortanschluss an sich als äußeres Verfahren, das wahrscheinlich mnemotechnischen Zwecken diente, noch nicht viel über den inneren Zusammenhang zweier oder mehrer Logien verrät, weil ein solcher erst durch darüber hinausgehende thematische Verbindungen hergestellt wird. Umgekehrt lassen sich gleiche Stichwörter als Wörter vom selben Stamm immerhin lexikalisch einwandfrei erkennen, wohingegen Nordsiecks Bestimmung thematischer Einheiten nicht selten willkürlich erscheint. Als Beispiel dafür kann die Rede-Komposition EvThom 38–48 dienen,117 deren kompositorische Analyse durch Nordsieck viele Fragen aufwirft. Inwiefern werden EvThom 39; 40 und 41 durch den Bezug auf Pharisäer und 113 Nordsieck, Kompositionsgeschichte, 175; vgl. Schürmann, Kompositionsgeschichte, 327–339; ders., QLk 11; ders., Reich, 72–80; aber auch Horn, Christentum; Wanke, Kommentarworte. 114 Nordsieck, Kompositionsgeschichte, 176. 115 Vgl. Nordsieck, Kompositionsgeschichte, 176 und die Übersicht ebd. 199–200. 116 Vgl. Nordsieck, Kompositionsgeschichte, 176.199–200 117 Vgl. Nordsieck, Kompositionsgeschichte, 183–184.

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Schriftgelehrte zusammengehalten, obwohl diese nur in EvThom 39 erwähnt sind? Was hat EvThom 42 mit den Juden zu tun, von denen nur in EvThom 43 die Rede ist? EvThom 43 und 45 sind durch das Stichwort „Frucht“ aufeinander bezogen, aber wie verhalten sich dazu der „Heilige Geist“ in EvThom 44 und das „Herz“ in EvThom 45? EvThom 45 und 47 äußern allgemeine Weisheiten über den Menschen, aber in EvThom 46 wird „Adam“ gerade nicht als Bezeichnung für den Menschen allgemein, sondern als Eigenname für den ersten Menschen gebraucht. Antworten auf derlei naheliegende Anfragen bleibt Nordsieck leider schuldig,118 weshalb es ihm auch nicht gelingt, den thematischen Zusammenhang seiner Sprucheinheiten wirklich nachzuweisen. Auf der anderen Seite übergeht er offensichtliche Gliederungssignale des Textes. Wie soll etwa die Frage der Jünger in EvThom 43,1 dieses Logion enger an das vorhergehende binden, wo solche Fragen doch typischerweise – und auch im Thomasevangelium oft119 – selbständige Apophthegmata einleiten,120 also gerade einen rhetorischen Neueinsatz signalisieren? Die Vielzahl offener Fragen121 zeigt, dass Nordsiecks Kompositionsanalyse einer tiefer gehenden Ausarbeitung bedürfte, um wirklich zu überzeugen. Noch vorher müsste aber die angewandte Methode einer neuerlichen Prüfung unterzogen werden. Mit den Kompositionsprinzipien übernimmt Nordsieck auch deren Voraussetzungen unbesehen von Schürmann; eine der wichtigsten formuliert J. Wanke prägnant: „Es ist von der anerkannten Einsicht der form- und traditionsgeschichtlichen Exegese auszugehen, daß am Anfang des Überlieferungsprozesses die ‚kleine Einheit‘ steht. An derartige Einzelstücke haben sich schon sehr früh weitere Überlieferungen angehängt, darunter in Verbindungen nach Art der von uns postulierten Verknüpfungen aus einem ‚Bezugswort‘ und einem ‚Kommentarwort‘.“122 Eine solche Herangehensweise rechnet nicht in gleicher Weise mit der Kondensation wie mit der Expansion der Überlieferung. Dagegen werden wir bei der Behandlung von EvThom 36–37 sehen, wie nicht nur der längere griechische Text im koptischen Zeugen gekürzt 118 Nordsieck (Kompositionsgeschichte) verweist für die Einzelheiten immer wieder auf seinen Kommentar (Nordsieck, EvThom). Dieser äußert sich zwar zu Beginn eines jeden Logions zu dessen kompositorischer Einbettung in den Kontext, ist dabei aber kaum informativer als der Artikel, der diese verstreuten Hinweise zusammenfasst. 119 Vgl. EvThom 6; 12; 18; 20; 21; 37; 43; 51; 53; 91; 113. 120 Vgl. die Definition bei Berger, Formen, 142: „Die kürzeste Form [sc. der Chrie] nach dem Schema „x (Name) wurde gefragt y (Gegenstand) und sagte z (Sentenz oder Gnome)“ nennt man Apoftegma.“ 121 Erwähnt seien hier nur noch EvThom 12 und 13, die ohne Zweifel bewusst nebeneinander gestellt wurden, um die favorisierten Jünger Jakobus und Thomas in Konkurrenz zueinander zu bringen (vgl. Uro, Thomas, 80–105). Daraus allerdings mit Nordsieck (Kompositionsgeschichte, 179) auf „das Vorliegen einer Thomas-Schicht neben einer Jakobus-Schicht des EvThom“ zu schließen (so auch schon Crossan, Jesus, 563, Nr. 5), geht weit über das hinaus, was sich überlieferungsgeschichtlich erweisen lässt. 122 Wanke, Kommentarworte, 13–14. Zur Kritik an dieser Voraussetzung der Formgeschichte vgl. Schröter, Erinnerung, 12–20.

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erscheint, sondern vorher schon die längere Thomasfassung eine Kondensation dessen darstellt, was wir aus der Logienquelle kennen. 1.2.10. A.D. DeConick: Logienüberlieferung im Schneeballsystem123 A.D. DeConicks Wachstumsmodell des Thomasevangeliums124 präsentiert sich als Gegenentwurf zu redaktionsgeschichtlichen Zugängen, die dem einzelnen Autor oder Redaktor die entscheidende Rolle als Urheber eines Textes zuweisen.125 Statt dessen macht sie drei Prinzipien namhaft, die der Entstehung des Thomasevangeliums maßgeblich zugrunde gelegen hätten. Dessen heutige Gestalt ist danach das Ergebnis eines von der lebendigen mündlichen Überlieferung geprägten Entstehungsprozesses (Entwicklungsprinzip), in dessen Verlauf verschiedene Krisen den sich verändernden Trägerkreis des Thomasevangeliums veranlasst hätten (Trägerkreisprinzip), die Sammlung mit immer weiteren Sprüchen und Interpretationen anzureichern, welche auf die jeweilige Krisensituation reagieren (Antwortprinzip).126 Den Ausgangspunkt für dieses Wachstum nach dem „Rolling Corpus Model“ bildete demnach ein von der apokalyptischen Naherwartung geprägtes Kernevangelium, das fünf noch unterscheidbare Reden des prophetischen Redners Jesus enthalten habe und vor dem Jahr 50 von einem „Autor“ oder „Schreiber“127 für die Jerusalemer Mission, womöglich auf Aramäisch,128 verfasst worden sei.129 Dieses Kernevangelium habe in zwei sich überlappenden 123 Mit diesem Begriff gebe ich wieder, was DeConick mit ihrem „Rolling Corpus“ meint. Bereits Wilson (Studies, 17) überträgt auf das Thomasevangelium, was Chadwick (Sextus, 159) im Blick auf die Sextussprüche feststellt: „In the very nature of things collections of this kind come to possess the qualities of a snowball.“ Freilich entwickelt DeConick ihre eigene Vorstellung davon, wie das Schneeballsystem funktioniert. 124 Vgl. zum Ganzen Eisele, Rez. DeConick. 125 Vgl. die Schaubilder und Erläuterungen zu den verschiedenen Modellen bei DeConick, Original, 168–177.185–187; dies., Recovering, 38–63. 126 Vgl. DeConick, Original, 188–193; dies., Recovering, 64–97: „Principle of Development“, „Principle of Constituency“, „Principle of Responsiveness“. 127 Während DeConick (Original, 186) noch einfach von einem Autor spricht, setzt sie (Recvoering, 56) „author“ und „scribe“ später in Anführungszeichen, wohl um den Anschein zu vermeiden, auch sie arbeite letztlich noch nach dem Redaktionsmodell. 128 Nach DeConick verweisen Aramaismen im Text das Kernevangeliums nach Palästina, während die Zuwächse im syrischen Sprachraum dazugekommen seien. Perrin (Origins) bestreitet dagegen ein aramäisches Substrat und erklärt die angeblichen Aramaismen aus einem syrischen Kontext. Mit Aramäisch ist dabei immer das Westaramäische gemeint, im Unterschied zum Syrischen, das dem östlichen Zweig der aramäischen Sprachfamilie zugehört (vgl. die Übersicht bei Jenni, Lehrbuch, 13–14). 129 Vgl. DeConick, Recovering, 113–155. Das Kernevangelium enthält nach DeConick (Recovering, 97–98; Translation, 25–31) folgende Teile: Rede I: EvThom 2; 4,2–3; 5; 6,2–3; 8–10; 11,1; 14,4; 15; 16,1–3; Rede II: EvThom 17; 20,2–4; 21,5.10.11; 23,1; 24,2–3; 25; 26; 30–36; Rede III: EvThom 38,1; 39; 40–42; 44,2–3; 45–48; 54; 55; 57; 58; 61,1; Rede IV: EvThom 62; 63; 64,1–11; 65; 66; 68, 1 69,2; 71–74; 76; 78; 79; 81; 82; 86; 89; 90; 91,2; Rede V: EvThom 92–99; 100,1–3; 102–104; 107; 109; 111,1.

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Phasen Zuwächse bekommen, die auf je unterschiedliche Weise die Erfahrung der enttäuschten Naherwartung verarbeitet hätten und Merkmale der syrischen Sprache und Frömmigkeit aufwiesen. Auf diese Weise seien in den Jahren 60–100 Logien eingewandert, die mystische Gotteserfahrungen propagieren, und in den Jahren 80–120 solche, die für enkratitische Praktiken eintreten.130 Im Ergebnis identifiziert DeConick mithin drei literarische Schichten, die das ganze Thomasevangelium in der uns erhaltenen Gestalt durchziehen und die sie durch die Anwendung ihrer drei Prinzipien durchgehend voneinander scheidet.131 An der Akzeptanz und Anwendung dieser drei Prinzipien entscheidet sich, ob DeConicks Rolling-Corpus-Modell letztlich überzeugen kann oder nicht. Deren Relevanz für die frühchristliche Logienüberlieferung ist sicher nicht zu bestreiten; gleichwohl muss man hinzufügen, dass man sie nicht mit der Ausschließlichkeit und Voreingenommenheit anwenden sollte wie DeConick es tut. Das will ich in aller Kürze verdeutlichen. Bei genauerer Betrachtung lässt sich ihr Entwicklungsprinzip mit seinen verschiedenen Kriterien auf zwei einfache formgeschichtliche Prämissen zurückführen, wonach Dialoge aus einfachen Sentenzen entstehen und Kommentarworte sekundären Charakter haben. Darauf beruht im Grunde die ganze Unterscheidung zwischen dem Kernevangelium und seinen Zusätzen. Am Beginn des Überlieferungsprozesses steht demnach nicht nur die kleine, sondern stets die kleinste Einheit. Hier muss man jedoch differenzierter vorgehen und in jedem einzelnen Fall fragen, ob die isolierte Sentenz ohne ihre dialogische Einbettung überhaupt eine suffiziente Überlieferungseinheit darstellt. Nur wenn dies zutrifft, ist unter Umständen die Annahme plausibel, dass die betreffende Dialogeinheit aus der darin enthaltenen Sentenz gebildet wurde und ihr gegenüber sekundär ist.132 Dagegen ist es voreilig, alle Dialoge, nur weil sie Dialoge sind, für spätere Zuwächse gegenüber einer nur aus einfachen Sentenzen bestehen Sammlung zu halten.133 Gerade die ältesten Stücke der Jesusüberlieferung, wie etwa die Chrien und Apophthegmata, sind ja oft dialogisch. Es gibt also keinen Grund, der einfachen Sentenz generell die Priorität gegenüber Dialogsituationen einzuräumen. 130 Vgl. DeConick, Recovering, 157–237. Als Zuwächse identifiziert DeConick (Recovering, 98; Translation, 32–42) folgende Teile: in den Jahren 60–100: EvThom 3,1–3; 6,1; 14,1– 3.5; 18; 20,1; 24,1; 27,2; 37; 38,2; 43; 50–53; 59; 60; 64,12; 69,1; 70; 88; 91,1; 113; in den Jahren 80–120: EvThom Incipit; 1; 3,4–5; 4,1.4; 6,4–5; 7; 11,2–4; 13; 16,4; 19; 21,1–4.6–9; 22; 23,2; 27,1; 28; 29; 44,1; 46,2b; 49; 56; 61,2–5; 67; 75; 77; 80; 83–85; 87; 100,4; 101; 105; 106; 108; 110; 111,2–3; 112; 114. 131 Vgl. die Übersicht in DeConick, Recovering, 99–110. 132 Bei vielen „Herrenworten“ im Johannesevangelium ist das der Fall, womit aber nicht gesagt ist, dass am Anfang jeder Überlieferung solche isolierten Herrenworte standen. Deshalb stellt Theobald (Herrenworte, 56–58) zu Beginn seiner Untersuchung von Herrenworten als „Kernworten“ johanneischer Rede- und Dialogkompositionen methodisch klar (ebd. 56): „Nur ursprünglich isoliert überlieferte ‚Herrenworte‘, keine Worte, welche als Pointen in Jesus-Erzählungen dienten, sollen hier Gegenstand der Erörterung werden.“ 133 So aber DeConick, Recovering, 67–69.

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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Was das Trägerkreisprinzip anbelangt, sind zwei Anmerkungen zu machen. Die eine betrifft die Frage nach der Art von Mündlichkeit, die nach DeConicks Meinung für die Gestalt des Thomasevangeliums verantwortlich ist. Für sie scheinen der Rhapsode, welcher seine Epen vorträgt, der Rhetorikschüler, welcher seine progymnastischen Übungen macht, und der Verkündiger, welcher mit einem kleinen Katechismus als Gedächtnisstütze unterwegs ist, genau das Gleiche zu sein.134 Dabei handelt es sich doch um sehr verschiedene Arten des Zueinanders von schriftlicher Aufzeichnung und mündlichem Vortrag. Während bei den ersten beiden jede Niederschrift nur eine mögliche oder tatsächliche mündliche Performanz festhält, ist die Logiensammlung des Predigers nicht die Mitschrift eines Vortrags, sondern der Leitfaden, der seiner wechselnden mündlichen Verkündigung wie ein Repertoire der wichtigsten Themen zugrunde liegt und als solcher relativ stabil sein muss.135 Die andere Anmerkung betrifft überhaupt die Vorstellung vom Trägerkreis des Thomasevangeliums. Nach DeConick handelt es sich bei jeder Erweiterung des Thomasevangeliums um eine „Community Controlled Reinterpretation“136 der Spruchsammlung. Diese starke Betonung der Gemeinschaft widerspricht aber sowohl den inneren als auch den äußeren Indizien, die wir haben. Eines der wenigen sich durchhaltenden Ideale des Thomasevangeliums ist die Einzelexistenz des Jüngers nicht nur unter Absehung, sondern auch in Opposition zur christlichen Gemeinschaft; dem entspricht die konkrete Gestalt der Oxyrhynchos-Papyri, die auf einen rein privaten Gebrauch des Textes schließen lassen.137 DeConick selbst erwägt, ob die Spruchsammlung nicht im Laufe der Zeit vom „oral teaching tool“ zum privaten Meditationsbuch geworden sei.138 Es ist nicht auszuschließen, dass sie das von Anfang an war. Das Antwortprinzip schließlich fördert nur dann brauchbare Informationen zu Tage, wenn der Text selbst ausreichend Hinweise auf die äußeren Bedingungen seiner Entstehung gibt, indem er deutlich erkennbar darauf anwortet. Das ist von einer Sammlung von Sprüchen, die größtenteils ort- und zeitlos daher134

Vgl. DeConick, Recovering, 24–37. Vgl. DeConick, Recovering, 35: „These written speech gospels were aids for memory, helping the missionaries and preachers recall the catechism.“ Dem mag man vielleicht zustimmen. Dann sind aber die jeweiligen Vorträge, die anhand der schriftlichen Gedächtnisstützen gehalten werden, die Variable in der Überlieferung, während die schriftliche Spruchsammlung selbst nur die wesentlichsten Dinge festhält, die eben nicht von Mal zu Mal verändert werden, sondern den unveränderlichen Kern der Überlieferung fixieren. 136 Vgl. DeConick, Recovering, 56. 137 Vgl. Hurtado, Fragments, 31: „It is worth noting that the likely personal usage of these Greek copies of GThom fits well with the emphasis in this text on the individual and on personal spiritual fulfilment. […] So, GThom may simply have been intended for the private/personal attention of individuals seeking some sort of deeper/higher truth, some sort of further spiritual attainment, some sort of further revelation of purportedly esoteric truths. Perhaps like-minded souls formed some sort of loose network, sharing texts such as GThom with one another. But I see little reason to think that demarcated ‚communities‘ lie behind this text.“ Vgl. auch die entsprechende Beurteilung der einzelnen Papyri ebd. 24.26.29–30. 138 Vgl. DeConick, Recovering, 224. 135

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

kommen, von vornherein nicht zu erwarten. DeConick behilft sich damit, dass sie aus anderen Quellen erschließbare Phasen in der Entwicklung des frühen Christentums bis zum Jahr 120 als Umfeld voraussetzt, in das sie dann ihre drei Schichten des Thomasevangeliums nacheinander einordnet. Ob das Thomasevangelium überhaupt in diese Zeit gehört oder nicht doch später zu datieren ist, ist aber bis heute eine offene Frage, weil der Text selbst darauf praktisch keine verlässlichen Hinweise gibt. Auch die zahlreichen Motivparallelen, die DeConick unter anderem aus mystischen Strömungen des Judentums und hermetischen Quellen beibringt, können die Entstehung des Textes in dieser frühen Zeit nicht erweisen, weil sie selbst allesamt frühestens aus dem zweiten Jahrhundert stammen. Das Antwortprinzip läuft damit ins Leere, weil wir die Entstehungsbedingungen des Thomasevangeliums, wenn überhaupt, nur in ganz groben Umrissen erkennen können. 1.2.11. Erträge und Perspektiven Nach der Vorstellung und Diskussion einzelner Hypothesen zur Entstehung, Komposition und Redaktion des Thomasevangeliums ist es an der Zeit, den Ertrag der bisherigen Bemühungen zu sichten, um so eine weiterführende Perspektive für die hiesigen Untersuchungen zu gewinnen. Folgende Ergebnisse lassen sich festhalten: a) Das Thomasevangelium weist bestimmte thematische Grundzüge auf, die bei einer durchgehenden Lektüre des Textes immer wiederkehren. Ein solcher Zug ist ohne Zweifel das von Davies besonders herausgestellte Motiv des Suchens und Findens. Daneben ließen sich noch andere nennen, so z. B. mit T. Zöckler „Tod und Leben“ oder „Zwei- und Einssein“.139 All diese Motive sind jedoch derart über den Text zerstreut und formal nur selten in einer Weise erkennbar aufeinander bezogen, dass sich daraus ein Strukturgerüst des Thomasevangeliums erstellen ließe. Einteilungen des Textes anhand von Themen bleiben daher in einem hohen Maße willkürlich. Das gilt auch für Callahans und Nordsiecks Kompositionsanalysen an den Stellen, an denen sie aus Mangel an Stichwortverbindungen unvermittelt das Suchregister wechseln und ausschließlich inhaltliche Zusammenhänge zwischen Logien und Logieneinheiten benennen. Wie unverbindlich die Logien an vielen Stellen nebeneinander stehen, zeigt sich auch daran, dass Nordsieck oft nicht in der Lage ist zu entscheiden, welches seiner Ansicht nach Grund- und welches Kommentarwort sein soll. 139 An solchen thematischen Grundzügen orientiert sich Zöckler (Lehren, 100–252) im zweiten Teil seiner Untersuchung mit den Kapiteln: „Gnosis oder Weisheit?“, „Suchen und Finden“, „Tod und Leben“, „Zwei- und Einssein“, „Selbstaussagen“. Plisch (EvThom 32–36) nennt als theologische Grundzüge des Thomasevangeliums die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu, die Hochschätzung des Einzelnen, die soteriologische Metaphorik von Leben und Tod, allenfalls gelegentliche gnostische Züge und eine Ethik der Weltablehnung.

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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b) Über nennenswerte Strecken sind die Logien des Thomasevangeliums mittels Stichwörtern aneinandergereiht. Gleichzeitig ist dieses Mittel nicht durchgehend angewandt worden, so dass sich aufgrund der Stichwortanschlüsse allein ein lückenloser Zusammenhalt des Textes nachweisen ließe. Dies hat zu der Vermutung geführt, dass im erhaltenen koptischen Text und den griechischen Fragmenten Stichwortverbindungen verlorengegangen seien. Im ursprünglichen Text seien dagegen bedeutend mehr Verknüpfungen durch Stichwörter zu verzeichnen. So vermehrt Callahan die Zahl relevanter Stichwörter, indem er an etlichen Stellen den gut bezeugten koptischen Text emendiert, und Perrin geht noch einen Schritt weiter, indem er etwa doppelt so viele Stichwörter in einem von ihm selbst hergestellten syrischen Text findet. Beide argumentieren zirkulär, indem sie zuerst in einen zurechtgemachten Text eintragen, was sie nachher finden wollen. Dadurch tritt umso deutlicher hervor, dass ein Verweis auf die Stichwortverkettung nicht ausreicht, um die literarische Struktur des Thomasevangeliums, wie es tatsächlich auf uns gekommen ist, zu erklären. c) Da die überwiegende Mehrzahl der Sprüche mit „Jesus sagte“ eingeleitet und dadurch als spontane Äußerung Jesu dargestellt wird, fallen diejenigen Logien auf, in denen Jesus auf einen Einwurf seiner Jünger oder Außenstehender reagiert. Auch diese kleinen Dialoge liefern jedoch keinen sicheren Anhaltspunkt dafür, dass hier über die einmalige Frage und Antwort eines Logions hinaus größere Dialogeinheiten geschaffen werden sollten. Einen Hinweis darauf gibt die Tatsache, dass die kompositorische Funktion der an Jesus gerichteten Fragen gegensätzlich bestimmt worden ist. Während Callahan und Nordsieck die Fragen als Indiz dafür nehmen, dass das entsprechende Logion noch zum vorherigen zu ziehen sei und mit diesem eine Dialogeinheit bilde, argumentiert Tripp umgekehrt und sieht zwar nicht in allen Fragen, aber in denen „seiner Jünger“ an Jesus die formale und thematische Eröffnung eines je neuen Kapitels gegeben. Wenn man bedenkt, dass das Thomasevangelium größtenteils kurze Logien mit einer knappen Einleitung bietet, ist davon auch im Blick auf die dialogischen Partien auszugehen. Dann sind die Fragen aber in erster Linie als gattungsmäßiger Bestandteil kurzer Chrien aufzufassen und in ihrer Funktion insofern auf die Logien beschränkt, in denen sie begegnen. Sollten sie darüber hinaus Zäsuren in der Komposition markieren, so sind diese auf der Linie von Tripps Argument zu suchen, weil hier die Fragen ihre eröffnende Funktion von der Chrie her beibehalten. Allerdings gelingt es Tripp nicht, über den formalen Aspekt hinaus die thematische Einheit seiner Kapitel plausibel zu machen. d) Die sozio-rhetorische Analyse des Thomasevangeliums ist über weite Strecken den Ergebnissen der Q-Forschung verpflichtet und geht davon aus, dass die der Gattung nach verwandten Texte zumindest teilweise unter ähnlichen zeitund religionsgeschichtlichen Umständen entstanden seien. Dabei sind schon auf der literarischen Ebene die Unterschiede zwischen beiden Spruchsammlungen

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

nicht zu übersehen. So lässt die Logienquelle etwa einen biographischen Aufriss erkennen, ist deutlich thematisch gegliedert und enthält mit den Geschichten von der Versuchung Jesu und dem Hauptmann von Kafarnaum auch erzählendes Material – um nur einige Beispiele zu nennen, die sie vom Thomasevangelium unterscheiden. Doch auch die unbestreitbaren Ähnlichkeiten in der Gattung berechtigen nicht dazu, eine plausible zeitgeschichtliche Einordnung von Q einfach auf das Thomasevangelium zu übertragen, wie es Arnal und DeConick im Gefolge Pattersons ansatzweise tun. Zwar erlaubt die Gattungsverwandtschaft allgemeine Aussagen über den vermutlichen Sitz im Leben der beiden Spruchsammlungen, etwa im Blick auf die Missionsinstruktionen für die Jünger. Ohne äußere Indizien zur Datierung bleiben diese Angaben jedoch zeitgeschichtlich unbestimmmt. Daher ist es keineswegs erwiesen, dass das Thomasevangelium zusammen mit der Logienquelle hauptsächlich im ersten Jahrhundert entstanden ist. Ob Schichtenanalyse oder phasenweises Wachstum, beides muss sich zuerst durch die literarische Textanalyse und nicht durch das Antwortprinzip erweisen, weil das Thomasevangelium auf die zeitgeschichtlichen Umständen seiner Entstehung keine genauen Hinweise gibt. e) Die diversen Versuche, die Entstehung und Komposition des Thomasevangeliums zu erklären, unterscheiden sich nicht zuletzt darin, wie sie das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Überlieferung und Verwendung der Spruchsammlung bestimmen. Die Bandbreite reicht vom ausgesprochen schriftlichen Konzept der Exzerpthypothese Schenkes über das Wechselspiel von mündlichem Vortrag und schriftlicher Ausarbeitung nach Art der Progymnasmata bei Asgeirsson bis hin zu DeConicks Performanzhypothese, wonach jede schriftliche Form – auch die uns erhaltene – nur die eher zufällige Fixierung eines mündlichen Vortrags darstellt. Es ist hier nicht der Ort, die ausladende Diskussion zur Verhältnisbestimmung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Allgemeinen und in der Jesusüberlieferung im Besonderen aufzurollen.140 Eine einzige Anmerkung ist aber doch vonnöten, um das gröbste Missverständnis auszuräumen. In der uns erhaltenen Form kann das Thomasevangelium unmöglich – weder in Teilen noch als Ganzes – jemals mündlich vorgetragen worden sein. Davon scheint DeConick jedoch auszugehen, wenn sie über ihr Kernevangelium schreibt: „It must have been an orator’s handbook written to preserve Jesus’ teachings and aid the memory of the leader of the community who would regularly reperform, in Jesus’ stead, these speeches, providing his interpretation or explanation orally as the oration progressed.“141 Dagegen ist 140 Vgl. dazu die bündige Zusammenfassung bei Schröter (Erinnerung, 43–57) und speziell in Bezug auf die Komposition des Thomasevangeliums bei Uro (Thomas, 106–133). 141 DeConick, Recovering, 117. Im Hintergrund stehen hier Forschungen zum griechischen Epos und zur Volksdichtung allgemein („oral poetry“), etwa von Parry (Making), Lord (Singer) und Ong (Orality). Dabei verkennt DeConick, dass das Thomasevangelium mit der dort behandelten strukturell mündlichen Dichtung nichts zu tun hat. Es stellt nicht wie jene die

1.2. Hypothesen zur Entstehung des Thomasevangeliums

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mit W. Kelber festzuhalten, dass sich das Thomasevangelium „nur als Produkt chirographischer Technik begreifen“142 lässt: „Die Nebeneinanderstellung von 114 Redeeinheiten entspricht keinem mündlichen Duktus. Man spricht nicht in Listen! Die unablässige Folge von einem Wort nach dem anderen überfordert die Aufnahmefähigkeit antiker wie moderner Hörer.“143 Das Thomasevangelium enthält keine Reden, sondern allenfalls Topoi, die gegebenenfalls in Reden verwendet werden können. Da solcherlei Topoi in den antiken Progymnasmata in Form von Chrien eine wesentliche Rolle spielten, ist diese Parallele von Asgeirsson nicht weit hergeholt. Ob das Thomasevangelium überhaupt je mündlichen Vortragszwecken diente, darf dennoch aufgrund der inneren wie äußeren Indizien, die auf eine private Nutzung hinweisen, bezweifelt werden. Damit ist nicht gesagt, dass Schenkes Exzerpthypothese zutrifft. Sie hat aber sicher in dem Punkt Recht, dass sie das Thomasevangelium in erster Linie als das Ergebnis eines schriftlichen Werdeprozesses begreift. f) Obwohl es sich bei der Suche nach den Entstehungsbedingungen des Thomasevangeliums, nach den Strukturen seiner Komposition und Redaktion, um eine diachrone Fragestellung handelt, hat die Tatsache, dass uns diese Sammlung von Jesusworten nicht nur in einem koptischen Gesamtexemplar, sondern teilweise auch in griechischen Zeugen überkommen ist, bisher bei der Lösung dieser Frage erstaunlich wenig Interesse gefunden. Dabei liegen nicht nur zwischen dem ältesten (Pap Ox 1) und dem jüngsten (NHC II,2) Zeugen etwa 150 Jahre Textgeschichte, sondern die griechische und die koptische Textüberlieferung weisen auch signifikante Unterschiede auf, deren zeitliches, literarisches und überlieferungsgeschichtliches Verhältnis zueinander jeweils erst noch zu klären wäre. Denn der jüngere Zeuge kann durchaus die ältere Form eines Spruches bewahrt haben und umgekehrt. Eine diesbezügliche Auswertung der vierfachen gelegentliche Niederschrift eines mündlichen Vortrags dar, weil es sich zum Vortrag überhaupt nicht eignet (vgl. Eisele, Rez. DeConick, 156). Gegen die einseitige Betonung einer von Vortrag zu Vortrag variablen mündlichen Jesusüberlieferung wendet sich auch schon Riesner (Lehrer, 517–518) unter Berufung auf Finnegan (Poetry, 52–87). Vgl. zum Thema auch Lentz, Orality. 142 Kelber, Anfangsprozesse, 27. Dieses Urteil ist umso bemerkenswerter, als Kelber im Gefolge der Oral-poetry-Forschung die Bedeutung der mündlichen Jesusüberlieferung ansonsten sehr betont (vgl. auch Kelber, Gospel). 143 Kelber, Anfangsprozesse, 27; vgl. ebd. 26–27: „Die Datenverarbeitung des ThEv aufgrund einer einfachen Koordinationstechnik erinnert deutlich an das uralte Genre der ‚Listen‘. Die grundsätzliche Aufgabe der Listen bestand darin, wichtige Daten vor dem Vergessen und der Verfälschung zu bewahren. Sie gehen daher auf meist funktionale, pragmatische Bedürfnisse zurück. Datenspeicherung, nicht Interpretation ist maßgebend. In Bezug auf das, was erhalten werden kann, scheinen dem Genre der ‚Liste‘ kaum Grenzen gesetzt. […] ‚Listen‘ haben weder Anfang noch Ende, und sie sind häufig, aber nicht immer durch fehlende Organisationsstrukturen gekennzeichnet. […] Nach dem Modell der ‚Liste‘ wird daher die diskrete Aufreihung von Aphorismen und Gleichnissen im ThEv weniger als eine Fragmentierung der Wirklichkeit, sondern als Speicherung der beiden Redeeinheiten der Verkündigung Jesu anzusehen sein. […] Gerade in Übergangsphasen von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit können sie eine wichtige Rolle spielen.“

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

Textbezeugung sucht man bisher indes vergeblich. Zwar hatte Akagi bereits die Intuition, zwischen dem Thomasevangelium der Oxyrhynchos-Papyri und des Nag-Hammadi-Codex entstehungsgeschichtlich zu unterscheiden. Diese Unterscheidung zeitigt bei ihm allerdings keine konkreten Ergebnisse, sondern er geht vielmehr davon aus, dass der Text vom Ur-Thomas bis zum koptischen Thomas im Wesentlichen unverändert geblieben sei und auch die griechische Überlieferung in sich kaum Varianzen aufgewiesen habe. Dagegen sprechen jedoch schon die feststellbaren Unterschiede zwischen den Zeugen. Diese genauer zu eruieren, muss eine Aufgabe künftiger Kompositions- und Redaktionskritik am Thomasevangelium sein. Was F.T. Fallon und R. Cameron 1988 in ihrem Forschungsbericht über das Thomasevangelium geschrieben haben, gilt heute noch mehr als damals: „The question of the compositional arrangement of the Gos. Thom. has also been vigorously debated by scholars, though it has not yet received resolution. The nature of the Gos. Thom. as a collection of Sayings makes it difficult to discern any clear organizing principle throughout the work as a whole“144.

Die Debatten über die Komposition des Thomasevangeliums haben seither noch zugenommen und etliche ausgearbeitete Entwürfe hervorgebracht, die wir in diesem Kapitel kritisch gesichtet haben. Dabei hat sich gezeigt, dass die Entstehung und Gestalt des Thomasevangeliums nach wie vor Rätsel aufgibt, die einer Lösung harren. Die bisherigen Versuche haben freilich dazu beigetragen, dass wir inzwischen das Problem in vielerlei Hinsicht genauer erfassen. Einen bisher vernachlässigten Aspekt möchte die hiesige Untersuchung ins Zentrum rücken. Es handelt sich um die schlichte Tatsache, dass wir von einer ganzen Reihe von Thomaslogien zwei zum Teil verschiedene Fassungen besitzen. Von einem genauen Vergleich dieser Fassungen sind Aufschlüsse über die Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums zu erwarten.

1.3. Der Text des Thomasevangeliums 1.3.1. Griechische und koptische Bezeugung im Vergleich Für den üblichen Umgang moderner Forscher mit dem Text des Thomasevangeliums, speziell zum Zwecke der Kompositionsanalyse, kann die von P. Sellew aufgestellte Maxime als paradigmatisch gelten: „Here I would argue that we should address our main work to the Coptic version of the text. Of course the three Greek fragments represent a chronologically earlier moment in

144

Fallon/Cameron, Forschungsbericht, 4206.

1.3. Der Text des Thomasevangeliums

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the life of the gospel, yet this very fact distracts us again into questions of the history of the text rather than its meaning.“145

Dass Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des Thomasevangeliums gewöhnlich beim koptischen Text einsetzen und den griechischen vernachlässigen, ist verständlich und verwunderlich zugleich: verständlich, weil die Komposition und Redaktion eines Werkes letztlich nur durchschaubar ist, wenn es als Ganzes vorliegt und analysiert werden kann; verwunderlich, weil die Aufnahme von Überlieferungen in eine Komposition und ihre weitere redaktionelle Verarbeitung nur auf dem Wege diachroner Analyse erkannt werden können und wir in der glücklichen Lage sind, zumindest für Teile des Thomasevangeliums zwei unterschiedliche Momentaufnahmen in Textform zu besitzen, die wir miteinander vergleichen können, um im Laufe der Zeit stattgehabte Veränderungen methodisch sicher zu erfassen.146 Die folgenden Studien zu einzelnen Thomaslogien unternehmen einen solchen Vergleich im Bewusstsein seiner eigenen Grenze und Chance. Die Grenze ist dadurch gesetzt, dass nur 15 von 114 Logien in der griechischen Textüberlieferung in einem brauchbaren Umfang erhalten sind,147 nämlich: der Prolog samt EvThom 1 sowie EvThom 2–6; 26–28; 30–32; 36–37; 39.148

Ein Vergleich dieser Sprüche mit dem koptischen Text kann naturgemäß keine umfassende Kompositionsanalyse des Thomasevangeliums zeitigen. Wir führen ihn allerdings in der Erwartung durch, dass sich an einzelnen Beispielen Strukturen der Form- und Textgeschichte zeigen, die sich mit aller gebotenen Vorsicht verallgemeinern lassen. Die Chance liegt darin, dass wir nicht mit hypothetischen Texten arbeiten müssen, die wir erst im Zuge literarkritischer Analysen zu eruieren hätten, sondern auf die beiden vorhandenen Fassungen eines Logions zurückgreifen können, um Entwicklungen in der Text- und Überlieferungsgeschichte festzustellen. Dabei offenbart bereits eine kursorische Lektüre, dass 10 von 15 vorliegenden griechischen Logien beachtliche Unterschiede zur koptischen Textüberlieferung aufweisen; diese sind: der Prolog samt EvThom 1 sowie EvThom 2–3; 5–6; 30; 36–37.

145

Sellew, Prospects, 336. In diesem Sinn verstehe ich z. B. auch die Bemerkung von Meyer, Beginning, 168: „More significant differences among Coptic Thomas sayings and the three Greek P.Oxy. fragments may also be documented, and these differences may have an impact upon our evaluation of the structure of the Gospel of Thomas.“ 147 Wie wir weiter unten sehen werden, kann man den einzelnen Papyri noch mehr Material zuordnen. An dieser Stelle werden jedoch nur die Logien genannt, die sich in einem so guten Erhaltungszustand befinden, dass sich ihr Text mit einiger Sicherheit rekonstruieren lässt. 148 EvThom 1 wird dabei, wie inzwischen allgemein üblich, zum Prolog (Incipit) gerechnet. Außerdem umfasst das griechische EvThom 30 zwei Verse, die im koptischen Text erst in EvThom 77,2–3 auftauchen. 146

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

Unsere Untersuchung konzentriert sich auf diese zehn Logien, weil sie in ihren offenbar unterschiedlichen Fassungen149 am ehesten Aufschlüsse über etwaige redaktionelle Vorgänge erwarten lassen. Der Einfachheit halber gehen wir von den Unterschieden aus, die Attridge in seiner kritischen Ausgabe der griechischen Fragmente gegenüber dem koptischen Text benannt hat150 und die in unserer Synopse beider Textbezeugungen151 im Anhang durch Unterstreichungen markiert sind. Um den Textvergleich zwischen der griechischen und der koptischen Überlieferung angemessen durchzuführen, ist an den papyrologischen und graphologischen Befund zu erinnern, über den in der Forschung weitgehend Einigkeit herrscht. Der einzige vollständig erhaltene Zeuge des Thomasevangeliums ist eine koptische Übersetzung aus dem Griechischen; sie befindet sich als zweite Schrift im Nag Hammadi Codex II (NHC II,2), der in die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts datiert wird.152 Die drei griechischen Textfragmente wurden im ägyptischen Oxyrhynchos gefunden, sind aber je unterschiedlicher Herkunft, das heißt: Sie stammen weder ursprünglich aus demselben Codex beziehungsweise derselben Schriftrolle, noch wurden sie sekundär an ein und derselben Stelle wiederverwendet. Ohne jede Überschneidung bieten sie jeweils andere Passagen des Textes. Deshalb ist eine endgültige Entscheidung darüber, ob es sich um ein und dieselbe Rezension des Textes, die uns an verschiedenen Stellen bezeugt wäre, oder um verschiedene Rezensionen handelt, nicht möglich. Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild hinsichtlich der unumstrittenen Datierung der griechischen Zeugen und des darin enthaltenen Textes:153 149 So allgemein auch schon Haenchen, Literatur, 155: „Die griechische und die koptische Textform sind vielmehr, wenn auch innerhalb gewisser Grenzen, als eigene Bearbeitungen anzusehen, wie sich inzwischen herausgestellt hat.“ 150 Vgl. Attridge, Fragments, 99–101. Einzelne Ausnahmen bestätigen diese Regel; so sehe ich z. B. in EvThom 3,1 einen Textunterschied gegeben, wo Attridge keinen markiert (siehe unten Kap. 2.3.1). 151 Grundlage sind die Textausgaben von Attridge (Fragments, 113–125) und Layton (Codex II, 52–93). Die Übersetzungen sind meine eigenen. Der Vollständigkeit halber sind in die Synopse auch diejenigen Logien aufgenommen worden, die hier nicht eigens behandelt werden, weil sie dennoch dazu beitragen können, einen Gesamteindruck von der parallelen Bezeugung zu vermitteln. Zu beachten ist außerdem, dass der Blick auf Attridges Apparat für unseren Zweck die Konsultation der dort herangezogenen früheren Arbeiten nicht ersetzen kann. Ich nenne nur ein Beispiel: Für Pap Ox 654,31 bietet der Apparat zwei Lesarten von Grenfell und Hunt als gleichwertige Alternativen: οὐκ ἐγερθήσεται oder οὐ γνωσθήσεται; vgl. Attridge, Fragments, 115. Diese diskutieren zwar in der Tat beide Varianten, entscheiden sich aber dann eindeutig für eine davon, nämlich οὐκ ἐγερθήσεται; vgl. Grenfell/Hunt, Oxyrhynchus, 9. 152 Vgl. Layton, Codex II, 2–5; Köster, ebd. 38. 153 Vgl. Attridge, Fragments, 96–99; Hurtado, Fragments, 21–28. Fragmentarisch ist nicht nur der erhaltene Text, sondern auch die Papyri selbst. So haben wir von Pap Ox 655 acht Fragmente (a–f), von denen wiederum nur a und b Textreste enthalten, die sich mit einiger Sicherheit zu einem vollständigen Text (EvThom 36; 37; 39) rekonstuieren lassen. Die Fragmente c und d enthalten immerhin genügend Text, um sie jeweils einem Spruch des

1.3. Der Text des Thomasevangeliums

Pap Ox 1 Pap Ox 654 Pap Ox 655

kurz nach 200 Mitte des 3. Jahrhunderts zwischen 200 und 250

39

EvThom 26–33; 77,2–3; Prolog und EvThom 1–7; EvThom 24; 36–39.

Für die Entstehung des Thomasevangeliums ergibt sich daraus als Terminus ad quem ungefähr das Jahr 200.154 In welchem Verhältnis die griechischen Zeugen bzw. die in ihnen enthaltene Textform des Thomasevangeliums zum koptischen Zeugen und dessen Text stehen, lässt sich nicht sagen. Im Blick auf Pap Ox 655 hält H. Köster es immerhin für möglich, dass dessen Textform der koptischen Übersetzung zugrunde liegt.155 1.3.2. Ein syrisches Substrat? Unser Textvergleich erfolgt im direkten Gegenüber der erhaltenen Zeugen, obwohl wir nicht davon ausgehen können, dass NHC II,2 eine Übersetzung von Pap Ox 1, 654 oder 655 darstellt oder auch nur Teil einer Überlieferung ist, die sich auf die Textüberlieferung dieser griechischen Papyri zurückführen lässt. Der Grund für dieses Vorgehen liegt einfach darin, dass wir vom Thomasevangelium nichts als diese vier Zeugen haben. Dabei handeln wir nach dem allgemeinen Grundsatz, dass einfache Lösungen, wenn sie möglich sind, gegenüber schwierigeren vorzuziehen sind. Deshalb sollten Textunterschiede, deren Entstehung sich auf der Grundlage der erhaltenen Zeugen nachvollziehen lässt, nicht dadurch erklärt werden, dass man weitere, verlorene Fassungen des Textes postuliert. Mit Blick auf eine mutmaßliche aramäische Vorlage des Thomasevangeliums ist koptischen Thomasevangeliums (EvThom 24; 39) zuordnen zu können. Außerdem lassen sich die Fragmente a, b und c zu einer Seite, bestehend aus zwei Spalten, zusammensetzen (sehr gut nachvollziehbar bei Kraft, Oxyrhynchus, 254–255). Jeweils nur ein bis drei Buchstaben sind auf den Fragmenten e, f, g und h erhalten. 154 Den weithin akzeptierten Konsens formuliert Patterson, Thomas, 113–114: „As for a terminus ad quem, the manuscript tradition itself provides one limiting factor. The oldest manuscript evidence for Thomas is POxy 1, which Grenfell and Hunt assigned an approximate date of 200 c.e. on the basis of the script and the level at which the fragment was uncovered at Oxyrhynchus. If one assumes for the moment that the Gospel of Thomas comes not from Egypt, but Syria […] then the actual terminus ad quem can be pushed back. We may allow a generation for the growth in popularity of the book, such as would result in its wider dissemination, and yet another for the popularity to reach Egypt. This brings us to the middle of the second century. Grenfell and Hunt themselves placed the terminus ad quem at 140 c.e.“ Dagegen ist, was Kügler (Johannesevangelium, 219) im Blick auf die Datierung des Johannesevangeliums bemerkt hat, auch hier bedenkenswert, weil die Lage der Bezeugung dort ganz ähnlich ist: „Der älteste Papyrus (P52) stammt aus Ägypten und wird in die erste Hälfte des 2. Jh. datiert. Selbst die Annahme, dass das JohEv nicht in Ägypten entstanden ist, hilft nicht, die Datierung zu präzisieren. Da Texte nämlich keine Füße haben, kann niemand berechnen, wie lange sie brauchen, um sich (von wo aus auch immer) bis nach Ägypten auszubreiten. P52 setzt also nur den Terminus ante quem.“ Dabei sollte es auch bei der Datierung des Thomasevangeliums bleiben: Der Terminus ad quem liegt um das Jahr 200. 155 Vgl. Köster in: Layton, Codex II, 38.

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

dies immer wieder geschehen. Dabei nimmt es nicht wunder, dass man in einem griechischen bzw. koptischen Text, dessen ältestes Spruchmaterial aus einem aramäischsprachigen Milieu stammt und der womöglich Wurzeln in Syrien hat, Semitismen findet;156 daraus jedoch auf eine verlorene westaramäische oder syrische157 Textvorlage zu schließen, ist ein größerer Schritt, der durch den Befund in den erhaltenen Texten meines Erachtens nicht gedeckt ist.158 Am weitesten geht, wie oben bereits gesehen, N. Perrin in diese Richtung. Um einen Eindruck von der Vorgehensweise zu gewinnen, genügt es, wenn wir drei seiner Textbeispiele im Zusammenhang mit den Oxyrhynchos-Papyri kurz unter die Lupe nehmen.159 In EvThom 27,1 hat die Protasis „wenn ihr nicht fastet in Bezug auf die Welt“ immer wieder Aufmerksamkeit erregt. Im Gefolge von Baker und Guillaumont sieht Perrin hinter der Angabe des Bezuges die syrische Präposition (l), die sowohl das direkte als auch das indirekte Objekt markieren kann.160 Der griechische Übersetzer hätte dann den Ausdruck als direktes Objekt aufgefasst und dementsprechend ἐὰν μὴ νηστεύσηται161 τὸν κόσμον übersetzt, während der Kopte den Ausdruck im Sinne eines indirekten Objekts mit wiedergegeben habe. Dieser Vorschlag 156 Zu möglichen Semitismen im Thomasevangelium vgl. die Zusammenstellungen bei DeConick (Translation, 14–15.20) sowie den Forschungsüberblick bei Perrin (Tatian, 29–47). 157 Die syrische Sprache gehört zum östlichen Zweig des Aramäischen (vgl. Assfalg, KWCO2, 475). 158 Hilfreich ist in dieser Frage die Klassifizierung vermuteter Semitismen bei Guillaumont, Sémitismes. Er führt eine große Zahl semitischer Spracheigentümlichkeiten im koptischen Text schlicht darauf zurück, dass das Thomasevangelium in der Sprachtradition der Septuaginta und des Neuen Testaments steht (ebd. 190–191). Anderes mag den Eindruck semitischer Ausdrucksweise erwecken, ist aber problemlos als genuin koptisches Idiom zu erklären (ebd. 192–193). Daneben macht er aber auch Stellen aus, die seines Erachtens eine Textvorlage in einer semitischen Sprache sehr wahrscheinlich machen (ebd. 193–197). Im Einzelnen können seine Beispiele indes kaum überzeugen, was hier nur an den Logien gezeigt zu werden braucht, die im Skopus unserer eigenen Untersuchung liegen. So braucht man in EvThom 3,1 hinter οἱ ἕλκοντες ὑμᾶς und kein aramäisches Ċĉė zu vermuten, um den kleinen, aber wirkungsvollen Unterschied im Ausdruck zu erklären (siehe unten Kap. 2.3.1 und ausführlich Eisele, Ziehen). Dasselbe gilt für die Varianz in der Dublette EvThom 56; 80, wo einmal („Leib“) und das andere Mal an derselben Stelle („Leichnam“) steht (siehe Kap. 2.2.6). Vollends in EvThom 30,1 ist die Annahme eines hebräischen ĔĐċēć hinter dem von Guillaumont vermuteten griechischen θεοί verfehlt (siehe Kap. 2.5.2). Was schließlich die Stellen betrifft, an denen das Thomasevangelium gegen das griechische Neue Testament mit einer der syrischen Versionen der Evangelien übereinstimmt oder aber gegen die beiden Texttraditionen steht (vgl. Guillaumont, Sémitismes, 197–201), so sind wechselseitige Beeinflussungen wie auch Eigenheiten dieser Überlieferungen denkbar, ohne dass man dazu einen syrischen Text des Thomasevangeliums annehmen müsste. 159 Perrin (Fragments, 148–150) geht außerdem noch auf EvThom 3 und 6 ein, die unten (Kap. 2.3 und 2.4) noch ausführlich behandelt werden. Dabei wird sich auch hier zeigen, dass man den erhaltenen Textbestand erklären kann, ohne auf eine syrische Vorlage zurückzugreifen. 160 Vgl. Perrin, Fragments, 145–146 (im „Syriac subtext“ steht fälschlich statt ); Baker, Fasting, 291–293, Guillaumont, Νηστεύειν, 21–22. 161 So die Schreibweise des Papyrus; das entspricht νηστεύσητε.

1.3. Der Text des Thomasevangeliums

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löst ein Problem, das es in Wahrheit gar nicht gibt. Denn der griechische Ausdruck τὸν κόσμον kann ohne Weiteres als Accusativus Graecus aufgefasst werden,162 der dann im Koptischen mit der Präposition exakt abgebildet worden ist.163 Beide erhaltenen Textversionen offenbaren mithin ein identisches Verständnis des Spruches, das die eingangs gegebene Übersetzung ausdrückt. Die Annahme einer syrischen Vorlage ist nicht nötig. Zur Übersetzung von πονεῖ ἡ ψυχή μου durch in EvThom 28,3 notiert Perrin: „The difference between the Greek and Coptic renderings, although not absolute, is noticeable.“164 Der angebliche Unterschied besteht jedoch allein darin, dass die entsprechenden Verben zweier Sprachen nicht das exakt gleiche Bedeutungsspektrum haben: πονεῖν bedeutet „sich abmühen“ und nur Letzteres.165 Der koptische Ausdruck steht „Schmerz empfinden“, im Perfekt und hat den griechischen demnach als expressives Praesens historicum aufgefasst,166 was im Kontext lebendiger Ich-Rede gut möglich ist. All das liegt ganz im normalen Bereich einer guten Übersetzung, ohne dass man vermuten muss. dahinter das syrische Verb Im Blick auf EvThom 30,1, das der Auslegung notorische Schwierigkeiten bereitet, macht Perrin den Vorschlag, hinter ἄθεοι („gottlos“) im griechischen („Götter“) im koptischen die syrische Vorlage , das Text und heißt die Präposition mit dem Substantiv in der Bedeutung „Richter“, anzunehmen.167 Dagegen ist nur zu sagen, dass er so zwar die Entstehung beider Lesarten erklären kann, sie aber gleichermaßen für mangelhaft halten muss. Denn der griechische Übersetzer hätte den Ausdruck im Sinne von („gottlos“) missverstanden, und der koptische hätte ihn so wörtlich übersetzt, dass er für einen koptischen Leser unverständlich geworden ist, weil für diesen nun einmal „Götter“ und nicht „Richter“ sind. Dagegen kann die Annahme eines ursprünglichen ἄθεοι wenigstens einem der beiden erhaltenen 162 Vgl. Schwyzer, Grammatik, 84–86. Dagegen berufen sich Baker und Guillaumont auf Grenfell und Hunt (Sayings, 10), die den Akkusativ τὸν κόσμον nach dem Verb νηστεύειν „very harsh“ nennen. Baker (Fasting, 292–293) meint dem mit der im syrischen Liber Graduum belegten Wendung (im Sinne von „fasten in Bezug auf die Welt“) abhelfen zu können. Parallele Ausdrücke in derselben Schrift zwingen aber nach Guillaumont (Νηστεύειν, 21) zu der Annahme, dass die Präposition l in dieser Wendung den Akkusativ markiert, wodurch sie als Ganze einmalig sei: „Nous n’avons pas d’autre exemple à alléguer de cette construction du verbe ĔČĝ, assez rarement attesté avec un complément; mais elle nous paraît tout à fait possible.“ Soviel kann man aber auch schon von der griechischen Textversion sagen! 163 Vgl. Crum, Dictionary, s. v. , I.a. „as regards“; Plisch, Einführung, 24, Nr. 3.a) „Zur Bezeichnung der Richtung, des Bezuges auf etwas, des Mittels“; Westendorf, Handwörterbuch, s. v. , b) „in betreff, in bezug auf“. 164 Perrin, Fragments, 146; vgl. ders., Gospel, 89. 165 Vgl. Crum, Dictionary, s. v. ; Liddell/Scott, Lexicon, s. v. πονέω; Passow, Handwörterbuch, s. v. πονέω; Westendorf, Handwörterbuch, s. v. . 166 Vgl. Schwyzer, Grammatik, 271–272. 167 Vgl. Perrin, Fragments, 146–148; ders., Gospel, 88–89. Zur Bedeutung „Richter“ siehe unten Kap 2.5.2.

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

Texte, nämlich dem griechischen, einen guten Sinn abgewinnen, wie wir weiter unten noch sehen werden.168 Die besprochenen Beispiele machen deutlich, dass die Annahme einer syrischen Vorlage – und dasselbe gibt entsprechend für eine westaramäische – zur Erklärung einzelner Abweichungen in den erhaltenen griechischen und koptischen Zeugen entweder überflüssig ist oder mindestens so viele Fragen aufwirft, wie sie beantwortet. Dazu kommen die Vorbehalte, die oben bereits zu Perrins Hypothese eines einheitlichen syrischen Ursprungs des Thomasevangeliums geäußert wurden. Aber auch wenn man eine aramäische Vorlage nur für Teile des Thomasevangeliums postulieren wollte, bliebe völlig ungewiss, welchen Umfang sie gehabt hätte. Angesichts dieser beträchtlichen Unwägbarkeiten besteht der einfachere Lösungsweg sicherlich darin, die tatsächlich vorhandenen Textzeugen miteinander zu vergleichen und daraus Schlüsse über den Entstehungsweg des Thomasevangeliums zu ziehen. Denn jedenfalls begründen verstreute Semitismen in einem Text, dessen überlieferungsgeschichtliche Ursprünge unbestrittenermaßen im semitischen Sprachraum liegen, noch nicht die Annahme, dass er ursprünglich in einer semitischen Sprache verfasst worden sei.169 1.3.3. Eine Grenzuntersuchung zwischen Text- und Formkritik Die folgende Untersuchung will an einzelnen Logien Aufschluss über die Kompositions- und Redaktionsgeschichte des Thomasevangeliums gewinnen. Sie macht sich dabei den Umstand zunutze, dass der Text des Thomasevangeliums teilweise doppelt bezeugt ist. Aus den unterschiedlichen Textformen lassen sich womöglich Einsichten in die Entstehung und Weiterentwicklung der betroffenen Logien und darüber hinaus in Strukturen der Text- und Überlieferungsgeschichte gewinnen. Ein solche Untersuchung ist aber nur dann sinnvoll, wenn die jeweiligen zwei Zeugen eines Logions in ihrer Eigenständigkeit wahrgenommen werden. Dies wiederum setzt voraus, dass der lückenhafte griechische Text nicht automatisch nach der Maßgabe des koptischen vervollständigt wird. Schon im erhaltenen Text weisen der koptische und der jeweilige griechische Zeuge an vielen Stellen unleugbare Unterschiede auf. So ist immer damit zu rechnen, dass der einst unversehrte griechische Text auch an den Stellen, die uns heute verloren sind, von der Form und Lesart des koptischen abwich. Dieser Ansatz bringt es mit sich, dass die Rekonstruktion der griechischen Zeugen an den unsicheren Stellen erneut textkritisch befragt werden muss. Denn bisherige Rekonstruktionsversuche haben stets, so weit es eben machbar schien, Sinn und Form der koptischen Textüberlieferung auch in die griechische eingetragen. Dagegen muss eine Rekonstruktion, welche den Eigenwert der griechischen Text168 169

Siehe unten Kap. 2.5.1–2. Vgl. Köster in: Layton, Codex II, 40.

1.3. Der Text des Thomasevangeliums

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überlieferung berücksichtigt, auch mit eigenständigen Formen einzelner Logien rechnen, die sich von der Form des koptischen Zeugen unterscheiden. Konkret heißt das, dass der griechische Text eines Logions im Zweifelsfall seiner eigenen Form entsprechend auch gegen den koptischen Zeugen wiederhergestellt werden muss. Textkritik kann in solchen Fällen nicht heißen, den griechischen Spruch gewaltsam in die Form des koptischen zu pressen. Vielmehr ist mit form- und redaktionsgeschichtlichen Veränderungen zwischen beiden Zeugen zu rechnen. So braucht eine Redaktionskritik, welche die Unterschiede zwischen beiden Zeugen nicht von vornherein nivelliert, an manchen Stellen eine erneute Textkritik. Diese wiederum wird den Zeugen in ihrer Eigenständigkeit nur dann gerecht, wenn sie sie ihrer eigenen Form entsprechend und nicht allein nach der Maßgabe des anderen Zeugen rekonstruiert. Die methodische Eigenart der gefordeten Untersuchung hat H.-M. Schenke bereits vor Jahren eindrücklich beschrieben: „If we were to define our task as closely as possible, we might say that we have here a kind of ‚borderline investigation‘ straddling the fence between form criticism or tradition history on the one hand, and textual criticism on the other. In other words, we are concerned with the point at which the lines of form criticism, when followed forward, and textual criticism, when followed back, converge. […] And it appears to me that the tacit result of the little research that has been done to date – insofar as it has touched on this borderline area at all – is that there is no simple connecting line that would lead directly from the tradition history of this text to its textual history.“170

Konkret heißt das, dass wir in den Analysen des folgenden zweiten Teils unserer Untersuchung jeweils bei den textkritisch schwierigen Passagen der einzelnen Logien bzw. den Textunterschieden zwischen den beiden Zeugen ansetzen und die bisherigen Rekonstruktions- bzw. Erklärungsversuche kritisch sichten. Daraus ergeben sich unter Umständen Perspektiven für eine eigene Lesung des griechischen Textes, welche diesen für sich genommen unter formgeschichtlichen Aspekten betrachtet.171 In einem weiteren Schritt ist dann zu fragen, was die unterschiedlichen Formen desselben Spruches über seine Überlieferung, 170

Schenke, History, 11. Dabei stütze ich mich, was die rein paläographischen Fragen anbelangt, auf die Ergebnisse der bisherigen Forschungen auf diesem Feld. Was paläographisch geklärt werden kann, scheint mir an den hier zu behandelnden Stellen weitgehend geklärt. Auf dieser Grundlage geht es mir vor allem um die Form- und Überlieferungskritik der einzelnen Sprüche, die auch dort noch begründete Vermutungen anstellen kann, wo die Textkritik im engeren Sinne an ihre Grenzen stößt. Ob z. B. im griechischen Prolog der Apostelname „Thomas“ durch eine Form von „Judas“ oder „Didymus“ zu ergänzen ist, ob im griechischen EvThom 3,3 das häufig eingefügte κἀκτός Sinn ergibt, ob im griechischen EvThom 30,1 θεοί oder ἄθεοι zu lesen ist, ob im koptischen EvThom 51,1 ursprünglich oder stand – dies und anderes mehr sind Fragen, die nicht mehr in erster Linie nach einer paläographischen, sondern nach einer formgeschichtlichen Antwort verlangen, die im Verlauf dieser Studien zu geben versucht wird. Denn während die Manuskripte schon vielfach akribisch untersucht worden sind, ist der möglicherweise eigenständigen Form der griechischen Sprüche, die sie nur bei einer vom koptischen Text unabhängigen Lesung offenbaren, bisher wenig Beachtung geschenkt worden. 171

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1. Einleitung: Das Thomasevangelium – ein formloser Text?

seine Komposition mit anderen Sprüchen und schließlich deren redaktionelle Verarbeitung verraten. Der Verlauf der Arbeit hat gezeigt, dass es ratsam ist, diese Analysen nicht streng voneinander getrennt, sondern miteinander durchzuführen. Der geneigte Leser oder die Leserin mag entscheiden, ob es auf diese Weise gelungen ist, überzeugende Einsichten in die Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums gewinnen. Doch bevor wir uns den Texten zuwenden, ist eine letzte Vorbemerkung hinsichtlich der Begriffe noch angebracht. Wenn ich hier und im folgenden von „Überlieferung“ spreche, ist damit nicht nur die mündliche Überlieferung der Sprüche gemeint, sondern auch deren Textüberlieferung, allerdings nicht die in beiden Überlieferungen enthaltenen Traditionen. Diese Ausweitung der in Kapitel 1.1.1 gegebenen und dort auch triftigen engeren Definition des Begriffes ist in den folgenden Studien angebracht, weil ich davon ausgehe, dass die mündliche und schriftliche Überlieferung der einzelnen Logien nicht in zeitlich aufeinander folgenden Phasen, sondern gleichzeitig und nebeneinander vonstatten ging. Die Textgeschichte und die Geschichte der mündlichen Überlieferung haben sich dabei wechselseitig beeinflusst. So ist z. B. anzunehmen, dass die griechische Überlieferung, welche die Oxyrhynchos-Papyri bezeugen, sowohl die mündliche Weitergabe von Logien als auch weitere schriftliche Zeugnisse, die uns verlorengegangen sind, umfasst hat. Nicht zuletzt darin ist auch begründet, weshalb Text-, Form- und Überlieferungskritik hier nicht unabhängig voneinander durchgeführt werden können.

2. Analysen

Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas 2.1.1. Der Textbefund In der Einheit von Prolog und EvThom 1 betrifft der einzige Unterschied zwischen dem griechischen und dem koptischen Zeugen die Namensform des dort genannten Gewährsapostels. Im koptischen Text heißt er „Didymus Judas Thomas“ ( ). Der griechische Papyrus bezeugt nur ΚΑΙ ΘΩΜΑ (Pap Ox 654,3) und weist davor eine Lücke auf. Ausgehend von der koptischen Übersetzung wird meist eine sonst im Satz vermisste Form von γράφειν entspricht. Daneben hat dann aber ergänzt, die dem koptischen die doppelte Bezeichnung Δίδυμος Ἰούδας kaum mehr Platz. Es kann also in der Lücke nur eine Form von Δίδυμος oder von Ἰούδας, nicht aber beides gestanden haben.1 Fasst man das griechische ΘΩΜΑ als unveränderte semitische Form des û ˞ó )2, ist es indeklinabel und Personennamens auf (Θωμᾶ vom aramäischen ćĕ˟ć kann somit für alle grammatikalischen Fälle stehen.3 Begreift man es jedoch als gräzisierte Namensform (Nominativ: Θωμᾶς),4 so kommen als Fälle nur der Genitiv (Θωμᾶ) oder der Dativ (Θωμᾷ) in Betracht.5 Dementsprechend varriieren auch die Wiederherstellungen der vorausgehenden Textlücke.6 Im Anschluss an Fitzmyer und Marcovich fasst Attridge Θωμᾶ als Nominativ der semitischen Namensform auf und rekonstruiert Pap Ox 654,2–3 wie folgt: καὶ ἔγραψεν Ἰούδα ὁ καὶ Θωμᾶ. In der Übersetzung lautet dann der erste Satz in Pap Ox 654,1–3: 1 Nach Hurtado (Fragments, 25) bot der unversehrte Pap Ox 654 Platz für „ca. 26–36 letters per line“. Die ungleichmäßige Schreibweise des Papyrus lässt erheblichen Spielraum; vgl. Hurtado (ebd.): „The complete inability at bilinear writing, the irregularities of letters in size and formation, and other features seem to me to indicate a scribe of very limited skill (or little interest) with regard to the aesthetic properties usually expected in copies of literary texts.“ Ginge man nur nach der möglichen Anzahl der Buchstaben, wäre οὓς ἐλάλησεν Ἰη(σοῦ)ς ὁ ζῶν καὶ ἔγραψεν Δίδυμος Ἰούδα ὁ καὶ Θωμᾶ mit 35 Buchstaben in Z.2 (-λησεν bis Ἰούδα ὁ) demnach eine mögliche Rekonstruktion. Aber natürlich darf man ein solches Kriterium nicht isoliert verwenden. Wenn die Einschätzungen zudem variieren (vgl. etwa Fitzmyer, Oxyrhynchus, 364, der von höchstens 33 Buchstaben pro Zeile ausgeht), sollte man bei jeder Rekonstruktion die Extreme vermeiden. Nach einhelliger Meinung der Experten haben beide Namen, Δίδυμος und Ἰούδας, in der Lücke jedenfalls keinen Platz (vgl. Attridge, Fragments, 113). 2 Vgl. Bauer/Aland, Wörterbuch, s. v. Θωμᾶς. 3 So die allgemeine Regel nach BDR § 53,1. 4 So die Regel nach BDR § 53,1.3b für die hebräischen Namen auf die Endung ċû- (aramäisch: ćû-). Ausnahmsweise können indes auch diese Namen der allgemeinen Regel folgen; vgl. z. B. Bauer/Aland, Wörterbuch, s. v. Ἰούδας. 5 Vgl. BDR § 55,1b. Der formal mögliche Vokativ ist syntaktisch ausgeschlossen. 6 Vgl. Attridge, Fragments, 113.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

„Dies sind die verborgenen Worte, die der lebendige Jesus gesprochen hat und die Judas, der auch Thomas heißt, aufgeschrieben hat.“ Anders ergänzt Bauer: καὶ γεγραμμένοι διὰ Ἰούδα τοῦ καὶ Θωμᾶ. Subjekt sind dann οἷτοι7 οἱ λόγοι aus Pap Ox 654,1; der Name „Thomas“ steht im Genitiv: „Dies sind die verborgenen Worte, die der lebendige Jesus gesprochen hat und die aufgeschrieben worden sind durch Judas, der auch Thomas heißt.“ Einen weiteren Vorschlag macht Wilson: καὶ Κύριος Δίδυμῳ [richtig: Διδύμῳ, W.E.] τῷ καὶ Θωμᾷ. Der Vorgang des Aufschreibens wird nicht erwähnt; in die Lücke tritt eine Apposition zum Subjekt „Jesus“: „Dies sind die verborgenen Worte, die Jesus, der Lebendige und Herr, zu Didymus, der auch Thomas heißt, gesprochen hat.“ Die Formulierung von Attridge entspricht, bis auf das fehlende „Didymus“, exakt dem koptischen Text. Ihr wird deshalb gegenüber anderen Herstellungsvorschlägen gewöhnlich passivisch, hält der Vorzug zu geben. Bauer übersetzt das aktive sich dabei aber an den Sinn des koptischen Satzes. Wilsons Ergänzung hat die Schwierigkeit, dass sie im offenen Widerspruch zum folgenden Corpus des Evangeliums steht. Dort spricht Jesus nämlich nicht nur zu Thomas, sondern auch zu anderen Jüngern, meist sogar zu den Jüngern im allgemeinen. 2.1.2. Thomastraditionen Jede der (möglichen) Namensformen des Apostels – „Judas Thomas“, „Didymus Thomas“ oder „Didymus Judas Thomas“ – hat Auswirkungen auf seine genaue Identifikation und auf die damit verbundene Frage nach den Entstehungsbedingungen des Thomasevangeliums. Zur Diskussion steht dabei vor allem sein Verhältnis zur syrischen Thomastradition, die an dieser Stelle etwas näher in den Blick zu nehmen ist. „In Joh 14,22 liest die Vetus Syra anstatt ‚Judas, nicht der Ischarioth‘ ‚Thomas‘ (Syrus Sinaiticus [sys]) bzw. ‚Judas Thomas‘ (Syrus Curetonianus [syc])“8. Dabei scheinen die alten syrischen Übersetzungen den Apostel Thomas, der außerhalb des Johannesevangeliums nur in den synoptischen Zwölfer- bzw. Elferlisten auftaucht (Mk 3,18; Mt 10,3; Lk 6,15; Apg 1,13), mit dem Herrenbruder Judas (Mk 6,3; Mt 13,55) zu identifizieren. Einen Ansatzpunkt dafür bot der Judasbrief. Dessen Verfasser stellt sich in Jud 1 als „Judas, Jesu Christi Knecht, Bruder des Jakobus“ (Ἰούδας Ἰησοῦ Χριστοῦ δοῦλος, ἀδελφὸς δὲ Ἰακώβου) vor. Eine solche Angabe erfüllt nur dann ihren Zweck, wenn sie den Absender des Schreibens durch die Nennung seines Bruders eindeutig identifiziert. Daraus folgt, dass es sich bei dem Bruder um einen allseits bekannten Jakobus handeln muss, der im Leben der frühen Kirche eine bedeutende Rolle gespielt hat. Dies trifft am ehesten auf den Herrenbruder Jako7 8

Sic, i. e. οὗτοι; vgl. Gignac, Grammar 1, 215–216. Drijvers, TRE 33, 430; vgl. Klijn, Name, 88.

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

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bus zu. Indem sich der Verfasser als Bruder des Herrenbruders Jakobus ausgibt, gibt er sich implizit aber auch als einer der bekannten Brüder Jesu zu erkennen.9 Die syrische Tradition, vor allem im Thomasbuch (LibThom 138,7–8) und in den Thomasakten (ActThom 1), ging dann noch einen Schritt weiter und machte aus dem Herrenbruder Judas den Zwillingsbruder des Herrn.10 Hierbei konnte sie an Joh 11,16; 20,24; 21,2 anknüpfen, wo jeweils ein Jünger namens „Thomas, der Didymus genannt wird“ (Θωμᾶς ὁ λεγόμενος Δίδυμος) begegnet. û ˞ó als auch das griechische Δίδυμος bedeuten „ZwilSowohl das aramäische ćĕ˟ć ling“.11 Δίδυμος ist auch in vorchristlicher Zeit bereits als Eigenname belegt,12 ćĕ˟ć û ˞ó und Θωμᾶς dagegen nicht.13 „Vielmehr ist Θωμᾶς wohl die griechische 9 Vgl. Bauckham, Jude, 172; Limbeck, EWNT2 2, 485. Die Echtheitsfrage ist damit freilich noch nicht beantwortet; zur Diskussion vgl. Bauckham, Jude, 174–178; Vögtle, Jud, 4–11. 10 Dagegen Dunderberg, Disciple, 51: „Although portrayed as the twin of Jesus in the Acts of Thomas, Judas Thomas is distinguished in this text from Judas, the brother of Jesus (Acts of Thomas, 1).“ Die Apostelliste in ActThom 1 nennt unter anderen Θωμᾶς/ und Ἰούδας Ἰακώβου/ . Dunderberg scheint in Judas Jacobi „Judas, den Bruder des [Herrenbruders] Jakobus“ sehen zu wollen. In diesem Sinne interpretiert auch der in Klammern gesetzte Zusatz von Drijvers (NTApo II6 303) den Text: „Judas, (des Jakobus Bruder)“. Wäre Judas Jacobi in ActThom 1 auf diese Weise richtig identifiziert, stimmte auch Dunderbergs Annahme, dass dieser Judas (als Bruder des Herrn und des Jakobus) von Thomas (der anschließend „Judas Thomas, der auch Zwilling heißt“ genannt wird) unterschieden würde. Tatsächlich ist aber Judas Jacobi an dieser Stelle sicher nicht der Bruder Jesu und des Jakobus (vgl. Gunther, Meaning, 125). Zwar kann der griechische Genitiv Ἰακώβου Judas als dessen Sohn oder Bruder bestimmen (vgl. BDR § 162, Anm. 4). Letzteres ist hier aber mehr als unwahrscheinlich, wo doch im griechischen Text vorher schon zweimal (in Lk 6,14–16 hingegen nur einmal, in Apg 1,13 gar nicht) die Brüderbeziehung anders und eindeutig ausgedrückt wird: Σίμων ὁ λεγόμενος Πέτρος καὶ Ἀνδρέας ὁ ἀδελφὸς αὐτοῦ, Ἰάκωβος ὁ τοῦ Ζεβεδαίου καὶ Ἰωάννης ὁ ἀδελφὸς αὐτοῦ. Genauso eindeutig gibt das syrische in („Judas, der Sohn des Jakobus“) die Filiation an. Der in ActThom 1 genannte Judas Jacobi ist also nach dem Selbstverständnis des Textes nicht der Herrenbruder Judas, sondern der Sohn des Jakobus. Von diesem wird der Thomas der Apostelliste unterschieden und im Folgenden als „Judas Thomas“ und als „Zwilling“ genauer identifiziert. Dass es sich dabei nur um den Zwillingsbruder Jesu handeln kann, wird in ActThom 31.39 vollends klar. 11 Das aramäische ćĕ˟ć û ˞ó gehört zu dem in Syrien-Palästina gängigen Typ der Einwortnamen; vgl. Streck, DNP 9, 630: „Einwortnamen sind meist profan und nennen eine Eigenschaft des Namensträgers“; eine typische Eigenschaft ist die „Stellung in der Familie (‚Zweiter‘)“. In diese Kategorie gehört auch die Eigenschaft, als Zwilling geboren zu sein. 12 Vgl. Bauer/Aland, Wörterbuch, s. v. Δίδυμος; Foraboschi, Onomasticon, s. v. Δίδυμος; Preisigke, Namenbuch, s. v. Δίδυμος. Bekannte Träger dieses Namens sind z. B. Didymos Chalkenteros, Didymos der Jüngere, Didymos Klaudios und Didymos, der Sohn des Herakleides, die alle im 1. vor- und nachchristlichen Jahrhundert gelebt haben (vgl. DNP 3, 550–554). 13 So richtig Drijvers, TRE 33, 430: „Der Name Thomas war ursprünglich ein Epitheton, das sich in der christlichen Tradition zu einem Personennamen entwickelte.“ Ebenso Thyen, Joh, 519. Vgl. Foraboschi, Onomasticon, s. v. Θωμᾶς; Klijn, Name, 89, Anm. 3; Preisigke, Namenbuch, s. v. Θωμᾶς; Wuthnow, Menschennamen, s. v. Θωμα und Θωμας. Anders dagegen Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v. Θωμᾶς: „das aram. ćĕ˟ć û ˞ó = Zwilling, das keineswegs nur als Beiname gebraucht worden ist […], fiel im griech. Sprachgebiet mit dem griech. Namen Θωμᾶς zusammen“. BDR § 53,3: „Die Hellenisierung geschieht […] d) bisweilen durch durch die Substituierung ähnlich klingender echtgriechischer Namen“; Anm. 9 nennt z. B. „Θωμᾶς für ćĕ˟ć û ˞ó “. Ebenso Bultmann, Joh, 305, Anm. 5; Köster, GNOMAI, 125; Schnackenburg,

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Transskription des aramäischen Wortes. Wahrscheinlich ist die Wendung ὁ λεγόμενος Δίδυμος darum nach Analogie von [Joh] 4,25 zu verstehen, wo das transskribierte Μεσσίας durch ὁ λεγόμενος χριστός übersetzt und nicht etwa als Beiname genannt wird.“14 Ob Θωμᾶς im Johannesevangelium schon als Eigenname oder noch als Beiname verwendet wird, kann zunächst dahingestellt bleiben.15 Jedenfalls lässt die Übersetzung ὁ λεγόμενος Δίδυμος ein Wissen um die ursprüngliche Funktion des gräzisierten aramäischen Namens Θωμᾶς als eines sprechenden Beinamens durchblicken.16 Dass der Beiname den Eigennamen des gemeinten Jüngers völlig verdrängt hat, mag daran liegen, dass er einen häufigen Personennamen trug und Verwechslungen vermieden werden sollten. Um wessen Zwillingsbruder es sich handelt, bleibt bei alledem freilich noch offen.17 Joh 2, 411, Anm. 2; Wengst, Joh 2, 26, Anm. 32. Wenn überhaupt, gibt es dafür jedoch nur einen einzigen entfernten Beleg auf einer phönizischen Inschrift, die t’m als Eigenname bezeugt (vgl. CIS 1,46,3; Herzog, Namensübersetzungen, 51; Lidzbarski, Handbuch 1,383); an einer anderen Stelle wird tw[m] konjiziert (vgl. CIS 1,66,1; Dunderberg, Disciple, 55). Zum Vergleich: Hebräisch heißen die Zwillinge ĔĐĕ˟ć ÷ ˞ó oder ĔĐĕ÷ ć˟˞ õ (der erschlossene Singular Ĕ˟ć˞ó bzw. Ĕˈ˟˞; vgl. Koehler/Baumgartner, Lexikon, s. v. ĔĐĕ÷ ć˟˞ õ ), und das Syrische unterscheidet zwischen für „Zwilling“ und der üblichen Namensform für „Thomas“ (vgl. Payne Smith, Dictionary, s. v.). 14 Thyen, Joh, 519; vgl. Schnackenburg, Joh 2, 411. Dass es um eine Übersetzung geht, zeigt auch die sinngleiche Formulierung in Joh 1,41: „Gefunden haben wir den Messias, das heißt übersetzt Gesalbter“ (εὑρήκαμεν τὸν Μεσσίαν, ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον χριστός). Freilich sind Übergänge denkbar; vgl. Dunderberg, Disciple, 52: „On the other hand, the repeated use of didymos in connection with Thomas in John shows that when this gospel was written didymos was already a traditional epithet attached to Thomas.“ 15 Vgl. Klijn, Name, 89–90: „Thus we may draw the conclusion that the author of the fourth Gospel is trying to show his Greek readers that the word ‚thomas‘ has to be understood as the epithet ‚twin‘. We might add that the Fourth Gospel does not say what the proper name of this ‚twin‘ was.“ Ähnlich Gunther, Meaning, 124: „Lack of evidence that Jews were so named suggests that it was only an epithet and that the apostle’s original name was dropped.“ Dagegen Thyen, Joh, 519: „Gleichwohl dürfte Johannes im Anschluß an die Apostellisten seiner Prätexte ‚Thomas‘ aber bereits als Eigennamen verstanden haben.“ Wenn Klijn und Gunther Recht haben, gibt es im Johannesevangelium zwei prominente Jünger, die bis zum Schluss anonym bleiben: den Lieblingsjünger und eben Thomas. Schenke/Fischer (Einleitung, 178–179) erwägen eine redaktionelle Verdoppelung der Thomasfigur durch den Lieblingsjünger. Den entscheidenden Hinweis darauf gebe die Kreuzigungsszene (Joh 19,26–27), die den Lieblingsjünger zum Bruder Jesu erklärt; vgl. Schenke, Function, 123: „Here the question suggests itself whether Judas Thomas, the most mysterious of all the brothers of Jesus, might not have been the historical model (in terms of history of tradition) for the Beloved Disciple figure of the Fourth Gospel.“ Einen Hinweis darauf will Schenke (Book, 213–216) auch im Thomasbuch (LibThom 138,7–8) finden (vgl. dagegen Nagel, Mitstreiter). Für eine Identifikation des Lieblingsjüngers mit Thomas argumentiert sehr ausführlich Charlesworth, Disciple. 16 Das sieht Wengst (Joh 2, 26, Anm. 32) richtig, obwohl er Θωμᾶς fälschlich für gut griechisch hält: „Indem aber hinzugefügt wird: ‚genannt Dídymos‘ (= ‚Zwilling‘), dürfte deutlich sein, dass hinter ‚Thomas‘ das aramäische Wort für ‚Zwilling‘ steht: t’omá.“ 17 Diese Feststellung ist wichtig, weil es nicht ausgeschlossen ist, dass die syrische Tradition den im Johannesevangelium verdrängten Eigennamen des Apostels tatsächlich bewahrt hat. Vgl. Bauckham, Jude, 34: „The most likely reason for the disuse of Thomas’ personal name is

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

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Diese offene Frage hat erst die syrische Tradition in eine bestimmte Richtung entschieden. Von den in Mk 6,3 und Mt 13,55 genannten Brüdern Jesu ist außer für Jakobus nur noch für Judas eine einflussreiche Stellung bezeugt, nämlich durch den Judasbrief. Von hier aus ist dann der Schritt nicht mehr weit, die Bezeichnung „Zwilling“ im Sinne von „Zwillingsbruder des Herrn“ zu verstehen und den so benannten Thomas mit dem Herrenbruder Judas zu identifizieren.18 Im Zwölferkreis gäbe es demnach drei verschiedene Personen mit dem Namen „Judas“: Judas, den Bruder des Herrn, den die syrische Tradition mit Thomas identifiziert;19 Judas, den Sohn des Jakobus (Lk 6,16; Apg 1,13: Ἰούδας Ἰακώβου),20 der seit Origenes mit Thaddäus bzw. Lebbäus (Mk 3,18; Mt 10,3) gleichgesetzt wird;21 und Judas Iskariot. Darin mag auch der Grund gelegen haben, weshalb den syrischen Übersetzern der Zusatz οὐχ ὁ Ἰσκαριώτης in Joh 14,22 nicht mehr genügte, um die gemeinte Person zweifelsfrei zu bestimmen: Bei zwei Personen desselben Namens erfüllt die Apposition ihren Zweck, bei dreien nicht mehr. Erst durch die ersetzende bzw. zusätzliche Einfügung von „Thomas“ wird die Sachlage für die syrischen Übersetzer eindeutig.

that it was a common name also borne by at least one other prominent early Christian leader. From this point of view, the east Syrian tradition that his personal name was Judas is entirely plausible.“ Ebenso Gunther, Meaning, 147–148: „The Acts of Thomas and Syrsin to Jn. 14:22 provide evidence of continued knowledge of Thomas by the primary name of ‚Judas‘.“ Das bedeutet aber eben noch nicht, dass dieser Judas mit dem Beinamen „Zwilling“ immer schon als Zwilling Jesu gegolten hätte. 18 Klijn (Name, 91) signalisiert hier ein fehlendes Glied in der nachweisbaren Traditionskette: „However, these remarks do not explain the variant readings in sys and syc. We still do not know how it came about that a disciple of Jesus with the name Judas was given the name Thomas or Judas Thomas. Commentaries refer to the Acts of Thomas, but this merely shifts the difficulty from one place to another.“ Das von Klijn vermisste Glied ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Judasbrief; vgl. Köster, GNOMAI, 126; Drijvers, TRE 33, 430: „Die Tradition in sys und syc, daß der Apostel Judas Zwillingsbruder, nämlich des Herrn Jesus (vgl. den Brief des Judas, Bruders des Jakobus, Bruders des Herrn) war, findet sich speziell in den apokryphen Thomasakten, ist aber auch im koptischen Thomasevangelium vorhanden“. 19 Vgl. Gunther, Meaning, 124–126. 20 Im Unterschied zur syrischen Thomastradition könnte man auch in Judas Jacobi den Herrenbruder Judas erblicken; vgl. BDR § 162, Anm. 4: „Ob beim Apostel Ἰούδας Ἰακώβου Lk 6,16 Apg 1,13 υἱός oder ἀδελφός (nach Jud 1) zu ergänzen ist, ist grammatisch nicht zu entscheiden (zu ἀδελφός vgl Τιμοκράτης ὁ Μητροδώρου sc ἀδελφός, Alkiphron II 2).“ Identifiziert man außerdem den in allen Apostellisten genannten „Jakobus, Sohn des Alphäus“ (Ἰάκωβος [ὁ τοῦ] Ἁλφαίου) mit dem Herrenbruder Jakobus, dann zählten beide Herrenbrüder zum Zwölferkreis. Sicher sind aber der Apostel und der Herrenbruder zwei unterschiedliche Personen; vgl. Bauckham, Jude, 172; Schelkle, Petr, 141. Zum Problem der Geschwister Jesu vgl. Oberlinner, LThK3 2, 713–714. Zu den verschiedenen Apostellisten vgl. Pesch, Apg 1, 78–80. 21 Vgl. Orig. comm. in Rom., praef.: Igitur eundem, quem Matthaeus Lebbaeum et Marcus Thaddaeum dixit, Lucas Iudam Iacobi scripsit. Vgl. Pesch, LThK3 5, 1026.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

2.1.3. Namensformen In diesem Sinne begegnet die Bezeichnung „Judas Thomas“ (Ἰούδας Θωμᾶς/ ) auch in anderen Schriften, die gewöhnlich der ostsyrischen Tradition (Osrhoëne mit dem Zentrum Edessa) zugewiesen werden:22 in der syrischen Abgarlegende, die sowohl von Eusebius in seiner Kirchengeschichte23 als auch in der Doctrina Addai24 verarbeitet wurde,25 in den Thomasakten26, im Buch des Thomas27 und bei Ephräm dem Syrer28. Bemerkenswert ist die dreiteilige Namensform in den griechischen ActThom 1, wo „Judas Thomas, der auch Didymus heißt“ (Ἰούδᾳ Θωμᾷ τῷ καὶ Διδύμῳ)29, Indien als sein Missionsgebiet zugelost wird. Dem kommt die Bezeichung im Prolog des koptischen Thomasevangeliums an nächsten. Aufgrund dieser Namensform im Incipit wird das koptische Thomasevangelium gewöhnlich mit der syrischen Thomastradition zusammengeschlossen. Dies ist für die uns vorliegende koptische Übersetzung durchaus naheliegend. Ob der ältere griechische Text in derselben Tradition steht, ist dagegen aufgrund der Textlücke in Pap Ox 654,2 nicht zweifelsfrei zu klären. Wie oben ausgeführt, kann in der Lücke aus Platzgründen nur eine Form von „Judas“ oder von „Didymus“ stehen. Konjizieren wir mit den meisten Textkritikern „Judas“, so ergibt sich die in der syrischen Tradition sehr häufige Namensform „Judas Thomas“. Ergänzen wir jedoch „Didymus“, so heißt der Apostel im Prolog „Didymus Thomas“, was ihn und sein Evangelium weniger an die syrische Thomastradition als an die johanneische Traditionslinie heranrückte.30 Auf diese Möglichkeit kann Wilsons Textrekonstruktion immerhin aufmerksam machen. Um die damit verbundene 22

Vgl. Drijvers, TRE 33, 430–433; Uro, Thomas, 10–15. Eus. h.e. 1,13,11: Ἰούδας ὁ καὶ Θωμᾶς („Judas, der auch Thomas heißt“). 24 Vgl. Doctrina Addai 7. 25 Vgl. Illert, Doctrina, 33: „Für die Annahme, dass eine syrische Vorform der Abgarlegende sowohl dem Text Eusebs als auch der Doctrina Addai zugrunde liegt, sprechen zwei textliche Varianten des Eusebius. So dürfte erstens die Lesart ‚Schnellläufer‘ bei Eusebius (statt ‚Archivar‘ in der Doctrina Addai) aus der Verwechslung der sich nur in ihrer Vokalisierung voneinander unterscheidenden syrischen Nomen thbulârâ (Schnellläufer) und thbularâ (Archivar) entstanden sein. Zweitens scheint Eusebius den ihm unbekannten Apostel Addai mit dem ähnlich klingenden und darüber hinaus auch biblisch bezeugten Jünger Thaddäus (vgl. Mt 10,3) identifiziert zu haben. Der Vergleich beider Texte legt deshalb die Annahme nahe, dass die von Eusebius übersetzte und redigierte syrische Vorlage auch von der Doctrina Addai als Vorlage verwendet wurde.“ 26 Die syrischen wie die griechischen Thomasakten nennen ihre Hauptfigur gewöhnlich „Judas“, oft in der Verbindung „Judas Thomas“ oder „Judas, der auch Thomas heißt“ (Ἰούδας ὁ καὶ Θωμᾶς), manchmal aber auch einfach „Thomas“; vgl. dazu Klijn, Acts, 19. 27 Vgl. LibThom (NHC II,7) 138: . 28 Vgl. Ephräm, Hymni de fide 7,11,3: . 29 Der syrische Text liest hier nur „Judas Thomas“ ( ). 30 Dazu würde auch der Programmsatz EvThom 1 passen, der seine nächste Parallele in Joh 8,52 hat. 23

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

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Schwierigkeit zu umgehen, müsste man Pap Ox 654,2–3 allerdings folgendermaßen ergänzen: A καὶ ἔγραψεν Δίδυμος ὁ καὶ Θωμᾶ „und es hat (sie) aufgeschrieben Didymos, der auch Thomas heißt“.

Zusammen mit derjenigen von Attridge ist diese Lesart vorläufig am wahrscheinlichsten, sofern es gelingt, einige Vorbehalte dagegen auszuräumen. Der Name Δίδυμος ὁ καὶ Θωμᾶ wäre in dieser Form singulär. Nach dem eben Gesagten steht „Didymus“ als Name sonst immer nach „Thomas“ und fungiert als dessen Übersetzung. Genauso außergewöhnlich ist allerdings auch die Form . Dies muss davor warnen, des koptischen Incipit im griechischen Text unhinterfragt die aus der syrischen Tradition geläufige Namensform „Judas, der auch Thomas heißt“ zu lesen, zumal wir es in Pap Ox 654,3 – sollte die vorgeschlagene Rekonstruktion zutreffen – mit der transskribierten semitischen Form Θωμᾶ zu tun haben, während die griechischen Zeugen der oben erwähnten Überlieferungen durchweg die gräzisierte Form Θωμᾶς benutzen. Der griechische Name „Didymos“ scheint immer dann ins Spiel zu kommen, wenn die Adressaten einer Schrift die Bedeutung „Zwilling“ im ursprünglich aramäischen Namen „Thomas“ nicht mehr mithören.31 Das ist im Johannesevangelium zweifelsohne der Fall und kann auch die ungewöhnliche dreiteilige Namensform Ἰούδας Θωμᾶς ὁ καὶ Δίδυμος in den griechischen ActThom 1 erklären: Indem der Beiname „Thomas“ eingangs einmal mit „Didymos“ übersetzt erscheint, werden die griechischsprachigen Leser in die Lage versetzt, das Zwillingsmotiv, welches die ganze Erzählung durchzieht, mit dem für sie ansonsten bedeutungslosen Beinamen „Thomas“ in Verbindung zu bringen. An derselben Stelle steht im syrischen Text nur „Judas Thomas“, woraus man wohl schließen darf, dass syrischsprechende Leser die Bedeutung „Zwilling“ aus dem Beinamen ohne Weiteres heraushörten.32 Analog erklärt A.D. DeConick die drei31 Hier wirkt sich eine Besonderheit der altorientalischen Namensgebung noch in deren griechischen Zeugnissen aus; vgl. Streck, DNP 9, 629: „Überall wird die Person durch ihren Namen nicht nur identifiziert, sondern auch charakterisiert und repräsentiert. Wer den Namen deutet, kennt die Person […]. Daraus folgt: a) P[ersonennamen] müssen verständlich sein.“ 32 Das ist insofern nicht selbstverständlich, als „Zwilling“ im Syrischen eigentlich heißt, während nur im Zusammenhang mit Thomas begegnet. Daraus folgert J. Payne Smith (Dictionary, s. v. ), dass der Name und seine Nebenformen , und „from through Greek“ gebildet seien. Dagegen wendet Klijn (Name, 90) mit Recht ein: „After all the word can be readily explained as a transliteration of ćĕ˟ć˞. This supposition is attractive because we know that in Syria it was still known that the name was an epithet. This is proved by John xi 16 and xiv 5 [D pc] where sys (syc is not available) omits the words ὁ λεγόμενος δίδυμος. The translator was obviously of the opinion that the translation of the name was not necessary because everyone knew that the word meant ‚twin‘.“ Klijn verweist außerdem auf Mt 10,3, wo syp innerhalb einer Apostelliste die außergewöhnliche Namensform bietet, und auf ActThom 31.39; von den beiden letztgenannten Stellen ist allerdings nur ActThom 39,

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

teilige Namensform im Incipit des koptischen Thomasevangeliums: Δίδυμος „seems to have been added when the Syrian traditions went into translation for audiences unfamiliar with Aramaic“33. Allerdings würde man dann erwarten, dass „Didymos“ nach und nicht vor „Judas Thomas“ eingefügt worden wäre. Dies entspräche dem allgemeinen Brauch griechischer Namensgebung, wie er in ActThom 1 beispielhaft zur Anwendung kommt.34 Zudem stünde die Erklärung „Didymos“ auf diese Weise beim erklärungsbedürftigen Element „Thomas“ als verlangt demdessen Apposition.35 Die Reihung nach eine andere Erklärung. Wie gesagt, war Δίδυμος im Unterschied zu Θωμᾶς auch schon in vorchristlicher Zeit ein gebräuchlicher griechischer Eigenname. Als solcher stünde er im Incipit des griechischen Thomasevangeliums in der Anordnung Δίδυμος ὁ καὶ Θωμᾶ passenderweise vorn. Während das Johannesevangelium den für griechische Ohren ungewöhnlichen Namen Θωμᾶς immer zuerst nennt und danach gegebenenfalls verdolmetscht, hätte der Verfasser des griechischen EvThomIncipits den eleganteren Weg gewählt und den Apostel zunächst mit dem Namen Δίδυμος genannt, weil der nicht nur eine passende Übersetzung des aramäischen ćĕ˟ć û ˞ó , sondern für seine griechischsprachigen Leser zugleich ein geläufiger Eigenname war. Dies spräche dafür, dass Θωμᾶς für die Verfasser des Johannesevangeliums bereits den Wert eines unersetzlichen Eigennamens besaß, dessen ursprüngliche Funktion als sprechender Beiname durch die Übersetzung aber immerhin angezeigt werden sollte. Im Unterschied dazu hätten wir es im griechischen Thomasevangelium mit zwei echten Eigennamen zu tun:36 Der fragliche wo Thomas mit als „Zwillingsbruder des Messias“ angesprochen wird, wirklich stichhaltig, während Klijn in ActThom 31 zwar für eine vom Griechischen beeinflusste sekundäre Namensform von „Thomas“ (Name, 90–91) hält, den Ausdruck aber dennoch mit „ocean-flood of the Messiah“ (Acts, 91) übersetzt ( vom hebräischen Ĕ˟ċ˞ó ; vgl. Brockelmann, Lexicon, und Payne Smith, Dictionary, s. v.). 33 DeConick, Translation, 44–45. 34 Vgl. García-Ramón, DNP 9, 623: „Von hell[enistischer] Zeit an werden Doppelnamen (der zweite, oft ein Spitzname, ist durch καί, ὁ/ἡ; ὁ/ἡ ἐπικαλούμενος/-μένη ‚der sog.‘ u.ä. eingeführt) gebraucht.“ So begegnet in unseren Texten vielfach Ἰούδας ὁ καὶ Θωμᾶς. Das häufige Vorkommen dieses Namens bringt es mit sich, dass statt dessen oft verkürzt Ἰούδας Θωμᾶς steht, an das in ActThom 1 ein dritter Name nach Art eines Zweitnamens angefügt wird. 35 Vgl. im Ansatz ähnlich Dunderberg, Disciple, 51: „The placement of didymos at the beginning of the name Judas Thomas suggests that didymos was not offered as a translation of ‚Thomas‘, but as an additional designation by which Thomas was identified.“ Er zieht daraus allerdings keine Konsequenzen. 36 In eine ähnliche Richtung denkt Plisch, EvThom 42, Anm. 2: „Die spezifische Ausdrucksweise in POxy 654: Ἰούδα ὁ καὶ Θωμᾶ = Judas, der auch Thomas (heißt) findet sich auch Apg 13,9: Σαῦλος δέ, ὁ καὶ Παῦλος = Saulus aber, der auch Paulus (heißt), und bezeichnet dort eher einen alternativen Namen als einen Beinamen. Dieselbe Konstruktion auch in allen Präskripten der Ignatiusbriefe: Ἰγνάτιος ὁ καὶ Θεοφόρος = Ignatius, der auch Theophorus (heißt).“ Mit der Konjektur Δίδυμος ὁ καὶ Θωμᾶ in Pap Ox 654,2–3 würde die Analogie freilich noch triftiger, weil „Didymos/Thomas“ wie „Paulus/Saulus“ und „Ignatius/Theophoros“ alternative Namen für zwei verschiedene Sprachräume sind (vgl. Fischer, Väter, 113: „Ἰγνάτιος ist gewiß der den

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

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Apostel hieße im griechischen Sprachraum selbstverständlich Didymos, ohne dass der Aussagegehalt dieses Namens erläutert werden müsste, und sein transskribierter aramäischer Name Θωμᾶ erschiene nur deshalb angefügt, um über die Sprachgrenze hinweg die Identität der gemeinten Person zu garantieren. Das ist ein ganz gewöhnlicher Vorgang: Aus dem sprechenden Beinamen wird ein Eigenname, der anschließend übersetzt wird, und im weiteren Verlauf verdrängt die Übersetzung den ursprachlichen Namen in manchen Traditionen völlig.37 Das lässt sich an Joh 1,42 sehr gut ablesen: „Jesus sagte: ‚Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du wirst Kephas genannt werden‘, das mit ‚Petrus‘ übersetzt wird“ (ὁ Ἰησοῦς εἶπεν· σὺ εἶ Σίμων ὁ υἱὸς Ἰωάννου, σὺ κληθήσῃ Κηφᾶς, ὁ ἑρμηνεύεται Πέτρος). Paulus gebraucht bis auf Gal 2,7–8 stets Κηφᾶς, die späteren Synoptiker dagegen ausschließlich Πέτρος; Johannes verbindet schließlich beide Gewohnheiten miteinander und verbürgt dadurch die Identität der gemeinten Person.38 Von hier lässt sich nun auch erklären, wie es zu der sonderbaren Form gekommen sein könnte. Einem Leser, der von der syrischen Thomastradition herkommt, fehlt in der Angabe Δίδυμος (ὁ καὶ) Θωμᾶ der eigentliche Name seines Gewährsapostels, nämlich Judas. Gleichzeitig ist ihm die Verbindung dieses Eigennamens mit dem Beinamen „Thomas“ zu dem Doppelnamen Ἰούδας (ὁ καὶ) Θωμᾶς derart vertraut, dass er Ἰούδα(ς) selbstverständlich vor Θωμᾶ(ς) einfügt. Dadurch entsteht die sonderbare Form „Didymus Judas Thomas“, die mit den gängigen Mustern der Namensgebung im Griechischen nicht mehr zu erklären ist. Dennoch würde verstehbar, wie es nach genau diesen Mustern zu jener merkwürdigen Namensform kommt, die das koptische Thomasevangelium bezeugt. Das ist der Vorteil gegenüber den Lösungen, welche „Didymus“ als das zuletzt hinzugekommene Element betrachten. Eine andere Frage ist, ob die so entstandene dreiteilige Namensform für den koptischen Übersetzer noch eine besondere Bedeutung hatte, oder anders gefragt, ob er das in Δίδυμος und Θωμᾶς doppelt vorhandene Zwillingsmotiv Römern geläufige Eigenname Egnatius.“), während „Judas/Thomas“ beide demselben aramäischsprachigen Milieu angehören. Vgl. Orig. comm. in Rom., praef. (übersetzt von Heither, Origenes): „Nach dieser Gewohnheit [sc. für eine Person mehrere Namen zu gebrauchen] scheint also auch Paulus einen Doppelnamen getragen zu haben. Solange er dem eigenen Volk diente, wurde er Saulus genannt, was ihm als Rufname von den Vätern her vertraut war; Paulus aber ist er genannt worden, als er für Griechen und Heiden Gebote und Satzungen schrieb“ (Secundum hanc ergo consuetudinem videtur nobis et Paulus duplici usus esse vocabulo, et donec quidem genti propriae ministrabat, Saulus esse vocatus, quod et magis appellationi patriae vernaculum videbatur, Paulus autem appellatus esse, cum Graecis et gentibus leges ac praecepta conscribit). 37 Vgl. BDR § 53,3e) und Anm. 10; Herzog, Namensübersetzungen, 51. 38 Das berühmteste Beispiel ist wohl Octavian, dem der Beiname „Augustus“ 27 v. Chr. vom römischen Senat verliehen wurde (vgl. Schlange-Schöningen, Augustus, 4). Im griechischen Sprachraum finden wir danach sowohl den transskribierten Namen Αὐγοῦστος (z. B. Lk 2,1) als auch dessen Übersetzung Σεβαστός (z. B. auf Münzen des Tetrachen Philipp bei Meshorer, Coinage, 244–245).

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

überhaupt als solches verstanden hat. Obwohl er die Bedeutung des griechischen Wortes δίδυμος gekannt haben muss, hat er es jedenfalls nicht mit dem ursprünglich koptischen Wort für „Zwilling“ ( ) übersetzt, sondern als Eigennamen oder als Lehnwort stehenlassen.39 Im Unterschied dazu spricht Jesus Thomas in LibThom 138,7–8 als „meinen Zwilling“ ( ) an und gibt dadurch zu verstehen, dass das Zwillingsmotiv für das koptische Thomasbuch durchaus von Belang ist. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob in Pap Ox 654,2–3 Ἰούδα ὁ καὶ Θωμᾶ oder Δίδυμος ὁ καὶ Θωμᾶ zu lesen ist, kann nach all dem Gesagten nicht getroffen werden. Letzteres wurde hier ins Auge gefasst, um die Sicherheit, mit der üblicherweise Ἰούδα ὁ καὶ Θωμᾶ gelesen wird,40 ein wenig zu erschüttern. Jede Lesart bleibt eine Konjektur, solange wir nicht über neue Textzeugen verfügen, die geeignet sind, das Problem zu lösen. Aber auch jetzt schon gibt es gute Gründe, die mögliche Lesart Δίδυμος ὁ καὶ Θωμᾶ zu favorisieren. Nach dem ältesten für uns erreichbaren Text verweist der Prolog mit der Nennung des Gewährsapostels das Thomasevangelium jedenfalls nicht eindeutig in die Thomastradition Ostsyriens. Es ist genauso möglich, dass eine Sammlung von Jesusworten, die nach der Autorfiktion Didymus Thomas aufgeschrieben hat, erst nachträglich mit dem syrischen Judas Thomas in Verbindung gebracht wurde und seither unter dem Namen „Didymus Judas Thomas“ umlief. Dann stellte das Thomasevangelium ein Bindeglied zwischen der johanneischen und der späteren syrischen Thomastradition dar.41 39 Das ist eben der Unterschied zu ActThom 1, wo das im Doppelnamen Ἰούδας Θωμᾶς enthaltene, aber für eine griechischsprachige Leserschaft unverständliche Zwillingsmotiv durch das angefügte ὁ καὶ Δίδυμος übersetzt wird. Dasselbe gilt auch für LibThom 138,2.8, wo der Name eingangs zwar unerklärt bleibt, der Apostel aber alsbald als „Zwilling“ ( ) Jesu angesprochen wird. Um den eigenen Charakter des Thomasevangelium richtig zu erfassen, hilft daher die Auskunft von Janssen (Evangelium, 247) nicht weiter: „Das Thomasevangelium wurde als ‚Evangelium des Zwillings Jesu‘ gelesen gelesen. Dies zeigt nicht nur seine Rezeption im Thomasbuch und möglicherweise in den Thomasakten, sondern auch seine hervorgehobene Stellung im Manichäismus, für den das Zwillingsmotiv tragend ist.“ Die Frage bleibt, ob das Thomasevangelium in sich durch seinen Prolog als Evangelium des Zwillings Jesu konzipiert ist. 40 So z. B. Janssen, Evangelium, 232: „Die Verbindung der jesuanischen Spruchsammlung mit Judas Thomas bezeugt bereits P.Oxy 654,2–3 (κ[αὶ ἔγραψεν Ἰούδα ὁ] καὶ Θωμᾶ), wobei jedoch im Gegensatz zur koptischen Version auf eine explizite Kennzeichnung des Judas Thomas als Zwilling ( ) verzichtet wird.“ Der Papyrus bezeugt nur den Namen ΘΩΜΑ! Die Vernachlässigung dieser schlichten Tatsache führt Janssen (ebd. 244) zu dem undifferenzierten Ergebnis: „Im Fall des Thomasevangeliums wird an das etymologische Potential des Namens Thomas angeknüpft. Damit liegt eine Spielart symbolischer Pseudonymität vor, nämlich der Gebrauch eines redenden Namens.“ Um eine solche These zu stützen, müsste im Blick auf den Apostelnamen der Unterschied zwischen den beiden Textzeugen im Incipit und die textliche Unsicherheit in Pap Ox 654,2–3 unbedingt thematisiert werden. 41 Vgl. Theobald, Joh, 97: „Die hervorstechende Rolle des Thomas im [Johannes-]Evangelium (vgl. 11,16; 14,5; 20,24.26–28; 21,2) gemahnt an die spätere syrische Thomastradition (OdSal; ActThom; vgl. Charlesworth, Disciple 360–389).“ Dies spricht unter anderem dafür,

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2.1.4. Thomas und Johannes Wir können sogar noch einen Schritt weitergehen. Da Pap Ox 654,2, egal ob man nun Δίδυμος oder Ἰούδα(ς) ergänzt, von der koptischen Version des Incipits jedenfalls abweicht, gibt es keinen zwingenden Grund, die verbleibende Lücke nach dem koptischen Zeugen zu füllen. Wenn in der Form des Apostelnamens schon nachweislich ein Unterschied zwischen den Textzeugen besteht, wäre es eine willkürliche Annahme, sie hätten im Wort davor genau übereingestimmt. Die konjekturale Unsicherheit beim Apostelnamen stellt damit auch das weithin gebildet ist, akzeptierte ἔγραψεν in Z.2, das nach dem koptischen erneut unter Vorbehalt. In diesem Zusammenhang ist an Hofius’ früheren Vorschlag zu erinnern. Zwar in der irrigen Annahme, die Namensform ΘΩΜΑ der Handschrift könne nur als Dativ aufgefasst werden, aber in der Sache doch sinnvoll rekonstruiert er: Ἰησοῦς ὁ ζῶν καὶ ὀφθεὶς Ἰούδᾳ τῷ καὶ Θωμᾷ.42 Ersetzt man gleichzeitig Ἰούδας durch Δίδυμος, so ergibt sich in Pap Ox 654,2–3 die Lesart: B Ἰησοῦς ὁ ζῶν καὶ ὀφθεὶς Διδύμῳ τῷ καὶ Θωμᾷ „Jesus, der lebt und sich Didymos, der auch Thomas heißt, gezeigt hat“.

So verstanden, würden zur Einleitung des Thomasevangeliums in aller Kürze die Thomas betreffenden Ereignisse der Osterwoche zusammengefasst, wie sie das Johannesevangelium (20,24–29) erzählt: Jesus lebt; die Jünger, die am Abend des Ostertages versammelt waren, haben ihn gesehen (V.25: ἑωράκαμεν τὸν κύριον) und auch Thomas verlangt danach, ihn zu sehen (V.25: ἐὰν μὴ ἴδω); auf dieses Ansinnen geht Jesus ein, indem er sich ihm und den Jüngern acht Tage später – noch einmal – zeigt (V.27: ἴδε). Damit wäre der österliche Rahmen abgesteckt, in dem die Offenbarung der im Thomasevangelium enthaltenen Worte Jesu stattgefunden hätte, und dieser Rahmen wäre ganz von der johanneischen Thomastradition geprägt. Wie der vierte Evangelist die Überlieferung einer Erscheinung des Auferstandenen im Zwölferkreis (vgl. 1 Kor 15,5) zum Anlass genommen hat, um an Thomas als einem der Zwölf ein Exempel zu statuieren,43 so hätte der Prolog des griechischen Thomasevangeliums dieses Exempel dass auch das Johannesevangelium in Syrien entstanden ist. Gleichzeitig wird deutlich, dass man das voll entwickelte Thomasbild der Thomasakten nicht einfach auf die Anfänge der syrischen Thomastradition, die im Johannes- und im Thomasevangelium greifbar sind, übertragen darf. 42 Hofius, Thomasevangelium, 24. Dass Attridge (Fragments, 113; im Unterschied zu Lührmann, Fragmente, 113) diesen Vorschlag nicht einmal mehr im Apparat anführt, ist bezeichnend für eine zweifelhafte Rekonstruktion des griechischen Zeugen, die sich auch dort noch möglichst eng an den koptischen anlehnt, wo dessen Form beim besten Willen im griechischen Text nicht herstellbar ist. 43 Vgl. Weidemann, Tod, 488: „Aus 1 Kor 15,5 läßt sich die Überlieferung einer Ostererscheinung Jesu ‚vor den Zwölf ‘ ableiten. Die betonte Zugehörigkeit des Thomas zu diesem Kreis im Kontext seines Osterkapitels zeigt, daß der Evangelist an diese Überlieferung anschließen wollte. Daß Thomas als Mitglied des Zwölferkreises einer (Gruppen-)Christophanie gewürdigt wurde, konnte der Evangelist als bekannt voraussetzen. Er benutzt nun diese Tradition der

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

benutzt, um die folgenden Worte Jesu in dieser aus dem Johannesevangelium bekannten Ostererscheinung zu verorten.44 Dabei hätte er freilich die zweimalige johanneische „Gruppenoffenbarung vor allen Jüngern“45 (Joh 20,19.26) zu einer Einzeloffenbarung gegenüber Thomas reduziert, welche die Verborgenheit der dem Gewährsapostel mitgeteilten Worte literarisch begründet. Ziehen wir diese Möglichkeit in Betracht, so ist es keineswegs ausgemacht, dass das Johannesevangelium seine Thomasfigur im Gegensatz zu derjenigen des Thomasevangeliums negativ zeichnete, wie immer wieder behauptet wird.46 Vielmehr scheint es so zu sein, dass das Thomasevangelium die johanneische Traditionslinie, in der Thomas bereits eine positive Rolle spielte, fortsetzt und weiterentwickelt.47 In Joh 20 ist Thomas die Identifikationsfigur derjenigen, die ihren Glauben nicht mehr auf die Ostererscheinungen des Auferstandenen gründen können, sondern auf das Zeugnis des Evangeliums angewiesen sind. Ihr nachvollziehbarer Wunsch, Jesus wie die ersten Osterzeugen zu sehen, wird

Christophanie vor den ‚Zwölf ‘, um an einem Beispiel – Thomas – seine Botschaft von ‚glauben‘ und ‚sehen‘ zu entfalten.“ 44 Meyer (Beginning, 164–165) schließt einen Bezug zu Ostern kategorisch aus und verweist auf Parallelen, in denen „der lebendige Jesus“ seines Erachtens als „spiritual, divine Christ, who is to be associated with life and truth and whose sayings thus take on the character of revealed wisdom“. Dabei übergeht er jedoch die Tatsache, dass die Begegnung des lebendigen Jesus mit Thomas ihre nächste Parallele in Joh 20, 26–29 hat. 45 Weidemann, Tod, 490. 46 Wie der Lieblingsjünger der Gewährsmann des (redaktionell bearbeiteten) vierten Evangeliums ist (vgl. Theobald, Jünger, 227–247), so sehen manche Exegeten in Thomas den Protagonisten einer darin abgelehnten theologischen Position. Vgl. DeConick, Voices, 107: „Clearly the Johannine textualization of the Thomasine position reflects knowledge of the doctrine laid out in the Thomasine Gospel: the Thomasine Christians were mystics seeking visions of God for the purpose of immortalization [vgl. dies., Seek, 41–181]. John’s portrayal of this, however, is done on a symbolic level where the actual features of the discourse are embedded in the Gospel narrative as words and actions exchanged between Jesus and Thomas.“ Nach Riley (Resurrection, 177) ging der Streit hauptsächlich um die Auferstehung: „So the figure of Thomas is likewise drawn to influence the Thomas community, especially away from its insistence, among other things, on the ‚spiritual‘, non-fleshly resurrection of Jesus.“ Vgl. auch Pagels, Geheimnis, 36–79. Der Entgegensetzung von Johannes- und Thomasevangelium wurde jedoch mit guten Gründen widersprochen; vgl. Dunderberg, Disciple, 200: „Concerning different versions of the theory that Thomas and John are gospels in conflict, difficulties accumulated in the interpretations of the Johannine portrayal of Thomas. Practically all proponents of this theory agreed that Thomas embodies a refuted ‚Thomasine‘ point of view in the Johannine narrative, but they could not agree on what the viewpoint was. Instead, they read different – and sometimes mutually exclusive – theological positions into the Johannine figure of Thomas. This suggests that the socio-historical conclusions based upon this literary portrait are quite problematic.“ Ähnlich Hurtado, Lord, 474–479. 47 Dunderberg (Disciple, 66–67) bemerkt richtig, dass „the early reception history of the story of the Doubting Thomas in the Acts of Thomas and in the Acts of John speaks against the interpretation that Thomas was portrayed as a fool in the Johannine story; or, if this was the author’s intention, he or she did not succeed very well in light of how this story was read and used by later Thomasine and Johannine Christians.“ Dasselbe gilt auch für das Thomasevangelium.

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

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von Thomas artikuliert (V. 25).48 Er wird für diesen Wunsch auch nicht getadelt, sondern im Gegenteil einer eigenen Christophanie gewürdigt,49 auf deren Höhepunkt in V. 28 er „das höchste johanneische Christus-Bekenntnis“50 ausspricht: „Mein Herr und mein Gott“ (ὁ κύριός μου καὶ ὁ θεός μου). Der Prolog des griechischen Thomasevangeliums in der von uns rekonstruierten Form B nimmt sich wie eine traditionsgeschichtliche Fortsetzung dieser Szene aus, indem Jesus das als bekannt vorausgesetzte Credo des Thomas mit einer exklusiven Wortoffenbarung beantwortet, die der Leser im folgenden Spruchcorpus vorfindet.51 2.1.5. Thomasevangelium und Thomasbuch Formgeschichtlich steht dem Prolog des Thomasevangeliums freilich derjenige des Thomasbuches am nächsten (LibThom 138,1–4):52

„Die verborgenen Worte, die, welche gesprochen hat der Erlöser zu Judas Thomas, 48

Vgl. Theobald, Osterglaube, 119–120: „Nicht, daß er Zweifel in bestimmter Hinsicht, nämlich an der Leiblichkeit des Auferweckten hätte (die Erzählung ist nicht antidoketistisch interessiert), es geht ihm viel grundsätzlicher um sein eigenes Recht, sich der von anderen behaupteten österlichen Wirklichkeit Jesu selbst auch vergewissern zu dürfen. Damit spricht er nur aus, was die Nachgeborenen durchweg zu denken geneigt sind, denen jene anscheinend überwältigenden Beweise für Jesu österliche Wirklichkeit eben nicht mehr gewährt werden; Thomas (der wie sie am Osterabend nicht dabei war) ist ihr Sprachrohr.“ Ähnlich Dietzfelbinger, Osterglaube, 42–51. 49 Vgl. Hurtado, Lord, 478: „Note that Thomas’s demand to see the nail marks and touch Jesus’ wounds is in fact answered positively by Jesus’ appearance and invitation to Thomas to do just what he demanded.“ 50 Weidemann, Tod, 493; vgl. ebd.: „Es stellt sich die Frage, wie sich der Makarismus v. 29de [μακάριοι οἱ μὴ ἰδόντες καὶ πιστεύσαντες] zur Feststellung des Glaubens des Thomas v.29bc [ὅτι ἑώρακάς με πεπίστευκας] verhält, genauer: Ist der Makarismus exklusiv oder inklusiv zu verstehen? Werden nur diejenigen, die nicht sehen und doch glauben, als ‚Selige‘ angeredet, oder werden sie auch, also gemeinsam mit denen, die einer österlichen Christophanie gewürdigt wurden, so angesprochen? Wenn man v. 29bc als Tadel interpretiert, so bleibt für v. 29de nur die exklusive Interpretation. Doch hierfür fehlen wirklich überzeugende Gründe. Im Gegenteil, indem der Evangelist gerade Thomas das höchste johanneische Christus-Bekenntnis ausprechen läßt, macht er sein durch v. 28 inhaltlich gefülltes πιστεύειν zum Maßstab des πιστεύειν auch derer, die nicht ‚gesehen‘ haben.“ 51 Dieselbe Dialogstruktur hat auch EvThom 13,5–6, von dem wir freilich nur den koptischen Zeugen besitzen: Nachdem Thomas sich zur Unaussprechlichkeit des Wesens Jesu bekannt hat, tadelt ihn dieser nur scheinbar – denn dass selbst Jesus nicht als sein Lehrer gelten kann, ist für Thomas das höchste Lob – und teilt ihm drei geheime Worte mit. 52 Vgl. Janssen, Evangelium, 242; Robinson, LOGOI, 78; Schenke, Thomas-Buch, 61–62; Uro, Thomas, 19.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

die, welche aufgeschrieben habe ich selbst, Mathaias; ich ging vorüber, als ich sie hörte, wie sie miteinander sprachen.“

Die ersten beiden Zeilen unserer Kolometrie entsprechen der ersten Prologhälfte des Thomasevangeliums ( – im Griechischen analog) hinsichtlich der verwendeten Strukturelemente genau: Was folgt, sind die geheimen Worte, die Jesus Thomas mitgeteilt hat. In der zweiten Hälfte sind die beiden Prologe jedoch verschieden: In dem lückenlos bezeugten koptischen Incipit des Thomasevangeliums (das griechische steht hier zur Debatte) ist es Thomas selbst, der die ihm offenbarten Worte Jesu aufgeschrieben hat, im Thomasbuch hingegen eine dritte Person mit Namen Mathaias, die eben vorüberkam und das Gespräch zwischen Jesus und Thomas mithörte. Innerhalb des Thomasbuches widerstreitet der pseudepigraphischen Fiktion des Prologs diejenige des Schlusstitels (LibThom 145,17–19):

Das Buch des Thomas. Der Athlet ist es, der schreibt an die Vollkommenen.53

Der Subscriptio zufolge ist nicht Mathaias, sondern Thomas der Verfasser des Buches. Zu dieser Unstimmigkeit gesellt sich eine weitere, die darin besteht, dass das Thomasbuch formal erkennbar in zwei Teile zerfällt. Teil A (LibThom 138,4–142,21), der gut die Hälfte des Textbestandes ausmacht, hat die Form eines Dialogs zwischen Jesus und Thomas, den der Prolog erwarten lässt. Teil B (LibThom 142,21–145,16) ist hingegen ein Monolog Jesu in der Form einer Spruchsammlung, in der Thomas nicht mehr vorkommt. Beide Unstimmigkeiten erklärt J.D. Turner damit, dass das Thomasbuch aus zwei ursprünglich selbständigen Schriften nachträglich redaktionell zusammengefügt worden sei.54 Danach hat der Prolog, abzüglich der oben kursiv gedruckten redaktionellen Bestandteile, als Einleitung zur in Teil B erhaltenen Spruchsammlung und die Subscriptio als Titel des in Teil A überlieferten Dialogs zu gelten. Eine andere Lösung schlägt H.-M. Schenke vor.55 Er weist darauf hin, dass der Schlusstitel „aus zwei syntaktisch völlig selbständigen Aussagen“56 besteht. Der oben unterstrichene Teil, der Thomas als Verfasser des Buches angibt, sei redaktionell hinzugefügt worden. Dagegen gehöre der Hinweis auf den Athleten, der an die Vollkom53 Vgl. Schenke, Enthaltsamkeit, 277 und Thomas-Buch, 194: „Der Athlet ist es, der an die Vollkommenen schreibt“. 54 Vgl. Turner, Book, 106–110.215–225 (v. a. 108); ders., Link (v. a. 112); ders., Tractate 7, 174–176. 55 Vgl. Schenke, Book, 221–227; ders., Enthaltsamkeit, 263–264.268–281; ders., NHD 1, 281–282; ders., Thomas-Buch, 193–197. 56 Schenke, NHD 1, 282.

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

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menen schreibt, zu einer dem gesamten Thomasbuch zugrundeliegenden Vorlage,57 welche sich als Brief des Patriarchen Jakob, des spirituellen Athleten und Asketen schlechthin,58 gebe. Erst nachträglich sei dieser anonyme Athlet durch den Redaktor des Thomasbuches mit Thomas identifiziert worden. Beide Hypothesen haben ihre Schwächen, die sich aber überwinden lassen, wenn man sie miteinander kombiniert. Turners Übersetzung „The Book of Thomas The Contender Writing To the Perfect“59 ist unter Umständen zwar richtig,60 täuscht aber leicht darüber hinweg, dass es sich bei LibThom 145,18–19 um eine adjektivische Cleft Sentence mit circumstantialer Glose handelt,61 die im Allgemeinen selten, für Briefpräskripte mit dem Verbum aber typisch ist und das Verständnis des im Schlusstitel oben eingerückten Textteils als eines eigenständigen Satzes erzwingt. Da Turner über diese grammatikalische Besonderheit des Schlusstitels hinweggeht, entgeht ihm auch dessen literarische Zweiteiligkeit. Umgekehrt bleibt Schenke eine überzeugende Erklärung dafür schuldig, welche Rolle der im Prolog erwähnte Mathaias für die Überlieferung

57 Vgl. die Rekonstruktion bei Schenke, Enthaltsamkeit, 284–291; ders., Thomas-Buch, 198–202. 58 Vgl. Larsson, TRE 16, 466; Leisegang in: Cohn u. a., Philo 3, 216, Anm. 3; Schenke, Enthaltsamkeit, 279–280; ders., NHD 1, 282; ders., Thomas-Buch, 196; Windisch, ThWNT 1, 493. 59 Turner, Tractate 7, 205. 60 In der oben zitierten Form lässt die Übersetzung ein Verständnis der Subscriptio in Schenkes Sinne zu und kann damit richtig verstanden werden. Falsch ist dagegen Turners (Book, 37) frühere Version, die durch ein Komma nach „the Contender (ἀθλητής)“ zu verstehen gibt, dass er dieses Satzglied als Apposition zu „Thomas“ zieht und das folgende mit der Wiedergabe „writing“ als ganz normalen attributiven Umstandssatz auffasst. Ansonsten erläutert der attributive Umstandssatz jedoch stets ein indeterminiertes Nomen; sowohl der Eigenname als auch das von Turner als dessen Apposition aufgefasste Nomen sind jedoch determiniert. Ungerechtfertigt ist freilich das Urteil von Schenke, Enthaltsamkeit, 276: „Turners Übersetzung verdient diesen Namen nicht, weil sie nur eine ungeordnete Folge von übertragenen Einzelwörtern darstellt.“ Gleich nach welchem Textverständnis, ist Turners Übersetzung jedenfalls schlicht korrektes Englisch, in dem das Partizip „writing“ (entsprechend einem deutschen Relativsatz) eine koptische Cleft Sentence wiedergeben kann. 61 Zum grammatikalischen Phänomen vgl. Plisch, Einführung, 90; Shisha-Halevy, Circumstantial Present, 137. Schenke (Probleme, 12) kennzeichnet LibThom 145,18–19 zwar als „ganz normale Briefpräskriptformel“, äußert sich aber nicht zu ihrer grammtikalischen Form. Falsch bestimmt sie Kirchner, Buch, 804, Anm. 67: „efshaj in Z.18 ist II. Präsens und wird gewöhnlich am Briefanfang gebraucht (vgl. NT so die Briefe einschließlich Apk 1,4; außer Röm, 2 Kor, Hebr, Tit, 1 Joh; außerdem Acta Pauli 46,10; 48,11).“ Dagegen richtig Schenke (Enthaltsamkeit, 276–277; Thomas-Buch, 194) unter Verweis auf gleichartige Belege in koptischen Dialekten, in denen sich Präsens II und Circumstantialis unterscheiden lassen. Im Gegensatz dazu bestimmt Layton (Grammar) die Briefpräskriptformel nicht als Cleft Sentence (§ 461–475), sondern als attributiven Umstandssatz (§ 432). Wir können die Frage für unsere Zwecke auf sich beruhen lassen. Klar ist in jedem Fall, dass LibThom 145,17 und 18–19 syntaktisch voneinander unabhängig sind. Welchen Sinn die modale Übersetzung von Lüdemann/Janssen (Bibel, 229: „Der Athlet, indem er an die Vollkommenen schreibt.“) haben soll, bleibt indes unerfindlich.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

des Thomasbuches spielt.62 Nach seinem Verständnis des Buchrahmens hat das Thomasbuch nicht nur zwei, sondern drei Gewährsleute, von denen er jedoch nur zweien, nämlich dem Athleten (Jakob) und Thomas, eine Bedeutung für die literarische Gestalt des Werkes zumisst. Nimmt man beide Lösungsansätze zusammen, ergibt sich ein stimmigeres Gesamtbild. Turners literarkritische Aufteilung des Buches in die beiden sichtlich eigenständigen Teile A und B hat gegenüber Schenkes Hypothese den Vorteil, dass sie nicht eine kaum mehr nachweisbare Vorlage als Grundschrift des ganzen Buches postulieren muss. Gewärtigt man nun mit Schenke die Zweiteiligkeit der Subscriptio, so liegt die Annahme nahe, dass beide ursprünglich selbständigen Buchteile jeweils durch einen Prolog und einen Schlusstitel gerahmt waren. Der Rahmen von Teil A ist in den oben unterstrichenen, der von Teil B in den eingerückten Textteilen noch zu erkennen, wenn auch nicht unbedingt ganz erhalten. Beide Rahmungen gehen im Prolog davon aus, dass es sich im Folgenden um „verborgene Worte“ handelt. Zu Teil A gehört der appositionelle Relativsatz, der Judas Thomas als den von Jesus Angesprochenen erwähnt; entsprechend wird im Schlusstitel zu Teil A diese Schrift dem Thomas zugeschrieben. Der zu Teil B gehörige appositionelle Relativsatz nennt Mathaias als Schreiber dieser Worte; dazu passt in der Subscriptio zu Teil B der abermalige Hinweis auf die Schreibertätigkeit, diesmal des Athleten, der dadurch implizit mit Mathaias identifiziert wird.63 Ist der Rahmen des Thomasbuches solchermaßen auf seine eigene Überlieferungs- und Textgeschichte hin durchsichtig geworden, lässt er sich besser in die umfassendere Thomastradition einordnen. Deren Entwicklung kann man aufgrund der verschiedenen Buchanfänge und -schlüsse kurz wie folgt skizzieren.64 62 Vgl. dagegen Turner, Book, 110–112; ders., Link, 113: „That the composer of the proem took Mathaias’ name from the original title to section B receives some confirmation when we recall that various traditions of some antiquity such as the ‚Traditions of Matthias‘ (Clem. Alex. Strom. II 9,45; III 4,26; VI 6,35; VII 13,82; Hippol. Elenchos VII 20,1 and 5), the Papias tradition (Eus. Hist. Eccl. III 39,16), and the manuscript tradition of the Gospel of Matthew connect the name of a certain Matthew (variously spelled Matthaios, Matthias) with the collection and/ or transmission of sayings (logia, logoi apocryphoi) of Jesus.“ Diese traditionsgeschichtlichen Verbindungslinien zieht zwar auch Schenke (Thomas-Buch, 62–63), erklärt sie dann aber mit Köster (Einführung, 608; GNOMAI, 127) so, dass Matthäus als Gewährsmann für die westsyrische Logienquelle zu gelten habe wie Thomas für das ostsyrische Thomasevangelium. Die Frage bleibt: Was hat die Logienquelle mit dem Thomasbuch zu tun? Viel einfacher kann man doch mit Turner eine Spur der vielfach bezeugten Matthäus-Spruchsammlung im Teil B des Thomasbuches vermuten. 63 Auch Schenke (Probleme, 12) und Kirchner (Buch, 795) identifizieren den Athleten zunächst mit Mathaias, wovon sich Schenke später distanziert (s. o.). Literarkritisch liegt diese Identifikation indes nach wie vor am nächsten, und da sie ideengeschichtlich genauso gut möglich ist wie die nachträgliche Identifizierung des ursprünglich von Jakob verkörperten Athleten mit Thomas, spricht nichts gegen sie. 64 Vorausgesetzt wird dabei, dass zuerst das Thomasevangelium, später das Thomasbuch und zuletzt die Thomasakten entstanden sind. Trotz Unterschieden in der genauen Datierung der einzelnen Schriften besteht hinsichtlich ihrer relativen Chronologie ein allgemeiner Konsens (vgl. nur Köster, Einführung, 649).

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

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Am Anfang steht die Ostererscheinung des Auferstandenen vor Thomas, wie sie das Johannesevangelium erzählt. Damit ist die österliche Situation vorgegeben, in welcher das Thomasevangelium die Offenbarung der darin enthaltenen verborgenen Worte Jesu an Thomas verortet. Nach der Rekonstruktion B von Pap Ox 654,2–3 ist Thomas lediglich der passive Empfänger der ihm vom lebendigen Jesus mitgeteilten verborgenen Worte. In Teil A des Thomasbuches ist diese österliche Szene weiter ausgebaut, und Thomas tritt als Dialogpartner Jesu darin auf.65 Der dem griechischen Incipit des Thomasevangeliums in seiner mutmaßlichen Form B nachgebildete Prolog spiegelt diese Dialogsituation indes nicht wider, sondern behält die traditionelle Prologformel aus dem Thomasevangelium der Struktur nach bei,66 während die Namensform aus dem Dialog selbst stammt (LibThom 142,7). Bei der Verknüpfung von Teil A und B des Thomasbuches werden mit Dialog und Spruchsammlung nicht nur zwei verschiedene Gattungen zusammengebunden, sondern auch der im Rahmen der Mathaias-Sammlung wichtige Aspekt der Verschriftlichung in die Thomastradition mit eingebracht. Der so entstandene Prolog des Thomasbuches hat dann wiederum auf denjenigen des Thomasevangeliums zurückgewirkt und ihn in seiner Gestalt beeinflusst. Dadurch ist die Form entstanden, die der koptische Prolog des Thomasevangeliums bezeugt. Die im Thomasevangelium überflüssige Figur des Mathaias ist verschwunden. An seine Stelle ist Thomas selbst getreten, der jetzt erstmals aktiv als Schreiber und damit als Verfasser des Thomasevangeliums auftritt. Aus der mutmaßlichen älteren Namensform „Didymos, der auch Thomas heißt“ ist unter dem Einfluss von „Judas Thomas“ aus dem Thomasbuch der dreiteilige Name „Didymos Judas Thomas“ geworden. Da auch das koptische Thomasbuch eine Übersetzung aus dem Griechischen ist, kann seine Rückwirkung auf das Thomasevangelium sowohl in der griechischen als auch in der koptischen Textüberlieferung der beiden Schriften erfolgt sein. Aufs Ganze gesehen, lassen sich damit unsere allgemeinen Überlegungen zur Namensgebung, die wir weiter oben angestellt haben, an den in Frage kommenden Texten der Thomastradition sehr gut nachvollziehen und werden dadurch eindrucksvoll bestätigt.67 65 Dass Thomas über weite Strecken nur als Stichwortgeber fungiert, kann kein Argument gegen die Ursprünglichkeit der Dialogform sein (so aber Kirchner, Buch, 793). Sonst müsste man z. B. hinter fast allen Dialogen Platons ursprüngliche Spruchsammlungen vermuten. 66 Diese Inkohärenz zwischen dem Prolog zu Teil A des Thomasbuches, der eine Spruchsammlung erwarten lässt, und der tatsächlichen Dialogform macht einen literarischen Einfluss des griechischen Prologs zum Thomasevangelium in der Form B doch wahrscheinlich, auch wenn er sich natürlich nicht zweifelsfrei beweisen lässt (gegen Schenke, Thomas-Buch, 61–62). 67 Als Empfänger geheimer Offenbarungen begegnet Thomas später auch in den Thomasakten. So wird er in ActThom 39 angesprochen als „Zwillingsbruder Christi, Apostel des Höchsten und Miteingeweihter in das verborgene Wort Christi, Empfänger seiner verborgenen Worte“ (ὁ δίδυμος τοῦ Χριστοῦ, ὁ ἀπόστολος τοῦ ὑψίστου καὶ συμμύστης τοῦ λόγου τοῦ Χριστοῦ τοῦ ἀποκρύφου, ὁ δεχόμενος αὐτοῦ τὰ ἀπόκρυφα λόγια).

64

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

2.1.6. Wer spricht wann zu wem? Wenn die bisherige Rekonstruktion der Text- und Traditionsgeschichte stimmt, ist der Auftakt zum griechischen Thomasevangelium (Form B) aufgrund seiner Nähe zu Joh 20,24–29 von der Ostererscheinung Jesu vor Thomas her zu verstehen. Dem widerspricht der Charakter der nachfolgenden Sprüche durchaus nicht, obwohl diese sich keineswegs als gesonderte Unterweisungen des Auferstandenen geben, wie wir sie aus den sogenannten Dialogevangelien kennen,68 sondern zum größten Teil als Worte des irdischen Jesus begreifbar sind.69 Für den jeweiligen Leser des Thomasevangeliums ist nicht entscheidend, wann Jesus diese Worte gesprochen hat, sondern dass sie ihn in seiner jeweiligen Gegenwart unmittelbar angehen, weil es die Worte des lebendigen Jesus sind und nicht (nur) Aussprüche, die der irdische Jesus irgendwann einmal getan hat und deren Relevanz für das Hier und Heute im Einzelnen noch zu klären bliebe. Dementsprechend ist die stereotype Einleitung zu den einzelnen Logien, sofern sie in den griechischen Zeugen erhalten geblieben ist, stets präsentisch formuliert: λέγει Ἰησοῦς („Jesus spricht“).70 Davon unterscheidet sich allerdings das satzeinleitende koptische („Jesus sprach“), das die Worte Jesu in der Vergangenheit präsentiert. Dieser Unterschied ist ernstzunehmen, weil in unserem Fall weder λέγει Ἰησοῦς als Praesens historicum aufgefasst und damit praeterital zeitlos-allgemein verstanden und dann präsentisch übersetzt71 noch wiedergegeben72 werden kann. Vielmehr liefert die unterschiedliche Form, in der 68

Vgl. Klauck, Evangelien, 189. Das sieht man schon an den zahlreichen Parallelen bei den Synoptikern, die die einzelnen Sprüche jeweils in einen bestimmten historischen Kontext einordnen. 70 So sicher in EvThom 3; 5; 27; 28; 31; 32; 33. 71 Lührmann (Fragmente, 112–129) übersetzt λέγει Ἰησοῦς durchgehend mit „Jesus sagt“, Attridge (Fragments, 126–128) hingegen mit „Jesus said“. Die ganze Form des Thomasevangeliums als einer Spruchsammlung spricht gegen die praeteritale Übersetzung des Indikativ Präsens. Das Praesens historicum hat seinen Platz in der Erzählung, wohingegen λέγει Ἰησοῦς im griechischen Thomasevangelium als stereotype Einleitung zeitloser Feststellungen dient (vgl. BDR § 321; HvS § 197; Schwyzer, Grammatik 2, 270–273; dagegen Bauer, Joch, 104). Anders liegt der Fall bei den Logien, die der Form nach kleine Dialoge sind und wegen der Gesprächspartner Jesu an eine historische Situation denken lassen, so im griechischen EvThom 6 und 37 (vgl. Nagel, Einleitung, 77–78). Hier mag man eine Auffassung der präsentischen Redeeinleitungen als Praesens historicum erwägen. Allerdings steht dieses gewöhnlich mit Verben im Aorist (selten Imperfekt) zusammen, und „selten folgen mehrere historische Präsentien aufeinander“ (Schwyzer, Grammatik 2, 271), so dass das Praesens historicum als solches leicht zu erkennen ist (vgl. Nagel, Einleitung, 76–77 mit dem Beispiel Joh 4,6–26). Die entsprechenden Vergangenheitsformen fehlen jedoch in den Redeeinleitungen des griechischen Thomasevangeliums, soweit uns dieses erhalten ist. 72 Die deutsche Übersetzung bei Bethge (Evangelium), die später auch bei Schröter/ Bethge (Thomas) wieder abgedruckt wurde, gibt erstmals präsentisch mit „Jesus spricht“ wieder. Dem hat Nagel (Einleitung) aus gutem Grunde widersprochen; vgl. ders., Neuübersetzung, 218–219: „Tatsächlich gibt es einige Belege, in denen griechisch λέγει in zeitlosallgemeiner Bedeutung ‚es heißt‘ mit wiedergegeben wird, aber nur parenthetisch 69

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

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die Sprüche Jesu ab EvThom 2 größtenteils eingeleitet werden, ein zusätzliches Indiz dafür, dass auch Prolog und Spruch 1 in Pap Ox 654,1–5 anders ausgesehen haben bzw. anders aufzufassen sind als in der koptischen Version. Zur zeitlos-allgemeinen Sprucheinleitung λέγει Ἰησοῦς passt die Situation des Incipits in der oben rekonstruierten Form B hervorragend. Zwar werden die folgenden Sprüche als der zeitlich zurückliegenden österlichen Begegnung zwischen Jesus und Thomas entsprungen vorgestellt; da sie aber Aussprüche des nunmehr für immer Lebendigen sind, richtet er sie zu jeder Zeit direkt an seine Jünger, das heißt an die Leser des Thomasevangeliums. Thomas tritt im so verstandenen griechischen Incipit weder grammatikalisch noch sachlich als handelndes Subjekt auf. Er ist nicht mehr und nicht weniger als der exemplarische Empfänger der Sprüche Jesu, der ihre künftigen Rezipienten im Text vertritt. Subjekt des Prädikats ἐλάλησεν und Bezugswort der beiden attributiven Partizipien ζῶν und ὀφθείς ist durchgehend Jesus, und da kein Wechsel des Subjekts angezeigt wird, ist bei einem unkomplizierten Textverständnis davon auszugehen, dass Jesus auch das Subjekt des folgenden Prädikats εἶπεν ist. So verstanden, haben die griechischen Sprüche nach ihrer eigenen Auskunft keinen anderen Autor als Jesus selbst. Ganz anders stellt sich die Situation im koptischen Prolog und Spruch 1 des Thomasevangeliums dar. Hier fungiert Thomas als Mitautor des Thomasevangeliums, weil er die darin enthaltenen Sprüche Jesu nicht nur empfangen, sondern für künftige Jesusjünger auch aufgeschrieben hat. Er steht als Offenbarungsempfänger nicht nur für die anderen Jünger, sondern ist grammatikalisch wie sachlich nach Jesus das zweite Subjekt im Überlieferungsprozess. Er ist dafür verantwortlich, dass die Worte Jesu die anderen Jünger erreichen und von ihnen auch richtig verstanden werden. Deshalb hat er sie aufgeschrieben ) und die Hermeneutik der Sprüche in EvThom 1 gleich mit( geliefert; denn im Unterschied zur griechischen Version hat das koptische bei einem unkomplizierten Textverständnis den unmittelbar davor als Subjekt genannten Thomas ebenfalls zum Subjekt. So wird Thomas vom reinen Offenbarungsempfänger zum Vermittler des Offenbarten, der durch seine Schrift die zeitliche Distanz zu späteren Empfängern überbrückt. Er erinnert sich daran, was Jesus ihm gesagt hat, und hält es schriftlich für andere fest. Diesen

in Mittel- oder Schlußstellung. Hingegen ist satzeinleitendes, die direkte Rede eröffnendes , insbesondere zur Einleitung von Gnomen und Sentenzen, in präsentischer Bedeutung nicht bezeugt, so daß es bei der Vergangenheitsform ‚Jesus sprach‘ bleiben sollte.“ Dagegen geht das inhaltliche Argument von Richter/Wurst (Edition, 139), müsse deshalb mit Vergangenheit übersetzt werden, weil der im Perfekt formulierte Relativsatz des Incipits die ganze Rede Jesu in der Vergangenheit verorte, an der Sache vorbei. Der Blick auf die griechischen Zeugen lehrt nämlich, dass sich der Aorist [ἐλά]λησεν im Incipit und die folgende Präsensform λέγει Ἰησοῦς durchaus miteinander vertragen.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Überlieferungszusammenhang bringt die sprucheinleitende Vergangenheitsform passend zum Ausdruck.73 2.1.7. Das Zwillingsmotiv Schließlich ist noch zu fragen, ob mit dem Apostelnamen des Prologs auch schon das Zwillingsmotiv angeschlagen ist. Mit anderen Worten: Soll das Thomasevangelium nach dem Willen derer, die es unter die Autorität des Didymus (Judas) Thomas stellten, als Evangelium des Zwillingsbruders Jesu gelesen werden? Nach dem bisher Gesagten ist diese Frage mit einem klaren Nein zu beantworten. Der Gedanke, dass Jesus und Thomas Zwillingsbrüder sind, ist erstmals im Thomasbuch eindeutig greifbar, ohne dass er freilich mit dem eingangs genannten Namen „Judas Thomas“ ausdrücklich in Verbindung gebracht würde. („du bist Zwar spricht Jesus Thomas an (LibThom 138,7–8): mein Zwillingsbruder“), was in der ursprünglichen griechischen Fassung σὺ εἶ ὁ δίδυμός μου gelautet haben dürfte. Aber weder für die griechisch noch für die koptisch sprechenden Rezipienten des Thomasbuches war der aramäischstämmige Name „Thomas“ noch auf die gleiche Bedeutung „Zwilling“ hin transparent. Im griechischen Sprachraum konnten sie sich, vorausgesetzt sie kannten die johanneische Wendung Θωμᾶς ὁ λεγόμενος Δίδυμος, die beiden Angaben immerhin noch zusammenreimen und dadurch den Beinamen „Thomas“ in seiner Bedeutung nachträglich verstehen. Im Thomasevangelium hingegen fehlt jeder Hinweis darauf, dass das mit dem Namen des Thomas vorgegebene Zwillingsmotiv in irgendeiner Weise theologisch fruchtbar gemacht würde. Wenn unsere bisherige Darstellung der Textgeschichte stimmt, war die Verwendung von „Didymus“ im Prolog, ebenso wie im Johannesevangelium, ohne jeden theologischen Hintersinn, sondern übersetzte einfach den zum Eigennamen gewordenen Beinamen „Thomas“ für eine griechische Leserschaft und benutzte dazu einen geläufigen griechischen Personennamen. Freilich könnte dieser Name für die Leser im Nachhinein eine Bedeutung gewinnen, wenn das Thomasevangelium Logien enthielte, die darauf hinwiesen. Die Ausbeute ist diesbezüglich äußerst mager. Meist wird auf EvThom 108 verwiesen: (1) (2) (3)

. . .

73 Zwar bemerkt Plisch (EvThom, 26) zu Recht, dass das Thomasevangelium „Worte Jesu auflistet, deren zeitlos gültige und für ihn aktuelle Bedeutung der Leser entdecken soll“. Aber nach dem koptischen Prolog werden ihm diese Worte nur dadurch zuteil, dass Thomas aufgeschrieben hat, was Jesus gesagt hat. Beides geschah in der Vergangenheit und ermöglicht die gegenwärtige Rezeption der Worte Jesu durch den Leser. Hier liegt genau der Unterschied zum griechischen Incipit in der Form B, das den vergangenen Überlieferungsprozess verschweigt.

2.1. Prolog und EvThom 1: Der Gewährsapostel Thomas

67

(1) Jesus sagte: Wer aus meinem Munde trinken wird, wird werden wie ich. (2) Ich selbst werde zu ihm werden, (3) und die verborgenen Dinge werden sich ihm offenbaren.

J.H. Charlesworth zieht aus diesem Logion kurzerhand den Schluss: „This seems to indicate that a disciple will be Jesus’ spiritual twin.“74 Dabei ist das Zwillingsmotiv in dem Logion weder explizit enthalten noch implizit notwendig, um den Sinn der Aussage zu erhellen. Die Identifikation Jesu mit seinen Jüngern, ihre (angestrebte) Gleichförmigkeit mit ihm (wie immer man entsprechende Aussagen im jeweiligen Kontext zu deuten hat), ist ein weit verbreitetes Motiv in der urchristlichen Literatur, ohne dass damit das Zwillingsmotiv notwendig verbunden wäre.75 An der Fehlanzeige in EvThom 108 ändert auch die enge motivliche Verknüpfung mit EvThom 13,5–6 nichts, wo Jesus die auf die Jünger allgemein bezogene Aussage jenes Logions an Thomas exemplifiziert und ihn dadurch zum Prototyp einer gelungenen Jüngerexistenz macht: (5)

. .

(6)

.

(5) Jesus sagte: Ich bin nicht dein Lehrer. Denn du hast getrunken, hast dich betrunken aus der sprudelnden Quelle, der, die ich ausgemessen habe. (6) Und er nahm ihn, er zog sich zurück, er sagte ihm drei Worte.

Was den Jüngern in EvThom 108 für die Zukunft verheißen wird,76 das ist bei Thomas bereits Wirklichkeit geworden: Er hat aus der Quelle Jesu getrunken und ist dadurch wie er geworden. Dass er dadurch zum Zwilling Jesu geworden wäre, wird freilich nicht gesagt und auch durch nichts angedeutet. Dasselbe gilt 74

Charlesworth, Disciple, 374. Vgl. z. B. Röm 8,28–30; Gal 2,20; Phil 3,10.21; 1 Joh 3,1–2. Popkes (Menschenbild, 172– 178) grenzt die entsprechenden paulinischen und johanneischen Aussagen allzu scharf von EvThom 61 und 108 ab. Dass es EvThom 108 um „eine ontologische Einswerdung“ (ebd. 173) zu tun sei, bleibt ebenso eine unbewiesene Behauptung wie die daraus gezogene Konsequenz (ebd. 73): „Wenn Jesus und seine Jünger eins geworden sind, so verlieren sie ihre Individualität.“ Bezeichnend ist, dass Popkes in dieser Diskussion Gal 2,20 nicht einmal erwähnt, wo Paulus von sich sagt: „Es lebe aber nicht mehr ich, sondern es lebt in mir Christus“ (ζῶ δὲ οὐκέτι ἐγώ, ζῇ δὲ ἐν ἐμοὶ Χριστός). Sowenig Paulus hier von seiner ontologischen Einheit mit Christus spricht, sowenig ist das in EvThom 108 eindeutig der Fall. In beiden Fällen scheint es sich eher um eine mystische Einung zu handeln, welche die Individualität gerade nicht aufhebt (vgl. Figura, Unio, 505; Kammermeier, PLSp 87). Des Weiteren sieht Popkes in EvThom 61 nicht nur „die Vorstellung einer ontologischen Einheit zwischen Jesus und Gott impliziert“ (ebd. 174), sondern auch – bei allen eingeräumten Unterschieden – „eine markante Analogie“ (ebd. 174) zur „vollkommenen Handlungseinheit zwischen Vater und Sohn“ (Kammler, Christologie, 37) im Johannesevangelium. Nun mag man diese Handlungseinheit verschiedentlich deuten, in die Nähe einer ontologischen Einheit sollte man sie aber keinesfalls rücken (vgl. Dietzfelbinger, Abschied, 42.330–331; Scholtissek, In ihm, 256; Weidemann, Tod, 161). 76 Auch hier gibt es also einen futurischen Aspekt (ausgedrückt mit dem koptischen Instans/ Futur I), den Popkes (Menschenbild, 177) im Thomasevangelium gegenüber Röm 8,28–30 und 1 Joh 3,1–2 vermisst. 75

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

für EvThom 61, das M. Janßen ebenfalls zum Erweis des Zwillingsmotivs im Thomasevangelium in Anspruch nimmt: „Die Erkenntnis des Lichtmenschen eint mit Jesus. Dafür steht Salome als exemplarische Jüngerin.“77 Zweifelsohne geht es in allen diesen Logien für die Jünger darum, wie Jesus zu werden. „Dass dieses Programm auf die Formel ‚Zwilling Jesu‘ gebracht […] werden kann“78, liegt hingegen keineswegs „auf der Hand“, wie Janßen glauben machen will. Der Befund ist immer derselbe: Das Zwillingsmotiv ist in den angeführten Logien weder vorhanden noch zum Verstehen notwendig und sollte daher aus der Interpretation des Thomasevangeliums herausgehalten werden.79 2.1.8. Zusammenfassung a) In Pap Ox 654,2–3 wird der zum Teil fehlende Apostelname unter Verweis auf die syrische Judas-Thomas-Tradition gemeinhin als [Ἰούδα ὁ] καὶ Θωμᾶ rekonstruiert. Der Name „Judas Thomas“ ist im zeitlich späteren Thomasbuch (Lib Thom 138,2) erstmals belegt, vorausgesetzt dass er dort auch im ursprünglichen griechischen Text stand. Das koptische Incipit des Thomasevangeliums lässt mit die Wahl, in seiner dreiteiligen Namensform der Lücke des griechischen Zeugen auch eine Form von Δίδυμος zu ergänzen; nur die dreiteilige Namensform ist aufgrund des fehlendes Platzes in der Lücke ausgeschlossen. Die Namensform „Didymos, der auch Thomas heißt“ schlösse unmittelbar an die gängige Bezeichnung des Apostels als Θωμᾶς ὁ λεγόμενος Δίδυμος im Johannesevangelium (11,16; 20,24; 21,2) an und könnte als Bindeglied zwischen der johanneischen und der syrischen Thomastradition gelten. b) Für die Konjektur „Didymos“ sprechen zunächst einige Überlegungen bezüglich der antiken Namensgebungspraxis sowie der ursprünglichen Funktion 77

Janssen, Evangelium, 236. Janssen, Evangelium, 237; ebenso Charlesworth, Disciple, 176: „In the Gospel of Thomas the apostle Thomas is portrayed as Jesus’ twin (Log. 1).“ 79 Vgl. Dunderberg, Disciple, 161–162. „In fact, the close relationship between sayings 13 and 108 in the Gospel of Thomas could have contributed to the emergence of the tradition in which Thomas came to be portrayed as the twin brother of Jesus. This idea is not spelled out in the Gospel of Thomas, but it is attested in the Book of Thomas (138.10) and in the Acts of Thomas.“ Bauckham, Jude, 33 „The explicit identification of Judas Thomas as Jesus’ twin brother is confined to the Acts of Thomas and the Book of Thomas, though it may well be presupposed in the Gospel of Thomas.“ Beide lassen freilich offen, ob das Zwillingsmotiv auch im Thomasevangelium unausgesprochen schon im Hintergrund steht. Hier hat die Spekulation ein weites Feld. Klarer ist demgegenüber Köster, Christian Gospels, 80: „Eventually, in the Acts of Thomas, he became the twin-brother of Jesus. In the Gospel of Thomas there is a Connection between James the Righteous (i. e., Jesus’ brother), who is designated as the leader of the church (Gos. Thom. 12), and (Judas) Thomas as the apostle who knows the secret wisdom (Gos. Thom. 13); but no family relationship between Jesus, James, and Thomas is established. Thomas is important because he guarantees the reliability of the wisdom sayings, not because of his family ties to Jesus.“ 78

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

69

dieses Namens als Übersetzung des aramäischen „Thomas“. Als Erklärung zu „Thomas“ müsste „Didymos“ bei jenem stehen; in der dreiteiligen Namensform tritt jedoch „Judas“ dazwischen. Das vorangestellte „Didymos“ im koptischen Text lässt mithin vermuten, dass dieses auch im griechischen voranstand, und zwar als vom aramäischen „Thomas“ herübersetzter Eigenname des Apostels im griechischen Sprachraum, wo „Didymos“ im Unterschied zu „Thomas“ als Personenname gebräuchlich war. Erst die spätere syrische Tradition hätte aus „Thomas“ den ihr bekannten „Judas Thomas“ gemacht und dadurch die einzigartige Namenform „Didymos Judas Thomas“ geschaffen. Der damit für Pap Ox 654,2–3 plausibel gemachte Name „Didymos, der auch Thomas heißt“ lässt gleichzeitig an die johanneische Tradition der Ostererscheinung Jesu vor Thomas denken, die im Rest der Lücke mit ὀφθείς ohne Weiteres unterzubringen ist. c) Diese allgemeinen Überlegungen werden durch einen formgeschichtlichen Vergleich mit dem Prolog des Thomasbuches in Verbindung mit dessen Schlusstitel bestätigt. Es wird nachvollziehbar, wie aus dem österlichen Offenbarungsempfänger „Didymos Thomas“, der uns im so rekonstruierten griechischen Prolog zum Thomasevangelium entgegentritt, durch die formgeschichtliche Wechselwirkung mit dem Prolog des Thomasbuches schließlich der Schreiber „Didymos Judas Thomas“ des koptischen EvThom-Incipits geworden sein könnte. Ein wichtige Rolle spielt dabei die Verknüpfung der beiden ursprünglich selbständigen Teile des Thomasbuches mitsamt ihren jeweiligen Rahmungen, wodurch in der Person des Mathaias der Aspekt des Aufschreibens der vom auferstandenen Jesus gesprochenen Worte in die Thomastradition eingebracht wird. Von Mathaias übernimmt Thomas dabei die Funktion des Schreibers, die er dann auch im koptischen Prolog des Thomasevangeliums ausübt.

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen 2.2.1. Der Textbefund In den ersten beiden Sätzen des Logions (EvThom 2,1–2) entsprechen sich der griechische und der koptische Text sowohl formal als auch inhaltlich genau. Der 81 gibt den negativen Imperativ der negative kausative Imperativ80 3. Person μὴ παυσάσθω wieder, der Limitativ den Temporalsatz

80 Bei Till (Grammatik, § 310.346; Dialektgrammatik, § 255–277) heißt der kausative Imperativ „Optativ“. Die koptischen Konjugationen haben unterschiedliche Benennungen erlebt; vgl. Plisch, Einführung, 113: „Terminologische Übersicht über das Konjugationssystem“. Ich folge der dort aufgelisteten Nomenklatur des „Berliner Arbeitskreises für Koptisch-Gnostische Schriften“. 81 Achmimische Form, vgl. Till, Dialektgrammatik, § 244.257; sahidisch .

70

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

mit ἕως. Auch der mit ὅταν εὕρῃ anschließende Eventualis82 ist durch den Konditionalis mit exakt übersetzt. In den folgenden beiden Sätzen bringt das Griechische den temporal-konditionalen Aspekt durch das Partizip Aorist θαμβηθείς bzw. βασιλεύσας zum Ausdruck. Diese Möglichkeit fehlt im Koptischen; deshalb fährt es mit dem Konditionalis fort. Es bildet allerdings nur noch ein einziges Satzgefüge, in dem auf den eingliedrigen Konditionalsatz zwei Hauptsätze folgt: . Hier liegt der eigentliche Unterschied. Folgen im griechischen Text auf den anfänglichen Befehlssatz drei temporal-konditionale Satzgefüge, so sind es im koptischen nur zwei. Bedingt im griechischen Text das Erschrecken das Herrschen und das Herrschen seinerseits das Ruhen, so ist im koptischen das Erschrecken die Bedingung sowohl für das Staunen als auch für das Herrschen. Vor dem Herrschen wird also noch das Staunen in Aussicht gestellt. Dementsprechend ist der koptische Text gegenüber dem griechischen um länger. Im Gegenzug entfällt das – freilich zum die Worte Teil rekonstruierte – ἐπαναπαήσεται83; an seine Stelle tritt der das Prädikat näher bestimmende Präpositionalausdruck . Inhaltlich ergibt sich in beiden Formen des Logions eine Fünferreihe von Handlungen: im griechischen Text suchen, finden, erschrecken, herrschen, ruhen; im koptischen suchen, finden, bestürzt sein, erstaunt sein, herrschen. Die ersten drei Glieder entsprechen sich genau. Das Herrschen rückt dagegen im koptischen Text von der vorletzten auf die letzte Position und wird anstelle des Ruhens zum angestrebten Endpunkt der ganzen Bewegung. Das Ruhen entfällt, und in die frei gewordene vierte Position rückt das Staunen ein. Dadurch ist der Sinn des Spruches gegenüber dem wiederhergestellten griechischen Text nicht unwesentlich verändert. 2.2.2. Variationen einer Gradatio Der Unterschied wird noch deutlicher, wenn man beachtet, dass das Logion seiner Grundform nach eine Gradatio (Kettenschluss) darstellt.84 Als solches 82

Vgl. BDR § 371,4; Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v. ὅταν, Nr. 1. Es handelt sich um die 3. Person Singular Futur. Für die Zeit typisch, verwendet der Schreiber des Papyrus η anstelle von υ (Itazismus); vgl. Attridge, Fragments, 98; Gignac, Grammar 1, 263–264; Schwyzer, Grammatik 1, 174–177. 84 So richtig Klijn (Tradition, 49–50), der in Anm. 6 allerdings fälschlich auf Lausberg (Handbuch, § 256–258) verweist; dort befindet sich der Abschnitt zur Gradatio aber in § 623– 624. Richtig muss der Verweis heißen: Lausberg, Elemente, § 256–258. Vgl. ebd. § 250: „Die Anadiplose […] besteht in der Wiederholung des letzten Gliedes einer (syntaktischen oder metrischen) Wortgruppe […] zu Beginn der nächsten (syntaktischen oder metrischen Wortgruppe […]. Der Typ der Figur ist also … x/x …“ Zusammen mit ebd. § 256: „Die ‚jeweils neu ansetzende Klimax‘ (gradatio […]) besteht in der fortschreitenden Weiterführung der Anadiplose […]. Der Typ der Figur ist also … x/x … y/y …“ Gleichzeitig ist zu beachten, dass es sich in unserem Fall um eine „Wiederholung von Wörtern bei gelockerter Wortgleichheit“ 83

71

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

ist es außer im Thomasevangelium noch zweimal bei Clemens von Alexandrien belegt, davon einmal als Zitat aus dem Hebräerevangelium und einmal ohne Herkunftsangabe. Folgende Übersicht mag die Lage der Überlieferung veranschaulichen: Clem. str. 2,45,5 (EvHebr fr. 1a Lührmann) Form I

II

III

EvThom 2 Pap Ox 654,6–9

B

C

a

οὐ παύσεται ὁ ζητῶν

μὴ παυσάσθω ὁ ζητῶν τοῦ ζητεῖν

b

ἕως ἂν εὕρῃ,

ἕως ἂν εὕρῃ,

b

εὑρὼν δὲ

καὶ ὅταν εὕρῃ

c

θαμβηθήσεται,

θαμβηθήσεται,

c

θαμβηθεὶς δὲ

καὶ θαμβηθεὶς

cƍ/dƍ

A

Clem. str. 5,96,3 (EvHebr ? fr. 1b Lührmann)

NHC II,32,14–19 D

(cƍ) ὁ θαυμάσας

(dƍ) 85

d

βασιλεύσει,

βασιλεύσει,

βασιλεύση ,

IV d

καὶ ὁ βασιλεύσας

βασιλεύσας δὲ

καὶ βασιλεύσας

ἀναπαήσεται.

ἐπαναπαήσεται.

ἐπαναπαήσεται.

a

Es wird nicht aufhören der Suchende,

Es soll nicht aufhören der Suchende zu suchen,

Es soll nicht aufhören der Suchende zu suchen

b

bis er findet;

bis er findet;

bis er findet;

b

wenn er aber gefunden hat,

und wenn er findet,

und wenn er findet,

c

wird er erschrecken;

wird er erschrecken;

wird er erschrecken;

e I

II

(Lausberg, Handbuch, 322) handelt, die Lausberg (ebd. § 648) im Bezug auf Verben unter dem Begriff der Derivatio subsumiert. 85 Es handelt sich um die 3. Person Singular Futur. Für die Zeit typisch, verwendet der Schreiber des Papyrus η anstelle von ει (Itazismus); vgl. Attridge, Fragments, 98; Gignac, Grammar 1, 240; Schwyzer, Grammatik 1, 174–177.

72

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Clem. str. 2,45,5 (EvHebr fr. 1a Lührmann) Form III

A

c

Clem. str. 5,96,3 (EvHebr ? fr. 1b Lührmann) B

EvThom 2 Pap Ox 654,6–9 C

wenn er aber erschrocken ist,

und wenn er erschrocken ist,

(cƍ) Wer zu staunen begonnen hat,

d

wird herrschen;

wird er herrschen;

wird er herrschen;

und wer zu herrschen begonnen hat,

wenn er aber zu herrschen begonnen hat,

und wenn zu herrschen begonnen hat,

wird ruhen.

wird er ruhen.

wird er ruhen.

e

D und wenn er erschrickt, (dƍ) wird er staunen,

cƍ/dƍ

IV d

NHC II,32,14–19

und er wird herrschen über das All.

Ausgehend von der Voraussetzung, dass „die Grundlage das Wort in einer kompletten Form gewesen sein“86 müsste, hat H.-M. Schenke eine ursprüngliche Langfassung rekonstruiert, welche die einzelnen Glieder der unterschiedlichen Formen allesamt integriert und gleichzeitig die Figur der Gradatio in allen Teilen wahrt: „Wer sucht, soll nicht aufhören zu suchen, und wenn er gefunden hat, und wenn er verwirrt worden ist, und wenn er sich gewundert hat, und wenn er zur Herrschaft gekommen ist,

bis er findet; wird er verwirrt werden; wird er sich wundern; wird er zur Herrschaft kommen; wird er Ruhe finden darauf.“87

Inhaltlich ergäbe sich damit für das ursprüngliche Wort eine Sechserreihe von Handlungen: suchen, finden, verwirrt werden, sich wundern, zur Herrschaft kommen und Ruhe finden. Freilich ist diese Rekonstruktion keineswegs zwingend. Auf die nächstliegende Alternative macht U.-K. Plisch aufmerksam: „Oder aber ‚bestürzt sein‘ und ‚erstaunen‘ sind im Grunde Synonyme, die in verschiedenen umlaufenden Fassungen des offenbar weitverbreiteten Spruches füreinander einstehen konnten.“88 Für dieses Verständnis der Überlieferung sprechen mehrere Gründe. Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Form der Gradatio im koptischen Spruch (D) durch das zusätzliche Glied IIIdƍ, welches in den Formen B und C fehlt, empfindlich gestört ist. Die Steigerung, welche der Kettenschluss ansonsten bewirkt, fällt in D IIId unversehens ab, weil dieses Glied nicht wie alle anderen als Apodosis zu einer eigenen Protasis eingeführt wird, 86

Schenke, Thomas-Buch, 124. Schenke, Thomas-Buch, 125; ähnlich Klauck, Evangelien, 57. 88 Plisch, EvThom, 43. 87

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

73

sondern in der jetzigen Form D gegenüber der vorausgehenden Apodosis IIIdƍ als deren Erweiterung formschwach nachklappt. Gleichzeitig bezeugen B und C unabhängig voneinander und doch übereinstimmend eine Form des Spruches, in welcher das Verb θαυμάζειν (IIIcƍ/dƍ) fehlt. Das Ruhen als den eigentlichen Zielpunkt der Gradatio lässt hingegen nur die Form D im Gegensatz zu A, B und C vermissen. All das gibt Grund zu der Annahme, dass die Form D gegenüber der in B und C greifbaren Grundform des Spruches als sekundär anzusehen ist.89 Die Abweichung in A IIIcƍ betrifft dagegen nicht die Sache, sondern lediglich die Wortwahl. Die Ersetzung von θαμβεῖσθαι durch das partiell synonyme θαυμάζειν wird dabei durch die gleichen Wortanfänge mnemo- bzw. abschreibtechnisch begünstigt. Außerdem scheint die Wahl des Verbums θαυμάζειν bei Clemens durch den unmittelbaren Kontext motiviert zu sein; denn ausgehend von Platons Feststellung, dass das Staunen der Anfang der Philosophie sei, kommt er überhaupt erst dazu, den passenden Spruch aus dem Hebräerevangelium zu zitieren.90 Der koptische Spruch scheint mit und beide Überlieferungen verarbeitet oder aber die beiden Aspekte von θαμβεῖσθαι (erschrecken und staunen) mit zwei komplementären Verben wiedergegeben zu haben, ohne sie dem strengen Formschema der Gradatio zu unterwerfen. Ersteres kann auch schon in der griechischen Überlieferung geschehen sein, indem einfach zwei unterschiedliche Versionen des Spruches miteinander kombiniert wurden, Letzteres freilich erst bei der Übersetzung ins Koptische. Jedenfalls ist dadurch die missglückte Form D entstanden, in welcher die ursprüngliche Klimax bereits durch das nachklappende Element IIId zerstört ist, von dem fehlenden Teil IV ganz zu schweigen. Im Anschluss an M. Fieger möchte P. Luomanen das zusätzliche Glied des ), sondern in D IIId koptischen Textes allerdings nicht in D IIIdƍ ( ( ) erblicken, weil aus lexikalischer Sicht nicht , sondern die angemessene Übersetzung für das griechische θαμβεῖσθαι sei.91 Dahinter steckt die Frage, ob θαμβεῖσθαι in erster Linie „erschrecken“ ( ) oder „staunen“ ( ) bedeutet. Die Lexika geben dazu unterschiedliche Auskünfte: Liddell und Scott übersetzen z. B. mit „to be astounded“ (verblüfft / bestürzt sein) oder „to be astonished“ (erstaunt sein); ebenso bietet Passow „staunen“ und „erschrecken“ gleichberechtigt nebeneinander; dagegen bezeichnen 89

So auch Zöckler, Lehren, 182. Vgl. Clem. str. 2,45,4–5 (übersetzt von Stählin, Clemens 3, 184): „Der Anfang der Philosophie ist aber das Staunen [θαυμάζειν] über die Dinge, wie Platon [Theaet 155d] sagt […]. Ähnlich steht auch in dem Hebräerevangelium geschrieben: ‚Wer staunte, wird König werden; und wer König wurde, wird zur Ruhe kommen.‘ “ Umgekehrt könnte natürlich auch eine Spruchform, die θαυμάζειν bereits enthielt, Clemens dazu gebracht haben, das Logion an dieser Stelle anzuführen. In diesem Fall bliebe allerdings ungeklärt, wie es zur Lesart mit θαυμάζειν kam, wohingegen eine von Clemens selbst (bewusst oder unbewusst) vorgenommene Ersetzung von θαμβεῖσθαι durch θαυμάζειν vom Kontext her leicht erklärt werden kann. 91 Vgl. Fieger, EvThom, 20–22; Luomanen, Relationship, 129, Anm. 23. 90

74

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Bauer und Aland „erschrecken“ als „das Ursprüngl[iche]“ und „erstaunen“ als eine Abschwächung dieses ursprünglichen Wortsinns.92 Der lexikalische Befund ist also keineswegs so eindeutig, wie Luomanen glauben machen möchte. Was die Lexika offen lassen, klärt indes der Kontext, den Luomanen vernachlässigt. steht im koptischen Text zweimal, und man muss davon Das Verb ausgehen, dass es beide Male dasselbe griechische Verb übersetzt. Da in IIc steht, ist klar, dass auch in IIIc für θαμβηθήσεται ohne Zweifel und nicht das griechische θαμβηθείς wiedergibt, wofür im Übrigen auch die Verbformen sprechen (siehe oben). Zwar ist θαμβηθήσεται in Pap Ox 654,7 eine Konjektur, die aber aufgrund der parallelen Spruchform B und des in Pap Ox 654,8 noch lesbaren -βηθείς von [θαμ]βηθείς als sicher gelten kann und auch von Luomanen nicht bestritten wird. Es bleibt in der Form D des Logions die Ergänalso dabei, dass θαυμάζειν bzw. zung darstellt, die trotz des fehlenden Schlussgliedes (e) seine ursprüngliche Fünfgliedrigkeit erhalten sollte. Dass derart oberflächliche Formkriterien möglicherweise eine Rolle gespielt haben, lässt sich an der Hinzufügung von am Schluss des Spruches plausibel machen. In den Formen A, B, und C steht die Königsherrschaft ohne adverbiale Bestimmung absolut und wird auf diese Weise auch durch nichts eingeschränkt. Der dadurch implizierte allumfassende Charakter dieser Herrlediglich explizit.93 Die entbehrliche Ergänzung schaft wird durch 92 Zu θαμβέω vgl. Bauer/Aland, Wörterbuch, s. v.; Liddell/Scott, Lexicon, s. v.; Passow, Handwörterbuch, s. v. 93 Beide Aspekte desselben Gedankens finden sich bei Paulus, der die Korinther einerseits daran erinnert, dass sie als Christuszugehörige über alles frei verfügen können (1 Kor 3,21.22: πάντα ὑμῶν), andererseits aber ihre Überheblichkeit tadelt, indem er ironisch davon spricht, dass sie ohne ihn bereits zu herrschen begonnen hätten (1 Kor 4,8: χωρὶς ὑμῶν ἐβασιλεύσατε). Das Motiv von der Herrschaft der Heiligen ist darüber hinaus weit verbreitet; vgl. mit zahlreichen Belegen Weiss, 1 Kor, 106–107: „Es ist ein Grundton jüdischen Glaubens und der Verkündigung Jesu, daß die Erwählten der Zukunft an der Herrschaft Gottes teilhaben, daß sie mit Gott ‚regieren‘ sollen über die Welt“, und dieser Vorstellung „kam nun auf griechischem Boden ein anderes Ideal entgegen, die kynisch-stoische Idee vom Königtum des Weisen“. Vgl. z. B. Mt 19,28; Lk 12,32; 22,30; Offb 3,21; 20,4; außerdem Strecker/Schnelle, Wettstein I/1, 257–258.264–267. Eine differenzierte religionsgeschichtliche Bewertung der unterschiedlichen Belege nimmt Braun (Randglossen, 184) vor: „Der gegenwärtigen, mit voller Gewißheit ausgesprochenen, auch die externa umfassenden Weltüberlegenheit des Christen bei Paulus steht also gegenüber eine für das Eschaton erhoffte Herrscherstellung der δίκαιοι und eine jetzt in der Gegenwart leider doch nur frommer Wunsch bleibende Vormachtstellung des Torajüngers im Spätjudentum, sowie die zwar mit Gewißheit verkündete, aber auf die geistige Daseinshälfte beschränkte Weltüberlegenheit des sapiens in der stoischen Tradition“ (ähnlich Schrage, 1 Kor, 339). Dem entspricht nach Braun (ebd. 185) eine je unterschiedliche Lebenshaltung: „[D]er Aktivität des Gerechten und Weisen in Spätjudentum und Stoa steht die Passivität des κλητός [bei Paulus] gegenüber“. Merklein (1 Kor, 310) stellt im Blick auf die Herrschaftsvorstellung in 1 Kor 4,8 richtig fest: „Gnostische Einflüsse anzunehmen ist nicht nötig“; er nimmt dann aber u. a. EvThom 2 dafür in Anspruch, dass „die Gnosis an derartigen Vorstellungen selbstverständlich größten Gefallen fand“. Weshalb in EvThom 2 ohne jeden konkreten Hinweis

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

75

legt sich vom Klang her nahe, wenn man annimmt, dass das Ruhe-Motiv bereits in der griechischen Textüberlieferung ausgefallen ist. An die Stelle des ursprünglichen ἐπαναπαήσεται ist danach das fast homonyme Adverbiale ἐπάνω πάντων oder etwas Ähnliches gesetzt worden.94 Dass es sich dabei um ein Versehen handelt, ist unwahrscheinlich,95 weil man dazu gleich zwei Fehler auf einmal unterstellen müsste: Nicht nur ἐπαναπαήσεται wäre falsch gehört bzw. gelesen worden, sondern im gleichen Zuge wäre auch καὶ βασιλεύσας durch Haplographie des vorhergehenden βασιλεύση ausgefallen.96 Da die gleichzeitige Einfügung des Staunens in dƍ ohne Zweifel absichtlich erfolgte, spricht alles dafür, dass der Spruch trotz tiefgreifender Veränderungen auf den ersten Blick unverändert erscheinen sollte, indem er in der Form D wiederum fünf Glieder und einen ähnlichen Ausklang erhielt. Dass die ganze Veränderung in der griechischen Überlieferung erfolgte, kann der Abschluss immerhin wahrscheinlich machen. 2.2.3. Versprengte Glieder der Gradatio Diese Erklärung der Überlieferungslage, die nicht in der von Schenke rekonstruierten Langfassung, sondern in den Fassungen B und C die Grundform des Spruches erkennt, wird durch zwei Stellen im Thomas-Buch gestützt, die zusammen alle Elemente des Logions bieten, wenn auch nicht in der geprägten Figur der Gradatio: LibThom 140,41–141,2: „[Wohl] dem weisen Mann, der [nach der Wahrheit suchte ( ). Denn,] als er sie gefunden hatte ( ), ließ er sich auf ihr für immer zur Ruhe nieder ( ) und fürchtete sich nicht mehr vor denen, die ihn verwirren ( ) wollten.“97

gnostisch sein soll, was es in 1 Kor 4,8 jedenfalls nicht ist, bleibt dem unvoreingenommenen Leser des Thomasevangeliums freilich unerfindlich. 94 Vgl. Cullmann, Thomasevangelium, 570: επι(επανω)παντα; Fitzmyer, Oxyrhynchus, 373: „ana panta“; Ménard, EvThom, 79: ἀνὰ πάντα. 95 Weiss (Christentum, 244) argumentiert in dieser Frage widersprüchlich, wenn er zuerst erklärt: „Dass es sich um eine bewusste Verkürzung der traditionellen Klimax (i. S. von P.Oxyrh. 654 bei Clemens Alexandrinus, Strom. V c. 14,96,3) handelt, ist wenig wahrscheinlich“, um dann im Blick auf den Unterschied zwischen dem griechischen und dem koptischen EvThom 2 den Schluss zu ziehen: „Hier handelt es sich also keineswegs um einen Übersetzungsfehler, sondern um bewusste redaktionelle Gestaltung der Vorlage.“ 96 Denkbar wäre auch, dass ἐπαναπαήσεται deshalb in ἐπάνω πάντων geändert wurde, weil es nach erfolgter Haplographie von βασιλεύση plötzlich als asyndetischer Nachklapp erschien. Ein Schreiber, der darüber gestolpert wäre, hätte aber wohl nicht einfach ἐπαναπαήσεται verändert, sondern die Richtigkeit des bis dahin Geschriebenen an seiner Vorlage kontrolliert und den Fehler dabei ausgemerzt. 97 Übersetzung von H.-M. Schenke in: NHD 1, 287.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

LibThom 145,10–16: „Und wenn ihr betet, werdet ihr Ruhe finden ( ), 98, daß ihr die Mühsal und die Schmach hinter euch gelassen habt. Denn wenn ihr den Mühen und Leidenschaften des Leibes entkommt, werdet ihr von seiten des Guten einen Ruheort erhalten ( [ ] ). Und ihr werdet mit dem Herrscher herrschen ( ) – ihr verbunden mit ihm, und er verbunden mit euch, von nun an bis in alle Ewigkeit.“99

Offenbar wird an diesen beiden Stellen unser Logion verarbeitet. Von den in den verschiedenen Formen des Kettenschlusses enthaltenen sechs Handlungsverben, die Anlass zur Rekonstruktion der obigen Langfassung gegeben haben, begegnen allerdings nur fünf, nämlich: suchen, finden, ruhen (als Verb und als Verb-Objekt-Verbindung bzw. ), verwirren und herrschen. Der Aspekt des Staunens ( ) fehlt hingegen wie auch das Verb θαυμάζειν in den obigen Fassungen B und C des Spruches. Dies kann als weiteres Indiz dafür gelten, dass das Staunen in der ursprünglichen Form der Gradatio kein eigenständiges Glied darstellte, sondern dass sich die Fassung D erst aus der Kombination des ursprünglichen θαμβεῖσθαι (B und C) mit der ebenfalls umlaufenden Variante θαυμάζειν (A), sei es nun auf der griechischen oder auf der koptischen Entwicklungsstufe des Spruches, oder aus der doppelten Übersetzung von θαμβεῖσθαι bildete. Dass umgekehrt das Ruhen, das in D als Abschluss des Kettenschlusses fehlt, ursprünglich dazugehörte, machen zwei Stellen in den Thomasakten und in der Zweiten Apokalypse des Jakobus wahrscheinlich, die ähnlich wie die Form A zwar nicht den Anfang, aber die Schlusselemente der Gradatio (d und e ohne cƍ) bieten: ActThom 136: τὸ ταμιεῖον τοῦ ἁγίου βασιλέως ἀναπέπταται, καὶ οἱ ἀξίως μεταλαμβάνοντες τῶν ἐκεῖ ἀγαθῶν ἀναπαύονται καὶ ἀναπαυόμενοι βασιλεύουσιν. „Die Schatzkammer des heiligen Königs ist geöffnet, und diejenigen, welche würdig an den dortigen Gütern Anteil nehmen, ruhen, und indem sie ruhen, herrschen sie.“ 2ApcJac 56,2–7: [ ] [ ] [ ] [ ] [ ] [ ] [ ] „Um deinetwillen werden sie belehrt werden und sich zur Ruhe begeben; um deinetwillen werden sie herrschen und König sein; um deinetwillen werden sie sich derer erbarmen, derer sie sich erbarmen werden.“ 98 Schenke (NHD 1, 291, Anm. 20) vermutet hier eine Textverderbnis: „Es fehlt ein Ausdruck wie: ‚und ihr werdet erstaunt sein‘.“ Dagegen fasst Turner (Tractate 7, 205) die folgende Konjunktion nicht explikativ („dass“), sondern kausal („for“) auf und kommt so ohne Konjektur aus. 99 Übersetzung von H.-M. Schenke in: NHD 1, 291.

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

77

In ActThom 136 antwortet Thomas auf das Ansinnen der bekehrungswilligen Tertia, die Teilhaberin (κοινωνός) an dem von Thomas versprochenen Leben werden will: Gott ist der heilige König, und den Teilhabern an seinen Gütern sind Ruhe und Herrschaft verheißen. Diese Verheißung wird dadurch in die Situation eingepasst, dass Thomas das ausgesprochene Begehren der Teilhabe mit der Aussicht auf Teilnahme (μεταλαμβάνειν) beantwortet. Formal steht μεταλαμβάνειν dabei an der Stelle, die in der Form A unseres Logions θαυμάζειν (cƍ) einnimmt. Wie in A folgt eine Anadiplose100, in der die Glieder Herrschen und Ruhen (d und e) allerdings in umgekehrter Reihenfolge und in einem veränderten zeitlichen Bezug zueinander stehen. Entsprechend ist das wiederholte Glied, welches als Scharnier der Anadiplose fungiert, in A das Herrschen, in ActThom 136 hingegen das Ruhen. In A setzt das Herrschen das Staunen und das Ruhen seinerseits das Herrschen voraus. Dieser Zusammenhang ergibt sich nicht in erster Linie aus der Reihenfolge der Verben, sondern daraus, dass die Partizipien θαυμάσας und βασιλεύσας im Aorist Vorzeitigkeit gegenüber den folgenden finiten Futurformen βασιλεύσει bzw. ἀναπαήσεται anzeigen.101 Man muss also bereits erstaunt sein, um zu herrschen, und man muss zur Herrschaft gelangt sein, um daraufhin auch zur Ruhe zu finden. Im Unterschied dazu signalisieren in ActThom 136 die Partizipien μεταλαμβάνοντες und ἀναπαυόμενοι im Präsens Gleichzeitigkeit mit den finiten Präsensformen ἀναπαύονται bzw. βασιλεύουσιν. Die diesem Zusammenhang angemessene modale Übersetzung („indem“) bringt zum Ausdruck, dass die beiden Verben „ruhen“ und „herrschen“ an dieser Stelle praktisch synonym gebraucht werden: Wer ruht, der herrscht auch schon; ob der Umkehrschluss ) und „herrschen“ ebenfalls gilt, bleibt offen. In der Reihenfolge „ruhen“ ( ) begegnen die beiden Verben auch in der Zweiten Apoka( bzw. lypse des Jakobus, allerdings ergänzt um „sich erbarmen“ ( ) als drittes Glied. Dabei stehen die drei Handlungen jedoch nicht in einer zeitlichen Abfolge, sondern werden durch das Instans innerhalb der dreiteiligen anaphorischen Satz) alle gleichermaßen der unmittelbar bevorstehenden reihe ( Zukunft102 zugewiesen, in die folglich auch die im an sich zeitlosen Konjunktiv ausgedrückten Vorgänge ( und ) fallen.103 Anders als 100

Auch hier bei gelockerter Wortgleichheit, vgl. Lausberg, Handbuch, § 648. Dasselbe gilt auch für die Aorist-Partizipien εὑρών (B IIb) und θαμβηθείς (B/C IIIc) im Verhältnis zu den Futurformen θαμβηθήσεται bzw. βασιλεύσει (B / C IIc / IIId). 102 Vgl. Plisch, Einführung, 55: „Ausgedrückt wird der Zustand der Erwartung eines (sich demnächst ereignenden) Vorgangs.“ 103 Zwar bezeichnet der koptische Konjunktiv die Fortsetzung der mit dem vorausgehenden Verb ausgedrückten Handlung; vgl. Layton, Grammar, § 351: „It signals only nexus and sequel after what came before.“ Dies ist jedoch nicht zwangsläufig im Sinne einer strengen zeitlichen Abfolge zu verstehen; vgl. Lambdin, Introduction, 107: „The conjunctive is used to continue the force of a preceding verbal prefix. In a sense, it is no more than an inflected form of the conjunction ‚and‘.“ Dies wird in unserem Beispiel auch daran deutlich, dass und 101

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

in der Anadiplose von ActThom 136 oder in der Gradatio von EvThom 2 samt Parallelen im Hebräerevangelium geht es nicht darum, eine bestimmte Abfolge von Ereignissen zu beschreiben.104 Mit der Anapher in 2ApcJac 56,2–7 betont der Sprecher Jesus vielmehr die eschatologische Bedeutung des angesprochenen Jakobus als „Erleuchter und Erlöser der Meinen, jetzt aber (auch) der Deinen“ (2ApcJac 56,17–20). Bei aller Verschiedenheit ist für unsere Zwecke aber jedenfalls festzuhalten, dass sowohl in der Form A unseres Logions als auch in ActThom 136 und 2ApcJac 56,2–7 das Herrschen stets zusammen mit dem Ruhen begegnet. Damit deckt sich der Befund in B und C sowie in LibThom 140,41–141,2; 145,10–16, wo zwar immer das Staunen, niemals jedoch das Ruhen als eigenes Glied der Reihe fehlt. Dies alles lässt darauf schließen, dass die Spruchform D, welche allein das koptische EvThom 2 bezeugt, gegenüber B und C insgesamt als sekundär anzusehen ist. Mithin wird unsere Anfangsvermutung durch den formgeschichtlichen Vergleich eindrucksvoll bestätigt. 2.2.4. Die Grundform des Logions Die so ermittelte Grundform des Logions in B und C erscheint nicht nur durch die Figur der Gradatio stabil und wohlgerundet, sondern auch dadurch, dass sich ihre einzelnen Glieder vom Inhalt her konzentrisch aufeinander beziehen. Ein Schaubild kann dies verdeutlichen: a b c d e

suchen (ζητεῖν) finden (εὑρίσκειν) erschrecken (θαμβεῖσθαι) herrschen (βασιλεύειν) ruhen (ἐπαναπαύεσθαι)

Das Suchen erreicht erst mit dem Ruhen sein Ziel. Ist die Suche in alle möglichen Richtungen aktiv, ohne doch genau zu wissen, wo man zu suchen hat, so ist die Ruhe im Gegensatz dazu Einkehr bei sich selbst, das Ablassen von allen eigenen Bemühungen im angestrebten Ziel. Dieser inhaltliche Bezug zwischen den Gliedern a und e ist dadurch noch verstärkt, dass in a das Ruhen beim Suchen abgelehnt wird (οὐ παύσεται bzw. μὴ παυσάσθω), auf das die Aussagenkette in e hinausläuft (ἐπαναπαήσεται), und zwar beide Male mit dem Verb παύεσθαι als Simplex oder Kompositum. Umgekehrt ist damit klar, dass der Suchende mit dem Finden allein noch nicht ans Ziel gelangt ist; denn im Gegensatz zum Ruhen bedeutet das Finden noch eigene Aktivität und Bewegung und ist daher praktisch synonyme Ausdrücke sind und zusammen ein und dasselbe Ereignis in der Zukunft bezeichnen. Analog fallen künftige Belehrung ( ) und Ruhe ( ) zeitlich in eins. 104 Deshalb sollte man hier nicht von einer Klimax sprechen, die 2ApcJac 56,2–7 angeblich mit dem koptischen EvThom 2 teilt (gegen Bammel, Rest, 89).

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

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nur der erste Schritt auf dem Weg hin zur Ruhe. Freilich verändert sich durch diesen Schritt schon viel. Wird der Sucher gewissermaßen vom Objekt seiner Suche beherrscht, indem es ihn durch seinen Entzug veranlasst, es überall zu suchen, so beherrscht der Finder seinerseits das Gefundene, es ist ihm (erstmals oder erneut) in die Hand gegeben, so dass er damit machen kann, was er will. Hierin liegt der inhaltliche Zusammenhang zwischen den Gliedern b und d. Trotzdem ist die Herrschaft des Finders über das Gefundene nur eine Etappe hin zur Ruhe, denn sie befreit noch nicht ein für allemal aus der Unruhe des Suchens und Findens. Erst wenn das Suchen ganz aufgehört und sich im Ruhen erledigt hat, hat sich auch die Situation des Menschen grundlegend verändert: Wo es keine Suche mehr gibt, da ist auch die Angst vor der gescheiterten Suche, dem Unvermögen, das Gesuchte zu finden und zu beherrschen, verschwunden. Dass das Finden von der Angst der Suche keineswegs ganz befreit, macht das Zentrum des Spruches vollends klar; denn das Finden löst nicht etwa Freude, sondern Erschrecken aus. Das Gefundene ist vom Gesuchten offenbar so eklatant verschieden, dass der Finder darauf mit Schrecken reagiert, einem Schrecken freilich, der heilsam wirkt, indem er zum Beherrschen der Sache und letztlich zum Ablassen davon im Ruhen befähigt. Dieses Ziel ist erst erreicht, wenn jede weitere Suche sich erübrigt. Bis es aber so weit ist, bleibt dem Menschen nichts anderes übrig, als unablässig zu suchen. 2.2.5. Suchen und Finden Insgesamt weist das Logion in seiner Grundform somit ein inhaltliches Profil auf, das sich von dem der Parallelen in der Logienquelle und im Thomasevangelium105 erheblich unterscheidet: Q 11,9–10 (Mt 7,7–8): αἰτεῖτε καὶ δοθήσεται ὑμῖν, ζητεῖτε καὶ εὑρήσετε (EvThom 92,1: ), κρούετε καὶ ἀνοιγήσεται ὑμῖν· πᾶς γὰρ ὁ αἰτῶν λαμβάνει καὶ ὁ ζητῶν εὑρίσκει (EvThom 94,1: ) καὶ τῷ κρούοντι ἀνοιγήσεται (EvThom 94,2: [ ] ). „Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch geöffnet werden. Denn wer bittet, empfängt; und wer sucht, findet; und dem, der anklopft, wird geöffnet werden.“

105 Formgeschichtlich ferner liegen Joh 14,13–14; 15,7; 16,24; vgl. Attridge, Seeking, 301: „John and Thomas elaborate in distinctive ways different parts of the original triad found in Q. ‚Asking‘ is developed to a high degree and with particular emphases in the Forth Gospel. […] In contrast, ‚seeking‘ is what readers of Thomas are encouraged to do, throughout the text. […] They are not encouraged to ‚ask‘ anything in prayer“. Das bringt Goldsmith (Ask, passim) zu dem Schluss, das Wort vom Bitten und Erhalten müsse ursprünglich ein selbständiges Logion gewesen sein.

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Von den fünf Gliedern unseres Logions begegnen hier nur die ersten beiden (a und b: Suchen und Finden), freilich neben anderen Aussagen, die in unserem Logion fehlen. Der Form nach handelt es sich nicht um einen Kettenschluss, sondern um einen synonymen Parallelismus membrorum, in dem bitten, suchen und anklopfen einerseits und erhalten, finden und geöffnet bekommen andererseits immer denselben Sachverhalt benennen und dabei nur in der Ausdrucksweise variieren. Der Kontext in der Logienquelle macht klar, dass es hier der Sache nach um die Zuversicht beim Gebet geht. Da ein entsprechender Zusammenhang im Thomasevangelium fehlt, bleibt offen, worauf sich dort die sehr allgemein formulierte Ermunterung zur Zuversicht bezieht. Anders als im Kettenschluss beschreibt im Parallelismus membrorum jedes der drei Glieder die ganze Sache; das Suchen kommt mit dem Finden ans Ziel, und der Ängstlichkeit des Suchens wird dadurch begegnet, dass das Finden mit großer Bestimmtheit verheißen wird.106 Diese Verheißung wird in den Gleichnissen vom Schatz (Mt 13,44) und von der Perle (Mt 13,45–46; EvThom 76,1–2), vom Schaf (Mt 18,12– 14; Lk 15,3–7; EvThom 107), der Drachme (Lk 15,8–10) und den beiden Söhnen (Lk 15,11–32) erzählerisch umgesetzt. Dabei zeigt sich jedoch ein markanter Unterschied zwischen den Synoptikern, wo der unverhoffte oder ersehnte Fund beim Finder stets große Freude hervorruft, und dem Thomasevangelium, wo nicht die Freude des Finders, sondern seine kaufmännische Klugheit107 bzw. seine besondere Beziehung zu dem wiedergefundenen Schaf108 hervorgehoben wird. Entsprechend folgt in den Spruchformen B, C und D auf das Finden nicht die Freude, sondern das Erschrecken oder zumindest das Staunen. Freude stellt sich ein, wenn das Gefundene auch das zuvor Gesuchte ist oder wenn sich der 106 Vgl. Piper, Evidence, 413: „The optimism of these maxims is of course striking.“ Optimismus braucht es nur da, wo sich die Verheißung noch nicht erfüllt hat, und er gründet in ihrer Glaubwürdigkeit. Der Unterschied zu EvThom 2 besteht also nicht darin, dass man nach Q 11,9–11 und EvThom 92,1; 94,1 bereits gefunden und sich das Suchen dadurch erübrigt hätte. In diesem Sinne diskreditiert aber Tertullian die unablässige Erkenntnissuche seiner Gegner; vgl. Tert. praescr. 9,4 (übersetzt von Schleyer, Tertullian, 251): „Man muß suchen, bis man findet, und glauben, sobald man gefunden hat, und nichts weiter tun als bewahren, was man im Glauben angenommen hat“ (quaerendum est donec invenias et credendum ubi inveneris, et nihil amplius nisi custodiendum quod credidisti); ähnlich Tert. praescr. 7,12; 11,8. Mit dem Spruch ζητεῖτε καὶ εὑρήσετε ist das Finden indes jederzeit nur verheißen und das Suchen deshalb in dieser Welt niemals ganz am Ziel. Das deckt sich mit EvThom 2, das aber gleichzeitig darüber hinausgeht, insofern hier nicht nur das Finden, sondern auch noch das Herrschen und das Ruhen verheißen wird. Die Fronststellung, in der (grob gesprochen) gnostische Schriften mehr das Suchen und antignostische Autoren mehr das (bereits erfolgte) Finden betont haben (vgl. Koschorke, Suchen, 58–61), ist im Thomasevangelium an keiner Stelle greifbar (gegen Brox, Suchen, 22). Schon die Tatsache, dass Clemens von Alexandrien das Logion in der Form B zustimmend aufnehmen konnte, muss davor warnen, EvThom 2; 92,1; 94,1 ohne konkreten Anhalt im Text gnostisch zu verstehen. 107 Vgl. EvThom 76,2: „Jener Kaufmann war klug“ ( ). 108 Vgl. EvThom 107,3: „Nachdem er sich abgemüht hatte, sagte er zu dem Schaf: Ich liebe dich mehr als die neunundneunzig“ ( ).

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positive Wert eines Zufallsfundes dem Finder sofort erschließt. Wer dagegen staunt oder gar erschrickt, der ist von seinem Fund im besten Falle fasziniert, zumindest aber ratlos, wenn nicht entsetzt angesichts dessen, was sich ihm unerwarteterweise zeigt. Demnach stehen sich einerseits die synoptischen Belege und EvThom 92,1; 94,1, wo das Finden durchweg positiv konnotiert ist, und andererseits die übrigen genannten Stellen aus dem Thomasevangelium, wo das Finden ein zumindest ambivalentes Widerfahrnis darstellt, mit deutlich verschiedenen Konzeptionen gegenüber. 2.2.6. Das Ruhe-Motiv im Thomasevangelium Um den text- und formgeschichtlichen Befund in EvThom 2 richtig zu deuten, müssen wir schließlich nach einer möglichen Erklärung dafür suchen, weshalb die Form D um das Ruhen und damit um den eigentlichen Zielpunkt der ursprünglichen Gradatio verkürzt worden ist. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die übrigen Belege für das Ruhe-Motiv im Thomasevangelium in unsere Überlegungen miteinzubeziehen. Dieses begegnet in den erhaltenen griechischen Fragmenten nicht mehr, im vollständigen koptischen Exemplar indes an sechs weiteren Stellen (EvThom 50; 51; 60; 61; 86; 90), von denen jedoch drei (EvThom 51; 61; 86) in ihrer motivkritischen Relevanz umstritten sind. Das Manuskript liest in EvThom 51,1 die Fragen der Jünger an Jesus folgendermaßen:

„An welchem Tag wird die Ruhe der Toten eintreten? Und an welchem Tag wird die neue Welt kommen?“

Die Formulierung der beiden Fragen im koptischen Instans zusammen mit den Motiven der Totenruhe und der neuen Welt lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Jünger bei Jesus nach dem erwarteten Eintritt künftiger Geschehnisse erkundigen. Im Hintergrund steht also eine futurische Eschatologie, wobei die anaphorische Struktur der Fragen („an welchem Tag“) nahelegt, dass die beiden thematisierten Ereignisse gleichzeitig gedacht werden. Genau hier liegt aber auch die Schwierigkeit des Spruches. Denn die Totenruhe beginnt für jeden Menschen individuell damit, dass er stirbt und begraben wird, während die neue Welt erst am Ende der Tage kommen wird. Wann die jetzige Welt zu Ende geht und die neue Welt kommt, kann man sinnvollerweise fragen. Dagegen ist der Zeitpunkt, an dem die Totenruhe eintritt, jedermann klar: Sie beginnt für einen Menschen dann, wenn er stirbt.109 Danach zu fragen ist sinnlos, es sei denn man erkundigte 109 Gegen Zöckler, Lehren, 165: „Der offenbar vorausgesetzte Gedanke, daß Sterben nicht gleichbedeutend mit einem Zur-Ruhe-Kommen ist und daß die Toten ebenfalls der Erlösung bedürfen, erscheint in ähnlicher Weise auch Offb 14,13, wo die Toten, ‚die im Herrn Sterbenden

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

sich danach, wann ein bestimmter Mensch ableben soll. Das ist hier aber nicht der Fall, sondern es wird „die Ruhe der Toten“ im Allgemeinen angesprochen. Die beschriebene Schwierigkeit löst sich auf, wenn man annimmt, dass das Manuskript in EvThom 51,1 einen Schreibfehler aufweist. Hervorgerufen durch das Stichwort („Ruhe“) im vorausgehenden EvThom 50,3 wäre die ursprüngliche Lesart („Auferstehung“) in EvThom 51,1 irrtümlich in verändert worden.110 „Diese Verschreibung hatte schon deshalb gute Überlebenschancen, weil ‚Totenruhe‘ an sich natürlich kein sinnloser Begriff ist. Im hiesigen Kontext ist er es aber doch, denn die ‚Ruhe der Toten‘ geschieht [ ] nicht, sie ist einfach da – in dem Moment, da der Mensch gestorben und begraben ist, und sie hat schon gar nichts zu tun mit der erwarteten neuen ab jetzt‘, seliggesprochen werden.“ Nach dieser Deutung von Offb 14,13 (μακάριοι οἱ νεκροὶ οἱ ἐν κυρίῳ ἀποθνῄσκοντες ἀπ’ ἄρτι) bezieht sich das Adverbiale der Zeit (ἀπ’ ἄρτι) auf das Prädikat μακάριοι, so als ob die νεκροί als die früher bereits Verstorbenen ab jetzt erst selig würden. Freilich müsste dazu das Partizip im Aorist (ἀποθάνοντες) die Vorzeitigkeit oder im Perfekt (ἀποτεθνηκότες) das Resultat des Sterbens im Verhältnis zur gegenwärtigen Seligpreisung der Toten ausdrücken. Tatsächlich steht es aber im Präsens (ἀποθνῄσκοντες) und kennzeichnet dadurch das Sterben der Toten als etwas, das zu allen Zeiten geschieht, weil immer Menschen sterben. Darauf bezieht sich nun das Adverbiale ἀπ’ ἄρτι und schränkt den Makarismus auf die ab jetzt, d. h. die in Zukunft Sterbenden ein; vgl. Müller, Offb, 268: „Die Seligpreisung richtet sich an alle, die den Märtyrertod sterben müssen, um sie zu trösten und zu stärken. Die Verheißung gilt denen, die ‚von nun an‘, d. h. in der jetzt bald beginnenden endzeitlichen Verfolgung, getötet werden.“ Daneben wird häufig Hebr 3,7–4,13 mit dem Schlüsselbegriff κατάπαυσις in die Diskussion eingebracht. Ohne Zweifel handelt es sich dabei um einen eschatologischen Begriff (vgl. Nordsieck, EvThom, 207). Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass die κατάπαυσις erst mit der neuen Welt am Ende der Tage einträte (vgl. das breite religionsgeschichtliche Vorstellungsspektrum bei Hofius, Katapausis, 59–74). Vielmehr „ist Ruhe für den Hebr[äerbrief] Beheimatung bei Gott an seinem himmlischen Heiligtum, in Gottes weltüberlegener, feiernder Ruhe und dadurch Befreiung von der Unruhe der Welt“ (Karrer, Hebr 1, 220). Diese gegenwärtige Ruhe vollendet sich auch nicht erst am Ende der Welt, sondern bereits im Tode des einzelnen Gläubigen (vgl. Eisele, Reich, 428; was dort von der Parusie gesagt ist, gilt mutatis mutandis auch für das Heilsgut der Ruhe). Die inhaltliche Schwierigkeit mit der in EvThom 51,1 bezeugten wird also durch den Blick auf Offb 14,13 und Hebr 3,7–4,13 keineswegs beseitigt. Allenfalls könnte man sich auf Clem. exc. Thdot. 63–65 berufen, wenn man die Stelle mit Vielhauer (Hintergrund, 296, der allerdings eine genaue Stellenangabe schuldig bleibt) so versteht, dass „die Pneumatiker und Psychiker erst beim Weltende in ihren endgültigen Ruheort einziehen“. Auch hier ist jedoch ein anderes Textverständnis angebracht. Zum einen ziehen nach dieser Vorstellung von einer Person nur „die geistigen (Anteile), nachdem sie ihre Seelen abgelegt haben“ (ἀποθέμενα τὰ πνευματικὰ τὰς ψυχάς), in „die Fülle der Freude und der Ruhe“ (τὸ πλήρωμα τῆς χαρᾶς καὶ τῆς ἀναπαύσεως) ein; vgl. Casey, Excerpta, 152 zum Stichwort „Hochzeitsmahl“ (δεῖπνον τῶν γάμων): „This represents a stage where the righteous ψυχικοί and the πνευματικοί are together in the Ogdoad. It is the final goal of the former, but only a temporary resting place for the latter, who advance with the Saviour and Sophia into the Pleroma.“ Zum anderen ist keineswegs ausgemacht, ob die συντέλεια, bei der das geschieht, das Ende der Welt oder nicht vielmehr die individuelle Vollendung der πνευματικά einer Person bedeutet (zu ähnlichen Vorstellungen bei Plutarch vgl. Eisele, Jenseitsmythen, 328–332.337–338; ders., Reich, 317–328.332–335). 110 Vgl. Schröter/Bethge, Thomas, 172, Anm. 120. Dagegen Popkes, Menschenbild, 224, Anm. 21.

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

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Welt, die da kommen soll.“111 Dagegen sind der Anbruch der neuen Welt und die Auferstehung der Toten komplementäre Erwartungen, die ursprünglich im selben eschatologischen Zeithorizont stehen. Das schließt freilich nicht aus, dass sie an unserer Stelle als zwei zeitlich getrennte Ereignisse aufgefasst werden, so wie die Auferstehung in verschiedenen christlichen Traditionen ein geistliches Ereignis im Leben des Menschen darstellt.112 Die anaphorisch wiederholte Frage legt aber ein Verständnis des Spruches als Parallelismus membrorum nahe, in dem beide Glieder unter verschiedenen Aspekten nach ein und demselben Zeitpunkt in der eschatologischen Zukunft fragen. So verstanden, scheidet EvThom 51,1 aus unserer Betrachtung aus, weil der aus guten Gründen , sondern liest. emendierte Text nicht Anders liegen die Dinge in EvThom 61 und 86, die im Unterschied zu EvThom 50; 60 und 90 nicht das griechische Lehnwort , sondern das koptische Synonym haben. EvThom 61,1 bietet ein Rätselwort: „Jesus sagte: Zwei werden ruhen ( andere wird leben.“

) auf einem Bett; der eine wird sterben, der

Die kurze Exposition benutzt das Verb im alltagssprachlichen Sinne für das körperliche Ausruhen. Das Gewicht der Aussage liegt ganz auf der zweiten Spruchhälfte: Die gleiche Ausgangssituation der beiden Menschen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihnen eine völlig verschiedenes Schicksal blüht.113 Die entscheidenden soteriologischen Kategorien sind Tod und Leben, nicht aber die Ruhe, die lediglich dazu dient, eine menschliche Alltagssituation zu beschreiben. Nicht so eindeutig ist der Fall in EvThom 86: „(1) Jesus sagte: Die Füchse haben ihre Höhlen, und die Vögel haben ihr Nest, (2) der Menschensohn aber hat keinen Ort, um sein Haupt hinzulegen und sich auszuruhen ( [ ] ).“

Während die Form des Spruches sonst weitgehend mit derjenigen der Logienquelle (Mt 8,20; Lk 9,58) übereinstimmt, stellt einen Zusatz dar, dessen Bedeutung freilich nicht ganz klar ist. Man kann darin einfach eine Verdoppelung der Aussage sehen, dergestalt, dass und zusammen ein Hendiadyoin bilden.114 Das eine wie das andere ist dann im wörtlichen und nicht im übertragenen Sinne zu verstehen. Zu beachten ist allerdings, dass die Pointe des Spruches (wie in EvThom 61,1) in seiner zweiten Hälfte liegt, und da das fragliche Stichwort =) nun selbst in dieser zweiten Hälfte steht, trägt es zusammen mit auch 111

Plisch, EvThom, 141. Vgl. Kol 2,12; 3,1; 2 Tim 2,18; EvPhil 90a. 113 Vgl. Lk 17,34: „In dieser Nacht werden zwei auf einem Bett sein; der eine wird mitgenommen und der andere zurückgelassen werden“ (ταύτῃ τῇ νυκτὶ ἔσονται δύο ἐπὶ κλίνης μιᾶς, ὁ εἷς παραλημφθήσεται καὶ ὁ ἕτερος ἀφεθήσεται). 114 Vgl. Plisch, EvThom, 210. 112

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

das Gewicht der Aussage. Es wird zwar alltagssprachlich benutzt, zeichnet dabei aber die Heimatlosigkeit des Menschen im Unterschied zu den Tieren als eine anthropologische Grundgegebenheit.115 Zu einem anderen Verständnis des Logions gelangt man, wenn man in „sich ausruhen“ eine über „sein Haupt hinlegen“ hinausgehende Aussage erblickt, was aufgrund der Bedeutung des Ruhe-Motivs im Thomasevangelium nicht abwegig erscheint. Der Zusatz ergänzt dann die Beschreibung der condition humaine als Heimatlosigkeit um die im Thomasevangelium genuin soteriologische Kategorie der Ruhe.116 Das Unbehaustsein des Menschen hätte demnach seinen tieferen Grund darin, dass er den eschatologischen Ort der Ruhe noch nicht gefunden hat. Gegen diese Deutung spricht die Verwendung im koptischen Text, der an allen anderen theologisch einschlägigen von Stellen (EvThom 50; 60; 90) das Lehnwort verwendet. Dürfte man einen ähnlichen Kontext wie in der Logienquelle (Mt 8,19–22; Lk 9,57–60) voraussetzen, wo in der Nachfolgesituation die Heimatlosigkeit des Menschen speziell auf die Wanderexistenz Jesu und seiner Jünger bezogen wird,117 hätten wir ein weiteres Argument gegen ein soteriologisches Verständnis von . Denn dass Jesus bei aller Unstetigkeit seines Erdenlebens das Heilsgut der Ruhe, 115 So urteilt schon Bultmann (Geschichte, 27) in Bezug auf den synoptischen Spruch: „[D]er Mensch, auf Erden heimatlos, wird den Tieren gegenübergestellt“. Nichts weist darauf hin, dass „Menschensohn“ ( ) in EvThom 86,1 als christologischer Titel verstanden werden müsste. Es wird vielmehr analog zu „Menschenkinder“ (EvThom 28,3: ; EvThom 106,1: ) verwendet. Vgl. Plisch, EvThom, 210. Dagegen Nordsieck, EvThom, 314. 116 Vgl. Gärtner, Theology, 60–61: „It is not necessary to see this as being a conscious reflection, but it is nevertheless most natural to see the additional phrase as being an embellishment based on theological ideas; ‚rest‘ as an expression of ‚the state of blessedness‘ plays an important role, particularly in relation to later Jewish Christian an Gnostic traditions.“ Damit verweist Gärtner auf eine religionsgeschichtliche Alternative, um die zum Teil bis heute gestritten wird. So versucht Strobel (Textgeschichtliches, 224) nachzuweisen, dass wir es in EvThom 86 „mit einer aramäisch-judenchristlichen Überlieferung zu tun haben“, begründet diese Einordnung aber nicht in erster Linie mit dem Ruhe-Motiv (ebd. 222–224). Kasser (EvThom, 104) geht dagegen wie selbstverständlich davon aus, dass das Logion hier steht „pour encourager le gnostique à se détacher des biens de ce monde. Jésus, n’ayant pas de ‚repos‘ terrestre, jouira du repos céleste: de même son disciple.“ Mit Blick auf EvThom 2; 50; 51; 60; 90 stellt Crossan (Fragments, 242) fest, dass EvThom 86 „is much more contextually than textually gnostic“. Dass indes auch der genannte Kontext nur in sehr begrenztem Maße als eindeutig gnostisch gelten kann, werden wir im Weiteren noch sehen. 117 Plischs Urteil (EvThom, 210: „Das Logion konstatiert in einer generalisierenden Selbstaussage die Unbehaustheit und Heimatlosigkeit des Wanderpredigers Jesus von Nazareth.“) trifft streng genommen nur auf die Situation der Logienquelle, nicht aber auf EvThom 86 zu. Denn erst der Kontext in Q macht aus der allgemeinen Feststellung eindeutig eine indirekte Aussage Jesu über sich selbst (das verkennt z. B. auch Luz, Mt 2, 22; vgl. aber Crossan, Fragments, 241). Dagegen weist im isolierten Spruch EvThom 86 nichts darauf hin, das Jesus das Wort in erster Linie auf sich selbst als Mensch bezogen wissen will; zwar kann das zugrundeliegende aramäische „bar-nāschā’ durchaus auf den Redenden bezogen sein, ist aber nicht eindeutig Ersatz für ‚ich‘“ (Hahn, EWNT2 2, 927).

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das er ansonsten verkörpert (Mt 11,28–30; EvThom 90), selbst nicht haben soll, ist schlechterdings undenkbar. Gattungsgemäß fehlt jedoch in EvThom 86 ein entsprechender Zusammenhang,118 und er ist auch mit EvThom 90 nicht gegeben, weil dort anstelle von das Stichwort verwendet wird. So ist es weiterhin möglich, aber keineswegs sicher, dass in EvThom 86 dieselbe soteriologische Kategorie bezeichnet, die an den nachfolgend zu behandelnden Stellen die darstellt. Die drei Logien im Thomasevangelium (EvThom 50; 60; 90), in denen unbestritten als soteriologisches Motiv begegnet, zeigen allerdings ein sehr vielschichtiges Bild. In zwei Fällen (EvThom 50; 60) ist der Kontext klar als gnostisch zu bestimmen, im dritten (EvThom 90) jedoch keinesfalls. Dabei gibt sich EvThom 50 weniger durch seinen Inhalt als durch seine Form, die in der Ersten Apokalypse des Jakobus ihre nächste Parallele hat,119 als ein Stück gnostischer Erlösungsspekulation zu erkennen.120 Eine Gegenüberstellung der beiden Texte kann dies veranschaulichen: 118 So zeigt EvThom 86, „daß der Ausspruch auch ohne Einbindung in eine Gesprächsszene zum Thema Nachfolge […] überliefert werden konnte“ (Eckey, Lk 1, 450; vgl. Crossan, Fragments, 241). Dieselbe Intuition hatte schon Bultmann (Geschichte, 27), ohne EvThom 86 zu kennen. 119 Vgl. aber auch ApcPl 22,23–23,28 (übersetzt von U.-K. Plisch in: NHD 2, 405): „[Dann kamen wir] in den siebten [Himmel, und ich sah inmitten] des Lichts einen Greis in einem weißen Gewand. [Sein Thron], der im siebten Himmel war, war [sieben]mal heller als die Sonne. Der Greis entgegnete und sagte zu [mir]: ‚Wohin willst du gehen, Paulus, du Gesegneter und von Mutterleib an Ausgesonderter?‘ Ich aber, ich schaute zu dem Geist und er bewegte sein Haupt und sagte zu mir: ‚Sprich mit ihm!‘ Und ich entgegnete und sagte zu dem Greis: ‚Zu dem Ort will ich gehen, von dem ich gekommen bin.‘ Und der Greis entgegnete mir: ‚Woher bist du?‘ Ich aber entgegnete und sagte: ‚Ich will hinabgehen in die Welt der Toten, damit ich die Gefangenen gefangennehme, jene, die gefangengenommen wurden in der Gefangenschaft Babylons.‘ Der Greis entgegnete mir und sagte: ‚Wie wirst du dich von mir entfernen können? Schau und sieh diese Mächte und Gewalten!‘ [Der] Geist entgegnete und sagte: ‚Gib ihm das Zeichen, das in deiner Hand ist, und [er wird] dir öffnen!‘ Und dann gab ich [ihm] das Zeichen. Er wandte sein Antlitz nach unten, hinab zu seiner Schöpfung und seinen Gewalten.“ 120 Der Sache nach ist EvThom 50 mit den von Clemens Alexandrinus referierten Grundfragen der Gnosis vergleichbar (Clem. exc. Thdot. 78,2): „Es ist aber nicht das Bad [sc. der Taufe] allein das Befreiende, sondern auch die Erkenntnis: Wer waren wir? Was sind wir (geworden)? Wo waren wir, [oder] wo wurden wir hineingeworfen? Wohin eilen wir? Woraus werden wir erlöst? Was ist Geburt? Was ist Wiedergeburt?“ (ἔστιν δὲ οὐ τὸ λουτρὸν μόνον τὸ ἐλευθεροῦν, ἀλλὰ καὶ ἡ γνῶσις, τίνες ἦμεν, τί γεγόναμεν· ποῦ ἦμεν, [ἢ] ποῦ ἐνεβλήθημεν· ποῦ σπεύδομεν, πόθεν λυτρούμεθα· τί γέννησις, τί ἀναγέννησις). Popkes (Menschenbild, 33; 224, Anm. 18) zählt wie Klauck (Umwelt 2, 146) nicht acht, sondern sieben Fragen, weil er die letzten beiden als eine einzige Frage auffasst. Genauso gut könnte man dann auch von vier Fragen sprechen, weil offensichtlich immer zwei enger zusammengehören. Solche Zählungen sind willkürlich. Anscheinend hat die postulierte Siebenzahl bei Plisch (EvThom, 138) dazu geführt, dass er aus Versehen „wohin eilen wir?“ weggelassen hat. Alle drei übersetzen die griechischen Tempora gleich ungenau, was der exakten Erfassung des gnostischen Heilsweges in seinen einzelnen Phasen hinderlich ist. So fragt ποῦ ἐνεβλήθημεν (Aorist) im Unterschied zu τί γεγόναμεν (Perfekt) nicht nach dem Ergebnis, sondern nach dem Vorgang des Hineinwerfens; entsprechend müsste für die Übersetzung „wohinein sind wir geworfen?“ im Griechischen ποῦ ἐμβεβλήμεθα

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EvThom 50 „(1) Jesus sagte:

Wenn sie zu euch sagen: ‚Woher seid ihr gekommen?‘, sagt zu ihnen: ‚Wir sind aus dem Licht gekommen, dem Ort, an dem das Licht entstand durch sich selbst; es stand (da) und erschien in ihrem Bild.‘ (2) Wenn sie zu euch sagen: ‚Seid ihr es?‘, sagt: ‚Wir sind seine Kinder, und wir sind die Auserwählten des lebendigen Vaters.‘ (3) Wenn sie euch fragen: ‚Was ist das Zeichen eures Vaters in euch?‘, sagt ihnen: ‚Bewegung ist es und Ruhe ( ).‘ “

1ApcJac 32,28–34,20 „Der Herr [sprach] zu [ihm: Jakobus] […] Wenn du nun in ihre Hände fällst, wird einer von ihnen, der einer ihrer Wächter ist, zu dir sagen: ‚Wer bist du?‘ Du sollst zu ihm sagen: ‚Ich bin ein Sohn und stamme vom Vater.‘

Er wird zu dir sagen: ‚Was für ein Sohn bist du, und von welchem Vater stammst du?‘ Du sollst zu ihm sagen: ‚Ich stamme vom prä[existenten] Vater und bin ein Sohn, der im Präexistenten ist.‘ […]121 Er wird weiterhin zu dir sagen: ‚Wohin willst du gehen?‘ Du sollst zu ihm sagen: ‚Zu dem Ort, von dem ich gekommen bin, dorthin will ich auch gehen.‘ Wenn du aber dies sagst, wirst du ihren Angriffen entgehen.“122

In beiden Texten geht es um den Aufstieg der Seele nach dem Tode. Auch wenn sich die Fragen und Antworten im Einzelnen voneinander unterscheiden, so ist doch die Situation, in welcher der Dialog jeweils stattfindet, unverkennbar dieselbe. Die Beschreibung, die W.-P. Funk in Bezug auf die Erste Apokalypse des Jakobus gibt, ist daher auf die Szene in EvThom 50 übertragbar: „Will man aus (Perfekt) stehen. Umgekehrt steht πόθεν λυτρούμεθα wie das vorausgehende ποῦ σπεύδομεν im Präsens, d. h. die gemeinte Erlösung ist noch nicht abgeschlossen; dagegen müsste für die Übersetzung „wovon sind wir befreit?“ im Griechischen πόθεν λελυτρόμεθα (Perfekt) stehen. 121 Es folgt ein kurzer Dialog über „die fremden (Dinge)“ ([ ] ), der am Ende von 1ApcJac 33 nur sehr lückenhaft erhalten ist und in EvThom 50 keine Entsprechung hat. Dass es sich dabei um einen Einschub handelt, der den insgesamt dreiteiligen Gesprächsgang unterbricht, wird mit Blick auf die Parallelüberlieferung bei Irenäus, die nur die Antworten, nicht aber die Fragen mitteilt, deutlich (Iren. haer. 1,21,5; übersetzt von Brox, Irenäus 1, 283): „[1] Ich bin ein Sohn vom Vater, dem Vater, der zuvor schon war, Sohn aber in dem, der zuvor schon war. [2] Ich bin gekommen, um alles zu sehen, was mein ist und was fremd ist – allerdings nicht absolut fremd, sondern es gehört der Achamoth (der unteren Sophia), die eine Frau ist und es für sich erschaffen hat, ihr Geschlecht aber auf den zurückführt, der zuvor schon war –, [3] und kehre in das zurück, was mein ist, von wo ich ausgegangen bin.“ Ebenso Epiph. haer. 36,2–3 (in: Brox, Irenäus 1, 282). 122 Übersetzung von I. Schletterer und U.-K. Plisch in: NHD 2, 415–416.

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der diesseitigen Sphäre entkommen, so wird man unweigerlich mit Grenzbeamten konfrontiert (‚Zöllnern‘ und ‚Greifern‘), die der aufsteigenden Seele nicht nur den Weg versperren, sondern sich ihrer zu eigenen Zwecken bemächtigen wollen. Doch diese Mächte lassen sich mit Worten überwinden – vorausgesetzt, daß man die richtigen Worte kennt. Die Mitteilung dieser ‚Paßworte‘ steht im Zentrum der 1ApcJac und bildet den Hauptinhalt der großen Offenbarungsrede Jesu.“123 Ebensolche Passworte werden dem Gnostiker auch in EvThom 50 mitgeteilt. Diese unterscheiden sich in den beiden parallelen Überlieferungen stärker voneinander als die entsprechenden Fragen danach. Letztere sind zwar auch nicht identisch und begegnen in veränderter Reihenfolge, aber sie lassen sich doch inhaltlich aufeinander beziehen. So entspricht die Frage nach der Herkunft der Seelen derjenigen nach ihrem Ziel (fett); denn wie die Seele vom obersten Gott ihren Ausgang genommen hat und auf die Erde gefallen ist, so kehrt sie nach dem Tode, wenn sie erlöst wird, dorthin zurück. Ebenso gehören die Fragen nach der Identität der Seelen (Kapitälchen) und nach der genaueren Beschaffenheit bzw. Erkennbarkeit ihrer angeblichen Vater-Sohn-Beziehung zu Gott (kursiv) jeweils zusammen. Wir müssen hier nicht auf alle Einzelheiten eingehen, sondern es genügt für unsere Zwecke, die Bedeutung von EvThom 50,3 in dem so skizzierten Rahmen zu erhellen. Rätselraten hat vor allem der Abschluss des Logions ausgelöst. „Denn“, schreibt P. Vielhauer, „so bekannt die ‚Ruhe‘ als gnostischer Begriff ist, so wenig ist es die ‚Bewegung‘, und gar nicht geläufig ist in gnostischen Texten das Nebeneinander dieser beiden Begriffe.“124 Das führt U.-K. Plisch zu dem Schluss: „‚Ruhe‘ ist auch in eindeutig gnostischen Texten eine wichtige Kategorie. Was genau hier jedoch mit der Dialektik von Bewegung und Ruhe gemeint und was ihre zeichenhafte Funktion unter den Erwählten ist, muss letztlich offen bleiben.“125 Vielhauer hatte jedoch auch auf den vielversprechenden Ansatz von E. Haenchen aufmerksam gemacht: „Wir möchten interpretieren: ‚Bewegung‘ als stets erneuertes Suchen und Finden, ‚Ruhe‘ aber in der (immer wieder gewonnenen) Gewißheit, daß der Gnostiker ein Sohn des lebendigen Vaters ist und damit im Grunde jetzt schon der Welt und ihrer Unrast entnommen in der himmlischen Heimat weilt.“126 Zu dieser Deutung gelangt Haenchen von EvThom 2 aus: „Spruch 2 läßt in der griechischen Fassung den suchenden und findenden Gnostiker schließlich die Ruhe gewinnen: ἐπαναπαήσεται.“127 Damit ist der entscheidende Zusammenhang innerhalb des Thomasevangeliums aufgedeckt. Das griechische EvThom 2 mahnt den Jünger zur unaufhörlichen Suche (μὴ παυσάσθω) und stellt ihm als deren Ziel die Ruhe in Aussicht (ἐπαναπαήσεται). Wenn man nun davon ausgeht, dass 123

W.-P. Funk in: NTApo6 1, 257. Vielhauer, Hintergrund, 295. 125 Plisch, EvThom, 139. 126 Haenchen, Botschaft, 73. 127 Haenchen, Botschaft, 73. 124

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

der Jünger die verschiedenen Stufen vom Suchen bis zum Ruhen in diesem Leben nicht nur einmal, sondern fortwährend durchläuft, weil er, solange er in dieser Welt lebt, einerseits nie endgültig ans Ziel kommt, andererseits aber als Gläubiger doch anfanghaft an der Ruhe teilhat, dann sind Bewegung und Ruhe tatsächlich die inneren Kennzeichen dessen, dass er als Sohn des lebendigen Vaters zwar in der Welt, aber nicht ganz von der Welt ist. In denselben Vorstellungshorizont fügt sich auch das anschließende griechische EvThom 3 (das unten noch zu rekonstruieren sein wird) nahtlos ein: Wenn Bewegung und Ruhe zusammen das innere Merkmal für die Gotteskindschaft der Jünger sind, dann ist es nur konsequent, dass sie sich auch durch Selbsterkenntnis dieser besonderen Beziehung zum Vatergott bewusst werden (EvThom 3,4). Bei so viel inhaltlicher Kohärenz stellt sich allerdings umso dringlicher die Frage, weshalb die Form D von EvThom 2, welche der koptische Text bezeugt, das Motiv der Ruhe unterschlagen und den gedanklichen Zusammenhang dadurch empfindlich gestört hat. Eine angemessene Antwort auf diese Frage kann erst gegeben werden, wenn auch die beiden verbleibenden Stellen untersucht sind. Sie hat aber jedenfalls den widersprüchlichen Befund zur Kenntnis zu nehmen: Auf der einen Seite muss der beschriebene Zusammenhang von Gotteskindschaft, Bewegung und Ruhe (EvThom 2; 3,4; 50,2–3) an sich keineswegs gnostisch gedeutet werden, was aber oft wie selbstverständlich geschieht, obwohl von den in EvThom 50 gegebenen Antworten lediglich die erste (V.1) ohne Zweifel gnostisch ist;128 auf der anderen Seite sind diese Antworten als Passworte eindeutig in die Form eines gnostischen Aufstiegsrituals gebracht worden. Dasselbe gilt auch für das Ruhe-Motiv, das für sich genommen ganz unterschiedliche Deutungen zulässt, aber oft in unbestreitbar gnostischen Zusammenhängen begegnet.129 Ein solcher Kontext ist möglicherweise auch in EvThom 60 gegeben, das einen der wenigen Dialoge des Thomasevangeliums bietet. Wir können uns hier auf den abschließenden Spruch Jesu (EvThom 60,6), „der einerseits Motive des Dialogs aufnimmt, andererseits aber auch für sich stehen könnte, insofern hier einige (auch) für das Thomasevangelium wesentliche Begriffe (Ruhe, Leiche) miteinander kombiniert sind“130, beschränken:

„Sucht auch ihr nach einem Platz für euch zur Ruhe, damit ihr nicht zu einem Leichnam werdet und ihr aufgefressen werdet!“

128

Vgl. die Deutung von EvThom 50,1b bei Popkes, Menschenbild, 225–227. Vgl. Helderman, Anapausis, passim, v. a. die instruktiven Übersichten ebd. 71.227– 228.318–320; Hofius, Katapausis, 59–90; Holze, ANAPAUSIS, 6–10; Käsemann, Gottesvolk, 40–45; Ménard, EV, 106–107.117.180; Vielhauer, Hintergrund, 282–292. 130 Plisch, EvThom, 157–158. 129

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

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Sofort fällt auf, dass das Motiv der Ruhe ( ) hier wieder mit dem Stichwort „suchen“ ( ) zusammensteht. Man kann die erste Hälfte des Spruches regelrecht als Kurzfasssung des griechischen EvThom 2 verstehen. Es genügt, die Eckdaten des Kettenspruches (Suchen und Ruhen) aufzurufen, um die ganze darin beschriebene Bewegung in Erinnerung zu rufen. Neu ist in EvThom 60,6 gegenüber allen bisher besprochenen Logien, dass von einem Platz ( ) zum Ausruhen für die Jünger die Rede ist. Demnach ist die Ruhe nicht nur ein Seelenzustand, den die Jünger grundsätzlich überall erlangen können, sondern sie ist an einen Ort gebunden, den die Jünger aufsuchen müssen, wenn sie die Ruhe finden wollen. Um was für einen Ort es sich dabei handelt, bleibt ). Erst die zweite Spruchhälfte gibt freilich zunächst unbestimmt ( darauf einen Hinweis, indem sie als Gegenteil zum Finden des Ruheplatzes die Gefahr benennt, dass die Jünger zu einem Leichnam ( ) werden könnten. Im Umkehrschluss muss der Ruheplatz ein Ort sein, an dem die Jünger Leben haben. Mit einem Leichnam wird aber in EvThom 56 die Welt identifiziert: 131

„Wer die Welt erkannt hat, hat einen Leichnam gefunden, und wer einen Leichnam gefunden hat, dessen ist die Welt nicht würdig.“

Im Lichte dieses Wortes lässt sich der gesuchte Ruheplatz aus EvThom 60,6 via negationis annähernd lokalisieren. Wenn die ganze Welt ein Leichnam ist und die Jünger dadurch, dass sie sich einen Ruheplatz suchen, verhindern sollen, selbst ebenfalls zu einem Leichnam zu werden, dann muss der gemeinte Ort der Ruhe jedenfalls außerhalb der Welt liegen. Es handelt sich also um eine transzendente Wirklichkeit, an welcher der Mensch endgültig erst nach seinem Tode Anteil erhalten kann. Seine Stellung in der Welt verändert sich aber schon dadurch, dass er das Wesen der Welt als Leichnam erkennt. Er ist dann nicht mehr einfach Teil dieser Welt, sondern ihr insofern entwachsen, als ihm eine die Welt überragende Würde zukommt. Nimmt man EvThom 60,6 mit EvThom 56 zusammen, so lassen sich diese beiden Logien wie eine kosmologisch-soteriologische Konkretisierung des griechischen EvThom 2 lesen. Wer für sich nach einem Ruheplatz in diesem Leben sucht (a), der wird als erstes die Welt finden (b), in der er sich immer schon befindet, und er wird feststellen, dass diese Welt im Grunde tot, nichts anderes als ein Leichnam, ist. Da der Mensch aber auf den ersten Blick keinen anderen Lebensraum als diese Welt hat, wird er über diese Erkenntnis zweifellos erschrecken (c). Wenn ihm aber weiterhin bewusst wird, dass er nicht einfach nur ein Teil der Welt ist, sondern eine Würde besitzt, die 131 Zur Form der substantivierten Relativsätze und vgl. Layton, Codex II, 10, Nr. 12; Till, Dialektgrammatik, § 351.358. Der Verbform ent(vgl. Crum, Dictionary, s. v.; Layton, Codex II, 11, Nr. 18; 74; spricht standardsahidisch Westendorf, Handwörterbuch, s. v.).

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

darüber hinausweist, wird ihn das in den Stand versetzen, die Welt und ihre Verhältnisse auch tatsächlich zu beherrschen (d), weil er letztlich über den Dingen steht. Diese Herrschaft wird ihn schließlich zur Ruhe (e) bringen, anfanghaft in dieser Welt und endgültig, wenn er die Welt als einen Leichnam hinter sich lässt und zum eigentlichen Ruheplatz seiner Seele aufsteigt. Diese ganze Bewegung von der Immanenz zur Transzendenz wird, wenn überhaupt, erst durch die kompromisslos negative Bewertung der Welt als Bereich des Todes gnostisch.132 Freilich kann man die Gleichsetzung der Welt mit einem Leichnam auch als – zweifelsohne drastischen – Ausdruck ihrer unweigerlichen Todverfallenheit im Einzelnen wie im Ganzen verstehen. Darauf deutet die Dublette des Logions in EvThom 80 hin, die sich genau am fraglichen Punkt von EvThom 56 unterscheidet, ansonsten aber fast wörtlich damit übereinstimmt. Statt in EvThom 56 hat EvThom 80 zweimal . Beides sind Lehnwörter aus dem Griechischen. Nun kann σῶμα wie πτῶμα den toten Leib bezeichnen, weshalb die beiden Begriffe in EvThom 56 und 80 meist synonym mit „Leichnam“ übersetzt werden. Daneben steht σῶμα aber auch für den lebendigen Leib und spiegelt darin – wie der deutsche Begriff auch – die menschliche Erfahrung, dass ein und derselbe Leib entweder tot oder lebendig sein kann. Es ist also keineswegs sicher, dass EvThom 56 und 80 bei unterschiedlicher Wortwahl genau dasselbe sagen wollen.133 Genauso gut könnte es sein, dass mit dem Austausch nur eines einzigen Wortes gegen ein partielles Synonym, das außerdem noch ähnlich klingt und geschrieben wird, der Sinn des ganzen Spruches bewusst verändert werden sollte. Wer in seiner Welterkenntnis einen Leib gefunden hat, der ist natürlich auch mit dessen Endlichkeit konfrontiert. Aber eine umfassende Erkenntnis der Leiblichkeit erschöpft sich darin nicht. Vielmehr kann sie dem Leib aufgrund seiner tatsächlichen bzw. potentiellen Lebendigkeit einen eigenen Wert beimessen, der wegen der Todverfallenheit des Leibes notwendig begrenzt, aber eben nicht bei Null anzusetzen ist. Wer die Welt in dieser Art und Weise erkennt, 132 Im typologischen Modell von Markschies (Gnosis, 25) entspräche dem „die Einschätzung von Welt und Materie als böser Schöpfung und eine dadurch bedingte Erfahrung der Fremdheit des Gnostikers in der Welt“. 133 Vgl. Böhlig, Problem, 1005: „Gerade das zweifache Vorkommen der Aussage kann für eine unterschiedliche Nuancierung sprechen.“ Diese Unsicherheit spiegelt sich in der Übersetzung der beiden Logien bei Bethge, Evangelium, 533.539. Dort bietet der deutsche Text für in EvThom 56 „Leiche“ und für in EvThom 80 den synonymen, aber gehobeneren Ausdruck „Leichnam“. In der englischen Übersetzung, in der laut Vorbemerkung (ebd. 517) „das gleiche Textverständnis wie im deutschen Text zum Ausdruck kommt“, steht dagegen für in EvThom 56 „corpse“ und für in EvThom 80 „(dead) body“. Zwar gibt die englische Übersetzung mit dem erklärenden Zusatz „dead“ zu verstehen, dass sie „body“ wie „corpse“ als toten Leib verstanden wissen will und insofern das Textverständnis der deutschen Übersetzung tatsächlich teilt. Sie ist aber an diesem Punkt dennoch genauer als die deutsche, weil sie dieses Textverständnis durch Klammern als eigene Interpretation markiert und die Doppeldeutigkeit von mit dem Begriff „body“ exakt wiedergibt. Dem würde im Deutschen der Ausdruck „(toter) Leib“ entsprechen.

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

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dessen Würde überragt sie nicht, weil die Welt für ihn wie ein Leichnam völlig wertlos wäre, sondern weil diese Erkenntnis als solche über die Endlichkeit der Welt notwendigerweise hinausgreift. Der Erkennende wird nicht mehr von einer Welt beherrscht, die er nur teilweise versteht, sondern er beherrscht die Welt, weil er ihr Wesen durchschaut hat und damit gewissermaßen schon über die Welt hinaus ist. So gesehen bewertet EvThom 80 die Welt nicht absolut negativ, sondern nimmt lediglich gegenüber der Leiblichkeit der Welt eine asketische Haltung ein, weil die Erkenntnis der Welt als Leib diese in ihrer Vorläufigkeit jedenfalls überragt. Versteht man EvThom 60,6 nun aber auf diesem Hintergrund, so ist der von den Jüngern zu suchende Ort der Ruhe, an dem sie Leben haben, nicht nur außerhalb der Welt zu finden, sondern auch in der Welt, sofern diese in ihrer Leiblichkeit und der damit verbundenen Vergänglichkeit erkannt und eine dieser Erkenntnis entsprechende asketische Haltung eingenommen wird. Nur wer die durch Erkenntnis vermittelte Distanz zur Welt nicht einhält, steht in der Gefahr, zusammen mit ihr früher oder später restlos zur Leiche zu werden. Eine solche Deutung von EvThom 60,6; 56 und 80 kommt ohne spezifisch gnostische Spekulationen aus.134 Dasselbe gilt auch für das dritte hier zu behandelnde -Logion, EvThom 90, und seine Parallele bei Matthäus: Mt 11,28–30

EvThom 90 1

28 a

δεῦτε πρός με πάντες οἱ κοπιῶντες καὶ πεφορτισμένοι,

Kommt zu mir, alle, die ihr euch abmüht und belastet seid,

b

κἀγὼ ἀναπαύσω und ich werde ὑμᾶς. euch ausruhen lassen.

29 a

ἄρατε τὸν ζυγόν Nehmt mein μου ἐφ’ ὑμᾶς καὶ Joch auf euch μάθετε ἀπ’ ἐμοῦ, und lernt von mir,

a b

Kommt zu mir!

134 Die in diesen Logien ausgedrückte Distanz zur leiblichen Verfasstheit der Welt ist in der Antike und im frühen Christentum so weit verbreitet, dass sich die einzelnen Motive kaum mit Sicherheit einer ganz bestimmten Geistesströmung zuordnen lassen (vgl. Frank, LThK3 1, 1079; Gribomont, TRE 4, 204–213). Nicht umsonst ist auch die religionsgeschichtliche Einordnung des Thomasevangeliums als Ganzen nach wie vor umstritten, wobei sich die grundlegenden Positionierungen der Sechziger- und Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts (enkratitisch, gnostisch, synoptisch, um nur drei Stichworte zu nennen; vgl. Schröter, Erinnerung, 124–136) in vielerlei Spielarten bis heute durchhalten (vgl. nur aus neuester Zeit DeConick, Translation, 3–7; dagegen Popkes, Menschenbild, 356–362).

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Mt 11,28–30 b

dass ich milde ὅτι πραΰς εἰμι καὶ ταπεινὸς τῇ bin und demütig von Herzen, καρδίᾳ,

c

καὶ εὑρήσετε ἀνάπαυσιν ταῖς ψυχαῖς ὑμῶν·

30 a

b

EvThom 90

und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen;

ὁ γὰρ ζυγός μου denn mein Joch χρηστὸς ist angenehm,

c

Denn mein Joch ist angenehm,

und meine Last ist leicht.

d

und meine Herrschaft ist milde,

καὶ τὸ φορτίον μου ἐλαφρόν ἐστιν.

2 135

und ihr werdet Ruhe finden für euch.

Hier spricht nicht etwa eine gnostische Erlösergestalt, wie M. Dibelius angenommen hat: „Der, dem man solche Worte in den Mund legt, hat nicht als Lehrer des Volkes oder einer Schule Heimatrecht auf Erden. Sondern er kommt, selbst von anderer Abkunft und Art, zu den Menschenkindern, um sie aus dem Verderben herauszuführen, das in ihrer Art begründet liegt. Es ist die typische Heilslehre der Gnosis, die sich hier kundgibt. Die Erlösergestalt dieser Heilslehre aber ist göttlicher Natur und kosmischer Art: ein mythisches Wesen.“136 Allein die Tatsache, dass Matthäus kein Problem damit hatte, das fragliche Wort dem irdischen Jesus in den Mund zu legen,137 muss gegenüber dem eindimensionalen Urteil von Dibelius bedenklich stimmen. Matthäus kommt es gerade darauf an zu zeigen, dass die personifizierte Weisheit138 mit dem irdischen Lehrer Jesus von Nazaret identisch ist. Die Weisheit selbst wird dadurch, dass sie den Leser anspricht und ihm Wohltaten verheißt,139 nicht schon zum mythischen Wesen, 135 Im Codex handelt es sich offenbar um eine Verschreibung, die in verbessert werden muss (vgl. Layton, Codex II, 86). 136 Dibelius, Formgeschichte, 283–284; ebenso Haenchen, Botschaft, 74. 137 Dabei hat Matthäus, wie wir weiter unten sehen werden, eine ihm vorgegebene Jesusüberlieferung verarbeitet; das vermutet auch schon Bultmann, Geschichte, 176: „Vielleicht waren schon in der Urgemeinde Mt 11,25 f.28–30 (ἐξομολογοῦμαί σοι … δεύτε πρός με πάντες κτλ.) als Jesusworte überliefert, die dann den Gegensatz zur schriftgelehrten Frömmigkeit zum Ausdruck bringen sollten“. 138 Vgl. Betz, Yoke, 22; Luz, Mt 2, 217: „Den Versen 28 und 30 liegt traditionsgeschichtlich eine Einladung der Weisheit zugrunde. […] Die nächsten Analogien sind Sir 51,23–29; 24,19– 22, vgl. Sir 6,18–37; Sap 6,11–16.“ Ähnlich schon Bultmann, Geschichte, 171–172. Eine ausführliche Besprechung der form- und traditionsgeschichtlichen Parallelen bietet Jefford, Yoke, 110–123. Für unsere Zwecke genügt es, wenn wir EvThom 90 mit Mt 11,28–30 vergleichen. 139 Vgl. Spr 8,4–36; Sir 24,3–22; OdSal 33,6–13 (falls hier die Weisheit spricht; vgl. Lattke, Oden, 190, Anm. 6); Silv 89,5–10.

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

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sondern kann leicht als allegorische Figur140 durchschaut werden. Noch viel weniger ist der matthäische Jesus, der diese Allegorie nunmehr auf sich bezieht, ein mythisches Wesen, sondern er ist als die Person gewordene Weisheit gerade der vorzügliche Lehrer seiner Jünger und des Volkes auf Erden. Ein die Position Jesu in diesem Sinne klärender Kontext ist in EvThom 90 gattungsgemäß nicht gegeben; umgekehrt fehlt aber auch jeder Hinweis darauf, dass das Logion nicht als ein Wort des irdischen Jesus, der die Rolle der Weisheit übernommen hat, verstanden werden dürfte.141 Das hat Auswirkungen auf die Deutung des Ruhe-Motivs: „In EvThom 90 ist der Hintergrund für den Inhalt des Begriffs ‚Ruhe‘ nicht gnostisch.“142 Auf der Verheißung der Ruhe liegt das Achtergewicht des ganzen Logions. Das fällt im Vergleich zur Matthäusversion besonders auf. Dort haben wir zwei Sequenzen (V.28.29), in denen ebenfalls die Ruhe-Verheißung (V.28b.29c) jeweils das Achtergewicht bildet. Im Aufbau des gesamten Spruches (V.28–30) wird dieses Gewicht jedoch gleich doppelt relativiert: Zum einen endet das Matthäuslogion mit einer Begründung (V.30), die gegenüber dem zweifachen Spannungsbogen von Aufruf und Verheißung stark abfällt; zum anderen hat Matthäus das Hauptgewicht des Logions in das von ihm redaktionell geschaffene Zentrum (V.29b) verschoben.143 Die Hauptaussage des ganzen Spruches liegt danach nicht mehr auf der Verheißung der Ruhe, sondern auf der Selbstoffenbarung Jesu in seiner Milde und Demut. Verglichen mit dieser wohlgerundeten und suffizienten Form des Spruches wirkt diejenige in EvThom 90 unausgewogen und defizient. Das liegt nicht daran, dass das Thomaslogion die Doppelungen des matthäischen meidet und sowohl Aufforderung (V.1b) als auch Verheißung (V.2) nur einmal bringt, sondern daran, dass die Verheißung ans Ende des Spruches gesetzt und seine ausgewogene Struktur dadurch zerstört wurde. Wie U.-K. Plisch richtig feststellt, „muss dem Ruf irgendeine Verheißung folgen; der Zusammenstoß von Ruf und Begründung erscheint sonst allzu hart.“144 Diese Unzulänglichkeit von EvThom 90 ist al140 Vgl. die Definition bei Bussmann, Lexikon, 28: Eine Allegorie ist „die Konkretisierung abstrakter Begriffe im Bilde handelnder Personen (Tod als Spielmann: ‚Personifizierung‘)“. Quintilian (Inst Orat IX 2,29) verwendet dafür den griechischen Begriff προσωποποιία („Personifikation“) und versteht darunter fictiones personarum („Erfindungen von Personen“); vgl. Lausberg, Handbuch, § 826–829. 141 Nach dem, was oben zum koptischen Prolog und EvThom 1 sowie zur Sprucheinleitungsformel gesagt wurde, wird EvThom 90 (wie alle anderen Logien) spätestens im Zusammenhang des endredigierten Thomasevangeliums ausdrücklich als Wort des irdischen Jesus präsentiert, das Thomas mitgeteilt und von diesem aufgeschrieben wurde, damit es als zeitlos gültiges Wort des lebendigen Jesus Menschen aller Zeiten anspricht. 142 Plisch, EvThom, 158, Anm. 4. 143 Darin stimmen die ansonsten sehr unterschiedlichen formgeschichtlichen Rekonstruktionen von DeConick (Yoke, 283–285.289), Jefford (Yoke, 119–120) und Luz (Mt 2, 198– 199.218) überein. 144 Plisch, EvThom, 217, Anm. 3.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

lerdings nicht allein dadurch zu beheben, dass man V.2 an seine ursprüngliche Stelle vor V.1c zurückversetzt. Es bleibt dann immer noch der Mangel, dass die ) in V.1c völlig unvermittelt erfolgt. Um ein suffiErwähnung des Jochs ( zientes Logion zu erhalten, muss man also nach V.1b ein zusätzliches Element (1bα) einfügen, das Mt 11,29a sachlich in etwa entspricht, z. B. „nehmt mein Joch auf euch“.145 Außerdem fehlt im Thomaslogion eine Anrede der Adressaten, wie sie sonst bei derartigen Einladungen der Weisheit üblich und auch notwendig ist, wenn sich irgend jemand konkret davon angesprochen fühlen soll.146Als Ergänzung von V.1b zu einer formsuffizienten Aufforderung (V.1bƍ) bietet sich πάντες οἱ κοπιῶντες aus Mt 11,28a an. Darüber hinaus ist noch bemerkenswert, dass EvThom 90 mit ein zentrales Stichwort der matthäischen Redaktion (V.29b: πραΰς) aufnimmt147 und insofern in V.1d davon abhängig zu sein scheint. Zu Mt 11,30b läuft EvThom 90,1d nur formal, nicht aber inhaltlich parallel; nicht nur die Aussage ( gegenüber ἐλαφρόν), auch der Gegenstand des Satzes ( gegenüber φορτίον) ist hier ein anderer als dort. Mt 11,30b mit dem Stichwort φορτίον lässt sich aus dem Zusammenhang der matthäischen Polemik gegen die Pharisäer als redaktioneller Zusatz erklären, und dasselbe gilt dann auch für καὶ πεφορτισμένοι in V.28a.148 Matthäus hat das Motiv der Last, das in den weisheitlichen Traditionen hinter Mt 11,28–30 fehlt, aus der Logienquelle (Mt 23,4; Lk 11,46) hierher übernommen und die beiden Stellen mittels der von ihm ergänzten antonymen Adjektive βαρύς dort (Mt 23,4) und ἐλαφρός hier (Mt 11,30b) deutlich aufeinander bezogen.149 EvThom 90,1d zeigt sich durch die Verwendung des Prädikatsnomens „milde“ ( für griechisch πραΰς) einerseits von der matthäischen Redaktion beeinflusst;150 andererseits spielt deren 145 Vgl. Plisch, EvThom, 217. Die Notwendigkeit dieses Gliedes auch in der kürzeren Grundform des Logions übersieht Jefford (Yoke, 118–119), der Mt 11,29a–b ganz der von Sir 51,26 inspirierten matthäischen Redaktion zuschreiben möchte (ähnlich DeConick, Yoke, 283–285.289). 146 Vgl. die Zusammenstellung der Beispiele bei DeConick, Yoke, 282: Spr 1,8; 4,10.20; 5,1.7; 6,3.20; 7,1.24; 8,32; Sir 6,19; 24,19; 51,23. 147 Vgl. die Rückübersetzung von EvThom 90,1d bei Bethge, Evangelium, 540: καὶ ἡ κυριότης μου πραεῖά ἐστιν. So auch schon Bauer, Joch, 103: καὶ ἡ κυριότης μου πραειά [sic] ἐστιν. Ähnlich Kasser, EvThom, 105: καὶ πραὺς [sic] ἡ κυριότης μου. 148 Vgl. Luz, Mt 2, 199, Anm. 7. Die redaktionelle Verknüpfung von Mt 11,30b und Mt 23,4 mittels des Last-Motivs sieht auch DeConick (Yoke, 288), hält aber im Widerspruch dazu καὶ πεφορτισμένοι in Mt 11,28a für ursprünglich (ebd. 282–283.289). 149 Man beachte allerdings mit Betz (Yoke, 23), „that it is not antinomianism which replaces the burden of the Pharisaic law. Rather, the torah of Jesus is more radical than that of the Pharisees (cf. 5 17–20), and presupposes τὰ βαρύτερα τοῦ νόμου, namely, ‚justice and mercy and faithfulness‘ (23 23).“ Betz (Yoke, 24) löst diesen Widerspruch mit Blick auf Mt 25,31–46 auf: „To take the yoke of Jesus upon oneself means to do what the righteous persons do in the parable. It is an easy yoke and a light burden because they do not ‚know‘“. Eine viel einfachere Lösung steckt jedoch in Mt 11,28–30 selbst: Das Schwerere wird dem Jünger dadurch leicht, dass Jesus milde und demütig ist. 150 Dagegen hält DeConick (Yoke, 285–289) EvThom 90,1d im Gegensatz zu Mt 11,30b für

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

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antipharisäische Polemik darin keine Rolle mehr, was für einen punktuellen und wahrscheinlich indirekten Einfluss spricht.151 Der thomanischen Redaktion kam es offenbar darauf an, das vorgegebene Stichwort der Ruhe ( ) mit demjenigen der Herrschaft ( ) zu koppeln, um so über die beiden Schlussglieder d und e der Gradatio im griechischen EvThom 2 eine Brücke dorthin zu schlagen. Mit der Metapher des Joches verbindet sich die Vorstellung der Herrschaft ebenso so leicht die diejenige der Last. Allerdings konnte die Herrschaft nicht gut als „leicht“152 bezeichnet werden, was wohl der Anlass dafür war, die matthäische Charakterisierung der Person Jesu als „milde“ im Thomasevangelium passend auf seine Herrschaft zu übertragen. Nehmen wir all diese Beobachtungen zusammen, so lässt sich aus Mt 11,28–30 und EvThom 90 hypothetisch eine ursprüngliche Form des Logions rekonstruieren:153 1bƍ δεῦτε πρός με πάντες οἱ κοπιῶντες, Kommt zu mir, alle, die ihr euch abmüht, 1bα ἄρατε τὸν ζυγόν μου ἐφ’ ὑμᾶς nehmt mein Joch auf euch, 2 καὶ εὑρήσετε ἀνάπαυσιν ταῖς ψυχαῖς und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; ὑμῶν· 1c ὁ γὰρ ζυγός μου χρηστός ἐστιν. denn mein Joch ist angenehm.

In dieser Form besteht das Logion aus zwei parallelen Teilen, die ineinander verschränkt sind. Die grundlegende Aussage wird von der Einladung der Weisheit (V.1bƍ) zusammen mit der Ruhe-Verheißung154 (V.2) gebildet und könnte als solche auch für sich stehen. Diese Grundaussage wird durch die konventionelle Metapher des Joches konkretisiert (V.1bα) und begründet (V.1c). Traditionsgeschichtlich ist im Judentum das Joch der Weisheit die Tora.155 Indem Jesus als die personifizierte Weisheit spricht, wird das Joch der Weisheit zu seinem Joch. Ob ursprünglich, obwohl auch sie Mt 11,29b samt dem Stichwort πραΰς der matthäischen Redaktion zuweist. 151 Dies gilt umso mehr, als es im Thomasevangelium an anderen Stellen durchaus antipharisäische Polemik gibt (vgl. EvThom 39; 102). 152 Vgl. Mt 11,30b sahidisch: . 153 Sowohl Luz (Mt 2, 199), der ansonsten zum gleichen Ergebnis wie oben kommt, als auch DeConick (Yoke, 283.288–289) sehen in Mt 11,28b einen Teil des ursprünglichen Spruches, können damit aber nicht überzeugen. Denn während Luz es versäumt, EvThom 90 überhaupt in die Rekonstruktion miteinzubeziehen, postuliert DeConick ohne Grund einen „primitive Semitic parallelism“ (ebd. 289), der im Übrigen bei der hier erarbeiteten Grundform des Logions auch ohne κἀγὼ ἀναπαύσω ὑμᾶς gegeben ist. 154 Die semitische Ausdrucksweise ταῖς ψυχαῖς ὑμῶν, die Matthäus in der griechischen Spruchform noch beibehalten hatte, wird erst vom koptischen Übersetzer seiner Zielsprache gemäß in ein einfaches aufgelöst (vgl. Plisch, EvThom, 217; Schrage, Verhältnis, 172). Ursprünglich ist sicher der Semitismus. 155 Vgl. Luz, Mt 2, 217: „Da in Sir 24 die Weisheit mit der Tora identifiziert wurde, ist damit nichts anderes gemeint als das ‚Joch der Gebote‘ bzw. der Tora, eine verbreitete jüdische Wendung.“ Vgl. syrBar 41,3; Bill. 1, 608–609, b–c. Nun wittert Haenchen (Botschaft, 73) auch im Sirachbuch bereits Gnosis: „Hier [sc. in Sir 6,22.28] wird auf die Tora eine Weisheitsterminologie übertragen, die ihr eigentlich fremd ist und bereits seltsam gnostisch anmutet“. Diese Sicht der Dinge verwechselt aber doch Ursache und Wirkung. Die jüdische Weisheit wird nicht

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

damit seine spezifische Auslegung der Tora gemeint ist oder seine Lehre überhaupt, auch unabhängig von der Tora, ist am isolierten Spruch nicht zu entscheiden. Ersteres scheint der Ausspruch im Matthäusevangelium mindestens zu implizieren,156 Letzteres ist auf der Ebene des endredigierten Thomasevangeliums, für das die jüdische Gesetzespraxis keine Rolle mehr spielt,157 wahrscheinlich. Die formale wie inhaltliche Mitte des ganzen Spruches bildet die Verheißung der Ruhe, ohne die die beiden Aufforderungen und die Begründung unvermittelt nebeneinander stünden. Schon in der Grundform bildet also die ἀνάπαυσις den Dreh- und Angelpunkt des ganzen Spruches. Daran ändert auch das Anfügen einer zweiten Begründung (V.1d) in der Thomastradition nichts. Eine Umstellung der Verheißung von der Mitte an das Ende des Logions wäre demnach, um das Ruhe-Motiv zu betonen, nicht nötig gewesen. Dass sie dennoch erfolgt ist, lässt sich am besten aus kompositorischer Absicht erklären: Durch die Abfolge von ) und „Ruhe“ ( ) am Ende des Logions „Herrschaft“ ( wird deutlich auf die beiden Schlussglieder der Gradatio in EvThom 2 – „herr) und „ruhen“ (ἐπαναπαύεσθαι) – Bezug genommen. schen“ (βασιλεύειν / Dies muss freilich zu einem Zeitpunkt geschehen sein, an dem das Ruhe-Motiv in EvThom 2 noch nicht – wie von der koptischen Form D bezeugt – verlorengegangen war. Zusammen mit EvThom 92,1; 94,1 und ihrem Thema Suchen und Finden bildet EvThom 90 somit ein enges Geflecht von Sprüchen, das als Ganzes EvThom 2 noch einmal aufgreift und in EvThom 90–94 mit weiterem Material anreichert.158 2.2.7. Zusammenfassung Nach dieser Durchsicht der Stellen im Thomasevangelium, an denen das RuheMotiv begegnet, vermögen wir sein Fehlen im koptischen EvThom 2 nun besser zu beurteilen. Aus unseren Beobachtungen lassen sich folgende Schlüsse bezüglich der beiden erhaltenen Formen von EvThom 2 ziehen.

dadurch, das sie der christlichen Gnosis bestimmte Motive bereitstellt, selber schon gnostisch (vgl. Berger, TRE 13, 527; Markschies, Gnosis, 70–72; Wilson, TRE 13, 539). 156 Vgl. Luz, Mt 2, 218.220 157 Löhr (Tora, 379) zieht nach einer Untersuchung der in Frage kommenden Logien das eindeutige Fazit: „‚Jesus der Jude‘ ist im EvThom nicht mehr erkennbar.“ Zwar gebe es Stellen, „aus denen sich eine diskursive Umdeutung der Frömmigkeitspraktiken ergibt. Dies geschieht freilich nicht im Sinne einer Vertiefung oder einer Verbesserung der Motive ihrer Beachtung, sondern zielt auf eine Ablehnung der physisch zu vollziehenden Riten insgesamt.“ Ähnlich Popkes, Menschenbild, 59–65. 158 Dürfte man das Stichwort in EvThom 86 im Sinne der soteriologischen Kategorie der im Thomasevangelium verstehen, wäre auch jenes nahe liegende Logion zum Geflecht aus EvThom 90; 92; 94 hinzuzurechnen. Aufgrund der verbliebenen Unsicherheit bei der Bewertung von in EvThom 86 lasse ich es hier beiseite.

2.2. EvThom 2: Vom Suchen bis zum Ruhen

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a) Ohne Zweifel ist die Form C ursprünglicher als die Form D. Dafür spricht nicht nur die fast wörtliche Übereinstimmung mit der davon unabhängigen Form B, sondern auch die Verarbeitung aller fünf Glieder des C-Spruches im Thomasbuch sowie die Bezeugung der Glieder d und e in den Thomasakten und in der Zweiten Apokalypse des Jakobus. Die wohlgerundete Form der Gradatio wird in D IIId durchbrochen; gleichzeitig verliert die Suche mit der Weglassung der Ruhe ihr eigentliches Ziel. Dieser harte Eingriff in die Form kann nur inhaltlich begründet werden. b) Von den sechs in Frage kommenden Stellen mit dem Ruhe-Motiv können wir drei aus unseren hiesigen Überlegungen ausschließen, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Die Frage der Jünger in EvThom 51,1 ergibt einen weitaus einfacheren und besseren Sinn, wenn man von der emendierten Lesung ausgeht. Die fälschliche Verschreibung in im erhaltenen Manuskript lässt sich leicht durch die Erwähnung dieses Stichwortes am mit Sicherheit, Schluss von EvThom 50 erklären. In EvThom 61,1 steht in EvThom 86,2 mit hoher Wahrscheinlichkeit im alltagssprachlichen Sinne. Dagegen hat das Stichwort in EvThom 50,3; 60,6 und 90,2 stets den Wert eines soteriologischen Begriffes. c) Diese drei Stellen weisen jeweils einen deutlichen Bezug zu der Form von EvThom 2 auf, die der griechische Text bezeugt. „Bewegung und Ruhe“ (EvThom 50,3) sowie die Aufforderung, nach einem Ort der Ruhe zu suchen (EvThom 60,6), sind je für sich als Kurzformeln zu begreifen, die sich mit der Nennung von Anfang und Ziel auf den ganzen Weg beziehen, den das griechische EvThom 2 in seinen einzelnen Stufen beschreibt. Die Erwähnung von Herrschaft und Ruhe am Ende von EvThom 90 entspricht – im deutlichen Unterschied zu Mt 11,28–30 – den beiden Schlussgliedern der Gradatio von EvThom 2. Dies spricht dafür, dass EvThom 50; 60,1 und 90 ursprünglich in den Zusammenhang eines Thomasevangeliums gehörten, das EvThom 2 in der Form C des griechischen Papyrus enthielt. d) Diese Form und damit auch der größere Zusammenhang vermittels des Ruhe-Motivs ist im koptischen Thomasevangelium offensichtlich gestört. Könnte man den Schluss des koptischen EvThom 2 ( ) für sich genommen noch als versehentlichen Fehler in der Textüberlieferung einstufen, so ist dies im Zusammenhang mit dem zusätzlichen Glied mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Beides zusammen sieht viel eher danach aus, dass hier die Verstümmelung der Spruchform C verschleiert werden sollte, indem anstatt des weggefallenen Schlussgliedes ἐπαναπαήσεται in der Mitte das Staunen hinzugefügt und mit ἐπάνω πάντα ein ähnlich klingender Abschluss des Logions geschaffen wurde. Ziel dieser Operation war es offenbar, das Motiv der Ruhe aus dem für die Hermeneutik des Thomasevangelium grundlegenden EvThom 2 zu tilgen.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

e) Diese Absicht lässt sich nun am leichtesten dadurch erklären, dass ein gnostisches Missverständnis des Ruhe-Begriffs am Beginn des Thomasevangeliums ausgeschlossen werden sollte. Wie wir gesehen haben, ist der Begriff zwar an sich nicht gnostisch, begegnet aber in EvThom 50 mit der Schilderung vom Aufstieg der Seele in einem gnostischen Zusammenhang. Im Lichte von EvThom 56 mit seiner Bewertung der Welt als Leichnam ist auch EvThom 60,6 leicht gnostisch verstehbar; diese Bewertung wird jedoch in EvThom 80, wo die Welt als Leib bezeichnet wird, relativiert. In EvThom 90 steht die Ruhe als Verheißung Jesu an die Jünger wieder ohne erkennbaren gnostischen Hintergrund und schließt damit den Kreis zur orthodox verstandenen Form C von EvThom 2. Um diesen Befund richtig zu einzuordnen, muss man den offenen Charakter des Thomasevangeliums als einer Spruchsammlung beachten, welche die unterschiedlichen Verwendungen desselben Begriffes gattungsgemäß nicht harmonisiert, sondern Inkohärentes, ja sogar Inkonsistentes, nebeneinander stehen lässt. Als entscheidend für die grundlegende Hermeneutik eines Begriffs dürfen freilich die Rahmenpartien einer solchen Spruchsammlung angesehen werden; denn wie der Anfang die Voreinstellung des Lesers prägt, so das Ende den bleibenden Eindruck. So überrascht es nicht, dass EvThom 2 und EvThom 90, die sich klar aufeinander beziehen, hinsichtlich des Ruhe-Begriffes auch konkordant auslegbar sind. Von EvThom 50 über EvThom 56; 60 80 bis EvThom 90 erleben wir demgegenüber eine fortlaufende Korrektur und Reinterpretation der Ruhe-Vorstellung. Schwierig wird eine derartige Hermeneutik erst dann, wenn ein einzelner Begriff an sich problematisch geworden ist. Wie wir aus anderen Schriften, vor allem dem Evangelium Veritatis, wissen, spielt die in gnostischen Systemen eine zentrale Rolle. Man Vorstellung der kann sich vorstellen, dass der Ruhe-Begriff des Thomasevangeliums in den Sog solcher Vorstellungen geraten und in EvThom 2 deshalb getilgt worden ist, weil seine Benutzer verhindern wollten, dass die ganze Schrift von diesem Sog verschlungen wird. Was als orthodox gelten wollte, musste sich vor allem am Anfang unzweifelhaft orthodox präsentieren.159 159 Was die möglichen Benutzer des Thomasevangeliums anbelangt, verdient die Feststellung von Holze (ANAPAUSIS, 10) Beachtung, wonach „sich die Rede von der ‚Ruhe‘ bei den anachoretischen Mönchsvätern in einem geistigen Umfeld entwickelt hat, das vom gnostischen Denken beeinflußt ist. Wie weit die unmittelbaren Bezüge reichen, ist unsicher. Es ist bekannt, daß die Deckblätter, in die die Rollen von Nag Hammadi eingewickelt waren, auf direkte Zusammenhänge mit den pachomianischen Klöstern schließen lassen. Vermutlich stand bei der Sammlung der Schriften durch Mönche jedoch häresiologisches Interesse im Vordergrund, was zugleich erklärt, warum wir im pachomianischen Schrifttum kaum Hinweise auf die ἀνάπαυσις finden.“ Häresiologisches Interesse vermuten auch schon Säve-Söderbergh (Traditions, 553) und Barns (Covers, 60). Aus den unterschiedlichen Sprachgewohnheiten der Schriftstücke, die in den Einbänden der Nag-Hammadi-Codices verarbeitet wurden, einerseits und der darin enthaltenen Schriften andererseits schließt Barns (Covers, 15) auf einen konservatorischen Zweck der Sammlung: „Departures from Saǥidic standard [sc. in den Einbandtexten] are no doubt due to the influence of local dialect, but most of them can be accounted for as mere vulgar spellings.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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f) Im Zuge dieser Tilgung ist umgekehrt der Schlussteil des Thomasevangeliums um EvThom 92,1 und 94,1 erweitert worden. Jedenfalls fügt sich die wiederholte Betonung dessen, dass das Suchen mit dem Finden ans Ziel kommt, gut zur Streichung der Ruhe als Ziel der Suchbewegung in EvThom 2. Das Finden hat nicht mehr den vorläufigen und ambivalenten Sinn wie in EvThom 2, sondern wird als sicher verheißener Zielpunkt der Suchbewegung wie bei den Synoptikern eindeutig positiv konnotiert. Dazu passt dann auch die Einfügung des Staunens in die Form D von EvThom 2, die das Erschrecken, welches das Finden auslöst, durch das folgende Staunen abmildert.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger 2.3.1. Ziehen und Führen Im eingangs genannten Subjekt οἱ ἕλκοντες ἡμᾶς in Pap Ox 654,10 kommen zwei Textschwierigkeiten zusammen. Die eine ist leicht zu lösen: Einhellig wird ἡμᾶς für ein Versehen des Schreibers gehalten und in ὑμᾶς verbessert, das im Zusammenhang einzig sinnvoll ist. Jesus schließt sich selber nicht in die Aussage mit ein, sondern spricht ausschließlich seine Jünger an, was durch die folgenden Formen des Personalpronomens in der 2. Person Plural sicher belegt ist (Z.15: ὑμᾶς; Z.16: ὑμῶν; Z.19.21: ὑμεῖς). Im koptischen Text EvThom 3,1 steht folge. richtig

This contrasts oddly with the contents of the codices themselves, whose dialect varies between Saǥidic and Sub-Akhmimic. It looks as if their scribes reproduced texts exactly as they found them, without attempting to adapt them to their own linguistic standard. It would perhaps be not too bold to see an analogy to this in their theological attitude.“ Wem diese Schlussfolgerung nun doch zu kühn erscheint, der kann mit Markschies (Gnosis, 54–55) vermuten, „daß die Bücher im Auftrag eines Klosters angefertigt oder mindestens erworben worden sind und zu einem späteren Zeitpunkt aus der Klosterbibliothek als häretisches Schrifttum ausgesondert und in einem Krug vergraben wurden. Man kann sich also durchaus vorstellen, daß einzelne Werke aus der Bibliothek von Nag Hammadi in Kreisen des ägyptischen Mönchtums nicht nur mit Abscheu, sondern durchaus mit geistlichem Gewinn gelesen wurden.“ Unter dieser Voraussetzung ist es dann auch möglich, dass das Thomasevangelium in den genannten Kreisen Veränderungen erfahren hat, die es zum eigenen geistlichen Gebrauch überhaupt erst geeignet erscheinen ließen. Die Streichung des Ruhe-Motivs im koptischen EvThom 2 könnte eine solche Änderung, motiviert durch den Vorbehalt der pachomianischen Mönche gegen den in ihren Augen gnostisch besetzten ἀνάπαυσις-Begriff, darstellen. Derartige Schlussfolgerungen gehen weit über den Skopus der hiesigen Studie hinaus. Sie zeigen aber immerhin, dass sich für die antignostische Absicht bei der Tilgung des Ruhe-Motivs in EvThom 2, die der Textvergleich und der sonstige Gebrauch des Ruhe-Begriffs im Thomasevangelium plausibel gemacht haben, ein möglicher Sitz im Leben durchaus finden lässt. Ob die Änderung tatsächlich in einem pachomianischen Kloster unter den genannten Bedingungen vorgenommen wurde, muss nach allem, was wir wissen, dennoch offen bleiben (vgl. Popkes, Menschenbild, 119).

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Schwieriger ist im Kontext das Verständnis des Verbs ἕλκειν und seiner Übersetzung =.160 Die einfachen Verben ἕλκειν und haben ihre Grundbedeutung „ziehen, schleppen“ gemeinsam. Das ist wohl auch der Grund, weshalb Attridge an dieser Stelle keinen Unterschied zwischen den beiden Textfassungen vermerkt,161 obwohl ein solcher tatsächlich gegeben ist. Die Verbindung mit der Präposition = verändert nämlich den Sinn von ganz wesentlich, so dass man = mit „vorangehen, führen“ wiedergeben muss.162 Diese Bedeutung kann aber ἕλκειν keineswegs annehmen,163 weshalb J. Hartenstein und U.-K. Plisch in ihrer Rückübersetzung des koptischen den griechischen Ausdruck οἱ ἡγούμενοι ὑμᾶς wählen.164 Auch die ohnehin zweifelhafte Übersetzung von ἕλκειν mit „verführen“165 hilft hier nicht weiter, weil der Unterschied zum koptischen = dabei bestehen bleibt. So kommt man nicht umhin festzustellen, dass wir es in EvThom 3,1 nicht nur mit einer textlichen, sondern auch mit einer inhaltlichen Variante tun haben: Pap Ox 654,10 meint mit οἱ ἕλκοντες ὑμᾶς „diejenigen, die euch ziehen“, „diejenigen, die euch der koptische Text dagegen mit führen“. Während letzteres einen annehmbaren Sinn ergibt, bleibt ersteres auf Anhieb rätselhaft. Was für eine Art von Ziehen ist im griechischen Text gemeint? Aufschlussreich sind dafür einige Stellen in der paganen Literatur, aber auch im Johannesevangelium und EvThom 114.166 Zunächst finden wir unseren Vorbehalt dagegen, ἕλκειν mit „führen“ zu übersetzen, eindrucksvoll bestätigt. Ein

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Vgl. ausführlich zu diesem Problem Eisele, Ziehen. Vgl. Attridge, Fragments, 100. 162 Vgl. Crum, Dictionary, s. v. ; Westendorf, Handwörterbuch, s.v ; Garitte, Apocryphe, 159: „[L]e tout forme un idiotisme copte, pas très fréquent, mais de sens très clair: il signifie ‚marcher en tête, conduire, mener‘“. Schüngel (Neuübersetzung, 275) hält das in EvThom 3,1 für einen „alten Vokabelfehler“, obwohl manche ältere Übersetzungen = in EvThom 3,1 unter dem Einfluss von Pap Ox 654,10 fälschlich mit „ziehen“ wiedergeben; so Leipoldt, Neues Evangelium, 482; ders., Thomas-Evangelium, 10; Garitte, Édition, 69: „qui trahunt vos“; Fitzmyer, Oxyrhynchus, 375: „those who draw you on“ oder alternativ „those who go before you“. 163 Erst die Entdeckung der koptischen Version des Spruches hat dazu verleitet, ἕλκειν in Pap Ox 654,10 mit „führen“ zu übersetzen (vgl. die Übersicht über die älteren Übersetzungen bei Garitte, Apocryphe, 156–158). Die sahidische Übersetzung des Neuen Testaments gibt aber z. B. an keiner Stelle ἕλκειν bzw. das gleichbedeutende ἑλκύειν mit =, sondern stets mit einfachem wieder (vgl. Joh, 6,44; 12,32; 21,6; Apg 16,19; 21,30; Jak 2,6), außer in Joh 18,10, wo das synonyme steht. Auch in meiner breiter angelegten Studie (Eisele, Ziehen, 389–401.414) konnte ich keine Stelle finden, an der ἕλκειν/ἑλκύειν angemessen mit „führen“ zu übersetzen wäre. 164 In Aland, Synopsis, 519; ebenso Garitte, Apocryphe, 159. 165 Vgl. Bauer/Aland, Wörterbuch, s. v. ἕλκω; Fieger, EvThom, 25; Lührmann, Fragmente, 114; Nordsieck, EvThom, 41; Schüngel, Neuübersetzung, 276. Die von Haenchen (Literatur, 157–158) bemühten Belege (Lysias Or 1,12; Plat Resp 458d) können die Bedeutung „verführen“ nicht stützen (vgl. Eisele, Ziehen, 388–389, außerdem ebd. 401–403 zu Hld 1,4). 166 Vgl. dazu ausführlich Eisele, Ziehen, 388–393.403–412. 161

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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Ausspruch des Stoikers Kleanthes167, der von Seneca zitiert wird, bringt den Gegensatz zwischen Ziehen und Führen auf den Punkt: „Es führen den Willigen die Schicksalsfügungen, den Unwilligen ziehen sie“ (ducunt volentem fata, nolentem trahunt)168. Dass hinter dem lateinischen ducere das griechische ἄγειν steht, geht aus demselben Zitat bei Epiktet169, das vor der hier angeführten Schlusssentenz leider abbricht, immerhin hervor; hinter trahere darf man ἕλκειν beim Griechen Kleanthes füglich vermuten. Der Gegensatz besteht demnach für den Griechen wie für den Römer nicht nur in der Sache, sondern auch im Begriff, und widerrät einer Übersetzung von ἕλκειν mit seinem genauen semantischen Gegenteil „führen“, zumal die Sentenz eine in der Antike weit verbreitete Auffassung zum Ausdruck bringt.170 So bleibt die Frage bestehen, was ἕλκειν in EvThom 3,1 zu bedeuten hat. Nach Platon liegt sowohl in der logischen Einsicht als auch in der erotischen Attraktivität ein Zwang, der geeignet ist „zum Überreden und zum Ziehen“ (πρὸς τὸ πείθειν τε καὶ ἕλκειν)171. An einer anderen Stelle berichtet Sokrates von einem anstrengenden Gespräch, in dem sich sein Gegenüber nur überzeugen ließ, „indem er gezogen wurde und mit Mühe“ (ἑλκόμενος καὶ μόγις)172. Sokrates kann aber auch ironisch von sich selbst sagen, dass er „auf und ab die Worte zieht“ (ἄνω κάτω τοὺς λόγους ἕλκῃ)173, anstatt schnurstracks auf das Ziel seiner Argumentation zuzugehen. Lukians Hermotimos wird vorgeworfen, er habe sich vorschnell einem Stoiker angeschlossen, der ihn und andere womöglich „an der Nase herumgeführt hat“ (εἵλκεν ὑμᾶς τῆς ῥινός)174, anstatt kritisch zu prüfen, ob seinen Lehren zu trauen sei. Noch näher liegen einige Stellen aus der Jesusüberlieferung.175 Im Herrenwort176 aus Joh 6,44–45 entspricht dem Ziehen des Vaters, durch das man allein zu Jesus kommen kann, das Hören und Lernen auf Seiten der Menschen. Der Vater zieht also den Menschen, indem er zu ihm spricht und ihn belehrt.177 Insofern Jesus selbst das Wort Gottes ist, zieht auch er selbst die Menschen an sich (Joh 12,32), und zwar historisch konkret als fleischgewordenes und gekreuzigtes Wort Gottes. Dieses wird im Evangelium verkündet, wodurch sich das Ziehen Gottes durch Wort und Lehre in der Geschichte fortsetzt.178 Ein ähnliches Motiv findet 167

Vgl. SVF 1,527. Sen Ep 107,11. 169 Vgl. Epict Ench 53; Diss II 23,42; III 22,95; IV 1,131; IV 4,34. 170 Vgl. Rosenbach, Seneca 4, 633, Anm. 19: „[D]er letzte Vers war schon im Altertum berühmt“. 171 Plat Resp 458d. 172 Plat Resp 350d. 173 Plat Theaet 195c. 174 Luc Hermot 73. 175 Vgl. dagegen Rüstow, Deutung, 223: „Bei den ἕλκοντες Zeile 10 ist natürlich nicht etwa an Joh 6 44 und 12 32 zu denken“. Warum nicht? 176 Vgl. die Rekonstruktion von Theobald, Gezogen, 321 und ders., Herrenworte, 26–27. 177 Vgl. Wengst, Joh 1, 243–245. 178 Vgl. Thyen, Joh, 361–362. 168

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

sich auch in EvThom 114, welches zusammen mit dem Incipit und EvThom 1 die ganze Schrift rahmt:179 Der „lebendige Jesus“ ( ) zieht Maria durch „die verborgenen Worte“ ( ), welche im Thomasevangelium aufgeschrieben sind, damit auch sie „ein lebendiger Geist“ ( ) wird.180 Dieser knappe Überblick zeigt: An allen genannten Stellen steht ἕλκειν in einem engen Zusammenhang mit πείθειν und διδάσκειν. Das Ziehen, von dem hier die Rede ist, geschieht durch das Wort; es handelt sich um Überzeugungsarbeit und Lehrtätigkeit. Das ergibt nun auch im griechischen EvThom 3,1 einen guten Sinn: Obwohl wir nicht wissen, wer die ἕλκοντες sind und in welcher Absicht sie ihr ἕλκειν betreiben, wird doch deutlich, dass sie es mit Worten tun, indem sie sagen, das Reich befinde sich im Himmel oder unter der Erde. Ihr Ziehen vollzieht sich darin, dass sie die Jünger von einer bestimmten Meinung über den Ort des Reiches zu überzeugen versuchen. So kann man οἱ ἕλκοντες ὑμᾶς sinngemäß mit „diejenigen, die euch zu überzeugen versuchen“ übersetzen.181 In welchem sozialen Verhältnis sie zu den Jüngern stehen, bleibt damit in der griechischen klar Version offen, während sie in der koptischen durch als deren Anführer bezeichnet werden. 2.3.2. Unter der Erde und im Meer Im Fortgang des Logions stellt die Ortsangabe ὑπὸ τὴν γήν in Pap Ox 654,13 gegenüber dem koptischen Text von EvThom 3,2 eine Variante beziehungsweise eine Ergänzung dar. Die Wendung selbst ist sicher belegt, ihre Einordnung in den Satz und damit ihre überlieferungsgeschichtliche Bewertung verändert sich jedoch mit der jeweiligen Rekonstruktion der Textlücken. In der Lesart von Attridge, der darin weitgehend Fitzmyer und Marcovich folgt, steht , das der ὑπὸ τὴν γήν als inhaltliche Variante an der Stelle von koptische Text bietet.182 Attridge ergänzt in Z.13 ein εἰσελεύσονται, das man vom koptischen Text her nicht annehmen müsste, das er aber braucht, um die Textlücke semantisch und syntaktisch sinnvoll zu füllen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, mit Hofius ὑπὸ τὴν γήν nicht als Variante, sondern als Ergänzung aufzufassen und den Satz Pap Ox 654,12–15 zum koptischen 179

Vgl. Lelyveld, Logia, 132–143. Vgl. Buckley, Interpretation, 246: „So, the hierarchy of salvation here is: female → male → ‚living spirit‘.“ Es geht in EvThom 114 also letztlich nicht darum, dass Maria männlich werden muss, um sich des Lebens würdig zu erweisen, sondern dass sie ein lebendiger Geist wird. Insofern zielt EvThom 114 auf nichts anderes als EvThom 22,5, nämlich die Überwindung der Geschlechterdifferenz; vgl. Petersen, Weiblichkeit, 174–175.296; DeConick, Seek, 18–20; Grant / Freedman, Worte, 180–181; Meyer, Mary, 562.567; Nordsieck, EvThom, 387–388; dagegen Marjanen, Disciples, 101–104; Vielhauer, Hintergrund, 298; Zöckler, Lehren, 232. 181 Vgl. Eisele, Ziehen, 413–415. 182 Vgl. Attridge, Fragments, 100 (Nr. 15).114. 180

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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folgendermaßen wiederherzustellen: ἐὰν λέγωσιν ὑμῖν ὅτι ὑπὸ τὴν γήν ἐστιν ἢ ἐν τῇ θαλάσσῃ, οἱ ἰχθύες τῆς θαλάσσης ἔσονται φθάνοντες ὑμᾶς.183 Hofius füllt die fragliche Textlücke mit einer alternativen Ortsangabe, die durch „oder“ angeschlossen wird und der koptischen Ortsangabe entspricht. Dadurch wird das griechische ὑπὸ τὴν γήν gegenüber dem koptischen Text überschüssig. Inhaltlich ergibt sich daraus insofern kein Unterschied, als es in jedem Fall darum geht, die für den Menschen aus eigener Kraft unerreichbaren Grenzen seiner Lebenswelt anzugeben. In der konkreten Vorstellung, die freilich nur angedeutet wird, treten aber doch unterschiedliche Züge des antiken Weltbildes in den beiden Spruchfassungen hervor. Im Hintergrund des koptischen Spruches wird dabei eine Vorstellung erkennbar, die ihre nächste Parallele in Dtn 30,12–13 hat: Dtn 30,11–14 Wie das Gebot, so ist auch das Reich Gottes ġľˏċċ ú ûČĝó ˕÷ ċú „nicht im Himmel“ ćČċĔ ÷ ÷Đĕú ˅û Ĉă ú ćē „und nicht jenseits des Meeres“ bzw. „im ćČċĔ ÷ ûˑēğ ú Ĉù ęø ĕĀă ø ćē óČ Meer“, sondern „ganz nahe ist dir das Wort, in deinem ğĈû ˌû ċŀĐ ú ēù ćĈ˟ğ ø Ğû ĀĐ˓÷ Mund und in deinem Herzen, damit du es tust“, ŀĈó Ĉû ēó ĈˎŀĐ ÷ ě÷ ˊĊü ó ćĕó und ebenso „das Reich innerhalb von euch und ˟ġü ˄ęõ ēú außerhalb von euch“.

EvThom 3,1–3

Dtn 30,11–14 „offenbart die beiden Richtungen, in denen das kosmologische Denken das Jenseits, den Bereich Gottes sucht: Horizontal gesehen, liegt dieser Bereich jenseits des Meeres, das die Erdscheibe umringt; vertikal gesehen, liegt Gottes Himmel hoch über der Erde. Dementsprechend lassen sich zwei einander ergänzende Darstellungsweisen unterscheiden: eine vertikale Kosmographie (1) und eine horizontale Geographie (2)“184. Beide komplementären Vorstellungen stehen auch im Hintergrund des koptischen EvThom 3,1–3. Dadurch bekommt diese Sprucheinheit einen spezifischen Sinn: Wäre das Reich im Himmel oder im Meer185, müsste man es als eine rein jenseitige Größe betrachten, und auf dem Weg dorthin kämen den Jüngern immer die Himmels- und die Meeresbewohner zuvor. Es ist aber, zumindest auch, eine diesseitige Wirklichkeit mit einem klaren Bezug auf die Jünger; soviel macht die Formulierung, dass es innerhalb und außerhalb von ihnen zu finden sei, jedenfalls klar. Bevor wir uns jedoch EvThom 3,3 noch eigens zuwenden, ist die griechische Form von EvThom 3,2 zu klären. Die hier an der Stelle des koptischen gebotene Ortsangabe ὑπὸ τὴν γήν hat von jeher für Verwunderung gesorgt, die Rüstow exemplarisch auf den Punkt bringt: „Was die Fische des 183

Hofius, Thomasevangelium, 30. Lang, NBL 3, 1098; vgl. ebd. 1099–1102 die Abb. 27 und 28; Oeming, TRE 35, 572–578. 185 Dazu richtig Glasson, Deuteronomy, 152: „Dt 30 admittedly speaks of going ‚beyond the sea‘; but this is not a serious difficulty. The writer was not making an exact quotation but was drawing upon the general idea.“ 184

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Meeres unter der Erde zu suchen haben, bleibt freilich unklar.“186 Dieser Schwierigkeit begegnet Marcovich mit der Annahme eines ursprünglich hebräisch verfassten Spruches, der in der Überlieferung des griechischen bzw. koptischen Zeugen jeweils unterschiedlich übersetzt worden sei: „But I think all the difficulties disappear if we bear in mind that the Hebrew word tehōm (Ĕ˟ċ˞ó ), which implies both ‚a bottomless pit‘ or ‚a great deep‘, and ‚ocean‘ or ‚floods of water‘, is usually translated in the LXX either as ἄβυσσος or as θάλασσα. Thus O [i. e. Pap Ox 654] translated tehōm as ‚underworld, the depth of the earth‘, and C [i. e. NHC II,2] as ‚sea‘. They both followed the polarity idea: heaven-earth (as in Deut. 30:12–13; Ps 106:26; Rom 10:6–7), and nothing is missing in C.“187 Marcovich hat insofern recht, als der Zweigliedrigkeit der Fremdaussage in EvThom 3,1–2 eine wie auch immer geartete Bipolarität der Ortsangaben besser entspricht als die dreifache Ortsbestimmung ἐν οὐρανῷ und ὑπὸ τὴν γήν ἢ ἐν τῇ θαλάσσῃ nach Hofius. Er sieht auch richtig, dass der griechische und der koptische Text den zweiten Pol je unterschiedlich bestimmen. Kommt dabei in und neben der vertikalen auch die horizontale Dimension zum Tragen, lässt es ὑπὸ τὴν γήν als Gegenpol zu ἐν οὐρανῷ bei der Vertikalen bewenden. In dieser Hinsicht steht das griechische EvThom 3,2 dann jedoch der Textform in Röm 10,7 näher als derjenigen in Dtn 30,13, und zwar auch im Vergleich mit der Septuaginta-Fassung, die an dieser Stelle den hebräischen Text genau übersetzt und sich in Bar 3,30 spiegelt: Dtn 30,13 LXX: τίς διαπεράσει ἡμῖν εἰς τὸ πέραν τῆς θαλάσσης; Bar 3,30: τίς διέβη πέραν τῆς θαλάσσης καὶ εὗρεν αὐτήν [sc. σοφίαν / φρόνησιν]; Röm 10,7: τίς καταβήσεται εἰς τὴν ἄβυσσον; τοῦτ’ ἔστιν Χριστὸν ἐκ νεκρῶν ἀναγαγεῖν. EvThom 3,2: ὑπὸ τὴν γήν ἐστιν.

Deutlich wird der Unterschied indes nicht nur in den Ortsangaben, sondern auch in der unterschiedlichen Wahl der Verben. Außer den genannten Stellen ist hier auch Ps 71,20 von Interesse: Dtn 30,13: Bar 3,30: Ps 71,20: Ps 107,26: 186

Meer ( Ĕ ûĐ/ θάλασσα) Meer (θάλασσα) Tiefen ( ġ˟ĕ˟ċ˞ó / ἄβυσσοι) Tiefen ( ġ˟ĕ˟ċ˞ó /ἄβυσσοι)

überqueren ( ğĈę/διαπερᾶν) überqueren (διαβαίνειν) heraufführen (ċēę im Hifǥil /ἀνάγειν) hinabsteigen (ĊğĐ/καταβαίνειν)

Rüstow, Deutung, 223. Marcovich, Criticism, 59. Im Begriff der Ĕ˟ċ˞ó kreuzen sich also vertikale Kosmosgraphie und horizontale Geographie; vgl. Westermann, THAT6 2, 1028: „tehōm bedeutet ‚Flut‘ oder ‚Wasserflut‘ und bezeichnet entsprechend dem alten Weltbild meistens den Ozean rings um die Erde und unter der Erde“; außerdem Koehler/Baumgartner, Lexikon, s. v.; Waschke, ThWAT 8, 564. Alle drei führen das hebräische Nomen Ĕ˟ċ˞ó auf die gemeinsemitische Wurzel *tihām(at) mit der Grundbedeutung „Meer“ zurück. Während das hebräische Ĕ˟ċ˞ó nach Westermann (ebd. 1028) zuvörderst ein „Naturphänomen“ bezeichnet, ist nach Waschke „eine mythische Dimension“ (ebd. 564) als „Wasser der Urzeit“ (ebd. 566) stets mitgegeben. 187

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

Röm 10,7:

Tiefe (ἄβυσσος)

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hinabsteigen (καταβαίνειν) heraufführen (ἀνάγειν)

Bei aller Ähnlichkeit des Motivhintergrundes treten die unterschiedlichen Akzentuierungen doch deutlich hervor. Dtn 30,11–14, Bar 3,29–30 und das koptische EvThom 3,1–2 vermessen die Vertikale ihres Weltbildes nur nach oben; ) ist durch die dazugehörigen das Stichwort „Meer“ (Ĕ ûĐ/θάλασσα / Bewegungsverben mit ihrer semantischen Schnittmenge „überqueren“ deutlich als ein Begriff der Horizontale gekennzeichnet. Dadurch entsteht in diesen Texten eine zweifache Suchbewegung, die stets den traditionellen Bereich Gottes in unerreichbarer Höhe und Weite zum Ziel hat. Statt vom Meer spricht Paulus in Röm 10,6–7 jedoch von der „Tiefe“. Mit der Verwendung der Übersetzung ἄβυσσος entfällt bei ihm – wie in Ps 71,20; 107,26 – die horizontale Perspektive, welche an den Psalmstellen zumindest in dem hebräischen Begriff Ĕ˟ċ˞ó noch enthalten, wenn auch im Kontext nicht akzentuiert war.188 Im Gegenzug zieht Röm 10,6–7 die Vertikale des aus Dtn 30,11–14 übernommenen Weltbildes nicht nur nach oben, sondern auch nach unten aus. Ziel der Suchbewegung ist damit nicht mehr nur der Bereich Gottes, wohin man hinaufsteigen (ἀναβαίνειν) und Christus herabführen (κατάγειν) müsste, sondern auch die widergöttliche Unterwelt als Aufenthaltsort der Toten,189 wohin man hinabzusteigen und Christus heraufzuführen hätte. Diese Vertikale mit ihren kosmologisch-eschatologisch qualifizierten Enden, die durch keine Horizontale ergänzt wird, prägt auch das Bild im griechischen EvThom 3,1–2. Dabei entspricht die Ortsbestimmung ὑπὸ τὴν γήν dann nicht nur ἄβυσσος und Ĕ˟ċ˞ó , sondern weist in Anlehnung an Röm 10,7 auch auf den Ort des Totenreiches (ē˟ć˃ó „Scheol“/Ἅιδης „Hades“190) und gewinnt so innerhalb der vertikalen Kosmographie des Spruches einen guten Sinn. Denn „še’ōl ‚Unterwelt‘ und šāmájim ‚Himmel‘ können gegensätzlich parallelisiert werden, um die untersten und obersten Bereiche des Kosmos zu bezeichnen“191. Dies ist hier offenbar der Fall. „Was die Fische des Meeres unter der Erde zu suchen haben“192, ist dann außerdem leicht zu beantworten: „Nach israelit[ischem] Weltbild liegt die Scheol unter dem unterirdischen Ozean, auf 188 Übernommen wird also nur der in Ĕ˟ċ˞ó enthaltene Aspekt der unergründlichen Tiefe (vgl. Westermann, THAT6 2, 1029); nur darin entspricht der hebräische Begriff der eigentlichen Bedeutung des griechischen Nomens ἄβυσσος, welches umgekehrt den horizontalen Aspekt von Ĕ˟ċ˞ó nicht enthält. Beide Aspekte sind in dem Ausdruck ἄβυσσον πέλαγος (Aesch Suppl 470) kombiniert: Während πέλαγος die „Meeresfläche“ bezeichnet und etymologisch mit πλάξ („Platte, Tafel, Fläche“) verwandt ist, meint ἄβυσσος die „abgründige Tiefe“ (vgl. Gemoll/ Vretska, Handwörterbuch, s. v.; Menge, Großwörterbuch, s.v). 189 Vgl. Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v. ἄβυσσος, 2. 190 Freilich umfasst die Vorstellung vom Hades nicht nur einen vertikalen, sondern auch einen horizontalen Aspekt; vgl. dazu etwa Bremmer, DNP 5, 51: „Bei Homer liegt H[ades] unter der Welt, aber man erreicht ihn auch, wenn man ans W[est]-Ende der Erde fährt, d. h. hier treffen verschiedene Unterweltsvorstellungen zusammen“. 191 Gerlemann, THAT6 2, 840. 192 Rüstow, Deutung, 223.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

dem die Erdscheibe schwimmt (vgl. Ijob 26,5; 38,16 f.). Der Weg dorthin geht also durch tiefe Wasser hindurch.“193 Man beachte indes, dass die tiefen Wasser unter der Erde demnach selbst noch nicht zur Scheol gehören. Nur so ist es möglich, darin lebendige Fische zu vermuten. Denn die Scheol ist ein Ort, „wo man postmortal in einem völligen Dämmerzustand verweilt, in Form eines absolut geminderten Seins“194. Ein solches Verständnis der Ortsbestimmung ὑπὸ τὴν γήν begegnet jedoch gewissen Vorbehalten. Gegenüber dem in Röm 10,7 christologisch-soteriologisch aufgeladenen Begriff ἄβυσσος wirkt die kosmologische Angabe ὑπὸ τὴν γήν vergleichsweise harmlos. Die Entsprechung zwischen beiden liegt ausschließlich auf der Ebene einer äußerlichen Lokalisierung irgendwo tief unten. Den für Paulus zentralen Aspekt der existentiellen Bodenlosigkeit, den der Begriff ἄβυσσος als Bezeichnung für das Totenreich transportiert, bringt das schlichte ὑπὸ τὴν γήν keinesfalls zum Ausdruck. Einschlägig ist die Parallele zwischen dem griechischen EvThom 3,2 und Röm 10,7 demnach nur bei einer oberflächlichen Betrachtung. Dazu kommt, dass die Vorstellung, die unterirdischen Wasser wimmelten von Fischen, auf Anhieb so ungewöhnlich erscheint, dass man darauf nicht ohne Weiteres eine Rekonstruktion und Interpretation von EvThom 3,2 gründen möchte. Im Text selbst werden sie „die Fische des Meeres“ (οἱ ἰχθύες τῆς θαλά[σσης]) genannt, wobei kein Zweifel daran bestehen kann, dass der erhaltene Wortanfang θαλα- im Zusammenhang tatsächlich zum Genitiv Singular von θάλασσα vervollständigt werden muss.195 Freilich wird die Schwierigkeit dadurch noch vergrößert; denn θάλασσα bezeichnet nach allem Gesagten nicht die unterirdischen Wasser, sondern das oberirdische Meer. Selbst wenn man gewillt ist, im Wasser unter der Erde Fische zu vermuten, weshalb trifft man dort unten dann die Fische des oberirdischen Meeres an? Dieser Befund befremdet dadurch noch mehr, dass das Genitivattribut τῆς θαλάσσης nur im griechischen Text steht, wo es sich mit der Ortsangabe ὑπὸ τὴν γήν reibt, 193 Wächter, ThWAT 7, 904. Man beachte, dass die tiefen Wasser unter der Erde demnach selbst noch nicht zur Scheol gehören. 194 Oeming, TRE 35, 578. Letzteres gilt für die Unterwelt auch nach den gängigen griechischen Vorstellungen. Allerdings gehören hier die verschiedenen Flüsse und Seen, einschließlich dem Grenzfluss Styx, bereits zur Unterwelt dazu, weshalb sie als Aufenthaltsort für lebendige Fische schlechterdings nicht in Frage kommen. Vgl. Bremmer, DNP 5, 51–53; Eisele, Jenseitsmythen, 316–325; Johnston, DNP 12/1, 1015–1017. 195 Erwähnt sei immerhin, dass sich θαλα- auch zur Genitivform θαλάμης ergänzen ließe. Das Substantiv θαλάμη bedeutet „Schlupfwinkel, Höhle, Lager, Aufenthalt eines Thieres […]; bes[onders] von Fischen u[nd] Schalthieren“ (Passow, Handwörterbuch, s. v.; ebenso Liddell/ Scott, Lexicon, s. v.; vgl. dort die Belege: Arist. HA 535a17.549b32.599b15.621b9; Eur Phoen 931; Hom Od 5,432; Numen. ap. Ath. 7,315b). An den aufgeführten Stellen wird θαλάμη indes immer in ganz spezifischen Zusammenhängen gebraucht (z. B. Laich-, Jagd- oder Schutzverhalten einzelner Fischarten), was bei der allgemeinen Erwähnung der Fische in EvThom 3,2 sicher nicht der Fall ist. Zusammen mit τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ ist οἱ ἰχθύες τῆς θαλάσσης daher ungleich wahrscheinlicher (s. u.).

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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während Entsprechendes im koptischen Text fehlt.196 Dabei würde zur Ortsangabe nicht nur ebenso gut passen wie „die Vögel des Himmels“ ( ) zur Ortsangabe „im Himmel“ ( ), sondern zugleich die Symmetrie in der Bezeichnung der Subjekte, die den griechischen Spruch in EvThom 3,1–2 gerundeter erscheinen lässt, im koptischen allererst herstellen. Angesichts der aufgezeigten Probleme reicht der oft gegebene, undifferenzierte Hinweis auf die Motivparallelen in Dtn 30,11–14 und Röm 10,6–7 keineswegs aus, um zu einem befriedigenden Verständnis der beiden Textfassungen je für sich und in ihrem wechselseitigen Verhältnis zueinander zu gelangen. Andererseits spielt die alttestamentliche Stelle, die zu einem guten Verständnis des griechischen EvThom 3,2 entscheidend beizutragen vermag, in der bisherigen Diskussion gar keine Rolle. Im Rahmen einer breit angelegten Paränese zum Bilderverbot wird in Dtn 4,16–18 aufgezählt, wovon sich die angeredeten Israeliten im Einzelnen kein Abbild machen sollen. Dabei nennt V.18b Ĝğˈ ù ēġ û Ďú ˞ú ĕĔ ÷ ÷Đ˕ú ˊĀğ ú ˃ù ćċ õ ûĉˌĀē û ˓ġĐ û ÷ėĈó ˞ú „das Abbild von jedwedem Fisch, der im Wasser unter der Erde (ist)“; ὁμοίωμα παντὸς ἰχθύος, ὅσα ἐστὶν ἐν τοῖς ὕδασιν ὑποκάτω τῆς γῆς „das Abbild von jedwedem Fisch, was immer in den Wassern unter der Erde ist“.

Ist diese Stelle im Alten Testament auch singulär, so belegt sie doch unbestreitbar die Vorstellung von Fischen, die im Wasser unter der Erde leben. Diese Tatsache bleibt bestehen, auch wenn sie den Auslegern Schwierigkeiten bereitet, wie man beispielhaft an L. Perlitts Kommentar ersehen kann: „Die Fische werden hier nicht nur im Wasser lokalisiert, sondern ‚im Wasser unter der Erde‘ (V[ulgata] qui sub terra morantur in aquis). Der seltsame Ausdruck ist wohl aus [Dtn] 5,8bβ (= Ex 20,4) übernommen. Dort steht die Dreiteilung ‚am Himmel, auf Erden, im Wasser unter der Erde‘ ohne konkrete Zuordnung von Tieren, während hier die weltbildliche Vorstellung, daß die Fische ‚unter der Erde‘ schwimmen, absurd ist.“197 Diese Auskunft kann keineswegs befriedigen, zumal es keine textkritischen Hinweise darauf gibt, dass frühere Abschreiber und Übersetzer den Text als unsinnig empfunden und deshalb abgeändert hätten.198 Offenbar konnten sie 196 Diesen Unterschied versäumt Attridge (Fragments, 99–101) zu notieren. Nachdem er den Textunterschied zwischen ὑπὸ τὴν γήν und festgestellt hat, müsste er das Genitivattribut τῆς θαλά[σσης] als längeren Text des griechischen Zeugen aufführen. Andererseits wäre zu überlegen, ob man nicht das vermisste im vorhandenen , wenn auch in anderer Funktion, verwertet sehen soll. Dann müsste man umgekehrt ὑπὸ τὴν γήν als längeren griechischen Text ausweisen. 197 Perlitt, Dtn, 329. Ob das Bilderverbot des Dekalogs in Dtn 5,8 die Form von Dtn 4,17–18 bestimmt hat oder umgekehrt von dieser beeinflusst wurde, wie z. B. Köckert (Gebote, 43.60) meint, ist für unsere Zwecke ohne Belang. 198 Die Peshitta liest in Dtn 4,18b zwar („das Abbild jeglicher Fische im Meer unter der Erde“), hat also („Meer“) für Ĕ ÷Đĕú /ὕδατα; sie macht aber

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

sich vorstellen, dass im unterirdischen Ozean auch Fische leben. Wenn es unter der Erde Wasser gibt, und wenn das Wasser der oberirdischen Meere und Flüsse daraus hervorströmt, wieso sollten dann im Wasser unter der Erde nicht auch Fische leben? Die Scheol, falls sie an dieser Stelle überhaupt mitgedacht ist, käme ja ohnehin erst darunter. Einen Hinweis auf vergleichbare Vorstellungen geben außerdem vorderasiatische Rollsiegel, auf denen der Gott Enki/Ea dargestellt ist, umgeben von Wasserströmen, in denen Fische schwimmen.199 „Dieser Gott ist nun der Herr der Süßwasser, die im mesopotamischen Weltbild unter der begehbaren Erde sich befinden und aus denen sich Quellen und Flüsse speisen. Die Möglichkeit, dass eine Vorstellung bestand, dass auch in diesen unterirdischen Wassern Fische lebten, ist nicht von der Hand zu weisen.“200 Von diesen unterirdischen Wassern ist der Herrschaftsbereich des Gottes Ea, der babylonische abzû, welcher der hebräischen Ĕ˟ċ˞ó entspricht201 und welchen S.M. Maul in seiner Übersetzung des Gilgamesch-Epos nach eigenen Angaben nur „behelfsweise mit ‚unterirdischen Wassern‘ wiedergegeben“202 hat, zwar noch einmal zu unterscheiden. Aber bei allen Unterschieden im Einzelnen können wir trotzdem festhalten, dass die Vorstellung von Fischen, die im Wasser unter der Erde leben, im Rahmen altorientalischer Weltbilder keineswegs so abwegig ist, wie sie uns auf Anhieb erscheinen mag. Wenn dem so ist, dann stellt Dtn 4,18b die nächstliegende und inhaltlich sinnvolle Textparallele zum griechischen EvThom 3,2 dar. Das eröffnet eine neue Perspektive für die Rekonstruktion des Textes, der wie folgt gelautet haben könnte (Pap Ox 654,12–15): ἐὰν δ’ εἴπωσιν ὅτι ὑπὸ τὴν γήν ἐστιν ἐν τοῖς ὕδασιν, οἱ ἰχθύες τῆς θαλάσσης εὑρήσουσι (oder: ἀφίξονται) φθάντες ὑμᾶς. durch den Zusatz „unter der Erde“ ( ) unmissverständlich klar, dass es sich bei um den unterirdischen Ozean handelt. 199 Vgl. Frankfort, Seals, 122–124 und Plate XVIII i.k; XIX a; XXI e.h; XXIII d.e.f.g.i; Keel, Bildsymbolik, 40, Abb. 43; Keel/Schroer, Schöpfung, 46, Abb 11; Moortgat, Kunst, 99 und Tf. 232. Alle diese Beispiele stammen aus der 2. Hälfte des 3. Jahrtausends v.Chr (vgl. Frankfort, Chronological Index, nach S. 328). Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch zwei Rollsiegel aus Jericho aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. (vgl. Keel/Schroer, Schöpfung, 47, Abb. 12), auf denen ein Enki/Ea ähnlicher „göttlicher Heros als Wasserherr“ (ebd. 46) erscheint. Datiert man die Paränese zum Bilderverbot in Dtn 4 spätexilisch bzw. frühnachexilisch (vgl. Braulik, Deuteronomium, 130; Gertz, Tora, 236–237.249), so zeigt sich hier eine bemerkenswerte Konstanz der weltbildlichen Vorstellung, die gleichzeitig eine späte Nachwirkung derselben im griechischen EvThom 3,2 plausibel erscheinen lässt. 200 Diese Auskunft hat mir Prof. S.M. Maul auf meine Anfrage hin in einer E-Mail vom 17. April 2009 freundlicherweise erteilt. Für seine Hilfe und die Erlaubnis zur Verwendung dieser Korrespondenz sei ihm an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. 201 Vgl. Waschke, ThWAT 8, 565. 202 Maul, E-Mail vom 17. April 2009; vgl. ders., Gilgamesch, 69 (Tafel III,104) und 141 (Tafel XI,42) mit den dazugehörigen Anmerkungen ebd. 162.185–186.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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„Wenn sie aber sagen: ‚Unter der Erde ist es in den Wassern‘, werden (es) die Fische des Meeres finden (oder: hingelangen) vor euch.“

Dieser Vorschlag hat mehrere Vorteile. Er vermeidet die von Hofius vorgeschlagene Dreiteilung „im Himmel, unter der Erde, im Meer“, die zwar Dtn 4,17–18; 5,8 entspricht, den zweigliedrigen Aufbau von EvThom 3,1–2 aber empfindlich stört. Statt dessen bietet er einen Text, der in enger Anlehnung an die nächste Motivparallele in Dtn 4,18b einen guten Sinn ergibt. Eine Orientierung am koptischen Text, von dem sich Hofius bei seiner Ergänzung ἢ ἐν τῇ θαλάσσῃ in Pap Ox 654,13 leiten lässt, erscheint an dieser Stelle unangebracht. Wo schon der erhaltene griechische Text vom koptischen erheblich abweicht, spricht nichts dafür, dass in der unmittelbar folgenden Lücke einmal ein Text gestanden hat, der mit dem koptischen Zeugen übereinstimmte, zumal wenn ein solcher Text zusätzliche inhaltliche Schwierigkeiten birgt. Ausgehend vom erhaltenen ὑπὸ τὴν γήν, sind wir daher berechtigt, das entscheidende Motiv zur Ergänzung von Pap Ox 654,13 anderswo zu suchen. Als einzige Parallele, welche von Fischen unter der Erde spricht, drängt sich Dtn 4,18b dabei förmlich auf. Die vorgeschlagene Rekonstruktion übernimmt von Hofius die Satzstruktur, ersetzt aber seine Formulierung ἔσονται φθάνοντες ὑμᾶς203, die Marcovich zu Recht einen „harsh phrase“204 nennt, durch die sprachlich bessere εὑρήσουσι φθάντες ὑμᾶς. Deren Anfang εὑρήσουσι φθάν- ist zwar länger als die früheren Vorschläge, dürfte aber in Z.14 noch unterzubringen sein.205 Ein dem φθήσεται in Z.11 entsprechendes (προ)φθήσονται ist durch das am Beginn von Z.15 erhaltene Wortende –τες ausgeschlossen, das nur für eine Nominalbildung in Frage kommt. Das Partizip von φθάνειν drückt den Sachverhalt aus, dass das Subjekt des finiten Verbums (in diesem Fall εὑρήσουσι) mit seinem Handeln anderen zuvorkommt. In dieser Funktion steht das Partizip häufiger im Aorist als im Präsens (φθάνοντες).206 Von den beiden möglichen Aoristformen φθάσαντες und φθάντες hat letztere den Vorteil, dass sie in der Lücke weniger Platz braucht. Das Verbum εὑρίσκειν ist Z.17 entnommen und hätte den Vorteil, dass es als Stichwort die beiden Teile der Sprucheinheit, EvThom 3,1–3 und 4–5, miteinander verbindet. Attridges εἰσελεύσονται (Z.13) ist für die Lücke in Z.14 zusammen mit den übrigen notwendigen Ergänzungen zu lang. Ihm entspräche aber inhaltlich ἀφίξονται in etwa.

203

Hofius, Thomasevangelium, 30. Marcovich, Criticism, 59, der aber Hofius’ Vorschlag fälschlich mit dem Partizip Aorist φθάσαντες zitiert. 205 Wie beim Incipit schon bemerkt, bot der unversehrte Pap Ox 654 Platz für „ca. 26–36 letters per line“ (Hurtado, Fragments, 25) und lässt die ungleichmäßige Schreibweise des Papyrus erheblichen Spielraum bei der Rekonstruktion. 206 Vgl. Liddell / Scott, Lexicon, s. v. φθάνω, III.2. 204

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Schließlich wird auf der Grundlage der hier vorgeschlagenen Lesart erklärlich, weshalb der koptische Text nur von den „Fischen“ ( ) und nicht, wie der griechische, von den „Fischen des Meeres“ spricht. Einerseits ist οἱ ἰχθύες τῆς θαλάσσης in der Septuaginta als formelhafte Wendung so geläufig, dass man sich eine nachträgliche Angleichung von οἱ ἰχθύες an das vorausgehende τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ durch die Einfügung des Genitivattributs τῆς θαλάσσης leicht vorstellen kann, zumal beide Formeln an vielen Stellen zusammen stehen.207 Dass das Attribut im Kontext, streng genommen, stört, weil es sich inhaltlich nur schwer mit der Ortsangabe ὑπὸ τὴν γήν vereinbaren lässt, fiel anscheinend nicht so schwer ins Gewicht, dass dadurch die Benutzung der gängigen Formel verhindert worden wäre. Andererseits ist diese Ungereimtheit von einem späteren Bearbeiter wohl doch so stark empfunden worden, dass er das Stichwort „Meer“ kurzerhand in die erste Hälfte des Verses verschoben, dabei das Genitivattribut ) „des Meeres“ (τῆς θαλάσσης) zur Ortsangabe „im Meer“ ( umfunktioniert und die Lokalisierung ὑπὸ τὴν γήν ἐστιν ἐν τοῖς ὕδασιν dadurch ersetzt hat. Da Letztere bis auf Dtn 4,18b ohne Beispiel ist und den Auslegern bis heute unglaubhaft erscheint, mag man die hypothetische Verortung des Reiches bei den Fischen im Meer auch damals schon als eine substantielle Verbesserung des Textes empfunden haben. 2.3.3. Aber – und Ein weiterer Textunterschied findet sich in EvThom 3,3. Im griechischen Text , das nicht von Pap Ox 654,15 steht als Konjunktion καί, im koptischen nur der Form, sondern auch der Bedeutung nach genau dem griechischen ἀλλά entspricht. Das griechische καί kann adversativ aufgefasst werden208 und würde dann dem koptischen etwa entsprechen. Es gibt aber in seiner konsekutiven („und so“) oder explikativen („und zwar“) Nuance209 einen besseren Sinn. Wenn Jesus im Blick auf die Jünger feststellt, dass das Reich „innerhalb [und außerhalb] von euch ist“ (ἐντὸς ὑμῶν [ἐσ]τι [κἀκτός]), dann werden damit die beiden vorausgehenden Aussagen, wonach es im Himmel oder unter der Erde zu suchen sei, nicht kategorisch ausgeschlossen. Jesus widerspricht in Pap Ox 654,15–16 lediglich denjenigen, die vorgeben, das Reich befinde sich ausschließlich im Himmel oder unter der Erde und nirgendwo sonst. Das wird im Vergleich mit Lk 17,20b–21.23 besonders deutlich: 207 Allein steht οἱ ἰχθύες τῆς θαλάσσης in der Septuaginta in Ijob 12,8; Ez 47,10; Dan 2,38 und Hab 1,14; zusammen mit τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ in Gen 1,26.28; Ps 8,9; Ez 38,20; Hos 4,3 und Zef 1,3; zusammen mit τὰ ὄρνεα τοῦ οὐρανοῦ in Gen 9,2. Bis auf Dan 2,38 entspricht dem der Befund im Masoretischen Text (ĉˌû /ċ ûĉˌû und Ĕ ûĐ). In Num 11,22 übersetzt die Septuaginta Đ øĉˌĀē ó ˓ û Ĕ ûˑċú mit πᾶν τὸ ὄψος τῆς θαλάσσης. 208 Vgl. BDR § 442,1. 209 Vgl. BDR § 442,2.6.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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V.20b–21 οὐκ ἔρχεται ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ μετὰ παρατηρήσεως, οὐδὲ ἐροῦσιν· ἰδοὺ ὧδε ἤ· ἐκεῖ, ἰδοὺ γὰρ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστιν. V.23

καὶ ἐροῦσιν ὑμῖν· ἰδοὺ ἐκεῖ, ἤ· ἰδοὺ ὧδε· μὴ ἀπέλθητε μηδὲ διώξητε.

V.20b–21: Das Reich Gottes kommt nicht sichtbar, und man wird nicht sagen: „Seht hier!“, oder: „Dort!“ Denn seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch. V.23

Und sie werden euch sagen: „Seht dort!“, oder: „Seht hier!“ Geht nicht hin und folgt ihnen nicht!

Der lukanische Jesus lehnt die erwähnten Alternativen dazu, dass das Reich Gottes ἐντὸς ὑμῶν zu finden sei, ausdrücklich ab. Deutlich wird dies an den wiederkehrenden Negationen (οὐκ ἔρχεται … οὐδὲ ἐροῦσιν … μὴ ἀπέλθητε μηδὲ διώξητε).210 Dagegen werden im griechischen EvThom 3,3 die beiden zuvor genannten Möglichkeiten nicht expressis verbis negiert. Dies spricht dafür, die Aussage von Pap Ox 654,15–16 inklusiv zu verstehen: das Reich mag sich auch im Himmel und unter der Erde finden lassen, aber jedenfalls nicht nur dort, sondern auch innerhalb [und außerhalb] der Jünger.211 Demgegenüber formuliert die koptische Version mit der Konjunktion einen exklusiven Gegensatz, der zunächst befremdlich wirkt. Wenn das Reich gleichermaßen innerhalb und außerhalb der Jünger lokalisiert wird, müsste es letztlich überall, also auch im Himmel und im Meer, zu finden sein. Mithin kann der Gegensatz logisch nicht zwischen der einen und der anderen Lokalisierung des Gottesreiches bestehen. Entscheidend ist nicht der Ort, sondern die direkte Erreichbarkeit des Reiches für die Jünger. Widersprochen wird Vorstellungen, nach denen andere eher als die Jünger Zugang dazu haben, etwa die Vögel des Himmels oder die Fische im ). Im Gegensatz dazu ist das Reich zuallererst den Meer ( Jüngern zugänglich, weil es ihnen am nächsten ist. Allerdings ist es nicht nur in ), was unmittelbar einleuchtet, weil es näher nicht sein ihnen ( kann; es ist auch außerhalb von ihnen ( ). Letzteres ist dann wohl so zu verstehen, dass damit der unmittelbare Lebensraum der Jünger, über den sie verfügen können, gemeint ist, und nicht überhaupt alles, was sich außerhalb ihrer selbst befindet. Eine gewisse Willkür bei der Abgrenzung dieses Raumes ist im nicht zu leugnen, und hierin liegt die Schwierigkeit, die das exklusive Unterschied zum inklusiven καί dem Textverständnis bereitet; andererseits wird dadurch die exklusive Erreichbarkeit des Reiches für die Jünger in der koptischen 210 Daran zeigt sich in Lk 17,20–21.23 die antithetische Struktur der Aussage und nicht in erster Linie an der Wahl der Präposition ἐντός, wie Holmén (Alternatives, 227) meint. Vgl. Mk 13,21: μὴ πιστεύετε; Mt 24,23.26: μὴ πιστεύσητε; Mt 24,26: μὴ ἐξέλθητε. 211 Dieses inklusive Verständnis der Konjunktion καί legt sich unabhängig davon nahe, ob man in Pap Ox 654,16 nach dem koptischen Text κἀκτός konjiziert oder eine andere Rekonstruktion bevorzugt (s. u.).

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Spruchform stärker betont als in der griechischen.212 Dieser Aspekt tritt auf dem Hintergrund von Dtn 30,11–14, von dem unser Text offenkundig beeinflusst ist, noch deutlicher hervor. Im Lichte von Dtn 30,14 bekommen Innen und Außen eine konkrete Gestalt, nämlich Herz und Hand213, das innere Verstehen und das äußere Tun; die Grenze zwischen beiden markiert der Mund.214 Das ist der Ort, an dem die Jünger nach dem koptischen EvThom 3,3 das Reich Gottes finden: im unmittelbar zugänglichen Verfügungsbereich von Herz und Hand. 2.3.4. Innerhalb und außerhalb Über die Bedeutung des Präpositionalausdruckes ἐντὸς ὑμῶν in Lk 17,21 ist viel gestritten worden. Diese Diskussion muss hier nicht erneut aufgerollt werden.215 Es genügt, die wichtigsten Ergebnisse festzuhalten, die mutatis mutandis auch für EvThom 3,3 gelten. Sprachlich kann ἐντὸς ὑμῶν dreierlei meinen: a) Das Reich Gottes befindet sich im Inneren der einzelnen angesprochenen Personen; so übersetzt z. B. Luther mit „inwendig in euch“.216 b) Das Reich Gottes ist innerhalb der angesprochenen, fest umrissenen Personengruppe zu finden; dem entspräche in der Übersetzung etwa „mitten unter euch“.217 c) Das Reich Gottes 212 Freilich kann man sich auch fragen, ob die Varianz der beiden Konjunktionen überhaupt eine bewusste inhaltliche Veränderung des Logions anzeigt, oder ob man hier nicht auch mit Nachlässigkeiten in der Überlieferung zu rechnen hat, zumal diese an anderer Stelle offenbar Verderbnis kennt (vgl. Kap. 2.5.1–3 zu EvThom 30). 213 LXX ergänzt vor αὐτὸ ποιεῖν, das ˟ġü ˄ęõ ēú entspricht: ἐν ταῖς χερσίν σου („in deinen Händen“). 214 Die beständige mündliche Wiederholung befördert das Verstehen des Herzens. Umgekehrt äußert der Mund das zuinnerst Verstandene. Beides zusammen bewegt die Hände zum entsprechenden Handeln. 215 Vgl. aus jüngster Zeit die Zusammenfassungen bei Klein, Lk, 570–571; Wolter, Lk, 576–578. 216 Vgl. z. B. Plat Tim 45b: τὸ γὰρ ἐντὸς ἡμῶν ἀδελφὸν ὂν τούτου πῦρ („das Feuer innerhalb von uns nämlich, weil es mit diesem [sc. dem Tageslicht] verwandt ist“); Plat Leg 789a: τοῖς ἐντὸς τῶν αὑτῶν μητέρων τρεφομένοις („denen, die noch innerhalb ihrer Mütter [d. h. im Mutterleib] ernährt werden“). Unerklärlich bleibt angesichts dieser Beispiele das Urteil von O’Neill, Kingdom, 140: „The preposition ἐντός […] can scarcely mean inside an individual.“ Umgekehrt wird oft gesagt, dass Lk 17,21 in Altertum und Mittelalter ausnahmslos genau so verstanden worden sei. Dagegen machen Roberts (Kingdom, 5) und Riesenfeld (Règne, („unter 191) immerhin auf die Vetus Syra (sys und syc) aufmerksam, die ἐντὸς ὑμῶν mit euch“) übersetzt. Die Präposition ( / ) hat die Grundbedeutung „zwischen“ (vgl. hebräisch ĖĐˊø ; Brockelmann, Lexicon, s. v.; Payne Smith, Dictionary, s. v.; Ungnad, Grammatik, § 48dα). Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die syrischen Versionen in Joh 11,38 ἐν ἑαυτῷ nicht einfach mit , sondern mit – also wörtlich mit „zwischen sich und sich“ – übersetzen. Vgl. ausführlich Nöldeke, Grammatik, § 251. 217 Vgl. als Beispiel für ein Abstraktum, das sich inmitten einer Menschengruppe befindet, Plut Pelop 35,5: ἡ τυραννὶς ἐντὸς τῶν ὅπλων καὶ τῶν φυλακῶν οὖσα („die Tyrannei, während sie inmitten der Waffen und der Wächter ist“). In diesem Sinne Strobel, Erwartung, 157–158; ders., Nacht, 27–29.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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ist nicht auf eine Personengruppe begrenzt, befindet sich aber im Verfügungsbereich derer, die angesprochen werden; d. h. es steht ihnen ebenso wie allen anderen Menschen zur Verfügung, so dass es jeder von ihnen, wenn er will, ergreifen kann.218 Für Lk 17,21 scheiden die ersten beiden Möglichkeiten aus sachlichen Gründen aus, und zwar a), „weil eine solche Verinnerlichung dem lk Reich-Gottes-Verständnis widerspricht“219, und b), weil der lukanische Jesus wohl kaum eine Gruppe von Pharisäern, die ihn zufällig auf dem Weg ansprechen, als ausgezeichneten Ort der Gegenwart des Gottesreiches hinstellen will.220 Einen guten Sinn ergibt im Lukasevangelium nur c), wonach das Reich Gottes jedem Menschen – also auch den fragenden Pharisäern – so nahe ist, dass er es nur zu ergreifen braucht. „Wählt man aber mit Holmén als Bedeutung von ἐντός ‚within‘, muß man annehmen, daß die Gottesherrschaft in dem Innersten der 218 Dieser Gebrauch der Präposition ἐντός wird eindeutig belegt durch PRoss.-Georg. 3,1,8– 9: πέμψατέ μοι τὸ ἐραιοῦν κολώβειν, ἵνα ἐντός μου αὐ[τὸ] εὕρω („schickt mir die Wolljacke, damit ich sie hier bei mir finde“); Pap Ox 2342,1,7–8: ἥδε ἔχουσα τὸ φoρτίον τοῦ οἴνου ἐντὸς αὑτῆς ὑπὸ κλεῖδα („diese, während sie die Weinlieferung bei sich unter Verschluss hatte“); vgl. Roberts, Kingdom, 5–6. Dagegen jedoch Holmén, Alternatives, 208: „It does, however, remain uncertain whether it here is justified to speak about an alternative meaning of ἐντός. It is perhaps more accurate to perceive ἐντός in these passages as an ellipsis: ‚at my place‘, respectively ‚in her domain‘.“ Unter dieser Voraussetzung ordnet er die beiden Belege der oben genannten Möglichkeit a) zu (ebd. 208): „The meaning of ἐντός in connection with a noun in the singular is ‚within‘, though it may in some cases need to be paraphrased with ‚within the sphere of ‘ or like.“ Ebenso Hartmann, Reading, 1666; Riesenfeld, Règne, 194–195. Hier ist offensichtlich der Wunsch, die Möglichkeit c) als beispiellos darzustellen, der Vater des Gedankens. Dabei macht es doch einen wesentlichen Unterschied, ob die Frau im zweiten Beispiel die ganze Weinlieferung bereits intus hat oder ob sie ihr lediglich zur Verfügung steht. Es ist daher ratsam, die beiden Beispiele einem eigenen Bedeutungsbereich zuzuordnen. Dass in Lk 17,21 das Pronomen (ὑμῶν) im Plural steht, spricht außerdem nicht dagegen, dass auch dieser Beleg demselben semantischen Bereich zugehören kann. Da mit ὑμῶν in diesem Fall, anders als in b), keine klar definierte Gruppe angesprochen wird, muss ἐντὸς ὑμῶν distributiv verstanden werden: Das Reich Gottes ist „mitten unter euch“, so dass jeder, der will, es ergreifen kann. So auch schon Tertullian adv. Marc. 4,35: intra vos est, id est in manu, in potestate vestra; Cyr. Lc.: ἐντὸς γὰρ ὑμῶν ἐστι· τουτέστιν ἐν ταῖς ὑμετέραις προαιρέσεσι καὶ ἐν ἐξουσίᾳ κεῖται τὸ λαβεῖν αὐτήν. Freilich gerät Rüstow (Deutung, 214) ins andere Extrem, wenn er in Absetzung von der Deutung a), die er als „spiritualistisch-introvertiert“ kennzeichnet, Lk 17,21 „im polaren Gegensatz dazu aktivistisch-extrovertiert“ nennt und zu dem Schluss kommt: „Von einem unfruchtbaren Grübeln und Spekulieren wird also auf die allein fruchtbare moralische Aktivität verwiesen“ (ebd. 217). Dabei betont der Spruch im lukanischen Zusammenhang schlicht die unmittelbare Zuhandenheit des Gottesreiches: Es ist für jeden, der sich darauf einlässt, mit Händen zu greifen. So verstanden, mag es für die Zeitgenossen Jesu auch als „Rätselwort, dessen Sinn sich nur dem auftut, der gläubig das Reich Gottes mit dem Auftreten des Messias Jesus in Zusammenhang zu bringen vermag“ (Mussner, Reich, 110), durchschaubar gewesen sein. Schon die Adressaten des Lukas hatten diesen direkten Zugang zum historischen Jesus allerdings nicht mehr (vgl. Strobel, Lk 17, 111–112). 219 Wolter, Lk, 577; vgl. Hahn, Theologie I, 559–560; Heininger, Reich, 105–107; Weiser, Theologie, 134. Dagegen Holmén, Alternatives, 229. 220 So auch Holmén, Alternatives, 226; vgl. Uro, Neither Here, 12.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Pharisäer ist und sie es durch ihre Gesinnung verdecken. Dann wäre im Sinne des Lk die Verkündigung das Aufdecken der im Innersten des Menschen schlummernden Gottesherrschaft. Das entspricht nicht lukanischer Denkweise. Solches Verständnis gilt also nur für ein zu rekonstruierendes Jesuswort, das in anderem Kontext gesprochen wurde.“221 Einen solchermaßen anderen Kontext stellt das griechische EvThom 3 zweifelsohne dar. Hier ist „die unkompliziertere und darum näherliegende“222 Wiedergabe von ἐντὸς ὑμῶν mit „in euch“ sachlich nicht nur möglich, sondern geboten: Das inwendige (ἐντὸς ὑμῶν) Reich Gottes (ἡ βασ[ιλεία τοῦ θεοῦ]) finden die Jünger (ταύτην εὑρή[σει]) durch Selbsterkenntnis, die im Folgenden dreimal erwähnt wird. Dabei lassen die beiden Wendungen im Plural (Z.17–18: [ὅτε ὑμεῖς] ἑαυτοὺς γνώσεσθα[ι]223 und Z.19–20: [εἰ δὲ μὴ] γνώσθε ἑαυτούς)224 es noch möglich erscheinen, dass nicht (nur) die Selbsterkenntnis des Einzelnen gemeint ist, sondern (auch) die Selbsterkenntnis der Jünger als Gruppe und das so zu findende Reich Gottes im Sinne von b) „mitten unter euch“ zu suchen ist, also innerhalb der Jüngergemeinschaft. Dem widerstreitet allerdings die vorausgehende Formulierung in der 3. Person Singular (Z.16–17: [ὃς ἂν ἑαυτὸν] γνῷ)225, mit der ganz allgemein die Selbsterkenntnis jedes Einzelnen, unabhängig von seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, als konstitutiv für das Finden des Gottesreiches angegeben wird. Dieser Grundsatz wird sodann auf die in der 2. Person Plural von Jesus direkt angesprochenen Jünger nur noch übertragen, weshalb ἐντὸς ὑμῶν in EvThom 3,3 eindeutig als „inwendig in euch“ im Sinne von a) zu verstehen ist. Diese Auffassung fügt sich überdies gut in das Thomasevangelium als Ganzes ein, zu dessen wenigen deutlich bestimmbaren theologischen Grundzügen die Hochschätzung des Einzelnen zählt. Deswegen sollte man nicht ohne Not die aus Lk 17,21 gewonnene Bedeutung von ἐντὸς ὑμῶν für EvThom 3,3 übernehmen.226 Dies gilt umso mehr, wenn 221 Klein, Lk, 571, Anm. 40; vgl. Uro, Neither Here, 12: „Isolated from the present literary context, such a saying could hardly mean anything else than the kingdom of God is ‚within you‘, either internally ‚in your hearts‘ or externally ‚within your circle‘.“ 222 So richtig Wolter, Lk, 577. 223 Die Lautgleichheit von αι und ε in den hiesigen Papyri ermöglicht für die 2. Person Plural die Rekonstruktion der Form γνώσεσθαι, die durch das lesbare α erzwungen wird, anstelle von γνώσεσθε, wie es in Z.20 steht. Analog steht in Pap Ox 1,5–7 νηστεύσηται statt νηστεύσητε und εὕρηται statt εὕρητε. Vgl. Gignac, Grammar 1, 192–193. 224 In der Koine kann das Reflexivpronomen der 3. Person Plural dasjenige der 1. und 2. Person Plural vertreten (vgl. BDR § 64,1; 283; Schwyzer, Grammatik 1, 607). So steht hier zweimal ἑαυτούς anstelle von ὑμᾶς αὐτούς. Vgl. aber auch schon Plat Phaed 78b: οὐκοῦν τοιόνδε τι […] δεῖ ἡμᾶς ἀνερέσθαι ἑαυτούς („so etwa müssen wir uns also fragen“). 225 Rekonstruktion von Attridge (Fragments, 114) nach Fitzmyer (Oxyrhynchus, 375). Ich selbst schließe mich in diesem Fall Grenfell und Hunt an (s. u.), was für das hiesige Argument jedoch ohne Bewandtnis ist. 226 So aber Plisch, EvThom, 45: „Nimmt man jedoch die oben für Lk 17,21 wahrscheinlich gemachte übertragene Bedeutung hinzu, ergibt sich für EvThom 3 etwa folgender Sinn: Das Gottesreich ist für euch zugleich greifbar und unverfügbar.“ Indes sieht Ménard (Sagesse, 138)

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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man bedenkt, dass wir es im griechischen EvThom 3 keineswegs mit zwei unverbunden nebeneinander stehenden Sprucheinheiten zu tun haben. Auf die koptische Version des Logions trifft Plischs Urteil dem ersten Anschein nach zu: „Der ganze Spruch besteht aus zwei deutlich unterschiedenen, inhaltlich nicht zusammenhängenden Teilen, Satz 1–3 über das Gottesreich, Satz 4–5 über die Selbsterkenntnis.“227 Im griechischen EvThom 3 sind aber die beiden Teile formal wie inhaltlich eng miteinander verzahnt. Durch das Demonstrativpronomen ταύτην, welches das Themawort βασιλεία aus der ersten Spruchhälfte aufnimmt, wird die in der zweiten Hälfte thematisierte Selbsterkenntnis der Jünger an die Frage nach dem Ort und der Erreichbarkeit des Reiches zurückgebunden. Dabei handelt es sich keineswegs um eine oberflächliche redaktionelle Klammer zwischen den beiden Teilen. Vielmehr erscheint die zweite Spruchhälfte in beiden Versionen von EvThom 3 jeweils an die unterschiedliche Pointe am Ende der ersten Hälfte angepasst. Während EvThom 3,4 in der griechischen Fassung zweimal von der Selbsterkenntnis der Jünger spricht, stehen diese nach Ausweis des koptischen Textes in einem reziproken Verhältnis von eigenem Erkennen und Erkanntwerden ihrer selbst. Wie die Selbsterkenntnis ein innerer Vorgang ist, so geschieht die Fremderkenntnis der Jünger natürlicherweise von außen her. Der Erkenntnisvorgang geschieht demnach analog zu der Feststellung, dass das Reich innerhalb und außerhalb der Jünger zu finden sei. Diese Analogie ist so allerdings nur in der koptischen Fassung gegeben. Denn der griechische Text spricht nicht vom Erkanntwerden der Jünger, wodurch ihm die Außenperspektive im Erkenntnisvorgang abgeht. Dies wiederum gibt Anlass zu der Vermutung, dass auch das in Pap Ox 654,16 nach dem koptischen Zeugen gemeinhin konjizierte κἀκτός dort nie gestanden hat.228 Schon im erhaltenen Text weist Pap Ox 654,17 einen gravierenden Unterschied zum koptischen Zeugen auf, und auch in der Rekonstruktion von Z.16 wird allgemein mit Abweichungen gerechnet, weil sich sonst in Z.16–17 kein richtiger griechischer im Blick auf EvThom 3 zwar richtig, dass „sa notion de Royaume s’éloigne de celle de Lc., XVII, 21b“, formuliert aber eine falsche Alternative: „On passe ici de la Sagesse biblique à une sagesse grecque et à une mystique par introversion.“ Wörtlich übereinstimmend ders., Connaissance, 131. 227 Plisch, EvThom, 45. 228 Vgl. Uro, Neither Here, 16: „One should also notice that κἀκτός is not attested in the Greek fragment, but is reconstructed on the basis of the Coptic text. The Greek version of logion 3b, or what is left of it, speaks only of knowing the self, not of being known by the divine.“ Mit einem allgemeineren Hinweis auf den Kontext Rüstow, Deutung, 222: „Aber da im Thomaspapyrus ebensowohl das unmittelbar Vorhergehende wie das unmittelbar Folgende auschließlich, ausführlich und mit größtem Nachdruck auf ἐντός und gegen ἐκτός Bezug nimmt, so würde κἀκτός Zusammenhang und Sinn der ganzen Stelle aufs schwerste stören.“ Entsprechend liest Rüstow (ebd.) in Pap Ox 654,15–17: ἀλλὰ ἡ βασ[ιλεία τοῦ θεοῦ] ἐντὸς ὑμῶν [ἐ]στι [καὶ μὴ ἐκτός· ὃς δ’ ἂν ἑαυτὸν] γνῷ, ταύτην εὑρή[σει]. Von allen Rekonstruktionen braucht diese am meisten Platz, scheint aber noch möglich zu sein (vgl. Fitzmyer, Oxyrhynchus, 364; Hurtado, Fragments, 25: „ca. 26–36 letters per line“).

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Satz bilden lässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass in derselben Textlücke nun aber gerade κἀκτός als genaue Entsprechung zum koptischen gestanden hat, kann angesichts dieser Unsicherheiten bei der Rekonstruktion kaum höher als mit fünfzig Prozent veranschlagt werden. Sie sinkt weiter dadurch, dass κἀκτός dem Sinnzusammenhang des griechischen EvThom 3 zuwiderläuft. Im koptischen Text passt das Reich innerhalb und außerhalb der Jünger zu ihrer Selbst- und Fremderkenntnis. Im griechischen Text hingegen ist vom Erkanntwerden keine Rede, sondern dreimal nur von der Selbsterkenntnis der Jünger, die ihre sachliche Analogie im Reich Gottes hat, das sich im Inneren der Jünger befindet. Dieses inhaltliche Argument wiegt umso schwerer, als in der griechischen Version des Spruches die beiden Hälften auch formal miteinander verbunden sind. Da wäre es verwunderlich, wenn gleichzeitig die sachliche Analogie, die zwischen den ansonsten unverbundenen Teilen des koptischen Spruches besteht, im griechischen fehlte. Dies alles spricht meines Erachtens dafür, Pap Ox 654,15–17 in Anlehnung an Grenfell und Hunt und gegen die koptische Überlieferung folgendermaßen zu ergänzen: A καὶ ἡ βασ[ιλεία τοῦ θεοῦ] ἐντὸς ὑμῶν [ἐσ]τι· [καὶ ὅστις ἂν ἑαυτὸν] γνῷ, ταύτην εὑρήσει.229 „Und das Reich Gottes ist innerhalb von euch; und wer immer sich selbst erkennt, wird dieses finden.“

Diese aus dem Vergleich der beiden Textzeugen für das griechische EvThom 3,3 erschlossene Lesart können zwei patristische Belege zusätzlich abstützen, wenn auch nicht beweisen. Hippolyt nimmt an einer Stelle in seinem Naassenerreferat ausdrücklich auf das Thomasevangelium Bezug (Hipp. haer. V,7,20): „Nicht nur die Mysterien der Assyrer und Phryger aber, sondern auch der Ägypter, sagen sie, zeugten für ihre Lehre von der glücklichen, verborgenen, zugleich auch offenbaren Natur der Dinge, die geschehen sind, geschehen und erst noch sein werden, welche sie das im Menschen zu suchende Himmelreich nennen. Davon überliefern sie ausdrücklich in dem Evangelium, das nach Thomas betitelt wird, indem sie folgendermaßen sagen: ‚Mich wird der Suchende finden in Kindern von sieben Jahren an; dort nämlich, im vierzehnten Äon verborgen, offenbare ich mich.‘ (κρυβομένην ὁμοῦ καὶ φανερουμένην φύσιν, ἥνπερ φασὶν ἐντὸς ἀνθρώπου βασιλείαν οὐρανῶν ζητουμένην. περὶ ἧς διαρρήδην ἐν τῷ κατὰ Θωμᾶν ἐπιγραφομένῳ εὐαγγελίῳ παραδιδόασι λέγοντες οὕτως· ἐμὲ ὁ ζητῶν εὑρήσει ἐν παιδίοις ἀπὸ ἐτῶν ἑπτά· ἐκεῖ γὰρ ἐν τῷ τεσσαρεσκαιδεκάτῳ αἰῶνι κρυβόμενος φανεροῦμαι).“

Zwar sagt Hippolyt nicht, dass die von ihm bekämpften Irrlehrer die Vorstellung vom Himmelreich im Menschen aus dem Thomasevangelium haben; sie könnte 229 Vgl. Grenfell/Hunt, Oxyrhynchus IV, 6 (dort allerdings βασιλεία τῶν οὐρανῶν statt βασιλεία τοῦ θεοῦ, was inhaltlich an dieser Stelle keinen Unterschied bedeutet; zur Diskussion vgl. Mueller, Kingdom, 271–275); ebenso Hofius, Thomasevangelium 30–31; in der Sache gleich Mueller, Kingdom, 268–271.275: καὶ ἡ βασ[ιλεία τῶν οὐρανῶν] ἐντὸς ὑμῶν [ἐ]στιν, [καὶ ὅταν τις ἑαυτὸν] γνῷ, ταύτην εὑρή[σει].

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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also auch aus Lk 17,21 stammen. Außerdem zitiert er nicht EvThom 3, sondern einen Spruch, der am ehesten an EvThom 4 erinnert, dessen Ursprung er selbst aber auf Hippokrates zurückführt.230 Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass Hippolyt das Thomasevangelium zusammen mit der Vorstellung vom Himmelreich im Menschen anführt, und dass er dies zur Einführung eines Spruches tut, der im Thomasevangelium, wenn auch in erheblich abweichender Form, direkt auf EvThom 3 folgt.231 Dies spricht dafür, dass die ganze Einleitung des Zitats in erster Linie von EvThom 3 und nicht von Lk 17,21 inspiriert ist. Wenn dem so ist, fällt jedoch auf, dass nur vom Himmelreich ἐντὸς ἀνθρώπου, nicht aber von dem ἐκτός die Rede ist; und das, obwohl Hippolyt über weite Strecken wörtlich aus ihm vorliegenden schriftlichen Quellen zitiert.232 Dies ist umso bemerkenswerter, als z. B. ἡ ἐντὸς ἀνθρώπου κἀκτὸς βασιλεία eine viel treffendere Bezeichnung für eine Natur wäre, die „verborgen und zugleich offenbar“ (κρυβομένην ὁμοῦ καὶ φανερουμένην) ist. Auch hätte ein von der Spruchform in Lk 17,21 abweichendes κἀκτός Hippolyt eine günstige Gelegenheit geboten, die Unzuverlässigkeit der Naassener in Sachen christlicher Überlieferung auch an dieser Stelle zu kritisieren;233 eine solche Kritik fehlt jedoch. All das deutet 230 Vgl. Hipp. haer. V,7,21: „Dies ist aber nicht von Christus, sondern von Hippokrates, der sagt: ‚Ein siebenjähriges Kind ist halb so groß wie sein Vater.‘ (τοῦτο δὲ οὐκ ἔστιν Χριστοῦ, ἀλλὰ Ἱπποκράτους λέγοντος· ἑπτὰ ἐτῶν παῖς πατρὸς ἥμισυ).“ 231 Vgl. Mueller, Kingdom, 270. Hofius (Thomasevangelium, 31) verweist zwar auf die Stelle bei Hippolyt, nutzt sie aber nicht als Argument gegen die Konjektur κἀκτός. 232 Diese Quellen waren ihm vor der Abfassung der Refutatio omnium haeresium zugänglich geworden und haben sie wohl überhaupt erst veranlasst. Vgl. Hipp. haer. prooemium 1–2 (übersetzt von Preysing, Hippolytus): „Ihre Lehrsätze haben wir schon früher dargelegt, sie aber, ohne in Einzelheiten einzugehen, nur obenhin widerlegt; denn wir hielten es nicht für angezeigt, ihre Geheimnisse ans Licht zu ziehen; wir hofften, sie würden sich schämen, wenn wir nur andeutungsweise ihre Anschauungen berührten, und würden ihre unvernünftigen Ansichten und ihre unrechtes Beginnen aufgeben aus Furcht, wir könnten ihre Geheimnisse ganz bloßlegen und sie so der Gottlosigkeit überführen. Doch sie achten meine Rücksicht nicht, noch bedenken sie, daß Gott nur darum ihre Lästerungen mit Langmut erträgt, damit sie sich schämen und bekehren oder damit sie als Verstockte ihr gerechtes Urteil erhalten. So gehe ich denn notgedrungen weiter und enthülle die Geheimnisse, die sie ihren Jüngern mit großer Überzeugungskraft anvertrauen“ (Hervorhebungen von mir). Dazu treffend Marcovich, Hippolytus, 33: „That means that Hippolytus will now copy verbatim and extensively from the Naassene Predigt and the rest of the newly discovered Gnostic treatises. And what better way for the author to fulfil his promise of a full disclosure – and, at the same time, to demonstrate the authenticity of the new discovery – than to quote verbatim some key-documents from those secret scriptures of the heretics.“ Ähnlich Suchla, LACL, 338: „H[ippolyt]s Quellen sind unbestritten erstrangig und teilsweise nur bei ihm belegt […]; seine Informationen haben daher zuweilen einzigartigen Wert“. 233 Vgl. Suchla, LACL, 338: „Haer. will nachweisen, daß die Häretiker der heidnischen Philosophie näher stehen als der chr[istlichen] Offenbarung“. Man beachte, dass der Kanon der vier Evangelien um 200 feststand (vgl. Broer, Einleitung, 694–695; Schneemelcher, NTApo6 I, 19–23; Schnelle, Einleitung, 402–405). Die Refutatio ist wohl zwischen 222 (Tod Calixtus’ I.; vgl. Hipp. haer. IX,12,26) und 235 (Tod Hippolyts) entstanden (vgl. Marcovich, Hippolytus, 17; Suchla, LACL, 338).

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

meines Erachtens darauf hin, dass Hippolyt eine Form von EvThom 3 kannte, die in Übereinstimmung mit Lk 17,21 im V.3 nur ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστι und kein zusätzliches κἀκτός aufwies. Ähnliches ist über eine Stelle bei Pseudo-Makarios (Symeon) zu sagen (Mac. Aeg. Logoi 35,5): „Wie der Herr sagt: ‚Das Reich Gottes ist auf der Erde ausgebreitet, und die Menschen sehen es nicht‘ (ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ χαμαὶ ἥπλωται καὶ οἱ ἄνθρωποι οὐκ ἐμβλέπουσιν αὐτήν); und wiederum: ‚Das Reich Gottes ist innerhalb von euch.‘ (ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστι).“

Das zuerst zitierte Herrenwort ist sonst nur aus EvThom 113 bekannt und wird mit Sicherheit daher stammen. Das zweite Zitat könnte Lk 17,21 entnommen sein. Der Zusammenhang mit dem ersten legt es jedoch nahe, dass in beiden Fällen auf das Thomasevangelium zurückgegriffen wird, zumal beide Sprüche auch im Thomasevangelium eng zusammengehören und, wie noch zu zeigen sein wird, eine Klammer um die ganze Schrift bilden. Dies darf dann als Indiz dafür gewertet werden, dass auch Pseudo-Makarios in EvThom 3,3 kein κἀκτός las bzw. erinnerte.234 Freilich kann die Spruchform sowohl hier als auch bei Hippolyt von Lk 17,21 beeinflusst sein.235 Die Frage ist nur, wo dieser Einfluss anzusetzen wäre. Folgt man der obigen Analyse, wäre schon die Spruchform im griechisch erhaltenen EvThom 3,3 aller Wahrscheinlichkeit nach diesem Einfluss unterlegen. Über eine genauere Zuordnung der verschiedenen Überlieferungen zueinander wird weiter unten zu entscheiden sein. 2.3.5. Selbst- und Fremderkenntnis Der Ausschluss von κἀκτός aus der Rekonstruktion von Pap Ox 654,16 stützt sich ganz wesentlich auf die Beobachtung, dass das Reich außerhalb der Jünger im Zusammenhang des griechischen EvThom 3, wo dreimal nur die Selbsterkenntnis der Jünger angesprochen wird, wie ein Fremdkörper wirkt. Diese Feststellung ist aber nur dann zutreffend, wenn man die Z.16 insgesamt so wiederherstellt, dass auch hier tatsächlich von der Selbsterkenntnis der Jünger die Rede ist. Eine entsprechende Ergänzung ist zwar möglich und allgemein üblich, aber nicht ohne Weiteres zwingend. Man könnte auch versuchen, die Lücke in Z.16 in Anlehnung an das gegenüber dem griechischen Text überschüssige 234 Für unsere Fragestellung ist Pseudo-Makarios als Quelle weit weniger zuverlässig als Hippolyt. Er schreibt nicht nur um einiges später als der römische Presbyter (vgl. Fitschen, LACL, 467: „um 360/390“; Moreschini / Norelli, Handbuch, 275: „zwischen 370/380 und 420/430“). „Zudem arbeitet er oft auch eigenwillig mit dem biblischen Material, das er ja nicht aus der Bibel, sondern aus der Erinnerung heraus zitiert und seinem Gedankengang einpaßt“ (Fitschen, Pseudo-Makarios, 13). 235 Fitschen (Pseudo-Makarios, 11) stellt beides fest: „daß im Laufe des Überlieferungsprozesses die Bibelzitate dem kanonischen Wortlaut angeglichen worden sein könnten, doch blieben viele auch unangeglichen stehen“.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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aufzufüllen. Pap Ox 654,16–17 böte dann nicht nur seinerseits einen Zusatz (ὅστις ἂν ἑαυτὸν γνῷ ταύτην εὑρήσει) ohne Entsprechung in der koptischen Version. Es ginge nicht nur um die Frage eines längeren bzw. kürzeren Textes, sondern einer textlichen Differenz236 zwischen ὅστις ἂν ἑαυτὸν γνῷ und . Denn klar ist, dass sich für das sicher belegte ταύτην εὑρήσει im koptischen EvThom 3 nichts annähernd Vergleichbares finden lässt; hier ist der griechische Text eindeutig länger. Die Lücke hingegen kann durchaus so gefüllt werden, dass sie den Gedanken der koptischen Phrase, wenn auch in anderer Formulierung, wiedergibt. Dabei ist zu beachten, dass das Koptische keine Genera verbi unterscheidet und die 3. Person Plural häufig als unbestimmtes Subjekt („man“) zur Umschreibung der fehlenden Passivform dient.237 Entsprechend wird die 3. Person Plural des Instans gewöhnlich passivisch mit „ihr werdet erkannt werden“ übersetzt, weil das Subjekt der Aussage unbestimmt bleibt. Wollte man aktivisch übersetzen und das implizite Subjekt im Kontext be) in Frage.238 stimmen, kämen dafür nur die Anführer ( Doch das ergibt keinen brauchbaren Sinn. Inwiefern sollte die Selbsterkenntnis der Jünger dazu führen, dass sie von ihren Anführern erkannt werden, und was würde eine solche Erkenntnis beinhalten? Im Übrigen spricht schon die deutliche Zäsur zwischen EvThom 3,3 und 4 im koptischen Text gegen die Eintragung der eingangs erwähnten Anführer in V.4. So hat die passivische Übersetzung nach wie vor als die beste zu gelten, auch wenn sie den Leser über den Urheber der Handlung zunächst im Unklaren lässt. Man könnte an andere Jesusjünger, die sich gleichfalls der Tradition des Thomasevangeliums verbunden fühlen, oder an Außenstehende denken. Beides ist jedoch unwahrscheinlich, weil das Thomasevangelium keinerlei Interesse an einer Gemeindebildung oder Außenwirkung der Jünger erkennen lässt, sondern vielmehr im einzelnen Menschen, der mit sich selbst eins geworden ist und dadurch Gott gefunden hat, das Idealbild des Jüngers erblickt.239 236

Vgl. die nützliche Unterscheidung bei Attridge, Fragments, 99–101. Vgl. Layton, Grammar, § 175; Mink, Versionen, 196; Plisch, Einführung, 36–37; Till, Grammatik, § 326; ders., Dialektgrammatik, § 278–279. 238 So Mueller, Kingdom, 268, Anm. 8: „The phrase is usually translated ‚you will be known‘; but as the 3rd pers. pl., which expresses the passive voice in Coptic, might conceivably refer to ‚those who lead you on‘, it seems safer to stick to the literal translation adopted above“; vgl. ebd. 267: „If (ὅταν) you know yourselves, then (τότε) they will know you“. Ein ähnlicher Gedanke ließe sich z. B. mit der Formulierung κἀκτός. ὃς ἂν ὑμᾶς γνῷ oder καὶ ὅστις ἂν ὑμᾶς γνῷ in Pap Ox 654,16–17 unterbringen. 239 Vgl. Plisch, EvThom, 34: „Ein typisches, wirklich fassbares theologisches Moment des Thomasevangeliums ist die Hochschätzung des Einzelnen (vgl. besonders EvThom 23, 49 und 75; aber auch EvThom 11; 30 und 64), der die Betonung der tätigen Mitwirkung der Gläubigen an der Erlösung korrespondiert (EvThom 19; 20; 22; 46; 58). Diese tätige Mitwirkung besteht hinsichtlich des Thomasevangeliums selbst darin, die Bedeutung der in ihm gesammelten Worte Jesu zu finden (EvThom 1). Insofern die Einzelnen mit den Erwählten gleichgesetzt werden 237

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Dagegen ergibt sich ein guter Sinn, wenn man im Sinne eines griechischen Passivum divinum240 auffasst, wodurch Gott zum ungenannten Urheber der Handlung wird: Die Selbsterkenntnis der Jünger zeitigt ihr Erkanntwerden durch Gott; beides zusammen führt zum Wissen der Jünger um ihre Gottessohnschaft. Ein ähnlicher Motivkomplex ist aus Gal 4,6–9 bekannt. Dort ist die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und den Gläubigen eng mit der Erkenntnis Gottes (als Subjekt und Objekt) verbunden und befreit die Söhne Gottes aus der Sklaverei der „schwachen und armen Elemente“ (τὰ ἀσθενῆ καὶ πτωχὰ στοιχεῖα). Davon unterscheidet sich EvThom 3,4–5 in beiden Versionen dadurch, dass es hier zuallererst um die Selbsterkenntnis der Jünger, um ihre Gotteserkenntnis (Genitivus obiectivus) hingegen nur insofern geht, als das Wissen um ihre Sohnschaft dasjenige um Gottes Vaterschaft offenbar impliziert.241 Die fehlende Selbsterkenntnis führt die Jünger in die Armut (πτωχεία/ ) und lässt sie selbst die Armut sein. Umgekehrt spielt Selbsterkenntnis in Gal 4,6–9 keine Rolle. Das reziproke Verhältnis der Gotteserkenntnis drückt Paulus in Gal 4,9 mit einem aktiven und einem passiven Partizip aus: νῦν δὲ γνόντες θεόν, μᾶλλον δὲ γνωσθέντες ὑπὸ θεοῦ „jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, mehr noch da ihr von Gott erkannt worden seid“

Dem Fehlen der Passivform ist es geschuldet, dass die sahidische Version das aktive und das passive Partizip in Gal 4,9 gleichermaßen aktivisch übersetzt und dabei zwischen beiden Umstandssätzen das grammatikalische Subjekt wechseln muss: (EvThom 49), haftet dieser Hochschätzung durchaus etwas Exklusives an.“ Ausführlich dazu Popkes, Menschenbild, 147–178. 240 Vgl. BDR § 130,1; HvS § 296b. 241 Ihr Wissen beinhaltet, dass sie „Söhne des lebendigen Vaters“ ( ) sind. Unreflektiert bleibt in EvThom 3,4, dass die Vater-Kind-Beziehung stets prekär ist, weil sie unter natürlichen Bedingungen viel stärker von der gegenseitigen Anerkennung abhängig ist als die Mutter-Kind-Beziehung; vgl. die klassische Formulierung in Digesta 2,4,5: quia mater semper certa est, etiam si volgo conceperit; pater vero is est, quem nuptiae demonstrant („denn die Mutter ist immer sicher, auch wenn sie unehelich empfangen hat; der Vater aber ist der, welchen die Ehe ausweist“); aber auch schon Hom Od 1,215–216: μήτηρ μέν τέ μέ φησι τοῦ ἔμμεναι, αὐτὰρ ἐγώ γε / οὐκ οἶδ’· οὐ γάρ πώ τις ἑὸν γόνον αὐτὸς ἀνέγνω (übersetzt von Weiher, Homer: „Mutter sagt mir, ich [Telemachos] sei sein [des Odysseus] Sohn; und freilich, ich selber/Weiß es ja nicht; noch keiner erkannte den eignen Erzeuger“). Eine moderne phänomenologische Beschreibung des Problems gibt Marion, Étant donné, 416: „car, comme le père n’a aucune certitude biologique de sa paternité, l’enfant n’a aucune preuve immédiate et directe de sa filiation; il doit l’admettre, sur la foi du père, suivant l’argument symbolique de sa reconnaissance par lui.“ Paulus scheint sich des Problems bewusst zu sein, wenn er in Gal 4,5–6 nicht nur von der Erlangung der Sohnschaft durch die Gläubigen, sondern auch davon spricht, dass sie gleichzeitig den Geist empfangen, in dem sie die Vaterschaft Gottes anerkennen: ὅτι δέ ἐστε υἱοί, ἐξαπέστειλεν ὁ θεὸς τὸ πνεῦμα τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ εἰς τὰς καρδίας ἡμῶν κρᾶζον· αββα ὁ πατήρ („weil ihr aber Söhne seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, welcher [sc. der Geist] ruft: Abba, Vater!“).

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

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„jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, mehr noch da Gott euch erkannt hat“.

Der gleiche Sachverhalt wird jedoch in 1 Kor 8,3 mit der koptischen Umschreibung des griechischen Passivs ausgedrückt, wobei die zusammengesetzte Präposition = im Status pronominalis zur Bezeichnung des Urhebers dient:242 εἰ δέ τις ἀγαπᾷ τὸν θεόν, οὗτος ἔγνωσται ὑπ’ αὐτοῦ „wenn aber einer Gott liebt, der ist von ihm erkannt“ „wenn aber einer Gott liebt, der ist von ihm erkannt worden“243.

Paulus kann „erkennen“ (γινώσκειν) und „lieben“ (ἀγαπᾶν) beinahe synonym gebrauchen, weil es ihm an dieser Stelle weder auf die intellektuelle oder mystische Einsicht noch auf die affektive Zuwendung, sondern in der Erkenntnis wie in der Liebe auf die wechselseitige Anerkenntnis ankommt, die in der Erwählung des Menschen durch Gott ihren Grund hat und im Gehorsam des Menschen gegenüber Gott zum Ziel kommt.244 Mit dieser Aussage hängt 1 Kor 13,8–12 sprachlich und sachlich eng zusammen. Da die Liebe niemals aufhört, ist vollständige Erkenntnis, die es hier und jetzt nicht gibt, eschatologisch dennoch möglich. So formuliert Paulus in V.12b: ἄρτι γινώσκω ἐκ μέρους, τότε δὲ ἐπιγνώσομαι καθὼς καὶ ἐπεγνώσθην. „Jetzt erkenne ich teilweise, dann aber werde ich ganz erkennen, wie auch ich ganz erkannt worden bin.“

„Jetzt erkenne ich teilweise, dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt worden bin.“

242 Vgl. Layton, Grammar, § 175a; Till, Grammatik, § 326; ders., Dialektgrammatik, § 280; Westendorf, Handwörterbuch, 249, s. v. = b) und Anm. 13. 243 Dem griechischen Partizip Perfekt Passiv (ἔγνωσται), welches das gegenwärtige Resultat einer abgeschlossenen Handlung bezeichnet, würde an sich ein koptischer Stativ in seiner Funktion als Zustandspassiv (freilich nur im Adverbialsatz) besser entsprechen als das Perfekt im (vgl. Layton, Grammar, § 168a). Allerdings scheint ein Stativ von Sahidischen nicht belegt zu sein (vgl. Crum, Dictionary, s. v.; Westendorf, Handwörterbuch, s. v.). Außerdem hat der Stativ niemals ein Objekt bei sich (vgl. Plisch, Einführung, 36; Till, Grammatik, § 257); ein solches ist hier zur vollständigen Umschreibung des griechischen Passivs jedoch unerlässlich. 244 Vgl. Merklein, 1 Kor 2, 181–183; Schrage, 1 Kor 2, 233–235. Beide verweisen auf den sachlichen Zusammenhang zwischen „lieben“ (Ĉċć) und „erkennen“ (ęĊĐ) in der hebräischen Bibel, der nach Merklein (ebd. 182) in der „gehorchende[n] Anerkennung“ besteht.

122

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Die Formulierung steht derjenigen in EvThom 3,4 ( ) insofern am nächsten, als auch hier das unbestimmte Subjekt in der 3. Person Plural zur Umschreibung des Passivs dient und gleichzeitig eine Bezeichnung des Urhebers mit Hilfe der Präposition , wie schon eine entsprechende Angabe mit ὑπό im griechischen Urtext, unterbleibt. Aufgrund des Zusammenhangs mit 1 Kor 8,3 kann jedoch kein Zweifel bestehen, dass Paulus in 1 Kor 13,12b von der Gotteserkenntnis im doppelten Sinne spricht: Einst werden die Liebenden Gott ganz erkennen, weil auch sie vorher schon ganz von ihm erkannt und geliebt worden sind.245 Auf dem Hintergrund dieser sprachlichen und motivlichen Erwägungen eröffnet sich eine Reihe von Möglichkeiten, den Gedanken der Erkenntnis Gottes in Pap Ox 654,16 unterzubringen, wobei Gott entweder Subjekt oder Objekt der Erkenntnis wäre. In Anlehnung an das koptische EvThom 3,4 liegt es am nächsten, Gott als das logische Subjekt des Erkenntnisvorgangs in die Lücke einzutragen. Allerdings ist es ausgeschlossen, den Ausdruck des unbestimmten ) in den griechischen Text zu Subjekts mit der 3. Person Plural ( übernehmen (γνώσονται) oder durch ein entsprechendes Passivum divinum (γνωσθήσεσθε) wiederzugeben,246 weil mit γνῷ in Z.17 ein aktiver Konjunktiv Aorist in der 3. Person Singular als Prädikat des Nebensatzes vorgegeben ist. Ein entsprechendes κἀκτός hingegen ist in solch einem dem Zusammenhang sinnvoll, weil die Jünger nicht nur von sich, sondern auch von einem anderen außerhalb ihrer selbst erkannt werden (s. o.).247 Pap Ox 654,15–17 könnte dann etwa wie folgt ergänzt werden: B καὶ ἡ βασ[ιλεία τοῦ θεοῦ] ἐντὸς ὑμῶν [ἐσ]τι [κἀκτός. ὃν ἂν ὁ θεὸς] γνῷ, ταύτην εὑρήσει. „Und das Reich Gottes ist innerhalb von euch und außerhalb. Wen immer Gott erkennt, der wird dieses finden.“

Wie in der sahidischen Version von Gal 4,9 ist die Erkenntnis so als eine aktive Handlung Gottes formuliert.248 Freilich unterscheidet sich die Aussage des grie245 Die Vergangenheitsformen in 1 Kor 8,3; 13,12b machen klar, dass die Erkenntnis der Liebenden durch Gott der umgekehrten Erkenntnis Gottes durch die Liebenden sachlich vorausgeht und diese allererst ermöglicht. Wenn einer Gott liebt, zeigt sich darin, dass er ein bereits von Gott Erkannter ist (Perfekt ἔγνωσται). Ebenso erwartet der Liebende die vollständige Erkenntnis Gottes zwar erst für das Eschaton, er selbst ist aber von Gott bereits vollständig erkannt worden (Aorist ἐπεγνώσθην), nämlich in seiner Erwählung, die ihren sichtbaren Ausdruck in der Annahme des Glaubens und in der Taufe fand (vgl. Merklein, 1 Kor 3, 161). 246 Beides ist sprachlich auch im Griechischen möglich (vgl. BDR § 130,1–2; HvS § 255f). Zu beachten ist, dass das Verb γινώσκειν ein mediales Futur mit aktiver Bedeutung und ein passives Futur mit passiver Bedeutung bildet (vgl. Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v.). 247 Formal ist eine Rekonstruktion ohne κἀκτός auch unter diesen Voraussetzungen möglich, z. B.: καὶ ὅντινα ἂν ὁ θεὸς γνῷ. 248 Diese Rekonstruktion hätte vor allem dann etwas für sich, wenn man mit Garitte (Apocryphe; Traduit) annehmen dürfte, dass die Oxyrhynchos-Fragmente des Thomasevangeliums

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

123

chischen EvThom 3,4 in dieser Form immer noch von der des koptischen, weil die Teilaussagen einander unterschiedlich zugeordnet sind: Im so rekonstruierten griechischen Text kann das Reich Gottes nur von dem gefunden werden, den Gott vorher erkannt hat; umgekehrt wird nach dem koptischen Text nur der von Gott erkannt, der vorher sich selbst erkannt hat. Im ersten Fall ist das Erkanntwerden durch Gott die Bedingung für das Finden des Reiches Gottes, im zweiten Fall die Folge der Selbsterkenntnis der Jünger. Da also ohnehin ein Unterschied zwischen beiden Versionen bestehen bleibt, kann man es schließlich in Anlehnung an Gal 4,9 mit einer Rekonstruktion versuchen, die Gott zum Objekt der Erkenntnis macht und damit noch stärker von der koptischen Textfassung abweicht, z. B.: C καὶ ἡ βασ[ιλεία τοῦ θεοῦ] ἐντὸς ὑμῶν [ἐσ]τι [κἀκτός. ὃς ἂν τὸν θεὸν] γνῷ, ταύτην εὑρήσει.249 „Und das Reich Gottes ist innerhalb von euch und außerhalb. Wer immer Gott erkennt, der wird dieses finden.“

In dieser Form ist es nicht Gott, der die Jünger zuerst erkennt und ihnen dadurch ermöglicht, das Reich Gottes zu finden. Vielmehr müssen die Jünger allererst Gott erkennen, um so das Reich Gottes zu finden. Im Folgenden würde dann die Selbsterkenntnis der Jünger als der Weg gewiesen, auf dem sie die Gotteserkenntnis erlangen. Demnach finden die Jünger das inwendige Reich Gottes unter der doppelten Voraussetzung, dass sie sich selbst und darin auch Gott erkennen. 2.3.6. Zwei Arten der Verknüpfung Die drei diskutierten Rekonstruktionen A, B und C erscheinen gleichermaßen möglich. Die beiden letztgenannten haben den Vorteil, dass sie zwar nicht die Form des koptischen EvThom 3,4, wohl aber die Idee des darin enthaltenen Zusatzes übernehmen. Diese besteht grundlegend darin, die Selbsterkenntnis der Jünger an die Gotteserkenntnis (im subjektiven oder objektiven Sinne) zu koppeln. Zusammen mit den Motiven der Gottessohnschaft und der Armut in EvThom 3,4–5 ist dabei der intertextuelle Bezug zu Gal 4,6–9 unübersehbar. Da sich in beiden Fällen trotzdem keine Übereinstimmung mit dem koptischen Text aus dem Koptischen ins Griechische übersetzt worden sind. Dem hat schon Guillaumont (Oxyrhynchos) zu Recht widersprochen. Dass Garittes Argumente bei Weitem nicht ausreichen, um eine so weitgehende These zu begründen, kann man exemplarisch an der oben bereits diskutierten und von ihm ebenfalls besprochenen Wendung οἱ ἕλκοντες ὑμᾶς/ in EvThom 3,1 ersehen (vgl. Eisele, Ziehen, 381–384). 249 Damit inhaltlich identisch wäre κἀκτός. ὅστις ἂν θεὸν γνῷ. Abweichend davon wäre auch καὶ ὅστις ἂν τὸν θεὸν γνῷ formal möglich, aber der Sache nach unwahrscheinlich, weil κἀκτός aus den oben genannten Gründen gut zur Erkenntnis Gottes durch die Jünger passt.

124

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

herstellen lässt, ist indes Vorsicht geboten. Beide Rekonstruktionen entbehren nicht einer gewissen Willkür, weil sie trotz der Übernahme eines jeweils einzelnen Motivs aus dem koptischen EvThom 3,4 bzw. Gal 4,9 weder eine formale noch eine inhaltliche Übereinstimmung mit dem koptischen Zeugen erreichen. Dennoch sind die dazu angestellten Überlegungen nicht einfach überflüssig, machen sie doch immerhin deutlich, dass wir es in EvThom 3 tatsächlich mit zwei verschiedenen Fassungen desselben Spruchkomplexes zu tun haben, die bis zu einem gewissen Grad unabhängig voneinander zu betrachten sind.250 Die textkritische Rekonstruktion von Pap Ox 654,16 kommt daher nicht ohne formkritische Erwägungen aus. Vergleicht man aber zu diesem Zweck die griechische und die koptische Fassung von EvThom 3,3–4 erneut, lässt sich der Textbefund relativ leicht erklären. Formgeschichtlich entpuppen sich die beiden Varianten als zwei voneinander unabhängige Versuche, die ursprünglich selbständigen Sprüche EvThom 3,1–3 und 4–5 nachträglich miteinander zu verknüpfen. Folgende Übersicht kann dies veranschaulichen: redaktionelle Zusätze καὶ

ursprüngliche Form

redaktionelle Zusätze

(ἀλλὰ?) ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστι.

καὶ ὅστις ἂν ἑαυτὸν γνῷ, ταύτην εὑρήσει. καὶ ὅτε ὑμεῖς ἑαυτοὺς γνώσεσθαι,

εἴσεσθε ὅτι υἱοί ἐστε ὑμεῖς τοῦ πατρὸς τοῦ ζῶντος.

250 Angesichts des komplizierten Textbefundes sind Auskünfte wie die von Grant/Freedman (Worte, 65: „Der gnostisch orientierte Herausgeber [des koptischen Thomasevangeliums] ersetzte in Spruch 3 den Ausdruck ‚das Königreich finden‘ [Pap Ox 654,17] durch ‚erkannt werden‘ […].“) viel zu oberflächlich.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

redaktionelle Zusätze Und

ursprüngliche Form (Aber?)

Aber

das Reich Gottes ist innerhalb von euch.

das Reich Gottes ist innerhalb von euch

und wer immer sich selbst erkennt, wird dieses finden.

125

redaktionelle Zusätze

und außerhalb von euch.

Und Wenn ihr euch selbst erkennen werdet,

Wenn ihr euch selbst erkennt, dann werdet ihr erkannt werden, und

werdet ihr wissen, dass ihr Söhne des lebendigen Vaters seid.

ihr werdet wissen, dass ihr die Söhne des lebendigen Vaters seid.

Nach Abzug einiger redaktioneller Zusätze tritt eine einheitliche Form von EvThom 3,3–4 zutage, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch die ursprüngliche ist. Die beiden Sprucheinheiten EvThom 3,1–3 und 4–5 folgen noch unverbunden aufeinander. V.3 beantwortet die Frage nach dem Ort des Gottesreiches abschließend, indem der vergeblichen Suche an den Grenzen der menschlichen Lebenswelt das den Jüngern inwendige Reich gegenübergestellt wird. Der Form nach ist EvThom 3,3 ursprünglich mit Lk 17,21 identisch, bis auf den Anschluss , der gleichwohl älter sein dürfte als derjenige mit καί; denn die mit ἀλλά / gegensätzliche Formulierung bildet einen pointierten Abschluss der Sprucheinheit EvThom 3,1–3. Rüstow sieht richtig, dass ἀλλά in die Logik des griechischen (wie auch des hier angenommenen ursprünglichen) Spruches besser passt: „An Stelle des offenbar sinnlosen καὶ [sic] des Papyrus Zeile 15 bietet der Kopte das zweifellos erforderliche Adversativum alla“251. Indes übersieht er, dass der Anschluss mit in dem Moment schwierig wird, in dem beim Kopten oder in seiner Überlieferung zum ursprünglichen Spruch hinzutritt. Unter dieser Voraussetzung erscheint das griechische καί angemessener. Anders als früher252 gehe ich jedoch davon aus, dass κἀκτός im griechischen Text gar nicht gestanden hat. Ist καί in Pap Ox 654,16 und 17 jeweils richtig konjiziert, ließe sich die redaktionelle Änderung von ἀλλά in καί in Z.15 dadurch erklären, dass in der Überlieferung des griechischen Zeugen durch das dreimalige καί 251 252

Vgl. Rüstow, Deutung, 222. Vgl. Eisele, Ziehen, 385–386.

126

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

eine anaphorische Verkettung geschaffen und so die Verbindung zwischen den Sprucheinheiten V.1–3 und V.4–5 gefestigt werden sollte. Hierin lässt sich jedoch kaum Sicherheit erlangen.253 Im Übrigen gehen unsere Überlegungen von der schon oft geäußerten Vermutung aus, dass es sich bei um eine Glosse handelt, die im Laufe der Überlieferung in den Text eingedrungen ist und durch mit dem Kontext verbunden wurde.254 Mit ihrem unbestimmten Subjekt ist sie mehrdeutig, und selbst wenn man Gott als ihr logisches Subjekt bestimmt, bleibt es theologisch fragwürdig, wie die Selbsterkenntnis der Jünger zur Voraussetzung ihres Erkanntwerdens durch Gott werden kann. Lässt man die Glosse weg, ergibt sich dagegen ein einwandfreier Sinn: Wenn die Jünger sich selbst erkennen, wissen sie auch um ihre Gottessohnschaft; mit anderen Worten: Die Jünger erkennen sich selbst als Söhne Gottes. Diese reine Introversion wird erst durch die Glosse geöffnet. Die Jünger erkennen nicht mehr nur sich selbst, sie werden auch von einem anderen erkannt. Gott tritt als Subjekt in den Erkenntnisprozess ein, in dem er vorher nur indirekt (grammatikalisch gesprochen: als Genitivattribut zum Prädikatsnomen ) vorkam. Auf der Grundlage der mit Gal 4,6–9 gemeinsamen Motive Erkenntnis, Gottessohnschaft und Armut sieht sich der Glossator berechtigt, die Einseitigkeit der Selbsterkenntnis in EvThom 3,4 von dorther zu korrigieren und den Aspekt des Erkanntwerdens durch Gott einzubringen. In der jetzigen Form folgt das koptische EvThom 3,4 insofern Gal 4,9, als nacheinander die Jünger und Gott als logische Erkenntnissubjekte ins Spiel gebracht werden. Der Thomasspruch bewahrt jedoch dadurch einen völlig ) und nicht Gott anderen Sinn, dass im ersten Glied die Jünger selbst ( (γνόντες θεόν) das Objekt der angestrebten Erkenntnis darstellen. Man kann nur vermuten, dass durch die Glosse die Ichbezogenheit der Selbsterkenntnis und die Selbstherrlichkeit der Jünger darin aufgebrochen und um die nach Gal 4,9 noch wichtigere (μᾶλλον) Erkenntnisbewegung von Gott her ergänzt werden sollte. Nimmt man EvThom 3,4 rein, wie es dasteht, wäre dies freilich schlecht gelungen; denn in der jetzigen Form bleibt die Selbsterkenntnis der Jünger die Voraussetzung dafür, dass sie von Gott erkannt werden.255 Will man dem Redaktor bei seiner Operation keine grobe Fahrlässigkeit unterstellen, muss man deshalb wohl annehmen, er wolle mit seinem kurzen Zitat den ganzen Kontext 253 So liest Hofius (Thomasevangelium, 30) in Anlehnung an das koptische in Pap Ox 654,17 ὅταν δὲ ὑμεῖς, im Unterschied zu Fitzmyers καὶ ὅτε ὑμεῖς (Oxyrhynchus, 375), das Attridge (Fragments, 114) übernimmt. 254 Vgl. Hofius, Thomasevangelium, 31; Mueller, Kingdom, 268. 255 So trifft das Urteil von Ménard (Sagesse, 139), EvThom 3 sei Ausdruck einer „pensée grecque, où il n’est question que de la connaissance de Dieu par l’homme“, streng genommen nur auf das griechische Logion zu. Recht behält er jedoch darin, dass auch die koptische Version sich von 1 Kor 8,3 und Gal 4,9 dadurch unterscheidet, dass „chez s. Paul, c’est la connaissance de l’homme par Dieu qui vient en premier“.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

127

von Gal 4,9 mit einspielen.256 Selbsterkenntnis, so sein vermutliches Anliegen, kommt nur zum Ziel, wenn sie mit Gotteserkenntnis (im doppelten Sinne) einsehr hergeht. Dazu passt dann auch der weitere Zusatz257 gut. Führt EvThom 3 in seiner ursprünglichen Form den Jünger ausschließlich nach innen, auf dass er in sich das Reich Gottes finde und sich seiner Gottessohnschaft gewahr werde, so erscheint das redigierte Logion in seinen beiden Teilen jeweils um eine entscheidende Außenperspektive erweitert: Wie das Reich Gottes nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Jünger zu suchen ist, so ist es auch mit der Selbsterkenntnis der Jünger allein nicht getan, sondern sie müssen darüber hinaus von Gott erkannt werden, um ein angemessenes Wissen um ihre Gottessohnschaft zu erlangen. Dieser Zusammenhang macht tatsächlich um einen es wahrscheinlich, dass es sich bei Zusatz handelt und dass beide Zusätze im koptischen Text von derselben Hand stammen, welche durch die zweifache Ergänzung beide Hälften von EvThom 3 bewusst miteinander verzahnt hat.258 Diese Verknüpfung wurde in der Überlieferung des griechischen Zeugen auf andere Art und Weise vorgenommen,259 wodurch sich die Pointe von EvThom 3 als ganzem wesentlich verändert. Ohne die Glosse des koptischen Textes, welche dort allererst eine Außenperspektive in den Erkenntnisvorgang einbringt, bleibt 256 Diese doppelte Erwägung trägt einerseits der Tatsache Rechnung, dass das koptische EvThom 3,4 für sich genommen schwer verständlich ist, unterstellt andererseits aber dem Redaktor nicht, dass er unbedacht vorgegangen sei; denn für ihn, der die von Gal 4,9 inspirierte Glosse verarbeitet, ist jener Kontext selbstverständlich lebendiger als für den späteren Leser von EvThom 3,4. So bleibt die Glosse als solche erkennbar, ohne doch von vornherein Unsinn zu produzieren. 257 Vgl. Mueller, Kingdom, 271. 258 Zum gleichen Ergebnis bezüglich der redaktionellen Verknüpfung von EvThom 3,1–3 und 4–5 kommt King, Kingdom, 61–62: „Note that the first two distichs of part 3 [= EvThom 3,3–4 koptisch] can also be understood as follows: 9 The kingdom is inside of you 11 when you know yourselves. 10 The kingdom is outside of you 12 when you are known (by the father). […] Since the lines 2–9 [= EvThom 3,1–3a] are formally complete without line 10 (compare Luke 17:20–21 and GThom 113), line 10 appears to be an expansion of line 9. The expansion is necessary in order to provide the form of a distich which puts 9–10 in parallelism with line 11–12. Placing 9–10 and 11–12 in formal parallelism accomplishes two things. First of all, it provides a clear interpretation of what it means to have the kingdom inside of you and outside of you: it means to know yourself and to be known (by the father […]). Secondly, the parallelism accomplishes the transition between otherwise unrelated sayings (lines 2–9 and lines 11–16 [= EvThom 3,4–5])“. Die Phrase identifiziert King freilich nicht als Zusatz; hier wirkt sich die unzureichende Beachtung der griechischen Fassung von EvThom 3 hinderlich aus. Dies gilt an dieser Stelle auch für Uro (Neither Here, 14–15), der ansonsten den griechischen Text maßgeblich miteinbezieht. 259 Dass der Vergleich der beiden Textzeugen nicht nur , sondern auch die Überleitung in Pap Ox 654,16–17 als sekundär erweist, hat Uro (Neither Here, 14–15) richtig erkannt.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

ein dem koptischen entsprechendes κἀκτός, das allenthalben in Pap Ox 654,16 konjiziert wird, ohne befriedigenden Bezug zum Kontext. Die lesbaren Satzelemente γνῷ und ταύτην εὑρή[σει], die beim koptischen Zeugen auffälligerweise fehlen, deuten außerdem darauf hin, dass der Übergang von der ersten zur zweiten Hälfte von EvThom 3 in der Überlieferung, die das Oxyrhynchus-Fragment bezeugt, insgesamt anders gestaltet worden ist. Das Demonstrativpronomen ταύτην bezieht sich auf das zweimalige ἡ βασιλεία (Z.11.15) zurück, während γνῷ auf das zweimalige γνώσεσθε (Z.18.20) vorausweist. Beide Motive werden im redaktionellen Verbindungsstück jedoch nicht in der Themenabfolge von EvThom 3 (Gottesreich – Erkenntnis), sondern in umgekehrter Reihenfolge (Erkenntnis – Gottesreich) erwähnt. Dadurch greifen die beiden Sprucheinheiten EvThom 3,1–3 und 4–5 am redaktionellen Übergang wirkungsvoll ineinander, ohne dass in das Logion als ganzes ein wesentlich neuer Gedanke eingebracht worden wäre, wie dies in der koptischen Fassung der Fall ist. Denn dass das inwendige Reich Gottes durch Selbsterkenntnis gefunden wird, expliziert nur eine Konsequenz, die sich bereits aus der losen Zuordnung beider Themen innerhalb des Logions zwanglos ergibt. Der griechische Text bezeugt somit an dieser Stelle eine konservative Redaktion, der es um den ausdrücklichen literarischen Zusammenhalt des Textes in der Abfolge seiner verschiedenen Themen zu tun ist. Dagegen bezwecken die Zusätze in der koptischen Version in erster Linie eine Korrektur der vorgegebenen Aussagen und erreichen einen verstärkten Zusammenhalt des Logions nur indirekt dadurch, dass die beiden vorgenommenen Korrekturen inhaltlich auf derselben Linie liegen. 2.3.7. Fragen der Wahrnehmung (EvThom 113) Da EvThom 3 anerkanntermaßen mit EvThom 113 redaktionell zusammenhängt, ist ein Blick darauf geeignet, unsere hiesigen Analysen abzuschließen und die bisherigen Ergebnisse zu überprüfen. K. King entdeckt in EvThom 113,4 – analog zum koptischen EvThom 3,3 – eine komplementäre Lokalisierung des Reiches außerhalb und innerhalb der Jünger: Das auf der Erde ausgebreitete Reich des Vaters werde durch die Wahrnehmung der Menschen verinnerlicht.260 Wenn die Menschen das überall auf Erden gegenwärtige Reich nicht sehen – und das ist nach der Pointe des Spruches der Normalfall –, bliebe es ihnen demnach äußerlich. Es ist allerdings fraglich, ob mit dem Sehen in EvThom 113,4 wirklich ein Prozess der Verinnerlichung des Reiches gemeint ist. King scheint hier von einer modernen Auffassung des Sehvorgangs auszugehen, wonach vom Objekt ausgehende Lichtstrahlen ins Auge fallen und dort die Sinneswahrnehmung verursachen. Dem widersprechen jedoch die verschiedenen antiken Wahrnehmungstheorien im entscheidenden Punkt: „Für weit länger als 260

Vgl. King, Kingdom, 64–65.

2.3. EvThom 3: Das Reich Gottes und die Erkenntnis der Jünger

129

ein Jahrtausend, in der Zeitspanne zwischen dem vierten Jahrhundert vor und dem zehnten Jahrhundert nach der Zeitenwende, ist das Paradigma des Sehstrahls für das Verständnis des S[ehens] richtungweisend. […] Die Diskrepanz zu späteren Auffassungen ist offenkundig: Der Blick emaniert in der Form eines Kegels oder einer Pyramide, um am Ort des Wahrgenommenen das S[ehen] zu realisieren.“261 Beim Sehen wird demnach nicht das äußerliche Bild eines Objekts vom Subjekt verinnerlicht; vielmehr wendet sich das Subjekt mittels des Sehstrahls nach außen, um dort die Objekte in der Wahrnehmung aufzusuchen. „In der hellenistischen Tradition umfaßt das S[ehen] die Möglichkeit, gleichsam ‚außer sich selbst [zu] empfinden‘“262. Anders stünde es, wenn in EvThom 113,4 ein inneres Sehen nach Art eines platonischen Intellektualismus gemeint wäre.263 Das ist aber ausgeschlossen, weil bei einem solchen Verständnis die Pointe des Spruches verlorenginge. Im Unterschied zum griechischen EvThom 3 geht es hier gerade nicht um das inwendige Reich Gottes, sondern um das auf Erden offen zu Tage liegende. Wer dieses Reich in der Welt finden will, der muss sich nicht nach innen, sondern nach außen wenden, um es dort zu sehen. Hinzu kommt, dass die Außenperspektive, welche die Erkenntnis der Jünger durch den Vater in das koptische EvThom 3,4 einbringt und welche sich dann in dem Zuspiegelt, nicht durch die veränderte Lokalisierung des satz Objekts, sondern des Subjekts der Erkenntnis bedingt ist: Objekt der Erkenntnis sind immer die Jünger, doch einmal erkennen sie sich selbst in einem inneren Vorgang, und einmal werden sie von Gott als einem anderen ihrer selbst und insofern von außen her erkannt. Dies widerrät einem Verständnis von EvThom 113,4, welches das Sehen des Reiches als einen Vorgang seiner Verinnerlichung begreift, zumal EvThom 3 und 113 tatsächlich in einem engen Zusammenhang zu betrachten sind. Wie die beiden Zusätze im koptischen EvThom 3,3–4, so ist EvThom 113,4 offensichtlich an einer Korrektur der Vorstellung vom inwendigen Reich Gottes interessiert: Es ist nicht deswegen (noch) verborgen, weil es ausschließlich im Inneren der Jünger zu finden wäre, sondern weil es die Menschen schlichtweg nicht sehen, obwohl es überall auf der Welt offen zu Tage liegt. Da wir es in EvThom 113,4 mit einem suffizienten und wohlgeformten Spruch zu 261 Konersmann, HWP 9, 134–135. Zwar ist richtig, dass in manchen antiken Theorien auch vom Objekt Bilder ausgehen, welche das Sehen mitverursachen; aber die Darstellung von Baltussen (DNP 12/2, 374), wonach der Sehvorgang „entweder mit Ausflüssen (aporrhoaí) von seiten des Objekts […] oder mit dem Ausgriff des Auges auf das Objekt vermittels eines ‚Sehstrahls‘“ erklärt wird, ist in ihrer streng disjunktiven Formulierung nicht zu halten. Was sich, etwa bei den Atomisten, finden lässt, sind vermittelnde Positionen; vgl. Konersmann, HWP 9, 136: „Das S[ehen] entsteht im Moment der unmittelbaren Berührung von Augenemission und [vom Objekt] ausgesandtem Bild.“ Zu den antiken Seh- und Wahrnehmungstheorien im Einzelnen vgl. Baltussen, DNP 12/2, 373–378; Konersmann, HWP 9, 134–142. Vergleichbare Theorien gibt es in der biblischen und frühjüdischen Tradition meines Wissens nicht. 262 Konersmann, HWP 9, 136, der seinerseits Simon (Blick, 46) zitiert. 263 Vgl. Konersmann, HWP 9, 137–138.

130

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

tun haben, während die Zusätze im koptischen EvThom 3,3–4 nur im dortigen Kontext als inhaltliche Korrektur und redaktionelle Verzahnung der beiden Spruchhälften sinnvoll sind, ist davon auszugehen, dass der ganze Korrekturvorgang mit EvThom 113,4 begonnen hat. Hier wird nicht nur ein zentrales Logion aus der Exposition des koptischen Thomasevangeliums am Ende wieder aufgenommen und dadurch das ganze Werk kompositorisch gerahmt; vielmehr wird die Frage nach der Zuhandenheit des Reiches erneut aufgegriffen und Jesu Antwort darauf entscheidend modifiziert. Diese Korrektur geschieht auf der Ebene der Komposition des Thomasevangeliums. Die Zuwächse in EvThom 3,3–4 sind hingegen redaktionell. Der Zusatz ist dabei doppelt motiviert: Er trägt einerseits die spätere Korrektur aus EvThom 113,4 im früheren Spruch nach und schafft andererseits durch seinen inhaltlichen den Übergang von der ersten Bezug zur Glosse zur zweiten Spruchhälfte von EvThom 3. 2.3.8. Zusammenfassung a) EvThom 3 besteht in beiden erhaltenen Fassungen erkennbar aus zwei Teilen, V.1–3 und V.4–5, die als ursprünglich selbständige Logien in EvThom 3 zueinander gruppiert und später redaktionell miteinander verknüpft worden sind. Dabei sind die beiden Redaktionen, die der griechische und der koptische Text bezeugen, unabhängig voneinander verschiedene Wege gegangen, die sich im Vergleich der beiden Versionen noch gut nachvollziehen lassen. Bei der Gegenüberstellung zeigt sich, dass die Scharnierverse 3 und 4 nach Abzug der jeweiligen redaktionellen Zusätze in beiden Fassungen einen gemeinsamen Grundbestand aufweisen. Umgekehrt sind die redaktionellen Zusätze zugleich diejenigen Textteile, die textkritisch in der Diskussion stehen, wodurch sich die form- und textkritischen Argumente gegenseitig stützen. b) Die Redaktion des griechischen EvThom 3 kann insofern als konservativ bezeichnet werden, als ihr nicht an der Einführung neuer Gedanken, sondern nur daran gelegen ist, die unverbunden aufeinander folgenden Teile V.1–3 und V.4–5 ausdrücklich aufeinander zu beziehen. Was die Abfolge der beiden Sprüche innerhalb des Logienkomplexes von EvThom 3 bereits insinuierte, das macht ihre redaktionelle Verknüpfung explizit: Da das Reich Gottes – zumindest auch – in den Jüngern selbst verortet ist, liegt es im wahrsten Sinne des Wortes nahe, es durch Selbsterkenntnis zu finden. Mit dem Stichwort „finden“ schafft die Redaktion zugleich einen Bezug zum vorausgehenden EvThom 2. c) Eine andere Absicht verfolgt die Redaktion des koptischen EvThom 3. Ihr kommt es darauf an, den Gedanken der Selbsterkenntnis der Jünger durch denjenigen ihrer Fremderkenntnis durch Gott zu ergänzen. Insofern die Jünger nicht nur sich selbst erkennen, sondern auch von außen durch Gott erkannt

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

131

werden, liegt das Reich Gottes für sie nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb ihrer selbst. Dadurch wird die Selbsterkenntnis der Jünger im Sinne von Gal 4,9 relativiert und die Aussage des griechischen EvThom 3 korrigiert. Es sind nicht mehr die Jünger allein, die das Reich Gottes durch ihre Selbsterkenntnis finden; dazukommen muss die Erkenntnis der Jünger durch Gott. Freilich erfolgt dieser Zusatz so, dass ein theologisch fragwürdiger Sinn entsteht, so als ob die Selbsterkenntnis der Jünger derjenigen durch Gott vorausginge. Im Ergebnis bleibt die redaktionelle Absicht erkennbar, auch wenn die Durchführung mangelhaft erscheint. d) Die so beschriebene Redaktion des koptischen EvThom 3 liegt auf der Linie von EvThom 113,4, mit dem es einen Rahmen um das Thomasevangelium bildet. Dort wird das Reich Gottes als ausgebreitet auf der Erde vorgestellt. Problematisiert wird nicht das Wissen um seinen Ort oder die Erreichbarkeit dieses Ortes, sondern die Erkenntnisfähigkeit der Menschen auf der Suche danach. Von hier aus scheint der Gedanke vom Reich Gottes „außerhalb von euch“ und der Fremderkenntnis durch Gott, wo die Erkenntnis der Menschen versagt, in das koptische EvThom 3 eingebracht worden zu sein. e) Demgegenüber lassen sich die übrigen Textunterschiede zwar je für sich verständlich machen, aber nicht ohne Weiteres einer redaktionellen Zielrichtung zuordnen. Einige Hinweise seien dennoch gegeben. In EvThom 3,1 können „diejenigen, die euch zu überzeugen versuchen“, im Koptischen aus Nachlässigkeit zu Anführern der Jünger geworden sein; es ist aber auch möglich, dass mit ihnen und ihren unzulänglichen – wenn nicht irrigen – Wegweisungen der Gemeinschaftsaspekt kritisch in das Logion eingebracht werden sollte.264 Ebenso kann man den Unterschied zwischen Fischen „im Wasser unter der Erde“ und „im Meer“ arglos betrachten oder darin eine bewusste Verstärkung des Anklangs an Dtn 30,11–14 im koptischen Text erblicken. Wie dem auch sei, text- und motivkritisch sind die Varianten allemal beachtlich.

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares 2.4.1. Der Textbefund EvThom 5 und 6 sind durch ihre analogen Schlussverse eng aufeinander bezogen. EvThom 5,2 begegnet aufs Wort genau in EvThom 6,5 wieder: „Es gibt nämlich nichts Verborgenes, das nicht offenbar werden wird“ ( ). Der griechische Zeuge formuliert nicht wörtlich, aber sinngemäß an beiden Stellen (Pap Ox 654,29–30.38–40) gleich, soweit das anhand des lückenhaften Textes in Z.38–40 überhaupt zu beurteilen 264

Ähnlich wie in EvThom 30,2 (siehe unten).

132

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

ist. Dass dabei einmal das vom Verb κρύπτειν abgeleitete Adjektiv κρυπτόν und einmal das Partizip Perfekt ἀποκεκρυμμένον vom Verb ἀποκρύπτειν steht, bedeutet inhaltlich keinen Unterschied. In beiden Fällen ist das „Verborgene“ gemeint. Der griechische Text von EvThom 5 ist jedoch um einen Vers erweitert (V.3 = Pap Ox 654,31), so dass am Ende ein Doppelspruch in der Form eines Parallelismus membrorum entsteht, wo der koptische Zeuge nur einen einfachen Spruch bietet. Dieser hat umgekehrt in EvThom 6,6 einen zusätzlichen Vers, der in Pap Ox 654 fehlt, und weist so in EvThom 6,5–6 die Form eines parallel gegliederten Doppelspruches auf, wo das griechische Logion mit einem einfachen Spruch endet. Dieser Befund deutet darauf hin, dass wir es in EvThom 5,2(+3) und 6,5(+6) mit einem Wanderlogion zu tun haben, das – im Einzelnen variabel, im Ganzen jedoch wiedererkennbar – in verschiedenen Zusammenhängen begegnet.265 Belege dafür finden sich auch in der synoptischen Tradition.

265

Vgl. Patterson, Thomas, 21; Plisch, EvThom, 49.

Mt 10,26

Lk 12,2

(6) fehlt

(3) fehlt

(3) καὶ θεθαμμένον ὃ ο[ὐκ ἐγερθήσεται].

Q 12,2

(5) [οὐδὲν γάρ ἐστι]ν ἀ[π]οκεκρ[υμμένον ὃ οὐ φανερὸν ἔσται].

(2)

(2) [οὐ γάρ ἐσ-] τιν κρυπτὸν ὃ οὐ φανε[ρὸν γενήσεται], (6)

5)

Mk 4,22

markinische Tradition Lk 8,17

οὐδὲ ἐγένετο ἀπόκρυφον ἀλλ’ ἵνα ἔλθῃ εἰς φανερόν.

οὐδὲ ἀπόκρυφον ὃ οὐ μὴ γνωσθῇ καὶ εἰς φανερὸν ἔλθῃ.

οὐ γάρ ἐστιν κρυπτὸν ὃ οὐ φανερὸν γενήσεται

οὐ γάρ ἐστιν κρυπτὸν ἐὰν μὴ ἵνα φανερωθῇ,

οὐδὲν δὲ συγκεκαλυμμένον ἐστὶν ὃ οὐκ ἀποκαλυφθήσεται καὶ κρυπτὸν ὃ οὐ γνωσθήσεται.

Lk 8,17

markinische Tradition Mk 4,22

Lk 12,2

Q 12,2

καὶ κρυπτὸν ὃ οὐ γνωσθήσεται.

οὐδὲν γάρ ἐστιν κεκαλυμμένον ὃ οὐκ ἀποκαλυφθήσεται

Mt 10,26

sahidische Übersetzung

NHC II,2 p.33, Z.21–23

EvThom 6,5–6

Pap Ox 654, 38–40

NHC II,2 p.33, Z.14–15

Pap Ox 654, 29–31

EvThom 5,2–3

2.4.2. Ein Wanderlogion

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

133

134

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

In allen Varianten des Spruches, vielleicht mit Ausnahme vom griechischen EvThom 5,3, geht es um das Offenbarwerden des Verborgenen. Wie im griechischen EvThom 5,2–3 und im koptischen EvThom 6,5–6 hat das Logion in allen vier synoptischen Belegen die Form eines Doppelspruches. Im Parallelismus membrorum variiert dabei jeweils die Ausdrucksweise, aber nicht der Sinn. So sind die beiden Subjektsnomina κρυπτόν und ἀπόκρυφον in Mk 4,22 und Lk 8,17 als gleichsinnig zu betrachten. Dasselbe gilt in der Logienquelle (Q 12,2) für das Partizip Perfekt κεκαλυμμένον (Mt 10,26) bzw. συγκεκαλυμμένον (Lk 12,2) einerseits und das Adjektiv κρυπτόν andererseits. Demgegenüber fallen die Einzelsprüche im koptischen EvThom 5,2 und im griechischen EvThom 6,5 nicht nur als solche auf,266 sondern vor allem in der Hinsicht, dass sie an vergleichbaren, aber unterschiedlichen und gleichzeitig nah beieinander liegenden Textstellen begegnen. 2.4.3. Begraben und Verbergen Am einfachsten lässt sich dieser Befund dadurch erklären, dass man mit einer Umstellung der zweiten Doppelspruchhälfte von EvThom 5,3 nach EvThom 6,6 oder umgekehrt im Laufe der Textüberlieferung des Thomasevangeliums rechnet. Nur unter dieser Voraussetzung kann der koptische Text von EvThom 6,6 überhaupt zur Rekonstruktion des griechischen in EvThom 5,3 benutzt werden. Diesen Weg beschreitet O. Hofius: „Es ist fraglich, ob bei θάπτεσθαι noch an ‚Tod‘ und ‚Grab‘ gedacht ist, oder ob nicht doch nur der Gedanke des Bedeckt- und Verborgenseins gemeint ist. Dafür spricht ebenfalls wieder der koptische Text, der als Äquivalent zu θάπτεσθαι das Wort hŏb’s hat, das ‚bedeckt, verborgen sein‘ bedeutet.“267 Hofius ergänzt denn auch in Pap Ox 654,31 οὐκ ἀποκαλυφθήσεται, das er aus Z.29 übernimmt, anstelle des von Attridge bevorzugten οὐκ ἐγερθήσεται. Er beruft sich implizit auf das Kriterium der Kohärenz, wenn er feststellt: „Einen Bezug des Logions auf die Auferstehung legen weder die synoptischen Parallelen (Mt 10,26; Mc 4,22; Lc 8,17. 12,2) noch die Fassung in Th[omas] nahe.“268 Eine andere Konjektur, die sachlich in die gleiche Richtung geht, aber sich besser in das bildhafte Wortfeld vom Graben einfügt, schlug zuvor schon V. Bartlet vor, nämlich οὐκ ἐξορύξεται von ἐξορύσσειν für „ausgraben“.269 Derlei Rekonstruktionen haben allerdings die Schwierigkeit, dass sich im erhaltenen Text die beiden Versionen, namentlich das Partizip Per266 Ein vergleichbarer Fall liegt mit dem Wanderlogion von den Ersten und den Letzten vor: Während es im griechischen Text und bei den Synoptikern stets die Form eines reziproken Doppellogions hat, ist es im koptischen EvThom 4,2 ausnahmsweise als Einzelspruch überliefert. 267 Hofius, Thomasevangelium, 40. 268 Hofius, Thomasevangelium, 40. 269 Vgl. Bartlet, Oxyrhynchus, 117.

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

135

, semantisch nicht zur fekt θεθαμμένον270 und der Circumstantialis Deckung bringen lassen. Im griechischen Doppelspruch EvThom 5,2–3 ist der Weg von κρυπτόν zum folgenden θεθαμμένον zwar nicht weit. Denn das Verb κρύπτειν kann, ausgehend von der Grundbedeutung „verbergen, verstecken“, auch die Bedeutung „begraben, bestatten“ annehmen. „Verborgen“ (κρυπτόν) ist demnach insbesondere etwas, das vergraben oder begraben, also jedenfalls von der Erde bedeckt ist.271 Umgekehrt heißt θάπτειν jedoch niemals allgemein „vergraben, bedecken“, sondern bezeichnet stets den Vollzug von Bestattungsriten und lässt dabei nicht allein an das Begräbnis des vollständigen Leichnams denken, sondern bezieht sich ebenso sehr auf die vorhergehende Kremation und die damit verbundenen Riten.272 Diese Bedeutung von θάπτειν gibt das koptische nicht her, das seinerseits „bedecken, bekleiden, verhüllen“, nicht aber „bestatten“ heißen kann.273 Geht man also von der Umstellungshypothese aus, hat der Übersetzer von EvThom 6,6 entweder EvThom 5,3 missverstanden oder bewusst verändert, und zwar unabhängig davon, ob er den Vers selbst umgestellt oder ihn bereits an dieser Stelle in seiner Vorlage gefunden hat. So oder so ist es sehr wahrscheinlich, dass die synoptische Parallelüberlieferung die Form des relativ späten koptischen Zeugen irgendwie beeinflusst hat. Ob eine absichtliche Veränderung dem Zweck dienen sollte, die Vorstellung von der leiblichen Auferstehung aus dem Text zu tilgen,274 muss dagegen offen bleiben. Sie könnte im Vergleich mit der synoptischen Tradition auch einfach als notwendige Korrektur im Sinne einer getreuen Textüberlieferung verstanden worden sein. In jedem Fall hat sich aber der koptische Zeuge für eine zuverlässige Rekonstruktion des griechischen disqualifiziert, weshalb beide unabhängig voneinander zu behandeln sind. Unter diesen Umständen ist aber die von Grenfell und Hunt für Pap Ox 654,31 vorgeschlagene und von Attridge übernommene Rekonstruktion καὶ θεθαμμένον ὃ οὐκ ἐγερθήσεται immer noch die beste.275 Nicht zu Unrecht 270

Sic, i. e. τεθαμμένον. Vgl. Menge, Großwörterbuch, s. v. κρυπτός und κρύπτω; Liddell / Scott, Lexicon, s. v. κρύπτω, 2.: „cover in the earth, bury“; Passow, Handwörterbuch, s. v. κρύπτω. 272 Vgl. die Grundbedeutung bei Liddell/Scott, Lexicon, s. v. θάπτω: „honour with funeral rites“. Zur Unterscheidung von der Erdbestattung wurde die Einäscherung auch als πυρὶ θάπτειν bezeichnet (vgl. Passow, Handwörterbuch, s. v. θάπτω). 273 Vgl. Westendorf, Handwörterbuch, s. v. . Dagegen sprechen auch nicht die Belege bei Crum, Dictionary, s. v. : („unser Ruhm und unser Name pflegen bedeckt zu werden“) und („die Bedeckung meines Leibes“). In beiden Fällen steht zwar im Blick auf die Bestattung, bezeichnet dabei aber nicht wie θάπτειν die Bestattungsriten im eigentlichen Sinn, sondern gewinnt einen diesbezüglichen Hintersinn erst aus dem Kontext. 274 So erwogen von Puech (Logion, 128; Thomas, 222) als Werk eines Gnostikers. Indes findet Quispel (Makarius, 71–72) in EvThom 5,3 ein wichtiges Argument gegen die religionsgeschichtliche Zuordnung des Thomasevangeliums zur Gnosis, geht dabei aber auf den um diesen Vers gekürzten koptischen Text gar nicht ein. 275 Vgl. Attridge, Fragments, 115; Fitzmyer, Oxyrhynchus, 381; Grenfell/Hunt, Oxyrhynchus IV, 9; Ménard, EvThom, 85. 271

136

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

berufen sich die Erstherausgeber auf das Kriterium der spezifischen Differenz: „Instead of ἐγερθήσεται a more general word such as γνωσθήσεται can be supplied; but this detracts from the picturesqueness of what is in any case a striking variation of a well-known Saying.“276 Das Stichwort κρυπτόν in Pap Ox 654,30 (vgl. Mk 4,22//Lk 8,17) wäre dann ein willkommener Anlass, den Themenkreis von Tod und Auferstehung in den überlieferten Spruch vom aufgedeckten Verborgenen, der sonst an keiner Stelle damit zu tun hat, einzubringen. Für diese Sicht der Dinge spricht außerdem, dass der so rekonstruierte Spruch auf einer Begräbnisbinde aus Oxyrhynchos tatsächlich belegt ist; dort lautet er: λέγει Ἰησοῦς· οὔκ ἐστιν τεθαμμένον ὃ οὐκ ἐγερθήσεται.277 Auch wenn dieser Beleg ins 5. oder 6. Jahrhundert und damit mindestens 150 Jahre später als Pap Ox 654 datiert wird,278 ist ein überlieferungsgeschichtlicher Zusammenhang aufgrund der räumlichen Nähe doch mehr als wahrscheinlich. Insgesamt ist damit klar, dass wir es in EvThom 5,3 und 6,6 nicht nur mit einer Textumstellung, sondern mit zwei unterschiedlichen Fassungen der zweiten Doppelspruchhälfte zu tun haben. 2.4.4. Der Doppelspruch im griechischen EvThom 5 (Pap Ox 654,29–31) Wie ist nun dieser Textbefund überlieferungsgeschichtlich zu erklären? Im Vergleich der Textformen fällt als erstes auf, dass der Einzelspruch in der Überlieferung des Thomasevangeliums zweimal, und zwar in den beiden Handschriften an verschiedenen Stellen, bezeugt ist, während er in der synoptischen Tradition nie begegnet. Die Kürzung eines ursprünglichen Doppelspruches ließe sich für EvThom 5 als Tilgung des Auferstehungsgedankens im koptischen, nicht jedoch für EvThom 6 im griechischen Text plausibel machen. Umgekehrt hat, wer immer die beiden Fassungen von EvThom 5–6 jeweils zuletzt bearbeitet hat, jedenfalls keinen Anlass gesehen, den jeweils stehengebliebenen Einzelspruch zu einem Doppelspruch auszubauen. Dies spricht dafür, dass in der Thomasüberlieferung das Einzellogion den Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung bildete. In der griechischen Überlieferung bot dann das Stichwort κρυπτόν in EvThom 5,2 durch seine semantische Überschneidung mit τεθαμμένον den Anknüpfungspunkt, um den Spruch vom Begrabenen, das auferweckt wird (EvThom 5,3), anzufügen.279 Das Fehlen dieses Stichwortes im griechischen EvThom 6,5, wo 276

Grenfell/Hunt, Oxyrhynchus IV, 9. Vgl. Puech, Logion, 126–129; ders., Thomas, 216–217. 278 Vgl. Attridge, Fragments, 97; Puech, Logion, 127. 279 Bereits Bultmann (Geschichte, 99) und Jeremias (Jesusworte, 19.29) halten EvThom 5,3, ohne Seitenblick auf EvThom 6 und in Unkenntnis des koptischen Thomasevangeliums, für einen Zusatz. Diese Position gibt Puech (Logion, 128) zwar richtig wieder, beruft sich dabei aber fälschlich auf Bultmann (Geschichte, 95), wo dieser nicht EvThom 5,3, sondern EvThom 5,1 in der Rekonstruktion [πᾶν τὸ μὴ ἔμπροσ]θεν τῆς ὄψεως σου [sic] καὶ [τὸ κεκρυμμένον] ἀπὸ σοῦ [sic] ἀποκαλυφθήσεταί σοι als Zusatz am Anfang von EvThom 5 qualifiziert. 277

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

137

statt dessen ἀποκεκρυμμένον mit großer Sicherheit rekonstruiert werden kann, erklärt zugleich, weshalb hier eine entsprechende Ergänzung unterblieben ist. Ein Einfluss von Lk 8,17 auf EvThom 5,2–3 ist dabei kaum zu leugnen.280 Denn die wörtliche Übereinstimmung des griechischen EvThom 5,2 mit Lk 8,17a kann nicht darauf zurückgeführt werden, dass beide unabhängig voneinander auf ein und dieselbe Überlieferung zurückgegriffen hätten. Vielmehr gibt sich Lk 8,17 deutlich als eine Bearbeitung von Mk 4,22 mit Blick auf die Q-Version des Spruches zu erkennen. Dabei hat Lukas die umständliche Verbindung von Einschränkung (ἐὰν μή bzw. ἀλλά) und Zweckangabe (ἵνα) beide Male durch einen einfachen Relativanschluss (ὅ) mit folgender Negation (οὐ bzw. οὐ μή) ersetzt und in der zweiten Doppelspruchhälfte das Prädikat des Relativsatzes aus Q (γνωσθήσεται) mit demjenigen bei Markus (ἔλθῃ εἰς φανερόν) zu der doppelten Aussage γνωσθῇ καὶ εἰς φανερὸν ἔλθῃ kombiniert.281 Das griechische EvThom 5,2 bietet somit als Einzellogion einen Text, den erst Lukas in dieser Form geschaffen hat. Gleichzeitig wurde durch Lk 8,17 die Form des Doppelspruches angeregt, die nun allerdings nicht durch die einfache Übernahme von Lk 8,17b, sondern durch die Hinzufügung des Spruches vom Begrabenen, das auferweckt wird, verwirklicht wurde. Angeregt wurde diese Erweiterung wohl nicht nur durch die Assoziation des lukanischen κρυπτόν mit θεθαμμένον, sondern auch durch die Bedeutung, die dem Erkennen des auferstandenen Jesus speziell im Lukasevangelium zukommt. Auf ihrem Weg nach Emmaus erkennen die beiden Jünger den Auferstandenen zunächst nicht (Lk 24,16: τοῦ μὴ ἐπιγνῶναι αὐτόν), sondern erst beim Brotbrechen (Lk 24, 31: ἐπέγνωσαν αὐτόν). Der gemeinsame Weg (Lk 24,15: συνεπορεύετο αὐτοῖς) hat nur den einen Sinn, dass Jesus als der Auferstandene im wahrsten Sinne des Wortes „ins Offenbare kommt“ (εἰς φανερόν ἔλθῃ).282 Derlei Assoziationen mögen dazu 280 Die Stichwortverbindungen von EvThom 5,2 und 6,5–6 mit ihrem jeweiligen Kontext in der koptischen Überlieferung liefern kein triftiges Argument dagegen, dass diese Sprüche nicht auch von der synoptischen Parallelüberlieferung beeinflusst sein können (gegen Patterson, Thomas, 21). Denn erstens zeigen gerade EvThom 5–6 überdeutlich, dass ausgehend von der koptischen Übersetzung nur sehr vage auf die griechische Textgeschichte zurückgeschlossen werden kann; zweitens können Stichwortverbindungen auch bei der Übersetzung ins Koptische erst redaktionell hergestellt worden sein, um die Einheitlichkeit des Textes zu erhöhen bzw. ihn zum Memorieren im Zuge sekundärer Oralität geeigneter zu machen. 281 Will man die Zwei-Quellen-Theorie nicht grundsätzlich in Frage stellen, ist das die einfachste Erklärung der Textlage (vgl. Schrage, Verhältnis, 34–35; Schröter, Erinnerung, 370–371, Anm. 300). Dagegen postuliert Sieber (Analysis, 108–109) ohne Not eine weitere Quelle hinter dem Lukas- und Thomastext. 282 Die Formulierung εἰς φανερὸν ἔλθῃ war wohl außergewöhnlich genug, um die konkrete Vorstellung des Kommens (ἔρχεσθαι) im übertragenen Sinn des Ausdrucks nicht restlos aufgehen zu lassen. Dasselbe Phänomen lässt sich bereits im Zusammenhang von Mk 4 beobachten: Das jetzt noch verborgene Reich Gottes kommt dadurch ins Offenbare, dass es bei seinem eschatologischen Kommen für alle Menschen sichtbar sein wird. Schröter (Erinnerung, 333) macht in diesem Zusammenhang auch auf die merkwürdige Formulierung in Mk 4,21 aufmerksam: μήτι ἔρχεται ὁ λύχνος ἵνα ὑπὸ τὸν μόδιον τεθῇ ἢ ὑπὸ τὴν κλίνην; („Kommt etwa der Leuchter,

138

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

geführt haben, dass Lk 8,17b in EvThom 5,3 nicht nur eine andere Form, sondern auch einen völlig neuen Sinn bekommen hat, der allerdings von lukanischem Denken ganz durchdrungen ist.283 So ist in EvThom 5,2–3 ein Doppelspruch entstanden, der gegenüber allen seinen Parallelen eine gänzlich veränderte Pointe hat: Das Offenbarwerden des Verborgenen wird weder mit dem eschatologischen Kommen des Gottesreiches in Verbindung gebracht (wie bei Markus) noch mit der Verkündigung der Jünger (wie in der Logienquelle),284 sondern mit der Auferstehung der Toten. 2.4.5. Der Doppelspruch im koptischen EvThom 6,5–6 Es ist unwahrscheinlich, dass EvThom 6,5 unabhängig vom so entstandenen Doppelspruch EvThom 5,2–3 um EvThom 6,6 erweitert wurde. Zwar ist die erweiterte Spruchform EvThom 6,5–6 im relativ späten koptischen Zeugen zweifellos durch die synoptische Parallelüberlieferung beeinflusst, näherhin durch die sahidische Version von Mt 10,26, die ihr von der Formulierung her am nächsten steht, wenn auch die beiden Spruchhälften in umgekehrter Reihenfolge begegnen.285 Aber dieser Einfluss allein kann nicht erklären, weshalb im koptischen Text der einfache Spruch einmal in Anlehnung an die Synoptiker zum Doppelspruch erweitert erscheint (EvThom 6,5–6) und einmal nicht (EvThom 5,2). Wahrscheinlicher ist es deshalb, dass der Doppelspruch, der durch die Hinzufügung von καὶ θεθαμέννον ὃ οὐκ ἐγερθήσεται in EvThom 5,2–3 entstanden war und in seiner ersten Hälfte inhaltliche Parallelen bei den Synoptikern hat, mit der Zeit ganz an diese angeglichen und die völlig veränderte zweite Spruchhälfte irgendwann nach EvThom 6,6 verschoben wurde. Die Verschiebung hat kompositorische Gründe. War EvThom 5,3 dem Einzelspruch EvThom 5,2 ursprünglich aufgrund der Stichwortverbindung zwischen κρυπτόν damit er unter den Scheffel oder unter das Bett gestellt wird?“). Daraus folgert er (ebd.) korrekt: „Sowohl die Formulierung vom ἔρχεσθαι des λύχνος als auch die finalen Formulierungen sind vor diesem Hintergrund als allegorische Elemente zu verstehen, durch welche das Logion zu einer direkten Widerspiegelung der mk Auffassung von der βασιλεία wird.“ 283 Man hat das Offenbarwerden des Verborgenen in Lk 8,17 auf die Verkündigung der Kirche (vgl. z. B. Schürmann, Lk 1, 467–468) oder auf das Endgericht (vgl. z. B. Wolter, Lk, 311) bezogen. Beides muss einem gleichzeitigen Bezug auf das Erkennen des Auferstandenen nicht widersprechen. 284 Vgl. Schröter, Erinnerung, 371. 285 Vgl. Schröter, Erinnerung, 370, Anm. 297. Schrage (Verhältnis, 35) sieht die größte Nähe zum sahidischen Lk 8,17 und beruft sich dabei auf die wörtlich identische erste Doppelspruchhälfte und den Übergang . Demgegenüber wiegt jedoch schwerer, dass Lk 8,17 in der zweiten Doppelspruchhälfte nicht mit dem Verb , sondern mit dem doppelten und formuliert. Dass „Thom 6:6 might represent a harmonization of Thomas toward the synoptic text here“, räumt auch Patterson (Thomas, 21, Anm. 14) ein, der sonst EvThom 5,2(+3) und 6,5(+6) unabhängig von den Synoptikern sieht.

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

139

und θεθαμέννον zugewachsen, so ist diese Verbindung durch die Veränderung der zweiten Spruchhälfte im Sinne der synoptischen Parallelen weggefallen. In der Folge störte der veränderte Doppelspruch in EvThom 5,2–3 die Harmonie der Komposition, weil der gleichsinnige Einzelspruch in EvThom 6,5 ihm gegenüber zu stark abfiel. Diesem stilistischen Mangel wurde dadurch abgeholfen, dass die zweite Spruchhälfte von EvThom 5,3 nach EvThom 6,6 verschoben und mit dem so entstandenen Doppelspruch in EvThom 6,5–6 eine Steigerung der Aussage am Ende von EvThom 5–6 erreicht wurde. Das so beseitigte kompositorische Ungleichgewicht musste in der koptischen Übersetzung noch mehr auffallen als im griechischen Text, weil jene im Unterschied zu diesem EvThom 5,2 in EvThom 6,5 wortwörtlich wiederholt. Bei der Übersetzung von κρυπτόν mit war außerdem die entscheidende Konnotation, welche die zweite Hälfte des Doppelspruches mit dem Stichwort τεθαμμένον im Griechischen angezogen bedeutet zwar „verbergen, verstehatte, verloren gegangen; denn das Verb cken“, anders als κρύπτειν aber nicht „begraben, bestatten“.286 Dadurch wurde zugleich die Angleichung der zweiten Spruchhälfte an die synoptische Parallelüberlieferung begünstigt. All das spricht dafür, dass sowohl diese Angleichung als auch die Verschiebung des so veränderten Spruches von EvThom 5,3 nach EvThom 6,6 im Zuge der Übersetzung von EvThom 5–6 vom Griechischen ins Koptische stattfanden. Mithin hat der griechische Text ein älteres Stadium in der Überlieferung des Thomasspruches vom Offenbarwerden des Verborgenen bewahrt als der koptische. Zum gegenteiligen Ergebnis kommt S.R. Johnson, allerdings von einem ähnlichen Ansatz aus. Er weist zu Recht darauf hin, dass EvThom 5 und 6 in ihrer formgeschichtlichen Entwicklung nicht, wie vielfach geschehen,287 unabhängig voneinander betrachtet werden dürfen.288 Dies schließt allzu einfache Lösungen des Problems aus: „Thus, unless one wishes to place the resurrection strophe on the lips of Jesus himself, one must postulate two stages of redaction: the insertion of the resurrection strophe at some point of time in the transmission history of the Gospel of Thomas, as reflected in Greek Thomas 5; and its subsequent omission at a later date, as represented by Coptic Thomas 5.“289 Letztlich erklärt 286

Vgl. Crum, Dictionary, s. v. ; Westendorf, Handwörterbuch, s. v. . Vgl. nur Bultmann, Geschichte, 95.99; Jeremias, Jesusworte, 19. Auch Puech (Logion, 128) und Attridge (Fragments, 100–101) scheinen in EvThom 5 und 6 jeweils mit Erweiterungen bzw. Kürzungen, nicht aber mit einer Umstellung von EvThom 5,3 nach EvThom 6,6 oder umgekehrt im Laufe der Überlieferung und Übersetzung des Textes zu rechnen. Puechs Position gibt Johnson (Hidden/Revealed Saying, 178) jedoch einseitig dahingehend wieder, „that the lack of a final strophe in the Coptic version of Thomas 5 is indicative of a deliberate suppression of a resurrection saying by a gnostic redactor of the Greek text“. Das wird von Puech (ebd.) zwar neben der anderen Möglichkeit – „que le membre de phrase considéré est, au contraire, une addition au texte primitif “ – erwogen, aber letztlich offen gelassen. 288 Vgl. Johnson, Hidden / Revealed Saying, 182. 289 Johnson, Hidden / Revealed Saying, 178–179. 287

140

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Johnson den Textbefund aber genau umgekehrt: Die Spruchform des koptischen Textes sei ursprünglicher als die griechische und EvThom 6,6 irgendwann im Sinne von EvThom 5,3 verändert und dann dorthin verschoben worden.290 Auf die entscheidende Frage, was die Einführung des Gedankens vom Begrabenen, das auferweckt wird, überhaupt veranlasst hat, gibt Johnsons Hypothese jedoch keine Antwort. Entsprechend schwach ist auch seine Begründung für die angenommene Textverschiebung: „However, by moving the redacted strophe from the end of Thomas 6 and placing it at the end of Thomas 5, the copyist / redactor bridged the two hidden-revealed sayings of Thomas 5 and 6. This bridgework gave a resurrection-oriented hermeutic to both sayings.“291 Wie soll aber ein Spruch, der nach der gegebenen Erklärung weder formal noch inhaltlich an EvThom 5 und 6 anknüpft, diese beiden Logien miteinander verbinden? Diese Konstruktion wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Demgegenüber kann die hier vorgeschlagene Lösung sowohl den Zuwachs von EvThom 5,3 durch die Stichwortassoziation zwischen κρυπτόν und τεθαμμένον in der griechischen Überlieferung als auch die Verschiebung der unter dem Einfluss der sahidischen Bibelübersetzung veränderten zweiten Doppelspruchhälfte nach EvThom 6,6 durch die so erreichte steigernde Komposition in der koptischen Überlieferung zufriedenstellend erklären. 2.4.6. Das Nächstliegende erkennen Das Wanderlogion vom Verborgenen, das offenbar wird, begegnet in EvThom 5,2(+3) und 6,5(+6) nicht nur in unterschiedlichen Formen, sondern auch in zwei verschiedenen Zusammenhängen (EvThom 5,1 und 6,1–4), die nun nacheinander zu beleuchten sind. EvThom 5,1 ist im Koptischen mehrdeutig und im Griechischen an der entscheidenden Stelle lückenhaft. Fraglich ist, worauf sich die von Jesus eingangs geforderte Erkenntnis bezieht. Ausgehend vom koptischen Text, nennt Puech zwei Möglichkeiten.292 Der Ausdruck in EvThom 5,1 kann mit dem Artikel entweder ein Maskulinum oder ein Neutrum bezeichnen.293 Übersetzt man maskulinisch: „Erkenne ( ) den, der vor deinem Angesicht ist!“, so bezieht sich der Ausspruch auf Jesus selbst, und zwar nach Puech auf den Auferstandenen, der sich den Jüngern zeigt. Nimmt man in Pap Ox 654,27–28 denselben Sinn an, müsste man γνῶθι τὸν ἔμπροσθεν τῆς ὄψεώς σου rekonstruieren; dazu würde der Spruch vom Begrabenen, das auferweckt wird, in Pap Ox 654,31 füglich passen. Allerdings bliebe dann unerfindlich, weshalb ein koptischer Übersetzer, der diesen 290

Vgl. Johnson, Hidden / Revealed Saying, 182–185. Johnson, Hidden / Revealed Saying, 183. 292 Vgl. Puech, Logion, 128–129. 293 Vgl. Layton, Grammar, § 46. 291

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

141

griechischen Text vor sich gehabt hätte, nach der oben gegebenen Erklärung EvThom 5,3 im Sinne von EvThom 6,6 hätte verändern und dahin verschieben sollen. Dies spricht dafür, den koptischen Ausdruck neutrisch zu verstehen und zu übersetzen: „Erkenne das, was vor deinem Angesicht ist!“ Jesus verweist damit auf das unmittelbar und leicht Erkennbare, das dem Jünger alles Verborgene aufzuschließen vermag. Den gleichen Sinn vorausgesetzt, müsste man in Pap Ox 654,27–28 γνῶθι τὸ (ὂν) ἔμπροσθεν294 τῆς ὄψεώς σου lesen. Dass dieser Spruch in der griechischen Überlieferung das einfache Wanderlogion EvThom 5,2 und dieses wiederum EvThom 5,3 an sich ziehen konnte, ist leicht nachvollziehbar. Alle drei Teile des griechischen EvThom 5 passen in ihrer neutrischen Formulierung und im gleichbleibenden Schema von Verborgenheit und Offenbarung gut zusammen. Gleichzeitig wird aber auch verständlich, dass EvThom 5,3 vom koptischen Übersetzer als störend empfunden werden konnte, bringt es doch mit dem Begraben- und Auferwecktwerden ein neues Motiv ein, das mit EvThom 5,1–2 nicht zwingend zusammengehört und insofern darüber hinausgeht, als es nicht mehr rein impersonal verstanden werden kann. Lässt sich so die Formgeschichte von EvThom 5 plausibel nachzeichnen, kann man auch die Sprechsituation im Grundsatz bestimmen. Klar ist, dass EvThom 5,1–2 für sich genommen kein Indiz für eine nachösterliche Situation des Sprechers Jesus enthalten. Im Gegenteil werden die Jünger gleichsam mit der Nase auf das gestoßen, was ihnen sichtbar vor Augen liegt, um daraus etwas über das Verborgene zu erfahren. Die Anweisung Jesu zielt auf einen ausgeprägten innerweltlichen Realismus der Jünger, der seine Erkenntnis gerade nicht auf eine besondere Offenbarung des Auferstandenen gründet, sondern auf alltägliche Weisheit. Auch EvThom 5,3 thematisiert nicht speziell die Auferstehung Jesu, sondern formuliert in knappen Worten den Glauben an die allgemeine Auferweckung der Toten, die mit der Offenbarung des Verborgenen assoziiert wird. In diesem neuen Zusammenhang kann das allgemeine γνῶθι τὸ (ὂν) ἔμπροσθεν τῆς ὄψεώς σου zwar als Hinweis des auferstandenen Jesus auf sich selbst verstanden werden, muss es aber keineswegs. Auch hier ist es ohne Weiteres möglich, dass der irdische Jesus von der innerweltlichen Erkenntnis und der allgemeinen Totenauferweckung spricht. 2.4.7. Zerstreute Fragen und Antworten Im jetzigen Zusammenhang von EvThom 5–6, der in beiden Versionen durch die Wiederholung des Wanderlogions in EvThom 6,5(+6) hergestellt wird, handelt es sich jedenfalls um eine vorösterliche Dialogsituation, in die – wie wir sehen werden – EvThom 6,1–4 nur scheinbar ein völlig anderes Thema einbringt. Es geht um zentrale Fragen der jüdischen Frömmigkeitspraxis. Wir vergegen294

Puech, Logion, 128: τὸ ἔμπροσθεν; Fitzmyer, Oxyrhynchus, 381: τὸ ὂν ἔμπροσθεν.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

wärtigen uns zunächst die unterschiedlichen Überlieferungen und ihre Motive. Während die Jünger nach Pap Ox 654,33–36 mit dreimaligem πῶς nach der Art und Weise fragen, wie sie fasten, beten und Almosen geben sollen, fällt im koptischen EvThom 6,1 die erste Frage insofern aus dem Rahmen, als die Jünger dort wissen wollen, ob sie nach dem Willen Jesu überhaupt fasten sollen ). Erst die Frage nach dem Beten und Almosen( geben wird durch die gemeinsame interrogative Wendung „in welcher Weise?“ )295 eingeleitet. Zwar ist das πῶς wie überhaupt der größte Teil der ( Frage nach dem Beten in Pap Ox 654,33–34 nicht erhalten; die Textlücke, die erhaltene Endung -μεθα der 3. Person Plural und die koptische Parallele lassen aber kaum eine andere Rekonstruktion zu als die schon von Grenfell und Hunt vorgeschlagene: καὶ πῶς προσευξόμεθα.296 Der Papyrustext hat seine nächste Parallele in Mt 6,1–6.16–18, wo es ebenfalls, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, um die Art und Weise geht, wie die Jünger Almosen geben, beten und fasten sollen. Damit endet die Übereinstimmung aber auch schon. Bei Matthäus fehlen die Jüngerfragen, und Jesus gibt seine Weisungen von sich aus im Rahmen der Bergpredigt, deren Kern sie bilden. Umgekehrt fehlt in EvThom 6 die Antwort Jesu auf die Fragen seiner Jünger. Diese scheint er erst in EvThom 14,1–3, von dem wir keinen griechischen Zeugen besitzen, zu geben. Dort beschreibt er indes auch nicht die den Jüngern angemessene Art und Weise von Fasten, Beten und Almosengeben, sondern benennt in drei aufeinander folgenden Konditionalsätzen die negativen Auswirkungen dieser Verhaltensweisen: Sünde, Verurteilung und Schädigung des Geistes. Während sich der matthäische Jesus gegen bestimmte Missstände bei den drei Frömmigkeitsübungen wendet, lehnt sie der thomanische in EvThom 14,1–3 rundweg ab. Diese Äußerung passt insofern besser zur koptischen Version von EvThom 6,1, als dort, wie gesagt, zumindest die erste Frage grundsätzlich danach gestellt wird, ob man überhaupt fasten solle. Allerdings sperren sich auch hier die beiden übrigen Fragen nach dem ) des Betens und des Almosengebens. Genau genommen „Wie“ ( gibt also auch EvThom 14,1–3 nicht, wie vielfach behauptet wird, einfach die Antwort auf die Fragen in EvThom 6,1. Soviel ist allerdings richtig, dass die Thematisierung der drei frommen Übungen an zwei durch etliche Logien getrennten Stellen die Frage nach der kompositorischen Zweckmäßigkeit dieser Anordnung aufwirft. Dies gilt umso mehr, als Beten und Fasten an einer noch weiter entfernten Stelle noch einmal angesprochen werden. Der Aufforderung seiner Jünger zum Beten und Fasten hält Jesus in EvThom 104 die Frage nach der Sünde oder Niederlage, die ihn etwa dazu bewegen sollten, entgegen. Wieder werden die beiden religiösen Praktiken negativ konnotiert, aber nicht mit ihren 295 Sahidisch ; subachmimisch/faijumisch lektgrammatik, § 132. 296 Grenfell/Hunt, Oxyrhynchus IV, 9

für sahidisch

; vgl. Till, Dia-

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

143

nachteilhaften Folgen, sondern mit dem vorausgesetzen Fehlverhalten oder der Schädigung, welche sie etwa notwendig machten. Diesmal lehnt Jesus sie jedoch nicht grundsätzlich ab, sondern nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt. „Aber wenn der Bräutigam herauskommt aus dem Brautgemach, dann sollen sie fasten und beten.“ (EvThom 104,3) EvThom 6,1–4; 14,1–3 und 104 überschneiden sich in ihren Motiven verschiedentlich mit synoptischen Traditionen. – 1. Die zuletzt erwähnte Fastenfrage taucht in ähnlichen Formulierungen bei den Synoptikern auf, freilich ohne Bezug auf das Beten (vgl. Mk 2,18–20; Mt 9,14–15; Lk 5,33–35). Dort kommt die Frage nach dem Fasten nicht von den Jüngern Jesu, sondern von den Pharisäern (und Schriftgelehrten) beziehungsweise von den Jüngern des Johannes, die der fehlenden Fastenpraxis der Jünger Jesu Unverständnis entgegenbringen. Diese synoptischen Stellen, EvThom 104,3; 14,1–3 und die Fastenfrage im koptischen EvThom 6,1 gehören also insofern zusammen, als es jedesmal darum geht, ob überhaupt und gegebenenfalls wann die Jünger Jesu fasten sollen. – 2. Diesem Themenkomplex steht der andere mit Mt 6,1–6.16–18, dem griechischen Pap Ox 654,33–35 und der Gebets- und Almosenfrage im koptischen EvThom 6,1 gegenüber, in dem die Art und Weise des Fastens, Betens und Almosengebens der Jünger Gegenstand der Rede ist. Im Unterschied zur synoptischen Tradition, wo die beiden Themenkomplexe nie zusammen erscheinen, gehen sie im Thomasevangelium ineinander über und ziehen weitere Themen an sich, die bei den Synoptikern ebenfalls gesondert erscheinen. – 3. Dies gilt für den Bereich der Speisevorschriften, auf die sich in Pap Ox 654, 35–36 und dem koptischen EvThom 6,1 die vierte Frage der Jünger richtet. Auch diese scheint ihre Antwort erst in EvThom 14,5 zu erhalten: „Was nämlich hineingehen wird in euren Mund, wird euch nicht verunreinigen. Aber was herauskommt aus eurem Mund, das ist es, was euch verunreinigen wird“ (vgl. Mk 7,15.18–23; Mt 15,11.17–20; Lk 11,39–40). – 4. Diese allgemeine Regel wird in EvThom 14,4 auf den besonderen Fall der Wandercharismatiker angewandt, die ohne Skrupel alles essen dürfen, was man ihnen unterwegs vorsetzt, ein weiterer Themenkomplex, der sonst mit den anderen nicht verbunden ist (vgl. Q 10,7–8). – 5. In EvThom 104,2 spricht Jesus außerdem sein eigenes Fasten an, was sonst nirgends der Fall ist. – So kommen wir in EvThom 6; 14; 104 auf insgesamt fünf Themenbereiche, die bei den Synoptikern jeweils gesondert oder gar nicht behandelt werden. Wie diese Themen im Thomasevangelium zusammenhängen und weshalb sie derart über den Text zerstreut sind, muss die kompositions- und redaktionskritische Analyse erst noch ergeben. Das griechische EvThom 6 bleibt im Rahmen dessen, was wir aus den Synoptikern kennen, und verknüpft dabei die genannten Themenkomplexe 2 und 3 miteinander. Zunächst geht es um die Frage, wie man richtig fastet, betet und Almosen gibt. Mit seiner Antwort in EvThom 6,2–6 spricht sich der thomanische Jesus nicht grundsätzlich gegen diese frommen Praktiken aus. Er macht

144

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

lediglich in prophetischer Manier auf den ethischen und theologischen Kern aufmerksam, von dem aus sie zu beurteilen sind. Jesus antwortet nicht einfach im Horizont dessen, was man erwarten kann, auf die ihm gestellten Fragen, sondern stellt sie in einen neuen Zusammenhang. Ein solches Vorgehen Jesu, das seine Gesprächspartner verblüfft und Lösungen zweiter Ordnung ermöglicht, ist bei den Synoptikern vielfach belegt. In unserem Fall stellt Jesus die Fragen nach dem richtigen Fasten, Beten und Almosengeben unter das Kriterium der Wahrhaftigkeit und der Goldenen Regel (EvThom 6,2–4). Damit spielt er gleichzeitig auf den Kern der Ausführungen in Mt 6,1–6.16–18 an: Die Jünger sollen es nicht machen wie „die Heuchler“ (V.2.16: οἱ ὑποκριταί). Immer geht es dabei um das Verhältnis von außen und innen, verborgen und öffentlich: Die in EvThom 6,1 genannten religiösen Praktiken sind dann akzeptabel, wenn das äußere Tun der inneren Absicht entspricht und der Fromme so die Wahrhaftigkeit an den Tag legt, die er auch von den anderen erwartet. Das wird im Zusammenhang mit dem Wanderlogion vom Verborgenen, das offenbar werden wird, vollends deutlich. Dessen Stichwort κρυπτόν in EvThom 5,2, das seinerseits – wie oben gesehen – aus Lk 8,17 stammt, hat wahrscheinlich erst veranlasst, dass in EvThom 6 der bekannte Themenkomplex aus Mt 6,1–6.16–18 aufgenommen wurde. Dort geht es nämlich darum, dass die frommen Übungen im Verborgenen geschehen (V.4: ὅπως ᾖ σου ἡ ἐλεημοσύνη ἐν τῷ κρυπτῷ), wie auch die entscheidende Anerkennung dafür vom Vater, der im Verborgenen ist (V.6.18: τῷ πατρί σου τῷ ἐν τῷ κρυπτῷ/κρυφαίῳ) und in das Verborgene sieht (V.4.6.18: ὁ πατήρ σου ὁ βλέπων ἐν τῷ κρυπτῷ / κρυφαίῳ), herkommt.297 Insofern schneidet EvThom 6 in der griechischen Version kein neues Thema an, sondern expliziert das zuvor angeführte Wanderlogion vom Verborgenen, das offenbar werden wird, an den hergebrachten matthäischen Beispielen vom Fasten, Beten und Almosengeben. Diese illustrieren, in welcher Weise das Verborgene offenbar wird, nämlich indem es der Vater, der selbst im Verborgenen ist, dort im Verborgenen sieht. Angesichts seiner Wahrheit (ἐνώπιον τῆς ἀληθείας) ist es bereits enthüllt; das heißt, es ist ihm bekannt und wird von ihm anerkannt. Für einen Jünger, der selbst im Verborgenen lebt, weil er dort die Deutung der verborgenen Worte des lebendigen Jesus sucht (vgl. Incipit und EvThom 1), ist das ohne Zweifel eine attraktive Verheißung. Um das richtige Verhältnis von außen und innen geht es nach den Synoptikern auch in der Frage nach den einzuhaltenden Speisevorschriften. Das äußerliche Reinhalten des Speisegeschirrs ist sinnlos, wenn ihm nicht die innere Reinheit derer, die es benutzen, entspricht (Lk 11,39–40). Daher entscheidet sich die Frage nach der Reinheit an dem, was aus dem Menschen herauskommt, und nicht an dem, was in ihn hingelangt (Mk 7,15.18–23; Mt 297 Die beste Lesart in Mt 6,18 ist mit großer Wahrscheinlichkeit das zweimalige τῷ κρυφαίῳ (ć B Dc f1), das auch NA27 im Haupttext bietet; D* hat einmal κρύφια und einmal κρυφαίῳ. Dagegen ist das zweimalige τῷ κρυπτῷ (L W Θ 0233. 0250 f13 33 ) leicht als spätere Angleichung an Mt 6,4.6 erklärbar.

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

145

15,11.17–20). Welchen Wert die Einhaltung bestimmter Speisevorschriften hat, hängt also wieder von der Wahrhaftigkeit im Sinne einer Kongruenz der äußeren Handlung mit der inneren Einstellung ab. Diese Frage verknüpft der synoptische Jesus mit einem konkreten Problem der Reziprozität: Wenn jemand seinen Eltern das, was er ihnen im Gegenzug für seine Aufzucht schuldig ist, vorenthält und zum Korban umwidmet (Mk 7,9–13; Mt 15,5–6), verstößt er gegen die Goldene Regel; denn er wird mit Sicherheit nicht wollen, dass ihm Ähnliches von seinen eigenen Kindern widerfährt, oder noch näher liegend, dass seine Eltern ihm bereits das Nötige vorenthalten hätten. Als Leitmotiv des ganzen Spruches EvThom 6 erweist sich somit das rechte Verhältnis von außen und innen, welches sich am Kriterium des Wanderlogions bemisst, wonach alles Verborgene offenbar werden wird. Die Reaktion Jesu auf die Fragen der Jünger, die auf den ersten Blick unpassend erscheint, erweist sich somit bei näherem Zusehen als die unvermutet tiefgreifende Antwort auf eine zunächst oberflächliche Frage und könnte von einem Bearbeiter auch als solche gedacht gewesen sein. Die konstruktive Kritik Jesu an der Praxis von Fasten, Gebet, Almosen und Speisegesetzen wird in der koptischen Übersetzung von EvThom 6 freilich dadurch gestört, dass in V.1 nicht mehr nach der richtigen Art und Weise des Fastens gefragt wird, sondern danach, ob die Jünger überhaupt fasten sollen ), und damit der erste der oben genannten The( menkreise zusätzlich in das Logion eingebracht wird. Dass die Umformulierung nur die Frage nach dem Fasten betrifft, kann zweierlei Gründe haben. Sie kann beim Übersetzen arglos geschehen sein oder davon zeugen, dass von den vier erwähnten Frömmigkeitsübungen vor allem das Fasten anhaltend in Frage gestellt wurde. Für Letzteres mag die Tatsache sprechen, dass bei der Wiederaufnahme des Motivs in EvThom 104 Almosen und Speisegebote gar nicht mehr erwähnt und das Beten in keiner Weise problematisiert werden, während die Frage nach der Notwendigkeit des Fastens erneut zur Diskussion steht. Auf jeden Fall hat sich das Problem auf der Ebene des koptischen Thomasevangeliums mehrfach verschoben. Wenn überhaupt, gibt EvThom 14,1 eine Antwort auf die Fastenfrage im koptischen EvThom 6,1. Es ist also gut denkbar, dass erst die – versehentlich oder absichtlich – falsche Übersetzung der griechischen Fastenfrage das Logion 14,1–3 mit seiner kompromisslosen Ablehnung von Fasten, Beten und Almosengeben veranlasst hat. Umgekehrt ist kaum zu erklären, weshalb ein koptischer Übersetzer, der das griechische EvThom 6,1 an EvThom 14,1–3 hätte anpassen wollen, nur die Fastenfrage zur Grundsatzfrage machen sollte. In Ermangelung des griechischen Textes von EvThom 14 lässt sich an dieser Stelle keine Sicherheit gewinnen. Der Textbefund, wie er sich uns heute darstellt, ist jedoch am leichtesten als dialektische Fortschreibung der Fastenfrage im Laufe der Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums zu verstehen. Dabei legt EvThom 6 im Gefolge von Mt 6,1–6.16–18 den Schwerpunkt auf die Kongruenz des äußeren Vollzugs mit einer inneren Haltung, die Lüge und Betrug aus-

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

schließt. EvThom 14 vollzieht diese differenzierte Bewertung jüdischer Frömmigkeitspraxis später dann nicht mehr mit, sondern schließt solcherlei fromme Übungen, vielleicht erst ausgelöst durch die Fehlübersetzung im koptischen EvThom 6,1, kategorisch aus. EvThom 104 schließlich nimmt die Frage noch einmal auf und bewertet sie nun wieder differenziert und im Anschluss an die Synoptiker: Solange Jesus als der Bräutigam bei den Jüngern ist, ist Fasten nicht angebracht, nach seinem Weggang aber durchaus. Dass hier auch das Gebet für diese Zeit danach reserviert wird, befremdet allerdings auf dem Hintergrund der Synoptiker, wo Jesus selbst betet und die Jünger das Beten lehrt. Wahrscheinlich muss man hier das Gebet als Teil der Fastenpraxis ansehen, die auf später verschoben wird; damit ist für die Zeit der Anwesenheit Jesu nicht jedes Gebet, sondern nur das Fastengebet ausgeschlossen. 2.4.8. Vor wem enthüllt? Schließlich ist noch auf auf den Begründungssatz in EvThom 6,4 einzugehen, der den Übergang zum angeschlossenen Wanderlogion in EvThom 6,5–6 darstellt. Auch hier weisen die beiden Zeugen einen bemerkenswerten Unterschied auf. EvThom 6,4 heißt im Koptischen: „Denn es ist alles enthüllt vor dem Himmel ).“ In Pap Ox 654,38 ist anstelle von „Himmel“ ( ) ( „Wahrheit“ sicher belegt, so dass man ἐνώπιον τῆς ἀληθείας oder etwas Ähnliches lesen muss. Es gibt Versuche, das Stichwort „Himmel“ im Papyrus in die folgende Textlücke einzusetzen und so dem koptischen Zeugen Genüge zu tun. So liest Fitzmyer in Pap Ox 654,37–38 πάντα γὰρ ἔσται πλήρης ἀληθείας ἀντὶ τοῦ οὐρανοῦ und übersetzt: „For all things will be full of truth before heaven“298. Marcovich folgt dem weitgehend mit πάντα γάρ ἐστι πλήρης ἀληθείας ἔναντι τοῦ οὐρανοῦ und übersetzt: „for all (things) are manifest before Heaven“299. Nations rekonstruiert πάντα γάρ ἐστι φανερὸν τῆς ἀληθείας ἀνὰ τὸν οὐρανόν.300 Andere folgen dem Hinweis der Editio princeps des koptischen Thomasevangeliums, einen möglichen Schreibfehler erkennt und als alternative die in Lesart anbietet.301 Entsprechend tragen sie „Himmel“ nicht in den griechischen Text ein, sondern akzeptieren in der überlieferten Textgestalt eine Differenz zwischen dem griechischen und dem koptischen Zeugen. So liest Hofius πάντα γὰρ ἔμπροσθεν τῆς ἀληθείας ἀνακεκαλυμμένα ἐστίν302. Ähnlich ergänzt Kasser den griechischen Text: ὅτι πάντα ἔμπροσθεν τῆς ἀληθείας ἀνακαλύπτεται303. Diesen beiden schließt sich Attridge mit seiner Rekonstruktion an: ὅτι πάντα ἐνώπιον 298

Fitzmyer, Oxyrhynchus, 385. Marcovich, Criticism, 65. 300 Vgl. Attridge, Fragments, 116. 301 Vgl. Guillaumont u. a., Thomas, 4–5; außerdem Schröter/Bethge, Thomas, 165. 302 Hofius, Thomasevangelium, 40–41. 303 Kasser, EvThom, 37. 299

2.4. EvThom 5 und 6: Verborgenes und Offenbares

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τῆς ἀληθείας ἀναφαίνεται304. Seine Übersetzung lautet: „for all things are plain in the sight of truth“305. Da der Satz auf dem griechischen Papyrus nur sehr bruchstückhaft erhalten ist, sind alle Wiederherstellungsversuche auf den koptischen Zeugen angewiesen. Im Vergleich mit diesem vermögen die Vorschläge von Fitzmyer, Marcovich und Nations kaum zu überzeugen. Zwar gelingt es ihnen je auf ihre Art, die „Wahrheit“ aus dem Papyrusfragment mit dem „Himmel“ aus dem koptischen Text in einer einzigen Lesart zu vereinen. Die Formulierungen ἔσται/ἐστὶ πλήρης ἀληθείας beziehungsweise ἐστὶ φανερὸν τῆς ἀληθείας erwiederzugeben. Das scheinen jedoch zu gekünstelt, um das einfache Verb bedeutet schlicht „enthüllen, entkleiden, entblößen, aufdecken, entdecken, finden, öffnen, (sich) offenbaren“306 und entspricht in den meisten Fällen dem griechischen ἀποκαλύπτειν oder ähnlichem;307 ἀνακαλύπτειν oder ἀναφαίνειν, die durch die erhaltenen Anfangsbuchstaben ἀν- erzwungen werden, sind dazu synonym. Das Prädikat ist der Form nach ein mit dem Stagebildetes Präsens I in der 3. Person Plural und drückt im tiv308 des Verbs „sie sind enthüllt“, Koptischen ein Zustandspassiv aus.309 So bedeutet das heißt, sie sind enthüllt worden, mit dem Ergebnis, dass sie jetzt enthüllt sind. Dem entspräche im Griechischen am besten die von Hofius vorgeschlagene Konstruktion mit dem Partizip Perfekt Passiv: ἀνακεκαλυμμένα ἐστίν. Diese hat aber den Nachteil, dass sie einen dem koptischen EvThom 6,5 exakt entsprechenden griechischen Satz in den folgenden Textlücken (Pap Ox 654,39–40) nicht mehr unterbringt. Daher fährt Hofius an der Stelle des koptischen („es gibt nämlich nichts Verborgenes, das nicht offenbar werden wird“) mit dem griechischen καὶ οὐδὲ ἓν ἀποκεκρυμμένον ἐστιν310 („und auch nicht eines ist verborgen“) fort. Dagegen halten sich Kasser und Attridge auch hier eng an den koptischen Text. Sie brauchen für das vorgeschlagene ἀνακαλύπτεται beziehungsweise ἀναφαίνεται weniger Platz in der auf ἀληθείας ἀν- (Pap Ox 654,38) folgenden Lücke. Dadurch gewinnen sie im Griechischen Raum für ein Satzgefüge aus Hauptsatz und Relativsatz, das dem koptischen aus Hauptsatz und Umstandssatz entspricht. So fährt Kasser in Pap Ox 654,38–40 nach ἀνακαλύπτεται fort: οὐδὲν γάρ ἐστιν ἀποκεκρυμμένον ὃ οὐ φανερὸν ἔσται311. Denselben Text bieten schon früher Fitzmyer312 und später

304

Attridge, Fragments, 116. Attridge, Fragments, 127. 306 Westendorf, Handwörterbuch, s. v. . 307 Vgl. Crum, Dictionary, s. v. . 308 Vgl. Layton, Grammar, § 162; Plisch, Einführung, 36. Der Stativ wird auch Qualitativ genannt; vgl. Lambdin, Introduction, 86–89; Till, Grammatik, § 257. 309 Vgl. Plisch, Einführung, 36; Lambdin, Grammar, § 168a: „a static passive meaning“. 310 Hofius, Thomasevangelium, 41. 311 Kasser, EvThom, 37. 312 Vgl. Fitzmyer, Oxyrhynchus, 385. 305

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Attridge313. Marcovich liest anstatt φανερὸν ἔσται ein gleichsinniges und etwa gleich langes φανερωθήσεται314. Aufs Ganze gesehen, bietet somit der von Attridges kritischer Ausgabe gebotene Text tatsächlich die beste Lösung für alle mit EvThom 6,4–5 (Pap Ox 654,37–40) verbundenen textkritischen Probleme. Das heißt aber auch, dass die Differenz zwischen dem griechischen ἐνώπιον in der jeweils vorτῆς ἀληθείας und dem koptischen liegenden Textgestalt bestehen bleibt. Gegenüber umfänglichen textkritischen Operationen am griechischen Text stellt jedoch die Annahme eines versehentlichen Schreibfehlers in der koptischen Überlieferung die weitaus einfachere hat daher einiges für sich. Daneben ist aber Lösung dar. Die Emendation auch eine bewusste Änderung keineswegs ausgeschlossen. Die Formulierung „vor der Wahrheit“ stellt gewiss die lectio difficilior der Stelle dar. Was heißt es, dass alles vor der Wahrheit enthüllt ist? Diese Frage könnte sich schon ein koptischer Übersetzer oder Schreiber gestellt und mit der Änderung nur eines Buchstabens die einfachere koptische Lesart geschaffen haben. Da „Himmel“ eine gebräuchliche Metonymie für „Gott“ ist, würde der Sinn einfach und klar: Vor Gott ist alles offenbar.315 Auf dem Hintergrund von Mt 6,1–18, wo Jesus seine Jünger das Gebet zum „Vater unser in den Himmeln“ (V.9: πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς) lehrt, ist diese Metonymie naheliegend und leicht verständlich. 2.4.9. Zusammenfassung a) Als Ausgangspunkt für die verschiedenen Fassungen des Spruches vom Verborgenen, das offenbar wird, hat in der Thomasüberlieferung das Einzellogion in der Form von EvThom 5,2, welches die Bearbeitung des Wanderlogions in Lk 8,17 spiegelt, zu gelten. An das Stichwort κρυπτόν schloss sich sodann der Spruch vom Begrabenen, das auferweckt wird, an. Dieser näherte sich im Laufe der Überlieferung immer mehr an die Form von EvThom 6,6 an und wurde schließlich dorthin verschoben, um das durch die inhaltliche Veränderung des Spruches entstandene kompositorische Ungleichgewicht wieder zu beseitigen und vom Einzelspruch in EvThom 5,2 zum Doppellogion in EvThom 6,5–6 eine Steigerung zu schaffen. b) Die abschließenden Verse haben im Zusammenhang von EvThom 5 und 6 eine je andere Funktion. In EvThom 5 fordert Jesus seine Jünger zunächst allgemein auf, das Nächstliegende zu erkennen, um so auch dem Verborgenen auf die Spur zu kommen. Aus der allgemeinen Regel, dass nichts auf Dauer ver-

313

Vgl. Attridge, Fragments, 116. Marcovich, Criticism, 65. 315 Vgl. Hofius, Thomasevangelium, 41. Man denke nur an die austauschbaren Begriffe βασιλεία τοῦ θεοῦ und βασιλεία τῶν οὐρανῶν. 314

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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borgen bleibt, sollen sie auf das Wiedererscheinen des Begrabenen in der Auferstehung schließen. c) Die Behandlung der Jüngerfragen in EvThom 6 zielt hingegen auf eine andere Pointe, die im Vergleich mit den synoptischen Parallelen deutlich geworden ist: Innere Haltung und äußeres Verhalten sollen in der religiösen Praxis der Jünger miteinander übereinstimmen, weil es nichts Verborgenes gibt, das nicht offenbar werden wird. Jesus beantwortet die Fragen der Jünger nicht dadurch, dass er ihnen konkrete Anweisungen zum Fasten, Almosengeben, Beten oder Essen gibt, sondern vertieft diese Fragen, indem er auf die bei all dem notwendige Kongruenz von innen und außen verweist. Daran bemisst sich die Art und Weise, wie sie sich in diesen Dingen verhalten sollen. d) Die Haltung gegenüber den gängigen jüdischen Frömmigkeitspraktiken wird im Laufe der Spruchsammlung allerdings noch zweimal revidiert. EvThom 14,1–3 lehnt Fasten, Gebet und Almosen rundweg ab, während EvThom 104 Fasten und Beten lediglich auf die Zeit der Abwesenheit Jesu verschiebt. Hier zeichnen sich sukzessive Korrekturen ab, die im Endtext des koptischen Thomasevangeliums in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen. e) Ob man nun in EvThom 6,4 „vor der Wahrheit“ oder „vor dem Himmel“ liest, beides kann auf je eigene Weise als Metonymie für „Gott“ genommen werden, bei dem es nichts als Wahrheit gibt und der im Himmel seine Wohnung hat. Immer geht es also um das Offenbarsein des Menschen und all seiner Belange vor Gott, vor dessen Angesicht sich die Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit bestimmter Verhaltensweisen entscheidet.

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft 2.5.1. Gott, Götter, Gottlosigkeit Der koptische Text von EvThom 30 ist zweifelsfrei bezeugt, bereitet der Interpretation jedoch große Schwierigkeiten. Die doppelte Erwähnung der „Götter“ in EvThom 30,1 scheint die Aussage dieses Satzes zu einer sinnlosen Tautologie zu machen. Man hat deshalb die Möglichkeit einer korrupten koptischen Textüberlieferung erwogen.316 Einerseits hat man die Erwähnung der Götter in dem Relativsatz für eine Dittographie unter dem Einfluss des folgenden gehalten.317 Das ist zwar möglich, aber durch nichts zu erweisen. Andererseits hat man auf den griechischen Zeugen 316 Vgl. DeConick, Translation, 136; Plisch, Babel, 67; Schröter/Bethge, Thomas, 169, Anm. 90. 317 Vgl. Marcovich, Criticism, 68 unter Berufung auf J. Drescher; dagegen Fitzmyer, Oxyrhynchus, 399: „This is an intriguing possibility; but it is hard to accept the idea of a dittography of this sort (with words intervening). Nor is it a case of horizontal or vertical dittography.“

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

verwiesen. Der ist aber an den entscheidenden Stellen stark beschädigt und dadurch textkritisch alles andere als eindeutig. Man sollte es daher tunlichst vermeiden, den eindeutig bezeugten koptischen Text mit Blick auf die rekonstruierte griechische Parallele verbessern zu wollen. Wenn überhaupt, kann nur der unversehrte koptische Text zur Wiederherstellung des griechischen behilflich sein. Gleichzeitig muss man aber stets damit rechnen, dass der griechische und der koptische Text auch unterschiedliche Lesarten bezeugen können. Die Geschichte der Rekonstruktion des griechischen Textes ist daher eng mit der Entdeckungsgeschichte des Thomasevangeliums und seiner Fragmente verbunden. Ein kurzer Abriss mag dies verdeutlichen. Die erste Textausgabe von Grenfell und Hunt bietet in Pap Ox 1,24 nur: [....]Ε[…]..ΘҕΕΟΙ ΚΑΙ.318

Man beachte, dass das Θ durch den Infralinearpunkt als nicht eindeutig lesbarer Buchstabe markiert ist. Auf dieser Grundlage stellt F. Blaß den fraglichen Satz in Pap Ox 1,23–24 so wieder her: [ὅπ]ου ἐὰν ὦσιν [δύο, ούκ ε[ἰσὶν] ἄθεοι.319

Die beiden parallelen Aussagen in Pap Ox 1,23–27 bilden zusammen eine Klimax: Wo zwei Menschen beieinander sind, sind sie immerhin schon nicht mehr ohne Gott; die Zusage seiner eigenen Gegenwart macht Jesus jedoch nur dem Einzelnen. Offen bleibt, wie es sich mit der Gottlosigkeit im allgemeinen verhält. Ist sie erst dann gebannt, wenn höchstens zwei zusammen sind? Dann wären alle größeren Gemeinschaften ohne Gott, erst in der Zweisamkeit wäre auch Gott, und Jesu eigene Gegenwart wäre nur dem Einzelnen ausdrücklich zugesagt. Oder stehen die Zwei für jede Größe von Gemeinschaft? Dann gäbe es letztlich gar keine ganz gottlose Situation eines Menschen, sondern der Mensch in Gemeinschaft wäre schon nicht ohne Gott, erführe aber erst in der Vereinzelung die ausdrückliche Gegenwartszusage Jesu. Grenfell und Hunt übernehmen den Vorschlag von Blaß in ihre mit Konjekturen versehene Neuausgabe des Textes, die Z.24 nunmehr so wiedergibt: [B¯ ΟΥΚ] Ε[ΙΣΙ]Νҕ ΑҕΘΕ ҕ ΟΙ ΚΑΙ.320

Diese Ausgabe liest außerdem, wenn auch mit paläographischen Zweifeln, auf dem Papyrus zwei Buchstaben mehr als die erste: das Ν von ΕΙΣΙΝ und das Α 318

Grenfell/Hunt, Sayings, 9. Blass, Logia-Fragment, 499 mit Anm. 3: „Für ausgeschriebenes δύο ist kein Raum; indeß könnte Ziffer βƍ geschrieben sein.“ Die zweite Klammer ist bei Blass nicht geschlossen, so dass unklar bleibt, welche Buchstaben von δύο ούκ bzw. βƍ ούκ er im Manuskript gelesen und welche er konjiziert haben will. Außerdem sind die Akzente und Spiritus zum Teil falsch gesetzt; richtig muss es heißen: οὔκ εἰσιν. 320 Grenfell/Hunt, Oxyrhynchus I, 3 (der Supralinearstrich kennzeichnet den Buchstaben als Zahlzeichen). 319

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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von ΑΘΕΟΙ. Mit der Entdeckung des koptischen Thomasevangeliums kommen neue Lösungen in den Blick, die sich vom koptischen Textbestand her ergeben. A. Guillaumont stellt Pap Ox 1,23–24 folgendermaßen wieder her: [ὅπ]ου ἐὰν ὦσιν [γ¯ θεοί] ε[ἰσιν] θεοί.321

Diese Rekonstruktion entspricht inhaltlich wie formal genau dem koptischen Text. Wie bei Blaß und Grenfell und Hunt erscheint die Annahme eines Zahlbuchstabens am Beginn Z.24 (βƍ bzw. γƍ) freilich als Notlösung, die dadurch unwahrscheinlich wird, dass nach einhelliger Meinung die Zahl εἷς in Z.25 ausgeschrieben war. Eine derart uneinheitliche Handhabung der Zahlen auf engstem Raum mag man dem Schreiber nur ungern unterstellen.322 Dem trägt der Vorschlag von T. Akagi Rechnung: [ὅπ]ου ἐὰν ὦσιν [τρεῖς,] ε[ἰσὶ]ν θεοί.323

Dieser Herstellungsversuch übernimmt die im koptischen Text belegte Dreizahl ( /τρεῖς) und die Erwähnung der Götter,324 vermeidet aber deren doppelte Nennung und damit die Tautologie der koptischen Version ebenso wie die Verwendung von Zahlbuchstaben. Stattdessen richtet sich der Nebensatz ὅπου ἐὰν ὦσιν τρεῖς formal nach dem Nebensatz ὅπου εἷς ἐστιν μόνος der folgenden parallel formulierten Aussage (Pap Ox 1,25). Auch nach Kenntnis des koptischen Zeugen und gegen diesen bleibt Akagi damit in einem Punkt, den er für entscheidend wichtig hält, auf der Linie von Blaß, Grenfell und Hunt: nämlich darin, dass sich die Zahl τρεῖς (beziehungsweise βƍ/B¯ ) im griechischen Text nicht auf Götter, sondern auf Menschen bezieht.325 Dadurch ist der Sinn des Satzes ein anderer als im koptischen Text: Es wird keine Aussage über Götter, sondern über Menschen getroffen. Zwar werden die Menschen im griechischen Text nicht ausdrücklich erwähnt, so wie die Götter im koptischen. Gerade das spricht aber dafür, dass Menschen gemeint sind, solange nichts anderes ausdrücklich gesagt wird. Denn ohne Seitenblick auf den in seinem Sinn rätselhaften koptischen Spruch dürfte niemand auf die Idee verfallen, die Zahlwörter τρεῖς und εἷς auf Götter zu beziehen. Dass im koptischen Nebensatz überhaupt „drei Götter“ ( ) erwähnt werden, erklärt Akagi als Versehen oder bewusste Änderung des koptischen Übersetzers.326 Sollte es sich um eine absichtliche Zutat handeln, 321 Guillaumont, Nag-Hamâdi, 115; vgl. Fitzmyer, Oxyrhynchus, 398; Kasser, EvThom, 65; Ménard, EvThom, 125. 322 Vgl. Marcovich, Criticism, 68; Roberts, Logion 30A, 91. 323 Akagi, Development, 300 (nur Z.24); vgl. Marcovich, Criticism, 68. 324 Akagi (Development, 297) bezieht an dieser Stelle nur die erste Textausgabe von Grenfell und Hunt in seine Diskussion mit ein. Diese bietet aber, wie oben bereits vermerkt, in Z.24 weniger vollständigen Text als die zweite Edition derselben Herausgeber, wo ein, wenn auch paläographisch nicht ganz sicheres, Α vor ΘΕΟΙ erscheint. 325 Vgl. Akagi, Development, 300, Anm. 2. 326 Vgl. Akagi, Development, 302.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

so bleibt allerdings zu fragen, ob dann in EvThom 30,2 mit „zwei oder einer“ ) ebenfalls Götter gemeint sein sollen.327 Zumindest wäre ein ( solches Verständnis von EvThom 30,1 herkommend nicht ganz abwegig, wenn auch in seinem Sinngehalt ebenso schwierig zu interpretieren wie dort. Mit den, wenn auch widersprüchlichen, Rekonstruktionsversuchen von Guillaumont und Akagi war die Diskussion um Pap Ox 1,24 vorläufig zu einem Abschluss gelangt. Erst die vollständige Neuausgabe der griechischen Fragmente durch H.W. Attridge hat noch einmal Bewegung in die Sache gebracht. Auf der Grundlage früherer Konjekturen, vor allem aber seiner Autopsie des Papyrus ist er nochmals zu einer anderen Lesart des fraglichen Satzes in Pap Ox 1,23–24 gelangt: [ὅπ]ου ἐὰν ὦσιν [τρ]ε[ῖς], ε[ἰσὶ]ν ἄθεοι.328

In dieser Version wird ein scharfer Gegensatz zwischen den beiden Aussagen in Pap Ox 1,23–27 formuliert: Während der Mensch im Plural gottlos ist, sagt Jesus dem Einzelnen seine Gegenwart zu. Im Gegensatz zu Guillaumont und Akagi liest Attridge vor ΘΕΟΙ noch die Buchstaben Ν und Α: „The trace of the first letter after the third lacuna consists of a vertical stroke compatible with several letters, γ, η, ι, ν, π, τ, and ψ. The traces of the second letter after the lacuna consists of a line sloping from the upper left to the lower right portions of the letter space. Below this line and to the left there is the trace of curved stroke which must be connected with the diagonal. Grenfell and Hunt described it thus, ‚those (traces) of the letter preceding (the θ) suit α better than χ or λ, which seem to be the only alternatives.‘ “329 Darüber hinaus kann er in den ersten erkennbaren Buchstabenresten von Z.24 ein ε erkennen, das für ihn zum Zahlwort τρεῖς gehört.330 In der Fassung von Attridge läuft die Aussage von Pap Ox 1,23–27 auf das Gegenteil zu derjenigen der Parallelstelle Mt 18,20 hinaus. Während bei Matthäus gerade der Gemeinschaft der Jünger die Anwesenheit Jesu zugesprochen wird, ist es nach dem griechischen Zeugen des Thomasevangeliums nur der einzelne Mensch allein, mit dem Jesus ist. Kommt es bei Matthäus entscheidend auf den Zweck der Versammlung an, dass die Jünger Jesu, wie er sagt, „in meinem Namen“ (εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα) versammelt sind, so wird im griechischen Thomasevangelium allein auf die Zahl der Jünger abgehoben. Aufs ganze gesehen, bietet 327 Willkürlich erscheint dagegen die Ergänzung von „Menschen“ und die entsprechende Interpretation des koptischen EvThom 30 in der Übersetzung von Berger/Nord, Schriften, 653: „Jesus sagt: ‚Wo drei Götter sind, da sind Götter./Wo aber zwei Menschen sind oder auch nur einer, da bin ich mit ihm.‘ [Denn ich, der wahre und einzige Gott, suche nicht die Gesellschaft von Göttern, sondern von Menschen.]“ 328 Attridge, Text, 156; ders., Fragments, 119. 329 Attridge, Text, 156. 330 Fitzmyer (Oxyrhynchus, 398) liest am Anfang von Z.24: [γƍ θε]ο[ί]. Dagegen Attridge, Text, 156: „The first letter visible on the line [sc. 24] is more likely an ε than the ο of Fitzmyer“ (Oxyrhynchus, 398) und damit auch als das für den Vorschlag von Blass erforderliche ο oder υ. DeConick (Translation, 135) liest das ε sogar ohne jeden Vorbehalt.

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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die Rekonstruktion von Attridge damit einen gut verständlichen Spruch, der sich in die Gesamttendenz des Thomasevangeliums mit seiner Betonung der christlichen Einzelexistenz mühelos einfügt. Dagegen wendet DeConick zwar ein: „The problem with this line of reasoning is that the Greek reconstruction is not any more sensible than the Coptic, ‚Where there are three, they are without gods.‘ “331 Dieser Einwand beruht aber auf einem Missverständnis des Adjektivs ἄθεοι, dessen Plural nicht etwa eine Mehrzahl von Göttern („gods“) bezeichnet, sondern als Prädikatsnomen mit der Mehrzahl von Menschen (τρεῖς), die als gottlos bezeichnet werden, kongruiert. Im Übrigen erneuert DeConick den Vorschlag von Akagi: [ὅπ]ου ἐὰν ὦσιν [τρ]ε[ις] ε[ἰσ]ιν θεοί.332

DeConicks Wiederherstellung von Z.24 beruht auf der Autopsie des Papyrus. Statt Ν und Α, wie Attridge, liest DeConick vor ΘΕΟΙ die Buchstaben Ι und Ν, beide allerdings mit etlicher Unsicherheit. Vom angeblichen Ν erkennt sie so viel: „Visible traces move from the top left corner diagonally to the lower right corner. There is a dot of ink in the lower left corner“333. Soweit besteht Einigkeit mit Attridge. Darüber hinaus entdeckt DeConick aber noch „what appears to be a trace in the upper right corner“334 und schließt daraus: „When the ink traces are connected, the only letters they could be according to the hand of the scribe are Χ and Ν.“335 Die Buchstabenreste links daneben, die nach Attridge zu sieben verschiedenen Buchstaben vervollständigt werden können, gestatten nach DeConick nur zwei Lesungen: „Because the [vertical] stroke appears centred in the space with no trace of a horizontal cross stroke, the letter must bei either Τ or Ι.“336 DeConicks Beobachtungen sind nun aber keineswegs so eindeutig, dass die Schlüsse, die sie daraus zieht, zwingend wären. In der Entscheidung zwischen Α und Ν vor ΘΕΟΙ hängt alles davon ab, ob rechts oben tatsächlich noch ein Rest des Buchstabens zu sehen ist. DeConick scheint sich selbst nicht ganz sicher zu sein, und Attridge weiß davon nichts. Was den Buchstaben davor (Ν oder Ι) anbelangt, so kann man fragen, wie DeConick die Mitte des Raumes ermitteln will, den der Buchstabe einmal eingenommen hat, wenn links davon eine Lücke klafft und wir es gleichzeitig mit einem Manuskript zu tun haben, in dem die Größe der Buchstaben erheblich variiert.337 Es zeigt sich, dass das Problem mit papyrologischen Mitteln allein nicht zu lösen ist. Dann aber gilt: 331

DeConick, Translation, 136. DeConick, Translation, 135 (die fehlenden Akzente sind wie folgt zu ergänzen: τρεῖς εἰσὶν θεοί). 333 DeConick, Translation, 136. 334 DeConick, Translation, 136. 335 DeConick, Translation, 136. 336 DeConick, Translation, 136. 337 Nach Hurtado (Fragments, 22) ist die Handschrift „clearly not bilinear, and there is considerable variation and obvious inconsistency in letter sizes“. 332

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Wenn sich im Rahmen des papyrologisch Möglichen eine sinnvolle Form des Spruches rekonstruieren lässt, hat diese eine höhere Wahrscheinlichkeit für sich als die Annahme eines sinnlosen Textes.338 Dagegen versucht DeConick nur zu erklären, wie es zu dem von ihr favorisierten, eingestandenermaßen sinnlosen griechischen Text339 kam: „It appears that the Greek translation ΘΕΟΙ was a mistranslation of a Semitic plural form of ‚Elohim‘. The saying must have been, ‚Where there are three (people), Elohim is there.‘ “340 2.5.2. Drei Richter, drei Götter Dabei beruft sie sich allerdings zu Unrecht auf A. Guillaumont,341 der sowohl den koptischen als auch den von ihm exakt danach gebildeten griechischen Text von EvThom 30,1 für sinnvoll hält. Denn seiner Ansicht nach ist θεοί in Pap Ox 1,24 keineswegs eine Fehlübersetzung von ĔĐċēć,342 sondern im Gegenteil eine wörtliche Wiedergabe des hebräischen Begriffes, der in diesem Zusammenhang nicht „Gott“, sondern als echter Plural die drei menschlichen „Richter“ meine, die nach jüdischem Recht zur Bildung eines Gerichtskollegiums nötig sind; in dieser Bedeutung werde ĔĐċēć schon in der hebräischen Bibel, namentlich in Ps 82,1 und Ex 21,6; 22,7–8, verwendet.343 Diese Argumentation geht am Kern des Problems freilich vorbei, weil sie weder zwischen dem Sinn der genannten alttestamentlichen Texte selbst344 und ihrer Auslegung im rabbinischen Judentum345 unterscheidet noch die griechische Überlieferung überhaupt miteinbezieht. Letztere ist jedoch für die Beurteilung der hypothetischen Lesart θεοί in Pap Ox 1,24 allein ausschlaggebend. Gerade wenn man, wie Guillaumont, θεοί an dieser Stelle 338 Das textkritische Prinzip lectio difficilior potior (vgl. Aland, Text, 285) ist hier nicht anwendbar, weil es zur Entscheidung zwischen zwei sicheren, aber unterschiedlichen Lesarten dient. Hier geht es aber noch zuvor darum, die Lesart des griechischen Zeugen überhaupt erst wiederherzustellen. Dabei ist ein papyrologisch möglicher und zugleich sinnvoller Text einem sinnlosen jedenfalls vorzuziehen. 339 Vgl. DeConick, Translation, 137: „Like the Coptic, it is nonsense.“ 340 DeConick, Translation, 137. 341 Vgl. DeConick, Translation, 137: „A. Guillaumont proposed this as an explanation for the Coptic manuscript almost fifty years ago in 1958.“ 342 So aber auch Englezakis, Logion 30, 266: „According to Guillaumont the Greek θεοί reflects the use of Hebrew ’elohîm in the sense of ‚judges‘. The ‚three gods‘ of Coptic are a mistranslation of the Semitic ‚three judges‘ of traditional Jewish law“. 343 Vgl. Guillaumont, Nag-Hamâdi, 116: „En ce passage [sc. Ps 82,1] donc, comme dans Exode, xxi, 6 et xxii, 7 et 8, les élohim seraient les juges. Or ceux-ci, d’après la legislation juive, devaient être au nombre de trois pour rendre la justice.“ Vgl. mSan I,1–3. 344 Vgl. Dohmen, Ex, 145 (zu Ex 21,6): „ĔĐċēć kann nicht nur ‚Gott‘ oder ‚Götter‘ bezeichnen, sondern auch ‚weltliche Autoritäten‘ (vgl. Houtman, [Ex,] Vol. 3, 116), weshalb manche Ausleger hier an Richter oder Magistraten denken.“ Zur Diskussion vgl. nur Houtman, Ex 3, 202; Noth, Ex, 149. 345 Die Targume setzen für ĔĐċēć regelmäßig ĖĐėĐĊ/ćĐĐėĐĊ („Richter“). Vgl. entsprechend im Talmud Ber 6a; evtl. Avot III,6; außerdem MekhY 15 (vgl. Lauterbach, Mekilta 3, 119–120).

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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für eine Übersetzung von ĔĐċēć hält, gilt es zu erhellen, wie der Übersetzungsausdruck in der griechischen Zielsprache gemeinhin verwendet wurde. Nur das kann Aufschluss darüber geben, wie ein Leser des griechischen EvThom 30,1 die Bezeichnung θεοί gegebenenfalls verstehen musste. Höchst aufschlussreich sind diesbezüglich die griechischen Übersetzungen der genannten alttestamentlichen Stellen. In Ps 82,1 legen sie ein sehr unterschiedliches Textverständnis an den Tag: MT: ġʖ˙˃ó ÷ĐĔĐċʞ÷ ēćĈ ô ğù Ğù ˊē ó ćĀġ ƛ Ċúęõ ˊĈ ú ˚û ÷ėĔĐċʞ÷ ēćô „Gott steht in der Versammlung Gottes, inmitten der Götter richtet er.“ LXX: ὁ θεὸς ἔστη ἐν συναγωγῇ θεῶν, ἐν μέσῳ δὲ θεοὺς διακρίνει. „Gott steht in der Versammlung der Götter, in der Mitte aber richtet er die Götter.“ αƍ:

θεὸς ἔστη ἐν συναγωγῇ ἰσχυρῶν, ἐν ἐγκάτῳ κύριος κρινεῖ. „Gott steht in der Versammlung der Mächtigen, im Inneren wird der Herr richten.“

σƍ:

ὁ θεὸς κατέστη ἐν συνόδῳ θεοῦ, ἐν μέσοις θεὸς κρίνων. „Gott steht in der Versammlung Gottes, in der Mitte richtet Gott.“

Während Symmachus ēćĀġ ø Ċúęõ ˊú in der ersten Verhälfte exakt mit ἐν συνόδῳ θεοῦ wiedergibt, setzen die beiden anderen Übersetzungen das Nomen rectum in den Plural und interpretieren es unterschiedlich: Die Septuaginta übersetzt mit ἐν συναγωγῇ θεῶν, wobei sie sich offenbar „gezielt mit dem hellenistischen Götterolymp auseinandersetzt“346; Aquila hingegen wählt die Wiedergabe mit ἐν συναγωγῇ ἰσχυρῶν und denkt dabei, „vermutlich in Abwehr möglicher polytheistischer Assoziationen, an eine Versammlung menschlicher Richter“347. Alle drei Übersetzungen lösen in der zweiten Vershälfte das Nomen rectum ĔĐċʞ÷ ēćô von seinem Nomen regens Ĉğù Ğù . Dabei macht die Septuaginta die Götter zum Objekt (θεούς) von Gottes Gerichtshandeln, während die beiden anderen ĔĐċʞ÷ ēćô wie in der ersten Vershälfte als Subjekt auffassen und auf Gott beziehen; durch die Übersetzung κύριος identifiziert Aquila ĔĐċʞ÷ ēćô überdies mit ċČċĐ. Der Vergleich macht deutlich: Nur die Septuaginta kennt an dieser Stelle neben dem einen Gott noch andere Götter; diese treten aber nicht als Richter auf, sondern sie werden von Gott gerichtet. Der Ausdruck θεοί wird also nur dort gebraucht, wo tatsächlich Götter gemeint sind. Aquila und Symmachus vermeiden dagegen nicht nur falsche Vorstellungen, sondern auch die Bezeichnung θεοί, an die sie sich heften könnten. Ein etwas anderes Bild zeigt sich in Ex 21,6, wo es vom bleibewilligen Slaven heißt, sein Herr solle ihn bringen MT: LXX: αƍ/σƍ: 346 347

ĔĐċʞ÷ ēćô ċĀē û ćù

zu Gott (zu den Richtern?); πρὸς τὸ κριτήριον τοῦ θεοῦ zum Gericht Gottes; πρὸς τοὺς θεούς zu den Göttern.

Zenger in: Hossfeld/Zenger, Ps 2, 491. Zenger in: Hossfeld/Zenger, Ps 2, 491.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Dem entspricht das Textverständnis in Ex 22,8: Bei Eigentumsdelikten ist zum Schadensersatz verpflicht, MT: LXX: αƍ:348

ĔĐċʞ÷ ēćĖ ô ęĐý ˃÷ ğó úĐğ˃ù ćõ ὁ ἁλοὺς διὰ τοῦ θεοῦ ὃν κατακρινοῦσι θεοί

wen die Götter (Gott?) verurteilen; wer durch Gott überführt worden ist; wen die Götter verurteilen werden.

Die griechischen Übersetzungen klären die Zweideutigkeit des hebräischen Textes je auf ihre Art und Weise. Die Septuaginta begreift beide Stellen im Hebräischen als elliptische Ausdrücke, die das konkrete menschliche Gericht auslassen und nur Gott nennen, der in diesem Gericht am Werk ist. Daher ist ĔĐċēć für die Septuaginta kein anderer als Gott, der im vorausgesetzten κριτήριον der Menschen wirkt und darin den Übeltäter überführt.349 Die anderen Übersetzungen sehen in ĔĐċēć zwar einen echten Plural und setzen dafür θεοί. Schon Origenes muss diesen ungewöhnlichen Gebrauch des griechischen Lexems jedoch erklären: „Aquila und Symmachus sagten: ‚zu den Göttern‘; ‚Götter‘ aber nennen sie die Richter und ‚Gottes Gericht‘ deren Beschluss.“350 Dass der Text ohne diese Erklärung für einen griechischen Leser kaum verständlich war, zeigen die entsprechenden Scholien.351 Alles in allem sprechen die griechischen Übersetzungen der hebräischen Bibel mithin dagegen, dass der von Guillaumont im griechischen EvThom 30,1 angenommene Übersetzungsausdruck θεοί von den Lesern dieses Textes ohne Weiteres im Sinne von „Richter“ hätte verstanden werden können. Ein Sinnzusammenhang, wie im Kontext von Ex 21; 22 und Ps 82, oder erläuternde Scholien, wie in der hexaplarischen Textüberlieferung, fehlen aber in Pap Ox 1. Guillaumont kann somit nur ein hypothetisches semitisches Substrat, nicht aber das griechische EvThom 30 selbst erklären, wenn er schreibt: „Ainsi s’expliquent les ‚trois dieux‘, ou, plus exactement, les ‚trois élohim‘ du logion.“352 Das damit verbundene juridische Verständnis von EvThom 30,1, das in den drei Göttern die für die Bildung eines Kollegiums erforderlichen 348

Entsprechend σƍ: ὃν ἐὰν κατακρίνωσιν οἱ θεοί und θƍ: κατακρινοῦσιν οἱ θεοί. Vgl. Prijs, Tradition, 6: „Die Wiedergabe von ĔĐċēć (nach jüdischer Tradition Richter) durch θεός in V.8 (und 7) besagt, dass Gott inmitten der Richter weilt. […] Also: Gott spricht gleichsam aus den Richtern.“ Diesen Sinn bekommt der griechische Text freilich erst dadurch, dass die Septuaginta eben nicht einfach ĔĐċēć mit θεός übersetzt, sondern durch die Wendungen τὸ κριτήριον τοῦ θεοῦ und ὁ ἁλοὺς διὰ τοῦ θεοῦ die Mitwirkung von Menschen indirekt andeutet. Auch hier muss man deutlicher als Prijs zwischen dem hebräischen Text (in targumischer Auslegung) und seiner griechischen Übersetzung unterscheiden. In Ex 22,8 ist ein Verständnis von ĔĐċʞ÷ ēćô als „Gott“ im Singular durch den Plural ĖęĐ ý ˃÷ ğó úĐ (defektive Endung mit Nun paragogicum) außerdem erschwert. Die Septuaginta scheint die 3. Person Plural als unbestimmtes Subjekt aufzufassen und übersetzt die Verbform unter dieser Voraussetzung richtig mit dem passiven Partizip ἁλούς. Der Anschluss von „Gott“ mit dem instrumentalen διά bleibt freilich willkürlich. 350 Field, Fragmenta, 117, Anm. 3: Ἀκύλας καὶ Σύμμαχος εἶπον, πρὸς τοὺς θεούς· θεοὺς δὲ τοὺς κριτὰς ὀνομάζουσι, καὶ θεοῦ κριτήριον τὴν τούτων ψῆφον. Ähnlich Theodoret (ebd.). 351 Vgl. Field, Fragmenta, 117, Anm. 3; 119, Anm. 8. 352 Guillaumont, Nag-Hamâdi, 116. 349

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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drei Richter erkennt, lässt sich überdies in V.2 gar nicht durchhalten, wo dem Einzelnen die Gegenwart Jesu zugesagt wird.353 Deshalb hält B. Englezakis θεοί in EvThom 30 zwar ebenfalls für eine Übersetzung von ĔĐċēć, aber im weiteren Sinne von „‚godlike‘, ‚divine‘, ‚gods‘“354. Dass damit nicht nur Götter und göttliche Wesen, sondern auch Menschen bezeichnet werden können, sieht er durch Ex 4,16; 7,1 bestätigt.355 Auch in diesem Fall muss jedoch der griechische Sprachgebrauch entscheiden. In Ex 4,16 sagt Gott zu Mose: ĔĐċʞ÷ ēćē˟˔Āċ ø ùĐċó ˞ċ ÷ ˞ˇ û óČċěù ēŀ ó ˔Āċ ó ùĐċó ÷Đćˎċ

MT:

„Er [sc. Aaron] wird für dich Mund sein, und du wirst für ihn Gott sein.“ 356

LXX:

αὐτὸς ἔσται σου στόμα, σὺ δὲ αὐτῷ ἔσῃ τὰ πρὸς τὸν θεόν „Er wird dein Mund sein, du aber wirst für ihn die Gott betreffenden (Dinge) sein.“357

Unübersehbar vermeidet die Septuaginta die Bestimmung Moses zum Gott, die durch den hebräischen Text vorgegeben ist, und umschreibt ĔĐċʞ÷ ēćēø mit τὰ πρὸς τὸν θεόν. Danach repräsentiert Mose gegenüber Aaron zwar alle Dinge, die irgendwie mit Gott zu tun haben, er ist aber für ihn nicht einfach Gott. Anders liegt der Fall in Ex 7,1: MT: ŀćĐù Ĉ÷ óėċ ùĐċó ÷ĐŀĐĎˈĖʖ ÷ ğċˇ õ óČċʖęğóěú ēĔĐ ó ċʞ÷ ēćŀĐ ô ˞÷ ġú óėċćø ğó LXX:358 ἰδοὺ δέδωκά σε θεὸν Φαραω, καὶ Ααρων ὁ ἀδελφός σου ἔσται σου προφήτης „Siehe, ich habe dich zum Gott für den Pharao gemacht, und Aaron, dein Bruder, wird dein Sprecher sein.“ 353 Vgl. Englezakis, Logion 30, 266: „[I]f the first part of the logion is understood juridically, the second becomes nonsensical. For a judgement by two or one judges is inadmissible to Jewish civil law and, as far as we know, to early church also.“ 354 Englezakis, Logion 30, 266. 355 Vgl. Englezakis, Logion 30, 266: „The word ’elohîm (plural!) was elastic. It could denote not only the angels (ex-pagan gods?), but also men such as Moses (Exod. iv.16, vii.1); and as well as ‚godlike‘, it could mean ‚judge(s)‘ or ‚god(s)‘ or divine beings in general; or it could be used just as a sort of superlative (I Chron. xii.23).“ An der zuletzt genannten Stelle wird das menschliche Heerlager Davids mit einem Heerlager Gottes/von Göttern (ĔĐċʞ÷ ēćċ ô øėĎõ ĕú ˓ó /ὡς δύναμις θεοῦ) verglichen. Das bedeutet gerade nicht, dass David oder seine Krieger Götter gewesen wären. Der steigernde Vergleich beruht im Gegenteil darauf, dass sie als Menschen mit Gott bzw. Göttern verglichen werden. 356 Hexaplarische Belege fehlen. 357 Vgl. Kraus / Karrer, Septuaginta, Anm. z.St.: „du aber sollst für ihn die Gott betreffenden Dinge sein“. Der Haupttext interpretiert: „du aber sollst für ihn (Mund) sein im Blick auf Gott“. Das Textverständnis, das darin zum Ausdruck kommt, beruht auf einer Analogie: Wie Aaron zu den Israeliten in Moses Namen spricht, so Mose zu Gott in Aarons Namen. Diese Interpretation des griechischen Textes verdirbt jedoch die Pointe der Aussage. Zwar vermeidet die Septuaginta die Gottesbezeichnung für Mose, seine Bedeutung geht aber auch in der Formulierung τὰ πρὸς τὸν θεόν noch weit über diejenige des Aaron hinaus. Dieser wird zu Moses Sprecher bestimmt und zu nichts sonst, Mose hingegen repräsentiert für ihn alles, was in irgendeiner Weise mit Gott zu tun hat. 358 Entsprechend αƍ: ἴδε, δέδωκά σε θεὸν τῷ Φαραώ; σƍ: ἴδε, κατέστησά σε θεὸν Φαραώ; θƍ: … θεὸν Φαραώ.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

An dieser Stelle übersetzt die Septuaginta wörtlich den hebräischen Text und bestimmt Mose dementsprechend zum Gott. Allerdings ist er Gott nur „für den Pharao“, in dessen polytheistischer Perspektive das wirkmächtige Auftreten des Mose dem eines seiner ägyptischen Götter entspricht. Darin liegt der entscheidende Unterschied zu Ex 4,16, den die griechische Übersetzung herausarbeitet: Ist Mose für Aaron, der natürlich nur den einen Gott ċČċĐ anerkennt, lediglich der Repräsentant des Göttlichen, so erscheint er dem Pharao gegenüber und in dessen religiöser Vorstellung selber als Gott. Wir sehen also, dass im Sprachgebrauch der griechischen Bibel die Bezeichnung θεός nicht ohne Weiteres auf einen Menschen übertragen wird. Infolgedessen ist Vorsicht geboten, ein in EvThom 30,1 gelesenes θεοί einfachhin auf Menschen zu beziehen. 2.5.3. Zwei oder einer Haben sich damit die Versuche, ein in Pap Ox 1,24 gelesenes θεοί vom hebräischen ĔĐċēć her zu verstehen, als schwierig erwiesen, so bleibt das solchermaßen wiederhergestellte griechische EvThom 30,1 weiterhin sinnlos. Da gleichzeitig der papyrologische Befund nicht eindeutig ist, wird dadurch die Textrekonstruktion von DeConick und allen, die mit ihr θεοί lesen, unwahrscheinlich. Umgekehrt gewinnt Attridges Lesart ἄθεοι an Plausibilität, weil sie ein in sich verständliches Logion herstellt, das überdies im Gegensatz zu Mt 18,20 ein klares Profil innerhalb der Geschichte des frühen Christentums gewinnt. Dagegen hat die Überlieferung, welche der koptische Text bezeugt, offenbar dadurch an Klarheit eingebüßt, dass sie die gegensätzlichen Aussagen von Pap Ox 1,23–27 und Mt 18,20 zu harmonisieren versucht. Denn die Erwähnung der „zwei“ ( ) im koptischen EvThom 30,2 lässt sich wohl kaum anders als durch den Einfluss von Mt 18,20 erklären. Einen Hinweis auf ihre nachträgliche Einfügung , der im Rückbezug auf gibt noch der Präpositionalausdruck eigentlich im Plural heißen müsste.359 Wahrscheinlich ist aber der Singular , der sich auf ein ursprüngliches bezog, nach der Hinzufügung von aus Unachtsamkeit stehengeblieben. Dies alles kann auch schon in der griechischen Überlieferung geschehen sein. Der koptische Übersetzer hätte dann ein schon im Griechischen nicht mehr passendes μετ’ αὐτοῦ wörtlich übersetzt und die grammatikalische Inkongruenz dabei mitübernommen. Jedenfalls ergibt der dadurch entstandene Mischtext keinen profilierten Sinn mehr. Sein Verständnis wird dadurch noch erschwert, dass man sich von EvThom 30,1 herkommend fragen muss, ob in V.2 mit „zwei oder einer“ ( ) Götter oder Menschen gemeint sind. Zwar findet Marcovich auch im griechischen Text die „zwei“ erwähnt. Ausgehend von Grenfell und Hunt, die in 359

Vgl. Plisch, EvThom, 105, Anm. 2.

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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Pap Ox 1,26 von λέγω nur ω mit Sicherheit und γ mit Vorbehalt lesen,360 ergänzt er nämlich ἢ δύω anstelle von λέγω und liest V.25–27 im Ganzen so: [ὅ]που ε[ἷς] ἐστιν μόνος [ἢ δ]ύω, ἐγώ εἰμι μετ’ αὐτ[ῶν].361

Aber dagegen erhebt C.H. Roberts zwei Einwände. Zum einen müsse man mit der Lesung δύω unnötigerweise einen Schreibfehler gegenüber der regelmäßigen Form des Zahlwortes δύο annehmen.362 Zum anderen stellt Roberts fest: „In this hand upsilon is deeply curved and the unmistakable horizontal hasta before ω cannot be reconciled with υ. The choice is between γ, τ, or (less probably) π.“363 Den ersten Einwand entkräftet Marcovich selbst, indem er darauf hinweist, dass in den griechischen Papyri der Gebrauch von ο und ω mitunter durcheinandergeht.364 Der zweite wiegt dagegen schwer, und nur Fitzmyer bleibt danach noch im Rahmen des papyrologisch Möglichen, indem er αὐτῷ statt λέγω liest: [ὅ]π[ου] ε[ἷς] ἐστιν μόνος [αὐ]τῷ, ἐγώ εἰμι μετ’ αὐτ[οῦ].365

Diese Lesart hält nun wiederum Marcovich für „linguistically weak“366. Da man ihm hierin jedenfalls beipflichten muss und umgekehrt das schon von Grenfell und Hunt vorgeschlagene λέγω zur Einleitung autoritativer Äußerungen im Munde Jesu geläufig ist, spricht alles dafür, es beizubehalten. Das tut Attridge, wobei er das γ sogar mit Sicherheit und ε mit Vorbehalt liest.367 2.5.4. Jesu Gegenwart bei dem Einzelnen und den Vielen Im Vergleich mit Mt 18,20 und seiner Wirkungsgeschichte gewinnt das so von Attridge rekonstruierte griechische EvThom 30 sein spezifisches Profil. In beiden Logien geht es um die Frage, ob und in welcher Weise die Gegenwart Jesu, die er seinen Jüngern bleibend zugesagt hat, an deren Gemeinschaft untereinander geknüpft ist. In Mt 18,19 wird dem einträchtigen Gebet Erhörung versprochen. Von daher ist klar, dass auch im folgenden V.20 mit dem Beisammmensein der zwei oder drei – zumindest in erster Linie – die gottesdienstliche Versammlung gemeint ist. Die durch diesen Kontext gegebene Begrenztheit der Aussage wurde aber alsbald nicht mehr beachtet. So kam die Frage auf, ob Jesus nur dann, wenn mindestens zwei Gläubige zusammen sind, bei ihnen weilt, oder ob er nicht auch 360

Vgl. Grenfell / Hunt, Oxyrhynchus I, 3. Marcovich, Criticism, 67–68. 362 Vgl. Roberts, Logion 30A, 91. 363 Roberts, Logion 30A, 92. 364 Marcovich nennt als Beispiel PPar. 50,21: δύω. Vgl. aber auch Gignac, Grammar 1, 277. 365 Fitzmyer, Oxyrhynchus, 398; vgl. Kasser, EvThom, 65. 366 Marcovich, Criticism, 67; vgl. Roberts, Logion 30A, 92. 367 Vgl. Attridge, Fragments, 119. Blass (Logia-Fragment, 499) las an dieser Stelle [κἀ-] γώ· ἐγώ εἰμι μετ’ αὐτ[οῦ]. 361

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

den Einzelnen mit seiner Gegenwart begleitet.368 Sie begegnet aber keineswegs nur im Zusammenhang mit der Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte des matthäischen Jesuswortes, sondern ist auch unabhängig davon als Frage nach der Anwesenheit Gottes beim Einzelnen und in der Gemeinde der Gläubigen in den sich parallel ausbildenden jüdischen und christlichen Traditionen greifbar. In diesem allgemeineren Sinne ist die von Guillaumont angeführte Stelle aus dem Mischnatraktat Avot für die religionsgeschichtliche Einordnung von EvThom 30 durchaus von Bedeutung; dort heißt es in Avot III,6:369 „Rabbi Chalafta, der Mann aus Kfar Chananja, sagt: Zehn, die beieinander sitzen und vertieft sind in Worte der Tora, da ist die Einwohnung (ċėĐĒ˃) unter ihnen, wie gesagt ist: ‚Gott steht in der Gemeinde Gottes‘ [Ps 82,1]. Woher sogar fünf? Wie gesagt ist: ‚In der Mitte der Götter richtet er‘ [Ps 82,1]. Woher sogar drei? Wie gesagt ist: ‚Seinen Verband hat er auf der Erde gegründet‘ [Am 9,6]. Woher sogar zwei? Wie gesagt ist: ‚Dann redeten die den Herrn Fürchtenden einer zu seinem Nächsten, und der Herr hörte zu, und er hörte, und ein Buch der Erinnerung wurde geschrieben vor ihm für die den Herrn Fürchtenden und seines Namens Gedenkenden‘ [Mal 3,16]. Woher sogar einer? Wie gesagt ist: ‚An jedem Ort, wo ich meinen Namen erinnern werde, werde ich zu dir kommen, und ich will dich segnen‘ [Ex 20,24].“370

Ausgehend vom Minjan, der für das gemeinsame Gebet in der Synagoge erforderlichen Gruppe von mindestens zehn religionsmündigen Männern,371 arbeitet sich diese Mischna durch mehrmalige Halbierung der Personenzahl bis zu der Frage durch, ob die Einwohnung (Schechina) auch noch mit dem Einzelnen sei, und beantwortet sie positiv. Der Einzelne in seinem Verhältnis zu Gott ist in Mt 18,20 überhaupt nicht im Blick. Dass sich aber dieses Jesuswort in bestimm368 Vgl. Englezakis, Logion 30, 264–265: „A problem arose when Matt. xviii.20 was no longer understood as defining the minyan of congregational worship, but was thought to speak of the presence of the Lord with the faithful in general.“ Vgl. z. B. Aphrahat, dem. 4,11 (übersetzt von Bruns, Aphrahat, 146): „Wenn du nun alleine bist, ist dann Christus nicht bei dir? Siehe, es steht geschrieben über die, die an Christus glauben, daß in ihnen Christus wohnt, und dadurch zeigt sie (sc. die Schrift), daß, wenn zwei oder drei da sind, auch Christus mit ihnen ist.“ 369 Ganz ähnlich Ber 6a; vgl. aber auch San 39a; Avot III,2 (wo die Jerusalemer Version nur von zweien, die babylonische aber auch von einem allein spricht; vgl. Ueberschaer/Krupp, Avot, 24, Anm. 10). Außerdem ARN A 8. 370 Übersetzung von Ueberschaer /Krupp (Avot, 26), die das zweite und dritte Schriftzitat in der Anordnung des Jerusalemer Talmud bieten. Für die babylonische Textform vgl. z. B. die Übersetzung von Goldschmidt, Talmud 9, 671: „Woher, dass auch wenn fünf? Es heißt [Am 9,6]: seinen Bund hat er auf der Erde gegründet. Woher, dass auch wenn drei? Es heißt [Ps 82,1]: inmitten von Richtern hält er Gericht.“ Im Unterschied zu Ueberschaer und Krupp stellt sich Goldschmidt mit seiner Übersetzung außerdem in die jüdische Auslegungstradition, welche in den ĔĐċēć von Ps 82,1 menschliche Richter erblickt. Gleichzeitig zeigt aber die Varianz zwischen den verschiedenen Talmudtraditionen, dass Ps 82,1 keineswegs so fest mit der Vorstellung eines dreiköpfigen Richterkollegiums verbunden war, wie Guillaumont glaubhaft machen will. Bei DeConick (Translation, 138) ist der entscheidende Passus durch einen lapsus oculi ausgelassen: „And whence even three? Because it is written, [Auslassung] ‚Then they that feared the Lord spoke one with another; and the Lord harkened and heard.‘ “ 371 Vgl. Trepp, Juden, 174.

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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ten christlichen Traditionen auch auf den Einzelnen erstreckt, dafür ist neben EvThom 30 die folgende Passage aus dem Diatessaronkommentar Ps-Ephräms372 ein sprechendes Beispiel (comm. in Diat. 14,24): „So, wie der Gesalbte ( ) auf seine Herde in allen Dingen, die dies erforderten, blickte, so spendete er auch gegenüber der Traurigkeit, die das Alleinsein mit sich bringt, Trost, indem er sagte: ‚Wo einer ist, da bin auch ich‘, damit alle, die alleine sind ( ), getröstet würden. Denn er selbst ist Freude ( ) für uns, und er ist mit uns. Er fügte hinzu: ‚Wo zwei versammelt sind, da bin auch ich‘ (Mt 18,20), denn seine Gnade liegt über uns. Und wenn drei versammelt sind, dann ist das wie unsere Versammlung in der Kirche ( ), die der vollkommene Leib ist (vgl. 1 Kor 12,27f), das Zeichen des Gesalbten. ‚Ihre Engel im Himmel sehen das Angesicht meines Vaters‘ (Mt 18,10), das heißt durch ihre Gebete.“373

Diese Stelle ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Zunächst fällt auf, dass PsEphräm den Ausspruch „wo einer ist, da bin auch ich“ ganz selbstverständlich als Wort Jesu einführt. Es scheint sich also um ein überliefertes Jesuslogion zu handeln, dessen Authentizität im Umfeld Ps-Ephräms nicht bestritten wurde und das er deshalb auch nicht eigens legitimieren musste. Freilich arbeitet PsEphräm im Syrischen mit einem Wortspiel, das die Einzelnen (mšw d )374 schon rein sprachlich in eine enge Beziehung zum Gesalbten (mšy ) setzt, der zugleich ihre Freude ( dwt )375 ist. Darin könnte man eine subtile Strategie Ps-Ephräms zur Legitimation des ansonsten angreifbaren Logions vermuten, zumal in den Ausführungen zu den zwei bzw. drei kein analoges Wortspiel vorliegt. Es ist aber genauso möglich, dass Ps-Ephräm den ganzen wortspielerischen Zusammenhang als solchen bereits in seiner Überlieferung vorfand, deren Ursprung dann freilich im Dunkeln bliebe. In jedem Fall bleibt die Echtheit der Gegenwartszusage Jesu an den Einzelnen bei Ps-Ephräm unhinterfragt. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit bezieht er die drei auf die Versammlung der Kirche, das heißt nicht auf exakt drei Menschen, sondern auf eine unbestimmte Mehrzahl von Personen. Die drei sind also bei Ps-Ephräm, was nach Avot 3,6 die zehn sind, nämlich die Mindestzahl von Personen, die zur Bildung einer Gottesdienstgemeinde erforderlich ist; diese heißt im Psalmzitat der Mischna ċĊû ęø und bei PsEphräm mit dem hebräischen Lehnwort im Syrischen .376 Dieselbe Deutung findet sich auch schon bei Clemens von Alexandrien (str. 3,70,1):

372 Der Kommentar wird traditionell Ephräm dem Syrer zugeschrieben. Auch wenn er einiges authentische Material enthält, muss er dennoch als Ganzes dem Schülerkreis Ephräms zugeordnet werden (vgl. Bruns, LACL, 222; Lange, Ephräm, 52–73). Ich spreche deshalb von Ps[eudo]-Ephräm. 373 Übersetzung von Lange, Ephraem 2, 425. 374 Shaphel Partizip Passiv von der Wurzel y d ; vgl. Payne Smith, Dictionary, s. v. 375 Status emphaticus von dw von der Wurzel d ; vgl. Payne Smith, Dictionary, s. v. 376 Vgl. Gesenius, Handwörterbuch, s. v. ċĊû ęø ; Koehler/Baumgartner, Lexikon, s. v. I ċĊû ęø .

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

„Die Einheit der vielen (ἡ ὁμόνοια τῶν πολλῶν) aber, die mit der Zahl drei gemeint ist, mit denen der Herr ist, kann vielleicht auch die eine Kirche, der eine Mensch,377 das eine Menschengeschlecht sein.“378

Diese Auslegung der „drei“ durch Ps-Ephräm und Clemens fußt auf einer soziologischen Grundkonstante, die U.-K. Plisch treffend beschreibt: „Der Gegensatz zwischen drei und eins markiert präzise den Gegensatz zwischen dem Menschen in der Gruppe und dem einzelnen Menschen, denn drei sind definitiv eine Gruppe (‚three is a crowd‘), während zwei Menschen den Zwischenzustand zwischen Gruppe und Einzelwesen einnehmen mit der Tendenz nach beiden Seiten.“379 Bei Clemens stellt die entsprechende Überlegung eine Zwischenreflexion dar, die es ihm ermöglicht, die „drei“ nicht nur soziologisch als die drei möglichen Positionen im System der Kleinfamilie, anthropologisch als drei menschliche Eigenschaften oder soteriologisch als drei Stufen auf der Weg der Erlösung, sondern auch heilsgeschichtlich als drei Gruppen von Menschen zu interpretieren. Der Übergang gelingt ihm gerade dadurch, dass er die Dreizahl doppeldeutig verwendet: Sie steht einerseits, wie im obigen Zitat, für die unbestimmte Personenzahl einer Gruppe und andererseits jeweils für exakt drei Gruppen von Menschen. Folgende Übersicht systematisiert die verschiedenen Auslegungstypen, die Clemens in str. 3,68–70 nebeneinanderstellt: Clem. str. 3

das Erste

das Zweite

das Dritte

soziologisch

Familie (68,1)

Mann (ἀνήρ)

Frau (γυνή)

Kind (τέκνον)

anthropologisch

Seele380 (68,5)

Leidenschaft (θυμός)

Begierde (ἐπιθυμία)

Denkvermögen (λογισμός)

Mensch381 (68,5)

Fleisch (σάρξ)

Seele (ψυχή)

Geist (πνεῦμα)

Berufung382 (69,1.4)

Berufung (κλῆσις)

Erwählung (ἐκλογή)

der gnostische Mensch (ὁ γνωστικὸς ἄνθρωπος)

soteriologisch

377 Vgl. Eph 2,15, wonach die Kirche durch die Erschaffung von Juden und Heiden „zu einem (einzigen) neuen Menschen“ (εἰς ἕνα καινὸν ἄνθρωπον) entstanden ist. 378 Übersetzung von Stählin, Clemens 3, 298. 379 Plisch, Babel, 68, Anm. 19, unter Verweis auf L. Neratius Priscus (römischer Jurist, Praetor um 88–90 n. Chr., gestorben nach 133 n. Chr.; vgl. Giaro, DNP 8, 845, Nr. 5). Der Satz findet sich in Digesta 50,16,85: Neratius Priscus tres facere existimat collegium, et hoc magis sequendum est. 380 Die Tabelle ist nicht so zu verstehen, als ob die Elemente einer Spalte einander immer auch sachlich sinnvoll zuzuordnen wären (z. B. die Berufung dem Fleisch oder die Propheten den Heiden), wenngleich es etwa zwischen den beiden anthropologischen Deutungen durchaus eine Entsprechung gibt. Die Tabelle gibt aber lediglich das Dreierschema vor, in das Clemens die unterschiedlichsten Elemente einordnet. 381 Vgl. Platons Lehre von den drei Seelenteilen (Plat Tim 69c–72d; Resp 435a–441c). 382 Die Einheit des Menschen aus drei Teilen ist aus der platonisch inspirierten Anthropologie bekannt (vgl. Plut Mor 591c–592e; 943c–e; 944c–d; Eisele, Jenseitsmythen, 329–330.332).

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

Clem. str. 3

das Erste

das Zweite

das Dritte

Glaube (πίστις)

Liebe (ἀγάπη)

Juden (Ἰουδαῖος)

Heiden (ἔθνη)

Kirche (ἐκκλησία)

Gesetz (νόμος)

Propheten (προφῆται)

Evangelium (εὐαγγέλιον)

Vollendung383 Erkenntnis (69,3) (γνῶσις) heilsVölker384 geschichtlich (70,2) Schrift385 (70,3)

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Bei seiner Erörterung von Mt 18,20 geht Clemens einerseits von einer Frage aus, die dem Logion in seinem matthäischen Kontext völlig unangemessen ist: „Wer aber sind die zwei oder drei im Namen Christi Versammelten, in deren Mitte der Herr ist?“387 Denn bei Matthäus ist klar, dass zwei, drei oder mehr Jünger Jesu gemeint sind, die sich zum gemeinsamen Gebet versammeln.388 Andererseits erfasst Clemens die Intention von Mt 18,19–20 sehr genau, die dahin geht, die Eintracht der Jünger als wesentliche Voraussetzung für die Erhörung ihres Gebetes und die Gegenwart Jesu unter ihnen zu betonen: Sie werden erhört, wenn sie in ihrem Anliegen übereinstimmen (συμφωνήσωσιν);389 Jesus ist bei ihnen, wenn sie sich nicht verlieren, sondern in seinem Namen versammelt (συνηγμένοι) sind. Dem entspricht bei Clemens der Einheitsgedanke, der als Leitfaden die unterschiedlichen Interpretationen des Logions durchzieht. Die drei Elemente einer Deutung werden zu einer Einheit, indem jeweils das Dritte die Leitung übernimmt und die anderen beiden in sich zusammenführt. Nur die wechselseitige Zuordnung von Erkenntnis, Glaube und Liebe bleibt in der Schwebe, und in der soziologischen Deutung ist klar, dass natürlich nicht das Origenes (comm. in Mt. 14,3) bezieht sich in seiner mit Clemens eng verwandten Auslegung von Mt 18,20 auf 1 Thess 5,23, wo Paulus von der Bewahrung von Geist, Seele und Leib in der Parusie Christi spricht. Aphrahat legt die dreifache Existenz des Gläubigen mit Hilfe der johanneischen Immanenzformeln aus (dem. 4,11; übersetzt von Bruns, Aphrahat, 147): „Sobald sich jemand im Namen Christi sammelt, wohnt Christus in ihm. Gott aber wohnt in Christus. Also besteht ein Mensch aus dreien: er selbst, Christus, der in ihm wohnt, und Gott, der in Christus (wohnt), wie unser Herr gesagt hat: ‚Ich bin in meinem Vater und mein Vater in mir“ (Joh 14,10f). Er hat gesagt: ‚Ich und der Vater sind eins‘ (Joh 10,30). Ferner hat er gesagt: ‚Ihr seid in mir, und ich bin in euch‘ (Joh 14,20).“ 383 Vgl. Mt 22,14: „Viele sind nämlich berufen, wenige aber auserwählt“ (πολλοὶ γάρ εἰσιν κλητοί, ὀλίγοι δὲ ἐκλεκτοί). 384 Die paulinische Trias von Glaube, Hoffnung und Liebe (vgl. 1 Kor 13,13; 1 Thess 1,3; 5,8; Gal 5,5–6; Röm 5,1–8) ist im Laufe der Zeit vielfach variiert worden (vgl. Eph 1,15–19; Eisele, Glaube, 92–93; Theobald, Augen, 50). 385 Vgl. Eph 2,11–22. 386 Vergleichbar spricht Origenes (comm. in Mt. 14,4) von den beiden Testamenten (τῶν δύο διαθηκῶν), die durch den Heiligen Geist zusammengeführt werden. 387 Übersetzung von Stählin, Clemens 3, 297. 388 Losgelöst von diesem Kontext, konnte die Identität der zwei oder drei hingegen durchaus fraglich werden, wie wir am koptischen EvThom 30 sehen, wo aus einer ursprünglichen Aussage über Menschen eine solche über Götter geworden ist. 389 Darauf legt Origenes (comm. in Mt. 14,1) großen Wert.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

von Mann und Frau erzeugte Kind die Führung übernimmt. Außerdem ist zu beachten, dass Clemens nicht allen sieben Auslegungen gleich viel Platz einräumt, sondern sie einander inhaltlich zuordnet und unterschiedlich gewichtet. Die anthropologische Deutung hat dabei lediglich die Funktion, an das platonisch inspirierte popularphilosophische Menschenbild zu erinnern, das Clemens in der anschließenden soteriologischen Erörterung voraussetzt. Ihm kommt es darauf an, das Idealbild des gnostischen Menschen zu profilieren, der sich dadurch auszeichnet, dass bei ihm das Denkvermögen und der Geist die Führung übernommen haben. Darüber hinaus hat er eine Form des Christseins gefunden, die nicht nur Berufung und Erwählung übertrifft, sondern diese ebenso wie Erkenntnis, Glaube und Liebe in vollkommener Weise integriert. Dabei hält der wahrhaft gnostische Mensch nach Clemens die Waage zwischen der Verfallenheit an Leidenschaft und Begierde einerseits und der generellen Verachtung des Fleisches andererseits. Als solcher kann er ehelos leben oder verheiratet sein. Diese mittlere Position verteidigt Clemens gegen Leute, für die das Leben eines gnostischen Menschen untrennbar sexueller Enthaltsamkeit verbunden war.390 Der Streit darüber bildet den eigentlichen Anlass für seine Erörterung von Mt 18,20, die deshalb mit der soziologischen Deutung beginnt (Clem. str. 3,68.70): „[68] 1. Wer aber sind die zwei oder drei im Namen Christi Versammelten, in deren Mitte der Herr ist? Meint er mit den dreien nicht Mann, Weib und Kind, weil der Mann mit dem Weibe durch Gott verbunden wird? […] 3. Sie erklären nämlich jenes Wort so: der Herr habe damit sagen wollen, daß mit der größeren Zahl der Weltschöpfer sei (μετὰ μὲν τῶν πλειόνων τὸν δημιουργὸν εἶναι), nämlich der Gott, der Urheber des Entstehens ist, mit dem einen aber, dem Auserwählten, der Heiland (μετὰ δὲ τοῦ ἑνὸς τοῦ ἐκλεκτοῦ τὸν σωτῆρα), der der Sohn eines anderen Gottes, nämlich des guten Gottes, sei. 4. Dies verhält sich aber nicht so; vielmehr ist Gott durch seinen Sohn auch mit denen, die sittsam die Ehe geschlossen und Kinder erzeugt haben; aber auch mit dem, der in vernünftiger Weise Enthaltsamkeit geübt hat, ist in der gleichen Weise der nämliche Gott (ὁ αὐτὸς ὡσαύτως θεός). […] [70] 4. So sind also diejenigen, die aus Haß nicht heiraten oder aus Begierde ohne Unterschied das Fleisch mißbrauchen, nicht in der Zahl jener Geretteten, mit denen der Herr ist.“391

Die Ausschließlichkeit, mit der die Gegner des Clemens die Gegenwart Jesu Christi beim Einzelnen im Gegensatz zu den Vielen betonen, hat in dem von Attridge rekonstuierten griechischen EvThom 30 eine verblüffende Analogie.392 390 Interessant ist an dieser Stelle die Auslegung des Origenes (comm. in Mt. 14,2). Er sieht in den zweien ebenfalls Mann und Frau, die allerdings nach 1 Kor 7,5 darin übereinstimmen (ἐκ συμφώνου), eine Zeit lang enthaltsam zu leben, um Muße zum Gebet zu finden (ἵνα σχολάσητε τῇ προσευχῇ). Ihr Gebet wird erhört, weil sie, wie es Mt 18,19 verlangt, darin übereinstimmen. Darauf kommt es Origenes allein an. Ebenso wenig wie Paulus selbst will er durch seine Auslegung die Ehe auflösen, und insofern teilt er die Mittelposition des Clemens. 391 Übersetzung von Stählin, Clemens 3, 297–298. 392 Vgl. Plisch, Babel, 69; ders. EvThom, 104. Aphrahat (dem. 4,11) stellt demgegenüber nur fest, „daß (zuweilen) dort [ ], wo statt der zwei oder drei mehr als tausend versammelt sind im Namen Christi, Christus dennoch nicht unter ihnen ist, während (andererseits) ein

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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Clemens teilt mit ihnen zwar das Ideal des gnostischen Menschen, sieht aber ein sexuell enthaltsames Leben nicht als unabdingbare Voraussetzung an, um es zu erreichen. Die Einheit des gnostischen Menschen mit sich selbst wird seines Erachtens nicht dadurch erreicht, dass er sich sozial vereinzelt, sondern durch die Integration der verschiedenen Elemente seiner menschlichen und christlichen Existenz unter der Leitung des Geistes. Deshalb gibt es für Clemens, bei aller Hochschätzung des Einzelnen, den Christen auch im Plural; konkret bleibt er nicht bei der individuell-soteriologischen Deutung von Mt 18,20 stehen, sondern begreift die „drei“ darüber hinaus als Hinweis auf die heilsgeschichtliche Bedeutung der Kirche, die aus Juden und Heiden entstanden ist, und des Evangeliums, in dem das Gesetz und die Propheten zusammenlaufen. Dazu steht das griechische EvThom 30 in diametralem Gegensatz: Jede Versammlung – auch von Christen – ist als solche gottlos, weil Jesus seine Gegenwart ausschließlich dem Einzelnen zugesagt hat. 2.5.5. Jesu Gegenwart im Alltag Dazu passen die folgenden zwei Sätze in Pap Ox 1,27–30 hervorragend. Darf man die zuvor abgelehnte Gemeinschaft im Lichte von Mt 18,19–20 in erster Linie als gottesdienstliche Zusammenkunft begreifen,393 so sind Holzspalten394 und Steineschleppen im Gegensatz dazu ausgesprochen weltliche Beschäftigungen: „Holz spalten und Steine aufheben oder aufrichten sind exemplarische, auch körperlich anstrengende Tätigkeiten des Bauhandwerkers. Die Sätze begegnen dann wohl nicht zufällig im Munde des ‚Zimmermanns‘ Jesus von Nazareth. Ihr Sinn wäre demnach, dass man Jesus im Alltag begegnet, eben bei der Arbeit, und zu ihm nicht durch besondere religiöse Übungen oder spirituelle Anstrengungen und Leistungen findet.“395 Ausgehend vom griechischen EvThom 30, können wir den Sitz im Leben der beiden letzten Sätze sogar noch genauer bestimmen. Dort werden die alltäglichen Arbeiten durch die Singularformen ἔγειρον, εὑρήσεις und σχίσον dem einzelnen Menschen zugewiesen. Das fällt im Unterschied zum koptischen Zeugen, wo diese Sätze in EvThom 77,2–3 stehen, auf. Zwar sind bei Mensch allein sein kann und Christus dennoch bei ihm ist“ (übersetzt von Bruns, Aphrahat, 146–147). Genau genommen, läuft aber auch das Mt 18,20 bereits zuwider, wo Jesus den in seinem Namen Versammelten ausnahmslos seine Gegenwart verspricht. Die einzig denkbare Einschränkung läge in Mt 18,19, wonach die zwei im Gebet „übereinstimmen“ müssen. Darauf bezieht sich Origenes (s. o.), nicht aber Aphrahat. 393 Das ist sicher, wenn auch nicht ausschließlich der Fall; vgl. Gnilka, Mt 2, 140; Luz, Mt 3, 52. 394 Das koptische Manuskript liest . Das erste dient zur Anknüpfung des Objekts, das zweite könnte dann nur der bestimmte Artikel im Plural sein (vgl. Plisch, Einführung, 31, Nr. 1–2). Da aber mit bereits der unbestimmte Artikel im Singular vorliegt, haben wir definitiv ein zu viel; richtig muss der Ausdruck also heißen: . 395 Plisch, EvThom, 196.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

den Verbformen und , wie überhaupt im koptischen Imperativ, Singular und Plural nicht zu unterscheiden,396 aber die Pluralform anstelle des Singulars εὑρήσεις macht doch klar, dass sich in der koptischen Version auch die Aufforderungen an eine Mehrzahl von Menschen richten.397 Wenn dagegen im griechischen EvThom 30 der Einzelne in seiner alltäglichen Arbeit Jesus finden soll, dann richtet sich das nicht nur allgemein gegen fromme Übungen, sondern speziell gegen solche, die in Gemeinschaft vollzogen werden, das heißt konkret gegen den gottesdienstlichen Vollzug der Gemeinde. Hier liegt die eigentliche Pointe des griechischen Spruches: Jesus lässt sich im Alltag finden, weil der einzelne Christ diesen alleine bestreitet, während ihn die Versammlung zum Gebet von seiner individuellen Jesussuche abbringt. Wie eine Illustration der gemeinten Jesusverbundenheit bei der täglichen Arbeit wirkt eine Anekdote im späteren Kindheitsevangelium des Thomas (EvInfThom 10), in der sich ein junger Mann beim einsamen (ἐν τῇ γωνίᾳ) Holzhacken tödlich verletzt. Nachdem Jesus ihn wieder zum Leben erweckt hat, schickt er ihn erneut an die Arbeit mit dem Befehl: „Spalte das Holz und denke an mich“ (σχίζε τὰ ξύλα καὶ μνημόνευέ μου). Jesus ist demnach bei ihm, solange er ihn in Gedanken behält. Diese Pointe des griechischen EvThom 30 wird durch die Umstellung der letzten beiden Sätze an das Ende von EvThom 77 zerstört. Mehrere Indizien weisen darauf hin, dass die koptische Version der beiden Logien ein späteres Stadium der Überlieferung repräsentiert.398 EvThom 77,2 schließt mit der Wiederaufnahme des Stichworts aus EvThom 77,1 direkt an das Vorhergehende an. Die Verbindung beruht auf der Homonymität zweier bedeutungsverschiedener Wörter: einmal in der Bedeutung von „gelangen, erreichen, vollenden“ und einmal im Sinne von „brechen, spalten, teilen, zerreißen“.399 Diese Verbindung wird dadurch noch verstärkt, dass die beiden Spruchteile EvThom 77,2 und 3 gegenüber Pap Ox 1,27–30 in umgekehrter Reihenfolge begegnen und das ent396

Vgl. Layton, Grammar, § 371; Plisch, Einführung, 79; Till, Grammatik, § 297. Ungenau formuliert Nordsieck (EvThom, 294), die koptische Version habe „aus dem Singular in beiden Sätzen eine Pluralform gemacht“. Genau genommen, ist die einzige eindeutige Pluralform . 398 Dies lässt sich freilich nur in Bezug auf die Stellung der beiden Worte vom Stein und vom Holz (Pap Ox 1,27–30 bzw. koptisch EvThom 77,2–3) innerhalb des Thomasevangeliums sagen. Ob eine griechische Fassung der Spruchsammlung EvThom 77,1 enthielt, wissen wir aufgrund der fragmentarischen Überlieferung nicht. Dagegen scheint Popkes (Licht, 667.671.673) aus der Tatsache, dass uns EvThom 77,1 nur koptisch erhalten ist, zu schließen, dass es in einem älteren griechischen Text auch nie gestanden hat und erst die Trägerkreise der Nag-Hammadi-Bibliothek es in den Text eingearbeitet haben. Das ist möglich, aber es kann keinesfalls aus dem zufälligen Nichtvorhandensein griechischer Zeugnisse geschlossen werden, sondern müsste – wenn überhaupt – formgeschichtlich erwiesen werden. Höchst befremdlich ist die Feststellung (ebd. 654): „Die Imperative in Log 77,2[-3!] begegnen in P.Oxy. 1,23–30 bereits als Abschluß von Logion 30. Die griechische Fassung bietet ein ‚Ich-bin-Wort‘ (ἐγώ εἰμι μετ’ αὐτ[οῦ]; vgl. P.Oxy. 1.26 f.), welches nicht in der koptischen Textfassung begegnet.“ Wie soll man das verstehen, wo doch im koptischen EvThom 30,2 das entsprechende steht? 399 Vgl. Westendorf, Handwörterbuch, s. v. 397

2.5. EvThom 30 und 77: Der Einzelne und die Gemeinschaft

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scheidende Stichwort ebenso wie die Selbstaussage Jesu mit , die das zweimalige Jesu aus EvThom 77,1 aufnimmt, in EvThom 77,2 an erster Stelle zu stehen kommt. Da die Stichwortverbindung mittels des Homonyms nur im Koptischen funktioniert, ist es wahrscheinlich, dass die Umstellung erst in der koptischen Textüberlieferung erfolgte.400 Mit der Verschiebung verändert sich auch die Zielrichtung der beiden Schlusssätze. Stets versichern sie den Jünger der Gegenwart Jesu; aber in EvThom 30 geschieht dies, indem die jesusverbundene Einzelexistenz des Jüngers der gottlosen Versammlung entgegengesetzt wird, während nach EvThom 77 die Allgegenwart Jesu im Alltäglichen eine Konsequenz dessen beschreibt, dass er Ursprung und Ziel des Alls, ja das All selbst ist. „Wer immer Spruch 77,2–3 mit 77,1 kombiniert hat, hat die Sätze wohl – als Fortsetzung des Gedankens von der Allexistenz Jesu – als gewissermaßen pantheistische Aussage über die Allgegenwart Jesu in der Schöpfung verstanden.“401 Zwischen den Gegenwartszusagen in EvThom 77,2–3 und dem Allwort in Thom 77,1 existiert demnach nicht nur eine äußerliche Verbindung, sondern auch eine inhaltliche Entsprechung. Ähnlich verhält es sich mit dem Lichtwort, das EvThom 77 eröffnet. Dieses ist durch den Stichwortanschluss von an , der auch im Griechischen mittels τὸ πᾶν (oder τὰ πάντα) und (ἐπάνω) πάντων funktionieren würde, mit dem Folgenden verbunden. Es fügt sich aber auch sachlich zu den Gegenwartsaussagen in EvThom 77,2–3. Die Gegenwart Jesu wird im Lichtwort allerdings anders akzentuiert. Lässt er sich, insofern er das All ist, in allen Dingen finden, so strahlt er als Licht über allem. Ein Vergleich mit Joh 3,31 kann dies verdeutlichen. Nach der dortigen Vorstellung ist Jesus seinem Wesen und seiner Würde nach zwar „über allen“ (ἐπάνω πάντων); er tritt aber zugleich als derjenige auf, der „von oben kommt“ (ὁ ἄνωθεν ἐρχόμενος) und dadurch in der Lebenswelt der Menschen gegenwärtig wird. Wie der Kontext von Joh 3,31, in dem vom Wachsen Jesu und dem Abnehmen des Täufers sowie von der unterschiedlichen Herkunft Jesu und der Menschen die Rede ist, keinen Zweifel daran lässt, dass ἐπάνω πάντων auf Personen zu in EvThom 77,1, das ἐπάνω πάντων beziehen ist, so bringt genau entspricht, im Zusammenhang mit dem folgenden fraglos die Überlegenheit Jesu über alle Dinge, d. h. das ganze All, zum Ausdruck. Das bedeutet allerdings auch hier nicht, dass Jesus etwa dem Lebensbereich der Menschen entrückt wäre. Vielmehr kann man das Lichtwort im Zusammenhang mit den Gegenwartszusagen von EvThom 77,2–3 so verstehen, dass Jesus 400 Zu weit geht Popkes, Licht, 655: „Eine stringente Vernetzung von Log. EvThom 77,1 und EvThom 77,2 ist somit überhaupt erst in der koptischen Fassung möglich.“ Denn es gibt durchaus auch eine von der koptischen Sprachform unabhängige sachliche Entsprechung; vgl. Plisch, EvThom, 195: „Völlig unsachgemäß ist die Verbindung der beiden Teile übrigens nicht, geht es doch auch in EvThom 77,1 indirekt um die Allgegenwart Jesu.“ 401 Plisch, EvThom, 196; vgl. Klauck, Evangelien, 158; Onuki, Animismus, 296; Popkes, Licht, 653; Scholtissek, In ihm, 72.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

als Licht wie die Sonne zwar über allem steht, mit den Strahlen seines Lichtes aber zugleich überall auf Erden erfahrbar ist.402 Beide Gedanken laufen in einem Jesuswort aus dem Kindheitsevangelium des Thomas griffig zusammen: „Ich bin von oben her anwesend“ (EvInfThom 8,1: ἐγὼ ἄνωθεν πάρειμι). Wie man sich die Gegenwart Jesu beim Holzhacken und Steineschleppen konkret vorzustellen hat, hängt nicht zuletzt am Verständnis des Adverbiale ἐκεῖ (Pap Ox 1,28.30) bzw. (EvThom 77,2–3). Damit ist ja nicht ausdrücklich gesagt, dass Jesus im Stein oder im Holz zu finden sei. Plischs vorsichtige Formulierung, wonach EvThom 77 nur gewissermaßen pantheistisch zu verstehen sei, ist daher durchaus angebracht. Jesu Anweisung, den Stein aufzuheben und das Holz zu spalten, hat zu der Vermutung Anlass gegeben, dass er darunter bzw. dazwischen zu finden sei. Ausgehend vom manichäischen Animismus im Allgemeinen und speziell von einer Notiz in den Akten persischer Märtyrer, wonach die Manichäer die Ameise Gott nennen und entsprechend verehren,403 hat T. Onuki daraus folgende These entwickelt: „Wird nun ein /Holz gespalten, so tritt ‚dort‘ (kopt. ) nicht immer und nicht nur der Baumsaft raus, sondern […] auch Ameisen! Dass hier an Ameisen gedacht werden kann, legt der folgende Satz EvThom 77,3 nahe: ‚Hebt den Stein auf, und ihr werdet mich dort finden.‘ […] Denn hier wird nicht ausgesagt, der Licht-Jesus selbst sei in dem aufgehobenen Stein, ), wo der Stein aufgehoben worden ist. Dieser Jesus sondern er ist ‚dort‘ ( kann demnach sehr wohl mit Ameisen identifiziert werden.“404 Diese These ist freilich in mehrerlei Hinsicht völlig unhaltbar. – 1. Das Adverbiale wird von Onuki überinterpretiert. Es bezeichnet nicht irgendeinen ganz bestimmten Ort im Beispiel vom Holzhacken und Steinaufheben, sondern den Ort des vorgestellten Geschehens als solchen. Jesus ist einfach da, wenn ein Mensch Holz hackt oder einen Stein aufhebt. Wo und wie genau Jesus anwesen ist, wird nicht gesagt. – 2. Dasselbe gilt für das Bildfeld des Doppelwortes, das Onuki geschickt ausweitet, bis er die Ameisen darin findet, die er für seine Auslegung braucht. Von Ameisen ist aber weder in EvThom 77 noch in EvThom 30 die Rede, und man braucht schon eine kühne Phantasie, um in diesem verschwiegenen Element die Pointe des ganzen Spruches zu erblicken. – 3. Bezeichnend ist außerdem, dass Onuki Pap Ox 1,23–30 eingangs zwar erwähnt,405 im Verlauf seiner Studie auf 402 Von einem Licht im Inneren des Menschen ist in EvThom 77 im Unterschied zu EvThom 24 gerade nicht die Rede; vgl. aber Popkes, Licht, 665: „Die Selbstprädikation Jesu als Licht der Welt (EvThom 77,1) umschreibt seine Omnipräsenz: Die Jünger können Jesus überall bzw. in ihrem inneren Licht finden (vgl. das Verhältnis von EvThom 24 und 77).“ Die Rede vom Licht der Welt ist offenbar versehentlich aus Joh 8,12 hier hereingerutscht; denn gerade im Fehlen des Genitivattributs zeigt sich nach Popkes (ebd. 664) ein wichtiger Unterschied zwischen johanneischer und thomanischer Lichtmetaphorik. 403 Vgl. Onuki, Animismus, 306. 404 Onuki, Animismus, 311. 405 Vgl. Onuki, Animismus, 295. Allerdings stellt er dem gebotenen Text ε[ἰσι;]ν ἄθεοι (sic!) in Z.24 fälschlich die davon abweichende Übersetzung „sind sie nicht ohne Gott“ gegenüber,

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die mögliche Bedeutung von Z.27–30 in diesem Zusammenhang aber nicht mehr eingeht. Das hängt damit zusammen, dass seine manichäische Interpretation von EvThom 77, wenn überhaupt, nur an den koptischen Text aus dem vierten Jahrhundert, der sich zusammen mit der teilweise manichäischen Schrift „Vom Ursprung der Welt“ in NHC II befindet, anknüpfen kann. Damit bleibt aber die Frage offen, welchen Sinn das viel früher in Pap Ox 1 belegte Doppelwort vom Holzhacken und Steinaufheben ohne den Kontext von NHC II hatte. – Onukis Interpretation läuft insgesamt Gefahr, einen Einzelzug des Logions (die ) überzubewerten und dabei dessen Gesamttendenz aus den Ortsangabe Augen zu verlieren. Um den solchermaßen isolierten Einzelzug zu erklären, muss er viele Voraussetzungen machen, deren Triftigkeit jeweils äußerst fraglich bleibt. Viel einfacher ist es demgegenüber, die beiden Gegenwartszusagen in EvThom 77,2–3 als eine Übersetzung der beiden Ich-bin-Worte aus EvThom 77,1 in die tägliche Lebenswelt der Jünger zu verstehen. Was Jesus in V.1 von sich selber sagt, das gewinnt erst dadurch für die Jünger an Bedeutung, dass es für sie im Alltag konkret erfahrbare Wirklichkeit wird. Entscheidend ist dann nicht, wo und wie genau man sich die Präsenz Jesu vorzustellen hätte, sondern dass er , das heißt ganz allgemein bei so weltlichen Beschäftigungen wie Holzspalten und Steineaufheben, gegenwärtig ist. Dahinter steckt nicht unbedingt ein pantheistisches Weltbild, sondern einfach eine Form von Alltagsmystik,406 die nichts in der Welt ohne Bezug zu dem betrachtet, der Anfang und Ende von allem ist und der die ganze Welt und das menschliche Leben mit seinem Licht erleuchtet. Diese Grundaussage der beiden Gegenwartszusagen verändert sich übrigens nicht dadurch, dass sie im griechischen Text mit EvThom 30 und im koptischen mit EvThom 77,1 kombiniert werden. In beiden Zusammenhängen bringen sie grundsätzlich eine Mystik des Alltags zum Ausdruck, die mit der Gegenwart Jesu bei der tagtäglichen Arbeit rechnet. Gleichwohl hat diese Grundaussage je nach Kontext einen spezifische Intention. In Pap Ox 1,23–30 verstärken die Z.27–30 die Polemik gegen die gottesdienstliche Versammlung, indem sie das Alltagsgeschäft des Einzelnen als den Ort seiner Jesusbegegnung so dass an diesem Punkt nicht klar ist, wie er das griechische EvThom 30 tatsächlich lesen und verstehen will. 406 Was ich hier Alltagsmystik nenne, ist mit der Haltung vergleichbar, die viele Jahrhunderte später mit dem Schlagwort „Gott in allen Dingen suchen und finden“ Ignatius von Loyola zugeschrieben wird. Danach sollen sich die Studierenden „darin üben, die Gegenwart Gottes unseres Herrn in allen Dingen zu suchen, z. B. im Sprechen, im Gehen, Sehen, Schmecken, Hören, Denken, überhaupt in allem, was sie tun; ist ja doch Gottes Majestät in allen Dingen, durch seine Gegenwart, durch sein Wirken und sein Wesen. Diese Art zu ‚betrachten‘, bei der man Gott unsern Herrn in allem findet, ist leichter, als wenn wir uns zu geistlichen Stoffen mehr abstrakterer Art erheben wollten, in die wir uns doch nur mit Mühe hineinversetzen können“ (zitiert aus den geistlichen Briefen bei Lambert, Liebe, 23–24). Natürlich ist die oben beschriebene Alltagsmystik des Thomasevangeliums nicht einfach das Gleiche, aber im Vergleich wird doch deutlich, dass man auch die dortige Glaubenshaltung nicht unbedingt als pantheistisch charakterisieren muss.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

schlechthin herausstellen. Im koptischen EvThom 77 brechen die V.2–3 die hohe Christologie des Licht- und Allwortes auf die Erfahrbarkeit der Gegenwart Jesu in den Niederungen des Alltags herunter. 2.5.6. Zusammenfassung a) Attridges Lesung ὅπου ἐὰν ὦσιν τρεῖς, εἰσὶν ἄθεοι in Pap Ox 1,23–24 wird neuerdings von DeConick wieder bestritten, die statt dessen ὅπου ἐὰν ὦσιν τρεῖς, εἰσὶν θεοί liest. Eine sichere Entscheidung zwischen den beiden Alternativen ist mit papyrologischen Mitteln allein offenbar nicht möglich. Dann aber ist bis zum Erweis des Gegenteils derjenigen Lesart der Vorzug zu geben, die ein sinnvolles Verständnis des Logions erlaubt. Dies ist nur bei Attridges Rekonstruktion der Fall, während das griechische Logion in DeConicks Version ebenso sinnlos bleibt wie der allem Anschein nach korrupte koptische Text. b) Guillaumont vermutet hinter θεοί den hebräischen Ausdruck ĔĐċēć als Bezeichnung für die drei Richter eines Gerichtskollegiums und versucht von daher, der Lesart θεοί in Pap Ox 1,24 einen Sinn abzugewinnen. Damit könnte er jedoch höchstenfalls eine mutmaßliche semitische Vorlage, nicht aber die neben dem koptischen Text allein vorliegende griechische Version des Logions erklären. Denn wie die griechischen Übersetzungen der einschlägigen alttestamentlichen Stellen zeigen, ist θεοί für einen griechischen Leser nicht ohne Weiteres als Bezeichnung für „Richter“ verständlich. Dasselbe gilt, wenn man mit Englezakis von der Bedeutung „Götter“, jedoch bezogen auf Menschen, ausgeht. Mit der Einsetzung Moses als ĔĐċēć gehen die griechischen Übersetzungen sehr differenziert und kontextbezogen um. Keineswegs kann man aus diesen Stellen schließen, dass in einem jüdischen oder christlichen Milieu der Ausdruck θεοί ohne Weiteres auf „göttliche“ Menschen angewandt werden konnte. c) Auch in EvThom 30,2 ist der griechische Zeuge mit dem koptischen nicht zur Deckung zu bringen. Da in Pap Ox 1,26 Marcovichs Lesung ἢ δύω aus papyrologischen Gründen ausscheidet und Fitzmyers αὐτῷ sprachlich schwach ist, verdient Attridges Lesart λέγω, die sowohl vom Papyrusbefund her möglich und als auch in den Evangelien als Sprachgebrauch Jesu breit bezeugt ist, den Vorzug. d) Nachdem das griechische EvThom 30,1–2 solchermaßen wiederhergestellt ist, wird klar, dass der Spruch die Gegenwart Jesu exklusiv nur dem Einzelnen zuspricht, während die Vielen im Gegensatz dazu der Gegenwart Gottes ermangeln. Damit nimmt das Logion in der Frage, welche Rolle die Gemeinschaft, insbesondere die gottesdienstliche Versammlung, im christlichen Leben spielt, eine Extremposition ein, die Clemens von Alexandrien in ähnlicher Weise von seinen Gegnern bezeugt. Er selbst vertritt eine mittlere Position, die Mt 18,20 sowohl auf den einzelnen gnostischen Menschen als auch auf die Mehrzahl der Familie oder der Kirche beziehen kann. Im anderen Extrem warf Mt 18,20, wo nur von

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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zwei oder drei die Rede ist, z. B. bei Ps-Ephräm die Frage auf, ob ein Einzelner überhaupt auf die Gegenwart Jesu zählen könne. e) Zur Extremposition des griechischen EvThom 30,1–2 fügen sich die anschließenden Gegenwartszusagen Jesu, die seine Anwesenheit bei so weltlichen Beschäftigungen des Einzelnen wie Holzspalten oder Steinetragen im Gegensatz zur abgelehnten christlichen Versammlung profilieren. Darin kommt eine Alltagsmystik zum Ausdruck, die diese beiden Worte auch nach ihrer Umstellung nach EvThom 77,2–3 weiterhin prägt, nun allerdings nicht mehr im Gegensatz zum Gemeinschaftserlebnis, sondern als Konsequenz der in der täglichen Arbeit erfahrbaren Allgegenwart Jesu. Diese Umstellung hat, begünstigt durch den homonymen Stichwortanschluss mit , wahrscheinlich in der koptischen Textüberlieferung stattgefunden. f) Wann die vom koptischen Text bezeugten „zwei“ in EvThom 30,2 eingefügt wurden, muss hingegen offen bleiben. Diese Ergänzung ist lässt sich am einfachsten als Angleichung von EvThom 30,1–2 an Mt 18,20 erklären, durch die das Thomaslogion seine Anstößigkeit für jede Art des kirchlichen Christentums verlor. Sie hat wahrscheinlich vor der Umstellung der anschließenden Gegenwartszusagen nach EvThom 77,2–3 oder gleichzeitig damit stattgefunden. Nachdem EvThom 30,1–2 eine Mt 18,20 nicht mehr zuwiderlaufende Form erhalten hatte, konnten die Worte von Holzspalten und Steineschleppen als störende Zusätze empfunden werden, die umgekehrt in EvThom 77 den guten Dienst taten, das Licht- und das Allwort in den konkreten Alltag des einzelnen Christen zu übersetzen.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung 2.6.1. Der Textbefund in EvThom 36 Das Interesse am Text und der Rekonstruktion von Pap Ox 655,I,1–17 ist bei Robinson/Heil und den meisten anderen durch die Arbeit an Q motiviert. Durch das Schielen auf die Überlieferung in Q wird dabei der unvoreingenommene Blick auf Pap Ox 655,I,1–17 selbst verstellt. Während Mt und Lk wirklich so weit parallel laufen, dass man daraus Q rekonsturieren kann, ist Pap Ox 655,I,1–17 von den übrigen Versionen der Sorgensprüche ungleich weiter entfernt. Deshalb ist es unbedingt geboten, bei der Rekonstruktion des Textes und seiner literarischen Analyse zunächst dem inneren Zusammenhang von Pap Ox 655,I,1–17 selbst zu folgen und sich nicht zu früh von den Parallelüberlieferungen beeinflussen zu lassen. Die Frage ist also: Welchen eigenständigen Sinn hat die griechische Überlieferung von EvThom 36? Erst im zweiten Schritt, nachdem der Text von Pap Ox 655,I,1–17 soweit wie möglich wiederhergestellt ist, sind Vergleiche mit Mt, Lk und Q methodisch angebracht und zur inhaltlichen Profilierung des Logions

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

sinnvoll. Vermutungen über eine relative Chronologie der Zeugen und etwaige Abhängigkeiten voneinander können erst im dritten Schritt angestellt werden. Pap Ox 655,I,1–17 bietet einen viel längeren Spruch als die koptische Parallele EvThom 36. Im gemeinsamen Text gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen den beiden Zeugen. Umso schwieriger gestaltet sich die Rekonstruktion von Pap Ox 655,I,9–13. Die Diskussion kreist um zwei Problemfelder: a) Muss in Z.9–10 ΑΤΙ[…]ΥΞΑ[.]ΝΕΙ407 zu ἅτινα αὐξάνει408 oder zu ἅτινα οὐ ξαίνει409 ergänzt werden? b) Die Rekonstruktion von Z.10–13 muss sich mit drei Fragen auseinandersetzen: Ist am Umbruch von Z.10 zu Z.11, wo nur –ΕΝ sicher erkennbar ist, μηδέν, καὶ ἕν oder noch etwas anderes zu konjizieren? Muss man die Partzipialkonstruktion, die mit dem in Z.11 lesbaren Wortfragment ΕΧΟΝΤjedenfalls gegeben ist, sinngemäß zum vorhergehenden oder zum folgenden Satz ziehen? Ist ΕΝ[…] in Z.12 durch eine Form von ἐνδύεσθαι („sich etwas anziehen“) oder durch eine solche von ἐνδεῖν („mangeln“, im Medium: „Mangel haben, bedürfen“) zu vervollständigen? Die offenen Fragen können letztlich nicht getrennt voneinander beantwortet werden. Denn jede Entscheidung im Einzelfall muss sich in ein bestimmtes Gesamtverständnis des Spruches sinnvoll einordnen lassen. Vor einigen Jahren ist über die Wiederherstellung und die Interpretation von Pap Ox 655 im Blick auf die synoptischen Parallelen in Q 12,22b–31/32 (Mt 6,25–33/34) eine heftige Debatte entstanden, namentlich zwischen J.M. Robinson und C. Heil, die eine These von T.C. Skeat erneuerten und ausbauten, auf der einen und J. Schröter auf der anderen Seite.410 Als ein Ergebnis sei vorweg festgehalten, dass sich die ursprüngliche Textgestalt von Pap Ox 655,I,1–17 auf dem jetzigen Stand des Wissens nicht mit letzter Sicherheit wiedergewinnen lässt. Zu zahlreich sind an den einzelnen Stellen die textkritisch möglichen und je nach Textverständnis mehr oder weniger sinnvollen Rekonstruktionen, als dass einer davon zweifelsfrei der Vorzug gegeben werden könnte. Es ist hier nicht der Ort, die gesamte Diskussion nachzuzeichnen, in der sich textkritische nicht selten mit literar- und überlieferungskritischen Argumenten vermischen.411 Letztere sind an dieser Stelle noch fernzuhalten, um einen Zirkelschluss zu vermeiden, in dem formgeschichtliche Erwägungen text- und literarkritische Entscheidungen begründen und der so gewonnene Text anschließend 407

Grenfell/Hunt, Oxyrhynchus IV, 23. Zuerst Grenfell/Hunt, Oxyrhynchus IV, 24 (von Attridge, Fragments, 121 im Apparat fälschlich mit αὐξαίνει zitiert, worauf schon Robinson / Heil, Zeugnisse, 36 hinweisen); ebenso Fitzmyer, Oxyrhynchus, 406.408. 409 Zuerst Bartlet, Oxyrhynchus, 124; danach ebenso Taylor, Agrapha, 550–551; James, Aprocryphal New Testament, 28. An diese drei frühen, oft übersehenen Beiträge erinnert Glasson, Carding, 331–332. Am einflussreichsten wurde Skeat, Lilies, 212; zunächst noch ohne Folgen wiederholt von Merkelbach, Logion 36. 410 Vgl. Robinson / Heil, Lilies; dies., Zeugnisse; dies., Schreibfehler; Robinson, Cluster; ders., Pre-Q Text; Schröter, Rezeptionsprozesse; ders., Verschrieben?; ders., Überlieferung. 411 Darauf hat Schröter, Verschrieben?, 283 zurecht hingewiesen. 408

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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bestimmte überlieferungsgeschichtliche Mutmaßungen rechtfertigt.412 Die textkritische Frage heißt zunächst einfach: Welche Rekonstruktion von Pap Ox 655,I,1–17 ergibt nach immanenten Kriterien den besten Text? Der Übersichtlichkeit halber werden die Problemkreise nacheinander besprochen. 2.6.2. Die Verwendung von οὐδέ Liest man in Z.9–10 mit der Erstausgabe von Grenfell und Hunt αὐξάνει, so lautet die Phrase übersetzt „… als die Lilien, die wachsen und/aber nicht spinnen“. Dagegen wendet Skeat ein, „that ἅτινα αὐξάνει οὐδὲ νήθει is really intolerable Greek for ‚which grow but spin not‘ (Grenfell and Hunt’s own translation). οὐδέ implies a preceding negative, or negative idea at least, whereas here αὐξάνει is strongly positive.“413 Skeats Behauptung, die er ebenso wenig belegt wie nach ihm Robinson und Heil,414 die Konjunktion οὐδέ könne sich nur an eine negative Aussage anschließen, lässt sich jedoch durch Gegenbeispiele eindeutig widerlegen. Diese zeigen: Sowohl im adversativen Sinne von „aber nicht“, mit oder ohne ein korrespondierendes μέν in der vorausgehenden Aussage, als auch im kopulativen Sinne von „und nicht“ kann die negierende Konjunktion οὐδέ / μηδέ auf eine positive Aussage folgen.415 Dass dies ohnehin der Fall ist, wenn οὐδέ / μηδέ in der Bedeutung von „nicht einmal“ begegnen,416 würde wohl auch Skeat nicht bestreiten; er hat aber diese Möglichkeit nicht im Blick, weil er sie für Pap Ox 655, I,9–10 wohl von vornherein ausschließt. Da diesem Argument für die Rekonstruktion von Pap Ox 655 grundlegende Bedeutung zukommt und Skeats Position bisher praktisch unwidersprochen durchgeht,417 seien hier 412 Ein solchen Zirkelschluss entdeckt Schröter, Überlieferung, 269 in der Art, wie Robinson und Heil die Stellung von Q 12,25 (Mt 6,27) und Pap Ox 655,I,13–15 in ihrem jeweiligen Kontext bewerten. Dagegen Robinson/Heil, Lilies, 14. 413 Skeat, Lilies, 212; vgl. ders. in einem Brief, zustimmend zitiert in Robinson/Heil, Lilies, 4. 414 Vgl. Robinson, Pre-Q Text, 156; ders., Cluster, 65: „Actually, the Greek negative οὐδέ (negating the spinning) is, in normal Greek, the second negative in a ‚neither-nor‘ construction.“ Dass dies in der Mehrzahl der Belege der Fall ist, heißt aber noch lange nicht, dass anderweitige Verwendungen von οὐδέ, die es nachweislich gibt (s. u.), kein normales Griechisch wären! 415 Vgl. Passow, Handwörterbuch, s. v. οὐδέ, I; Liddell/Scott, Lexicon, s. v. οὐδέ, A.I–II.1, und s. v. μηδέ, A.1. 416 Vgl. Liddell / Scott, Lexicon, s. v. οὐδέ, B.I, und s. v. μηδέ, B; Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v. οὐδέ, 3, und s. v. μηδέ, 2. 417 Nur Fitzmyer (Oxyrhynchus, 406.408) bleibt bei der Rekonstruktion αὐξάνει und hat mit dem Anschluss von οὐδέ an eine positive Aussage offenbar grundsätzlich kein Problem, wie man an seiner Rekonstruktion von EvThom 37,3 in Pap Ox 655 ablesen kann (vgl. ebd. 409): [τότε τὸν υἱὸν τοῦ ζῶντος ὄψες]θ[ε οὐδὲ φοβηθήσεσθε]. Porter, Proposals, 91–92 erwägt immerhin die Möglichkeit, dass οὐδέ / μηδέ auf eine ausgefallene und sinngemäß zu ergänzende Negation folgen könne. In solchen Fällen wird von modernen Herausgebern oft ein οὐ ergänzt, vgl. z. B. Philo Sacr AC 100 (nach Cohn, Philonis opera): ἄνδρες γοῦν [οὐ] γυναιξὶν οὐδὲ γυναῖκες ἀνδράσιν ἁμιλλήσαιντο ἂν περὶ ὧν μόνοις τοῖς ἑτέροις ἁρμόττει προσεῖναι („Männer werden

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

etliche Gegenbeispiele aus der klassischen Literatur zitiert418 und einige aus der Septuaginta und dem Neuen Testament kurz besprochen. Dabei wird sich zeigen, freilich [nicht] mit Frauen und Frauen nicht mit Männern wetteifern in Dingen, in denen es einzig den jeweils anderen ansteht, daran teilzunehmen“). Eine solche Ergänzung hilft im vorliegenden Fall jedoch nicht weiter, weil man dann sinngemäß ἅτινα [sc. οὐκ] αὐξάνει οὐδὲ νήθει lesen müsste, was offensichtlicher Unsinn ist (vgl. Robinson, Reading, 849). 418 Vgl. Aischylos (übersetzt von O. Werner in: Werner/Zimmermann, Aischylos): Ag 750–756: παλαίφατος δ’ ἐν βροτοῖς γέρων λόγος τέτυκται/μέγαν τελεσθέντα φωτὸς ὄλβον/ τεκνοῦσθαι μηδ’ ἄπαιδα θνῄσκειν,/ἐκ δ’ ἀγαθᾶς τύχας γένει/βλαστάνειν ἀκόρεστον οἰζύν („Schon lange kund ward im Volk ein greises Wort zum Wahrspruch,/Daß, machtvoll aufwachsend, Mannes Wohlstand/sich Kinder zeug, nicht sohnlos wegsterb,/Und daß aus höchstem Glück dem Stamm/Spross‘ und wachs unersättlich Wehschrein“); Eumenides 713–714: κἄγωγε χρησμοὺς τοὺς ἐμούς τε καὶ Διὸς/ταρβεῖν κελεύω μηδ’ ἀκαρπώτους κτίσαι („Und ich gebiete, daß ihr meine und des Zeus/Wahrsprüche achtet und der Frucht sie nicht beraubt“); Suppl 407–409: δεῖ τοι βαθείας φροντίδος σωτηρίου,/δίκην κολυμβητῆρος, ἐς βυθὸν μολεῖν/ δεδορκὸς ὄμμα, μηδ’ ἄγαν ᾠνωμένον („Not tut tiefgründiges Denken uns, das Rettung sucht;/ In Tauchers Weise muß man in die Tiefe gehn,/Das Auge klaren Blicks, nicht vom Wein getrübt“); Prom 327: σὺ δ’ ἡσύχαζε μηδ’ ἄγαν λαβροστόμει („Du halt dich still und laß zu keck nicht sein den Mund“). Ebenso Herodot 1,97 (übersetzt von Feix, Herodot): καὶ οὕτω ἥ τε χώρη εὐνομήσεται καὶ αὐτοὶ πρὸς ἔργα τρεψόμεθα οὐδὲ ὑπ’ ἀνομίης ἀνάστατοι ἐσόμεθα („Dann wird wieder Ordnung und Gesetz im Lande herrschen, wir können uns unserer gewohnten Arbeit widmen und werden nicht durch gesetzloses Treiben zum Auswandern gezwungen“). Außerdem Homer, Ilias (übersetzt von Rupé, Homer): 4,301–302: ἱππεῦσιν μὲν πρῶτ’ ἐπετέλλετο· τοὺς γὰρ ἀνώγει / σφοὺς ἵππους ἐχέμεν μηδὲ κλονέεσθαι ὁμίλῳ („Doch den Lenkern gebot er zuerst, die eigenen Rosse/Festzuhalten und nicht im Gewirr durcheinander zu tummeln“); 5,20–21: Ἰδαῖος δ’ ἀπόρουσε λιπὼν περικαλλέα δίφρον / οὐδ’ ἔτλη περιβῆναι ἀδελφεόο κταμένοιο („Aber Idaios entsprang, den zierlichen Sessel verlassend;/ Denn er getraute sich nicht, den getöteten Bruder zu schützen“); 5,136–138: δὴ τότε μιν τρὶς τόσσον ἕλεν μένος ὥς τε λέοντα, / ὃν ῥά τε ποιμὴν ἀγρῷ ἐπ’ εἰροπόκοισ’ ὀίεσσιν/χραύσει μέν τ’ αὐλῆς ὑπεράλμενον οὐδὲ δαμάσσει („Jetzt ergriff ihn dreimal so mächtiger Mut, wie den Löwen, / Welchen der Hirt bei den wolligen Schafen im Felde nur streifte, / Als er den Zaun übersprang, doch nicht zu töten vermochte“); 24,416–418: ἦ μέν μιν περὶ σῆμα ἑοῦ ἑτάροιο φίλοιο / ἕλκει ἀκηδέστως, ἠὼς ὅτε δῖα φανήῃ,/ οὐδὲ μιν αἰσχύνει („Stets zwar schleift er ihn rings um das Grab seines lieben Gefährten,/Mitleidslos, sobald sich erhebt die heilige Frühe,/ Doch entstellt er ihn nicht“); Odyssee (übersetzt von Weiher, Homer): 10,259–260: οἳ δ’ ἅμ’ αἰστώθησαν ἀολλέες, οὐδέ τις αὐτῶν/ἐξεφάνη, δηρὸν δὲ καθήμενος ἐσκοπίαζον („Nun sind alle zusammen verschwunden und keiner von ihnen/Kam mir wieder vor Augen; auf Wache bin lang ich gesessen“); 10,375: Κίρκη δ’ ὡς ἐνόησεν ἔμ’ ἥμενον οὐδ’ ἐπὶ σίτῷ / χεῖρας ἰάλλοντα, κρατερὸν δέ με πένθος ἔχοντα („Als aber Kirke sah, wie ich saß und die Hände nicht rührte,/Nicht nach den Speisen langte, betrübt und in gräßlicher Trauer“). Mehrfach auch Sophokles (übersetzt von Willige/Bayer, Sophokles): Oed Col 480–481: τοῦ τόνδε πλήσας ϑῶ; δίδασκε καὶ τόδε. / ὕδατος, μελίσσης· μηδὲ προσφέρειν μέθυ („Womit soll ich den füllen? Lehre mich auch dies!/Mit Wasser und Honig; mische keinen Wein hinzu!“); Phil 755– 756: δεινόν γε τοὐπίσαγμα τοῦ νοσήματος./δεινὸν γὰρ οὐδὲ ῥητόν· ἀλλ’ οἴκτιρέ με („Entsetzlich drückt die Bürde dieser Krankheit dich./Entsetzlich und unsagbar, ja! Erbarm‘ dich mein!“); Phil 995–996: οἴμοι τάλας. ἡμᾶς μὲν ὡς δούλους σαφῶς / πατὴρ ἄρ’ ἐξέφυσεν οὐδ’ ἐλευθέρους („O ich Unseliger! So hat der Vater wohl/als Sklaven mich und nicht als freien Mann gezeugt!“); Oed Tyr 396–398: ἀλλ’ εγὼ μολών, / ὁ μηδὲν εἰδὼς Οἰδίπους ἔπαυσά νιν,/γνώμῃ κυρήσας οὐδ’ ἀπ’ οἰωνῶν μαθών („Nein: ich kam daher,/ich, Oidipus, nichts wissend, räumte mit ihr auf./ Ich traf ’s mit dem Verstand , von Vögeln nicht belehrt“); Oed Tyr 867–870: ὧν Ὄλυμπος / πατὴρ μόνος, οὐδέ νιν/θνατὰ φύσις ἀνέρων/ἔτικτεν („einzig ist Olympos/ihr Vater; es hat sie nicht/ ein sterblicher Menschenleib/erzeugt“). Schließlich Thukydides 7,77 (übersetzt von Vretska/ Rinner, Thukydides): καὶ ἐκ τῶν παρόντων, ὦ Ἀθηναῖοι καὶ ξύμμαχοι, ἐλπίδα χρὴ ἔχειν (ἤδη

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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dass die Möglichkeit einer Verwendung von οὐδέ / μηδέ nach einem positiven Satzglied nicht erst bei modernen Gelehrten, sondern auch schon bei antiken Schreibern mitunter vom persönlichen Stilempfinden abhing. Das Buch Esther berichtet über die Einführung des Purimfestes zur Erinnerung an die Errettung der Juden durch die Königin Esther und ihren Onkel Mordechai vor dem geplanten Vernichtungsschlag des persischen Großwesirs Haman (Est 9,27): καὶ ἔστησεν [sc. ὁ βασιλεὺς Ἀρταξέρξης] καὶ προσεδέχοντο οἱ Ἰουδαῖοι ἐφ’ ἑαυτοῖς καὶ ἐπὶ τῷ σπέρματι αὐτῶν καὶ ἐπὶ τοῖς προστεθειμένοις ἐπ’ αὐτῶν οὐδὲ μὴν ἄλλως χρήσονται· αἱ δὲ ἡμέραι αὗται μνημόσυνον ἐπιτελούμενον κατὰ γενεὰν καὶ γενεὰν καὶ πόλιν καὶ πατριὰν καὶ χώραν. „Und er [sc. der König Artaxerxes] legte fest, und die Juden nahmen es auf sich und auf ihre Nachkommen und auf die, die sich ihnen angeschlossen hatten, und nicht anders wollten sie es halten: diese Tage aber als Gedächtnis zu begehen von Geschlecht zu Geschlecht und in jeder Stadt, sowohl in der Heimat als auch in jedem Land.“

Das 4. Makabäerbuch schildert das exemplarische Martyrium von sieben Brüdern und ihrer Mutter unter König Antiochos IV. Epiphanes (4 Makk 8,1–17,6). Die zweite Rede der Mutter (4 Makk 18,6–19) referiert ihr vorbildliches Familienleben von Jugend auf (4 Makk 17,7): ἐγὼ ἐγενήθην παρθένος ἁγνὴ οὐδὲ ὑπερέβην πατρικὸν οἶκον. „Ich war eine reine Jungfrau und kam nicht über mein Vaterhaus hinaus.“ Den Schreiber des Codex Alexandrinus störte offenbar der Anschluss mit οὐδέ, weshalb er ihn durch das für ihn gängigere καὶ οὐχ ersetzte. Dasselbe Phänomen ist in der zweiten Rede des Elifas in Ijob 15 zu beobachten (Ijob 15,5): ἔνοχος εἶ ῥήμασιν στόματός σου οὐδὲ διέκρινας ῥήματα δυναστῶν. „Schuldig bist du der Reden deines Mundes und hast nicht unterschieden die Reden der Mächtigen [d. h. du hast dich nicht unterschieden von den Reden der Mächtigen].“

Auch hier ändert der Alexandrinus οὐδέ in καὶ οὐ und gibt damit insgesamt ein Stilempfinden zu erkennen, das sich mit dem Anschluss des sonst bezeugten οὐδέ an ein positives Satzglied schwertut. Umgekehrt wird dadurch die lectio difficilior οὐδέ als ursprüngliche Lesart gerade bestätigt. Im Fall von Ijob 15,5 liest allerdings auch der Codex Sinaiticus οὐδέν statt οὐδέ. Ob es sich hierbei um eine absichtliche Änderung oder ein Versehen handelt, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls ergibt οὐδέν als Adverb einen guten Sinn: „in nichts hast du dich unterschieden von den Reden der Mächtigen“. Dieser inhaltliche Aspekt mag hier für die Änderung ausschlaggebend gewesen sein, zumal der Sinaiticus τινὲς καὶ ἐκ δεινοτέρων ἢ τοιῶνδε ἐσώθησαν), μηδὲ καταμέμφεσθαι ὑμᾶς ἄγαν αὐτοὺς μήτε ταῖς ξυμφοραῖς μήτε ταῖς παρὰ τὴν ἀξίαν νῦν κακοπαθίαις („Auch in gegenwärtiger Lage, Athener und Verbündete, müsst ihr noch hoffen – schon manche wurden aus drohenderen Gefahren als diesen gerettet – und dürft euch nicht allzu schwere Vorwürfe machen wegen der Misserfolge und der unverdienten Leiden.“). Alle Hervorhebungen (kursiv) von mir.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

im vergleichbaren Fall 4 Makk 17,7 οὐδέ stehenlässt. Einhellig ist οὐδέ in Weish 12,11 bezeugt, wo es um Gottes Art zu strafen geht: σπέρμα γὰρ ἦν κατηραμένον ἀπ’ ἀρχῆς, οὐδὲ εὐλαβούμενός τινα ἐφ’ οἷς ἡμάρτανον ἄδειαν ἐδίδους. „Denn es war ein verfluchtes Geschlecht von Anfang an, und nicht, weil du irgend jemanden gefürchtet hättest, hast du für das, was sie gesündigt haben, Straffreiheit gewährt.“

Immerhin kann man in dem Partizip Perfekt Passiv κατηραμένον, mit Skeat zu sprechen, zumindest eine negative Vorstellung („a […] negative idea at least“) erkennen, so dass οὐδέ zwar nicht eine formale Negation, wohl aber eine negativ konnotierte Aussage fortführt. Ähnlich liegen die Dinge in Ez 21,32: ἀδικίαν ἀδικίαν θήσομαι αὐτήν, οὐδ’ αὕτη τοιαύτη ἔσται, ἕως οὗ ἔλθη ᾧ καθήκει, καὶ παραδώσω αὐτῷ. „Zur Ungerechtigkeit, zur Ungerechtigkeit mache ich sie [sc. Jerusalem]419, und sie selbst wird nicht (mehr) dieselbe sein, bis (der) kommt, dem (sie) zusteht und dem ich (sie) geben werde.“

Hier geben jedoch die Textzeugen selbst Kunde davon, dass das Kriterium einer negativen Vorstellung, die der Konjunktion οὐδέ/μηδέ stets vorausgehen müsste, für die Beurteilung ihrer Einsatzmöglichkeiten viel zu vage und damit unbrauchbar ist. Mit dem wiederholten ἀδικία ist eindeutig eine negative Vorstellung gegeben. Dennoch ersetzt der Alexandrinus οὐδέ durch ein einfaches οὐ und bleibt damit seinem bereits zweimal beobachteten Stil treu. Der Sinaiticus ändert, wie in Ijob 15,5, noch stärker, indem er aus οὐδ’ αὕτη den Wehruf οὐαὶ αὐτῇ macht; zu übersetzen ist die Phrase dann: „Weh ihr! So [d. h. ungerecht] wird sie sein …“ An den bisher besprochenen Beispielen ist dreierlei zu ersehen. Erstens kann die Konjunktion οὐδέ/μηδέ auch ohne eine vorausgehende Negation (meist οὐ/μή) verwendet werden. Wie häufig dieser Gebrauch ist, hängt – zweitens – vom Stilempfinden des jeweiligen Textzeugen ab; so bietet der Codex Vaticanus an allen besprochenen Stellen οὐδέ, während der Alexandrinus zu (καὶ) οὐ neigt und der Sinaiticus, wo es sich anbietet, den Ausdruck anderweitig ändert. Drittens mildert eine vorhandene negative Vorstellung bei gleichzeitig fehlender Negation (gewöhnlich οὐ/μή) für die Zeugen, die οὐδέ ungern an eine positive Aussage anschließen, keineswegs die stilistische Härte eines solchen Ausdrucks. Zwei Beispiele aus dem Neuen Testament können diese Ergebnisse noch untermauern. Nach der Heilung eines Blinden vor Betsaida heißt es in Mk 8,26 von Jesus: καὶ ἀπέστειλεν αὐτὸν εἰς οἶκον αὐτοῦ λέγων· μηδὲ εἰς τὴν κώμην εἰσέλθῃς. „Und er schickte ihn nach Hause und sagte: Und geh nicht [oder: geh aber nicht/geh nicht einmal] ins Dorf!“ 419 Im Zusammenhang können sich die femininen Formen αὐτήν, αὕτη und τοιαύτη nur auf Jerusalem beziehen, das in V.25 erwähnt ist. Wäre der in V.30–31 direkt angesprochene „Anführer“ (ἀφηγούμενος) gemeint, müssten maskuline Formen dastehen.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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Hier kann μηδέ alle drei genannten Bedeutungen annehmen. Auf das berichtete Gebot Jesu an den Geheilten, sich nach Hause zu begeben, folgt mit μηδέ in direkter Rede sein Verbot an ihn, ins Dorf zu gehen. Die zahlreichen Textvarianten für μηδὲ εἰς τὴν κώμην εἰσέλθῃς420 offenbaren weniger ein stilistisches Problem mit der Verwendung der Konjunktion μηδέ als vielmehr die Schwierigkeit, die beiden Befehle Jesu widerspruchsfrei zu verstehen: Wenn das Haus des Geheilten im Dorf liegt, was wahrscheinlich ist,421 wie soll er dann dorthin gelangen, ohne ins Dorf hineinzugehen?422 Diese Frage braucht uns hier nicht weiter zu beschäftigen. Festzuhalten ist nur, dass die Lesart μηδὲ εἰς τὴν κώμην εἰσέλθῃς schon aus inhaltlichen Gründen als lectio difficilior den meisten Varianten vorzuziehen ist. Stilistisch interessant ist in unserem Zusammenhang vor allem die Lesart von ć* und W, die statt μηδέ ein einfaches μή bietet. Dass dies die gängigere Fomulierung wäre, ist unbestritten, spricht aber gleichzeitig dafür, dass μηδέ auch in stilistischer Hinsicht die lectio difficilior darstellt und deshalb der ältere Text sein dürfte. Aufschlussreich ist insbesondere der Befund im Codex Sinaiticus. Seine ursprüngliche Lesart μή (ć*) darf wohl als Lese-, Höroder Schreibfehler betrachtet werden, der dem unbewussten Stilempfinden des Lesers oder Schreibers geschuldet ist. Später wurde μή in μηδέ (ć) korrigiert, das aufgrund der Seltenheit des Ausdrucks stilistisch zwar befremdete, aber offenbar dem überlieferten Text entsprach. Diese Beobachtung gilt es festzuhalten, weil uns eine andere Korrektur am Codex Sinaiticus noch ausführlich beschäftigen wird. Das andere neutestamentliche Beispiel, in dem οὐδέ/μηδέ auf eine positive Aussage folgt, ist in unserem Zusammenhang noch bedeutsamer, weil hier οὐδέ keinesfalls die Bedeutung „nicht einmal“ annehmen kann und dieser Beleg Skeats Behauptung somit eindeutig widerspricht.423 In Joh 8,42 sagt Jesus zu den Juden: εἰ ὁ θεὸς πατὴρ ὑμῶν ἦν ἠγαπᾶτε ἂν ἐμέ, ἐγὼ γὰρ ἐκ τοῦ θεοῦ ἐξῆλθον καὶ ἥκω· οὐδὲ γὰρ ἀπ’ ἐμαυτοῦ ἐλήλυθα, ἀλλ’ ἐκεῖνός με ἀπέστειλεν.

420

Vgl. NA27 z.St. Dagegen Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v. μηδέ, 2.: „noch nicht einmal in das Dorf darfst du (vor der Heimreise) hineingehen“. 422 Exemplarisch äußern diese Schwierigkeit BDR § 445, Anm. 3: „[D]er Sinn nach voraufgehendem ἀπέστειλεν αὐτὸν εἰς οἶκον αὐτοῦ verlangt εἴπῃς statt εἰσέλθῃς“. Man kann darin allerdings eine Variante der markinischen Geheimhaltungsgebote sehen: Die Nachricht von der Heilung soll auf das Haus und die Familie des Geheilten beschränkt bleiben (vgl. Mk 5,19). Er soll jede Öffentlichkeit meiden, sogar die seines eigenen Dorfes, damit seine Heilung nicht zum Dorfgespräch wird (vgl. Gnilka, Mk 1, 314). Dass eine solche Maßnahme wohl kaum ihr Ziel erreicht haben dürfte, spricht nicht gegen dieses Verständnis, werden doch auch Jesu Schweigegebote am Ende von Wundergeschichten immer wieder gebrochen (vgl. Mk 1,44f; 7,36; Gnilka, Mk 1, 169). 423 In Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v. οὐδέ fehlt dieser Beleg, der innerhalb des Eintrags eine zusätzliche Verwendungskategorie notwendig machen würde, ähnlich der Angabe in Liddell/Scott, Lexicon, s. v. οὐδέ: „sts. [= sometimes] without a neg.[ative] preceding“. 421

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

„Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben; ich bin nämlich aus Gott hervorgegangen und [von ihm] komme ich, und ich bin nämlich nicht von mir selbst gekommen, sondern jener hat mich gesandt.“

Die Tatsache, dass eine wörtliche Übersetzung ins Deutsche stilistisch kaum erträglich ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Griechischen genau das dasteht: Zwei jeweils mit γάρ eingeleitete Begründungssätze werden dadurch miteinander verbunden, dass sich an die positiv fomulierte Aussage eine negative anschließt, verbunden durch die Konjunktion οὐδέ.424 Zwar gibt es auch hier eine Textvariante, die οὐ anstelle von οὐδέ liest.425 Sie ist jedoch nicht sehr breit bezeugt und entsprang wohl ebenfalls dem abweichenden Stilempfinden des jeweiligen Schreibers. Aber auch inhaltlich spricht alles für die Lesart οὐδέ, bindet doch erst sie die beiden komplementären Aussagen über die Herkunft Jesu, dass er aus Gott und nicht von sich selbst her kommt, zu einer untrennbaren Einheit zusammen. Syntaktisch kommt dadurch zum Ausdruck, dass die eine Aussage nur zusammen mit der jeweils anderen ihre ganze Wahrheit preisgibt. Um die Tragweite unserer Beobachtungen zu ermessen, muss man bedenken, welches Gewicht für die Textrekonstruktion dem syntaktischen Argument seit Skeat gegeben wurde, in Robinsons Worten: „One of the main reasons Skeat was suspicious of Grenfell and Hunt’s reading αὐξάνει οὐδέ was this syntactical problem, whereas Skeat’s reading οὐ ξαίνει οὐδὲ νήθει is correct Greek.“426 Die angeführten Beispiele zeigen jedoch, dass die Lesart αὐξάνει οὐδὲ νήθει von Grenfell und Hunt nicht weniger korrektes Griechisch ist. Vielmehr ist mit F. Passow festzuhalten: „Es tritt aber dieses οὐδέ [das durch und nicht zu übersetzen ist] eben so wohl nach einem positiven Satzglied ein als nach einem negativen“427. Damit ist ein Hauptargument gegen die Lesart αὐξάνει οὐδὲ νήθει weggefallen. 2.6.3. Die ursprüngliche Lesart des Codex Sinaiticus Ein weiteres Argument für seinen Vorschlag οὐ ξαίνει findet Skeat in einer ursprünglichen Lesart des Codex Sinaiticus. An der Parallelstelle zu Pap Ox 655,I,9–10 in Mt 6,28b wurde ein ursprüngliches οὐ ξένουσιν οὐδὲ νήθουσιν οὐδὲ κοπιῶσιν (ć*) gelöscht und durch αὐξάνουσιν οὐ κοπιῶσιν οὐδὲ νήθουσιν (ć1) ersetzt. Die Schreibung ξένουσιν statt ξαίνουσιν stellt einen gewöhnlichen Itazismus428 dar, der auch sonst oft begegnet, sowohl im Codex Sinaiti424 BDR § 452,3, Anm. 4 verwischen diesen sprachlichen Zusammenhang, wenn sie, wohl im Interesse einer stilistisch einwandfreien Übersetzung, angeben: „Jh 8,42 οὐδὲ γάρ = neque enim (wie Vg), dem etenim entsprechend“. 425 Vgl. NA27 z.St.: P66 D Θ (579) pc it. 426 Robinson, Pre-Q Text, 156. 427 Passow, Handwörterbuch, s. v. οὐδέ, I.2. 428 Vgl. Schwyzer, Grammatik 1, 174–177.

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cus429 als auch in den griechischen Papyri des Thomasevangeliums430. Da die Handschriften sonst für Mt 6,28b einhellig eine Form von αὐξάνειν an erster Stelle bezeugen und die Formulierung im Singular αὐξάνει οὐ κοπιᾷ οὐδὲ νήθει (L W 0233. 0281 f13 ) eindeutig von Lk 12,27 (P45.75 ć B) beeinflusst ist, stellt αὐξάνουσιν οὐ κοπιῶσιν οὐδὲ νήθουσιν (ć1) für Mt 6,28b ohne Zweifel die beste Lesart dar. Andererseits ist die ursprüngliche Schreibung οὐ ξένουσιν (ć*) bei UV-Licht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisbar.431 So fragt sich, woher Schreiber A432, der die ursprüngliche Variante ć* niedergeschrieben hat, seine Lesart hatte. Die varia lectio οὔτε νήθει οὔτε ὑφαίνει in Lk 12,27 (D sys.c Cl; mit geringfügigen Abweichungen: a; McionT) kommt dafür nicht in Betracht, weil sie das Verb ξαίνειν gar nicht enthält, dafür aber ὑφαίνει bietet, das wiederum in Mt 6,28b ć* nicht steht. Einen Irrtum des Schreibers A schließt Skeat mit der Begründung aus, dass zwischen οὐ ξένουσιν und αὐξάνουσιν „the phonetic similarity is by no means strong“433. Danach sieht er noch zwei Möglichkeiten, wie der Text von ć* entstanden sein könnte: 429 Milne / Skeat, Scribes, 54 stellen in bezug auf den ersten Schreiber am Codex Sinaiticus, den sogenannten Schreiber A, fest, dass „confusion of ε and αι can occur anywhere“; und Skeat, Codex, 585 ergänzt: „they were, of course, by this time pronounced identically, as in Modern Greek“, und weiter: „it really looks as though he regarded them as allowable alternatives“. Als Beispiel führt Skeat die Schreibung von Καισαρία beziehungsweise Κεσαρία in der Apostelgeschichte (ć) an. Vgl. Gignac, Grammar 1, 192–193. 430 Vgl. Pap Ox 654: Z.18: γνώσεσθαι statt γνώσεσθε; Z.23: ἐπερωτῆσε statt ἐπερωτῆσαι; Z.24–25: ζήσετε statt ζήσεται; Z.37: [μισ]εῖται statt [μισ]εῖτε; Pap Ox 1: Z.5–6: νηστεύσηται statt νηστεύσητε; Z.7: εὕρηται statt εὕρητε. 431 Vgl. Skeat, Lilies, 212; ders., in: Robinson/Heil, Lilies, 4. Im Apparat des 5. korrigierten Drucks 1998 von NA27 ist die Lesart ου ξαινουσιν ουδε νηθουσιν ουδε κοπιωσιν noch mit dem Kürzel ć*vid versehen. Nach Robinson/Heil, Zeugnisse, 31 wirkt die Kürzel vid (= ut videtur) aber nur „scheinbar einschränkend“. Sie berufen sich dabei auf Aland, Text, 247, wonach vid „nichts anderes bedeutet als: mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“. Im gleichen Sinne, aber nicht so weitgehend NA27 13*: „Eine Notierung mit vid beruht jedoch immer auf einer hohen, in der Regel an Buchstabenresten darstellbaren Wahrscheinlichkeit.“ Nun fällt auf, dass nach der Bemerkung von Robinson und Heil die Kürzel vid im Apparat zu Mt 6,28 weggefallen ist. Der 8. korrigierte Druck 2001 von NA27 verzeichnet die Lesart ου ξαινουσιν ουδε νηθουσιν ουδε κοπιωσιν nur noch mit dem Sigel ć*. Dieser Vorgang wirft die Frage auf, welchen Sinn die Angabe vid im textkritischen Apparat überhaupt hat. Entweder sie schränkt die Sicherheit der betreffenden Lesart nicht in ernstzunehmendem Maße ein; dann kann man ganz auf sie verzichten. Oder sie tut es; dann kann sie nicht entfallen, ohne dass neue paläographische Erkenntnisse (Buchstabenreste!) vorliegen. Solche ergeben sich jedoch aus den Beiträgen von Robinson und Heil keineswegs. Sie berufen sich vielmehr, was die Leserlichkeit der Buchstaben von Mt 6,28b ć* angeht, allein auf Skeats Erkenntnisse, die seit 1938 bekannt sind; vgl. Robinson / Heil, Zeugnisse, 31; dies., Schreibfehler, 114; dies., Lilies, 4. 432 Tischendorf (Novum Testamentum, XXI) hatte bei der Herstellung des Sinaiticus vier Hände am Werk gesehen: die Schreiber A, B, C und D. Dagegen haben Milne und Skeat (Scribes, 18–29) die Existenz des Schreibers C bestritten. Dies wurde neuerdings von Jongkind (Habits, 9–18.39–57) bestätigt, der ebenfalls nur von den drei Schreibern A, B und D ausgeht. 433 Skeat, Lilies, 213; dagegen Gundry, Spinning, 173: „But the rhythmic and visual as well as phonetic similarities seem fairly strong. For the two expressions share their only consonants, ξ and ν. Both start with an unaccented diphthong ending in υ, and end with exactly the same

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

„Either it was inserted on the order of an editor who had found it in some uncanonical Sayings-collection like P.Oxy. iv. 655, or, as I am more inclined to think, it was a brilliant conjectural emendation“434. Beide Erklärungen beruhen auf der Annahme, dass οὐ ξαίνει οὐδὲ νήθει formgeschichtlich die älteste erreichbare Fassung des Spruches darstelle und οὐ ξαίνει schon sehr früh zu αὐξάνει korrumpiert worden sei. Im Vergleich mit dem Beispiel von den Vögeln beziehungsweise Raben wirke die Erwähnung des Wachstums bei den Lilien deplaziert: „Here we find ἐμβλέψατε εἰς τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ (Mt 6 26), or κατανοήσατε τοὺς κόρακας (Lc 12 24), but not, for example, κατανοήσατε τοὺς κόρακας πῶς πέτονται.“435 Robinson und Heil gehen auf diesem Weg weiter, indem sie in den beiden Beispielen zwei parallel geführte Reihen von ursprünglich je drei Negationen erblicken, „denn entsprechend zu den drei negierten Prädikaten σπείρω, θερίζω und συνάγω εἰς ἀποθήκας in Q 12,24 standen in Q 12,27 oder in dessen Quelle die drei negierten Prädikate ξαίνω, κοπιάω und νήθω“436. Auf dieses Dreierschema stützen sie ihre These,437 welche die von Skeat favorisierte Möglichkeit der Konjektur durch den Schreiber A verwirft und dafür den Einfluss einer vermuteten älteren Spruchfassung hervorhebt: „Die Formulierung οὐ + ξαίνω ist jedoch nicht einfach eine (falsche) Konjektur, um den matthäischen Text zu ‚verbessern‘, sondern die originale Version des Spruches, die irgendwie […] dem Abschreiber des ć noch bekannt war. Sekundär, wohl um ć an die gewohnte Lesart von Mt 6,28 wie auch an Lk 12,27 ć anzupassen, wurde αὐξάνουσιν als Korrektur eingetragen.“438 Dass die angenommene originale Version mit derjenigen in Pap Ox 655 identisch und dem Abschreiber auch von dort bekannt gewesen sein müsse, dafür spricht nach Robinson und Heil die weite Verbreitung des Thomasevangeliums zur damaligen Zeit: „Wir haben also bis ca. 275 n. Chr. drei Papyri vom Thomas-, aber nur einen Papyrus vom Markus-Evangelium!“439 diphthong ει. Both accent the middle syllable of three. And in both, that middle syllable contains α, the only difference consisting of P.Oxy. 655’s adding an ι for the diphthong αι.“ 434 Skeat, Lilies, 214. Dagegen schon Katz, ΠΩΣ ΑΥΞΑΝΟΥΣΙΝ, 208: „I fear that I cannot find any trace of this supposed revisional activity of S* [i. e. ć*]. […] for οὐ ξαίνουσιν would have been more easily lost than supplied.“ Seiner Meinung nach bezeugt ć* mit οὐ ξαίνουσιν οὐδὲ νήθουσιν ganz einfach den korrekten Text von Mt 6,28, während alle Abweichungen davon korrupt seien (vgl. ebd. 209). Dagegen spricht jedoch die ausnahmslose Bezeugung von αὐξάνειν und κοπιᾶν in allen anderen Handschriften. 435 Skeat, Lilies, 213. 436 Robinson / Heil, Zeugnisse, 43; vgl. Robinson, Pre-Q Text, 156. 437 Robinson / Heil, Lilies, 16: „The canonical formulation with three verbs in each case, ‚neither sow nor reap nor gather into barns‘ and ‚how they grow, they do not work nor do they spin‘, is the point of departure for this thesis, and has led to the efforts to explain the abnormalities.“ 438 Robinson / Heil, Zeugnisse, 35. 439 Robinson / Heil, Zeugnisse, 42; vgl. ebd.: „Die 27. Auflage des ‚Nestle-Aland‘ notiert 36 neutestamentliche Papyri, die ebenfalls sicher vor ca. 275 n. Chr. beschrieben wurden (alle ‚II‘ oder ‚III‘ datierten Papyri), wovon nur neun Papyri Fragmente der drei synoptischen Evangelien

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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Daraus schließen die Autoren: „Die Variante οὐ + ξαίνω statt αὐξάνω ‚in some uncanonical Sayings-collection like P.Oxy. iv. 655‘ (Skeat) ist ‚eine in ć eingedrungene Variante aus P.Oxy. 655‘ (Luz). Wir haben hier auch einen Beleg dafür, daß das außerkanonische Thomas-Evangelium eine bessere Lesart bietet als die kanonischen Evangelien!“440 Da sowohl Matthäus als auch Lukas eine Form von αὐξάνειν haben, müsse eine solche auch schon in der Logienquelle Q gestanden haben. Diese greife an dieser Stelle ihrerseits auf eine „griechische schriftliche Sammlung von Jesus-Logien“441 zurück, in der noch οὐ ξαίνει zu lesen gewesen sei. Unter Berufung auf Skeat, der einen Hörfehler als Ursache der Textkorruption ausgeschlossen hatte,442 kommen Robinson und Heil zu dem Schluss: „Die Korruption von οὐ ξαίνω durch αὐξάνω kann wohl nur im Griechischen geschehen sein und nur innerhalb eines schriftlichen Traditionsprozesses – von der schriftlichen ‚Urfassung‘ über die Vermittlung des griechischen Spruchevangeliums Q zu Mt und Lk. Damit bieten die Beobachtungen zu Q 12,27 einen weiteren positiven Beleg für die Existenz eines griechischen, schriftlich fixierten Spruchevangeliums Q.“443 Gegen die Argumentation von Skeat beziehungsweise Robinson und Heil erheben sich triftige Einwände. J. Schröter hat zurecht darauf hingewiesen, dass man von einer „besseren Lesart“ im strengen Sinne nur bei der textkritischen Kollation verschiedener Zeugen ein und desselben Textes sprechen kann: „Unter Textkritik wird normalerweise der Vergleich verschiedener Manuskripte desselben Textes zur Herstellung seiner vermutlich ältesten Fassung verstanden.“444 Zur textkritischen Herstellung der besten Lesart von Mt 6,28b kann daher Pap Ox 655,I,9–10 ebenso wenig beitragen wie umgekehrt Mt 6,28b zur textkritischen Rekonstruktion von Pap Ox 655,I,9–10, weil es sich um Manuskripte verschiedener Texte handelt. „Die Argumentation [von Robinson und Heil], die zu dem genannten Resultat führt, basiert deshalb auch nicht auf textkritischen Beobachtungen, sondern auf der These, der Papyrus biete in inhaltlicher Hinsicht eine ältere Fassung, als sie in Q vorliege. Ein solches Urteil muß jedoch traditionsgeschichtlich begründet werden“445. Dass αὐξάνουσιν oder αὐξάνει schon in Q gebieten (Mk: P45; Mt: P1, P45, P53, P64/67, P70, P77; Lk: P4, P45, P69, P75).“ Vgl. Robinson, Pre-Q Text, 156. Eine nützliche Übersicht bietet Hurtado, Fragments, 29, der den Befund so bewertet: „So, the three copies of GThom suggest a readership interest greater than for many other texts, but it hardly stands out. […] On the other hand, obviously the three copies place it ahead of many texts, including a number of canonical ones (e. g., Mark)!“ 440 Robinson / Heil, Zeugnisse, 42; vgl. Luz, Matthäus 12, 363, Anm. 3; Skeat, Lilies, 214. 441 Robinson / Heil, Zeugnisse, 44. 442 Skeat, Lilies, 213 stellt im Blick auf οὐ ξαίναι und αὐξάνει fest, dass „the phonetic similarity is by no means strong“. 443 Robinson / Heil, Zeugnisse, 43–44; vgl. Skeat, Lilies, 214: „If this reconstruction is correct, the corruption of οὐ ξαίνει to αὐξάνει took place at a very early date, before either Matthew or Luke were written – in other words, it belongs to the textual history of ‚Q‘.“ 444 Schröter, Verschrieben?, 284; vgl. ders., Überlieferung, 267. 445 Schröter, Verschrieben?, 284.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

standen hat, darf aufgrund des textkritischen Befundes in Mt 6,28 und Lk 12,27 als gesichert gelten und wird auch von niemandem bestritten.446 Dass es sich dabei in Q 12,27 um einen Abschreibfehler handeln soll, kann jedoch anhand von Mt 6,28b ć* und Pap Ox 655,I,9–10 keineswegs bewiesen werden. Eine andere Frage ist die überlieferungsgeschichtliche nach der ältesten für uns erreichbaren Fassung des Beispiels von den Lilien und der sogenannten Sorgensprüche insgesamt. Diese wird uns im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch beschäftigen. Von den hier behandelten textkritischen Problemen muss sie jedoch ferngehalten werden, sonst besteht in der Tat die Gefahr eines Zirkelschlusses: Literar- und formkritische Erwägungen geben den Ausschlag in textkritischen Entscheidungen, die dann ihrerseits überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktionen stützen müssen. Die Argumentationen in unserem Fall sind davon nicht immer ganz frei. Ein als ursprünglich angenommenes doppeltes Dreierschema von Negationen mit den Verben σπείρειν – θερίζειν – συνάγειν und ξαίνειν – νήθειν – κοπιᾶν, welche den Arbeitsablauf beim Ackerbau beziehungsweise bei der Kleiderherstellung darstellen sollen, gibt zusammen mit ähnlich gearteten Überlegungen den Ausschlag dafür, für die Lesart οὐ ξένουσιν in Mt 6,28b ć* einen Abschreibfehler auszuschließen und auch in Pap Ox 655,I,9–10 οὐ ξαίνει mit unhinterfragter Sicherheit zu lesen.447 Die so gewonnenen Texte dienen dann als Beleg dafür, dass die als ursprünglich rekonstruierte Form des Spruches tatsächlich existiert hat, und umgekehrt lässt eben diese Form ihre Textzeugen als Träger ältester Überlieferung erscheinen. Textkritisch ist mit einem solchen Argument nichts gewonnen. Textlich sicher ist einzig der paläographische Befund im Codex Sinaiticus mit seinen beiden übereinandergeschriebenen Lesarten. Die Frage, woher Schreiber A seine Version hatte, muss beim jetzigen Kenntnisstand offenbleiben. Dabei kann die Möglichkeit eines Irrtums beim Schreibvorgang nicht ausgeschlossen werden. Skeat lehnt diese jedoch ab,448 weil er sich den Kopiervorgang des Codex Sinaiticus so vorstellt, dass der Text dem jeweiligen Schreiber von einem

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Vgl. Luz, Matthäus 1, 473; Robinson/Heil, Zeugnisse, 43. Interessant ist der Diskussionsverlauf. Im 1. Band seines Matthäuskommentars hatte U. Luz bis zur 4. Auflage noch die Möglichkeit erwogen, dass in Mt 6,28b ć* „ein einmaliger, spontan entstandener und sofort korrigierter Abschreibefehler“ (Luz, Matthäus I4, 363, Anm. 3) vorliegt. Unter dem Eindruck der Kritik von Robinson/Heil, Zeugnisse, 40 an dieser Position legt er sich in der 5. Auflage auf die andere von ihm schon früher erwähnte Möglichkeit fest und übernimmt das Argument seiner Kritiker: „Die vieldiskutierte ursprüngliche Textfassung des Sinaiticus οὐ ξένουσιν […] οὐδὲ νήθουσιν οὐδὲ κοπιῶσιν […] ist m. E. eine sekundär aus dem griechischen Ev Thom (= P Oxy 655 I, 9f) in ć eingedrungene Variante. […] Dafür, daß es sich in Mt 6,28 ć um eine alte Textvariante handelt, könnte sprechen, daß das Verbum ξαίνω im Unterschied zu αὐξάνω selten ist und daß die drei negierten Verben von Mt 6,28 ć* gut zu den drei Negationen von Mt 6,26a = Q 12,24 passen“ (Luz, Matthäus I5, 473, Anm. 2). 448 Skeat, Lilies, 214: „Whatever the explanation, it is clearly no scribal aberration, but the result of an acute piece of textual criticism.“ 447

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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Vorleser diktiert wurde;449 im Ergebnis folgen ihm Robinson und Heil: Die phonetische Unähnlichkeit zwischen οὐ ξένουσιν und αὐξάνουσιν mache dabei einen Hörfehler des Schreibers sehr unwahrscheinlich. Die jüngste eingehende Untersuchung des Sinaiticus durch D. Jongkind kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass der Codex nicht diktiert, sondern von einer Vorlage abgeschrieben wurde.450 Beim Abschreiben spielt die Lautverwandtschaft eine geringere Rolle als beim Diktat;451 es kommt auf den gemeinsamen Buchstabenbestand an. Aber auch beim Diktat ist es gut möglich, dass der Schreiber zwar richtig gehört, aber dennoch aus Versehen etwas Falsches hingeschrieben hat,452 oder dass sich schon der Vorleser geirrt, und das heißt verlesen, hat.453 In beiden Fällen handelt es sich zwar nicht um einen Hörfehler, wohl aber um einen Schreib- beziehungsweise Lesefehler, und beides kommt im Ergebnis einem Abschreibfehler gleich. Von zehn Buchstaben müssen zudem nur zwei verändert werden, um bei den Ausdrücken οὐ ξένουσιν und αὐξάνουσιν von einem zum andern zu kommen. Darauf macht Skeat in einem Brief an Robinson und Heil selbst aufmerksam: „The vital reading οὐ ξέ / νουσιν shows up very well because the scribe deleted only the omicron and the epsilon, leaving the intervening υξ untouched. The next three lines were completely erased and re-written because the scribe wished to reverse the order of νήθουσιν and κοπιῶσιν.“454 Bedenkt man weiter, dass nach 449

Vgl. Milne / Skeat, Scribes, 55–59. Vgl. Jongkind, Habits, 250–252. Seine Hauptargumente sind: 1. Die Schreiber haben sich den Platz, der ihnen in einer Lage von Pergamentbogen für eine bestimmte Portion Text zur Verfügung stand, vorausschauend eingeteilt und den Text beim Schreiben nötigenfalls gequetscht oder gedehnt. Die dazu nötige Übersicht über den zu schreibenden Text ist im laufenden Diktat nicht gegeben. 2. Ein Schreiber beginnt sichtlich bereits mit der Abschrift des nächsten biblischen Buches, während sein Kollege noch am vorhergehenden arbeitet. Auch hierfür muss der Platz für den anstehenden Text eingeteilt werden. 3. Der eine Schreiber radiert und korrigiert beim Schreiben viel mehr als der andere. Das ist beim notwendigerweise gleichen Tempo des Diktats für alle unmöglich. 451 Ganz unerheblich ist sie indes nicht. Zurecht erinnert Jongkind (Habits, 23) an die vier Schritte des Abschreibvorgangs, die schon Dain (Manuscrits, 41–46) namhaft gemacht hatte: Der Schreiber muss den Text lesen, behalten, sich (innerlich) vorsagen und schließlich hinschreiben. Dabei betont Dain (ebd. 47): „La très grande majorité des fautes de copie […] repose sur des erreurs de dictée intérieure, et sont des fautes auditives.“ Mit diesem Phänomen rechnet auch Skeat (Dictation, 191–193), wenn er von „subconscious dictation“ beim Abschreiben spricht. Da die Wörter in den Manuskripten nicht voneinander getrennt sind, werden die Sinneinheiten eines Textes erst durch das (innerliche) Aussprechen aktualisiert; vgl. Junack, Abschreibpraktiken, 282–283. 452 Auch beim Diktat setzt ja der Schreiber das Gehörte um, indem er es sich zunächst innerlich vorsagt. 453 Lesefehler räumen auch Milne / Skeat, Scribes, 57 grundsätzlich ein: „The existence of visual errors in the Sinaiticus, whether misreadings, omissions, or duplications, is naturally not disputed; but this in no way invalidates the dictation theory, since on this view it was the reader, not the writer, who was at fault.“ 454 Skeat, in: Robinson/Heil, Lilies, 4. Ein Abdruck der von Skeat mit UV-Licht aufgenommenen Photographie der betreffenden Stelle im Codex Sinaiticus findet sich leicht zugänglich im Vorsatzpapier von CEQ. 450

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

damaliger Schreibgewohnheit keine Worttrennungen vorgenommen wurden, so ist nicht nur die nachträgliche Korrektur in αὐξάνουσιν, sondern auch eine vorgängige falsche Lesung oder versehentliche Verschreibung als οὐ ξένουσιν ein Leichtes, zumal beide Verben im Kontext einen Sinn ergeben. Dagegen ist „a brilliant conjectural emendation“ oder das Eindringen der fremden Lesart οὐ ξένουσιν im laufenden Diktat kaum vorstellbar, müsste sie doch dem Leser oder dem Schreiber wie ein Geistesblitz eingefallen sein, weil sie sich im ursprünglichen Text von ć* befindet.455 Die Emendation liegt vielmehr im αὐξάνουσιν von ć1 vor, genauer gesagt: die Korrektur, die Schreiber D bei nochmaliger Durchsicht des Textes in aller Ruhe und in Entsprechung zum sonst einhellig bezeugten Matthäustext vorgenommen hat.456 So lässt sich festhalten: Das, was eine Verschreibung von οὐ ξαίνει in αὐξάνει oder αὐξάνουσιν in Q als möglich erscheinen lässt, das spricht umgekehrt auch für die Möglichkeit einer Verfälschung von αὐξάνουσιν in οὐ ξένουσιν im Codex Sinaiticus. Dass Robinson und Heil die beiden gleichgelagerten Fälle so unterschiedlich bewerten, hängt damit zusammen, dass sie im Falle von Q mit einem Abschreibvorgang rechnen, der sich nach dem schriftlichen Erscheinungsbild der Wörter richtet, im Falle von ć aber mit einem Diktat, das phonetischen Gesetzen unterworfen ist. Es geht jedoch nicht an, die beiden vergleichbaren Vorgänge mit so unterschiedlichen Maßstäben zu bewerten. Ob es sich in Mt 6,28b ć* um einen versehentlichen Schreibfehler, eine absichtliche Konjektur oder den Einfluss einer außerkanonischen Lesart handelt, kann demzufolge textkritisch nicht entschieden werden.457 455 Vgl. die Bemerkung über die nachträglichen Korrekturen bei Jongkind, Habits, 251: „In the dictation scenario, the existence of erasures and rewritings can only be explained if these were done after the actual dictation session. If, however, a scribe copies on his own, he can take the time to stop and make corrections in the middle of a word.“ Das gilt noch viel mehr für den ursprünglichen Schreibvorgang! Es kann also wohl nur eines richtig sein: Entweder wurde Schreiber A der Text diktiert, dann hat er ihn kaum gleichzeitig emendiert; oder er hat ihn abgeschrieben, dann ist auch eine Textemendation aus erster Hand während des laufenden Schreibvorgangs denkbar. 456 Vgl. Jongkind, Lilies, 213–214: „The rewriting of the text of Matthew 6:28 has several hallmarks of Scribe D: he is more inclined to make a correction by erasing and rewriting the text than scribe A and has a preference for using the diplè (the wedge-shaped filling sign visible after νη-). Also this scribe uses a kappa of which the two arms touch the vertical stroke quite high.“ Vgl. auch Metzger, Commentary, 15: „This reading [οὐ ξένουσιν], though regarded as original by some scholars, doubtless arose as a scribal idiosyncrasy that was almost immediately corrected.“ 457 Abgesehen von einem Schreibfehler, mit dem man immer rechnen muss, sind Schreiber A aber auch die beiden anderen Möglichkeiten beim Abschreiben zuzutrauen; vgl. Jongkind, Lilies, 215: „It is therefore completely in line with the known habits of this scribe in ć if a reading from a different Christian writing, such as the Gospel of Thomas, should appear in his copy of the text of Matthew. […] However, in the end it is not necessary to explain the reading of ć by the influence of the Gospel of Thomas (even though I think it is likely). Scribe A has on his pages many individual readings of which it can be demonstrated that the fast majority is scribe-created rather than inherited from the exemplar.“

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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Die Lesart οὐ ξένουσιν im Codex Sinaiticus ist daher eine allenfalls schwache Stütze für die Rekonstruktion von οὐ ξαίνει in Pap Ox 655,I,9–10. Noch viel weniger kann der Einfluss von Pap Ox 655 oder einer damit zusammenhängenden Überlieferung auf ć* als sicher erwiesen werden. Denn während οὐ ξένουσιν in ć* zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gelesen werden kann, ist οὐ ξαίνει in Pap Ox 655,I,9–10 eine reine Konjektur.458 Nachdem die grammatikalischen und stilistischen Bedenken gegen die Lesart αὐξάνει auf dem Papyrus aus dem Weg geräumt sind und die Möglichkeit eines Schreibfehlers in ć* nicht auszuschließen ist, gibt es keinen Grund mehr, die konkurrierende Lesart οὐ ξαίνει in Pap Ox 655,I,9–10 für wahrscheinlicher zu halten, zumal αὐξάνει beziehungsweise αὐξάνουσιν in der synoptischen Überlieferung des Lilienbeispiels im Gegensatz zu οὐ ξαίνει breit bezeugt ist. Das muss vor allem deshalb betont werden, weil namentlich seit der von Attridge besorgten kritischen Ausgabe der Oxyrhynchosfragmente οὐ ξαίνει kaum mehr als eine Konjektur wahrgenommen, sondern in fast allen Beiträgen wie ein zweifelsfrei bezeugter Text behandelt wird.459 Verzeichnete Attridge die alternative Lesart αὐξάνει von Grenfell und Hunt immerhin noch im Apparat zur Stelle, so ist sie in der Ausgabe von D. Lührmann und ganz weggefallen.460 Dass die Mehrheit der Forscher eine bestimmte Meinung vertritt, das heißt in diesem Fall οὐ ξαίνει bevorzugt,461 kann jedoch kein Argument für die Richtigkeit dieser Auffassung sein. Diese kritische Bemerkung, die Schröter in anderem Zusammenhang macht,462 ist auch hier angebracht. Dass er die Lesart οὐ ξαίνει ohne Frage akzeptiert, beraubt ihn eines der wichtigsten Argumente gegen die These von Robinson und Heil. Nachdem uns der Seitenblick auf die synoptischen Parallelen von Pap Ox 655,I,1–17 in der textkritischen Entscheidung zwischen αὐξάνει und οὐ ξαίνει letztlich nicht weitergebracht hat, gilt es einen anderen, wichtigen Hinweis von Skeat aufzunehmen: „We are thus thrown back to the internal evidence, the pro458 Skeat (Lilies, 212) sieht dagegen im Entdeckungszusammenhang zwischen Mt 6,28 ć* und Pap Ox 655,I,9–10 zugleich einen Hinweis auf deren Entstehungszusammenhang: „This [οὐ ξένουσιν in ć*] seemed to indicate that οὐ ξαίνει in the Oxyrhynchus papyrus was something more than a mere conjecture.“ Dagegen zurecht Porter, Proposals, 87: „either reading is indeed a reconstruction.“ 459 Vgl. nur Robinson, Reading, 846: „T.C. Skeat, using ultraviolet light, was the first to identify, already in 1938, this unusual reading, both in P.Oxy. 655 and in the Codex Sinaiticus at Matt 6:28.“ Beide Fälle werden hier gleich behandelt, sind aber grundverschieden: Während Skeat im Codex Sinaiticus mit Hilfe von UV-Licht eine vorhandene Lesart tatsächlich identifizieren konnte, musste er dieselbe in Pap Ox 655 wegen der teils fehlenden Buchstaben konjizieren; über den lückenhaften Buchstabenbestand hinaus gab es auf dem Papyrus nichts zu identifizieren, weder mit noch ohne UV-Licht. 460 Vgl. Attridge, Fragments, 121; Lührmann, Fragmente, 125. 461 Vgl. die beeindruckende Liste in Robinson/Heil, Zeugnisse, 37. 462 Vgl. Schröter, Rezeptionsprozesse, 447, der sehr zutreffend von einer „Strategie […] des verifizierenden Konsenses“ spricht.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

priety of the words themselves.“463 Die Frage lautet also nunmehr: Welche der beiden Lesarten fügt sich inhaltlich besser in den griechischen Text von EvThom 36 ein? Eine wichtige Gegebenheit ist dabei bisher fast durchweg übersehen worden: Es gibt einen für den Sinn des ganzen Spruches überaus bedeutsamen Bezug zwischen der anzunehmenden Lesart αὐξάνει und dem Stichwort ἡλικία464 in Z.14. Dieses kann nicht nur das Lebensalter465, sondern auch den Körperwuchs466 bedeuten, und zwar im umfassenden Sinne von „Statur“; gemeint ist damit also nicht nur die Höhe des Menschen vom Scheitel bis zur Sohle, sondern überhaupt die ganze Art seines Wuchses, ob er etwa kräftig oder schmächtig gewachsen ist. Versteht man ἡλικία in diesem Sinne, laufen der Spruch über die Lilien in Z.9–10 (ἅτινα αὐξάνει οὐδὲ νήθει) und derjenige über die angesprochenen Jünger in Z.13–17 (τίς ἂν προσθείη ἐπὶ τὴν εἱλικίαν ὑμῶν; αὐτὸς δώσει ὑμεῖν τὸ ἔνδυμα ὑμῶν.) inhaltlich vollkommen parallel. In beiden Fällen ist das Motiv von Statur und Wachstum mit demjenigen der Kleidung verbunden: Wie die Lilien ohne ihr eigenes Zutun wachsen, so tut auch der Mensch nichts zu seinem Körperwuchs, und wie die Lilien nicht spinnen und sich keine Kleider herstellen, so braucht auch der Mensch nichts für seine eigene Kleidung zu tun. Diese Parallelität des Gedankens im Vergleich zwischen den Lilien und den Jüngern macht die Lesart αὐξάνει in Z.9 nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Robinson verkennt den so gegebenen stringenten Gedankengang des Spruches, wenn er schreibt: „The basic argument for preferring the Gospel of Thomas’ ‚do not card‘ to Q’s ‚grow‘ is the striking appropriateness of the reading ‚lilies which do not card nor spin‘.“467 Betrachtet man den Ausdruck nämlich im Gesamtzusammenhang der griechischen Version von EvThom 36 (wie hier geschehen), so trifft das Argument der „striking appropriateness“ mindestens genau so sehr, wenn nicht noch mehr, auf die Konjektur αὐξάνει zu. Dahinter steckt – unausgesprochen im Fall der Lilien, im Fall der Jünger durch die Frage suggeriert – der Gedanke, dass Gott es ist, der sowohl die Lilien als auch die Menschen wachsen lässt. Wachstum (αὐξάνειν) ist demnach nichts anderes als Gottes προστιθέναι ἐπὶ τὴν ἡλικίαν. 2.6.4. Das Gewand der Jünger Sind so die Eckpunkte des Vergleichs zwischen den Lilien und den Jüngern hinreichend klar bestimmt, bleibt die Rekonstruktion der Z.10–13, welche den Übergang zwischen den beiden Teilen des Vergleichs bilden, immer noch 463

Vgl. Skeat, Lilies, 213. Durch Itazismus zu erklären ist die Lesart des Papyrus: εἱλικίαν; vgl. Gignac, Grammar 1, 236. 465 So Lührmann, Fragmente, 124: „Lebensalter“; Plisch, EvThom, 113, Anm. 1: „Lebensspanne“. 466 So DeConick, EvThom, 149: „stature“; Nordsieck, EvThom, 155: „Körperwuchs“. 467 Robinson, Reading, 848. 464

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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schwierig. Die Vorschläge sind im Detail so vielfältig, dass ich zunächst einen Überblick darüber gebe. Der Einfachheit halber verzichte ich dabei auf die eckigen Klammern und gebe die Rekonstruktionsversuche jeweils als durchgehenden Text wieder. Grenfell / Hunt468 Attridge I469 Attridge II470 Taylor471 Heinrici472 Lührmann474 Zahn475 Schröter II476 Bethge477 Hilgenfeld478 Schröter I479

.[.] ἓν ἔχοντες ἔνδυμα τί ἐν[....] καὶ ὑμεῖς; μηδὲν ἔχοντες ἔνδυμα, τί ἐνδύεσθε καὶ ὑμεῖς; καὶ ἓν ἔχοντες ἔνδυμα, τί ἐνδεῖτε καὶ ὑμεῖς; καὶ (oder: ἀλλ’) ἓν ἔχοντα ἔνδυμα τί ἐνδεῖ; καὶ ὑμεῖς, ἀλλ’ ἓν ἔχοντες ἔνδυμα τί ἐνδεῖσθε (Kraft473: ἐνδεῖτε) καὶ ὑμεῖς; μηδὲν ἔχοντα ἔνδυμα. τί ἐνδεῖτε καὶ ὑμεῖς; μηδὲν ἔχοντα ἔνδυμα. τί ἐνδύεσθε καὶ ὑμεῖς; καὶ ἓν ἔχοντα ἔνδυμα. τί ἐνδύεσθε καὶ ὑμεῖς; καὶ ἓν ἔχοντες ἔνδυμα, τί ἐν[.....].αι ὑμεῖς; ὅτι ἓν ἔχοντες ἔνδυμα τί ἐνδύεσθε καὶ ὑμεῖς; πόθεν ἔχοντες ἔνδυμά τι, ἐνδύεσθε καὶ ὑμεῖς;

Bereits T. Zahn hatte am Umbruch von Z.10 zu Z.11 die Lesung μηδέν vorgeschlagen, die dann von Attridge I und in seinem Gefolge von vielen anderen übernommen wurde. Dagegen wandte Skeat ein, dass die Aufteilung in μηδ- und -εν dem sonst fast ausnahmslos befolgten Prinzip der Silbentrennung widerspreche, nach dem das Wort zwischen μη- und -δεν getrennt werden müsste.480 468

Vgl. Grenfell / Hunt, Oxyrhynchus IV, 24. Vgl. Attridge, Fragments, 121; ebenso Aland, Synopsis, 91; DeConick, EvThom, 149; Robinson, Cluster, 77; ders., Pre-Q Text, 146; Robinson/Heil, Zeugnisse, 37. 470 Vgl. Attridge in Robinson, Reading, 868; ebenso Schröter, Überlieferung, 272; Nordsieck, EvThom, 150. Eine leicht modifizierte Version seines Vorschlags liefert Attridge in Robinson / Heil, Lilies, 6: καὶ ἓν ἔχοντες ἔνδυμα, τί ἐνδεῖτε (oder: ἐνδεῖσθε); καὶ ὑμεῖς. Auf Skeats berechtigten Einwand hin, dass ἐνδεῖν im Aktiv wie im Medium den Genitiv τινός verlangt, verwerfen Attridge, Skeat, Robinson und Heil beide Rekonstruktionsversuche wieder und lassen die Lücke in τί ἐν[…].αι ὑμεῖς offen; vgl. Robinson/Heil, Lilies, 8; dies., Schreibfehler, 120, Anm. 34. 471 Vgl. Taylor, Oxyrhynchus, 19. 472 Vgl. Heinrici, Herrensprüche, 205–206. 473 Vgl. Kraft, Oxyrhynchus, 254; ebenso Marcovich, Criticism, 70. 474 Vgl. Lührmann, Fragmente, 125; ebenso Fitzmyer, Oxyrhynchus, 406. 475 Vgl. Zahn, Funde, 97. 476 Vgl. Schröter, Verschrieben?, 288. 477 Vgl. Bethge, Evangelium, 529; in Übereinstimmung mit Skeat und Attridge ebenso CEQ 345; Robinson/Heil, Diskussionsbeitrag, 838; dies., Lilies, 9; dies., Schreibfehler, 119; außerdem Plisch, EvThom, 112. 478 Vgl. Hilgenfeld, Logia, 568. 479 Vgl. Schröter, Rezeptionsprozesse, 453; ders., Verschrieben?, 288. 480 Dabei ist nach Junack (Abschreibpraktiken, 285) zu beachten, „daß nicht Wort oder Wortgruppen, sondern ausschließlich Lautgruppen für die Untergliederung und die Zeilenbrüche bestimmend waren“. Dementsprechend trennt Pap Ox 1,30–31 die Negation οὐκ in ουund ein allein verbleibendes -κ, das wohl als konsonantischer Anlaut des folgenden ἔστιν gelesen wurde, also ΟΥ|ΚΕΣΤΙΝ. Junack (ebd.) erwähnt einen vergleichbaren Fall: „ΟΥ|ΚΥΔΑΣΙΝ (P72 bei Jud 10)“. 469

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Dieser Einwand, der auch die Lesung πόθεν bei Schröter I betrifft, ist berechtigt. Dementsprechend ist die Lesart μηδέν unwahrscheinlich, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass das μ am Wortanfang keineswegs zweifelsfrei zu lesen ist. Von dem Buchstaben sind nur Reste erhalten, die unterschiedlich interpretiert werden. Attridge urteilt: „[T]he remains are compatible with any letter with a left vertical; hence μ and κ are possible.“481 Dagegen bemerkt S.E. Porter: „After the final iota of line 10, I see a very small part of a curved line, possibly a sigma, but probably not a mu.“482 Im Ergebnis ist eine Rekonstruktion am wahrscheinlichsten, die ΕΝ am Beginn von Z.11 als selbständiges Zahlwort ἕν interpretiert. Was am Ende von Z.10 stand, bleibt unsicher. Attridge II schlägt im Anschluss an C. Taylor καί vor, und viele folgen ihm darin. Denkbar wäre nach ihm aber auch jedes andere kurze Wort mit einem linken Abstrich im ersten Buchstaben. So ergäbe z. B. die Partikel ΗΔΗ („schon“) inhaltlich einen guten Sinn. Porter votiert für den diplomatischen Text von Grenfell und Hunt. Der von ihm identifizierte Buchstabenrest würde aber auch einem ὅτι und vielleicht sogar einem ἀλλ’ nicht widersprechen. Alle diese Varianten verändern jedoch den Sinn der ganzen Phrase, wie immer sie sonst gelesen wird, kaum wesentlich. Einzig Hilgenfelds Rekonstruktion bleibt ihrem Sinn nach schleierhaft. Wem gehört nun das eine Gewand, von dem in der ersten Hälfte der Phrase die Rede ist? Dies hängt von der zu ergänzenden Endung des Partizips ἔχοντab. Ergänzt man zu ἔχοντα, bezieht sich das Partizip auf die zuvor genannten Lilien zurück, und der Partizipialausdruck ἓν ἔχοντα ἔνδυμα ist zum vorhergehenden Satz zu ziehen. Konjiziert man dagegen ἔχοντες, sind damit wie im Folgenden bereits die Jünger angesprochen, und ἓν ἔχοντες ἔνδυμα gehört zum nachfolgenden Satz. Beide Lesarten ergeben einen guten Sinn. Obwohl die Lilien nicht spinnen, haben sie immerhin ein Gewand und – so suggeriert das betont vorangestellte ἕν – brauchen auch nicht mehr. Bezogen auf die Jünger, erinnert der Hinweis auf das eine Gewand an die Aussendungsrede bei Markus (Mk 6,9): „Und zieht keine zwei Hemden an“ (καὶ μὴ ἐνδύσησθε δύο χιτῶνας).483 Gegen die Lesung ἔχοντα wurde vorgebracht, dass statt dessen in Entsprechung zu ξαίνει484 und νήθει als (verneinte) Tätigkeiten der Lilien die finite Verbform ἔχει stehen müsste. Dies ist aber keineswegs zwingend der Fall. Durch die Partizipialform ἔχοντα wird das Haben eines Gewandes den zuvor genannten Tätigkeiten der Lilien als Hintergrundinformation syntaktisch untergeordnet. Bei einem Anschluss mit καί hat dieses eine adversative Konnotation; der ganze Ausdruck ist am besten modal zu übersetzen: „wobei sie dennoch ein Gewand haben“. Einfacher scheint aber ein Anschluss etwa mit ἤδη; das Partizip wäre dann kausal 481

In: Robinson / Heil, Lilies, 5. Porter, Proposals, 87. 483 Beide Seitenreferenten haben den Ausdruck δύο χιτῶνας (Mt 10,10; Lk 9,3); unklar ist, ob er auch in Q 10,4 stand; vgl. CEQ 164–165, Anm. 7. 484 Dasselbe gilt auch für das von mir favorisierte αὐξάνει. 482

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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aufzulösen: Die Lilien spinnen nicht, „weil sie (ja) schon ein Gewand haben“ und mehr auch nicht brauchen. Ob zu ἔχοντα oder ἔχοντες ergänzt werden muss, lässt sich an diesem Punkt mithin noch nicht entscheiden. Die Lösung dieses Problems hängt eng damit zusammen, wie die zweite Hälfte der Z. 10–13, in der die Jünger angesprochen werden, vervollständigt wird. Zur Debatte stehen Rekonstruktionen mit ἐνδεῖν im Aktiv (ἐνδεῖ oder ἐνδεῖτε) oder Medium (ἐνδεῖσθε) und die Verbform ἐνδύεσθε. Nach Fitzmyers Ansicht ist die Lücke für ἐνδύεσθε zu klein.485 Wie wenig präzise solche Einschätzungen oft sind, wird allerdings schon an Attridges gegenteiliger Position deutlich, wonach ἐνδεῖτε zum Ausfüllen der Lücke bereits zu kurz ist.486 Deswegen sollte man solchen Argumenten nicht allzu viel Gewicht beimessen, zumal Porter mit seiner grundsätzlichen Bemerkung sicher recht hat: „As is well known, however, and as is to be seen on this papyrus, the widths of the letters and the spaces between letters in papyri are often quite variable, especially in early manuscripts. Such is the case here.“487 Wir gehen also davon aus, dass unter papyrologischen Gesichtspunkten beide in Frage stehenden Lesungen möglich sind. Nur die Verbform ἐνδεῖ ist wirklich zu kurz, um die Lücke zu füllen. Überdies haben alle Rekonstruktionen mit ἐνδεῖν die Schwierigkeit, dass das Objekt des bezeichneten Mangels im Genitiv stehen, die Fragepartikel also τίνος anstatt τί heißen müsste. Darauf hat nicht erst Skeat aufmerksam gemacht,488 sondern vor ihm bereits Grenfell und Hunt.489 Damit bleibt von den vorgeschlagenen Alternativen nur ἐνδύεσθε als mögliche Lesart übrig. Diese ergibt allerdings nur dann einen Sinn, wenn man die erste Hälfte der Phrase auf die Lilien bezieht und ἓν ἔχοντα ἔνδυμα liest. Obwohl die Lilien nicht spinnen, haben sie immerhin ein Gewand, das ihnen vollauf genügt. Dieses eine Gewand der Lilien wirft dann im Anschluss die Frage nach der Kleidung der Jünger auf. Spräche der Partizipialsatz dagegen mit der Formulierung καὶ ἓν ἔχοντες ἔνδυμα vom Gewand der Jünger, so erübrigte sich die Frage, was die Jünger anziehen sollen, mit der schlichten Auskunft: eben dieses eine Gewand, das sie haben. 485

Vgl. Fitzmyer, Oxyrhynchus, 408. Vgl. Attridge in: Robinson/Heil, Lilies, 6, Anm. 21. 487 Porter, Proposals, 88. 488 Vgl. Skeat in Robinson/Heil, Lilies, 8: „In l. 12, either ἐν[δεῖτε], or the Middle form ἐν[δεῖσθε] should take the genitive, should it not? But you have τί, not τινός [sic; richtig: τίνος].“ Später schränkt er ein (ebd.): „Is it possible that τί stands, as it sometimes can, for διὰ τί, i. e. ‚why?‘, and ἐνδεῖσθε is used absolutely?“ Robinson / Heil, Lilies, 8 ziehen daraus die Konsequenz: „Still, the use of τί for διὰ τί remains at best a faint possibility (and would change the meaning and translation).“ 489 Vgl. Grenfell / Hunt, Oxyrhynchus IV, 25: „With the readings and punctuation which we have adopted εν in l. 12 suggests nothing but ἐν[δεῖτε], which does not suit τί, and there are many points of uncertainty.“ Attridge II berücksichtigt zwar den Vorschlag von Grenfell und Hunt, nicht aber ihren eigenen Einwand dagegen (in: Robinson/Heil, Lilies, 6, Anm. 21): „The alternative restoration, by Grenfell and Hunt, would work grammatically: τί ἐν[δεῖτε], ‚what do you need‘, but it seems a bit short for the space.“ 486

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Will man überhaupt eine Rekonstruktion der Z.10–13 wagen, ist die Lösung von Schröter II unter allen vorgeschlagenen mithin die einzige, welche nach papyrologischen, grammatikalischen und inhaltlichen Gesichtspunkten gleichermaßen möglich ist. Eine letzte Unsicherheit bleibt an dieser Stelle, weshalb sich Robinson und Heil für eine zurückhaltende Position entscheiden: „Prudence suggests that one should leave the question open and read (in line 12) only τί ἐν[.....].αι, without proposing a translation.“490 Eine weitere Möglichkeit sei hier nur erwähnt, aber nicht ernsthaft erwogen, weil sie zwar suggestiv, nach den üblichen Regeln der Textkritik aber auch leicht angreifbar ist. Wollte man eine Form von ἐνδεῖν in Z.12 nicht völlig ausschließen, käme man wohl nicht umhin, im erhaltenen Buchstabenbestand einen Fehler des Schreibers zu vermuten. Wenn man ὑμεῖς in Z.13 zu ὑμεῖν (= ὑμῖν) emendieren dürfte, könnte man in den Z.12–13 τί ἐνδεήσει καὶ ὑμῖν lesen und übersetzen: „Was wird auch euch fehlen?“ Das Objekt von ἐνδεῖν stünde grammatikalisch richtig im Akkusativ (τί).491 Wie leicht eine Verschreibung von ὑμεῖν in ὑμεῖς passieren und wie lange sie unbemerkt bleiben kann, zeigt die Tatsache, dass sich genau dieser Fehler zwei Sätze weiter in Attridges Ausgabe eingeschlichen hat und von dort in zahlreiche Publikationen eingegangen ist. Bei Attridge492 lautet Pap Ox 655,I,15–17 αὐτὸς δώσει ὑμεῖς τὸ ἔνδυμα ὑμῶν statt richtig (wie im Papyrus) αὐτὸς δώσει ὑμεῖν τὸ ἔνδυμα ὑμῶν. Robinson und Heil berichtigen den Fehler erst, nachdem sie ihn schon in mehreren Beiträgen reproduziert hatten.493 Begünstigt wird die aberratio oculi dadurch, dass ὑμεῖς bzw. ὑμεῖν in Z.13 und 16 jeweils am Anfang stehen und überdies dasselbe Personalpronomen im Genitiv (ὑμῶν bzw. die zweite Silbe -μῶν) auch am Beginn von Z.15 und 17 begegnet. Immerhin scheint nach diesen Beobachtungen ein Fehler im Papyrus nicht völlig ausgeschlossen und die Lesung τί ἐνδεήσει καὶ ὑμῖν eine, wenn auch sehr entfernte, Möglichkeit zu sein. Auf festerem Grund stehen wir jedoch nach wie vor mit der Rekonstruktion von Schröter II, und diese soll dem Folgenden auch zugrunde gelegt werden. a A b c d cƍ dƍ 490

Jünger (λέγει Ἰησοῦς·) μὴ μεριμνᾶτε [sc. μήτε] ἀπὸ πρωὶ ἕως ὀψὲ, μήτε ἀφ’ἑσπέρας ἕως πρωὶ, μήτε τῇ τροφῇ ὑμῶν τί φάγητε, μήτε τῇ στολῇ ὑμῶν τί ἐνδύσησθε.

Lilien

Robinson / Heil, Lilies, 8. Vgl. Liddell/Scott, Lexicon, s. v. ἐνδέω, mit Verweis auf Herodianus Historicus 2,5,8: οὐδὲν ὑμῖν ἐνδεήσει; Passow, Handwörterbuch, s. v. ἐνδέω, mit demselben Zitat, aber der falschen Stellenangabe Herodian 2,5,13. 492 Vgl. Attridge, Fragments, 122; dagegen bietet Lührmann, Fragmente, 125 den richtigen Text. 493 Vgl.Robinson / Heil, Diskussionsbeitrag, 838, Anm. 12. 491

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

B

Jünger e πολλῷ κρείσσονές ἐστε f g h fƍ eƍ τί ἐνδύεσθε καὶ ὑμεῖς; gƍ τίς ἂν προσθείη ἐπὶ τὴν εἱλικίαν ὑμῶν; hƍ αὐτὸς δώσει ὑμεῖν τὸ ἔνδυμα ὑμῶν.

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Lilien τῶν κρίνων, ἅτινα αὐξάνει οὐδὲ νήθει καὶ ἓν ἔχοντα ἔνδυμα.

Im Ergebnis erhalten wir damit einen griechischen Text von EvThom 36, der zwei formal in sich gerundete Sprüche (A und B) enthält, von denen freilich nur der erste eine suffiziente Überlieferungseinheit darstellt. 2.6.5. Der Mahnspruch (Pap Ox 655A) Pap Ox 655A ist ein Mahnspruch, der die Sorge als menschliche Haltung, die den Jüngern verboten wird, thematisiert. Er besteht aus dem übergeordneten Vetitiv μὴ μεριμνᾶτε und vier anschließenden negierten Satzgliedern, die durch dreimaliges μήτε aneinandergereiht werden. Gewöhnlich würde man als Fortführung der konjizierten Negation μή in b ein μηδέ in d erwarten. Da von der weiterführenden Negation in d nur der letzte Buchstabe (-ε) erhalten ist, ist eine Ergänzung zu μηδέ nicht ausgeschlossen. Schon Grenfell und Hunt haben sich jedoch für μήτε entschieden.494 Das ist grammatikalisch möglich, wenn die beiden Satzglieder so eng zusammengehören, dass das vorangehende μή wie ein μήτε aufzufassen ist.495 Dieses steht in unserem Falle nicht, weil sich ein mit μήτε gebildeter Vetitiv in b allein auf c bezöge. Das Verbot μὴ μεριμνᾶτε bezieht sich jedoch auf alle vier folgenden Satzglieder (c – d – cƍ – dƍ) in gleicher Weise. Im Deutschen gibt es für diesen Fall die Möglichkeit, den Imperativ durch die nachfolgende Negation zu verneinen: „Sorgt euch weder … noch …, weder … noch …“ In dieser Formulierung bezieht sich das Verbot auf alle nachfolgend verneinten Satzglieder. Da man im Griechischen so nicht formulieren kann, muss man in b μή statt μήτε konjizieren und sich in c sinngemäß ein μήτε hinzudenken. Wahrscheinlich haben Grenfell und Hunt das μήτε in d aus cƍ genommen, dem 494

Vgl. Grenfell / Hunt, Oxyrhynchus IV, 24. Vgl. entsprechend Passow, Handwörterbuch, s. v. οὔτε, C) II): „Eben so findet sich der umgekehrte Fall, dass der Grieche, ohne einen Satz mit οὔτε vorauszuschicken, in einem andern mit οὔτε fortfährt. Dies geschieht namentlich 1) wenn ein Satzglied mit einer andern Negation als οὔτε vorangeht, in welchen Fällen gewöhnlich nicht οὔτε sondern οὐδέ zu folgen pflegt“. Dies gilt besonders für (ebd.) „den Gebrauch von οὐ –, οὔτε in dem Falle, dass durch die rechte Betonung des ersten Satzgliedes mit οὐ auf etwas nothwendig Zusammengehöriges, nicht Gegensätzliches hingewiesen, οὐ also als οὔτε gehört und verstanden werde“. Vgl. Liddell/ Scott, s. v. οὔτε, II.5.c–d. 495

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

einzigen Satzglied, in dem die Negation überhaupt lesbar ist. Tatsächlich passt μήτε besser als μηδέ, weil dadurch alle vier Satzglieder mit μήτε nicht nur inhaltlich, sondern auch formal auf einer syntaktischen Ebene liegen. Der Mahnspruch A hat zwei Hälften, die parallel aufgebaut sind: c – d – cƍ – dƍ. Die erste Hälfte thematisiert die zeitliche Dimension der Sorge, während die zweite mögliche Objekte der Sorge in den Blick nimmt. Dem spezifischen Zeitraum des Sorgens entspricht dabei jeweils sein spezifisches Objekt. „Von früh bis spät“ (c) sorgt sich der Mensch um seine Nahrung (cƍ), ist doch sein Tagewerk in erster Linie dem Broterwerb gewidmet. Diese Vorstellung leuchtet umso mehr ein, wenn man bedenkt, dass die Hauptmahlzeit des Tages gewöhnlich am Abend eingenommen wurde.496 Umgekehrt wird die Sorge um die Kleidung (dƍ) der Zeit zwischen dem Abend und der Frühe (d) zugeordnet, nicht etwa deshalb, weil die Kleidung bei Nacht hergestellt würde, sondern weil sie zur Nacht abgelegt und erst am Morgen wieder angelegt wird. Dies muss zwar nicht für das einfache Hemd gelten, aber jedenfalls für die aufwendige στολή, von der in dƍ die Rede ist. Im Unterschied zum einfachen ἔνδυμα meint στολή die Rüstung und Ausrüstung, besonders aber „das gute Kleid zum Ausgehen, Staatsanzug, Prunkhabit“497. Ein solches Kleid wird aber zur Nacht jedenfalls abgelegt, und die Sorge darum wird daher der Nacht zugewiesen. Insgesamt bildet Pap Ox 655A somit eine in sich gerundete, suffiziente Sprucheinheit, welche die ununterbrochene Sorge des Menschen um Nahrung und Kleidung thematisiert und die Jünger zum Ablassen von dieser Haltung der Sorge ermahnt. Die Frage ist nun, wie sich dieses Logion überlieferungsgeschichtlich zu seiner Parallele in der Logienquelle bzw. bei Matthäus und Lukas verhält. Pap Ox 655 A b μὴ μεριμνᾶτε c [sc. μήτε] ἀπὸ πρωὶ ἕως ὀψὲ, d μήτε ἀφ’ἑσπέρας ἕως πρωὶ, 496

Q 12,22–23 (Mt 6,25) 498 22 a μὴ μεριμνᾶτε

Vgl. Heininger, NTAK 2, 36. Passow, Handwörterbuch, s. v. στολή; vgl. Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v. στολή; Liddell / Scott, s. v. στολή. 498 Grundlage ist hier wie im Folgenden der Q-Text in CEQ 334–355. Die Rekonstruktion von Q 12,22–32 ist im großen und ganzen kaum strittig; vgl. Ebner, Weisheitslehrer, 250–255; Hoffmann, Q-Text; Merklein, Gottesherrschaft, 174–175; Olsthoorn, Background, Appendix; Rondez, Weisheit, 83–89; Zeller, Mahnsprüche, 82. Gemeinhin geht man davon aus, dass Matthäus den Wortlaut von Q besser bewahrt hat. Das zeigt sich etwa daran, dass Lukas die wohl ursprünglichen direkten Fragen (Q = Mt 6,25.26.30.31) fast durchweg in Aussagesätze bzw. indirekte Fragen verwandelt hat (vgl. Lk 12,23.24.28.29); vgl. CEQ 338–355; Hoffmann, QText, 154–155; ders., Sprüche, 75–76; Olsthoorn, Background, 8; Rondez, Weisheit, 84–85; Schulz, Q, 149–151; Wrege, Überlieferungsgeschichte, 116–118. Grundsätzlich formuliert Bultmann, Geschichte, 97: „Die Frage dürfte im allgemeinen ursprünglicher sein, weil sie dem argumentativen Charakter des Maschal besser entspricht. Doch läßt sich das nicht als unbedingt gültiges Gesetz feststellen, denn Mk 3,27 (von der Plünderung des Starken) erscheint in Mt 12,29 als Frage.“ 497

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

Pap Ox 655 A cƍ μήτε τῇ τροφῇ ὑμῶν τί φάγητε, dƍ μήτε τῇ στολῇ ὑμῶν τί ἐνδύσησθε.

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Q 12,22–23 (Mt 6,25) b τῇ ψυχῇ ὑμῶν τί φάγητε, c μηδὲ τῷ σώματι ὑμῶν τί ἐνδύσησθε. 23 a οὐχὶ ἡ ψυχὴ πλεῖόν ἐστιν τῆς τροφῆς b καὶ τὸ σῶμα τοῦ ἐνδύματος;

Auffällig ist zunächst, dass die zeitliche Dimension der Sorge (Pap Ox 655c–d) in Q keine direkte Entsprechung hat. Etwas Vergleichbares findet sich nur in Mt 6,34, einem selbständigen Mahnspruch, den Matthäus zum Abschluss der Q-Spruchreihe vom Sorgen mit οὖν paraeneticum anfügt: „Sorgt also nicht für den morgigen Tag, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen; genug ist dem Tag sein Übel“ (μὴ οὖν μεριμνήσητε εἰς τὴν αὔριον, ἡ γὰρ αὔριον μεριμνήσει ἑαυτῆς· ἀρκετὸν τῇ ἡμέρᾳ ἡ κακία αὐτῆς). Allerdings herrscht hier eine lineare Zeitvorstellung vor: Die Gegenwart ist mit Sorgen erfüllt, weil die Zukunft499 unsicher ist; deshalb ist es ein wesentlicher Grundzug der Sorge, sich mit der Zukunft zu beschäftigen. Dagegen schreibt EvThom 36c–d die Sorge in den zeitlichen Kreislauf von Tag und Nacht ein: Wie Tag und Nacht sich in einem ununterbrochenen Kreislauf abwechseln, so findet auch die Sorge nie ein Ende, sondern die Sorgen des Tages werden abgelöst von den Sorgen der Nacht und umgekehrt. Der Gedanke an ein αὔριον begegnet auch in Q 12,28, allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang: „Wenn aber auf dem Feld das Gras, das heute dasteht und morgen (αὔριον) in den Ofen geworfen wird, Gott so kleidet, dann nicht viel mehr euch, Kleingläubige?“ Was morgen passiert, ist hier nicht Gegenstand der vagen Sorge der Jünger, sondern der optimistischen Gewissheit, dass zwar das Gras morgen vergangen sein wird, dass aber den Jüngern dieses Schicksal nicht droht, sind sie doch genau deshalb viel mehr wert als das Gras. Im Unterschied dazu liegt Mt 6,34 mit seinem pessimistischen Grundton auf einer Linie mit Q 12,23 (Mt 6,25b) und Q 12,25 (Mt 6,27), die meist der QRedaktion zugeschrieben werden.500 Die optimistische Sicht der ursprünglichen Q-Spruchreihe, wonach die Jünger sich keine Sorgen zu machen brauchen, weil Gott schon für sie sorgen wird, erhält durch diese redaktionellen Verse ein gewisses Gegengewicht, indem auf die grundsätzliche Unfähigkeit des Menschen, 499 Der Ausdruck ἡ αὔριον [sc. ἡμέρα] bezeichnet nicht nur eng umgrenzt den morgigen Tag, sondern als pars pro toto die Zukunft überhaupt; vgl. Bauer / Aland, Wörterbuch, s. v. αὔριον. 500 Komposition und Redaktion von Q 12,22–32 werden unterschiedlich beurteilt. Es herrscht aber weitgehende Einigkeit darüber, dass Q 12,23.25 einer Redaktion von Q zuzuordnen sind; vgl. Benoit / Boismard, Synopse 2, 282; Bultmann, Geschichte, 92; Catchpole, Quest, 32–33; ders., Ravens, 79–80; Crossan, Anxieties, 60; Heil, Vertrauen, 144–145; Hoffmann, Sprüche, 78; ders., Verbot, 117; Luz, Mt 1, 475; Minear, Commands, 135–137; Schmeller, Radikalität, 85; Wischmeyer, Spruchreihe, 9. Nur Q 12,25 für sekundär halten Merklein, Gottesherrschaft, 178–179; Schulz, Q, 152.154; Schweizer, Bergpredigt, 77; Tannehill, Sword, 60–61; Weder, Rede, 207. Für die Einheitlichkeit von Q 12,22–32 plädieren Dillon, Ravens, 613; Gundry, Spinning, 161–170. Einen guten Überblick über die redaktionskritische Beurteilung der beiden Verse in der Forschung geben Robinson, Cluster, 68–73; ders., Pre-Q Text, 160–164; Robinson/Heil, Lilies, 9–21.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

für sich und seine Bedürfnisse aufzukommen, hingewiesen wird. Die Redaktionsgeschichte lässt sich im Fall von Q 12,23 besonders gut nachvollziehen. Nach Q 12,22 erschöpft sich die Sorge um Leib (σῶμα) und Leben (ψυχή) in der ängstlichen Frage nach Nahrung (τροφή) und Kleidung (ἔνδυμα). Dieser Eindruck weckt Widerstand, bestehen doch Leib und Leben sicher aus mehr als nur aus Nahrung und Kleidung. Daher rührt die rhetorische Frage eines Lesers, der Q 12,22 weiterdenkt und eine entsprechende Glosse (Q 12,23) anbringt. Diese findet dann als Kommentarwort zu Q 12,22 ihren festen Platz im Text von Q. Einerseits ist klar, dass die grundsätzliche Frage in Q 12,23 weit über das Anliegen von Q 12,22 und der ursprünglichen Q-Sorgensprüche hinausgeht, was eine redaktionskritische Abhebung von Q 12,23 als Kommentarwort rechtfertigt: „Während sich hier [sc. in Q 12,22] nämlich die Sorge um Leib und Leben in der Sorge um Nahrung und Kleidung realisiert, werden Leben/Leib bzw. Nahrung/ Kleidung in 12,23 prinzipiell gegeneinander abgewogen.“501 Andererseits muss betont werden, dass der redaktionelle Zusammenhang der beiden Verse zwar eine dialektische Spannung, aber keinen Widerspruch aufweist. Insofern ist M. Ebners Urteil zu modifizieren: In Q 12,23 werden Leib und Leben nicht prinzipiell gegen Nahrung und Kleidung abgewogen;502 es wird nur gesagt, dass Leib und Leben je für sich mehr (πλεῖον) sind als Nahrung bzw. Kleidung.503 Die rhetorische Frage erwartet als Antwort also nicht nur ein emphatisches „doch!“, sondern auch ein „nämlich“, das all die Dinge aufzählt, die zu Leib und Leben neben Nahrung und Kleidung wesentlich hinzugehören. Zu einer solchen Überlegung will das Kommentarwort in Weiterführung, aber nicht im Gegensatz zu Q 12,22 anregen. Gegenüber Q 12,22–23 fällt in EvThom 36A auf, dass die Stichworte ψυχή und σῶμα gänzlich fehlen. In cƍ steht anstelle des abstrakten ψυχή das konkrete τροφή, das Q erst im Kommentarwort V.23a bringt, und in dƍ anstelle von σῶμα zwar nicht ἔνδυμα wie in Q 12,23b, aber στολή, das jenem entspricht. Eine literarische Abhängigkeit des einen Textes vom anderen lässt sich nicht beweisen.504 501

Ebner, Weisheitslehrer, 258. Insofern bemerkt Gundry (Spinning, 161) richtig: „On the contrary, v.23 provides a rationale for non-anxiety: if life and the body are of superior value, then God will provide them with their necessities of inferior value, as shown by his doing the same even for ravens and lilies“. 503 So auch Luz, Mt 1, 475, Anm. 14. Manche Übersetzungen verschleiern diese Nuance, indem sie formulieren: „Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung?“ So die Einheitsübersetzung; ähnlich Menge, Schrift. Besser übersetzt man πλεῖον hier jedoch in seiner Grundbedeutung „mehr“; so z. B. die Übersetzungen von Luther und Stier. 504 Erkennbar von Matthäus abhängig ist dagegen Justin, Apol. I,14–16a: Μὴ μεριμνᾶτε δὲ τί φάγητε ἢ τί ἐνδύσησθε. Οὐχ ὑμεῖς τῶν πετεινῶν καὶ τῶν θηρίων διαφέρετε; καὶ ὁ θεὸς τρέφει αὐτά. Μὴ οὖν μεριμνήσητε, τί φάγητε ἢ τί ἐνδύσησθε· οἶδε γὰρ ὁ πατὴρ ὑμῶν ὁ οὐράνιος ὅτι τούτων χρείαν ἔχετε. Ζητεῖτε δὲ τὴν βασιλείαν τῶν οὐρανῶν, καὶ ταῦτα πάντα προστεθήσεται ὑμῖν (Text aus: Aland, Synopsis, 91; Hervorhebungen von mir). Justin übernimmt von Matthäus: a) die rhetorische Frage (οὐχ), die Lukas in eine Aussage umgewandelt hat; b) das οὖν paraene502

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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Die einfachste Erklärung des Textbefundes wäre die, dass der Spruch Q 12,22/ EvThom 36b.cƍ.dƍ in zwei verschiedenen Varianten umlief, die sich nicht auf eine gemeinsame Grundform zurückführen lassen. In der Form von EvThom 36b.cƍ.dƍ wirken jedoch die indirekten Fragen τί φάγητε und τί ἐνδύσησθε gegenüber dem vorhergehenden τῇ τροφῇ bzw. τῇ στολῇ redundant, besteht doch die Sorge um Nahrung und Kleidung in nichts anderem als eben in der bangen Frage, was man essen bzw. anziehen soll. Demgegenüber stellt der Mahnspruch in Q 12,22 eine wohlgeformte Einheit dar, in der die allgemeine Sorge um Leib und Leben durch die besonderen Fragen nach Nahrung und Kleidung expliziert werden. Nimmt man also an, dass Q 12,22 die ursprüngliche Form des Spruches bietet, lässt sich davon ausgehend erklären, weshalb ψυχή und σῶμα durch τροφή und στολή ersetzt und dadurch die Redundanzen in EvThom 36cƍ.dƍ geschaffen wurden (s. u.). Weshalb jemand umgekehrt τροφή und στολή durch ψυχή und σῶμα ersetzen sollte, bleibt dagegen unerfindlich, sah sich doch schon der Redaktor von Q bemüßigt, einer drohenden Verkürzung von Leib und Leben auf Nahrung und Kleidung durch sein Kommentarwort zu wehren. Dies alles spricht dafür, dass wir in Q 12,22 die ursprüngliche Form des Mahnspruchs vor uns haben.505 Die Formulierung mit dem doppelten μήτε in EvThom 36cƍ.dƍ ist ohne Zweifel der Tatsache geschuldet, dass in EvThom 36c.d zwei weitere Glieder hinzutreten und alle vier Glieder durch μήτε gleichgeordnet werden sollen. Von der Grundform aus, die Q 12,22 bewahrt hat, lassen sich alle Varianten der Überlieferung plausibel erklären. Die Frage ist vor allem, woher die Stichworte τροφή und στολή in EvThom 36cƍ.dƍ kommen. Fragen wir zunächst nach der Herkunft des mit Q 12,23a gemeinsamen Stichworts τροφή. Mehrere überlieferungsgeschichtliche Wege sind denkbar. – 1. Eine Möglichkeit ist, dass dem Autor von EvThom 36A die Form von Q 12,22–23 bekannt war und er das Stichwort τροφή aus Q 12,23a übernommen hat. Da V.23 der Q-Redaktion zugehört und selbst keinen suffizienten Spruch darstellt, muss er dazu entweder Q selbst oder zumindest die Q-Fassung des Spruches Q 12,22–23, etwa vermittels sekundärer Mündlichkeit, gekannt haben. Indem er ψυχή durch τροφή ersetzt, hat er den Spruch gegen den kritischen Einwand des Kommentarwortes gefeit. Dieses kann folglich entfallen, ohne dass Missverständnisse entstehen. Wo es allein um die Frage geht, was die Jünger essen sollen, bleibt das viel weiter reichende Stichwort ψυχή außen vor. Spruch und Kommentar aus Q 12,22b.23a ticum zusammen mit dem wiederholten Vetitiv von μεριμνᾶν, diesmal im Aorist, wo Lukas καὶ ὑμεῖς μὴ ζητεῖτε schreibt; c) die Bezeichnung Gottes als himmlischer Vater, wo Lukas nur ὑμῶν δὲ ὁ πατήρ hat; d) ganz allgemein den typisch matthäischen Ausdruck „Reich der Himmel“, wo Matthäus und Lukas nur τὴν βασιλείαν setzen (τοῦ θεοῦ in Matthäus ist textkritisch unsicher). 505 Vgl. Gundry, Spinning, 164: „Which is more likely, that ‚food‘ was changed to ‚life‘ before ‚what you are to eat‘ and that ‚robe‘ was changed to ‚body‘ before ‚what you are to wear‘, or that ‚life‘ was changed to ‚food‘ to conform to the immediately following ‚what you are to eat‘ and that ‚body‘ was changed to ‚robe‘ to conform to the immediately following ‚what you are to wear‘? Surely the latter.“

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

sind zu einem neuen kurzen Logion verschmolzen: μὴ μεριμνᾶτε τῇ τροφῇ ὑμῶν τί φάγητε. – 2. Denkbar ist aber auch, dass im Überlieferungsstrang von EvThom 36A unabhängig von Q ein ähnliches Unbehagen gegenüber der Verengung des Lebens auf die Nahrung aufkam, wie es in Q 12,23a zum Ausdruck kommt, und ψυχή ausgehend vom Stichwort φαγεῖν selbständig in τροφή geändert wurde. Dieses Vorgehen entspräche ganz dem des Kommentarwortes Q 12,23a, das vom vorgegebenen Stichwort φαγεῖν (V.22b) zum eigenen Stichwort τροφή kommt. – 3. Nicht auszuschließen ist ferner, dass dem Redaktor, der Q 12,23 eingefügt hat, der Sorgenspruch nicht nur in der Fassung von Q 12,22, sondern auch in derjenigen von EvThom 36b.cƍ.dƍ bekannt war, und er die Diskrepanz zwischen beiden in seinem Kommentarwort kreativ verarbeitet hat. Beziehen wir das Stichwort στολή in EvThom 36dƍ in unsere Überlegungen mit ein, müssen die erste und die dritte Lösung zusätzlich erklären, weshalb ἔνδυμα durch στολή bzw. στολή durch ἔνδυμα ersetzt wurde. Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems liegt in der vielfältigen Semantik des Begriffs στολή.506 Folgende Feststellungen sind von Bedeutung. – a) Wie oben bereits erwähnt, bezeichnet der Ausdruck στολή ein vornehmes, prächtiges Gewand. Dies weckt Assoziationen mit Q 12,27b, wo von „Salomo in all seiner Pracht“ (Σολομὼν ἐν πάσῃ τῇ δόξᾳ αὐτοῦ) die Rede ist. Wird den Jüngern nicht die Sorge um das einfache ἔνδυμα, sondern um die prachtvolle στολή verwehrt, kann sich das Logion sinnvollerweise nur an wohlhabendere und damit wohl sesshafte Jesusanhänger richten. – b) In seiner Grundbedeutung meint στολή jedoch nicht ein einzelnes Gewand, sondern überhaupt die Rüstung und Ausrüstung, vor allem von Soldaten. Es besteht ein etymologischer Zusammenhang zwischen dem Entsenden (στέλλειν) von Truppen und deren Ausrüstung (στολή). Gleichzeitig erinnert die Betonung des einen Gewandes der Lilien in EvThom 36fƍ an die Aussendung der Jünger, denen in den Aussendungsregeln verboten wird, zwei Hemden zu haben (Mk 6,9; Mt 10,10; Lk 9,3; s. o.). Versteht man στολή in diesem Kontext, sind die Adressaten des Mahnspruches wahrscheinlich wandernde Charismatiker. – c) Schließlich kann στολή auch für das Gefieder von Vögeln stehen.507 Diese Bedeutung rückt den Ausdruck in die Nähe des Rabenbeispiels in Q 12,24. – Überblickt man die Bedeutungsfülle des Begriffs στολή, könnte man (angeregt durch Bultmann508) zu der Meinung neigen, die ganze Spruchreihe vom Sorgen sei aus dem einleitenden Mahnspruch, der das Stichwort στολή enthalten hätte, entwickelt worden. Denn mit der Erwähnung der στολή sind die nachfolgenden

506

Vgl. Liddell/Scott, Lexicon, s. v. στολή; Passow, Handwörterbuch, s. v. στολή. Vgl. Achilles Tat 1,15: ἡ τῶν πτερῶν στολή. 508 Im Blick auf Mt 6,25–34 erwägt Bultmann, Geschichte, 92: „Denkbar wäre, daß V.25 ein selbständiges Logion war; V.26.28–30 könnten auch ursprünglich selbständig gewesen sein und dann mit V.25 kombiniert worden sein, könnten aber auch eine weitere Ausspinnung von V.25 sein.“ 507

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

197

Themen präludiert: das Lilienbeispiel mit dem Verweis auf Salomo, die Ausrüstung der Wandercharismatiker und das Beispiel der Raben. Umso mehr muss es auffallen, dass in EvThom 36, wo das Stichwort στολή steht, jeder weitere Hinweis auf Salomo und die Raben fehlt, während in Q 12,22–32 zwar alle drei Themen, nicht aber das Stichwort στολή aufgegriffen werden. Hätte der Q-Redaktor den Begriff στολή in einer auf ihn gekommenen Überlieferung vorgefunden, hätte er ihn mit Sicherheit in den zweiten Teil seines Kommentarwortes (Q 12,23b) aufgenommen, fügt er sich doch hervorragend zu den Themen, die in Q 12,24–32 folgen. Dass er es nicht getan hat und statt dessen ἔνδυμα vom selben Stamm wie ἐνδύεσθαι (Q 12,22c) verwendet, spricht entschieden dagegen, dass er den Mahnspruch in der Form von EvThom 36b.cƍ.dƍ gekannt und verarbeitet hat. Damit scheidet die oben genannte dritte Möglichkeit praktisch aus. Umgekehrt spricht viel dafür, dass demjenigen, der EvThom 36 in die Form von Pap Ox 655,I,1–17 gebracht hat, die Spruchreihe vom Sorgen in einer Fassung, die Q sehr nahekommt, irgendwie bekannt war. Er lässt die Beispiele von Salomo und den Raben weg, bewahrt aber eine Erinnerung daran, indem er den vielsagenden Begriff στολή einführt. Gleichzeitig verändert sich dadurch das Thema des implizit erinnerten Rabenbeispiels, in dem es ursprünglich um die Ernährung ging, während jetzt auf das Federkleid der Vögel angespielt wird. Das liegt ganz auf der Linie der Komposition von EvThom 36–37, in der nur noch die Kleidung der Jünger interessiert. Diese wird in EvThom 36B allein zum Thema, und zwar mit der Betonung des einen Gewandes der Lilien in deutlicher Anspielung an die Aussendung der Jünger. Seine ganze Bedeutungsfülle löst der Begriff στολή also nur im Zusammenhang von EvThom 36 ein, indem er einerseits gegenüber Q ausgefallene Themen aufbewahrt und erinnert und andererseits die Frage nach der Kleidung der Jünger eng mit ihrer Sendung zur Wandermission verknüpft. Insgesamt erscheint EvThom 36A somit als die konzise Reduktion einer weit ausführlicheren Spruchreihe vom Sorgen, die derjenigen in Q 12,22–32 sehr ähnlich gewesen sein muss.509 Nur das Lilienbeispiel 509 In der älteren Formgeschichte ging man gewöhnlich davon aus, dass die kleineren Einheiten automatisch auch die älteren seien; vgl. programmatisch Dibelius, Formgeschichte, 3–4: „Jede kritische Lektüre der Evangelien zeigt […], daß die Evangelisten einen Stoff übernahmen, der bereits geformt war. Sie fügten kleine Einheiten zueinander, die schon vorher formale Geschlossenheit besaßen. […] Was vorher liegt, ist Gestaltung und Wachstum der kleinen Einheiten, aus denen die Evangelien zusammengesetzt sind.“ Freilich räumt schon Bultmann (Geschichte, 88) ein, „daß gelegentlich auch einmal ein Spruch reduziert wurde, etwa weil er in seiner Gesamtheit nicht in den Zusammenhang des Evangelisten paßte“. Entsprechend argumentiert Schröter, Überlieferung, 271: „Es ist schlechterdings nicht erweisbar, daß sich der Überlieferungsweg stets von kürzeren zu komplexeren Versionen vollzogen hat, so daß sich hieraus ein Kriterium für das Verhältnis des P.Oxy.-Textes zu demjenigen aus Q ableiten ließe.“ Vgl. dazu auch ders., Erinnerung, 12–20. In Bezug auf das gegenüber Q fehlende Rabenbeispiel in EvThom 36 zieht Schröter, ebd. 270, den richtigen Schluss: „Die Möglichkeit, daß P.Oxy. eine ausführlichere Tradition um ein Beispiel gekürzt hat, ist somit eine plausible Option“. Dass mit solcherlei Reduktionen zu rechnen ist, zeigt wieder ein Blick auf Justin, Apol. I,14–16a (s. o.),

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

wird in EvThom 36B noch eigens ausgeführt, weil es das eigentliche Thema von EvThom 36–37 behandelt: die Kleidung der Jünger. Mithin ist im Blick auf den überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang der Sorgensprüche im Thomasevangelium und in der Logienquelle die erste der oben genannten Möglichkeiten am wahrscheinlichsten, und zwar – wie sich am Schlüsselbegriff στολή gezeigt hat – nicht nur in Bezug auf die dort behandelten Abschnitte EvThom 36A und Q 12,22–23, sondern in Bezug auf die gesamten Spruchreihen EvThom 36 und Q 12,22–32. 2.6.6. Die Abgrenzung von EvThom 36 und 37 An dieser Stelle ist eine Zwischenbemerkung notwendig, die für die Frage nach dem Wachstum des Thomasevangeliums und vergleichbarer antiker Spruchsammlungen von grundsätzlicher Bedeutung ist. In die Beurteilung des Zusammenhangs von EvThom 36 und 37 werden gelegentlich falsche Alternativen eingebracht. Wie eng die beiden Logien zusammengehören, ist insofern nicht , ganz klar, als EvThom 37 nicht mit dem stereotypen λέγει Ἰησοῦς / das sonst meistens den Anfang einer neuen Sprucheinheit signalisiert, sondern mit einer Frage der Jünger beginnt. Dies könnte nach J. Frey „darauf hindeuten, dass die beiden Logien bzw. Z.1–17 und 17–23 von der Redaktion bereits als ein zusammenhängendes Textstück, aufgefasst wurden“510. Allerdings gibt es im Thomasevangelium zahlreiche Beispiele dafür, dass Sprucheinheiten mit Äußerungen der Jünger511 oder mit Einwürfen Dritter512 beginnen, ohne deshalb zwangsweise mit der jeweils vorausgehenden Sprucheinheit enger verbunden zu sein, als dies bei einer Einleitung mit λέγει Ἰησοῦς / der Fall wäre.513 Dementsprechend bestehen Robinson und Heil darauf, dass im griechischen wie im koptischen Text mit der Jüngerfrage EvThom 37,1 eine neue Sprucheinheit beginnt und die ursprünglichen Aussageabsichten von EvThom 36 und 37 je für sich zu betrachten sind. Dafür spreche der grundlegende Charakter des Thomasevangeliums als einer Spruchsammlung, die nur lockere Stichwortverbindungen zwischen den einzelnen Sprucheinheiten kenne und keine tieferwo vom matthäischen Text zwischen den beiden Vetitiven (Mt 6,25.31), grob gesprochen, nur eine von zwei rhetorischen Fragen und der Hinweis auf die Ernährung durch Gott (Teile von Mt 6,26) übrig geblieben ist, während die Beispiele von den Vögeln, den Lilien und von Salomo sowie die skeptische Frage V.27 ausgefallen sind. Da es keinen sicheren Anhaltspunkt dafür gibt, dass die Form von Pap Ox 655 älter ist als diejenige von Q, ist auch eine Kürzung des QTextes in der Überlieferung, die sich in Pap Ox 655 niedergeschlagen hat, nicht von vornherein ausgeschlossen. 510 Frey, Lilien, 169–170. 511 Vgl. EvThom 6; 12; 18; 20; 21; 24; 37; 43; 51; 52; 53; 91; 99; 100; 104; 113; 114. 512 Vgl. EvThom 72; 79. 513 Vgl. die nützliche Übersicht über die verschiedenen Redesituationen im Thomasevangelium bei Popkes, Menschenbild, 54.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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gehenden redaktionellen Absichten verrate.514 Schröter hingegen sieht im griechischen Text keine Anzeichen für eine derartige Abgrenzung und betrachtet Pap Ox 655,I,1–23 als einen einheitlichen Text, dessen einzige Sinnspitze in den Z.22–23 liege. Nur von hier aus seien die Z.1–17 in ihrer spezifischen Form zu verstehen: „Der Verweis auf den Charakter des EvThom als Spruchevangelium kann keinesfalls als Begründung für die genannte Absehung von den Zeilen 17b–23 auf POxy 655 herhalten. Die Zeilen 1–23 sind das einzige Fragment des Papyrus, aus dem sich ein sinnvoller Text rekonstruieren läßt. Welchen Charakter die gesamte auf diesem Papyrus befindliche Schrift gehabt hat, wissen wir also nicht. […] Es ist darum in keiner Weise gerechtfertigt, den sprachlich und sachlich zusammenhängenden Dialog auf POxy 655 durch den Hinweis auf den Charakter des (koptischen) EvThom aufzulösen.“515 In der Tat hatten schon Grenfell und Hunt, noch in Unkenntnis des koptischen Thomasevangeliums, Pap Ox 655 der Form nach von Pap Ox 1 und 654 unterschieden. Während sie letztere aufgrund der Anfangsworte οὗτοι οἱ λόγοι und der charakteristischen Redeeinleitungsformel λέγει Ἰησοῦς der Gattung λόγια („sayings“) zuordneten,516 bezeichneten sie Pap Ox 655 als „Fragment of a Lost Gospel“517. In dieser Debatte sind einige klärende Bemerkungen angebracht. Nach der Entdeckung des koptischen Thomasevangeliums hat die Vermutung alle Wahrscheinlichkeit für sich, dass auch Pap Ox 655 ein Fragment eben dieses Thomasevangeliums ist. Dass die Gestalt dieses griechischen Zeugen derjenigen in NHC II,2 nicht in allem entspricht, dafür ist das erhaltene Fragment das beste Beispiel. Bis zum Erweis des Gegenteils (den nur neue Funde bringen könnten) ist die Annahme dennoch begründet, dass die Schrift, aus der Pap Ox 655 stammt, grundsätzlich denselben literarischen Charakter hatte wie das koptische Thomasevangelium. Dafür spricht im strittigen Fall, dass trotz der erheblichen Abweichungen in EvThom 36 der Beginn von EvThom 37 in beiden Zeugen nach Form und Inhalt identisch ist. Dass nun EvThom 37 gerade zu den Sprucheinheiten gehört, beginnen, ist die mit einer Jüngerfrage und nicht mit λέγει Ἰησοῦς/ ein Zufall, welcher der Überlieferungslage geschuldet ist und deshalb nicht überbewertet werden sollte. Abgesehen von der koptischen Parallelüberlieferung, ist auch im griechischen Text in Z.17 eine deutliche Zäsur erkennbar, stärker noch als in Z.7. In Z.17–21 schneiden die Jünger Jesus gegenüber ein ganz neues Thema an. Es geht jetzt nicht mehr um die Sorgen mit ihrer Ausrüstung, sondern um den Zeitpunkt der 514 Vgl. Robinson/Heil, Schreibfehler, 121: „Da P.Oxy. 655 I,1–17 Spruch 36 und I,17–23 Spruch 37 wiedergibt, besteht kein Grund, I,17–23 mit in die Einheit der ‚Sorgensprüche‘ einzubeziehen.“ Ebenso Robinson, Reading, 856–865. 515 Schröter, Rezeptionsprozesse, 451–452; vgl. ders., Überlieferung, 270–271. 516 Vgl. Grenfell / Hunt, Sayings, Titel: „ΛΟΓΙΑ ΙΗΣΟΥ. Sayings of Our Lord“; dies., Oxyrhynchus I, 1: „ΛΟΓΙΑ ΙΗΣΟΥ“; dies., Oxyrhynchus IV, 1: „New Sayings of Jesus“. 517 Grenfell / Hunt, Oxyrhynchus IV, 22. Robinson/Heil (Schreibfehler, 121) sprechen von einem „Mißverständnis in der editio princeps“.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Offenbarung Jesu vor seinen Jüngern. Hiermit beginnt eine neue Texteinheit, die aufgrund ihrer Suffizienz nicht immer schon mit den Z.1–17 verknüpft gewesen sein muss. Darüber kann das wiederkehrende Motiv des An- und Ausziehens mit den Stichworten ἔνδυμα, ἐνδύεσθαι und ἐκδύεσθαι nicht hinwegtäuschen.518 Dieser Befund, der sich trotz des Textabbruchs in Z.23 mit einiger Sicherheit feststellen lässt, rechtfertigt es, die Z.17–23 als ursprünglich eigenständige Überlieferungseinheit zu betrachten und, ebenso wie die Z.1–17, zunächst für sich genommen zu interpretieren. Gleichzeitig ist nicht zu leugnen, dass die Sprucheinheit Pap Ox 655,I,1–17 durch ihre Kombination mit derjenigen in Z.17–23 in einem völlig neuen Licht erscheint. Die spezifische Komposition der beiden Sprucheinheiten provoziert eine ganz bestimmte Interpretation des neu geschaffenen Zusammenhangs und bezweckt sie wahrscheinlich auch. Dadurch wird aber die ursprüngliche Intention der Z.1–17 nicht einfach obsolet, sondern tritt auf der synchronen Ebene in ein dialektisches Verhältnis zu ihrer Neuinterpretation in Z.17–23. Im Vergleich mit dem koptischen Text wird überdeutlich: Während die griechische Überlieferung die Z.3–5 und 7–17 noch stehen lässt, sie aber gleichzeitig durch die Anfügung der Z.17–23 in einen weiteren Bedeutungshorizont rückt, sind jene beiden Passagen in der koptischen Überlieferung ausgefallen. So ist im Fortgang der Überlieferung an die Stelle der dialektischen Umdeutung von EvThom 36 die weitgehende Unterdrückung dieser Sprucheinheit getreten. In EvThom 36–37 haben wir ein Paradebeispiel dafür, wie ohne große Redaktionsarbeit, allein durch die Hinzufügung, Kombination und Auslassung von Sprucheinheiten innerhalb einer Spruchsammlung, neue Sinnzusammenhänge hergestellt werden.519 Diese lassen sich indes nur dann erheben, wenn man bereit ist, die Diachronie und die Synchronie eines Textes im Rahmen ihrer jeweiligen methodischen Grenzen gleichermaßen ernstzunehmen.520 518 Robinson, Pre-Q Text, 148 bezeichnet die Stichwortverbindungen als „a superficial mnemonic devise for recalling which Saying comes next“. Daran ist richtig, dass mit dem verbindenden Stichwort nicht automatisch auch das gemeinsame Thema zweier Logien gegeben ist. Falsch wäre es jedoch, jede Möglichkeit der textimmanenten Reinterpretation einzelner Logien durch deren Stichwortverbindung mit anderen Logien von vornherein auszuschließen. 519 Wie schon Bultmann (Geschichte, 101) gültig feststellt, „handelt es sich gar nicht nur um redaktionelle Umgestaltungen, denen das Traditionsgut unterworfen war, sondern auch ohne solche wurde es durch die Aufnahme in die Gemeindeüberlieferung vielfach in eine neue Beleuchtung gerückt“. Freilich muss nicht immer eine Gemeinde Trägerin der Überlieferung sein und war es beim Thomasevangelium wohl auch nicht. Richtig bleibt jedenfalls, „that a collocation of sayings may sometimes affect their meaning, especially when they share a theme, as here“ (Gundry, Spinning, 169). 520 Unverständlich bleibt demgegenüber die Kritik von Frey, Lilien, 171, Anm. 200: „Eine Deutung der Spruchfolge ohne Bezug auf seinen [sic] im P.Oxy 655 vorliegenden literarischen Kontext (soweit dieser erkennbar ist), wie sie von Robinson und Heil praktiziert wird, widerspricht allen Prinzipien der Textinterpretation. Damit ist nicht bestritten, dass die einzelnen Logien nicht eine je eigene Vorgeschichte haben können. Aber ihr Sinn im vorliegenden Papyrus ist aus der textlichen Zusammenstellung zu erheben und nicht mit dem Sinn identisch, den

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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2.6.7. Das Lilienbeispiel (Pap Ox 655B) Wenden wir uns nun der Form von EvThom 36B zu. Auch diese kleine Einheit ist in sich gerundet. Sie wird strukturiert durch den Chiasmus der Satzglieder e – f – f ƍ – eƍ: Der Vergleich der Jünger (e) mit den Lilien (f), der das Lilienbeispiel einleitet, wird im Übergang von diesem zur Anwendung auf die Jünger in umgekehrter Reihenfolge wieder aufgenommen, indem die das Beispiel abschließende Feststellung, dass die Lilien ein einziges Gewand haben (f ƍ), die Frage aufbringt, was eigentlich die angesprochenen Jünger anziehen werden (eƍ). Geht es im ersten Teil des Chiasmus (e–f) um die Statur der Jünger bzw. der Lilien, wird daran im zweiten Teil (f ƍ–eƍ) das Thema ihrer jeweiligen Bekleidung geknüpft. In diesen Chiasmus, der den direkten Vergleich der Jünger mit den Lilien strukturiert, ist sodann der zweigliedrige Parallelismus der Satzglieder g – h – gƍ – hƍ eingehängt: Zwei Tätigkeiten der Lilien werden in Frage und Antwort zwei Handlungen eines namentlich nicht genannten Subjekts an den Jüngern gegenübergestellt. Dabei entspricht das Wachsen der Lilien (g) der Zugabe zum Körperwuchs der Jünger (gƍ) und das unterlassene Spinnen der Lilien (h) dem Geschenk des Gewandes an die Jünger (hƍ). Klar ist in allen Teilen des Parallelismus, dass Gott, obwohl er ungenannt bleibt, der eigentlich Handelnde ist. Die Lilien wachsen zwar von sich aus, aber sie können es nur, weil Gott sie wachsen lässt; und wenn sie nichts für ihre Gewandung tun, wofür pars pro toto das unterlassene Spinnen steht, aber trotzdem ein Gewand haben, dann nur deshalb, weil Gott sie zugleich mit ihrem Wachstum kleidet (g–h). Dasselbe wird im zweiten Teil des Parallelismus (gƍ–hƍ) in Form eines Rätselwortes vom Handeln Gottes an den Jüngern gesagt: Er gibt ihrem Körper Wachstum, weil er allein es kann, und so wird er auch dafür sorgen, dass dieser Körper die ihm passende Kleidung erhält. So ist das ganze Stück EvThom 36B von den beiden Motiven des Wachstums und der Kleidung bestimmt, wobei zwei gegenläufige Schlüsse angewandt werden. Die Sorge der Jünger um ihre Kleidung wird in einem Schluss a maiore ad minus an die göttliche Gabe des Wachstums zurückgebunden: So selbstverständlich, wie Lilien und Menschen mit Gottes Hilfe bis zu ihrer spezifischen Körpergröße heranwachsen, so selbstverständlich gibt Gott ihnen dazu auch die jeweils passenden Kleider.521 Das ist die Aussage der parallelen Satzglieder. Unterstützt wird diese ein Logion möglicherweise in einem älteren Stadium der Überlieferung hatte.“ Soll damit jede diachrone Analyse ausgeschlossen werden? Denn dass ein Textstück, das sich literarkritisch isolieren lässt, nicht nur im Zusammenhang des Endtextes, sondern als ursprünglich eigenständige Überlieferung auch für sich interpretiert wird, entspricht genau den Prinzipien der Kompositions-, Redaktions- und Überlieferungskritik. 521 Worin hier die Spannung bestehen soll, vermag ich nicht zu sehen (gegen Frey, Lilien, 167–168). Es geht hier gar nicht um die Frage, „inwiefern ein ‚Gewand‘ etwas zur ‚Länge‘ des Lebens oder Körpers hinzufügen kann“ (ebd. 173), sondern um die schlichte Zusage, dass Gott, der den Leib wachsen lässt, auch für seine Kleider sorgt. Insofern haben Robinson und Heil (Lilies, 12–15) recht mit ihrer Feststellung, dass sich EvThom 36gƍ nahtlos in EvThom

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Behauptung durch den umgekehrten Schluss a minore ad maius: Wenn Gott diese Fürsorge schon den kleinen Lilien angedeihen lässt, dann doch jedenfalls auch den viel größeren Jüngern. Hier liegt die Pointe des Chiasmus. Es zeigt sich, dass wir es in EvThom 36B mit einer thematisch abgerundeten kleinen Sprucheinheit zu tun haben. Sind ihre beiden thematischen Grundlinien, Wachstum und Kleidung, erst einmal mit hinreichender Klarheit erkannt, wird die „striking appropriateness“522 der Rekonstruktion αὐξάνει (g) innerhalb des Spruchduktus, die wir oben bereits festgestellt haben, eindrucksvoll bestätigt. Die kleine Einheit wird in ihrer thematischen Abgeschlossenheit nur dann richtig interpretiert, wenn die Ausdrücke κρείσσονες (e), αὐξάνει (g) und εἱλικία (gƍ) in ihrer Bedeutungsrichtung gleichsinnig ausgelegt werden. Immer geht es dabei um Statur und Wachstum. Deshalb ist es irreführend, wenn e übersetzt wird: „Ihr seid viel mehr wert als die Lilien.“ Die Aussage ist viel lapidarer: „Ihr seid [sc. körperlich] viel kräftiger als die Lilien.“523 Die ganze Überzeugungskraft der beiden gegenläu36B einfügt (vgl. auch Robinson, Cluster, 70–71). Der Eigenart der Q-Spruchreihe werden sie hingegen nicht gerecht, indem sie Q 12,25 die Form von EvThom 36gƍ überstülpen und dann behaupten, der Vers passe sich ohne Probleme in den Q-Zusammenhang ein. Q 12,22–32 muss zunächst für sich analysiert werden, und hier gibt sich V.25 in der Form, wie er dasteht, klar als sekundärer Zusatz zu erkennen. 522 Gegen Robinson, Reading, 848, der mit diesen Worten die Lesung οὐ ξαίνει beurteilt. 523 In diesem ganz konkreten Sinn des Satzes funktioniert der Schluss a minore ad maius natürlich nur, wenn die Lilien wirklich um vieles schmächtiger sind als der gewöhnliche Körperwuchs der Menschen. Das kann man von ihrer Höhe allein nicht ohne Weiteres sagen, wohl aber von ihrer ganzen Statur; vgl. Plin Nat Hist 21,23: „Und keine Blume wird höher, manchmal drei Ellen (hoch), wobei der Hals immer schlaff und der Last des Hauptes nicht gewachsen ist“ (nec ulli florum excelsitas maior, interdum cubitorum trium, languido semper collo et non sufficiente capitis oneri). Die Länge einer Elle (πῆχυς / cubitus) wird unterschiedlich bestimmt: Nach Schulzki (DNP 7, 988) beträgt sie entweder 44,4 cm (so auch Mlasowsky, DNP 3, 227) oder 46,2 cm; Luz (Mt 1,480) rechnet mit 52 cm; Bauer / Aland (Wörterbuch, s. v. πῆχυς) geben „etwa 45–52 cm“ an. Plinius schreibt an der zitierten Stelle über die weiße Lilie: „Ihr (glänzendes) Weiß ist außerordentlich“ (candor eius eximius). Im selben Zusammenhang (21,24) erwähnt er aber auch „eine rötliche Lilie, welche die Griechen ‚crinon‘ nennen“ (rubens lilium, quod Graeci crinon vocant) und unterscheidet davon (21,25) „purpurne Lilien“ (purpurea lilia), die er zu den Narzissen rechnet (vgl. Hünemörder, DNP 7, 190–191). Bezüglich der Farben und der botanischen Bezeichnungen (außer lilium, κρίνον und νάρκισσος auch λείριον) herrscht in den Texten jedoch einige Verwirrung. So erwähnt Theophrast (Hist Plant VI,6,3; vgl. VI,6,8) unter den κρίνα auch purpurne, schränkt aber zugleich ein: „wenn wirklich, wie man sagt, welche auch purpurn sind“ (εἴπερ δή, καθάπερ φασίν, ἔνια καὶ πορφυρᾶ ἐστι; vgl. Amigues, Théophraste 3, 187–188, Anm. 10). Dadurch gibt der Grieche zu erkennen, dass κρίνον in allererster Linie die weiße Lilie bezeichnet. Die Septuaginta verwendet κρίνον für das hebräische Ė˃˟˃ ú bzw. ċ û˖˃˟˃ ú , das herkömmlicherweise mit „Lilie“ übersetzt wird, nach Keel u. a. (OLB 1, 87) aber durchweg die Lotosblume meint (vgl. Koehler/Baumgartner, Lexikon, s. v. I Ė˃ˎ˃ ú ). Wenn Herodot (2,92) allerdings den ägyptischen Lotos (nelumbium speciosum) als κρίνον bezeichnet, dann offensichtlich nicht, um beides gleichzusetzen, sondern um seiner Leserschaft eine ungefähre Vorstellung vom Aussehen der ihr fremden Pflanze zu vermitteln, die er dann im Weiteren λωτός nennt. Bemerkenswert ist an all diesen Texten, dass immer die weiße Lilie (lilium candidum) Ausgangspunkt der Beschreibungen und Vergleiche ist. Das mag daran liegen, dass die Weißlilie „zu den ältesten kultivierten Zierpflanzen“ (König / Winkler,

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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figen Schlüsse baut auf der unbestreitbaren Wahrheit dieser Prämisse auf: Wenn Gott euer Wachstum schon viel mehr fördert als das der Lilien, dann wird er euch auch die nötige Kleidung (was viel weniger ist) noch dazugeben. Einzelne Schritte der Kleiderherstellung, die mit der Rekonstruktion οὐ ξαίνει οὐδὲ νήθει gegeben wären, spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Im Vergleich mit den Jüngern sind die beiden tertia comparationis der Wuchs und die Kleidung, die auf Seiten der Lilien durch αὐξάνει οὐδὲ νήθει (g–h) zum Ausdruck gebracht werden. Auf dieser thematischen Linie liegt dann auch die spezifische Bedeutung des Ausdrucks εἱλικία (gƍ), der folglich mit „Körpergroße“ und nicht mit „Lebensalter“ zu übersetzen ist. Aufs Ganze gesehen erweist sich EvThom 36B somit als eine formal wie inhaltlich wohldurchdachte kleine Sprucheinheit. Zu diesem Ergebnis kommt man allerdings nur, wenn man das Stück zunächst für sich betrachtet und analysiert und nicht, wie oft geschehen, vorschnell textfremde Anforderungen an Form und Inhalt von außen her (etwa von Q) an den Text heranträgt. Im zweiten Schritt müssen wir freilich fragen, wie sich EvThom 36B zu Q 12,25–30 bzw. zu Matthäus und Lukas verhält. Wie oben bereits angedeutet, ist EvThom 36B zwar in sich gerundet, aber nicht suffizient; das heißt, die Sprucheinheit kann in dieser Form nicht für sich existiert haben und im Umlauf gewesen sein. Denn der einleitende Vergleich „ihr seid viel kräftiger als die Lilien“ (e–f) knüpft unmittelbar an die vorhergehende Sprucheinheit mit der Mahnung μὴ μεριμνᾶτε an und hängt ohne sie in der Luft. Er erfüllt die Funktion einer Begründung, „die das geforderte Handeln in einen objektiven Zusammenhang“524 stellt: Die Jünger sind viel kräftiger als die Lilien; dies ist der objektive Grund dafür, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchen und es deshalb auch nicht sollen.525 Dieser enge überlieferungsgeschichtliche Zusammenhang Plinius, 255) gehört und von daher als die Blume schlechthin gelten konnte. So verwundert es nicht, dass in Q einerseits auf die κρίνα (Q12,27) mit dem allgemeinen Begriff χόρτος („Gras“; Q 12,28) Bezug genommen wird, andererseits aber das hinzugesetzte ἀγρός (Q 12,28; Mt 6,28) verdeutlicht, dass damit nicht Garten-, sondern Feldblumen gemeint sind (vgl. Hepper, Pflanzenwelt, 46–47; Luz, Mt 1, 479; Dalman [Orte, 169–170] denkt speziell an die purpurne Kronenanemone). Wo ein solcher Kontext fehlt (wie in EvThom 36B), ist es ratsam, bei einer Erwähnung von Lilien (κρίνον, λείριον oder lilium) wie die antiken Autoren vom grundlegenden Paradigma der „Weißlilie“ auszugehen (vgl. Liddell/Scott, Lexicon, s. v. κρίνον; Passow, Handwörterbuch, s. v. κρίνον). Diese erfüllt im Vergleich EvThom 36B auch ganz und gar ihren Zweck: Sie wächst zwar fast zur Größe der Menschen auf, diese sind aber von ihrer ganzen Statur her viel kräftiger als sie. Über die Verbreitung der Weißlilie in der Antike findet man sehr unterschiedliche Angaben; vgl. nur Dalman, Arbeit, 358; ders., Orte, 170; Olck, RECA 7, 792–794; Zohary, Pflanzen, 176. 524 Zeller, Mahnsprüche, 160. 525 Zeller, Mahnsprüche, 161 bemerkt zurecht: „Oft hat man die unerträgliche Profanität solcher Aussagen kritisiert. Doch daß das Leben unverfügbar ist, hat für den Weisen die Kehrseite, daß es ganz von der Macht Gottes abhängt. Der Schöpfer und gegenwärtig waltende Herr des Lebens setzt ihm souverän die Grenze (Mt 6,27; 10,29); er erhält es aber auch (Mt 6,26.28–30.32b, implizit auch 34ab)“.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

zwischen dem Mahnspruch (EvThom 36A) und seiner Begründung (EvThom 36B) zeigt sich im Unterschied zur Logienquelle besonders deutlich. Zwar dient auch das Lilienbeispiel in Q 12,27–28, ebenso wie das vorhergehende von den Raben (Q 12,24), der Begründung der übergreifenden Mahnung μὴ μεριμνᾶτε in Q 12,22b. Der Aussage in EvThom 36e–f entsprechen dabei die rhetorischen Fragen: „Unterscheidet ihr euch nicht viel mehr von den Vögeln“ (οὐχ ὑμεῖς μᾶλλον διαφέρετε τῶν πετεινῶν); „dann nicht viel mehr euch, Kleingläubige“ (οὐ πολλῷ μᾶλλον ὑμᾶς, ὀλιγόπιστοι)? Sie bringen die zuvor angeführten Naturbeispiele in Verbindung mit den Jüngern und stellen einen objektiven Zusammenhang zwischen beiden her. Zu Exempla, die ein übergeordnetes Beweisziel begründen, werden die beiden Worte von den Raben und den Lilien aber erst mit ihrer Einarbeitung in die Logienquelle. Durch die deiktischen Imperative ἐμβλέψατε und καταμάθετε (Mt) bzw. zweimal κατανοήσατε (Lk) und ihre parallele Struktur geben sie sich als ein „autarkes Doppelwort“526 zu erkennen, das genauso gut für sich allein existiert haben kann. Seinen Sitz im Leben kann dieses Doppelwort in jedem Moment eines Lebens als Wandercharismatiker gehabt haben. Dasselbe ist für das Lilienbeispiel in EvThom 36B nur schwer vorstellbar. Hier fehlt nicht nur der deiktische Imperativ am Anfang, der dem Wort seinen Sitz im Leben zuweist. Durch die Umwandlung der rhetorischen Frage in eine Aussage und deren Platzierung am Beginn des Spruches fällt der Sprecher auch gleichsam mit der Tür ins Haus. Ein so direktes Zugehen auf die Sache ist nur im begründenden Zusammenhang mit dem vorhergehenden Mahnspruch möglich. Dieser Textbefund lässt sich überlieferungsgeschichtlich am einfachsten so erklären: Das autarke Doppelwort von den Raben und den Lilien, das in der Logienquelle als solches noch erkennbar ist, wurde in Q mit dem Mahnspruch vom Sorgen als dessen begründendes Exemplum kombiniert; bei aller sonstigen Veränderung wurde diese grundlegende Kombination in EvThom 36 nicht nur übernommen, sondern durch den direkten Anschluss mit πολλῷ κρείσσονές ἐστε τῶν κρίνων irreversibel und das Lilienbeispiel damit vom Mahnwort abhängig gemacht. Der umgekehrte Weg ist dagegen kaum plausibel zu machen: Da EvThom 36B als autarke Überlieferung nicht in Frage kommt, gibt es kein Indiz dafür, dass der Lilienspruch je für sich allein existiert hat; sollte aber die Form vom EvThom 36 in irgendeiner Weise die Überlieferung des Q-Spruches beeinflusst haben, dann fragt sich, weshalb in Q plötzlich die Naht zwischen Mahnspruch und Naturbeispiel so deutlich hervortritt, war sie doch in EvThom 36 schon fast verschwunden. Wollen wir weiteren Aufschluss über die Art und Weise erhalten, in der Q bzw. EvThom 36 das ihnen überlieferte Doppelwort von den Raben und den Lilien 526 Zeller, Mahnsprüche, 86 im Anschluss an Fuchs, Zeitverständnis, 305–307; vgl. auch Bultmann, Geschichte, 92; Ebner, Weisheitslehrer, 262. Dagegen hält Luz (Mt 1, 474–476) Mt 6,25–33 bis auf V.25d.e und V.27 für einheitlich.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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verarbeitet haben, müssen wir nach dessen ursprünglicher Form fragen, soweit sie sich aus den Texten rekonstruieren lässt. Die gründlichste Überlieferungskritik der beiden Naturbeispiele hat M. Ebner geliefert.527 Er macht darauf aufmerksam, dass das Lilienbeispiel in Q 12,27–28 in zwei gegenläufige Richtungen ausgewertet wird: „die eine im qualitativ bestimmten Schönheitsvergleich mit dem König Salomo samt einer kritisch-tadelnden Note gegen menschliches Streben nach Pracht und Prestige, die andere in der einlinig konstruktiven Schlußfolgerung, die das Lilienbeispiel ohne jede Problematisierung positiv ermutigend für den Menschen auswertet. […] Insgesamt dürfte also der Salomovergleich ein sekundärer Zuwachs sein.“528 Dazu gehört aber nicht nur die Erwähnung Salomos selbst, sondern auch der topische Hinweis auf die Vergänglichkeit des Grases, der implizit jede Prachtentfaltung kritisiert, sowie das Wachstumsmotiv. Im ursprünglichen Wort von den Lilien wird deren Untätigkeit betont, damit Gottes Fürsorge umso stärker hervortritt. Im agonistischen Vergleich mit Salomo trägt die Passivität der Lilien indes nichts aus. „Denn allein durch den rigorosen Verzicht auf Textilarbeit können sie den Schönsten aller Könige sicher nicht besiegen, nur durch ihre eigene Schönheit und Pracht: Dem dient die sekundäre Einfügung des Wachstumsmotivs in die Lilienschilderung“529. Das erklärt in Q den Zusatz πῶς αὐξάνουσιν (oder αὐξάνει), der wegen seines holprigen Stils immer schon aufgefallen ist. Im Ergebnis tritt die Parallelstruktur530 des autarken Doppelwortes klar hervor:531 „Schaut hin auf die Raben, daß sie nicht säen und auch nicht ernten. Und Gott ernährt sie. Unterscheidet ihr euch nicht mehr von den Vögeln?

Merkt auf die Lilien, (daß sie) sich nicht abmühen und auch nicht spinnen. Und Gott umkleidet sie. Unterscheidet ihr euch nicht mehr vom Gras?“531

Zwangsläufig bleibt dieses Ergebnis der Überlieferungskritik in hohem Maße hypothetisch.532 Aber Ebners Hypothese hat immerhin den Vorteil, dass sie die Einfügung von πῶς αὐξάνουσιν (oder αὐξάνει) in Q aufgrund stichhaltiger literarkritischer Beobachtungen argumentationslogisch plausibel erklären kann, während Robinson und Heil zur letztlich ungedeckten Hypothese eines Schreibfehlers in der Überlieferung von Q Zuflucht nehmen müssen (s. o.). Denn hätten tatsächlich „in Q 12,27 oder in dessen Quelle die drei negierten Prädi527

Vgl. Ebner, Weisheitslehrer, 263–267. Ebner, Weisheitslehrer, 264; vgl. Benoit/Boismard, Synopse 2, 282; Olsthoorn, Background, 33. 529 Ebner, Weisheitslehrer, 265. 530 Zurecht bemängelt Ebner (Weisheitslehrer, 227, Anm. 96), dass Steinhauser (Doppelbildworte, 233) mit seiner Literarkritik auf halbem Wege stehenbleibt, dadurch die Parallelstruktur und im Ergebnis das Doppelwort als solches verkennt. 531 Ebner, Weisheitslehrer, 267; ganz ähnlich schon Minear, Commands, 137. 532 Skeptisch zeigt sich Schmeller, Radikalität, 85. 528

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

kate ξαίνω, κοπιάω und νήθω“533 gestanden, wäre damit zugleich eine wichtige Stütze im agonistischen Vergleich der Lilien mit Salomo weggebrochen, weil dieser auf Seiten der Lilien auf dem Wachstumsmotiv beruht. Die Vorliebe der Logienquelle für das Dreierschema534 mag eine Fortschreibung des überlieferten Doppelwortes begünstigt haben, in der zuerst das für den Salomovergleich notwendige Wachstumsmotiv und zur Wiederherstellung der Parallelität auf Seiten der Raben das Sammeln in Scheunen (οὐδὲ συνάγουσιν εἰς ἀποθήκας) ergänzt wurden. Akzeptiert man Ebners Hypothese, ist damit freilich noch keine Vorentscheidung darüber getroffen, in welchem Verhältnis bezüglich des Wachstumsmotivs EvThom 36g–h zum ursprünglichen Doppelwort und zu Q 12,27 steht. Dreierlei ist denkbar. – 1. In EvThom 36B wurde der Lilienspruch aus dem frei umlaufenden Doppelwort verarbeitet und, unabhängig von Q, das Verb κοπιᾶν durch αὐξάνειν ersetzt, um so den Wachstumsvergleich zwischen den Lilien und den Jüngern zu ermöglichen. Das Verb κοπιᾶν konnte dabei wegfallen, weil es im neuen Zusammenhang weder inhaltlich noch formal (zur Herstellung eines Dreierschemas) von Bedeutung war. – 2. Die Form von EvThom 36g–h mit ἅτινα αὐξάνει hat in irgendeiner Weise auf die Komposition und Redaktion von Q 12,27–28 eingewirkt und dort die Ergänzung πῶς αὐξάνουσιν (oder αὐξάνει) zur Vervollständigung des Salomovergleichs veranlasst. Die Änderung des stilistisch einwandfreien ἅτινα in das weniger schöne πῶς könnte dabei dem Zweck dienen, das Wachstum der Lilien gegenüber den beiden negierten Tätigkeiten zu betonen und so den anschließenden Vergleich mit Salomo ausdrücklich vorzubereiten. – 3. Das Verb αὐξάνειν wurde aus der Q-Form des Lilienbeispiels in EvThom 36g übernommen. Dabei konnte der holprige Anschluss mit πῶς geglättet und durch ἅτινα ersetzt werden, weil mit dem Wegfall des Salomovergleichs auch die besondere Betonung des Wachtums nicht mehr nötig war. Das Verb κοπιᾶν ist wie in der erstgenannten Möglichkeit entfallen. – Für eine fundierte Entscheidung zwischen diesen überlieferungsgeschichtlichen Varianten gibt es keine sicheren Anhaltspunkte. Das Wachstumsmotiv allein erlaubt somit keine Aussagen über das Verhältnis der verschiedenen Überlieferungen zueinander. Einen Anhaltspunkt könnte dagegen noch der vieldiskutierte Vers Q 12,25 bzw. EvThom 36gƍ liefern. Wie oben bereits erwähnt, liegt er in Q auf derselben redaktionellen Ebene wie Q 12,23, dessen formgeschichtlicher Einfluss auf EvThom 36cƍ.dƍ ebenfalls bereits plausibel gemacht werden konnte. Dies könnte darauf hindeuten, dass auch EvThom 36gƍ in (wenn auch indirekter) Abhängigkeit von Q 12,25 zu sehen ist, zumal EvThom 36B in der jetzigen Form nicht ohne EvThom 36A bestehen konnte. Allerdings sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen und den neuen Fall zunächst für sich prüfen. Dann stellt sich 533

Robinson / Heil, Zeugnisse, 43. Vgl. Q 6,20–21 (Seligpreisungen); Q 11,9 (Bitten). Nach Ebner (Weisheitslehrer, 267, Anm. 97) gehört hierher auch Q 6,37 (Richten), wo aber nach CEQ 74–75 die Dreiergruppe noch nicht in Q stand. 534

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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die Frage, woher das Wort in Q 12,25 bzw. EvThom 36gƍ eigentlich kommt. Als ursprüngliche Form nehme ich an (in eckigen Klammern die Ergänzungen in Q): τίς [δὲ ἐξ ὑμῶν] μεριμνῶν δύναται προσθεῖναι ἐπὶ τὴν ἡλικίαν αὐτοῦ πῆχυν (ἕνα); „Wer [von euch aber] kann, indem er sich Sorgen macht, seiner Statur (auch nur) eine Elle hinzufügen?“

In dieser Gestalt kann der Spruch ohne Weiteres als Sprichwort für sich existiert haben,535 das in Form einer rhetorischen Frage die Nutzlosigkeit menschlicher Sorge zum Ausdruck bringt und dessen Allgemeingültigkeit mit der erwarteten Antwort οὐδείς („niemand!“) gegeben ist. Da die Maßangabe πῆχυς sonst immer die Elle als Längenmaß bezeichnet536 und ein Kontext, der anderes nahelegen könnte,537 bei einem selbständigen Sprichwort fehlt, ist davon auszugehen, dass ἡλικία in diesem Fall den „Körperwuchs“ und nicht das „Lebensalter“ meint.538 Ob dann die Zahlenangabe ἕνα noch hinzutritt (wie bei Matthäus) oder fehlt (wie bei Lukas), macht keinen Unterschied in der Aussage, sondern nur in ihrer Intensität. Indes wäre der ganze Spruch ohne das modal verstandene Partizip μεριμνῶν nicht mehr suffizient, weil dann aus der rhetorischen eine offene Frage würde, die ohne Antwort ein Fragment bliebe. Damit ist klar, dass die ursprüng535 Vgl. Benoit/Boismard, Synopse 2, 282; Hoffmann, Sprüche, 89; Heil, Vertrauen, 145; Jeremias, Gleichnisse, 102; Kloppenborg, Formation, 217; Olsthoorn, Background, 41. 536 Vgl. Passow, Handwörterbuch, s. v. πῆχυς, 6). Liddell / Scott (Lexicon, s. v. πῆχυς, V) verstehen den Begriff zwar auch „metaph[orically] of any small amount“, geben aber als einzige Belegstelle außer Mt 6,27 nur Marinus (Vita Procli 26) an, wo κατὰ πῆχυν „little by little“ heißen soll. Fraglich ist, ob πῆχυς überhaupt die Vorstellung von etwas Kleinem vermitteln soll. Die Elle ist von allen üblichen Längenmaßen das Größte, abgesehen von den Entfernungsangaben; vor allem aber ist sie, neben dem Fuß, ganz einfach das grundlegende Längenmaß (vgl. Schulzki, DNP 7, 988–989). In dem allgemeinen Sprichwort Q 12,25 steht πῆχυς für die messbare Länge schlechthin und meint weder etwas exorbitant Großes noch etwas verschwindend Kleines (gegen Bovon, Lk 2, 305). Dagegen meint „ellenlang“ im Deutschen natürlich „viele Ellen lang“; und wenn die kleinen Kinder im Griechischen πῆχεις heißen, dann entspricht das ihrer umgangssprachlichen Bezeichnung als „laufende Meter“ im Deutschen, ohne dass dadurch der Meter zu etwas Kleinem würde (gegen Luz, Mt 1, 480, Anm. 52). 537 Ein solcher Kontext ist in Lk 12,16–32 gegeben (vgl. Ebner, Weisheitslehrer, 252; Hoffman, Q-Text, 139): Der reiche Kornbauer wähnt, „für viele Jahre“ (εἰς ἔτη πολλά; V.19) ausgesorgt zu haben, und muss doch in derselben Nacht sein Leben lassen; den Raben hingegen, „die Gott ernährt“ (ὁ θεὸς τρέφει αὐτούς; V.24), wird dadurch ihr Leben verlängert (V.25). Entsprechend meint ἡλικία in Lk 12,25 zwar nicht die Lebensdauer (so Bovon, Lk 2, 305), wohl aber das Lebensalter (vgl. Wolter, Lk, 454). Dagegen hat Luz (Mt 1, 480) grundsätzliche Bedenken: „Zeitlich verstanden müßte der Satz heißen: ‚seinem Lebensalter eine Elle zusetzen‘, d. h. sein Alter um eine geringe Zeitspanne älter machen. Und wer wollte das schon?“ Nein, „seinem Lebensalter eine Elle zusetzen“ hieße ganz einfach: ein wenig älter werden – und das wollen fast alle! 538 So auch in Q und Mt 6,27; vgl. Dillon, Ravens, 613; Luz, Mt 1, 480; Minear, Commands, 137–138. Dagegen Betz, Sermon, 475–476; Catchpole, Quest, 33; Crossan, Anxieties, 60; Schweizer, Bergpredigt, 77; Strecker, Bergpredigt, 142–143; Gundry, Spinning, 165 mit Verweis auf die kurze Lebensdauer des Grases (Q 12,28), anders dagegen im Blick auf EvThom 36gƍ (ebd.167): „But since the illustration of lilies has to do with clothing, here εἱλικίαν more naturally takes its other meaning, ‚stature‘.“

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

liche Form des Sprichworts in Q 12,25 und nicht in EvThom 36gƍ vorliegt. Die Ergänzung ἐξ ὑμῶν wendet lediglich die allgemeine Weisheit auf die von Jesus direkt angesprochenen Jünger an,539 während die adversative Konjunktion δέ die skeptische Lebenseinstellung des Sprichworts gegen den optimistischen Tenor den Rabenbeispiels abgrenzt. Die ursprüngliche Aussageabsicht des Sprichworts bleibt in Q jedoch erhalten. Gleichzeitig ist geklärt, dass das selbständige Sprichwort aufgrund des darin enthaltenen Stichworts μεριμνᾶν in die Q-Spruchreihe eingefügt wurde540 und nicht umgekehrt die skeptische Frage in Q 12,25 durch ein nachträglich eingesetztes μεριμνῶν mit dem Thema des übergreifenden Mahnspruches (Q 12,22) in Verbindung gebracht werden sollte. Anders liegen die Dinge in EvThom 36gƍ.hƍ. Hier erscheint das Sprichwort nicht nur gekürzt, sondern gegenüber seiner ursprünglichen Intention völlig verändert. Die durch den Wegfall des Partizips μεριμνῶν geöffnete Frage verlangt nach einer Antwort, die alsbald gegeben wird. Es handelt sich nicht mehr um die grundsätzliche Frage, wer der Statur der Jünger etwas hinzufügen kann (δύναται), sondern im Potentialis der Gegenwart darum, wer es wohl tun wird (Optativ προσθείη). Dadurch erscheint die Frage wiederum nicht völlig offen, sondern suggestiv. Folglich kann sie mit dem anonymen αὐτός beantwortet werden, ohne einen Zweifel daran zu lassen, wer damit gemeint ist, nämlich Gott. Aus dem pessimistischen541 Sprichwort ist eine optimistische Aussage geworden.542 Zwischen diesen beiden 539

Im Anschluss an Greeven (Wer unter euch) hat Schulz (Q, 63) in der Formel τίς ἐξ ὑμῶν „einen typisch prophetischen Redetypus“ sehen wollen, der „eine unüberhörbare Distanzierung zum Ausdruck“ bringe. Dagegen wendet Zeller (Mahnsprüche, 84) zurecht ein: „Sie bezweckt also gerade nicht, die Hörer gegenüber einem hoheitsvollen Ich zu distanzieren, sondern spricht ad hominem; sie stellt das beigebrachte Exempel als jedem mögliche Erfahrung hin.“ Er rechnet sie deshalb mit Berger (Materialien) „zu den Mitteln herausfordernder weisheitlicher Disputation“. Allerdings sollte man Prophetie und Weisheit nicht gegeneinander ausspielen; denn beide gehen oft Hand in Hand. So kommt Schulz (Q, 153) zu einem differenzierten Urteil über Q 12,22–31: „Es liegt also eindeutig eine prophetische Warnrede vor, die allerdings paränetisch mit Erfahrungssätzen der Weisheit argumentiert.“ Ähnlich Dillon, Ravens, 607; Merklein, Gottesherrschaft, 177–178. In der synoptischen Tradition begegnet die Formel τίς ἐξ ὑμῶν häufiger zur Einführung von Fällen oder Gleichnissen (vgl. Mt 7,9//Lk 11,11; Mt 12,11//Lk 14,5; Mt 18,12//Lk 15,4; Lk 11,5; 14,28; 17,7) und wurde wegen der fehlenden zeitgenössischen Parallelen gar als Signal für die ipsissima vox Jesu gewertet (so Greeven, Wer unter euch, 101; Jeremias, Gleichnisse, 102; Schweizer, Mt, 181; Steinhauser, Sayings, 73). Allerdings wird hier einseitig mit dem Differenz- und Kohärenzkriterium argumentiert, dessen heuristischer Wert zunehmend zweifelhaft geworden ist (vgl. Theissen/Merz, Jesus, 116–120). 540 Vgl. Benoit / Boismard, Synopse 2, 282; Heil, Vertrauen, 145; Jeremias, Gleichnisse, 171; Olsthoorn, Background, 41; Schulz, Q, 154. 541 Was der eine „pessimistisch“ nennt (vgl. Heil, Vertrauen, 145; Luz, Mt 1, 380; Schmeller, Radikalität, 85, Anm. 3), ist für den anderen ein Ausdruck der „Gelassenheit“ (vgl. Wolter, Lk, 454) und damit einer realistischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Der Unterschied ist wohl nur graduell und eine Frage der Perspektive. Klar ist jedenfalls, dass der Charakter des Spruches in Q ein wesentlich anderer ist als im Thomasevangelium. 542 Diesen grundlegenden Unterschied zwischen Q 12,25 und EvThom 36gƍ verwischen Robinson und Heil (Lilies, 13), indem sie den Q-Spruch sogleich im Sinne des Thomaslogions interpretieren: „As a result, it is not necessary to delete Q 12.25, as the exegetes suggested who

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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Extremen siedeln sich ihrer Form und Intention nach die Naturbeispiele in Q, Matthäus und und Lukas an. Während Matthäus (wie Q) die optimistische Erwartung der Fürsorge Gottes noch in die Form der rhetorischen Frage kleidet (V.26: οὐχ ὑμεῖς μᾶλλον διαφέρετε αὐτῶν; V.30: οὐ πολλῷ μᾶλλον ὑμᾶς;), hat Lukas daraus feste Zusagen gemacht (V.24: πόσῳ μᾶλλον ὑμεῖς διαφέρετε τῶν πετεινῶν. V.28: πόσῳ μᾶλλον ὑμᾶς.). Zumindest wird diese Richtung in der Fortschreibung der Überlieferung gemeinhin als die wahrscheinlichste erachtet. Welchen Grund sollte Matthäus gehabt haben, den affirmativen Ausdruck der Zuversicht, hätte er denn in Q (wie bei Lukas) gestanden, durch eine Umwandlung in die rhetorische Frageform abzuschwächen? Eher wird umgekehrt die klare Absicht der suggestiven Fragen (Matthäus) durch ihre Änderung in apodiktische Aussagen (Lukas) noch verstärkt. Erscheint diese Überlegung formgeschichtlich plausibel, dann wird man auch die in ihrem Optimismus gegenüber Lukas noch gesteigerte Aussage in EvThom 36gƍ.hƍ zeitlich jedenfalls später als Q, vielleicht sogar nach Lukas ansetzen. Umgekehrt wird man das eigenständige Sprichwort, dessen pessimistische Sicht und skeptische Frage nicht (wie in Q) durch einen optimistisch gestimmten Kontext relativiert wird, am Beginn der Überlieferungsgeschichte vermuten. Denn es ist ja ohne Zweifel so, dass nicht nur das Sprichwort mit seiner Einbringung in Q den Optimismus der Naturbeispiele dort trübt, sondern dass diese umgekehrt auch den Pessimismus des ursprünglich autarken Sprichworts dämpfen. Dies alles spricht dafür, die Form des Sprichworts in EvThom 36gƍ.hƍ gegenüber derjenigen in Q 12,25, die mit der ursprünglich selbständigen Form im Wesentlichen identisch ist, für sekundär zu halten. Gegenüber der lebendigen Rede, deren natürliche Form die rhetorische Frage ist, erscheint die Frage in EvThom 36gƍ wie in einem Katechismus erstarrt und erreicht ihr Ziel erst mit der ausdrücklichen Antwort in EvThom 36hƍ.543 Dieser Eindruck wird dadurch noch verstärkt, dass das zurechtgemachte Sprichwort im Thomasevangelium am Ende des Lilienbeispiels als dessen Anwendung auf die Jünger steht, während es in Q die Stellung einer anthropologischen Zwischenreflexion zwischen den beiden Naturbeispielen einnimmt und dazu in seiner weitgehend ursprünglichen Form auch bestens geeignet ist.

took offence to the pessimistic cynicism of the canonical text and wanted to preserve the sayings collection’s original train of thought of trusting God. All that one needs to do is to understand what Q 12.25 actually said and meant in the original sayings collection, as is clear from P.Oxy. 655.“ Ebenso Robinson, Cluster, 71. Dieses Vorgehen, das die verschiedenen Text- und Überlieferungsebenen völlig durcheinanderwirft, wird dem Text von Mt 6,27//Lk 12,25, wie er nun einmal dasteht, keinesfalls gerecht. 543 So auch Gundry, Spinning, 168: „Is it more likely that an answered question was changed to an unanswered one, or that an unanswered question was secondarily provided with an answer? The latter.“

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

2.6.8. EvThom 36 im Verhältnis zu Q, Matthäus und Lukas Aufs Ganze gesehen, erweckt EvThom 36 den Eindruck, als sei hier eine den Sorgensprüchen in Q, Matthäus und Lukas sehr ähnliche Überlieferung schrittweise zusammengedampft und dadurch den eigenen Bedürfnissen angepasst worden. Eine vergleichbare übergreifende Tendenz lässt sich umgekehrt, ausgehend vom griechischen EvThom 36 hin zum Text von Q, Matthäus und Lukas, nicht dingfest machen. Dies spricht dafür, EvThom 36 sowohl in seiner griechischen als auch in seiner koptischen Textgestalt zeitlich nach den Synoptikern anzusetzen. Der so gewonnene Eindruck wird sich noch verstärken, wenn wir uns im Folgenden EvThom 37 zuwenden. In diesem Zusammenhang wird sich auch die koptische Textgestalt von EvThom 36 erklären lassen. Inhaltlich bleibt festzuhalten, dass EvThom 36 in seiner griechischen Fassung ganz auf der Linie der Q-Sorgensprüche liegt: Den um ihre leiblichen Bedürfnisse besorgten Jüngern sagt Jesus zu, dass Gott dafür schon sorgen wird. Diese optimistische Aussage verstärkt das griechische Logion EvThom 36 noch dadurch, dass es die skeptischen Nebentöne der Q-Redaktion wegfallen lässt (so Q 12,23) bzw. so umarbeitet, dass sie den ohnehin vorhandenen Optimismus der Q-Spruchreihe noch steigern (so Q 12,25). Insgesamt entsteht so in Pap Ox 655,I,1–17 eine Sprucheinheit, die katechismusartig verknappt die Fürsorge Gottes für Nahrung und Kleidung der Jünger, letzteres veranschaulicht am Beispiel der Lilien, zum Ausdruck bringt. Erst das folgende Logion EvThom 37 lässt diese Aussage noch in einem anderen Licht erscheinen. Das gilt schon für die griechische, mehr aber noch für die koptische Fassung. 2.6.9. Der Textbefund in EvThom 37 Vom Logion EvThom 37, wie es koptisch bezeugt ist, bietet Pap Ox 655,I,17–23 nur den Anfang, dann bricht der Papyrus etwa auf der Hälfte ab. Vom Rest ist nur ein θ in der zweiten Spalte zu lesen, das entweder in Entsprechung zum 544 als Teil der Personalendung von [ὄψεσ]θ[ε]545 oder ] koptischen [ mit Blick auf als Teil des Aoristzeichens in [φοβη]θ[ήσεσθε]546 interpretiert wird. Beides ist natürlich reine Spekulation, zumal wir gesehen 544 Gestützt auf die Fotografie bei Farid (Facsimile 2) und einen Mikrofilm der Claremont Graduate University (Institute for Antiquity and Christianity), schlägt Riley (Note, 180) die Lesung („ihr kommt“) vor. Dagegen verteidigt Meyer (Seeing, 414–416) aufgrund einer neuerlichen Untersuchung des Manuskripts die Lesung („ihr werdet sehen“) der kritischen Ausgaben: Guillaumont u. a., Thomas, 22; Layton, Codex II, 68; Meyer, Sayings, 38. 545 Vgl. Fitzmyer, Oxyrhynchus, 409; Kraft, Oxyrhynchus, 254–255; Ménard, EvThom, 136–137. 546 Vgl. Attridge, Fragments, 122.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

211

haben, dass der Text von Pap Ox 655 vom koptischen Zeugen zum Teil erheblich abweicht. In diesem Fall wissen wir nicht einmal, wie viele Zeilen auf Z.23 ursprünglich noch folgten und wie lang EvThom 37 dementsprechend auf Pap Ox 655 einmal war.547 Im erhaltenen Text sind noch drei Unterschiede festzustellen, von denen die ersten beiden kaum von Bedeutung sind. Pap Ox 655,I,17–18 bezeichnet mit dem Dativobjekt αὐτῷ, den angesprochenen Jesus, während ein im koptischen Text fehlt. Dass es Jesus ist, der antwortet entsprechendes (λέγει), erfährt man beim griechischen Zeugen nur aus dem Kontext, wäh).548 Der entscheidende rend der koptische ihn ausdrücklich nennt ( Unterschied liegt freilich zwischen ὅταν ἐκδύσησθε καὶ μὴ αἰσχυνθῆτε und . Je nachdem, wie man die koptische Phrase versteht, unterscheidet sie sich mehr oder weniger von der als circumsgriechischen. Grundsätzlich ist es möglich, die Form tantiale Transposition des negativen Perfekts vom Verb aufzufassen, wobei der Circumstantialkonverter vor dem silbischen der Konjugationsbasis = ausgefallen ist.549 Dann wäre zu übersetzen: „ohne dass ihr euch geschämt habt“550. Der Unterschied zur griechischen Version bestünde lediglich in der hypotaktischen Formulierung, nicht aber in der Sache.551 P. Nagel hat jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass der Schreiber von NHC II,2 „sowohl bei 547 Hurtado (Fragments, 27) wiederholt hier nur Kraft (Oxyrhynchus, 262) mit dem papyrologisch nicht weiter begründeten Ergebnis, dass „the papyrus once contained columns of about 30 lines each, with approximately 12–16 letters per line (usually 14–15)“. 548 Man könnte meinen, dass dadurch eine größere bzw. kleinere Zäsur signalisiert werden soll. Das ist aber an dieser Stelle auszuschließen, antwortet Jesus doch in jedem Fall direkt auf die ihm gestellte Frage. In vergleichbaren Dialogszenen innerhalb des koptischen Thomasevangeliums wird die Antwort Jesu einmal mit (EvThom 6,2; 12,2; 13,5; 18,2; 22,4; 37,2; 61,3; 104,2; 114,2) und einmal mit (EvThom 20,2; 21,2; 22,2; 24,2; 51,2; 52,2; 53,2; 60,2.4.6; 72,2; 91,2; 99,2; 100,2) eingeleitet, ohne dass sich ein struktureller Unterschied erkennen ließe. Anders steht es freilich in den wenigen Fällen, in denen ein neues Logion nur mit (EvThom 65,1; 74) bzw. (EvThom EvThom 1; 8,1) beginnt. Dass EvThom 1 zum Incipit hinzugehört, ist inzwischen die allgemeine Meinung; fraglich bleibt nur, ob hier Jesus selber spricht oder Thomas, der die Worte aufschreibt. In EvThom 74 kann Jesus schwerlich der Sprecher sein; denn nur er selbst kann sinnvollerweise mit „Herr“ ( ) angesprochen sein. In EvThom 8,1 und 65,1 spricht zwar eindeutig Jesus, aber gleichzeitig liegt eine inhaltliche Zäsur zum vorausgehenden Logion vor. Oder sind EvThom 7 und 8 sowie 64 und 65 jeweils enger zusammenzubinden? Es zeigt sich, dass die Abgrenzung der Logien nicht in allen Fällen so eindeutig vorzunehmen ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht umsonst divergieren die ersten Publikationen zum Thomasevangelium in der Einteilung und Zählung der Logien nicht unerheblich. Vgl. zu diesen Problemen Schenke, History, 16–21. 549 Vgl. Layton, Grammar, § 414; Plisch, Einführung, 81; Till, Grammtik, § 328. 550 So Schröter / Bethge, Thomas, 170 (im Haupttext). Entsprechend DeConick, EvThom, 35; Lambdin, Thomas, 69; Lelyveld, Logia, 83; Meyer, Text, 138; Valantasis, EvThom, 112. 551 Wie im Griechischen ein koordinierendes καί eine Subordination ersetzen kann (vgl. BDR § 442,4), gibt es umgekehrt im Koptischen den koordinierenden Umstandssatz, dessen Aussage „der Sache nach der des syntaktisch übergeordneten Satzes gleichgeordnet ist“ (Plisch, Einführung, 82; vgl. Layton, Grammar, § 428–429: „sequential circumstantial“).

212

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

als auch bei konsequent zwischen der Hauptsatzform und der konvertierten Form (mit ) unterscheidet“552, weshalb der Circumstantialis in diesem Fall ausgeschlossen sei. Dann bleibt nur noch die Möglichkeit, als und der substantivierten Infinitiv mit dem vorgesetzten Possessivartikel zum Objektanschluss gebrauchten Präposition (vor durch Lautassimilation ) zu verstehen. Der erste Teil des Konditionalsatzes heißt dann: „wenn ihr eure Scham ablegt“553. Dadurch entsteht gegenüber der Aussage des Griechen ein anderer Sinn. Während die Jünger in der griechischen Fassung konkret ihre Kleider ausziehen und dabei keine Scham empfinden, geht es in der koptischen abstrakt um das Ablegen der Scham.554 Um diese spiritualisierende Tendenz richtig einordnen zu können, müssen wir nach dem Sinn von EvThom 37 im Ganzen fragen. 2.6.10. Literarische und historische Verortung Die nächste Parallele findet sich bei Clemens von Alexandrien, der bei Julius Cassianus555 einen Ausspruch aus dem Ägypterevangelium556 identifiziert (Clem. str. 3,92), welcher das Motiv vom Trampeln auf den Kleidern mit der erstrebten Einswerdung von Männlichem und Weiblichem in Verbindung bringt. Dieses Motiv führt zu zwei weiteren Stellen, die in diesem Zusammenhang interessant sind, EvThom 22 und 2 Clem. 12,2.6. Folgende Gegenüberstellung mag den Überblick erleichtern.557

552 Nagel, Neuübersetzung, 237 mit Verweis auf die Haupsatzkonjugation in EvThom 9,3; 17; 28,2; 57,3; 79,3; 85,1 sowie die circumstantialen Formen in EvThom 92,2; 79,3 und in 19,1; 21,5; 103. 553 So Lüdemann/Janssen, Bibel, 138; Schröter/Bethge, Thomas, 170, Anm. 100. Entsprechend Fieger, EvThom, 129; Guillaumont u. a., Thomas, 23; Leipoldt, Evangelium, 37; MacDonald, Male, 19; Martin, EvThom, 142; Quecke, Thomas, 52. 554 Eine dritte Übersetzungsvariante bietet Ménard, EvThom, 62: „Lorsque (ὅταν) vous mettrez à nu votre honte“. So verstanden, ist die Scham nicht das Objekt, das wie ein Kleid abgelegt wird, sondern dasjenige, das wie ein bekleideter Mensch nackt ausgezogen, d. h. freigelegt, aufgedeckt oder enthüllt wird. Das Verb kann sich tatsächlich auf beiderlei Objekt beziehen. Aber welchen Sinn sollte es haben, das Schamgefühl aufzudecken? Blatz (Thomasevangelium, 105) übersetzt: „Wenn ihr eure Scham nackt gemacht habt“. Bei dieser Formulierung denkt man im Deutschen an die weibliche Vulva; diese Bedeutung kann aber das koptische Nomen offenbar nicht annehmen (vgl. Crum, Dictionary, s. v.; Westendorf, Handwörterbuch, s. v.). 555 Nach Clem. str. 3,91–93 ist Julius Cassianus ein Enkratit, Schüler des Valentinus und das „Haupt des Doketismus“ (ὁ τῆς δοκήσεως ἐξάρχων); vgl. Borengässer, LThK3 5, 1082; Grillmeier, Jesus 1, 188. 556 Dieses Ägypterevangelium (Clem. str. 3,93: ἐν τῷ κατ’ Αἰγυπτίους [sc. εὐαγγελίῳ]) ist nicht mit der Schrift in NHC III,2 und IV,2 identisch, die im Kolophon NHC III,2 p.69,6 „das ägyptische Evangelium“ ( ) heißt. 557 Vgl. MacDonald, Male, 18–23.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

213

Z. EvThom 22

EvThom 37

Clem. str. 3,92 (Ägypterevangelium)

2 Clem. 12,2.6

1

(1)

πυνθανομένης τῆς Σαλώμης πότε γνωσθήσεται τὰ περὶ ὧν ἤρετο, ἔφη ὁ κύριος·

(2) ἐπερωτηθεὶς ὑπό τινος πότε ἥξει αὐτοῦ ἡ βασιλεία, εἶπεν·

(2)

ὅταν τὸ τῆς αἰσχύνης ἔνδυμα

(1)

(2)

(3)

2

3

4

(1)

(2)

(3)

5

πατήσητε

214

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Z. EvThom 22

6

EvThom 37

(4)

Clem. str. 3,92 (Ägypterevangelium)

2 Clem. 12,2.6

καὶ ὅταν γένηται τὰ δύο ἓν

ὅταν ἔσται τὰ δύο ἕν,

7

καὶ τὸ ἔξω ὡς τὸ ἔσω,

8

9

(5)

καὶ τὸ ἄρρεν μετὰ τῆς θηλείας οὔτε ἄρρεν οὔτε θῆλυ.

καὶ τὸ ἄρσεν μετὰ τῆς θηλείας οὔτε ἄρσεν οὔτε θῆλυ.

10 (6)

11 (7)

(3) [ ][

]

[

]

(6) ταῦτα ὑμῶν ποιούντων, φησίν, ἐλεύσεται ἡ βασιλεία τοῦ πατρός μου.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

215

Z. EvThom 22

EvThom 37

Clem. str. 3,92 (Ägypterevangelium)

2 Clem. 12,2.6

1

(1) Es sagten seine Jünger: „An welchem Tag wirst du dich uns zeigen, und an welchem Tag werden wir dich sehen?“

Als Salome fragte, wann die Dinge erkannt würden, nach denen sie gefragt hatte, sprach der Herr:

(2) Gefragt von jemandem, wann sein Reich kommen werde, sagte er:

2

(2) Jesus sagte: „Wenn ihr eure Scham ablegt

„Wenn ihr das Gewand der Scham

3

und eure Kleider nehmt und sie unter eure Füße legt

(1) Jesus sah kleine (Kinder), die gesäugt wurden. (2) Er sagte zu seinen Jüngern: „Diese Kleinen, die gesäugt werden, gleichen denen, die in das Königreich eingehen.“ (3) Sie sagten zu ihm: „Werden wir als Kleine ins Königreich eingehen?“

4

(1) Jesus sah kleine wie kleine Kinder (Kinder), die gesäugt wurden. (2) Er sagte zu seinen Jüngern: „Diese Kleinen, die gesäugt werden, gleichen denen, die in das Königreich eingehen.“ (3) Sie sagten zu ihm: „Werden wir als Kleine ins Königreich eingehen?“

5

und darauf trampelt,

6

(4) Es sagte Jesus zu ihnen: „Wenn ihr die zwei zu einem macht;

mit Füßen tretet und wenn die Zwei eins werden

„Wenn die zwei eins sein werden,

216

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Z. EvThom 22

7

und wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere

8

und das Obere wie das Untere;

9

(5) und (zwar) damit ihr das Männliche und das Weibliche zu einem einzigen macht, damit das Männliche nicht männlich ist und das Weibliche nicht weiblich ist;

EvThom 37

Clem. str. 3,92 (Ägypterevangelium)

2 Clem. 12,2.6

und das Äußere wie das Innere,

und das Männliche mit dem Weiblichen, weder männlich noch weiblich.“

und das Männliche mit dem Weiblichen, weder männlich noch weiblich.“

10 (6) wenn ihr Augen macht anstelle eines Auges und eine Hand anstelle einer Hand und einen Fuß anstelle eines Fußes, ein Bild anstelle eines Bildes, (3) dann werdet ihr 11 (7) dann werdet ihr eingehen in das sehen den Sohn des Lebendigen, und Königreich.“ ihr werdet euch nicht fürchten.“

(6) „Wenn ihr das tut“, sagte er, „wird das Königreich meines Vaters kommen.“

Um die Pointe dieses Spruches in seinen unterschiedlichen Versionen richtig zu erfassen, ist es notwendig, die einzelnen Elemente genau zu bestimmen. Zunächst fällt auf, dass die Antwort Jesu in unterschiedlichen Fragesituationen verortet, d. h. der ursprüngliche Sitz im Leben Jesu und seiner Jünger literarisch unterschiedlich bestimmt wird (Z.1 und 11). EvThom 22,1–3 könnte sich zu jedem Zeitpunkt im Wirken des irdischen Jesus ereignet haben. EvThom 37,1 lässt an eine vorösterliche Abschiedsszene denken, in der die Jünger den Zeitpunkt des Wiedersehens mit Jesus erfragen, vergleichbar mit den johanneischen Abschiedsreden (vgl. Joh 14,19; 16,10.16–18). Das kurze Zitat aus dem Ägypterevangelium gibt den Anlass der Frage nicht zu erkennen, weil unklar bleibt, welches die Dinge sind, nach denen Salome zuvor gefragt hatte, und weil in der

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

217

Antwort Jesu das dem gefragten πότε (Z.1) entsprechende τότε mit dem dazugehörigen Hauptsatz in Z.11 fehlt. Die Frage in 2 Clem. 12,2, wann das Reich Jesu kommen werde, erinnert an die nachösterliche Situation in Apg 1,6, in der die Jünger Jesus fragen: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Königreich für Israel wieder her?“ Gegen eine solche nachösterliche Verortung spricht allerdings die unbestimmte Einleitung, dass Jesus von irgend jemandem, d. h. wahrscheinlich nicht von einem der Jünger, gefragt worden sei. Diese Situation lässt sich wohl nur vor Ostern denken, weil der nachösterliche Jesus sonst immer im Kreis der Jünger auftritt und nur mit ihnen spricht. Auch die von den Jüngern angesprochenen Themen sind unterschiedlich. Richtet sich die Frage in EvThom 37 und dem Ägypterevangelium auf Offenbarung, Sehen und Erkenntnis Jesu bzw. der zuvor besprochenen Dinge, geht es in EvThom 22 und 2 Clem. 12,2.6 um das Königreich (Jesu), und zwar mit zwei verschiedenen Zielrichtungen. Dabei ist einmal die Frage, unter welchen Umständen man in das Königreich hineinkommt (EvThom 22,3.7), das andere Mal, wann das Königreich Jesu zu den Jüngern herkommt (2 Clem. 12,2.6); im einen Fall ist das Königreich als jenseitiges Ziel der Jünger gedacht, im anderen als eine ins Diesseits hereinbrechende Größe. Beide Aspekte darf man aber wohl als zwei Seiten einer Medaille betrachten; so bedingt nach Mk 10,15 das eine das andere: „Wer das Königreich Gottes [in dieser Welt] nicht annimmt wie ein Kind, wird [in jener Welt] nicht in es hineinkommen“ (ὃς ἂν μὴ δέξηται τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ ὡς παιδίον, οὐ μὴ εἰσέλθῃ εἰς αὐτὴν). Demgegenüber verrät die Frage in EvThom 37,1 nichts darüber, wie sich die Jünger Ort und Zeit der Wiederbegegnung mit Jesus vorstellen. Verschiedentlich ist versucht worden, EvThom 37 einen historischen Sitz im Leben der frühchristlichen Gemeinde zuzuweisen. Dabei wurde an liturgische Riten gedacht, in deren Verlauf man sich nackt auszog, um im Taufwasser ganz untergetaucht bzw. am ganzen Leib gesalbt zu werden. So identifiziert J.Z. Smith in EvThom 37 „four closely related elements within the passage: (1) the undressing of the disciples, (2) their being naked and unashamed, (3) their treading upon the garments, and (4) their being as litte children“558, und weist diese vier Elemente einzelnen Etappen im Taufvorgang zu. Dagegen erkennen A.D. DeConick und J. Fossum in EvThom 37 „three principal motifs: 1) stripping off the garments without shame; 2) treading upon them like children; and 3) gaining the capacity to see the Son of God without fear“559. Diese Motive reflektierten möglicherweise einen Salbungsritus, der aber jedenfalls nicht zusammen mit der Taufe begangen worden sei.560 Die gegensätzlichen Deutungen weisen darauf hin, dass EvThom 37 für einen ganz bestimmten Sitz im Leben der Gemeinde keine ein-

558

Smith, Garments, 218. DeConick/Fossum, Stripped, 123. 560 Vgl. DeConick/Fossum, Stripped, 139–140. 559

218

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

deutigen Anhaltspunkte bereithält.561 So zieht M. Lelyveld den richtigen Schluss, dass „l’EvTh ne présente aucun indice qui pourrait prouver qu’il soit l’écrit d’une communauté cultuelle“562. Dadurch wird es aber auch unwahrscheinlich, dass in dem Logion „wirkliche Kleider gemeint“563 sind, weil deren Ablegen nur in einem rituellen Zusammenhang als soteriologisch relevante Symbolhandlung sinnvoll zu deuten wäre. Wenn überhaupt, könnte man das griechische Fragment so verstehen, weil man beim Stichwort ἐκδύεσθαι, zumal im Anschluss an EvThom 36, natürlich zunächst an wirkliche Kleider denkt. Fehlt auch dort schon der Rahmen, der eine konkrete Entkleidung sinnvoll erscheinen lässt, so ) in der koptischen Fassung – die oben bezieht sich „ausziehen“ ( erläuterte Textauffassung vorausgesetzt – auf das Ablegen der Scham ( ) und wird damit in einem übertragenen Sinne verstanden. Eindeutig ist dieser Sinn im Ägypterevangelium mit dem Ausdruck „das Gewand der Scham“ (τὸ τῆς αἰσχύνης ἔνδυμα – Z.2). 2.6.11. Das Ablegen der Kleider und der Scham Was die ideengeschichtliche Einordnung der Motive in EvThom 37 anbelangt, ist sich die Forschung weitgehend darin einig, dass wir es hier mit einem „Stück spätantiker jüdisch / christlicher Genesisspekulation“564 zu tun haben: „Nach 1. Mose 2,25 sind Adam und Eva (‚der Mensch und seine Frau‘) im Paradies vor dem Sündenfall nackt und schämen sich nicht; nach 1. Mose 3,7 erkennen beide 561 Dagegen hat die von Paulus aufgenommene Tradition ihren Sitz im Leben ausdrücklich in der Taufe; vgl. Gal 3,27–28: ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, Χριστὸν ἐνεδύσασθε. οὐκ ἔνι Ἰουδαῖος οὐδὲ Ἕλλην, οὐκ ἔνι δοῦλος οὐδὲ ἐλεύθερος, οὐκ ἔνι ἄρσεν καὶ θῆλυ· πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. 1 Kor 12,13: καὶ γὰρ ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν, εἴτε Ἰουδαῖοι εἴτε Ἕλληνες εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι, καὶ πάντες ἓν πνεῦμα ἐποτίσθημεν. Dasselbe darf aufgrund des traditionsgeschichtlichen Zusammenhangs auch für Kol 3,10–11 (und eventuell Eph 6,8) angenommen werden. Vgl. MacDonald, Male, 5–16 (mit Forschungsüberblick); Meeks, Image, 180–183. 562 Lelyveld, Logia, 84; ebenso Meeks, Image, 196: „If cultic acts play any part in this process, they go unmentioned in the Gospel of Thomas.“ 563 So Plisch, EvThom, 115. Dagegen Kee, Child, 310. Abwegig erscheint die Deutung von Chadwick, Enkrateia, 352: „Wahrscheinlich betrachteten die Gnostiker, die dieses EvangelienFragment lasen, Nacktkultur als den Idealzustand (vgl. die Adamiten bei Epiphan. pan. 52).“ Bei Epiphanios wird das Thomasevangelium weder erwähnt noch zitiert; ob er oder die von ihm beschriebenen gnostischen Gruppen es kannten, muss daher höchst zweifelhaft bleiben (vgl. Dummer, Epiphanios). 564 Plisch, EvThom, 115. So sieht z. B. auch Smith (Garments, 218) den Ursprung von EvThom 37 nicht nur im Taufritus, sondern in einer „attendant interpretation of Genesis 1–3“. Ersteres lehnt Lelyveld (Logia, 84) ab, Letzterem stimmt sie zu: „De toute la liturgie baptismale proprement dite, le Logion n’a aucune trace. Nous suivons donc l’explication adamologique de Smith mais, suite à l’objection soulevée, nous hésitons à voir dans le Logion une description de liturgie baptismale“. Ähnlich DeConick/Fossum, Stripped, passim. Vgl. auch DeConick, EvThom, 153; dies., Recovering, 188–189; Martin, EvThom, 142–143; Nordsieck, EvThom, 156.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

219

nach dem Sündenfall ihre Nacktheit und bedecken sich (aus Scham) mit provisorischen Kleidern und in 1. Mose 3,10 bekennt Adam: ‚ich fürchtete mich, denn ich bin nackt‘. Auch die Wendung ‚unter die Füße legen und darauf treten‘ hat einen Anhalt im ersten Buch der Bibel: Gottes Befehl in 1. Mose 1,28, sich die Erde untertan zu machen, lautet nach dem hebräischen Text wörtlich, ‚sie unter die Füße zu treten‘ (hebräisch kbš als starker Ausdruck für Herrschaftsausübung).“565 In der Analogie der Motive wird jedoch nicht nur die Ähnlichkeit, sondern auch die Unähnlichkeit mit den hier besprochenen Texten deutlich. EvThom 37,2 (griechisch) steht der Vorstellung der biblischen Sündenfallgeschichte am nächsten: Die Jünger haben einen paradiesischen Urzustand wie vor dem Sündenfall erreicht, wenn sie ihre Kleider ausziehen (können) und sich dennoch nicht voreinander schämen (müssen). Abstrakter spricht EvThom 37,2 (koptisch) vom in Z.3 explikativ verstehen darf – im Ablegen der Scham, das – wenn man machtvollen Niedertreten der Kleider seinen Ausdruck findet; demnach hängt die Scham – anders als in Gen 2–3 – nicht an der Nacktheit, sondern an der Kleidung. Im Ägypterevangelium ist die Pointe gegenüber der Genesiserzählung vollends umgedreht: Die Bekleidung hilft nicht gegen die Scham, sondern bedingt sie als „Gewand der Scham“ überhaupt erst. Die Formulierung des Ägypterevangeliums wirkt wie ein verkürzter Ausdruck von EvThom 37,2 (koptisch):566 Aus dem Ablegen der Scham und dem Trampeln auf den Kleidern ist das Treten des Schamgewandes mit den Füßen geworden (Z.2.3.5). In beiden Fällen können jedenfalls nicht mehr wirkliche Kleider gemeint sein. Um was für Kleider handelt es sich aber dann? Was das Niedertreten des Schamgewandes bedeutet, wird im Ägypterevangelium, jeweils durch ein explikatives καί angeschlossen, zweifach erläutert (Z.6.9): Die Zwei, d. h. auf dem Hintergrund der Genesis Mann und Frau, werden eins, so dass es das Männliche nur noch zusammen mit dem Weiblichen oder, besser gesagt, weder Männliches noch Weibliches mehr gibt. Die Scham hat ihren Grund also in der Geschlechterdifferenz, und diese gründet ihrerseits in der leiblichen Verfasstheit des Menschen. Das Gewand der Scham ist demnach der sexuell ausdifferenzierte, d. h. der männliche oder weibliche, Leib des Menschen.567 Dahinter steht die Vorstellung, 565 Plisch, EvThom, 115. Die genannten Korrespondenzmotive widerlegen Zöcklers Behauptung, das Thomasevangelium bleibe „die Anzeichen einer Adamsspekulation schuldig“ (Lehren, 233). 566 Wollte man aufgrund dieser Beobachtung eine literarische Abhängigkeit behaupten, müsste der Verfasser des Ägypterevangeliums eine Textfassung von EvThom 37 gekannt haben, welche der griechischen Vorlage des koptischen Logions ziemlich genau entsprochen hätte. Dies ist nicht auszuschließen, aber auch durch nichts zu beweisen. Dagegen ist sich Quispel (Makarius, 91) sicher: „Hier ist das Ägypterevangelium gewiss ursprünglicher.“ Zwingende Gründe bleibt er indes schuldig. 567 Die Deutung des Gewandes als Leib des Menschen kann an Gen 3,21 anknüpfen, wo Gott Adam und seiner Frau „Kleider aus Haut (Fell, Leder)“ (ğ˟ęġ˟ėġó ˓û – χιτῶνας δερματίνους) macht (vgl. Philo Quaest in Gen 1,53). Nach späteren, rabbinischen Quellen hatten Adam und

220

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

dass der Mensch seinem ursprünglichen geistigen Wesen nach androgyn oder, besser gesagt, geschlechtslos ist, so z. B. bei Philon568 (Op Mund 134): „Hierauf sagt er [sc. Mose]: ‚Gott bildete den Menschen, indem er Staub von der Erde nahm, und blies ihm ins Angesicht den Hauch des Lebens‘ (1 Mos. 2,7). Hiermit zeigt er ganz klar, dass ein sehr grosser Unterschied besteht zwischen dem Menschen, der jetzt gebildet wurde, und dem, der früher nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen war [Gen 1,26–27]; denn der jetzt gebildete Mensch war sinnlich wahrnehmbar, hatte schon eine bestimmte Beschaffenheit, bestand aus Körper und Seele, war Mann oder Weib und von Natur sterblich (ἐκ σώματος καὶ ψυχῆς συνεστώς, ἀνὴρ ἢ γυνή, φύσει θνητός); dagegen war der nach dem Ebenbilde Gottes geschaffene eine Ιdee oder ein Gattungsbegriff oder ein Siegel, nur gedacht, unkörperlich, weder männlich noch weiblich, von Natur unvergänglich (ἰδέα τις ἢ γένος ἢ σφραγίς, νοητός, ἀσώματος, οὔτ’ ἄρρεν οὔτε θῆλυ, ἄφθαρτος φύσει).“569

Der aus Staub gebildete und mit dem Lebensodem begabte „erste Mensch“ ist nach Philon zwar aus Leib und Seele zusammengesetzt und deshalb auch geschlechtlich. Er unterliegt aber als einziges Exemplar seiner Gattung trotzdem noch nicht der Dualität von Männlichem und Weiblichem, sondern repräsentiert als einzelner Mann den perfekten Menschen und die Einheit des ganzen Menschengeschlechts (Op Mund 136): „Jener erste Mensch (ὁ πρῶτος ἄνθρωπος) aber, der erdgeborene, der Stammvater unseres ganzen Geschlechts, war, wie mir scheint, der vorzüglichste Mensch, sowohl hinsichtlich der Seele als des Körpers, und übertraf die Nachkommen in hohem Grade durch ausserordentliche Vorzüge beider Teile seines Wesens.“570

Erst mit der Erschaffung der Frau erhält die Männlichkeit des ersten Menschen ihr Gegenstück und entsteht die verhängnisvolle Dualität der Geschlechter, die sich alsbald in der Sünde auswirkt (Op Mund 151): „Die Veranlassung zum sündhaften Leben gab ihm das Weib. Solange er nämlich für sich allein (εἷς) war, glich er in seinem Alleinsein (κατὰ τὴν μόνωσιν) der Welt und Gott und prägte in seiner Seele die Wesenscharaktere beider aus, nicht alle, aber soviel davon ein sterbliches Wesen in sich aufzunehmen vermag.“571

Die protologisch-ontologische Aussage über die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen wird auf diese Weise hamartiologisch gewendet. Schon in der Septuaginta hat der Sündenfall die Erkenntnis der Nacktheit und damit zugleich die Scham zur Folge. Beides ist durch den Begriff der Erkenntnis eng mit der Geschlechtlichkeit verbunden: Wie Mann und Frau „erkannten, dass sie nackt waren“ (ἔγνωσαν Eva zuvor „Kleider aus Licht“ (ğ˟ćġ˟ėġ˓û ), eine Spekulation, die durch das Wortspiel aus ğ˟ę und ğ˟ć begünstigt wurde (vgl. BerR 20,12). Vgl. Meeks, Image, 187; Smith, Garments, 231–232. 568 Vgl. grundlegend Klijn, Single One, 276–278; ebenso Kee, Child, 308; MacDonald, Male, 26–30; Patterson, Plato, 190–191. 569 Übersetzung von J. Cohn in: Cohn u. a., Philo 1, 74–75. 570 Übersetzung von J. Cohn in: Cohn u. a., Philo 1, 75. 571 Übersetzung von J. Cohn in: Cohn u. a., Philo 1, 81.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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ὅτι γυμνοὶ ἦσαν – Gen 3,7), so „erkannte Adam Eva“ (Αδαμ δὲ ἔγνω Ευαν – Gen 4,1), indem er mit ihr schlief. Die Septuaginta übersetzt die hebräische Wurzel ęĊĐ an beiden Stellen konkordant mit γινώσκειν,572 obwohl das griechische Verb im Unterschied zum hebräischen sonst nicht den Geschlechtsverkehr bezeichnet. Dies lässt darauf schließen, dass den Übersetzern der begriffliche Zusammenhang beider Stellen bewusst und wichtig war.573 Adam und Eva, oder allgemein Mann und Frau, schämen sich – so verstanden – nicht ihrer Sünde oder ihrer Nacktheit im allgemeinen, sondern insbesondere ihrer Geschlechtlichkeit. Die hamartiologische Aussage hat insofern auch eine ontologische Komponente, als damit etwas über das Wesen und die Auswirkung der Sünde gesagt wird, die in der leiblich-sexuellen Verfasstheit des Menschen gründet und durch die Erkenntnis dieser Verfasstheit Scham bewirkt. Das Gewand der Scham mit Füßen zu treten, heißt dann nichts anderes, als sich von dieser leiblich-sexuellen Verfasstheit zu distanzieren und so in den paradiesischen Urzustand zurückzukehren, in dem es noch keine Sünde und deshalb auch keine Erkenntnis der Geschlechterdifferenz gab. Diesen Urzustand repräsentieren beide ursprünglichen Menschen bei Philon je auf ihre Weise: einerseits der nach dem Ebenbild Gottes geschaffene Mensch, der als rein geistiges Wesen keinen Leib und damit auch kein Geschlecht hat; andererseits der „erste Mensch“, der zwar aus Leib und Seele zusammengesetzt und deshalb auch geschlechtlich ist, an dem sich aber die Dualität der Geschlechter aufgrund seiner Einzigkeit noch nicht auswirkt.574 2.6.12. Die kleinen Kinder Nun ist in EvThom 37 weder vom „Gewand der Scham“ (Z.2–3) noch von der Überwindung der Geschlechterdifferenz (Z.9) ausdrücklich die Rede. Aber der Gedanke daran ist dennoch präsent, nämlich im Vergleich der Jünger mit „kleinen Kindern“ (Z.4). Diese sind sich ihrer Geschlechtlichkeit ebenso wenig bewusst wie Adam und Eva vor dem Sündenfall, und insofern sie noch nicht sexuell 572 Dasselbe gilt auch für Gen 2,9.17; 3,5, wo mit ęĊĐ bzw. γινώσκειν (Gen 2,9: εἰδέναι γνωστόν) jeweils die Erkenntnis von Gut und Böse bezeichnet wird. 573 Umgekehrt lässt sich für den hebräischen Text nicht mit Sicherheit sagen, ob die Verwendung derselben Wurzel bewusst die Herstellung eines Motivzusammenhangs bezweckte, weil ęĊĐ einfach beide Bedeutungen annehmen kann. 574 Deshalb lässt sich auch EvThom 114 ganz im Sinne von EvThom 22,5 verstehen; vgl. Petersen, Werke, 296: „Die egalitäre Formulierung von Logion 22 und die hierarchische von Logion 114 stehen […] nicht in einem inhaltlichen Gegensatz, sondern sind unterschiedliche Formen, das Ideal geschlechtsloser Geistigkeit sprachlich zu artikulieren.“ Die Formulierung von EvThom 22,5 entspricht Philons Konzept vom geistigen Idealmenschen, diejenige von EvThom 114 seiner Vorstellung vom ersten perfekten Menschen in seiner Einzigkeit. Vgl. DeConick, Seek, 18–20; Eisele, Ziehen, 409–412; Grant / Freedman, Worte, 180–181; Meyer, Mary, 562.567; Nordsieck, EvThom, 387–388; Petersen, Werke, 174–175. Dagegen Marjanen, Disciples, 101–104; Vielhauer, Hintergrund, 298; Zöckler, Lehren, 232.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

aktiv sind, wirkt sich ihre geschlechtliche Prägung an ihnen ebenso wenig aus wie an Adam vor der Erschaffung der Frau. Diese Erklärung wird durch einen Blick auf EvThom 22 bestätigt. Dort antwortet Jesus auf die Frage der Jünger, ob sie als Kleine (d. h. als Kinder) in das Königreich eingehen werden (Z.4), indem er als Voraussetzung dafür die Überwindung der Geschlechterdifferenz nennt (Z.9). Nun steht diese zwar in einer Reihe von insgesamt vier Gegensatzpaaren (Z.6–9), jedoch im Sinne einer Klimax, in der das letzte Glied durch den außerals Ziel der ganzen Reihe hervorgehogewöhnlichen Anschluss mit ben wird. Dieser Eindruck wird dadurch noch verstärkt, dass die zwei Hälften dieses letzten Gliedes nicht, wie beim zweiten Glied der Reihe in Z.7, mit einem , sondern mit einem finalen , welches koordinierenden synonym wieder aufnimmt, miteinander verbunden sind. Dadurch entsteht in EvThom 22,4–5 (Z.6–9) eine Aussagereihe mit einem deutlichen Achtergewicht,575 das sprachlich klar markiert ist. EvThom 22,5 (Z.9) ist also keineswegs nur „ein Glied in einer Reihe der zu vereinenden Gegensätze […], die unter der verallgemeinernden Formel ‚Zwei-zu-eins-Machen‘ zur Einheit zusammengefaßt sind.“576 Deshalb geht es in EvThom 22,4–5 auch nicht „um die Aufhebung des Denkens und Wahrnehmens in Gegensätzen überhaupt“577, sondern letztendlich – von der syntaktisch hervorgehobenen Zielbestimmung her – um die Aufhebung der Geschlechterdifferenz als der entscheidenden Voraussetzung dafür, dass die Jünger in das Königreich (Gottes) eingehen werden.578 So paradox es klingen mag, aber diese Pointe von EvThom 22,4–5 ist klar, auch wenn sich der Sinn der vorausgehenden Glieder (Inneres und Äußeres, Oberes und Unteres)579 575 Diese Möglichkeit scheint Zöckler (Lehren, 233) gar nicht zu bedenken, wenn er anmerkt, „daß der Gegensatz männlich-weiblich gar nicht am Anfang des Logions steht, sondern erst an vierter Stelle, nach den Bedingungen ‚Zwei-zu-eins-machen‘, ‚Inneres-wie-Äußeres-‘ und ‚Oberes-wie-Unteres-Machen‘“. 576 Zöckler, Lehren, 233. 577 Zöckler, Lehren, 238. 578 Von der Aufhebung der Geschlechtlichkeit im Eschaton zeugt auch Mk 12,25: „Wenn sie nämlich von den Toten auferstehen, heiraten sie weder, noch werden sie verheiratet, sondern sie sind wie Engel in den Himmeln“ (ὅταν γὰρ ἐκ νεκρῶν ἀναστῶσιν οὔτε γαμοῦσιν οὔτε γαμίζονται, ἀλλ’ εἰσὶν ὡς ἄγγελοι ἐν τοῖς οὐρανοῖς). Freilich besteht ein wesentlicher Unterschied darin, dass die Geschlechtslosigkeit in EvThom 22 nicht einfach den eschatologischen Zustand des Menschen beschreibt, sondern zur entscheidenden Voraussetzung für seinen Einzug ins eschatologische Königreich gemacht wird. Vgl. Pratscher, 2 Clem., 164. 579 Es handelt sich hierbei um frei umlaufende Motive, die auch unabhängig von der Vereinigung der Zwei und der Aufhebung der Geschlechterdifferenz belegt sind. Dies spricht dafür, dass sie nicht im Ägypterevangelium gegenüber EvThom 22,4–5 ausgelassen wurden (gegen Zöckler, Lehren, 235), sondern dass umgekehrt die einzelnen Motive in EvThom 22,4–5 aus unterschiedlichen Quellen zusammengeflossen sind. Vgl. EvPhil 69a (übersetzt von H.-M. Schenke in: NHD 1, 202): „Des[wegen] sagte er: ‚Ich bin gekommen, um [das Untere] gleich dem Oberen [und das] Äußere gleich dem [Inneren] zu machen; [und, um] sie an jenem Orte [zu vereinigen, wirke ich an] diesen Orten‘ – durch Symbole [und Bilder].“ ActPetr 38 (übersetzt von W. Schneemelcher in: NTApo6 2, 287): „Darüber sagte der Herr im Geheimnis: ‚Wenn ihr nicht das Rechte macht wie das Linke und das Linke wie das Rechte und das Obere wie das

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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im einzelnen nicht genau bestimmen lässt. Zugleich ist damit geklärt, inwiefern es gerade die kleinen Kinder sind, welche in das Königreich eingehen werden. EvThom 22,6 (Z.10) ist vom Vorausgehenden durch den Neueinsatz mit , das aus Z.6 aufgenommen wird, merklich abgesetzt, vertieft aber dieselbe Pointe mittels eines anderen Motivs, das in den verglichenen Sprüchen einzigartig ist. Bemerkenswert ist indes, dass in Mk 9,42–50/ / Mt 18,6–9, wo die Jünger als die „Kleinen“ (μικροί) bezeichnet werden (vgl. EvThom 22,1–3: ), ebenfalls direkt danach vom rechten Umgang mit Auge, Hand und Fuß die Rede ist. Beide Male geht es darum, wie die Jünger in das Königreich bzw. (gleichbedeutend damit) in das Leben eingehen können. Die Anweisungen sind freilich unterschiedlich: Während nach Markus und Matthäus jegliches Hindernis auf dem Weg dorthin radikal zu verwerfen ist – und seien es Auge, Hand oder Fuß –, müssen diese Körperteile nach EvThom 22,6 eingetauscht und durch andere Augen, eine andere Hand und einen anderen Fuß ersetzt werden. Außerdem wird diese Aufzählung um erweitert, so dass parallel zu EvThom 22,4–5 wieder eine viergliedrige Reihe entsteht. Es an dieser Stelle mit „Gestalt“ oder „Gesicht“ zu wurde vorgeschlagen, übersetzen, weil es sich ebenfalls um ein Körperteil handeln müsse.580 Das ist möglich, aber nicht zwingend. Besser versteht man die Reihe wohl wieder als Klimax, in welcher das letzte Glied das Ziel der Veränderungen vorgibt; dann ist die Wiedergabe mit „Bild“ vorzuziehen. So verstanden, lässt sich die zweite Reihe ganz analog zur ersten verstehen: Ging es dort darum, dem idealen oder ersten Menschen durch die Überwindung der Geschlechtlichkeit ähnlich zu werden, so wird hier der abbildhafte Mensch in all seinen Teilen durch den urbildlichen ersetzt. Dabei ist zu beachten, dass das Lehnwort im Koptischen die Doppeldeutigkeit des griechischen εἰκών bewahrt hat, welches mit der Grundbedeutung „Bild“ sowohl das Urbild als auch das Abbild bezeichnen kann.581 Hier wie dort kann ein philonischer Gedanke Pate gestanden haben. Demgemäß wurde die Welt nach einem detailgetreuen idealen Modell erschaffen.582 Was aber auf den Makrokosmos zutrifft, das gilt mutatis mutandis auch für den Menschen Untere und das Hintere wie das Vordere, so werdet ihr das Reich (Gottes) nicht erkennen.‘ “ ActPhil 140 (übersetzt von W. Schneemelcher in: NTApo6 1, 177): „Denn der Herr sagte zu mir: Wenn ihr nicht machen werdet euer Unteres zum Oberen und das Linke zum Rechten, werdet ihr nicht in mein Reich eingehen.“ Nicht als Herrenwort, sondern aus dem Mund des Thomas begegnet dasselbe in ActThom 147 (übersetzt von H.J.W. Drijvers in: NTApo6 2, 360): „Das Innere habe ich zum Äußeren gemacht und das Äußere , und deine ganze Fülle wurde in mir zur Erfüllung gebracht.“ Da diese Sprüche keinen unmittelbaren Bezug zu EvThom 37 haben, können wir sie hier beiseite lassen. 580 Vgl. Plisch, EvThom, 92, Anm. 6; Schröter/Bethge, Thomas, 168. 581 Vgl. die Doppeldeutigkeit des Begriffs in EvThom 83–84, der in EvThom 83,1 das sichtbare Abbild, in EvThom 84,2 hingegen die verborgenen Urbilder im Unterschied zum mit („Ähnlichkeit“) bezeichneten Abbild meint. Dieselbe Doppeldeutigkeit findet sich z. B. auch bei Philo Op Mund 17.25.31 (vgl. dazu Eisele, Reich, 178–179). 582 Vgl. Philo Op Mund 17–20.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

als Mikrokosmos.583 So könnte es EvThom 22,6 darum zu tun sein, den abbildhaften, leiblich existierenden Menschen detailgetreu in seinen urbildlichen Zustand umzuwandeln.584 Die Formulierung spricht dafür, dass dabei nicht generell jede Leiblichkeit abgestreift, sondern eine andere Art von Leiblichkeit angestrebt wird.585 Modell stünde also, philonisch gesprochen, nicht eigentlich der ideale, leiblose Mensch, sondern der erste Mensch in seiner vollendeten leibseelischen Verfasstheit. Freilich steht und fällt die Auslegung von EvThom 37 im Lichte von EvThom 22 mit der Erwähnung der kleinen Kinder in EvThom 37,2 (Z.4), die hier oft als deplatziert empfunden wurde.586 Denn man kann vielleicht noch das spielerische Ausziehen der Kleider als typisch kindliche Verhaltensweise erklären, das Ablegen der Scham (nach der hier bevorzugten Textauffassung) aber schon nicht mehr, und jedenfalls nicht das Herumtrampeln auf den Kleidern. Auf der Bildseite des Vergleichs ergibt dieses Verhalten keinen Sinn. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Vergleich mit den kleinen Kindern an dieser Stelle von vornherein allegorisch gemeint war. Nicht weil kleine Kinder auf ihren Kleidern herumtrampeln, sollen die Jünger dasselbe auch tun, sondern sie sollen es tun, weil sie dadurch zum ursprünglich menschlichen Zustand geschlechtlicher Indifferenz zurückfinden und insofern wie kleine Kinder werden. Das Motiv der kleinen Kinder (Z.4) scheint nachträglich in EvThom 37 eingefügt worden sein, um eine Verbindung zu EvThom 22 herzustellen und ein Verständnis von EvThom 37 im Sinne jenes anderen Spruches anzuregen. Im Prinzip wäre natürlich auch denkbar, dass die Z.3 und 5 in EvThom 37 sekundäre Zuwächse sind. Indes bliebe dann das Problem bestehen, dass kleine Kinder ihre Scham nicht erst abzulegen brauchen, weil sie ja noch keine haben. Der Vergleich mit könnte sich dann nicht auf die vorausgehende Aussage (Ablegen der Scham) beziehen, sondern gäbe als elliptischer Ausdruck das Ziel oder die Folge dieser Handlung an: „wenn ihr eure Scham ablegt (und damit) wie kleine Kinder (werdet)“. Dagegen spricht jedoch die Form des Spruches in der Parallelüberlieferung des Ägypterevangeliums, wo außer dem Vergleich mit den Kindern 583

Vgl. z. B. Eisele, Reich, 196–197.223 zu Philo Somn I 134–149. Vgl. Patterson, Plato, 196: „This conundrum trades on the difference between the standard Platonic use of the term ‚image‘ to refer to visible, corporeal things, and the more idiosyncratic use of the term in Hellenistic Judaism to refer to the first created anthropos, perfect as an image of God.“ 585 Vgl. 1 Kor 15,35–49, wo die Frage nach der Art der eschatologischen Leiblichkeit aus dem von Paulus verteidigten Glauben an die leibliche Auferstehung folgt. Freilich wird die Auferstehung der Toten im Thomasevangelium nur dann überhaupt thematisiert, wenn man in EvThom 51,1 mit Bethge u. a. (Evangelium, 532) („Auferstehung“) statt mit NHC II („Ruhe“) lesen darf. 586 Vgl. Plisch, EvThom, 115: „Eine Streichung der Erwähnung der Kinder wäre jedenfalls ohne Sinnverlust möglich, und die Erwähnung deplatziert wirkender Kinder gehört ohnehin zu den auffälligen Phänomenen des Thomasevangeliums (vgl. EvThom 21,1 und 22,1).“ 584

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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alle Elemente aus EvThom 37,2 – wenn auch im Ausdruck verkürzt – ebenfalls vorhanden sind. So bleibt die erstgenannte Möglichkeit die wahrscheinlichste: Das Motiv der Kinder wurde in EvThom 37 aus EvThom 22 übernommen, um so eine redaktionelle Klammer zwischen diesen beiden Logien herzustellen und ein bestimmtes Verständnis von EvThom 37 im Sinne von EvThom 22 nachträglich festzulegen, ohne EvThom 22,4–5 wiederholen zu müssen. Das Motiv der Kinder stellt so in EvThom 37 die bewusste Reminiszenz an etwas zuvor Gesagtes, jetzt aber nicht erneut Ausgeführtes dar. Auch dieser Spruch ruft also dazu auf, mit der Scham die Geschlechtlichkeit zu überwinden und den Leib als den Ort, an dem sich das jeweilige Geschlecht ausprägt, mit Entschiedenheit zu beherrschen. 2.6.13. Traditionsgeschichtliche Kontexte Diese Deutung ergibt sich ganz ungezwungen aus der Tatsache, dass EvThom 37 offensichtlich eine Relecture von Gen 1–3 darstellt und motivlich eng mit EvThom 22 verbunden ist. Darüber hinaus kann und muss man keinen ganz bestimmten Traditionshintergrund für das Logion postulieren – etwa einen philonischen, der oben zur Illustration angeführt wurde –, sondern es genügt, die aufgezeigte Tendenz in der Übersetzung der Septuaginta wahrzunehmen. Dies gilt es umso mehr zu betonen, als gerade dieser Spruch des Thomasevangeliums (zusammen mit EvThom 22) durch seine variantenreiche Mehrfachbezeugung stets Gefahr lief, nicht aus sich und seiner Verwendung im Thomasevangelium heraus interpretiert zu werden, sondern aus fremden Traditionszusammenhängen, die ihn ebenfalls bezeugen, aber jeweils ihren eigenen Zwecken dienstbar machen. Dass man ein einzelnes Herrenwort sehr verschieden verstehen und gebrauchen kann, war altkirchlichen Häresiologen mitunter klarer bewusst als modernen Exegeten. Im Übrigen bestreiten weder Clemens Alexandrinus noch der Verfasser des 2. Clemensbriefes, dass es sich tatsächlich um ein Herrenwort handelt. Ob diese Annahme auch historische Plausibilität besitzt, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls kann Clemens von Alexandrien dem zitierten Spruch aus dem Ägypterevangelium, obwohl er von Julius Cassian offenbar gnostisch ausgelegt wurde, selbst eine seines Erachtens orthodoxe Bedeutung abgewinnen (Clem. str. 3,93): „Ferner scheint mir Cassianus nicht zu wissen, daß der Ausspruch mit dem männlichen Trieb den Zorn (θυμόν), mit dem weiblichen aber die Begierde (ἐπιθυμίαν) gemeint hat; wenn aber diese wirksam geworden sind, folgt Reue und Scham (μετάνοια ἕπεται καὶ αἰσχύνη). Wenn nun jemand weder dem Zorn noch der Begierde nachgibt, […] dann gibt es, wie Paulus sagt, ‚unter euch weder Mann noch Weib‘ [Gal 3,28]. Denn die Seele löst sich von der Gestalt los, durch die Männliches und Weibliches unterschieden wird, und sie wird, da sie keines von beiden mehr ist, in eine Einheit umgewandelt (ἀποστᾶσα γὰρ

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

τοῦδε τοῦ σχήματος, ᾧ διακρίνεται τὸ ἄρρεν καὶ τὸ θῆλυ, ψυχὴ μετατίθεται εἰς ἕνωσιν, οὐθέτερον οὖσα).“587

Eine ähnlich moralische Auslegung bietet 2 Clem. 12,3–5, wo allerdings über die Herkunft und die sonstige Deutung des Spruches nichts verlautet: „Die ‚Zwei‘ aber sind ‚eins‘, wenn wir einander die Wahrheit sagen und in zwei Leibern ohne Heuchelei eine Seele wäre. Mit ‚und das Äußere wie das Innere‘ meint er folgendes: Mit dem Inneren meint er die Seele, mit dem Äußeren meint er den Leib. Wie also dein Leib sichtbar ist, so soll auch deine Seele in deinen guten Taten offenbar sein! Mit ‚und das Männliche wie das Weibliche, weder Männliches noch Weibliches‘ meint er folgendes: Ein Bruder soll beim Anblick einer Schwester in keiner Weise an sie als Frau denken, noch soll sie an ihn als Mann denken.“588

Die beiden Beispiele machen klar: Die Tatsache, dass ein Spruch unter anderem von Gnostikern verwendet wurde, macht ihn noch lange nicht selbst zu einem gnostischen Spruch. Dahingehende Deutungen sehen das Logion gerne als Mosaiksteinchen in einem ganzen Weltbild und deuten es in diesem Sinne. So urteilt K. Wengst über 2 Clem. 12,2: „Aus dem Kontext des Zitates bei Klemens von Alexandrien, aber auch aus seinem Inhalt selbst geht hervor, daß es seinem Ursprung nach einen gnostisch-enkratitischen Sinn hat. Das geistige Selbst des Menschen, sein innerstes Wesen, der jenseitige Lichtfunke, ist durch das Fleisch an diese äußere Welt gefesselt; und durch die Differenzierung in Mann und Frau und durch die Geschlechtlichkeit geht der Fesselungsprozeß weiter. Erlösung ist daher gleichbedeutend mit Aufhebung der Geschlechtlichkeit.“589 Was den Inhalt des Spruches in 2 Clem. 12,2 anbelangt, so ist dort weder vom Selbst des Menschen noch von seinem innersten Wesen oder einem jenseitigen Lichtfunken, weder vom Fleisch noch von der äußeren Welt überhaupt die Rede. All das wird aus anderen Kontexten in den Spruch hineingelesen, und nur aus diesen Kontexten bekommt er seine gnostische Färbung; sie ist also keineswegs ursprünglich vorhanden. In ähnlicher Weise versteht E.E. Popkes590 EvThom 37 auf dem Hintergrund von Dial 84–85: „Judas sagte zu Matthäus: ‚Wir wollen wissen, welche Art Kleidung es ist, mit der wir bekleidet werden, wenn wir aus der Zerstörung des [Fleisches] herausgehen.‘ Der Herr sagte: ‚Die Archonten [und] die Verwalter haben vergängliche Kleidung, die sie geben, die nicht bleibt. Ihr [aber] als Kinder der Wahrheit bekleidet euch nicht mit der vergänglichen Kleidung! Vielmehr sage ich euch: Ihr werdet selig sein, wenn ihr euch auszieht. Denn es ist keine große Sache, [das, was] äußerlich [ist, abzulegen].‘ “591

587

Übersetzung von Stählin, Clemens 3, 313–314. Übersetzung von Wengst, Didache, 255. 589 Wengst, Didache, 223–224. 590 Vgl. Popkes, Menschenbild, 198–199. 591 Übersetzung von S. Petersen u. a. in: NHD 1,395. 588

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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Dieses Logion und EvThom 37 interpretieren sich nach Popkes gegenseitig: „Die Jesus in den Mund gelegte Antwort kann geradezu als eine kommentierende Adaption der in EvThom 37 formulierten Aufforderung Jesu verstanden werden. Wenn man EvThom 37,1 im Geiste von Dial 84 f. interpretiert, so kristallisiert sich eine konsistente Gesamtaussage heraus: Die Aufforderung zum Ablegen der Kleider in EvThom 37,2 f. entspricht demnach der Warnung vor den ‚vergänglichen Kleidern‘ der Archonten.“592 Selbst wenn Dial 84–85 eine kommentierende Adaption von EvThom 37 darstellte, wäre damit noch nicht über den ursprünglichen Charakter des Thomaslogions entschieden; und gerade weil EvThom 37 kein Wort über die vergänglichen Kleider der Archonten verlauten lässt, ist es nicht erlaubt, diese Vorstellung hier einfach einzutragen, ohne einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang der beiden Sprüche vorher nachgewiesen zu haben. Vielmehr fällt auf, wie ungnostisch EvThom 37 im Unterschied zu Dial 84–85 ist. Das Thomaslogion mag für eine gnostische Deutung offen sein, aber es erzwingt sie von seinem Gehalt her keineswegs. Auf der anderen Seite siedelt T. Zöckler, der sich gegen gnostische oder enkratitische Deutungen des Spruches wendet, den Kontrast von EvThom 22 und 37 zu den wenigen bekannten Fragmenten des Ägypterevangeliums auf der falschen Ebene an, indem er die kleinen Kinder hier und das Gebären der Frauen dort als einen einzigen Motivkomplex auffasst, der in EvThom 22,1–3 positiv, im Ägypterevangelium aber negativ konnotiert sei.593 Tatsächlich handelt es sich aber um zwei verschiedene Motive mit ganz unterschiedlichen Funktionen. Das Kindheitsmotiv beschreibt den paradiesischen Urzustand, in dem der erste Mensch das Leben eines Kindes führte und insofern gegenüber der Geschlechtlichkeit indifferent war. Diese Vorstellung ist z. B. bei Clemens von Alexandrien und Irenäus von Lyon belegt: Clem. prot. 111: „Solange der erste Mensch ungebunden im Paradies spielte (ἔπαιζε), war er noch ein Kind (παιδίον) Gottes; als er aber der Lust erlag […] und sich von seinen Begierden verführen ließ, wurde das Kind in seinem Ungehorsam zum Mann (ὁ παῖς ἀνδριζόμενος ἀπειθείᾳ); und da er seinem Vater nicht gehorcht hatte, schämte er sich (ᾐσχύνετο) vor Gott. […] O geheimnisvolles Wunder! Hingesunken ist der Herr [sc. Jesus am Kreuz], auferstanden der Mensch, und der aus dem Paradiese Vertriebene erlangt für seinen Gehorsam einen noch größeren Lohn, den Himmel.“594 Iren. epid. 12.14: „Doch sie [sc. die Engel] waren in ihrer Vollkommenheit, der Herr aber, das heißt der Mensch, war klein, denn er war ein Kind, und es war für ihn erforderlich, so heran592

Popkes, Menschenbild, 199. Vgl. Zöckler, Lehren, 236: „Zu bezweifeln ist, ob das Motiv der kleinen Kinder, die gestillt werden, für einen antigeschlechtlich eingestellten Autor ein gelungenes Anschauungsbeispiel abgeben konnte. Der Kontrast zur Erlösungsvorstellung im Ägypterevangelium ist hier evident“. 594 Übersetzung von Stählin, Clemens 1, 186. 593

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

wachsend zur Vollkommenheit zu gelangen. […] Und Adam und Eva, denn so ist der Name der Frau, waren nackt und schämten sich nicht, denn sie hatten einen unschuldigen Sinn und kamen nicht dazu, an irgend etwas von dem zu denken und zu verstehen, was einmal in Bosheit durch weichliche Gelüste und durch schändliche Begierden in der Seele geboren wird. […] Deswegen also schämten sie sich nicht, indem sie sich küßten, einander umarmten in Reinheit, nach Kinderart.“595

Iren. haer. 3,22,4: „ ‚[B]eide [sc. Adam und Eva] waren‘ im Paradies ‚nämlich nackt, aber sie schämten sich (noch) nicht voreinander‘ (Gen 2,25), weil sie erst kurz zuvor geschaffen waren und vom Kinderzeugen (noch) nichts verstanden, denn sie mußten zuerst ‚wachsen‘ (adolescere) und erst dann sich ‚vermehren“ (vgl. Gen 1,28)“596.

An allen drei Stellen begegnet das Kindheitsmotiv ohne einen Hinweis auf das Gebären. Dies leuchtet beim ersten Menschenpaar unmittelbar ein, sind sie doch gar nicht durch Geburt auf die Welt gekommen. Dagegen kennzeichnet das Motiv des Gebärens, das nur im Ägypterevangelium begegnet, die todverfallene Existenz des Menschen nach dem Sündenfall, insofern jede Geburt irgendwann unweigerlich den Tod zur Folge hat: „Zu Salome, als sie fragte: ‚Wie lange wird der Tod Macht haben?‘, sagte der Herr […]: ‚Solange ihr Frauen gebärt‘“597.

Der Kontrast besteht also nicht in der unterschiedlichen Bewertung ein und desselben Motivkomplexes im Thomasevangelium einerseits und im Ägypterevangelium andererseits, sondern zwischen den beiden Motiven selbst: dem positiv konnotierten Kindheitsmotiv, das nur in EvThom 22 und 37 steht, und dem negativ behafteten Motiv des Gebärens, das ausdrücklich nur im Ägypterevangelium begegnet. Die kleinen Kinder, welche gesäugt werden, mögen in EvThom 22,1–3 durchaus an die noch nicht weit zurückliegende Geburt erinnern, d. h. an einen geschlechtlich bedingten und in seiner tödlichen Entelechie negativ bewerteten Vorgang. Dennoch – oder gerade deshalb – sind sie selbst im Gegensatz dazu ein Idealbild des ungeschlechtlichen, dem kindlichen Adam ähnlichen und dadurch dem Tod entronnenen Menschen. Mit anderen Worten: Die kleinen Kinder stehen für die geschlechtliche Indifferenz des ersten Menschen, obwohl sie natürlich durch die geschlechtlichen Akte von Zeugung und Geburt auf die Welt gekommen sind.

595

Übersetzung von Brox, Irenäus 1, 40–42. Übersetzung von Brox, Irenäus 3, 279. 597 Übersetzung von Lührmann, Fragmente, 28–31, Nr. 1; vgl. auch ebd. Nr. 3 und 6. 596

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

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2.6.14. Praktische Konsequenzen Schwieriger ist es demgegenüber zu beurteilen, welche lebenspraktischen Konsequenzen für die Jünger mit dem so verstandenen Kindlichkeitsideal verbunden waren. Wie weit oder in welcher Weise sollten sie sich von ihrer leiblich-sexuellen Verfasstheit distanzieren? A.D. DeConick hat in jüngster Zeit die ursprünglich von G. Quispel598 entwickelte Position erneuert: „The early Christian community responsible for the encratic accretions in Thomas honored celibacy and encouraged this as the ideal lifestyle. […] The performance of celibacy was for them the avenue to immortality because it literally recreated their bodies in the present. They had already returned to the perfect state of the first man and woman in the Garden of Eden. They had already taken their stand in Paradise overcoming sin and death.“599 Derlei enkratitische Strömungen sind im ägyptischen wie im syrischen Frühchristentum belegt. Die Frage ist nur, inwieweit man sie auch in EvThom 22 und 37 am Werk sehen darf. Das Ideal der ἐγκράτεια musste nicht in jedem Fall „eine Haltung radikaler sexueller Askese“600 bedeuten: „Das ethische Problem des 2. Jh. war, den rechtmäßigen Platz der E[nkrateia] innerhalb der Kirche zu bestimmen. Enthaltsamkeit wurde allgemein als der Weg zur Vollkommenheit angesehen. Die Trennungslinie zwischen Orthodoxie u. Häresie wird sichtbar, wenn die Enthaltsamen beanspruchen, die alleinige Kirche Christi zu sein, u. daher alle verheirateten Christen aus der Kirche ausschließen.“601 Als klassisches Beispiel eines gemäßigten und in diesem Sinne „orthodoxen“ Enkratismus gelten die Sextussprüche, die sich eingehend mit dieser Thematik beschäftigen. Sie sind von einer differenzierten Einstellung zur sexuellen Enthaltsamkeit geprägt: „Der Weise allerdings mag ruhig heiraten u. Kinder zeugen, wenn er es nur aus selbstlosen Motiven tut u. ohne sich mit fleischlichen Regungen zu beflecken“602. Das hier im Vergleich behandelte Logion findet sich nur in 2 Clem. 12,2 im Rahmen einer zusammenhängenden 598 Quispel (Makarius, 75–106; Hebrews) sieht im Thomasevangelium zwei Quellen verarbeitet, das judenchristliche Hebräerevangelium und das enkratitische Ägypterevangelium, und kommt zu dem Schluss (ebd. 74): „Es bestehen also weder chronologische noch geographische Bedenken, das Thomasevangelium mit dem Enkratismus in Verbindung zu bringen. Und zwar bestehen diese Beziehungen hauptsächlich mit dem alexandrinischen Enkratismus, mit dem Ägypterevangelium und denjenigen Enkratiten, welche Klemens im dritten Buche der Stromateis bekämpft.“ In diesem Milieu sind seines Erachtens auch die Sextussprüche entstanden (vgl. ebd. 73). Gegen Quispels Theorie erheben sich jedoch triftige Einwände (vgl. Haenchen, Literatur, 162–169). Das Thomasevangelium lehnt die jüdische Frömmigkeitspraxis ab (vgl. Löhr, Tora; Popkes, Menschenbild, 55–65). Die Textbasis ist für einen Vergleich mit dem Hebräerevangelium und dem Ägypterevangelium, die beide nur sehr fragmentarisch erhalten sind, äußerst schmal (vgl. Schröter, Erinnerung, 127–128). 599 DeConick, Recovering, 191–192. 600 Zöckler, Lehren, 234, der jede enkratitische Interpretation von EvThom 22; 37 ablehnt. 601 Chadwick, Enkrateia, 352; vgl. Gribomont, TRE 4, 209–214; Heid, LThK3 3, 675–676. 602 Chadwick, Enkrateia, 357; vgl. Sext 230.233.239.

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Schrift, der man eine konsistente Haltung in Sachen Enkratismus nicht nur zutrauen, sondern mit einiger Sicherheit auch entnehmen kann. Diesbezüglich stellt Wengst mit Recht fest, „daß der Verfasser des 2. Klemensbriefes den geschlechtlichen Bereich zwar anspricht und in 12,5 auch eine besonders pointierte Aussage bietet […]; aber weder an dieser Stelle noch anderswo fordert er völlige Geschlechtsaskese“603. Wenn dies nun aber schon in dem einzigen festen literarischen Zusammenhang der Fall ist, in dem unser Logion begegnet, sollten wir bei der Beurteilung seiner Intention in loseren Zusammenhängen wie dem Thomasevangelium und den verstreuten Zitaten aus dem Ägypterevangelium604 umso vorsichtiger sein und keine zu weit gehenden Schlüsse ziehen, welche nicht durch das interne Aussagegefälle des Spruches an den einzelnen Stellen seiner Verwendung gedeckt sind. In diesem Sinne beschreibt Plisch die Intention von EvThom 37 völlig zureichend: „Um den Sohn Gottes zu sehen […], ist es also nötig, den paradiesischen Urzustand schamloser und furchtloser Nacktheit wiederzuerlangen. Dieser wiedererlangte Zustand ist nun aber kein mythischer Urzustand mehr, der dem Menschen gewissermaßen geschenkt würde, sondern ein Zustand, der erst mühsam wieder erlangt werden muss, indem der Mensch lernt, seine Leiblichkeit zu beherrschen.“605 Eine solche Haltung hat mit Leibfeindlichkeit und sexueller Askese zunächst nichts zu tun, auch wenn sie immer wieder so verstanden und gelebt wurde. Denn die Scham des Menschen rührt zwar von der geschlechtlichen Verfasstheit des Leibes her, wird jedoch erst durch die einmal begangene Sünde ausgelöst und ist insofern auch erst durch die Sünde wirksam. Wer die Scham ablegen will, der muss sich also entschieden gegen die Sünde stellen, um so unschuldig wie ein Kind oder wie Adam und Eva vor dem Sündenfall mit seiner Leibgeschlechtlichkeit zu leben. So gesehen, kommt es nicht auf sexuelle Enthaltsamkeit, sondern auf eine wohlverstandene Keuschheit606 an, d. h. auf ein geordnetes Sexualverhalten, das heilvolle Beziehungen zu Gott und zu den Mitmenschen ermöglicht. Daran wird schon deutlich, dass eine solcherart erneuerte Lebenseinstellung kein Selbstzweck ist, sondern ermöglichen soll, was die Jünger in EvThom 37,1 erfragen und was Jesus in EvThom 37,3 als Ziel der Erneuerung angibt: dass die 603 Wengst, Didache, 232; ebenso Pratscher, 2 Clem., 166–167. Vgl. dagegen Knopf, 2 Clem., 171; ders., Zeitalter, 413; Lindemann, 2 Clem., 236; Müller, Forderung, 73; Stegemann, Herkunft, 127; Windisch, Christentum, 132. 604 Zwar begegnet das Zitat bei Clemens im literarischen Zusammenhang seiner eigenen Argumentation, aber bereits in dreifacher Brechung: als ein Wort, das er bei Julius Cassianus liest, das aber eigentlich aus dem Ägypterevangelium stammt und dem er eine von Cassian abweichende eigene Deutung beigibt. Im 2. Clemensbrief ist die Sache dagegen viel einfacher, weil sich das Herrenwort ganz in den Duktus der eigenen Argumentation des Autors einfügt. Hätten wir nur diesen Beleg für das fragliche Logion, würden wir die beigegebene Deutung wahrscheinlich für die einzig mögliche halten. 605 Plisch, EvThom, 115. 606 Vgl. Giesen, LThK3 5, 1418–1419; Pratscher, TRE 18, 119–120; Zeller, NBL 2, 470.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

231

Jünger Jesus sehen. Wir hatten eingangs festgestellt, dass die Situation des Logions mit der Frage nach dem Sehen bzw. Wiedersehen Jesu an die johanneischen Abschiedsreden erinnert. Dort ist mit dem Nichtsehen der Tod Jesu und mit dem Wiedersehen die Begegnung mit dem Auferstandenen angesprochen. In der ersten Abschiedsrede (Joh 13,31–14,31) sind die Jünger aus dem Nichtsehen noch ausgenommen (Joh 14,19): „Noch eine kurze Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr leben werdet“ (ἔτι μικρὸν καὶ ὁ κόσμος με οὐκέτι θεωρεῖ, ὑμεῖς δὲ θεωρεῖτέ με, ὅτι ἐγὼ ζῶ καὶ ὑμεῖς ζήσετε). In den weiteren Reden werden sie dann vorübergehend miteingeschlossen (Joh 16,10.16): „Ich gehe zum Vater, und ihr seht mich nicht mehr“ (πρὸς τὸν πατέρα ὑπάγω καὶ οὐκέτι θεωρεῖτέ με); „eine kurze Zeit, und ihr seht mich nicht mehr, und wieder eine kurze Zeit, und ihr werdet mich sehen“ (μικρὸν καὶ οὐκέτι θεωρεῖτέ με, καὶ πάλιν μικρὸν καὶ ὄψεσθέ με). Auf der Ebene des Evangeliums wird das angekündigte Wiedersehen Jesu mit seinen Jüngern in den Osterberichten (Joh 20–21) erzählerisch eingeholt. Gleichzeitig repräsentieren die Jünger in den Abschiedsreden aber auch die spätere Gemeinde, d. h. die Adressaten des Johannesevangeliums, denen das Sehen des auferstandenen Jesus für ihre Gegenwart zugesagt wird.607 Eine ähnliche Situation darf man wohl auch für EvThom 37 voraussetzen. Insofern EvThom 37,2 die Distanzierung der Jünger von ihrer leiblichen Verfasstheit zur Bedingung dafür macht, dass sie Jesus sehen, könnte man an den Tod denken, der diese Bedingung von ganz allein erfüllt: Sobald die Geistseele sich vom Leib trennt, sind die Jünger imstande, den lebendigen Jesus zu schauen. Die Jünger bräuchten dann nicht mehr zu tun, als passiv den Tod zu erwarten. EvThom 37,2 setzt jedoch aktive Jünger voraus, die in der Gegenwart das Verhältnis zu ihrer Leibgeschlechtlichkeit angemessen bestimmen, was vor allem durch das Motiv vom Trampeln auf den Kleidern unmissverständlich klar wird. Wer diese Bedingung erfüllt, wird Jesus sehen, und zwar nicht erst in ferner Zukunft nach dem Tod – darauf deutet nichts hin. Vielmehr wird ein unvoreingenommenes Verständnis des Spruches damit rechnen, dass unmittelbar mit der Erfüllung der Bedingung auch die angekündigte Folge eintritt. Wer sich also nicht mehr von der Gespaltenheit bestimmen lässt, die Leiblichkeit und Sexualität mit sich bringen, sondern sie in eine heilvolle Ordnung bringt, der kann hier und heute Jesus sehen. 2.6.15. Zusammenfassung Wie an keiner anderen Stelle in den uns erhaltenen Zeugen des Thomasevangeliums sind in EvThom 36–37 die Wachstumsspuren des Textes noch erkennbar und verschiedene Phasen des Wachstums nachvollziehbar. Um zu gesicherten 607

177.

Vgl. Dietzfelbinger, Abschied, 56–58.75–83; zur Diskussion Weidemann, Tod, 176–

232

2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

Ergebnissen zu kommen, bedurfte es allerdings einer eingehenden Analyse, deren Ergebnisse im Folgenden noch einmal gebündelt werden sollen. a) In Pap Ox 655,I,9–10 ist die Lesung ἅτινα αὐξάνει οὐδὲ νήθει nicht nur grammatikalisch möglich, sondern durch den Parallelismus mit den Z.13–17 (τίς ἂν προσθείη ἐπὶ τὴν εἱλικίαν ὑμῶν; αὐτὸς δώσει ὑμεῖν τὸ ἔνδυμα ὑμῶν.) auch inhaltlich wahrscheinlich. Dabei sind die beiden ersten Glieder über das Motiv des Wachtums (αὐξάνειν bzw. προστιθέναι ἐπὶ τὴν εἱλικίαν) und die beiden anschließenden über das Motiv der Kleidung (νήθειν bzw. διδόναι τὸ ἔνδυμα) aufeinander bezogen. b) In Pap Ox 655,I,10–13 ist die Lesung καὶ ἓν ἔχοντα ἔνδυμα. τί ἐνδύεσθε καὶ ὑμεῖς; der einzige Rekonstruktionsvorschlag, der den papyrologischen, grammatikalischen, formalen und inhaltlichen Erfordernissen gleichermaßen gerecht wird. Die Konjektur μηδ-εν (statt καὶ ἕν) widerspricht den in den Papyri üblichen Regeln der Silbentrennung. Alle möglichen Formen von ἐνδεῖν (statt ἐνδύεσθαι) verlangen den Genitiv τίνος (statt des Akkusativs τί) als grammatikalisches Objekt. Formal wird die Einleitung des Lilienvergleichs (Z.7–8) in der Überleitung zu den Jüngern (Z.12–13) chiastisch wieder aufgenommen, wobei die äußeren Glieder von den angesprochenen Jüngern (πολλῷ κρείσσονές ἐστε bzw. τί ἐνδύεσθε καὶ ὑμεῖς) und die inneren von den Lilien (τῶν κρίνων bzw. καὶ ἓν ἔχοντα ἔνδυμα) besetzt sind. Inhaltlich ergibt sich ein sinnvoller Vergleich, in dem das eine Gewand der Lilien die Frage nach dem Gewand der Jünger aufwirft: So wie jene ohne ihr Zutun von Gott bekleidet werden, so erhalten auch diese von ihm ihre Kleidung. Gott, der das leibliche Wachstum ermöglicht und dadurch letztlich bewirkt, stellt auch die für den Leib benötigten Kleider zur Verfügung. c) Auf der Grundlage dieser Textrekonstruktion lassen sich in Pap Ox 655,I,1– 17 zwei in sich gerundete Sprüche ausmachen, von denen der erste (Z.1–7 = EvThom 36A) eine suffiziente Überlieferungseinheit darstellt, während der zweite (Z.7–17 = EvThom 36B) in der griechischen Form des Thomasevangeliums formal wie inhaltlich vom ersten abhängig ist und ohne diesen nicht existiert haben kann. Davon ist Pap Ox 655,I,17–23 (= EvThom 37) als eigene Sprucheinheit zu unterscheiden, die durch den gattungstypischen Neueinsatz mit der Jüngerfrage in Z.17–18 vom vorhergehenden Logion abgesetzt ist. d) Das Mahnwort EvThom 36A hat eine synoptische Parallele in Q 12,22–23. Als suffiziente Grundform des Spruches kann die wohlgeformte Einheit Q 12,22 gelten. Diese wurde redaktionell um das Kommentarwort Q 12,23 erweitert, um den Mehrwert des Lebens gegenüber der nötigen Nahrung und des Leibes gegenüber der nötigen Kleidung herauszustellen. EvThom 36A zeigt Spuren einer Verarbeitung der redaktionellen Einheit Q 12,22–23. Der Kommentar Q 12,23 erscheint in EvThom 36A in das Grundwort integriert, nachdem dort die Stichworte „Leben“ (ψυχή) und „Leib“ (σῶμα) durch die entsprechenden Stichworte „Nahrung“ (τροφή) und „Kleidung“ (ἔνδυμα bzw. στολή) ersetzt worden sind.

2.6. EvThom 36 und 37: Die Sorge um Nahrung und Kleidung

233

Leib und Leben als die Begriffe des Mehrwerts sind dabei verloren gegangen, und es ist ein redundanter Spruch entstanden; gleichzeitig wird aber die Gefahr der begrifflichen Einengung von Leib und Leben vermieden. Der Einsatz von στολή anstelle von ἔνδυμα bedeutet einerseits eine bewusste Reminiszenz von Inhalten, die in EvThom 36 gegenüber Q 12,22–32 ausgefallen sind – das Prachtgewand Salomos und das Gefieder der Vögel –, und gibt andererseits präzise das Thema des Folgenden an: das eine Gewand, das als Ausrüstung für die Jünger wie für die Lilien völlig ausreichend ist. e) Ist das Beispiel von den Raben und den Lilien in Q 12,24.27–28 trotz seiner redaktionellen Einbindung in Q noch als autarkes Doppelwort zu erkennen, so ist umgekehrt klar, dass das Lilienbeispiel in der Form von EvThom 36B nicht für sich existiert haben kann, sondern vom Mahnwort EvThom 36A als dessen Begründung abhängig ist. Dies spricht dafür, dass EvThom 36B die Kombination von Mahnwort und Naturbeispiel aus Q übernommen und dabei gleichzeitig verfestigt hat. Das Wachstumsmotiv mit dem Stichwort αὐξάνειν, welches im ursprünglichen Doppelwort wohl noch nicht enthalten war, gehört in EvThom 36B durch die Parallelstruktur des Vergleichs eng mit dem Wort vom προστιθέναι ἐπὶ τὴν εἱλικίαν zusammen. Dessen suffiziente Form als eigenständiges Sprichwort ist im redaktionellen Vers Q 12,25, der ad vocem μεριμνᾶν in die Q-Spruchreihe eingepasst wurde, noch gut erkennbar. Nach dem Wegfall von μεριμνᾶν in EvThom 36B ist es jedoch nur noch zusammen mit dem αὐξάνειν-Motiv und der Antwort αὐτὸς δώσει ὑμῖν τὸ ἔνδυμα ὑμῶν vollständig und sinnvoll. Aus der skeptischen Frage des überlieferten Sprichworts, welches in Q die Funktion einer kritischen Zwischenreflexion erfüllt, ist in EvThom 36B die kaum mehr zu steigernde Zusage geformt worden, dass Gott mit dem Wachstum auch die Kleidung geben wird. Dies spricht dafür, dass EvThom 36B auch die Kombination von Wachstumsmotiv und Sprichwort aus Q übernommen und weiter gefestigt hat. f) Obwohl das griechische Logion EvThom 36 aus den beiden in sich gerundeten Teilen A und B zusammengesetzt ist, wirkt es als Ganzes dennoch unausgeglichen, weil von den beiden Themen Nahrung und Kleidung, die in A angeschnitten werden, nur letzteres durch den Vergleich mit den Lilien in B entfaltet wird. Das Rabenbeispiel dürfte in dem Moment weggefallen sein, in dem EvThom 36 mit EvThom 37 kombiniert wurde, wo nur noch das Gewandmotiv aufgenommen und gleichzeitig in einem übertragenen Sinne gebraucht wird.608 Auf der Stufe des griechischen Textzeugen stehen die beiden Logien dabei in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Einerseits bleibt in EvThom 36 die Zusage an die Jünger stehen, dass Gott für ihre konkreten leiblichen Bedürfnisse mit Sicherheit sorgen wird. Andererseits macht EvThom 37 auf die Ambivalenz 608 Vgl. Crossan, Anxieties, 59: „It is, first, the juxtaposition of Thomas 36 and 37 because of the common theme of clothes and clothing and, then, the domination of the latter over the former that led to the abbreviation of the saying in both the Greek and Coptic versions.“

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2. Analysen: Text- und formkritischer Vergleich der Zeugen

der Leiblichkeit und der damit verbundenen Geschlechtlichkeit aufmerksam und erinnert an den paradiesischen Zustand, in dem die Menschen gar keine Kleider brauchten, weil sie sich nicht voreinander schämten. Zwischen den beiden griechischen Logien besteht also keineswegs ein Widerspruch, der es nötig machte, EvThom 36 im Lichte von EvThom 37 völlig anders zu verstehen. Es bleibt ja wahr, dass die Jünger Kleider brauchen und Gott sie ihnen gibt. Auf einer höheren theologischen Ebene wird als Grund für dieses menschliche Bedürfnis jedoch nicht einfach der nötige Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen, sondern die mit der Leibgeschlechtlichkeit des Menschen verbundene Scham angegeben, die ihre Wurzel in der Sünde hat. Will EvThom 36 ganz einfach das Vertrauen der Jünger in die Fürsorge Gottes stärken, so nimmt EvThom 37 ihre Kleidersorgen zum Anlass, um den Jüngern eine theologische Belehrung über die Rückkehr zur paradiesischen Existenz ohne Scham, d. h. in geordneten Beziehungen zu Gott und zu den Mitmenschen, angedeihen zu lassen. g) Ein solcherart dialektisches Verständnis des griechischen Textes von EvThom 36–37 wird durch den koptischen Zeugen insofern bestätigt, als hier die Dialektik der Aussage durch massive Kürzungen beseitigt worden ist. Dabei wurde nicht nur der Hinweis auf die Nahrung, der in EvThom 36A als störendes Überbleibsel stehengeblieben war, gänzlich getilgt, sondern auch EvThom 36B mit dem Lilienvergleich und seinen Einlassungen zum leiblichen Bedürfnis der Kleidung. Übrig bleibt im koptischen EvThom 36 ein Spruch, der nicht mehr (wie das griechische Logion) die berechtigte Sorge um die Kleidung durch den Verweis auf die Fürsorge Gottes auffängt, sondern diese Sorge grundsätzlich diskreditiert und abwertet. Zusammen mit EvThom 37 ergibt sich in der koptischen Fassung eine eindimensionale Aussage: Alles Sorgen um die Bekleidung des Leibes ist grundverkehrt, weil es im Gegenteil darauf ankommt, die Scham abzulegen und zur Unbedarftheit kleiner Kinder zurückzukehren, indem man sich von seiner Leibgeschlechtlichkeit distanziert.609 Durch die einseitige Aufhebung der Dialektik, die in der griechischen Version zwischen EvThom 36 und 37 noch gegeben ist, wird die Skepsis gegenüber der leibhaft-geschlechtlichtlichen Verfasstheit des Menschen, die auch im griechischen EvThom 37 bereits erkennbar ist, im koptischen Text deutlich verstärkt. Freilich muss man auch hierin nicht gleich prinzipielle Leibfeindlichkeit und die Aufforderung zu strikter sexueller Enthaltsamkeit sehen.

609 Vgl. Schrage, Evangelienzitate, 266: „Die Frage nach dem Motiv der starken Kürzungen durch den Übersetzer beantwortet sich wohl vom folgenden Logion her: Es kommt offenbar allein auf das ‚Ablegen der Kleider‘ an, d. h. auf die Indifferenz gegenüber Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit. Alles, was nicht direkt auf das ὅταν ἐκδύσησθε καὶ μὴ αἰσχυνθῆτε hinführte, schien abzulenken.“

3. Schluss

Welcher Thomas?

3.1. Einblicke in die Vielfalt der Thomastradition Die vorangegangenen Untersuchungen haben uns manche Einsicht in die Textund Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums und einzelner darin enthaltener Logien, die allesamt Jesus zugeschrieben werden, beschert. Es ist klar geworden, dass sich der fast lückenlos erhaltene koptische Text in so erheblichem Maße von der griechischen Überlieferung unterscheidet, dass beide in ihrem eigenen Recht betrachtet werden müssen. Dies hat Auswirkungen auf die Rekonstruktion der sehr fragmentarisch erhaltenen griechischen Textzeugen, die auf das Bündnis mit der Formgeschichte angewiesen ist, um das eigenständige Profil der jeweiligen griechischen Überlieferung herauszuarbeiten. Im Vergleich damit treten aber auch die charakteristischen Züge des koptischen Textes deutlicher hervor. Von fünfzehn Thomaslogien besitzen wir jeweils zwei Momentaufnahmen aus ihrer mündlichen und schriftlichen Überlieferungsgeschichte bis ins vierte Jahrhundert. Zehn dieser Logien haben wir, ausgehend von den markanten Unterschieden und Textunsicherheiten in der Überlieferung, eingehend analysiert. Was sich daraus an allgemeinen Erkenntnissen für die Form-, Kompositions- und Redaktionsgeschichte des Thomasevangeliums gewinnen lässt, sei im Folgenden kurz zusammengestellt. Dazu rekapitulieren wir die wichtigsten Ergebnisse des voraufgegangenen zweiten Teils unserer Arbeit und skizzieren abschließend die Grundzüge der Text- und Überlieferungsgeschichte, wie sie sich an den untersuchten Logien ablesen lässt.

3.2. Ergebnisse des text- und formkritischen Vergleichs der Zeugen Gleich am Anfang der Spruchsammlung lässt uns die Lücke im griechischen Prolog nicht nur über die ursprüngliche Namensform des dort erwähnten Gewährsapostels, sondern – damit verbunden – auch über die frühchristliche Tradition im Unklaren, in die sich die Schrift als Ganze stellt. Gemeinhin wird ohne Weiteres angenommen, dass dort die aus der syrischen Tradition bekannte Namensform „Judas, der auch Thomas heißt“ gestanden habe. Dagegen habe ich mit den antiken Regeln der Namensgebung argumentiert, dass der Name des Apostels im griechischen Text ebenso gut – wenn nicht eher – „Didymos, der auch Thomas heißt“ gelautet haben könnte. Dass diese Form des Apostelnamens nur hier belegt wäre, spricht nicht dagegen, weil auch die dreiteilige Namensform des koptischen Zeugen in der Thomastradition ohne Beispiel ist und wir deshalb auch schon in der griechischen Überlieferung mit einer eigenwilligen Benennung des

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3. Schluss: Welcher Thomas?

Apostels rechnen dürfen. Sicherheit ist in dieser Frage beim heutigen Stand des Wissens nicht zu erreichen. Zwei Dinge ließen sich allerdings mit der Ergänzung „Didymos“ und ὀφθείς in Pap Ox 654,2 gut erklären. Zum einen würde eine Entwicklungslinie in der Thomastradition erkennbar, welche von der johanneischen Ostererscheinung Jesu vor Thomas über die konzentrierte Anknüpfung an diese Szene im griechischen EvThom-Incipit (ὀφθεὶς Διδύμῳ τῷ καὶ Θωμᾷ) und den hin zur Anfang des Thomasbuches mit dem Apostelnamen dreiteiligen Namensform im Prolog des koptischen Thomasevangeliums führte. Zum anderen würde die veränderte Situation und Rolle einsichtig, in der sich der Gewährsmann Thomas im griechischen und koptischen Thomasevangelium befindet: Ist er im griechischen Text nur der exemplarische Empfänger der Worte, die Jesus zu den Jüngern aller Zeiten im präsentischen λέγει Ιησοῦς spricht, so ist aus ihm in der koptischen Überlieferung derjenige geworden, welcher das Gehörte für spätere Generationen aufschreibt als Worte, die Jesus in der Vergangenheit zu Thomas gesprochen hat ( ). Die Erinnerung an die johanneische Osterszene kann auf dem Wege mündlicher Überlieferung in die Thomastradition gelangt sein, die späteren Veränderungen sind hingegen am leichtesten als schriftliche Redaktion der jeweiligen Buchanfänge zu verstehen. Ganz offensichtlich ist im koptischen EvThom 2 die ursprüngliche Gradatio der griechischen Spruchform empfindlich gestört und um ihren eigentlichen Zielpunkt gebracht worden. Offenbar sollte das Motiv der Ruhe vermieden, zugleich aber für einen oberflächlichen Betrachter die ursprünglich fünfgliedrige Form des Spruches nicht angetastet werden, indem statt dessen das neue Element des Staunens eingebracht und der Abbruch am Ende durch das an ἐπαναπαήσεται anklingende ἐπάνω πάντων verschleiert wurde. Da Letzteres nur im Griechischen funktioniert, hat diese Veränderung allem Anschein nach schon in der griechischen Überlieferung stattgefunden. Der ganze Vorgang ist am besten als schriftliche Bearbeitung zu verstehen, die das ganze Logion im Blick hatte und nicht – wie im mündlichen Medium – sukzessive Änderungen vorgenommen hat. Etwas anders gelagert ist der Fall in EvThom 3, wo wir in beiden Überlieferungen das Bemühen festgestellt haben, zwei ursprünglich selbständige und in sich stehende Sprucheinheiten (V.1–3 und 4–5 ohne die Zusätze) redaktionell miteinander zu verknüpfen. Den Ausgangspunkt für beide voneinander unabhängigen Redaktionen bildete offenbar eine Komposition beider Einheiten, in der sie zwar schon beieinander standen, aber noch nicht miteinander verzahnt waren. Die Redaktion, welche die griechische Spruchform bezeugt, kann insofern als konservativ bezeichnet werden, als sie keine neuen Inhalte in den neu geschaffenen Spruch EvThom 3 einbringt, die nicht schon vorher in seinen Bestandteilen enthalten gewesen wären. Neu ist gegenüber der vorredaktionellen Form des Materials dennoch, dass jetzt das Finden des Reiches Gottes ἐντὸς

3.2. Ergebnisse des text- und formkritischen Vergleichs der Zeugen

239

ὑμῶν (ohne κἀκτός) ausdrücklich von der Selbsterkenntnis der Jünger abhängig gemacht wird. Was vorher durch das Nebeneinander der kleineren Sprucheinheiten zwar insinuiert, aber nicht ausgesprochen worden war, das bringt der griechische Spruch nunmehr zum Ausdruck. Dadurch verdeutlicht die Redaktion die erkennbare Absicht der vorgängigen Komposition und formt aus zwei unabhängigen Sprüchen einen einzigen, dessen sachlicher Mehrwert in der Verknüpfung selbst liegt. Die Jünger erfahren dabei, dass die von ihnen geforderte Selbsterkenntnis dem Finden des inwendigen Gottesreiches dient. Die im koptischen EvThom 3 nachweisbare Redaktion verfolgte dagegen ein anderes Ziel. Sie wollte das Reich Gottes nicht nur innerhalb der Jüngern verortet wissen, sondern auch außerhalb ( ), und dem entspricht die Vorstellung, dass die Jünger zum Wissen um ihre Gottessohnschaft nicht nur durch Selbsterkenntnis gelangen, sondern auch dadurch, dass sie von Gott erkannt werden ). Allerdings hat die Redaktion diesen Gedanken ( ungeschickt in V.4 verankert, so dass nunmehr der Eindruck entsteht, auch dem Erkanntwerden durch Gott ginge als unabdingbare Voraussetzung die Selbsterkenntnis der Jünger voraus. Die wohlgeformte Einheit sowohl der Teile als auch des Ganzen erscheint dadurch im Koptischen zerstört. Die griffige Pointe des ersten Teiles (V.1–3), dass die Jünger das Gottesreich nicht weit weg, sondern in sich selbst suchen müssen, wird durch den Zusatz, dass es sich auch außerhalb befinde, bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Genauso wird im zweiten Teil der antithetische Parallelismus zwischen der Selbsterkenntnis, die das Wissen um die Gottessohnschaft vermittelt, und der verfehlten Selbsterkenntnis, die in die Armut führt, durch das ungeschickt eingebrachte Element der Fremderkenntnis der Jünger durch Gott gesprengt. Von allen untersuchten Logien stellt EvThom 3 in redaktionskritischer Hinsicht einen interessanten Sonderfall dar, weil hier nachgewiesen werden kann, dass verschiedene Redaktionen unabhängig voneinander auf dieselbe vorgegebene Logienkombination (EvThom 3,1–3 und 4–5 ohne die Zusätze) zurückgegriffen und sie durch unterschiedliche redaktionelle Maßnahmen enger zusammengebunden haben. Weil diese Art der Redaktion nur im schriftlichen Medium möglich ist, heißt das auch, dass beiden bereits der gleiche ältere Text vorgelegen haben muss, den sie dann entsprechend ihrer je eigenen Intention unterschiedlich bearbeitet haben. EvThom 5 und 6 haben wir zusammen betrachtet, weil der wesentliche Unterschied zwischen den Zeugen die Form und Stellung des Wanderlogions betrifft, das am Ende beider Thomassprüche in jeweils in veränderter Form begegnet. Da die Form von EvThom 5,2 wörtlich mit derjenigen von Lk 8,17a übereinstimmt und letztere als lukanische Bearbeitung von Mk 4,22 aufgewiesen werden kann, ist Lk 8,17a als Ausgangspunkt der formgeschichtlichen Entwicklung des Wanderlogions innerhalb der Überlieferung des Thomasevangeliums zu betrachten. Dieses hat sich als Einzellogion im griechischen EvThom 5,2 niedergeschlagen und wegen des Stichworts κρυπτόν („verborgen, begraben“)

240

3. Schluss: Welcher Thomas?

das Einzellogion vom Begrabenen, das auferweckt wird, in EvThom 5,3 an sich gezogen, wodurch die erhaltene Form des griechischen Papyrus entstanden ist. Der so entstandene Doppelspruch wurde im Laufe seiner Überlieferung immer mehr an die synoptischen Parallelen angeglichen, bis er schließlich die Form des koptischen EvThom 6,5–6 hatte, die erkennbar vom sahidischen Mt 10,26 beeinflusst ist. Nach EvThom 6,6 verschoben wurde der zweite Teil des neuen Doppellogions aus redaktionellen Gründen, um von EvThom 5 nach EvThom 6 eine formale Steigerung der Aussage zu erhalten und damit gleichzeitig die ersten sechs Logien des Thomasevangeliums als einleitende Einheit der ganzen Schrift abzugrenzen und hervorzuheben. Während die Entstehung des Doppellogions und auch seine Angleichung an die synoptische Überlieferung gut auf dem Wege primärer oder sekundärer Mündlichkeit stattgefunden haben kann, ist seine Verschiebung ans Ende von EvThom 6 nur im Rahmen einer schriftlichen Redaktion denkbar und sinnvoll. Eine Crux stellt für die Ausleger des Thomasevangeliums nach wie vor EvThom 30 dar. V.1 bietet in der koptischen Version eine sinnlose Tautologie, die sich auch mit dem Hinweis auf dahinter liegende semitische Sprach- und Denkformen nicht auflösen lässt. Denn für einen koptischen Rezipienten, der aus dem Pluralnomen („Götter“) sicher nicht das hebräische ĔĐċēć – ob nun als Bezeichnung für den einen Gott oder für eine Mehrzahl von Richtern – heraushört, ist der Text in jedem Fall unverständlich geworden. Dasselbe gilt auch für die griechische Fassung von V.1, falls dort tatsächlich θεοί gestanden haben sollte. Dagegen gibt ein papyrologisch mögliches ἄθεοι als bewusster Gegensatz zu Mt 18,20 im Kontext des Thomasevangeliums einen guten Sinn: Jesus sagt seine Gegenwart ausschließlich dem Einzelnen zu, der auch sonst im Thomasevangelium den Idealtyp des Jüngers darstellt, während die Gemeinschaft der Jünger als gottlos bezeichnet wird. Dies entspricht genau der Einstellung zur christlichen Gemeinschaft, die Clemens von Alexandrien als Extremposition seiner Gegner verwirft. Gleichzeitig kann er aber auch selbst die zwei oder drei aus Mt 18,20 nicht nur auf die Versammlung der Christen beziehen, sondern auch auf den Einzelnen, der die verschiedenen Anteile seiner menschlichen und christlichen Existenz in idealer Weise integriert und dadurch zum gnostischen Menschen wird. Der soteriologische Gegensatz zwischen Individuum und Gemeinschaft, den das griechische EvThom 30 aufstellt, erscheint in der Form, die ) in V. 2 aufder koptische Text bezeugt, durch die Einfügung von „zwei“ ( geweicht. Diese Veränderung ist wohl auf den Einfluss der Spruchform von Mt 18,20 auf die Form des Thomaslogions zurückzuführen. Damit hängt auch die Umstellung des Doppellogions Pap Ox 1,27–30 nach EvThom 77,2–3 zusammen. Im Zusammenhang des griechischen EvThom 30 unterstreicht der Spruch vom Holzhacken und Steineaufheben die uneingeschränkte Gegenwart Jesu im Alltag des Einzelnen. Nachdem EvThom 30 in der koptischen Form diese Pointe verloren hatte, musste das im Griechischen angehängte Doppellogion deplatziert

3.2. Ergebnisse des text- und formkritischen Vergleichs der Zeugen

241

wirken. Die Homonymität von „spalten“ und „gelangen zu“ im koptischen hat dann das Ihre zur Umstellung des ursprünglichen Schlusses von EvThom 30 nach EvThom 77 beigetragen. In der neuen Position hat das Doppellogion die Funktion, die in EvThom 77,1 ausgesagte Allexistenz Jesu auf die Erfahrbarkeit seiner Gegenwart bei der alltäglichen Arbeit herunterzubrechen. Bis auf die zuletzt genannte Textumstellung sind alle Veränderungen in der schriftlichen wie in der mündlichen Überlieferung möglich. Gerade auch der Gegensatz des griffigen griechischen EvThom 30,1–2 zum Mt 18,20 braucht das schriftliche Medium nicht, um dennoch von Kennern der christlichen Überlieferungen wahrgenommen zu werden. EvThom 36 liefert ein eindrückliches Beispiel dafür, dass der Weg der Überlieferung nicht unbedingt von der kleineren zur größeren Einheit gehen muss, sondern dass größere Einheiten auch nach und nach schrumpfen und dabei gleichzeitig Reminiszenzen an ausgefallene Teile der Überlieferung bewahren können. Dies ist schon im griechischen Mahnspruch EvThom 36A (Pap Ox 655,I,a.1–7) der Fall, der sowohl die Mahnung zur Sorglosigkeit (Q 12,22) als auch das dazugehörige redaktionelle Kommentarwort (Q 12,23) aus der Logienquelle verarbeitet, ohne jedoch die Güterabwägung zwischen Leben und Nahrung sowie zwischen Leib und Kleidung mit zu übernehmen. Dass dennoch die ganze Einheit von Q 12,22–23 hinter EvThom 36A steht, ist daran ersichtlich, dass die Motive der Nahrung (τροφή) und der Kleidung (ἔνδυμα) aus dem Kommentarwort der Logienquelle in die Form des griechischen Thomaslogions eingeflossen sind. Besonders vielsagend ist dabei die Ersetzung von ἔνδυμα durch στολή, das einerseits an das Prachtgewand Salomos sowie an das Federkleid der Raben – also an Themen der Q-Spruchreihe, die in EvThom 36 ausgefallen sind – erinnert und andererseits auf das eine Gewand der Jünger als ihre einzig notwendige Ausrüstung in EvThom 36B (Pap Ox 655,I,7–17) vorausweist. Im dortigen Vergleich der Jünger mit den Lilien entspricht deren selbstverständliches Wachstum der Frage nach der Körpergröße der Jünger und dem einen Gewand der Lilien die feste Zusage, dass auch die Jünger von Gott ihr Gewand erhalten werden. Aus der skeptischen Zwischenreflexion in Q 12,25, welche die Nutzlosigkeit der menschlichen Sorge thematisiert, ist dabei die Zusicherung geworden, dass der, welcher das Wachstum ermöglicht, auch die für den herangewachsenen Leib notwendige Kleidung zur Verfügung stellen wird. Dass in EvThom 36B nur das Thema der Kleidung aus EvThom 36A mit dem Lilienbeispiel vertieft wird, während das in der Überlieferung damit verbundene Rabenbeispiel weggefallen ist, wird durch die Kombination mit dem folgenden EvThom 37, wo nur noch die Kleidung eine Rolle spielt, erklärlich. Zu beachten ist dabei im griechischen Text das dialektische Verhältnis zwischen EvThom 36B, wo das Bedürfnis des Menschen nach Kleidung positiv beantwortet wird, und EvThom 37, wo die Kleider zur Metapher für die leibgeschlechtliche Verfasstheit des Menschen, die es zu überwinden gilt, geworden ist. Erst durch die Streichung

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3. Schluss: Welcher Thomas?

von EvThom 36B in der Spruchform des koptischen Zeugen wird diese Dialektik aufgehoben und mit dem Wegfall des Nahrungsmotivs in EvThom 36A schließlich ein Zusammenhang geschaffen, in dem die menschliche Sorge um die Kleidung gänzlich in Misskredit geraten ist, weil sich diese Sorge auf die leibliche Verfasstheit des Menschen richtet und damit nach Ansicht der letzten greifbaren Bearbeitung des Textes fehlgeleitet ist. Insgesamt kann man im Blick auf EvThom 36 und sein Verhältnis zur Q-Spruchreihe vom Sorgen sagen: Wie die Q-Reihe erkennbar aus kleineren Einheiten der Überlieferung zusammengewachsen ist, so gibt sich EvThom 36 deutlich als ein Kondensat dieser Spruchreihe zu erkennen, das Reminszenzen nicht nur an deren ursprüngliche Bestandteile, sondern auch an die redaktionellen Elemente Q 12,23.25 bewahrt und daher ihren Ausgang mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Q-Überlieferung genommen hat. Eine derart subtile Verdichtung dieser Überlieferung, wie wir sie in EvThom 36 vorfinden, ist nur im schriftlichen Medium denkbar.

3.3. Grundzüge der Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums Nach der Rekapitulation der Einzelergebnissen sollen nun abschließend Grundzüge der Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums aufgezeigt werden. Dies kann freilich nicht geschehen, ohne vorab an die Grundlage unserer Bemühungen zu erinnern. Die griechischen Zeugen erlauben uns aufgrund ihres fragmentarischen Erhaltungszustandes nur einen kleinen Einblick in die Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums vor seiner Niederschrift im Nag-Hammadi-Codex II. Mancher Schluss, den wir auf dieser Grundlage ziehen, könnte allein durch diesen Mangel bedingt sein, dessen Beseitigung uns womöglich zu anderen Schlüssen zwingen würde. Doch wir kennen aus der Vergangenheit immer nur einen Bruchteil des Ganzen. Das darf uns nicht davon abhalten, das auf uns Gekommene zu interpretieren, und erst neue Texte mögen dann auch neue Schlussfolgerungen nahelegen. Fragen wir also zum Schluss, welcher Thomas sich uns zeigt, wenn wir seine Zeugen in ihrer Eigenständigkeit wahrnehmen. 3.3.1. Thomas und frühchristliche Logienüberlieferung Ein erster Punkt betrifft die vieldiskutierte Frage nach dem Verhältnis des Thomasevangeliums zur synoptischen, aber auch zur johanneischen Überlieferung und – damit verbunden – nach Zeit und Ort seiner Entstehung. Hier haben unsere Analysen einen differenzierten Befund zu Tage gefördert, der eine pauschale Einordnung des Thomasevangeliums, wie es uns heute in seiner teilweise

3.3. Grundzüge der Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums

243

doppelten Bezeugung vorliegt, verbietet. Mit EvThom 36 haben wir das Beispiel eines Logions, dessen formgeschichtliche Entwicklung sich nur ausgehend von der schriftlichen Fassung der Q-Spruchreihe vom Sorgen erklären lässt,1 welche in der Überlieferung des Thomaslogions immer weiter kondensiert und schließlich im koptischen Text zusammen mit EvThom 37 einer ganz anderen Intention dienstbar gemacht wurde. Der Einzelspruch im griechischen EvThom 5,2 und 6,5 weist die redaktionelle Form der lukanischen Parallele auf, von der die Entwicklung des Thomaslogions wahrscheinlich ihren Ausgang genommen hat. Die Spruchform der lukanischen Redaktion kann allerdings auch auf dem Wege sekundärer Mündlichkeit in die Thomastradition gelangt sein. Dasselbe gilt für die Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen vor Thomas, die vom vierten Evangelisten gestaltet wurde und nach unserer Rekonstruktion im Hintergrund des griechischen Incipits mit EvThom 1 steht. Davon unterscheidet sich wiederum das griechische EvThom 30,1–2 in seiner Opposition zu Mt 18,20, weil diese Konstellation nicht erkennen lässt, welches der beiden Worte auf das andere reagiert. Für EvThom 2 und 3 gibt es zwar teilweise paralleles Spruchgut in der synoptischen Überlieferung, ein bestimmtes Verhältnis zur Thomasüberlieferung ist aber auf formgeschichtlichem Wege nicht erkennbar. So ist das Ergebnis in dieser Frage ein dreifaches: Zum einen enthält die Überlieferung des Thomasevangeliums Logien, die ihrer Form nach von der schriftlichen Überlieferung des parallelen synoptischen bzw. johanneischen Materials abhängig sind und offenbar von dort aus weiterentwickelt wurden; zum anderen ist die formale Angleichung der Logien an vielen Stellen auf dem Wege primärer oder sekundärer Oralität erklärbar, die eine genaue Bestimmung des zeitlichen Zueinanders der unterschiedlichen Überlieferungen nicht zulässt; und schließlich gibt es noch die Logien, in denen ein Einfluss in die eine oder andere Richtung formkritisch nicht nachweisbar ist. Die Thomaslogien der ersten Kategorie sind der Form nach jedenfalls jünger als die entsprechenden Logien der kanonischen Evangelien in ihrer schriftlichen Form, diejenigen der zweiten und dritten Kategorie können älter sein, müssen es aber nicht. Obschon in erster Linie negativ, ist dies ein wichtiges Ergebnis: Wir haben keine Anhaltspunkte gefunden, die eine sehr frühe Datierung eines der untersuchten Logien, etwa im ersten Jahrhundert, erzwingen oder gar beweisen würde.2 Die Thomastradition selbst, die in der Spruchsammlung mit dem Incipit, EvThom 13 und der Subscriptio nur sehr schwach verankert ist, hat ihren Ausgangspunkt in der Darstellung der Thomasfigur im Johannesevangelium, ist also in ihren Anfängen jedenfalls nach diesem anzusetzen. Dieser traditionsgeschichtliche Zusammen1 Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Q-Spruchreihe auch über das Matthäus- oder Lukasevangelium in die Thomasüberlieferung gelangt sein kann. Den Ausgangspunkt der gesamten Entwicklung bildet aber jedenfalls die Fassung in Q. 2 Dagegen rechnet z. B. DeConick (Translation, 25–26) EvThom 2; 5; 30 und 36 zu ihrem Kernevangelium, das sie in die Jahre 30–50 datiert.

244

3. Schluss: Welcher Thomas?

hang spricht dann auch dafür, dass beide Schriften – wie beim Thomasevangelium gewöhnlich angenommen3 – tatsächlich in Syrien entstanden sind. 3.3.2. Dialektik und Tilgung Die Textform des koptischen Thomasevangeliums weist an vielen Stellen Spuren einer sekundären Bearbeitung auf, die wohlgeformte Einheiten, welche im Vergleich mit dem griechischen Text noch greifbar sind, zerstört hat. Durchgängig ist dabei das Interesse festzustellen, gnostisch interpretierbare Aussagen zu relativieren bzw. zu tilgen. Ein Beispiel für eine solche Tilgung haben wir in EvThom 2 gesehen, wo das Stichwort der Ruhe als der ursprüngliche Zielpunkt der Gradatio ohne Rücksicht auf die geprägte Form derselben gestrichen worden ist. Nun kann man fragen, welchen Sinn die Unterdrückung des Ruhe-Motivs in EvThom 2 gehabt haben soll, wo es doch in EvThom 50; 60 und 90 jedenfalls stehengeblieben ist. Man darf daraus wohl schließen, dass Tilgung und sukzessive Reinterpretation einander nicht ausschließen, sondern gegebenenfalls ergänzen. Welches das Mittel der Wahl ist, hängt nicht zuletzt davon ab, an welcher Stelle ein bestimmtes Logion in der Spruchsammlung steht. Anfang und Schluss einer Schrift sind für ihre Wahrnehmung und Beurteilung als Ganze von entscheidender Bedeutung und daher meist mit besonderer Sorgfalt gestaltet. Das ist auch im Thomasevangelium der Fall,4 das ansonsten oft den Anschein einer zufälligen Anhäufung des Materials erweckt. So ist es erklärlich, dass in EvThom 2 alles vermieden werden soll, was das Folgende für den Leser von Anfang an in Misskredit bringen könnte. Dies ist wohl der Grund, weshalb das leicht missverständliche Stichwort der Ruhe an dieser Stelle gestrichen wurde. Deswegen musste es aber nicht gleich durchgängig getilgt werden. Es genügte offenbar, es durch andere Logien im gewünschten Sinne zu interpretieren. So hatten wir gesehen, dass in EvThom 50,3 „Bewegung und Ruhe“ zwar nicht an sich, wohl aber im Kontext des Aufstiegsrituals der Seele gnostisch zu verstehen sind. Dazu fügt sich auf den ersten Blick EvThom 60,6, wo Jesus die Jünger dazu auffordert, für sich nach einem Ort der Ruhe zu suchen, damit sie nicht zu einem Leichnam werden; dieser Ort muss nach EvThom 56 außerhalb der Welt liegen, weil die ganze Welt ein Leichnam ist. Dann erfährt jedoch der ganze Zusammenhang durch die Dublette in EvThom 80 eine neue Interpretation. Die Welt wird nicht mehr als Leichnam ( ), sondern als Leib ( ) bezeichnet; das heißt, sie ist nicht immer schon tot, wohl aber dem Tode verfallen. So gesehen, erscheint auch EvThom 60,6 in einem 3

Für das Johannesevangelium vgl. Theobald, Joh 1, 94–98. Dass EvThom 3 und 113 readktionell aufeinander bezogen sind, haben wir in Kap. 2.3.7 gesehen. Dasselbe gilt auch für das Incipit mit EvThom 1 und EvThom 114 (vgl. Eisele, Ziehen, 411–412; Lelyveld, Logia, 113–143). 4

3.3. Grundzüge der Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums

245

neuen Licht: Den gesuchten Ort der Ruhe können die Jünger nunmehr auch in der Welt finden, wenn sie ihr gegenüber eine asketische Distanz einnehmen, um nicht mit ihr dem Tode zu verfallen. Indem sich Jesus selbst in EvThom 90 als Ort der Ruhe für die Jünger präsentiert, erhalten die Jünger einen innerweltlichen Anknüpfungspunkt für ihre soteriologische Suche, der sie zugleich über diese Welt hinausführt. Am Ende ist damit die Ruhe kein Passwort mehr für den gnostischen Aufstieg der Jünger, sondern Ausdruck für ihre Ankunft bei Jesus selbst. Das ist der letzte Eindruck des Lesers, was seine Suche nach der eschatologischen Ruhe anbelangt – ein Eindruck, den er in einer dialektischen Reihe von Reinterpretationen des Ruhe-Motivs gewinnen konnte. Wie Dialektik und sukzessive Reinterpretation funktionieren, lässt sich auch an EvThom 3 und 113 ablesen. Zur griechischen Form von EvThom 3 steht EvThom 113 – falls es in dieser Form im griechischen Thomasevangelium bereits enthalten war – in einem dialektischen Verhältnis: Während die Jünger nach EvThom 3 das Reich Gottes auf dem Wege der Selbsterkenntnis in sich selbst suchen müssen, ist es nach EvThom 113 offen auf der Erde ausgebreitet und wird von den Menschen nur nicht wahrgenommen. Dieses dialektische Verhältnis, in dem EvThom 113 am Ende die einseitige Sicht von EvThom 3 korrigiert, wird im koptischen Thomasevangelium dadurch aufgehoben, dass die Außenperspektive von EvThom 113 durch die entsprechenden Zusätze auch in EvThom 3 bereits eingetragen wird. So hat das ursprüngliche EvThom 3, das – wie oben gesehen – nicht mit dem griechischen identisch ist, eine Reinterpretation erfahren, die Anfang und Schluss des Thomasevangeliums noch enger miteinander verbindet. Im Fall von EvThom 36 und 37 intendiert die Zusammenstellung beider Sprüche im griechischen Text ein dialektisches Verständnis, das einerseits das Bedürfnis der Jünger nach Kleidung und ihre Sorge darum ernst nimmt und andererseits diese Sorge um das eigene Wohl auf ein höher gelegenes soteriologisches Ziel umlenkt, nämlich die Unabhängigkeit der Jünger von dieser leiblich verfassten Welt und ihrer Todverfallenheit. In der weiteren Entwicklung des Logienkomplexes wird diese dialektische Sicht auf die Jüngerexistenz jedoch nach einer Richtung hin aufgelöst, indem EvThom 36B mit dem Lilienbeispiel und die Sorge um die Kleidung aus EvThom 36A getilgt werden. Übrig bleibt dann ein Logienkomplex, der sich nicht mehr um die alltäglichen Sorgen und Nöte kümmert, sondern nur noch am höher gelegenen Heilsziel interessiert ist, nämlich der Einswerdung des Jüngers mit sich selbst in der Abkehr von der gespaltenen Welt, die sich vor allem in der leiblichen Geschlechtlichkeit äußert.

246

3. Schluss: Welcher Thomas?

3.3.3. Dublette und Analogie An dieser Stelle sind zwei Beobachtungen festzuhalten, die wir nicht im Vergleich zwischen dem griechischen und dem koptischen Text des Thomasevangeliums, sondern gewissermaßen beiläufig am koptischen Text gemacht haben. Es handelt sich um zwei gegenläufige Verfahren der formalen und inhaltlichen Verknüpfung von Logien. Das eine betrifft die vielfach schon angesprochenen Dubletten. Die eben erwähnten EvThom 56 und 80 sind dafür das beste Beispiel. In einem bis auf minimale Abweichungen völlig identischen Spruch wird das zentrale Stichwort ) durch „Leib“ durch ein anderes ersetzt, in diesem Fall „Leichnam“ ( ( ). Dadurch wird ein doppeltes Ziel erreicht. Auf der einen Seite lässt die wörtliche Wiederholung keinen Zweifel daran, dass es sich um die Wiederaufnahme eines schon einmal geäußerten Gedankens handelt, und stellt so einen klaren Bezug zwischen beiden Logien her. Damit ist klar, dass das eine Logion zur Interpretation des anderen herangezogen werden kann und nach dem Willen dessen, der die Dublette eingefügt hat, auch muss. Bei der lockeren Anordnung der Sprüche ist das sonst vielfach eine offene Frage, inwiefern und mit welchem Recht ein bestimmtes Logion überhaupt zur Interpretation eines anderen, das weit entfernt davon steht, benutzt werden darf. Auf der anderen Seite wird der Sinn des Spruches durch den Austausch eines einzigen Wortes, das einen wesentlichen Inhalt der Aussage trägt, ebenso klar modifiziert. Das andere Verfahren ist ein Analogieschluss und entspricht der aus der rabbinischen Schriftauslegung bekannten Gezera schawa („gleiche Verordnung“) bzw. der in der hellenistischen Rhetorik geläufigen σύγκρισις πρὸς ἴσον („Vergleich mit Gleichem“).5 Im rabbinischen Analogieschluss haben zwei Sätze nur einen Ausdruck gemeinsam, während sie sich im Übrigen voneinander unterscheiden. Der gemeinsame Ausdruck berechtigt aber dazu, den einen Satz analog zum anderen auszulegen. Verbindende Ausdrücke sollen dabei „für das Verständnis des Satzes nicht notwendig sein, sodaß man annehmen kann, die Bibel selbst habe sie schon im Hinblick auf den zu ziehenden Analogieschluß gesagt“6. Eine solche von einem Bearbeiter bewusst geschaffene Analogie scheint in EvThom 22 und 37 vorzuliegen. Wie bei der Analyse von EvThom 37 bemerkt, sind die dort erwähnten Kinder oft als deplatziert empfunden worden. Sie sind also zum Verständnis des Spruches nicht nur unnötig, sondern geradezu störend. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Erwähnung der Kinder an dieser Stelle einem anderen Zweck dienen sollte, nämlich eine deutliche Verbindung zu EvThom 22 herzustellen und EvThom 37 von dorther zu interpretieren. Ist in EvThom 37, für sich genommen, nicht ganz verständlich, was das Ablegen der 5 6

Vgl. Stemberger, Einleitung, 28–29. Stemberger, Einleitung, 29.

3.3. Grundzüge der Text- und Überlieferungsgeschichte des Thomasevangeliums

247

Kleider bzw. der Scham konkret bedeuten soll, so wird im Lichte von EvThom 22 klar, dass damit die Überwindung der leibgeschlechtlichen Zweiheit des Menschen und seine Rückkehr zur ursprünglichen Einheit Adams mit sich selbst gemeint ist, welche die Kinder in idealer Weise symbolisieren. 3.3.4. Angleichung an „orthodoxe“ frühchristliche Traditionen An verschiedenen Stellen des koptischen Thomasevangeliums ist das Bestreben erkennbar, die Logien an anderweitige frühchristliche Traditionen anzugleichen und dadurch „orthodoxer“ zu machen. Auch damit ist eine bestimmte Art der Reinterpretation seiner eigenen Überlieferung verbunden. So ist die Aussage des griechischen EvThom 30, das Jesu Gegenwart ausschließlich dem Einzelnen verspricht, im koptischen Spruch relativiert worden, indem unter dem Einfluss der Spruchform von Mt 18,20 die Zusage Jesu auf zwei Jünger, die beieinander sind, ausgeweitet wird. Was die Bearbeitung mit den dreien intendiert hat, lässt sich leider nicht mehr herausfinden, weil der Text an dieser Stelle offenbar verderbt ist. Klar ist aber in jedem Fall, dass der provokante Gegensatz zum Mt 18,20 aufgelöst und eine harmonische Fassung von EvThom 30 hergestellt werden sollte, die der koptische Text im Ansatz noch bezeugt. Ein Beispiel für eine solche Art der Angleichung liefert auch EvThom 3, das insofern noch interessanter ist, als hier nicht auf die synoptische Logienüberlieferung, sondern auf die paulinische Tradition zurückgegriffen wird. Während das griechische EvThom 3,4–5 allein mit dem Gedanken der Selbsterkenntnis operiert, tritt die Selbsterkenntnis der Jünger im koptischen Spruch in ein Wechselverhältnis zu ihrem Erkanntwerden durch Gott und erinnert dadurch deutlich an die paulinische Formulierung der – im doppelten Sinne verstandenen – Erkenntnis Gottes in Gal 4,9. Darin darf man wohl eine bewusste Korrektur des ursprünglichen Gedankens vermuten. Der griechische Spruch propagiert ja nicht nur Selbsterkenntnis im Sinne der klassischen delphischen Maxime γνῶθι σαυτόν („erkenne dich selbst!“), sondern die Selbsterkenntnis soll den Jüngern das Wissen um ihre Gottessohnschaft bringen; sie ist also das Mittel schlechthin, durch dessen Anwendung die Jünger der drohenden Armut entgehen und sich gleichzeitig ihrer besonderen Beziehung zum lebendigen Vatergott bewusst werden. Diesen gnostisch interpretierbaren Gedanken7 korrigiert die spätere Form des Logions, indem nach paulinischen Vorbild die Selbsterkenntnis um das Erkanntwerden durch Gott ergänzt und damit in ihrer soteriologischen Bedeutung relativiert wird. Um eine ähnliche Form der nachträglichen Korrektur auf dem Wege der Angleichung an eine andere frühchristliche Tradition könnte es sich auch bei dem oben schon besprochenen EvThom 90 handeln. Hier ist der Fall freilich nicht so 7

Vgl. im typologischen Modell von Markschies (Gnosis, 25–26) die Nr. 7.

248

3. Schluss: Welcher Thomas?

klar, weil wir keinen griechischen Zeugen besitzen und daher keinerlei Anhaltspunkt haben, ob und in welchem Umfang EvThom 90 in einer früheren Fassung des Thomasevangeliums bereits enthalten war. Denkbar ist aber in jedem Fall, dass dieses Logion nachträglich eingefügt wurde, um das bereits im Zuge von EvThom 50 und 60 – zusammen mit EvThom 56 und 80 – immer wieder aufgenommene und reinterpretierte Motiv der Ruhe abschließend in Anlehnung an den matthäischen Spruch und damit in einer gnosisunverdächtigen Form zu ) und „Ruhe“ präsentieren. Da die Kombination von „Herrschaft“ ( ( ) gleichzeitig die letzten beiden Glieder der Gradatio im griechischen EvThom 2 aufnimmt, müsste diese Ergänzung zu einem Zeitpunkt erfolgt sein, zu dem EvThom 2 noch unversehrt war. Erst später wäre dann ohne Rücksicht auf diesen nicht unwichtigen Zusammenhang das ambivalente Motiv der Ruhe aus EvThom 2 schlankerhand gestrichen worden. Überschauen wir die genannten Beispiele, so ist in allen Änderungen ein und dieselbe Intention erkennbar. Sie besteht darin, gnostisch anmutenden Logien durch eine Angleichung an andere frühchristliche Traditionen einen deutlich nichtgnostischen Sinn zu verleihen. Dies ist insofern bemerkenswert, als sich hier die Überlieferung vom älteren griechischen hin zum jüngeren koptischen Zeugen nicht auf dem Weg zur Gnosis, sondern von der Gnosis weg befindet. Natürlich muss man sich hüten, auf der Basis weniger Beispiele allzu weitreichende Schlüsse zu ziehen. Aber die Beobachtung ist dennoch der Erwähnung wert, weil sonst im Bezug auf das Thomasevangelium oft von einer „Jesusüberlieferung auf dem Weg zur Gnosis“8 die Rede ist. Demgegenüber haben wir an einigen Stellen die entgegengesetzte Entwicklung festgestellt. Das eine schließt freilich das andere nicht aus: Wie der griechische Text an manchen Stellen eine Entwicklung hin zu gnostischen Vorstellungen erkennen lässt, so kann der koptische in einigen Logien die entgegengesetzte Bewegung dokumentieren. Dabei ist denkbar, dass die Änderungen des koptischen Textes erst spät erfolgten und ihren Sitz im Leben womöglich erst in den alten ägyptischen Klöstern hatten, denen die Codices von Nag Hammadi zugeordnet werden. In einem solchen Kontext könnte man sich gut denken, dass eine Schrift, die einzelne gnostische Züge trug und nicht nur aus häresiologischem Interesse aufbewahrt wurde, für den eigenen Gebrauch an einigen Stellen etwas „orthodoxer“ gemacht worden wäre.9 Nun könnte man gegen diese Sicht der Dinge einwenden, dass im Fall von EvThom 36–37 die Entwicklung in umgekehrter Richtung gelaufen sei. Soviel stimmt: Die griechische Form der beiden Logien setzt das menschliche Bedürfnis nach Kleidung und die Versicherung Jesu, dass dieses Bedürfnis von Gott erfüllt wird, noch in ein dialektisches Verhältnis zur Vorstellung von EvThom 8 Schröter, Erinnerung, 140; ebenso Schröter / Bethge, Thomas, 163. Patterson (Thomas, 197–198) spricht von einer „gnosticizing proclivity“ des Thomasevangeliums. 9 Vgl. oben Kap. 2.2.7, Abschnitt e).

3.4. Ein einziger Thomas?

249

37, wonach die Kleider und damit auch die diesbezügliche Sorge um den Leib grundsätzlich abzulegen sind, wenn die Jünger Jesus sehen wollen; dagegen ist in der koptischen Form jeder positive Bezug auf die leiblichen Bedürfnisse der Jünger verlorengegangen. Nun ist es aber wichtig, diese formale und inhaltliche Veränderung von EvThom 36–37 ideengeschichtlich richtig einzuordnen. Dann zeigt sich, wie wir oben gesehen haben, dass man darin keine Entwicklung hin zu der generellen Leibfeindlichkeit sehen muss, wie sie die Gnosis kennzeichnet. Viel eher kommt hier eine asketische Lebenshaltung zum Ausdruck, wie wir sie auch in EvThom 56; 60 und 80 angetroffen haben. Sie äußert sich in dem Versuch, die leibgeschlechtliche Verfasstheit des Menschen in ihrer prägenden Kraft für das menschliche Leben so weit wie möglich zu überwinden, um auf diese Weise schon in dieser Welt ansatzweise in den paradiesischen Urzustand der Einheit des Menschen mit sich selbst zurückzukehren. Da als ein Weg zur Umsetzung dieses Ideals die Ehelosigkeit betrachtet wurde, passt ein solcher Gedanke gut zum Leben der ägyptischen Mönche, in deren Besitz sich die Codices von Nag Hammadi vermutlich befunden haben.

3.4. Ein einziger Thomas? Im Laufe unserer vergleichenden Studien am griechischen und koptischen Text des Thomasevangeliums ist ein Zweifaches klar geworden: So sehr sich im Einzelnen bestimmte Gründzüge in der Art und Weise, wie die Logienüberlieferung des Thomasevangeliums im Laufe der Zeit bearbeitet und weiterentwickelt wurde, nachweisen lassen, so wenig ergibt sich daraus ein zusammenhängendes Bild in dem Sinne, dass man im griechischen oder im koptischen Text eine planvolle, das Ganze durchdringende Komposition oder Redaktion der zusammengestellten Materialien feststellen könnte. Ein letztes Beispiel mag dies zum Abschluss noch einmal veranschaulichen. Wir hatten bei der Analyse von EvThom 5 und 6 darauf hingewiesen, dass die Umstellung von EvThom 5,3 nach EvThom 6,6 nach der Angleichung des Doppellogions an die synoptische Überlieferung dazu diente, im koptischen Thomasevangelium das Ende der einleitenden Logien zu markieren. Vom Prolog bis EvThom 6 verläuft demnach eine Art Exposition der ganzen Sammlung, deren Gedankengang K. King wie folgt skizziert: „These first logia, then, set out the main themes of the Gospel of Thomas: seeking and finding life, which means to reign, which becomes a metaphor for seeking the kingdom where one shall find life and reign, that finding has to do with knowing, but the object of the quest is both hidden and manifest, mysterious and pervasive, and finally that knowing makes ethical demands.“10 10

King, Kingdom, 59–60.

250

3. Schluss: Welcher Thomas?

Doch auch wenn man diese formgeschichtliche Erklärung des Anfangs akzeptiert, gelingt es nicht, eine konsequente Durchführung dieser Exposition im Verlauf des Thomasevangeliums nachzuweisen. Zu disparat ist im Einzelnen das Material, welches Eingang in diese Sammlung von Jesusworten gefunden hat. Diese Einsicht muss gegenüber allen Versuchen, die Gestalt des Thomasevangeliums mit einem einzigen Prinzip – sei es formal oder inhaltlich – zu erfassen, bedenklich stimmen. Gerade gegenüber den in letzter Zeit vermehrten Versuchen, die Entstehung des Thomasevangeliums anhand eines einzigen Prinzips erklären zu wollen, muss dieses negative Ergebnis betont werden. Wir müssen akzeptieren, dass wir es bei dem Thomasevangelium nicht mit einem einzigen Thomas zu tun haben. Schon die zahlreichen Unterschiede zwischen der griechischen und koptischen Bezeugung dieses Textes sprechen dagegen. Alle vier Zeugen haben dabei eines gemeinsam: Sie präsentieren weder einen völlig amorphen noch einen konsequent redigierten Text der jeweiligen Logien. Bei diesem differenzierten Befund müssen künftige Detailuntersuchungen ansetzen. Es ist bisher zu viel über das Thomasevangelium geschrieben, aber zu wenig am Text des Thomasevangeliums gearbeitet worden. Wenn die vorliegende Arbeit hilft, dahin den Weg zu weisen, hat sie ihr Ziel erreicht.

4. Anhang

5 [Jesus sagte:] 6 Es soll nicht aufhören der Su[chende zu suchen, bis] 7 er findet, und wenn er findet, [wird er erschrecken, und wenn er er-] 8 schrocken ist, wird er herrschen, un[d wenn er die Herrschaft angetreten hat, wird er] 9 ruhen.

1 Dies sind die [verborgenen] Worte, [die ge-] 2 sprochen hat der lebendige Jesus u[nd die aufgeschrieben hat Judas, der] 3 auch Thomas genannt wird. Und er sagte: [Wer immer die Erklä-] 4 rung dies[er] Worte [findet, den Tod] 5 wird er nicht schmecken.

9 ήσεται.

8 βηθεὶς βασιλεύση, κα[ὶ βασιλεύσας ἐπαναπα-]

Pap Ox 654.5–9 5 [λέγει Ἰη(σοῦ)ς]· 6 μὴ παυσάσθω ὁ ζη[τῶν τοῦ ζητεῖν ἕως ἂν] 7 εὕρῃ, καὶ ὅταν εὕρῃ [θαμβηθήσεται, καὶ θαμ-]

4 αν τῶν λόγων τούτ[ων εὕρῃ, θανάτου] 5 οὐ μὴ γεύσηται.

(4)

(3)

(2)

(1)

EvThom 2

3 καὶ Θωμᾶ. καὶ εἶπεν· [ὃς ἂν τὴν 1 ἑρμηνεί-]

Pap Ox 654.1–5 1 οἷτοι οἱ {οι} λόγοι οἱ [ἀπόκρυφοι οὓς ἐλά-] 2 λησεν Ἰη(σοῦ)ς ὁ ζῶν κ[αὶ ἔγραψεν Ἰούδα ὁ]

Prolog und EvThom 1

4.1. Griechisch-koptische Synopse des Thomasevangeliums Pap Ox 1; 654; 655 und NHC II,2

(1) Jesus sagte: Es soll nicht aufhören der Suchende zu suchen, bis er findet; (2) und wenn er findet, wird er bestürzt sein; (3) und wenn er bestürzt ist, wird er erstaunt sein; (4) und er wird herrschen über das All.

Dies sind die verborgenen Worte, die der lebendige Jesus gesprochen und die Didymus Judas Thomas aufgeschrieben hat. 1 Und er sagte: Wer die Erklärung dieser Worte findet, wird den Tod nicht schmecken.

252 4. Anhang

EvThom 3 Pap Ox 654.9–21 9 λέγει Ἰ[η(σου)ς· ἐὰν] 9 Es sagte J[esus: Wenn] (1) 10 die, die euch ziehen, [zu euch 10 οἱ ἕλκοντες ἡμᾶς [εἴπωσιν ὑμῖν· ἰδοὺ] sagen: Seht,] 11 das Reich ist im Himm[el, 11 ἡ βασιλεία ἐν οὐρα[νῷ, ὑμᾶς dann werden euch voraussein] φθήσεται] 12 die Vögel des Him[mels; 12 τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρ[ανοῦ· ἐὰν (2) wenn sie aber sagen, d-] δ’εἴπωσιν ὅ-] 13 ass es unter der Erde is[t, 13 τι ὑπὸ τὴν γήν ἐστ[ιν, werden hineingehen] εἰσελεύσονται] 14 die Fische des Mee[res , (3) 14 οἱ ἰχθύες τῆς θαλά[σσης wobei sie voraus] προφθάσαν-] 15 sind euch; und das Re[ich 15 τες ὑμᾶς· καὶ ἡ βασ[ιλεία τοῦ (4) Gottes] 16 is[t] innerhalb von euch [und θεοῦ] 16 ἐντὸς ὑμῶν [ἐσ]τι [κἀκτος. ὃς außerhalb. Wer immer sich ἂν ἑαυτὸν] selbst] 17 erkennt, wird dieses fin[den, 17 γνῷ, ταύτην εὑρή[σει, καὶ ὅτε 5) und wenn ihr] 18 euch selbst erkennen werde[t, ὑμεῖς] 18 ἑαυτοὺς γνώσεσθα[ι, εἴσεσθε werdet ihr wissen, dass Söhne] ὅτι υἱοί] 19 ihr seid des le[bendigen] 19 ἐστε ὑμεῖς τοῦ πατρὸς τοῦ Vaters; [wenn aber nicht] ζ[ῶντος· εἰ δὲ μὴ] 20 ihr euch selbst erkennen 20 γνώσθε ἑαυτοὺς, ἐν [τῇ werdet, dann [seid ihr] in [der πτωχείᾳ ἐστὲ] Armut], 21 und ihr seid die Ar[mut]. 21 καὶ ὑμεῖς ἐστε ἡ πτω[χεία]. (1) Jesus sagte: Wenn die, die euch führen, zu euch sagen: „Siehe, das Königreich ist im Himmel“, dann werden euch die Vögel des Himmels zuvorkommen. (2) Wenn sie zu euch sagen: „Es ist im Meer“, dann werden euch die Fische zuvorkommen. (3) Aber das Königreich ist innerhalb von euch und außerhalb von euch. (4) Wenn ihr euch erkennt, dann werdet ihr erkannt werden, und ihr werdet wissen, dass ihr die Söhne des lebendigen Vaters seid. (5) Wenn ihr euch aber nicht erkennen werdet, seid ihr in Armut, und ihr seid die Armut.

4. Anhang

253

EvThom 5 Pap Ox 654.27–31 (1) 27 Jesus sagte: Er[kenne das, was 27 λέγει Ἰη(σου)ς· γ[νῶθι τὸ ὂν ἔμπροσ-] ist vo-] 28 r deinem Gesicht ist, und [das 28 θεν τῆς ὄψεώς σου, καὶ [τὸ κεκαλυμμένον] Verborgene] 29 vor dir wird sich [dir] offen- 29 ἀπό σου ἀποκαλυφήσετ[αί (2) σοι· οὐ γάρ ἐσ-] bar[en; denn es ist nich-] 30 τιν κρυπτὸν ὃ οὐ φανε[ρον 30 ts Verborgenes, das nicht γενήσεται], offen[bar werden wird], 31 καὶ θεθαμμένον ὃ ο[ὐκ 31 und nichts Begrabenes, das ni[cht auferweckt werden wird]. ἐγερθήσεται].

21 [Jesus sagte:] 22 Nicht wird zögern ein Men[sch, alt an Ta-] 23 gen, zu fragen ein K[ind von sieben Ta-] 24 gen nach dem Ort de[s Lebens, und er wird le-] 25 ben; denn viele E[rste] werden [Letzte] sein [und] 26 die Letzten Erste, und [sie werden in eins gelan-] 27 gen.

EvThom 4 Pap Ox 654.21–27 (1) 21 [λέγει Ἰη(σου)ς]· 22 οὐκ ἀποκνήσει ἄνθ[ρωπος παλαιὸς ἡμε-] 23 ρῶν ἐπερωτῆσε πα[ιδίον ἑπτὰ ἡμε-] 24 ρῶν περὶ τοῦ τόπου τῆ[ς ζωῆς, καὶ ζή-] (2) 25 σετε· ὅτι πολλοὶ ἔσονται π[ρῶτοι ἔσχατοι καὶ] (3) 26 οἱ ἔσχατοι πρῶτοι, καὶ [εἰς ἓν καταντήσου-] 27 σιν.

(1) Jesus sagte: Erkenne, was vor deinem Angesicht ist, und was dir verborgen ist, wird sich dir offenbaren. (2) Es gibt nämlich nichts Verborgenes, das nicht offenbar werden wird.

(1) Jesus sagte: Es wird nicht zögern der Mann in seinen alten Tagen, zu fragen ein kleines Kind von sieben Tagen nach dem Ort des Lebens; und er wird leben. (2) Denn viele Erste werden Letzte werden, (3) und sie werden ein einziger werden.

254 4. Anhang

EvThom 6 Pap Ox 654.32–40 32 [Es fr]agten ihn s[eine Jünger 32 [ἐξ]ετάζουσιν αὐτὸν ο[ἱ (1) μαθηταὶ αὐτοῦ καὶ] und] 33 [λέ]γουσιν· πῶς 33 [sa]gten: Wie sollen wir fa[sten, und wie sollen wir be-] νηστεύ[σομεν, καὶ πῶς προσ-] 34 [ευξό]μεθα, καὶ πῶς 34 [t]en, und wie [sollen wir [ἐλεημοσύνην ποιήσο-] Almosen ge-] 35 [μεν κ]αὶ τί παρατηρήσ[ομεν 35 [ben, u]nd was sollen wir περὶ τῶν βρω-] beach[ten bezüglich der Spei-] (2) 36 [se]n? Jesus sagte: [Lügt nicht, 36 [μάτω]ν; λέγει Ἰη(σου)ς· [μὴ (3) ψεύδεσθε καὶ ὅ-] und wa-] 37 [τι μις]εῖται, μὴ ποιεῖτ[ε· ὅτι 37 [s ihr ha]sst, das tu[t] nicht; (4) πάντα ἐνώπ-] [denn alles wird ange-] 38 [ιον τ]ῆς ἀληθ[ε]ίας 38 [sichts d]er Wahrheit (5) ἀν[αφαίνεται. οὐδὲν] ent[hüllt. Nichts] 39 [nämlich is]t verbor[gen, das 39 [γάρ ἐστι]ν ἀ[π] οκεκρ[υμμένον ὃ οὐ φανερὸν] nicht offenbar] (6) 40 [ἔσται]. 40 [sein wird]. (2) Jesus sagte: Sagt keine Lüge! (3) Und was ihr hasst, das tut nicht! (4) Denn es ist alles enthüllt vor dem Himmel. (5) Es gibt nämlich nichts Verborgenes, das nicht offenbar werden wird. (6) Und es gibt nichts Verhülltes, das man ohne Enthüllung lassen wird.

(1) Es fragten ihn seine Jünger; sie sagten zu ihm: Willst du, dass wir fasten? Und wie sollen wir beten und Almosen geben? Und was für ein Essen sollen wir beachten?

4. Anhang

255

Pap Ox 655 (d) 1[--ἐσ]τιν 2 [ - - - φ]ωτεινῷ 3[--κ]όσμῳ 4[--]η ἐ]στιν 5[--(3)

(2)

(1)

EvThom 24

(2)

EvThom 7 Pap Ox 654.40–42 40 [ - - - μα]κάρι[ός] ἐστιν [ - - - ] (1) 41 [ - - - λέ]ων ἔστα[ι - - - ] 42 [ - - - ]ον[ - - - ]

(1) Es sagten seine Jünger: Belehre uns über den Ort, an dem du bist; denn es ist für eine Notwendigkeit, nach ihm zu suchen. (2) Er sagte zu ihnen: Wer Ohren hat, der höre! (3) Licht ist im Innern eines Lichtmenschen, und er leuchtet der ganzen Welt. Wenn er nicht leuchtet, ist Finsternis.

(1) Jesus sagte: Selig ist der Löwe, dieser, den der Mensch fressen wird, und der Löwe wird Mensch werden. (2) Und abscheulich ist der Mensch, dieser, den der Löwe fressen wird, und der Löwe wird Mensch werden.

256 4. Anhang

3 τὸ ἐν τῷ ὀφθαλμῷ 4 τοῦ ἀδελφοῦ σου.

Pap Ox 1 (?).4–11 4 λέγει 4 Es sagte 5 Ἰ(ησοῦ)ς· ἐὰν μὴ νηστεύση5 Jesus: Wenn ihr nicht fas6 tet in Bezug auf die Welt, nicht 6 ται τὸν κόσμον, οὐ μὴ etwa 7 εὕρηται τὴν βασιλεί7 findet ihr das Rei8 αν τοῦ θ(εο)ῦ· καὶ ἐὰν μὴ 8 ch Gottes; und wenn nicht 9 ihr als Sabbat begeht den Sab- 9 σαββατίσητε τὸ σάβ10 bat, werdet ihr nicht sehen den 10 βατον, οὐκ ὄψεσθε τὸ(ν) 11 π(ατέ)ρα. 11 Vater.

[------] 1 und dann magst du zusehen, 2 dass du den Splitter herausziehst 3 im Auge 4 deines Bruders.

Pap Ox 1 (?).1–4 [------] 1 καὶ τότε διαβλέψεις 2 ἐκβαλεῖν τὸ κάρφος

(1) Wenn ihr nicht fastet in Bezug auf die Welt, werdet ihr das Königreich nicht finden. (2) Wenn ihr den Sabbat nicht zum Sabbat macht, werdet ihr den Vater nicht sehen.

(2)

(1) Jesus sagte: Den Splitter im Auge deines Bruders siehst du, den Balken aber in deinem Auge siehst du nicht. (2) Wenn du den Balken aus deinem Auge herausziehst, dann wirst du (klar genug) sehen, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.

(1)

EvThom 27

(2)

(1)

EvThom 26

4. Anhang

257

11 Jesus sagte: Ich stand 12 in der Mitte der Welt, 13 und im Fleisch erschien ich 14 ihnen, und ich fand al15 le betrunken, und 16 keinen fand ich durs17 tig unter ihnen, und es litt Schm18 -erzen meine Seele wegen 19 der Söhne der Menschen, 20 weil sie blind sind im Her21 zen, dem ihre[n] und [nicht] sea [hen, dass et cetera]

a [ουσιν ὅτι et cetera]

20 ὅτι τυφλοί εἰσιν τῇ καρ21 δίᾳ αὐτῶ[ν] καὶ [οὐ] βλέπ-

19 τοῖς υἱοῖς τῶν ἀν(θρώπ)ων

18 νεῖ ἡ ψυχή μου ἐπὶ

Pap Ox 1 (?).11–21 11 λέγει Ἰ(ησοῦ)ς· ἔ[σ]την 12 ἐν μέσῳ τοῦ κόσμου 13 καὶ ἐν σαρκ[[ε]]ὶ ὤφθην 14 αὐτοῖς καὶ εὗρον πάν15 τας μεθύοντας καὶ 16 οὐδένα εὗρον δειψῶ(ν)17 τα ἐν αὐτοῖς καὶ πο-

(2) Ich fand sie alle betrunken, ich fand keinen von ihnen durstig. (3) Und meine Seele empfand Schmerz über die Söhne der Menschen, weil sie blind sind in ihrem Herzen und nicht (klar) sehen, dass sie leer in die Welt gekommen sind und (auch) wieder leer aus der Welt zu kommen suchen. (4) Zwar sind sie jetzt betrunken. Wenn sie ihren Wein abgeschüttelt haben, dann werden sie umkehren.

(2)

(4)

(3)

(1) Jesus sagte: Ich stand inmitten der Welt, und ich erschien ihnen im Fleisch.

(1)

EvThom 28

258 4. Anhang

(3)

(2)

(1)

EvThom 29

(3)

EvThom 30 + 77 Pap Ox 1 (→).23–30 23 [Es sag]te [Jesus: W]o immer 23 [λέγ]ει [Ἰ(ησοῦ)ς· ὅπ]ου ἐὰν 30 (1) ὦσιν sind 24 [τρ]ε[ῖς], ε[ἰσὶ]ν ἄθεοι· καὶ 24 [d]r[ei], s[in]d sie gottlos; und (2) 25 [ὅ]που ε[ἷς] ἐστιν μόνος, 25 [w]o ei[ner] ist allein, 77 (1) 26 [λ]έγω· ἐγώ εἰμι μετ’αὐ26 sage ich: Ich bin mit i27 τ[οῦ]. ἔγει[ρ]ον τὸν λίθο(ν) 27 h[m]. Heb den Stein auf, 28 κἀκεῖ εὑρήσεις με· 28 und dort wirst du mich finden; 29 σχίσον τὸ ξύλον κἀγὼ 29 spalte das Holz, und ich (2) 30 ἐκεῖ εἰμι. 30 bin dort.

b [ - - - be-] 22 [w]ohnt [di]e[s]e Armut.

Pap Ox 1 (→).22 b [ - - - ἐνοι-] 22 [κ]εῖ [ταύτ]η[ν τ]ὴν πτωχεία(ν).

(2) Spaltet ein (Stück) Holz, ich bin dort. (3) Hebt den Stein auf, und ihr werdet mich dort finden.

Licht, dieses, das über allem (allen?) ist. Ich bin das All. Das All ist aus mir hervorgegangen, und das All ist bis zu mir gelangt.

(2) wo zwei oder einer ist, mit dem bin ich. 77 (1) Jesus sagte: Ich bin das

30 (1) Jesus sagte: Wo es drei Götter gibt, sind sie Götter;

(1) Jesus sagte: Wenn das Fleisch entstanden ist wegen des Geistes, ist es ein Wunder; (2) wenn der Geist aber wegen des Leibes, ist es Wunder über Wunder. (3) Aber ich wundere mich darüber, wie sich dieser große Reichtum niedergelassen hat in dieser Armut. 4. Anhang

259

34 θεραπείας εἰς τοὺς 35 γεινώσκοντας αὐτό(ν).

(2)

(1)

EvThom 31

EvThom 32 Pap Ox 1 (→).36–41 36 Jesus sagte: Eine Stadt, die er- 36 λέγει Ἰ(ησοῦ)ς· πόλις οἰκοδο37 μημένη ἐπ’ἄκρον 37 baut ist auf dem Gipfel 38 [ὄ]ρους ὑψηλοῦ{ς} καὶ ἐσ38 eines hohen [B]erges und die be39 τηριγμένη οὔτε πε39 festigt ist, weder fa40 [σ]εῖν δύναται οὔτε κρυ40 [l]len kann sie noch ver41 [β]ῆναι. 41 [b]orgen werden.

30 Jesus sagte: Nic31 ht ist willkommen ein Pro32 phet in der Heimat sei33 n[e]r, und nicht macht ein Arzt 34 Behandlungen an denen, 35 die ihn kennen.

Pap Ox 1 (→).30–35 30 λέγει Ἰ(ησοῦ)ς· οὐ31 κ ἔστιν δεκτὸς προ32 φήτης ἐν τῇ π(ατ)ρίδι αὐ33 τ[ο]ῦ, οὐδὲ ἰατρὸς ποιεῖ

Jesus sagte: Eine Stadt, die man auf einem hohen Berg befestigt baut, kann nicht fallen, noch wird sie sich verbergen können.

(1) Jesus sagte: Kein Prophet ist willkommen in seinem Dorf. (2) Kein Arzt heilt die, die ihn kennen.

260 4. Anhang

41 Jesus sagte: du hörst 42 [i]n dein eines Ohr hinein, d[a-] 43 [s verkünde et cetera]

43 [το κήρυξον et cetera]

(3)

(2)

EvThom 33 Pap Ox 1 (→).41–42 (1) 41 λέγει Ἰ(ησοῦ)ς· ἀκούεις 42 [ε]ἰς τὸ ἓν ὠτίον σου, το[ῦ-] (1) Jesus sagte: Das, was du mit deinem Ohr (und) dem anderen Ohr hören wirst, verkünde von euren Dächern! (2) Denn niemand zündet eine Lampe an und stellt sie unter einen Scheffel, noch stellt er sie an einen verborgenen Ort, (3) sondern er stellt sie auf den Leuchter, damit jeder, der hereinkommt und hinausgeht, ihr Licht sieht.

4. Anhang

261

a [Jesus sagte: Nicht sor-] 1 [gt euch v]on frühmorgens b[is spätabends], 2 [noc]h vom Ab[end] 3 [bis früh]morgens, weder [um die] 4 [Nahrung e]ure, was ihr es5 [sen sollt, noch] um die Kl[ei-] 6 [dung eure], was ihr an7 [zie]hen sollt. [Um vie]les be[s-] 8 [se]r s[eid ihr] als die [Lil-] 9 ien, di[e nic]ht kre[m-] 10 peln und nicht sp[in]nen. W[enn ihr kei-] 11 n hab[t G]ew[a-] 12 nd, was zi[eht an] auch 13 ihr? Wer könnte wohl hinzufügen 14 zur Körpergröße 15 eurer? De[r wird g]eben 16 euch die Kleidung e17 ure.

15 ὑμῶν; αὐτὸ[ς δ]ώσει 16 ὑμεῖν τὸ ἔνδυμα ὑ17 μῶν.

14 ἐπὶ τὴν εἱλικίαν

11 ὲν ἔχοντ[ες ἔ]νδ[υ-] 12 μα, τί ἐν[δυεσθε] καὶ 13 ὑμεῖς; τίς ἂν προσθη

8 [σον]ές ἐ[στε] τῶν [κρί-] 9 νων, ἅτι[να ο]ὐ ξα[ί-] 10 νει οὐδὲ ν[ήθ]ει. μ[ηδ-]

4 [τροφῇ ὑ]μῶν τί φά5 [γητε, μήτε] τῇ στ[ο-] 6 [λῇ ὑμῶν] τί ἐνδύ7 [ση]σθε. [πολ]λῷ κρεί[σ-]

2 [μήτ]ε ἀφ’ἑσπ[έρας] 3 [ἕως π]ρωὶ, μήτε [τῇ]

EvThom 36 Pap Ox 655, col. I, 1–17 a [λέγει Ἰ(ησοῦ)ς· μὴ μεριμνᾶ-] 1 [τε ἀ]πὸ πρωὶ ἕ[ως ὀψὲ], Jesus sagte: Tragt nicht Sorge vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen darum, was ihr anziehen werdet.

262 4. Anhang

17 Es sagten zu i18 hm seine Jünger: 19 Wann wirst du uns offen20 bar sein, und wann 21 werden wir dich sehen? Er sagte: 22 Wenn ihr euch auszieht und 23 euch nicht schämt [et cetera, ungefähr 6 Zeilen] b [ - - - und ihr euch nicht für-] 1 ch[tet].

Pap Ox 655, col. II, 2–11 2 λέ[γει 3 ο[ 4 τ[ 5 γ[ 6 κα[ 7 ν[ 8 κα[ 9 ημ[ 10 σε[ ] ] ] ] ] ] ] ] ] (2)

(1)

EvThom 38

EvThom 37 Pap Ox 655, col. I, 17 – col. II, 1 (1) 17 λέγουσιν αὐ18 τῷ οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ· 19 πότε ἡμεῖν ἐμφα20 νὴς ἔσει, καὶ πότε (2) 21 σε ὀψόμεθα; λέγει· 22 ὅταν ἐκδύσησθε καὶ 23 μὴ αἰσχυνθῆτε [et cetera, ungefähr 6 Zeilen] b [ - - - οὐδὲ φοβη-] 1 θ[ήσεσθε]. (3) [

]

(1) Jesus sagte: Oftmals habt ihr gewünscht, diese Worte zu hören, diese, die ich zu euch sage, und ihr habt keinen anderen, um sie von ihm zu hören. (2) Es werden Tage kommen, da werdet ihr nach mir suchen, ihr werdet mich nicht finden.

(3) dann werdet ihr sehen den Sohn des Lebendigen, und ihr werdet euch nicht fürchten.

(1) Es sagten seine Jünger: An welchem Tag wirst du dich uns zeigen, und an welchem Tag werden wir dich sehen? (2) Jesus sagte: Wenn ihr euch auszieht, ohne euch zu schämen, und eure Kleider nehmt und sie unter eure Füße legt wie kleine Kinder und sie zertretet,

4. Anhang

263

(3)

(2)

(1)

EvThom 39 (1) Jesus sagte: Die Pharisäer und die Schriftgelehrten haben die Schlüssel zur Erkenntnis genommen, (und) sie haben sie versteckt. (2) Sie sind auch nicht hineingegangen, und die, welche hineingehen wollten, haben sie nicht gelassen. (3) Ihr aber, werdet klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!

Texte aus: Attridge, Fragments, 113–125; Layton, Codex II, 52–93.

Legende (Textdifferenzen nach Attridge, Fragments, 99–101) unterstrichen Text, der in der parallelen griechischen bzw. koptischen Überlieferung nicht bezeugt ist doppelt unterstrichen Unterschiede im Textinhalt zwischen der griechischen und der koptischen Überlieferung gewellt unterstrichen dasselbe, aber bei Attridge nicht oder in der falschen Kategorie vermerkt gebrochen unterstrichen zwei koptische Wörter, von denen nur eines in die Textlücke der griechischen Überlieferung passt

Pap Ox 655, col. II, 11–23 11 [λέγει] 11 [Es sagte] 12 [Ἰ(ησοῦ)ς· οἱ Φαρισαῖοι] 12 [Jesus: Die Pharisäer] 13 [καὶ οἱ γραμματεῖς] 13 [und die Schriftgelehrten] 14 ἔλ[αβον τὰς κλεῖδας] 14 na[hmen die Schlüssel] 15 τῆς [γνώσεως. αὐτοὶ ἔ-] 15 zur [Erkenntnis. Sie ver-] 16 κρυψ[αν αὐτάς. οὔτε] 16 steck[ten sie. Weder] 17 ging[en sie hinein, noch die,] 17 εἰσῆλ[θον, οὔτε τοὺς] 18 εἰσερ[χομένους ἀφῆ-] 18 welc[he hineingingen, lie-] 19 καν [εἰσελθεῖν. ὑμεῖς] 19 ßen sie [hineingehen. Ihr] 20 δε γεί[νεσθε φρόνι-] 20 aber wer[det kl-] 21 μοι ὡ[ς ὄφεις καὶ ἀ-] 21 ug w[ie Schlangen und la-] 22 κέραι[οι ὡς περιστε-] 22 ute[r wieTa-] 23 ρα[ί]. 23 ube[n].

264 4. Anhang

4. Anhang

265

4.2. Abweichende Lesarten des griechischen Textes Im Folgenden werden diejenigen Logien noch einmal zusammengestellt, bei denen ich im Laufe meiner Studien teils zu eigenen Lesarten gekommen bin, die von Attridges Textrekonstruktion an den fraglichen Stellen abweichen. Bis auf meine abweichenden Lesarten, die kursiv gedruckt sind, folgt der Text Attridge (Fragments, 113–125).

Prolog und EvThom 1 (Pap Ox 654,1–5) 1 2 3 4 5

οἷτοι οἱ {οι} λόγοι οἱ [ἀπόκρυφοι οὓς ἐλά-] λησεν Ἰη(σοῦ)ς ὁ ζῶν κ[αὶ ὄφθεὶς Διδύμῳ τῷ] καὶ Θωμᾷ. καὶ εἶπεν· [ὃς ἂν τὴν ἑρμηνεί-] αν τῶν λόγων τούτ[ων εὕρῃ, θανάτου] οὐ μὴ γεύσηται.

EvThom 3 (Pap Ox 654,9–21) 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

λέγει Ἰ[η(σου)ς· ἐὰν] οἱ ἕλκοντες ἡμᾶς [εἴπωσιν ὑμῖν· ἰδοὺ] ἡ βασιλεία ἐν οὐρα[νῷ, ὑμᾶς φθήσεται] τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρ[ανοῦ· ἐὰν δ’ εἴπωσιν ὅ-] τι ὑπὸ τὴν γήν ἐστ[ιν ἐν τοῖς ὕδασιν,] οἱ ἰχθύες τῆς θαλά[σσης εὑρήσουσι φθάν-] oder [σσης ἀφίξονται φθάν-] τες ὑμᾶς· καὶ ἡ βασ[ιλεία τοῦ θεοῦ] ἐντὸς ὑμῶν [ἐσ]τι· [καὶ ὅστις ἂν ἑαυτὸν] γνῷ, ταύτην εὑρή[σει, καὶ ὅτε ὑμεῖς] ἑαυτοὺς γνώσεσθα[ι, εἴσεσθε ὅτι υἱοί] ἐστε ὑμεῖς τοῦ πατρὸς τοῦ ζ[ῶντος· εἰ δὲ μὴ] γνώσθε ἑαυτοὺς, ἐν [τῇ πτωχείᾳ ἐστὲ] καὶ ὑμεῖς ἐστε ἡ πτω[χεία].

EvThom 36 (Pap Ox 655,I,1–17) a 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

[λέγει Ἰ(ησοῦ)ς· μὴ μεριμνᾶ-] [τε ἀ]πὸ πρωὶ ἕ[ως ὀψὲ], [μήτ]ε ἀφ’ἑσπ[έρας] [ἕως π]ρωὶ, μήτε [τῇ] [τροφῇ ὑ]μῶν τί φά[γητε, μήτε] τῇ στ[ο-] [λῇ ὑμῶν] τί ἐνδύ[ση]σθε. [πολ]λῷ κρεί[σ-] [σον]ές ἐ[στε] τῶν [κρί-] νων, ἅτι[να α]ὐξάνει οὐδὲ ν[ήθ]ει κ[αὶ] ἓν ἔχοντ[α ἔ]νδ[υ-]

266 12 13 14 15 16 17

μα. τί ἐν[δύεσθε] καὶ ὑμεῖς; τίς ἂν προσθη ἐπὶ τὴν εἱλικίαν ὑμῶν; αὐτὸ[ς δ]ώσει ὑμεῖν τὸ ἔνδυμα ὑμῶν.

4. Anhang

Literaturverzeichnis Der Kursivdruck in der Titelangabe verweist auf den bei der Zitation verwendeten Kurztitel.

Quellen Quellenausgaben und Übersetzungenen werden hier nur aufgeführt, sofern es sich um eingehend analysierte Texte handelt oder auf bestimmte Ausgaben Bezug genommen wird. Um diese leichter aufzufinden, sind die Publikationen nach den Herausgebern und nicht nach den antiken Autoren geordnet. Aland, B. und K./Karavidopulos, J./Martini, C.M./Metzger, B.M., Nestle-Aland. Novum Testamentum Graece, Stuttgart 271993 (abgekürzt: NA27). Aland, K., Synopsis quattuor evangeliorum. Locis parallelis evangeliorum apocryphorum et patrum adhibitis, Stuttgart 152004. Amigues, S., Théophraste. Recherches sur les plantes, Bd. 1–5, Paris 1988–2006. Attridge, H., The Greek Fragments, in: Layton, Codex II, 95–128. Benoit, P./Boismard, M.-E., Synopse des quatre Évangiles en français 1–3, Paris 1965– 1977. Berger, K./Nord, C., Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt am Main / Leipzig 1999. Bethge, H.-G. u. a., Evangelium Thomae Copticum, in: Aland, Synopsis, 517–546. Blatz, B., Das koptische Thomasevangelium, in: NTApo6 1, 93–113. Brox, N., Irenäus von Lyon. Epideixis – Darlegung der Apostolischen Verkündigung. Adversus Haereses – Gegen die Häresien, FC 8/1–5, Freiburg u. a. 1993–2001. Bruns, P., Aphrahat. Demonstrationes. Unterweisungen, FC 5/1–2, Freiburg u. a. 1991. Casey, R.P., The Excerpta ex Theodoto of Clement of Alexandria, StD 1, London 1934. Chadwick, H., The Sentences of Sextus. A Contribution to the History of Early Christian Ethics, TaS NS 5, Cambridge 1959. Cohn, L./Heinemann, I./Adler, M./Theiler, W., Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 1–6: Berlin 21962, Bd. 7: Berlin 1964. Einheitsübersetzung. Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Altes und Neues Testament, Stuttgart 1980. Farid, S., The Facsimile Edition of the Nag Hammadi Codices. Published under the Auspices of the Department of Antiquities of the Arab Republic of Egypt in conjunction with the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, 12 Bde., Leiden 1972–1984. Feix, J., Herodot. Historien, 2 Bde., Düsseldorf 72006. Field, F., Origenis Hexaplorum quae supersunt sive veterum interpretum Graecorum in totum Vetus Testamentum Fragmenta, 2 Bde., Oxford, 1875 (Nachdruck: Hildesheim 1964).

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Abkürzungen Werke antiker nichtchristlicher Autoren werden abgekürzt nach: Strecker/Schnelle, Wettstein I/2, 863–869; II/2 1676–1700. Werke antiker christlicher Autoren werden abgekürzt – die griechischen nach: Lampe, G.W.H., A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961, ix–xliii. – die lateinischen nach:

Literaturverzeichnis

285

Thesaurus Linguae Latinae. Index librorum scriptorum inscriptionum ex quibus exempla afferuntur, ed. altera, Leipzig 1990. Griechische Quellen, soweit in den genannten Verzeichnissen nicht aufgeführt, werden abgekürzt nach: Liddell / Scott, Lexicon, xl–xlii. Die Schriften aus Nag Hammadi werden abgekürzt nach: NHD 1, XIX–XXI. Alle übrigen Abkürzungen folgen: Schwertner, S.M., Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin / New York 1994. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: BDR Blass / Debrunner / Rehkopf, Grammatik CEQ Robinson / Hoffmann / Kloppenborg, The Critical Edition of Q DNP Cancik/Schneider, Pauly HBS Herders Biblische Studien HvS Hoffmann/von Siebenthal, Grammatik HWR Ueding, Rhetorik LACL Döpp / Geerlings, Lexikon NA27 Aland u. a., Nestle-Aland NHC Nag Hammadi Codex NHD Schenke/Bethge/Kaiser, Nag Hammadi Deutsch NTAK Erlemann u. a., Neues Testament und Antike Kultur s. v. sub voce (Lexikoneintrag) z.St. zur Stelle

Stellenregister I. Altes Testament Genesis 1–3 1,26–27 1,26 1,28 2–3 2,7 2,9 2,17 2,25 3,5 3,7 3,10 3,21 4,1 9,2

225 220 110 110, 219, 228 219 220 221 221 218, 228 221 218, 221 219 219 221 110

Exodus 4,16 7,1 20,4 20,24 21 21,6 22 22,7–8 22,7 22,8

157 f. 157 107 160 156 154 f. 156 154 156 155

Numeri 11,22

110

Deuteronomium 4,16–18 4,17–18 4,18 5,8

107 107, 109 107–110 107, 109

30 30,11–14 30,12–13 30,13 30,14

103 103, 105, 107,112, 131 103 f. 104 112

1 Chronik 12,23

157

Ester 9,27

175

Ijob 12,8 15,5 26,5 38,16–17

110 175 f. 106 106

Psalmen 8,9 71,20 76,20 82 82,1 106,26 107,26

110 105 104 156 154 f., 160 104 104 f.

Sprichwörter 1,8 4,10 4,20 5,1 5,7 6,3 6,20 6,22 6,28

94 94 94 94 94 94 94 95 95

288

Stellenregister

7,1 7,24 8,4–36 8,32

94 94 92 94

Hoheslied 1,4

100

Weisheit 6,11–16 12,11

92 176

Jesus Sirach 6,18–37 6,19 24 24,3–22 24,19–22 24,19 51,23 51,26

92 94 95 92 92 94 94 94

Baruch 3,29–30 3,30

105 104

Ezechiel 21,25 21,30–31 21,32 38,20 47,10

176 176 176 110 110

Daniel 2,38

110

Hosea 4,3

110

Amos 9,6

160

Habakuk 1,14

110

Zefanja 1,3

110

Maleachi 3,16

160

II. Neues Testament Matthäusevangelium 6,1–18 148 6,1–6 142–145 6,2 144 6,4 144 6,6 144 6,9 148 6,16–18 142–145 6,16 144 6,18 144 6,24 209 6,25–34 172, 196 6,25–33 204 6,25 192 f., 198, 204 6,26 180, 198, 203, 209 6,27 173, 193, 198, 203 f., 207, 209 6,28–30 203 6,28 179–182, 184 f., 203, 209

6,30 6,31 6,32 6,34 7,7–8 7,9 8,19–22 8,20 9,9–13 9,14–15 10,3 10,10 10,26 10,29 11,25–26 11,28–30 11,28 11,29 11,30

209 198 203 193, 203 79 208 84 83 4 143 48, 51–53 188, 196 133 f., 138, 240 203 92 85, 91–95, 97 93–95 93–95 93–95

289

Stellenregister

12,11 12,29 13,24–30 13,44 13,45–46 13,55 15,5–6 15,11 15,17–20 18,6–9 18,12–14 18,12 18,19–20 18,19 18,20 19,28 22,14 23,4 24,23 24,26 25,31–46

208 192 10 80 80 48, 51 145 143, 145 143, 145 223 80 208 163, 165 159, 164 f. 152, 158–161, 163–165, 170 f., 240 f., 243, 247 74 163 94 111 111 94

Markusevangelium 1,44–45 177 2,13–17 4 2,18–20 143 3,18 48, 51 3,27 192 4 137 4,21 137 4,22 133 f., 136 f., 239 4,26–29 10 5,19 177 6,3 48, 51 6,9 188, 196 7,9–13 145 7,15 143 f. 7,18–23 143 f. 8,26 176 9,42–50 223 10,15 217 11,5 208 11,11 208 12,25 222 13,21 111 14,5 208 14,28 208

15,4 17,7

208 208

Lukasevangelium 2,1 55 6,14–16 49 6,15 48 6,16 51 8,17 133 f., 136–138, 144, 148, 239 9,3 188, 196 9,57–60 84 9,58 83 11 27 11,39–40 143 f. 11,46 94 12,2 133 f. 12,16–32 207 12,19 207 12,24 180, 207 12,25 207, 209 12,27 179 f., 182 12,32 74 15,3–7 80 15,8–10 80 15,11–32 80 17,20–21 110 f., 127 17,21 112–114, 117 f., 125 17,23 110 f. 17,34 83 22,30 74 24,15 137 24,16 137 24,31 137 Johannesevangelium 1,41 50 1,42 55 3,31 167 4,6–26 64 6,44–45 101 6,44 100 f. 8,12 168 8,42 177 f. 8,52 52 10,30 163 11,16 13, 49, 56, 68 11,38 112

290 12,32 13,31–14,31 14,5 14,10–11 14,13–14 14,19 14,20 14,22 15,7 16,10 16,16–18 16,16 16,24 18,10 19,26–27 20–21 20 20,19 20,24–29 20,24 20,25 20,26–29 20,26–28 20,26 20,28 21,2 21,6 23,4

Stellenregister

100 f. 231 56 163 79 216, 231 163 48, 51 79 216, 231 216 231 79 100 50 231 58 58 f. 57, 63 13, 49, 56, 68 59 58 56 58 59 13, 49, 56, 68 100 94

Apostelgeschichte 1,6 217 1,13 48 f., 51 13,9 54 16,19 100 21,30 100 Römerbrief 5,1–8 8,28–30 10,6–7 10,7

163 67 104 f., 107 104–106

1. Korintherbrief 3,21 3,22 4,8 7,5 8,3

74 74 74 f. 164 121 f., 126

12,13 12,27 13,8–12 13,12 13,13 15,5 15,35–49 Galaterbrief 2,7–8 2,20 3,27–28 3,28 4,5–6 4,6–9 4,9

218 161 121 121 f. 163 57 224

5,5–6

55 67 218 225 120 120, 122, 126 120, 122–124, 126 f., 131, 247 163

Epheserbrief 1,15–19 2,11–22 2,15 6,8

163 163 162 218

Philipperbrief 3,10 3,21

67 67

Kolosserbrief 2,12 3,1 3,10–11

83 83 218

1. Thessalonicherbrief 1,3 163 5,8 163 5,23 163 2. Timotheusbrief 2,18 83 Hebräerbrief 3,7–4,13

82

Jakobusbrief 2,6

100

291

Stellenregister

Offenbarung des Johannes 1,4 61 3,21 74 14,13 81 f. 20,4 74

1. Johannesbrief 3,1–2 67 Judasbrief 1

48

III. Literatur des antiken Judentums De sacrificiis Abelis et Caini 100 173

4. Makkabäerbuch 17,7 175 f. 18,6–19 175

De somniis 1,134–149

Philo Alexandrinus

224

Quaestiones in Genesim 1,53 219

De opificio mundi 17–20 223 17 223 25 223 31 223 134 220 136 220 151 220

Syrische Baruch-Apokalypse 41,3 95

IV. Rabbinische Literatur Avot de Rabbi Natan A8 160 Bereshit Rabba 20,12

220

Mekhilta de Rabbi Yishmael 15 154

Sanhedrin 1,1–3 39a

154 160

Babylonischer Talmud Berakhot 6a

154, 160

Mischna Avot 3,2 3,6

160 154, 160 f.

V. Frühchristliche Schriften und Autoren 2. Clemensbrief 12,2 12,3–5

212, 217, 226, 229 226

12,5 12,6

230 212, 217

292

Stellenregister

Aphrahat

Epiphanius von Salamis

Demonstrationes 4,11 160, 163 f.

Panarion omnium haeresium 36,2–3 86 52 218

Clemens von Alexandria Stromata 2,9,45 2,45,4–5 2,45,5 3,4,26 3,68–70 3,68 3,68,1 3,68,5 3,69,1 3,69,3 3,69,4 3,70 3,70,1 3,70,2 3,70,3 3,91–93 3,92 3,93 5,96,3 6,6,35 7,13,82

Eusebius von Caesarea 62 73 71 f. 62 162 164 162 162 162 163 162 164 161 163 163 212 212–216 225 71 f., 75 62 62

Excerpta ex Theodoto 65–65 82 78,2 85 Protrepticus 111

227

Cyrill von Alexandria Fragmenta commentarii in Lucam 368 113 Ephräm der Syrer Hymni de fide 7,11,3

52

Ps-Ephräm Commentarii in Diatessaron 14,24 161

Historia Ecclesiastica 1,13,11 52 3,39,16 62 Hebräerevangelium (Fragmente nach Lührmann) fr.1

71

Hippolyt von Rom Elenchus 7,20,1 7,20,5

62 62

Refutatio omnium haeresium prooemium 117 5,7,20 116 5,7,21 117 9,12,26 117 Irenäus von Lyon Aversus haereses 1,21,5 86 3,22,4 228 Epideixis 12 14

227 227

Justin der Märtyrer Apologiae 1,14–16

194, 197

Kindheitsevangelium des Thomas 8,1 168 10 166 Logienquelle 6,20–21 6,20 6,21–23

206 18 18

293

Stellenregister

6,30 6,34–35 6,37 7,12 7,24–25 10,4 10,7–8 11 11,9–11 11,9–10 11,9 11,52 12,2 12,22–32 12,22–31 12,22–23 12,22 12,23 12,24–32 12,24 12,25–30 12,25 12,26 12,27–28 12,27 12,28–30 12,28 14,15–24

18 18 206 18 18 188 143 27 80 79 206 18 18, 133 f. 172, 192 f., 197 f., 202, 233 208 192–195, 232, 241 194–197, 204, 208, 232, 241 193–197, 206, 210, 232, 241 f. 197 180, 182, 196, 204, 233 203 173, 193, 196, 202, 206–210, 233, 241 f. 196 204 f., 206, 233 180–182, 196, 203, 205 f. 196 193, 203, 207 18

Macarius von Ägypten Logoi 35,5

118

Oden Salomos 33,6–13

92

Origenes Commentarii in epistulam ad Romanos Praefatio 51, 55 Commentarii in Matthaeum 14,1 163 14,2 164 14,3 163 14,4 163 Paulusakten 46,10 48,11

61 61

Philippusakten 140

223

Sextussprüche 230 233 239

229 229 229

Tertullian Adversus Marcionem 4,35 113 De praescriptione haereticorum 7,12 80 9,4 80 11,8 80 Thomasakten 1 31 39 136 147

49, 52–54, 56 49, 53 f. 49, 53, 63 76–78 223

VI. Nag-Hammadi-Schriften Ägyptisches Evangelium (NHC III,2) p. 69,9 212

Apokalypse des Paulus (NHC V,2) 22,23–23,28 85

294

Stellenregister

Dialog des Erlösers (NHC III,5) 84–85 226 f.

2

Erste Apokalypse des Jakobus (NHC V,3) 32,28–34,20 86 33 86

2,1–2 3

Lehren des Silvanus ( NHC VII,4) 89,5–10 92

3,1–3

Philippusevangelium (NHC II,3) 69 222 90 83 Taten des Petrus und der zwölf Apostel (NHC VI,1) 38 222

3,1–2 3,1 3,2 3,3–4 3,3 3,4–5

Thomasbuch (NHC II,7) 138 52 138,1–4 59 138,2 56, 68 138,4–142,21 60 138,7–8 49 f., 56, 66 138,8 56 138,10 68 140,41–141,2 75, 78 142,7 63 142,21–145,16 60 145,10–16 76, 78 145,17–19 60 145,17 61 145,18–19 61

3,4

Thomasevangelium (NHC II,2) Incipit 5 f., 8 f., 30, 37, 47, 60, 63, 65 f., 68 f., 93, 102, 144, 211, 238, 243 f. 1–29 19 1–7 39 1 5 f., 8 f., 15, 19, 30, 37, 47, 52, 65, 93, 102, 119, 144, 211, 243 f. 2–37 15 2–17 27 2–6 37 2–3 37

5,3

4 4,1 4,2–3 4,2 4,4 5–6 5

5,1–2 5,1 5,2–3 5,2

6

6,1–4 6,1 6,2–6 6,2–4 6,2–3 6,2 6,4–5 6,4

12, 19, 29, 65, 71 f., 74 f., 78, 80 f., 84, 87–89, 95–99, 130, 238, 243 f., 248 69 5–7, 16, 40, 64, 88, 114–119, 124, 126–131, 238 f., 243–245, 247 30, 103, 109, 124 f., 126–128, 130, 238 f. 104 f., 107, 109 38, 40, 99–102, 122, 131 102–104, 106–108 124 f., 127, 129 f. 43, 103, 110–112, 114, 116, 118 f., 124, 128, 130 30, 109, 120, 122, 124–128, 130, 238 f., 247 8 f., 88, 115, 120, 122–124, 126 f., 129 f. 117, 119 9, 19 29 134 30 37, 136f,, 139, 141 7, 16, 19, 29, 64, 131 f., 136, 139–141, 148, 239 f., 243, 249 141 136, 140 133–135, 137–139 131 f., 134, 136–141, 144, 148, 239, 243 132, 134–136, 138–141, 240, 249 8, 14, 16, 18, 19, 28, 40, 64, 131, 136, 139 f., 142–145, 148 f., 198, 239 f., 249 140 f., 143 7, 30, 142–146 143 144 29 9, 211 30, 148 146, 149

Stellenregister

6,5–6 6,5 6,6 7 8–10 8 8,1 9 9,3 10–11 11–13 11–12 11 11,1 11,2–4 11,3 12 12,2 13 13,5–6 13,5 13,6 14 14,1–3 14,1 14,4 14,5 15 16 16,1–3 16,4 17–18 17 18–19 18 18,2 19–35 19 19,1 19,2 19,3 20–21 20 20,1 20,2–4

7, 132–134, 137–139, 146, 148, 240 131 f., 134, 136, 138–141, 147, 243 132, 134–136, 138–141, 148, 240, 249 30, 211 29 8, 211 211 16 212 5 5 f. 19 16, 119 29 30 8 10, 14, 28, 68, 198 211 9, 16, 28, 30, 68, 243 59, 67 211 8 8, 16, 143, 145 f. 7, 30, 142 f., 145, 148 145 9, 29, 143 30, 143 9, 16, 29 13 29 30 19 29, 212 5 5, 14, 16, 28, 30, 198 211 27 30, 119 212 8 8 5 14, 16, 28, 119, 198 30 29

20,2 21–22 21 21,1–4 21,1 21,2 21,5–11 21,5 21,6–9 21,8 21,9–10 21,10 21,11 22

22,1–3 22,1 22,2 22,3 22,4–7 22,4–5 22,4 22,5 22,6 22,7 23–24 23 23,1 23,2 24 24,1 24,2–3 24,2 25 26–33 26–28 26 27–28 27 27,1 27,2 28 28,2 28,3 29 29,3 30–41

295 211 16 14, 28, 198 30 224 211 21 8 f., 29, 212 30 9 10 29 29 14, 30, 119, 212–217, 221 f., 224 f., 227–229, 246 f. 216, 223, 227 f. 224 211 217 21 222 f., 225 7, 211 102, 221 f. 223 f. 217 19 119 29 19, 30 14, 19, 39, 168, 198 30 29 211 22, 29 39 37 16, 29 16 8, 64 30, 40 30 30, 64 212 41, 84 30 9 19

296 30–36 30–32 30

30,1–2 30,1 30,2 31 32–36 32 33 34–36 36–39 36–37 36

37

37,1 37,2–3 37,2 37,3 38–58 38–48 38 38,1 38,2 39 40–42 40 41 42–47 42–43 42 43 43,1 44,1 44,2–3 45–48 45 46

Stellenregister

29 37 13, 37, 112, 119, 149, 152, 156 f., 159–161, 163–169, 240 f., 243, 247 170 f., 241, 243 40 f., 43, 149, 152, 154–156, 158, 240 131, 152, 157 f., 166, 170 f., 240 16, 64 32 16, 64 64 16 39 19, 28, 37, 197 f., 200, 231, 234, 248 f. 38, 171 f., 186, 191, 193–204, 206–210, 218, 232–234, 241–243, 245 14 f., 28, 30, 38, 64, 171, 198 f., 210–219, 221, 223–234, 241, 243, 245 f., 249 198, 216 f., 227, 230 227 211, 219, 224 f., 231 173, 230 15 27 19 29 30 18, 19, 27–29, 37 f., 95 29 27 27 19 19 16, 28, 54 8, 14, 28, 30, 198 28 30 29 29 16, 28 8, 28, 119

46,2 47–56 47 47,3 48 49–50 49 53–53 50 50,1 50,2–3 50,3 51–61,1 51 51,1 51,2 52 52,2 53 53,2 54 55 56 57 57,3 58 59–91 60–60 59 60 60,1 60,2 60,4 60,6 61 61,1 61,2–5 61,2 61,3 61,5 62–76 62 63–69 68–68 63–65

30 19 16, 28 9 7 16 13, 30, 119 f. 5, 19, 30 81, 83–88, 97 f., 244, 248 88 88 82, 87, 97, 244 27 14, 16, 28, 81, 84, 198 43, 81–83, 97, 224 211 14, 198 211 14, 28, 198 211 16, 18, 29 7, 16, 21, 29 7, 21 f., 30, 40, 89–91, 98, 244, 246, 248 f. 10, 16, 29 212 19, 29, 119 15 5 8, 30 8, 16, 19, 30, 81, 83–85, 88, 91, 98, 244, 248 f. 97 211 211 88 f., 91, 97 f., 211, 244 8, 10, 13 f., 16, 67 f., 81, 83 29, 83, 97 30 8 211 9 27 19, 29 5 5 16, 19

Stellenregister

63 64 64,1–11 64,12 65 65,1 66 67 68–69 68,1 69,1 69,2 70 71–74 71 72 72,2 74 75 76 76,1–2 76,2 77–82 77 77,1 77,2–3 77,2 77,3 78 79 79,3 80 81 82 83–85 83–84 83 83,1 84 84,2 85–113 85–86 85,1 86 86,1 86,2 87

29 18, 119, 211 29 30 8, 29, 211 211 29 30 18 29 30 8 f., 29 30, 29 8, 16 8, 198 211 8 f., 16, 211 13, 30, 119 16, 29 80 80 27 30, 149, 166–171, 241 166–169, 241 37, 39, 165–171, 240 8 f., 166 f. 166, 168 8, 18, 29 29, 198 212 7, 21 f., 30, 80, 90 f., 98, 244, 246, 248 f. 29 19, 29 30 223 16 223 16 223 27 5 20, 212 16, 29, 81, 83–85, 96 84 20, 97 7, 21, 30

88–95 88 89 90–94 90–91 90 90,1 90,2 91 91,2 91,3 92–113 92–99 92–95 92–93 92 92,1 92,2 93 94 94,1 94,2 95–98 95 96–99 98–101 99–101 99 99,2 100 100,2 100,4 101 101,1–3 102–104 102 103–104 103 104 104,2 104,3 105–114 105–109 105 106 106,1 106,2

297 19 19, 30 16, 29 96 19 29, 81, 83–85, 91–98, 244 f., 247 f. 94 97 14 f., 28, 198 29, 211 30 15 29 8 19 8, 96 79–81, 96, 99 212 8 8 79–81, 96, 99 79 16 8, 18 19 19 22 f. 14, 23, 198 211 14, 198 211 30 7 f., 16, 21, 30 29 22, 29 19, 95 19 21, 212 14, 142 f., 145 f., 148, 198 143, 211 143 19 22 16, 19, 30 21, 30 7, 84 7

298 107 107,3 108 109 110–112 110 111 111,1 111,2–3 111,3 112–114 112

Stellenregister

16, 29, 80 80 16, 30, 66–68 16, 29 22 16, 30 16, 22 29 30 7–9 19 7, 21, 30

113 113,4 114 114,2 Subscriptio

5–7, 14 f., 28, 30, 118, 127–129, 198, 244 f. 128–131 5 f., 10, 13–16, 30, 100, 102, 198, 221, 244 211 9, 243

Zweite Apokalypse des Jakobus (NHC V,4) 56,2–7 76, 78 56,17–20 78

VII. Übrige griechische und römische Literatur Achilles Tatius

Epictet

Leucippe et Clitophon 1,15 196

Enchiridion 53

101

Dissertationes 2,23,42 3,22,95 4,1,131 4,4,34

101 101 101 101

Aeschylus Agamemnon 750–756

174

Eumenides 714–714

174

Prometheus vinctus 327 174 Supplices 409–409

174

Aristoteles Historia animalium 535a17 106 549b32 106 599b15 106 621b9 106 Rhetorica 2,21 Digesta 2,4,5 50,16,85

23

120 162

Euripides Phoenissae 931

106

Hermogenes Progymnasmata 1,20–8,14 21 3 22 Herodianus Historicus Ab excessu Marci 2,5,8 190 Herodot Historiae 1,97 2,92

174 202

299

Stellenregister

69c–72d

Homer Ilias 4,301–302 5,20–21 5,136–138 24,416–418

174 174 174 174

Odyssea 1,215–216 5,432 10,259–260 10,375

120 106 174 174

Lukian Hermotimos 73

101

Plinius maior Naturalis historia 21,23 202 21,24 202 21,25 202 Plutarch Moralia 592–592 943 944

162 162 162

Pelopidas 35,5

112

Quintilian

Lysias Orationes 1,12

162

100

Institutio oratoria 8,5,3 23 9,2,29 93

Marinus Vita Procli 26

207

Numenius von Herakleia Apud Athenaeum 7,315 106

Seneca Epistulae morales ad Lucilium 107,11 101 Sophocles

Platon Leges 789a

Rhetorica ad Alexandrum 11 23

112

Phaedo 78b

114

Respublica 350d 435a–441c 458d

101 162 100 f.

Theaetetus 155d 195c

73 101

Timaeus 45b

112

Oedipus Coloneus 481–481 174 Oedipus Tyrannus 398–398 174 867–870 174 Philoctetes 756–756 995–996

174 174

Theon Progymnasmata 3 24

300

Stellenregister

Theophrastus

Thucydides

Historia plantarum 6,6,3 202 6,6,8 202

Historiae 7,77

174

VIII. Papyri Papyri russischer und georgischer Sammlungen 3,1,8–9 113 Papyrus Oxyrhynchus 1 1 18, 35, 39, 156, 169, 199 1,5–7 114 1,5–6 179 1,7 179 1,23–30 166, 168 f. 1,23–27 150, 152, 158 1,23–24 150–152, 170 1,24 150–154, 158, 170 1,25–27 159 1,25 151 1,26–27 166 1,26 159, 170 1,27–30 165 f., 169, 240 1,28 168 1,30–31 187 1,30 168 Papyrus Oxyrhynchus 654 654 39, 75, 104, 109, 132, 136, 199 654,1–5 13, 65 654,1–3 47 654,1 48 654,2–3 13 f., 47, 53 f., 56 f., 63, 68 f. 654,2 52, 57, 238 654,3 47, 53 654,6–9 71 f. 654,7 74 654,8 74 654,10 99 f. 654,11 128 654,12–15 102, 108 654,13 102, 109

654,15–17 654,15–16 654,15 654,16–17 654,16 654,17 654,18 654,20 654,23 654,24–25 654,27–28 654,29–31 654,29–30 654,30 654,31 654,33–36 654,33–35 654,33–34 654,35–36 654,37–40 654,37–38 654,38–40 654,38 654,39–40

115 f., 122 110 f. 110, 128 119, 127 111, 115, 118, 122, 124 f., 128 115, 124 f., 126 128, 179 128 179 179 140 f. 133, 136 131 136 38, 132, 134 f., 140 142 143 142 143 148 146 131, 133, 147 146 f. 147

Papyrus Oxyrhynchus 655 655 39, 172 f., 180 f., 185, 198–200, 209, 211 655,I,1–23 199 655,I,1–17 171–173, 185, 197, 199 f., 210, 232 655,I,1–7 232 655,I,3–5 200 655,I,7–17 200 f., 232, 241 655,I,7–8 232 655,I,7 199 655,I,9–13 172

301

Stellenregister

655,I,9–10 655,I,9 655,I,10–13 655,I,10 655,I,11 655,I,12–13 655,I,12 655,I,13 655,I,13–17 655,I,13–15 655,I,14 655,I,15–17 655,I,15 655,I,16

172 f., 178, 181 f., 185 f., 232 186 172, 186, 189 f., 232 172, 187 f. 172, 187 f. 190, 232 172, 189 f. 190 186, 232 173 186 190 190 190

655,I,17–23 655,I,17–21 655,I,17–18 655,I,17 655,I,22–23 655,I,23 655,I,a.1–7 Fragmente a–f

190, 199 f., 210, 232 199 211, 232 190 190 200 191–193 38

Papyrus Oxyrhynchus 2342 2342,1,7–8 113 Papyrus Parisinus Graecus 50 50,21 159

Autorenregister Akagi, T. 12–14, 36, 151–153 Aland, B. 47, 49, 70, 74, 100, 105, 122, 154, 173, 177, 179, 192 f., 202 Aland, K. 47, 49, 70, 74, 100, 105, 122, 154, 173, 177, 179, 187, 192–194, 202 Amigues, S. 202 Arnal, W. E. 16–18, 34 Asgeirsson, J. Ma. 20–24, 34 Aßfalg, J. 40 Attridge, H. W. 38, 47 f., 53, 57, 64, 70 f., 79, 100, 102, 107, 114, 119, 126, 134–136, 139, 146–148, 152 f., 158 f., 170, 172, 185, 187–190, 210 Baker, A. 40 f. Baltussen, H. 129 Bammel, E. 78 Barns, J. W. B. 98 Bartlet, V. 134, 172 Bauer, J. B. 64, 94 Bauer, W. 47–49, 70, 74, 100, 105, 122, 173, 177, 192 f., 202 Baukham, R. 49–51, 68 Baumgartner, W. 50, 104, 161, 202 Bayer, K. 174 Benoit, P. 193, 205, 207 f. Berger, K. 20, 23 f., 28, 96, 152, 208 Bethge, H.-G. 9, 64, 82, 90, 94, 146, 149, 187, 211 f., 223 f., 248 Betz, H. D. 92, 94, 207 Billerbeck, P. 95 Blaß, F. 150–152, 159 Blatz, B. 212 Böhlig, A. 90 Boismard, M.-E. 193, 205, 207 f. Bolognesi, G. 24 Borengässer, N. 212 Bovon, F. 207 Braulik, G. 108

Braun, H. 74 Bremmer, J. N. 105 f. Brockelmann, C. 54, 112 Broer, I. 117 Brox, N. 80, 86, 228 Bruns, P. 161, 163, 165 Buckley, J. J. 102 Bultmann, R. 20, 49, 84 f., 92, 136, 139, 192 f., 196 f., 200, 204 Bussmann, H. 93 Callahan, A. 14, 18–20, 32 f. Cameron, R. 10, 36 Casey, R. P. 82 Catchpole, D. R. 193, 207 Chadwick, H. 29, 218, 229 Charlesworth, J. H. 50, 56, 67 f. Cohn, J. 220 Cohn, L. 61, 173 Crossan, J. D. 24, 28, 84 f., 193, 207, 233 Crum. W. E. 41, 89, 100, 121, 135, 139, 147, 212 Cullmann, O. 3, 75 Dain, A. 183 Dalman, G. 203 Davies, S. L. 15, 32 DeConick, A. D. 10, 29–32, 34 f., 40, 53 f., 58, 91, 93–95, 102, 149, 152–154, 158, 160, 170, 186 f., 211, 217 f., 221, 229, 243 Dibelius, M. 5, 92, 197 Dietzfelbinger, C. 59, 67, 231 Dillon, R. J. 193, 207 f. Dohmen, C. 154 Doresse, J. 8 Drescher, J. 149 Drijvers, H. J. W. 48 f., 52, 223 Dummer, J. 218 Dunderberg, I. 49 f., 54, 58, 68

Autorenregister

303

Ebner, M. 6, 192, 194, 204–207 Eckey, W. 85 Egger, W. 4 Eisele, W. 29, 35, 82, 100, 102, 106, 122, 125, 162 f., 221, 224, 244 Englezakis, B. 154, 157, 160

Gribomont, J. 91, 229 Grillmeier, A. 212 Guillaumont, A. 9, 40 f., 122, 146, 151 f., 154, 156, 160, 170, 210, 212 Gundry, R. H. 179, 193–195, 200, 207, 209 Gunther, J. J. 49–51

Fallon, F. T. 10, 36 Farid, S. 210 Fauser, M. 22 f. Feix, J. 174 Fieger, M. 73, 100, 212 Field, F. 156 Figura, M. 67 Finnegan, R. 35 Fischer, K. M. 50, 54 Fitschen, K. 118 Fitzmyer, J. A. 13, 47, 75, 100, 102, 114 f., 126, 135, 141, 146 f., 149, 151 f., 159, 170, 172 f., 187, 189, 210 Foraboschi, D. 49 Fossum, J. 217 f. Frank, K. S. 91 Frankfort, H. 108 Freedman, D. N. 102, 124, 221 Frey, J. 198, 200 f. Fuchs, E. 204 Funk, W.-P. 86 f.

Haenchen, E. 10, 38, 87, 92, 95, 100, 229 Hahn, F. 113 Hartenstein, J. 100 Hartmann, L. 113 Heid, S. 229 Heil, C. 171–173, 179–185, 187–190, 193, 198–201, 205–207 f. Heininger, B. 6, 113, 192 Heinrici, G. 187 Heither, T. 55 Helderman, J. 88 Hepper, F. N. 203 Herzog, R. 50, 55 Hilgenfeld, A. 187 f. Hoffmann, P. 192 f., 207 Hofius, O. 57, 82, 88, 103 f., 108, 116 f., 126, 134, 146–148 Holmén, T. 111, 113 Holze, H. 88, 98 Horn, F. W. 27 Hossfeld, F.-L. 155 Houtman, C. 154 Hünemörder, C. 202 Hummel, A. 23 Hunt, A. S. 38 f., 41, 114, 116, 135 f., 142, 150–152, 158 f., 172 f., 178, 185, 187–189, 191, 199 Hurtado, L. 31, 38, 47, 58 f., 109, 115, 153, 181, 211

Gärtner, B. 84 Garcia-Ramon, J. 54 Garitte, G. 100, 122 Gemoll, W. 105 Gerleman, G. 105 Gertz, J. C. 108 Gesenius, W. 161 Giaro, T. 162 Giesen, H. 230 Gignac, F. T. 48, 70 f., 114, 159, 179, 186 Glasson, T. F. 103, 172 Gnilka, J. 165, 177 Goldschmidt, L. 160 Goldsmith, D. 79 Grant, R. M. 102, 124, 221 Greeven, H. 208 Grenfell, B. P. 38 f., 41, 114, 116, 135 f., 142, 150–152, 158 f., 172 f., 178, 185, 187–189, 191, 199

Illert, M. 52 James, M. R. 172 Janßen, M. 56, 59, 61, 68, 212 Jefford, C. N. 92–94 Jenni, E. 29 Jeremias, J. 136, 139, 207 f. Johnson, S. R. 139 f. Johnston, S. I. 106 Jongkind, D. 179, 183 f. Junack, K. 183, 187

304

Autorenregister

Käsemann, E. 88 Kammermeier, W. 67 Kammler, H.-C. 67 Karrer, M. 82, 157 Kasser, R. 8 f., 84, 94, 146 f., 151 Katz, P. 180 Kee, H. C. 218, 220 Keel, O. 108, 202 Kelber, W. 35 King, K. 127 f., 249 Kirchner, D. 61–63 Klauck, H.-J. 64, 85, 167 Klein, H. 112, 114 Klijn, A. F. J. 48–53, 70, 220 Kloppenborg, J. S. 16, 18, 206 Knopf, R. 230 Koch, P. 22 Köckert, M. 107 Koehler, L. 50, 104, 161, 202 König, R. 202 Körtner, U. H. J. 11 Köster, H. 16–18, 38 f., 42, 49, 51, 62, 68 Konersmann, R. 129 Koschorke, K. 80 Kraft, R. A. 39, 187, 210 f. Kraus, W. 157 Krupp, M. 160 Küchler, M. 24 Kügler, J. 39 Lambdin, T. O. 77, 147, 211 Lambert, W. 169 Lang, B. 103 Lange, C. 161 Larsson, H 61 Lattke, M. 92 Lausberg, H. 21, 23 f., 70 f., 77 Layton, B. 9, 15, 38 f., 42, 61, 77, 89, 92, 119, 121, 140, 147, 166, 210 f. Leipoldt, J. 8, 100, 212 Leisegang, H. 61 Lelyveld, M. 5 f., 102, 211, 218, 244 Lentz, T. M. 35 Liddell, H. G. 41, 73 f., 106, 109, 135, 173, 177, 190–192, 196, 203, 207 Lidzbarski, M. 50 Lindemann, A. 230 Löhr, H. 96, 229

Lord, A. 34 Lüdemann, G. 61, 212 Lührmann, D. 12, 57, 64, 100, 185–187, 190, 228 Luomanen, P. 73 f. Luz, U. 84, 92–96, 165, 181 f., 193 f., 202–204, 207 f. MacDonald, D. R. 212, 218, 220 Mack, B. L. 21 Marcovich, M. 47, 102, 104, 109, 117, 146–149, 151, 159, 187 Marion, J.-L. 120 Marjanen, A. 102, 221 Markschies, C. 90, 96, 99, 247 Martin, G. M. 212, 218 Maul, S. M. 108 Meeks, W. A. 218, 220 Ménard, J. É. 75, 88, 114, 126, 135, 151, 210, 212 Menge, H. 105, 135 Merkelbach, R. 172 Merklein, H. 74, 121 f., 192 f., 208 Merz, A. 208 Meshorer, Y. 55 Metzger, B. M. 184 Meyer, M. W. 9, 37, 58, 102, 210 f., 221 Milne, H. J. M. 179, 183 Minear, P. S. 193, 205, 207 Mink, G. 119 Mlasowsky, A. 202 Moortgat, A. 108 Moreschini, C. 118 Müller, D. 116 f., 119, 126 f. Müller, K. 230 Müller, U. B. 82 Mussner, F. 113 Nagel, P. 50, 64, 211 f. Nöldeke, T. 112 Nord, C. 152 Nordsieck, R. 14, 26–28, 32 f., 82, 84, 100, 102, 166, 186 f., 218, 221 Norelli, E. 118 Noth, M. 154 Oberlinner, L. 51 Oeming, M. 103, 106

Autorenregister

Oesterreicher, W. 22 Olck, F. 203 Olsthoorn, F. M. 192, 205, 207 f. O’Neill, J. C. 112 Ong, W. 34 Onuki, T. 167–169 Pagels, E. 58 Parry, M. 34 Passow, F. 41, 73 f., 106, 135, 173, 178, 190 f., 196, 203, 206 Patillon, M. 24 Patterson, S. J. 17 f., 25 f., 34, 39, 132, 137 f., 220, 224, 248 Payne Smith, J. 50, 53 f., 112, 161 Perlitt, L. 107 Perrin, N. 12, 24–27, 33, 40–42 Pesch, R. 51 Petersen, S. 102, 221, 226 Piper, R. A. 80 Plisch, U.-K. 11 f., 22, 32, 41, 54, 61, 66, 69, 72, 77, 83–88, 93–95, 100, 114 f., 119, 121, 132, 147, 149, 158, 162, 164–168, 186 f., 211, 218 f., 223 f., 230 Popkes, E. E. 67, 82, 85, 88, 91, 96, 99, 120, 166–168, 198, 226 f., 229 Porter, S. E. 173, 185, 188 f. Pratscher, W. 222, 230 Preisigke, F. 49 Prijs, L. 156 Puech, H.-C. 3, 135 f., 139–141 Quecke, H. 212 Quispel, G. 12, 21, 26, 135, 219, 229 Richter, S. G. 65 Riesenfeld, H. 112 f. Riesner, R. 35 Riley, G. J. 58, 210 Rinner, W. 174 Robbins, V. K. 20–24 Roberts, C. H. 112 f., 151, 159 Robinson, J. M. 17, 59, 171–174, 178–190, 193, 198–202, 205 f., 208 f. Rondez, P. 192 Rosenbach, M. 101 Rüstow, A. 101, 103–105, 113, 115, 125 Rupé, H. 174

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Säve-Söderbergh, T. 98 Schelkle, K. H. 51 Schenke, H.-M. 7–12, 35, 42, 50, 59–63, 72, 75 f., 211, 222 Schlange-Schöningen, H. 55 Schletterer, I. 86 Schleyer, D. 80 Schmeller, T. 193, 205, 208 Schnackenburg, R. 49 f. Schneemelcher, W. 3, 117, 222 f. Schnelle, U. 6, 74, 117 Scholtissek, K. 67, 167 Schrage, W. 74, 95, 121, 137 f., 234 Schroer, S. 108 Schröter, J. 4, 9, 28, 34, 64, 82, 91, 137 f., 146, 149, 172 f., 181, 185, 187 f., 190, 197, 199, 211 f., 223, 229, 248 Schüngel, P. 100 Schürmann, H. 26–28, 138 Schulz, S. 192 f., 208 Schulz von Thun, F. 23 Schulzki, H.-J. 202, 207 Schweizer, E. 193, 207 f. Schwyzer, E. 41, 64, 70 f., 114, 178 Scott, R. 41, 73 f., 106, 109, 135, 173, 177, 190–192, 196, 203, 207 Sellew, P. 4, 36 f. Sevrin, J.-M. 20 Shisha-Halevy, A. 61 Sieber, J. H. 137 Simon, G. 129 Skeat, T. C. 172 f., 178–183, 185–187, 189 Smith, J. Z. 217 f., 220 Söding, T. 5 Spengel, L. 24 Stählin, O. 73, 162–164, 226 f. Stegemann, C. 230 Steinhauser, M. G. 205, 208 Stemberger, G. 246 Stier, F. 194 Streck, M. P. 49, 53 Strecker, G. 74, 207 Strobel, A. 84, 112 f. Suchla, B. R. 117 Tannehill, R. 193 Taylor, C. 172, 187 f. Theissen, G. 16 f., 208

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Autorenregister

Theobald, M. 4, 6, 30, 56, 58 f., 101, 163, 244 Thyen, H. 49 f., 101 Till, W. C. 69, 89, 119, 121, 142, 147, 166, 211 Tischendorf, C. 179 Tiwald, M. 17 Trepp, L. 160 Tripp, D. H. 14 f., 33 Turner, J. D. 60–62, 76 Ueberschaer, F. 160 Ungnad, A. 112 Unnik, W. C. 3 Uro, R. 28, 34, 52, 59, 113–115, 127 Valantasis, R. 211 Vielhauer, P. 82, 87 f., 102, 221 Vögtle, A. 49 Vretska, K. 105, 174 Wächter, L. 106 Wanke, J. 27 f. Waschke, E.-J. 104, 108 Weder, H. 193 Weidemann, H.-U. 57–59, 67, 231

Weiher, A. 120,174 Weiser, A. 113 Weiß, J. 74 f. Wengst, K. 50, 101, 226, 230 Werner, O. 174 Westendorf, W. 41, 89, 100, 121, 135, 139, 147, 166, 212 Westermann, C. 104 f. Willige, W. 174 Wilson, R. McL. 29, 48, 96 Windisch, H. 61, 230 Winkler, G. 202 Wischmeyer, O. 193 Wolter, M. 112–114, 138, 207 f. Wrege, H. T. 192 Wurst, G. 65 Wuthnow, H. 49 Zahn, T. 187 Zeller, D. 203 f., 208, 230 Zenger, E. 155 Zimmermann, B. 174 Zöckler, T. 32, 73, 81, 102, 219, 221 f., 227, 229 Zohary, M. 203

Sachregister Abschied 216 Allegorie 92–93 Almosen 141–146, 149 Apokalypse 16–17, 29–30 Apophthegma 28, 30 Armut 120, 123, 126, 239, 247 Athlet 60–62 Auferstehung 81–83, 134–141, 148–149, 239 f. Bräutigam (Brautgemach) 143, 146 Chrie 8, 20–24, 30, 33, 35 Dialogeinheiten 18–20, 30, 33, 198–200, 211 Diatessaron 24–26 Dubletten 7–8, 20–24, 89–91, 244–247 Einzelexistenz 19–20, 31–32, 114, 119, 150–153, 159–171, 220–221, 240 f. Einwohnung (Schechina) 160 Enkratismus 4, 30, 91, 164–165, 225–230, 234, 249 Erkenntnis (Selbsterkenntnis, Gotteserkenntnis) 114–131, 140–141, 148–149, 163–164, 213–217, 220–221, 238 f., 245, 247 Evangelium (Gattungen) 3, 64, 198–200 Fasten 141–146, 149 Fische 102–110 Formgeschichte 5–7, 28, 30, 197–198, 237, 241 f. Fundbericht des Thomasevangeliums 3 Gebet 141–146, 149, 159–160, 163–164 Gegenwart Jesu 150–153, 159–171, 240 f., 247

Geist 142, 162–165, 219–221 Gemeinde (Gemeinschaft) 31, 119, 131, 150–152, 159–165, 170–171, 240 Gericht (Gerichtskollegium) 154–158, 170, 240 Geschlechtlichkeit 219–231, 234, 241 f., 245 Gleichnisse 15, 35 Gnome (Sentenz) 23–24, 30, 65 Gnosis 4, 16–17, 32, 74–75, 80, 84, 85–96, 98–99, 135, 225–228, 244 f., 247–249 Goldene Regel 144–145 Gottesdienst 14, 160–161, 166, 169–171 Gottessohnschaft (Gotteskindschaft) 85–88, 120, 123–128, 239, 247 Gottlosigkeit 150–153, 165 Gradatio 70–73, 238 Häresie 98–99 Heimatlosigkeit 83–85 Herrschaft 74–78, 95–97, 248 Himmel 102–112, 146–149 Innen und außen 144–145, 213–218, 239 Itazismus (Koine) 48, 71, 114, 135, 178–179, 186, 190 Jakobus (Herrenbruder) 48–51, 79 Joch 91–96 Judenchristentum 4, 12–13, 84 Katechismus 31, 209 Kinder 213–216, 221–228, 234, 246 f. Kirche 161 Kleidung 186–198, 201–203, 210, 213–221, 226–227, 232–234, 241 f., 245–249 Kommentarwort 27–28, 30, 32, 194–197, 232, 241

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Sachregister

Leben 194–195, 232 f., 241 Lehre 101–102 Leib 90–91, 194–195, 232 f., 241, 244–246 Leichnam 88–91, 244–246 Lieblingsjünger (im Johannesevangelium) 50, 58 Lilien 196–198, 201–210, 232 f., 241, 245 Logienquelle 16–18, 26–27, 33–34, 62 Manichäismus 13, 56 Mathaias 59–63 Mensch 162–165, 240 Menschensohn 83–85 Messias (Gesalbter) 161 Minjan 160 Mönchtum 98–99, 248 f. Mündlichkeit und Schriftlichkeit 12, 22–23, 31, 34–35, 63, 65–66, 69, 237–244 Mystik 30, 32, 67, 114–115, 121, 169, 171 Mythos 92–93 Nacktheit 211–221 Nahrung 191–198, 210, 232 f., 241 f. Offenbarung 9, 140–141, 146–149, 213–217 Ostererscheinung 57–59, 63–66, 69, 137–138, 140–141, 217, 238 Ostraka 11 Pantheismus 167–169 Papyrologie 38–39 Pharisäer 94–95, 113–114, 143 Progymnasmata 20–24, 31, 34–35 Prophetie 29, 208 Redeeinleitungsformel 8, 18–20, 33, 64–66, 198–200, 211, 238 Reich (Gottes/Jesu) 110–118, 123–128, 213–217, 238 f., 245 Ruhe 76–78, 81–99, 238, 244 f., 248 Scham 211–221, 234, 246 f. Schreiber 179, 182–184

Schreibfehler (Lese-/Hörfehler) 177, 181–185, 205 6FKXOJHVSUlFK  6HHOHQDXIVWLHJ ² 6HPLWLVPHQ DUDPlLVFKV\ULVFK  ² ² 6RUJH )UVRUJH  ²² II 6SHLVHYRUVFKULIWHQ ² 6SULFKZRUW ² 6WDXQHQ (UVFKUHFNHQ  ²  6WLFKZRUWYHUELQGXQJHQ ²² ² 6XFKHQXQG)LQGHQ ²²  6QGH  6QGHQIDOO ² Taufe 217–218 7KRPDV 1DPHQVIRUPHQ  ²² ²²I 7KRPDVWUDGLWLRQHQ ²² ² 7RUD ² Überlieferungs- und Traditionskritik 5–6, 35–37, 42–44, 181–182 8QWHUZHOW 7RWHQUHLFK  ² Vögel (Raben) 110, 196–197, 204–205, 233, 241 Wachstum 201–209, 232 f., 241 :DKUKHLW :DKUKDIWLJNHLW  ² :DKUQHKPXQJ ² :DQGHUUDGLNDOLVPXV ²² ² :HLVKHLW ²² :HOW ²I :HOWELOG ² Zählung der Thomaslogien 8–9 =HLW ² =ZLOOLQJVPRWLY ²²