Von Christen, Juden und von Heiden: Der Niederrheinische Orientbericht [1 ed.] 9783737010177, 9783847110170


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Von Christen, Juden und von Heiden: Der Niederrheinische Orientbericht [1 ed.]
 9783737010177, 9783847110170

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Von Christen, Juden und von Heiden Der Niederrheinische Orientbericht Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Helmut Brall-Tuchel Unter Mitarbeit von Jana Katczynski, Verena Rheinberg und Sarafina Yamoah

Mit 15 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e. V., des Heimatvereins der Erkelenzer Lande e. V., des Instituts für Internationale Kommunikation e. V., des Landschaftsverbandes Rheinland und des Lehrstuhls für deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. © 2019, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Köln, Dom, Dreikönigenschrein, Stirnseite, gesamt (© Hohe Domkirche zu Köln, Dombauhütte; Foto: Reinhard Matz & Axel Schenk) Satz: SchwabScantechnik, Geiststraße 11, D-37073 Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1017-7

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die Überlieferung des Niederrheinischen Orientberichtes . . . . . . . . . . . . . . . 9 Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Zu Quellen, Verfasser und literaturgeschichtlichem Ort des Orientberichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Anlage und Zielsetzung des Orientberichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Der Niederrheinische Orientbericht (nach der Handschrift W*3 des ­Historischen Archivs der Stadt Köln): Edition und Übersetzung Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Vom Heiligen Land und allen Ländern jenseits des Meeres . . . . . . . . . . . . . . . 31 Das Reich des Priesterkönigs Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Das Königreich Georgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Das Kaiserreich der Griechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Das Königreich Armenien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Die Mandopoler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Konflikte und Unterschiede zwischen Heiden und Christen . . . . . . . . . . . . . . 67 Die Juden im Heiligen Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Glaube und Lebensordnung der Heiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Die Herrschaft des Sultans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Die Hofhaltung des Sultans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Die Frauen des Sultans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Die Hochzeit des Sultans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Amtsführung und höfische Prachtentfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Wirren im Reich des Sultans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Christenverfolgung in Damaskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Über Heiden und Türken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Über die Tataren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Der Kalif von Bagdad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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Inhalt

Über Babylon (Bagdad) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Die Sage vom dürren Baum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Herrschaft, Hofhaltung und Reichtümer des Khans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Die Perser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Teil II – Allgemeine Orientkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Klima und Vegetation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Kleidung, Aussehen und Lebensgewohnheiten der Orientalen . . . . . . . . . . . . 155 Exotische Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Jagdtiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Vögel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Pflanzen und Früchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Orts- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Vorwort

Ein Blick zurück in die Geschichte der Zivilisation, in der man lebt, trägt in aller Regel dazu bei, den Boden auch in aufgeregten Zeiten unter den Füßen zu spüren. Die Arbeit an der Ausgabe, Übersetzung und Kommentierung dieses Textes aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, der in unserer rheinischen Region entstanden ist und dort auch rezipiert wurde, hat mir in den vergangenen letzten Berufsjahren immer wieder diese Erdung verschafft. Dafür bin ich all jenen dankbar, die mir dies ermöglicht und die Fertigstellung des Buches gefördert haben. An erster Stelle sind hier die Mitarbeiterinnen Jana Katczynski, Verena Rheinberg und S­ arafina Yamoah vom Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters zu nennen, mit denen es bei der Arbeit an den Handschriften und bei der Text­herstellung nicht selten fröhlich zuging. Dem Leiter des Sachgebiets Alte Bestände des Historischen Archivs der Stadt Köln, Herrn Dr. Max Plassmann, sei an dieser Stelle herzlich für die Bereitstellung der Digitalisate der Handschriften gedankt. Herrn Prof. Dr. Manuel Braun danke ich für die freundliche Einladung zu seinem Kolloquium; die kon­ struktive Diskussion über Grundsätze der Edition ergab wichtige Anregungen zur Gestaltung der Ausgabe. An den Kosten für die Drucklegung des Bandes haben sich die folgenden Institutionen und Personen beteiligt: Die Anschubfinanzierung hat die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post übernommen, wofür ich ihr und ganz besonders der Fürsprecherin historisch-philologischer Projekte, Frau Ehrensenatorin Dr. Esther Betz, einmal mehr im Dank verbunden bin. Ebenso hat der Heimatverein der Erkelenzer Lande E. V. unter dem Vorsitz von Herrn Günther Merkens die Publikation des Orientberichtes in der Nachfolge gemeinsam durchgeführter Veranstaltungen zu Wallfahrt, Pilgerwesen und Reiseforschung bereitwillig unterstützt. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat aufgrund der Befürwortung durch Herrn Dr. Georg Mölich einen weiteren Zuschuss gewährt, der vom Institut für Internationale Kommunikation E. V. (IIK) in Düsseldorf und Berlin unter der Geschäftsführung von Herrn Dr. Matthias Jung großzügig und unbürokratisch aufgestockt wurde. Die letzte Lücke wurde geschlossen durch einen Beitrag »aus

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Vorwort

dem Hause«, den die Lehrstuhlinhaberin Frau Hochschulrätin Prof. Dr. Ricarda Bauschke-­Hartung aus ihrem Budget beisteuerte. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank! Düsseldorf, im Mai 2019

Helmut Brall-Tuchel

Einleitung

Abb. 1: Der vordere Orient im 14. Jahrhundert (Ulrich Haarmann (Hg.), Geschichte der a­ rabischen Welt, München 1994, S. 242, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags C.H. Beck München.)

Die Überlieferung des Niederrheinischen Orientberichtes Der sog. Niederrheinische Orientbericht liegt vollständig bislang in der Edition von Reinhold Röhricht und Heinrich Meisner in der Zeitschrift für deutsche Philologie aus dem Jahr 1887 vor. Meisner hatte die Handschrift, wie im Vorsatzblatt verzeichnet, vom Dezember 1884 bis zum 5. Februar 1885 eingesehen, »welche früher die signatur nr. 261 trug, jezt mit M. G. nr. 1 bezeichnet ist.«1 25 Jahre zuvor hatte Leonard Ennen, der erste Leiter des Historischen Archivs der Stadt Köln, bereits eine Teiledition von 34 Blättern dieser Handschrift (Bl. 22r-58v) publiziert,2 die heute unter der Signatur Cod. W 261a geführt wird. Er hielt die dem Orientbericht eines 1 Ein niederrheinischer bericht über den orient. Von Röhricht und Meisner, in: ZfdPh 19 (1887) S. 1–86, hier S. 1. 2 L(eonard) Ennen, Der Orient. Ein Bericht vom Niederrhein aus dem Ende des 14. Jahrh., in: Theodor Benfey, Orient und Occident insbesondere in ihren gegenseitigen Beziehungen. For-

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Einleitung

anonymen Verfassers vorangehenden legendarischen Partien über das Wirken der Heiligen Drei Könige nach ihrer Rückkehr aus Bethlehem, die Flucht der Gottesmutter nach Ägypten aus einer unvollständigen Legende der Heiligen Drei Könige sowie ein abschließendes Gebet an diese für den Kernbestand der Handschrift. Dem Bericht über den Orient wies er den Status eines »Exkurses«3 zu. Folgerichtig schienen ihm auch die Schlusspartien des Textes mit ihren geographischen und naturgeschichtlichen Angaben für seine Zwecke verzichtbar. Von Wert bleibt jedoch seine wenig beachtete Angabe, dass diese Handschrift »aus dem kaiserlichen Stift zu unserer lieben Frauen in Achen (stammt).«4 Röhricht und Meisner entschlossen sich hingegen, den Text noch einmal zur Gänze, versehen mit sprachlichen und historischen Erläuterungen, zu edieren. Die ihrer Textausgabe zugrundeliegende Pergamenthandschrift W.216a mit 72 Blättern enthält den letzten Teil der Dreikönigslegende des Johannes von Hildesheim und auf den Blättern 22r–72v den Niederrheinischen Orientbericht, den die beiden verdienstvollen Grundlagenforscher als ein eigenständiges, wenn auch durch eine gewisse Anzahl thematischer Bezüge mit der Dreikönigslegende verbundenes, Werk ansahen. Der Text endet mit Informationen über den orientalischen Handel mit Pflanzen, die zum Färben und als Arznei gebraucht werden. Röhricht und Meisner werteten die abschließende etc.-Formel der Handschrift als Indiz dafür, dass auch dieser Text nicht vollständig erhalten sei. Als Abfassungsdatum wurde vom Schreiber der 7./8. April des Jahres 1408 angegeben (anno domini m° cccc° octavo in vigilia palmarum). Der Germanist Karl Menne hat diese Handschrift als Nr. 194 in sein im Jahr 1937 erschienenes Verzeichnis deutscher und niederländischer Handschriften aufgenommen.5 Hier teilt er auch den Besitzvermerk auf dem Vorsatzblatt mit: Dyt Boich ys ind gehoirt Johan Jueden zo (Collne), versehen mit einer »rohe(n) Federzeichnung« des Wappens der Patrizierfamilie Jueden.6 Darunter steht von einer

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schungen und Mitteilungen, Bd. 1 (1862) S. 449–480 und S. 627–646. Diese Handschrift wird im Folgenden unter der Sigle A geführt. Ebd., S. 451, ein Exkurs, in dem freilich »die interessantesten Spezialitäten über einzelne Städte, bemerkenswerthe Ereignisse, das Hofleben der Fürsten, die Pracht und den Luxus bei den Hoffesten, das Militärwesen, die Art des Kriegführens, Jagd, Fischerei, Kleidung, Sitten, Baukunst, Malerei, Gesetze, kirchliche Vorschriften und Gebräuche u. s. w. enthalten (sind).« Ebd., S. 449. Ennen datierte die Handschrift auf das Jahr 1405. Karl Menne, Deutsche und niederländische Handschriften, Sonderreihe X,1, Köln 1937 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln), Nr. 194, S. 383–385. Zu Überlieferung und Forschungsstand vgl. Anna-Dorothee von den Brincken, ›Niederrheinischer Orientbericht‹, in: Kurt Ruh (Hg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 6 (1987) S. 998–1000; Dietrich Huschenbett, ›Pilgerreiseberichte über Palästina‹, in: Verfasserlexikon, Bd. 7 (1989) S. 678–696. Erwähnt in einer Urkunde vom 1. Februar 1465 unter U3/1625 vom 1. Januar 1455, Historisches Archiv der Stadt Köln U3/215. Hartmut Beckers, Die mittelfränkischen Rheinlande als literarische Landschaft von 1150 bis 1450, in: ZfdPh 108 Sonderheft (1989) S. 19–49, wies darauf hin,

Die Überlieferung des Niederrheinischen Orientberichtes

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Hand des 16. Jahrhunderts: Der es nicht geloubt der geh hinn vnnd frage darna, es ist die beste Wise. Bezüglich der Provenienz verweist Karl Menne auf die Schreibstube in Schloss Blankenheim in der Eifel, als Mundart des Textes gibt er ripuarisch an. Die unserer Edition zugrunde gelegte Überlieferung in der Papierhandschrift Cod. W*3 stammt ebenfalls aus dem Bestand des Historischen Archivs der Stadt Köln.7 Sie war Ennen, Röhricht und Meisner seinerzeit nicht bekannt und wurde wiederum von Karl Menne im 1931 erschienenen ersten Band seines Kataloges unter Nr. 9 beschrieben.8 Als Provenienz oder Vorbesitzer wird wieder die Bibliothek der Grafen von Blankenheim genannt. Heribert A. Hilgers hat diese Beschreibung der Handschrift mitsamt deren Vorläufern einer gründlichen und weitreichenden Kritik unterzogen.9 Die für unsere Zwecke wichtigsten Ergebnisse seien hier referiert: Der Codex ist mit 376 Blättern und sechs Vorsatzblättern weit umfangreicher als der Ort der Parallelüberlieferung; er enthält insgesamt acht Texte, nämlich den lückenhaften Alexanderroman des sog. Meister Babiloth (Bl. 1r– 60r), die Dreikönigslegende des Johannes von Hildesheim in deutscher Übersetzung,10 den Niederrheinischen Orientbericht (Bl. 116r–161r), ein Streitgedicht Jude gegen Christ (Bl. 162r–165r), ein Fragment des Trojanerkrieges Konrads von Würzburg (Bl. 166r–168v), den »kleinen Seelentrost« mit Zusätzen (Bl. 172r–224v), die Morant und Galie-Fortsetzung des Karlmeinet (Bl. 244r–280v) sowie das Marienleben des Bruder Philipp (Bl. 282r– 375v). Die ersten drei Prosatexte wurden von Menne einem Schrifttyp, die folgenden versifizierten Texte zwei weiteren Typen zugeordnet. Hilgers hingegen stellte die These auf, »daß alle Texte von einer einzigen Hand geschrieben worden sind.«11 Die Wasserzeichen verweisen auf einen Entstehungszeitraum zwischen 1410 und 1420, also unwesentlich später als die Parallelüberlieferung. Die Schreibweise wird als ripuarisch eingeordnet, wenngleich sich vorlagenabhängige Varianten zeigen. Aufgrund handschriftlichen Besitzeintrages kann die Bibliothek dass aus dieser Familie »im 14. und 15. Jh. mehrere Kölner Bürgermeister hervorgegangen sind« und eine »der ältesten vollständig erhaltenen ripuarischen Mandeville-Hss.« ebenfalls mit dem Eigentumsvermerk dieser Familie versehen ist (S. 48).   7 Diese Handschrift wird im Folgenden unter der Sigle B geführt.   8 Karl Menne, Deutsche und niederländische Handschriften, Sonderreihe X,1,1, Köln 1931 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln), S. 10–13.   9 Heribert A. Hilgers, Das Kölner Fragment von Konrads ›Trojanerkrieg‹, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 4 (1973) S. 129–185. 10 Sie gehört einer anderen Übersetzungsgruppe an als die Fassung in Hs. A. Vgl. dazu Max Behland, Die Dreikönigslegende des Johannes von Hildesheim. Untersuchungen zur niederrheinischen Übersetzung der Trierer Handschrift 1183/485 mit Textedition und vollständigem Wortformenverzeichnis, München 1968, S. 14. 11 Hilgers, Das Kölner Fragment, S. 139. Die jüngere Forschung hat ihm hier beigepflichtet, vgl. dazu die Ausführungen zur Überlieferung bei Eva Büthe-Schneider, Die e-Apokope im Ripuarischen: Eine korpuslinguistische Untersuchung spätmittelhochdeutscher und frühneuhochdeutscher Quellen, Berlin, Boston 2017, S. 53ff. Die dort und im Handschriftencensus erwähnte kritische Ausgabe wird zumal in sprachgeschichtlicher Hinsicht zu weiteren Ergebnissen führen.

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Einleitung

Abb. 2: Verfolgung der Christen in Damaskus durch den Statthalter Tengiz (Folio 137v der Handschrift Cod. W*3, Hs. B)

Die Überlieferung des Niederrheinischen Orientberichtes

Abb. 3: Verfolgung der Christen, Besuch der Königin von Sizilien (Folio 48r der Handschrift W. 261a nach der Restaurierung, Hs. A)

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Einleitung

der Grafen von Blankenheim als Herkunftsort bestimmt werden. Der in der Überschrift (dit boich … is gesat vnd gemacht Ouermitz den eirwerdigen geistlichen vader her Florens van Weuelkouven Busschoff zo Monster) als Adressat genannte Bischof Florenz von Wevelinghoven (Amtszeit 1364–1379) wird auch in den lateinischen Fassungen als Auftraggeber erwähnt und das, wie Heribert Hilgers zu Recht feststellt, »besagt also nichts über die Veranlassung der deutschen Übersetzung.«12 Hinsichtlich des Verhältnisses der beiden Textzeugen zueinander kam Hilgers zu folgendem Befund: »Eine erste vergleichende Untersuchung ergab, daß hinsichtlich des ›Orientberichts‹ keine der beiden Kölner Handschriften Vorlage oder Abschrift der anderen sein kann, da jede an einer Reihe von Stellen gegen die andere den besseren Text, das heißt den Text mit der höheren Wahrscheinlichkeit der Authentizität, aufweist, ohne daß spontane Korrekturen durch den Schreiber angenommen werden können. Für die von Röhricht/Meisner vorgelegte Fassung ermöglicht der neue Überlieferungszeuge eine Reihe von Verbesserungen«.13 Diesen Eindruck untermauert die vorliegende Edition, die signifikante Abweichungen, Zusätze oder Auslassungen der zugrunde gelegten Handschrift W.*3 gegenüber der von Röhricht und Meisner benutzten Handschrift verzeichnet.

Zu dieser Ausgabe In ihrer grundlegenden Studie über das Bild der orientalischen Christen in der westlichen Geschichtsschreibung moniert Anna-Dorothee von den Brincken, dass die Herausgeber die Parallelüberlieferung nicht herangezogen haben und »in der Edition mehrfach Lesefehler gemacht wurden.«14 Eine Kollation der beiden Handschriften, die uns in Digitalisaten vorliegen,15 erleichtert bei zweifelhaften Passagen das Verständnis des Textes und die Entscheidung für eine Lesart. Insoweit verdankt die hier vorgelegte Edition des zweiten Textzeugen des Niederrheinischen Orientberichtes auch der Arbeit dieser beiden Pioniere der historischen Reiseforschung in sprachgeschichtlicher, sachlicher und editorischer Hinsicht weitaus mehr als in den Fußnoten protokolliert werden kann. Die Edition der Handschrift W*3 versteht sich 12 Ebd., S. 133. 13 Ebd., S. 134. 14 Anna-Dorothee von den Brincken, Die ›Nationes Christianorum Orientalium‹ im Verständnis der lateinischen Historiographie von der Mitte des 12. bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, Köln, Wien 1973, S. 70, Fn. 377. 15 Über den Zustand und den Verbleib der beiden Handschriften nach dem Einsturz des Gebäudes am 3. März 2009 teilte Herr Dr. Max Plassmann mit, dass diese Handschriften zwar vom Einsturz betroffen waren, aber zwischenzeitlich restauriert werden konnten, so dass sie der Forschung wieder zur Verfügung stehen.

Zu dieser Ausgabe

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als Ergänzung und Modernisierung des Zugangs zu einem Text, dem auch seitens der Forschung bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wurde.16 Die kommentierte Übersetzung verfolgt darüber hinaus den Zweck, den Text auch für die an historischen Quellen über das Verhältnis von Christentum, Judentum und Islam interessierte Öffentlichkeit zu erschließen. Der vorgelegte Text will keine kritische Ausgabe im engeren Sinn liefern, sondern die Handschrift so genau wie möglich und so kritisch wie für ihre Lesbarkeit nötig wiedergeben. Offenkundige Versehen wie Wortdoppelungen wurden stillschweigend übergangen, alle Eingriffe in den Textbestand sind gekennzeichnet und in den Fußnoten aufgeschlüsselt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei dem Verhältnis zur Parallelüberlieferung. Ein weiteres Anliegen der Edition ist es, das Layout der Handschrift weitgehend zu erhalten, ohne dabei alle Inkonsequenzen bei Interpunktion, Groß- und Kleinschreibung, Initialen, Majuskelzierstrichen und Kapitelzeichen in Kauf nehmen zu müssen. Darum hatte eine zeilengetreue Wiedergabe mit Angabe der Foliierung den Vorrang vor einer Gliederung mittels moderner Interpunktion. Übernommen werden im Fettdruck die Kapitelinitialen, die Kapitelzeichen sind jeweils mit Virgeln (//) wiedergegeben, neu eingefügt wurden Punkte, um die Bandwurmsätze an für heutiges Verständnis geeigneter Stelle zu unterbrechen. Nach Punkten und Virgeln wird die Großschreibung konsequent durchgeführt. Die Gliederung in Sätze und Absätze wurde in der Übersetzung entsprechend beibehalten. Eigennamen werden grundsätzlich großgeschrieben, doch bei den Erwähnungen von Tieren waren gelegentliche Inkonsequenzen nicht zu vermeiden. Die üblichen Abbreviaturen wurden aufgelöst. Die Ausgabe verzichtet aus Gründen der Lesbarkeit auf die wünschenswerte Aufteilung von gesonderten Apparaten für Emendationen, Parallelüberlieferung und sprachliche Erläuterungen, zumal eine kritische Ausgabe des Textes, die dies leisten sollte, in Aussicht gestellt ist.17 Stattdessen soll es ermöglicht werden, sich aus Sicht der Hs. B mit der Hs. A auseinandersetzen zu können; reine Schreibvarianten, syntaktische Umstellungen und schlechterer Text der Handschrift A werden nicht berücksichtigt.

16 Zum Liber de gestis ac trina beatissimorum trium regum translatione und seinem Verfasser vgl. Elisabeth Christern, Johannes von Hildesheim, Florentius von Wevelinghoven und die Legende von den Heiligen Drei Königen, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins Bd. 34–35 (1960) S. 5–18, Anna-Dorothee von den Brincken, Die ›Nationes Christianorum Orientalium‹, passim, Dietrich Huschenbett, Die Literatur der deutschen Pilgerreisen nach Jerusalem im späten Mittelalter, in: DVjs. 59 (1985) S. 29–46, Helmut Brall-Tuchel, Unterwegs im Heiligen Land. Rheinische Pilgerberichte des 14. Jahrhunderts zwischen Tradition und Augenschein, in: ders. (Hg.): Wallfahrt und Kulturbegegnung. Das Rheinland als Ausgangspunkt und Ziel spätmittelalterlicher Pilgerreisen. Schriften des Heimatvereins der Erkelenzer Lande E.V., Bd. 26, Erkelenz 2012, S. 143–171. 17 Siehe oben Fn. 11.

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Einleitung

Für den heutigen Leser ist ein volkssprachlicher Text aus der Mitte des 14. Jahrhunderts zwar nicht im Ganzen unverständlich, aber eben auch nicht flüssig lesbar. Eine Übersetzung erleichtert den Sprung über diese Hürde für all diejenigen, die am Bild des Orients in Literatur und Geschichte des lateinischen Westens interessiert sind oder sich in regionale historische Sprachstufen einarbeiten wollen. Die Übersetzung bemüht sich darum, den mitunter ermüdenden Gleichlauf des häufig parataktischen und formelhaften Stils des Berichts zu mildern, ohne seine Eigenart durch allzu freie Übertragung zu verwischen. Obwohl der Text sich auf schriftliche Quellen stützt, handelt es sich bei dem anonymen Verfasser wohl kaum um einen Literaten, sondern eher um einen Experten, der sein Erfahrungswissen mit dem schriftlich zugänglichen Wissensstand seiner Zeit abgeglichen und in eine zusammenhängende Form gebracht hat. Aufgrund der Vielzahl von Details, die über weite Strecken zutreffend, aber auch nicht selten das Ergebnis von Missverständnissen sind, mag ein ausführlicher Kommentar mit historischen Erläuterungen nützlich sein, der in der Nachfolge von Röhricht und Meisner Informationen und Erklärungen zu Personen, Orten, Geschichte(n) und Ereignissen zusammenträgt.

Zu Quellen, Verfasser und literaturgeschichtlichem Ort des Orientberichtes Aufgrund seiner besonderen Stellung zwischen dem gelehrten Wissen über den Orient und dem in Laienkreisen erwachenden Interesse an der bewunderten, fremdartigen, aber gleichwohl in vielen Hinsichten faszinierenden Welt des Ostens, vermittelt der Niederrheinische Orientbericht ein authentisches Bild von dem seit der Mitte des 14. Jahrhunderts in den Rheinlanden und darüber hinaus kursierenden Ensemble an Vorstellungen vom Leben und Treiben in den Ländern »über See«. Der Niederrheinische Orientbericht gehört neben den Reiseberichten Wilhelms von Boldensele,18

18 Zu Wilhelm von Boldensele vgl. Carl Ludwig Grotefend, Des Edelherren Wilhelm von Boldensele Reise nach dem gelobten Lande, in: Historischer Verein für Niedersachsen (1852) S. 226–286 mit dem lateinischen Text sowie die Artikel von Wilhelm von Heyd, ›Wilhelm von Boldensele‹, in: ADB Bd. 3 (1876) S. 96f. und Gabriele Schwarz, ›Boldensele, Wilhelm von‹, in: NDB Bd. 2 (1955) S. 430, Georg Schnath, Drei niedersächsische Sinaipilger um 1300. Herzog Heinrich von Braunschweig-Grubenhagen, Wilhelm von Boldensele, Ludolf von Sudheim, in: Festschrift Percy Ernst Schramm zu seinem siebzigsten Geburtstag von Schülern und Freunden zugeeignet, Bd. 1, Wiesbaden 1964, S. 461–478, Marie Luise Bulst-Thiele, Franz Josef Worstbrock, ›Wilhelm von Boldensele‹, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, hg. von Burghart Wachinger, Bd. 10, Berlin, New York 1999, S. 1092–1095, Stefan Schröder, Zwischen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri, Berlin 2009 (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, Bd. 11), S. 78. Weitere Literatur bei Werner Paravicini (Hg.), Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie. Bd. I: Deutsche Reiseberichte. Bearbeitet von Christian Halm,

Zu Quellen, Verfasser und literaturgeschichtlichem Ort des Orientberichtes

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Ludolfs von Sudheim19 und der Drei-Königs-Legende des Johannes von Hildesheim20 zu den Kerntexten des niederrheinischen Orientwissens um die Mitte des 14. Jahrhunderts. In dem Gebiet zwischen Köln, Aachen und Trier hatte sich im engen Zusammenhang mit der Verehrung der Reliquien der Heiligen Drei Könige,21 dem Fernhandel und dem allgemeinen Pilgerwesen ein regionaler Schwerpunkt des mittelalterlichen Orientinteresses gebildet.22 Schon Röhricht und Meisner erkannten, dass für die lateinischen und deutschen Ausgaben des Berichtes von Ludolf von Sudheim »die benutzung unseres berichts unwidersprechlich klar [ist], besonders aber des zweiten teiles […], aus dem grosse stücke zum teil wörtlich, zum teil verkürzt in die deutsche ausgabe übergegangen sind.«23 Elisabeth Christern und Anna-Dorothee von den Brincken vermuten darüber hinaus, dass die bei Ludolf von Sudheim und bei Johannes von Hildesheim aufFrankfurt a. M. 2001, S. 35 f. und Wolfgang Achnitz (Hg.), Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter – Autoren und Werke nach Themenkreisen und Gattungen, Bd. 3, Reiseberichte und Geschichtsdichtung, Berlin, Boston 2012, S. 348f. 19 »Ludolf war rector der Pfarrkirche von Sudheim in der Diözese Paderborn. Seinen Bericht schrieb er nach dem Ausweis der Zueignung in den meisten der lateinisch und hochdeutsch verfassten Handschriften für Bischof Gottfried von Osnabrück (1321–1341) und Balduin von Steinfurt, Bischof von Paderborn (1341–1361). Als Zeitpunkt der Niederschrift wird das Jahr 1350 angenommen, möglich ist noch das folgende Jahrzehnt bis zum Tode des in der Widmungsnotiz genannten Paderborner Bischofs Balduin (1362). Ludolf vermittelte den beiden Kirchenfürsten einen gedrängten Überblick über die Sakraltopographie sowie die politischen, religiösen und sittlichen Zustände im Heiligen Land. Gleichwohl geht der Bericht seiner Anlage nach über ein kircheninternes Informationspapier hinaus und konnte in Umarbeitungen und Übersetzungen als Erbauungsschrift für Leser und Hörer in der Heimat und als Pilgerführer für Nachfolger dienen.« Helmut Brall-Tuchel, Unterwegs im Heiligen Land, S. 157. Vgl. auch Achnitz, Literatur-Lexikon, S. 383–385. 20 Neben den Arbeiten von Elisabeth Christern, Johannes von Hildesheim und Anna-Dorothee von den Brincken sind zu diesem Autor heranzuziehen: Sylvia C. Harris, The Historia Trium Regum and the Medieval Legend of the Magi in Germany, in: Medium Aevum 28 (1959) S. 23–30 und dies., German Translations of the »Historia trium regum« by Johannes von Hildesheim, in: MLR 53 (1958) S. 364–373, Max Behland, Die Dreikönigslegende, S. 8ff. Zum Forschungsstand mit weiterer Literatur vgl. Franz Josef Worstbrock, Sylvia C. Harris, ›Johannes von Hildesheim‹, in: Verfasserlexikon Bd. 4 (1983) S. 638–647 sowie Helmut von Jan, ›Johannes von Hildesheim‹, in: NDB Bd. 10, Berlin 1974, S. 554. 21 Hugo Kehrer, Die Heiligen Drei Könige in der Legende und in der deutschen bildenden Kunst bis Albrecht Dürer, Straßburg 1904, ders., Die Heiligen Drei Könige in Literatur und Kunst, 2 Bde., Leipzig 1908/09 (Neuauflage in einem Bd., Hildesheim 1976), Achim Masser, Bibel, Apokryphen und Legenden. Geburt und Kindheit Jesu in der religiösen Epik des deutschen Mittelalters, Berlin 1969. 22 »Seit rund 1350 läßt sich in Köln ein spürbares Interesse an deutschsprachigen Schriften über die geographischen, völkerkundlichen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Verhältnisse des Orients feststellen.« Hartmut Beckers, Der Orientreisebericht Wilhelms von Boldensele in einer ripuarischen Überlieferung des 14. Jahrhunderts, in: RhVjbll. 44 (1980) S. 148–166, S. 150. 23 Röhricht und Meisner, Ein niederrheinischer bericht, S. 3. Die wichtigsten Entlehnungen Ludolfs aus dem Niederrheinischen Orientbericht sind bereits in den Fußnoten dieser Ausgabe verzeichnet.

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genommenen Orientalia nicht auf den Textbestand des Niederrheinischen Orientberichtes zurückgehen müssen, sondern auf eine allen drei Verfassern zugängliche Vorlage schließen lassen. Diese gemeinsame Quelle könnte ihrerseits wiederum auf das geographische und historische Wissen über den Orient zugegriffen haben, das der mit der politischen Situation am östlichen Mittelmeer vertraute Armenier Hethum (Hayton) von Gorigos (Korykos) in einer Schrift24 zur Vorbereitung eines Kreuzzuges im Auftrag von Papst Clemens V. im Jahr 1307 zusammengestellt hatte.25 Kaum einem der Autoren von Orient- und Reiseberichten des späten Mittelalters schien jedoch daran gelegen, seine Quellen und Gewährsleute im Einzelnen zu benennen. Selbst der wissenschaftlich geschulte Johannes von Hildesheim beteiligte sich an diesem Spiel, wenn er zu seinen Vorlagen notiert: »Die Fürsten und Herren von Vaus brachten aus Indien Bücher mit, darin in chaldäischer und hebräischer Sprache viel über Leben und Taten der drei Könige geschrieben stand. Die Bücher wurden in Akkon in die Sprache der Franken übertragen und gelangten auch in unsere Länder. Hier besitzen sie einige vornehme Familien noch heute. Aus solchen Büchern und Berichten, aus vielem, was gehört und gesehen wurde, ist diese Erzählung geschrieben. Manches ist aus Reden und Predigten entnommen und hinzugefügt, und all das wurde in diesem einen Büchlein vereinigt.«26 Gleichwohl wird in dieser Aussage das Produktionsverfahren dieser Wissenstexte offengelegt, zu dem wohl auch eine gewisse Verschleierung oder Mystifikation gehörte. Wie immer die Abhängigkeitsverhältnisse im Einzelnen auch ausgesehen haben mögen, es zeigt sich in jedem Fall, dass »ein derartiger kirchengeschichtlicher Stoff«, der »zudem sicherlich zunächst in der Gelehrtensprache, dem Lateinischen, behandelt worden (ist)«,27 zunehmend Interesse auch in Laienkreisen wachgerufen hat. Offenbar hat man sich in Köln und den benachbarten Rheinlanden verstärkt darum bemüht, Informationen über fremde Völker, Sitten und Lebensformen, über ertsche dinck (irdische Angelegenheiten) mithin, aus den unterschiedlichsten Informationsquellen zu sammeln. Viele Indizien sprechen dafür, den Anonymus im Umfeld jener niederrheinischen Adelsgeschlechter zu suchen, bei denen sich ein enger Bezug zu Köln, den Heiligen Drei Königen, ein Interesse am Pilgerwesen sowie ein reger Austausch von Orienterfahrungen erkennen lässt (wie z. B. bei den Herren von Wevelinghoven, Blankenheim, Manderscheid, Gymnich, Harff).28 In den 24 Charles Kohler (Hg.): Hayton, La flor des estoires de la terre d‹Orient. In: Recueil des historiens des croisades, Documents arméniens, 2, Paris 1906. Zur Verbreitung und den Übersetzungen vgl. Folker E. Reichert, Begegnungen mit China. Die Entdeckung Ostasiens im Mittelalter, Sigmaringen 1992, S. 153f. 25 Vgl. dazu von den Brincken, ›Nationes Christianorum Orientalium‹, S. 71. 26 Christern, Legende, S. 10f. 27 Ebd., S. 48. 28 Vgl. dazu Hartmut Beckers, Die mittelfränkischen Rheinlande, S. 39 und ders., Handschriften mittelalterlicher deutscher Literatur aus der ehemaligen Schloßbibliothek Blankenheim, in:

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beiden erhaltenen Handschriften des Orientberichtes steht der Text also nicht von ungefähr in Überlieferungsgemeinschaft mit Redaktionen der Dreikönigslegende des Johannes von Hildesheim. Die Anonymität des Verfassers dieses frühesten deutschen Berichts über den Orient ist sicher einer der maßgeblichen Gründe dafür, dass der Text seiner beachtlichen Wirkungsgeschichte zum Trotz zu einem gewissen Schattendasein verurteilt war. Die vergleichsweise schmale Überlieferung des Niederrheinischen Orient­ berichtes im Vergleich mit Wilhelm von Boldensele, Ludolf von Sudheim und Johannes von Hildesheim resultiert sicher auch aus der regional eng zugeschnittenen Schreibsprache, die weitere Verbreitung vielleicht nicht beabsichtigte, einer solchen jedenfalls nicht günstig war. Während die von Röhricht und Meisner edierte Handschrift nach übereinstimmender Ansicht einen ripuarischen Sprachstand des 14. Jahrhunderts repräsentiert, zeigt der hier edierte Text Mischformen, die zur Einordnung seiner Schreibsprache als ripuarisch-niederfränkisch geführt haben.29 Hinsichtlich seiner Schreibsprache, der ausgeprägten Vorliebe für die Heiligen Drei Könige und der topographischen Bezugsgrößen Köln, Aachen und Rhein kann man ihn also zweifelsfrei den Rheinlanden zuordnen; hinsichtlich seines Standes favorisieren Reinhold Röhricht und Heinrich Meisner den des Klerikers,30 Anna-Dorothee von den Brincken denkt an »einen Laien aus Kaufmannskreisen«.31 Beide Vermutungen stützen sich auf Kenntnisse über mittelalterliche Orientreisende, die in der Regel Könige, Fürsten, Diplomaten, Kleriker, Mönche oder Kaufleute waren.32 Das textinterne Wissen und das Autorprofil freilich lassen in der Tat auf einen Laien schließen, vielleicht auf einen jüdischen (?) Kaufmann, möglicherweise aber auch auf einen Angehörigen des ritterlichen Standes. In Anbetracht unserer Kenntnisse über die Heiliglandfahrer aus dem Köln-Aachener-Raum in der Mitte des 14. Jahrhunderts spricht auch nichts dagegen, den Anonymus als eben jenen dominus zu identifizieren, mit dem Ludolf von Sudheim von 1436–1441 im Die Manderscheider. Eine Eifeler Adelsfamilie. Herrschaft, Wirtschaft, Kultur. Katalog zur Ausstellung, Köln 1990, S. 57–82. 29 Zusammenfassend zum Forschungsstand vgl. Büthe-Schneider, Die e-Apokope, S. 55. Die dort im Anschluss an Hartmut Beckers, Die mittelfränkischen Rheinlande, S. 47, vorgeschlagene Umbenennung in »Kölner Orientbericht« erscheint trotz dessen unzweifelhafter Autorität in Fragen der schreibsprachlichen Zuordnung voreilig. Die Herkunft der Hs. A. aus dem Marienstift Aachen, von der L. Ennen berichtet, aber auch die schreibsprachlichen Differenzen zwischen beiden Handschriften lassen hier an einen weiteren niederrheinischen (mittelfränkischen) Radius denken. Überdies spricht die mehrfache Erwähnung der Stadt Aachen für einen gewissen lokalpatriotischen Stolz und sehr spezielle Kenntnisse der dortigen Verhältnisse. Ob dies ausreicht, um in Zukunft vom »Aachener Anonymus« zu sprechen, sei allerdings dahingestellt. 30 Röhricht und Meisner, Ein niederrheinischer bericht, S. 4. 31 von den Brincken, Orientbericht, S. 999. 32 Ich greife im Folgenden auf Ausführungen zurück, die anlässlich einer Tagung zu spätmittelalterlichen Pilgerreisen bereits publiziert wurden, Brall-Tuchel, Unterwegs im Heiligen Land, S. 161ff.

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Orient unterwegs war – womöglich als zeitweiliger geistlicher Begleiter in dessen Gefolge. Das würde auch den Rückgriff auf eine gemeinsame Quelle, die Ludolf von Sudheim als dem zweifellos gebildeteren der beiden Reisenden zur Verfügung stand, plausibel erscheinen lassen. Auch Wilhelm von Boldensele berichtet ja, dass er mehrfach von einem Kaplan seines Gefolges an den heiligen Stätten Messen lesen ließ. Diese auch andernorts überlieferte und vielfach geübte Praxis legt diese Annahme neben anderen Indizien wie der zeitlichen Parallelität der Reisen und der sachlichen Übereinstimmungen in den Berichten nahe. Ludolf kann daher wohl als zeitweiliger Begleiter jenes womöglich dem ritterlichen oder dem Kaufmannsstande angehörigen Herrn angesehen werden, der seinerseits den ersten deutschen Bericht über den Nahen Osten zusammenstellte. Über Ludolfs Herrn sind wir nur durch die verkürzte lateinische Redaktion von Ludolfs Reisebericht in Handschriften aus dem Bestand des Zisterzienserklosters Hude bei Delmenhorst unterrichtet. Dort ist freilich nur vermerkt, dass dieser »zeitweilig dem König von Armenien diente.«33 Für den Zeitraum von 1338 bis 1341 lässt sich die Überschneidung der Aufenthalte beider Reisender in Ägypten feststellen. Überdies hielt sich Anonymus vom Niederrhein vor dem Jahre 1348 auch in Armenien auf, so dass diese Bemerkung Ludolfs über den Aufenthalt des Anonymus beim armenischen König auch zur Zeit der Abfassung der auf das Jahr 1345 datierten Redaktion aktuell gewesen sein dürfte. Die außerordentliche Länge des Orientaufenthaltes von ca. 12 Jahren könnte man auch als Grund dafür ansehen, dass der Name des dominus verschwiegen wurde. Eine solch lange Abwesenheit wird sowohl für geistliche wie weltliche Herren besondere Probleme bei der Heimkehr mit sich gebracht haben, zumal wenn sie nicht, wie dies etwa bei Johannes Schiltberger der Fall war, rechtfertigende Gründe wie Gefangenschaft und Versklavung vorweisen können oder wollen. Für einen Kaufmann aus den Rheinlanden erscheint eine solch lange Abwesenheit unüblich, zumal der Levantehandel sich fest in der Hand der Kaufleute aus den italienischen Seereubliken Venedig und Genua befand. Am ehesten wird demnach mit einer in die Länge gezogenen abenteuerlichen Hei33 Die Einleitung zum Wolfenbüttler Codex Helmst. 702 gibt an, quod quidam clericus osnabrugensis nomine Ludolfus Clippeator, qui nouiter de sancta terra venerat et ibi quinque annis cum domino, qui fuit miles regis Armenie, permanserat in perigrinatione et omnia ista oculis vidit. Von Stapelmohr, Ludolfs von Sudheim Reise, S. 12. Weitere Hinweise auf den weltlichen Stand des Verfassers lassen sich seinem Interesse für die zeitgeschichtlichen politischen Herrschaftsverhältnisse, für die religiösen und sozialen Bräuche, aber auch seiner Nähe zur ritterlichen und höfischen Kultur des Orients sowie seiner grundsätzlichen Affinität zur Gruppe der Herren entnehmen. Vgl. dazu Reinhold Jandesek, Das fremde China. Berichte europäischer Reisender des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Pfaffenweiler 1992, S. 100f. Jandesek hält ihn gleichwohl für einen Kleriker (S. 108). Schnath, Drei niedersächsische Sinaipilger, S. 470. Schnath vermutet Ludolfs Herrn eher im Adel Süddeutschlands. Vielleicht muss man ihn, wenn man ihn für den Autor des Niederrheinischen Orientberichts hält, eher im Umfeld des Kölner Domkapitels, der Dreikönigsbruderschaft oder des Aachener Marienstiftes suchen.

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denfahrt des Anonymus als Erfahrungsgrundlage des Berichts zu rechnen sein, die durch den Kontakt mit den überlieferten westlichen Wissensbeständen angereichert und ergänzt wurde. Sein Stil erscheint stärker diktierend angelegt, durchsetzt mit Elementen der Mündlichkeit und dementsprechend besonderer Vorliebe für die Parataxe. Das Schriftliche diente ihm nicht als Vehikel der Standesrepräsentation, sondern als Informationsspeicher.

Anlage und Zielsetzung des Orientberichtes Ein Schwerpunkt des Berichts ist die Information über die Disparatheit und Vielfalt der Glaubensverhältnisse im Orient. Die Christen im östlichen Mittelmeerraum wurden nach dem Untergang der Kreuzfahrerstaaten als potentielle Bündnispartner im Kampf um die Wiedergewinnung des Heiligen Landes angesehen und von den westlichen Reisenden unter den Gesichtspunkten der Wehrhaftigkeit und ihres Verhältnisses zur lateinischen Christenheit wahrgenommen. Dogmatische Fragen spielten dabei eine gewisse Rolle, allerdings zeigt sich der Anonymus nicht so sehr theologisch als vielmehr lebenspraktisch, d. h. ethnologisch und machtpolitisch interessiert. Kult- und Lebensformen, Taten und Sitten der Glaubensgemeinschaften und Völker ziehen seine Aufmerksamkeit an. Er hat ein gewisses Gespür für politische Schachzüge und Machtkonstellationen auch in fremden Gesellschaften und legt für die historischen Verhältnisse eine ausgeprägte Duldsamkeit in religiösen Fragen an den Tag. Beobachtung rangiert bei ihm vor Wertung; Assimilationsfähigkeit in religiösen Dingen, wie er sie z. B. der Volksgruppe der Mandopoler zuschreibt, ist ihm selbst darum vor allem hinsichtlich der Klärung von Unterschieden in beachtlichem Maße eigen. Der Anonymus war zwischen ca. 1336/7 bis ca. 1350 im Nahen Osten unterwegs. Ob er, wie Ludolf von Sudheim, von Wilhelms von Boldensele Pilgerfahrt wusste und dessen Bericht kannte, lässt sich nicht feststellen.34 Sein Radius erstreckte sich auf das Heilige Land, Ägypten und reichte mehr oder minder weit in den Südosten bis nach Persien und im Norden nach Armenien, Georgien und das Königreich Kilikien. Der Niederrheinische Orientbericht setzt mit einer Heiliglandbeschreibung ein, geht aber über die Vorgaben dieser bewährten literarischen Gattung weit hinaus. Von Jerusalem, dem Mittelpunkt der Welt, nimmt der Bericht die umliegenden 34 Besonders bemerkenswert ist, dass in den lateinischen Fassungen von einer Begegnung Ludolfs mit drei Mitgliedern aus der Reisegruppe Wilhelms von Boldensele in der Stadt Hebron berichtet wird. Diese Gefolgsleute waren im Heiligen Land geblieben und zum Islam übergetreten. In diesem Zusammenhang zeigt Ludolf sich auch über die Person, das Leben und die Reise­ umstände seines Vorgängers gut unterrichtet. Zur Entstehungsgeschichte siehe immer noch die Argumentation von Schnath, Drei niedersächsische Sinaipilger, S. 467ff.

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Regionen wie die Königreiche von Indien, Nubien, Georgien, Armenien und Byzanz in den Blick. Zusammengehalten werden die einzelnen Berichte über diese Länder und ihre Einwohner durch Wege, Wirken und Verehrung der Heiligen Drei Könige. Seine Kenntnisse bezieht der Verfasser neben den bereits genannten Quellen aus einem nicht allzu intensiven Schulwissen über die Völker und Fabelwesen des Ostens, aus der Bibel und allgemein bekannten literarischen Quellen, vornehmlich aus mündlichen Berichten und zu einem erheblichen Teil aus eigener Anschauung.35 Sein Integrationswille in religiösen Angelegenheiten ist allerdings nicht zu übersehen. Wenn irgend, dann gibt es seiner Anschauung nach im Zeichen der Heiligen Drei Könige Gemeinsamkeiten sowohl zwischen östlichen und westlichen Christen als auch zwischen Christen, Juden und dem Islam. In der Verehrung dieser Heiligen respektieren sich selbst diejenigen Völker, denen sonst an der Zerstörung fremder Kultstätten gelegen ist. Wie nach ihm Johannes von Hildesheim weist er dem heiligen Caspar das dritte Königreich Indiens, Tharsis, zu, über das der legendäre Priester Johannes herrschen soll. Die orientalischen Christen werden nach dem Ansehen beurteilt, das sie in ihren Ländern genießen, nicht nur nach dem Maßstab der römischen Kirche. Berührungsängste mit fremden Kulten zeigt er so wenig wie Ansätze zur Fraternisierung. An der Bischofswahl bei den orthodoxen Griechen findet er erstaunlich, dass die Frau des neuen Bischofs in ein Kloster gehen muss und ihr Mann keinen Zugang mehr zu ihr hat, aber wan sy wilt dages off nachtes so mach sy zo eme komen und by eme slaiffen ain weder sprache (121r). Für Kleidung, Frauen, Sitten und Gebräuche, Speisen, Sprachen, Strafjustiz und Kuriositäten aller Art hat er einen wachen Sinn, anschauliche Vergleiche mit Verhältnissen in der Heimat scheut er nicht. An zwei Stellen zieht er zur Charakterisierung der Nubier, denen er die Könige Melchior und Balthasar zuordnet, die Friesen zu Aachen heran. Wie diese haben die Nubier in allen Ländern besondere Kirchen und Kirchhöfe (118v) und ziehen in großen Scharen unter dem Banner der Heiligen Drei Könige umher (120r).36 Schauen wir uns aus seinem Bericht zunächst die Beschreibung Armeniens an. Der Anonymus geht zunächst auf die prekäre geopolitische Lage des kilikischen Königreiches Armenien zwischen den Herrschaftsgebieten des mamelukischen Sultans, der Türken und der Tataren (Mongolen) ein. Die Einwohner des Reiches 35 »Die Kenntnisse stammen zweifellos zum großen Teil aus eigener Anschauung, u. a. war der Verfasser 1338/41 in Ägypten (S. 15, 41), nach 1340 in Täbriz (S. 60f.), 1341 in Damaskus (S. 50) und vor 1348 in Armenien (S. 21 ff.), schreibt aber nach der Rückkehr.« Von den Brincken, Orientbericht, S. 999. 36 Hinsichtlich der Friesen in Aachen lässt sich nur auf die Belagerung Aachens durch Wilhelm von Holland im Oktober 1248 verweisen, an der friesische Kreuzfahrer beteiligt waren. Vgl. Hans Siemons (Bearb.), Geschichte Aachens in Daten, Teil I: bis 1964, Aachen 2003, S. 40. Freundlicher Hinweis von Herrn Prof. Dieter Wynands (Aachen).

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sind Christen und tapfere Krieger, deren Priester mit kleineren Abweichungen dem römischen Kult folgen. Überall im Land genießt der Ritterheilige Sergius große Verehrung. Dann erinnert er an die Versuche einer Annäherung zwischen den östlichen und westlichen Kirchen37 während des Pontifikats von Papst Johannes XXII. und an die kluge Politik des armenischen Königs Leo V., der die Nachbarvölker bezwungen und mit dem Sultan gutes Einvernehmen hergestellt hatte. Dieses Gleichgewicht der Mächte wurde empfindlich gestört durch den Kreuzzugsaufruf König Philipps von Frankreich, der die Armenier aufforderte, dem Sultan im Namen des gemeinsamen Glaubens den Krieg zu erklären. Daraufhin, so der Anonymus, verbündete sich der Sultan mit Türken und Tartaren und eroberte mit deren Hilfe das christliche Königreich Armenien: Do velen de ander nabur zo de der conick van Armenien had vordreven und wonnen eme aff de eirlige burch Layas der da in allen landen gein gelich en was und wonnen eme me dan veir hundert slo}ss≠ aff bis zo eyme wasser so grois als der Ryn da geit eyn alze langebrugge over. (122r)

Neben der Kenntnis politischer Strategien und Allianzen beeindrucken am Niederrheinischen Orientbericht die Unmittelbarkeit der Beobachtung, die unverstellte, aber auch unsentimentale Sicht auf die Schäden, Verwüstungen und Opfer, die bereits die Ankündigung eines Kreuzzuges für die Christen im Orient bedeutete. Aus unmittelbarer Erfahrung berichtet er, welche Folgen dies auch für die Einstellung der Andersgläubigen zu Frankreich und den Lateinern insgesamt nach sich zog: Die Christen im Heidenland, so konstatiert er, wurden erschlagen und vertrieben, so wie die Juden während der Seuchen bei uns.38 In Bittprozessionen erflehten die orientalischen Christen von Gott, er möge dem König von Frankreich den gerechten Lohn dafür geben, dass er sie hier so zugrunde gerichtet habe. Jede Niederlage, so glauben sie, sei eine Strafe für die Sünde, die er an ihnen begangen habe. Hier wie auch in dem nachfolgenden Bericht über das zivile Leben der armenischen Herrenschicht gibt sich der Anonymus als »teilnehmender Beobachter«, Ethnograph und wenig vorurteilsbeladener Kenner orientalischer Verhältnisse zu erkennen. Als weltlichem Herren, ob als Kaufmann, Ritter, Söldner und westlichem Christen eröffneten sich ihm die differenten weltlichen und religiösen Lebensformen des Orients in einer ungewöhnlichen Binnensicht und Brandbreite.

37 Vgl. dazu Steven Runciman, Geschichte der Kreuzzüge, München 1978, S. 1218f. 38 Aller Wahrscheinlichkeit nach bezieht sich der Anonymus auf die Judenverfolgungen in Köln im August 1349, von der er spätestens nach seiner Rückkehr Kenntnis erhalten haben wird. Zu den Pogromen und zur Lage der Juden im spätmittelalterlichen Rheinland vgl. Christoph Cluse, Juden am Niederrhein während des Mittelalters. Eine Bilanz, in: Monika Grübel, Georg Mölich (Hgg.), Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln u. a. 2005, S. 1–27, hier S. 11f.

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Der Horizont der Berichterstattung erscheint nicht durch vorgefasste Pläne, Aufträge und Ziele eingeengt, er ist auch nicht abhängig von einem absolvierten Reiseweg. Nach dem allgemeinen Überblick über Geographie und Religionsgemeinschaften im Vorderen Orient wird der Beobachtungsradius von vornehmlich drei Stationen bestimmt, an denen ein längerer Aufenthalt des Anonymus Gelegenheit zur Beobachtung und Sammlung von Erfahrungswissen gegeben haben mag. Diese Stationen sind einmal das Königreich von Armenien (Kilikien), wo auch ein Zusammentreffen mit Ludolf von Sudheim nicht unwahrscheinlich ist, sodann der Hof des Sultans des Mamelukenreiches in Kairo und schließlich informelle Kontakte in Syrien und im Irak mit den dortigen Mongolenherrschern (Ilchanen), von denen man sich im Westen Unterstützung bei der Rückeroberung des Heiligen Landes versprach. Wie schon bei der Station in Armenien geht der Anonymus in Ägypten von der politischen Lage in der Regierungszeit des von ihm als hässlichen Krüppel beschriebenen Mamluken Sultan an-Nasir aus, der sich nach seiner Wahl mit Hilfe des gemeinen Volks gewaltsam gegen aufständische Fürsten, Herren und seinen Sohn weithin Respekt verschaffte. Der Sultan hält in unaussprechlich prachtvoller Weise Hof in seinem Palast in Kairo, dort, wo in biblischen Zeiten der Pharao wohnte und Moses und Aaron die Plagen bewirkten. Über das Zeremoniell, den Palast des Sultans, dessen Säle mit biblischen Erzählungen von Josef, Jakob, Moses und Aaron geschmückt sein sollen und außen von den Taten Alexanders des Großen künden, zeigt er sich aus nächster Sicht unterrichtet. Hier gehen ihm angesichts überbordender orientalischer Prachtentfaltung die Augen über. Den Höhepunkt bildet die Beschreibung der Hochzeit des Sultans und der Tochter des Gouverneurs von Damaskus mit Festzügen durch die Stadt, Tänzen, Spielen und großem Gedränge. Christen, Heiden und Juden standen vor der Kirche und sangen. Mitten in diesem Treiben und auch über dem Zeitvertreib der Jagd mit Greifvögeln und vielerlei anderen Lustbarkeiten vergisst der Anonymus nicht, vom Schicksal derjenigen zu berichten, de zo Akers ind zo Armenien waren gevangen de moisten dan buwen und muren und dragen [137 r] steynne ind calck. Der was me dan VI M}ille≠ de alle krysten waren vursten heren riddere und templere moniche und paffen van allen landen de da waren gevangen.

Seine Kenntnisse über den dritten Herrschaftsbereich, das Gebiet der Mongolen, beruhen im Vergleich mit denen über das christliche Armenien und das islamische Mamelukenreich wohl nicht auf einem längeren stationären Aufenthalt, sondern über weite Strecken auf Hörensagen und Mythen über die »verrückten Leute«. Der Verfasser zeigt sich informiert über die religiöse Indifferenz der Mongolen und über Ansätze der christlichen Mission in ihren Herrschaftsgebieten sowie über ihre Kampf- und Lebensweise mitsamt ihren kulturellen Errungenschaften wie dem Papiergeld. Der Hoffnung der lateinischen Christen, die Mongolen bekehren

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zu können, verleiht er ebenso Ausdruck wie der Genugtuung über die Eroberung Bagdads durch die Mongolen mit Unterstützung der Templer. Es lässt sich freilich nicht ausschließen, dass er – in welcher Mission auch immer – Bagdad erreicht haben kann und dort über die biblisch verbürgten Erzählungen über Babylon und Ninive hinaus auch Auskünfte über das Leben und die Ereignisse am Hofe der mongolischen Herrscher eingeholt haben kann. Dass hier die Grenze des überprüfbaren Wissens erreicht und teilweise auch überschritten ist, zeigt sich an dem anschließenden Kranz von Mythen über die Amazonen, die Selbstopferungen von Jungfrauen, die Seelenwanderung und die legendären »Reichtümer und Wunder« Indiens. Da der Anonymus keine Reiseerzählung konstruierte, taucht die wahrnehmende Person in seinem Bericht nicht auf. Das verleiht seiner Darstellung genau jenen Hauch von »Objektivität«, den erfahrungsbasierte Kenntnisse gerade im lateinischen Westen noch brauchten, um sich gegen die Dominanz der Überlieferung zu behaupten. So fehlt auch die übliche antiislamische Polemik im Niederrheinischen Orientbericht weitgehend, auch wenn er gewisse, im Westen kursierende Missverständnisse über den Koran, den Propheten Mohammed und die islamischen Gebetsrituale kolportiert. Was er beabsichtigt, das lässt sich mit dem von ihm häufiger erwähnten Begriff des Wissens und mit dem Anspruch auf dessen Vermittlung tatsächlich am besten erfassen. Besonders deutlich zeigt sich dies im zweiten, enzyklopädisch gehaltenen Teil des Berichts. Die literarisch und historisch betrachtet aufschlussreicheren, stärker erzählenden Partien weichen hier einer durchaus systematisch angelegten Aneinanderreihung von Daten, Kenntnissen und Ansichten über Land und Leute, Tiere und Pflanzen, so dass es nicht verfehlt ist, hier von einer eigenständigen kleinen Orientkunde zu sprechen. Sie bietet eine Quintessenz von Kenntnissen und Informationen über das Leben und dessen Eigenheiten in den orientalischen Regionen, die er aus langer Erfahrung kannte und in die er sich als Außenseiter eingelebt hatte oder einleben musste. Auch wenn der Sachgehalt dieser Informationen heutzutage an Relevanz zu wünschen übrig lassen mag, ist von kulturhistorischer Seite doch von unzweifelhaftem Wert, welcher Wahrnehmungsradius einem westlichen Beobachter zu Gebote stand und inwieweit er diesen zu nutzen verstand, ohne in eine klar erkennbare diplomatische, militärische, missionarische oder religiös motivierte Rolle und Aufgabe eingebunden zu sein. Es hat den Anschein, als würde sich auch und gerade beim Experten gleichsam wie von selbst die Tendenz durchsetzen, das eigene Wissen besonders hochzuschätzen und daher vor Übertreibungen nicht zurückzuschrecken. So behauptet er, dass es in deme lande over mer viel schönere und größere Tiere gebe als hierzulande und stellt einen Katalog derjenigen Tiere zusammen, die diese beiden Kriterien erfüllen und damit für hinreichend Exotik sorgen. Neben dem Löwen, dem zahmen Leoparden als Wächter und Begleiter des

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Herrschers, dem Einhorn, von dessen wunderlichem Aussehen er nur gehört haben will, dem vielfarbigen und duftenden Panther, der scharfgehörnten Antilope fehlt auch der Salamander und der Onager (Wildesel) aus der einheimischen Tradition nicht. Nicht alle Interpretationen aus der christlichen Naturdeutung finden sich hier wieder, vielmehr kommt es zu der bekannten bunten Mischung aus Beobachtung und Spekulation. Tierkataloge dieser Art und Tiertafeln, wie man sie bei Bernhard Breydenbach findet, signalisieren »Fremdheit« und Expertise mit mehr oder minder positiven Vorzeichen. Sie bilden ein Vorwissen ab, erfüllen Erwartungen und lassen sich dann auch unabhängig von tatsächlichen Begegnungen und Erfahrungen reproduzieren, wie etwa der viel gelesene Reisebericht des Schreibtischmenschen Johan von Mandeville zeigt.39 Von historischer Warte wird gelegentlich betont, dass nicht der Glaubenskampf gegen die »Heiden« und gegen den Islam die westliche Kreuzzugsbewegung ins Leben gerufen und immer wieder befeuert habe, »sondern die Werbung für die Kreuzfahrt. Die abendländischen Ritter sollten dazu bewogen werden, ihre Heimat zu verlassen und ihr Leben im Kampf für das Heilige Land einzusetzen. Dazu mußten weniger die Schandtaten ausgemalt werden, die die Muslime dort begangen hätten, als vielmehr die Überzeugung vermittelt werden, die Geschehnisse im Orient beträfen auch die Christen des lateinischen Europa.«40 Einflüsse aus dem Osten, die Handelsbeziehungen der italienischen Seemächte, Pilgerführer und Reise­ beschreibungen aller Art, die auch die Abenteuerlust beflügelten, zeitigten Wirkung und steigerten ihrerseits den Bedarf an Informationen über Land und Leute in den interessierten Kreisen der westlichen Gelehrten, Wallfahrer, Literaten, Missionare, Diplomaten und Militärs. Der Niederrheinische Orientbericht leistete als erstes deutschsprachiges Kompendium einen beachtlichen Beitrag dazu, den kulturellen Horizont zu erweitern und das Interesse am Wissen über den Orient zu fördern.

39 Zu John Mandevilles »Reisen« siehe Ernst Bremer, ›Mandeville, Jean de‹, in: Verfasserlexikon, Bd. 5 (1985) S. 1201–1214, zu den Quellen S. 1208. 40 Hehl, Ernst-Dieter, Die Kreuzzüge. Feindbild – Erfahrung – Reflexion, in: Hans-Jürgen Kotzur (Hg.), Kein Krieg ist heilig. Die Kreuzzüge (Ausstellungskatalog), Mainz 2004, S. 237–247, Zitat S. 39.

Der Niederrheinische Orientbericht (nach der Handschrift W*3 des Historischen Archivs der Stadt Köln)

EDITION UND ÜBERSETZUNG

Abb. 4: Jerusalem als Zentrum der Welt (»Die Welt als Kleeblatt« von Heinrich Bünting, 1581)

Dar na dat geschreven is van dem heilgen lande und van

allen landen van over mer und van burgen ind van steden de da ynne gestanden ”haint#1 inde noch steint. Nu volget herna wat coninge ”hertzougen#2 vursten ”greven#3 ind heren und patriarchen  [­busschoven ebde canoniche und paffen ind moniche und wilcher hande lude da hant gewont und noch wonnent bis op desen dach und van yrme gelouven ind partien und van all yrme wesen van krysten ioden4 und van heiden. // Zo dem eirsten dat conickrich5 van Iherusalem liget mytz in der werelde als man he spricht und dat hat van alders gewest der ioden und dar na was it der krysten und nu is it der heiden mer in dem conickrich wonnent alre meist krysten. // Vort van deseme conickrich6 intgain dat oisten da sint alle de conickrich van India da is here over preister Iohan und alle de lude de da ynne wonnent de sint krysten. // Vort intgain dat suyd oyst by India sint alle conickrich van Nubien und dat conickrich van Tharsin und de lude sint ouch krysten. Ind danne waren Melchior ind Balthasar zwein van den heilgen drin coningen de unsern heren den offer brachten zo Bethleem. Vort intgain dat norden oyst liget dat conickrich van [116v] Georgien und dat conickrich van Abtas und de lude de da ynne wonnent sint vrome starcke krysten. // Vort liget intgain dat norden

1 Ergänzt nach A. 2 Ergänzt nach A. 3 Ergänzt nach A. 4 A van kirsten ind heiden ind van ioeden 5 A licht Iherusalem mitten in dem heilgen lande 6 A van Iherusalem

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient Vom Heiligen Land und allen Ländern jenseits des Meeres Gleich wird vom Heiligen Land und von allen Ländern jenseits des Meeres und von Burgen und von Städten berichtet, die dort gestanden haben und fortbestehen. Im Anschluss daran folgt, welche Könige, Fürsten und Herren, Patriarchen, Bischöfe, Äbte, Kanoniker, Pfaffen und Mönche und welcher Art Leute sonst dort gelebt haben und noch bis auf den heutigen Tag leben, von ihrem Glauben und ihren Unterteilungen und von all ihrem Wesen, von Christen, Juden und von Heiden. Zunächst liegt das Königreich von Jerusalem in der Mitte der Welt,1 wie man hier sagt, und das Reich hat von alters her den Juden gehört; danach gehörte es den Christen und jetzt gehört es den Heiden, aber in dem Königreich leben zumeist Christen. Von diesem Königreich in Richtung Osten liegen alle Königreiche Indiens, über die Priester Johannes herrscht2 und die Leute, die dort leben, sind alle Christen. Von diesem Königreich weiter nach Osten liegen alle Königreiche von Nubien3 und das Königreich von Tarsis4 und die Leute sind auch Christen. Von dort kamen Melchior und Balthasar, zwei der Heiligen Drei Könige, die unserem Herrn die Opfergaben nach Bethlehem brachten.5 Von dort in Richtung Nordost liegt das

1 Jerusalem als Mittelpunkt oder Nabel der Welt (umbilicius mundi) ist ein fester Topos der mittelalterlichen Geographie und vieler Pilgerführer. Von diesem »Mittelpunkt« nehmen die folgenden Beschreibungen der Länder und Völker ihren Ausgang. 2 Der Verf. greift hier auf die Nachrichten über den legendären Priesterkönig Johannes zurück, eines angeblichen christlichen Herrschers über »Indien«, die seit dem 12. Jhdt. in Westeuropa verbreitet wurden. Ihnen zufolge herrscht Priester Johannes über Indien und weiter südlich gelegene Länder. Vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 407f. 3 Die christlichen Königreiche Nubiens wären eher im Süden als im Osten zu lokalisieren. 4 Tarsis (Tarschisch) ist eine biblisch öfter genannte Region (Jona 1,3, Jeremias 10,9, Ezechiel 27,12, Psalmen 72,10), die dem westlichen Mittelmeer zugeordnet, aufgrund der Lautung aber auch mit Tarsus in Kilikien identifiziert wurde. Der Verf. lokalisiert Tarsis im Rahmen seiner fiktiven Geographie jedoch östlich des Nils oder des Roten Meeres. Die Stelle 1 Könige 10, 21–23 könnte auch als Vorlage herangezogen worden sein: »Alle Trinkgefäße des Königs Salomo waren aus Gold; ebenso waren alle Geräte des Libanonwaldhauses aus bestem Gold. Silber galt in den Tagen Salomos als wertlos; denn der König hatte eine Tarschischflotte auf dem Meer, zusammen mit den Schiffen Hirams. Einmal in drei Jahren kam die Tarschischflotte und brachte Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen.  So übertraf König Salomo alle Könige der Erde an Reichtum und Weisheit.« Johannes von Hildesheim zufolge liegt Tharsis im »dritten Indien«, wo König Caspar zur Zeit der Geburt Christi herrschte, vgl. Christern, Legende, S. 25. 5 Die Herrschaft der Heiligen Drei Könige über die drei verschiedenen Indien betont Johannes von Hildesheim. Melchior kam ihm zufolge aus dem Königreich Nubien, Balthasar aus dem Königreich Godolien oder Saba, Caspar aus Tharsis nach Bethlehem. Aber nicht die Reiche,

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Der Niederrheinische Orientbericht

dat conickrich van Grecken und dat conickrich van Armenien und de lude de da wonnent sint ouch krysten. // Vort alle dese lude de in desen conickrich wonnent de sint alle krysten mer sy en sint neit al gelich gude krysten. Sy sint myt etzlichen artikelen ind puncten gescheiden und gedeilt als her na geschreven steit. // Vort alle dese conickrich sint ere yecklich wale so mechtich als der soldain mer dat ir eyn dem anderen neit gelegen en is vur wasser und woistenien und ander hindernisse. // Vort alle dese krysten de in desen landen wonnent de sint partie dat erer gain en gelouvet als der ander, de eyne heisschent Latini Suriany Indi Nubiani Armeni Greci Georgiani Nestorini Iacobite Maioniti Copti Ysini Maionini ind Soldini. Alle dese partien van krysten wa de wonnent de hant mallich ere sunderliche kirchen und erer gein geit in des anderen kirche noch huys7.

Vort preister Iohan is krysten und is here over Indien und is mech-

tiger ind meirre here dan der keyser van Rome. Und wanne hie here wirt over Indien so wirt eme der name myt dat hie heist preister Iohan und also schryft he in al synen breven dat hie geynnen groisser ede”l#er8 hoger9 name konne gewissen dan eyn preister. Want van eyns preisters macht wirt hemel ind hella up geslossen und zo und wanne eyn preister syn armen up hevet so vallent alle keyser coninge up ere knee. // Vort de beste stat de in Indien liget de heist Seuwa10

 7 A noch huys fehlt.  8 edeler ] ederer  9 A ede”l#er hoger fehlt. 10 A Sowa

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Königreich Georgien und das Königreich Abchasien6 und die Leute, die dort leben, sind fromme starke Christen. Weiter in Richtung Norden liegt das Kaiserreich der Griechen und das Königreich von Armenien und die Leute, die dort leben, sind auch Christen. Weiterhin sind all diese Leute, die in diesen Königreichen leben, Christen, aber sie sind nicht gleich gute Christen. Sie unterscheiden sich in zahlreichen Artikeln und Punkten voneinander, wie sogleich beschrieben wird. All diese Königreiche sind jedes für sich wohl so mächtig wie der Sultan, nur dass manche von ihnen nicht am Wasser, an Wüsten und an anderen Hindernissen liegen. All diese Christen, die in diesen Ländern leben, sind sehr unterschiedlich,7 so dass von ihnen keiner so glaubt wie der andere; im Einzelnen heißen sie Lateiner, Surianer, Inder, Nubier, Armenier, Griechen, Georgier, Nestorianer, Jakobiten, Maroniten, Kopten, Abessinier, Maroninier8 und Soldinier.9 All diese unterschiedlichen Christen haben dort, wo sie wohnen, ihre eigenen Kirchen und keiner von ihnen geht in die Kirche oder das Haus des anderen.10

Das Reich des Priesterkönigs Johannes Priester Johannes ist Christ und Herrscher über Indien und er ist mächtiger und ein größerer Herrscher als der Kaiser von Rom. Und hier als Herrscher über Indien wird ihm der Name verliehen, dass er Priester Johannes heißt und so schreibt er in all seinen Briefen, dass er keinen größeren, edleren, höheren Namen kenne als den des Priesters. Denn durch die Macht eines Priesters werden Himmel und Hölle auf- und zugeschlossen und wenn ein Priester seine Arme hebt, dann fallen alle Kaiser und Könige auf ihre Knie.11

  6   7   8

  9 10 11

sondern die Herkunftsländer der Gaben seien »nach Gottes gütiger Vorsehung« (S. 26) namengebend gewesen (Christern, Legende, S. 23ff.). Abchasien liegt an der Ostküste des Schwarzen Meeres im heutigen Georgien. Zum christologischen Streit und der Einschätzung der Ostchristen vgl. Wolfgang Hage, Das orientalische Christentum, Stuttgart u. a. 2007, S. 30ff. Ludolf von Sudheim bezeichnet in seinem Orientbericht diese Gruppe als Häretiker nach nestorianischem Ritus. Zum Unterschied zwischen Maroniten und Maroniniern bei Ludolf von Sudheim und dem Karmeliterprior Johannes von Hildesheim siehe von den Brincken, ›Nationes‹, S. 174ff. Die Aufzählung der Christen und die Schilderung ihrer Glaubensgrundsätze und ihrer Kulte zeigt Ähnlichkeiten mit der Dreikönigslegende des Johannes von Hildesheim und dem Pilgerbericht Ludolfs von Sudheim. Im Unterschied zu A wird hier neben der religiösen auch die soziale Separierung unter den orientalischen Christen betont. Diese Passage über den Priesterkönig wird wörtlich von Johannes von Hildesheim übernommen (Christern, Legende, S. 64).

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Der Niederrheinische Orientbericht

da wont preister. Und we costlich riche und schone syne pallaese und wonnungen sint van goulde ind van edelen gesteintze da were lanck aff zo sprechen. Und dat en is gein wonder want man alle dinck da gilt ind vercouft myt papyren zeichen und goult ind sylver dat blyft zo cleynnode und zo vassen.11 Und in alle deme lande van India und van Tatteren12 da gilt man ind vercouft ”alle dinck#13 myt cleynnen stucken van papyre de sint  [getzeichent [117r] dar na dat sy sint vergulden. Ind wanne eyn man zo vil hette der stucken van papire de getzeichent weren de neit lenger geweren en kunden dem gift man nuwe stucke umb de alden ain tol14 ind weder sprache. Vort alle de lude de in Indien wonnent de sint krysten ind hant eynen patriarchen de heist Thomais dem sint sy als gehoirsam als wir dem paese van Rome. Und wanne de busschove preister weient so brint hie den preister myt eyme gelouden yseren dat is scharp van dem vurhoufde neder bis over de nase dat eme de wonde ind de snit blyft eyn zeichen al sin dage bis an sinen doit15. Und dat doint sy zo eyme zeichen dat der heilgen geist quam in de apostelen myt vure. // Vort alle ere moniche haldent sich na sent Anthonius und Macharius orden und dragent lange ruwe wyde peltze und gra mentel ind clein cogelin up dem houfde de sint vur offen. // Vort de riddere in Indien haldent sich zo mail reinlich in allen dingen und iagent ind beissent ind dragent alze costliche cleyder und costliche gulden gurdele und costliche bogen cochger und pyle war sy hene rident off gaent und en wyssent van geyme ungemache dan aller wallust. // Vort de vrauwen ind de iunfrauwen van Indien de sint alle unsuverlich und sint brun we riche ind we costlich ere cleider ind cleynnode sint van goulde ind van edelen steynnen da were lanck aff zo sprechen. Ind ere cleydere sint slecht gewort van fynem goulde als van garne und sint gesneden als vrouwen rockelin. Da unden dragent sy ander clyder van wyssen16 gebleichden doiche de sint beroucht myt edelem gecrude dat man sy wal over al de straissen rucht so wa eyne vrouwe geit off ridet. Mer de rockelin sint alze richlichen besat myt perlen und myt edelen steynnen und myt anderem cleynnode der vrouwen und we riche ind we schone sy sint da were lanck aff zo sprechen. // Vort alle de

11 vassen, mhd. vazzunge stf., gemeint sind hier Schmuckelemente der Kleidung. 12 A Tartarien 13 Ergänzt nach A. 14 A kost, tol, aus ml. toloneum, mhd. zol stm., Abgabe, Zahlung 15 A ind die wonde blyft eme bis an den doit ind dat zeichen da mit 16 A wyssen fehlt.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Die prächtigste Stadt in Indien heißt Seuwa,12 dort wohnt der Priester. Wie kostbar und schön seine Paläste und Wohnsitze mit Gold und Edelsteinen geschmückt sind, darüber wäre viel zu sagen. Und das ist kein Wunder, denn man kauft und verkauft alle Dinge mit Papierscheinen; Gold und Silber, das dient ihnen als Kleinod und zum Schmuck. In dem gesamten Land Indien und in der Tatarei kauft und verkauft man mit kleinen Papierscheinen, die mit dem Betrag gezeichnet sind, den sie wert sind. Und wenn jemand so viel Papierscheine hätte, die einen Wert bezeichneten, aber nicht länger zu gebrauchen wären, dem gibt man ohne Kosten und Widerspruch neue Scheine für die alten.13 Die Leute, die in Indien leben, sind Christen und sie haben einen Patriarchen, der heißt Thomas, dem sie gehorsam sind wie wir dem Papst von Rom. Wenn der Bischof Priester weiht, dann brennt er den Priester mit einem glühenden Eisen, das scharf ist, von der Stirn bis an die Nase, so dass ihm die Wunde und der Schnitt sein ganzes Leben bis an seinen Tod als Zeichen bleiben. Das tun sie zum Zeichen dafür, dass der Heilige Geist mit Feuer in die Apostel fuhr. All ihre Mönche halten sich an die Regel des heiligen Antonius und des heiligen Makarios und sie tragen lange, raue, weite Gewänder und graue Mäntel und kleine Kapuzen auf dem Haupt, die vorne offen sind. Die Ritter in Indien führen sich stets in jeder Hinsicht gesittet auf, sie jagen und beizen und tragen kostbare Kleider und kostbare goldene Gürtel und führen auch Köcher, Bogen und Pfeile mit sich, wohin immer sie reiten oder gehen und sie kennen kein Unbehagen, nur ihr Vergnügen. Die Frauen und die Jungfrauen in Indien sind alle unschön und gebräunt, wie reich und wie prächtig ihre Kleider und ihre Kostbarkeiten an Gold und an Edelsteinen auch sind, davon wäre lange zu sprechen. Ihre Kleider sind gut aus feinem Gold wie von Garn gewirkt und geschnitten wie Frauenröckchen. Darunter tragen sie andere Kleider aus weiß gebleichtem Tuch, die sind mit dem Rauch edler Kräuter parfümiert, so dass man es wohl über die ganze Straße riecht, wo eine Frau geht oder reitet. Aber die Röckchen sind sehr üppig mit Perlen und mit Edelsteinen und mit anderen Kostbarkeiten der Frauen besetzt und wie reich und wie schön sie sind, davon wäre lange zu sprechen.

12 Röhricht und Meisner (künftig RM) lesen Sowa und vermuten Saba in Arabien (S. 10, Fn. 2). Die Hauptstadt des südlichsten der drei nubischen Königreiche, Soba, am Zusammenfluss der beiden Nilarme im heutigen Sudan gelegen (Alwa, Alodien), wäre als »indische« Residenz des fiktiven Priesters Johannes keine schlechte Wahl. Nach Johannes von Hildesheim gründeten die Heiligen Drei Könige »eine große, schöne Stadt, die sie Seuwa nannten, sie ist bis zum heutigen Tage die schönste und reichste Stadt in Indien. Dort wohnten fortan der Priester Johannes, der Herrscher der Inder, und Thomas, ihr Patriarch.« (Christern, Legende, S. 60) 13 Über die Geldpolitik, die Herstellung und den Umlauf von Papiergeld zur Zeit der Mongo­ lenherrschaft in China berichtet schon Marco Polo (Kap. 97). Ende des 13. Jahrhunderts führten die Mongolen auch in Persien das Papiergeld ein.

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Der Niederrheinische Orientbericht

preister in Indien wanne de mysse willent doin so komet der preister dyacen und subdyacen van drin wegen zo dem altare zo eyme zeichen [117v] dat de heilige dry coninge quamen van drin wegen und van drin landen zo samen zo Bethleem zo der crybben. // Vort alle lude in Indien sint alze vil cleynre dan ander lude ind havent alze kintliche spraiche und en mogen geynnen vorst liden und wanne sy yrgen willent uss yrme lande so vorent sy myt lange ruwe peltze van sunderlingen edelen deren de sy dan an doint in vremden landen ind we me upwart we de lude cleynre sint. // Vort dat lant van Indien dat sint werder de myt groissen broichen und myt wasseren sint gescheiden und de moniche ind de couflude de da aff ind zo pleint zo varen de sprechent dat de lude de neist dem paradise wonnent de sint alze17 douff ind werdent also geboren. Und sint alle wyse couflude und so wat sy dryvent off geldent off vercouffent dat doint sy myt zeichen. Dat hant sy also gerade als sprache und also douff werdent sy geboren van dem grymme des firmamentz dat sich also weget want sy sprechent dat it also greuwelich snel umb louffe als eyn molen stein. Ind ouch sprechent sy dat de sonne des morgens myt also greuwelichme gebroche18 up gee dat des gein mynsche gelyden en konne de des neit en were gewont. // Vort so sprechent sy dat da alze vil groisser broiche sint da ynne west so grois reit und roir dat man da alle de huys ind schiffe aff macht. // Vort in anderen werden west also goit cruyt als man by der erden vinden mach mer da sint alze vil boser groisser wurme und slangen anders were dat edel cruyt vil gemeynre dan it nu is. // Vort so sint da alze vil wert da man goult ind silver vindet mer dat brengent de lude preister Iohanne. // Vort by Indien in dat suyd oist da sint lude by eynre spannen lanck und de broder ind de couflude geldent de und brengent sy coningen ind heren und vercouffent sy we dure dat sy willent. Und de cleynne lude en essent neit in yrme lande dan saem [118r]

17 A alle 18 Mhd. gebrech stn., Lärm, Getöse

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Wenn die Priester in Indien die Messe feiern, dann kommen alle, der Priester, Diakon und Subdiakon auf drei Wegen zu dem Altar als Zeichen dafür, dass die Heiligen Drei Könige auf drei Wegen und aus drei Ländern zusammen nach Bethlehem zu der Krippe kamen. Alle Leute in Indien sind sehr viel kleiner als andere Leute und sie haben eine sehr kindliche Sprache und sie können keinen Frost ertragen und wenn sie jemals aus ihrem Lande wollen, so führen sie lange raue Pelze von besonders edlen Tieren mit sich, die sie dann in fremden Ländern tragen und dies umso mehr, je kleiner die Leute sind.14 Das Land Indien besteht aus Inseln,15 die durch ausgedehnte Sümpfe und Gewässer voneinander getrennt sind;16 die Mönche und die Kaufleute, die ab und zu dorthin zu fahren pflegen,17 die sagen, dass die Leute, die dem Paradies am nächsten wohnen, taub sind und auch so geboren werden. Und alle sind kluge Kaufleute und was sie treiben oder kaufen oder verkaufen, das machen sie mit Hilfe von Zeichen. Das beherrschen sie so gut wie eine Sprache und taub werden sie aufgrund des Zorns des Firmamentes, das sich heftig bewegt; denn sie sagen, dass es so grauenhaft schnell rundläuft wie ein Mühlstein. Und sie sagen auch, dass die Sonne morgens mit so grauenvollem Getöse aufgehe, dass kein Mensch das ertragen könne, der es nicht gewohnt sei.18 Weiterhin sagen sie, dass es dort sehr viele große Sümpfe gibt, in denen so viel Riet und Rohr wächst, dass man davon alle Häuser und Schiffe baut. Auf anderen Inseln wächst so gutes Kraut, wie man es auf der Erde finden kann, aber dort gibt es sehr viele schlimme große Reptilien und Schlangen, ansonsten wäre das edle Kraut viel weiter verbreitet als es jetzt ist. Weiterhin gibt es dort sehr viele Inseln, auf denen man Gold und Silber findet, aber das bringen die Leute dem Priester Johannes. Weiter im Südosten Indiens gibt es Leute, die eine Spanne lang sind, und die Brüder19 und die Kaufleute kaufen sie und bringen sie zu den Königen und Herren 14 Der Verf. schöpft hier wesentlich aus der seit der Antike blühenden Mythographie über die Bewohner Indiens und die dort angesiedelten Fabelwesen. Zu den Quellen und dem Realitätsgehalt der indischen Zwerge vgl. Reichert, Begegnungen, S. 24ff. 15 Womöglich eine literarische Nachwirkung von Psalm 72,10f.: »Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, die Könige von Saba und Seba kommen mit Gaben.« 16 Unwegsamkeit und Hindernisse aller Art bestimmten das Bild, das man sich im Westen vom Fernen Osten machte. Der Niederrheinische Orientbericht (künftig NO) bildet hier keine Ausnahme. 17 Vertreter dieser beiden Gruppen machen das Gros der Reisenden von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts aus (vgl. die Liste der europäischen Reisenden bei Reichert, Begegnungen, S. 287ff.). 18 Die Vorstellungen vom Getöse des Firmamentes, das sich wie das Rad in einer Nabe dreht, von Schilf und Rohr als Baustoffen, Gewürzen und wilden Tieren sind der Alexandertradition entnommen. RM verweisen auf den Straßburger Alexander V. 5493–95 und den Jüngeren Titurel V. 4747 (S. 11, Fn. 5). Auch die Fabelvölker aus dem Herzog Ernst leisteten einen Beitrag zum devianten Bild des Subkontinents, auf das man im Westen rekurrierte. 19 Gemeint sind hier Ordensleute oder Geistliche, vermutlich auch aus den verschiedenen Gruppen der orientalischen Christen.

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Der Niederrheinische Orientbericht

de is geschafft als hanif saem und des saemes moissen de couflude myt in nemen want als de lude des neit en eissen so storven sy zo hantz. Mer sy en hant neit sprache als lude de man verstain kann dan sy pipelent als muse und dat lant is dat neiste dat man dem paradise na komen mach. Ind de couflude sagent dat in dem lande und in anderen landen da by de lude alze groisse noit havent van cranen. // Vort by dem lande is eyn ander wert. De lude de da wonent de en hant gein houft mer ere ougen ind munt steint in an der burst. // Vort sint in Indien ander wert. De lude de da wonnent de hant groisse oren und sint dunne und sint also grois dat sy lyff da myt bedeckent. // Vort is in Indien eyn ander wert. De lude de da wonnent de hant houfde als hunde und in dem lande wart der gude sent Thomais der apostel gedoit. // Vort in eyme anderen da wonent lude de en hant neit dan eynen vois de is dunne als eyn gans vois und is also breit dat sy sich da myt bedeckent intgain de sonne und vur den rain und vur de wilde dere und sint alze snel ind alze gude schutzen. // Vort sint in Indien ander wert da wonnent lude de hant so cleynne munde dat sy alle spyse irs lyffs moissen suyffen myt piffen. Ind alle de vurgeschreven lude de sint in alre coninge hoeve und in alre vursten ind heren hoeve19 by anderen luden. Ind sint alze riche couflude und sint alle gecleit myt peltzen van manicher hande ”schonen edelen#20 deren und sint alre meist snode krysten und haldent sich na gelouven der heren da sy myt wonnent. Und dese lude dunckent dat wir also seltzen sin als sy uns. // Vort van alle desen luden komet man an dat rode mer21 da vluyst eyn wasser dat vellet in de vloit des paradys dat durch Egipten vluyst bis zo Allexandrien. Dar kumpt dan alle komenschaff weder in Indien und dar umb gift der soldain preister Iohan zins want alle dese lant ind wert dat vurgeschreven is da is here over preister Iohan. Und van anderen seltzen luden deren [118v] und vogelen und richdum de in preisters Iohans lande sint da were vil aff zo sprechen.

19 A ind heren hoeve fehlt. 20 Ergänzt nach A. 21 A Ind vort durch alle dese lant koempt man in dat lant da dat roide mer steit ind uys deme roiden mer vlust eyn vlus

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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und verkaufen sie so teuer wie sie wollen. Und die kleinen Leute essen in ihrem Lande nichts anderes als Samen, der wie Hanfsamen beschaffen ist und von diesem Samen müssen die Kaufleute etwas mit sich nehmen; denn wenn die Leute nicht davon essen, dann sterben sie auf der Stelle. Aber sie sprechen keine Sprache wie Menschen, die man verstehen kann, denn sie pfeifen wie Mäuse, und dieses Land ist das nächste, von dem man dem Paradies nahekommen kann. Und die Kaufleute sagen, dass die Leute in diesem Land und in anderen umliegenden Ländern sehr große Bedrängnis von Kranichen erfahren. Bei diesem Land gibt es eine andere Insel. Die Leute, die dort wohnen, die haben kein Haupt, aber ihre Augen und ihr Mund befinden sich auf der Brust. In Indien gibt es noch andere Inseln. Die Leute, die dort wohnen, haben große Ohren und die sind dünn und so groß, dass sie den Leib damit bedecken. Weiter gibt es in Indien noch eine andere Insel. Die Leute, die dort wohnen, haben Köpfe wie Hunde und in dem Land wurde der gute Apostel Sankt Thomas getötet.20 In einem anderen Land wohnen Leute, die haben nur einen Fuß, der so dünn wie ein Gänsefuß ist und so breit, dass sie sich damit vor der Sonne schützen und vor dem Regen und vor den wilden Tieren und sie sind sehr schnell und sehr gute Schützen. In Indien gibt es andere Inseln, dort wohnen Leute, die haben so kleine Münder, dass sie all ihre Leibspeise mit Halmen zu sich nehmen. Und all die genannten Leute halten sich an allen Königshöfen und an allen Fürsten- und Herrenhöfen bei anderen Leuten auf. Es sind sehr reiche Kaufleute und sie sind alle mit Pelzen von vielerlei Tieren gekleidet und allermeist schlechte Christen und sie richten sich nach dem Glauben der Herren, bei denen sie wohnen. Und diese Leute glauben, dass wir so seltsam sind, wie sie uns erscheinen. Von all diesen Leuten kommt man weiter bis an das Rote Meer; dort fließt ein Wasser, das in den Paradiesfluss mündet, der durch Ägypten bis nach Alexandrien fließt.21 Von dort kommt dann aller Handel wieder nach Indien und dort entrichtet der Sultan Zins an Priester Johannes; denn über all diese beschriebenen Länder und Inseln ist Priester Johannes Herrscher. Und über andere seltsame Leute, Tiere und Vögel und Reichtümer, die sich im Lande des Priesters Johannes befinden, wäre viel zu sprechen.

20 Der Apostel Thomas, welcher der Hagiographie zufolge die Heiligen Drei Könige getauft und zu Bischöfen ernannt hat, soll in Kalamina, dem heutigen Mailapur bei Madras, den Märtyrertod erlitten haben. Johannes von Hildesheim sieht die Ursache für die Deformation der Kynokephalen in der Strafe Gottes für die Tötung des Apostels Thomas. 21 Die Vorstellung der Paradiesflüsse geht auf Genesis 2,10–14 zurück. Hier wird der Nil gemeint sein. Der Blick geht also zurück von Indien zum Nahen Osten.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort dat conickrich van Nubien da Melchior ”uys was ind da#22 conick was de

unsern heren goult offerde dat is ouch untgain dat suyd oist da is ouch preister Iohan here over. Unde de lude heisschent in allen landen Nubiani dat sint da de besten krysten und sprechen Caldeesch und schrivent Caldeesch. Und in allen landen van over mer da hant sy dat vurgain van anderen krysten und hant in allen landen ere sunderlinge kirchoeve und kirchen als de Vresen zo Ache. In ere des ”heiligen#23 conicks [Melchior van des lande dat sy sint und alle ere preistere als sy mysse willent doin so havent sy cronen van goulde off van silver up yrme houfde dar na dat mallich vermach. Dat doint sy zo eyme zeichen dat de heilge dry coninge unsern heren den offer gecront brachten. Vort dat lant van Tarsin24 da Iasper conick was da is ouch here over preister ”Iohan#25 und de lude sint swartze moir lud und heisschent da in dem lande Soldini und havent eyne eygene sprache under sich. Und de lude in dem lande und in wat lande dat sy wonnent de machent ind malent ”in allen  [yren kirchen#26 unsen heren got und unse vrouwe und al heilgen swartz und den duvel wys want sy selver swartz sint und sint snode krysten. Dar umb en hant sy so groisse ere neit van anderen krysten als de lude van dem lande zo Nubien und deser lude busschove und preistere. So wanne de myssa willlent doin so ”haint#27 sy eynen gulden sterren boeven dem altair zo eyme zeichen dat der sterre voirte de heilge dry coninge van yrme lande zo Bethleem zo der crybben.

22 Ergänzt nach A. 23 Ergänzt nach A. 24 A Tarsi 25 Ergänzt nach A. 26 Ergänzt nach A. 27 Ergänzt nach A.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Das Königreich von Nubien, wo Melchior König war, der unserem Herrn Gold opferte, liegt auch im Südosten und auch dort ist Priester Johannes Herrscher. Und die Leute in allen Ländern heißen Nubier,22 das sind da die besten Christen und sie sprechen Chaldäisch und schreiben Chaldäisch. Und in allen Ländern über See haben sie den Vortritt vor anderen Christen und sie besitzen in allen Ländern ihre eigenen Kirchhöfe und Kirchen wie die Friesen in Aachen.23 Zu Ehren des Königs Melchior, aus dessen Lande sie und alle ihre Priester stammen, tragen sie, wenn sie Messe feiern, Kronen von Gold oder von Silber auf ihrem Haupt, je nach Vermögen. Das tun sie zum Zeichen dafür, dass die Heiligen Drei Könige unserem Herrn ihre Opfergaben unter Krone darbrachten. Über das Land von Tharsis,24 in dem Kaspar König war, ist Priester Johannes ebenfalls Herr und die Leute sind schwarze Mohren und sie heißen dort in dem Land Soldinier25 und sprechen eine eigene Sprache untereinander. Und die Leute in diesem Land und in welchem Land sie immer wohnen, machen und malen unseren Herrgott und unsere Frau und alle Heiligen schwarz und den Teufel weiß, denn sie selber sind schwarz und schlechte Christen. Deshalb erfahren sie keine so große Ehrerbietung von anderen Christen wie die Leute aus dem Lande Nubien und deren Bischöfe und Priester. Wenn sie die Messe feiern, halten sie einen goldenen Stern über den Altar zum Zeichen dafür, dass der Stern die Heiligen Drei Könige von ihrem Land nach Bethlehem zu der Krippe führte.

22 Zu den Nubiern vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 243ff., bes. S. 257. »Im Orientbericht, bei Ludolf und Johannes, gelten die Nubier als rechtgläubig, sogar lateinischer Ritus wird ihnen angedichtet. Von ihrer schwarzen Hautfarbe ist nicht die Rede. Sie stehen am Anfang der Ostchristenaufzählung; auch wird ihnen die Kapelle in der Grabeskirche zugesprochen, die tatsächlich die Äthiopierkapelle ist.« (S. 260). 23 Über eigene Kirchen der im NO mehrfach genannten Friesen (vresen) in Aachen war nichts in Erfahrung zu bringen; im Norden der Stadt gibt es eine Friesenstraße. An der Belagerung Aachens durch König Wilhelm von Holland 1248 waren friesische Kreuzfahrer beteiligt (vgl. Einleitung Fn. 36). Handelsniederlassungen an der Rheinroute und die Mobilität friesischer Händler, Seeleute und Soldaten zwischen Europa und dem Orient machen diese Angabe nicht unwahrscheinlich. 24 »Der Autor wirft hier nicht nur Hethums Aussagen über die Sogdier und über das Land Tarsa oder Tarsis zusammen, sondern auch noch die Überlieferungen über die schwarzhäutigen Nubier, aus deren Land der farbige König Caspar gekommen sein soll.« Von den Brincken, Nationes, S. 149. Die Aussagen Hethums sind selbst legendärer Natur bzw. vermischen unterschiedliche Traditionen, wie etwa auch Johannes’ von Hildesheim Lokalisierung von Tharsis in Indien (Christern, Legende, S. 25f.). 25 Zu den Soldiniern (sogdiern, frz. soldains) vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 147–151. Im NO, bei Ludolf von Sudheim und Johannes von Hildesheim erscheinen sie als schlechte Christen, obwohl sie die Heiligen Drei Könige, vor allem Caspar und Balthasar, verehren.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort preister Iohan is here over veir”tzich#28 Conickrich da alle snode krysten

Wonnent. De sint genant da in dem lande Nestorini de had paes Leo bekert und ander vil heilgen. Doch velen sy weder in eren ungelouven und dar umb hat sy got sere gedeilet29. Und sint unwert den heiden ind den krysten und wonnent under preister Iohanne und under keyser [119r] van Tatteren. Und levent under eyn ain twanck und ain zins als de ioden und hant in kurten iairen al yr lant verloren also dat sy geynen eygen conick noch heren en havent. Mer sy wonnent under anderen heren und sy hant eyn sunderlinge vaste insula de heist Egrisula30. Dan was Iaspar der heilger driyer coninge eyn31 und umb synen licham gaff sente Helena sent Thomais licham des Apostels do sy de heilge dry coninge samende. Und da licht noch sent Thomais in der selven insulen de Egrusula heist. Mer van allen den dingen de man van eme saget da en is neit an. Mer it hait wail gewest do hie lach in eyme anderen lande want hie liget nu myt snoden ketzeren de en hant geynnen ewen32 als ander lude hant de yrgen op anderen werden der zweier coninge33 sint.

Vort wonnent da in allen landen snode krysten de egain eygene lant

en havent noch heren als her na geschreven steit mer sy wonnent myt anderen luden in den landen. // Zo dem eirsten wonnent da snode krysten de heisschent Iacobiten de en gelouvent neit an de heilge dryveldicheit und dar umb sament sy sich myt eyme vinger und ere preister dyacen ind subdiacen steint zo samen over dem altair und nement zo samen dat heilge sacrament na yrre wysen und dat doint sy in eyme zeichen dat de heilge dry coninge zo eynen zyden samen zo Bethlehem unsen heren eren offer brachten.

28 Ergänzt nach A. 29 A verdiliet, verdillejen, mhd. vertîligen, vertilgen swv., vernichten 30 A egrisowa 31 A ind van disme lande was Balthazar der heiligen dryer konick eyn 32 A ere 33 A werder heilger dryer koninckge lande

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Priester Johannes ist Herr über vier Königreiche, in denen überall schlechte Christen wohnen. Die werden dort in dem Land Nestorianer26 genannt, die Papst Leo wie viele andere Heilige bekehrt hat. Doch verfielen sie wieder in ihren Unglauben und darum hat Gott sie strikt geteilt. Sie sind den Heiden und den Christen unwert und leben unter Priester Johannes und unter dem Kaiser der Tatarei. Und sie leben untereinander ohne Zwang und ohne Zins wie die Juden und haben in wenigen Jahren ihr gesamtes Land verloren, so dass sie keinen eigenen König oder Herrn haben. Aber sie leben unter anderen Herren und sie bewohnen eine besonders befestigte Insel, die Egrisula27 heißt. Von dort stammt Caspar, einer der Heiligen Drei Könige und für seinen Leichnam gab Sankt Helena den Leichnam des Apostels Sankt Thomas, als sie die Heiligen Drei Könige vereinte.28 Und dort liegt noch immer Sankt Thomas auf derselben Insel, die Egrusula heißt. Aber an allen Dingen, die man von ihm erzählt, da ist nichts dran. Aber es ist wohl so gewesen, dass er in einem anderen Lande lag, denn er liegt jetzt mit üblen Ketzern zusammen, die keine Ordnung wie andere Leute kennen, die irgendwo auf anderen Inseln der beiden Könige leben. Weiter wohnen dort in allen Ländern schlechte Christen, die gar kein eigenes Land haben noch Herren, wie sogleich geschrieben steht, aber sie leben mit anderen Leuten in den Ländern. Zum ersten leben dort schlechte Christen, die Jakobiten29 heißen, die glauben nicht an die Heilige Dreifaltigkeit und darum segnen sie sich mit einem Finger, und ihre Priester, Diakone und Subdiakone stehen zusammen am Altar und empfangen gemeinsam das Heilige Sakrament nach ihrer Weise und tun das zum Zeichen dafür, dass die Heiligen Drei Könige vorzeiten miteinander in Bethlehem unserem Herrn Opfer darbrachten. 26 Zum Nestorianismus vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 287ff. und passim. Zur Darstellung der Nestorianer im NO: »Da der Autor den Priester Johannes den Nestorianern zurechnet, sucht er auch bei ihnen die 40 Königreiche, die bei Jakob von Vitry jakobitischen Bekenntnisses waren. Daß Papst Leo sie bekehrt habe, ist nun vollends eine neue Mitteilung; sicherlich ist nicht Leo IX. damit gemeint, sondern Leo der Große und sein Wirken in Chalkedon, wodurch die Nestorianer allerdings nicht bekehrt, sondern nochmals nachdrücklich von der orthodoxen Kirche getrennt wurden.« (S. 321). 27 Die unterschiedliche Schreibweise des Namens kennzeichnet die Überlieferung: »Egrisowa in der einen Handschrift des Niederrheinischen Orientberichts [hier in A] darf man als aus Egrusula in dem anderen Manuskript oder Egrisoulla bei Johannes von Hildesheim verschrieben denken, was paläographisch gut erklärbar ist.« Von den Brincken, ›Nationes‹, S. 324 mit Verweis auf Erginul bei Marco Polo (Kap. 51). 28 Christlicher Überlieferung zufolge fand und überführte die heilige Helena die Reliquien der Heiligen Drei Könige. 29 Zu den Jakobiten vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 210ff. »Im Niederrheinischen Orientbericht sind die Jakobiten in der Liste der Ostchristen klar gesondert von den Kopten. Sie eröffnen bei ihm den Reigen derjenigen Christen, die weder ein eigenes Land noch einen eigenen Herrscher haben ebenso wie die Kopten, Maroniten und Ysiner.« (S. 228).

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort wonnent in dem lande andere snode krysten de heisschent Copti

und wonnent alre meyst in Egipten de hant eyn sunderlich boich dat heisschent sy sent Peters heimelicheit und haldent dat in eren myssen als Epistolen und haldent dat Ewangelium dat Nycodemus beschreiff. Und sy hant eigene busschove und ere preistere de haldent durch alle dat iair in allen myssen van den heilgen drin coningen.

Vort wonnent in dem lande andere snode krysten de heisschent Ma-

ronite. De haldent ere kirche also lichtlichen zo bauve34, also off eyn spynne off eyn wurm da ynne wurde gesein und auch de sonne scheynne durch eyn loch. Und ere preistere scheident wail man ind wyff van [119v] eyn it sy dem anderen leyff off leit und ere preistere diacen de hant elige wyff und haldent des eynen dages myssa van sent Thomais des anderen dages van den heilgen drin coningen ain des kirstdages ind zo paisschen.

Vort wonnent im dem lande andere snode krysten de heisschent Ysini.

So wanne man ir kinder douft ind krysten macht dan broit in der preister eyn Cruce myt eyme yseren vur dat houft dat man sy sunderlinge kenne also gude krysten willent sy sin. Und de wonnent alre meyste in Egipten und gelouvent des dat ere noch also vil solle werden dat sy myt der macht mogen komen zo Babilonien da der soldain wont und ere yecklich solle eynen stein myt eme danne dragen dat ere dar also ”vill#35 solle sin dat gein stein noch gein kalck da blyven en solle. Und na der geburt uns heren MCCC und XLI iair do slouch man de krysten in dem lande als man hie in der sterfden de ioden. Do veriagenden de van Egipten dese Ysini dar umb dat sy des gelouven hatten dat erer also vil werden solde. Alda sprach der soldain it were selden eynich dach hie en dede wal dusent voder steynne brengen36 zo syme buwe und ey eyn steyn de worde in manich stucke geslagen also vil ludes en kunden des

34 A de haldent ere kirchen also lichtlichen zo bauve fehlt. 35 Ergänzt nach A. 36 A drain ind voeren

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Weiter wohnen in dem Land andere schlechte Christen, die Kopten30 heißen. Sie leben zumeist in Ägypten und haben ein besonderes Buch, das sie Sankt Peters Heimlichkeit31 nennen und verwenden das in ihren Messen als Episteln und sie verwenden das Evangelium, das Nicodemus schrieb.32 Sie haben eigene Bischöfe und ihre Priester verehren das ganze Jahr hindurch in allen Messen die Heiligen Drei Könige. In diesem Land wohnen andere schlechte Christen, die Maroniten33 heißen. Sie reinigen ihre Kirche besonders gründlich sobald eine Spinne oder eine Schlange darin gesehen wurde und auch die Sonne durch ein Loch scheint. Ihre Priester trennen wohl Männer und Frauen voneinander, ob es ihnen lieb oder leid ist, und ihre Priesterdiakone haben Ehefrauen und halten an einem Tag die Messe über Sankt Thomas und anderntags über die Heiligen Drei Könige mit Ausnahme von Kirchweih und zu Ostern.

Weiter wohnen in dem Land andere schlechte Christen, die Ysiner34 heißen. Wenn man ihre Kinder tauft und zu Christen macht, dann brennt ihnen der Priester mit einem Eisen ein Kreuz auf die Stirn ein, damit man daran besonders gut erkennt, was für gute Christen sie sein wollen. Und sie wohnen allermeist in Ägypten und glauben daran, dass sie noch so zahlreich werden sollen, dass sie mit Macht nach Babylon ziehen können, wo der Sultan wohnt,35 und jeder von ihnen einen Stein mit sich führen solle, damit es dort so viele von ihnen gibt, dass da weder Stein noch Kalk bleiben soll. Und nach der Geburt unseres Herrn im Jahr 1341, da erschlug man die Christen dort zu Lande wie hier die Juden starben.36 Da verjagten die Ägypter diese Ysiner, weil sie den Glauben hatten, dass es von ihnen so viele geben sollte. Da sprach der Sultan, es gäbe kaum einen Tag hier, an dem man wohl tausend Fuder Steine zu seinem Bau brächte und je ein Stein würde in viele Stücke

30 Zu den Kopten vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 230ff., bes. S. 241. 31 Über einen solchen Text ist nichts bekannt. Es ist weder wahrscheinlich, dass der Verf. das sog. Petrusevangelium kannte noch das sog. Ägypterevangelium der Kopten (»Das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes«). 32 Das Evangelium nach Nicodemus war ein einflussreicher apokrypher Text im religiösen Leben des Ostens und des Westens. 33 Zu den Maroniten vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 164ff. 34 Zu den Ysinern vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 262ff. Das Pilgerbuch Thietmars (vgl. Worstbrock, ›Magister Thietmar(us), in: Verfasserlexikon 9, S. 793–795) berichtet ausführlicher über Christen, die jenseits von Ägypten leben. Von den Brincken vermutet »eine Verballhornung des Wortes Abessini« (S. 267). Zu dieser Erzählung vgl. ebd., S. 282. 35 Mit Babylon werden im NO sowohl Kairo als auch Bagdad als Sitz des Sultans bezeichnet. 36 Der Verf. spielt hier auf die Judenpogrome zur Zeit der Pest in Köln (und im Rheinland) im August 1349 an.

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Der Niederrheinische Orientbericht

dages van den Ysini neit geboren werden. Da myt stilde hie dat volck dat sy neit erslagen worden. // Vort wanne deser lude preister myssa willent doin und ere mysse uss havent so sanent sy dat volck dat sy got beware und geleide in allen dingen als hie de heilge drin coninge geleite und voirte ain schaden und ain alle we zo synre crybben.

Vort wonnent da andere snode krysten in dem lande de heisschent

Maronny37. Wat werckes off dinges sy beginnent zo sprechent sy in den namen godes und der heilger dryer coninge sy dit werck begunt.

Vort wonnent da andere snode krysten de wonnent meisten deil

by Antioicha de heisschent meisten deil Nycolaten de gelouvent da [120r] alze sunderlingen starck dat eyn man off eyn wyff eyn kneicht off eyn maget der sunden nummer intgain got kunde gebouzen off eyn den anderen bede unkuysheit zo doinde und eme des weygerde38. Mer deser lude en is egein so arm sy en gevent mallich dry almussen broitz des dages in de ere gotz ind der heilger dryer coninge.

37 A maionini 38 A kneicht off eyn maget und unkuysheit zo doinde fehlt.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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geschlagen, so viele Leute könnten am Tag von den Ysinern nicht geboren werden. Damit beruhigte er das Volk, dass sie nicht erschlagen würden. Wenn die Priester dieser Leute Messe feiern und ihre Messe beendet haben, dann segnen sie das Volk, dass Gott sie bewahren und in allen Dingen geleiten möge, so wie Er die Heiligen Drei Könige geleitete und sie ohne Schaden und ohne Leid zu Seiner Krippe führte. Es wohnen dort in dem Land andere schlechte Christen, die heißen Maronnyer. Welches Werk oder welche Sache sie beginnen, sie sagen, dieses Werk sei im Namen Gottes und der Heiligen Drei Könige begonnen. Es wohnen dort weitere schlechte Christen, zu einem großen Teil bei Antiochia, die heißen meistenteils Nicolaiten; die glauben ganz besonders fest daran, dass ein Mann oder ein Weib, ein Knecht oder eine Magd niemals die Sünden bei Gott büßen kann, wenn einer den anderen bittet, Unkeuschheit zu begehen und ihm das verweigert.37 Aber von diesen Leuten ist keiner so arm, dass nicht jeder drei Almosen Brot am Tag zur Ehre Gottes und der Heiligen Drei Könige spendet.

Abb. 5: Der Dreikönigenschrein im Kölner Dom. Foto: © Dom­ bauhütte Köln, Matz und Schenk 37 Gegenüber A wird hier eindeutig die sexuelle Freizügigkeit über alle Ständegrenzen hinweg betont.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort dat conickrich von Georgien und dat Conickrich van Abtas

de ligent intgain dat norden in orienten. Und de lude de da wonnent de sint ouch krysten und sint in den wapen alze vrome. De heisschent Georgiani und sint alze starcke lude und hant eyne eygene sprache und de geent und rident durch de lant myt groissen scharen als Vresen und vorent eynen vanen off banner myt yn so wa sy hene zeint da steit sent Georgius39 an gemailt dan aff heisschent sy Georgiani. Und varent ind zeint durch des soldains lant und alre heren40 sunder tol vry myt gemache dar umb dat sy de heiden de zo Macha wonnent und by eren landen ind in den woistenien wonnent des de besser sin. Und de moniche und de geistliche lude van dem lande de haldent sich na sent Anthonius und Macharius orden und dat sint de moniche de zo sent Kathrinen wonnent under dem berge zo Synay. Und so wa dese lude hene varent da singent sy ind lesent41 van den heilgen drin coningen dat sy de geleiden durch berge und woistenien und is eyn alze grois conickrich und heist dat overste Georgien.

Vort dat conickrich von Abtas dat heist nederste Georgien. Ind ”hiesch#42 van alders Armenien und dat lant sint meisten deil altze hoge berge und in dem lande da is der berch da Noes arcke up steit. Mer dar en kan egein mynsche up komen vur snee und den syt man alze ho boven anderen bergen. Mer van der arcken en is neit up dem berge dan it steit da als eyn lanck verbrant boum. Dat sprechent de lude de in deme lande wonnent dat sy noch van der arcken. [120v]

Vort in deme lande is eyn ander lant dat heisschent de lude

da Heynissen43 dat is by vunff mylen lanck und breit. Ind dat

39 A Georgius bilde 40 A heyden 41 A syngen sy leyson 42 Ersetzt nach A. 43 A heymissen

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Das Königreich Georgien Das Königreich Georgien und das Königreich Abchasien liegen im Norden des Orients. Die Leute, die dort wohnen, sind auch Christen und sehr waffentüchtig. Sie heißen Georgier und es sind sehr kraftvolle Leute; sie sprechen eine eigene Sprache und marschieren und reiten mit großen Scharen durch die Länder wie die Friesen und sie führen eine Fahne oder ein Banner mit sich, wo immer sie hinziehen, auf dem der heilige Georg abgebildet ist, nach dem sie Georgier38 heißen. Sie fahren und ziehen durch die Länder des Sultans und aller Herren, ohne Abgaben, frei und unbehelligt, weil sie den Heiden, die zu Mekka, in ihren Ländern und in den Wüsten wohnen, dadurch angenehmer sind.39 Und die Mönche und die Geistlichen dieses Landes halten sich an die Ordnung des heiligen Antonius und Macharius und das sind die Mönche, die zu Sankt Katharina wohnen, am Berge Sinai. Wo immer diese Leute hinziehen, da singen und lesen sie von den Heiligen Drei Königen, dass diese sie durch die Berge und Wüsten geleiten und es gibt ein sehr großes Königreich, welches das obere Georgien heißt.

Das Königreich von Abchasien heißt niederes Georgien. Von alters her heißt es Armenien und dieses Land besteht zum großen Teil aus hohen Bergen und in diesem Land liegt der Berg, auf dem Noahs Arche steht. Aber dort hinauf kann wegen des Schnees kein Mensch kommen und den Schnee sieht man sehr hoch oben auf anderen Bergen. Aber von der Arche sieht man nichts mehr auf dem Berg, denn es steht nichts mehr da als ein langer, verbrannter Baum. Die Leute, die in diesem Lande wohnen, erzählen, er stamme noch von der Arche. Es gibt in Georgien noch ein anderes Land, das nennen die Leute dort Heynissen,40 das ist an die fünf Meilen lang und breit. Und um das Land herum und in dem 38 Zu den Georgiern vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 103ff., bes. S. 122f. 39 Über die Rolle der Georgier auf dem Sinai ist nichts weiter bekannt. Zum guten Verhältnis zwischen den umherziehenden Georgiern und dem Sultan sowie den Herrschern im südlichen Orient äußert sich der Verf. weiter unten erneut. 40 RM: Heymissen, Johannes von Hildesheim: Heysens, Henyssen. Mit Rückgriff auf die im Westen verbreitete Geschichte Armeniens des Hethum von Korykos wird hier eine Provinz im Königreich Georgien gemeint sein. Jean de Mandeville kennt in seiner fiktiven Reisebeschreibung ebenfalls ein düsteres Land namens Hamson (vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 123). Die Erzählung über das Nebelland stammt ursprünglich von Hethum, aber auch Johannes del Plano Carpini (Kap. V, 15) und Marco Polo kennen ein solches Land. Von den Brincken vermutet als historischen Kern ein Wissen um »das Land der Mitternachtssonne« (S. 117). Vgl. Felicitas Schmieder, Johannes Plano Carpini, Kunde von den Mongolen 1245–1247, Wiesbaden 2015, S. 60f. und den Kommentar zu dieser Stelle, ebd., S. 123f.

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Der Niederrheinische Orientbericht

lant ind in dem lande geit up eyn grois nevel und eyn duysternisse bis an den hemel dat man des middages gein sonne en kan gesein wan hey dar over geit. Ind umb al desen nevel wonnent lude und ouch in dem nevel also dat man wail hoirt in dem nevel pert weyen ind hanen creen. Ind ney en wart gehoirt noch gelesen dat ye mynsche queme in den nevel da de lude ynne wonnent off usser dem nevel queme zo den de da uss wonnent. Nochtan so en is neit da en tuysschen dat eman hinderen moge. Und umb al den nevel so wonnent lude want da is alze vil weiden und de lude lesent da wale dat do Machomet al dat lant wan myt der macht dat do alle de krysten vlouwen in de berge. Und den volgden de heiden na myt wyven ind myt kinden und myt al yrme gude als ir sede is wanne sy myt ere macht yrgen treckent da sy mogen blyven. Ind do hatten sy de krysten in eyn ort des landes ind de berge gedrungen. Und do de krysten sagen dat sy neit kunden en komen, do reiffen sy got und sent Georgius und de heilge44 drin coninge de waren do zo Constantinopolen dat got umb eren willen sy ”erloiste#45 van den heiden. Do steich dis duyster nevel up bis an den hemel al umb de stede da de heiden lagen also dat ney mynsche van der zyt uss dem nevel queme off dar in de dar uss queme bis an desen dach. Und dan ave heisschent de lude Georgiani und sint alze vrome starcke lude de geint46 ouch zo samen myt groissen47 scharen als Vresen. Und wa sy sus here varent da hant sy eynen vanen off banner da steint ”an gemailt#48 de heilge [drin coninge an. Und den dach ind de zyt dat sy alsus worden erloist den begent sy alze schone so wa sy sint. Ind dese zwein coninge van Georgien sint alze vil starcker dan des soldains lant. Mer der soldain ind de heiden levent myt eyn myt alze groisser list und myt gemache und wa sy hene zeint off varent da singent sy so we sy worden erloist van den heiden. [121r]

44 A gemyde 45 Ergänzt nach A. 46 A ind rydent 47 A groissen weydeligen 48 Ergänzt nach A.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Land reichen ein großer Nebel und eine Finsternis hoch bis an den Himmel, dass man mittags keine Sonne sehen kann, wenn sie darüber hinweggeht. Und um diesen Nebel herum und auch mitten in dem Nebel wohnen Leute, so dass man darin wohl Pferde wiehern und Hähne krähen hört. Und niemals wurde gehört noch gelesen, dass jemals Menschen in den Nebel hineingekommen sind, in dem diese Leute wohnen oder dass jemand aus dem Nebel zu denen gekommen wäre, die da außerhalb wohnen. Jedoch gibt es nichts dazwischen, dass jemanden am Zugang hindern könnte. Um den Nebel herum wohnen Leute, denn dort gibt es sehr viele Weiden und die Leute lesen da wohl, dass Mohammed das ganze Land mit Macht gewonnen hat, so dass alle Christen dort in die Berge geflohen sind. Denen sind die Heiden mit Frauen und mit ihren Kindern und mit all ihrem Besitz gefolgt, denn es ist ihre Sitte, dass sie mit voller Waffengewalt dorthin ziehen, wo sie bleiben mögen. Und dort hatten sie die Christen an einem Ort des Landes in die Berge getrieben. Und als die Christen sahen, dass sie nicht entkommen konnten, da riefen sie Gott, den heiligen Georg und die Heiligen Drei Könige an – die waren damals in Konstantinopel41 – dass Gott sie um ihretwillen von den Heiden erlöste. Da stieg dieser düstere Nebel hoch bis an den Himmel um all die Stätten herum, wo die Heiden lagen, so dass seit dieser Zeit kein Mensch aus dem Nebel heraus- oder da hineingekommen ist, der bis auf den heutigen Tag wieder hinausgekommen wäre. Danach heißen die Leute Georgier und es sind sehr tapfere, kraftvolle Leute, die in großen Scharen zusammen umherziehen wie Friesen. Und wo sie solchermaßen herfahren, da führen sie eine Fahne oder ein Banner mit sich, auf dem die Heiligen Drei Könige abgebildet sind. Und den Tag und die Zeit, an denen sie so gerettet worden sind, begehen sie sehr festlich, wo immer sie sind. Und diese zwei Könige von Georgien haben sehr viel mehr Macht als der Sultan. Aber der Sultan und die Heiden leben mit sehr großer Klugheit und in Frieden mit ihnen, und wohin sie ziehen oder fahren, da singen sie, wie sie von den Heiden errettet worden sind.

41 Gemeint ist Konstantinopel als der Aufbewahrungsort ihrer Reliquien.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort dat keyserrich van den Grecken dat is me dan zwei hundert

dachfarde lanck gewest ind breit und da hait zo gehoirt al den Babilonien Asya Egipten Turbia Armenia Cylicia Achya49 und alze vil andere lant dat de Grecken hant verloren van der zyt dat sy sich satten weder den stoil van Rome50 und sich myt dem gelouven dan aff keirden. Und nu wonnet ir keyser zo Constantinopolen und da hant sy ouch eynen patryarchen dem sint sy gehoirsam als wir dem paese51. Ind de stucke und artikel und punte da sy myt waren gescheiden de sint alsus. // Zo dem eirsten en gelouvent sy neit dat eynich vege vuyr sy und ouch en gelouvent sy neit dat der heilge geist queme van dem vader und van dem soene zo samen mer van dem vader alleyne. Mer nu sint sy weder komen in den rechten gelouven und gehorsam worden dem stole van Rome in kurten zyden ind iairen in paies Innocentius zyden. // Vort ere preister hant elige wyff und lange berde und wanne sy eynnen busschoff kesen den kesent alle de paffen gemeynlichen in dem gestichte52 und dan vert sin wyff in eyn cloister dar en kompt hie nummer me zo ir. Mer wan sy wilt dages off nachtes so mach sy zo eme komen und by eme slaiffen ain weder sprache. // Vort de Grecken sint wail dat dirde deil des iairs dat sy gein vleisch en essent mer sy essent wal des dages also ducke als sy willent. // Vort in allen landen da sy selver gerichte haldent da en dodent sy geynnen mynschen van geynre hande sachen. Dan man schirt eme den bart ave dat is da also groisse schande als he dat man eyme eyn oir aff snede. Und wat hie dan gestolen hat dat gilt hie sevenwerff off hie sitzet iair ind dach in deme persune. // Vort we den andern doit sleit dem heuwet man hende ind voisse ave und bricht eme de ougen uss. // Vort der Grecken cleider is alre meist dunckel blae und ere cleider sint lanck und wyt und lange wyde mauwen und hant up den houfen neit cogelen dan breide hoede van swartzen viltze. // Vort de vrauwen havent alze riche cleider van goulde und van perlen [121v] de man vindt. // Vort de gemeyn cleyder ”der#53 vrauwen up ”de#me54 lande de sint wys van cleynnen lynen doiche und der magede cleyder sint lange wyde kedele und sint bis up den gurdel gesoumet als alven. // 49 A ind Macedonia ind die groiße stat Antiochia 50 A ind wider dat keyser rych van Romen 51 A patriarchen van Romen ind dat is unse pays 52 A van den geschichten 53 Ergänzt nach A. 54 Ergänzt nach A.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Das Kaiserreich der Griechen Das Kaiserreich der Griechen42 ist mehr als 200 Tagereisen lang und breit gewesen und dazu haben ganz Babylonien, Asien, Ägypten, Turbia, Armenien, Kilikien, Achaia und sehr viele andere Länder gehört, welche die Griechen zu der Zeit verloren haben, als sie sich dem Stuhl von Rom widersetzten und sich im Glauben abkehrten. Und nun wohnt ihr Kaiser in Konstantinopel und dort haben sie auch einen Patriarchen, dem sie gehorsam sind wie wir dem Papst. Und die Stücke, Artikel und Punkte, mit denen sie sich unterschieden haben, sind so beschaffen: Zum ersten glauben sie nicht, dass es ein Fegefeuer gebe und sie glauben auch nicht, dass der Heilige Geist von dem Vater und dem Sohn stamme, sondern nur von dem Vater allein. Aber nun sind sie vor wenigen Jahren zu Zeiten von Papst Innocenz wieder zum rechten Glauben zurückgekehrt und dem Stuhl von Rom gehorsam geworden.43 Ihre Priester haben Ehefrauen und tragen lange Bärte und wenn sie einen Bischof wählen, suchen alle Pfaffen zusammen diesen bei der Einsetzung aus und dann geht seine Frau in ein Kloster, wohin er niemals mehr zu ihr kommt. Aber wenn sie Tag oder Nacht möchte, so kann sie zu ihm kommen und bei ihm ohne Widerspruch schlafen. Die Griechen essen wohl ein Drittel des Jahres kein Fleisch, aber sie essen wohl tagsüber so häufig wie sie wollen. In allen Ländern, wo sie selbst Gericht halten, da töten sie keinen Menschen wegen irgendeiner Angelegenheit. Stattdessen schert man ihnen den Bart, das gilt dort als derart große Schande, als ob man hier einem ein Ohr abschneidet. Und was er dann gestohlen hat, das vergilt er siebenfach oder er sitzt Jahr und Tag im Gefängnis. Wer einen anderen totschlägt, dem haut man Hände und Füße ab und bricht ihm die Augen aus. Die Kleidung der Griechen ist allermeist dunkelblau und ihre Kleider sind lang und weit und haben lange weite Ärmel und auf den Köpfen tragen sie keine Kapuzen, sondern breite Hüte aus schwarzem Filz. Die Frauen tragen sehr reiche Kleider mit Gold und mit Perlen, die man findet. Die normalen Kleider der Frauen in diesem Land sind weiß, aus kleinen Leintüchern, und die Kleider der Jungfrauen sind lange, weite Kittel und bis zum Gürtel gesäumt wie Alben.44

42 Zu den Griechen vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 16ff., bes. S. 70f. 43 Papst Innocenz V. folgte im Jahr 1276 für wenige Monate Gregor X. im Pontifikat, der das Vereinigungskonzil von Lyon (1274) einberief. Es kann auch Papst Innocenz VI. (1352–1362) gemeint sein. Vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 70. 44 Liturgisches Messgewand mit Gürtel (cingulum), in der Ostkirche unter dem Namen Sticharion als Unter- und Obergewand gebräuchlich.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort ere kirchen de haldent sy alze reinlichen. De steint al den dach vol roches van wyrouche. // Vort ere preistere singent drywerff mysse in der wechen des morgens mer des dunresdages singent sy myssa na vesperen zo eyme zeichen dat Cristus des avendes machde van eme selver dat heilge55 sacrament. Und wanne sy myssa singent ”of #56 lesent so en mois neman stain by dem altair. So snyt der preister eyn oblacio uss slechten brode und dat broit saenet hie dan und gift it alle den luden und de oblacio leget hie der preister in eyne vergult schottel57 und deit dar boven eynen vergulden sterren de is gebougit und bedecket dat myt eyme reynnen doiche und dragent dat zo samen up ”de#me58 houfde altzoe eirlich myt kertzen und myt wyrouche all umb de kirche. Dat doint sy zo eyme zeichen we de sterre brachte de heilge dry coninge zo dem gewaire gode. // Vort so doint sy in den kelch wyn und wasser dat warm is und wanne dat man dat Ewangelium list dat dudet der dyake dem volcke und wan der preister kumpt zo der stillen de singet hie schoinre dan de profatie. // Vort zo druytzem59 dage so singent sy alle myssen in latine in ere der heilger dryer coninge. // Vort in eren eigen landen da hant sy in eren kirchen gud clocken mer so wa sy under anderen heren wonnent da sleint sy eyn houltz als eyn bunge myt kunst da zeichent sy ir getzyde myt van dem dage. Ind so wanne it hogetzyde is so sleint sy eyn yseren myt eyme houltze und dat houltz is lanck. Dat legent sy up ere scholderen und sleint dar up myt tzwen slegen da clinget dat yseren myt. // Vort alle Grecken sy sin rich off arm de en dragent gein hoesen noch schoin mer struncken de sint reinlich van roden leder off van swartzen vur de hidzde van der sonnen. //

55 A erste 56 Ergänzt nach A. 57 A plateell 58 Ergänzt nach A. 59 A tzweelften

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Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

Ihre Kirchen halten sie sehr sauber. Sie sind den ganzen Tag mit Weihrauch erfüllt. Ihre Priester singen drei Mal in der Woche morgens die Messe, aber am Donnerstag singen sie die Messe nach der Vesper zum Zeichen dafür, dass Christus das heilige Sakrament am Abend selber bereitet hat. Und wenn sie die Messe singen oder lesen, dann darf keiner bei dem Altar stehen. Dann schneidet der Priester eine Oblate aus einfachem Brot und das Brot segnet er dann und gibt es allen Leuten, und die Oblate legt der Priester in eine vergoldete Schüssel und setzt darüber einen vergoldeten Stern, der gebogen ist, und bedeckt das mit einem reinen Tuch und das tragen sie zusammen auf dem Haupt sehr ehrenvoll mit Kerzen und mit Weihrauch ganz um die Kirche. Das tun sie zum Zeichen dafür, wie der Stern die Heiligen Drei Könige zu dem wahren Gott führte. Sie gießen in den Kelch Wein und Wasser, das warm ist und wenn man das Evangelium liest, deutet der Diakon das dem Volk und wenn der Priester zum Hochgebet kommt, singt er das schöner als das Vorgebet. Nach dreizehn Tagen singen sie alle Messen auf Latein zu Ehren der Heiligen Drei Könige. In ihren eigenen Ländern haben sie in ihren Kirchen gute Glocken, aber wo sie unter anderen Herren leben, da schlagen sie ein Holz kunstvoll wie eine Trommel, damit geben sie die Tageszeit bekannt. Und an Festtagen schlagen sie mit einem langen Holz auf ein Eisen. Das legen sie auf ihre Schultern und geben zwei Schläge darauf, von denen das Eisen erklingt. Alle Griechen, reiche wie arme, tragen keine Hosen und Schuhe, sondern eher Strümpfe, die wegen der Sonnenhitze ganz und gar aus rotem oder schwarzem Leder sind.

Abb. 6: Griechen und Türken (Hs. 268 Maria Laach)

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Der Niederrheinische Orientbericht

Abb. 7: Die Mameluken besiegen die Armenier in der Schlacht von Mari 1266 (Le Livre des Merveilles)

Vort dat conickrich van Armenien recket van Damasco bis zo An-

tioichia und hat by der eynre siden den soldain und by der anderen [122r] siden de Turcken und by der dirden siden de Tatteren und by der veirden siden dat mer. Und de lude de da ynne wonnent de sint krysten und sint alze vrome lude in den wapen. Und ere preistere haldent alle dinck in der myssen als wir mer sy doint oley myt wynne ind myt wasser in den kelgh und essent vleisch up den paischavent dat is nu vorgangan. // Vort so hant sy eynen heilgen den erent sy alze sere60 de heist sent Sergius. Den heisschent sy da sent Serkius dat is eyn an roiffer in den stryden den vastent sy alze sere dat gein kint en is dat esse an syme avent. Und so strenge vastent sy ouch den advent. Und in pais Iohannes getzyden was da eyn conick de heisch Leo und had ”de# suster des conicks van Cecillien ”beraden#. Und was  [eyn alze vrom man ind mechtich und had alle sin nabur betwongen dat sy eme zins gaven. Und der soldain hatte in alze leyff inde sere vur ougen und dede

60 A ind dye was eyn ritter

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Das Königreich Armenien

Abb. 8: Der armenische König Hethum II. nimmt Abschied von Ghazan und seinen Mongolen (aus: Claude Mutafian, Le Royaume Armenien de Cilicie)

Das Königreich Armenien reicht von Damaskus bis Antiochia und stößt auf der einen Seite an das Land des Sultans und an der anderen an das der Türken und auf der dritten Seite an die Tataren und auf der vierten Seite an das Meer. Die Leute, die dort wohnen, sind Christen und sehr waffenerprobte Leute. Ihre Priester halten es mit allen Dingen in der Messe so wie wir, aber sie fügen Öl mit Wein und mit Wasser in den Kelch und essen Fleisch am Karsamstag, doch das ist jetzt vorbei.45 Sie haben einen Heiligen, den sie so sehr verehren, der heißt Sankt Sergius.46 Das ist ein Anrufer in den Kämpfen, für den fasten sie so streng, dass es kein Kind gibt, das an dessen Abend Essen zu sich nimmt. Und genauso streng fasten sie auch im Advent. Und zu Papst Johannes47 Zeiten gab es einen König, der Leo hieß und die Schwester des Königs von Kilikien geheiratet hatte.48 Er war ein sehr tapferer und 45 Der Verf. meint hier Klein-Armenien, die Angaben über die kultischen Abweichungen sind unzutreffend, vgl. von den Brincken, ›Nationes‹, S. 206. 46 Der Mönch Sergius als abtrünniger Christ bzw. Lehrer Mohammeds findet Erwähnung sowohl in orientalischen wie in zahlreichen christlichen Quellen, vgl. dazu von den Brincken, ›Nationes‹, S. 369ff., bes. S. 379. 47 Papst Johannes XXII. (1316–1334). 48 Leo V., der letzte König des armenischen Königreichs von Kilikien (1320–1341).

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Der Niederrheinische Orientbericht

eme so wat hie wolde. Und in den selven zyden leis conick Philip”u#s van Vranckrich pretgen und kundigen eyn gemeyn over vart dat hie Iherusalem ind dat heilge lant wolde gewynnen und bat den conick van Armenien dat hie de”me#61 soldain den vreden up wolde sagen. Und do bat der soldain den conick van Armenien62 hie wolde doin so wat hie wolde haven van eme und boit eme lant inde sloss myt gemache de hie eme doch aff solde wynnen myt arbeit. Ind do mande in der conick van Vranckrich dat hie des krysten gelouven neit en vergeisse noch vertzege und mande in also ho da hie dem soldain den vreden up sachte. Und do nam der soldain alle der besten Turcken und Tatteren doichtere zo wyve de umb Armenien waren gesessen unde de hulpen do dem soldain up den conick van Armenien. Do velen de ander nabur zo de der conick van Armenien had vordreven und wonnen eme aff de eirlige burch Layas der da in allen landen gein gelich en was und wonnen eme me dan veir hundert slo”ss#63 aff bis zo eyme wasser so grois als der Ryn da geit eyn alze lange brugge over. Da ligt eyn cloister up dat sint Premonstraten de werden64 ind zo brachen de brugge anders hetten sy al Armenien gewonnen [122v] und wonnent ind verstorden de eirlige stat Tarsis de vil groisser is dan Collen de noch dan ave woist is. Usser der selver stat is geboren sent Pauwels de heilge Apostel. Und in deser stat up dem mart kumpt eyn born usser eyme steynne de is also grois ind so clair dat alle de lude65 dan aff wasser genoich havent. Ind de burn is vort geleit in alle straissen de machet de stat alle en bynnen reynne und alle de huys steint van eyn. Ind da en wonnent neit vil krysten ynne mer we schone ind we starck de stat gewest hat und we schone kirchen ind pallase da ynne gestanden hant da is iamer aff zo sprechen. // Vort do der conick van Armenien also starck urlagede myt dem soldain do en quam eme der conick van Vranckrich neit zo hulpen und do der conick van Armenien al sin lant verloren hadde ind sine lude. // In pais Benedick”t#us zyden

61 Ergänzt nach A. 62 A dat he yem sechte in wat maissen dat geschiet were want he woulde yem doch allit dat doin dat he woulde 63 A ind stede 64 Mhd. wer, were stf., Wehr, Verteidigung 65 A ind dyer (Tiere)

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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mächtiger Mann und hatte all seine Nachbarn gezwungen, ihm Zins zu zahlen. Der Sultan war ihm besonders zugetan und hatte ihn so gern bei sich und gewährte ihm alles, was er wollte. Und zu dieser Zeit ließ König Philipp von Frankreich eine allgemeine Kreuzfahrt predigen und ankündigen,49 dass er hier Jerusalem und das Heilige Land erobern wollte und er bat den König von Armenien, dem Sultan den Frieden aufzukündigen. Da versprach der Sultan dem König von Armenien, er wolle leisten, was er von ihm verlange und bot ihm Land und Schloss freiwillig an, die dieser ihm doch mit Mühe abtrotzen sollte. Da mahnte der König von Frankreich, dass er den christlichen Glauben nicht vergesse noch verzage und mahnte ihn dringlich, dem Sultan den Frieden aufzukündigen. Und da nahm der Sultan die besten türkischen und tatarischen Töchter zu Frauen, die um Armenien angesiedelt waren und die (Völker) halfen dann dem Sultan gegen den König von Armenien. Dem schlossen sich die anderen Nachbarn an, die der König von Armenien vertrieben hatte und eroberten die herrliche Burg Layas,50 welcher in allen Ländern keine gleich war und sie eroberten mehr als vierhundert Schlösser bis zu einem Fluss so groß wie der Rhein, über den eine sehr lange Brücke führt. Dort liegt ein Kloster der Prämonstratenser, die sich zur Wehr setzten und die Brücke zerstörten, sonst hätten sie ganz Armenien erobert und in Besitz genommen und sie zerstörten die herrliche Stadt Tarsis, die viel größer als Köln ist und die noch jetzt wüst liegt. In dieser Stadt wurde der heilige Apostel Sankt Paul geboren. Auf dem Markt dieser Stadt entspringt aus einem Stein ein Quell, der so kräftig und so klar ist, dass alle Leute daraus genug Wasser haben. Die Quelle wird durch alle Straßen weiter geleitet und das Wasser macht die ganze Stadt innen sauber und alle ihre Häuser. Dort leben nicht viele Christen mehr, aber wie schön und wehrhaft die Stadt gewesen ist und welch schöne Kirchen und Wohnsitze in ihr gewesen sind, darüber kann man nur in Jammer ausbrechen. Der König von Armenien führte sehr heftig Krieg mit dem Sultan, doch kam ihm der König von Frankreich nicht zur Hilfe als der König von Armenien sein ganzes Land und seine Leute verloren hatte.

49 Hier wird König Philipp VI. (de Valois) gemeint sein (1293–1350). 50 Ayas, Ayazzo, Lajazzo, Hafenstadt in Kilikien. Zu den mamlukischen Feldzügen gegen Kleinarmenien und der Zerstörung der Stadt Ayas siehe Albrecht Fuess, Verbranntes Ufer: Auswirkungen mamlukischer Seepolitik auf Beirut und die syro-palästinensische Küste (1250– 1517), Leiden u. a. 2001, S. 152 ff.

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Der Niederrheinische Orientbericht

do gaff sich der conick van Armenien in des soldains genade also dat der soldain beheilte alle dat lant dat hie eme aff gewonnen hat und gaff eme des iairs dar zo dry hundert dusent florine zo zinse. Und van den zyden dat Akers und Iherusalem verloren worden en geschach der krystenheit ney so groissen schaden noch iamer van den heiden als zo der zyt und zo allen zyden als der conick van Vranckrich dede pretgen eyn over vart und dan aff neit en wart. So worden de krysten in der heiden lande erslagen ind vordreven als in der sterfden de ioden. Und do baden de krysten in dem lande dat got dem conick van Vranckrich also vil under syne hende sente dat hie erer vergeis und zo hantz begunte dat groisse urlage myt dem conick van Vranckrich und van Engelant. Do geingen lange zyt de krysten in dem lande wullen ind barvois als in dem stillen vridage und baden unsen heren got dat hie dem conick van Vranckrich synen rechten loin wolde geven want hie sy sus hedde verderft. Ind ouch gelouvent de lude over mer [123r] dat alle der weder stois den66 der conick” #67 van Vranckrich hedde in dem urlage dat eme got dat dar umb68 de sunde de hie ducke in der krystenheit da dede und gedain had. Und dar na richde sich der conick van Armenien weder up myt zwen hertzogen van Kynck und daden den Turcken altze groissen schaden me dan zo vorentz69 und da myt leis sy der soldain myt begain. // Vort dat lant dat nu heist Armenia

66 A dye lude hatten in de urlouge 67 conick ] conickrich 68 A dede ind umb 69 A voirentz geschiet

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Zu Papst Benedikts51 Zeiten gab sich der König von Armenien in die Gnade des Sultans, so dass der Sultan das ganze Land, das er von ihm erobert hatte, behielt und er gab ihm überdies dreihunderttausend Florentiner als Zins. Seit den Zeiten als Akko und Jerusalem verloren wurden, geschah der Christenheit kein so großer Schaden und derartige Unbill von den Heiden als zu dieser und irgendeiner anderen Zeit als der König von Frankreich zu einer Kreuzfahrt aufrief, die dann doch nicht stattfand. So wurden die Christen im Land der Heiden erschlagen und vertrieben wie beim Ausbruch der Pest die Juden. Und da baten die Christen in dem Land, Gott möge dem König von Frankreich so viel unter seine Hände senden (Beschwernisse auferlegen), weil er sie vergaß und auf der Stelle begann der große Krieg zwischen dem König von Frankreich und dem von England. Da gingen die Christen in dem Lande lange Zeit barfuß in einem härenen Gewand wie an Karfreitag und sie baten unseren Herrgott, dass er dem König von Frankreich seinen gerechten Lohn geben möge, weil er sie so ins Verderben gestürzt hatte. Auch glauben die Leute über See, dass der Rückschlag, den der König von Frankreich in dem Krieg erfuhr, ihm von Gott wegen der Sünde zugefügt wurde, die er in der Christenheit häufig begeht und begangen hat. Danach gewann der König von Armenien mit zwei Herzögen von Kinck52 wieder an Macht und sie fügten den Türken noch größeren Schaden als zuvor zu und dies ließ der Sultan zu.

Abb. 9: Die Verbren­ nung der Juden wäh-­ rend der Pest im Jahr 1349 (Brüssel, Bibliothèque royale de Belgique, Ms. 13076–77, f. 12 v.) 51 Benedikt XII. 1334–1342. 52 Herzöge dieses Namens und diese Angabe lassen sich nicht verifizieren. Nach der Ermordung Leos V. übernahm Guy de Lusignan als erster lateinischer König die Herrschaft in Kilikien

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Der Niederrheinische Orientbericht

dat heisch in der schrift Cilicia70 und sint alze vil berge in dem lande. Ind da west usser maissen vil vrucht in deme lande und de coninge vursten und heren haldent sich alze reinlich myt gurdelen71 und also costliche bogencocher und pyle de hant sy alzyt by in riche ind arm sy rident off sy gaint. Und wan man in eren hoeven ist so en gift man neit zwen zo samen in eynre schottelen. Mer sy dragent gantze gense ind gantze schaiff up de taiffelen gesoden ind gebraden da snyt mallich ave van oven bis neden und also doint sy ouch anderem vleische ”w#ilt ind zam. Dat brengent sy also zo samen in groissen stucken up de taiffelen dat man also dar aff snydet. Mer wilde hoinre ind duven und vogele de gift man den luden ”in dye#72 schottelen als hie in ”dis#me73 lande. // Vort der [vrauwen cleider sint alze costlich van perlen. Vort de riddere dragent alle syden gewant und ere cleider sint lanck ind wyt in alle der wysen als de heilge dry coninge drogen do sy unsern heren den offer brachten.

Vort sint over mer andere krysten de sint geboren uss dem co-

nickrich van Iherusalem de heisschent da Suriani want dat lant dat zo vorentz heisch India dat heischt nu Siria dan aff heisschent sy Suriani und ouch heisschent sy in dem lande de gegurte krysten want da en geint anders gein krysten gegurt. Und dese krysten haldent da alze vrolichen sent Barberen avent da sy wonnent in dem lande74 als wir hie doin zo sent Mertins avent und [123v] dan sendent ir eyn dem anderen al dem saem den hie sal sem in synen garden. Dat iair dat hant sy reynlichen in eynem becher gelacht eynen saem by den anderen. // Vort dese krysten swerent da up got und up die heilge dry coninge vur gerichte als he de lude zo den heilgen.

70 A Cecilien 71 A gulden gurdelen ind myt andern gesmyde 72 Ergänzt nach A. 73 Ergänzt nach A. 74 A als wir hie doin zo sent Mertins avent fehlt.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Das Land, das jetzt Armenien heißt, heißt in der Schrift Kilikien und es gibt dort in dem Land sehr viele Berge. Und es wächst in dem Land dort außerordentlich viel Obst und die Könige, Fürsten und Herren präsentieren sich sehr ansehnlich mit Gürteln und kostbaren Bogenköchern und Pfeilen, die sie stets bei sich tragen, reiche wie arme, wenn sie reiten oder gehen. Und wenn man an ihren Höfen ist, so setzt man nicht zwei Leute zusammen an eine Schüssel. Aber sie bringen ganze Gänse und Schafe gesotten und gebraten auf die Tafeln, davon schneidet man von oben bis unten ab und so halten sie es auch mit anderem Fleisch, sei es wild oder zahm. Das bringen sie in so großen Stücken auf die Tafeln, wo man genauso davon abschneidet. Aber wilde Hühner und Tauben und Vögel, die gibt man den Leuten in Schüsseln wie hier zu Lande. Die Kleider der Frauen sind sehr prachtvoll mit Perlen besetzt. Die Ritter tragen alle Seidengewänder und ihre Kleider sind lang und weit, ganz in der Weise wie sie die Heiligen Drei Könige trugen, als sie unserem Herrn die Opfergaben darbrachten.

Über See gibt es noch mehr Christen, die aus dem Königreich Jerusalem stammen, die Surianer53 heißen, denn das Land, das zuvor Indien hieß, das heißt nun Siria, danach heißen sie Surianer; und sie heißen in dem Lande auch Gürtelchristen, denn dort geht kein anderer Christ gegürtet. Diese Christen begehen dort in dem Land, in dem sie wohnen, den Sankt Barbara Abend sehr fröhlich, so wie wir das hier am Sankt Martins Abend tun, und dann sendet jeder von ihnen dem anderen den Samen, den er in seinem Garten säen soll. Über das Jahr haben sie säuberlich einen Samen zu dem anderen in einen Becher gelegt. Diese Christen schwören dort vor Gericht auf Gott und auf die Heiligen Drei Könige wie hier die Leute auf die Heiligen.

(1342–1344), ihm folgten zwei Armenier auf dem Thron (Konstantin IV. 1344–1363 und Konstantin V. 1365–1373). Im Jahr 1375 kapitulierte das kilikische Königreich vor dem Ansturm der Mamluken, was der Herrschaft der Lusignans ein Ende setzte. Vgl. dazu den Artikel ›Armenien‹ in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, S. 976. 53 Gemeint sind die Melkiten (Surianer und Gürtelchristen), vgl. dazu von den Brincken, ›Nationes‹, S. 76ff. Sie betont, »daß der Autor in ihnen bewusst keine Syrer, sondern wieder Palästinenser« (S. 98) sehe, die dort tatsächlich in der Mehrzahl angesiedelt waren.

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Vort sind da andere snode krysten in dem lande de heisschent Man-

dopoles75 de strichent da ind geint zo samen myt wyven ind myt kinden an groissen scharen und en koment winters noch somers nummer in huys mer sy geint van eyme dorpe zo dem anderen und machent dinck da sy sich myt generent und ere wyff en brengent neit kinder in den huse noch en blyvent neit langer dan dry dage up eynre stat. Ind worden sy eit langer gehalden dan storven sy ind weren ouch dry dage in dem huse da sy sturven und dese lude hant under in eyne eigene sprache der neman en kan verstain dan sy under sich. Mer sy verstaint wale alre lude sprache und nummer en kyvent sy under sich und vyndet eyn wyff eren man by eyme anderen wyve off76 eyn man syn wyff by eyme anderen manne so en zurnet hie sich neit77 mer kan hie dat gedoin hie deit eine dat selve weder. Und so geint sy zo samen winters und somers van eynre stat zo der anderen und ligent zo velde dages ind nachtes myt groissen scharen myt piffen ind myt bungen als vur eyme slosse und stelent alze sere wat sy mogen essen ind drincken und war sy koment vur eyn grois dorp da machent sy eyn kaffende spil dat all de lude uss louffent und da en tuysschen stelent sy wat sy essen und drincken mogen. // Vort dese lude zo wat luden dat sy koment sy sint krysten off heiden we lange sy da sint also lange haldent sy sich na yrme seden an essen ind an drincken an vasten und an viren und en hant geynnen heren noch preister. Mer under wat krysten ere wyff kinder brengent na yrme seden laissent sy [124r] de kinder douffen mer under wat krysten sy sint des sundages so geint sy alle zo samen zo kirchen myt piffen ind myt bungen unde haldent eyn myssa van den heilgen drin coningen dat sy got umb eren wille geleide und behode war sy hene varent durch berge ind woistenien. // Vort under wat krysten dese lude stervent na yrme gelouven laissent sy sich78 begraven. // Vort de hei-

75 A Mandopolos 76 A off eyn wyf yren man by eyme andern manne 77 A ind nyet mer wort dar na 78 A berichten

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Die Mandopoler Es gibt dort in dem Land andere schlechte Christen, die Mandopoler54 heißen, die ziehen und gehen mit Frauen und mit Kindern zusammen in großen Scharen dort umher und betreten weder im Winter noch im Sommer jemals ein Haus; aber sie ziehen von einem Dorf zu dem anderen und stellen Dinge an, mit denen sie sich ernähren und ihre Frauen bringen keine Kinder in die Häuser oder bleiben länger als drei Tage an einer Stelle. Und würden sie da länger festgehalten, dann stürben sie. Und wären sie auch drei Tage lang in dem Haus, so stürben sie; und diese Leute sprechen unter sich eine eigene Sprache, die niemand außer ihnen selbst verstehen kann. Aber sie verstehen wohl die Sprache anderer Leute und niemals streiten sie untereinander; findet eine Frau ihren Mann bei einer anderen Frau oder ein Mann seine Frau bei einem anderen Mann,55 so erzürnen sie sich nicht, aber wenn er das vermag, dann fügt er ihr das Gleiche zu. Und so ziehen sie Winter und Sommer zusammen von einer Stadt in die andere und liegen Tag und Nacht in großen Scharen mit Pfeifen und mit Trommeln auf dem Feld oder vor einem Schloss und sie stehlen sehr häufig, was sie essen und trinken mögen; und wo sie in ein großes Dorf kommen, dort machen sie ein Schauspiel, dass alle Leute herauslaufen und inzwischen stehlen sie, was sie essen und trinken mögen. Diese Leute halten sich, zu welchen Menschen sie immer kommen, seien es Christen oder Heiden, so lange wie sie dort bleiben, beim Essen und beim Trinken, beim Fasten und beim Feiern an deren Sitten und sie haben keine Herren oder Priester. Zu welchen Christen ihre Frauen die Kinder bringen, nach deren Sitten lassen sie die Kinder taufen und unter welchen Christen sie am Sonntag sind, mit denen gehen sie alle zusammen in die Kirche mit Pfeifen und mit Trommeln und feiern eine Messe zu Ehren der Heiligen Drei Könige, damit Gott sie um derentwillen leite und behüte, wohin sie durch Berge und Wüsten fahren. Unter welchen Christen diese Leute sterben, nach deren Glauben lassen sie sich begraben.

54 Die Mandopoler werden als letzte unter den Christen im NO und bei Johannes von Hildesheim aufgeführt, Ludolf von Sudheim ordnet sie unter die Heiden ein. RM setzen sie mit den Zigeunern gleich (S. 23, Fn. 6). Vorsichtiger urteilt von den Brincken, die sowohl Beduinen oder Nomadenstämme für möglich hält, zumal die Benennungen für Zigeuner anders lauten und man die indische Herkunft der Zigeuner annimmt. Mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann die Hypothese, dass es sich bei den Mandopolern um Zigeuner handelt, allerdings nicht (›Nationes‹, S. 352ff.). »Christen waren sie damit nicht, obwohl Orientbericht und Johannes von Hildesheim sie ausdrücklich so benennen.« (S. 354). 55 Ob die Anspielung auf Homosexualität in Hs. A beabsichtigt ist oder ob es sich um ein Schreibversehen handelt, ist kaum zu entscheiden.

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Der Niederrheinische Orientbericht

den hant ouch de heilge dry coninge in eren want in alle den kirchen de sy den krysten aff hant gewonnen off de woist sint alle de heilgen de sy da gemailt vinden den stechent sy ere ougen uss und snydent in ere nasen aff. Mer der heilger dryer coninge bilden de laissent sy gantz stain. // Vort Persen sint ouch heiden mer sy bedent sich wale myt den krysten in eren kirchen de sprechent dat na den zyden dat de heilge dry coninge worden gevoirt van dem oisten in dat westen dar na en worde der sterre ney gesein de in yrme lande heist van deme geleide.

Vort in dem lande van over mer dragent alle lude sunderlinge

zeichen dat man wail suyt van wat kunne off van wat gelouven sy sint. Ind dese zeichen sint doicher79 de da de lude windent umb ir houft vur de hidzde van der sonnen. Und des hant de heiden umb ir houft eyn lanck wys gebleicht doich dat heist da eyn Hamema und de krysten hant umb ir houft eyn lanck doich dat is bla strifeitich und de ioden dragent umb ir houft eyn lanck geil doich und de Samaritani eyn roit doich.

Vort in dem lande van over mer en sint neit allein de krysten

gedeilt in dem gelouven mer ouch de ioden und da wonnent neit allein manicher hande krysten mer ouch manicher hande ioden als Samaritani Saducey Osey und alle dese sint komen van Abraham80 und sy hassent sich me under eyn dan de gedeilte krysten. [124v]

Vort wonnent ioden da in dem lande de sint in dem conickrich van Iherusalem und dat lant heist Iudea dan aff heisschent sy in der schrifft Iudei und sy heisschent in duytschen iuden. Und de haldent Moyses ee als alle lude wail wyssen und de arbeident da in dem lande ind machent sunderlinge edel cruit da man cleider myt macht und heisschent lynen cleider ind bleichent doich als da eyn sede is in dem lande. Und ouch woicherent sy wale mer sy en moissen gein wapen zo pande halden.

79 A lange doicher 80 A Ahbrahame

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Konflikte und Unterschiede zwischen Heiden und Christen Die Heiden halten auch die Heiligen Drei Könige in Ehren, während sie sonst in allen Kirchen, die sie den Christen abgenommen haben und die zerstört sind, allen Heiligen, deren Bilder sie vorfinden, die Augen ausstechen und die Nasen abschneiden. Aber die Bilder der Heiligen Drei Könige lassen sie unversehrt. Die Perser sind auch Heiden, aber sie beten wohl mit den Christen in ihren Kirchen und erzählen, dass nach der Zeit, als die Heiligen Drei Könige von Osten nach Westen geführt worden sind, der Stern nie mehr gesehen wurde, der in ihrem Land der Leitstern heißt.

In dem Land über See tragen alle Leute besondere Zeichen, so dass man gut erkennt, von welchem Geschlecht oder welchen Glaubens sie sind. Diese Zeichen sind Tücher, die die Leute sich gegen die Sonnenhitze um ihr Haupt winden. Und aus diesem Grund tragen die Heiden um ihr Haupt ein langes, weiß gebleichtes Tuch, das wird Hamema genannt, und die Christen tragen um ihr Haupt ein langes Tuch, das ist blau gestreift, und die Juden tragen um ihr Haupt ein langes, gelbes Tuch und die Samaritaner ein rotes Tuch.

Die Juden im Heiligen Land In dem Land über See sind nicht allein die Christen nach ihrem Glauben geteilt, sondern auch die Juden und dort wohnen nicht allein mancherlei Christen, sondern auch mancherlei Juden wie Samaritaner, Sadduzäer, Osey und sie stammen alle von Abraham ab und hassen sich untereinander stärker als die unterschiedlichen Christen. Weiterhin leben Juden dort in dem Land in dem Königreich Jerusalem und das Land heißt Judäa, danach heißen sie in der Schrift Judäer und auf Deutsch Juden.56 Sie richten sich nach den Büchern Mose, wie alle Leute wohl wissen und sie arbeiten dort zu Lande und stellen besonders edlen Stoff her, aus dem man Kleider macht, die Leinenkleider heißen und sie bleichen Tücher, wie es dort zu Lande Sitte ist. Und sie treiben wohl Geldverleih, aber sie dürfen keine Waffen zum Pfand nehmen.

56 Über die Juden äußert sich der Verf. nur sehr knapp mit Bezug auf die Bibel und ohne hervorstechende antijudaistische Ressentiments.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort vunff mylen is Iherusalem van Samarien und heist dat conick-

rich van Israhel und Iherusalem heist dat conickrich van Iudea ind in dem lande ind zo dem lande gehoirte geslechte de koren eynen eygen conick Iherobaam und de dede sy an beden gulden kalver als man dan aff list in der bybelen. Und want dat conickrich horte zo Samarien des heisschent alle de ioden de da ynne wonnent Samaratani und de en willent myt den ioden gein gemeynschaff haven und sint den alze gehas und essent swinen vleisch den anderen zo zorne.

Vort sint da ioden in dem lande de heisschent Saducey de haldent

sich ouch eyn deil an Moyses ee mer sy gelouvent neit dat de dode sollen up stain als de ander ioden doint. Mer der es is neit vil nochtan en willent sy neit myt den ioden noch myt den Samaratani gemeynschaff haven.

Vort wonnent da andere snode ioden in dem lande de heisschent

Osey. De verdelient81 da alle lude ind in laissent de da neit leven. De nement ere modere ind susteren zo wyve up dat ir de me werden und de havent under in eynen prelaten dem sint sy gehoirsam bis in den doit. Und heist hie eman doden dat doint sy alze hantz und heist hie sy gain in eyn wasser off in eyn vuyr dat doint sy ain weder sprache und van dese luden is krysten und heiden alze vil schaden [125r] gescheit. Dar umb verdelient man sy sere so wa man sy vindt off vereischt.

81 A verdilient

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Jerusalem ist fünf Meilen von Samaria entfernt, dem Königreich von Israel und Jerusalem liegt in dem Königreich von Judäa und zu dem Land gehörten Geschlechter, die wählten einen eigenen König Jerobeam und der veranlasste sie, goldene Kälber anzubeten, wovon man in der Bibel liest.57 Und weil das Königreich zu Samaria gehörte, darum heißen alle Juden, die dort leben, Samaritaner58 und die wollen mit den Juden keine Gemeinschaft haben und sind denen feindlich gesonnen und sie essen den anderen zum Zorn Schweinefleisch.

Weiter gibt es dort in dem Land Juden, die heißen Sadduzäer,59 die richten sich auch zum Teil nach den Schriften Mose, aber sie glauben nicht, dass die Toten auferstehen sollen, wie es die anderen Juden tun. Aber von ihnen gibt es nicht viele, dennoch wollen sie weder mit den Juden noch mit den Samaritanern Gemeinschaft halten.

Es leben da noch andere schlechte Juden in dem Land, die Osey60 genannt werden. Alle Leute verfolgen sie und lassen sie da nicht leben. Die Osey nehmen ihre Mütter und Schwestern zu Weibern, damit ihre Zahl wächst und sie haben einen Prälaten, dem sie bis in den Tod hinein gehorsam sind. Und verlangt er, jemanden zu töten, das tun sie auf der Stelle, und verlangt er, dass sie in ein Wasser oder ein Feuer gehen, das tun sie ohne Widerspruch und von diesen Leuten ist Christen und Heiden sehr viel Schaden geschehen. Darum verfolgt man sie unnachgiebig, wo immer man sie findet oder von ihnen Kenntnis erhält.

57 Der Verf. bezieht sich hier auf Exodus 32, 2–20 und 1 Korinther 12,28–30. 58 Die Samaritaner wurden als die »anderen« Juden wegen ihrer eigenen Kultorte und abweichender Glaubensüberzeugungen in der Überlieferung kritisch bis ablehnend beurteilt. Im NT nehmen Lukas (9,51–56; 10,25–37; 17,11–19), die Apostelgeschichte (8,4–25), Johannes (4,4–42; 8,48) und Matthäus (10,5f.) auf diese religiöse Volksgruppe im Norden Israels Bezug. 59 Die Gruppe der Sadduzäer wird bei Markus 12,18 und Johannes 11,47–50 erwähnt. Nach Flavius Josephus handelt es sich um eine Art Priesteraristokratie in Jerusalem. Vgl. dazu Weiß, ›Sadduzäer‹, in: TRE XXIX, S. 589–594. 60 Gemeint sind die Assassinen, deren bedingungsloser Gehorsam infolge Verführung und Vorgaukelung von künstlichen Paradiesen von westlichen Autoren kritisiert wird. Marco Polo, Il Milione, berichtet darüber ausführlich in den Kapiteln XLI–XLIII, S. 60ff. Die Herrschaft des Alten vom Berge wurde durch die Mongolen beendet.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort in allen landen van over mer en is neit der krysten

noch der ioden gelouve gedeilt und ouch is da der heiden gelouve und ere ee manicher hande wyse gedeilt van heiden as her na geschreven steit. Dat sint Sarraceni Tattaren Pagani Turcke und Persen vort Ysmahelite und Sarraceni und Agartini dat is eyn alt name und eyn volck unde de ioden ind de heiden sint komen van zwen broderen van Ysack und van Ysmahele und de ioden sint komen van Ysack und de heiden van Ysmahele.

Vort van den zyden Ysmahelis wonden de Sarraceni dat sint de

heiden da in den woistenien und waren dolle lude und en hatten geynnen gelouven noch ee und na der geburt uns heren eicht hundert iair unde zwei ind vunfftzich iair do Eraclyus keyser was zo Rome und da was eyn pais de heisch Pelagius by dem was eyn monich de heisch Sergius dem en gaff der pais neit also vil als hie wolde. Do voir hie over mer van mystroiste und dede sich by dese dolle heiden unde nam zo eyme eynen knecht de was eyn heirde ind plach Cameeil zo hoeden de heisch Magomet de was eyn sympel dol mynsche. Da dreiff der Sergius also vil behendicheit myt dat hie eme erwarff de hertzoginne van Arabien zo eyme wyve unde heilte de lude da an dat sy in heilten vur eynnen got und pretgede in also vil van Machomet dat hie der krystenheit zo zorne zoich myt all dem lande myt der macht zo Anthiochia und streit da myt den krysten. Und de krysten verloren den stryt und da bleyff Magomet und die heiden da wonnen in deme lande bis an desen dach. Und zo den zyden en hatten sy nochtan geynne ee noch gelouven. Do machde Sergius eyn eigen boich van Magometz wegen dat boich heisch Alkoranius. Da steit ynne geschreven ere ee und dat boich is geschreven [125v] als profitien dat neman en kan wale verstain. Mer hie spricht man sulle halden Ihesum Marien sun vur eynnen heilgen profeten den Magometz hadde myt dem heilgen geiste in synre moder lyve. Und also als in got hadde gesant dat hie Moyses ee solde verstoren also

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Glaube und Lebensordnung der Heiden In allen Ländern über See ist nicht nur der Christen- und der Judenglaube unterschiedlich, auch der Glaube der Heiden und ihre Lebensordnung sind dort in mancherlei Weise unterschieden, wie sogleich beschrieben wird. Das sind Sarazenen, Tataren, Paganer, Türken und Perser, weiterhin Ismaeliten und Sarazenen und Agartiner,61 das ist ein alter Name und ein Volk, und die Juden und Heiden stammen von zwei Brüdern, von Isaak und von Ismael, und die Juden stammen von Isaak und die Heiden von Ismael ab.

Zu den Zeiten Ismaels lebten die Sarazenen, das sind die Heiden, dort in den Wüsten und das waren verrückte Leute und sie hatten weder einen Glauben noch eine Ordnung und 852 Jahre62 nach der Geburt unseres Herrn, als Heraklius Kaiser in Rom war,63 gab es einen Papst, der Pelagius64 hieß, bei dem war ein Mönch, der hieß Sergius, dem der Papst nicht so viel schenkte, wie er verlangte. Da fuhr er voller Enttäuschung über See und gesellte sich zu diesen verrückten Heiden und nahm einen Knecht zu sich, das war ein Hirte, der Kamele zu hüten pflegte, der hieß Magomet und der war ein einfacher, verrückter Mensch. Sergius trieb das so erfolgreich voran, dass er die Herzogin von Arabien zur Ehefrau gewann und die Leute dazu brachte, dass sie ihn für einen Gott hielten; und er predigte ihnen so eingehend von Magomet, dass er der Christenheit zum Zorne mit dem gesamten Land und mit Macht nach Antiochia zog und dort mit den Christen kämpfte. Und die Christen verloren den Kampf und seitdem blieben Magomet und die Heiden dort in diesem Lande bis auf den heutigen Tag wohnen. Und zu dieser Zeit hatten sie weder eine Ordnung noch einen Glauben. Da schrieb Sergius ein eigenes Buch über Magomet, das Koran heißt. Dort findet sich ihre Lebensordnung und das Buch ist verfasst als Prophetie, die niemand recht verstehen kann. Er behauptet, man solle Jesus, Marias Sohn, für einen heiligen Propheten halten, den Magomet mit dem Heiligen Geist im Leib seiner Mutter hatte. Und wie Gott ihn gesandt hatte, um die

61 Wie schon RM annahmen (S. 26, Fn. 2) werden hier die »Agareni« gemeint sein. Dieser Begriff wurde synonym mit dem der Sarazenen oder der Ismaeliten verwendet. 62 Diese Jahreszahl entbehrt wie die nachfolgende Erzählung jeder historischen Grundlage. 63 Der byzantinische Kaiser Flavios Herakleios herrschte von 610–641. Verehrt wurde er für die Rückführung des Kreuzes nach Konstantinopel und in die Grabeskirche nach Jerusalem. Der legendarisch-chronikalische Stoff wanderte über den Eracle des Gautier d’Arras aus den 60er Jahren des 12. Jahrhunderts auch in die mhd. Literatur. 64 Gemeint ist Pelagius II. (579–590). »Seine Erwähnung ist neu, aber hier liegt vielleicht der Schlüssel für die Behauptung, Mohammed sei zuvor ein Kardinal namens Pelagius gewesen. Sergius ist im Orientbericht Autor des Korans, erscheint aber als lateinischer Christ.« Von den Brincken, ›Nationes‹, S. 379.

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Der Niederrheinische Orientbericht

hait got Machomet gesant dat hie solde verstoren den gelouven den Ihesus hait geprediget und geleirt. // Vort solen de heiden gelouven an got ind an sent Mychele und an synen legaten Machomet und halden de ee de in got hedde gesant myt syme boden Machomet und we de wal beheilte de solde besitzen dat paradys dat also lustich myt alze vil schoinre vrauwen de hie eyne keysen mach. // Vort Ihesum Marien sun sal man halden vur eynen heilgen profeten want hie sitze neyst Magomet in dem paradyse und hie vil wonders dede by syme leven und na syme dode und dede ioden doden umb has und des dirden stoint hie up van dem dode den neme Machomet by sich in den hemel. Mer hie en were neit gewair got ind mynsche we dat pretgede den solde man steingen und dar umb laissent de heiden noch alda der krysten kirchen unverstoirt. // Vort de krysten de under den heiden wonnent de gebruchent yrs gelouven ain hindernisse mer neman en mois myt dem anderen kyven umb synen gelouven. Ind ouch egein krysten en dar da pretgen offenbair. // Vort enbudet Magomet den heiden dat sy gein swynen fleisch en essen noch wyn en druncken noch van geynnen deren en essen it sy wild off zam dat sy neit selver gedoit en hetten. Vort sollen sy sere vasten den dunresdach mer des avendes essent sy wail vleisch und so wat sy hant wan man dar zo roefft up eyme torne dat man geve urloff zo essen. // Vort bedent sich de heiden zo samen zo seven zyden dages unde nachtes und so roeffet man up den turnen de dar zo gesat sint dat man an bede got ind synen boden Magomet und halden ind doin [126r] de ee de got myt eme have gesant. Und up wat steden dan eyn is it sy in huse off in hoeve off in velde so vellet hie up de erde und dat is eyn gemeyn sede in dem lande. Eyn ride off gee so hait mallich by eme eyn reyn tapyt dan dar mallich up vellet und bedent. Dat tapyt is gemacht dar na dat mallich vermach unde de laissent here riddere ind vrauwen na dragen ind voeren. // Vort war sy geint in ere kirchen so wesschent sy sich so sy reynste konnen over al den lyff und geint barvois in de kirche und neman en spricht eyn wort noch sy en groissent sich dan sy bedent sich intgain dat suyden als de krysten doint intgain dat oysten. // Vort ere kirchen

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Schriften Mose abzulösen, so hat Gott Machomet gesandt, um den Glauben, den Jesus gepredigt und gelehrt hat, abzulösen.65 Weiter sollen die Heiden an Gott und Sankt Michael glauben und an seinen Gesandten Machomet und die Vorschriften einhalten, die Gott ihnen mit seinem Boten Machomet gesandt hatte, und wer die richtig einhielte, der sollte das Paradies besitzen, das voller Wonnen mit sehr vielen schönen Frauen ist, von denen er sich eine auswählen kann. Jesus, Marias Sohn, soll man für einen heiligen Propheten halten, denn er sitze neben Magomet im Paradies und er habe viele Wunder in seinem Leben und nach seinem Tod gewirkt und habe Juden aus Hass getötet und zum dritten ist er vom Tode auferstanden und Machomet habe ihn zu sich in den Himmel aufgenommen. Aber er wäre weder der wahre Gott und Mensch und wer das predige, den solle man steinigen, und darum lassen die Heiden die Kirchen der Christen da noch unzerstört. Die Christen, die unter den Heiden leben, üben ihren Glauben ohne Hinderungen aus, aber niemand darf mit dem anderen um seines Glaubens willen Streit anfangen. Auch darf dort kein Christ öffentlich predigen. Weiterhin gebietet Magomet den Heiden, dass sie kein Schweinefleisch essen und keinen Wein trinken, noch von anderen Tieren essen, seien sie wild oder zahm, die sie nicht selber getötet hätten. Weiterhin sollen sie streng fasten, aber am Donnerstagabend essen sie wohl Fleisch und alles, was sie haben, denn man ruft dazu vom Turm herab, dass man ihnen die Erlaubnis zu essen gebe. Weiter beten die Heiden zusammen an sieben Zeiten des Tages und der Nacht und man ruft auf den Türmen, die dazu erbaut worden sind, dass man Gott und seinen Boten Magomet anbete und sie halten tatkräftig die Ordnung ein, die Gott durch ihn überbracht hat. Und an welcher Stelle dann einer von ihnen sich befindet, sei es im Haus oder im Hof oder im Feld, so fällt er auf die Erde und das ist eine allgemeine Sitte in dem Lande. Wenn einer reitet oder geht, so hat jeder einen sauberen Teppich bei sich, auf den dann jeder niederfällt und betet. Der Teppich ist so gemacht, wie es sich jeder leisten kann, und Herren, Ritter und Damen lassen sich den mitbringen. Wo sie in ihre Kirchen gehen, waschen sie sich am ganzen Leib so gründlich wie sie können und gehen barfuß in die Kirche und niemand spricht ein Wort noch grüßen sie einander, sondern beten in Richtung Süden wie die Christen dies in Richtung Osten tun.

65 Der Verf. reproduziert hier und weiterhin einen Teil der polemischen Vorbehalte, die in der Literatur des Westens zumal in den Volkssprachen über Mohammed und den Islam kursierten. Vgl. dazu Edeltraut Klueting, Quis fuerit Machometus? Mohammed im lateinischen Mittelalter (11.–13. Jahrhundert), in: AKG 90 (2008) S. 283–306, hier S. 283ff. und Folker Reichert, Asien und Europa im Mittelalter. Studien zur Geschichte des Reisens, Göttingen 2014, Mohammed in Mekka, S. 17ff.

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Der Niederrheinische Orientbericht

en sint neit gemailt mer sy sint wys und da sint vil boiche ynne und eyne steynnen suyl de steit intgain dat suyden dar sy sich weder bedent. // Vort wanne sy willent bigeten so vastent sy bis an den avent und wesschent eren lyff ind geint dan up eynnen berch de in der neyste is und bekennent da gode ind sent Michele und synen boden Magomet und ere preisteren alle ere sunden myt groissen ruwen. // Vort en laissent sy geynnen ”krysten# in ere kirche gain me we dar yn geit de mois heiden werden off sy hauwent yn zo zwen stucken und geissent dat bloit in de kirche und zeint de stucken blodich durch die kirche da mede is sy weder geweit. // Vort dat wir heisschen eyn kirche dat heisschent sy eyn mysschida vort hant sy van erer rechter ee seven elige wyff. // Vort is da eyn gemeyn sede dat man de wyff gilt we der ere alder und we ouch dan me vergelden mach de kryget ouch me schoinre wyff. // Vort eyn man mach syn wyff myt eren willen wail laissen varen. Mer we sy dan zo dem eirsten begrift de mach sy behalden mer dan mach sy der man neit weder nemen und de seden haldent sy da alze vaste. // Vort spricht Magomet in syme boiche wilch man de vil wyve hait unde leist der eyne eyme geistlichen manne umb de leyfde godes dem solle in dem paradise hundert valt vil schoinre wyff weder werden gegeven want dat betzuget Ihesus der groisse [126v] profete und dar umb laissent vil lude82 ere wyff van in geistlichen luden als hie eyn man etzwat geve vur syne sele. Und man list in Magometz boichen dat Magometz und Sergius myt alsus gedain reden kregen de beste wyff van alle dem lande. // Vort de edel riche wyff havent ere sunderlinge gesin”de# und yr gemach und eyn wyff en hait myt der anderen gein gemeynschaff it en sy dat de eynne zo der anderen sunderlinge wille komen mer der man geit zo ir dages ind nachtes wan hie wilt. // Vort de arme heiden de in den cleynnen huseren wonnent de slaiffent alle in eren cleideren up natten83 da ligent umb al ir wyff ind kindere in eren cleyderen. Mer sy sint altze reynlichen ind wys und da horet man des nachtes altze manchen kyff van wyven und schreien van kinden. Doch is it da so gemeynne dat neman dar up en achte und eyn man helt da eyn wyff unde kinder altze lichtlichen want dat broit is da goitz kouffs und de lude en mogen da na vil essen und sy en drinckent neit dan wasser. // Vort wan etzlich planeta regneirt so rouffent de lude up den turnen84 des nachtes 82 A heiden 83 natte, Strohmatte (tissu en paille), mlat. natta 84 A up den knen

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Ihre Kirchen sind innen nicht bemalt, sondern weiß und es gibt viele Bücher darin und eine steinerne Säule, die nach Süden ausgerichtet ist, wohin sie sich zum Gebet wenden. Wenn sie beichten wollen, dann fasten sie bis zum Abend und waschen ihren Leib und gehen dann auf den nächstgelegenen Berg und bekennen dort Gott und Sankt Michael und seinem Boten Magomet und ihren Priestern voller Reue all ihre Sünden. Sie lassen keinen Christen in ihre Kirche gehen, aber wer da hineingeht, der muss Heide werden oder sie hauen ihn in zwei Stücke und gießen das Blut in die Kirche und ziehen die Stücke blutig durch die Kirche, damit sie wieder geweiht ist. Was wir eine Kirche nennen, das nennen sie eine Moschee, weiter haben sie nach ihrer geltenden Ordnung sieben Ehefrauen. Es ist eine allgemeine Sitte, dass man die Frauen entsprechend ihrem Alter kauft und wer dafür mehr ausgeben kann, der erhält auch mehr schönere Frauen. Ein Mann kann seine Frau mit ihrer Zustimmung wohl entlassen. Aber wer sie dann als erster aufnimmt, der kann sie behalten, aber dann kann sie der Mann nicht zurücknehmen und diese Sitte halten sie dort sehr genau ein. Magomet ordnet in seinem Buch an, welcher Mann, der viele Frauen hat, eine von ihnen einem geistlichen Manne um Gotteslohn überlässt, dem sollen im Paradies hundertfach schönere Frauen zurückgegeben werden, denn das bezeuge Jesus der große Prophet und darum übergeben viele Leute ihre Frauen zu Gunsten geistlicher Leute, so wie hier ein Mann etwas für seine Seele spendet. Und man liest in Magomets Büchern, dass Magomet und Sergius mit dieser Art von Reden die besten Frauen aus allen Ländern gewannen. Edle und mächtige Frauen verfügen über ein besonderes Gesinde und Gemächer und eine Frau pflegt mit der anderen keine Gemeinschaft, es sei denn, dass die eine ausdrücklich zu der anderen kommen will, aber der Mann geht zu ihr Tag und Nacht, wann immer er will. Die armen Heiden, die in den kleinen Häusern wohnen, schlafen alle in ihren Kleidern auf Matten, dort liegen ihre Weiber und Kinder überall in ihren Kleidern. Jedoch sind sie sehr reinlich und weiß und man hört dort während der Nacht so manches Gekreisch von Frauen und Geschrei von Kindern. Doch ist dies dort so verbreitet, dass niemand darauf Acht gibt; und ein Mann unterhält da Frau und Kinder sehr leicht, denn das Brot ist preiswert, und die Leute brauchen nicht viel zum Essen und sie trinken nichts anderes als Wasser. Wenn gewisse Planeten herrschen, dann rufen die Leute auf den Türmen des Nachts dazu auf, dass jeder Kinder zeuge, dafür stünden die Planeten günstig.

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Der Niederrheinische Orientbericht

dat mallich kinder mache it sy eyn gude zyt in den planeten. // Vort wan eyn kint wirt geboren dat eyn kneicht is den besnydet man als eynen ioden und den dach dat it wirt geboren ind besneden den dach eret dat kint al syn dage up dat iair getzyde85. // Vort is da eyn sede in dem lande wilch man syn maget macht dat sy geit myt kinde de maget ind dat kint sint beide vry. // Vort is da eyn sede in dem lande dat alle dat erve velt up dat eldeste kint. Mer en is it neit dugdich so erfft dat wyste und dat beste und dar umb zeint sich alle ” joncge#86 lude da mallich boeven den anderen an wysheit ind an dugent. // Vort wilche lude man off wyff de da myt over spele vonden werden off begriffen den heuwet man zo zwen stucken da en [127r] is geyn bede vur. // Vort haldent sy da vur eyn recht wilch heiden off iode myt eyme krysten wyve off krysten man myt eynre heidynnen off ioden werden begriffen de heuwet man beide zo zwen stucken da en is geyn bede vur. // Vort de heiden legent ere doden up die rechte side und gravent sy ”i#ntgain dat suden und beschrivent87 de veirtzich ”dage#88 na iotschen seden. // Vort hatten de heiden eynnen oversten van erer ee den heisschen sy eynnen Caliphen dem waren sy gehorsam als wir dem paese. De Calipha wonde zo Baldach mer do dat wart gewonnen seder sint de Caliphen vergangen. // Vort havent de heiden busschove de heisschent Cady de hant da yn dem lande groisse macht. Vort hant de heiden preistere de en mogen neit sin dan der busschove soene. Und so wanne dat eyn edel man ind eyn riche here stirfft synre wyve eyn off zwa de in dat leifste hatten und wedewen willent blyven de geint zo dem busschoff ind heisschent in myt rechte dar zo dat hie sy moisse machen dat sy eyn kint drage. Des en mach hie neit weigeren hie en mois dat doin off sy heist myt ynnicheit hie mois des nachtes gain myt rechte up des mannes graff myt dem wyve und machen sy dat sy eyn kint drage. Und wirt dat kint eyn kneicht dat wirt eyn priester und is it eyn doichter dat bereit der busschoff dar na dat de moder is. Mer dat wyff blyft al ir dage wedewa want sy en mois na dem busschoff geynnen anderen man haven. // Vort wonnent under den

85 A hoigetzyde ind 86 Ergänzt nach A. 87 Mhd. beschrîen stswv., beklagen, beweinen 88 Ergänzt nach A.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Wenn ein Kind, das ein Knecht ist, geboren wird, das beschneidet man wie einen Juden und den Tag, an dem es geboren und beschnitten wird, hält das Kind sein ganzes Leben lang jährlich in Ehren. Es gibt eine Sitte in dem Land: Wenn ein Mann seiner Magd ein Kind gemacht hat, sind beide, die Magd und das Kind, frei. Es ist auch Sitte in dem Land, dass das gesamte Erbe dem ältesten Kind zufällt. Wenn es jedoch nicht tauglich ist, dann erbt das klügste und das beste Kind und deshalb zeigen sich alle Leute einander an Weisheit und Tugend überlegen. Alle Leute, Mann oder Frau, die beim Betrug entdeckt oder ergriffen werden, die haut man in zwei Stücke, dagegen hilft kein Flehen. Weiterhin halten sie es für rechtmäßig, wenn ein Heide oder Jude mit einer Christenfrau oder ein Christenmann mit einer Heidin oder einer Jüdin ergriffen wird, dass man die beide in zwei Stücke haut, dagegen hilft kein Flehen. Die Heiden legen ihre Toten auf die rechte Seite und begraben sie nach Süden hin und beklagen sie nach jüdischen Sitten vierzig Tage lang. Nach ihrer eigenen Ordnung hatten die Heiden einen höchsten Würdenträger, den nennen sie einen Kalifen, dem waren sie gehorsam wie wir dem Papst. Der Kalif wohnte in Bagdad, aber nachdem die Stadt erobert wurde, sind die Kalifen abgeschafft. Weiterhin haben die Heiden Bischöfe, die Kadi genannt werden und dort in dem Land große Macht haben. Es gibt bei den Heiden Priester, die nur Söhne der Bischöfe sein dürfen. Wenn es geschieht, dass ein adliger und mächtiger Herr stirbt, der ein oder zwei Frauen hinterlässt, die ihn am liebsten hatten und Witwen bleiben wollen, die gehen zu dem Bischof und verlangen von ihm rechtmäßig, dass er ihnen dazu verhelfe, dass sie ein Kind bekommen. Das darf er nicht verweigern, er muss das tun oder sie verlangt mit Inbrunst von ihm, dass er des Nachts rechtmäßig mit ihr zum Grab des Mannes geht, um dort ein Kind mit ihr zu zeugen. Und wird das Kind männlich, dann wird es zum Priester und ist es eine Tochter, die ordnet der Bischof dem Stand der Mutter entsprechend ein. Aber die Frau bleibt ihr ganzes Leben Witwe und sie darf nach dem Bischof keinen anderen Mann haben.

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Der Niederrheinische Orientbericht

heiden moniche89 Betgarde Clusener Bagynen swesteren und begevene geistliche lude wyff und man de sich myt manicher hande wysen ind tuysschereien generent als auch hie in deseme lande.90 // Vort geint da pilgarinen de zo den heilgen steden geint und blynden myt hunden de vollest dar zo91 bidden dat ”si in#92 pilgermaze [127v] mogen gain als he. // Vort so wonnent da sonderlinge eynsedele und clusener in den woistenien de neit en pleint uss zo gain und neman zo en sprechent dan eyns in dem iaire want ere boden de in ”de#me93 lande geint ind biddent. De sprechent dat Magomet altzyt myt yn spreche de haldent de heiden94 da alze heilich und alze vil man ind wyff louffent dar und doint sich in ere gebet. Ind de wyff den ir man gestorven sint de vragent we it eme ge in deme paradyse und off hie da eit vil schoinre wyff have unde off in eit sere verlange dat sy eme na kome und wan dat de zyt kompt dat sy in antwerden sollen eyn in dem iaire dat is by sent Lambrichtz dage so is zo den clusen me louffens van allen luden d”a#n h”ie# zo Aiche. Und des avendes wanne alle de lude zo samen sint komen so geint de clusener nacket uss der clusen und sleint sich myt geisselen dat alle ir lyff blodet den volgent dan alle de lude na und schreient als hie de geisselbroder daden. Und da blyvent de clusener des nachtes in der kirchen und wes man dan morgens vrachte den clusener dat eme allet dat iair bevolen is des bescheit hie dan und den clusener wirt dan altze vil gebracht und gegeven. // Vort sint da altze vil andere tuysscher als wail als hie in deseme lande da vil aff were zo sagen und zo schriven.

Vort varent die heiden gemeynlichen zo der stat zo Mecha da Macho-

met licht begraven. De stat licht van Babylonien da der soldain wont XXV dachfarde durch die woistenie van Arabien da sy nummer mynschen noch vogelen geseint. Und de vart is alle iair in dem auste in der groisser hidzden durch den birnende sant und in der zyt herent sich de camele und sint blois. De bemalent sy dan und machent korve van subtilen roden und hangent de by de camele da is ynne alles des sy behovent95 up dem wege. Und varent durch de woistenie myt 89 A nonnen 90 A Vort zo gaint da tuscher in dem lande mit ysar gebonden ind besmeet de da sprechent dat sy yre vader ind moider haint gedoet as he in disme lande 91 A gevent ind 92 si in ] sint 93 Ergänzt nach A. 94 A heiligen 95 behoven swv., in den Hof aufnehmen, beherbergen

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Unter den Heiden leben Mönche, Begarden66, Klausner, Beginen, Schwestern und Oblaten,67 geistliche Leute, Frauen und Männer, die sich auf mancherlei Weise und mit Betrügereien ernähren wie auch hier zu Lande. Pilger gehen zu den heiligen Stätten und Blinde mit Hunden,68 die Hilfe dafür erbitten, damit sie nach Pilgerart ziehen können wie diese. Weiterhin leben da besondere Einsiedler und Klausner in den Wüsten, die (aus ihren Klausen) nicht herauszukommen pflegen und mit niemandem sprechen, außer einmal jährlich, wenn ihre Boten ins Land ziehen und um Almosen bitten. Sie erklären, dass Magomet ständig mit ihnen spreche und die Heiden halten sie für sehr heilig und sehr viele Männer und Frauen laufen dort hin und empfehlen sich ihrem Gebet. Die Frauen, deren Männer gestorben sind, fragen sie danach, wie es denen im Paradies ergehe und ob sie da etwa viel schönere Frauen hätten und ob es sie sehr danach verlange, dass sie (i. e. die Frauen) ihnen nachkämen. Und wenn dann die Zeit kommt, dass sie ihnen antworten sollen, einmal jährlich am Sankt Lambrechts Tag,69 dann gibt es in den Klausen mehr Menschenauflauf als hier zu Aachen. Und am Abend, wenn alle Leute zusammengekommen sind, dann kommen die Klausner nackt aus der Klause und schlagen sich mit Geißeln, dass ihr ganzer Leib blutet; denen folgen dann alle Leute nach und schreien so wie die Geißler. Und dort bleiben die Klausner nachts in der Kirche und wenn man dann morgens den Klausner fragte, was alles man im Jahr zu erwarten hat, das bescheidet er dann und den Klausnern wird danach sehr viel zugetragen und gespendet. Es gibt dort sehr viele andere Täuscher, ebenso wie hier zu Lande, wovon viel zu sagen und zu schreiben wäre.

Die Heiden fahren gemeinhin zu der Stadt Mekka, wo Machomet begraben liegt.70 Die Stadt liegt von Babylon,71 wo der Sultan residiert, 25 Tagesreisen durch die Wüste von Arabien entfernt, wo sie niemals Menschen oder Vögel sehen. Die Fahrt erfolgt alle Jahre im August in der großen Hitze durch den brennenden Sand und in dieser Zeit verlieren die Kamele ihr Fell und sind kahl. Die (Heiden) bemalen sie dann und flechten Körbe aus kleinen Ruten und hängen diese an die Kamele, in denen all das ist, wessen sie unterwegs bedürfen. Und sie fahren in großen Scharen durch die Wüste wegen der bösen Tiere und des Gewürms und wegen der wilden 66 Angehörige einer geistlichen Laienbruderschaft. 67 Oblaten werden im Kindesalter zur geistlichen Laufbahn an Ordensgemeinschaften übergeben. 68 Eine sehr frühe Erwähnung von Blindenhunden. Weiter unten wird berichtet, dass diese Blendungen aus religiösen Gründen vollzogen wurden. 69 Am 17. September. 70 Das Grab des Propheten wurde im christlichen Mittelalter häufig dem Pilgerziel Mekka zuge­ schrieben, vgl. dazu Reichert, Asien und Europa, S. 181ff. 71 Gemeint ist hier offenbar Bagdad.

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groissen scharen vur de bose dere ind wurme ind vur de wilde lude de in den woistenien wonnent. Mer alle de lude de da varent de en koment neit halff weder heym van der groisser hidzden und gebrechs [128r] wassers dat sy doit ligent in den woistenien myt groissen houffen und de helt man dan altze heilich. Mer in pais Benedickus zyden leis der soldain altze costliche cisternen96 machen in de woistenie wa man de gemachen kunde. Vort wanne de heiden koment zo Mecha so doint sy altze luckerlichen ere biget und geint dan in Magometz tempel und bedent sich ind brengent eren offer und wanne sy dan weder heym willent so wirfft mallich eynen steyn weder den tempel zo eyme zeichen dat sy al ir sunden van in werpent und steynnent da den duvel ind varent dan weder heym myt altze groesser vreuden und en achtens dan neit wanne dat sy stervent und we dar gewest hait des gebacht97 sich al syn geslechte. // Vort sprechent sy dat der tempel da Magomet ynne licht dat were da eyrste huys dat ey mynschen hende gebuweden. Ind in dem huyse hat gewont Adam mer van Magometz licham en suyt man da neit. Mer an dem gewolve suyt man wal hangen gulden gewant wat da ynne is des en weis neman. Mer alle de krysten boiche over mer de haldent dat ynne dat in zo leste in syme ende de swyn zo ryssen. // Vort vil pilgarine wan sy zo Macha in dem tempel gewest sint de sint so ynnich dan dat sy neit me geynne ertsche dinck sein en willent. Und da sint dan sunderlinge huys zo in wilchen husen da in behentlichen wirt gehulpen dat sy als dan nummer me en geseint und de geint dan bidden in den landen myt hunden ”as blynde pilgerym#98 den wirt dan alze vil [gegeven.

Vort varent auch die heiden pilgarinis wysse zo Iherusalem zo

dem tempel de sy heisschent ”in der heiligen#99 rutschen und wanne sy dar [willent so sprechen sy wir willen gain zo Iherusalem zo der heilger steynrotschen want in dem tempel is eyn cleyn steynrotsche de is umbe bemacht alze behende myt yseren gaderen. By der rotschen sleiff Iacob und van deser rotschen stoint eyn leider de geinck yn den hemel da de engel up ind ave stegen und da wranck Iacob myt dem engel und up deser selver rotschen offerde Melchisedech broit ind wyn. [128v] 96 A ind burn 97 A beroempt, mhd. bâgen swv., sich einer Sache rühmen 98 Ergänzt nach A. 99 Ergänzt nach A.

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Leute, die in den Wüsten leben. Aber von allen Leuten, die dort hinfahren, kommt wegen der großen Hitze und des Wassermangels nicht die Hälfte wieder heim, so dass sie in großen Haufen tot in der Wüste liegen und diese Leute hält man dann für sehr heilig. Aber zu Papst Benedikts Zeiten ließ der Sultan in der Wüste sehr teure Zisternen anlegen, wo immer man das machen konnte. Wenn die Heiden nach Mekka kommen, so verrichten sie sehr locker ihre Beichte und gehen dann in den Tempel Magomets beten und bringen ihre Opfer dar und wenn sie dann wieder heim wollen, dann wirft jeder einen Stein gegen den Tempel zum Zeichen dafür, dass sie alle ihre Sünden von sich werfen und den Teufel dort steinigen; und dann fahren sie in sehr großer Freude wieder heim und es kümmert sie dann nicht, wann sie sterben und wer dort gewesen ist, dessen rühmt sich sein ganzes Geschlecht. Weiter sagen sie, dass der Tempel, in dem Magomet begraben liegt, das erste Haus wäre, das je Menschenhände gebaut hätten. Und in dem Haus hat Adam gewohnt, aber von Magomets Leichnam sieht man da nichts. Aber an dem Gewölbe sieht man wohl ein goldenes Gewand hängen, aber was da drin ist weiß keiner. Aber alle Bücher der Christen über See halten fest, dass ihn zuletzt bei seinem Ende die Schweine zerrissen haben. Viele Pilger, die zu Mekka in dem Tempel gewesen sind, sind so inbrünstig, dass sie danach keine irdischen Dinge mehr sehen wollen. Und es gibt dort besondere Häuser, in denen ihnen da unverzüglich geholfen wird, dass sie danach niemals mehr sehen können und diese Pilger gehen dann mit Hunden in den Ländern betteln und ihnen wird dann sehr viel gespendet.

Auch die Heiden ziehen nach Art der Pilger zum Tempel nach Jerusalem, den sie Felsen nennen,72 und wenn sie dort hinwollen, dann sprechen sie: »Wir wollen zum heiligen Felsen nach Jerusalem ziehen«, denn in dem Tempel befindet sich ein kleiner Steinhügel, der mit Eisengittern kunstfertig eingefasst ist. Bei diesem Stein schlief Jakob und dort stand eine Leiter, die in den Himmel führte, auf der die Engel hoch- und niederstiegen und da rang Jakob mit dem Engel,73 und auf eben diesem Stein opferte Melchisedech Brot und Wein.74 Und auf demselben

72 Gemeint ist der Tempelberg in Jerusalem, auf dem die Al-Aqsa-Moschee und der Felsendom stehen. 73 Genesis 32, 23–33. 74 Genesis 14, 18–20.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Und up der selver rotschen stont der engel do David unsen heren got hadde ertzurnt und wisscheide100 syn swert do hie dat volck neder had geslaegen und up deser rotschen so wart unse here in den tempel geoffert und Symon nam in do in syne armen. Und up der rotschen verbrante dat vur van dem hemel dat offer und up deser rotschen sas unse here ind leirde de ioden do in Maria ind Ioseph hatten verloren und up deser rotschen wart Marien geoffert. Ind alze vil wonders hait got van alders myt deser rotschen gedain myt synre gotheit und myt synre mynsheit ind in dem tempel da de schrifft ave spricht. Und dar umb heisschent de heiden den tempel zo der heilger steynrotschen und socken den van verren landen. Ind de ioden hant auch den tempel in alze groisser eren mer de heiden hant den tempel nu under sich und en laissent w”ed #er krysten noch ioden dar yn gain und sy geint selver altzyt barvois in den tempel und hant dat in alze groisser eren.

Vort wilt eyn krysten heiden werden da en twinget in neman zo

mer off eyn vrumers heiden wilt werden den brenget man vur eren busschoff de heist Cady. So vraget der busschoff den krysten off hie dat wille doin umb mystroiste off umb gave und bericht in alles dinges und off hie sich bas wille beraden. Und wilt der krysten dan vort varen101 hie en wille noch en moge neman syne ee weygeren und setzent dan den krysten up eyn cameil da louft eyn kneicht by und roufft dat alle lude got gebenedyden unde synen boden Magomet want de krysten war sy koment van verren landen und have sich gegeven in ere heilge ee. Und dat vol voirt dan der krysten up dem cameil und dan so brengent sy den krysten in eyn kalt bat in eyn huys ind wesschent in und doint eme ander cleyder an und setzent eme eynnen hammonien up dat houft und haldent in [129r] vort vur eynen heiden mer so is hie da so unwert als eyn iode de krysten is worden und sy en gelouvent eme nummer wale und ouch en geven sy eme neit eynen drunck wassers hie en kunde in wail verdenen.

100 A wonschet 101 A so spruch der buschof sich wat du does ich

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Stein stand der Engel, als David unsern Herrgott erzürnt hatte und steckte sein Schwert zurück in die Scheide,75 nachdem er das Volk niedergeschlagen hatte und auf diesem Stein wurde unser Herr im Tempel geopfert,76 und Simeon nahm ihn dort in seine Arme.77 Und auf dem Stein verbrannte das Feuer vom Himmel das Opfer und auf diesem Stein saß unser Herr und lehrte die Juden, als Maria und Josef ihn verloren hatten,78 und auf diesem Stein wurde von Maria geopfert. Gott hat von alters her sehr viele Wunder mit diesem Stein gewirkt mit seiner Gottheit und mit seiner Menschheit und in dem Tempel, von dem die Schrift spricht. Und darum nennen die Heiden den Tempel »zu dem heiligen Felsen« und suchen ihn von fernen Ländern auf. Auch die Juden halten den Tempel in sehr großen Ehren, aber die Heiden haben den Tempel jetzt unter ihrer Herrschaft und lassen weder Christen noch Juden dort hineingehen und sie selber gehen stets barfuß in den Tempel und tun das in sehr großer Ehrfurcht.

Wenn ein Christ Heide werden will, dazu zwingt ihn niemand, aber wenn ein Rechtgläubiger Heide werden will, den bringt man vor ihren Bischof, der Kadi heißt. Dann fragt der Bischof den Christen, ob er das aus Enttäuschung oder um des Geldes willen tun wolle und unterrichtet ihn über alles und ob er sich besser beraten will. Und will der Christ dann weitermachen, dann will und kann niemand seinen Entschluss verweigern und sie setzen dann den Christen auf ein Kamel, neben dem ein Knecht läuft und ruft, dass alle Leute Gott lobpreisen und seinen Boten Magomet, weil die Christen, woher aus fernen Ländern sie kommen, sich in ihre heilige Ordnung gegeben haben. Und das führt dann der Christ auf dem Kamel aus und dann bringen sie den Christen zu einem kalten Bad in ein Haus und waschen ihn und ziehen ihm andere Kleidung an und setzen ihm einen Turban auf das Haupt und erkennen ihn fortan als Heiden an; aber er wird da so wenig geschätzt wie ein Jude von den Christen und sie glauben ihm niemals und geben ihm auch keinen Trunk Wassers, wenn er ihn sich nicht wirklich verdient.

75 76 77 78

1 Chronik 21, 27. Lukas 2, 22–24. Lukas 2, 25–29. Lukas 2, 41–52.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort krysten moniche canoniche und paffen mogen singen und

lesen in eren kirchen so we sy willent mer sy en moissen neit pretgen den heiden. // Vort de ioden de under den heiden wonnent de en sint neit also wert als de krysten. // Vort komenschaff de in des soldains lant kompt myt schiffen off myt geleiden de en mogen sy neit verkouffen man en schryve eirst dem soldain wat komenschaff sy haven und wes in dan aff lust dat sendet man eme und vercouft dat ander. Mer de couflude cost ind arbeit wirt in dan alze wail belaicht und de couflude geint und rident alze stoultz myt cleideren ind myt cleynnode. Mer alze sere is dat bewart102 dat neman en kan komen uss dem lande ain urloff da lanck aff were zo sprechen. // Vort wanne eynich conick off here sin ”boiden#103 sendet an den soldain off wan eynich grois koufman dar kumpt dem doint des soldains ampt lude alze schoin pert myt gulden gereide und intfangent den altz eirlichen und sendent de altze eirlichen an den soldain. Da louft dan eyn kneicht by ind rouft dat mallich got love und Magomet dat sy also eirligen heren haven und doint groisse crysten coninge ere boden senden und darzo groisse vursten zo in komen. Vort de krysten moissen geynnen wyn offenbair veil haven in den steden mer vurberen104 de sint da wail offenbair veil de sint alze cleynne ind gyel. // Vort sint da altze reynliche tavernen da man goit wasser vercouft als hie guden wyn. Ind we dan dat beste wasser hait dar koment de lude alre meist und in den tavernen steint silveren standen vol wassers da loufft dat wasser uss cleynnen silveren piffen [129v]. Und de standen sint gehangen und de tavernen bestreuwet myt manicher hande cruyt und da ligent dan de heiden und singent und sint alze vrolichen und da sint dan alze vil erberen105 und ”…#106 winters ind somers veile107 und al ir sanck is van springenden burnen als hie van der mynnen und dan laissent sy hoelen alze heirlichen spysse. Ind boden tavernen sint ungemach vur dat wasser ”…#108 und is dan da eman de kyvent wilt so en budet eme der ander van des soldains wegen dat hie have syn gemach. So en dar neman me sprechen eyn wort want hie hed groiss ” pyne#109 gebrochen. // Vort alle herbergen da 102 Mhd. bewarten swv., in Acht haben 103 Ersetzt nach A. 104 A wynbern 105 A erben, vermutlich sind mit erberen, mhd. ertberen, Erdbeeren gemeint. 106 merck, getilgt (unklar) 107 A veile fehlt. 108 ind geint getilgt. A indgeynt (hingegen?) 109 Ergänzt nach A.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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In ihren Kirchen können Christen, Mönche, Kanoniker und Pfaffen singen und lesen wie sie wollen, aber sie dürfen den Heiden nicht predigen. Die Juden, die unter den Heiden wohnen, werden nicht so sehr geschätzt wie die Christen. Handelsgut, das mit Schiffen oder mit Geleit in das Land des Sultans gebracht wird dürfen sie nicht verkaufen, wenn sie nicht zuvor dem Sultan geschrieben haben, welche Handelsgüter sie haben;79 und wonach es ihn dann verlangt, das sendet man ihm und verkauft das andere. Aber die Kosten und Mühe der Kaufleute werden ihnen sehr wohl entlohnt und die Kaufleute gehen und reiten mit Kleidung und mit Zierrat sehr stolz einher. Aber man hat sehr stark darauf Acht, dass niemand ohne Erlaubnis aus dem Lande kommen kann, worüber viel zu sagen wäre. Wenn ein König oder Herr seine Boten zum Sultan entsendet oder wenn ein großer Kaufmann dorthin kommt, geben die Amtsleute des Sultans dem ein sehr schönes Pferd mit goldenem Zaumzeug und empfangen ihn sehr ehrenvoll und bringen alle sehr ehrerbietig zum Sultan. Da läuft dann ein Knecht nebenher und ruft, dass jeder Mann Gott und Magomet preise, dass sie einen so ehrenhaften Herrn haben und dass große Könige der Christen ihre Boten aussenden und überdies große Fürsten zu ihnen kommen. Die Christen dürfen in den Städten keinen Wein öffentlich feilhalten, aber Weintrauben stehen da wohl öffentlich zum Verkauf, sie sind sehr klein und gelb. Weiterhin gibt es da sehr reinliche Tavernen, in denen man gutes Wasser verkauft wie hier guten Wein. Und wer dann das beste Wasser hat, zu dem kommen die meisten Leute und in den Tavernen stehen mit Wasser gefüllte silberne Gefäße, aus denen Wasser aus kleinen silbernen Röhren läuft. Die Gefäße sind aufgehängt und die Tavernen bestreut man mit vielerlei Grün und dort liegen dann die Heiden, singen und sind sehr fröhlich; und dort werden dann sehr viele Erdbeeren im Sommer und im Winter feilgehalten und ihre Gesänge handeln von sprudelnden Quellen wie hier von der Minne und dann lassen sie sehr herrliche Speisen bringen. Und üble Tavernen sind unangebracht für (den Ausschank von) Wasser und gibt es dort jemanden, der Streit sucht, dann gebietet ihm der andere im Namen des Sultans, dass er Ruhe geben möge. Dann darf niemand mehr ein Wort sprechen, denn er hätte sonst eine große Straftat begangen.

79 Die Prozedur der Einfuhr von Gütern und die Kontrolle der Reisenden in Alexandria schildert ausführlich der Pilgerbericht des Arnold von Harff, vgl. Groote, Pilgerfahrt, S. 76f., Brall-Tuchel, Reichert, Rom, Jerusalem, Santiago, S. 105.

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Der Niederrheinische Orientbericht

op dem lande sint wail lustich mer da en is gein gemach und da is alze wal zessen und zo drincken und de heren moyssen bedgewant ind gereitschaff myt yn brengen und voeren want de lude geint ind rident des nachtes me dan des dages umb der groisser hitzden willen van der sunnen.

Vort de gemeyn cleider in dem lande de sint van wyssen doiche

alze reynlich und sint lanck bis op de voisse und sint wyt und hant lange wyde mauwen over de hende. Mer de edel heren ind riddere de hant alsulche lange wyde cleidere da geint boeve baren van goulde durch besat myt edelen steynnen altze costlich und der vrauwen cleide sint van syden off van gulden gewande altze costlich und malent de nale up den henden roit und en hant neit dan eyn vlechte up dem houfde de bewindent sy alze costliche und bindent eyn doich vur den munt und eyn vur dat vurhouft dat is alze costliche dat man in neit en suyt dan de ougen. // Vort alle lude de in den steden wonnent de sint altze wyse riche couflude und gevent ere almusse altzyt armen krysten ind heiden. // Vort de krysten ind de heiden de in den steden wonnent de verdragent [130r] wale ind mallich en beweirt110 sich neit myt dem anderen myt syme gelouven want dat gerichte is da alze hart und strenge. // Vort de gemeyn lude de up den dorpen wonnent de haldent ouch ir dinck altze reynlich mer sy sint altze dol ind unwissende und en wissent van geynnen dingen zo sagen dan als sy horent ind lerent van eren alderen want sy en hant pretger noch preister und wa sy geint da haldent sy de hende up den rugge.

Vort na der geburt uns heren MCCCXLI iair do bestonden dat grois-

se sterven in der heidenschaff und da en storven gein krysten dan allet heiden und Turcken. Do drogen de heiden ind Turcken over eyn sy wolden krysten werden up dat sy neit en storven. Und da begunten de krysten do ouch myt zo sterven und do quamen des soldains kneichte uss India und sprachen dat dat sterven dry iair hed gewert in India und dat dirde deil en were da neit leventichen bleven und do bleven de heiden und de Turcken als sy waren. Und da storven do wail dusent lude da zeirst eyn sta”r#f111. Vort van anderen steden ind wesen der heiden da were vil aff zo sprechen und al ir ee ind ouch hant alle heren un”d# Capittel dat beschreven. 110 Mhd. bewerren, bewirren stv., in Verwirrung bringen 111 Ergänzt nach A.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Alle Herbergen dort auf dem Lande sind wohl angenehm, aber es gibt da keine Ruhe, und es gibt da sehr gut zu essen und zu trinken und die Herren müssen Bettzeug und Gerätschaft mit sich führen, denn die Leute gehen und reiten aufgrund der großen Sonnenhitze mehr während der Nacht als tagsüber.

Die üblichen Kleider in dem Land sind aus weißem Tuch, sehr sauber und lang bis zu den Füßen und sie sind weit und haben lange, weite Ärmel bis über die Hände. Doch die edlen Herren und Ritter, die tragen solch lange weite Kleidung, oben durchzogen mit goldenen Streifen, mit Edelsteinen sehr kostbar besetzt und die Kleider der Frauen sind aus Seide oder sehr kostbar aus goldenem Gewand und sie malen sich die Nägel auf den Händen rot und haben nur einen Zopf auf dem Haupt, den flechten sie sehr aufwändig und binden ein Tuch vor den Mund und ein Tuch vor die Stirn, das ist sehr erlesen, so dass man von ihnen nicht mehr sieht als die Augen. Alle Leute, die in den Städten leben, sind sehr weise, reiche Kaufleute und geben armen Christen und Heiden stets Almosen. Die Christen und die Heiden, die in den Städten wohnen, vertragen sich sehr gut und keiner gerät mit dem andern in Konflikt wegen seines Glaubens, denn die Rechtsprechung ist dort sehr hart und streng. Die gemeinen Leute, die auf den Dörfern wohnen, die halten ihre Angelegenheiten auch sehr in Ordnung, aber sie sind sehr beschränkt und unwissend und wissen von nichts anderem zu berichten als davon, was sie hören und von ihren Vorfahren lernen, denn sie haben weder Prediger noch Priester und wohin sie gehen, da halten sie die Hände auf dem Rücken.

Im Jahr 1341 nach der Geburt unseres Herrn, da begann das große Sterben unter der Heidenschaft und da starben keine Christen, sondern nur Heiden und Türken. Da beschlossen die Heiden und die Türken untereinander, dass sie Christen werden wollten, damit sie nicht stürben. Doch begannen die Christen dort auch zu sterben, und da kamen die Knechte des Sultans aus Indien und sagten, dass das Sterben in Indien drei Jahre lang gedauert habe und dass dort nicht ein Drittel am Leben geblieben wäre und da blieben die Heiden und Türken, wo sie waren. Und da starben wohl tausend Leute, wo zuerst einer starb. Von anderen Städten und Sitten der Heiden gäbe es viel zu erzählen, von ihrer ganzen Lebensordnung und alle Herren und Konvente haben diese aufgezeichnet.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort we eyn here is deser heiden de heist da Melech und heist in

anderen landen soldain und wa hie wont dat heist Babilonia als wa der pais is dat heist Roma und hait under eme dat lant van Egipten und dat lant Suria und dat lant Syrien Arabien Philisteam und Galileam und alle de stede de da ynne sint. // Vort hait der soldain under eme den conick van Damasco und den conick van Gazara de en ervet neit mer hie setzet wen hie wilt ”ind wannee he  [wilt#112 und do Akers wart gewonnen do starff der soldain der dat wan de heisch Melech Sapheraff. Do koren de vursten ind de heren eynen anderen soldain den wanschaffensten113 mynschen den sy kunden vinden [130v] und umb eren spot. Den zogen do zo in de vursten und de heren und alre mallich wolde in by eme haven do vorgeingen da alle de lant und neman en beheilte in steden noch in dorppen pilgarine noch couflude. Do lachte sich der soldain in gerichte myt hulpen des gemeynnen volcks und richde we clagen wolde ind leis zo dem eirsten synen eigen sun hauwen in zwei stucken und dar na alle de heren und de vursten de gerouft hatten dar umb veil al dat lant myt eme zo und wart der meyste soldain114 de ey soldain had gewest.

Vort dis soldain was eyn hesselich mynsche van lyve und was kurt

und dicke und hatte eyn alze grois houft und eyn crumme nase und eynen kurten hals und groisse ougen und was scheiff ind geinck krum und was lam also dat eme de hant by der syden heinck beneden de kneen und syn name was Melech Mesor und also wanschaffen als hie was buyssen an me lyve noch wunderlich was hie van dugden und wysheit van en bynnen. Und syne wapen115 waren neit so riche na synre groisser heirschaff und sy waren van wyssen syden doiche. Da geingen durch baren van goulde de waren all umb besat myt edelen steynnen manicherhande wys und sin hamonie116 und sin doich dat hie umb sin houft droich dat was usser maissen cleynne ind subtyl und van cleynnen siden und van gulden gewande gemacht. // Vort wanne hie perlement hadde myt heren de zo eme waren gesant so was sin kamer ind sin wapen und al

112 Ergänzt nach A. 113 Mhd. wânschaffen, deformiert, monströs 114 A here 115 A cleyder 116 A hamone, B kennt die Varianten hamema, hammonie, hamonie (Kopfbedeckung, Turban).

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Die Herrschaft des Sultans Wer von diesen Heiden ein Herrscher ist heißt dort Melech und in anderen Ländern Sultan und sein Wohnsitz heißt Babylon, so wie es Rom heißt, wo der Papst ist und er hat das Land Ägypten, das Land Suria und das Land Syrien, Arabien, Philistea und Galilea und alle Städte, die in ihnen liegen, unter sich. Weiter herrscht der Sultan über den König von Damaskus und den König von Gaza, der nicht erbberechtigt ist; doch setzt er ein, wen er will und als Akko erobert wurde, da starb der Sultan, der es erobert hatte, der hieß Melech Sapheraff.80 Da wählten die Fürsten und die Herren einen anderen Sultan, den ungeschlachtesten Menschen, den sie finden konnten und zwar zu ihrer Belustigung. Den zogen da die Fürsten und Herren auf ihre Seite und jeder von ihnen wollte ihn für sich gewinnen; da ging es dann mit allen Ländern nieder und es kamen keine Pilger und Kaufleute in die Städte und Dörfer. Da strengte der Sultan mit Hilfe des gemeinen Volks Gerichtsverfahren an und sprach Recht, wer immer klagen wollte und ließ zuerst seinen eigenen Sohn in zwei Stücke hauen und danach all diejenigen Herren und Fürsten, die geraubt hatten; dadurch fiel ihm das ganze Land zu und er wurde der mächtigste Herrscher, der je Sultan gewesen ist.

Dieser Sultan war von seinem Leibe her ein hässlicher Mensch, er war kurz und dick und hatte ein sehr großes Haupt und eine krumme Nase, einen kurzen Hals und große Augen, er war schief und ging krumm und war lahm, so dass ihm die Hand an der Seite neben den Knien hing und sein Name war Melech Mesor81 und wie ungeschlacht er außen an seinem Leib war, so erstaunlich war er an Tugenden und an Weisheit nach innen. Und seine Kleider entsprachen nicht der Bedeutung seiner Herrschaft und waren aus weißem Seidentuch. Sie waren mit Streifen von Gold durchwirkt, die waren rundum mit mancherlei Edelsteinen besetzt und sein Turban und sein Tuch, das er um sein Haupt trug, war außerordentlich klein und fein und aus dünner Seide und aus goldenem Gewand gemacht. Wenn er Unterredungen mit Herren führte, die zu ihm gesandt worden waren, dann waren seine Kammer, seine Waffen und alle Waffen, die um ihn herumstanden, so prächtig und so kostbar an Gold und Edelsteinen, dass einem die Worte fehlen.

80 Al-Malik al-Aschraf, Mamlukensultan von 1290–1293. 81 An-Nāsir Muhammad ibn Qalāwūn, von 1293–1341 mit Unterbrechungen, seit 1310 durchgängig Sultan des ägyptischen Mamlukenreiches. Zu seiner Regierungszeit, seiner Hofhaltung und seiner Einstellung zu den Religionsgruppen vgl. Gustav Weil, Geschichte der ismaelitischen Völker von Mohammed bis zur Zeit des Sultan Selim, Stuttgart 1868, S. 384ff.

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de wapen de umb yn stonden so riche ind so costlich van goulde und van edelen steynnen dat da neit aff zo ”sp#rechen en is. // Vort wilche vurste off here zo eme quam wa hie sas de moiste drywerff neder vallen ind kuyssen de erde vur synen voissen und stain so lange vur eme up den kneyn bis hie in heisch weder up stain. // Vort des Soldains pallais was in der stat zo Alkair und lach up eynre steynrotschen [131r] de en was neit ho und up der selver stede da wonde Pharo da Moyses ind Aron de zeichen daden da man in der bibelen aff list. // Vort was der soldain altze cleynlich van essen ind van drincken117 und selden sleiff hie. Dan wan eme eyn slaiff quam dat were dages off nachtes so lachte hie sich ewenich neder. ”V#ort wanne hie groissen hoff hadde dan plach hie zo essen myt synen coningen vursten ind heren busschoven und prelaten und riddere118 und dan satte man mallich na synre wys sunderlingen und mallich hatte sin sunderlinge koche. Und syn pallais und sin sal was da manicherhande wyse getzeirt van gouldde ind van sylvere und was altze costlich gewolft ind gemailt van der materien so we Ioseph wart vercouft und we Iacob quam in Egipten und so we Moyses und Aron de zeichen da daden und voirten dat volck van Israhel durch dat Rode Mer. // Vort was der sal en buyssen gemailt myt alle der materien van conick Allexander und so hadde der soldain alle coninge vursten und heren myt eme gecleit und dan sin sun de na eme soldain solde werden de hatte dan ouch altze vil heren ind riddere myt eme gecleit myt manicherhande gulden gewande dat dar zo sunderlingen was geholt und gemacht und dat en dragen sy dan neit lange.

Vort des soldains meiste hoff de leiff119 sich by sent Margreten

dach. So quamen dan alle vursten heren ridder120 und couflude krysten und heiden und alle lude quamen dan zo deme hoeve und alre mallich121 quam so hie richste und schoinste kunde und dar quamen dan alle wonderliche seltzen dere und vogel de up erden waren. Da sach man dan manicherhande wonderlichen seltzen mynschen und dere ind vogel de na manicher lant wysen waren geleirt mallich sunderlinge kunst und so sach man da manichen richen schonen pauwelun de de heren hatten up geslagen und de da veil quamen und ouch sach man da [131v]

117 A as yemant anders 118 A ind knechte 119 A die was allewege by sent margreten daghe, B leiff, unklar 120 A knechte 121 A na synre stait

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Welcher Fürst oder Herr zu ihm kam, der musste drei Mal niederfallen und die Erde, wo er saß, vor seinen Füßen küssen und so lange vor ihm auf den Knien bleiben, bis er ihn aufforderte, wieder aufzustehen. Der Palast des Sultans war in der Stadt Kairo auf einem Felsen, der nicht sehr hoch und an derselben Stelle war,82 an welcher der Pharao wohnte als Moses und Aaron die Wunder wirkten, von denen man in der Bibel liest. Weiterhin war der Sultan sehr mäßig im Essen und im Trinken und er schlief wenig. Wenn ihn der Schlaf ankam, sei es am Tag oder bei Nacht, dann legte er sich kurz nieder. Wenn er großen Hof hielt, dann pflegte er mit seinen Königen und Fürsten, Herren, Bischöfen, Prälaten und Rittern zu speisen und dann setzte man jeden nach seinem Rang an seine Stelle und jeder hatte seine besonderen Köche. Und sein Palast und sein Saal waren da auf vielfältige Weise mit Gold und Silber geschmückt und sehr kunstvoll gewölbt und bemalt mit der Geschichte, wie Joseph verkauft wurde und wie Jakob nach Ägypten kam und wie Moses und Aaron dort Wunder wirkten und das Volk von Israel durch das Rote Meer führten.83 Außen war der Saal mit der gesamten Geschichte von König Alexander bemalt und so hatte der Sultan alle Könige, Fürsten und Herren eingekleidet und auch sein Sohn, der nach ihm Sultan werden sollte, hatte dann auch sehr viele Herren und Ritter mit mancherlei goldenem Gewand eingekleidet, das eigens dazu geholt und angefertigt wurde und das tragen sie dann nicht lange.

Die Hofhaltung des Sultans Der größte Hoftag des Sultans versammelte sich auf dem St. Margaretentag.84 Da kamen dann alle Fürsten, Herren, Ritter und Kaufleute, Christen und Heiden und alle Leute zum Hoftag und jeder kam, wie er es am prächtigsten und schönsten konnte und dorthin kamen dann alle wunderbaren, seltsamen Tiere und Vögel, die auf der Welt waren. Da sah man dann mancherlei wunderbare, seltsame Menschen, Tiere und Vögel, die nach jeweiliger Landessitte abgerichtet waren, alle in einer besonderen Kunst und man sah dort manchen prächtigen, schönen Pavillon, den die Herren aufgeschlagen hatten, von denen es viele gab und man sah dort auch allerlei reiches, seltsames Handelsgut aus allen Ländern der Welt und alle Dinge,

82 Eine ausführliche Beschreibung der Residenz des Sultans liefert Arnold von Harff, vgl. Groote, Pilgerfahrt, S. 89f., Brall-Tuchel, Reichert, Rom, Jerusalem, Santiago, S. 115ff. 83 Die Angaben über diese Wandmalereien in der Zitadelle von Kairo sind nicht sehr glaubwürdig. 84 Die heilige Margarete von Antiochien, Gedenktag am 13. Juli, heute am 20. Juli, in der orthodoxen Kirche am 17. Juli.

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manicher hande riche seltzen komenschaff van allen landen in der werelt und van allen dingen des eyn mynsche gedencken mach de up de zyt sunderlingen worden gehalden. Und dan sach man da manich schoin rich cleynnoit de dem soldain da worden gesant.

Vort wanne dese vursten und heren alsus zo hoeve quamen de brach-

ten mallich myt yn ere costliche silveren ind gulden vas und synen eygen koch. Dem gaff man dan wilt und zam also vil als hie des nemen wolde und kochde dat na sins heren wille und lust und yeckerlich koch brachte syn kneichte und syn vas und sin gereitschaff myt eme ye eyn besser dan der ander und alle lude quamen ye eyn stoltzer ind richer dan der ander zo hoeve und alle vursten und heren brachten myt in ere hunde und valcken und lebarde und wat seltzent hadden van luden van vogelen und van deren und wat mallich seltzentz hadde van cleynnode. // Vort wanne dis hoff zo vespertzyt solde sin so quamen alle den dach krysten ioden ind heiden van allen zungen de in der werelt sint und sungen ere eyn na dem anderen eynnen sanck und loff van gode und van dem soldain und stonden vur dem pallase da hoirte man manchen wonderlichen sanck. Und wanne eyn partie gesanck so swegen de anderen und alle de lude do antwerde der Soldain ind danckede gode dat hie eme de ere hatte gegeven und bat sy alle dat sy got vur in beden. // Vort wanne dat man da essen ginck so sloich man up de taburen ind de basunen cleynne und grois der was da also vil dat neman dem anderen zo en kunde gesprechen. So quam dan der soldain alze heirlichen und sine zoldener geingen alle vur eme myt wapen van goulde und wanne der soldain unde ander

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die ein Mensch sich vorstellen kann, die zu dieser Zeit besonders geschätzt wurden. Und dann sah man da alle schönen, kostbaren Kleinodien, die dem Sultan dahin gesandt worden waren.

Wenn diese Fürsten und Herren solcherart zum Hoftag kamen, brachten alle kostbares Silber- und Goldgeschirr und ihren eigenen Koch mit. Dem gab man dann Fleisch, wild und zahm, so viel, wie er nehmen wollte und das bereitete er nach dem Willen und dem Geschmack seines Herren zu; und jeder Koch brachte seine Knechte und sein Geschirr und seine Gerätschaften mit sich, einer besser als der andere und alle Leute, einer stolzer und prächtiger als der andere, kamen zu Hofe und alle Fürsten und Herren brachten ihre Hunde, Falken, Leoparden und was sie an seltsamen Leuten, Vögeln und Tieren hatten mit und das, was jeder an seltsamen Kleinodien hatte. Wenn dieser Hoftag zur Vesperzeit angesetzt war, dann kamen den ganzen Tag Christen, Juden und Heiden aller Sprachen der Welt und sangen nacheinander einen Lobgesang auf Gott und auf den Sultan und standen vor dem Palast, wo man manchen wunderbaren Gesang hörte. Und wenn eine Gruppe sang, so schwiegen die anderen und alle Leute; darauf antwortete der Sultan und dankte Gott, dass er ihm die Ehre erwiesen hatte und bat sie alle, dass sie bei Gott für ihn beteten. Wenn man da zum Essen ging, dann schlug man auf die Tamburine und blies in die kleinen und großen Posaunen, von denen es da so viele gab, dass niemand mit dem anderen mehr sprechen konnte. Sodann zog der Sultan sehr herrschaftlich ein

Abb. 10: Der Sultan in Kairo (Hs. 268 Maria Laach)

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vursten ind heren in dem sale zo samen quamen dan was vur dem sale gedeck eyn lange taiffel de stonde vol becken van goulde und van [132r] silver. So gaff man den vursten unde den heren wasser und wanne der soldain sitzen ginck so hinck hie an synen haltz eyn lange rye van edelen steynnen und yeckerlich stein had an eme sunderlinge dugt ind macht und had vur der burst eynen Smaragdus also breit als eyn hant und al sin cleit was besat myt edelen steynnen.

Vort syne taiffel was dryer schrede122 hoer dan de anderen ind int-

gain synre taiffelen was dan eyn ander taiffel da stonden up deiffe vas van goulde vol wasser. Ind in dem wasser stonden gelaser da was wasser ynne als hie drincken wolde. Vort by der anderen syden des soldains sas der conick van Damasco und by der anderen syden sas der conick van Gazara mer de saissen eynnen grait nederre dan der soldain und tusschen den coningen sas dan der elste sun der na eme soldain solde werden und dan der heidensche busschoff. Sin cleidunge was dunckel blae und gra be”r#itte123 up deme houfde. Vort neist synre taiffelen saissen de vursten und heren und de eldesten de da waren und intgain der taiffelen saissen dan de vremde heren und legaten de zo dem soldain waren gesant und de den hoff wolden besein und alle lude saissen da na na eren werde. Ind dan zo eynre taiffelen saissen krysten riddere und couflude. // Vort so brachte der meiste vurste dem soldain zessen in alze groissen gulden vassen und satte de vur den soldain up de taiffel. So wyste hie dan so wat hie essen wolde so namen sy de vas weder und satten de up eyn ander taiffel und sneit eme dan wat hie wolde und in hatte gewyst und wat eme dan gesneden was dat lachte hie dan up dat broit und dat broit dan vort vur in yn eyn cleyn gulden platele. Da na”m# hie dan van dem vleissche dat man eme brachte und warp dat ander weder in dat gulden platele dan dede man eme credencie der gene de de [132v] spyse brachte und wat dan in dem vasse me bleiff dat aissen de gene de by der taiffelen stonden und warden.

122 A grede 123 Ergänzt nach A.

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und seine Söldner85 gingen alle vor ihm in Waffen aus Gold und wenn der Sultan und andere Fürsten und Herren in dem Saal zusammenkamen, dann war vor dem Saal eine lange Tafel voll mit Becken aus Gold und Silber gedeckt. Man gab den Fürsten und den Herren Wasser und wenn der Sultan seinen Platz einnahm, dann hing an seinem Hals eine lange Reihe von Edelsteinen und jeder Stein barg eine besondere Tugend und Kraft in sich; und vor der Brust trug er einen Smaragd, so breit wie eine Hand, und sein Gewand war mit Edelsteinen besetzt. Seine Tafel war drei Stufen höher als die der anderen und seiner Tafel gegenüber war dann eine weitere Tafel, auf der tiefe Goldbecken voll Wassers standen. Und in dem Wasser standen Gläser, in denen das Wasser war, wenn er trinken wollte. Auf der anderen Seite des Sultans saß der König von Damaskus86 und auf der anderen Seite saß der König von Gaza, aber diese saßen eine Stufe tiefer als der Sultan; und zwischen den Königen saß dann der älteste Sohn, der nach ihm Sultan werden sollte, und dann der heidnische Bischof. Seine Kleidung war dunkelblau und er trug ein graues Birett auf dem Haupt. Nächst seiner Tafel saßen die Fürsten und Herren und die Ältesten, die da waren und der Tafel gegenüber saßen; dahinter saßen die fremden Herren und Legaten, die zum Sultan gesandt worden waren und die den Hof besichtigen wollten und alle Leute saßen da ihrem Rang entsprechend. Und dahinter saßen an einer Tafel Christen, Ritter und Kaufleute. Der mächtigste Fürst brachte dem Sultan das Essen in sehr großem goldenen Geschirr und setzte das vor den Sultan auf die Tafel. Der zeigte dann, was er essen wollte; da nahmen sie das Geschirr wieder und setzen das auf eine andere Tafel und schnitten ihm dann, was er wollte und ihnen gezeigt hatte; und was für ihn dann geschnitten wurde, das legte er dann auf das Brot und das Brot dann weiter vor ihn auf eine kleine goldene Platte. Da nahm er dann von dem Fleisch, das man ihm brachte und warf das andere wieder auf die goldene Platte; dann legte ihm derjenige vor, der die Speise brachte und was dann auf dem Geschirr übrigblieb, das aßen diejenigen, die bei der Tafel standen und aufwarteten.

85 Mit dem Begriff Söldner (zolderer) sind die Mamluken, die Leibgarde des Sultans aus sog. Militärsklaven gemeint, die entscheidend am Untergang der christlichen Kreuzfahrerstaaten in Palästina und der Rückdrängung der Mongolen aus Ägypten beteiligt waren. 86 RM nehmen an, dass es sich dabei um die Gouverneure von Syrien, Seif al-Din Tengiz (1312– 1340) und Altunbogha in Abulestan handeln könnte (S. 38, Fn. 5).

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Vort de ander coninge vursten und heren busschove und ridder124 de-

ner de dar zo waren gesat de geingen in ere eigen kuchen myt alze schonnen costlichen vassen und hoelden mallich syme heren wat eme was bereit erer eyn na dem anderen myt gemache. // Vort alle dranck de da was dat was puyr kalt wasser mer dat was alze goit ind gesunt und dat dranck man uss altze schonen vassen van manicher hande formen de mallich myt eme dar brachte hadde mer der soldain dranck uss eyme gelase dat was alze costlich.

Vort hatte der soldain vur eme up der taiffelen cleynne schuttelen

de waren van eyme eyre125 de was groene wat man eme vur brachte van essen off van drincken ye dede man da aff in dat vas und was dan eit vergifnisse da ynne so bursten de vas und also gedain vas koment van Indien und we de gilt dem wyget man sy intgain goult. // Vort van a”n#deren zungen und van schonen richen cleynnode de up den taiffelen stonden da were lanck aff zo sprechen.

Vort wan man dat eirste gerichte brachte so waren da meistere

de hatten basunen van goulde de en blesen neit luder dan man moichte gehoren over den sal und dan dar neiste quamen meystere de spil kunden ind hadden van allen zungen und van allen landen und da was manich wonderlich spil ind luyt und al ir spil was van goulde off van silver besat myt steynnen alze costlichen und na den spelen quamen dan man ind wyff de sungen van allen landen ind van allen zungen und erer eyn sanck na dem anderen. Da hoirte man manichen wonderlichen sanck ind man sach da manichen wonderlich cleynnoit van mannen und van wyven uss allen landen. [133r]

Vort wanne dat man de taiffelen up nam so quamen lude de de

tumelen und stritten126 kunden und kouchelen und dantzen und da was dan manich wonderlich dantz ind spil. Und na desen dentzen ind spelen quamen dan alle de wonderliche lude da man aff list van Indien de spilden dan ind sangen mallich na synre wysen und da was dan manich wonderlich seltzen mynsche und127 cleider. Ind dar neist quamen dan lude myt alle den wonderlichen seltzen deren de up der 124 A ind knechte 125 A erze 126 A schricken (aufspingen), B stritten (Scharmützel, Scheinkämpfe?) 127 A ouch manich wonderlich kleit

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Die anderen Könige, Fürsten, Herren, Bischöfe, Ritter und Diener, die daneben saßen, gingen mit sehr schönem kostbaren Geschirr in ihre eigenen Küchen und holten alle für ihre Herren, was ihnen zubereitet worden war, einer nach dem anderen ganz in Ruhe. Einziges Getränk war da pures kaltes Wasser, aber das war sehr gut und gesund und das trank man aus sehr schönen Behältern mit sehr vielfältigen Formen, die jeder dorthin mitgebracht hatte, aber der Sultan trank aus einem Glas, das war sehr erlesen. Vor sich auf der Tafel hatte der Sultan kleine Schüsseln, die waren aus grünem Erz und was man ihm an Essen oder an Trinken vorlegte, das tauchte man da jeweils in den Behälter und war dann ein Gift darin, dann zerbrachen die Behälter und solche Behälter kommen aus Indien und wer die verkauft, dem wiegt man sie in Gold auf. Von anderen Sprachen und von schönen, edlen Kleinodien, die auf den Tafeln standen, könnte man noch lange erzählen.

Wenn man das erste Gericht brachte, gab es da Meister, die Posaunen aus Gold hatten, die sie nicht lauter bliesen als es man im ganzen Saal hören konnte und danach kamen dann Meister der Musik in allen Sprachen und aus allen Ländern und es gab viele wunderbare Spiele und Klänge und all ihre Instrumente waren aus Gold oder aus Silber mit kostbaren Edelsteinen besetzt; und nach der Aufführung kamen dann Männer und Frauen, die sangen Lieder aus allen Ländern und in allen Sprachen und von denen sang einer nach dem anderen. Da hörte man manch wunderbaren Gesang und man sah da viele wunderbare Kleinodien von Männern und Frauen aus allen Ländern.

Wenn man die Tafel aufhob, dann kamen Leute, die springen und kämpfen und närrische Spiele und Tänze aufführen konnten und dann gab es da manch wunderbaren Tanz und Vorstellungen. Und nach diesen Tänzen und Spielen kamen dann all die seltsamen Leute aus Indien, von denen man liest, die spielten dann und sangen jeder nach seiner Weise und da war dann manch wunderlich seltsamer Mensch und manch seltsames Gewand. Danach kamen dann Leute mit all den wunderlichen, seltsamen Tieren, die es auf der Erde gibt und diese zeigten dann auch ihre Kunst, wie ihre Meister es sie gelehrt hatten.

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erden sint und de daden ouch dan ere kunst als sy ere meistere hadden geleirt. // Vort dar neiste stonden up alle vursten ind heren128 und riche couflude ere eyn na dem anderen und brachten ere meistere myt den valcken und myt den hunden. De hatten alze costliche halsbende ind huven und havekens bungen und wysten de dem soldain de sach hie alze gerne. Do vrageden sy den soldain off in des eir luste und nam hie dan eynnen valcken so gaff hie eme also vil weder dat hie genouch hadde. Und do alle dinck alsus waren gedain do vragede der soldain alle de da saissen mallich na syme leve und umb syn wyff und was dan alze vrolich ind gesellich myt in allen und des selven vrageden sy den soldain weder und mallich satte sich dar zo wat hie vragen wolde. Und wanne dat was gedain so gaff man manicher hande edel cruyt ducke ind veil uss alze costlichen vassen und dan so stoint up der soldain ind bat sy alle dat sy got vur in beden und dat sy anderwerff myt leve moisten zo samen komen. Do reit mallich weder war hie wolde und de hoff had gewert echt dage dar man den soldain na willen moichte sprechen.

Vort had der soldain me dan CCC eliger wyff und vil me was der

uneliger wyve van allen landen. De wonden alle sunderlinge in yrme gemache dar na dat mallich was und hie sy ouch leiff hadde. Dar na hatten sy ouch gesinde und dese wyff en sach nummer mynsche [133v] dan wanne alsus hoff was. So saissen sy vur eren vursteren myt anderen vrauwen de in zo gehoirten und de vursten und heren de zo hove quamen de brachten mallich ere vrauwen up rosbaren. Und wanne de vrauwen zo hove quamen so vurdeckde mallich syn antlitze und ir haltz goultz und ir cleynnoit machde dan mallich vur den anderen van goulde ind van edelen steynnen we sy richste ind schoinste konden. Und wanne de vrauwen geingen essen so saissen sy alle up der erden up gulden kussen und alle de erde was altze schone bedeckt myt manicher hande doiche und de taiffelen de da waren da de vrauwen an aissen de waren zwein129 vois hoe boeven der erden den gaff man altze costlichen zessen und alle de vrauwen hatten ouch ere costliche drinckvas und ere schenck myt in bracht nochtan dat des up dem pallais alze vil was. // Vort de vrauwen de dem soldain zo gehoirten de en saissen da neit up der erden mer sy saissen also ho dat man sy sach boven al de 128 A rittere ind kneechte 129 A eyns

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Sodann standen alle Fürsten, Herren und reichen Kaufleute einer nach dem andern auf und holten ihre Meister mit den Falken und mit den Hunden. Die hatten sehr edle Halsbänder und Hauben und Habichtsschellen und sie zeigten diese dem Sultan, der sie sehr gerne anschaute. Da fragten sie den Sultan, ob es ihm nach einem von diesen gelüstete und wenn er dann einen Falken nahm, so gab er ihm so viel dafür zurück, dass er genug hatte. Und als alle Angelegenheiten so erledigt waren, da fragte der Sultan alle, die da saßen, einen jeden nach seinem Leben, nach seiner Frau und dann war er sehr fröhlich und gesellig mit allen und das Gleiche fragten sie den Sultan zurück und jeder setzte sich dazu, der etwas fragen wollte. Und wenn das erledigt war, so reichte man oft und viel allerhand edle Kräuter aus sehr kostbarem Geschirr und dann stand der Sultan auf und bat sie alle, dass sie zu Gott beteten und dass sie nächstes Mal in Eintracht zusammenkommen möchten. Dann ritt jeder zurück, wohin er wollte, und der Hoftag hatte acht Tage lang gedauert, wo man mit dem Sultan über sein Anliegen sprechen konnte.

Die Frauen des Sultans Der Sultan hat mehr als 300 Ehefrauen und noch mehr uneheliche Frauen aus allen Ländern. Die wohnen alle jeweils in ihrem Gemach entsprechend ihrer Stellung und wie lieb er sie hatte. Sie verfügten auch über Gesinde und diese Frauen sah niemals ein Mensch, außer wenn Hoftag war. Hier saßen sie mit anderen Frauen, die zu ihnen gehörten, vor ihren Fenstern und die Fürsten und Herren, die zu Hofe kamen, führten alle ihre Frauen in Sänften mit sich. Und wenn die Frauen an den Hof kamen, dann enthüllte jede ihr Antlitz und zeigte ihren Halsschmuck und ihre Kleinodien aus Gold und Edelsteinen vor den anderen, wie sie dies am besten und am schönsten konnten. Und wenn die Frauen zum Essen gingen, dann saßen sie alle auf goldenen Kissen über dem Boden und der ganze Boden war sehr schön mit allerlei Tüchern bedeckt; und die Tafeln, die dort waren, an denen die Frauen speisten, die waren zwei Fuß hoch über der Erde; und man reichte ihnen sehr köstliche Speisen und alle Frauen hatten ihre kostbaren Trinkgefäße und ihre Schenken mitgebracht, obwohl es von all dem in dem Palast genug gab. Die Frauen allerdings, die dem Sultan angehörten, saßen dort nicht auf dem Boden, sondern sie saßen so hoch, dass man sie über all die Leute hinweg sah.

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lude. Den deinden dan alle de edelsten ind de besten. Dat was dan we man eynen aff got an bedet alsus was ir deinst und eyn eycklich wyff des soldains hatte alle den dach vur ir myt eren vrauwen130 und partien dar na dat mallich was geboren und dan was mallich getzeirt und behangen myt costlichen cleynnoide da were vil aff zo sprechen.

Unde na der geburt uns heren MCCCXLVIII iair up sent Steffains

dach do nam der soldain sin beste elige wyff de was doichter des conyncks van Damasco do was da altze grois hoff dat man yn langer zyt gein wais en kunde vinden in alle dem lande also was it allet zo dem hoeve verbrant. Da geingen alle vrauwen myt bloyssen houfden myt yrme cleynnode we mallich bas kunde und richer vur den anderen und dar moisten komen alle de lude in deme lande krysten ioden und heiden couflude ind pilgarine geistlich und were”l#tlich und yeckerlich moiste dantzen achter der stat. Dar na hatten sich alle lude gecleit so we sy schoinste konden und der hoff werde eynnen maynd [134r] und wanne man de brut vorte van eyme pallaisse zo dem anderen so waren alle de straissen over deckt und behangen myt gulden doichen und vur der brut geingen coninge ind leiten ir ross ind alle heren und vursten gingen vur yr zo voisse. Ind we costlich131 de bruyt ind ir ross waren getzeirt da were lanck aff zo sprechen und na der bruyt volgden de vrauwen alle gainde myt syme richen cleynnoit und da volgden alre leye zungen myt eren getzeirden cleyderen und myt dantzen ind myt spelen. Und da was so grois gedranck dat neman des anderen en konde geschonen so vil spils was vur der bruyt132 dat neman en kunde dem anderen zo gesprechen unde alle straissen stoinden vol roches van edelme gecrude. // Vort dar na volgde der soldain de hatte up syme houfde eynen crantz van loyrberen und vur wat kirchen sy hene zogen133 sy weren krysten heiden off ioden da stoinden de preistere134 ind moniche gegert und sungen und wanne dat der soldain ind de brut intgain de preistere quamen so namen sy ere krentze van eren houfden und negen ” goide#135 und den preisteren und alle lude  [hatten mallich eren eigenen hoff und da plach man mallich sunderlingen na syme seden. 130 A vrunden 131 A ind schone 132 A ind na der bruyt 133 A hovezoigen 134 A ind die paffen 135 Ergänzt nach A.

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Ihnen standen dann die Edelsten und Besten zu Diensten. Das erschien dann so, als ob man einen Abgott anbetet, so war ihr Dienst beschaffen und jede Frau des Sultans erhielt den ganzen Tag mit ihren Frauen und ihrem Gefolge diesen Dienst, jede ihrer Herkunft entsprechend und alle waren geschmückt und behangen mit erlesenen Kleinodien, wovon viel zu erzählen wäre.

Die Hochzeit des Sultans Und im Jahr 1348 nach der Geburt unseres Herrn, am St. Stefanstag,87 heiratete der Sultan seine beste Ehefrau, die die Tochter des Königs von Damaskus war; da hielt man da so groß Hof, dass man für lange Zeit keinen Weizen mehr im ganzen Land finden konnte, so sehr war das alles bei Hofe verbrannt.88 Da gingen alle Frauen mit unbedeckten Häuptern mit ihren Kleinodien so gut wie jede konnte und prächtiger vor den anderen; und dorthin mussten alle die Leute in dem Lande kommen, Christen, Juden, Heiden, Kaufleute und Pilger, Geistliche und Weltliche und ein jeder musste hinter der Stadt tanzen. Dazu hatten sich alle Leute so schön wie möglich gekleidet und der Hoftag währte einen Monat und als man die Braut von einem Palast zu dem andern führte, da waren alle Straßen bedeckt und geschmückt mit goldenen Tüchern und vor der Braut gingen Könige und führten ihr Ross und alle Herren und Fürsten gingen zu Fuß vor ihr. Und wie prächtig die Braut und ihr Ross geschmückt waren, darüber wäre viel zu sagen und der Braut folgten die Frauen nach; alle schritten in ihrem reichen Schmuck einher und ihnen folgten allerlei Völkerscharen mit ihren geschmückten Kleidern und mit Tanz und Spiel. Und da gab es ein so großes Gedränge, dass niemand den anderen unbehelligt lassen konnte, so groß war der Trubel vor der Braut, dass niemand mit einem anderen sprechen konnte und alle Straßen waren erfüllt mit dem Rauch edler Kräuter. Danach folgte der Sultan, der auf seinem Haupt einen Lorbeerkranz trug und vor welche Kirchen sie zogen, seien es die der Christen, Heiden oder Juden, da standen die Priester und Mönche gegürtet und sangen; und wenn der Sultan und die Braut zu den Priestern kamen, dann nahmen sie ihre Kränze von ihren Häuptern und verneigten sich vor Gott und den Priestern und alle Leute hielten ihren eigenen Hof und man nahm sich eines jeden speziell nach seinen Sitten an.

87 Am 26.12. Die Hochzeit zwischen dem Sultan und der Tochter des Statthalters von Damaskus, Seif al-Din Tengiz, hatte bereits ein Jahrzehnt früher stattgefunden. In Anbetracht der detaillierten Beschreibung der Hochzeitszeremonien verwundert der Irrtum bei der Jahresangabe. 88 Die Übersetzung von wais (A ways, B waisse) mit Weizen (statt mit Weise) hält eine Angabe über die mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln im Land infolge der pompösen Hochzeitsfeierlichkeiten des Sultans für wahrscheinlicher als das von RM vorgeschlagene Verständnis der Stelle als Hinweis auf die Einzigartigkeit der Prachtentfaltung (S. 41, Fn. 3 und 4).

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Vort wanne der soldain alsus hoff gehat hadde so hort hie zo hantz

selver rechenschaff alze nauwe van allen luden de”n# ampt bevolen was van allen dingen und so wanne neit hoefs en was so gaff man des Soldains wyven136 vleisch wylde ind zam vur sich und ere iunffrauwen mer dem anderen gesinde van hove dem gaff man zo dem maynde gelt vur ere cost. // Vort de vursten ind heren de vremde waren wanne de zo hoeve quamen de hatten an den voissen schoin van goulde geslagen wanne de van eren perden traden so dede man in ander schoin an van leder und de gulden schoin droich man in na und ere cleydere waren wyt ind lanck van geslagen gulden gewande und alle dat gereide van eren perden und rossen was van goulde und an beiden siden der perde vur an den sedelen [134v] da heingen secke de waren gemacht als netze van golde. Ind in desen secken was dat beste van goulde und van gesteintze dat sy hadden. // Vort de zoldener zo voisse de sint stedelichen up deme pallaisse dages ind nachtes ey eyne partie myt yrme banner. // Vort de zoldener de pert hant de rident alle morgens up dat pallais und haldent da so lange bis der soldain wilt essen gain. So rident sy ind koment zo vespertzyt weder und wilt der soldain dan riden dat dede hie des morgens vro vur dage off des avendes na completen. Vort plach der soldain zweir in dem iair uss zo riden. Dat was in dem mertze und na dem auste wan de cranen ind de vogel over pleint zo strychen. So leist hie dan an dat wasser dat Nylus heist dat durch Egipten vlust zwa off dry myllen lanck boven seen wanne de ryff werdent da ynne blyvent de cranen und de vogel varent in de boven137. So verboit der soldain allen heren vursten ridderen de valcken havent up eynne stunt und wanne der soldain des morgens wolde riden so geingen ind reden alle de lude und zoldener zo vorentz usser der stat und so waren alle huys beslossen also lange bis der soldain heym was. Und do heilden ind stonden alle de zoldener zo perde und zo voisse an beiden syden des weges myt eren wapen ind myt eren swerden gezoegen. So quam der soldain myt synnen helpenderen da waren up gemacht barchfreden de waren gezunt van cleynnen roden und dat eirste helpendeir was verdeckt und de barchfrede was vertzogen myt gelen syden

136 A des morgens 137 A da vairen tzwene ind groisse cranen ind ouch andere voigell

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Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

Amtsführung und höfische Prachtentfaltung Nachdem der Sultan in dieser Weise Hof gehalten hatte, verlangte er selber auf der Stelle ganz genau Rechenschaft von allen Leuten, denen in irgendeiner Hinsicht ein Amt anvertraut war; und wenn kein Hoftag war, dann gab man den Frauen des Sultans Fleisch, wild und zahm, für sie selbst und ihre Jungfrauen, aber dem anderen Gesinde am Hof, dem gab man für den Monat Kostgeld. Wenn die Fürsten und Herren aus der Fremde zum Hoftag kamen, trugen sie an den Füßen goldbeschlagene Schuhe und wenn sie von ihren Pferden stiegen, dann zog man ihnen andere Schuhe aus Leder an und die goldenen Schuhe trug man ihnen hinterher; ihre Gewänder waren weit und lang aus goldbesetztem Stoff und das gesamte Zaumzeug ihrer Pferde und Rösser war aus Gold und an beiden Seiten der Pferde, vorn an den Sätteln, da hingen Säcke, die waren wie Netze aus Gold gefertigt. Und in diesen Säcken war das Beste an Gold und an Edelsteinen, das sie hatten. Die Söldner zu Fuß sind ständig auf dem Palast, bei Tag und bei Nacht, jeweils eine Gruppe mit ihrem Banner. Die Söldner zu Pferde reiten jeden Morgen zum Palast und verweilen dort so lange, bis der Sultan essen gehen will. Dann reiten sie weg und kommen zur Vesperzeit zurück und wenn der Sultan reiten will, dann täte er es morgens früh vor Tagesanbruch oder am Abend nach der Complet. Zweimal im Jahr pflegte der Sultan auszureiten. Das war im März und nach dem August, wenn die Kraniche und Vögel durchzuziehen pflegen. So lässt er dann an dem Fluss, der Nil heißt und durch Ägypten fließt, zwei oder drei Meilen lang das Feld bestellen und aussäen und wenn die (Feldfrüchte) reif werden, bleiben die Kraniche darin und die Vögel fliegen in die Höhe. Da lädt der Sultan alle Herren, Fürsten und Ritter, die Falken besitzen, gleichzeitig vor und wenn der Sultan morgens ausreiten wollte, dann gingen Abb. 11: Mameluk in Kairo (Hs. 268 Maria Laach)

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gewande und dat ander helpendeir was bedeckt myt swartzen und dan waren zwei helpendeir de waren samen gemacht myt yseren ketten de waren bedeckt myt roden. Tuysschen eren barchfreden was eyn rossbare also dat man ginck van eyme barchfreden up den andern. Und de rossbare was geschafft als138 eyn roiste und was al offen und was en bynnen beslagen myt goulde und myt silver und de decken139 [135r] was alze wail over guldet unde in der rosbaren sas der soldain und sin leifte sun und sin valcken ind vogel und etzlich vogel hunt und boven up dem helpendeir stoind sin banner dat was roit und by dem banner geingen sin overste zoldener myt manicherhande schonen wapen van goulde und myt gerochten swerden. Ind dar na reden alle vursten heren und de oversten und wan dan der soldain quam uss der stat da alle de zoldener heilten und stoinden an beiden siden des weges so grote hie alre mallich by namen an eynre siden und syn sun an der anderen siden des weges. Und wen hie dan sunderlinge myt eme redende140 hadde de volgede eme na und de anderen bleven halden. Und wan der soldain van allen luden was so deilten sich alle de lude zo perde ind zo voisse der reit dan eyn deil vur und eyn deil achter und eyn deil by beiden siden und lagen all umb de stat da der soldain dan wolde sin zwai off dry mylen all umb de stat und dorpper want da waren me dan hundert dusent pert ain ander zoldener ind lude de zo voisse waren da. Nochtan waren alle dese pert ind lude da lichtlicher zo halden dan ”die#141 dusent man gewapent und alsus was allet dat volck dat da umb lach. So was da eyn sede in wat huys eyn man lach eyns iairs dar schreiff hie sin zeichen vur dar en moichte des anderen iairs neman in comen dan de selve de da ynne had gelegen it en were myt synen willen. Und neman en geschach ungemach dan alle dat lant moiste voren myt mulen ind mit camelen und myt eselen dach und nacht spyse ind voder und wes man behoifde ind allen luden ind perden gaf man genoich mer neman en moiste gain noch riden da der soldain was ain urloff syns oversten. Mer des nachtes moiste hie weder komen under syn banner und wanne sich der soldain ind dat volck scheden danne dat geleis als alle de werelt by eyn were zo samen comen und wanne de sonne weder de rosbare schein dat sach man alze verre. [135v]

138 A eyne kaste 139 A dietten (?) 140 A ind die vreymde wairen 141 Ergänzt nach A.

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und ritten alle Leute und Söldner zuvor aus der Stadt und so waren alle Häuser so lange geschlossen, bis der Sultan zurück war. Und dort hielten und standen alle Söldner zu Pferde und zu Fuß mit ihren Waffen und mit ihren gezogenen Schwertern an beiden Seiten des Weges. Da kam der Sultan mit seinen Elefanten, auf denen Türme standen, die mit dünnen Ruten umzäunt waren; und der erste Elefant war umhüllt und der Turm überzogen mit gelbem und der zweite Elefant war umhüllt mit schwarzem Seidenstoff und dann kamen zwei Elefanten, die mit eisernen Ketten zusammengebunden waren, die mit rotem Seidenstoff umhüllt waren. Zwischen ihren Türmen war eine Sänfte, sodass man von einem Turm zu dem anderen ging. Und die Sänfte war wie ein Rost beschaffen und war ganz offen und innen mit Gold und mit Silber ausgeschlagen und die Decken waren vollständig vergoldet und in der Sänfte saßen der Sultan und sein liebster Sohn und seine Falken und Vögel und mancher Vogelhund;89 und über dem Elefanten stand sein Banner, das rot war und bei dem Banner gingen seine obersten Söldner mit vielerlei schönen Waffen aus Gold und mit gezückten Schwertern. Und nach ihnen ritten alle Fürsten, Herren und die Würdenträger und wenn dann der Sultan aus der Stadt kam, da standen alle Söldner an beiden Seiten des Weges Spalier, dann grüßte er einen jeden an einer Seite des Weges mit dem Namen und sein Sohn an der anderen Seite. Und wen er dann jeweils bei sich reiten hatte, der folgte ihm und die anderen blieben zurück. Und wenn der Sultan bei all den Leuten war, dann teilten sich alle Leute zu Pferde und zu Fuß auf; von ihnen ritt dann ein Teil vorne und ein Teil hinten und ein Teil an beiden Seiten und alle lagerten um die Stadt, in der der Sultan dann sein wollte, zwei oder drei Meilen um die ganze Stadt und die Dörfer herum, denn da waren mehr als 100.000 Pferde, andere Söldner und Leute, die zu Fuß dort waren, nicht gerechnet. Dennoch waren alle diese Pferde und Leute dort müheloser zu versorgen als die 1000 bewaffneten Männer und genauso das ganze Volk, das da herum lagerte. Es gab da eine Sitte: In welchem Haus ein Mann ein Jahr schlief, dort schrieb er sein Zeichen an, damit da im nächsten Jahr niemand hineinkommen konnte als derjenige, der darin geschlafen hat, außer mit seiner Zustimmung. Und niemandem geschah Unbill, denn das ganze Land musste Tag und Nacht Speise und Futter mit Maultieren und mit Kamelen und mit Eseln herbeibringen und wessen man sonst bedurfte und allen Leuten und Pferden gab man genug, aber niemand durfte ohne die Erlaubnis seines Vorgesetzten dorthin gehen oder reiten, wo der Sultan war. Aber des Nachts musste jeder zu seinem Banner zurückkehren und wenn der Sultan und das Volk sich trennten, dann gleicht das dem, als ob die ganze Welt bei ihnen zusammengekommen wäre und wenn die Sonne auf die Sänfte schien, sah man dies von sehr weit her.

89 Vogelhunde sind speziell für die Falkenjagd abgerichtete Hunde. Sie werden auch in der mittelalterlichen Dichtung häufiger erwähnt.

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Vort wanne der soldain quam da hie blyven wolde so nam man

de berchfreden van den helpenderen und satte de umb des soldains pauwelun und planckede ind machde da en tusschen dat alze vaste. Ind da slagen dan alle heren vursten und riddere ere pauwelune van verrens umb want alle lude hant pauwelune mallich na synre macht dat geleis dan als da eyn grois stat stonde und alle velckener ind ieger hatten ir sunderlinge gemach umb des soldains pauwelun. Und wanne der Soldain wolde sein vlegen de valcken da de boven waessent dat dede hie des morgens vroy. So reit der soldain up eyn ende myt synen besten valcken und de andere vursten heren reden myt eren valcken war sy wolden. Wan man dan de valcken vlegen leis so en kunde neman gehoren vur schreien der velckener und dan in dem mid morgen wan der soldain weder quam in synen pauwelun wat hie dan gevangen hadde dar lachten dan alle vursten und heren by wat sy ouch gevangen hadden myt eren valcken. Ind so besach dan der soldain alle de valcken und vragede na eren namen und grote alle velckener by eren namen und wanne dan alle de cranen ind vogel zo samen quamen so ensach ney mynsche so vil vogel noch cranen an eyme houffe dan nam mallich syn vogel und cranen weder ind aissen de by dem soldain und dan sachte mallich van synen valcken.

Vort wanne dat gedain was so reden sy visschen myt aren

und myt anderen vogelen der dar zo gemacht waren. Dan satten sy lange deiffe netze de dar zo gemacht waren in dat wasser Nylus dat durch Egipten vluyst und leissen dan vlegen de visch aren und de ander vogel. So voren de meistere myt schiffen in dat wasser tusschen den netzen und schreden de vogele ind lachten de myt groissen vischen in dat wasser da schussen dan de vogel na. So vlouwen dan alle de ander vissche in dat netze und also visschenden sy alle dat wasser up ind neder und veingen dan me vissche dan alle de lude kunden [136r] verdoin. Da sach man dan manchen seltzen visch und wan dat dan was gedain so iagede der soldain wilde esel de bleven stain vur den hunden als eyn swin und sprungen over de hunde und over de pande und was altze lustlich und dan iagenden sy grois wilt des veingen sy altze vil dat des alle de lude genoich hadden.

Vort wanne alle dese dinck gedain waren dan quamen sy weder

zo den boven dan hatten sich de cranen ind de vogel weder versament so veingen sy dan vogel ind cranen und beheilten de dan leventich und reden eyn myle off zwai off dry her ind dar und leissen dan vlegen de gervalcken. Und sy veingen vogele genoich so quamen sy weder

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Wenn der Sultan dort hinkam, wo er bleiben wollte, dann nahm man die Türme von den Elefanten und setzte die um den Pavillon des Sultans herum und verband und sicherte die Zwischenräume fest mit Planken. Und da schlagen dann alle Herren, Fürsten und Ritter ihre Zelte rund herum, denn alle Leute haben Pavillons, jeder nach seinem Vermögen, das sieht dann so aus, als ob dort eine große Stadt stünde und alle Falkner und Jäger hatten ihren besonderen Platz um den Pavillon des Sultans. Und wenn der Sultan die Falken dort fliegen sehen wollte, wo die Feldfrüchte wachsen, dann tat er dies morgens früh. Dann ritt der Sultan mit seinen besten Falken an ein Ende und die anderen Fürsten und Herren ritten mit ihren Falken wohin sie wollten. Wenn man dann die Falken fliegen ließ, dann konnte niemand wegen des Schreiens der Falkner etwas hören; und dann um die Mittagszeit, wenn der Sultan wieder in seinen Pavillon zurückkehrte, dann legten alle Fürsten und Herren zu seiner Jagdbeute dazu, was auch sie mit ihren Falken erlegt hatten. Und dann betrachtete der Sultan alle Falken und fragte nach ihren Namen und grüßte alle Falkner mit ihren Namen und wenn dann alle Kraniche und Vögel zusammenkamen, dann hat kein Mensch so viele Vögel und Kraniche je auf einem Haufen gesehen und dann nahm jeder seine Vögel und Kraniche an sich und verspeiste diese bei dem Sultan und dabei erzählte jeder von seinen Falken.

Wenn dies geschehen war, dann ritten sie mit Adlern und mit anderen Vögeln, die dazu abgerichtet waren, fischen. Da setzten sie lange tiefe Netze, die dazu tauglich waren, in den Fluss Nil, der durch Ägypten fließt und ließen dann die Fischadler und die anderen Vögel fliegen. Dabei fuhren die Meister mit Schiffen zwischen den Netzen auf dem Fluss und riefen die Vögel und lockten sie mit großen Fischen in das Wasser, da schossen dann die Vögel hinterher. So flohen dann alle anderen Fische in das Netz und auf diese Weise fischten sie den ganzen Fluss hoch und runter und fingen dann mehr Fische als alle Leute verzehren konnten. Da sah man dann manchen seltsamen Fisch und wenn das dann erledigt war, dann jagte der Sultan Wildesel, die blieben vor den Hunden wie ein Schwein stehen und sprangen über die Hunde und über die Stricke und das war sehr vergnüglich und dann jagten sie Großwild, von dem fingen sie sehr viel, sodass davon alle Leute genug hatten.

Wenn all diese Dinge erledigt waren, dann kamen sie zurück zu den Feldern, wo sich die Kraniche und Vögel wieder versammelt hatten; dann fingen sie Vögel und Kraniche und ließen diese lebendig und ritten ein, zwei oder drei Meilen hin und her und ließen dann die Gerfalken fliegen. Und wenn diese genug Vögel erlegt hatten, kamen sie wieder zurück auf die Hand, aber wenn einer der Falken in der

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zo der hant mer wolde der valcken eynich rumen in der lucht so schreide der soldain und syne meister eirste. Den schrei den kanten alle de meister wale und de schrei quam in eynre stunden zwai off dry myllen van eyme zo dem anderen. Dan namen alle velckener de”s# gervalcken war und da sich dan ”der#142 gervalcke hein keirde dar schotten de velckener ir leventiche cranen de sy dar zo hatten gehalden da vermode hie sich myt dat in dan de meiste”r#143 weder veingen. So waren sy dan altze vrolich mer spreite der valcke den zail intzwei in der lucht so waren sy alle unvro. So en dorste neman weder komen e hie were gevangen. Mer we in ”wider brachte#144 dem wart sin arbeit wal geloint. // Vort wan der soldain weder heym wolde varen so en hatte gein mynsche myt dem anderen gecreicht und we dat gedain hette dat were altze groisse mysdait gewest.

Vort wan der soldain weder quam so geingen und reden eme intgain

alle de zoldener und alle de lude de in der stat waren bleven. // Vort dar na wan hie yrgen wolde riden umb lust up dat velt so moisten de iunge lude vur eme rennen und slain den bal zo perde in dem rennen145. Und dar zo hatten sy crumme steve wan der bal up de erde quam dat sy in da myt weder up slogen mer wer den bal zo der erden leis komen de had verloren. // Vort so moiste eyn ander partie springen reiffen [136v] durch van houltze de waren boven de erde gehangen und we den reyff roirte de hadde verloren. // Vort was eyn ander partie de satten zeichen ind schussen dar na in dem rennen. // Vort so had hie pert de waren als grois als pert van zwelff gulden146 de heisschen Arabs de louffen als sere dat man da up hirtze ind hinden aff yaget und ridet de rante man dan vur dem volcke und sprengede da myt over de zeichen de dar zo waren gemacht. Mer we de pert neit en kunde rennen de verlois up dem perde syn synne als lange als hie da up seis. // Vort waren dan da up andere meistere de machden drachen myt kunst de vlogen in der lucht147 myt snoren we sy wolden ho ind neder.

Vort wan alsus der soldain riden wolde so hatten alle de riche couf-

lude ere riche komenschaff uss gelacht up dem velde da sach man manich148 schoin cleynnoit und wat dan der soldain dan aff wolde haven

142 Ergänzt nach A. 143 Ergänzt nach A. 144 Ergänzt nach A. 145 A und slain den bal zo perde in dem rennen fehlt. 146 A marken 147 A ind blesen vuyr 148 A rych

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Luft fortfliegen wollte, dann schrien der Sultan und seine Meister als erste. Diesen Schrei kannten alle Meister gut und der Schrei gelangte in einer Stunde zwei oder drei Meilen von einem zum anderen. Dadurch wurden alle Falkner des Gerfalken gewahr und wo sich dann der Gerfalke hinwendete, dorthin schickten die Falkner ihre lebenden Kraniche, die sie dafür bereitgehalten hatten, mit denen ermüdete der sich so, dass ihn die Meister wieder einfingen. Dann waren sie sehr fröhlich, aber wenn der Falke seinen Schwanz in der Luft in zwei Teile spreizte, dann waren sie alle unfroh. Dann durfte niemand heimkommen, bevor er wieder eingefangen worden wäre. Aber wer ihn zurückbrachte, dem wurde seine Mühe reichlich entlohnt. Wenn der Sultan wieder heimfahren wollte, dann hatte kein Mensch mit dem anderen gestritten und wer das getan hätte, der hätte eine sehr große Missetat begangen. Wenn der Sultan zurückkam, dann gingen und ritten alle Söldner und alle Leute, die in der Stadt geblieben waren, ihm entgegen. Wenn er danach irgendwohin aus Lust ins Feld reiten wollte, dann mussten die jungen Leute vor ihm rennen und den Ball zu Pferde in einem Wettkampf schlagen. Sie hatten dafür krumme Schläger, wenn der Ball auf die Erde fiel, dass sie ihn damit wieder hochschlugen, aber wer den Ball auf die Erde fallen ließ, der hatte verloren. Eine andere Gruppe musste durch Reifen von Holz springen, die über der Erde aufgehängt waren; wer den Reif berührte, der hatte verloren. Eine weitere Gruppe gab es, die stellten Ziele auf und schossen in einem Wettrennen darauf. Er besitzt Pferde, die so groß wie Pferde im Preis von zwölf Gulden waren, die heißen Araber und laufen so schnell, dass man auf ihnen Hirsche und Hindinnen jagt und wenn sie ein Rennreiter dann vor dem Volk reitet, dann sprengte er mit ihm über die Zeichen, die für diesen Zweck gemacht waren. Aber wer diese Pferde nicht zügeln kann, der verliert seine Sinne solange er auf dem Pferd sitzt. Weiterhin gab es andere Meister, die bauten kunstvoll Drachen, die flogen in der Luft an Schnüren, wie sie es wollten, hoch und nieder. Wenn der Sultan derart ausreiten wollte, dann hatten alle reichen Kaufleute ihre Handelsware auf dem Feld ausgelegt; da sah man manch schönes Kleinod und was der Sultan dann davon haben wollte, das brachte man ihm auf seinen Palast und

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dat brachte man eme up sin pallais und dar na galt dan we wolde. Vort wan dan de couflude weder heim wolden und namen urloff van dem soldane so gaff man yeckerlich eynnen breiff an eynnen amptman wa hie hene wolde. De dingeden dan de komenschaff de der soldain van eme hatte genomen und gaff eme dan weder van des soldains gulde cruyt zucker ”b#ome wolle off syden gewant off wat in dem lande goit was off wat hie weder wolde gelden und en hatte des der amptman neit so gulden sy wat sy wolden und dat machde in der amptman loss ind vry mer nummer en galt hie valcken noch komenschaff myt gelde mer allet eyn komenschaff umb de ander und dede den coufluden also dat sy eme danckden.

Vort buwede der soldain alze gerne und da was hie selver by ind

wolde dat meisteren und wat hie hie burge buwede de leis hie weder neder werpen zo eynre zyt. Vort de lude de zo Akers ind zo Armenien waren gevangen de moisten dan buwen und muren und dragen [137r] steynne ind calck. Der was me dan VI M”ille# de alle krysten waren vursten heren riddere und templere149 moniche und paffen van allen landen de da waren gevangen. Den dede man altze goitlichen unde de geingen slaiffen des nachtes zo samen in eynnen groissen hoff da hatten sy alle gemach under sich. Mer ir geinre en konde los werden und sy hatten groisse partie under sich wanne sy des nachtes zo samen quamen und sy worden gehalden up eyn weder pant und sy moisten arbeiden we rich off edel dat sy waren als wail als eyn arm man und man gaff in gelt des maindes vur ere cost und cleider dat sy genoich hatten und wer neit arbeiden en moichte den verleis man der arbeit und mallich ginck essen in syn huys mer des nachtes moisten sy zo samen in dem behalt slaiffen. Doch so wanne ir sundach off hogetzyde was so en daden sy neit ind sy hatten eyn schoin eigen kirche da licht sent Barbara ynne und sy hatten ere eigene preister und leissen sich seich und gesunt berichten und begraven als hie zo lande und ouch gaff der soldain den ioden de da gevangen waren150 dat sy beheilten eren Sabbat und dede da alle den gevangen alze goitlichen sy weren gesunt off seich. // Vort had der soldain eyn alze schoin libereie da was de bybel ind de ewangelia und de decretale und alle boiche der krysten151 ind der ioden und de croneken und dese boiche waren weder schreven uss latine in heidensch und sunderlingen had hie beschreven alle boiche de sich drogen an recht. 149 A beide van monichen ind ouch van anderen wonderlichen luden 150 A orlof 151 A beyde van geistlichen ind wereltlichen gerichte

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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danach kaufte dann, wer wollte. Wenn dann die Kaufleute wieder heim wollten und Urlaub von dem Sultan nahmen, dann gab man einem jeden einen Brief an einen Amtmann, wohin er wollte. Dann setzten die für die Handelsware, die der Sultan von ihnen genommen hatte, den Preis fest und gaben dem Kaufmann dann von des Sultans Gold, Gewürz, Zucker, Baumwolle oder Seidentücher oder was in dem Lande gut war oder was er seinerseits kaufen wollte und wenn der Amtmann das nicht hatte, dann kauften sie, was sie wollten und das erlaubte ihnen der Amtmann, aber niemals kaufte der Sultan Falken oder Handelsware mit Geld, sondern stets eine Ware gegen die andere und er verhielt sich gegenüber den Kaufleuten so, dass sie ihm dankten.

Der Sultan baute sehr gerne und war selber dabei und wollte das bewerkstelligen und was er hier an Burgen baute, das ließ er zu anderer Zeit wieder niederreißen. Die Leute, die in Akko und in Armenien gefangen worden waren, die mussten dann bauen, mauern und Steine und Kalk tragen. Von ihnen gab es mehr als 6000, die alle Christen waren, Fürsten, Herren, Ritter und Templer, Mönche und Pfaffen aus allen Ländern, die dort gefangen waren. Man behandelte sie sehr gut und nachts gingen sie gemeinsam in einen großen Hof zum Schlafen, da hielten sie alle untereinander ihre Ruhe. Aber keiner von ihnen konnte befreit werden und sie bildeten große Gruppen unter sich, wenn sie zur Nacht zusammenkamen und sie wurden festgehalten gegen ein Lösegeld und mussten, wie reich oder edel sie auch waren, arbeiten so gut wie ein Armer und man gab ihnen monatlich Geld für ihre Kost und Kleidung, sodass sie genug hatten; und wer nicht arbeiten konnte, dem ersparte man die Arbeit und jeder ging zum Essen in sein Haus, aber zur Nacht mussten sie gemeinsam in der sicheren Unterkunft schlafen. Doch an Sonn- oder Festtagen taten sie dies nicht und sie hatten eine schöne eigene Kirche, in der St. Barbara begraben liegt und sie hatten ihre eigenen Priester und ließen sich krank und gesund von diesen leiten und begraben wie hier zu Lande; und der Sultan erlaubte auch den Juden, die dort gefangen waren, ihren Sabbat zu halten und behandelte alle Gefangenen dort sehr gut, ob sie gesund oder krank wären. Der Sultan besitzt eine sehr schöne Bibliothek, in der die Bibel und die Evangelien und Dekretalen und alle Bücher der Christen und der Juden und die Chroniken waren; und diese Bücher waren aus dem Lateinischen ins Heidnische übersetzt und besonders hat er alle Bücher übersetzt, die sich mit dem Recht beschäftigen.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort wan der soldain belach eynich sloss off burch so was dat

sin sede so sloich man up zo der eirster zyt eynen wyssen pauwelun152 und leis werben umb soene und geschach des neit so sloich hie up eynen gelen pauwelun den satte hie deym slosse nare dan der ander stond und mochte man nochtan myt eme da d”i#ngen. Mer geschach des dan neit bynnen eynre gesatter zyt so sloich hie up eynen roden pauwelun so en was da gein soenen an dan en wolde [137v] hie neit dan aff hie en hedde synen willen off hie en worde mit macht dan aff geslagen und gedreven und wat sloss hie wan dat dede he umb ere ind leis alle dinck da ynne153. // Vort had der soldain vrede myt allen synen naboren hie en warde myt noit dar zo gedrungen. // Vort pilgarine und cloisteren und sunderlingen zo Synay und geistlichen luden den was hie alze goit.

Vort sees iaer vur syme dode do begunte sin lant intgain in zo

done und da was eyn gemeyn geruchte hie were krysten und myt den landen vellen zo der conick van Gazara und syn eldeste sun und vervolgden de krysten da alze sere wa sy vonden in dorppen off in steden und des soldains sun sloich doit eynnen krysten den dede der soldain so myt gerichte hauwen in zwei stucken. // Vort der conick van Gazare de brach den krysten eynnen wech de ginck up den berch zo dem cloister da unse here vastede XL dage ind XL nachte und do dede den krysten alz vil leitz. Und do der Soldain synen eigen sun dede hauwen myt gerichte in zwei stucken do vlo der conick van Gazara myt synen helperen in de woistenei en dat neman gevreisschen so wa sy bleven. // Vort had der Soldain eynnen kneicht de heisch Tenghes und was eyn Turcke de was alze birve154 und vrome dat eme der soldain gaff des conicks doichter van Damasco zo eyme wyve und gaff dem conick van Damasco alle de beste wyff de in dem lande waren. Und de Tenghes wart so geweldich und so riche dat hie zo allen zyden reit myt zwelff dusent perden und had allet dat lant ynne. Do wart hie noch boser dan hie zo vorent ey goit had gewest und vervolgede

152 A gibt eine leicht abgewandelte Darstellung der Belagerungstaktik, in B erscheint der zeitliche Ablauf der Aktion klarer gegliedert. 153 A dat he da vant 154 Für biderbe

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Wenn der Sultan ein Schloss oder eine Burg belagerte, so war es seine Sitte, dass man zu Beginn einen weißen Pavillon aufbaute und um Versöhnung werben ließ und wenn dies nicht geschah, dann schlug er einen gelben Pavillon auf, den setzte er näher an das Schloss als der andere stand und man konnte dennoch mit ihm verhandeln. Aber wenn das dann nicht innerhalb einer gesetzten Frist geschah, dann schlug er einen roten Pavillon auf, dann gab es dort keine Versöhnung, er wollte dann dort nicht abziehen, bevor er seinen Willen hätte oder er mit Macht geschlagen und vertrieben worden wäre und welche Burg er eroberte, das machte er um seines Ansehens willen und ließ alle Dinge darin. Der Sultan hielt Frieden mit allen seinen Nachbarn, es sei denn, er wurde mit Not zu Anderem gezwungen. Pilgern, Klöstern und Einsiedlern auf dem Sinai und geistlichen Leuten war er allzeit gewogen.

Wirren im Reich des Sultans Sechs Jahre vor seinem Tod90 begann sein Land sich gegen ihn zu erheben und es gab da ein verbreitetes Gerücht, er wäre ein Christ und mit den Ländern fielen der König von Gaza und sein ältester Sohn ein und verfolgten die Christen mit aller Härte, wo sie wohnten, in Dörfern oder in Städten, und der Sohn des Sultans schlug einen Christen tot, den ließ der Sultan dann durch Gerichtsurteil in zwei Stücke hauen. Der König von Gaza zerstörte den Christen einen Weg, der hoch auf den Berg zu dem Kloster ging,91 wo unser Herr 40 Tage und 40 Nächte fastete und fügte dort den Christen sehr viel Leid zu. Und als der Sultan seinen eigenen Sohn gerichtlich in zwei Stücke hauen ließ, da floh der König von Gaza mit seinen Helfern in die Wüste, sodass niemand wusste, wo sie geblieben sind. Der Sultan hatte einen Knecht mit Namen Tengiz,92 der ein Türke und sehr mutig und tapfer war, sodass ihm der Sultan die Tochter des Königs von Damaskus zur Ehefrau gab und die besten Frauen, die es in dem Lande gab. Tengiz wurde so mächtig und so reich, dass er jederzeit mit 12.000 Pferden ritt und das gesamte Land beherrschte. Da wurde er noch schlimmer als er zuvor gut gewesen ist und verfolgte alle Christen stärker als es alle anderen getan hatten und er befahl, dass in seinem Land alle Christen nicht auf Pferden, sondern auf Eseln reiten sollten und das war dem Lande sehr recht. 90 Also im Jahr 1335. 91 Das Kloster der Versuchung (Quarantal) in der judäischen Wüste nordwestlich von Jericho. 92 Gemeint ist wieder der Statthalter von Syrien Seif al-Din Tengiz (1312–1340). Zum Verhältnis des Sultans zu diesem Emir vgl. Ross Burns, Damascus. A History, Abingdon 2005, S. 211 ff.

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alle de krysten me dan alle de anderen hatten gedain und hie geboit dat alle de krysten in syme lande neit en solden riden up perden mer up eselen ind dat was dem lande alze leiff 155. // Und in der selver zyt als man schreiff na der geburt unss heren M [138r] CCC und XLIIII iair do hoiff sich up urlage van dem conick van Hispanien und der coninginnen van Si”c#ilien156 van Maroch und dem coninge van Garnait do quam de selve coninginne van Sy”c#ilien zo dem soldain ind nam rait myt eme und bat in umb hulpe und voir durch Barbarien und brachte dem soldain so vil riches schones cleynnodes dat van Sal”o#mon”i#s getzyden ney heren so grois richlich cleynnoit in wart gebracht. Und dar en boven brachte sy eme CCC groisser ross van Hispanien alle verdeckt ind myt gereide van goulde157 und do de coninginne do da eynne zyt gewas do voir sy zo Mecha da Magomet ligt begraven. Ind dar under leis der soldain al syn lant zo samen comen und do de coninginne weder quam do geingen ind reden ir vurgain man ind wyff we sy schoinste konden und dar vurgain had sich der coninginne ind ir iunffrauwen und ir volck ouch getzeirt we sy schoinste konde dat ney mynsche zo eynnen zyden ney so vil schonis cleynnodes en hatte gesein unde da was so grois hoff dat des gelichs in dem lande ney en wart gesein.

155 A dat was dem lande alze leiff fehlt. 156 A Sycilien 157 Die Hss. A und B weichen in der Darstellung dieser Fabel in Details voneinander ab, ohne dass sich große sachliche Differenzen zeigen.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Und zur selben Zeit als man das Jahr 1343 nach der Geburt unseres Herren schrieb, da brach der Krieg zwischen dem König von Spanien und der Königin von Sizilien, von Marrakesch und dem König von Garnait aus;93 da kam dieselbe Königin von Sizilien zum Sultan und bat ihn um Rat und um Hilfe und fuhr durch Barbarien und schenkte dem Sultan so viel kostbares, schönes Kleinod, dass seit Salomons Zeiten keinem Herren jemals ein so großer, wertvoller Schatz gebracht worden ist. Und darüber hinaus brachte sie ihm 300 stattliche Rösser aus Spanien, alle mit Pferdedecken und mit goldenem Zaumzeug, und als die Königin dort eine Zeit lang gewesen ist, fuhr sie nach Mekka, wo Magomet begraben liegt. Währenddessen ließ der Sultan sein ganzes Land zusammenkommen und als die Königin zurückkam, da gingen und ritten ihr Männer und Frauen so prächtig wie möglich entgegen und im Gegenzug haben sich die Königin, ihre Jungfrauen und ihr Volk auch herausge-

Abb. 12: Die Schlacht von Homs. Sieg der Mongolen über die Mameluken 1299 (Hayton, Fleur des histoires de la terre d’Orient, fol. 31v Bibliothèque nationale de France. Département des manuscrites. NAF 886)

93 RM bezeichnen diesen Abschnitt als »unhistorisch« (S. 48, Fn. 8). Gemeint ist wohl die Königin Sancia (Sancha, 1286–1345), die Ehefrau Roberts von Anjou. Sie setzte sich für die dauerhafte Überlassung der den Franziskanern überlassenen heiligen Stätten in Jerusalem ein. Zu ihrem verwandtschaftlichen Umfeld vgl. Ingrid Würth, Altera Elisabeth. Königin Sancia von Neapel (1286–1345) und die Franziskaner, in: Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Festschrift für Matthias Werner zum 65. Geburtstag, hg. von Enno Bünz, Stefan Tebruck, Helmut G. Walther (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 24), Köln u. a. 2007, S. 517–542, hier S. 518ff.

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Und do wysde sy der soldain al sin cleynnode ind richdum und sy bleiff lange zyt by eme und voir van eynre stat zo der anderen. Ind do sy heym wolde do gaff ir der soldain und eren iunffrauwen und gesinde also vil cleynnodes als e was gesein. Und alle des cleynnodes en nam de coninginne neit dan eynnen cleynnen hanen de was gulden den hatte Eraclius gewonnen van Cosdras. Den hanen wan Magomet weder ane keyser Eraclius do hie den stryt verlois und nam van eme eyn vingerlin und ander cleynnoit de coninginne van Sabba had geoffert in Salomons tempel zo Iherusalem dat in der conick schatz van Egipten was bleven bis an den dach. Vort had de coningynne myt ir bracht me dan hundert Aposteten de altze gude paffen hadden gewest der en wolde der soldain neit horen und verwan158 sy myt eren regelen myt altze vil boichen de sy weder den heilgen [138v] gelouven hatten gemacht. // Vort weder reit der soldain der coninginnen dat sy gein urlage en bestonde myt dem conick van Hispanien und myt den krysten und versade ir syne hulpe und sachte ir alle dinck zo vorentz als it dar na quam. Und in den zyden was der conick van Damasco der coninginnen overste rait und hie hofde dat sy in solde nemen zo manne und sy leis in in dem wane und we groisse ere hie ir dede und ir gaff da were lanck aff zo sprechen.159

Na der geburt unss heren MCCCXLI iair160 do verbrante zo Damasco

eyn straisse in der stat eyn grois deil do reiff der conick dat hedden de krysten gedain und do slogen de heiden bynnen Damasco alle de krysten man ind wyff iunck ind alt da alle de straissen worden blodich und slogen da in dem lande de krysten als hie de ioden und alze vil krysten v”lo#uwen in de berge und in de wostenie. Ind de beste amptlude veingen de krysten und beheilten de leventich mer dat gemein volck slouch sy alle doit und dis iamer werde eynnen maent.

158 Mhd. verwinnen stv., überwinden, besiegen, überführen 159 A Ind sy voir mit groißer eren wider in yre lant 160 A up sent Georgio avent zo vesper tzyt

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schmückt, wie sie es am besten konnten, sodass niemals ein Mensch irgendwann so viel an schönem Schmuck gesehen hatte; und da wurde so groß Hof gehalten, dass Vergleichbares in dem Lande nie gesehen wurde. Und dann zeigte ihr der Sultan seine gesamten Kostbarkeiten und seinen Reichtum und sie blieb lange Zeit bei ihm und fuhr von der einen Stadt zur anderen. Und als sie heimwollte, da gab der Sultan ihr, ihren Jungfrauen und ihrem Gesinde so viele Kostbarkeiten wie sie noch nie gesehen wurden. Und von allen diesen Kostbarkeiten nahm die Königin nichts als einen kleinen Hahn aus Gold, den Eraclius von Cosdras gewonnen hatte.94 Den Hahn gewann Magomet von Kaiser Eraclius wieder zurück, als er den Kampf verlor und nahm von ihm einen Ring und andere Kostbarkeiten, welche die Königin von Saba in Salomons Tempel in Jerusalem geopfert hatte, sodass der Königsschatz von Ägypten ihnen bis an diesen Tag geblieben war. Die Königin hatte mehr als 100 Apostaten mit sich gebracht, die sehr gute Priester gewesen sind, von denen wollte der Sultan nichts wissen; und er besiegte sie mit ihren Regeln mit sehr vielen Büchern, die sie gegen den heiligen Glauben verfasst hatten. Der Sultan riet der Königin davon ab, einen Krieg mit dem König von Spanien und mit den Christen zu führen und versagte ihr seine Hilfe und sagte ihr alle Dinge so vorher, wie es danach kam. Und zu dieser Zeit war der König von Damaskus der höchste Ratgeber der Königin und er hoffte, dass sie ihn zum Mann nehmen werde, und sie ließ ihn in dem Wahn; und welch große Ehre er ihr erwies und darbrachte, davon wäre lang zu sprechen.95

Christenverfolgung in Damaskus Im Jahr 1341 nach der Geburt unseres Herren brannte in der Stadt Damaskus eine Straße zu einem großen Teil; da rief der König, das hätten die Christen getan,96 und da erschlugen die Heiden in Damaskus alle Christen, Männer und Frauen, Junge und Alte, und alle Straßen wurden blutig und sie erschlugen da in dem Land die Christen so wie hier die Juden und sehr viele Christen flohen in die Berge und in die Wüste. Und die besten Amtsleute fingen die Christen und ließen sie lebendig, aber das gemeine Volk schlug sie alle tot und dieser Jammer währte einen Monat. Und

94 Der Verf. bezieht sich hier wieder auf die weit verbreitete Eracliuslegende. 95 Offenbar war der Verf. mit den politischen Verhältnissen im Mamlukenreich nach dem Tod des Sultans An-Nāsir Muhammad, dessen Söhne und Enkel zum Spielball der Emire wurden, nicht mehr vertraut. Der NO nimmt im Folgenden von Damaskus aus andere Regionen und Völker des Mamelukenreiches in den Blick. 96 Zu diesen Ereignissen der Jahre 1340 und 1341 vgl. Fuess, Verbranntes Ufer, S. 152 ff.

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Unde dar na up sent Servais dach do zoich der soldain vur Damasco myt alle den krysten die hie haven kunde und leis da uss holen den conick van Damasco und dede den binden up eynnen esel und leis nemen al synen schatz des alze vil was dat geynne zale en was. Und dede den conick sleiffen achter der stat und leis in do weder holen und gaff in den krysten zo Babilonien na eren willen den erdrenckede zo lest eyn coufman de was van Narbona ind der soldain verdreiff des conicks dochter ind syn wyff161 und al syn partie und vant altze vil breve by deme conick ind by synre dochter de weder den soldain waren we dat wyff eme solde vergeven und do satten de krysten da in dem lande zo viren sent Petronellen dach gelich dem paisch dage.

Vort so wonnent in heidenschaff sunderlinge heiden de heisschent

Pagani de hant geynne e noch gelouven mer wat sy des morgens [139r] eirst seint dat bedent sy alle den dach an nochtan dat sy neit da by en sint und dese Pagani wonden alre meisten deil zo Damasco und waren alze wyse behende meistere in allen wercken mer sy sint nu sere vergangen want der soldain en wolde neit dat eman wonde in dem lande de neit geloifte an got de hemel ind erde geschaffen hedde.

Vort wonnent da andere heiden de heisschent Turcken de wonnent

in eyme lande dat heist Turkia da”t# hant sy den krysten aff gewonnen und reicht van Damasco bis zo Antioichia und an Constantinopolen und is eyn alze grois schoin ”…#162 goit lant van vruchten und van korne van waisse ind van boum wollen und van weiden und hait alze vil hoger berge und altze vil slechter velt vil houltz und gudes dinges und goitz koufs mer da en sint neit by groisse stede noch dorpper in deme lande und sy en hant geynnen heren. Mer we da eyn burch

161 A ind alle yre geslechte 162 stat getilgt

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danach, am St. Servatiustag,97 zog der Sultan nach Damaskus mit all den Christen, die er erreichen konnte und ließ den König von Damaskus dort herausholen und auf einen Esel binden und ihm seinen Schatz nehmen, der so groß war, dass man ihn nicht zählen konnte. Und er ließ den König hinter die Stadt schleifen und ließ ihn dann wieder holen und gab ihn den Christen von Babylon98 zu ihrer Verfügung, den ertränkte zuletzt ein Kaufmann aus Narbonne; und der Sultan vertrieb die Tochter des Königs und sein Weib und seine Gefolgschaft und fand sehr viele Briefe beim König und bei seiner Tochter, die gegen den Sultan gerichtet waren, wie das Weib ihn vergiften sollte und dann setzten sich die Christen da in dem Lande zur Feier des St. Petronillatages,99 so wie es sonst zu Ostern geschieht.100

Über Heiden und Türken In der Heidenschaft leben besondere Heiden, die Pagani heißen,101 die weder Ordnung noch Glauben haben, aber was sie am Morgen zuerst sehen, das beten sie den ganzen Tag an, obwohl das nicht zugegen ist, und diese Pagani wohnten zum größten Teil in Damaskus und waren sehr kluge und geschickte Meister in allen Gewerken, aber sie sind nun verschwunden, denn der Sultan wollte nicht, dass jemand in dem Lande lebte, der nicht an Gott glaubte, der Himmel und Erde geschaffen hat.

Es wohnen da andere Heiden, die heißen Türken, die in einem Land leben, das Türkei heißt, das sie von den Christen erobert haben und von Damaskus bis Antiochia und bis Konstantinopel reicht und das ist ein sehr großes, schönes, gutes Land mit Früchten und mit Weizen und mit Baumwolle und Weiden und es gibt dort sehr viele hohe Berge und sehr viele flache Felder, viel Holz und gute Dinge und guten Handel, aber es gibt da keine großen Städte oder Dörfer in dem Land und  97 Am 13. Mai.  98 Gemeint ist hier Kairo.  99 Am 31. Mai. 100 Kurz vor seinem Tode im Juni 1341 entledigte sich Sultan An-Nāsir Muhammad seines langjährigen Getreuen und Statthalters Tengiz, u. a. weil er dessen Christenverfolgungen aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus missbilligte. Die Detailkenntnisse bezüglich der Ausschaltung des Statthalters und seiner Auslieferung an die Christen sprechen jedenfalls für eine gewisse Nähe des Verf. zu den vom Sultan unterstützten christlichen Einwohnern von Damaskus. 101 Pagani ist ein Sammelbegriff, der nicht zwischen muslimischen, nichtchristlichen oder antichristlichen Religionsgruppen differenziert. Welche »Atheisten« der Verf. hier im Blick hat, ist nicht zu ermitteln. RM vermuten, es könnten die Drusen gemeint sein (S. 50, Fn. 8).

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Der Niederrheinische Orientbericht

hat wat he dan aff kan gekregen dat is sin und alsus alde huys und de kotten de vur den burgen steint de sint steynnen und sint gewolft dat sy neit sparen en hant noch balcken und ouch en sint neit vil burnne in dem lande mer zisternnen. De sint da reynlich163 da wirt dat wasser alze goit ynne und der Tuurcken sprache inde ere cleider sint als der heiden und haldent sich na yrme gelouven. // Vort want sy ouch wonnent by den Grecken da krysten wonnent so nympt eyn Turcke wal eyn krysten wyff und eyn wyff wal eynnen krysten man und wan sy kinder hant so volget der sun dem vader in dem gelouven und de dochter der moder. Vort de groisse stede ind de besten de in Turcken sint dat is Anthiochia Candelor Satalia Sichki Schalbonnire164 Altelot und Saleff und alze vil eirlicher stede und dorpper ind cloister hant da in dem lande gelegen de sint nu alle vorgangen und sint woist.

Vort in Anthiochia wonnent Turcken mer de stat is alre meist

woist und de Turcken gevent dem soldain zyns van der stat [139v] want sy sin is und hie wan sy den krysten aff und is eyn altze schoin stat ind is wyt und lanck und liget under eyme berge da lach up eyn altze vaste schoin burch up eyme steynne de hat der soldain besat myt heiden und vur der burch lach der soldain X iair e de burch wart gewonnen. Und up dem berge was altze vil wildes dat plach da over zo strichen und do de krysten da wonden de plagen dat wilt zo weren dat sy it dreven in de stat und yageden it up der straissen. // Vort durch de stat und vur der stat vlust eyn altze grois wasser da vengt man alze groisse vissche ynne ind de saltz man ind vort sy in de lant myt groissen houffen und da is noch eyn portze de heist de visch portze. Da is eyn alze lange steynnen brugge ”da# streit hertzoge Goedart van Bulynin manichen stryt und by der bruggen quam hie in de stat do hie sy wan ind dat hie eyn iair sweirlichen vur had gelegen als noch achter in den pallasen und in den hoeven steit gemailt und da vant hie dat sper under erden dat unsem heren durch sy”n# syde geinck an dem cruce dat nu der keyser hait dat wyste sent Andreas. // Vort is

163 A ind wilt da yne alze guit 164 A Stalbonnire

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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sie haben auch keinen Herrscher. Aber wer dort eine Burg besitzt, was er davon erhalten kann, das gehört ihm, und genauso alte Häuser und die Kotten, die vor den Burgen stehen, die aus Stein und gewölbt sind, sodass sie weder Sparren noch Balken haben und es gibt auch nicht viele Brunnen in dem Land, aber Zisternen. Die sind dort sauber, das Wasser darin ist sehr gut, und die Sprache der Türken und ihre Kleidung sind wie die der Heiden und sie richten sich nach ihrem Glauben. Wenn sie auch in der Nähe von Griechen leben, wo Christen wohnen, dann nimmt ein Türke wohl eine christliche Frau und eine Frau wohl einen christlichen Mann, und wenn sie Kinder haben, dann folgt der Sohn dem Vater in dem Glauben und die Tochter der Mutter. Die größten und die besten Städte in der Türkei sind Antiochia, Candelor102, Satalia103, Sichki104, Schalbonnire105, Altelot106 und Saleff107 und sehr viele stattliche Städte und Dörfer und Klöster waren dort in dem Lande, die sind nun alle vergangen und liegen wüst. In Antiochia leben Türken, aber die Stadt ist zum großen Teil zerstört und die Türken geben dem Sultan Zins für die Stadt, weil sie ihm gehört und er sie von den Christen erobert hat;108 es ist eine sehr schöne Stadt, breit und lang, sie liegt am Fuße eines Berges, auf dem eine sehr gut befestigte Burg auf einem Felsen stand, die hat der Sultan mit Heiden besetzt und die Burg belagerte der Sultan zehn Jahre, ehe sie erobert wurde. Und auf dem Berg gab es sehr viel Wild, das pflegte da umherzustreifen und als die Christen dort lebten, pflegten sie sich des Wildes zu erwehren, indem sie es in die Stadt trieben und auf der Straße jagten. Durch die Stadt und vor der Stadt fließt ein sehr großer Fluss,109 in dem man sehr große Fische fängt, und die legt man in Salz ein und führt sie in großen Haufen in die Länder aus und da gibt es noch ein Tor, das heißt das Fischtor. Dort gibt es eine sehr lange, steinerne Brücke, da bestritt Herzog Gottfried von Boullion manchen Kampf und bei der Brücke kam er in die Stadt als er sie eroberte, nachdem er sie ein Jahr unter Mühen belagert hatte, wie es noch hinten in den Palästen und Höfen bildlich dargestellt ist; und dort fand er unter der Erde den Speer, der unserem Herrn am Kreuz durch seine Seite stach, den nun der Kaiser besitzt, wie dies St. Andreas bezeugte.110 102 Das heutige Alanya. 103 Das heutige Antalya. 104 Vermutlich ist die Burganlage Syke östlich von Anamur gemeint. 105 Stalbonniere, Schalbonnire, Stallimuri etc. waren die fränkischen Bezeichnungen für Anamur. 106 Altelot von Alta luogo, gemeint ist Ephesus, wie der Verfasser weiter unten [140r] selbst erläutert. 107 Seleph, »frühere Johanniterburg am gleichnahmigen flusse« (RM, S. 51, Fn. 12). 108 Antiochia wurde am 18. Mai 1268 von einem Mamlukenheer unter Führung von Sultan Baibars I. erobert und vernichtet, vgl. Steven Runciman, Geschichte der Kreuzzüge, München 1978, S. 1104 f. Die Zitadelle diente weiterhin als militärischer Stützpunkt, die Angabe über die Belagerungszeit ist unrichtig. 109 Der Orontes. 110 Der Verf. greift hier auf Geschichten aus der Zeit des ersten Kreuzzuges zurück.

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Der Niederrheinische Orientbericht

da stat wal eynre halver mylen lanck van sent Peter bis zo sent Pauwels ind hait alze schoin breide straissen und alze vil schoinre cloistere inde kirchen und da steit eyn altze schoin monster dat is sent ”Peter# Patrone da wart hie gecront und da steit sin stoil dar hie up wart gesat und alze lustliche schone pallaise und huser steint da noch de wo”i#st sint da vil were aff zo sprechen. // Vort en boven der stat liget eyn grois berch de heist in erer zungen der swartze berch. Da en weist gein houltz upp dan ywen houltz da man de bogen ave macht dat holt man ind voirt dat in alle lant.

Vort hant de Turcken eyn ander stat de heist Satalia. Dat is

eyn schoin stat und is dryveldich gemurt und gegraven als dry stede sint und in eynre stat wonnent krysten de virent sundages und in der anderen stat wonnent ioden de virent saterstach [140r] und in dirden stat wonnent Turcken de virent vridages und da is eyn bilde dat maelt sent Lucas na unser vrauwen. Da by deit unse here groisse zeichen in dem lande und vur der stat is eyn nuwe stat da sint cloister broder ynne de doint alze schoin godes dynst und da wonnent alze riche couflude und dese stat was des busschoff van Orthosa.

Vort hant de Turcken eyn ander stat de heist van alder Ephesus

und heist Alcelot. Dese stat had gelegen tuysschen tzwen bergen unde vur der stat kumpt eyn wasser recht uss der erden dat it wal eyn molen dryft und hat alze vil guder vissche ynne. Ind boven der stat up eyme berge is begriffen eyn nuwe stat und eyn grois schoin kirche de is gedeckt myt bleye. In der kirchen in dem core by dem groissen altair is eyn graff in eynre steynrotschen da geinck in sent Iohannes ewangelista und en quam neit weder umb uss. Und in deser stat was sent Iohannes busschoff und dede vil zeichen und dese kirche is nu der Turcken koufhuys und we dat graff wilt sein de gift eynen Venedier und da is nu de meiste komenschaff van allen dingen und alles dinges is da veyle165 und dat vercouft man in der kirchen.

165 A vill

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Die Stadt ist wohl eine halbe Meile lang von St. Peter bis hin zu St. Paul und sie hat sehr schöne, breite Straßen und sehr viele schöne Klöster und Kirchen und da befindet sich ein sehr schönes Münster, dessen Patron St. Peter ist; da wurde er gekrönt und da steht sein Stuhl, auf den er gesetzt wurde und sehr viele prächtige, schöne Paläste und Häuser stehen dort noch, die verwüstet sind, wovon viel zu sprechen wäre. Über der Stadt befindet sich ein großer Berg, der in ihrer Sprache der Schwarze Berg heißt. Da wächst kein Holz außer Eibenholz, aus dem man die Bogen herstellt, das gewinnt man da und führt es in alle Länder aus. Die Türken haben eine andere Stadt, die Satalia heißt. Das ist eine schöne Stadt, die dreifach mit Mauern und Gräben wie drei Städte gebaut ist; und in der einen Stadt wohnen die Christen, die den Sonntag feiern und in der anderen Stadt wohnen Juden, die den Samstag feiern und in der dritten wohnen die Türken, die feiern den Freitag und dort gibt es ein Bild, das Sankt Lukas von Unserer Frau malte. Dabei wirkte unser Herr in dem Lande große Wunder und vor der Stadt gibt es eine neue Stadt, in der Klosterbrüder wohnen, die einen sehr schönen Gottesdienst feiern und dort wohnen sehr reiche Kaufleute und diese Stadt gehörte dem Bischof von Orthosa.111

Die Türken besitzen eine weitere Stadt, die von alters her Ephesus und nun Altelot heißt. Diese Stadt war zwischen zwei Bergen gelegen und vor der Stadt entspringt ein Fluss112 gerade aus der Erde, dass er wohl eine Mühle antreibt und in ihm gibt es sehr viele gute Fische. Und über der Stadt auf einem Berg ist eine neue Stadt entstanden und eine große, schöne Kirche, die mit Blei gedeckt ist. Im Chor der Kirche bei dem Hochaltar befindet sich ein Grab in einem Felsen, dorthin ging der Evangelist Sankt Johannes und kam nicht wieder hinaus.113 Und in dieser Stadt war Sankt Johannes Bischof und wirkte viele Wunder und diese Kirche ist nun ein Kaufhaus der Türken und wer das Grab sehen will, der zahlt einen Venediger114 und dort gibt es nun den größten Handel mit allen Gütern und alles wird da feilgehalten und das verkauft man in der Kirche.

111 Gemeint ist Tortosa, das heutige Tartus an der syrischen Mittelmeerküste. 112 Gemeint ist der Fluss Kaystros, heute Küçük Menderes. 113 Der Evangelist Johannes soll frühchristlicher Überlieferung nach in Ephesus gestorben sein, wo die heilige Helena über seinem Grab eine Kirche errichten ließ, die durch den Prachtbau einer Johanneskirche durch Kaiser Justinian ersetzt wurde. 114 Venezianische Goldmünze.

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Inde in der zyt da der conick van Engelant und der conick van Vranckrich begunten zo kregen do leifde de edel krysten vrouwe der de stat myt dem manne gewest was und heilte da herberge und had wyn veyle den sy den krysten vercoichte und der Turcke der sy wan de heisch Zabalin da singent sy noch ave in Turcken. Vort van deser stat by dem mer is nu eyn nuwe stat begriffen de heist ouch Alcelot de is der Turcken mer da wonnent alre meiste riche krysten couflude und da sint kirchen und cloister und zo der stat koment alle lude van allen landen und van allen dingen dat van Tatteren kompt. // Vort van deser stat neit verre is eyn grois [140v] wasser als der Rin dat kumpt van Tatteren und vlust durch Turckien da kompt side ind siden gewant cruyt waes zucker ind boum wolle und ander riche comenschaff. Vort do Zabalin doit was ind syne kinder zo eren iaren quamen

de verhelten morder ind deve und bose lude de vordreven waren uss allen landen und voeren myt den Turcken rouven durch alle lant. Und dar zo quamen do heirden und gebure und huslude und krysten van den dorppen de waren vil boser ind branten166 und roufden allet dat sy wysten und do vur der sterfden quamen dar zo verlouffen moniche de waren noch arger dan alle de anderen. Und do de sterfde da begunte do roufden sy kirchen cloister und altair ind en leissen neit achter und voren zo Constantinopel und beroufden sent Sophien tempel und alle heltum worpen sy en wech und namen alle dat cleynnode dat ”sy# vonden. Mer da dede got groisse zeichen by want war des cleynnodes quam da bestonde den luden dat bloit ganck dat werde ind wart so grois geruchte aff dat sy heiden Turcken noch krysten in ir slois en laissen komen. Do voren sy in Cicilien in de beste

166 A morden

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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In der Zeit, als der König von England und der König von Frankreich den Krieg begannen,115 da lebte die edle christliche Herrin, der die Stadt mit dem Mann gehörte, und unterhielt da Herberge und bot Wein an, den sie den Christen verkaufte, und der Türke, der die Stadt eroberte, der hieß Zabalin,116 von dem sie noch in der Türkei singen. Weiter von dieser Stadt am Meer ist jetzt eine neue Stadt entstanden, die auch Altelot heißt, die gehört den Türken, aber dort wohnen zumeist christliche Kaufleute und es gibt dort Kirchen und Klöster und zu dieser Stadt kommen alle Leute aus allen Ländern und alle Güter aus der Tatarei. Nicht weit entfernt von dieser Stadt fließt ein Fluss117 so groß wie der Rhein, der kommt aus der Tatarei und fließt durch die Türkei, daher kommen Seide und Seidengewänder, Gewürz, Wachs, Zucker, Baumwolle und andere edle Handelsgüter.

Als Zabalin tot war und seine Kinder in die Jahre kamen, da hielten sie Mörder und Diebe und böse Leute, die aus allen Ländern vertrieben worden waren, bei sich und fuhren mit den Türken zu Raubzügen durch alle Länder. Und zu ihnen gesellten sich Hirten und Bauern und Hausleute und Christen aus den Dörfern, die waren viel schlimmer und brannten nieder und raubten alles, wovon sie wussten; und vor der Ausbreitung der Pest kamen entlaufene Mönche hinzu, die waren noch schlimmer als alle anderen. Und als die Pest dann ausbrach,118 da beraubten sie Kirchen, Klöster und Altäre und ließen nichts hinter sich zurück und fuhren nach Konstantinopel und plünderten die Hagia Sophia und warfen alle Heiligtümer weg und nahmen alle Kleinodien, die sie fanden.119 Aber da wirkte Gott große Wunder, denn wohin ein Kleinod kam, da stockte den Leuten der Blutfluss, das dauerte an und wurde so weit verbreitet, dass sie Heiden, Türken und Christen nicht in ihre 115 Ca. 1340. 116 Unter Hinweisen auf die ältere Forschung halten RM fest, dass der Eroberer von Ephesus Saisan gewesen sei (1308), Zabalin (oder Jaalabi), ein türkischer Heerführer gewesen könnte, der eine Korsarenflotte anführte (S. 54, Fn. 1). Nach aktuellem Stand der Forschung wurde Ephesus 1304 von Sasa Bey erobert und fiel 1308 an Mehmed, den Sohn des Aydin (1308–1325). Die Handelsstadt lag im Kampfgebiet zwischen den Byzantinern und den Türken und in der Einflusszone der rivalisierenden italienischen Seerepubliken Venedig und Genua. Laut Wilhelm von Boldensele waren um 1335 die Christen in der Stadt getötet oder vertrieben, auch Ludolf von Sudheim hielt sich im Zeitraum zwischen 1336 und 1341 in Ephesus auf. Vgl. dazu Andreas Külzer, Andreas: Ephesos in byzantinischer Zeit: ein historischer Überblick, in: Falko Daim, Jörg Drauschke (Hgg.), Byzanz – das Römerreich im Mittelalter, Teil 2,2 Schauplätze, Mainz, S. 528f. 117 Gemeint Im Unterschied zum kleinen Mäander (Kaystros) der große Mäander (türk. Büyük Menderes), der mit 380 km Länge allerdings bedeutend kürzer als der zum Vergleich herangezogene Rhein ist. 118 Im Jahr 1347. 119 Der Verf. spielt hier auf die chaotischen Zustände während des byzantinischen Bürgerkrieges in der Zeit von 1341–1347 an.

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Der Niederrheinische Orientbericht

stat de heisch Missina dar in was geruchte noch neit komen. Do bestont in allen landen de sugde und de lude storven da aff ind worden rasende. Mer do dat geruchte van in quam do worpen alle lude alle schoin cleynnode van goulde und van silver und van siden gewande und van edelen steynnen up de straissen und dat wart zo treden myt karren und myt perden und neman en dorfte noch en wolde des neit nemen. Mer zo dem lesten reden de wysten van dem lande dat man dat heltum und dat cleynnode weder sente da it genomen was und wat der rasender lude noch leveden de slogen sy doit und verbranten de schyff und do worpen sich de groisse heren und de groisse stede zo samen und der pais pretgede dat Cruce weder [141r] sy und wonnen den Turcken des landes vil aff.

Vort sint da andere heiden de heisschent in latine Tattari und

heisschent in duytschen Tatteren de quamen up na der geburt unss heren MCCLXVIII iair dat waren dolle heiden ind koren eynen smyt zo eyme heren de hatte eynnen broder de heisch Halaem und waren yrme heren dem smede alze gehoirsam. Wen hie heisch doden sin eygen kinder off wat hie sy doin heisch dat daden sy ain weder spraiche und zoich myt in myt der macht und wan ind betwanck alle de werelt in Orienten bis up de Donauwe167. Da reden myt de Templere und de coninge van Armenien und ander krysten geloufden sich zo samen intgain de heiden. // Vort dese Tatteren waren alze dolle lude und wonden in den woisteneien. Ind sint alze wanschaffen lude man ind wyff und havent breide scholderen und breide antlitze und cleynne ougen und wan sy lachent so en suyt man in der ougen neit und de man hant altze wenich hair an dem barde und sy en hant geynne e. Mer sy gelouffent an den undoitlichen got und bedent den an. Ind al de manicherhande krysten de hie vur steint geschreven de wonnent in yrme lande und we van den Tatteren krysten wilt werden de mach dat doin offenbair ind da sind nu altze vil kirchen ind cloister broder und paffen in deme lande de brengent de riche couflude dar dar na dat sy mallich leiffe hat. Und da is nu eyn gemeyn sede in dem lande und in allen steden ind dorppen dat alle krysten heiden ioden koment zo samen in eynne stat myt yrme busschoff ind myt eren preisteren und de busschoff und de

167 A in Oestrych

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Schlösser kommen ließen. Da fuhren sie nach Sizilien in die schönste Stadt, die heißt Messina, in die war das Gerücht noch nicht gedrungen. Von da verbreitete sich die Seuche in alle Länder, und die Leute starben dahin und wurden rasend. Aber als sich das Gerücht über sie verbreitete, da warfen alle Leute alle ihre Kostbarkeiten aus Gold und aus Silber und seidene Gewänder und Edelsteine auf die Straße und das wurde mit Karren und mit Pferden zertreten und niemand durfte oder wollte davon nehmen. Aber zuletzt rieten die Weisesten aus dem Lande, dass man das Heiltum und das Kleinod dahin zurücksende, woher es geraubt war und welche der rasenden Leute noch lebten, die schlugen sie tot und verbrannten die Schiffe; und da taten sich die großen Herren und die großen Städte zusammen und der Papst predigte das Kreuz gegen sie und sie gewannen den Türken viel Land ab.120

Über die Tataren Es gibt dort andere Heiden, die auf Latein Tattari heißen und auf Deutsch Tataren, die kamen hierhin nach der Geburt unseres Herren im Jahre 1268,121 das waren verrückte Heiden, die einen Schmied zu ihrem Herren wählten; der hatte einen Bruder, der Halaam hieß, und sie waren ihrem Herrn, dem Schmied, stets gehorsam. Wenn er befahl, die eigenen Kinder zu töten oder was er ihnen zu tun befahl, das führten sie ohne Widerspruch aus, und er zog mit ihnen mit aller Macht aus und eroberte und unterwarf die gesamte Welt im Orient bis hoch zur Donau. Dorthin ritten die Templer und die Könige von Armenien und andere Christen versammelten sich gegen die Heiden. Diese Tataren waren sehr verrückte Leute und wohnten in den Wüsten. Und sie sind so wahnsinnige Leute, Männer und Frauen, sie haben breite Schultern und breite Gesichter und kleine Augen und wenn sie lachen, dann sieht man ihre Augen nicht, und die Männer haben sehr wenig Haare im Bart und sie haben keine heilige Schrift. Aber sie glauben an den unsterblichen Gott und verehren ihn. Und all die vielerlei Christen, von denen hier zuvor berichtet wurde, die leben in ihrem Land und wer von den Tataren Christ werden will, der kann das öffentlich tun; und es gibt jetzt sehr viele Kirchen und Klöster, Brüder und Pfaffen in dem Land, die die reichen Kaufleute dorthin bringen, damit sie ein jeder schätzt. Und da gibt es nun eine allgemeine Sitte in dem Land und in allen Städten und Dörfern, dass alle Christen, Heiden und Juden in einer Stadt mit ihrem Bischof und mit ihren 120 RM vermuten, dass hier die Eroberung von Smyrna gemeint ist (S. 55, Fn. 5). 121 Die Befürchtung, von den Mongolen überrannt zu werden, kennzeichnete die innenpolitische Lage im Vorderen Orient im 13. und 14. Jahrhundert. Die Eroberung von Bagdad und der Untergang des Kalifates der Abbasiden im Jahr 1258 gaben dazu hinreichend Veranlassung, vgl. Ulrich Haarmann, Der arabische Osten im späten Mittelalter 1250–1517, in: Ulrich Haarmann (Hg.), Geschichte der arabischen Welt, München 1994, S. 217–263, hier S. 257ff.

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Der Niederrheinische Orientbericht

preistere steint up eynnem hoen stoil und pretgent van deme undoitlichme gode und van dem krysten gelouven we sy beste konnen. Und wan eyn partie der preistere gepretget hat so stiget de ander partie up den stoil und weder pretget dat we hie beste kan na syme gelouven ind da sitzent dan de Tatteren man ind wyff iunck ind alt und horent [141v] yrre alre pretgate und wes pretgate in bes behait na dem gelouven mach hie sich halden. // Vort de ioden plegent da zo dem eirsten zo pretgen de werdent alze hantz aff gelacht myt erer eigen schryfft. // Vort de orden mynrebroder der pretger Augustine Carmeliten de da wonnent de geldent kinder vur ir gelt de alle zungen kunden als da eyn sede ”is# und de couflude gevent in ouch reisege kinder168 de sy geldent in allen landen. Und de kindere lerent de brodere ir sprache also dat alle de broder alle spraiche wail konnen. Ind de brodere lerent de kindere alle pretgate und we sy alle dinck verantworden sollen dat hant sy alle in boiche geschreven dat lerent sy de kinder en buyssen als ir pater noster und werdent etzlichen altze vrome lude ind sint dem orden altze nutze. Ind wan sy dan der orden eigen sint so en mogen sy neit up horen noch intflein.

Vort der Tatteren cleider sint als der lude van Armenien mer sy

hant up dem houfde eynnen kurtten ”n#ederen169 hoet van viltze da steit up eyn veder van eynre Alsteren de sint da alze wert. De brengent de couflude dar van verren lantz und we der vederen neit en kan gehaven de nympt ein ander veder van eyme anderen vogel und mois ummer” # eyn veder haven up syme houfde umb gehoirsamgeit willen want ir eirste here verlois zo eynre zyt eynnen stryt und vlo in eynnen busch da waren Alsteren ynne. Und do eme de viande na volgden bis an den busch do sprachen sy zo samen hie en machte gein mynsche syn want were eynich mynsche in dem busche den melten de Alsteren und sy en sagen yn neit in dem bussche und dar umb satten de heren dat gein Tatter en solde sin hey en solde dragen van gehoirsamgeit wegen eyn veder van eynre Alsteren off van eyme ander vogel up syme houfde in wat lande hie were in ere der Alsteren.170 Und dese lude sint noch altze gehoirsam yrme heren und sint altze snel ind alze gude schutzen und war sy treckent myt der macht [142r] so nement sy wyff und kint koe ind kalff und schaiff myt in 168 A up dat sy alle sprache leren. Die folgenden drei Sätze fehlen in A. 169 nederen ] vederen nach A 170 A und B weichen bei der Bedeutung der mongolischen Kopfbedeckung in Details von einander ab, ohne dass sich große sachliche Differenzen zeigen.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Priestern zusammenkommen und der Bischof und die Priester stehen auf einem hohen Stuhl und predigen vom unsterblichen Gott und von dem Christenglauben, wie sie es am besten können. Und wenn eine Gruppe der Priester gepredigt hat, dann steigt die andere Gruppe auf den Stuhl und predigt dagegen, wie er es nach seinem Glauben am besten vermag, und da sitzen dann die Tataren, Männer und Frauen, Junge und Alte und hören ihre gesamte Predigt und wessen Predigt ihnen besser behagt, an dessen Glauben kann sich jeder halten. Die Juden pflegen dort als erste zu predigen, die werden auf der Stelle mit ihrer eigenen Schrift widerlegt. Die Orden der Minderbrüder der Prediger, die Augustiner und Karmeliten, die dort leben, die kaufen Kinder mit ihrem Geld, die alle Sprachen können, wie es da Sitte ist, und die Kaufleute geben ihnen auch umherziehende Kinder, die sie in allen Ländern kaufen. Und diese Kinder lehren die Brüder ihre Sprache, sodass die Brüder alle Sprachen wohl sprechen. Und die Brüder lehren die Kinder alle predigen und wie sie auf alles antworten sollen, das haben sie alles in ihren Büchern aufgeschrieben; das lehren sie die Kinder inzwischen als ihr Pater noster und von ihnen werden manche sehr fromme Leute, die dem Orden sehr nützlich sind. Und da sie dann Eigentum der Orden sind, können sie sich nicht weigern oder entfliehen.122 Die Kleidung der Tataren gleicht der der Leute von Armenien, aber sie tragen auf dem Haupt einen anliegenden, flachen Hut aus Filz, von dem eine Elsternfeder absteht, die da sehr kostbar sind. Die bringen die Kaufleute aus fernen Ländern dorthin und wer solche Federn nicht erwerben kann, der nimmt eine andere Feder von einem anderen Vogel und muss immer eine Feder auf seinem Haupt haben, um der Gehorsamkeit willen; denn ihr erster Herrscher verlor einstmals einen Kampf und floh in ein Gebüsch, in dem Elstern waren. Und als ihm die Feinde bis an das Gebüsch nachfolgten, da sprachen sie untereinander, hier könne kein Mensch sein, denn wenn ein Mensch in dem Gebüsch wäre, den würden die Elstern melden und sie sahen ihn nicht in dem Gebüsch; und deshalb ordneten die Herren an, dass es keinen Tataren geben solle, der nicht aus Gehorsamsgründen eine Feder von einer Elster oder von einem anderen Vogel auf seinem Haupte trage, in welchem Lande er wäre, zur Ehre der Elster. Und diese Leute sind immer noch ihren Herrschern sehr gehorsam und sie sind sehr tapfer und sehr gute Schützen und wo immer sie mit Macht hinziehen, da nehmen sie Weiber und Kinder, Kühe und Kälber und

122 Der Menschenhandel war nicht nur im Mittelmeerraum ein wichtiges Instrument in Herrschaft und Wirtschaft. Siehe zu diesem noch wenig erforschten »Geschäftsfeld« Reuven Amitai, Christoph Cluse (Hgg.), Slavery and the Slave Trade in the Eastern Mediterranean (c. 1000– 1500 CE), Turnhout 2018. Offenbar wurden Kindersklaven auch von den Predigerorden erworben und für Zwecke der Mission eingesetzt. So berichtet dies auch Johannes von Hildesheim, vgl. Christern, Legende, S. 110.

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da nerent sy sich aff wa sy sint in dem lande off vur eyme slosse als lange bis sy dat gewynnet inde de wyff scheissent also sere als de man. // Vort so wanne sy ir doichter willent beraden de rynnet up den mart vur de lude myt eyme bogen und scheissent. So we dan alre beste schust de kompt alre eirst zo manne. Mer war de Tatteren zeint buyssen yrme lande by coningen off by heren da sint sy altze verdreislich zo halden want wat man in gift in en genoicht neit. // Vort in alle yrme lande en geldent de lude noch en vercouffent neit myt goulde noch myt sylver mer myt cleynnen stucken papirs de sint getzeichent dar na dat eyn stuck sal gelden. Und als dat stuck wilt vergain // so gift man eme eyn ander vur dat alde zo vergeefs. Vort alle goult und sylver machent sy zo cleynnode und zo groissen vassen und da is alze grois vrede in dem lande und alze vil richer comenschaff. Und wanne eyn koufman dar kan komen zo eynre zyt de hat alle syn dage genoich. Mer de lude de dar willent de moissen alze verre umb zein want der soldain en leist sy neit de richde durch ”zein#171 want de heiden usser syme lande selver dar varent. Und alle dinck ”sint#172 da riche ind goit und goitz coufs. // Vort wanne de Tatteren willent trecken myt gantzer macht so en koment sy neit weder heim sy en sint doit173 off sy haven gewonnen174. Inde sy rident cleynne pert ind wanne sy willent175 so doint sy den meisten schaden myt scheissen in der vloigt und rident kurte sterappe.

Vort we eyn here is deser Tatteren de heist da in dem lande der

keyser van Kathagien und sin recht name is der groisse Can dat is der groisse hunt. Den name hat hey wan hei keyser wirt want hie sich hat umb gebissen myt allen luden in Orienten und nu is eyn verbunt tusschen dem keyser und preister Iohanne dat des eyns eirsten sun nympt des anderen doichter. Want do de Tatteren [142v] eirst uss brachten do wonnen sy eme alze vil landes aff und slogen synen sun doit in eyme stryde. Nu hant sy dese vruntschaff gemacht under sich dat quam zo van den heilgen dry coningen da were lanck aff zo sagen. Mer nu is der keyser van Kathagien der richste und geweldichste here de nu in der werelde is und de soldain und alle coninge unde heren van over mer en sint neit so grois und so riche als hie al-

171 zein ] syn 172 Ergänzt nach A. 173 A geslagen 174 A off sy haven gewonnen fehlt 175 A vlient

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Schafe mit sich, von denen ernähren sie sich, wo immer sie sich in dem Lande oder vor einer Burg befinden, so lange bis sie alles erobert haben und die Frauen schießen so gut wie die Männer. Wenn sie ihre Töchter verheiraten wollen, so rennen diese mit einem Bogen zu den Leuten auf den Markt und schießen. Welche dann am besten schießt, die erhält als erste einen Mann. Aber wohin die Tataren in ihrem Lande zu Königen oder zu Herren ziehen, da sind sie sehr leicht unzufrieden, denn was man ihnen gibt, das genügt ihnen nicht. In ihrem Land kaufen und verkaufen die Leute nicht mit Gold oder mit Silber, sondern mit kleinen Papierscheinen, auf denen bezeichnet ist, was ein Schein wert ist. Und wenn der Schein abgenutzt ist, so gibt man ihnen einen anderen zum Ersatz für den alten. Alles Gold und Silber machen sie zu Schmuck und zu großen Gefäßen und es gibt sehr großen Frieden in dem Land und sehr viel auserlesene Handelsgüter. Und wenn ein Kaufmann einmal dorthin kommt, dann hat er für alle seine Tage genug. Aber die Leute, die dort hinwollen, die müssen sehr weit umherziehen, denn der Sultan lässt sie nicht direkt durchziehen, denn die Heiden aus seinem Land fahren selber dort hin. Und alle Güter sind da erlesen und hochwertig und erschwinglich. Wenn die Tataren mit ganzer Macht umherziehen, dann kommen sie nicht wieder heim, es sei denn, sie sind tot oder sie haben gewonnen. Und sie reiten kleine Pferde und wenn sie wollen, dann fügen sie den meisten Schaden mit Bogenschüssen im Galopp zu und sie reiten mit kurzen Steigbügeln. Wer Herrscher über diese Tataren ist, der heißt dort in dem Land Kaiser von Ka­ thagien123 und sein richtiger Titel lautet der große Khan, das bedeutet der große Hund.124 Diesen Namen trägt er, wenn er Kaiser wird, denn er hat sich mit allen Leuten im Orient bissig gestritten und nun gibt es ein Bündnis zwischen dem Kaiser und Priester Johannes, dass der Erstgeborene des einen die Tochter des anderen ehelicht. Als damals die Tataren zuerst loszogen, da eroberten sie von ihm sehr viel Land und schlugen in einem Kampf seinen Sohn tot. Nun haben sie untereinander diese Freundschaft geschlossen, das trug sich wegen der Heiligen Drei Könige zu, wovon lange zu erzählen wäre. Aber jetzt ist der Kaiser von Kathagien der reichste und mächtigste Herr auf der Welt und der Sultan und alle Könige und Herrscher

123 RM geben Kithaï an (S. 57, Fn. 4). Abendländische Berichte sprechen von Cathay, wenn sie das Herrschaftsgebiet der Mongolen im Norden Chinas meinen. Vgl. hierzu Reichert, Begegnungen, S. 94ff. 124 Im lat. Westen wurde der Begriff Khan (Khagan, Ilchan) mit dem lat. canis (Hund) assoziiert.

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Der Niederrheinische Orientbericht

leynne is want hie is here over alle de lant da Aswerus conick was. // Vort is here over alle de lant de Darius und Balthasar hadden. Vort hat hie de stat und dat conickrich van Nyneve und Mesopitanien da vluyst umb eyn vloss uss dem paradise dat heist Tygris. // Vort de groisse stat zo Nyneve de is alze sere vorgangen und hat myt eynre siden gelegen weder eynnen berch und myt der anderen syden lanxs eyn groiss wasser dat kompt ouch uss dem paradise dat heist Eufrates. Mer alle de huyss van der stat en havent neit by eyn gelegen und hant alle tusschen dem berge und dem wasser lanxs gelegen as eyn straisse und de hus hant under wilen alze wide van eyn gelegen also dat vil wingarde ind acker lant und ander dinck da en tusschen hait gelegen unde dan hant ewer huys zo samen gelegen myt groissen houffen und neman en kan zo komen zo beiden siden vur dem berge und vur dem wasser. Mer zo vorentz had de stat alze schoin muren und turne gehat unde altze schoin portzen. Ouch hant sy da alze vil schoinre kirchen und krysten cloister gehat. Ind de stat wonnen de Tatteren zo lest und da starff Halaam des keysers broder.

Vort hat der keyser van Kathagien alle de stede in Indien de der Romer

waren und hat alze vil schoinre lant de Alexander hadde unde sunderlingen hatte hey unden de berge da Allexander de ioden ynne beslois ind da deit man alze groisse hode zo dat de neit uss en brechent. // Vort hat der keyser alle de lant de Nabodosor176 hadde. [143r] Vort hat der keyser dry stede de prisent de lude dat de besser sint und richer dan alle des soldains heirschaff und dese stede sint genant Baldach Thauris Cambeloch. // Vort de stat Baldach

176 A Nabugodonosor

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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über See sind nicht so mächtig und so reich wie er alleine, denn er ist Herrscher über das ganze Land, in dem Aswerus König war. 125 Sodann ist er Herrscher über alle die Länder, die Darius und Balthasar besaßen. Dann hat er die Stadt und das Königreich von Ninive und Mesopotamien unter sich, dort fließt ein Paradiesfluss, der Tigris heißt. Die große Stadt Ninive ist nun längst vergangen und sie war an einer Seite an einem Berg gelegen und mit der anderen Seite am Ufer eines großen Flusses, der auch aus dem Paradies kommt und Euphrat heißt. Aber alle Häuser der Stadt lagen nicht beieinander, sondern sie standen alle zwischen Berg und Fluss wie auf einer Straße aneinandergereiht und die Häuser lagen mitunter so weit auseinander, dass viele Weingärten und Äcker und anderes dazwischen liegen und dann standen Häuser in großen Haufen wieder zusammen und niemand kann von beiden Seiten, vom Berg und vom Wasser, hineinkommen. Aber zuvor hatte die Stadt sehr schöne Mauern und Türme gehabt und sehr schöne Tore. Auch hatten sie da sehr viele schöne Kirchen und christliche Klöster besessen. Und diese Stadt haben die Tataren zuletzt erobert und dort starb Halaam, der Bruder des Kaisers.126

Sodann besitzt der Kaiser von Kathagien alle Städte in Indien, die den Römern gehörten und sehr viel schöne Gebiete, die Alexander besaß und insbesondere besaß er die Berge, hinter denen Alexander die Juden einschloss und da gab man besonders Acht darauf, dass die nicht ausbrechen.127 Weiterhin besaß der Kaiser alle Länder, die Nebukadnezar128 gehörten. Dann besaß der Kaiser drei Städte, die die Leute loben, dass sie schöner und prächtiger sind als die gesamte Herrschaft des Sultans und diese Städte hießen Bagdad, Thauris129 und Cambeloch.130

125 Gemeint ist der in der Bibel mehrfach (Esra 4,6, Daniel 9,1 und im Buch Ester 1,1) genannte Xerxes, der Sohn des Darius bzw. Ataxerxes (Ahasveros). Aswerus wird auch bei Johannes von Hildesheim als Herrscher von Indien bis Äthiopien und in der volkssprachlichen deutschen Literatur (Reinfrit von Braunschweig) als König von Indien genannt. 126 Zu den historischen Vorgängen in Syrien und im Reich der Ilchane im 13. Jahrhundert vgl. Ulrich Haarmann, Der arabische Osten im späten Mittelalter, hier S. 221. 127 Die Erzählung von den eingesperrten Völkerscharen, seien es die verlorenen Stämme Israels oder die apokalyptischen Völker Gog und Magog, ziehen sich im Gefolge der Alexandertradition durch die Literaturen des lat. Westens. Die biblischen Fabelvölker wurden in spätmittelalterlichen Reiseberichten (Marco Polo, Milione, LXXIX, S. 111, Mandeville, Reisebeschreibung, S. 151ff.) im fernen Osten lokalisiert. 128 König des babylonischen Reiches und Zerstörer Jerusalems. 129 Gemeint ist Susa. Thauris oder Tauris wird gelegentlich mit Täbris im Iran verwechselt, so bei Odorich von Pordenone, vgl. Reichert, Die Reise, S. 27f. 130 Khan-balik (Stadt des Khan), gemeint ist Peking.

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Der Niederrheinische Orientbericht

was der heiden Caliphen dat was ir pais. Ind we na Magomet wart gekoren177 den heisschen de heiden Caliphen als de krysten doint den pais de na sent Peter is. Ind in den zyden do de Tatteren alsus alle lant wonnen myt der macht do was eyn conick zo Armenien de heisch Aita de reit myt willen umb genade an den keyser van Tatteren. Da reden de templere myt und do vreuwede sich der keyser alze sere dat van so verren landen krysten coninge ind heren zo eme reden umb genade und hie untfeinck sy alze schone und sy bleven by eme zwei iair und do sy heim wolden do leis sy der keyser keysen wat sy wolden dat solde geschein. Do baden sy in dat hie myt syme volcke krysten wolde werden und dat it eyn ewege vruntschaff were tuysschen den krysten ind den Tatteren unde dat hie Baldach wonne und dat hie Iherusalem ind dat heilge lant wonne und geve dat den krysten und alle de dinck dede der keyser zo hantz und gaff in breve we sy de wolden han und beval syme broder Halaam dat hie myt in rede und wonne dat heilge lant. Und do sy quamen zo Nyneve do starff Halaam. // Vort beval hie zwen178 houft luden der hatte yeckerlich under eme dryssich dusent Tatteren de zogen vur Baldach und sturmden dat in dryssich dagen ind nachten sunder underlais und wonnen de stat ind slogen doit allet dat da was. Mer den Caliphen veingen sy levendich und brachten den vur den keyser und vur de templere und alle synen schatz des was alze vil ind so grois dat da gein mynsche en was de so vil gudes179 hette gesein. Do verwonderden sich der keyser ind de templere des schatz und vragden den Caliphen war umb en hette hie neit so vil ludes verzolt dat hie de stat hed gewert myt dem schatze. Do sprach der Calipha [143v] dat hedde eme gedain bose rait want sy hatten eme gesacht de wyff solden wal de stat behalden vur den Tatteren. Do satten sy ”den# Caliphen weder in syne camer und worpen goult ind sylver ind edel steynne vur in und sprachen alsullich man de Magometz ee leirde und der heiden got were de en sulde neit essen dan goult ind gesteintze. Ind also leifde hie bis an den XIII dach und sy namen also vil cleynnodes und schatz in der stat dat noch al dat lant rich da van is. Ind it en is neit vil vas van goulde noch van sylver in dem lande it en sy gewest zo Baldach und dar na en wart den heiden gein Caliphen me bis an desen dach. 177 A geboren 178 A zien 179 A grois (Schatz?)

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Der Kalif von Bagdad In der Stadt Bagdad residierte der Kalif der Heiden, das war ihr Papst. Und wer nach Magomet gewählt wurde, den nennen die Heiden einen Kalifen so wie die Christen denjenigen Papst nennen, der Nachfolger Sankt Peters ist. Und zu den Zeiten, als die Tataren alle Länder mit Gewalt eroberten, da gab es einen König in Armenien, der Hethum hieß, der ritt mit der Absicht, um Gnade zu bitten, zum Kaiser der Tataren.131 Da ritten die Templer mit und der Kaiser freute sich da sehr, dass von so weit her Christen, Könige und Herren zu ihm ritten, um Gnade zu erbitten; und er empfing sie sehr ehrenvoll und sie blieben zwei Jahre bei ihm und als sie heimwollten, da ließ der Kaiser sie wählen: Was ihnen gefiel, das sollte gewährt werden. Da baten sie ihn darum, dass er mit seinem Volke Christ werden möge und dass es eine ewige Freundschaft zwischen den Christen und den Tataren gebe, und dass er Bagdad erobern möge und dass er Jerusalem und das Heilige Land erobere und das den Christen wiedergebe; und alle diese Dinge erledigte der Kaiser auf der Stelle und gab ihnen Briefe mit, um die sie gebeten hatten und befahl seinem Bruder Halaam, dass er mit ihnen ritte und das Heilige Land erobere. Und als sie nach Ninive kamen, starb Halaam. Sodann befahl er zwei Hauptleuten, von denen ein jeder 30.000 Tataren befehligte, dass sie nach Bagdad zögen und die Stadt in 30 Tagen und Nächten ohne Unterlass bestürmten; und sie eroberten die Stadt und schlugen alles tot, was es da gab. Nur den Kalifen fingen sie lebendig und brachten ihn vor den Kaiser und vor die Templer und seinen gesamten Schatz, der sehr groß war, so groß, dass kein Mensch da war, der je so viel Reichtum gesehen hatte. Da wunderten sich der Kaiser und die Templer über den Schatz und fragten den Kalifen, warum er nicht so viele Leute besoldet habe, dass er die Stadt mit dem Schatze verteidigt hätte. Da sprach der Kalif, das hätten ihm üble Ratgeber eingebracht, denn sie hätten ihm gesagt, die Frauen sollten die Stadt wohl vor den Tataren bewahren. Da sperrten sie den Kalifen wieder in seine Kammer und warfen Gold, Silber und Edelsteine zu ihm und sagten, dass solche Männer, die Magomets Lehren verträten und Heidengötter wären, die sollten nichts als Gold und Edelsteine essen. Und derart lebte er bis an den 13. Tag und sie nahmen so viel Kleinodien und Schätze aus der Stadt, dass davon noch das ganze Land reich ist. Und es gibt nicht viele Gold- und Silbergefäße in dem Land, die nicht aus Bagdad sind und danach gab es keinen Kalifen mehr bei den Heiden bis auf den heutigen Tag. 131 Die Schilderung vom Ende des Kalifenreiches der Abbasiden ist Gemeingut, das sich auch bei Ludolf von Sudheim, Johannes von Hildesheim und Johannes von Mandeville findet. Als gemeinsame Quelle wird die Historia Orientalis des Hayton von Kyrakos angenommen (vgl. RM, S. 58, Fn. 8).

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort by der stat Baldach eyne halve weltsche myle da licht groiss

Babilonia so na dat man wal bescheidelichen suyt de stucken an dem turne und van den pallasen und we groiss und we schone de stat gewest had da vint man alze vil van geschreven. Mer da en is neman in dem lande de da gewest have want dat is alze vil diffes unreines broiches en tuysschen want Babilonien hat gelegen up eyme groissen wasser des paradises dat heist Eufrates dat west eyns in dem iaire also grois dat alle dat lant verre da umb is da van vol wassers180. Ind do man de stat wan do groven de viande alze vil graven wal eyn myle al umb de stat und leissen dat wasser durch de graven dat sy dar over woiden. Ind wan dat wasser in de graven kumpt da wirt it alze bose und unreyne aff und da wassent alze vil quader181 wurme in den broichen dat neman en kan da ave komen und neman en keirt da eyniche macht an. Wan dat wasser also grois wirt so koment groisse schiff uss Indien und brengent alze vil richer comenschaff und dan varent de schyff by der stat also nae also dat de lude alle dinck van steynnen muren und pallasen seint. Nu is Babilonien over gelacht und heist Baldach und is nu der bester stede [144r] eyne de in der werelde is und we grois schone und riche sy is da were vil aff zo sagen.

Vort hat der keyser van Kathagien eyn ander stat de also grois

richer is und schoinre de heist Cambeloch we manich dusen bruggen da over geint und we vil richer ind starcker de is da were vil aff zo sprechen.

Vort hat der keyser eyn ander stat de heist in der schryfft Susis

und heist nu da Thauris. In der stat woinde conick Aswerus182 und da geschach dat wonder da man ave list und in deser stat is der durre boum da man vil aff spricht da der keyser synnen schilt an sal hangen

180 A gestreuwet 181 quad, quat, adj. oder adv., böse, schlecht, DWB, Bd. 13 Sp. 2294 182 A ind da was der hof

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Über Babylon (Bagdad) Eine halbe welsche Meile von Bagdad liegt das große Babylon, so nah, dass man die Ruinen vom Turm und von den Palästen genau sieht und wie groß und wie schön die Stadt gewesen ist, darüber findet man viel geschrieben. Aber es gibt da niemanden in dem Lande, der dort gewesen ist, denn dazwischen liegen sehr viel tiefe, schmutzige Sümpfe; denn Babylon war an einem großen Paradiesfluss gelegen, der Euphrat heißt; der schwillt einmal im Jahr so hoch an, dass alle Länder weit herum dadurch überschwemmt werden. Und als man die Stadt eroberte, da gruben die Feinde sehr viele Gräben wohl eine Meile um die Stadt herum und ließen das Wasser durch die Gräben ab, sodass sie darüber wateten. Und wenn das Wasser in die Gräben kommt, wird es dort schlecht und schmutzig und es vermehren sich da in den Sümpfen viele giftige Schlangen, sodass niemand da durchkommen kann und es unternimmt niemand große Anstalten dazu. Wenn das Wasser wieder steigt, dann kommen große Schiffe aus Indien und bringen sehr viel kostbare Handelsware und dann fahren die Schiffe so nah an die Stadt heran, dass die Leute von den steinernen Mauern und Wohnhäusern alle Dinge sehen. Jetzt ist Babylon höher gelegen und heißt Bagdad und ist nun eine der schönsten Städte, die es in der Welt gibt und wie groß, schön und reich sie ist, davon wäre viel zu sagen.

Der Kaiser von Kathagien besitzt eine weitere Stadt, die so groß und mächtiger und schöner ist, die Cambeloch heißt; wie viele tausend Brücken da hinüberführen und wie viel mächtiger und stärker sie ist, davon wäre viel zu berichten.

Die Sage vom dürren Baum Der Kaiser besitzt eine weitere Stadt, die heißt in der Bibel Susa und wird nun Thauris genannt.132 In der Stadt lebte Aswerus und dort geschah das Wunder, von dem man liest133 und in dieser Stadt steht der dürre Baum, von dem man viel erzählt,

132 Susa galt als Aufenthaltsort des Propheten Daniel im babylonischen Exil, dessen Grab nach jüdischer und arabischer Überlieferung dort verehrt wurde; die Stadt war zeitweise ein Wallfahrtsziel. Im alttestamentlichen Buch Ester wird Susa als Stadt Königs Ahasveros häufiger erwähnt. Die Stadt lag im Grenzgebiet zwischen Irak und Persien und wurde 1259 von den Mongolen erobert. 133 Die Rettung der Juden durch Esther.

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Der Niederrheinische Orientbericht

und man spricht dat dis boum have gestanden van Abrahams zyden. Mer neman en kan gewyssen wat boums it gewest have und is allet an eynre maissen und vergeit noch en vervulet neit. Van alders is des landes vil da myt gewonnen und verloren want it van alders eyn sede is gewest in dem lande dat haldent sy noch alze vaste wanne eyn here off eyn conick so starck was dat hie intgain den heren des dat lant was in de stat synen schilt hinck myt macht an den boum den heilte alle dat lant vur eynen heren ain weder sprache. Mer was eyn here wale in der stat myt gewalt und en kunte hie synen schilt neit gehangen an den boum so en heilten sy in neit vur eynen heren und den boum hant sy nu alze183 vaste umb macht und behot also sere ind wale und we vil stryde van den Romeren und van anderen coningen ind heren umb desen boum is gewest das were vil aff zo sprechen. Da is also vil ave geschreven.

Vort in der stat hat der keyser synen hoff alze vil richer dan

Aswerus hatte und den hoff hatte hie des iairs eyns in der zyt als hie geboren wart unde wanne hie yrgen ridet so trecket sin volck allet hin zo beiden siden me dan sees mylen da alle de stede [144v] ind dorpper vol ligent und sy en ko”nn#ent neit zo samen komen noch gereiden. Mer de wysten und de besten rident by de”m# keyser und war hei ridet durch stede off durch dorpper da geleist it off it birne van rouche dat kumpt van guden crude dat de rouch up sleit van yn als eyn nevel van dem crude. // Vort ridet der keyser up eynre rosbaren tuysschen zwen helpenderen da sitzet by eme sin elste sun und syn velckener und sin leifte vogel hunde. We schone ind riche de rosbare is und allet dat gereide da were vil aff zo sprechen.

183 A starck ind

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Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

an den der Kaiser seinen Schild hängte;134 und man erzählt, dass dieser Baum seit Abrahams Zeiten dort gestanden habe. Aber niemand kann wissen, was für ein Baum es gewesen ist und er bleibt stets in der gleichen Form und er vergeht und verfault nicht. Seit alters her wurde damit im Lande viel gewonnen und verloren, denn es gab von alters her in dem Land eine Sitte, die sie noch immer sehr strikt befolgen: Wenn ein Herrscher oder ein König so mächtig war, dass er gegen den Herrscher des Landes an der Stelle seinen Schild mit Gewalt an den Baum hing, den hielt das ganze Land ohne Widerspruch für einen Herrscher. Aber wenn ein Herrscher mit Gewalt in die Stadt eingedrungen war und er seinen Schild nicht an den Baum hängen konnte, dann hielten sie ihn nicht für einen Herrscher; und den Baum haben sie so gut umzäunt und so umsichtig geschützt und wieviel Streit es seit den Römern und anderen Königen und Herren um diesen Baum gegeben hat, davon wäre viel zu sprechen. Darüber ist auch viel geschrieben.

Herrschaft, Hofhaltung und Reichtümer des Khans In der Stadt hält der Kaiser seinen Hof sehr viel aufwändiger als Aswerus und den Hof hält er hier einmal zu der Jahreszeit, in der er geboren wurde; und wenn er irgendwohin reitet, dann zieht sein Volk neben ihm zu beiden Seiten mehr als sechs Meilen mit, sodass alle die Städte und Dörfer voll sind und sie können nicht gemeinsam kommen und reiten. Nur die Weisesten und Besten reiten neben dem Kaiser und wohin er durch Städte oder durch Dörfer reitet, da sieht es aus, als ob es brenne und rauche; das kommt von guten Gewürzen, von denen Rauch bei ihnen hochsteigt wie ein Nebel aus Kräutern. Der Kaiser reitet auf einer Sänfte zwischen zwei Elefanten, bei ihm sitzt sein ältester Sohn und sein Falkner und seine liebsten Vogelhunde. Wie schön und prächtig die Sänfte ist und all das Reitzeug, da wäre viel von zu sprechen.

Abb. 13: Ogadai Khan (Recreation of a Yuan portrait in the National Palace Museum in Taipei)

134 Zu dieser Sage vgl. Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, Bd. II., Berlin 1875–1878, S. 800 und Friedrich Zarncke, Der Priester Johannes, in: Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 7 (1879) S. 1011f., Johannes von Hildesheim erzählt die Sage im Zusammenhang mit der Geschichte der Tataren, vgl. Christern, Legende, S. 107ff. und Behland, Dreikönigslegende, S. 196f., Odorich von Pordenone erwähnt sie kurz, vgl. Reichert, Die Reise, S. 27.

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Na der geburt unss heren MCCC ind XL iair do leifde der werde184

keyser de in Tatteren keyser gewest was und was eyn kurt dick man und eyn vrome man und was alze wys oitmodich und got vortich de quam zo der stat Thauris da der conick Aswerus wonde. So is da eyn sede in dem lande wan der keyser kumpt in eyn stat off by eyn dorpp so geint eme vurgain man und wyff iunck ind alt myt piffen ind myt bungen und myt seiden spele und dantzent we sy beste konnen umb dat der keyser lache mer neman en mois zeirst intgain ain gave mallich na synre macht185. Und zo den zyden do der keyser alsus quam zo Thauris do geingen eme ouch intgegen de mynrebroder myt yrme cruce und mallich gaff eme eynnen appel und sy sprachen sy en hetten goult noch sylver und sy en wolden noch en moisten des neit haven und do der keyser wart bericht wat lude it waren do leis hie stain de rosbare ind bat de brodere dat sy zo eme quemen. Ind hie dede synnen hot vurgain sy aff186 und nam de eppel myt groisser oitmodicheit und as da van und gaff ir syme soene und alle den coningen und heren und bat de brodere dat sy quemen zo yrme hoeve da leis hie in machen eyn sunderlinge taiffel vurgain de syne und zo synre taiffelen clam187 man up [145r] dry grede. An dem oversten grade sas der keyser und de keyserynnen und sin elste sun und an dem anderen grade saissen coninge und coningynnen und an dem dirden grade saissen hertzogen und greven und vursten und alsuliche edel vrauwen und we schone und riche dat pallais was van goulde und van silver und van edelme gesteintze und we schone und we riche dar alle dinck waren dat en kunde eyn mynsche neit begriffen noch gesprechen.

Vort under dem essen waren koucheler ind meistere van manicher

hande kunsten myt lewen ind deren myt vogelen de sy dar zo hadden gemacht dat sy dat volck vrolich machden. Und do man gessen hadde do spraichen de brodere Gratias und do der keyser wart bericht wat sy sprechen do wart eme alze leve und leis sy by in sitzen und bat sy dat sy Benedicite und Gratias sprechen in synre sprachen und hie dede dat zo hantz schryven und war hie quam da heilde hie Benedicite und Gratias und alle lude myt eme bis an desen dach unde hie was eyn vrome goit man188.

184 A virde 185 A dar na dat he ryche is 186 A ind he dede synen hot nit gane sy af 187 Mhd. klimmen, stv., steigen, klettern 188 A unde hie was eyn vrome goit man fehlt.

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Nach der Geburt unseres Herrn im Jahr 1340 lebte der edle Kaiser, der in der Tatarei gewesen ist,135 und er war ein kleiner, dicker Mann und ein tapferer Mann und in jeder Hinsicht demütig und gottesfürchtig; der kam zu der Stadt Thauris, wo der König Aswerus wohnte. Es gibt da eine Sitte in dem Land: Wenn der Kaiser in eine Stadt oder zu einem Dorf kommt, dann gehen ihm Männer und Frauen, Jung und Alt, mit Pfeifen und mit Trommeln und mit Saitenspiel entgegen und tanzen, wie sie es am besten können, damit der Kaiser lache; aber niemand darf ihm zuerst begegnen ohne ein Geschenk, jeder nach seinem Vermögen. Und zu der Zeit als der Kaiser so nach Thauris kam, da gingen ihm auch die Minderbrüder mit ihrem Kreuz entgegen und jeder gab ihm einen Apfel und sie sprachen, sie hätten kein Gold oder Silber und sie wollten und könnten das nicht besitzen; und als dem Kaiser berichtet wurde, was für Leute sie waren, da ließ er die Sänfte stehen und bat die Brüder, dass sie zu ihm kämen. Und er zog seinen Hut vor ihnen und nahm die Äpfel mit großer Demut entgegen und aß davon und gab sie seinem Sohn und allen Königen und Herren und bat die Brüder, dass sie zu seinem Hofe kämen, wo er ihnen eine besondere Tafel gegenüber seiner eigenen bereiten ließ; und zu seiner Tafel stieg man wohl drei Stufen hinauf. Auf der obersten Ebene saßen der Kaiser und die Kaiserin und sein ältester Sohn und auf der zweiten Ebene saßen Könige und Königinnen und auf der dritten Ebene saßen Herzöge, Grafen und Fürsten und ihre Edelfrauen, und wie schön und wie reich der Palast an Gold, Silber und Edelsteinen war und wie schön und wie prächtig alle Dinge waren, das kann kein Mensch begreifen noch berichten.

Während des Essens spielten Gaukler und Meister in allerhand Künsten mit Löwen, Tieren und Vögeln, die sie dazu abgerichtet hatten, dass sie das Volk erfreuten. Und als man gegessen hatte, da sprachen die Brüder »Gratias« und als dem Kaiser übersetzt wurde, was sie sprechen, da gewann er sie sehr lieb und ließ sie bei sich sitzen und bat sie, dass sie das »Benedicte« und »Gratias« in seiner Sprache beten und er ließ das sofort aufschreiben und wohin er kam, da sprach er das »Benedicte« und »Gratias«, und alle Leute mit ihm bis auf diesen Tag und er war ein tapferer und guter Mann.

135 RM vermuten, dass Hasan ibn Timurtasch gemeint sei (S. 60, Fn. 5). Da Susa im Herrschaftsgebiet der mongolischen Dschalariden lag, käme auch der Herrscher Bagdads, Hasan Buzurg (1336– 1356) in Frage.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort war der keyser kumpt da mois man eme under dem essen

lesen alle de stucke und wonder de got had gedain in dem lande da Nabuchodonosor und Aswerus Arfaxat Balchasar Allexander heren gewest hadden da hie nu alleynne here is. Ind danckede oitmodelichen gode dat hie eme de genade hat gegeven unde de heirschaff. // Vort hat der keyser van Kathagien me velkener und ieger dan der soldain und in syme lande ”g#event189 de hunde lutzs des sy in anderen landen neit en doint und wa hei hene zuget da iagent und beissent de lude dat gein mynsche den anderen en kan gesein noch gehoren vur den hunden. // Vort hat der keyser van Kathagien alze vil sunderlinge lant dat allet beslossen190 wart und sunderlinge [145v] lude ynne wonnent.

Vort is da eyn sunderlinge wert da ynne en wont neman dan191

iunfrauwen de hant eyn coninginne und in dat lant en quam ney man. Mer sy sendent eren vrunden boden zo dem koment sy vur dat lant mer sy rident uss dem lande myt wapen myt groissen scharen und sy sint alze riche ind starck und scheissent alze wal myt bogen und wanne de coninginne wilt da rident sy altz stoultz myt und we erer eynne by coningen off by heren blyft da en mach sy neman van eynichen dingen an sprechen. Mer kreiget192 erer eyne eynchen vrunt den hant alle de anderen leif mer wan sy myt kinde werdent gainde so verlesent sy erer sterckden eyn grois deil und sint alze brunne iunfrauwen und hant lanck brun hair und hant up dem houfde slechte bogen van goulde und sy sint alze gesellich und vruntholt und sint grois van leden und wa sy sint da wirt in vil gegeven. Mer sy en heisschent neit want sy selver genoich hant und also rident sy van eyme coninge zo dem anderen. Ind ere cleydere bogen und pile de sint alze costlich und mallich vert uss dem lande inde weder in wan hie wilt. Unde wanne erer eyne wirt eyne doichter de behaldent sy in dem lande by in mer wirt it eyn sun de laissent sy hoden by dem lande bis hie zo synen193 dagen kumpt.

189 gevent ] levent in A und B 190 A bevlossen 191 A ioncge 192 A kuyst 193 A mundigen

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Wohin der Kaiser kommt, dort muss man ihm während des Essens alle die Stücke und Wunder vorlesen, die Gott in dem Lande, in dem Nebukadnezar, Aswerus, Arafaxat,136 Balthasar und Alexander Herrscher gewesen sind und wo er nun allein Herrscher ist. Und er dankte demütig Gott, dass er ihm die Gnade gewährt und die Herrschaft gegeben hat. Der Kaiser von Kathagien besitzt mehr Falkner und Jäger als der Sultan und in seinem Land geben die Hunde Laut, was sie in anderen Ländern nicht tun; und wo er hinzieht, da jagen und beizen die Leute, dass kein Mensch den anderen vor lauter Hunden sehen noch hören kann. Der Kaiser von Kathagien herrscht über sehr viel besonderes Land, das ganz verschlossen war und in dem besondere Leute wohnen.

Es gibt dort eine besondere Insel, auf der niemand anders wohnt als Jungfrauen, die eine Königin haben und in dieses Land kam nie ein Mann. Aber sie senden ihren Freunden Boten, zudem kommen sie aus dem Land heraus, aber sie reiten mit Waffen und in großen Scharen aus dem Land, und sie sind sehr mächtig und stark und sehr gut im Bogenschießen; und wenn die Königin will, dann reiten sie sehr stolz, und wenn eine von ihnen bei Königen oder bei Herren bleibt, dann kann niemand sie in gewisser Hinsicht ansprechen. Aber erhält eine von ihnen einen Freund, den haben auch alle die anderen lieb, aber wenn sie schwanger werden, dann verlieren sie einen großen Teil von ihrer Stärke; und es sind sehr dunkelhäutige Jungfrauen mit langen, braunen Haaren und sie tragen auf dem Haupt schöne Goldreifen, und sie sind sehr gesellig und zärtlich und haben große Gliedmaßen, und wo sie sind, da wird ihnen viel gegeben. Aber sie verlangen das nicht, weil sie selber genug haben, und so reiten sie von einem König zu dem anderen. Und ihre Kleider, Bogen und Pfeile sind sehr wertvoll und manche fährt aus dem Lande und wieder hinein, wann der König es will. Und wenn eine von ihnen eine Tochter gebiert, die behalten sie bei ihnen im Lande, aber wird es ein Sohn, den lassen sie behütet in dem Lande zurück, bis er erwachsen wird.

136 Biblisch erwähnter König der Meder (Buch Judith).

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort by dem selven lande wonnent wyff de rident myt den selven

iunfrauwen in den wapen und de man blyvent da heyme und spinnent und hoedent de kinder. // Vort by dem lande intgain dat oysten da vrient de iunfrauwen und de vrauwen de kneicht und de man als hie de man de vrauwen. // Vort hat der keyser eyn ander lant da wonnent alze cleynne lude de vechtent myt den cranen mer alle de lude van oisten und van orienten de clagent dat sy also groisse noit hant van den cranen wanne sy over strichent. [146r]

Abb. 14: Die Menschen im Land Indien (Hartmann Schedel, Weltchronik, Kolorierte Gesamtausgabe von 1493, Das ander alter der werlt Blat XII)

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Im selben Land wohnen Frauen, die reiten mit denselben bewaffneten Jungfrauen umher, und die Männer bleiben daheim und spinnen und hüten die Kinder. Bei diesem Land in Richtung Osten, da freien die Jungfrauen und die Frauen die Jünglinge und die Männer, wie hier die Männer die Frauen.137 Der Kaiser besitzt ein weiteres Land, dort leben sehr kleine Leute, die mit den Kranichen kämpfen, aber alle Leute aus dem Osten und dem Orient klagen darüber, dass sie so große Bedrängnis von den Kranichen erfahren, wenn diese über das Land streifen.

137 Ähnliche Angaben zu den Geschlechterrollen finden sich auch bei Odorich von Pordenone, vgl. Reichert, Die Reise, S. 30 und 32.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort hat der keyser eyn ander lant de lude de da ynne wonnent

de hant eynen aff got den malent sy noch groisser in dem lande off wa sy wonnent dan man hei sent Cristoffels maelt. Und den aff got hant sy in alze groisser eren dat sy sich selver dodent umb synen willen und wanne sich eyn maget wilt doden de henget eyn scharp metz an ” #eren haltz da geint dan alle de iunfrauwen vur yr als vur eynre brut dry dage over al de stat myt alle dem spille dat man vinden kan. So geint sy dan in den tempel vur den groissen af got und snyt ir selver den haltz ave des gebachent sich dan al ir geslechte. Und we ouch desen af got wil eren myt syme gude de brengent eme und offerent dat schoinste und dat beste cleynnoit dat sy hant und de lude van dem lande sprechent dat in dem tempel hange me cleynnodes van goulde ind van gesteintze dan in eynchme lande mage sin.194

Vort hat der keyser eyn ander lant. De lude de da wonnent und

wa sy sint de gelouvent wan eyn mynsche sterve dat syne sele var in eyn wilde dere und is it eyn goit mynsche gewest in syme leven so vert syn sele in eyn edel dere und is hie bose gewest so vert syn sele in eynnen wolff off in eynnen vois off in eyn unedel dere. Ind des wildes is da also vil und sint so zam dat sy den luden geint in ir huys und de lude lockent dat sy weder koment und doint in alze goitlichen want sy dat dar vur haldent dat erer alderen und vrunde sele sy in den deren und neman en dar sy vangen. Dar umb strichent de dere wilde ind zam zo dem lande.

Vort hat der keyser eyn ander lant. De lude de da wonnent de hant

claen up eren vingeren langer ind scharper dan eyn are dat sy da mede ”wilt#195 vangen und werent sich intgain dese groisse dere und sint alze snel also dat sy dere aff louffent und de lude [146v] essent roe vleisch. // Vort hat der keyser eyn ander lant dat is be”v#lossen196. De lude de da wonnent de swimment under deme wasser und 194 A Vort hait der keyser eyn ander lant ind die lude die da wonent die en essent nyet dan mynschenvleisch ind die lude varent in deme lande ind gelden”t# all lude knechte ind mayde die nyet en doegen ind mestent die ind villent die as swyn ind verkouffen sy ouch up den marten up den bencken. Vort hait der keyser eyn ander lant dat heischt da dat Paradys ind die lude sprechent da dat nyest deme Paradyse in der werelt geyn lustiger lant en sy. Ind wie dar gehoirsam is syme oversten der mach dar in komen ind wie des verdient dat he dar in koempt of in dat lant des vreuwet sich all syne gesleechte ind darumb is da alremallich deme keyser gehoirsam ind getruwe boven allen anderen. 195 wilt ] willent nach A 196 Ergänzt nach A

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Dem Kaiser untersteht ein anderes Land; die Leute, die dort wohnen, die verehren einen Abgott, den sie in dem Lande oder wo sie wohnen noch größer malen, als man hier Sankt Christophorus malt. Und den Abgott halten sie in sehr großem Ansehen, dass sie sich selber töten um seinetwillen und wenn sich eine Jungfrau töten will, hängt sie ein scharfes Messer um ihren Hals, da gehen dann alle Jungfrauen vor ihr wie vor einer Braut drei Tage über die ganze Stadt mit all dem Aufwand einher, den man treiben kann. Dann gehen sie vor den großen Abgott in den Tempel und sie schneidet sich selbst den Hals ab, dessen rühmt sich dann ihr ganzes Geschlecht. Und wer diesen Abgott auch mit seinem Gut verehren will, der bringt und opfert ihm das schönste und das beste Kleinod, das er besitzt und die Leute aus dem Land sagen, dass in dem Tempel mehr Kleinodien aus Gold und Edelsteinen als in irgendeinem anderen Lande sein mögen.138

Der Kaiser hat ein weiteres Land. Die Leute, die dort wohnen und wo immer sie sind, die glauben, wenn ein Mensch sterbe, dass seine Seele in ein wildes Tier fahre; und ist es in seinem Leben ein guter Mensch gewesen, dann fährt seine Seele in ein edles Tier und ist er ein schlechter Mensch gewesen, dann fährt seine Seele in einen Wolf oder in einen Fuchs oder in ein unedles Tier. Und es gibt da so viel Wild, das ist so zahm, dass es zu den Leuten ins Haus geht und die Leute locken es an, damit es wiederkommt und sie behandeln es so gut, denn sie glauben daran, dass die Seele ihrer Vorfahren und Verwandten in den Tieren sei und niemand darf sie fangen. Darum streifen die wilden und die zahmen Tiere durch das Land.

Dem Kaiser untersteht ein weiteres Land. Die Leute, die dort wohnen, die haben Klauen auf ihren Fingern, länger und schärfer als ein Adler, sodass sie damit Wild erlegen und sie wehren sich gegen diese großen Tiere und sie sind sehr schnell, sodass sie die Tiere im Lauf erreichen und diese Leute essen rohes Fleisch. Dem Kaiser untersteht ein anderes Land, das überflutet ist. Die Leute, die dort wohnen, die schwimmen unter Wasser und fangen Fische, die sie roh wie die Otter essen.

138 Zusatz aus Hs. A: Der Kaiser besitzt ein weiteres Land und die Leute, die dort wohnen, essen nur Menschenfleisch und die Leute ziehen im Lande umher und kaufen alle Leute, Knechte und Mägde, die nichts taugen, und mästen die und stopfen sie voll wie Schweine und verkaufen sie auch auf den Fleischbänken der Märkte. Der Kaiser besitzt ein weiteres Land, das heißt dort das Paradies, und die Leute sagen dort, dass nächst dem Paradies in der Welt kein schöneres Land sei. Und wer dort seinem Herrscher gehorsam ist, der kann dort hineinkommen, und wer das verdient hat, dass er dort hineinkommt oder in das Land, darüber freut sich ganzes sein Geschlecht und darum ist dort jedermann dem Kaiser gehorsam und treu über alles andere.

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Der Niederrheinische Orientbericht

vangent vische und essent de roe als otter. // Vort hat der keyser eyn ander lant dat is nu krysten worden de hant sy dat vur eynnen seden so wanne eyn wyff eyn kint hat so liget dat wyff dry wechen in kindelbedde und der man liget de dry ander wechen unde we hie ir dan geplogen hait so deit sy eme weder.

Vort alle dese wonderlinge seltzen lude sint da alle zyt in der co-

ninge und heren hoeve de dar koment ind gesant werdent de dunckent dat wir197 also seltzen sin als sy uns dunckent. // Vort van anderen landen und richdum und wielden198 und wonder de der keyser van Kathagien hat dat en ”kan# neman wal gesprechen noch begriffen199.

Vort sint over mer sunderlinge heiden de heisschent Persy. De en

hant geynne ee mer sy bedent sich wal myt den krysten und ere kirchen und wa sy wonnent by heiden off by krysten we in alre neist wont na des gelouven levent sy. Und dat lant heist Persen da moissen durch broder inde couflude und alle lude de in Indien willent ind de moissen zo samen zein in groissen scharen want de heiden de da zo vorentz wonden de en leissen de brodere noch de couflude node200 durch ir lant zein. Unde de brodere moisten andere cleyder an doin und wanne sich de couflude und de krysten alsus vergadert201 hatten so samenden sich ouch de heiden dar intgain und en kunden sy dan der krysten neit betwungen dat sy weder kerden. So heisschent sy in alze grois goit dat sy durch mochten varen und sy nement doch wenich. Heisschent sy dusent gulden so nement sy myn dan tzwentzich mer anders en dorre sy den krysten neit arges zo keren vur dem keyser van Kathagien.

197 A tzienvalt 198 A weylden. Unverständlich in A und B 199 A gevyssen 200 node, nôte, noete, md. nôde notgedrungen, ungern (BMZ II. 413a) 201 A versament, vergadern, vgl. gater swv., vereinigen (BMZ I. 489b)

Teil I – Völker, Religionen und Herrscher im Orient

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Dem Kaiser untersteht ein weiteres Land, das jetzt christlich geworden ist; dort halten sie es für eine Sitte, wenn immer ein Weib ein Kind hat, dann liegt das Weib drei Wochen im Kindbett und der Mann drei weitere Wochen und so wie er sich ihrer angenommen hat, so gibt sie es ihm zurück.

All diese wunderlich seltsamen Leute sind da jederzeit an den Höfen der Herren und Könige, die dorthin kommen und gesandt werden und sie glauben, dass wir genauso merkwürdig sind wie sie uns erscheinen. Die weiteren Länder, Reichtümer und Wunder, die der Kaiser von Kathagien besitzt, kann niemand aufzählen noch begreifen.

Die Perser Sodann gibt es über See besondere Heiden, die Perser heißen. Die haben keine Ordnung, aber sie bitten sich aus, mit den Christen in ihre Kirchen zu gehen; und wo sie wohnen, sei es bei Heiden oder bei Christen, wer ihnen zunächst wohnt, nach dessen Glauben leben sie. Und das Land heißt Persien, durch das müssen alle Mönche, Kaufleute und alle Leute, die nach Indien wollen und sie müssen gemeinsam in großen Scharen ziehen; denn die Heiden, die zuvor dort wohnten, lassen weder die Mönche noch die Kaufleute gerne durch ihr Land ziehen. Und die Mönche mussten andere Kleidung anziehen und wenn sich die Kaufleute und die Christen so vereinigt hatten, dann versammelten sich auch die Heiden dort gegen sie, doch konnten sie dann die Christen nicht dazu zwingen, umzukehren. So verlangen sie von ihnen sehr hohes Entgelt, damit sie passieren können und sie erhalten doch wenig. Verlangen sie 1000 Gulden, so erhalten sie weniger als 20, aber anders können sie den Christen nichts Arges wegen des Kaisers von Kathagien zufügen.

Dar na dat geschreven ind vur sprochen is van den landen van [147r]

over mer und van steden ind luden de da ynne wonnent und van de coningen und vursten und heren de da ynne wonnent und van eren landen so volget nu dar we de lant sint gelegen. // Zo dem eirsten sal man wyssen dat dat lant van over mer is wonderlichen gestalt und liget alre meist in den bergen und up sulchen enden en kan eyn mynsche neit wal winter und somer underscheiden. Ind up sulchen enden in den bergen is it altzyt winter ind altzyt winters ind somers licht it vol snees. Und den snee sleint de lude zo samen hart und vorent de in de stede und vercouffent den den heren dat sy eren drank da myt kolen mer dat vergeit zo hantz und wan it alsus kalt is up den bergen so is so groisse hidzde unden an den bergen dat des nema”n# geliden en kan.

Vort raent it da alze selden in dem lande mer in Egipten raent

it nummer winters noch somers unde wan it eyns off zwerens raent in dem somer so is den luden alze wail zo mode und wanne it zo winter zweir off drywerff raent so en kan in sulchen iairen gein dure zyt werden. Mer wanne it neit en raent winters so mach it lichte dure zyt werden want gein korn en kan over dat iair geweren. // Vort sent Michelis dage vort an so west dat gras ind cruyt und dan beginnet zo wassen weis und gerste also dat sy zo midden winter havent eren arn202 mer des somers en kan neit grons crudes gewassen vur der usser maissen groisser hidzden man in beware it dan myt wasser off it en wasse dan dar de sonne neit by komen en kan.

Vort sint da des winters altze vil ertbevonge203 mer de en sint neit

in allen steden off zo allen stunden und sy sint alre meist des nachtes. Und da sint alze vil stede inde burge aff vervallen und vergangen und vil berge deilent sich da van intzwei so drivent de lude alze groissen yamer und so werpent de wyff al ir cleynnode ewech mer wan dat [147v] vorgangen is so holent sy it weder. Ind des dages geint alle de lude

202 arn, Ernte 203 A ertbevincgen, gebräuchlicher Ausdruck für Erdbeben, mhd. ertbibe

Teil II – Allgemeine Orientkunde Klima und Vegetation Nachdem dies von den Ländern von über See, von Städten und Leuten, die darin wohnen, von den Königen, Fürsten und Herren, die darin wohnen und von ihren Ländern geschrieben und gesprochen worden ist, folgt jetzt, wie die Länder dort beschaffen sind. Zunächst soll man wissen, dass das Land über See wunderlich beschaffen ist; es liegt zumeist in den Bergen und auf solchen Höhen kann kein Mensch Sommer und Winter gut unterscheiden. Und in solchen Höhen in den Bergen herrscht immer Winter und das ganze Jahr über, im Winter wie im Sommer, liegt es voll Schnee. Und die Leute schlagen den Schnee hart zusammen und führen ihn in die Städte und verkaufen ihn den Herren, damit sie ihr Getränk damit kühlen, aber das schmilzt so schnell; und wie kalt es auf den Bergen ist, eine so große Hitze herrscht am Fuß der Berge, die niemand ertragen kann.

Es regnet da sehr selten in dem Land, aber in Ägypten regnet es weder im Winter noch im Sommer und wenn es ein oder zwei Mal während des Sommers regnet, dann ist den Leuten so wohl zu Gemüte und wenn es im Winter zwei oder drei Mal regnet, dann wird es in solchen Jahren keine Dürrezeit geben. Aber wenn es im Winter nicht regnet, dann kann es leicht eine Dürrezeit geben, dann kann kein Korn über das Jahr reifen. Vom St. Michaelstag139 an wachsen Gras und Pflanzen und danach beginnen Weizen und Gerste zu wachsen, sodass sie mitten im Winter ihre Ernte einholen, aber während des Sommers kann keine Pflanze wachsen wegen der außerordentlich großen Hitze, es sei denn, man versorgt sie mit Wasser oder sie wachsen an einer Stelle, wohin die Sonne nicht kommt. Im Winter gibt es dort sehr viele Erdbeben, aber nicht in allen Städten oder zu jeder Zeit und sie finden allermeist nachts statt. Sehr viele Städte und Burgen dort sind verfallen und vergangen und viele Berge teilen sich; deshalb verfallen die Leute in großen Jammer und die Frauen werfen all ihre Kleinodien von sich, aber wenn das Beben vorüber ist, dann holen sie sie wieder zurück. Tagsüber verhalten sich alle Leute wie hier am Karfreitag und tun sehr große Buße und fasten.

139 Am 29. September.

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als hei up den stillen vrydach und dont alze groisse boisse und vastent. // Vort al den winter uss dunret204 it da ain raen205. // Vort wan it eyns raent des winters so west grois206 korn und kruyt eyns dages off eyns nachtes me dan eynre spannen lanck. // Vort van druytzeindach bis vastavent so wassent de rosen und bonen und al sullich cruyt mer erwessen vindet man da selden. // Vort in dem Mertze und in dem Aprille und in dem Meie so is dat korn da ryff mer up sulchen enden e und up sulchen enden spader dar na dat dat lant neder und hoe is und up sulchen enden heldet man winberen alle den winter up den stocken myt kunst und up sulchen enden steit de alde vrucht up de boumen bis de nuwe zo kumpt up den selven boumen. // Vort al winters sint da erberen und ander cruyt da sich de lude myt koelen. // Vort al korn en seit man neit dan zweier vinger breit in de erde dat it neit en verbirne in der erden.

Vort van dem Aprille bis zo sent Mycheils myssen is da so groisse

hidzde der sonnen de verbirnt alle gras ind cruyt dat des winters gewassen it en have dan sunderlinge stede dar de sonne neit by en kan komen. // Vort alle de lude geint und rident van vespertzyt de nacht bis myd morgen. // Vort van myd morgen bis zo vesperzyt en suyt man nummer off selden einchen mynschen up dem velde und up der straissen dat neman den anderen en kan gesein vur dem stove.207 Ind wan eynich wint kumpt van dem westen de is kalt dat den de wal lident mer wan hie kompt van oisten off van suden de is so heis dat neman en kan bliven up dem velde noch up der straissen.

Vort in den steden da bedeckent de lude de straissen en boven myt

doichen off myt behenden natten dar na dat mallich vermach ind kerent de straissen und begeissent sy myt wasser. Ind dan sint [148r] da arme lude de dragent kalt wasser cruyt und kalde vrucht yn den straissen und vercouffent dat dat sich de lude da myt kolen und dan ander partie van armen luden de dragent wyrouch ”cymeamon#208 in pannen myt vuyre in den straissen dat alle straissen vol rochs sint. Altzyt hant arme lude ir narunge aff. // Vort alle de lude wanne de

204 A us duiret, dauern, B dunret von mhd. donren, dunren, donnern 205 A des nachtz 206 A gras 207 stove, mhd. stoup, für Staub 208 cymeamon ] thymeanien nach A

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Den ganzen Winter hindurch donnert es dort ohne Regen. Wenn es im Winter einmal regnet, dann wachsen Getreide und Pflanzen an einem Tag oder in einer Nacht höher als eine Spanne lang. Vom Dreikönigstag140 bis Fastnacht wachsen die Rosen und Bohnen und solche Pflanzen, aber Erbsen findet man da selten. Im März, im April und im Mai reift das Getreide dort, aber auf manchen Höhen früher und auf manchen Höhen später, je nachdem, ob das Land niedrig oder hoch liegt und auf manchen Höhen baut man Weintrauben den ganzen Winter mit Kunstfertigkeit auf den Stöcken an und auf manchen Höhen bleibt die alte Frucht so lange auf den Bäumen, bis die neue Frucht auf denselben Bäumen wächst. Den ganzen Winter gibt es da Erdbeeren und andere Früchte, mit denen die Leute sich dort Kühlung verschaffen. Das Getreide sät man nicht mehr als zwei Finger breit auseinander in die Erde, damit es in der Erde nicht verbrennt. Von April bis zur St. Michaelsmesse herrscht dort so große Hitze, die Gras und Pflanzen, die den Winter über gewachsen sind, verbrennt, es sei denn, sie stehen an besonderen Plätzen, wohin die Sonne nicht kommen kann. Alle Leute gehen und reiten von der Vesperzeit über Nacht bis zum frühen Morgen. Vom frühen Morgen bis zur Vesperzeit sieht man niemals oder selten einen Menschen auf dem Feld und auf der Straße, weil niemand den anderen vor lauter Staub sehen kann. Wenn sich ein Wind von Westen, der kalt ist, erhebt, den schätzen sie, aber wenn er von Osten kommt oder von Süden, dann ist der so heiß, dass niemand auf dem Feld oder auf der Straße bleiben kann. In den Städten bedecken die Leute die Straße oben mit Tüchern oder mit beweglichen Matten, so wie es jeder vermag und sie kehren die Straßen und begießen sie mit Wasser. Es gibt da arme Leute, die tragen kaltes Wasser, Kräuter und kalte Früchte in den Straßen umher und verkaufen dies, damit sich die Leute damit kühlen und eine andere Gruppe von armen Leuten trägt Weihrauch und Zimt in Feuerpfannen in den Straßen umher, damit alle Straßen voller Rauch sind. Arme Leute ernähren sich immer davon.

140 Niederdeutsche und niederrheinische Bezeichnung für den 6. Januar.

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geint up der straissen de dragent doicher in der hant de sint beroucht myt edelme gecrude. Dat doint sy vur de nase. Vort alle lude hant clocken van behenden lynen doiche de sy des nachtes zeint vur ir bedde de ouch myt edelme crude sint beroucht.

Vort alle iunffrauwen und vrauwen de malent sich under den ougen

dat wert also lange bis sy schryent so vergeit in de varwe van den trenen und da sint dan alde wyff de dat weder zo konnen malen. // Vort alle iunffrauwen und vrauwen de en hant neit dan eyn vlechte de bewindent sy alze wale myt goulde und myt perlen209 und alre vrauwen schoin sint neder und costlich. // Vort alre manne cleider und vrauwen cleider de suyt man na mallichs lant seden gemacht als um sy steit. Mer alle lynen cleider sint alze reynlich gebleigt. Want dat vlaiss west da zweir in dem iaire und is alze gudes koufs und der vrauwen cleider sint enge und wys na yrme lant seden und sulcher na Frantzoser wysen. Mer der vrauwen hemde sint alze lanck also dat sy geint vur alle ir cleider zwa off dry elen210 und dat vur de cleider geit dat is alze costlichen beneit off besat myt goulde off myt perlen. Und wanne de edele vrauwen rident so draget man yn de hemde na by den perden und wanne sy geint so nement sy de hemde under de armen und ere maget draget in dat ander211 deil na. Mer alle212 man ind vrauwen edel und unedel sint da alze unstede des en schamet sich neman und is da eyn gemeyn sede.

Vort alle de vursten und de heren de alderen zo Akers gewont hant

und in dem lande und ridder ind couflude und ere vrauwen de [148v] dragent cleyder als in Vranckrichen und de vrauwen noch eirliger wan sy zo hove sint. Mer wan sy anders geint off rident up der straissen so dragent alle vrauwen swartze mentele de hant sy gedragen van der zyt dat Akers gewonnen wart unde willent de dragen also lange bis unse here got in dat lant unde stat weder gift.

Vort alle brulofte sint da alze costlichen. Nochtan dat it dach is so

draget man vil kertzen vur der brut und da suyt man manich schoin

209 A ind andern gesteyntze 210 A eyn spanne of tzwa 211 A achter 212 A vrauwen ind ionfrauwen

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Wenn die Menschen auf die Straße gehen, dann tragen sie alle Tücher in der Hand, die mit edlen Kräutern beraucht sind. Die halten sie vor die Nase. Alle Leute haben Glockenmäntel aus leichten Leinentüchern, die sie nachts vor ihre Betten ziehen, die auch mit edlen Kräutern beraucht sind.

Kleidung, Aussehen und Lebensgewohnheiten der Orientalen Alle Jungfrauen und Frauen schminken sich die Augen, das hält so lange an, bis sie weinen, dann vergeht ihnen die Farbe wegen der Tränen und da gibt es dann alte Frauen, die das wieder übermalen können. Alle Jungfrauen und Frauen haben nur einen einzigen Zopf, den umwinden sie sehr schön mit Gold und mit Perlen und die Schuhe aller Frauen sind flach und erlesen. Die Kleidung aller Männer und Frauen sieht man nach jeder geltenden Landessitte gemacht. Aber alle Leinenkleider sind sehr gründlich gebleicht. Denn der Flachs wächst dort zwei Mal im Jahr und ist sehr günstig und die Kleider der Frauen sind eng und weiß nach ihrer Landessitte und einige nach französischer Art. Aber die Obergewänder der Frauen sind sehr lang, sodass sie zwei oder drei Ellen über all ihre Kleider gehen und was über den Kleidern liegt, das ist sehr kostbar durchwirkt oder besetzt mit Gold oder mit Perlen. Und wenn die edlen Frauen reiten, dann trägt man ihnen die Obergewänder bei den Pferden hinterher und wenn sie gehen, dann nehmen sie die Obergewänder unter die Arme und ihre Magd trägt ihnen das andere Teil hinterher. Aber alle Männer und Frauen, edle und unedle, sind dort sehr unbeständig und dafür schämt sich niemand, denn es ist da eine geltende Sitte. Alle Fürsten und die Herren, die zuvor in Akko und in dem Umland gewohnt haben, Ritter und Kaufleute und ihre Frauen, die tragen Kleider wie in Frankreich und die Frauen noch prächtiger, wenn sie bei Hofe sind. Aber wenn sie woanders auf der Straße gehen oder reiten, dann tragen alle Frauen schwarze Mäntel, die haben sie von der Zeit an getragen, als Akko erobert wurde141 und die wollen sie so lange tragen, bis unser Herrgott ihnen das Land und die Stadt zurückgibt.

Alle Hochzeitsfeierlichkeiten sind da sehr aufwändig. Obwohl es Tag ist, trägt man viele Kerzen vor der Braut und da sieht man viele schöne Kleinodien und danach, 141 Am 18. Mai 1291 fiel die Stadt Akko nach der Belagerung durch das mamelukische Heer unter Führung von Sultan Al-Malik al-Aschraf Salah ad-Din Chalil. Die Trauer der christlichen Bevölkerung über den Verlust der Stadt ist auch in anderen Quellen, besonders bei Ludolf von Sudheim, bezeugt.

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cleynnode und dar na dat man und wyff zo samen koment so essent und drinckent sy selden zo samen. Mer des nachtes slaiffent sy zo samen und wan sy kinder hant de haldent sy alze costlichen mallich na synre macht bis dat man in eynen man gift. // Vort we den anderen zo gaste hait dat is des avendes und der plegent sy alze wail. Vort manicher hande broit is da ind ouch goitz koufs. // Vort alle spise gilt man da up dem marte bereit wilt ind zam wes eyn mynsche begert und goitz koufs. Ind ain coninge und heren213 so en is neman so riche de in syme huse backe dan alle ridder und heren gevent yrme gesinde des maentz gelt vur ere cost. Mer broit und vleisch gift man in van hoeve wan sy buyssen slos sint und alle dinck van cleideren und van spisen is da alze reynlich anders en kunden de lude der hitzden neit geliden noch genesen. // Vort de krysten drinckent da wyn und de heiden puyr wasser unde dat is da alz goit ind gesunt.

Vort over mer over al dat lant en hat neman burge noch veste

dan der soldain und de coninge und vursten. Mer de heren ind ridder wonnent in den dorppen up dem lande in groisser lust in eren eigen hoeven und eigen gude und iagent und beissent unde en wyssent van geyme ungemache und helpent eren heren wan [149r] des noit is. Vort machent ouch de lude alze schoin groisse sule van steynnen alze lichte want sy hant formen van houltze we dicke eyn suyl off eyn steyn sin sole und backent dan cleynne steynne de sy lesent by dem wasser de brechent sy in cleynne stucken und doint de stucken in de formen und geissent dar up eynre hande wasser dat dar tzo gemacht is. So besteit der forme zo hantz unde wirt hart und als man de formen up deit so blyvent de suylle stanine und de steynne ligen und also machet man in Indien alze lichtlichen alze schone groisse burge und turne und pallase. // Vort de erde in dem lande is alze lois van groisser hitzden und wan it da zweir raende so vallent da so groisse droppen also dat eyn drop durch alle de cleider velt und raent also sere214 dat also groisse vloit van den bergen her ave kumpt also snel dat sy under stunden groisse stede ind dorpper ewech drivent unde so is it lange alze unreynne in allen landen und in allen steden. // Vort alle vursten heren ridder und couflude215 in allen landen bis zo Indien de sprechent alle Frantzois mer de gebure up den dorppen de sprechent ir lantsprage. 213 A vorsten 214 A dat eyn minsche so balde nas wird ind ouch dat die vloit also grois dan wird 215 A knechte

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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wiewohl Männer und Frauen zusammenkommen, essen und trinken sie doch selten gemeinsam. Aber nachts schlafen sie zusammen und wenn sie Töchter haben, die ziehen sie sehr sorgfältig auf, jeder nach seinem Vermögen, bis man ihnen einen Mann gibt. Wer zur Abendzeit einen Gast hat, dessen nimmt er sich sehr gut an. Es gibt da vielerlei Brot und auch zu gutem Preis. Alle Speisen verkauft man da auf dem Markt, wildes und zahmes Fleisch, was immer ein Mensch verlangt und zu einem guten Preis. Und mit Ausnahme von Königen und Herren ist niemand so vermögend, dass er in seinem Hause backe; alle Ritter und Herren geben ihrem Gesinde monatlich Geld für ihre Kost. Aber Brot und Fleisch gibt man ihnen vom Hof, wenn sie außerhalb der Burg sind und alles in Bezug auf Kleider und Speisen ist da sehr reinlich, denn anders könnten die Leute die Hitze nicht ertragen oder gesund bleiben. Die Christen trinken dort Wein und die Heiden pures Wasser und das ist dort sehr gut und gesund. Im gesamten Land über See besitzt niemand Burgen oder Festungen außer dem Sultan, den Königen und Fürsten. Aber die Herren und Ritter wohnen in den Dörfern auf dem Land in großer Lustbarkeit auf ihren eigenen Höfen und Eigengütern und jagen und beizen und wissen von keinerlei Ungemach und helfen ihren Herren, wenn es Not tut. Die Leute errichten auch ohne Aufwand sehr schöne große Steinsäulen, denn sie haben Formen aus Holz, je nachdem, wie dick eine Säule oder ein Stein sein soll und backen dann kleine Steine, die sie aus dem Wasser sammeln und brechen sie in kleine Stücke und fügen die Stücke in die Formen und gießen darauf eine Handvoll Wasser, das dazu geeignet ist. So entsteht sogleich die Form und wird hart und wenn man die Form öffnet, dann bleiben die steinerne Säule und die Steine liegen und so baut man in Indien sehr leicht sehr schöne große Burgen und Türme und Paläste. Die Erde in dem Land ist wegen der großen Hitze sehr locker und wenn es da zwei Mal regnet, dann fallen da so große Tropfen, dass ein Tropfen durch alle Kleider dringt und es regnet so sehr, dass eine so große Flut von den Bergen herabkommt, so rasch, dass sie innerhalb von Stunden große Städte und Dörfer wegtreiben und dann ist es lange in allen Ländern und in allen Städten sehr verwüstet. Alle Fürsten, Herren, Ritter und Kaufleute in allen Ländern bis nach Indien sprechen Französisch, aber die Bauern in den Dörfern sprechen ihre Landessprache.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort alle goit dat de heren da hant dat is lein216 goit da moissen

sy riddere aff werden und wan sy zo eren iaren koment und wan sy riddere werden sollen eynnen maent zo vorentz sament sich alle heren vursten und syne mage und alle de hei gebidden kan und ride”n#t alze schone achter der stat und geint dan ligen up eyn alze schoin bedde. So koment dan de edele heren de da sint und nement in up und cleydent in myt alze schonem gewande und cleideren und gurdent umb syn swert und syn sporen ind rident achter der stat alze costlichen off eman kome de eit arges up in sage dat hie neit ridder werden moge. Und dan des anderen [149v] dages so macht man in dan ridder als he zo lande und so havent sy dan alze groissen hoff und so moissen sy sich dan vort halden dat neit quades van in en werde gesacht noch gehoirt. Want also als sy dan up steint van dem bedde und laissent sich zeren also moissen sy dan up ”up# stain van alre undayt und undoigt. // Vort alre ridder zolt dat sint dusent Basanten der geldent nunne zwein217 gulden da myt haldent sy zwei pert ind rident des dages zweir vur dat pallais mer der kneichte zolt geit up ind neder. Ind wan sy myt den heren in der iacht off myt den wapen buyssen sloss ligent so gyft man eme van hoeve spyse und voder. // Vort in allen krysten landen is eyn sede dat man geyme ridder de vremde is geynnen zolt en versait we is begert und we dan guder hande wilt sin de hait it da alze goit van allen heren dem sy kompanie doint de seint dan zo hantz wale wat in dem manne zo doin steit. // Vort in des soldains lande en wyssen de riddere van geyme stechen noch torneren neit dan van iagen und van beissen und wallust yrs lyfs. Mer da de krysten vursten heren ridde”re# wonnent der alderen zo Akers hant gewont de stechent ind tornerent und hovent alze costlichen und alze sere. // Vort en mach der soldain noch geyn krysten conick geven eynchme ridder eyncher hande macht zo doin it in sy myt rade der anderen off it en sy dan dat sich dat volck partie off kome zo van sunderlichen sachen.

Vort en mach eyn ridder geynnen man doden man en wyse in

zo eirsten der rade van der stat und ouch syne scholt offenbair. // Vort mois man eyns in der wechen lesen vur dem soldain off vur den anderen krysten coningen alle de lude de da gevangen sint und ouch ere scholt. // Vort hant alle coninge krysten und heiden

216 lein stn. für Lehen 217 A eynen

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Alles Gut, das die Herren da besitzen, das ist Lehensgut, für das sie Ritter werden müssen und wenn sie in die Jahre kommen und Ritter werden sollen, dann versammeln sich alle Herren, Fürsten und deren Verwandte und alle, die der Anwärter dazu bitten kann, einen Monat zuvor und dann reitet er sehr prachtvoll hinter die Stadt und begibt sich auf ein sehr schön geschmücktes Bett. Es kommen dann die edlen Herren, die dort sind und heben ihn hoch und kleiden ihn mit kostbarem Gewand und Kleidern und statten ihn mit seinem Schwert und seinen Sporen aus und reiten sehr prächtig hinter der Stadt, falls jemand komme, der etwas Schlechtes über ihn sage, dass er nicht Ritter werden könne. Und dann am nächsten Tag macht man ihn zum Ritter wie hier zu Lande und da halten sie dann einen sehr großen Hof und so müssen sie sich dann weiterhin benehmen, dass nichts Schlechtes von ihnen gesagt wird oder zu Gehör kommt. Der Sold aller Ritter beträgt 1000 Basanten, die sind nun zwei Gulden wert, damit unterhalten sie zwei Pferde und reiten zwei Mal täglich vor den Palast, aber der Sold der Knechte geht hoch und runter. Und wenn sie mit den Herren auf der Jagd oder mit den Waffen außerhalb des Schlosses sind, dann gibt man ihnen vom Hof Speise und Futter. In allen christlichen Ländern ist es Sitte, dass man keinem Ritter, der fremd ist, seinen Sold versagt, den er begehrt und wer dann seine Tüchtigkeit zeigt, der hat es da bei allen Herren sehr gut, in deren Kompanie er ist, die sehen dann auf der Stelle genau, was in dem Mann steckt. Im Land des Sultans kennen die Ritter weder Lanzenstechen noch Turniere außer Jagd, Beizjagd und ihrem leiblichen Wohlbehagen. Aber wo die Christen, Fürsten, Herren und Ritter wohnen, die zuvor in Akko gelebt haben, die stechen, turnieren und pflegen sehr prächtig und häufig höfische Lebensart. Sodann kann weder der Sultan noch ein christlicher König einem Ritter irgendeine Macht übertragen, es sei denn mit Zustimmung der anderen oder es sei denn, dass sich das Volk erhebe oder in einer besonderen Angelegenheit zusammenkomme.

Kein Ritter darf einen Mann töten, wenn man ihn nicht zuerst an den Rat verwiesen hat und auch seine Schuld offenkundig ist. Weiterhin muss man einmal in der Woche vor den Sultan oder vor den anderen christlichen Königen über alle die Leute berichten, die dort gefangen sind und über deren Vergehen. Alle Könige, Christen und Heiden haben Leute, die davon Rente beziehen, dass sie alle Missetaten aufschreiben und alle Vorgänge und Wunder, die in der Welt und in den Ländern geschehen und zu ihren Zeiten.

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Der Niederrheinische Orientbericht

lude de da aff rente havent da sy schrivent alle myssedait ind alle [150r] dinck ind wonder de in der werelde ind in eren landen gescheint und in eren getzyden. // Vort sint da andere lude de beschrivent alle myssedait de de riddere doint und wanne dat des zyt is so list man dat vur den luden da en is dan gein bede noch goit vur218 zo biden dan der lyff.

Vort alle gerichte sint da alze strenge den richen als den armen mal-

lich na synre scholt. Ind sunderlingen we den anderen doit sleit da en is geyn boisse vur dan der lyff it in kome dan zo van groissme ungeschichte off ungelucke und wan eyn man van ungelucke worde doit geslagen off geworpen so sprechent des doden neiste mage vur gerichte an den219 de eren maich doit geslagen hait dat en sy neit der den man des an zeie mer de dat gedain have de sy gevluven in eyn vremde lant und den bessert hie den magen den doit slach. // Vort wan da eyn wirt gewont so beschrivet der richter de wonde we de gestalt sy und stirft de gewonte so moissen alle de artzetere sweren de da sint off hie der wonden mocht sin gestorven off hie der hed war gehad und behoet.220 // Vort alle seiden spil bungen ind piffen is da also als it van alders gewest hait da man aff list in der schrift mer it is in deseme lande alze vil besser und behender. // Vort alle dienste sint da na mallichs seden want da so manicher hande lude wonnent so en kan dat mallich neit begriffen.

Vort alre hande cruyt side siden gewant und edel gesteynne perlen

dryakel und alsulche stucke de en mach da nema”n# vercouffen sy en sint besein eirst van den luden de dar zo gesworen hant und dar zo gesat sint dat it neit valsch en sy want dar up is alze groisse pine gesat. Vort alle gelt ind muntzen en vergeint sich neit an gewichte dan it van alders gewest hait.

218 A dan sleichtz an lyf 219 A ind wanne he dat vreyscht so brevet he dan den magen dat he in bessern wille 220 Die Befragung der Ärzte nur in B

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Es gibt da weitere Leute, die verzeichnen alle Missetaten, welche die Ritter verüben und wenn es an der Zeit ist, dann trägt man das den Leuten vor, dagegen hilft weder Bitten noch Geld, nur das Leben.

Die Gerichte urteilen da sehr streng über die Reichen wie die Armen, jedem nach seiner Schuld. Insbesondere wer den anderen totschlägt, dafür gibt es keine andere Buße als das Leben, es sei denn, es sei aus Versehen oder Unglück gekommen; und wenn ein Mann durch Unglück totgeschlagen oder geworfen worden ist, dann sprechen die nächsten Verwandten des Toten vor Gericht zu dem, der ihren Verwandten totgeschlagen hat, dass der nicht derjenige sei, den man dessen bezichtige; aber der das getan habe, der sei in ein fremdes Land geflohen und der entschädigt hier die Verwandten für den Totschlag. Wenn da einer verwundet wird, dann beschreibt der Richter die Art der Wunde und stirbt der Verwundete, dann müssen alle die Ärzte, die da sind, beschwören, ob er an der Wunde gestorben ist oder ob er davon genesen wäre. Es gibt da allerhand Saitenspiel, Trommeln und Flöten, sowie es von alters her gewesen ist, wovon man in der Schrift liest, aber dies ist in diesem Land sehr viel besser und geschickter.

Alle Dienste werden dort nach vielerlei Sitten geleistet, denn es wohnen dort so viele unterschiedliche Leute, dass man nicht jede einzelne Sitte verstehen kann. Niemand kann dort jederart von Kräutern, Seide, Seidengewändern und Edelsteinen, Perlen, Theriak und solche Dinge verkaufen, wenn sie nicht zuvor von Leuten untersucht werden, die darauf geschworen haben und dazu eingesetzt sind, dass es nicht gefälscht sei, denn darauf ist eine schwere Strafe festgesetzt. Alles Geld und Münzen verlieren nicht an Gewicht, das es von alters her gehabt hat.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort under krysten und heiden da sint221 vreiheide222 wan eyn dar

up mach vlein223 dem ungelucke is gescheit und wilt man den da aff nemen so mois der richter sweren dat hie in neit doden en wille [150v] mer hie wil nemen syne bruche224 den setz man dan hene und gift eme wasser und broit bis an syn ende.

Vort wan man da eynnen doden wilt den beschreient de vrunt gelycher wys off hie were gestorven up syme bedde.

Vort wan man eynnen guder hande man wilt doden dem volget der

richter und der cleger alle barbeinich und en hant neit dan eyn hemde an und geint bloishoufdes.

Vort is da eyn gemeyn sede under krysten ioden und heiden wan

eyn mynsch doit is de bewe”i#nent und beschreient alle de vrunt und da sint dan alle de wyff de singent dar na dat sin leven is gewest und rouffent sich und kratzent sich und wanne de wyff eynnen verssen hant gesongen so schrient und rouffent sich des doden vrunt und man vint da vil alder wyff de ir hair hant uss geroufft dat sy kale sint.

Vort komenschaff de man over mer her brenget dat is cruyt

zucker side boumwolle siden gewant edel steynne perlen unde manicher hande ander riche comenschaff. // Vort comenschaff de man weder over mer brenget dat is scharlache und gewant buntwerck yser bly groisse ross van Hyspanien groisse clocken van Venedien und van duytzen lande. // Kumpt dar hartz lym da man bogen myt macht und dar koment ouch valcken ind alsolich dinck.

221 A alsulche privilegien ind 222 A so wanne id eyme kirsten verungluckede so dat he dat up vlue 223 vlein, mhd. vliehen, stv. sich entfernen (?), vlîe, mnd. beilegen 224 A mer hie wil nemen syne bruche fehlt.

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Unter Christen und Heiden gibt es da Freiheiten (Privilegien); wenn dort einer, dem ein Unglück geschehen ist, auf Beilegung bedacht ist und man den davon lösen will, so muss der Richter schwören, dass er ihn nicht zum Tode verurteilen werde, aber er wird ihm seinen sozialen Rang nehmen; man sperrt den dann ein und gibt ihm Wasser und Brot bis an sein Ende. Wenn man dort einen zum Tode verurteilt, den beklagen seine Getreuen in gleicher Weise als ob er auf seinem Bett gestorben wäre. Wenn man einen Mann von edler Herkunft töten will, dem folgen der Richter und der Kläger alle mit nackten Beinen und sie tragen nichts anderes als ein Hemd und gehen barhäuptig. Sodann ist es eine allgemeine Sitte bei Christen, Juden und Heiden, wenn ein Mensch tot ist, den beweinen und beklagen alle die Getreuen und dort sind dann alle Frauen, die seinem Leben entsprechend wehklagen und sie raufen und kratzen sich und wenn die Frauen einen Vers gesungen haben, dann schreien und raufen sich die Getreuen des Toten und man findet da sehr viele alte Frauen, die sich ihr Haar ausgerissen haben, dass sie kahl sind.

Handelsware, die man über See hierhin bringt, das ist Gewürz, Zucker, Seide, Baumwolle, Seidengewand, Edelsteine, Perlen und allerhand andere kostbare Ware. Handelsgüter, die man zurück nach über See bringt, das sind Scharlach,142 Pelzgewänder, Eisen, Blei, große Pferde aus Spanien, große Glocken aus Venedig und aus Deutschland. Dorthin kommt auch Harzleim, aus dem man Bogen macht, ebenso wie Falken und ähnliche Güter.

142 Geläufige mhd. Stoffbezeichnung.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Dar na dat vurgesprochen und geschreven is van den luden de in

dem lande van over mer sint van eren seden und daden nu volget her na van den deren de da sint. Und man sal wyssen dat alle dere wilde ind zam de he sint in deseme lande de ”…#225 sint alze vil schoinre und groisser dan de dere hie zo lande sint. Vort de dere de hei sint seltzen und da geymenne dat sint Lewen Drachen Helpendeir Tygris Salomander Lebarde Dromedary Camele Anchalopes Onager Buffel wylde Weder Busey [151r] Griphan Belech Cocodrille. Mer neit vil Beren sint in dem lande und ouch en sint da neit vil Wolve sy en werden dar gesant und gebracht.226

Eyn Lewe is eyn edel deir de hant vil lude in deseme lande gesein in synre naturen und it is ouch in den boichen vil geschreven. Eyn Lebart is eyn alze reyn ”deir# dat en ist neit dan vrisch vleisch

als eyn valcke und is zam und ridet hinder syme meister up eyme perde schone gedeckt und gebrewet als eyn valcke und is alwege schone getzeirt und man mois in reynlichen halden und is alze gesellich und wan syn meister sleift so en leist he geynnen mynschen by in komen.

Eyn Eynhorn en is nyrgen dan in Indien und de lude van dem lande sprechent it sy alze grois ind syn horn sy alze swair als eyn man van der erden up kunne geheven und sy alze scharp und it sy eyn alze schoin deir und sy bluer varwen ind sin houft sy geschaft als eyn zegen houft und sin voisse als eyme swine und it en mach geynne unreyncheit liden.

225 sint ouch in dem lande. Mer sy getilgt 226 Der letzte Teil des Niederrheinischen Orientberichtes ist stark von traditionellen Vorgaben beeinflusst. Varianten werden hier nicht im Einzelnen verzeichnet.

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Exotische Tiere Nachdem nun von den Leuten, die in dem Land über See sind, gesprochen und geschrieben worden ist, von ihren Sitten und Taten, wird jetzt im Anschluss von den Tieren, die es dort gibt, berichtet. Und man soll wissen, dass alle Tiere, wild und zahm, die dort in diesem Lande sind, sehr viel schöner und größer sind als die Tiere bei uns zu Lande. Die Tiere, die hier selten und dort häufig vorkommen, das sind Löwen, Drachen, Elefanten, Tiger, Salamander, Leopard, Dromedar, Kamel, Antilope, Wildesel, Büffel, wilde Widder, Wildkatze, Giraffe, Belech,143 Krokodil. Aber es gibt nicht sehr viele Bären in dem Land und auch nicht viele Wölfe, es sei denn, sie werden dorthin geschickt oder gebracht.144

Ein Löwe ist ein edles Tier, das die Leute in diesem Lande in seiner Natur häufig gesehen haben und es ist auch in den Büchern ausführlich beschrieben. Ein Leopard ist ein reinliches Tier, das frisst nur frisches Fleisch wie ein Falke und ist zahm und reitet seinem Meister auf einem Pferd hinterher, schön bedeckt und aufgemacht wie ein Falke und ist überall schön geschmückt und man muss ihn reinlich halten und er ist sehr gesellig und wenn sein Herr schläft, dann lässt er keinen Menschen an sich heran.

Ein Einhorn gibt es nur in Indien und die Landleute sagen, dass es sehr groß sei und sein Horn sei so schwer, dass dies ein Mann gerade noch von der Erde hochheben könne und es sei so scharf und ein so schönes Tier von blauer Farbe und sein Kopf sei beschaffen wie ein Ziegenkopf und seine Füße wie von einem Schwein und es kann keinen Schmutz leiden.

143 Vermutlich handelt es sich um eine Antilopenart mit scharfer Zunge, eine Gazelle oder um einen Moschushirschen (vgl. RM, S. 72, Fn. 14). Die Aufzählung exotischer Tiere gehört schon seit der Epistola des Priesterkönigs Johannes zum Standard der Berichterstattung aus dem Orient. Zur Überlieferung Bettina Wagner, Die ›Epistola presbiteri Johannis‹: lateinisch und deutsch. Überlieferung, Textgeschichte, Rezeption und Übertragungen im Mittelalter; mit bisher unedierten Texten (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Band 115), Tübingen 2000. 144 Die Liste der Tiere und ihre nachfolgende Beschreibung beruhen einerseits auf Kenntnissen der Überlieferung, andererseits wohl auch auf eigener Anschauung.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Eyn Pantheir is eyn cleyn deir ”ind is zomale suverlich van hairen#227 und is

”…#228 alze subtilligen als  eyn raenboge van alle der varwen de up erden is also behende dat neman dat en vollen en kan gesprechen ind ruchet alze wale. Ind wan sy doit sint so hant de coninge und de vursten ere vel by eren bedden want sin roch is goit weder alle bose dinck und sy en sint ouch in geyme lande dan in Indien und sy en essent neit dan edel cruyt also dat alle dere na syme adain volgent und wan it zornich wirt so verderft it wale lude und is eyn deir van groisser hitzden und macht des edel cruydes dat eme uss syme monde myt adain geit und wan dit Pantheir hene geit da vleint alle bose deir ind wurme.

Eyn Ancholopes is eyn schoin ussermaissen lustich deir und ge- [151v] schafft als eyn buck und hat voisse als eyn hunt und honre als eyn buck de sint scharper dan eyn sege dat hie eynnen boum da myt ave seget und mois sin by vleissenden wasseren da suyt hey dan synen schemen da springet hei dan her ind dar und is alze vrolichen weder synen schemen. Da machent de lude zoune by van alze cleynnen roden da an hant sy starcke pande wan it dan also springet ind spilt so bewert it sich dan in den roden unde in dem pande anders en kunde it neman gevangen. Eyn Tygrus is eyn edel deir mer it is altze schedelich ind bose und is so snel dat it gein mynsche en kan gevangen off verdriven. Mer wan man eme de iungen kan genemen so en blyft it neit me in dem lande und it dan de lude vindent de umb golt eme de iungen sollen nemen de nement myt in vil groisser spegel. Und wan sy de iungen nement so setzent sy eynnen spegel weder in de stat und bestrichent de myt den iungen und wanne de alden koment so ruchent sy ind seint in den spegel so en hant sy dan zo dem eirsten geynne acht dar up und wennent dat sy der iungen eyn verloren havent und iagent vort up dat spor. Wan it dan weder komet dar de lude den spegel hant gesat so suyt hie ouch in den spegel und wenet it have sin zwei iungen vonden und weint also van dem roche dat it spilt lange tzyt unde loufft umb den spegel. Und in der selver wysen louft it umb so manichen spegel als it iungen hat gehat und wanne dat deir wenet de iungen zo samen brengen da werdent sy dan so unledich over dat 227 Ergänzt nach A. 228 gehoirt getilgt

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Ein Panther ist ein kleines Tier (mit einem schönen Fell) und sehr zart wie ein Regenbogen gefärbt in allen Farben, die es auf der Erde gibt und zwar so geschickt, dass niemand das vollständig wiedergeben kann und es riecht sehr gut. Und wenn sie tot sind, dann haben die Könige und die Fürsten deren Felle bei ihren Betten, denn deren Geruch ist gut gegen alles Böse und es gibt sie auch in keinem Land außer in Indien und sie fressen nichts anderes als edle Pflanzen, sodass alle Tiere seinem Atem folgen und wenn es zornig wird, so schädigt es wohl Leute und es ist ein Tier mit großer Hitze und der Kraft der edlen Pflanzen, die ihm mit seinem Atem aus dem Munde strömen und wohin dieser Panther geht, dort fliehen alle schlimmen Tiere und Schlangen.

Eine Antilope ist ein schönes, unglaublich munteres Tier und wie ein Bock gestaltet und hat Füße wie ein Hund und Hörner wie ein Bock, die schärfer als ein Säge sind, sodass sie einen Baum damit absägt und sie muss sich an fließendem Wasser aufhalten und wenn sie dann ihren Schatten sieht, dann springt sie hin und her und ist so glücklich über ihren Schatten. Die Leute machen dort Zäune aus kleinen Ruten, an denen sie starke Seile haben und wenn sie dann auf diese Weise springt und spielt, dann verfängt sie sich in den Ruten und in den Seilen und auf andere Weise könnte sie niemand fangen.

Ein Tiger ist ein edles Tier, aber es ist sehr schädlich und böse und so schnell, dass kein Mensch es fangen oder vertreiben kann. Aber wenn man ihm die Jungen nehmen kann, dann bleibt es nicht mehr in dem Land und wenn es dann die Leute finden, die ihm um des Goldes willen die Jungen wegnehmen sollen, die nehmen dann große Spiegel mit sich. Und wenn sie die Jungen nehmen, dann setzen sie einen Spiegel an die Stelle und bestreichen den mit den Jungen und wenn dann die Alten kommen, dann riechen sie und sehen in den Spiegel und haben dann zunächst keine Acht darauf und glauben, dass sie eins der Jungen verloren haben und jagen weiter auf der Spur. Wenn es dann zurückkommt, wohin die Leute den Spiegel gesetzt haben, so sieht er auch in den Spiegel und glaubt, er habe seine zwei Jungen gefunden und weint dermaßen von dem Geruch, dass es lange Zeit dauert und läuft um den Spiegel herum. Und in derselben Weise läuft er umso manchen Spiegel wie er Jungen gehabt hat und wenn das Tier glaubt, die Jungen beisammen zu haben, darüber werden sie so unleidlich, dass die Leute mit den Jungen von dannen kommen und wenn sie dann sehen, dass sie mit den Jungen so betrogen worden sind, dann laufen sie vor Reue aus dem Land und kommen niemals zurück, mit keinen anderen Künsten kann man sie vertreiben.

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Der Niederrheinische Orientbericht

de lude myt den iungen van danne koment. Ind wanne dat sy seint dat sy myt den iungen also sint bedrogen so louffent sy van ruwen usser deme lande und en koment nummer in dat lant anders en kan man sy myt geynnen kunsten verdryven.

Eyn Salomander is eyn cleyn deir und wirt selden leventich gesein [152r] und wont in der woistenien in dem birnende sande und zuget da iungen in der erden ind hait vil bein als eyn rupe unde sin vel is wys als eyn hermelen dat in verbirnet neit in dem vure und vernuwet sich alle iair van eme selver und it is clein und subtyl als eyn syden doich und da gift man den vursten und den heren cruyt myt na deme essen und wan sy slaiffen willent gain. Eyn Onager is in der woistenien und is geschafft als eyn esel und is alze suverlich. Syne iungen de soene sint de wirpt hie uss myt den zenden ain den eirsten sun mer so wanne de stirfft off gevangen wirt so en wirpt hie den son neit uss de da neist geboren wart.229 Ind den iagent de heren alze gerne want gein deir so gemeinlichen is wanne dat man iaget und we sin willbroit is”t# we des neit gewonne is de en beheldet des neit in syme lyve. Eyn wilde Weder is geschafft als eyn zam weder mer hei is alze vil groisser und is geschafft als eyn ree und wirt dan me dan vingers deyff vet over al synen lyff und hait alze groisse schonne honre und geint up dem walde ind in dem velde zo samen als zamme schaiffe in groissen scharen ind louffent wail intgain eynnen cleynnen boum dat hie zo bricht und myt dem louffe brengent sy vur alze groissen wint dat man it eynnen verren wech verniympt mer wanne de hunde off de lebarde an sy gehitz werden so en werent sy sych neit.230 Eyn Belech231 is eyn deir ind is geschafft als eyn ree kalff und

hait eyn zunge de is ussermaissen scharp und lanck und hait up der zungen alze scharpe zwacken da it myt de schalen van den boumen leckt und wanne dat man de deir iaget so blyft it stain vur den hunden und wert sich myt der zungen und da wirt it dan geschossen. Und wan it doit is so is sin zunge slecht als [152v]

229 Der Text in A ist gegenüber B verkürzt und unverständlich. 230 Verkürzte Darstellung in A. 231 Der Begriff Belech konnte nicht verifiziert werden, vgl. oben Fn. 143.

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Der Salamander ist ein kleines Tier und wird selten lebendig gesehen; er wohnt in der Wüste in dem heißen Sand und zieht dort seine Jungen in der Erde auf und hat so viele Füße wie eine Raupe und sein Fell ist so weiß wie ein Hermelin, das nicht in dem Feuer verbrennt und sich alle Jahre von selber erneuert und es ist klein und zart wie ein Seidentuch und davon gibt man den Fürsten und den Herren nach dem Essen ein Kraut und wenn sie schlafen gehen wollen.

Ein Wildesel lebt in der Wüste und ist wie ein Esel beschaffen und sehr reinlich. Seine männlichen Jungen wirft er mit den Zähnen aus, ohne den ersten Sohn, aber wenn der stirbt oder gefangen wird, dann wirft er den Sohn nicht aus, der als nächster geboren wurde. Und den jagen die Herren sehr gerne, weil kein Tier so verbreitet ist, wenn man das jagt und wer sein Wildbret isst und dies nicht gewohnt ist, der behält das nicht bei sich.

Ein wilder Widder ist beschaffen wie ein zahmer, aber er ist sehr viel größer und wie ein Reh beschaffen und wird dann mehr als einen Finger tief über seinen ganzen Leib fett und er hat sehr schöne große Hörner und sie gehen im Wald und auf dem Feld zusammen wie zahme Schafe in großen Scharen und laufen wohl zu einem kleinen Baum, sodass er zerbricht und mit dem Lauf erzeugen sie einen so großen Wind, dass man diesen von weither vernimmt, aber wenn die Hunde oder Leoparden gegen sie gehetzt werden, dann wehren sie sich nicht.

Ein Belech ist ein Tier und beschaffen wie ein Rehkalb und es hat eine außerordentlich scharfe und lange Zunge und auf der Zunge hat es sehr scharfe Auswüchse, mit denen es die Rinde von den Bäumen leckt und wenn man das Tier jagt, dann bleibt es vor den Hunden stehen und wehrt sich mit der Zunge und da wird es dann geschossen. Und wenn es tot ist, dann ist seine Zunge so glatt wie die Zunge eines anderen Tieres. Und dann isst man von ihm nicht mehr als nur die Zunge und davon werden die Leute sehr stark.

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eyns anderen deirs zunge. Ind dan en ist man des neit me dan allein de zunge und da werdent de lude alze starck232 aff.

Eyn Gryphan233 is geschafft als eyn hirtz und is vur hoirre dan

hinden und hat voisse als eyn pert und hait eynnen hals de is langer dan XII voisse und hait eynnen hoever und hait horne als eyn rebuck und als it gevangen wirt so henget man eme eynnen rinck in de nase und ”d #at machet man zam als man wilt. Und it is also grois als eyn hirtze und it is alze edel de sint in der coninge und in der vursten hoeve den sticht man birnende kertzen234 in de honre dat sy luchtent over alle den sal.

Eyn Buffel is geschafft als eyn groiss vreisch oesse als man hie hait und hait alze groisse breide honre und en hait neit vil hairs und sin huyt is vil dicker dan eyn vinger235. Wan de zam sint so sint sy alze sanftmodich wan man de melcken wilt so rouft man mallich myt syme namen sunderlingen so koment sy ind da werdent kese aff gemacht de hant vesen als rintvleisch und wan sy wilde sint dat man sy iaget so werdent sy so rasende dat sy den iegeren ind den hunden na louffent in de stede und hait eman dan eyn roit cleit an deme volgent sy in sin huys. Eyn Helppendeir is eyn groiss ussermaissen groff deir und we me upwart intgain Indien so sy vil groisser sint dat hait hair236 als eyn pert. Ind so lichte is it gedoit und verderft als eyn pert und ist in dem dage me dan XII summeren even der groisser maissen und wail veirwerff so vil kaven und wanne man myt eme zo velde licht so hauwent eme de lude groisse boume und este vur de it esse und syn zende sint so lanck und so grois dat it neit zo der erden en kan gelangen eyn grois deil mer eyn dinck hangent eme de lude vur de nase als eyn grois wyt sack da nympt it myt van der erden und kroempt dat ind stoest dat da myt in den munt wat it essen wilt. Ind wanne it drinckt so mois it alze deiff stain in deme wasser [153r] und it drinckt me dan zwa amen237 wassers zo eynre zyt. Ind it wirt also zam wanne eme sin meister pyft so dantzet it und so 232 A ind kone 233 A schuphant, griphan ist vermutlich eine Verballhornung von mhd. schraffe bzw. seraffe für Giraffe. 234 A up syn lif 235 Marginalie si haint iseren ringe in der nasen 236 A ind weyet 237 Mhd. âme, ôme, Maß

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Eine Giraffe ist beschaffen wie ein Hirsch und vorne höher als hinten und hat Füße wie ein Pferd und einen Hals, der länger als zwölf Füße ist und sie hat einen Höcker und Hörner wie ein Rehbock und wenn sie gefangen wird, dann zieht man ihr einen Ring durch die Nase und das macht sie so zahm wie man will. Und sie ist so groß wie ein Hirsch und sehr edel und es gibt sie an den Höfen der Könige und Fürsten, denen steckt man brennende Kerzen in die Hörner, dass sie überall den Saal beleuchten.

Ein Büffel ist beschaffen wie ein großer Fleischochse, wie es ihn hier gibt und er hat sehr große, breite Hörner und nicht viel Fell und seine Haut ist viel dicker als ein Finger (sie haben eiserne Ringe in der Nase). Wenn sie zahm sind, dann sind sie sehr sanftmütig und wenn man sie melken will, dann ruft man jeden mit seinem besonderen Namen, dann kommen sie und es wird Käse aus ihrer Milch gemacht, der hat Fasern wie Rindfleisch und wenn sie wild sind, sodass man sie jagt, dann kommen sie so in Rage, dass sie den Jägern und den Hunden in die Städte nachlaufen; und wenn jemand ein rotes Kleid trägt, dem folgen sie bis in sein Haus. Ein Elefant ist ein großes, außerordentlich grobes Tier und wo es mehr aufwärts nach Indien geht, dort ist er viel größer und hat Haare wie ein Pferd. Und er wird so leicht getötet und geschlachtet wie ein Pferd und frisst am Tag mehr als zwölf Körbe Hafer in großen Maßen und wohl vierfach so viel Spreu und wenn man mit ihm zu Felde liegt, dann hauen die Leute für ihn als Nahrung große Bäume und Äste ab und seine Zähne sind so lang und so groß, dass er zu einem großen Teil nicht zur Erde gelangen kann; aber die Leute hängen ihm etwas vor die Nase wie einen großen, weißen Sack, den nimmt er hoch von der Erde und krümmt den und stößt damit in seinen Mund, was er fressen will. Und wenn er trinkt, so muss er sehr tief in dem Wasser stehen und er trinkt mehr als zwei Ohm Wasser auf einmal. Und er wird so zahm, wenn sein Meister pfeift, dann tanzt er und wenn er sagt, er möge die Leute willkommen heißen, dann verneigt er sein Haupt vor den Leuten. Und wenn sein Meister anordnet, dass er sterbe, dann fällt er darnieder und wenn er sagt, dass er wiederauferstehe von dem Tode, dann steht er wieder auf. Er hat einen Hals und einen Schwanz wie ein Schwein und seine Ohren sind wie eine Wanne und er ist so stark, dass man ihm Türme auf den Hals setzt, die sind aus dünnen Ruten geflochten und sie sind außerhalb und innerhalb mit Tuch ausgeschlagen und unten weit und oben eng und haben drei Ebenen, in denen des Königs Bett und seine gesamte Ausrüstung und wohl 20 Männer mit Steinen und mit Geschossen und solchen Gegenständen, mit denen sie werfen und schießen,

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Der Niederrheinische Orientbericht

wanne hei spricht dat it de lude heisch wilkome sin so nyget it den luden myt dem houfde. Und wan sin meister spricht dat it sterve so velt it dar neder und wanne hie spricht dat it weder up ste van dem dode so steit it up. // Vort hait it eynnen hals und eynnen za”ge#l als eyn swin ind sin oren sint dan eyn wan”ne# und it is so starck dat man eme barchfreden up den hals machet de sint getzunt van cleynnen roden und is en buyssen und en bynnen bedragen myt doiche und is beneden wyt und boeven enge und hait dry gebone da is ynne des conicks bedde und alle dinck gereit und wal XX man myt steynnen ind myt geschutze und alsullich dinck als sy da myt aff werpent und scheissent und sin meister sitz eme tuysschen synen oeren und hait eynnen groissen238 hamer in der hant da hie it myt deit vort gain und up syme halse sitzent wal sees man myt gemache und hait voisse als eyn hunt ind als nale als eyn mynsche und it en hait de myddelste lede neit in den beynnen als eyn ander deir und wan man myt eme zo stryde wilt varen so mois man it wapen ind we eme bloit off roden wyn gift zo drincken so wirt it alze rasende ind zornich und en schuwet dan neit it en ge dar durch und da hant dan de viande weder holle vas gemacht van er”d #e de doint sy vol gelonder kolen un”d# schivent de vur de deir da verbirnent sy sich myt dat sy vallent. // Vort syne iungen sint sevenwerff meirre dan eyn groiss vreisch oisse und alle syne bein van syme lyve de en dagent neit dan syn zende. De da van Indien koment de sint so grois dat sy gein man gewegen en kan. // Vort sprechent de lude dat it sich neit neder gebougen en konne des en is neit want it bouget sich wal neder und steit up dat ludet dan als eyn huys dar neder valle. // Vort wan it iungen hat de mois it brengen up werder in dem mer vur [153v] den drachen dat sy in neit en vergenent want gein deir en hassent sich me under eyn dan der drach ind dat Helpendeir.

238 A ysern

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Platz haben und sein Meister sitzt zwischen seinen Ohren und er hält einen großen Hammer in der Hand, mit dem er ihn antreibt; und auf seinem Hals haben wohl sechs Männer gut Platz, und er hat Füße wie ein Hund und Nägel wie ein Mensch und er hat kein mittleres Gelenk in den Beinen wie andere Tiere und wenn man mit ihm in den Kampf ziehen will, dann muss man ihn bewaffnen; und wenn man ihm Blut oder roten Wein zu trinken gibt, dann wird er rasend vor Zorn und er scheut sich dann nicht durchzubrechen und dagegen haben dann die Feinde Hohlgefäße aus Lehm gemacht, die sie mit glühenden Kohlen füllen und die rollen sie vor die Tiere, an denen sie sich verbrennen, sodass sie fallen. Seine Jungen sind sieben Mal größer als ein großer, friesischer Ochse und alle seine Knochen im Leib sind nicht so viel wert wie seine Zähne. Die Elefanten, die aus Indien kommen, die sind so groß, dass sie kein Mensch von der Stelle bewegen kann. Die Leute sagen, dass er sich nicht niederbeugen kann, das stimmt nicht, denn es beugt sich wohl nieder und steht auf, das hört sich dann so an als ob ein Haus zusammenstürze. Wenn er Junge hat, die muss er wegen der Drachen auf Inseln im Meer bringen, damit sie diese nicht fangen, denn keine Tiere hassen sich mehr untereinander als der Drache und der Elefant.

Abb. 15: Tiertafel aus dem Reisebericht von Bernhard von Breydenbach 1502

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Der Niederrheinische Orientbericht

Eyn Drach is eyn alze suverlich deir over al synen lyff und hait vil stryffen als eyn ran boge und eyn houft als eyn wint und vlogele als eyn vledermuis und sin vloch en is neit lanck und wan de zyt is dat sy louffich sint so byssent sy sich alze sere under eyn dat sy doit blyvent anders suyt man sy selden off nummer. Mer in der woistenien da spurt man sy wale da sy myt dem zale durch den sant hant getzogen und it suyt usser maissen vergiftich und wan man erer eynnen doit vint deym sleit man dat houft ave und greft den rumpt. Eyn Cameil is eyn alze wan schaffen deir und is alze grois ind groff als ho als eyn man up gerecken kan und hait eynnen langen hals und kurte oren und der buch is eme alze grois und sin voisse de sint alze cleynne und it hait eynnen hover up dem rucke und it hait cleynne voisse ind zwai clain als eyn oisse und is alze sanftmodich want eyn kint twinget wal C239 Cameil und erer eyn is na dem anderen an den zal gebunden und wan dat eirste steit so steint sy alle und wan dat eirste geit so geint sy alle und wat dat vurderste deit dat doint sy alle und quemen dusent zo samen de en sleint noch en bissent sich nummer dan sy myrrent als sy sich groissent. Doch in der zyt wan sy weyent und wan man de wilden zam wilt machen so sint sy alze verveirlich und sy en drinckent neit dan eyns in dry dagen und essent myn dan eyn esel und dragent so wat man in up kan geladen. Und wan sin meister it ladet so lait it sich neder und wan it dan geladen is und sin meister spricht so steit it up und it hait alze grois swil under der burst und under den kneen und it is so dol wa it wont in eyme huyse da en kan it neit weder in gerachen und de iungen de wilde sint de geint by den zamen als lange bis sy zam sint und sy louffent neit dan sy geint [154r] gemechlichen und schrydent alze wyde und in dem auste so intfelt in al ir hair dat sy blois sint over al eren lyff und mogen gein kelde liden. Eyn Dromedarius is eyn deir geschaffen na alle wys als eyn cameil mer it is alze vil groisser und hoer und langer und lustiger ind sneller und geit so sere und schrydet so wyde we da up sitz de wandelt in eyme dage so verre als hie wilt. Eyn Buse240 is geschafft als eyn lebart und wan de iunck is so en

kan neman gewyssen off it sy eyn Buse off eyn lebart und is alse grois als eyn iage hunt und in den welden springet it van eyme bou-

239 A X 240 Diese Bezeichnung ist sonst nicht belegt (vgl. RM, S. 75, Fn. 13).

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Ein Drache ist in seiner Leibesgestalt ein sehr reinliches Tier und besitzt viele Streifen wie ein Regenbogen und einen Kopf wie ein Windhund und Flügel wie eine Fledermaus und sein Flug dauert nicht lange und wenn die Zeit kommt, dass sie läufig sind, dann beißen sie sich so sehr untereinander, dass sie tot bleiben, darum sieht man sie selten oder niemals. Aber in der Wüste, da bemerkt man sie wohl, wo sie mit dem Schwanz durch den Sand gezogen sind und sie sehen außerordentlich giftig aus und wenn man einen von ihnen tot auffindet, dem schlägt man das Haupt ab und vergräbt den Rumpf. Ein Kamel ist ein sehr monströses Tier und sehr groß und grob, so hoch wie ein Mann sich aufrichten kann und es hat einen langen Hals und kurze Ohren und sein Bauch ist sehr groß und seine Füße sehr klein und es hat einen Höcker auf dem Rücken und es hat kleine Füße und zwei Klauen wie ein Ochse und ist sehr sanftmütig, denn ein Kind beherrscht wohl 100 Kamele und jedes von ihnen ist mit dem anderen mit dem Schwanz verbunden und wenn das erste aufsteht, dann stehen sie alle auf und wenn das erste losgeht, dann gehen sie alle und was das vorderste Tier tut, das tun sie alle; und wenn 1000 zusammen kämen, die schlagen oder beißen sich niemals, sie murren nur, wenn sie sich grüßen. Doch zu der Zeit, wenn sie wiehern145 und wenn man die wilden Kamele zähmen will, dann sind sie sehr gefährlich und sie trinken nur einmal in drei Tagen und fressen weniger als ein Esel und tragen alles, was man ihnen aufladen kann. Und wenn sein Meister es belädt, dann legt es sich nieder, und wenn es dann beladen ist und sein Meister spricht, dann steht es auf und es hat sehr große Schwielen unter der Brust und unter den Knien und es ist so blöd, dass es den Stall, in dem es gewohnt hat, nicht wiederfindet und die Jungen, die wild sind, die gehen mit den zahmen Tieren so lange, bis sie zahm sind; sie laufen nicht, vielmehr gehen sie gemächlich und schreiten sehr weit aus und in dem August fällt ihnen ihr gesamtes Haar ab, dass sie am ganzen Leibe nackt sind und sie können keine Kälte ertragen.

Ein Dromedar ist ein Tier, das in jeder Hinsicht wie ein Kamel beschaffen ist, aber es ist sehr viel größer und höher und länger und munterer und schneller und geht so schnell und schreitet sehr weit aus; wer darauf sitzt, der kommt an einem Tag soweit wie er will. Eine Wildkatze ist wie ein Leopard beschaffen und wenn sie jung ist, dann kann niemand wissen, ob sie eine Wildkatze oder ein Leopard sei und sie ist so groß wie ein Jagdhund und in den Wäldern springt sie von einem Baum zum anderen

145 Gemeint ist hier wohl die Paarungszeit.

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Der Niederrheinische Orientbericht

me zo dem anderen als eyn einchorn und wan it boeven eyn iair alt is wen it dan roret myt den clain dat eyn bloit droff dar uss geit wat mynschen off creaturen dat is dat mois sterven. Da en ”is# gein artzedeie weder und sy sint alre meist in Armenien und wanne man da iagen wilt so zuget man in den walt myt eyme helpendeir myt syme berchfrede gewapent und wa dat helpendeir sal dan stain da behangent dan alle de lude de boume myt behenden netzen und dan iagent de heren und lude wilt wat sy vindent und sint de busen da dat horent de lude wal an den hunden. So vleint beide lude und hunde zo dem helpendeire und dan volgent de Busen na bis zo dem helpendeir. Dan springent sy in de pande ind in de netze dan sticht man ind schust de Busen anders en kan man sy neit gevangen. Ind gein ander deir en vartent de lude noch de hunde so sere als de Busen.

Eyn Cocodrillus is eyn usser maissen verbeirlich deir und is

alze starck ind greuwelich und is groisser dan eyn oesse geschaffen und hait hair als eyn wolff und wont in Egypten in dem groissen wasser dat heist Nylus dat usser dem paradys kumpt und is ussermaissen eyn snel schedelich deir und wat it begryft [154v] en buyssen dem wasser van mynschen off van perden off ander deir dat zuget it in dat wasser und ist dat und wat it begryft in dem wasser dat zuget it up dat lant und ist dat da und is up dem lande als eyn wolff und in dem wasser als eyn otter. Ind da en is gein rait noch kunst zo da man it kunne verdeligen mer de iungen nympt man eme wale und it is so starck dat it groisse schyff umb stoist in dem wasser. Und in den zyden do Akers stont do hatten de templere eynnen iungen Cocodrille dem brachen sy de zende uss und machden den zam de zoich eynnen stein zo eyme buwe den sy eme an de zagel hatten gebunden den zeen man van der erden neit up en kunden ” gehoven#241 und we starck dit deir is eme volget allet eyn cleyn wurm na de is als grois und geschaff als eyn rupe de volget eme altzyt na und den vurm vortet hie sere ”…#.242 Nochtan volget eme der  [vurm also lange yn dem wasser dat hie in myt anderen vischen slindet ind der vurm byst eme dat hertze intzwei in dem lyve dat hei also stirft und van desen Cocodrillen steit alze viel geschreven in vita patrum243. 241 gehoven ] geboren 242 wat hei gryft in dem wasser dat voret hie up dat lant getilgt. 243 A in vitas patrum

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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wie ein Eichhörnchen und wenn sie über ein Jahr alt ist, wen sie dann mit den Klauen berührt, sodass ein Tropfen Blut da hervorquillt, welcher Mensch oder welche Kreatur es immer sei, die müssen sterben. Dagegen hilft keine Arznei und sie kommen zumeist in Armenien vor und wenn man dort jagen will, dann zieht man mit einem Elefanten und seinem bewaffneten Turm in den Wald und wo der Elefant dann stehen soll, dort behängen dann alle Leute die Bäume mit beweglichen Netzen und dann jagen die Herren und Leute Wild, das sie finden und wenn es dort Wildkatzen gibt, dann hören die Leute dies wohl durch die Hunde. Dann fliehen sowohl Leute wie Hunde zu dem Elefanten und dann folgen die Wildkatzen ihnen bis zu dem Elefanten. Dann springen sie in die Stricke und in die Netze und dann ersticht und erschießt man die Wildkatzen, anders kann man sie nicht fangen. Und kein anderes Tier fürchten die Leute und die Hunde so sehr wie die Wildkatzen.

Ein Krokodil ist ein außerordentlich gefährliches Tier und es ist sehr stark und grauenerregend und es ist größer als ein Ochse beschaffen und hat ein Fell wie ein Wolf und lebt in Ägypten in dem großen Fluss, der Nil heißt, der aus dem Paradies kommt; und es ist ein außerordentlich schnelles, schädliches Tier und was es außerhalb des Wassers an Menschen, an Pferden oder anderen Tieren ergreift, das zieht es in das Wasser hinein und wenn das, was es ergreift, im Wasser ist, das zieht es das auf das Land und verspeist es dort und es ist auf dem Lande wie ein Wolf und in dem Wasser wie ein Otter. Und es gibt dort weder Rat noch Können, mit dem man es vertreiben kann, aber die Jungen nimmt man ihm wohl ab und es ist so stark, dass es große Schiffe in dem Wasser umstößt. Und zu den Zeiten, als Akko noch Bestand hatte, besaßen die Templer ein junges Krokodil, dem sie die Zähne ausbrachen und es zähmten, das zog einen Stein zu einem Bau, den zehn Männer nicht von der Erde heben konnten und wie stark dieses Tier ist, ihm folgte stets eine kleine Schlange, die so groß wie eine Raupe beschaffen ist, die folgt ihm ständig nach und diese Schlange fürchtet es sehr. Jedoch folgt ihm die Schlange so lange in dem Wasser, dass es sie mit anderen Fischen verschlingt und die Schlange beißt ihm das Herz im Leibe entzwei, sodass es stirbt und von diesen Krokodilen steht sehr viel in den Viten der Väter geschrieben.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort Pert in dem lande van over mer de en sint neit groisser dan

als van XII gulden off van seiszenen de sint alze starck und vrome ind snel mer de groisse ros koment uss Hyspanien und van Venedien. Vort koment dar ander Pert de en sint ouch neit groisser dan van seiszein gulden244 de kumment van Indien und sint alze dure und sint alze snel we sy kan rennen de mach wal hirtze ind hinden da up stechen mer der en hait neman dan der soldain und de coninge want man gilt wal eyn vur zein dusent florine ind sint so snel we sy neit wal kan rennen de verlust syn synne da up.

Vort alle zame deir sint da als hie mer sy sint da vil groisser

und schaiff ind zegen und alsuliche deirre de hant des iairs [155r] tzweir da iungen und up sulchen steden neit me dan eyns245 und dat vet dat de schaiff ind de weder solden haven in dem lyve dat hant sy in dem zagel also dat der zagel underwylen also vil vetgeide hat als der gantze rump zo mail. Vort van anderen deren wilde ind zam de da sint gemeynne und hei seltzen da were lanck aff zo sprechen und zo sagen.

Vort dar na dat gesprochen is van den deren so volget her na van

der iacht. Und man sal wyssen dat in dem lande van over mer sint alle iagehunde van eyme geschefte als he. Ind ye zwein hunde hant eynnen kneicht de anders neit en deit dan hie der hunde wardt und hie badet sy ind kempt sy ind heldet sy alze reynlichen myt halsbenden und myt allen dingen. Und de hunde ligent dages ins nachtes an seilen up natten alze reynlichen mer des morgens ind des avendes leident sy de kneichte up dat velt und laissent sy louffen ind nummer en essent sy anders dan gersten broit. Mer wilch here de eynnen hunt leyff hait den deit hie hoelen vur de taiffel und wirpt eme eyn schuttel broit vur. //

244 A marken 245 A niet dan eyns as hie

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Die Pferde in dem Land über See sind nicht größer als Pferde zum Preis von zwölf oder von 16 Gulden, sie sind sehr stark und tüchtig und schnell, aber die großen Rösser kommen aus Spanien und Venetien. Dorthin kommen noch andere Pferde, die sind auch nicht größer als solche zum Preis von 16 Gulden, die kommen aus Indien und sind sehr teuer und besonders schnell und wer die laufen lassen kann, der kann wohl Hirsche und Hindinnen darauf erlegen, aber niemand als der Sultan und die Könige besitzen diese Pferde, denn man gibt wohl für eines 10.000 Florine und sie sind so schnell, wer sie nicht so gut reiten kann, der verliert auf ihnen seine Sinne. Alle zahmen Tiere sind dort so wie die hier, aber sie sind dort viel größer und Schafe und Ziegen und all solche Tiere, die werfen zwei Mal im Jahr dort Junge und manchmal mehr als eins und das Fett, das die Schafe und die Widder im Leibe haben sollten, das haben sie in dem Schwanz, sodass der Schwanz zuweilen so viel Fett gespeichert hat wie der gesamte Rumpf auf einmal. Von den anderen Tieren, seien sie wild oder zahm, die dort verbreitet und hier selten sind, wäre lange zu sprechen und zu berichten.

Jagdtiere Nachdem nun von den Tieren berichtet worden ist, folgt jetzt ein Bericht über die Jagd. Und man soll wissen, dass in dem Lande über See alle Jagdhunde von gleicher Beschaffenheit sind wie hier. Jeweils zwei Hunde haben einen Wärter, der nichts anderes tut als sich um die Hunde zu kümmern und er badet sie und kämmt sie und versorgt sie ordentlich mit Halsbändern und mit allen Dingen. Und die Hunde liegen Tag und Nacht an Seilen auf sehr sauberen Matten, aber morgens und abends führen die Wärter sie auf das Feld und lassen sie laufen und sie verzehren nichts anderes als Gerstenbrot. Aber jeder Herr, der einen Hund liebhat, den holt er vor die Tafel und wirft ihm ein Schüsselbrot vor.146

146 Brot, das zum Servieren von Speisen oder zum Auftunken bzw. Abwischen von Fett genutzt wird, vgl. RM S. 77, Fn. 9.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Vort en louffent da geynne hunde ”ledich#246 mer wanne de heren willent iagen so nement sy myt in hundert off zwei gebure uss den dorppen und besetzent ”… eynen busch mit honden, ind#247 de hunde myt lebarden  [van verrens. Und in den busch geint dan de gebure und cloppent und rouffent und so louft dat wilt up de hunde de sint alze snel und wat de hunde dan vangent dem snydent sy den haltz intzwei it sy clein off groise. Und wat wildes den hunden intlouft dat kumpt vur de lebarden de ligent da in den seilen und nement des war und wan dat wilt dem lebart neket248 so springet der lebart zo also snel als eyn pil und vengt dat wilt myt den clain und wan dat wilt up den lebart louft so en volget eme gein hunt na und wat der lebart venget dem sleit hie de clain in de nase. So ligent sy beide stille up der erden. So kumpt dan der meister ind sleit dat wilt doit und gift dem lebarde dat houft ind nympt den rump myt eme. // Vort eyn lebart springet dry sprunge wat hie da [155v] myt neit en venget dat en keret hie sich neit an dat it ouch by eme stonde off lege mer hie geit her ind dar und is alze zornich und grymmich so volget eme sin meister na und en dar eme neit neken ee hey selver weder kere und kome zo syme meister. // Vort en sint da geynre hande ander winde in dem lande mer de winde de up disside mers sint de dar werdent gesant de en komen zo somer neit gelouffen mer zo winter louffent sy ewenich.

Vort sint in dem lande van over mer alle vogel wilde ind zam mer

alle vogel ind deir we de me up wart sint we sy groisser ins schoinre sint ain de lude we de me hoer sint we sy cleynre sint. // Vort de vogel de da gemeyn sint und he seltzen dat sint Aren Struys Pellicanus Flameus Coturmices Frankolin Papagay Fenix Caradrius und vil ander vogel.

Eyn Are is eyn schoin vogel edel ind grois als alle wal wyssen und in alsulchen landen sint sy dar zo gemacht dat man da myt beist ree in”d # alsulchen wilt mer zo eyme aren gehorent zwein meistere den dragent zwein kneichte zwai krucken na de sy under de Aren setzent.

246 ledich ] ludens 247 vort getilgt. Ergänzt nach A. 248 Mhd. naehen, md. nêhen, nêgen, sich nähern

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Die Hunde laufen nicht frei herum, aber wenn die Herren jagen wollen, dann nehmen sie 100 oder 200 Bauern aus den Dörfern mit sich und postieren die Hunde entfernt von den Leoparden. Und dann gehen die Bauern in den Busch und schlagen und rufen und dann läuft das Wild zu den Hunden, die sehr schnell sind und was die Hunde dann fangen, dem reißen sie den Hals entzwei, sei es klein oder groß. Und welches Wild den Hunden entläuft, das kommt vor die Leoparden, die liegen da in den Seilen und nehmen das wahr und wenn sich das Wild dem Leoparden nähert, dann springt der Leopard so schnell wie ein Pfeil auf es zu und fängt das Wild mit den Klauen und wenn das Wild auf den Leoparden zuläuft, dann folgt ihm kein Hund nach und was der Leopard fängt, dem schlägt er die Klauen in die Nase. Dann liegen sie beide still auf der Erde. Dann kommt der Meister und schlägt das Wild tot und gibt dem Leoparden das Haupt und nimmt den Rumpf mit sich. Ein Leopard springt drei Sprünge, was er damit nicht fängt, da kümmert er sich nicht drum, dass es auch bei ihm stehe oder liege, aber er geht hin und her und ist sehr zornig und wütend, wenn ihm dann sein Meister nachfolgt und er darf sich ihm nicht nähern, bevor er sich selber umdreht und zu seinem Meister kommt. Es gibt dort keine anderen Windhunde in dem Land, aber die Windhunde, die auf dieser Seite des Meers sind, die dorthin gesandt werden, die kommen im Sommer nicht gelaufen, aber im Winter laufen sie auch wenig.

Vögel Es gibt in dem Land über See alle wilden und zahmen Vögel, aber alle Vögel und Tiere, je höher sie im Lande sind, umso größer und schöner sind sie, anders als die Menschen, die umso kleiner sind, je höher sie leben. Die Vögel, die dort verbreitet und hier selten sind, das sind Adler, Strauß, Pelikan, Flamingo, Erdwachteln, Frankolin, Papagei, Phönix, Brachvogel und viele andere Vögel. Ein Adler ist ein schöner, edler und großer Vogel, wie alle wohl wissen und in solchen Ländern werden sie dazu abgerichtet, dass man mit ihnen Rehe jagt und solches Wild, aber zu einem Adler gehören zwei Meister, denen zwei Knechte zwei Krücken tragen, die sie unter die Adler setzen.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Eyn Struys is eyn alze grois vogel ”…#249 me up wart we sy groisser

und werder sint und sy sint zam als cranen und ir lyff is in als grois als eyn tunne und hant eynnen langen haltz als eyn crane und eynnen snavel als eyn gantz und dicke bein als eyns mynschen arm. De sint eme blois und hei hait dunne vederen und en vluget neit mer hie louft alze sere und wanne hie wilde is so iagent man in alze sere myt hunden und under syme vlogel steint eme scharpe zwacken langer und scharper dan hanen sporen und wan man in iaget so houwet hie sich myt den zwacken dat man in spurt by dem blode und wanne hie wilde is in der woistenien so leget hie syne eyer in den heissen sant unde lait dar by eynnen steyn dat neman en kan [156r] der eyer gesein noch gevinden. Und wanne hei dan de eyer alle zo samen hait gelacht so steint sy beide boven den eyeren und seint intgain de sonne also dat der weder schin van der sonnen kumpt uppe dey eyer dann aff koment dan de iungen uss also snel dat in alle ir dage de schalen van den eyeren blyvent stain up dem houfde und sy hant altze zornige ougen. Und als dan de iungen myt den alden ewech geint so nympt hie den stein weder und deit in hin so suyt man wa sin nyst ind sin eyer gewest hant und sin eyer vindet man alze selden off nummer gantz want in den woistenien en kan sy neman vinden. Und in der coninge und heren hoeve da en laissent sy neit van in und da en is neit gelouven an dat man eit eyer van Struyssen unde in der werelde und sy sint vil meirre dan eyns mynschen houft. // Vort de Struysse de da synt in der heren hoeve de essent gerste und wat man in gift als eyme cranen mer wa man pert besleit da sint sy gerne by so gift man in de alde nale van den yseren.

Eyn Pellicanus is eyn vogel als grois als eyn crane und is also geschaft und hat sin iungen alze leyff dat hie den van groisser leyfden zo rist und myt synen clain zo cratzet dat sy stervent so offent hie syne rechte side tuysschen den ribben myt dem snavel und leist sin bloit louffen up de iungen so werdent sy weder levendich. Flameus is eyn vogel de stede by dem wasser wilt sin und is alze suverlichen und en is neit also grois als eyn swane und hait eyn wysse veder und eyn rode.

249 we getilgt

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Ein Strauß ist ein sehr großer Vogel, aber weiter aufwärts sind sie größer und edler und sie sind zahm wie Kraniche und ihr Körper ist so groß wie eine Tonne und sie haben einen langen Hals wie ein Kranich und einen Schnabel wie eine Gans und Beine so dick wie ein Menschenarm. Diese sind nackt und er hat dünne Federn und fliegt nicht, aber er läuft sehr schnell und wenn er wild ist, dann jagt man ihn besonders mit Hunden und unter seinem Flügel hat er einen scharfen Zacken, länger und schärfer als ein Hahnensporn und wenn man ihn jagt, dann haut er sich mit dem Zacken, dass man ihn durch das Blut aufspürt und wenn er in der Wüste wild ist, dann legt er seine Eier in den heißen Sand und legt einen Stein darüber, damit niemand die Eier sehen oder finden kann. Und wenn er dann die Eier alle zusammengelegt hat, dann stehen sie beide über den Eiern und sehen gegen die Sonne, sodass der Wiederschein von der Sonne auf die Eier fällt, aus denen schlüpfen dann die Jungen so schnell heraus, dass ihnen alle ihre Tage die Schalen von den Eiern auf dem Haupte festsitzen und sie haben sehr zornige Augen. Und wenn dann die Jungen mit den Alten weggehen, dann nimmt er den Stein wieder und legt ihn so hin, dass man sieht, wo sein Nest und seine Eier gewesen sind und seine Eier findet man selten oder niemals ganz, denn in den Wüsten kann sie niemand finden. Und in den Höfen der Könige und Herren, da lassen sie nicht von ihnen ab und da gibt es keinen Glauben daran, dass man in der Welt Eier von Sträußen isst und sie sind viel größer als ein Menschenhaupt. Die Strauße dort in den Höfen der Herren fressen Gerste und was man ihnen wie einem Kranich gibt, aber wo man die Pferde beschlägt, da sind sie gerne dabei, dann gibt man ihnen die alten Nägel von den Eisen.

Ein Pelikan ist ein Vogel so groß wie ein Kranich und auch so geschaffen und er liebt seine Jungen so sehr, dass er sie aus großer Liebe zerreißt und mit seinen Klauen zerkratzt, dass sie sterben, dann öffnet er mit dem Schnabel seine rechte Seite zwischen den Rippen und lässt sein Blut auf die Jungen laufen, sodass sie wieder lebendig werden. Ein Flamingo ist ein Vogel, der beständig am Wasser sein will und er ist sehr reinlich und nicht so groß wie ein Schwan und er hat ein weißes und ein rotes Federkleid.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Eyn Coturnix is geschaffen als eyn hoin und is also grois ind is gra und hait eyn roit houft. Ind sy sint edelre dan velt hoinre und sint da also gemeyn als eynich vogel und sint gudes koufs also dat man wal up sulchen enden dry gilt vur eynnen Venedier und de lude ”de# up dem lande wonnent de hant zame Coturnites den gevent sy wyn zo drincken [156v] und bindent de up eynnen ”stock#250 up dat velt de locket dan den anderen [wilden und als de by de zamen koment so byssent sy sich under eyn dat sy in groissen houffen doit ligent. Mer wan eyn zam verwonnen is so en willent sy sich neit me weren und de zamen de wal vechten kunnen de sint zo mail dure und leyff und sy hant alze edel wilbroit und alle dese vogel leis got den kinderen van Israhel komen do sy vleisch luste in der woistenien. Eyn Vranckolin is eyn clein vogel als eyn duve und hait vederen als eyn vaeshoin und is in dem korne als eyn wachtel und hait eynnen seltzen rouff dat is da der edelste vogel in dem lande unde de vangent de lude myt garne als de wachtelen. Eyn Papagay is eyn clein vogel und hait groen vederen und en hait geynnen langen vloch de leret wal alle sprachen bynnen eyme iair ee eme wasse eyn roit rinck umb den haltz und als eme der rinck west so en kan hie neit geleren sprechen und is eyn cranck vogel up den beynnen also dat it neit en kan geklymmen myt den voissen it en behelpe eme myt dem snavel und de zeint de lude zam in eren husen und vercouffent de myt groissen houffen. Wan sy iunck ”sint# so gevent sy eynnen vur zwein Venedier und wanne sy wilde sint so zeint sy ”de# iungen by dem wasser des en konnen sy nochtan neit wal gelyden und ouch en konnen sy neit wal verre gevlegen. Eyn Fenix is eyn vogel dan man neit vil in dem lande en hait gesein. Mer de coninge und vursten de hant wal vederen da aff de ervent sy an ir kint de sint so suverlich van so seltzer varwen dat neman da van en kan gesprechen. Mer de lude sprechent da dat sy nyrgen in der werelde en sint dan in Arabien.

250 Ergänzt nach A.

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Eine Erdwachtel ist beschaffen wie ein Huhn und genauso groß und sie ist grau und hat einen roten Kopf. Und sie sind edler als Feldhühner und dort so verbreitet wie irgendein Vogel und sie sind erschwinglich, sodass man wohl letztlich drei für einen Venedier gibt, und die Leute, die auf dem Lande wohnen, die besitzen zahme Erdwachteln, denen geben sie Wein zum Trinken und binden sie an einen Stab auf das Feld, das lockt dann die anderen wilden Erdwachteln an; und wenn die zu den zahmen kommen, dann beißen sie sich untereinander, sodass sie in großen Haufen tot liegen. Aber wenn eine zahme überwunden ist, so wehren sie sich nicht mehr und die zahmen, die gut kämpfen können, die sind besonders teuer und lieb und erhalten sehr edles Wildbret und diese Vögel ließ Gott den Kindern Israels zukommen, als es sie in der Wüste nach Fleisch gelüstete.

Ein Frankolin ist ein Vogel so klein wie eine Taube und hat Federn wie ein Fasan und lebt im Kornfeld wie eine Wachtel und besitzt einen merkwürdigen Lockruf, das ist dort in dem Land der edelste Vogel und die Leute fangen ihn mit Netzen wie die Wachteln. Ein Papagei ist ein kleiner Vogel mit grünen Federn, der nicht lange fliegt, der lernt wohl alle Sprachen innerhalb eines Jahres, bevor ihm ein roter Ring um den Hals wächst; und wenn ihm der Ring wächst, dann kann er nicht sprechen lernen und er ist ein schwächlicher Vogel auf den Beinen, sodass er mit den Füßen nicht klettern kann ohne Hilfe mit dem Schnabel und den ziehen die Leute in ihren Häusern zahm auf und verkaufen ihn in großer Anzahl. Wenn sie jung sind, dann geben sie einen für zwei Venedier und wenn sie wild sind, dann ziehen sie die Jungen am Wasser auf, das können sie dennoch nicht gut leiden und sie können auch nicht sehr weit fliegen.

Ein Phönix ist ein Vogel, von denen man nicht viele in dem Lande gesehen hat. Aber die Könige und Fürsten, die besitzen wohl Federn von ihnen, die vererben sie an ihre Kinder, die sind so schön und von so seltsamer Farbe, dass man das gar nicht ausdrücken kann. Aber die Leute sagen dort, dass es sie nirgends in der Welt gibt außer in Arabien.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Eyn Coradrius is eyn vogel de is seltzen und is alze dure und leyff und is geschaffen und is als groiss als eyn ende de zient in [157r] Indien und erer en is neit vil und wanne eyn mynsche in eynre groisser sugden licht so sticht man den snavel van dem vogel in des seichen munt de suget eme alle de sugde usser dem lyve. As lange as de vogel dat lidet also lange is da raste in dem seichen mer wanne des der vogel neit me liden en wilt noch en kan und als hie sich van dem seichen keirt so en is gein troist an dem mynschen hei en moisse sterven. Vort Hoinre ind Duven ind zame vogel sint da geschafft als hie mer

sy sint alze vil groisser. Ind de Hoinre van Indien de hant eynnen lyff als grois als eyn crane mer sy en sint neit also hoe und hant rode houfde und vederen al eyn sperwer wan hie sich must. Und van anderen deren de over mer sint gemeyn und hie seltzen da were lanck aff zo sprechen.

Vort sint he vogel de over mer seltzen sint. Dat sint Storcke der

en is da neit sy en werden dar bracht. // Vort en sint da neit vil Gense dan in der coninge und vursten und heren hoeven de up dem lande wonnent. // Vort Zwailwen koment dar in dem mertze als her.

Vort is he eyn clein vogel de vloget by dem wasser und nert sich

der vissche und heist eyn Yseren Bart251 und na dem cleynnen vogel vragent alle vursten und heren da in dem lande und sprechent alze vil van dem vogel wan sy zo samen koment.

Vort en sint in dem lande van over mer gein clain vogel ain by

Babilonien was eyns sperwers nyst want da sint so vil groisser aren dat da gein clain vogel blyven en kan. Mer alle der Gervalcken ind Valcken de da sint und in alle orienten de koment uss Norwegen und van Pruyssen und van Vlainderen und den luden de de brengent den deit der soldain alze goitlichen da sy zo koment und storve in der vogel eyn up dem wege hie dede in genoich vur den de gestorven [157v] de were und neman en mach up allen steden noch reveren beissen want de aren en laissent de Valcken neit wal in der lucht vlegen yrre en sy alze vil zo samen als hie vur geschreven steit van dem Soldane. Mer

251 A Yserenbrant

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Ein Brachvogel ist ein seltsamer Vogel und er ist sehr teuer und lieb und ist beschaffen und so groß wie eine Ente; die ziehen in Indien umher und es gibt ihrer nicht viel und wenn ein Mensch in einer schweren Krankheit liegt, dann sticht man den Schnabel des Vogels in den Mund des Kranken, der saugt ihm die ganze Krankheit aus dem Leib. Solange der Vogel das tut, solange ist da Ruhe bei dem Kranken, aber wenn der Vogel das nicht mehr ertragen will noch kann und wenn er sich vom Kranken abwendet, dann gibt es keine Hoffnung mehr für den Menschen, er muss sterben.

Hühner und Tauben und zahme Vögel sind da beschaffen wie hier, aber sie sind sehr viel größer. Und die Hühner in Indien, die haben einen Körper so groß wie ein Kranich, aber sie sind nicht so hochgewachsen und haben rote Köpfe und Federn wie ein Sperber, wenn er sich mausert. Und von anderen Tieren, die über See verbreitet sind und hier selten, da wäre lange von zu sprechen.

Hier gibt es Vögel, die über See selten sind. Das sind Störche, die es dort nicht gibt, wenn sie nicht dorthin gebracht werden. Weiter gibt es da nicht viele Gänse, nur in den Höfen der Könige und Fürsten, die auf dem Land wohnen. Schwalben kommen im März dorthin wie hier. Es gibt hier einen kleinen Vogel, der am Wasser fliegt und sich von Fischen ernährt, und er heißt Eisenbart,147 und nach diesem kleinen Vogel fragen alle Fürsten und Herren dort zu Lande und sie sprechen sehr viel über diesen Vogel, wenn sie zusammenkommen. Es gibt in dem Lande über See keinen Klauenvogel, nur bei Babylon war ein Sperbernest, denn dort sind so viele große Adler, dass dort kein Klauenvogel bleiben kann. Aber alle Gerfalken und Falken, die es dort und im ganzen Orient gibt, die kommen aus Norwegen und von Prussen148 und von Flandern und den Leuten, die diese bringen, denen erweist sich der Sultan sehr erkenntlich, wohin sie kommen und wenn einer dieser Vögel unterwegs stürbe, gäbe er ihnen genug für den, der gestorben wäre und niemand kann an allen Stellen noch Flüssen Beizjagd treiben, denn die Adler lassen die Falken nicht in der Luft fliegen, wenn von ihnen nicht so viel beisammen sind, als es hiervor über die Jagd des Sultans beschrieben wurde.

147 Vermutlich handelt es sich um den Eisvogel (vgl. RM, S. 80, Fn. 9). 148 Siedlungsgebiet der Prussen östlich der Weichsel.

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Der Niederrheinische Orientbericht

anders beissent sy meistendeil van der hant as myt eyme sperwer und wan der ander velckener koment so en is ir kunst neit252 und eyn gemeyn sede is da in allen heren hoeven wat vu”r# edelre hunde in eyns heren hoff koment de sleit der portzener doit da eist man de Valcken myt und alle velckener sint da der heren eigen lude und da sint so vil patryse253 und vaselhoinre dat sy neman en kan verdelien und alle velckener vorent lange straillen by den perden da sy de vogel myt sleint as sy den Valcken willent vurflegen. // Vort in dem lande van over mer sint alle boume vrucht als he mer alle vrucht en kan da neit geweren man en halde de vrucht myt kunst want vil vrucht vulet up den boumen. // Vort vrucht und boume de da gemeyn sint und hie seltzen dat is Houltz Aloe Ceder Cypres Houltz Sichim Paradys Eppel Festuken Pharonis Vigen Speragen Peffer Zucker Boumwolle Wyrouch Tymeamen Palmen Carubben Pupone Rys und Mysnus.

Eyn Ceder is eyn edel boum und is alze vil hoer dan eyn danne und also geschaff ind ruchet ussermaissen waile ind starck und hait eppel als eyn danne mer sy sint groisser und ”wa# Ceder west da en mach gein bose vergift sin noch vurm und west recht in de lucht wal hundert voisse hoe ee hie enichen ast have und were dat houltz dusent iair in dem wasser off in der lucht it in vergeit noch en ver vult und it en is neit goit zo hauwen noch zo snyden it en sin sunderlinge meister de dat konnen. Eyn Cypres is ouch eyn alze hoe edel boum und is na alre wys geschafft als eyn cedrus mer sy scheident myt roche. Eyn Palme is eyn ussermaissen alze hoe boum und west wonderlichen

want zo dem eirsten wassent und geint uss alle de este usser der erden [158r] als dicke als hie werden sal und west ”…#254 des iairs zwein voisse hoe in de lucht off me und alle sin zwelgen wassent umb den boum als eyn crone und wan hie dan vunftzich iair alt is so west eme boven by den zwelgen vrucht dat heisschent dattelen. Und sy dringent 252 Das Folgende fehlt in A. 253 Die Bezeichnung patryse ist unklar. 254 ee getilgt. A ind danne koempt der stam as he werden sall, ind weyst vunftzich jair, alle jaire II voesse.

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Ansonsten beizen sie meistenteils von der Hand, etwa mit einem Sperber und wenn ein anderer Falkner kommt, hört ihre Kunst auf und es ist da eine allgemeine Sitte in allen Herrenhöfen, welch edle Hunde in den Hof eines Herren kommen, die schlägt der Pförtner tot, damit atzt man die Falken und alle Falkner sind da Eigenleute der Herren und es gibt dort so viele Patryse149 und Zuchthühner, die niemand vertreiben kann und alle Falkner führen lange Gerten bei den Pferden mit, mit denen sie die Vögel schlagen, wenn sie den Falken voranfliegen.

Pflanzen und Früchte In dem Land über See tragen alle Bäume Früchte wie hier, aber alle Früchte können da nicht wachsen, es sei denn, man ziehe sie mit Kunstfertigkeit, denn viele Früchte faulen auf den Bäumen. Früchte und Bäume, die da verbreitet sind und hier selten, das sind Aloeholz, Zedern, Zypressen, Sichimholz,150 Paradiesäpfel, Pistazien, Maulbeerfeigen, Spargel, Pfeffer, Zucker, Baumwolle, Weihrauch, Thymian, Palmen, Johannisbrotbaum, Kürbis, Reis und Muskatnuss. Eine Zeder ist ein edler Baum und er ist sehr viel höher als eine Tanne und ebenso beschaffen und sie duftet außerordentlich gut und stark und hat Zapfen wie eine Tanne, aber sie sind größer und wo eine Zeder wächst, da kann kein schlimmes Gift noch eine Schlange sein und sie wächst wohl 100 Fuß in die Höhe, bevor sie einen einzigen Ast hat, und wenn das Holz 1000 Jahre im Wasser oder in der Luft wäre, dann verdirbt es oder verfault es nicht und es ist nicht gut zu schlagen noch zu schneiden außer für besondere Meister, die das können.

Eine Zypresse ist auch ein sehr hoher, edler Baum und ist nach jeder Weise geschaffen wie eine Zeder, aber sie unterscheiden sich durch den Geruch. Eine Palme ist ein außerordentlich hoher Baum und sie wächst sehr wunderlich, denn zunächst wachsen und schießen alle Äste aus der Erde, so kräftig wie sie werden sollen und sie wächst im Lauf des Jahres zwei Füße oder mehr in die Höhe und alle Zweige wachsen wie eine Krone um den Baum und wenn sie dann 50 Jahre alt ist, dann wachsen ihr oben bei den Zweigen Früchte, die heißen Datteln. Und sie wachsen aus den Bäumen in der Fastenzeit wie Weinbeeren und wenn sie größer

149 Die Bedeutung ist unklar. 150 RM vermuten einen Akazienbaum (vgl. S. 81, Fn. 6).

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Der Niederrheinische Orientbericht

uss den boumen in der vasten als winberen und als de groisser werdent so hangent sy an den boumen neder und sint grois und vet dat sy al den boum neder druffent und eyn druve is als grois als eyn man van der erden up kan ”gehoven#255. Und alsulicher druven hanget der boum vol umb den boum oeven und neden und de palmen de de pilgarine her brengent dat sint iunge loden van den boumen mer de zwelgen sint alze grois.

Houltz Sichim dat is geschaffen als eychen mer it is swart als

pech und zuget alle de kelde und nympt boven alze vil edelgeit ind dugden van der sonnen und verdryft alle geswille und man schryft dat it van kelden neit en kan verbirnen in dem vure.

Brunsilien Houltz west alre meist in den werden da ret is in dem roden mer und vil ander roitz houltz ain march. Houltz Aloe en kan neman gewyssen wa dat wasse dan it kumpt myt

groissen stucken vleissen in dem wasser dat usser dem paradyse kumpt want dat west ind is geschafft als eyn durre boum de van eyme berge sy int wasser gevallen.

Paradys Eppel de wassent up eyme boume de en hait gein zwelgen

mer hie hait lou”v#er de sint wail sees off echte elen256 lanck. Ind de boum inde de louver sint sat groene winters ind somers mer wan de louver alze lanck ind breit sint so zo sleit sy der wint zo hantz aff und de boum is wail zweier manne hoe und by den louven wassent eppel in groissen houffen zo samen de sint ouch groene wal hundert zo samen up eynre zwelgen de smachent als vryssche butter und mydden in den eppelen steit eyn crucefix und de eppel en mogen neit weren. [158v]

Adamas Eppel is eyn alze schoin vrucht und is gele goult var und is groisser dan eyns kindes houft. Und in dem appel is eyn wonde we eyn mynsche dan aff have gebissen myt den zenden und is en buyssen ussermaissen schone und is en bynnen alze bitter. Und de lude gelouvent da dat Adam ind Eva in der vrucht dat gebot zo brechen und de eppel wassent up eyme groissen boume und sin louver sint sat groene winters ind somers und sy sint ryff zo mydden winter. 255 gehoven ] geboren 256 A voesse

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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werden, dann hängen sie an den Bäumen herab und sind groß und schwer, dass sie den ganzen Baum heruntertropfen und eine Traube ist so groß wie ein Mann sie von der Erde hochheben kann. Und von solchen Trauben hängt der Baum voll, ganz um den Baum herum, oben und unten und die Palmen, die die Pilger hierherbringen, das sind junge Schösslinge von den Bäumen, die Zweige jedoch sind sehr groß.

Das Sichimholz ist beschaffen wie Eichenholz, aber es ist schwarz wie Pech und zieht die Kälte und nimmt oben sehr viele Vorzüge und Tugenden von der Sonne auf und vertreibt alle Schwellungen und man schreibt, dass es vor Kälte nicht im Feuer verbrennen kann. Brunsilienholz151 wächst allermeist auf den Inseln, wo es Riet gibt, im Roten Meer und viel anderes rotes Holz ohne Mark. Niemand kann zeigen, wo das Aloeholz wächst, denn es wird in großen Stücken in dem Fluss angeschwemmt, der aus dem Paradies kommt, denn das wächst und ist beschaffen wie ein trockener Baum, der von einem Berg in ein Wasser gefallen ist.

Paradiesäpfel wachsen auf einem Baum, der keine Zweige hat, aber er hat Laub, das ist wohl sechs oder acht Ellen lang. Und der Baum und das Laub sind im Winter und im Sommer sattgrün, aber wenn das Laub sehr lang und breit ist, dann fegt es der Wind auf der Stelle herunter und der Baum ist wohl so groß wie zwei Männer und bei dem Laub wachsen die Äpfel in großen Haufen beieinander, die sind auch grün, wohl 100 beisammen auf einem Zweig, die schmecken wie frische Butter und in der Mitte der Äpfel befindet sich ein Kruzifix und die Äpfel sind nicht sehr haltbar.

Der Adamsapfel ist eine sehr schöne Frucht und er ist goldgelb gefärbt und größer als ein Kindskopf. Und in dem Apfel ist eine Wunde, als ob ein Mensch diese mit den Zähnen gebissen hätte und er ist äußerlich außerordentlich schön und innen sehr bitter. Und die Leute glauben dort, dass Adam und Eva mit dieser Frucht das Gebot übertraten und die Äpfel wachsen auf einem großen Baum und sein Laub ist winters und sommers sattgrün und sie sind mitten im Winter reif.

151 Gehört zur Familie der Johannisbrotgewächse.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Eppel Arausa is ouch eyn alze schoin vrucht und is geil goult var und de sint als grois als he eppel sint da”t# da bynnen is dat koelt sere und dat da en buyssen is dat en doith neit und sint ouch ryff zo mytz winter und alle iair steit de alde vrucht ind de nuwe zo samen up den boumen ind sin louver sint altzyt groene. Lymons is eyn cleynne vrucht und is als grois ind geschafft

als eyn ey und west up busschen und da machet man aff alze gude zasse da eyn mynsch aff lust zo essen und sint ouch ryff in dem winter und de bussche sint alzyt groene.

Festuken de wassen up eyme boume de is geschafft als eyn birboum und de vrucht is als eyn clein hasennus und hait eyn roede hut. De vindet man in allen apoteken und de vursten und de heren essent de na dem essen wan sy vastent und de boum is alzyt groene. Pharonis Vigen en man neit essen de wassent uss eyme boume de is geschaff als eyn linde de dragen vigen durch alle dat iair de en wassent neit by dem louve as ander vrucht mer sy wassent usser me harden houltz.

Carubbe es eyn vrucht geschaffen als schoden. De hant hie in

deseme lande veille de cremer de achter lande geint und [159r] heisschent sy roemsche schoden wan sy ryff sint so sint sy alze soisse dan aff keltert man honich de is swartz.

Peffer west up rosenbusschen und en hait gein louver und de

zwelgen sint satgroene und de Peffer steit umb de zwelgen als erwissen und is wys. Wan de ryff is so schreft man in aff und leget in in de sonne so wirt hie swartz und de zwelgen sint alze bitter da machet man alze gude zasse aff und sulche lude sprechent man mache den Peffer swartz myt rouche da man de vurme myt verdrive. Des en is neit want nema”n# en is so arm in dem lande de Peffer zo synre spysen wille doin und hey west up dem velde als ander bussche mer so der Peffer nie west intgain orienten und intgain de sonne so hie besser und heiser is.

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Orangen sind auch eine sehr schöne Frucht und goldgelb gefärbt und die sind so groß wie hier Äpfel und was innen ist, das kühlt sehr und was außen ist, das tut das nicht; und sie sind auch mitten im Winter reif und jedes Jahr steht die alte und die neue Frucht zusammen auf den Bäumen und ihr Laub ist immer grün.

Limone ist eine kleine Frucht und sie ist so groß und beschaffen wie ein Ei und wächst auf Büschen und daraus macht man sehr guten Saft, wonach es einen Menschen zu Essen gelüstet und sie sind auch im Winter reif und die Büsche sind immer grün. Pistazien wachsen auf einem Baum, der wie ein Birnenbaum beschaffen ist und die Frucht ist wie eine kleine Haselnuss und hat eine rote Haut. Man findet sie in allen Apotheken und die Fürsten und die Herren essen sie nach der Mahlzeit, wenn sie fasten und der Baum ist immer grün.

Maulbeerfeigen kann man nicht essen, die wachsen auf einem Baum, der wie eine Linde beschaffen ist, die tragen das ganze Jahr hindurch Feigen, die nicht bei dem Laub wachsen wie andere Früchte, sondern sie wachsen mehr aus dem harten Holz.

Johannisbrot ist eine Frucht, beschaffen wie eine Schote. Die verkaufen in diesem Land die Krämer, die ins Hinterland gehen und sie nennen sie Römische Schoten, denn wenn sie reif sind, dann schmecken sie sehr süß und man keltert daraus schwarzen Honig. Pfeffer wächst auf Rosenbüschen und trägt kein Laub und die Zweige sind sattgrün und der Pfeffer wächst um die Zweige wie Erbsen und ist weiß. Wenn er reif ist, dann schabt man ihn ab und legt ihn in die Sonne, dann wird er schwarz und die Zweige sind sehr bitter, aus denen gewinnt man gute Soße und manche Leute sagen, dass man den Pfeffer mit Rauch schwärze, womit man die Schlangen vertreibe. Aber so ist das nicht, denn niemand in dem Land, der Pfeffer in seine Speise geben will, ist so arm und er wächst auf dem Feld wie andere Büsche, aber wenn der Pfeffer nicht in Richtung Osten wächst und in Richtung Sonne, dann ist er besser und schärfer.

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Der Niederrheinische Orientbericht

Sperage west bynnen eynre nacht langer dan eyn spanne und is

geschafft als hoppe de ist man myt olye de zo bricht dem mynschen den stein in dem lyve und verdryft eyme mynschen alle boisheit dat eyn mynsch hette in der blasen mer wan it lange steit so wassent eme dorne so en doith he neit.

Boumwolle west in knoppen up busschen de sint eyns mans hoe und de louver sint geschafft als kese und ey eyn knop hait veir korn und umb de korn steit de Boumwolle und de korn setzet man vort in alsulchen landen da wassen busch aff und de knoppen seent de lude gemeynlichen in dem lande als hie korn in deseme lande. Rys is geschafft in alre wys also as weys mer hie west in su-

niegen257 ”landen#258 wan hei ryff is so stampet man in myt wasser dat eme de hut ave geit und lait it in in de sonne so is hie vort wys.

Zucker west under bergen in slechten velde by vleissenden wasser

und west in reden de heisschent Canamilla. Und der rede west grois velt vol und sy sint eyns mans hoge und vil dicker dan eyn [159v] dume ind hat alze vil leder259 eyn by dem anderen und in dem mertze snyt man de reit in groissen houffen ind in kurten stucken und stoist dat myt eyme molensteynne. Da geit wasser uss dat wasser sedent de lude in eynre pannen so wirt it dicke und wirt geschaffen als beirwirtz. Dat deit man dan in eyn vas de sint gebacken van zegel und sint boven wyt und hant beneden eyn clein loch dat stup man myt stro vur und deit de wirtz dar yn de besteit zo hantz und wirt hart und dat nas dat durch dat loch in dat stro dringet dat is honich und dat myddelste is Zucker und dat overste is seim den essent de heren wan sy vastent. // Vort wan dat Canamilla gesneden wirt alsus yn dem mertze so leist man vil reit stain de setzet man in de erde neden und bedecket de boven myt erden und steint dan also by dem wasser den some”r# over. Und dan by Sent Lambertz dage so lait man de reit in dey erde als wynstocke und als manich lit in eyme rede is also manich nuwe reit west da weder uss bis in den mertze bis man dat ever suyt. Und da is alze grois cost und arbeit over und ouch brenget it alze grois goit in mer dat wasser dat den molenstein dryft de dat reit zo stoist und da is ouch vurdel an. Want da is eyn gemeyn sede in dem lande

257 Vgl. mhd. stm. sumft, sunft, Sumpf, Schlamm, Morast. 258 Ergänzt nach A. 259 lede, mhd. lehde, unbebautes Land

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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Spargel wächst innerhalb einer Nacht länger als eine Spanne und ist beschaffen wie Hopfen, den isst man mit Öl, der zerbricht dem Menschen den Stein im Leib und vertreibt einem Menschen alle Beschwerden, die ein Mensch mit der Blase hätte und wenn er lange steht, dann wachsen ihm Dornen, dann taugt er zu nichts.

Baumwolle wächst in Büscheln auf Büschen, die sind mannshoch und das Laub ist löchrig beschaffen wie Käse und je ein Büschel hat vier Körner und um die Körner wächst die Baumwolle und die Körner sät man weiter in solchen Ländern, aus denen wachsen Büsche und die Büschel säen die Leute normalerweise in dem Land so wie hier zu Lande Korn. Reis ist in jeder Weise so beschaffen wie Weizen, aber er wächst in sumpfigen Ländern; wenn er reif ist, dann stampft man ihn mit Wasser, sodass ihm die Haut abgeht und belässt ihn in der Sonne, dann ist er weiterhin weiß. Zucker wächst am Fuß von Bergen auf ebenen Feldern bei fließendem Wasser und wächst in Rohren, die heißen Canamella.152 Und diese Rohre wachsen auf einem großen Feld und sie sind mannshoch und viel dicker als ein Daumen und es gibt sehr viel unbebautes Land zwischen ihnen und im März schneidet man die Rohre in großen Haufen und in kurzen Stücken und zerkleinert das mit einem Mühlstein. Da tritt Wasser aus, das die Leute in einer Pfanne sieden, dann wird es dick und beschaffen wie Bierwürze. Die füllt man in ein Fass aus Backstein, das oben weit ist und an der Seite ein kleines Loch hat, das stopft man mit Stroh zu und füllt die Würze da hinein, die wird auf der Stelle fest und hart und das Nass, das durch das Loch in das Stroh dringt, das ist Honig und das mittlere ist Zucker und das oberste ist Seim, den essen die Herren, wenn sie fasten. Wenn das Zuckerrohr im März ebenfalls geschnitten wird, dann lässt man viel Rohr stehen, das setzt man in die Erde ein und bedeckt das oben mit Erde und das steht dann den Sommer über nahe am Wasser. Und dann am St. Lambertustag153 legt man die Rohre in die Erde wie einen Weinstock und so viele Glieder sich an einem Rohr befinden, so viele neue Rohre wachsen bis zum März dann wieder hinaus, bis man die wiederum siedet. Und dabei gibt es großen Aufwand und viel Arbeit und es bringt ihnen sehr viel Geld ein, aber das Wasser, das den Mühlstein antreibt, der das Rohr zermahlt, hat auch einen Vorteil. Denn es ist eine allgemeine Sitte da in dem Land, wenn ein Mann einen Knecht hat, der ein Taugenichts ist, den sendet er

152 Mlat. canamella, Zuckerrohr, wörtlich Honigrohr. 153 17. September.

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Der Niederrheinische Orientbericht

wilch man eynnen eygen kneicht hait de eyn schalck is den sendet hey dar. De mois arbeiden dach und nacht und man en gift eme neit dan wasser in”d# broit want de arbeit en wilt gein raste ham und da sint dan lude zo gesat dat mallich wail arbeide de gevent den schelcken alze groisse slege und en gevent in geynnen loin wan sy heim geint. Und alsulicher schelcke sint da under wylen eyn hundert off zwei mer wilch kneicht da eyns gewest hait de deit wat hie mach dat hie neit weder en kome.

Vort west in dem lande dryer hande Zucker dat hie vur wesset

dat is alze ”vet#260 und is swartz. Dat hait man in der apoteken. // Vort [160r] dat ander Zucker dat me up wart west dat is roit und dat deit man up spyse. // Vort dat dirde zucker dat me intgain orienten west dat is wys und we der Zucker me up wart west we he besser und wysser is und da gilt man eyn broit Zuckers vur eynnen basanten den vonften halven geldent eynnen florin.

Vort west in dem lande dryer hande Honich. Dat eirste prainent

de lude van Carublen de is swartz. // Vort der ander Honich louft van zucker der is roit. // Und dat dirde Honich is van byen dat is geschafft als he mer it is alze vil besser ind heisser.

Purpone is eyn vrucht de is lanck als zwei gans eyer eyn up dem

anderen und sint mynre und groisser und sint gele. We des esen wilt de mois it schelen als eynnen appel und it is also kalt dat man it mois essen myt honich anders verkelde it eynnen mynschen en bynnen alze sere und de wassent alre meist in dem lande dat got den ioden hat gegeven do sy Iosuwe in dat lant brachte und zo hant do sy de vrucht aissen do en raende it numme”r# hemelsch broit. Ind dar umb in wat lande de ioden wonnent in der werelt de moissen der vrucht haven eyns in dem iaire und de boum da de vrucht up west de is winters und somers groene und de vrucht holent de arme ioden de sich da aff nerent.

Vort Galegain Cedewar ind Genver wassent da in wurtzelen und so sy me up wart intgain Indien so sy besser sint und starker261.

260 Ergänzt nach A. 261 A heysser

Teil II – Allgemeine Orientkunde

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dorthin. Er muss dort Tag und Nacht arbeiten und man gibt ihm nichts anderes als Wasser und Brot, denn die Arbeit lässt keine Ruhe zu und dort achten Leute darauf, dass jeder gut arbeite, die geben den Taugenichtsen sehr heftige Schläge und zahlen ihnen keine Lohn, wenn sie heimgehen. Und von solchen Taugenichtsen gibt es da zuweilen ein- oder zweihundert, aber welcher Knecht da einmal gewesen ist, der tut, was er kann, damit er nicht wieder dorthin kommt.

Es gibt in dem Land dreier Art Zucker; welcher hier wächst, der ist sehr stark und schwarz. Den führt man in der Apotheke. Der andere Zucker, der hier landaufwärts wächst, der ist rot und den fügt man der Speise bei. Und der dritte Zucker, der mehr gegen Osten wächst, der ist weiß und je weiter er aufwärts wächst, umso besser und weißer ist er und da gibt man ein Zuckerbrot für einen Basanten, von denen fünf halbe einen Florin ausmachen. In dem Land gibt es drei Arten von Honig. Den ersten pressen die Leute aus Johannisbrot, der ist schwarz. Der andere Honig kommt aus Zucker und ist rot. Und der dritte Honig stammt von Bienen, der ist gemacht wie hier, aber er ist sehr viel besser und schärfer. Ein Kürbis ist eine Frucht, so lang wie zwei Gänseeier, eines auf dem anderen und kleiner oder größer und gelb. Wer davon essen will, der muss das schälen wie einen Apfel und es ist so kalt, dass man es mit Honig essen muss, sonst verkühlt es einen Menschen innen zu sehr und die Früchte wachsen zumeist in dem Land, das Gott den Juden gegeben hat, als sie Josua in das Land brachte und sofort, als sie die Frucht aßen, da regnete es kein himmlisches Brot mehr. Und daher, in welchem Land der Welt die Juden wohnen, müssen sie die Frucht einmal im Jahr haben und der Baum, auf dem die Frucht wächst, der ist winters und sommers grün und die Frucht holen sich die armen Juden, die sich davon ernähren. Galangal, Zitwer154 und Ingwer wachsen da in Wurzeln und je näher sie aufwärts nach Indien wachsen, umso besser und stärker sind sie.

154 Es handelt sich um verschiedene Ingwersorten.

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Vort Wyrouch dringet usser boumen als smals. De boume sint geschaft als widen da dringet der Wyrouch uss zo alle zyden als vet dat zo samen cleft.

Tymeanien west up groissen crude dat is geschaft als verbrant

ayr de in dem korne wassent. Dat steit zo samen in groissen houffen und wan dat cruyt riffet so machent de lude eyn lange reche da [160v] bindent de lude vil bende in und zeint de durch dat cruyt da blyft dan cleven de Tymenanien in den rechen dat schreffent dan de lude aff und druckent dat zo samen als waes.

Vort west da eyn vrucht de is cleynne und gele und heist Mysinus dat is alze soisse dat vil vremder lude da aff stervent de is zo vil essent und is alze goitz koufs.

Vort wassent da manicher hande boume vrucht und cruyt dat da gemeyn is und he seltzen da were lanck aff zo sprechen ind zo schriven.

Vort wassent up dis side mers manicher hande boume vrucht ind cruyt dat hie gemeyn is und da seltzen als Kirsschen Yssels Kirsschen und Hasennusse de sint da alze seltzen und ouch erwissen also dat man den heren und den vrauwen dese dinck sendet vur alze groisse gave. Vort en west da gein Boichen Houltz noch Mandelboum.

Vort Saffrain en west in geyme lande dan up dis side mers in Arre-

guyn de plantzent de lude als cleyn ullouch groisse velt vol und eyn houft hait eyn blome de is also grois und geschafft als eyn zydelose mer sy is wys und bla und ey eyn blome de hait dry lange vesen in dem hertzen dat is Saffrain. Als sin zyt is so brechent de lude de blomen ind ”nement# dan uss Saffrain.

Vort west hie in dem lande Braim de is da ussermaissen leyff ind

wert und sulche couflude van Vlainderen brengent dar erdenpotte myt erden da cleynne struncke van Braim in is geplantz. We de over ”mer# kan brengen de gift de also dure als eman sprechen wilt. Und da is dan alze vil zo sokens van heren de den strunck van Braim willlent besein und arme lude de geynne strunck en konnen brengen de brengent Braim blomen da brent de heren und de vrauwen wasser aff. Dat is da in den appoteken alze leyff ind dure und de selve [161r] lude brengent dan weder rode beren der alle dat velt da vol wassent

Teil II – Allgemeine Orientkunde

199

Weihrauch quillt aus den Bäumen wie Schmalz. Die Bäume sind beschaffen wie Weiden, da dringt der Weihrauch jederzeit hinaus, so stark, dass er zusammenklebt.

Thymian wächst auf großen Pflanzen, die sind wie verbrannte Ähren beschaffen, an denen Korn wächst. Das steht zusammen in großen Haufen, und wenn die Pflanze reif ist, dann machen die Leute eine lange Reihe und ziehen viele Bänder hinein und ziehen die durch die Pflanze, daran bleibt der Thymian dann in den Reihen kleben, das schaben die Leute dann ab und drücken das wie Wachs zusammen.

Es wächst dort eine kleine und gelbe Frucht, die Muskatnuss heißt, die ist sehr süß, sodass viele fremde Leute davon sterben, die davon zu viel essen und sie ist sehr preiswert. Weiterhin wachsen da vieler Art Baumfrüchte und Pflanzen, die dort verbreitet und hier selten sind, von denen lange zu sprechen und zu schreiben wäre. Weiterhin wachsen auf dieser Seite des Meeres vielerlei Baumfrüchte und Kräuter, die hier verbreitet sind und dort selten wie Kirschen, Weichselkirschen und Haselnüsse, die dort sehr selten sind und auch Erbsen, sodass man den Herren und den Damen diese Dinge als großes Geschenk sendet. Dort wächst weder Buchenholz noch Mandelbaum. Safran wächst in keinem Land außer auf dieser Seite des Meeres in Aragon, mit dem pflanzen die Leute große Felder voll wie kleinen Lauch und ein (jedes) Haupt hat eine Blume, die so groß und so beschaffen wie eine Zeitlose ist, aber sie ist weiß und blau und je eine Blume hat drei lange Fasern in dem Herzen, das ist Safran. Wenn er reif ist, dann brechen die Leute die Blumen und nehmen den Safran heraus. Hier zu Lande wächst Bram,155 der außergewöhnlich lieb und teuer ist und Kaufleute aus Flandern führen Töpfe mit Erde ein, in die kleine Stücke Bram eingepflanzt sind. Wer die übers Meer bringen kann, der verkauft sie so teuer wie man angibt. Und es gibt dort sehr große Nachfrage bei den Herren, die den Bramstrunk betrachten wollen und arme Leute, die keinen Strunk erhalten können, die bringen Bramblumen, aus denen die Herren und die Damen Wasser brennen. Das ist dort in den Apotheken sehr begehrt und teuer und dieselben Leute bringen rote Beeren hin, von denen das Feld dort voll ist, aus denen man Scharlach gewinnt und mit diesem

155 Besenginster, der zu vielfältigen, auch medizinischen Zwecken diente.

200

Der Niederrheinische Orientbericht

da man scharlachen myt verwet und van deser sunder262 komenschaff winnent de lude alze vil gudes. Mer alle lude en wyssen de komenschaff neit.263 Hye hait dit boich eyn ende. Got uns synen heilgen vrede sende.

262 A snoder 263 A Datum anno domini MCCCC octavo in vigilia palmarum.

Teil II – Allgemeine Orientkunde

201

besonderen Handelsgut erzielen die Leute großen Gewinn. Aber nicht alle Leute verstehen sich auf den Handel. Hier hat dies Buch ein Ende. Gott sende uns seinen heiligen Frieden.

Literaturverzeichnis

Abkürzungen ADB Allgemeine deutsche Biographie DVjs. Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte MLR Modern Language Review NDB Neue deutsche Biographie NO Niederrheinischer Orientbericht RhVjbll. Rheinische Vierteljahrsblätter RhWB Rheinisches Wörterbuch RM Röhricht und Meisner TRE Theologische Realenzyklopädie ZfdPh Zeitschrift für deutsche Philologie

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Literatur

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Der vordere Orient im 14. Jahrhundert (Ulrich Haarmann (Hg.), Geschichte der a­ rabischen Welt, München 1994, S. 242, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags C.H. Beck München.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abb. 2: Verfolgung der Christen in Damaskus durch den Statthalter Tengiz (Folio 137v der Handschrift Cod. W*3, Hs. B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Abb. 3: Verfolgung der Christen, Besuch der Königin von Sizilien (Folio 48r der Handschrift W. 261a nach der Restaurierung, Hs. A) . . . . . . . . . . . . . . 13 Abb. 4: Jerusalem als Zentrum der Welt (»Die Welt als Kleeblatt« von Heinrich Bünting, 1581) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Abb. 5: Der Dreikönigenschrein im Kölner Dom. © Dombauhütte Köln, Matz und Schenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Abb. 6: Griechen und Türken (Hs. 268 Maria Laach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Abb. 7: Die Mameluken besiegen die Armenier in der Schlacht von Mari 1266 (Le Livre des Merveilles) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Abb. 8: Der armenische König Hethum II. nimmt Abschied von Ghazan und seinen Mongolen (aus: Claude Mutafian, Le Royaume Armenien de Cilicie) . . . . . . . 57 Abb. 9: Die Verbren­nung der Juden wäh­rend der Pest im Jahr 1349 (Brüssel, Bibliothèque royale de Belgique, Ms. 13076–77, f. 12 v.) . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Abb. 10: Der Sultan in Kairo (Hs. 268 Maria Laach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Abb. 11: Mameluk in Kairo (Hs. 268 Maria Laach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Abb. 12: Die Schlacht von Homs. Sieg der Mongolen über die Mameluken 1299 (­Hayton, Fleur des histoires de la terre d’Orient, fol. 31v Bibliothèque nationale de France. Département des manuscrites. NAF 886) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Abb. 13: Ogadai Khan (Recreation of a Yuan portrait in the National Palace Museum in Taipei) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Abb. 14: Die Menschen im Land Indien (Hartmann Schedel, Weltchronik, Kolorierte Gesamtausgabe von 1493, Das ander alter der werlt Blat XII) . . . . . . . . . . 144 Abb. 15: Tiertafel aus dem Reisebericht von Bernhard von Breydenbach 1502 . . . . . . . 173

Orts- und Personenregister

Das Register bezieht sich auf die Schreibweisen in der Übersetzung des Niederrheinischen Orientberichtes sowie auf die in den Fußnoten genannten Namen. Folgende Abkürzungen werden benutzt: Ap. = Apostel, Ev. = Evangelist, Hl. = Heiliger, Hz. = Herzog, Kg. = König, Kgin. = Königin, Kgr. = Königreich, Ks. = Kaiser, Ld. = Land, Patr. = Patriarch, St. = Stadt Aachen 41, 79 Abchasien 33, 49 Achaia (Ld.) 53 Ägypten 39, 45, 53, 89, 91, 95, 103, 107, 117, 151, 177 Akko 61, 89, 111, 155, 159, 177 Alexander der Große 91, 133, 143 Alexandrien (Alexandria) 39, 85 Altelot (Ephesus) 121–125 Altunbogha (König von Gaza?) 89, 95, 113 Andreas (Hl.) 121 Antiochia 47, 57, 71, 119, 121 Antonius (Hl.) 35, 49 Arabien 79, 89, 185 Arafaxat 143 Armenien 33, 49, 53, 57–63, 111, 127, 129, 135, 177 Arnold von Harff 85, 91 Aswerus (Kg.) 133, 137–143 Babylon, Babylonien (siehe auch Bagdad) 45, 53, 79, 89, 119, 137, 187 Bagdad (siehe Babylon) 77, 79, 127, 133, 135, 137 Barbara (Hl.) 63, 111 Benedikt XII. (Papst) 61, 81

Bernhard von Breydenbach 173 Bethlehem 31, 37, 41, 43 Cambeloch (Peking) 137 Candelor (Alanya) 121 China 35, 131 Christophorus (Hl.) 147 Christus (Jesus) 55, 71–75 Damaskus 57, 89, 95, 101, 113, 117, 119 Darius 133 Egrisula, Egrusula 43 Frankreich 155 Galilea 89 Gaza 89, 95, 113 Genua 125 Georg (Hl.) 49, 51 Georgien 33, 49, 51 Gottfried von Boullion 121 Halaam 127, 133, 135 Hasan Buzurg 141 Hasan ibn Timurtasch 141

212 Heilige Drei Könige 31, 35–51, 55, 63–67, 131 –– Caspar 31, 41, 43 –– Melchior 31, 41 –– Balthasar 31, 41, 133, 143 Helena (Hl.) 43, 123 Heraklius (Ks., Eraklius) 71, 117 Hethum (Kg.) 57, 135 Hethum von Korykos 41, 49 Heynissen (Ld.) 49 Indien 31–41, 63, 87, 97, 133, 137, 149, 157, 165, 167, 171, 173, 179, 187, 197 Innocenz V. (VI., Papst) 53 Isaak 71 Ismael 71 Israel (Ld.) 69, 91, 133, 185 Jean de Mandeville 49 Jerobeam (Kg.) 69 Jerusalem 31, 59–63, 67–71, 81, 85, 91, 115, 117, 133, 135 Johannes (Ev.) 123 Johannes des Plano Carpini 49 Johannes von Hildesheim 33, 35, 39–43, 49, 65, 129, 133, 135, 139 Judäa 67, 69 Kairo 91, 93, 103, (119) Kathagien (Ld.) 131, 133, 137, 143, 149 Katharina (Hl.) 49 Kilikien 31, 53–63 Kinck (Hz.) 61 Köln 45, 59, 115 Konstantinopel 51, 53, 71, 119, 125 Layas (Layazzo, St.) 59 Leo (Papst) 43 Leo V. (Kg.) 57, 61 Ludolf von Sudheim 33, 41, 65, 125, 135, 155 Lukas (Ev.) 123 Mohammed (Magomet, Machomet) 51, 57, 71-75, 79–85, 89, 115, 117, 135

Orts- und Personenregister

Magarete (Hl.) 91 Makarios (Hl.) 35 Marco Polo 35, 43, 49, 69, 133 Marrakesch 115 Martin (Hl.) 63 Mekka 49, 79, 81, 115 Melech Mesor (Sultan) 89–119 Melech Sapheraff (Sultan) 89 Mesopotamien 133 Messina (St.) 127 Michael (Hl.) 73, 75 Nebukadnezar 133, 143 Nicodemus 45 Ninive 133, 135 Nubien 31, 41 Odorich von Pordenone 139, 145 Orthosa (Tortosa) 123 Paul(us) (Ap.) 59, 123 Pelagius II. (Papst) 71 Persien 35, 137, 149 Peter (Ap.) 123, 135, 145 Philipp VI. (Kg.) 59, 61, 125 Philistea 89 Priester Johannes 31–43, 131, 139 Rom 33, 35, 53, 71, 85, 89, 91, 125 Saleff (Seleph) 121 Samaria 69 Sancia von Neapel (Kgin.) 115 Satalia (Antalya) 121, 123 Schalbonnire (Anamur) 121 Seif al-Din Tengiz (Stadthalter von ­Damaskus) 89, 95, 101, 113, 117, 119 Sergius 57, 71, 75 Seuwa, Soba (St.) 35 Sichki (Syke) 121 Sinai 49, 113 Sizilien 115, 127 Spanien 115, 117, 163, 179 Suria (Ld.) 89 Syrien 89, 95, 113, 133

213

Orts- und Personenregister

Tarsis (Kgr.) 31, 41 Tarsis (St.) 59 Tatarei 35, 43, 125, 141 Tharsis (Ld.) 41 Thauris (St.) 133, 137, 141 Thietmar 45 Thomas (Ap.) 39, 43, 45

Thomas (Patr.) 35 Turbia (Ld.) 53 Venedig 125, 163 Zabalin 125